Das Verfahren vor den Schwur- und den Schöffengerichten: (Des Handbuchs des Strafprozesses von Julius Glaser dritter Band). Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Neunte Abteilung, vierter Teil, dritter Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.] 9783428561520, 9783428161522


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German Pages 767 Year 1907

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Das Verfahren vor den Schwur- und den Schöffengerichten: (Des Handbuchs des Strafprozesses von Julius Glaser dritter Band). Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Neunte Abteilung, vierter Teil, dritter Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.]
 9783428561520, 9783428161522

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Das Verfahren vor den Schwur- und den Schöffengerichten Von Friedrich Oetker

Duncker & Humblot reprints

Systematisches Handbuch der

Deutschen Rechtswissenschaft. Unter Mitwirkung der Professoren Dr. H. Brunner i n B e r l i n , Dr. V. Ehrenberg i n Göttingen, Dr. 0 . Gierke i n Berlin, des General - Prokurators Dr. J. Glaser, früher i n Wien,

der Professoren Dr. C. S. Grünhut in Wien, Dr. A. Haenel in Kiel, Dr. A. Heusler i n Basel, Dr. P. Krüger i n Bonn, Dr. F. v. Martitz i n Berlin, Dr. 0. Mayer i n Leipzig, Dr. A. Mendelssohn Bartholdy i n Würzburg, Dr. L. Mitteis i n Leipzig, Dr. Th. Mommsen, früher i n Berlin, Dr. F. Oetker in Würzburg, Dr. M. Pappenheim in K i e l , Dr. F. Regelsberger i n Göttingen, Dr. Lothar Seuffert i n München, Dr. R. Sohm in Leipzig, Dr. E. Strohal in Leipzig, Dr. A. v. Tuhr i n Strafsburg, Dr. A. Wach i n Leipzig, Dr. R. Wagner, früher i n Leipzig,

herausgegeben von

Dr. Karl Binding, Professor in Leipzig.

Neunte Abteilung, vierter Teil, dritter Band: Julius Das

Glaser.

Verfahren

H a n d b u c h des Strafprozesses.

v o r den

Schwur-

und

Von F r i e d r i c h

den

Dritter

Oetker.

Leipzig, Verlag

von

Duncker 1907.

&

Band:

Schöffengerichten.

Humblot,

Das Verfahren vor den

Schwur- und den Schöffengerichten. Von

Friedrich Oetker.

(Des Handbuchs des Strafprozesses von J u l i u s G l a s e r dritter Band.)

Leipzig, Verlag

von Duncker

1907.

&

Humbiot.

Das Recht der Übersetzung bleibt vorbehalten

Dem

Andenken

meines Oheims

Friedrich gewidmet.

Oetker

V o r w o r t .

Bei der Fortführung des Glaserschen Handbuchs konnte es nicht meine Aufgabe sein, die wissenschaftliche Eigenart meines ausgezeichneten Vorgängers, wie sie Unger in seinem Nachrufe (Wien 1885) so schön geschildert hat, imitieren zu wollen. Als Sukzessor im Prozefs wurde ich dominus litis mit allen Rechten eines solchen. Aber ich war nicht nur bemüht, die eigene Arbeit, soweit es der Zusammenhang irgend zuliefs, streng auf den noch unerledigten Stoff zu beschränken, sondern habe auch die Erklärungen und Ausführungen des Auktors überall akzeptiert, wo es ohne Verleugnung meiner wissenschaftlichen Grundanschauungen möglich war. Die Fortsetzung, die sich in diesem Bande auf das schwurund schöffengerichtliche Verfahren beschränkt, erscheint weit später als mir lieb ist, aber wie ich hoffe, noch zeitig genug, um bei der Reform des deutschen Strafprozesses Berücksichtigung zu finden. Je tiefer ich in den Stoff eindrang, um so mehr erkannte ich, wie weit die Strafprozefsdoktrin noch hinter der Schwesterwissenschaft des Zivilprozesses zurücksteht. Die Dogmatik insbesondere des schwurgerichtlichen Prozesses war zum guten Teile allererst zu schreiben. In dem Ungenügen der Rechtslehre liegt ein schweres Hindernis gesunder Rechtsreform. Die Rechtspolitik bedarf dringend der gründlichsten dogmatischen Vorarbeit. Bei dem gegebenen Sachstande mufste meinem Buche der dogmatische Grundcharakter überall gewahrt bleiben. Es konnte nicht zugleich ein Werk der Rechtsvergleichung sein. Berücksichtigung des englischen, des französischen und des frühem deutschen Partikularrechts als der geschichtlichen Wurzeln des Reichsrechts war geboten. Und dem Vorbilde Glasers folgend

VIII

Vorwort.

habe ich stets das österreichische Recht, ohne auf dessen spezifische Kontroversen einzugehen, in kurzen Feststellungen zum Reichsrechte in Parallele gesetzt. Dagegen sind alle anderen Rechte mit vollem Bedacht aus der Darstellung ausgeschieden worden. Den hohen Wert der Rechtsvergleichung zu verkennen, sei ferne von mir, aber in einen dogmatischen Neubau gehört sie nicht. Während die dogmatische Literatur über die Jury von einzelnen verdienstlichen Leistungen abgesehen nie besonders ergiebig war, nach dem Zustandekommen der Reichsstrafprozefsordnung höchst auffälliger Weise Jahrzehnte hindurch fast ganz stillgestanden hat und erst in den letzten Jahren wieder Fortschritte aufweist, ist eine kaum übersehbare Fülle von rechtspolitischen und rechtsgeschichtlichen Schriften (diese durch Brunners „Entstehung der Schwurgerichte" gröfstenteils antiquiert) der Einführung der Jury in Deutschland vorangegangen und gefolgt. Glasers treffliche Darstellung der Reformbewegung, Handbuch 1 S. 162f., sein Artikel „Schwurgericht" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 3. Aufl. I I I S. 634 f. ; Schwarzes Abhandlung in Weiskes Rechtslexikon X S. 1—125, ergänzt durch die Aufsätze in Schletters Jahrbüchern IV S. 33 f. und im Ger.-Saal Bd. 17 S. 129 f.; Zachariae Handb. des deutsch. Strafprozesses I S. 68 f.; Birkmeyer Strafprozefsrecht S. 215 f. bringen reiche Nachweisungen der rechtspolitischen Literatur, auf die hier Bezug genommen wird. Die Aufgabe dieses Bandes konnte nur sein, die Verzeichnisse Glasers bis auf die neueste Zeit fortzuführen, vgl. S. 649 Anm. 1. Der jüngsten Reformbestrebungen, die in den Protokollen und Beschlüssen der Kommission für die Reform des Strafprozesses und der daran anknüpfenden Literatur ihren Ausdruck gefunden haben, ist bei der Lehre vom schöffengerichtlichen Verfahren, §§ 69 f. des Buches, gedacht worden. Im Übrigen konnten Reformvorschläge aus älterer und neuerer Zeit im Rahmen dieses Werkes nur insofern berührt werden, als die dogmatische Darstellung die reformbedürftigen Punkte unmittelbar ergab. Ein Überschreiten dieser Grenze würde die Eigenart des Buches gefährdet haben. Mein Bemühen war, die klaffende Lücke zwischen der ältern Schwurgerichtsdogmatik, soweit sie noch jetzt Bedeutung hat, und den Darstellungen des Reichsschwurgerichtsprozesses zu überbrücken und so die Fäden mit der Vergangenheit zum Nutzen der Gegenwart wieder zu knüpfen. Die gesamte frühere Literatur, auch soweit sie auf längst überwundenen wissenschaftlichen Anschauungen

Vorwort.

IX

beruht, in polemischen Anmerkungen durch das Buch mit fortzuschleppen, wäre ein verfehltes Beginnen gewesen. Aus der Rechtsprechung, besonders der des Reichsgerichts, habe ich vielfachen Nutzen gezogen. Für den Theoretiker ist's nicht erfreulich, gestehen zu müssen, dafs die Praxis für den Ausbau des schwurgerichtlichen Prozesses weit mehr geleistet hat, als die Doktrin. Möchte es in Zukunft anders werden! Das zweite und das dritte Heft von M i t t e r m a i e r - L i e p m a n n , Schwurgerichte und Schöffengerichte, Beiträge zu ihrer Kenntnis und Beurteilung, Heidelberg 1906 erschienen erst, als der Druck des Buches nahebei beendigt war und konnten daher nicht mehr berücksichtigt werden. Quellen- und Sachregister zu diesem Bande hat Herr Dr. jur. Anton Graf von Pestalozza in München gefertigt, dem ich für seine treffliche mühsame Arbeit auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank sage. Meinem grofsen Vorbilde nach Kräften nachzustreben, war mein redliches Bemühen. Glaser zu ersetzen, lag nicht in meiner Macht. W ü r z b u r g , am 15. November 1906. Oetker.

Inhaltsverzeichnis. Seite

Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen

Sechstes

VII—IX XIV

Buch.

Das schwurgerichtliche Verfahren. Erste Abteilung. F u n k t i o n und Bildung: des Schwurgerichts. Erstes Kapitel. Die Arbeitsgebiete Geschworenenbank

τοπ

Richterbank

und

§ 1. Die gesetzliche Kompetenzscheidung zwischen Richterbank und Geschworenenbank § 2. Die konkrete Bestimmung der Geschworenenkompetenz durch Urteilsfragen Zweites Kapitel.

3—41 3— 30 30— 41

Die Bildung des Schwurgerichts

42— 98

A. § 3. Die Bestimmung der Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode

42— 52

B. Die Besetzung der Geschworenenbank § 4. Die Vorbereitung der Auslosung § 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen .

52— 98 53— 57 57— 88

Drittes Kapitel. § 6. Vorsitzender und Gericht (Richterbank, Gesamtgericht), Obmann und Jury

88— 98

Zweite Abteilung. Das Verfahren vor dem Schwurgericht. § 7. Gang und Eigenart des Verfahrens Erstes Kapitel. Erster Titel.

Die Fragestellung Die A r t e n der F r a g e n

A. Die Hauptfrage § 8. Hauptfrage auf das Gattungsdelikt? § 9. Hauptfrage bei zusammengesetzten Verbrechen

99—116 117—369 117—224 117—159 118—120 120—121

Inhaltsverzeichnis.

XI Seite

§ 10. Hauptfrage bei qualifizierten und privilegierten Verbrechen 122—127 § 11. Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe . . . 127—133 § 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz. Hauptfragenmehrheit und Mehrheitshauptfrage 133—138 § 13. Hauptfrage bei Gesetzeskonkurrenz. Insbesondere die kombinierte Einheitsfrage 139—144 § 14. Hauptfrage bei fortgesetztem Verbrechen. Zusammengesetzte Einheitsfrage 144—153 § 15. Hauptfrage bei Subsidiarität des Strafgesetzes. Insbesondere die kumulative Einheitsfrage 153—155 § 16. Hauptfrage bei Wechsel der Strafgesetze zwischen Begehung und Aburteilung und bei ausländischem Delikt im Falle des § 4 Z. 3 StGB. Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion 155—159 B. Die Hilfsfrage § 17. § 18. § 19. § 20. § 21.

Die klagbessernde Funktion der Hilfsfrage Das Verhältnis der Hilfsfrage zur Hauptfrage Anwendungen der Hilfsfrage Reihenfolge von Haupt- und Hilfsfrage Die Voraussetzungen der Hilfsfrage C. Die Nebenfragen

§ 22.

I. Allgemeines II. Die Schuldnebenfragen

§ 23. Die Schuldnebenfragen auf Qualiiikations- und Privilegierungsgründe § 24. Schuldnebenfragen auf Strafausschliefsungsgriinde? Die Retorsionsnebenfrage insbesondere § 25. Die Einsichtsnebenfrage I I I . Die Strafnebenfragen § 26. Die Nebenfragen auf Strafaufhebungsgründe § 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen Z w e i t e r T i t e l . Der A k t der B e f r a g u n g A. Der Inhalt der Fragen § § § § § §

28. 29. 30. 31. 32. 33.

Allgemeines Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage Fortsetzung Die abstrakten Momente der Hilfsfrage Der abstrakte Inhalt der Nebenfrage Die Individualisierungsmomente B. Die Formulierung der Fragen

§ 34. Die Formvorschriften des Gesetzes § 35. Die Gestaltung des Fragenstoffs § 36. Fortsetzung. Die Alternativfragen insbesondere . . . .

159—182 159—164 164—165 165—173 173—178 178—182 182—224 182—183 183—208 183—195 195—200 200—208 208—224 208—214 214—224 224—369 224—266 224—227 227—238 238—245 246 247-252 252—266 267—318 267—269 269—275 275—307

nhaltsverzeichnis.

I

Seite

§ 87. Fortsetzung. Die verdeckten Alternativfragen § 38. Fortsetzung. Weitere Formulierungsprobleme

807—311 311—318

C. Zahl und Reihenfolge der Fragen. zueinander § 39. Zahl und Reihenfolge der Fragen § 40. Das Verhältnis der Fragen zueinander

319—327 319—323 323—327

Ihr Verhältnis

D. Entwerfung und Feststellung der Fragen

328—363

§ 41. Der Gang des Verfahrens. Einwendungen und Anträge § 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere . . .

328—345 345—363

E. § 43. Der dezisive Gehalt der Fragestellung

363—369

Zweites Kapitel.

Der Wahlspruch

A. Die Entstehung des Wahrspruchs

369-436 371—397

§ 44. Die Materialien des Wahrspruchs § 45. Die Obmannswahl § 46. Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen . . .

371—380 380-387 387—397

B. Inhalt und Form des Wahrspruchs § 47. Der Inhalt des Wahrspruchs § 48. Die Form des Wahrspruchs. Die Kundgebung

397-^32 397—419 420—432

C. § 49. Die rechtliche Bedeutung des Wahrspruchs

432—436

Drittes Kapitel. spruchs

Prüfung, Berichtigung, Aufhebung des Wahr436-556

§ 50. Allgemeines

436—439

A. § 51. Die Prüfung des Wahrspruchs

439—461

§ § § §

52. 53. 54. 55.

B. Die Voraussetzungen der Spruchberichtigung . . . Formfehler Ausscheidungen durch das Gericht Sachliche Mängel Fortsetzung . C. Die Spruchberichtigung

§ 56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren § 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch D. Die Aufhebung des Spruchs § 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung § 59. Spruchaufhebung ohne Vollmacht § 60. Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtaufhebung

461—501 463—469 469—472 472—495 495—501 501—530 501—517 518—530 530—556 530—545 546—549 550—556

Viertes Kapitel. § 61. Die Verkündung des Spruchs

556—563

Inhaltsverzeichnis.

XIII Seite

Fünftes Kapitel. Die Parteivorträge znr Schuldfrage und die KechtsbelehruQg § 62. Die Parteivorträge zur Schuldfrage § 63. Die Rechtsbelehrung §64. Fortsetzung

563—607 563—574 574-591 591-607

Sechstes Kapitel. Das Urteil § 65. Bedingungen des Sachendurteils § 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch § 67. Verfahren zwischen Wahrspruch und Urteil, insbesondere die Parteivorträge zur Straffrage. Der Urteilsakt . . .

607—639 607—613 613—629 629—639

Siebentes Kapitel. § 68. Aburteilung einer Inzidentklage gemäfe § 265 StPO. . .

Siebentes

639—645

Buch.

Das schöffengerichtliche Verfahren. Erstes Kapitel.

Funktion nnd Bildung des Schöffengerichts . .

649—681

A. § 69. Die Organisation des Schöffengerichts

649—665

B. Die Bildung des Schöffengerichts

665—667

§ 70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr § 71. Besetzung des Einzelgerichts Zweites Kapitel. § § § §

72. 73. 74. 75.

Das Verfahren y or dem Schöffengericht.

667—673 673—681

. .

682—722

Verhältnis zum landgerichtlichen Verfahren Umfang der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung . Besondere Formen der Prozefsbegründung Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts

682—683 684—699 699—716

Register

716—722 723—752

Berichtigungen. S. 113 Anm. 38 ist zu Code art. 361 zu ergänzen 379. S. 392 Anm. 10 Zeile 2 von unten lies § 66 sub V I I I statt § 66 sub V.

Abkürzungen.

Die Kommentare zur deutschen und österreichischen StPO sind nur mit den Namen der Verfasser bezeichnet. Ebenso die Lehr- und Handbücher des deutschen Strafprozefsrechts. Ebenso der Kommentar zum code d'instr. crim. von S i r e y et M a l e p e y r e (4. ed., Paris 1903) und der Kommentar zum R.StGB von O l s h a u s e n - Z w e i g e r t (7. Aufl.). B i n d i n g , „Grundrifs" bedeutet den Grundrifs des deutschen Strafprozefsrechts, 5. Aufl., G l a s e r , „Fragestellung" den Artikel „Fragestellung" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 3. Aufl. I S. 881 f. „ D a l c k e " ohne Zusatz bezieht sich auf D a l c k e , Fragestellung und Verdikt im schwurgerichtlichen Verfahren 2. Aufl. 1898. Die Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts in Strafsachen, herausgegeben von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft ist nur mit „R", O p p e n h o f f , Rechtsprechung des preufs. Obertribunals in Strafsachen nur mit „ O p p e n h o f f " zitiert. Weitere Abkürzungen bedürfen nicht der Erläuterung.

Sechstes Buch. Das schwurgerichtliche Verfahren.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - 0 e t k e r , Strafprozefs

III.

1

Erste Abteilung. Funktion und Bildung des Schwurgerichts. Erstes Kapitel. Die Arbeitsgebiete von Richterbank und Geschworenenbank. § 1.

Die gesetzliche Kompetenzscheidung zwischen R i c h t e r b a n k und Geschworenenbank 1.

I. So lange eine Strafrechtswissenschaft bestehen wird als Rechtslehre nicht nur der Strafe, sondern auch der Schuld, so lange wird die Schuldfrage Rechtsfrage bleiben. Die Annahme, dafs sie reine Tatfrage sei, ein Irrtum, der bei der Rezeption des Geschworeneninstituts in Frankreich wesentlich beteiligt war und auch die frühere deutsche Gesetzgebung mehrfach beeinflufst hat, erscheint uns heute fast unbegreiflich. 1

Die Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Richterbank und Geschworenenbank ist für die Jury Existenzfrage. Widerspricht die gesonderte Entscheidung der Schuldfrage durch Geschworene dem Wesen der Urteilsaufgaben, so steht die Unhaltbarkeit der schwurgerichtlichen Bildung fest. So erklärt sich, dafs mit den dogmatischen Untersuchungen über die Teilung der Zuständigkeiten ganz regelmäfsig Erörterungen über den Wert oder Unwert des Schwurgerichts, häufig auch Re^rmvorschläge sich verbinden. I n erster Linie bedeutsam: P I a n c k , . Systematische Darstellung (1857) S. 197 f., 389 f.; H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage im Geschworenengericht (1860); G l a s e r , Schwurgerichtliche Erörterungen 2. Aufl. (1875); v. B a r , Recht und Beweis im Geschworenengericht (1865); S c h w a r z e , Das deutsche Schwurgericht und dessen Reform (1865); H e i n z e , Ein deutsches Geschworenengericht (1865); D e r s e l b e , Strafprozessuale Erörterungen (1875) S. 59 f.; B i n d i n g , Die drei Grundfragen zur Organisation des Strafgerichts (1875); D e r s e l b e im Grundrifs des deutsch. Strafprozefsrechts § 49; Anlage 5 zu den Motiven der Strafprozefsordnung „Die Rechtsfindung im Geschworenengericht"; B i r k m e y e r , Deutsches Strafprozefsrecht S. 215 f., 647 f. Vgl. ferner die Literatur zur Fragestellung (unten vor § 8). 1*

4

§1

i e gesetzl. Kompetenzscheidung zw. Richter- u. Geschworenenbank.

Eine geschichtliche und eine psychologische Tatsache dienen zur Erklärung. Die Nichtachtung der Jurisprudenz unci der Juristen in der Aufklärungsperiode, das Streben nach vollkommenen Gesetzen, zu deren Anwendung es nur des gesunden Menschenverstandes, nicht der juristischen Kunst bedürfe, hatten den Blick verdunkelt auch für die juristische Qualifikation der Verbrechenstatsachen. Und der Wille meisterte den Intellekt: man wollte, selbst in Vorurteil befangen, den angeblich stets befangenen gelehrten Richtern die Schuldfrage ganz entwinden, sie unparteiischen Laien allein zuweisen und betrog sich und andere durch das Vorgeben, dafs sie Gegenstand rein tatsächlicher Beurteilung sei. Ist es heute noch nötig zu sagen, dafs die von den Geschworenen zu lösende Schuldfrage als Beweisfrage zur Hälfte, und zwar zu äufserlich nicht abscheidbarer Hälfte, als Subsumtionsfrage ganz Rechtsfrage ist? Gewifs ist das Verbrechen ein tatsächliches Geschehen, aber ein solches von bestimmter rechtlicher Qualifikation 2 . Die Verbrechenstatsachen lassen sich nicht als nackte Fakta aus juristischen Umhüllungen herauslösen. Tatsachen des allgemeinen und des besonderen, des subjektiven und objektiven Verbrechenstatbestandes können nur solche sein, die ganz bestimmten juristischen Anforderungen genügen. Nur auf juristisch qualifizierte Tatsachen richtet sich die Beweisführung, nur sie sind Gegenstand der Beweisfrage. Beweisprüfung ist immer zugleich Prüfuug der Rechtserheblichkeit von Tatsachen und schon deshalb, nicht nur als eine an Beweiserfordernisse und vielleicht auch Beweisregeln gebundene Funktion 3 juristische Aufgabe. Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Vorbereitung, Versuch, Vollendung, Urheberschaft, Miturheberschaft, Anstiftung, Beihilfe in ihrer konkreten Erscheinungsform sind nicht reine Tatsachen, sondern infolge bestimmter rechtlicher Eigenschaften den juristischen Kategorien subsumierbare Tatsachen. Die Bejahung der Schuld, des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit ist notwendig zugleich die Verneinung aller Schuldausschliefsungsgründe, des rechtserheblichen Irrtums, des Zwanges usw., ferner der Notwehr, des Notstandes usw. Die Deliktshandlungen, das Töten, Stehlen, Brandstiften usw., setzen gewifs Kausalitäten voraus, die auch bei erlaubten und rechtlich 2

Vgl. besonders B i n d i n g , Die drei Grundfragen der Organisation des Strafgerichts S. 29 f. 3 Vgl. auch B i n d i n g a. a. Ο. S. 39.

§1

i e gesetzl. Kompetenzscheidung zw. Richter- u. Geschworenenank.

irrelevanten Handlungen vorkommen. Der Rechtsbegriff des Tötens führt zurück auf einen Lebensbegriff, den das Raubtier verwirklicht wie der Raubmörder. Rechtlich relevant aber wird ein Kausalverlauf nur, wenn er nach Subjekt, Objekt, Tätigkeitsart den juristischen Voraussetzungen genügt. Welche Fülle rechtlicher Qualitäten mufs zu dem Akte des Wegnehmens hinzugedacht werden, damit er als Diebstahlshandlung erscheine! Eine äufserliche Zerlegung der Beweisfrage in Tat- und Rechtsfrage ist ganz unmöglich, da die juristische Qualifikation der Tatsache doch nicht ein äufserlich zu ihr hinzutretendes Akzidens ist. Die Geschworenen vollziehen durch die Bejahung der Schuld auch die Subsumtion unter das Strafgesetz. Denn sie werden nicht gefragt einfach nach der rechtserheblichen Tat, die dem Angeklagten bewiesen sei, wobei noch dahingestellt bleibt, welchem Strafgesetz — wider den Einbruchsdiebstahl, den Mundraub, den einfachen Diebstahl, die Unterschlagung usw. — sie sich unterordne, sondern ob er schuldig sei, einen ganz bestimmten gesetzlichen Deliktstatbestand verwirklicht zu haben. In der Frage liegt die bedingte Subsumtion unter das Strafgesetz, mit dem Ja der Geschworenen ist materiell die Bedingung erfüllt. Freilich hat das Gericht auf den Wahrspruch hin noch abschliefsend über die Subsumtion zu befinden und kann dabei zu dem Ergebnis kommen, dafs die Frage den gesetzlichen Deliktsmerkmalen nicht vollständig genügt und daher der Korrektur bedarf. Die gleiche Auffassung der Geschworenenaufgabe tritt unzweideutig schon im code d'instr. art. 337 hervor: „L'accusé est-il coupable d'avoir commis tel meurtre, tel vol ou tel autre crime avec toutes les circonstances comprises dans le résumé de l'acte d'accusation?" Eine solche Frage für eine Tatfrage erklären, wie es die französische Praxis getan hat und noch tut, heifst vor handgreiflichen Wahrheiten die Augen verschliefsen. Schon im Stadium der Beweisprüfung beginnt die juristische Subsumtion, die sogenannte tatsächliche Feststellung Vollzieht sich in allen Teilen unter Anwendung von Rechtsbegriffen; in der Unterordnung des festgestellten Tatbestandes unter ein bestimmtes Strafgesetz folgt ein Stadium reiner und zugleich abschliefsender Subsumtion. Häufig sind zum Zwecke der Gesetzesanwendung zunächst Fragen der Auslegung zu lösen, aber unter allen Umständen, auch bei feststehendem Sinn des Gesetzes, ist die Vergleichung der bewiesenen konkreten Tat mit der abstrakten Tat des Gesetzes ganz und gar juristische Operation.

§1

i e gesetzl. Kompetenzscheidung zw. Richter- u. Geschworenenbank.

II. Die Geschworenen sind nicht Richter der Tat, „Probierstein eines geführten Beweises"4, sondern Richter über die Schuld. Von den drei Fragen, deren Erledigung der Strafverhängung vorangeht 5, ist die dritte, die Straffrage, prinzipiell dem Gericht geblieben. Die Beweisfrage ist grundsätzlich auf die Geschworenen übergegangen. An der Subsumtion sind die Geschworenen mafsgebend beteiligt, indem sie den Tatbestand eines bestimmten Strafgesetzes bejahen oder verneinen. Aber auch das Gericht wirkt dabei mit, denn es stellt in der Frage an die Geschworenen den konkreten Tatbestand hypothetisch unter das Strafgesetz und es hat demnächst ferner noch zu prüfen, ob die von den Geschworenen festgestellte Tat — es steht diesen auch teilweise Bejahung, teilweise Verneinung frei — einen gesetzlichen Deliktstatbestand erfüllt. Die Überweisung der Schuldfrage an die Geschworenen hat in den §§ 81 GVG., 262, 293 StPO bestimmten gesetzlichen Ausdruck gefunden. Die Geschworenen werden befragt über „die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat nach ihren gesetzlichen Merkmalen", unter Hervorhebung der zur Unterscheidung der Tat erforderlichen Umstände. Ebenso Österreich § 318: Alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung sind in die Frage aufzunehmen. Die früheren deutschen Prozefsgesetze nahmen mit Ausnahme von Kurhessen 6 1848 §§ 317, 318, 1863 § 159 in der Hauptsache 4

P l a n c k , Systematische Darstellung S. 404. Vgl. B i n d i n g , Grundrifs § 89 VI. H e i n e m a n n , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 15 S. 62 f. übersieht in seiner Polemik gegen B i n d i n g ganz, dafs nach gelöster Schuldfrage infolge von Gesetzeskonkurrenz die Subsumtionsfrage noch zweifelhaft bleiben kann, indem der festgestellte Deliktsbegriff mehreren Strafgesetzen sich einordnen läfst. 6 Die Fragen sollten auf „Tatsachen" gerichtet werden; nur bei Injurienklagen hatten die Geschworenen auch darüber zu entscheiden, ob in der inkriminierten Äufserung oder Handlung der Deliktsbegriff verwirklicht sei. Dieser Anweisung folgend hat die hessische Praxis den Tatbestand — auch in verhältnismäfeig einfachen Fällen — stets in eine ganze Reihe von Einzelfragen aufgelöst. Ein charakteristisches Beispiel ist die Fragestellung in der Hanauer Schwurgerichtsverhandlung wegen Ermordung der Reichstagsabgeordneten Lichnowsky und Auerswald, Ger.-Saal I I I 2 Beil -Heft S. 41 f. (Frage 49: Ist der Mitangeklagte eine Fahne tragend, mit Bewaffneten in das Haus des X eingedrungen, um dazu mitzuwirken, L . und A. aufzusuchen und sich derselben zu bemächtigen? Frage 51: Hat derselbe den Α., als dieser aus dem X-schen Garten herausgeführt wurde, mit der Fahne geschlagen? Frage 52: Hat der Angeklagte, als L. auf der Bockenheimer Heide fortgeführt 5

§1

i e gesetzl. Kompetenzscheidung zw. Richter- u. Geschworenenbank.

den gleichen Standpunkt ein. Ohne jeden Vorbehalt wurden die Geschworenen mit der ganzen Schuldfrage befafst in Bayern 1848 Art. 1737, Hessen-Darmstadt 1848 Art. 164, 165, Württemberg 1849 Art. 154, Baden 1851 § 96. Ebenso in Braunschweig 1849 § 140 und in Thüringen 1850 Art. 287 für den Normalfall, dafs die Geschworenen ein G e n e r a l verdikt abgaben (über das in diesen Gesetzen zugelassene S ρ ezi a 1 verdikt siehe unten § 47). wurde, vor diesem die Fahne hergetragen und geschwenkt? usw.). Viele weitere Belege in H e u s e r , Annalen der Justizpflege in Kurhessen. Die Fragestellung war, wie H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 170 sehr richtig bemerkt, meist Geschichtserzählung in Frageform. Die schweren Fehler dieses Fragmodus liegen klar zutage: 1. Ks wird über eine Anzahl von Tatsachen gesondert abgestimmt und so ist möglich, dafs die Fragen-Gesamtheit bejaht wird, während für jede einzelne Antwort die Majorität verschieden zusammengesetzt ist, kein Geschworener sämtliche Fragen bejaht hat, eine Gesamtfrage auf den Gesamttatbestand einstimmig verneint worden wäre. 2. Von den Geschworenen wird eine mehr oder minder detaillierte tatsächliche Feststellung getroffen, nicht schuldhaftes Setzen eines Deliktstatbestandes festgestellt. Die Geschworenen sind, obwohl nach dolus, culpa gefragt, gar nicht in der Lage, eine Schuld festzustellen, da es dolus, culpa betreffs nackter Tatsachen nicht gibt. Das Gericht aber begnügt sich mit dieser vermeintlichen Schuldbejahung. Es wird somit der dolus usw. fingiert. 3. Ob die Bejahung, Verneinung einer Frage für den Angeklagten vorteilhaft, nachteilig ist, kann bei dieser Fragengestaltung von den Geschworenen vielfach nicht oder doch nicht mit Sicherheit erkannt werden. Dabei schreiben aber die kurhess. Gesetze für jede Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten Zweidrittelmehrheit vor, 1848 § 324, 1863 § 163 Abs. 4. 4. Das Gericht entscheidet die Subsumtionsfrage auf Grund eines Wahrspruchs, der die Schuldfrage nur in einzelnen Partikeln, also im Grunde überhaupt nicht erledigt hat. 5. Weil die dem Gericht angesonnene Herausschälung der nackten Tatsachen undurchführbar ist, so wird den Geschworenen tatsächlich doch, in vollem Widerspruch mit dem Prinzip der Befragung, eine Reihe von Rechtsbegriffen zur Beurteilung vorgelegt und natürlich ohne jedes für die Auswahl bestimmende Prinzip. Vgl. H e u s e r , Annalen der Justizpflege in Kurhessen Bd. I I I S. 482, 523 f. (eine durch das spätere Gesetz von 1863 sanktionierte Praxis). Auffallend ist, dafs ein Jurist wie B ä h r in der Reichsjustizkommission dieses System verteidigt hat, Prot. 1. Les. S. 447 f. 7 Vgl. dazu P l a n c k , Systematische Darstellung S. 405 Anm. 11; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 354, 355; H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 131 f. Die bayerische Praxis hat das Gesetz dahin mifsverstanden, dafs es der Gegenüberstellung des allgemeinen Verbrechensbegriffs (Raub usw.) und der konkreten Merkmale der Tat bedürfe, während doch offenbar die Aufnahme der gesetzlichen Deliktsmerkmale verlangt war. Vgl. M e y e r a. a. 0.

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In den anderen Prozefsordnungen war grundsätzlich ebenfalls anerkannt, dafs die Geschworenen die Schuldfrage entscheiden sollten, doch wurden einzelne Stücke der rechtlichen Beurteilung des Tatbestandes dem Gericht reserviert. So bestimmte Preufsen 1852, nachdem es in Art. 81 den Geschworenen die Würdigung der Tat nach den gesetzlichen Merkmalen übertragen hatte 8 , in Art. 82 einschränkend, dafs bei Bezeichnung dieser Merkmale, soweit angängig, Rechtsbegriffe, die nicht eine allgemein bekannte und im gegebenen Falle unbestrittene Bedeutung hätten, durch solche gleichbedeutende Ausdrücke zu ersetzen seien, zu deren Verständnis es der Rechtskenntnis nicht bedürfe. Eine Reihe von Gesetzen liefs zu oder schrieb vor die Ersetzung von Rechtsbegriffen — ohne nähere Bestimmung oder mit Bezug auf solche Begriffe, deren Verständnis durch rechtskundige Einsicht in den Sinn und Zusammenhang der Gesetze bedingt sei, oder unter Charakterisierung der Rechtsbegriffe im Sinne von Preufsen Art. 82 — durch die Aufnahme der entsprechenden, für die Beurteilung wesentlichen tatsächlichen Verhältnisse 9 : Hannover 1850 § 188, 1859 § 194, 8 Vgl. v. S t e m a n n in Goltd. Archiv Bd. 2 S. 170; G ο I t da m m e r , das. Bd. 3 S. 191; v. K r a e w e l , das. Bd. 3 S. 213 f. 9 In gleichem Sinne hat die preufsische Praxis die in Art. 82 des Ges. ve 1852 vorgeschriebene Ersetzung gewisser Rechtsbegriffe durch „gleichbedeutende Ausdrücke" verstanden. Es wurden den gesetzlichen Merkmalen die konkreten Tatumstände substituiert. Vgl. preufs. Ob.-Trib. in Goltd. Bd. 1 S. 209 f. und öfter; v. S t e m a n n , das. Bd. 2 S. 171 ff.; v. T i p p e l s k i r c h , das. Bd. 6 S. 606 f. ; Z a c k e , Fragstellung S. 60 f. (mit vielen Beispielen aus der Rechtsprechung des Ob.-Tribunals). Nachdem einmal diese Bahn betreten war, lag die Tendenz nahe, die Geschworenen auch abgesehen von den Voraussetzungen des Art. 82 nach dem Ermessen des Gerichts möglichst auf die Konstatierung von Tatsachen zu beschränken, v. T i p p e i s k i r c h a. a. O. S. 598 f., 755 f. entwickelte die — ganz willkürliche — Regel, dafs die Geschworenen nur in betreff der verbrecherischen Tätigkeit, nicht auch des Objekts und der Mittel nach den gesetzlichen Merkmalen gefragt werden dürften. Dem Wortlaut und der Absicht des Gesetzes entsprach die Gleichstellung der äquivalenten, ohne Rechtskenntnis verständlichen Ausdrücke mit den konkreten Tatumständen gewifs nicht. Aber was blieb der Praxis anders übrig? Einer unerfüllbaren gesetzlichen Anforderung konnte sie eben nicht nachkommen. Der Gesetzgeber spricht doch nicht, wie Art. 82 vorauszusetzen scheint, einer Marotte zuliebe eine Geheimsprache, die nur der Jurist versteht, während er ebensowohl eine Ausdrucksweise wählen könnte, die jeder Laie sofort zu fassen vermöchte. Um nun in dieser geänderten Form dem gesetzlichen Verlangen zu genügen, hat sich die preußische Praxis immer von neuem abgequält, die Grenze

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Oldenburg 1857 Art. 324, Baden 1864 § 278, Hessen-Darmstadt 1865 Art. 362, Preufsen 1867 § 318, Sachsen 1868 § 66 Abs. 2, Bremen 1870 § 480 10 . Mit Aufstellung dieser Beschränkungen der Geschworenenkompetenz war vom Gericht das Unmögliche verlangt: zu scheiden zwischen gesetzlichen Begriffen, die Rechtsbegriffe seien oder nicht — sie sind es ja stets! —, zwischen Rechtsbegriffen, deren Verständnis Rechtskenntnis erfordere oder nicht — diese Voraussetzung besteht immer ! —, Rechtsbegriffe zu ersetzen durch gleichbedeutende, juristisch nicht qualifizierte Wendungen — solche gibt es nicht! Werden den Geschworenen an Stelle der gesetzlichen Deliktsmerkmale nur die konkreten Tatsachen unterbreitet, in denen das Gericht — ihren Bestand vorausgesetzt — die ersteren verkörpert sieht, so ist die Schuldfrage dergestalt zerschnitten, dafs der eine Richter tatsächlich feststellt, der andere juristisch subsumiert, der eine vielfach feststellt, was er nicht subsumiert haben würde, der andere häufig subsumiert, was er nicht festgestellt hätte. Die Mehrheit der Geschworenen nimmt z. B. an, dafs der Angeklagte einen gewissen Schein geändert habe, hält ihn aber uicht für eine Urkunde, die Mehrheit der Richter sieht in dem Schein eine Urkunde, erachtet aber die Änderung durch den Angeklagten nicht als erwiesen. Die Doppelzüngigkeit eines solchen Urteils springt doch in die Augen! Es ist eine evidente Ungerechtigkeit, zu verurteilen, wenn nicht die Mehrheit der Richter eines und desselben Kollegiums in einheitlicher Abstimmung die sämtlichen Voraussetzungen der Deliktsschuld bejaht hat. So kann nur voll gebilligt werden, dafs die Reichsstrafprozefsordnung alle diese Reservationen zugunsten des Gerichts aufgegeben hat und die Geschworenen schlechthin zu der Entscheidung beruft, ob sich der Angeklagte vor dem Strafgesetze schuldig gemacht, den gesetzlichen Tatbestand eines Delikts verzu ziehen zwischen „Rechtsbegriffen", die der Auflösung in die tatsächlichen Spezialitäten des Falles bedürften, und „tatsächlichen Begriffen", die als solche erfragt werden könnten. Diesem Bemühen verdankt man unter anderem die Entdeckung, dafs Vorsatz und Fahrlässigkeit rein tatsächliche Begriffe seien ( Z a c k e S. 67). Auf die Distinktionen des preufsischen Obertribunals näher einzugehen, wäre zwecklos. Ein vollkommener Widerspruch — die Einteilung von Rechtsbegriffen in Rechtsbegriffe und Nichtrechtsbegriffe — bleibt gleich geheimnisvoll für Weise wie für Toren. 10 Eine besondere Stellung nahm Württemberg 1868 Art. 364 Abs. 3 ein, indem hier n e b e n Angabe des Rechtsbegriffs in der Frage die Zurückführung desselben auf das entsprechende tatsächliche Verhältnis vorgeschrieben war.

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wirklicht habe 11 . Dafs dem Gericht auf Grund des Geschworenenspruchs noch die abschliefsende Prüfung zufällt, ob die Tat, so wie sie von den Geschworenen festgestellt ist, den Voraussetzungen des Strafgesetzes entspricht, ist nur in der Ordnung, da von der Vergleichung der Tat mit dem Strafgesetz dessen Anwendung abhängt, und enthält in keiner Weise eine Beschränkung der den Geschworenen bestimmungsgemäfs zufallenden Schuldbeurteilung. Mit der Schuldfrage haben die Geschworenen auch den Entscheid über Qualifikations- und Privilegierungsgründe. So die früheren deutschen Gesetze (Bayern Art. 177 f.; Thüringen Art. 287, 256; Preufsen 1852 Art. 84; Oldenburg 1857 Art. 325 f.; Hannover 1859 § 194; Baden 1864 § 279; Hessen-Darmstadt 1865 Art 363 f. ; Preufsen 1867 § 321; Sachsen 1868 §§ 60f.; Hamburg 1869 § 211; Bremen 1870 § 486), Österreich § 322 und die Reichsstrafprozefsordnung § 295. Die Abgrenzung aber von Schuld- und Straffrage im Gesetz ist in mehrfacher Hinsicht inkorrekt. Während die Voraussetzungen des Rückfalls zweifellos von der Schuldfrage uiitumfafst werden, sind sie im § 262 Abs. 3 StPO davon ausgenommen. Schlimmer noch hat gewirkt die leidige Verwechslung von Normwidrigkeit und Strafbarkeit, die den Gesetzgeber im § 262 Abs. 2 verführt hat, die Strafausschliefsungsgründe zur Schuldfrage zu rechnen, was doch eben nur für die wirklichen Schuldausschliefsungsgründe zutrilft 1 2 . Während an diesen Mängeln das Geschworenenverfahren nur mit zu laborieren hat, bei der Zweiteilung des Gerichts in Geschworenen- und Richterbank gemäfs der Scheidung von Schuld- und Straffrage freilich besonders intensiv, ist in der Zuweisung der Frage nach mildernden Umständen an die Geschworenen ein böser originaler Fehler hinzugekommen. Die Schuldfrage im Sinne des § 262 umschliefst auch die Subsumtionsfrage 13. Es gilt daher auch insofern das Erfordernis 11 Die Trennung der Schuld- und Straffiage ist prinzipiell nicht anfechtbar. Unrichtig S c h w a r z e , Das deutsche Schwurgericht und dessen Reform S. 63 f. Eine andere Frage ist, ob die Überweisung jeder dieser Fragen an ein anderes Richterkollegium gebilligt werden kann. 12 Vgl. auch H ü c k i n g in Goltd. Arch. Bd. 34 S. 218 Anm. 2 und besonders B i r k m e y e r , Strafprozefsrecht S. 649. Eine präzise Trennung von Schuld- und Straffrage, so F r a n k in den Verhandlungen des 22. Jurist.-Tags Bd. I I S. 13, ist dem Gesetze gerade nicht gelungen. 13 Richtig L ö w e - H e l l w e g zu § 262 Bern. 2a; B i n d i n g § 89 V I I I ; S t e n g l e i n zu § 262 Bern. 1; B i r k m e y e r S. 652; B e n n e c k e - B e l i n g S. 543.

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der Zweidrittelmehrheit. So weit das Gericht dem Geschworenenspruch gegenüber die Anwendbarkeit des Strafgesetzes noch zu prüfen hat — teilweise Verneinung usw. —, bedarf es zur Subsumtion unter das Gesetz der Zweidrittelmehrheit, die allerdings bei der Besetzung der Richterbank im Schwurgericht mit der einlachen Mehrheit zusammenfällt. 1. Das Verbrechen im Rückfall ist nach StGB und den Nebengesetzen14 zweifellos qualifiziertes Verbrechen, der Rückfall daher ein Schulderhöhungsgrund, der grundsätzlich und im Sinne des § 262 Abs. 2 StPO zur Schuldfrage gehören würde. Wollte der Gesetzgeber für die Bejahung der Rückfallsvoraussetzungen einfache statt der Zweidrittelmajorität des § 262 Abs. 1, so wäre richtig gewesen, diese Ausnahme auszusprechen. Durchaus mifsverständlich aber ist der Ausschlufs der Rückfallsfrage von der Schuldfrage in Abs. 3 des § 262. Die Bestimmung würde bei sklavischer Gesetzesanwendung das grundverkehrte Ergebnis haben, dafs erst bei der Abstimmung über Art und Mafs der Strafe die Rückfallsfrage erwogen würde. Dieser positiven Anordnung entsprechend beschränkt sich die Zuständigkeit der Geschworenen lft. Ein innerer Grund dafür ist freilich um so weniger zu erkennen, als gerade dieser Bestandteil Α. A. v. S c h w a r z e zu § 262 Bern. 1; P u c h e l t zu § 262 Bern. 2: die Subsumtion gehöre zur Straffrage. 14 In eigentümlichem Gegensatz zur Rückfallsschärfung steht die einmalige Bestrafung wiederholter Kontraventionen, wenn sie gleichzeitig entdeckt worden sind, nach Branntw.St.Ges. v. 8/7. 1868 § 67 Abs. 3, Braust.Ges. v. 31/5. 1872 § 37 Abs. 2 usw. Über die Voraussetzung würde, weil sie die Schuldfrage nicht betrifft, im schwurgerichtlichen Verfahren das Gericht zu entscheiden haben. 16 Die Rückfallsfrage überwiesen dem Gericht auch Thüringen 1850 Art. 287; Frankfurt 1856 Art. 238; Oldenburg 1857 Art. 331; Hannover 1850 § 188 Abs. 10, 1859 § 194 Abs. 10; Baden 1864 § 279 Abs. 3; Hess.-Darmst. 1848 Art. 172, 1865 Art. 371; Preufs. 1867 § 325; Württemb. 1868 Art. 370; Sachsen 1868 § 58; Bremen 1870 § 491. Die französische Praxis hat von jeher die Zuständigkeit der Richterbank angenommen, S i r e y u. M a l e p e y r e zu art. 337 code Nr. 358. In England wird die Rückfälligkeitsfrage bei Diebstahl durch die Jury entschieden, vgl. dazu H e i n z e , Parallelen zwischen der engl. Jury und dem französisch-deutschen Schwurgericht S. 15, sonst vom Gericht bei Lösung der Straffrage auf Grund des Verdikts, M i t t e r m a i e r , Engl., schott., nordamerik. Strafverfahren S. 496 f. Für Feststellung des Rückfalls durch die Geschworenen de lege ferenda v. B a r , Recht und Beweis im Geschw.-Gericht S. 248 f.

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der Schuldfrage selten besondere Schwierigkeiten bietet. Dem einen Fehler gesellt sich, wenn beim rückfälligen Verbrechen mildernde Umstände in Betracht kommen, ein zweiter. Beide zusammen führen zu dem leidigen Resultat, dafs über den Rückfall das Gericht, über mildernde Umstände im Falle des Rückfalls aber die Geschworenen zu entscheiden haben, die präjudizierende Frage also erst nach der präjudizierten mafsgebend beantwortet wird, eine Tatsache, die Anlafs werden kann zu arger prozessualer Komplikation. Das Gericht hat, wenn Rückfall in Betracht kommt, nach Abgabe des Wahrspruchs zunächst diesen noch restierenden Teil der Schuldfrage zu erledigen und dann erst zur Straffrage überzugehen. Die Zuständigkeit für die Rückfallsfrage ist die gleiche, wie immer die Rückfallsvoraussetzungen bestimmt sind. Auch wenn nur wiederholte Begehung nach rechtskräftiger Verurteilung usw. gefordert wird, hat das Gericht zu entscheiden. Doch kommt vor, dafs aus der Fortsetzung einer Unterlassung nach rechtskräftigem Urteil ein delictum sui generis gebildet wird, so im Flagg-Ges. v. 22.16. 1899 § 20 Abs. 2. Hier bildet Nichterfüllung innerhalb bestimmter Frist nach Rechtskraft usw. den Deliktstatbestand. Es steht daher im schwurgerichtlichen Verfahren der Jury die Kognition zu. Nach Analogie des Rückfalls ist zu behandeln die eine der Voraussetzungen, unter welchen nach § 362 Abs. 2 StGB die Überweisung an die Landespolizeibehörde im Falle des Betteins zulässig ist: mehrmalige rechtskräftige Verurteilung in den letzten drei Jahren wegen dieser Übertretung. Dagegen würden über die gleichgestellten Fälle, Betteln unter Drohungen, mit Waifen, die Geschworenen zu entscheiden haben. 2. Als Umstände, welche die Strafbarkeit ausschliefsen, sind in Abs. 2 des § 262 sehr verschiedenartige juristische Tatsachen zusammengestellt : Die eigentlichen Schuldausschliefsungsgründe, die Gründe wegfallender Rechtswidrigkeit, die blofsen Strafausschliefsungsgründe und die Strafaufhebungsgründe, d. h. solche Momente, welche die bereits begründete Strafbarkeit wieder aufheben. Dafs infolge der Disposition des Abs. 1 Strafausschliefsungsund Strafaufhebungsgründe bei feststehender Schuld nur mit Zweidrittelmajorität verneint werden können, ist eine höchst ungerechtfertigte Begünstigung der Delinquenten auf Kosten des Strafbedürfnisses. Die Charakterisierung der Umstände des Abs. 2 als „straf-

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gesetzlich besonders vorgesehener" Tatsachen ist im Grunde überflüssig. Zweifellos meint der Gesetzgeber nicht nur die mit Strafbarkeitserklärungen bestimmter normwidriger Handlungen verbundenen, an spezielle Voraussetzungen geknüpften Straflosigkeitserklärungen des gleichen Tuns, sondern auch die generellen Strafausschliefsungen (nicht Strafauf hebungen) im allgemeinen Teile des StGB. a) Dafs die Schuldausschliefsungsgründe (Zustände der Bewufstlosigkeit, der krankhaften Störung der Geistestätigkeit, Nötigung zum Delikt durch Gewalt oder Drohung gemäfs § 52 StGB, Einsichtsmangel beim jugendlichen Täter, Irrtum usw.) und die Gründe wegfallender Rechtswidrigkeit (Notwehr, Notstand, Notlage der Verlobten im Falle des § 67 Abs. 2 des Personenstandsgesetzes usw.) zur Schuldfrage gehören, versteht sich. Das besondere Majoritätserfordernis ist hier auch rechtspolitisch gerechtfertigt. Bemerkt sei, dafs mit dem Privilegium des wahrheitsgetreuen Berichtes im § 12 StGB, Art. 22 Reichsverf. richtig verstanden ein Deliktsausschliefsungsgrund aufgestellt ist. Auch für spezielle Delikte können besondere Ausschliefsungsgründe anerkannt sein. In diesem Sinne hat man die viel umstrittenen berechtigten Interessen des § 193 StGB aufzufassen 16. Weitere Beispiele sind § 67 Abs. 2 Pers. Stands-Ges. (Analogie des Notstands), Art. 4 Abs. 3 Wuch.-Ges. v. 19./6. 1893 usw. b) Die eigentlichen Strafausschliefsungsgründe berühren die Schuldfrage an sich gar nicht. Sie beseitigen lediglich die Strafbarkeit schuldhafter Tat. In diese Kategorie sind zu stellen das Privilegium der Abgeordneten nach § 11 StGB, Art. 30 RVerf., das übrigens bereits die Strafverfolgung ausschliefst, der Aburteilung entgegensteht und daher nur infolge Prozefsfehlers bei der Abstimmung über Schuld und Strafe zur Sprache kommen könnte; die Straflosigkeit wegen Verwandtschaft mit dem Verletzten, Ehegatten-Qualität bei bestimmten Delikten; die Straflosigkeit des Notwehrexzesses gemäfs § 53 Abs. 3 StGB; z. T. auch die Straflosigkeit bei Retorsion. Hätte man sich bei Herstellung der StPO die Mühe gegeben, zwischen Normwidrigkeit und Strafbarkeit zu unterscheiden, so wäre die Auslieferung von Strafausschliefsungsgründen an die Schuldfrage und im Geschworenenverfahren an den Richter der 16

Übereinstimmend hierin v. L i s z t , Lehrbuch § 95 IV und B i n d i n g , Lehrbuch I § 32 I I I (bei sonstigen Differenzen).

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Schuldfrage undenkbar gewesen. Tatmomente, die ohne jeden Bezug auf die Deliktsschuld nur dem an sich — durch die anspruchserzeugenden Tatsachen — begründeten Strafanspruch hindernd entgegentreten, durften nimmermehr zur Schuldfrage gestellt werden. Der innere Charakter dieser Tatsachen kann freilich durch ihre falsche gesetzliche Behandlung nicht alteriert werden. Sie bleiben materiell Teile der Straffrage, erheischen von der Schuldfrage gesonderte Abstimmung, aber sie treten unter das im § 262 Abs. 1 aufgestellte Majoritätserfordernis 17. a) Die Straflosigkeit des Inzests im Falle des § 173 Abs. 4 StGB wegen jugendlichen Alters steht um deswillen nicht zur Kognition der Geschworenen, weil über die Altersfrage allein das Gericht zu entscheiden hat 1 8 . Die Einsichtsfrage, ohne deren Bejahung nach § 298 StPO die Verurteilung eines Jugendlichen unmöglich wäre, stellt das Gericht den Geschworenen nur, wenn es die Jugend für erwiesen erachtet. Hat das Gericht, so weit die Jugend nur Strafmilderungsgrund ist, die Altersvorfrage seinerseits zu erledigen, so kann es nicht anders sein, wenn ausnahmsweise die stärkere Wirkung der Straflosigkeit eintritt. Eine Schuldfrage darf aber den Geschworenen nicht vorgelegt werden, wenn die Notwendigkeit der Freisprechung wegen fehlenden Strafanspruchs im voraus, wie immer der Wahrspruch lauten möchte, feststeht. Kommt das Gericht nach den Verhandlungsergebnissen in Abweichung vom Eröffnungsbeschlusse zur Annahme der Jugend, so ist Freisprechung aus § 173 Abs. 4 ohne Befragung der Geschworenen sofort liquide. Freilich wird nun, wie im Falle der Verjährung auch, die Begehung oder Nichtbegehung im Hinblick auf den Jugendlichen nicht festgestellt. Aber es wäre ja, wenn die gleiche Altersannahme schon vorher bestanden hätte, überhaupt 17 ν. Κ r i e s , Lehrbuch S. 443 zählt die Strafausschliefsungsgründe des Textes mit Unrecht zur Schuldfrage. 18 Vgl. dazu unten § 25 sub I I 2. Abzulehnen ist die vom RG 3. Str.S.E. Bd. 19 S. 391 f. vertretene Anschauung, dafs ein Alter über 18 Jahre positives Tatbestandsnierkmal strafbaren Inzestes von Verwandten absteigender Linie sei. Dann wäre die entsprechende Altersangabe gesetzlicher Fragebestandteil und es müfste, wenn die Verhandlung diese Annahme zweifellos widerlegt hätte, doch den Geschworenen — auf die Gefahr der Bejahung hin — die Schuldfrage gestellt werden, da die Begehung des Anklagedelikts nur durch ihren Spruch verneint werden könnte. Dafs die Nichtexistenz des Strafausschliefsungsgrundes in positiver Form — Alter über 18 Jahre — ausgedrückt werden kann, darf nicht irre führen.

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nicht geklagt oder doch nicht eröffnet worden. Welchen Eindruck müfste es auch machen, würde nach Bejahung der Schuld- und vielleicht auch der Einsichtsfrage der Angeklagte aus einem Grunde freigesprochen, der von vornherein feststand! Schuld und Einsicht des j u g e n d l i c h e n Deszendenten usw. sollen nach der ratio des § 174 in einem Strafverfahren überhaupt nicht ventiliert werden. Die Jugend könnte gemäfs § 262 nur mit Zweidrittelmehrheit verneint werden, diese deckt sich aber beim Richterkollegium des Schwurgerichts mit der einfachen Mehrheit. Insofern ist allerdings das Ergebnis absonderlich, als die Prüfung des Strafausschliefsungsgrundes nach § 173 Abs. 4 StGB, die zur Schuldfrage nicht gehört, vom Gesetz (§ 262 Abs. 2 StPO) nur fälschlich dazu gerechnet wird, schliefslich doch auf den Richter der Straffrage übergeht. ß) Wesentlich anders ist die Rechtslage beim Strafausschliefsungsgrunde der Aszendenten-, Ehegatten·, Angehörigenqualität nach §§ 247 Abs. 2, 257 Abs. 2, 370 Nr. 5 StGB. Die Freisprechung aus diesem Grunde entgegen den Annahmen des Eröffnungsbeschlusses steht nur den Geschworenen zu. Eine besondere Frage auf das strafausschliefsende Verhältnis wäre unzulässig. Aber die Aszendenten- usw. Eigenschaft ist ohne Zweifel zugleich ein Individualisierungsmoment, das in der Schuldfrage erwähnt werden kann. Sonach ergeben sich zwei Möglichkeiten. Entweder die Frage schweigt über das persönliche Verhältnis und die Geschworenen werden belehrt, dafs sie bei dessen Annahme Nichtschuldig zu sprechen haben. Oder die Schuldfrage nimmt das Moment auf mit der Konsequenz, dafs glatte Bejahung zur Freisprechung, Bejahung unter Verneinung des Umstandes zur Verurteilung führt. Der Grund der Freisprechung kommt nur bei der letzteren Befragung zur Feststellung. Dafs die Richterbank einen bejahenden Wahrspruch erwirkt, um ihrerseits freisprechen zu können, ist allerdings abnorm, aber Folge der Vermengung von Schuld- und Straffrage im Gesetz. Stände der Strafausschliefsungsgrund, wie es sich gebührte, zur Kognition des Gerichts, so wäre bei feststehender Straflosigkeit jede Befragung der Geschworenen erübrigt. Zweifel (tatsächlicher oder rechtlicher Art) über das Bestehen oder Nichtbestehen des Moments werden nur in seltenen Fällen bleiben. Um so verkehrter ist, die Geschworenen mit dieser Entscheidung zu befassen! γ) Das Privilegium des Berichts nach Art. 22 RVerf., § 12

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RGB ist sachlicher Art und schliefst die Schuld, nicht nur die Strafe aus. Dafs in einem Prefsprozefs vor Geschworenen (in Bayern usw.) diese zu entscheiden haben, ob das Prefserzeugnis als wahrheitsgetreuer Bericht über parlamentarische Verhandlung der Verantwortung entzogen ist, kann nicht beanstandet werden. d) Dafs über die Straflosigkeit des Notwehrexzesses die Geschworenen zu entscheiden haben, ist um so verkehrter, als eine besondere Frage auf Notwehr — aus gutem Grunde — nicht gerichtet werden kann, vielmehr die Annahme des Deliktsausschliefsungsgrundes Notwehr zur Verneinung der Schuldfrage führt, Wie nun auch im Hinblick auf Notwehrexzefs die Befragung sich gestalten mag 19 , das Resultat ist nicht zu vermeiden, dafs es zur Freisprechung kommt, wenn nur ein Geschworener die Tat als durch Notwehr voll entschuldigt ansieht, vier straflose Notwehrüberschreitung annehmen und sieben Notwehr überhaupt verneinen. €) Eigenartige Bedeutung hat die Retorsion. Sie kann als Straflosigkeitsgrund, § 199, und als Strafmilderungsgrund, § 233, wirken, in beiden Fällen nur fakultativ, nach richterlichem Ermessen. Als Straflosigkeitsgrund ist sie für den Retorquenten Strafausschliefsungsgruncl, steht seiner Bestrafung von vornherein entgegen, für den Ersttäter dagegen Strafaufhebungsgrund, beseitigt für ihn nachträglich die schon begründete Strafbarkeit. Indem die Retorsionsfrage als Bestandteil der Schuldfrage behandelt wird, ergibt sich das wunderliche Verhältnis, dafs die Verneinung der Retorsionsvoraussetzungen nur mit ZweidrittelMajorität, die Ablehnung ganzen oder teil weisen Straferlasses infolge Retorsion aber mit einfacher Majorität erfolgt. Im schwurgerichtlichen Verfahren ist Feststellung der Retorsionsvoraussetzungen nur durch Geschworenenspruch möglich, die Ermessensentscheidung über Straf auf hebung oder Strafmilderung aber Gerichtssache. Eine prozessuale Schwierigkeit entsteht hier, so weit die Retorsion als (fakultativer) Strafausschliefsungsgrund im engern Sinne in Betracht kommt, da einerseits nach dem Wortlaute des § 295 StPO besondere Fragen' auf Strafausschliefsungsgründe nicht gerichtet werden können, andererseits die Bejahung der Haupt-, der Schuldfrage zweifellos nicht die Verneinung der Retorsionsvoraussetzungen in sich schliefst. Prozessuale Unzuträglichkeiten können eben nicht ausbleiben, wenn dem Richter 19

Das Nähere unten § 24 sub I.

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der Schuldfrage Teile der Straffrage als angeblich in jener begriffen mit überwiesen werden. c) Die anspruchsvernichtenden Tatsachen, d. i. die Strafaufhebungsgründe gehören nur insofern hierher, als sie nicht auch der Strafverfolgung entgegenstehen und sonach im bereits anhängigen Prozefs als Einstellungsgründe wirken. Tod des Schuldigen und Abolition tilgen den Strafanspruch, sind aber zugleich absolute Hindernisse für Einleitung oder Fortführung des Strafverfahrens, lassen es zu Schuldentscheid und Sachurteil nicht kommen. Die Begnadigung bezieht sich auf den urteilsmäfsig bereits anerkannten Strafanspruch. Das zu unrecht freisprechende rechtskräftige Urteil beseitigt indirekt den Strafanspruch, da nach dem Prinzip „ne bis in idem" jedes weitere Strafverfahren über dieselbe Tat ausgeschlossen ist. Mit der Klagbefugnis und der Urteilsvollmacht ist die Möglichkeit der Anspruchsrealisierung weggefallen. Die Verjährung der Strafverfolgung endlich ist in Abs. 3 des § 262 richtig zur Straffrage gestellt worden 20 ; daher genügt zur Verneinung der Verjährung einfache Mehrheit und es hat im schwurgerichtlichen Verfahren das Gericht darüber zu befinden. Es interessieren vielmehr nur solche Strafaufhebungsgründe, die in einzelnen Strafgesetzen für einzelne Delikte anerkannt sind : Widerruf beim fahrlässigen Falscheide (§ 163 Abs. 2 StGB), freiwillige Aufgabe des Zweikampfs (§ 204 StGB), das ernstliche Bemühen des Kartellträgers, der die Herausforderung überbracht und sich dadurch strafbar gemacht hat, den Zweikampf zu verhindern (§ 209 StGB), Löschen des gestifteten Brandes usw. (§ 310 StGB), rechtzeitige Anzeige vom Komplott zu Verrat oder Spionage seitens eines Beteiligten, § 5 Abs. 3 Ges. geg. den Verrat mil. Geheimnisse v. 3./7. 1893. Von einer Wiederaufhebung der Schuld infolge dieser Momente ist nicht die Rede 2 1 : wie könnte eine Tatsache durch eine spätere Tatsache ungeschehen gemacht werden? Dafs bei zweifelloser Schuld die bereits begründete Strafbarkeit nur mit Zweiclrittel - Majorität gegen vermeintliche Strafaufhebung behauptet werden kann, ist abnorm. Die Aufhebung des inländischen Strafanspruchs durch Strafvollzug und Straferlafs im Auslande, durch Verjährung der Straf20

Ebenso frühere Gesetze, z.B. Thür. 1850 Art. 300; Oldenb. 1857 Art. 331; Hann. 1859 § 194 Abs. 10; Baden 1864 § 279 Abs. 3; Preufs. 1867 § 325; Württ. 1868 Art. 370; Sachs. 1868 § 58; Brem. 1870 § 491. Ferner Österr. § 317. 21 Unhaltbar J o h n ; Komment. I S. 484. B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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Verfolgung oder Strafvollstreckung nach ausländischem Rechte, §§ 4 Nr. 3, 5 StGB, berührt auch im Sinne des § 262 StPO nur die Straffrage und unterliegt daher der Prüfung des Gerichts. Die Zulassung von besonderen Fragen über die speziellen Strafaufhebungsgründe beruht auf einem Antrag v. Schwarzes in der Reichsjustizkommission (Prot. 1 Lesung S. 462). Nachdem einmal das Gesetz diese Momente fälschlich zur Schuldfrage gestellt hat, ist es eine entschiedene Verbesserung, dafs durch separate Befragung separate Abstimmung darüber erzwungen werden kann. Fälschlich wird in die Kategorie der speziellen Strafaufhebungsgründe vielfach auch der Rücktritt vom Versuch gestellt. Allein durch ihn wird, mag es sich um beendigten oder nicht beendigten Versuch, also um Erfolgsabwendung oder blofse Tateinstellung handeln, die Rechtswidrigkeit beseitigt. Das Tun ist, so lange Rücktritt vom Versuch noch möglich, noch nicht definitiv schuldhaft 2 2 . Das Löschen des Brandes nach § 310 StGB dagegen hat mit Rücktritt vom Versuch nichts zu thun. Brandstiftungsversuch wird durch Rücktritt entschuldigt, wie aus § 46 StGB folgt; im Falle des § 310 aber war die Brandstiftung bereits vollendet und es wird nun ihre Strafbarkeit durch tätige Reue beseitigt 23 . Die Frage des Rücktritts ist integrierender Teil der Schuldfrage und daher gesonderte Abstimmung darüber unmöglich 24 . Dagegen ist über tätige Reue erst nach Bejahung der Schuldfrage zu votieren. Auch die Jury hat, wenn besondere Frage wegen des Strafaufhebungsgrundes nicht gestellt wird, in getrennten Abstimmungen erst über die Schuld, dann über den Aufhebungsgrund zu entscheiden25. Also Bejahung, nicht Verneinung der Haupt22

O e t k e r , Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 17 S. 68; B i n d i n g , Ger.-Saal Bd. 68 S. 23 f. I n gleichem Sinne, mit treffender Begründung, österr. Kass.-Hof v. 22. Febr. 1902, Entsch. N. F. Bd. 3 S. 126 f. 23 A. A. L ö w e - H e l l w e g zu § 295 StPO Bern. 9a, der das Löschen des Brandes mit Rücktritt vom Versuche gleich behandelt. Vgl. dagegen auch RG 3. Str.-S.-E. Bd. 18 S. 359. 24 Übereinstimmend L ö w e - H e l l w e g § 196 GVG Bern. 3d α (hier weitere Literatur). A. A. v. K r i e s S. 447; RG 2. Str.-S.-E. Bd. 16 S. 347 f., 4. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 52 S. 251. 26 Gerade umgekehrt H e i n e m a n n , Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 15 S. 77: im Falle besonderer Befragung seien die für das Nichtschuldig eintretenden Geschworenen verpflichtet, die Nebenfrage wegen des Strafaufhebungs-

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frage, wenn zwei Geschworene Unzurechnungsfähigkeit, drei tätige Reue annehmen, die übrigen die Schuld bejahen und den Aufhebungsgrund verneinen. Eine Gewähr dafür, dafs wirklich so verfahren wird, fehlt freilich, daher ist im Zweifel besondere Frage zweckmäfsig. d) Tätige Reue hat beim Meineide gemäfs § 158 die Wirkung blofser Strafermäfsigung. Nicht präzis wäre, hier privilegiertes Delikt anzunehmen, wie es unter den Voraussetzungen des § 157 StGB — gelindere Bestrafung des falschen Zeugnisses usw., wenn die Angabe der Wahrheit dem Zeugen usw. Verfolgung wegen Verbrechens oder Vergehens zuziehen konnte usw. — zweifellos vorliegt 2 6 . Eine Tatsache, die der Deliktsbegehung erst nachfolgt, ist nicht Modalität des Deliktstatbestandes und daher nicht Privilegierungsgrund. Die tätige Reue hat auch in dieser Funktion keine Beziehung auf die Schuld, wirkt nur Teilausschliefsung der Strafe. Da sie jedoch im Falle der V ο 11 Wirksamkeit als „Strafausschliefsungsgrund" zur Schuldfrage gezogen ist, so bleibt nur grandes zugunsten des Angeklagten zu bejahen. Wenn dem so wäre, mi'ifste die Zulassung einer besonderen Frage in § 295 StPO, weil sie die dringende Gefahr falscher Abstimmung ergäbe, als ein schwerer technischer Fehler bezeichnet werden. H e i n e m a n n führt die Berücksichtigung der tätigen Reue, wie des freiwilligen Rücktritts auf das Prinzip zurück, die Strafe nicht sowohl durch die Einzeltat, als die rechtsfeindliche Gesinnung des Täters zu bedingen. Allein auch vom Boden dieser Auffassung, die jedenfalls dem StGB gegenüber eine Übertreibung bedeutet, bleibt ein erheblicher Unterschied, ,'ob der straftilgende Gesinnungswandel sich vor oder nach Eintritt des verbrecherischen Erfolges betätigt hat. Eine bereits verwirkte Schuld kann verziehen, aber nicht wegfingiert werden. Die Verzeihung setzt voraus einerseits die Schuldannahme, andererseits die Feststellung bestimmter straftilgender Tatsachen. Die letztere Frage taucht erst auf nach Schuldbejahung: Es kann nicht die Schuld verneint werden, weil bewiesene Schuld auf Verzeihung Anspruch hätte. Richter, die mit Schuldverneinung in der Minorität geblieben sind, haben gewissenhaft zu prüfen, ob sie vom Standpunkte des Mehrheitsentscheides aus die Überzeugung vom Dasein des Straftilgungsgrundes zu gewinnen vermögen. Hat ζ. B. der Richter A nicht den angeklagten X , sondern Y für den Täter einer Brandstiftung gehalten, so rechnet er, wenn er annimmt, dafs der Brand unter den Voraussetzungen des § 310 StGB wieder gelöscht worden sei, diesen Umstand nunmehr dem X zugute. Aber er darf nicht wider besseres Wissen das Löschen bejahen, um so doch noch die Freisprechung des Angeklagten zu erwirken. Richtig ν. Κ r i e s S. 447, 453. 26 Ein Unterschied zwischen Strafverminderungsgründen (§ 157 Nr. 1 u. 2 usw.) und Privilegierungsgründen, wie ihn RG Bd. 30 S. 209 f. (2. Str.-S.) aufstellt, ist unerfindlich. 2*

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übrig, sie in ihrer abgeschwächten Bedeutung einem Privilegierungsgrunde gleich ebenfalls zur Schuldfrage zu stellen. Also Verneinung wiederum nur mit Zweidrittel - Majorität. Getrennte Abstimmung darüber nach Erledigung der eigentlichen Schuldfrage ist selbstverständlich. Im schwurgerichtlichen Verfahren besondere Frage nach § 295. Wird solche nicht gestellt, so kann natürlich nicht wegen des Strafermäfsigungsgrundes die Hauptschuldfrage ganz oder teilweise verneint werden. Aufnahme des Teilstrafaufhebungsgrundes in die Hauptfrage ist, da er einmal einem Privilegierungsgrunde gleich behandelt wird, nicht ausgeschlossen. Die Retorsion als Strafermäfsigungsgrund ist für den Ersttäter Teilstrafaufhebungsgrund, für den Retorquenten Teilstrafausschliefsungsgrund. Ob völliger Straffortfall oder nur Strafermäfsigung eintritt, ist ganz Sache des richterlichen Ermessens. Die Voraussetzungen der Retorsion aber können, weil diese nun einmal zur Schuldfrage gezogen ist, im schwurgerichtlichen Verfahren nur durch Geschworenenspruch festgestellt werden. Die Retorsionsfrage richtet sich, so weit blofse Strafreduktion möglich ist (§ 233 StGB), betreffs des Ersttäters alternativ auf einen Strafaufhebungs- oder Strafmilderungsgrund. Im Hinblick auf den Retorquenten ist die Retorsion in gleichem Falle alternativ Strafausschliefsungs- oder Strafmilderungsgrund und insofern wird wieder die prozessuale Schwierigkeit fühlbar, dafs die StPO besondere Fragen auf Strafausschliefsungsgründe nicht kennt. e) Dafs die mildernden Umstände des StGB., deren kriminalpolitischer Unwert hier auf sich beruhen mufs, richtig verstanden blofse Strafzumessungsgründe sind, ist sicher. Sehr zu beklagen ist ihre Überweisung an die Geschworenen, § 297 21 . Die Reichsjustizkommission hat im Anschlufs an das französische Recht 2 8 diese Abänderung des Entwurfs durchgesetzt 29. Der Aberglaube an eine besondere Geschworenenweisheit und wohl auch das Streben nach möglichst milden Bestrafungen haben verschuldet, 27

Vgl. bereits v. B a r , Recht u. Beweis S. 238 f.-, Z a c h a r i a e , Handb. I I S. 533 f. 28 Ges. v. 28/4. 1832 Art. 5. I n Frankreich wird übrigens den Geschworenen nicht eine eigene Frage auf mildernde Umstände vorgelegt, der Präsident aber hat nach der Fragenstellung auf das Recht der Geschworenen, durch Mehrheitsbeschluis dem Angeklagten mildernde Umstände zuzubilligen, ausdrücklich hinzuweisen, art. 341 code d'instr.; H é l i e , Pratique criminelle I Nr. 860. 29 Prot. 1. Les. S. 455 f., 2. Les. S. 998; Sten.-Ber. S. 517 f. (dagegen treffend v. M i t t n a c h t ) .

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dafs die Strafzumessung, die gerecht nur sein kann, wenn sie einheitlich ist, durch zwei koordinierte Richterkollegien je zu einem Teile geschieht, bei der völligen Vagheit der „mildernden Umstände" zudem ohne jedes erkennbare Teilungsprinzip. Noch weit bedauerlicher ist eine andere, gewifs nicht gewollte, aber unzweifelhaft vorhandene Folge der Überweisung: sie wird zur Konzession an die Schwäche, um nicht zu sagen Feigheit von Urteilern, die bei Zweifeln an der Schuld unschlüssig zwischen Ja und Nein hin und herschwanken und nun im Schuldig unter mildernden Umständen bequem und gewissenlos den Ausweg finden. Der Verteidiger gerät dabei in die übelste Lage: läfst er bei zweifelhaftem Beweisergebnis die besondere Frage stellen, so riskiert er Verurteilung unter Zubilligung mildernder Umstände statt Freisprechung, während er durch NichtVorlegung der Frage vielleicht seinen Klienten, der sonst mit Gefängnis davon gekommen wäre, dem Zuchthaus überliefert. Sollen die Grenzen zwischen rechtlich begründeter und gnadenweiser Strafmilderung gewahrt bleiben, so dürfen die im Gesetz unbestimmt gelassenen, scharfer Erfassung durch die Geschworenen sich entziehenden mildernden Umstände nicht zu deren Kognition verstellt werden. Die österr. StPO läfst über das Vorhandensein aufserordentlicher Milclerungsumstände, die zu einer Strafänderung berechtigen, mit Recht das Gericht entscheiden, vgl. §§ 54, 266 StGB, 338 StPO 30 . I I I . Mit den vermeidlichen Fehlern des Gesetzes verbinden «ich innere Gebrechen der Geschworeneninstitution in ihrer hergebrachten Gestalt. Wie immer die rechtspolitische Frage der Anteilnahme von Laien an der Strafrechtspflege beantwortet werden mag, Gegner und Freunde des Laienelements müssen übereinstimmend in der a u s s c h l i e f s l i c h e n Überweisung der Schuldfrage an Geschworene unter Ausschlufs der Berufsrichter, also ganz regelmäfsig an Laien, und in der Verteilung der Schuld- und Straffrage unter zwei gleichgeordnete Richterkollegien ergiebige Fehlerquellen finden. 1. Die wichtigste und schwierigste Rechtsfrage des Strafprozesses, die Schuldfrage, wird lediglich von den Geschworenen, also ganz überwiegend von Laien, beantwortet 81 . 30

Dazu U l i m a n n , Österr. Strafproz.-Recht S. 659, 679. Der Hauptangriffspunkt der Kommission für die Reform prozesses gegen das Schwurgericht, Prot. I S. 392 f. 31

des Straf-

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Die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden ist nicht bindend für' die Geschworenen und kann auch nicht alle überhaupt denkbaren Rechtsirrtümer voraussehen 32. Die Geschworenen scheitern ζ. B. an der oft unendlich schwierigen Frage der Zurechnungsfähigkeit , irren über den Begriff des Gewahrsams, über die vielfach präjudizierende Eigentumsfrage, fassen die Deliktsausschliefsungsgründe, Notwehr, Notstand zu eng oder zu weit. Ungerechtfertigte Verurteilungen und Freisprechungen sind die notwendige Folge. Dabei braucht noch nicht unterstellt zu werden, was gelegentlich doch auch vorkommt, dafs die Geschworenen über ein, sei's an sich, sei's für den Einzelfall, vermeintlich unbilliges Gesetz absichtlich hinweggehen. 2. Die Geschworenen geben ihre Antwort auf die Schuldfrage unmotiviert: aus einleuchtendem Grunde, weil sie eben als Laien zu gehöriger Begründung nicht imstande sind. Es hat aber der Angeklagte ein Recht darauf, die Gründe zu erfahren, aus denen er verurteilt worden ist. und der Kläger ein Recht auf die Motive der Schuldverneinung. Das wiederholt aufgestellte Verlangen der Verdiktsbegründung 3a ist bei der gegenwärtigen Zusammensetzung der Jury, so lange nicht Sorge getragen wird, dafs stets ein tüchtiger Rechtskenner der Geschworenenbank angehört 84 undurchführbar. Die unmotivierten Schwurgerichtsurteile sind auch ungeeignet, zur Weiterentwicklung des Rechts beizutragen. Theorie und Praxis können aus ihnen Anregungen nicht schöpfen. 3. Die Schuldfrage begreift unausgesprochen alle Schuldausschliefsungsgründe. 32 Das einzig wirksame Mittel der Abhilfe ist Anteilnahme eines Richters,, eines Richter-Geschworenen, am Spruch, O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65 S. 331 f. r Bd. 68 S. 96 f. 33 So B i e n e r , Engl. Geschw.-Gericht I I S. 189 f.; W a l t h e r , Arch, des Krim.-Rechts N. F. 1857 S. 239 f., 254 und neuerdings W o l f g. M i t t e r m a i e r r Zur Frage der Schwurgerichte S. 21 (Sond.-Abdruck aus Monatsschrift f. Krim.-Psychol. u. Strafrechtsreform 1905) und K a h l in M i t t e r m a i e r - L i e p m a n n , Schwurgerichte und Schöffengerichte I S. 26. 34 H e i n z e , Geschworenengericht S. 166 f. hat vorgeschlagen, den Geschworenen einen richterlichen Berater beizugeben, der die Gründe zu fertigen habe. Allein die mafsgebende Abfassung der Gründe eines Kollegialentscheids kann nicht aufserhalb des abstimmenden Kollegiums erfolgen. Nur durch Zuziehung eines Richter-Geschworenen, der an der Beratung und Abstimmung beteiligt ist, läfst sich Begründung des Verdikts erreichen. Vgl. O e t k e r a. a. 0.

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Würden diese in besondere Fragen verwiesen, so müfste nach Motiven, statt nach dem Resultat abgestimmt werden. Gesetzt vier Geschworene verneinen den Kausalzusammenhang zwischen Verletzung und Tod, vier andere die zum Gegenstand einer Nebenfrage gemachte Zurechnungsfähigkeit, während die vier letzten Notwehr annehmen, wonach ebenfalls besonders gefragt ist, so erfolgt Bejahung der Hauptfrage, Verneinung der beiden weiteren Fragen je mit Zweidrittelmehrheit und somit Schuldigsprechung, obwohl kein einziger Geschworener den Angeklagten des vollendeten Mordes, Totschlags usw. wirklich für schuldig erachtet. Andererseits ergibt der Mangel solcher besonderen Fragen die Gefahr unvollständiger Schuldprüfung. Ein anderes Mittel, die Geschworenen zur gehörigen Erwägung etwaiger Schuldausschliefsungsgründe zu nötigen, als spezielle Befragung danach, gibt es nicht. Und dieser Weg ist eben nicht gangbar. Geschworene haben nicht, wie Berufsrichter, die Fähigkeit, ohne Anleitung durch besondere Fragen die sämtlichen Voraussetzungen und Hinderungsgründe der Schuldannahme sich zu vergegenwärtigen und auf den konkreten Tatbestand richtig zur Anwendung zu bringen. So ist denkbar Schuldbejahung, während die Prüfung eines Schuldausschliefsungsgrundes durch die Geschworenen zur Schuldverneinung geführt hätte. Wenn man gemeint hat, die Totalabstimmung eigne sich nicht für Geschworene, so ist vielmehr umgekehrt zu sagen: Die Geschworenen ohne Anteilnahme eines juristischen Fachmannes am Spruch passen nicht zu dem Abstimmungsmodus, der aus Gründen der Logik und der Gerechtigkeit geboten ist. Belehrung durch den Vorsitzenden kann auch hier nur unvollkommene Abhilfe gewähren. Denn die Gedanken der Geschworenen vermag er nicht zu erraten und mufs sich auch hüten, ihnen Schuldausschliefsungsgründe zu suggerieren. Der ATortrag wird sich immer auf die ihm erheblich erscheinenden Verhandlungsmomente beschränken und ist auch insofern trotz aller Klarheit und Eindringlichkeit nicht geeignet, schriftlich formulierte Fragen zu ersetzen. Aufnahme von Schuldausschliefsungsgründen in die Hauptfrage ist clem Gesetz gegenüber sicher unzulässig. Aber könnte nicht durch entsprechende gesetzliche Gestattung geholfen werden 35 ? 35

So bereits Ζ a c h a r i a e I I S. 492 und ähnlich H ü c k i η g in Goltd. Arch. Bd. 34 S. 225 f.

24 § 1· I ) i e gesetzl. Kompetenzscheidung zw. Richter- u. Geschworenenbank.

Sukzessive Abstimmung fände ja nicht statt, und es wäre doch dem Schuldausschliefsungsgrund die Beachtung gesichert. Allein auch gegen diesen Modus erheben sich überwiegende Bedenken. Es gäbe dann als gleichwertige Voraussetzungen der Verurteilung bejahende Wahrsprüche mit und ohne Negativfeststellung, Verdikte, die bald diesen, bald jenen, bald keinen Schuldausschliefsungsgrund ausdrücklich verneinten. Und wäre etwa für die Aufnahme solcher Momente in die Frage nur das wirkliche Bedürfnis der Rechtsprechung im Einzelfalle mafsgebend? Gewifs nicht, den Parteien und den Geschworenen müfste frei stehen, die Einfügung aller möglichen Schuldausschliefsungsgründe zu erzwingen, soweit nicht Rechtsgründe gegen den Antrag beständen86. Wahre Monstra von Fragen, die bis zur völligen Unverständlichkeit mit Stoff überladen wären, müfsten hingenommen werden. Mit einer solchen Gesetzesänderung würde eine schiefe Ebene betreten, auf der es kein Halten mehr gäbe. 4. In der Schuldfrage werden den Geschworenen ungetrennt Beweis- und Subsumtionsfrage vorgelegt. Bestehen bei den Geschworenen Zweifel über den Sinn des Gesetzes, so wären diese durch besondere präjudizierende Abstimmungen vorab zu erledigen, wobei einfache Majorität zu entscheiden hätte 37 . Dann erst könnte die Antwort auf die Schuldfrage festgestellt werden. Wo aber ist die Gewähr, dafs die Geschworenen wirklich so verfahren? Vielmehr ist mit grofser Sicherheit das Gegenteil, also ζ. B. Verneinung der Schuldfrage dann zu erwarten, wenn drei Geschworene den Beweis für nicht voll geführt erachten, drei andere nach ihrer Auffassung des Strafgesetzes dessen Merkmale ganz oder teilweise für unanwendbar halten. Die verneinenden Vota zu der konkreten Beweis- und der abstrakten Auslegungsfrage werden eben in einheitlicher Abstimmung addiert. Es ist insofern der bestehenden Geschworeneninstitution die Tendenz ungerechtfertigter Freisprechung gleichsam immanent. 5. Zur Schuldfrage im Gegensatz zur Straffrage gehört nur die Frage nach dem Ob der Schuld, d. h. nach der Übertretung 36 So in der Tat die Praxis des österr. Kass.-Hofs im Hinblick auf § 319 StPO, wo Nebenfragen auf Schuldausschliefsungsgründe zugelassen sind. U l i m a n n , Österr. Strafprozefsrecht S. 642. 37 Vgl. B i n d i n g § 89 V I sub 4b/9; L ö w e - H e l l w e g zu § 196 GVG Bern. 3 b ; v. K r i e s S. 450 f. A . A . B e n n e c k e - B e l i n g S. 389 ; H e i η e m a η η , Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 15 S. 30, 78 f.

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oder NichtÜbertretung eines bestimmten Strafgesetzes, nicht nach dem Quantum der Verschuldung. Nur in diesem Sinne ist die Scheidung der Schuld- und Straffrage , die sukzessive Beantwortung beider innerhalb desselben Kollegiums möglich. Und in gleicher Weise ist die Trennung der Kompetenzen von Richterbank und Jury im Geschworenenverfahren verstanden. Der entschiedenste neuere Gegner des Schwurgerichts, B i n d i n g , hat ihm zum Vorwurfe gemacht, dafs die Kompetenzscheidung zwischen den beiden koordinierten Gerichtshöfen nach Schuld- und Straffrage überhaupt undurchführbar sei 3 8 . Damit wäre in der Tat der Jury die Basis entzogen. B i n d i n g argumentiert: dem Grundgedanken der Scheidung zuwider sei die Richterbank bei allen nicht absolut bestimmten Strafgesetzen notwendig an der Beantwortung der Schuldfrage beteiligt. Denn um aus der grofsen Zahl der für eine und dieselbe Verbrechensart zulässigen Strafen die im einzelnen Fall gerechte zu finden, müsse das Gericht sich die Frage vorlegen, welche Straferhöhungs- oder Strafminderungsgründe dem Angeklagten bewiesen seien 39 . Materiell hat Β i n clin g Recht: Würdigung von Schuld und Schuldmafs durch zwei verschiedene Gerichte ist und bleibt unnatürliche Zerreifsung des innerlich Zusammengehörigen 40. Formell aber, als 38

Drei Grundfragen S. 64 f. ; Grundrifs § 49. Vgl. auch H e i n z e , Geschworenengericht S. 192. Zweifellos verfehlt J o h n s (Komm. I S. 487) Annahme, dafs der Richter im schwurgerichtlichen Verfahren über blofse Strafzumessungsgründe Beweis nicht zu erheben brauche und „ex aequo et bono" die Strafe bestimmen könne. 40 Das betonen auch die Protokolle der Reformkommission I S. 395. Es ist zu fordern gemeinsame Entscheidung der Straffrage durch Richter und Geschworene auf Grund des Verdikts, O e t k e r , Gerichtssaal Bd. 68 S. 93f. Ebenso K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte u. Schöffengerichte I S. 22, 23. H e i n z e , Geschworenengericht S. 192 f. will nur einen Ausschufs der Geschworenen (und zwar einen Geschworenen weniger als Richter beteiligt sind) zuziehen ; eine halbe, die Harmonie von Verdikt und Urteil nicht garantierende, den Geschworenen wirksame Anteilnahme nicht gewährende, technisch nicht durchführbare Mafsregel. In den „Strafproz.-Erörterungen" S. 100 f. hat H e i n z e einen wesentlich anderen Vorschlag gemacht: alle Geschworene sollen an der Strafabmessung teilnehmen, aber nur mit beratender Stimme. Allein der innere Zwiespalt des bestehenden Rechts wird nur dadurch beseitigt, dafs der Richter der Schuld das Schuldquantum mafsgebend mit abschätzt, nicht durch einen blofsen Strafvorschlag, dem der Richter des Schuldmafses ganz frei gegenübersteht und der auf erhebliche Wertung schwerlich zu rechnen hätte. 39

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Bemängelung der M ö g l i c h k e i t entsprechender Kompetenztrennung, geht der Einwand zu weit. Die Jury ihrerseits ist an der Straffrage indirekt insofern mitbeteiligt 4 1 , als ihr Verdikt für das Gericht präjudiziell ist und somit die Strafe jedes Gesetzes ausschliefst, unter das die festgestellte Tat nicht subsumiert werden kann. Und leider bewendet es nicht immer bei dieser mittelbaren, trotz der Kompetenztrennung unvermeidlichen, ja mit ihr gegebenen Anteilnahme. Vielmehr wird zuweilen die Rücksicht auf die drohende Strafe für den Inhalt des Verdikts mitbestimmend; dem Geschworenen fehlt eben die Schulung in strenger Gesetzlichkeit, die den berufsmäfsigen Richter schützt auch gegen unwillkürliche Einflüsse nicht berechtigter Erwägungen. Eine weitere Abhängigkeit des Strafentscheids vom Wahrspruch entsteht durch Aufnahme von Strafzumessungsgründen in die Schuldfrage, wie sie zur Individualisierung der Tat unentbehrlich sein kann. Sind doch Individualisierungsmomente öfters zugleich Strafzumessungsgründe. Dieser Einflufs tritt am stärksten hervor, soweit Geldstrafen als Vielfaches oder Quote eines bestimmten Wertes bemessen werden (§ 6 Ges. üb. Inh.-Pap. mit Präm. v. 8/6. 1871, § 55 Bankges. v. 14/3. 1875, § 145 a StGB usw.) und der Wert in der Frage angegeben ist 4 2 . Das Mafs der Individualisierung steht wesentlich im Ermessen des Gerichts. Um die eigene Zuständigkeit rein zu erhalten und nicht die Schuldbeurteilung durch die Geschworenen nach der tatsächlichen Seite hin unnütz zu vinkulieren, ist sparsame Heranziehung konkreten Materials in der Frage rätlich. Abweichende Schuldauffassung bringt den Richter in schlimme Lage. Auch die peinlichste Einhaltung der gesetzlichen Kompetenzgrenze gibt ihm nicht die Fähigkeit zu vollgerechter Strafbemessung vom Standpunkte des für unzutreffend erachteten Verdikts aus 43 . Die Freisprechung freilich des für schuldig Gehaltenen auf ein Nichtschuldig der Jury hin ergibt sich von selbst; die Verantwortung trifft allein die Geschworenen. Psychologisch nahebei unmöglich aber ist's, für eine Schuld, an die man nicht glaubt, die anzunehmen 41

Vgl. dazu B i n d i n g , Drei Grundfragen S. 67 f. Er findet in dieser Einwirkung des Verdikts auf die Strafbestimmung einen weiteren Gegengrund gegen die Kompetenztrennnng. 42 Eine Nötigung dazu besteht keineswegs, vgl. RG 4. Str.-S.-E. Bd. 12 S. 150 V 43 Hierüber trefflich B i n d i n g , Drei Grundfragen S. 74 f.

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der Wahrspruch nötigt, das Schuldmafs richtig zu bestimmen. Die Voraussetzungen zur Verwerfung des Verdikts nach § 317 StPO brauchen dabei keineswegs vorzuliegen und sie würden jedenfalls im Wiederholungsfalle versagen (§ 317 Abs. 4). Häufiger wird sein, dafs die Geschworenen nach der Überzeugung des Gerichts die Schuldart falsch und zwar zu milde beurteilt, z. B. statt Mordes nur Totschlag angenommen haben. Die .Scheidung der Kompetenzen wird hier für den gewissenhaften Richter zu einer Pein. Das Gesetz zwingt ihn zur Fiktion bestimmter Schuld und macht ihn zugleich verantwortlich für gerechte Bestrafung, die doch nur möglich ist auf Grund selbstgewonnener Schulderkenntnis. Das Mafs eines fingierten Affektes usw. festzustellen, ist eine unerfüllbare Zumutung. Die Strafe wird in solchem Falle dem gesetzlichen Maximum nahekommen, aber doch nur, weil das Gericht Affekt nicht für erwiesen erachtet. Es wird auf die Mordstrafe nicht erkannt wegen des Verdikts, auf die angemessene Totschlagsstrafe nicht wegen der abweichenden Ansicht des Gerichts. Es wird also jedenfalls ungerecht geurteilt. IV. Die Geschworenen haben U r t e i l s g e w a l t — im Bereiche der Schuldfrage und ihrer gesetzlichen Zutaten —, sie haben nicht G n a d e n g e w a l t unci nicht g e s e t z g e b e r i s c h e Befugnis. „Richten nach Gnade," wie das mittelalterliche Recht es kannte, ist mit der späteren Rechtsentwickelung, die zwischen beiden Funktionen scharf geschieden hat, staatsrechtlich und prozessual unmöglich geworden. Ein Urteil, das Begnadigung, vollen Straferlafs oder gnadenweise Strafmilderung a u s s p r e c h e n würde, wäre, auch wenn sich im letzteren Fall die Strafe noch innerhalb des gesetzlichen Rahmens hielte, unheilbar nichtig: Der Richter hätte insofern nicht die ihm erteilte Vollmacht zur Rechtsprechung gebraucht, sondern sich landesherrliche Gewalt angemafst. Was offen ausgesprochen den Rechtsbestand des Urteils aufhebt, darf ebensowenig stillschweigend geübt werden! Die Nichtigkeit des Urteils wird nur versteckt, wenn der Richter begnadigt unter Anführung von Scheingründen, tatsächlicher oder rechtlicher Art, für Freisprechung oder Strafmilderung. Denkbar, dafs er den Schein auch sich selbst vorgetäuscht hat, der tatsächlich gewährten Begnadigung sich nicht bewufst geworden ist. Das Verdikt der Geschworenen ist von der Begründung entbundenes Schuldurteil. Damit ist formell die Möglichkeit gegeben, sub specie jurisdictionis, das Gnadenrecht der Krone zu

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usurpieren. Aber doch nimmermehr das „Recht" zu solchem Eingriff! Die Probe ist leicht zu machen. Würden die Geschworenen einen Spruch auf Nichtschuldig dahin erläutern, dafs der Angeklagte zwar nach dem Gesetze schuldig, der Begnadigung aber würdig sei, so wäre zweifellos das Verdikt unannehmbar, das Berichtigungsverfahren einzuleiten, weil die Geschworenen den Angeklagten zugleich für schuldig — in dem erläuternden Verdiktszusatze — und für nichtschuldig — im Verdikte selbst — erklärt hätten 44 . Nicht anders bei Bejahung eines erfragten Strafmilderungsgrundes unter der Erklärung, dafs er zwar nicht vorliege, es aber billig sei, dem Angeklagten die Strafmilderung dennoch zu gewähren. Ist aber etwa das Verdikt deshalb rechtmäfsig, weil die Geschworenen die rechtswidrige Erwägung, die zu ihm führte, für sich behalten haben? Die Geschworenen haben im Bereiche ihrer Zuständigkeit nur das gleiche Recht, wie es ein rechtsgelehrtes Gericht haben würde, nicht ein weiteres Recht, ein Vorrecht gegenüber diesem. Besonders auch an d i e s e r Konsequenz, der Ermöglichung versteckter Begnadigung unter Mifsbrauch der Urteilsform, zeigt sich das Bedenkliche der nichtbegründeten Verdikte, die im Verein mit geheimen Wahlen und anonymen Zeitungsartikeln unser „öffentliches Leben" in ein eigenes Licht setzen. Sicher, dafs die Geschworenen der Versuchung, die so im Gesetze selbst an sie herantritt, nicht immer widerstehen! Die früheren Prozefsordnungen haben in dieser Richtung einige Kautelen getroffen, um wenigstens der rechtsirrigen Annahme einer Gnadenbefugnis bei den Geschworenen entgegenzuwirken 45. Nach unserem Gesetze kommt nur die Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden in Be44

Vgl. dazu unten § 54 (sich widersprechendes Verdikt). Eine Reihe von Gesetzen läfst vor dem Beginne der Geschworenenberatung den Obmann eine gesetzliche Instruktion vorlesen mit der Anweisung, beim Wahrspruche von jeder Rücksichtnahme auf die drohende Strafe zu abstrahieren. So code art. 342; Hess.-Darmst. 1848 Art. 174 u. 1865 Art. 374; Württemb. 1849 Art. 163 u. 1868 A. 375; Preufs. 1852 Art. 95; Frankf. 1856 Art. 245; Oldenb. 1859 Art. 334 § 2. Ebenso Österr. § 326. Preufs. 1867 § 331 Abs. 2 hält für genügend, dafs eine solche Belehrung im Beratungszimmer ausliegt. Hannov. 1850 § 189 u. 1859 § 195 Abs. 2; Kurhess. 1863 § 161 verpflichten den Vorsitzenden zu entsprechender Eröffnung nach dem Schlufsvortrag bei Übergabe des Fragebogens an die Geschworenen. In der Rechtsbelehrung mufs dieser Hinweis gegeben werden nach Bad. 1851 § 96 u. 1864 § 276 Abs. 3. 45

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i e gesetzl. Kompetenzscheidung zw. Richter- u. Geschworenenbank.

tracht; nach seinem Ermessen, nicht nach zwingender Vorschrift, legt dieser die Pflicht der Geschworenen dar, nach dem Beweisergebnis und dem Gesetz, nicht nach Gnade zu entscheiden; ausreichend ist dieser Modus gewifs nicht, denn es kann das Bedürfnis einschlägiger Belehrung verkannt werden und die Rechtsbelehrung hat nicht formelle Verbindungskraft. Beifall verdient die österreichische Vorschrift, § 313, wonach in den Geschworeneneid aufzunehmen ist die Pflicht zu treuer Beobachtung des Gesetzes. Die Befugnis zur Rechtsergänzung im Einzelfalle, wie clie Schöffen des Mittelalters sie besafsen, haben moderne Richter, rechtsgelehrte wie Laienrichter, nicht, am allerwenigsten im Strafrecht gegenüber dem Satz „nulla poena sine lege." Einen neuen Rechtssatz freilich können die Geschworenen nicht aufstellen, da sie nur zu antworten haben auf Fragen, die aus dem Gesetze substantiiert sind. Aber die Möglichkeit falscher analoger Gesetzesanwendung, d. h. entweder der analogen Ausdehnung eines Strafgesetzes im engern Sinne oder der unrichtigen analogen Erstreckung eines Schuldausschliefsungsgrundes, Privilegierungsgrundes besteht, wieder infolge der mangelnden Verdiktsbegründung. Der erstere Fehler, Analogie zu Ungunsten des Angeklagten, wird selten vorkommen. Dagegen ist mit fehlerhaften Analogieschlüssen im Interesse des Angeklagten, durch Extension von Schuldausschliefsungsgründen usw., allerdings zu rechnen. Es bestehen für den Strafrichter nicht Rechtsquellen aufserhalb des Gesetzes (und des Gewohnheitsrechts, soweit dieses in der Gegenwart noch wirksam ist). Das Volksrechtsbewufstsein gibt niemals als solches die Norm der Entscheidung, sondern nur soweit es in den Gesetzen anerkannt und zum Ausdruck gekommen ist 4 6 . Es ist widerrechtlich zu richten nach einem vom Sinn des Gesetzes abweichenden wirklichen oder vermeintlichen Volksrechtsbewufstsein. Noch viel weniger ist Rechtsquelle das Gerechtig46

Über und gegen die „Omnipotenz" der Geschworenen B i r k m e y e r , Strafprozefs S. 224 f. Vgl. auch O p p e n h e i m , Rechtsbeugungsverbrechen S. 190 f. Die „intime conviction" des französischen Rechts bedeutet die Freiheit von Beweisregeln, nicht von der Herrschaft des Gesetzes, wie schon aus dem Zusammenhang des art. 342 code aufs klarste sich ergibt: denn es wird hier mit dem Hinweise auf die intime conviction verbunden das Verbot, beim Spruche irgend auf die gesetzlichen Folgen zu rücksichtigen. Tatsächlich emanzipieren sich freilich die französischen Geschworenen gar nicht selten vom Gesetz, vgl. O r t o l a n , Eléments de droit pénal I nr. 345, 462.

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§ 2. Die konkr. Bestimmung d. Geschworenenkompetenz durch Urteilsfragen.

keitsgefühl des einzelnen. Der Geschworene, der dieses über das Gesetz stellt, proklamiert damit die Souveränetät des Individuums und negiert die Grundlagen der staatlichen Ordnung. Sollte wirklich das positive Recht an sich oder in seiner Anwendung auf den Einzelfall der materiellen Gerechtigkeit widerstreiten, so bliebe dennoch ein dieser folgender R i e h t e r Spruch zu beklagen. Denn wichtiger noch als die Wahrung der Gerechtigkeit im Einzelgesetz, im Einzelurteil, bleibt die unverbrüchliche Herrschaft des Gesetzes. Trefflich (gegen schlimme Verirrungen modernster „Jurisprudenz") B ü l o w in „Das Recht" X S. 773 f. Es mag gelegentlich vorkommen, dafs auch rechtsgelehrte Richter über ein in thesi oder doch in hypothesi ungerechtes Gesetz sich hinwegsetzen, es mit Scheingründen, unbewufst oder bewufst, weginterpretieren. Ein solches Verhalten k a n n zu verstehen sein, positiv zu billigen ist es in den Verhältnissen der Gegenwart nie (anders in einer Periode der Rechtsstagnation). Und si duo faciunt idem, non est idem: die Berufsrichter sind sich ihrer Bindung an das Gesetz in dem Mafse bewufst, dafs ausnahmsweises Zurückdrängen eines formell bestehenden Gesetzes nicht zu einer grundsätzlichen Verkennung ihrer Unterworfenheit unter das Gesetz führen kann. Bei Geschworenen besteht diese Gefahr. Und somit ist zu sagen, dafs die Herrschaft des Gesetzes für „Volksrichter" nicht in minderem, vielmehr in noch höherem Mafse Bedürfnis ist als für rechtsgelehrte Richter 47 . § 2.

D i e k o n k r e t e B e s t i m m u n g der G e s c h w o r e n e n kompetenz durch U r t e i l s f r a g e n .

I. Die Erledigung der Geschworenenaufgabe gestaltet sich wesentlich verschieden nach englischem und nach französischdeutschem Rechte. Die englische Jury antwortet nicht auf Fragen des Richters, sondern auf die Anklageschrift. Mit dem Ausdrucke „Schuldig" ist die Anklage für begründet erklärt, mit „Nichtschuldig" ist sie abgelehnt. Doch können die Geschworenen, statt ein solches „Generalverdikt" abzugeben, auch die Form des „Spezialverdikts" wählen, d. h. auf die einzelnen Anklagetatsachen antworten und die Feststellung des rechtlichen Ergebnisses dem Richter anheim47

Nicht unbedenkliche Konzessionen an das im Geschworenenspruch verkörperte Volksrechtsbewufstsein selbst bei P l a n c k , System. Darstellung S. 410 f. Krafs L e u e , Deutsch. Schöffengericht S. 142 f.

§ 2. Die konkr. Bestimmung d. Geschworenenkompetenz durch Urteilsfragen.

geben Spezialisierte Fragen aber an Stelle der einen Frage, ob der Angeklagte nach Mafsgabe der Anklage schuldig sei oder nicht, werden ihnen nicht gestellt. Höchst eigentümlich, ja man kann sagen unbegreiflich, ist die Behandlungsweise, die bei Zweifeln über den Charakter der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat, ob Diebstahl oder Betrug usw., beliebt wird. Statt die Alternative als solche zur Entscheidung zu bringen, werden die mehreren Möglichkeiten in der Anklageschrift kumulativ verbunden, als ob Realkonkurrenz von Diebstahl und Betrug usw. vorläge, und durch das Schuldig der Geschworenen formell nebeneinander festgestellt 2 . Die Spezialbefragung, die Auflösung der Anklage in eine Reihe von Urteilsfragen, ist französischen Ursprungs. Bei Aufnahme der Schwurgerichte (Ges. v. 16.129. September 1791) hat sich die französische Gesetzgebung von vornherein für dieses System entschieden. Die Art und Weise der Befragung hat gewechselt. Die verschiedenen Phasen der Fragstellung bedürfen — zur Erkenntnis des geltenden deutschen Rechts — nicht der eingehenden Erörterung 3 . Es genügt zu konstatieren, dafs nach dem code des délits et des peines vom 3. Brumaire IV art. 374 Fragen gestellt wurden auf den sog. objektiven Tatbestand, auf die Täterschaft des Angeklagten oder seine sonstige Beteiligung an der Tat, auf seine Willensrichtung („question intentionelle"), auf erschwerende oder mildernde Umstände; nach dem code d'instr. crim. Art. 337 und der anschliefsenden Praxis hingegen die Fragen sich richten je auf den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand eines Delikts, eines selbständigen Anklagepunktes, wobei die einzelnen Tatumstände bald nur konkret angegeben werden, wenn die Anwendung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale Rechtskenntnisse voraussetzt (was in Wahrheit stets zutrifft) und daher die Subsumtion der konkreten Momente unter die gesetzlichen den Richtern überlassen wird, bald einfach die abstrakten gesetzlichen Merkmale in die Frage eingestellt werden, wenn die Subsumtion der konkreten Umstände unter das Gesetz als selbstverständlich 1

M i t t e r m a i e r , Engl., schott., nordamerik. Strafverfahren S. 484 f.; G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel im engl. Schwurger.-Verf. S. 162 f. 2 G l a s e r a. a. 0. S. 85 f. Vgl. auch G l a s e r s Artikel „Fragestellung" in v. Holtz. Rechtslexikon 3. Aufl. I S. 882. 3 Verdienstlich besonders die Darstellung bei H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 48 f.

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§ 2. • Die konkr. Bestimmung d. Geschworenenkompetenz durch Urteilsfragen.

erscheint (was sie in Wahrheit nie i s t ) 4 ; dafs nach code art. 338 bis 340 in Verbindung mit dem Gesetz vom 13. Mai 183(5 von der Hauptfrage ausgeschieden werden — je in besonderer Frage — erschwerende Umstände, excuses légales und das discernement des jugendlichen Angeklagten. Für diesen französischen Fragmodus war bestimmend die Idee der Gewaltenteilung, der Scheidung von Tat- unci Rechtsfrage 5, die Überweisung jener an die Geschworenen, dieser an die Richter. Von diesem Standpunkte aus konnte nicht die Anklage ganz (abgesehen von der Strafbestimmung) und ungeteilt zur Entscheidung der Geschworenen verstellt werden. Es wurden Spezialfragen auf die einzelnen Momente des deliktischen Tatbestandes gebildet, Fragen, die man, obwohl vielfach ihre juristische Erheblichkeit und Qualifizierung in die Augen springt, unbegreiflicherweise für reine Tatfragen erachtet hat. Nachdem die deutsche Jurisprudenz den Grundirrtum der französischen Rechtsübung, die Annahme einer vom Rechtspunkte lösbaren nackten Tatfrage, erkannt und widerlegt hatte 6 , wies man mit vollem Rechte den Geschworenen die Lösung der gesamten Schuldfrage zu. An Stelle der undurchführbaren Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage, die in den deutschen Gesetzen allerdings nur vereinzelt (Kurhessen) durchgreifende Anerkennung gefunden, aber doch manche Mifsgriffe in der Teilung der Arbeitsgebiete zwischen Gericht und Jury verschuldet hatte, trat der greifbare, innerlich begründete Gegensatz von Schuld- und Straffrage. Aber das System der Spezialbefragung ist geblieben. Es wird die Klage aufgelöst in eine Anzahl bestimmt formulierter Fragen, die je auf ein deliktisches Tun eines Angeklagten ge4

H é l i e , Traité de l'instr. crim. IX p. 15 f., 65 f., 117 f.; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 code Nr. 135f., 355f. (mit zahlreichen Entscheidungen des Kassationshofs). 5 Dieser Gesichtspunkt trat besonders markant in den bekannten Äufserungen Napoleons in den Staatsratssitzungen hervor. 6 Hervorzuheben namentlich P l a n c k , System. Darstellung S. 394 f.; H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 52f. (kritische Würdigung der französischen Anschauungen), 113 f. (Darlegung des Fragmodus in den deutschen Schwurgerichtsgesetzen unter Berichtigung fehlerhafter Grenzscheidungen); G l a s e r , Schwurgerichtliche Erörterungen S. 3 f. Schon F e u e r b a c h , Betrachtungen über das Geschworenengericht S. 170 hatte die Jury, beschränkt auf blofse Tatsachen, ein „Spiel" genannt, „das sich von anderen Spielen nur dadurch unterscheide, dafs es zum Lachen zu ernsthaft sei".

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richtet sind und dieses genau mit den Worten des Strafgesetzes charakterisieren; ja es werden nicht selten auch betreffs einer inkriminierten Tat eines Angeklagten den Geschworenen mehrere Fragen vorgelegt. II. Es entspricht an sich dem Wesen des Parteiprozesses, dafs den Urteilern die Urteilsfrage von cler Partei, insbesondere vom Kläger, direkt gestellt wird. Aber diese Sachgestaltung ist bei uns — aus hier nicht zu erörternden Gründen — durch das Institut des klagbestimmenden Eröffnungsbeschlusses und demnächst die Unabhängigkeit des urteilenden Gerichts von diesem Beschlüsse stark modifiziert worden. Das Gericht schreibt im Eröffnungsbeschlusse dem Kläger den Klaginhalt vor. In der Hauptverhandlung kann zwar der Kläger, wenn die inkriminierte Tat eine von den Annahmen des Eröffnungsbeschlusses abweichende Gestalt angenommen hat, seine Klage im Plädoyer verbessern, aber schon ohnedies ist Gegenstand der Urteilsfindung die Tat des Eröffnungsbeschlusses, wie sich dieselbe nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt, § 263 StPO. Die mafsgebende Klagbesserung ist also Gerichtssache, sie geschieht durch Eröffnungsbeschlufs und Urteil. Wird nun einmal — ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt — in dem Einflüsse des Gerichts auf den Klaginhalt eine Garantie gerechten und sachlich vollständigen Urteils erblickt, so mufs diese auch dem Geschworenenverfahren in vollem Umfang zu teil werden. Rein unmöglich aber — wegen der Rechtsunkenntnis cler Geschworenen — wäre gewesen, den Entscheid über etwaige Klagbesserung nach Mafsgabe der Verhandlung einfach in die Hände dieses Kollegiums zu legen. Sonach blieb nur übrig gerichtsseitige Bestimmung der von den Geschworenen abzuurteilenden Klage auf Grund der Beweisverhandlungen. In England besteht ein solches Bedürfnis nicht, weil Klagbesserung in cler Verhandlung nur in sehr beschränktem Umfange zulässig ist und daher die Anklageschrift von vornherein mit allen möglichen Eventualitäten rechnet 7. Bei der Bestimmung des Klaginhalts durfte dem Gericht nicht zugleich mafsgebende tatsächliche Würdigung zu teil werden. Denn die Geschworenen als Richter der Schuld haben zu beurteilen , in welchen Verhandlungsergebnissen ein Verschulden etwa zu finden ist. Sie können daher fordern, dafs das Gericht bei Feststellung der abzuurteilenden Klage alle ihnen erheblich 7

G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 178 f., 196f. 203f., 508.

B i n d i n g , Handbuch. I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t l c e r , Strafprozefs I I I .

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erscheinenden Verhandlungsmomente berücksichtigt, so weit nicht Rechtsgründe entgegenstehen. Die Form dieses Verlangens ist Antrag auf entsprechende Befragung, der nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden kann, § 296 StPO. Auch die Parteien sind in gleichem Mafse antragsberechtigt. Soweit nicht solche nach dem Gesetz verbindliche Anträge gestellt sind, fällt ohne Zweifel das Gericht mit Aufrechterhaltung oder Umgestaltung der Klage zugleich eine tatsächliche Entscheidung, konstatiert, dafs die Verhandlung Umstände nicht ergeben oder ergeben habe, die eine Klagbesserung begründen könnten. So wird auch in dieser Hinsicht die prinzipielle Kompetenzgrenze verlassen. Das Gesetz erlaubt und mufs erlauben dem Gericht Übergriffe in das Nachbargebiet, so weit nicht der Nachbar durch ihm zustehende Fraganträge dagegen remonstriert. Die Klagbestimmung durch das Gericht findet jedoch eine unbedingt zu respektierende Schranke am Eröffnungsbeschlufs, insofern die Klage zwar über diesen hinausgehen kann, jedenfalls aber seinen Inhalt mit einschliefst. Auch wenn es dem Gericht zweifellos erscheinen sollte, dafs die Verhandlung Umstände ergeben hätte, nach welchen eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende Beurteilung der inkriminierten Tat in Betracht käme, dürfte nicht lediglich eine hierauf gerichtete Frage gestellt werden. Denn das Gericht würde bei Beschränkung auf diese Tatgestaltung die gegenteiligen Annahmen des Eröffnungsbeschlusses für tatsächlich widerlegt erklären und damit in die Geschworenenkompetenz eingreifen. Die Klage darf nicht reduziert werden auf einen von den Annahmen des Eröffnungsbeschlusses generisch abweichenden Deliktstatbestand, z. B. auf Erpressung an Stelle von Raub, vielmehr werden in solchem Falle beide Tatbestände, der in der Verhandlung hervorgetretene und der des Eröffnungsbeschlusses, von der Klage ergriffen, § 294 StPO. Zwei Strafansprüche im Eventualverhältnis zueinander sind nun in cler einen Klage verbunden. Die Klage bleibt einheitlich, wenn nach den Verhandlungsergebnissen entgegen dem Eröffnungsbeschlufs mit Qualifikationsoder Privilegierungsgründen, Einbruch beim Diebstahl, Provokation im Falle des Totschlags (§ 213 StGB) usw., zu rechnen ist, der ursprünglich unterstellte und der jetzt anzunehmende Deliktstatbestand also zueinander im Verhältnis von Genus und Spezies stehen. Ob solche Momente hervorgetreten sind, der eine in der Klage erhobene Strafanspruch also nunmehr auf das Speziesdelikt statt des Genus abzustellen ist, unterliegt der Würdigung des

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Berichts, es müfste denn von einer Partei oder einem Geschworenen Befragung wegen des Qualifikations-, Privilegierungsgrundes beantragt worden sein. Im letzteren Falle ist das Gericht zu entsprechender Frage verbunden. Sind im Eröffnungsbeschlufs angenommene Qualifikations- oder Privilegierungsgründe durch die Verhandlung präsumtiv hinfällig geworden, so dürfen sie doch nicht aus der von den Geschworenen abzuurteilenden Klage gestrichen werden 8. Die Tat, wie sie cler Beschlufs bezeichnet hat, also unter Hinzunahme des strafschärfenden, strafmildernden Moments, bleibt von der Klage umfafst und mufs in d i e s e r Gestalt von den Geschworenen erledigt werden. Die Klagbestimmung in Form der Geschworenenbefragung i s t nicht bereits Klagbesserung. Bejahen die Geschworenen clie Hauptfrage, so ist damit clie Hilfsfrage abfällig geworden — sie steht ja zu jener im Eventualverhältnis —, und es verbleibt die Klage im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses. Ebenso bewendet es bei der ursprünglichen Klage, wenn die Hauptfrage bejaht wird unter Verneinung eines zusätzlich zum Eröffnungsbeschlusse mit erfragten Qualifikations-, Privilegierungsgrundes. Dagegen wäre durch Bejahung der Hilfsfrage an Stelle der Hauptfrage, durch MitbejahuDg des in cler Befragung hinzugefügten Qualifikations- usw. Moments Klagbesserung zustande gekommen. Das Gericht gibt also durch seine Fragen den Geschworenen nur die E r m ä c h t i g u n g zur Klagbesserung; der Gebrauch der Vollmacht steht bei diesen. Im nicht-schwurgerichtlichen Verfahren vollzieht sich die Klagbesserung im Urteil, indem z. B. das Gericht statt Diebstahls, statt einfachen Diebstahls, wie der Eröffnungsbeschlufs die Tat charakterisiert hatte, Unterschlagung, Einbruchsdiebstahl annimmt. Durch die Struktur des schwurgerichtlichen Prozesses wird die Klagbesserung in den Wahrspruch verwiesen, aber die Freiheit dazu haben clie Geschworenen nur nach Mafsgabe der Befragung. Genauere Bestimmung der schwurgerichtlichen Klagbesserung kann erst bei der Lehre von den Hilfs- und Nebenfragen gegeben werden. I I I . Die mafsgebende Klage wird nach französisch - deutschem Recht den Geschworenen vorgelegt nicht in Form eines Klagbeschlusses, sondern von Klagfragen. Die deutschen usw. Geschworenen haben nicht wie ihre englischen Kollegen im präsidierenden Richter einen Vormund, der im Schlufsvortrage be8

A. A. betreffs strafvermindernder Umstände RG 2. Str.-S. E. Bd. 30 S.209f. Richtig T h i l o zu § 295 Bern. 3. 3*

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stimmenden Einflufs ausüben könnte auf den Inhalt des Verdikts, sie sind nicht abhängig von Beweisregeln, die ihnen vom Richter bindend dargelegt würden, und sie haben zu subsumieren unter bestimmte gesetzlich fixierte Deliktstatbestände. Ihre Stellung ist weit freier, ihre Aufgabe viel schwieriger als clie der englischen Geschworenen. So mufs zur Vermeidung schwerer formeller und materieller Fehler in Erledigung der Klage zur Fragstellung durch clas Gericht geschritten werden. Die Anklage wird aufgelöst in eine Reihe von Urteilsfragen, deren jede auf einen einzelnen gesetzlich bestimmten Delikts tatbestand — „Hauptfragen", „Hilfsfragen" — oder auf einen gesetzlich anerkannten Qualifikations-, Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrund — „Nebenfragen" — gerichtet ist. Bei Angeklagten, die zur Zeit cler behaupteten Deliktsbegehung noch nicht achtzehn Jahre alt waren und bei taubstummen Angeklagten tritt hinzu die Nebenfrage nach dem Vorhandensein der strafgesetzlich erforderlichen Einsicht. Und leider gibt's auch eine Nebenfrage auf mildernde Umstände. Der Richter subsumiert in den Fragen die konkreten Tatbestände und Tatumstände hypothetisch unter die gesetzlichen, führt dabei jedoch clie ersteren nur insoweit an, als es zur Unterscheidung, zur Individualisierung der Tat erforderlich ist, schafft so und durch seine Rechtsbelehrung eine gewisse, freilich keineswegs ausreichende Garantie gegen unrichtige Subsumtionen und Nichtsubsumtionen und nötigt die Geschworenen, die Verhandlungsergebnisse in gehöriger Sonderung unci in der richtigen Folge zu durchdenken und zu beurteilen. Diese Leitung ist den deutschen Geschworenen unentbehrlich. Eine Abschaffung des Fragebogens9 wäre nur möglich, wenn die deutsche Gesetzgebung zugleich die althergebrachten Rechtseinrichtungen und Rechtssitten, die in England clas Verhältnis von Richter und Geschworenen regeln, schaffen wollte und könnte. IV. Den Stoff für die H a u p t f r a g e n liefert cler Eröffnungsbeschlufs. Er mufs unter allen Urnständen vollinhaltlich erledigt werden 10 . Es darf nicht eine anderweite Gestaltung der inkrimi9

Dafür M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung über Strafverfahren S. 546 f., Ger.-Saal Bd. X V I S. 272; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 388; G ne i s t , Vier Fragen S. 138. 10 Vgl. v. K r i e s S. 618; U l l m a n n S. 512; B i r k m e y e r S. 654. S. auch G l a s e r , Artikel „Fragestellung" in v. Holtzend. Rechtslexik. 3. Aufl. Bd. I S. 887. G l a s e r hält es jedoch S. 891 für zulässig, bei völliger Übereinstimmung des Gerichts, der Parteien und der Geschworenen statt nach

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niertén Tat substituiert werden, vielmehr ist diese eventuell als weiteres Fragobjekt hinzuzufügen. Es darf nicht ein im Eröffnungsbeschlufs unterstellter Qualifikations- oder Privilegierungsgrund als durch die Verhandlung erübrigt ausgeschieden werden. Enthält der Eröffnungsbeschlufs eine Eventualität, indem mit einer doppelten Möglichkeit der rechtlichen Tatgestaltung — z. B. als Raub oder Erpressung — darin gerechnet ist, die Klage diesen Zweifel beibehalten, es der Verhandlung überlassen hat, ihn zu lösen, so müssen auch in diesem Falle die Fragen den Beschlufs erschöpfen. Es sind den Geschworenen dem Beschlufs entsprechend zwei Hauptfragen, eine prinzipale (auf Raub) und eine eventuelle (auf Erpressung), vorzulegen 11 . Nicht ist erlaubt, die eine oder andere Frage als nach der Verhandlung abfällig beiseite zu lassen. Die Pflicht zur Erledigung des Eröffnungsbeschlusses besteht unabhängig vom Parteiwillen. Auch übereinstimmender Antrag der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten berechtigt das Gericht nicht, clie Befragung — unter Festhaltung der Tatidentität — auf einen andersartigen gesetzlichen Tatbestand, auf Urkundenfälschung statt auf Betrug z. B., zu beschränken, eine Qualifikation usw. des Eröffnungsbeschlusses, den Einbruch z. B., zu streichen 12 . Sollte der Eröffnungsbeschlufs die gesetzlichen Merkmale des Delikts unvollständig angeführt, z. B. im Falle des § 270 StGB (wissentliches'Gebrauchmachen von einer falschen usw. Urkunde zum Zwecke einer Täuschung) das Moment der „rechtswidrigen Absicht" (§ 267) ausgelassen haben, so hat die Frage die nötige Ergänzung zu geben13. Diese Vervollständigung würde übrigens für sich allein insofern nicht genügen, als das Gesetz (§ 242 StPO) die Verlesung eines gesetzentsprechenden Eröffnungsbeschlusses bei Beginn der Verhandlung erfordert; das Nähere hierüber in der Lehre vom Verfahren (unten § 7 sub 113). Mafsgahe des Eröffnungsbeschlusses lediglich im Anschlufs an das Verhandlungsergebnis die Frage zu stellen. De lege ferenda sehr beachtenswert, de lege lata nicht zutreffend! 11 Vgl. auch O s t e r n , Alternativität der Strafprozess. Willenserklärungen S. 144, 145. 12 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g zu § 293 Bern. 4; B i r k m e y e r S. 654. 18 Vgl. RG 3. Str.-S. R. I I I S. 132 f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 293 Bern. 4 usw. In gleichem Sinne bereits die ältere Literatur: P l a n c k , System. Darstellung S. 417; Z a c h a r i a e , Handb. I I S. 499 Anm. 11; v. B a r , Recht und Beweis im Geschworenengericht S. 150.

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Die Hauptfrage beginnt mit den Worten: „Ist der Angeklagte schuldig?" Sie mufs die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat nach ihren gesetzlichen Merkmalen und unter Hervorhebung der zu ihrer Unterscheidung erforderlichen Umstände bezeichnen, § 293 StPO. Im Bereiche der konkreten Tatmomente ist das Gericht Herr der Fragenfassung. Das Mafs der im Einzelfall erforderlichen Individualisierung steht zu seinem Ermessen. Anträge der Parteien und der Geschworenen sind in dieser Hinsicht nicht verbindlich. Das Gericht ist insbesondere befugt, die Tat in der Frage abweichend vom Eröffnungsbeschlufs zu individualisieren, z. B. Ort unci Zeit der Verübung in allgemeinerer oder genauerer Begrenzung aufzunehmen oder andersartig zu bestimmen. Bei einer Mehrzahl von Angeklagten oder von strafbaren Handlungen müssen die Fragen für jeden Angeklagten und für jede Straftat gesondert gestellt werden, § 292 Abs. 3 StPO. Jede Hauptfrage ist gerichtet auf nur eine Straftat nur eines Angeklagten. „Komplexe" Fragen, d. h. solche, welche mehrere kriminalistisch selbständige Fakta, z. B. Raub und Erpressung oder Anstiftung und Täterschaft, kopulativ oder alternativ vereinigen,, dürfen nie gebildet werden; mifsverständliche Antworten würden sonst clie Folge sein. V. Die H i l f s f r a g e ist eine nicht durch den Eröffnungsbeschlufs, sondern durch das Verhandlungsergebnis bedingte eventuelle Hauptfrage. Als Voraussetzung der Hilfsfrage bezeichnet das Gesetz im § 294 eine Verschiebung des Tatbildes in der Verhandlung dergestalt, dafs eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende, d. h. g e n e r i s c h abweichende Subsumtion in Betracht kommt. Hauptuncl Hilfsfrage schliefsen einander aus und können daher nur gehen auf solche Deliktstatbestände, die je ein selbständiges Frageobjekt bilden. Das trifft nicht zu, wenn der eine Tatbestand im anderen enthalten ist, der erste das Genus — z. B. Diebstahl — r der zweite die Spezies — z. B. Einbruchsdiebstahl — ergibt. Treten in der Verhandlung Umstände hervor, die das Delikt des Eröffnungsbeschlusses qualifizieren oder privilegieren würden, so ist entweder die Hauptfrage zu erweitern oder Nebenfrage zu stellen, nie aber der Fall der Hilfsfrage gegeben. Hilfsfrage mufs nach der zwingenden Vorschrift des § 29(> auch dann gestellt werden, wenn das Gericht Verhandlungstatsachen mit cler Wirkung einer andersartigen rechtlichen Tatbeurteilung

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nicht als vorhanden ansieht, eine Partei aber oder ein Geschworener dieser Meinung ist oder doch mit der Möglichkeit rechnet, dafs bei den Geschworenen eine eventuelle Geneigtheit zu solcher Annahme bestehen könnte und daher die Vorlegung entsprechender Frage beantragt, ohne dafs Rechtsgründe, z. B. Verjährtsein der Tat unter dem geänderten rechtlichen Gesichtspunkte, entgegenstehen. Da die Hilfsfrage auch ihrerseits Hauptfrage ist, so gelten für ihre Formulierung unci Substantiierung ganz die Regeln der Hauptfrage. VI. Die Nebenfragfen richten sich, wenn von den besonderen Bildungen der Einsichtsnebenfrage und der Nebenfrage auf mildernde Umstände abgesehen wird, auf solche Tatumstände, denen das Gesetz clie Bedeutung eines Qualifikations-, Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrundes beilegt. Es erhellt der unselbständige Charakter solcher Nebenfrage gegenüber der Hauptfrage. Sie ergänzt diese und setzt daher deren Bejahung voraus. In der Nebenfrage auf Qualifikations-, Privilegierungsgrund ist ein Stück aus cler Hauptfrage ausgeschieden und selbständig gesetzt. Die Nebenfrage auf clen Strafaufhebungsgrund, z. B. rechtzeitigen Widerruf fahrlässig falscher Aussage, § 163 Abs. 2 StGB, erfragt ein Moment besonders, das sonst stillschweigend mit der Hauptfrage zur Prüfung verstellt wäre. Die Nebenfragen sind daher an sich durch die Hauptfrage ersetzbar, aber sie sind es insofern in verschiedenem Sinne, als ein Qualifikations-, ein Privilegierungsgrund in der Befragung stets zum Ausdruck kommen mufs, ein Strafaufhebungsgrund dagegen von cler Hauptfrage nur stillschweigend mitumfafst ist, indem die Annahme dieses Moments zur Verneinung der Hauptfrage nötigt. Nimmt das Gericht von einer Nebenfrage Abstand, so stellt es den Qualifikations-, Privilegierungsgrund in die Hauptfrage, formuliert dagegen den Strafaufhebungsgrund überhaupt nicht, sondern sorgt nur dafür — durch geeignete Belehrung —, dafs die Geschworenen sich selbst diese Frage stellen und die Hauptfrage nur bejahen, wenn sie von der Nichtexistenz des Strafaufhebungsgrundes überzeugt sind. Die Wahl, Nebenfrage zu stellen oder nicht, hat das Gericht dann nicht, wenn Partei- oder Geschworenenantrag auf Nebenfrage vorliegt, § 296. Nebenfrage kann gestellt werden, mag bereits der Eröffnungsbeschlufs den Qualifikations- usw. -Gruncl angenommen oder erst die Verhandlung ihn ergeben haben. Bei Antrag auf Nebenfrage

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ist's gleichgültig, ob dem Gerichte der Tatumstand durch das Verhandlungsergebnis indiziert erscheint oder nicht. Die Nebenfrage ist wegen ihrer unselbständigen Bedeutung nie zu fassen als Frage nach der Schuld des Angeklagten bezüglich des Tatumstandes, was zumal bei Erfragung eines Strafaufhebungsgrundes in sich verkehrt wäre, vielmehr lediglich auf den Tatumstand selbst zu richten. Die Abhängigkeit von der Beantwortung der Hauptfrage kommt im Eingang der Nebenfrage zum Ausdruck : für den Fall der Bejahung von Frage usw. Der Tatumstand ist genau mit den Worten des Strafgesetzes wieder zu geben, wie entsprechend die gesetzliche Charakterisierung des Tatbestandes für die Hauptfrage normiert. Die Individualisierung des Tatbestandes in der Hauptfrage individualisiert auch den Tatumstand der Nebenfrage. Es genügte, dafs das Gesetz für die Hauptfrage die Hervorhebung der Unterscheidungsmerkmale verlangte. VII. Eine Erweiterung der Klage und damit der Befragung über den Eröffnungsbeschlufs hinaus tritt ein, wenn der Angeklagte im Laufe der Hauptverhandlung noch einer anderen Tat beschuldigt wird und das Gericht sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Zustimmung des Angeklagten zum Gegenstande derselben Aburteilung macht, wobei vorausgesetzt ist, dafs die neue Tat sich nicht als Verbrechen darstellt und ihre Aburteilung nicht die Zuständigkeit des Gerichts überschreitet, § 265 StPO. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf das schwurgerichtliche Verfahren ist einem begründeten Zweifel nicht unterworfen. Die Zuständigkeit des Schwurgerichts fehlt, wenn das neue Delikt in erster (und letzter) Instanz vor das Reichsgericht verwiesen ist. Während die Nebenfrage im Bereiche des von der Hauptfrage erfafsten Strafanspruches verbleibt, ihn nur eventuell vom Genus auf die Spezies ablenkt, seiner Aufhebung zu besonderem Ausdruck verhilft, die Hilfsfrage einen andersartigen Strafanspruch mit dem primär erhobenen, in der Hauptfrage enthaltenen eventuell verbindet, kommt's durch Klagerweiterung gemäfs § 265 zu eigentlicher Klagenhäufung im Laufe der Hauptverhandlung, indem zu dem Strafanspruch des Eröffnungsbeschlusses ein neuer aus neuem Tatbestand kumulativ hinzugefügt wird. — Die Fragenstellung gibt der Rechtsfindung im Schwurgericht Ziel und Richtung. In ihr und der Rechtsbelehrung seitens des Vorsitzenden liegt der Beitrag, den das Gericht zur Lösung der Schuldfrage durch die Geschworenen zu leisten vermag. Sicher ist erschöpfende und präzise Umsetzung der gesetzlichen Tat-

§ 2. Die konkr. Bestimmung d. Geschworenenkompetenz durch Urteilsfragen.

bestände und Tatumstände in die knappe Form der Frage öfters mit sehr erheblichen Schwierigkeiten verknüpft. Aber scharfes Nachdenken beseitigt alle diese Zweifel 14 . Höchst bedauerlich ist die arge Vernachlässigung der Fragstellungslehre in der deutschen Doktrin der letzten Dezennien. In den Zeiten der partikularen Rechtsbildung, von 1848 an bis zu den Vorarbeiten für die Reichsstrafprozefsordnung, hatte sich die deutsche Jurisprudenz redlich bemüht, der Fragstellungsprobleme Herr zu werden 15 . Seit der reichsrechtlichen Ordnung des Verfahrens hören diese Untersuchungen beinahe ganz auf, in grellem Kontrast zu dem belebenden Einflufs der Reichsgesetzgebung auf so vielen anderen Gebieten der Rechtswissenschaft. Wachsende Abneigung gegen das Schwurgericht in weiten Kreisen cler Juristen, genährt durch den Versuch seiner Beseitigung in den ersten Entwürfen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozefsordnung, dient zur Erklärung, aber nicht zur Entschuldigung. Denn das Schwurgericht b e s t e h t , mit ihm das Bedürfnis des wissenschaftlichen Ausbaus. Auch für clen Juristen ist Pflicht „die Forderung des Tages". Den gewaltigen Rechtsstoff, der in der Fragstellungslehre beschlossen ist, auf dem Boden des Reichsgesetzes in eingehender und möglichst erschöpfender Darstellung wissenschaftlich zu durchdringen, ist eine der Hauptaufgaben dieses Buches. 14

Dafs dem System der Fragstellung an sich unheilbare Mängel anhafteten, wie v. H y e - G l u n e k , Über das Schwurgericht S. 40 f.; S c h w a r z e , Das deutsche Schwurgericht und dessen Reform (als Materialsammlung verdienstliches Buch, in Gruppierung und Verwertung des Materials eine Parteischrift) S. 5f., 32f.; H e i n z e , Ein deutsches Geschworenengericht S. 177f.; H . M e y e r , Frage des Schöffengerichts S. 19 f. usw. und neuerdings die Reformkommission, Prot. I S. 393 f. behaupten, kann nicht zugegeben werden. Die folgende positive Darstellung wird hoffentlich die Lösbarkeit des Problems in allen Punkten dartun. Der Fehler des geltenden Rechts liegt wesentlich darin, dafs die Geschworenen nicht den nötigen Einflufs auf die Bestimmung der Fragen haben und aus diesem Grunde die Befragung unvollständig ausfallen kann, indem sie einer bei den Geschworenen tatsächlich vorhandenen Schuldauffassung nicht gerecht wird und Mifsverständnissen der Fragen durch die Gefragten Raum gegeben ist. Vgl. O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 68 S. 104 f. und unten § 41. 15 Verdienstlich besonders H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage im Geschworenengericht; G l a s e r , Schwurgerichtliche Erörterungen ; v. B a r , Recht und Beweis im Geschworenengericht.

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§ 3. Die Bestimmung er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

Zweites Kapitel. Die Bildung des Schwurgerichts 1. A.

§ 3.

Die B e s t i m m u n g der R i c h t e r u n d G e s c h w o r e n e n f ü r die S i t z u n g s p e r i o d e . In der Bildung der konkreten Geschworenenbank begegnen sich Gerichtsverfassungsrecht und Strafprozefsrecht. Die Auslosung der Urteilsgeschworenen ist nach Reichsrecht Teil der Hauptverhandlung. Während alle anderen Strafsachen das für sie bestimmte Gericht schon fertig konstituiert vorfinden, wird der schwurgerichtlichen Sache das zur Schuldfrage zuständige Gericht bei Beginn der Hauptverhandlung erst gebildet. Die Besetzung der Geschworenenbank ist aber nur der Schlufspunkt eines zusammengesetzten vielgliedrigen Konstituierungsverfahrens. Ein volles juristisches Verständnis des letzten Aktes läfst sich nur im Zusammenhange der ganzen Tätigkeitskette gewinnen. Aus diesem Grunde und in der damit gegebenen Begrenzung bedürfen daher auch die Vorstadien kurzer Erörterung 2 . Wie es überhaupt Aufgabe der Justizverwaltung ist, für die Rechtspflege das nötige Personal an Richtern (und Gerichtsschreibern) bereit zu stellen, so liegt insbesondere die Überweisung 1 Spezialliteratur : B r a u e r , Ger.-Saal I I 2 S. 136 f.: G n e i s t , Bildung der Geschworenengerichte in Deutschland (1849); S c h w a r z e , Artikel „Schwurgericht" in Weiskes Rechtslexikon Bd. 10 S. 68 f.; S e u f f e r t , Erörterungen über die Besetzung der Schöffengerichte und Schwurgerichte in Deutschland (1879); D e r s e l b e , Ger.-Saal Bd. 32 S. 31 f.; G l a s e r , Artikel „Geschworene", „Hilfsgeschworene", „Ergänzungsgeschworene", „Urliste", „Jahresliste der Geschworenen", „Spruchliste", „Reduktion der Geschworenenliste", „Ladung der Geschworenen", „Ablehnung der Geschworenen" in v. Holtzend. Rechtslexikon 3. Aufl. Bd. I I S. 138 f., 332, I S. 725 f., I I I S. 980, I I S. 411, I I I S. 728, I I I S. 314, I I S. 607, I S. 7 f.; O e t k e r , Rechtsgrundlagen der Schwurgerichtsbildung, Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 62 f., 204 f. (die Ergebnisse dieser Untersuchung waren in einigen Punkten zu modifizieren, vgl. namentlich unten § 5 sub V I 5). Ferner: S c h w a r z e in v. Holtzend. Handb. I I S. 551 f.; H . M e y e r , das. S. 115 f.; G e y e r S. 298f.; B i n d i n g , Grundrifs des deutsch. Strafproz. §§ 40, 42; U l i m a n n , Österreich. Strafproz. S. 171 f.; D e r s . , Deutsch. Strafproz. S. 127 f.; v. K r i e s S. 128 f.; B i r k m e y e r S. 245 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 53 f., 539 f.; R o s e n f e l d S. 127f.; die beste kommentatorische Erläuterung der strafprozessualen Vorschriften (§§ 277 — 288 StPO) bei L ö w e - H e l l weg. 2 Die eingehende Darstellung ist dem Handbuch des Gerichtsverfassungsrechts zu überlassen.

§ 3. Die Bestimmung er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

von Geschworenen an die Landgerichte zur Aburteilung der schwereren \7erbrechen im Bereiche dieser Funktion. I. Die R i e h ter-Bestimmung geschieht für jede Sitzungsperiode des Schwurgerichts besonders3. Den Vorsitzenden ernennt der Präsident des Oberlandesgerichts aus der Zahl der Mitglieder (einschliefslich der Präsidenten, Senatspräsidenten, Direktoren) des Oberlandesgerichts oder der zum Bezirke des Oberlandesgerichts gehörigen Landgerichte (nicht nur des Landgerichts, bei dem das Schwurgericht gebildet wird); der Stellvertreter des Vorsitzenden und die übrigen richterlichen Mitglieder werden von dem Präsidenten des Landgerichts aus der Zahl der Mitglieder (einschliefslich der Hilfsrichter, § 69 GVG, soweit Beisitz in Frage kommt) des Landgerichts bestimmt, wobei Wechsel der Besetzung für die einzelnen Hauptverhandlungen durchaus zulässig ist; bis zur Ernennung des Vorsitzenden hat der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts (mit welchem das Schwurgericht verbunden ist) die in der Strafprozefsordnung (vgl. z. B. §§ 218—220, Verfügung auf Beweisanträge des Angeklagten, Zeugen- usw. Ladung von Amtswegen) — nicht auch die im Gerichtsverfassungsgesetz (vgl. z. B. § 94, Entscheid über die von Geschworenen geltend gemachten Ablehnungs- und Hinderungsgründe, und dazu unten sub VI) — dem Vorsitzenden des Gerichts zugewiesenen Geschäfte zu erledigen, § 83 GVG. Die zum Gerichtsdienst während einer schwurgerichtlichen Session verpflichteten G e s c h w o r e n e n werden in der S p r u c h l i s t e zusammengefafst. Die J a h r e s h i l f s l i s t e liefert für alle Sessionen des Geschäftsjahres die nötige Geschworenenreserve. Die Aufstellung dieser Listen ist generelles, die Einzelsache nur indirekt berührendes Justizverwaltungsgeschäft 4. ' Der letzte Konstituierungsakt, die Auslosung der Einzeljury, erleidet durch Einbeziehung in die Hauptverhandlung einen Wandel der juristischen Natur 5 . Die Amtspflichten des Vorsitzenden, der 3

Das österreichische Recht, § 301 StPO, korrespondiert dem deutschen; auf die Einzelheiten ist nicht einzugehen. 4 Für Österreich normiert das Gesetz v. 23. Mai 1873 betr. die Bildung der Geschworenenlisten, dazu §§ 297, 302 StPO. Vgl. U l i m a n n a. a. 0. und die in Anm. 1 zitierten Artikel G l a s e r s . Die österreichische Unterscheidung der ordentlichen (periodisch wiederkehrenden) und aufserordentlichen (bei besonderem Bedarf ergänzend eingeschobenen) Schwurgerichtssitzungen ist dem deutschen Rechte unbekannt. 5 Nach Österreich. Recht erfolgt die Bildung der Jury vor dem Beginne der Hauptverhandlung in nicht-öffentlicher Sitzung, § 304.

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§ 3. Die Bestimmung cler Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

Richterbank in Erfüllung einer Justiz verwaltungsauf gäbe werden insofern zu Prozefspflichten, deren Verletzung das Urteil der Revision aussetzt. II. Die Listenbildung beginnt mit der U r l i s t e . Sie ist für Schwur- und Schöffengericht die nämliche. Es werden ihr eingereiht die zum (Schöffen- und) Geschworenendienst gesetzlich befähigten Gerichtseingesessenen, für die nicht Ausschliefsungsgründe gemäfs §§ 33, 34 GVG bestehen. Die Unfähigkeitsgründe sind in den §§ 31, 32 GVG (Nichtdeutsche; Personen, welche die Befähigung infolge strafgerichtlicher Verurteilung verloren haben; Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann; Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind) nicht erschöpfend aufgeführt. Das Gesetz hat für selbstverständlich erachtet, dafs nur Männer, nur Volljährige unci ferner nur solche Geschworene sein können, welche die zur Ausübung des Richterberufs unentbehrlichen Qualitäten, Befähigung zu sinnlicher Wahrnehmung, logischer Operation und mündlichem Gedankenausdruck, besitzen. Die in den §§ 33, 34 bestimmten Ausschliefsungen (z. B. von Personen, die für sich oder ihre Familie Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen, von Reichs- und Staatsbeamten, die jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden können) wirken nur Instruktionen, es „sollen" Personen, denen diese — im einzelnen hier nicht aufzuführenden — Gründe entgegenstehen, zum Amte nicht berufen werden. Die nur Ablehnungsberechtigten hingegen (Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung usw. usw., § 35 GVG) sind in die Urlisten aufzunehmen; es steht bei ihnen, ob sie demnächst den Ablehnungsgrund geltend machen wollen. I I I . Der beim Amtsgericht zum Zwecke der Schöffenwahl jährlich zusammentretende Ausschufs, §§ 40—42 GVG, hat zugleich die Geschworenen V o r s c h l a g s l i s t e für das nächste Geschäftsjahr aufzustellen, d. h. er hat aus den Urlisten der zum Amtsgerichtsbezirk gehörenden Gemeinden diejenigen Personen auszuwählen, welche er zu Geschworenen vorschlägt, und diese Vorschläge nach dem dreifachen Betrag der auf den Amtsgerichtsbezirk entfallenden Geschworenenzahl zu bemessen, § 87 GVG. Die Zahl der für jedes Schwurgericht erforderlichen Geschworenen und die Verteilung dieser Zahl auf die einzelnen Amtsgerichtsbezirke wird

§ 3. Die Bestimmung er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

durch die Landesjustizverwaltung bestimmt, § 86 GVG. Die Vorschlagsliste wird nicht deshalb ungültig, weil ein Unfähiger — der schon von der Urliste hätte gestrichen werden sollen — mit genannt worden ist. Der Fehler bleibt folgenlos, wenn das Landgericht den Geschworenen nicht mit auf die Jahresliste setzt oder wenn er nicht zur Sessionsliste ausgelost oder durch einen Entscheid der Richterbank bei Beginn der Hauptverhandlung ausgeschieden wird. Hat er aber mit als Geschworener gesessen, so ist das Urteil nichtig, § 377 Z. 1 StPO. IV. Die Vorschlagsliste wird dem Präsidenten des Landgerichts übersendet. Das Landgericht hat aus der Gesamtheit der Vorschlagslisten aller zugehörigen Amtsgerichtsbezirke, aus der Gesamtvorschlagsliste, im Wege der Wahl die J a h r e s l i s t e für den Schwurgerichtsbezirk auszuscheiden, § 89 GVG. Neuaufnahme von Geschworenen — also ohne Vorschlag — ist ausgeschlossen. Das Einzelgericht, an dem ein solcher Geschworener teilgenommen hätte, wäre gesetzwidrig gebildet, § 377 Z. 1 StPO. Aber die Vorschlagsliste im ganzen würde nur durch eine erhebliche Zahl von Einreihungen ungültig werden 6 . Das Landgericht wählt Hauptgeschworene und Hilfsgeschworene, beide nach der für das Schwurgericht von der Landesjustizverwaltung bestimmten Zahl, und stellt sie in gesonderten Jahreslisten zusammen. Als Hilfsgeschworene sind solche Personen zu wählen, welche an dem Sitzungsort des Schwurgerichts oder in dessen nächster Umgebung wohnen, § 89 Abs. 3; sie bilden die Reserve bei weiterem Bedarf an Geschworenen, der während der Session eintritt. Eine besondere Liste von Hilfsgeschworenen für einzelne oder alle Schwurgerichtssitzungen einer Periode ist zu bilden, wenn die Strafkammer des Landgerichts bestimmt hat, dafs diese an einem anderen Orte innerhalb des Schwurgerichtsbezirkes abzuhalten seien, § 98 GVG (weil das Beweismaterial dort besser zur Hancl ist, wegen Unzugänglichkeit des Landgerichtssitzes infolge eines Verkehrshindernisses usw.). Die Wahl zu dieser Spezialhilfsliste richtet 6

Eine so ergänzte Liste könnte nicht mehr als Vorschlagsliste im Rechtssinne erachtet werden. Sie wäre nicht mehr die vom Amtsgerichtsausschufs durch Präsentation aus der Jahresliste hergestellte, sondern eine an deren Stelle nach eigenmächtiger Bildung gesetzte anderweite Liste. Um diese Annahme zu begründen, genügt nicht die willkürliche Hinzufügung eines usw. Namens, erst eine e r h e b l i c h e Zahl solcher Ergänzungen ergibt die Nichtigkeit. Quantitative Unterschiede gewinnen eben im Rechte häufig qualitative Bedeutung. Vgl. auch Arch. f. Strafrecht Bd. 49 S. 107.

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§

Die Bestimmung er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

sich auf Geschworene, clie an dem besonderen Sitzungsort oder in dessen nächster Umgebung wohnen. Entscheidungen, die in diesem Konstituierungsverfahren über die Fähigkeit von Geschworenen getroffen werden — durch das Landgericht auf Einsprache gegen die Urliste hin, wenn der Geschworene mit in die Vorschlagsliste aufgenommen worden war, § 89 GVG —, gewinnen im Falle der Ausscheidung des Geschworenen aus der Vorschlagsliste, der Grundlage für die weitere Listenbildung, eben deshalb auch für das Schwurgericht Bedeutung, stellen aber bei Verwerfung der Einsprache nicht die Fähigkeit mit Wirkung für die Einzelsache fest. Das Urteil unterliegt der Revision bei Unfähigkeit eines Urteilsgeschworenen, möchte auch das Landgericht die Fähigkeit ausgesprochen haben. Das Schwurgericht hat selbständig zu prüfen, ob die zur Auslosung in der Einzelsache erschienenen Geschworenen die Fähigkeit zum Amte besitzen. V. Aus der J a h r e s h a u p t l i s t e wird für jede Sitzungsperiode durch Auslosung die S p r u c h l i s t e 7 gebildet. Die J a h r e s h i l f s l i s t e dient für alle Sessionen gleichmäfsig zur Deckung sich ergebenden weiteren Geschworenenbedarfs. Spätestens zwei Wochen vor Beginn der Sitzungen des Schwurgerichts hat der Landgerichtspräsident in öffentlicher Sitzung des Landgerichts dreifsig Hauptgeschworene zur Spruchliste auszulosen, § 91 GVG. Geheime Losung wäre nichtig und mit ihr jedes Urteil, das ein auf Grund einer so entstandenen Spruchliste gebildetes Schwurgericht gefällt hätte. Eine Ausfertigung der Spruchliste wird vom Landgericht dem ernannten Vorsitzenden des Schwurgerichts übersandt, § 92 GVG, unter Hinzufügung von Ausfertigungen der Jahreshaupt- und Jahreshilfsliste, deren der Vorsitzende zu ergänzenden Auslosungen bedarf, § 94 GVG, § 280 StPO. Auf Geschworene, welche in einer früheren Sitzungsperiode desselben Geschäftsjahres ihre Verpflichtung erfüllt haben, erstreckt die Auslosung sich nur dann, wenn dies von ihnen beantragt wird, § 91 Abs. 1. Eine solche Pflichterfüllung ist zu finden in dem Erscheinen des Geschworenen mindestens zu einer Schwurgerichtssitzung, vorausgesetzt dafs die Auslosung auf ihn erstreckt wurde und dafs er nicht im Laufe der Session einer Pflichtwidrigkeit sich schuldig gemacht hat (insbesondere durch unentschuldigtes Ausbleiben bei einer Hauptverhandlung). Mitglied einer Jury 7

In Osterreich: Dienstliste.

§ 3. Die Bestimmung

er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

braucht der Geschworene nicht geworden zu sein. Auch ein Hilfsgeschworener hat den Befreiungsgrund des § 91 für sich, wenn er als Ersatzmann der Auslosung mit unterworfen worden ist (§ 280 StPO). Eine Berichtigung der Jahreshauptliste vor der Auslosung zur Spruchliste steht dem Landgerichtspräsidenten nicht zu. Dagegen hat das Landgericht diese Befugnis, und zwar in derselben Besetzung, in der es über Einsprachen gegen die Richtigkeit der Urliste betreffs solcher Personen, die in die \7orschlagsliste aufgenommen sind, nach § 89 GVG entscheidet (unter Anteilnahme von fünf Mitgliedern mit Einschlufs des Präsidenten und der Direktoren). Die Jahresliste soll nur aus fähigen und nicht — gemäfs §§ 33, 34 GVG — instruktioneil ausgeschlossenen Geschworenen bestehen. Kommen Unfähigkeits-, Ausschliefsungsgründe erst nach Bildung der Jahresliste, nach Bescheidung der erhobenen Einsprache, zur Kenntnis des Landgerichts, so mufs dieses zu nachträglicher Berichtigung der Jahresliste in der Lage sein. Dafür spricht die Analogie des § 52 GVG, wonach die entsprechende Befugnis dem Amtsrichter ausdrücklich beigelegt ist, wenn die Unfähigkeit einer als Schöffe in die Jahresliste aufgenommenen Person oder ein instruktioneller Ausschliefsungsgrund bezüglich eines solchen Schöffen eintritt oder bekannt wird. Es darf nicht vorkommen, dafs unfähige Geschworene, obwohl dem Landgericht diese Tatsache bekannt ist, mit zur Spruchliste ausgelost werden, ihre Ausscheidung erst in der Hauptverhandlung möglich wird (§ 279 StPO) und dann nach Umständen Hilfsgeschworene unter Aufschub der Verhandlungen herangezogen werden müssen (§ 280). Der unfähig befundene Geschworene ist vom Landgericht in der Jahresliste zu streichen. Bei Annahme instruktionellen Ausschliefsungsgrundes ist auszusprechen, dafs der Geschworene zur Dienstleistung ferner nicht heranzuziehen sei. Beides in Analogie des § 52. Sind solche Entscheidungen erfolgt, nachdem die Spruchliste schon aufgestellt und an den Schwurgerichtsvorsitzenden gesandt war, so mufs, wenn der Ausgeschiedene in ihr oder der Jahreshilfsliste enthalten ist , dem Vorsitzenden Nachricht gegeben werden. Die Entscheidung des Landgerichts ist präjudiziell für das Schwurgericht. Näher: der Schwurgerichtsvorsitzende hat die Amtspflicht, die Spruchliste zu berichtigen entsprechend den vom Landgericht zur Jahresliste verfügten Korrekturen und die betroffenen Geschworenen von den Losungen auszuscheiden. Die Fernhaltung ist aber nicht Prοzef spflicht des

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§ 3. Die Bestimmung

er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

Gerichts. Revision gegen das Urteil steht nicht schon deshalb zu, weil ein vom Landgericht removierter Geschworener bei der Auslosung mitberücksichtigt wurde. Die Mitwirkung eines Unfähigen beim Spruch hingegen ergibt Ungültigkeit des Urteils, mag bereits das Landgericht ihn in der Jahresliste gestrichen haben oder nur vom Schwurgericht die Ausscheidung bei Beginn der Hauptverhandlung (§ 279) versäumt worden sein. Neuaufnahme von Geschworenen in die Jahresliste vor Auslosung der Spruchliste wäre in gleicher Weise fehlerhaft wie entsprechende Ergänzung der Vorschlagsliste. Also Ungültigkeit des Urteils, an dem der Eingeschobene teilgenommen hätte, Ungültigkeit der Spruchliste nur bei e r h e b l i c h e r Vermehrung der Geschworenenzahl8. VI. Nach Einsendung der Spruchliste an den Schwurgerichtsvorsitzenden wird nicht sofort die Sitzungsperiode eröffnet, es bedarf noch einer vom Vorsitzenden zu leitenden Vorbereitungstätigkeit. Es müssen die Geschworenen geladen werden, häufig noch Entscheidungen ergehen über geltend gemachte Ablehnungs-, Hinderungs-, Weigerungsgründe und zuweilen noch Zulosungen zur Spruchliste erfolgen. Die Ladung der Sessionsgeschworenen, d. h. der in der Spruchliste verzeichneten Geschworenen, geschieht zur Eröffnungssitzung und damit von selbst zu allen weiteren Sitzungen cler Session auf Anordnung des Vorsitzenden durch die Staatsanwaltschaft, wobei tunlichst die Frist von einer Woche, mindestens jedoch von drei Tagen, zwischen der Zustellung und der Eröffnungssitzung einzuhalten ist, § 93 GVG. Eine Verkürzung der Minimalfrist kann das Ausbleiben eines — entfernter wohnenden usw. — Geschworenen entschuldigen, macht aber keineswegs die Ladung unbeachtlich. Über die von Geschworenen geltend gemachten „Ablehnungsund Hinderungsgründe" erfolgt die Entscheidung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch die richterlichen Mitglieder und, so lange das Schwurgericht nicht zusammengetreten ist, durch den ernannten Vorsitzenden des Schwurgerichts unter Ausschlufs der Beschwerde, § 94 GVG. Stellvertretender Entscheid durch den Strafkammervorsitzenden vor Ernennung des Schwurgerichtspräsidenten ist nicht zulässig. Es bedarf der zeitigen Bestellung des letzteren, schon damit im Bedarfsfalle die Spruchliste vor dem Sessionsbeginn noch durch Zulosungen aus der Jahresliste ergänzt 8

Vgl. oben S. 45 Anm. 6.

§ 3. Die Bestimmung er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

werden kann. Unter dem „Schwurgericht", das zusammentritt, ist im § 94 verstanden die ideale Einheit der sich — in den einzelnen Sitzungen — ablösenden Richterkollegien, der während der Session permanent bestehende, wenn auch in feiner Zusammensetzung stets wechselnde Gerichtskörper „Schwurgericht" 9 . Das Zusammentreten dieses „Schwurgerichts" ist identisch mit dem Sessionsbeginn (mit dem Beginn der „Schwurgerichtssitzung" nach Österr. §§ 297 f.). Das „Schwurgericht" besteht, die Session hat begonnen, sobald der Vorsitzende mit den beiden Mitrichtern zur Abhaltung der ersten Schwurgerichtssitzung sich vereinigt hat, nicht erst mit der Auslosung der Jury für die erste Hauptverhandlung. Unter den „Ablehnungs- und Hinderungsgründen" des Gesetzes dürfen nicht mit verstanden werden die Unfähigkeitsgründe 10. Kommen solche noch in Frage, so hat das Landgericht zu entscheiden und von etwaigen Streichungen unfähig Befundener in der Jahresliste dem Schwurgerichtsvorsitzenden zwecks gleicher Berichtigung der Spruchliste Mitteilung zu machen (vgl. oben sub V). Schwurgerichtliche Entscheidung über Unfähigkeitsgründe greift nur platz, wenn solche anläfslich der Geschworenenauslosung hervortreten. Denn die Ausscheidung Unfähiger von der Auslosung ist — zur Vermeidung ungültigen Urteils — Prozefspflicht des Gerichts. Das Gesetz, § 279 StPO, verfügt für diesen Fall die Streichung von der Spruchliste. Dem Landgericht ist Anzeige zu machen, damit die Jahresliste entsprechend berichtigt werden kann. Die Geltendmachung von A b l e h n u n g s g r ü n d e n , § 35 GVG, ist nicht an eine Frist gebunden, wie das beim Schöffendienst zutrifft (§ 53 GVG), aber sie sind verzichtbar. Dem ausdrücklichen Verzichte steht gleich, dafs sich der Geschworene ohne Widerspruch einer Auslosung mit unterworfen hat. Der Verzicht wirkt für die Dauer der Session. „ H i n d e r u n g s g r ü n d e " sind Krankheit, wichtige Geschäfte usw. ; sie können für einen, für mehrere Sitzungstage usw. bestehen. 9

Der „Gerichtskörper" im Sinne des Textes steht im Gegensatz sowohl zur „Gerichtsbehörde", bei der die „Spruchgerichte" für die einzelnen Sachen gebildet werden, als zu den letzteren. Die Unterscheidung von Gerichtsbehörde und Spruchgericht, die nach L a b a n d s Vorgang (Reichsstaatsrecht I I I S. 403f.) allgemein angenommen worden ist, kann, da sie den „Gerichtskörper" beiseite läfst, nicht als erschöpfend gelten. 10 Anders die herrschende Meinung (v. K r i e s , Lehrb. S. 137; L ö w e I i e i l weg zu § 94 Bern. 2 usw.). B i n d i n g , Handbuch. I X . 4. I I I : G l a s e r - 0 e t k e r , Strafprozefs I I I .

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Die Bestimmung

er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

Die A u s s c h l i e f s u n g s g r ü n d e der §§ 33, 34 GVG berechtigen den Geschworenen zur Weigerung des Dienstes. Ebenso die Mitauslosung zur Spruchliste ohne Antrag, wenn der Geschworene in einer früheren Sitzungsperiode desselben Geschäftsjahres seine Verpflichtung bereits erfüllt hatte, § 91 Abs. 2. Das Schwurgericht kann über eine ihm erklärte Weigerung nur für die Dauer der Session entscheiden, denn es besteht nur in dieser. Und die gleiche Bedeutung hat Entscheid des Vorsitzenden vor dem Sessionsbeginn. Es ist auszusprechen, dafs der Geschworene in dieser Periode zum Dienst nicht heranzuziehen sei. Das Landgericht hingegen, dem obliegt, vor der Bildung der Spruchliste und nachher die Jahresliste zu kontrollieren, hat die Fernhaltung instruktioneil ausgeschlossener Geschworenen für die Dauer des Geschäftsjahres und bereits von Amtswegen zu verfügen. Die Form für Befreiungsgesuche wegen Ablehnungs- oder Hinderungsgrundes und für Weigerung wegen Ausschliefsungsgrundes ist schriftliche Eingabe oder Erklärung zu Protokoll des Gerichtsschreibers (der Strafkammer des Landgerichts). Nach dem Zusammentreten des Schwurgerichts können die Erklärungen auch anläfslich der einzelnen Hauptverhandlung erfolgen, ein Fall, auf den später einzugehen ist 1 1 . Mit Einreihung in die Spruchliste wird die Dienstpflicht der Geschworenen von der Justizverwaltung in Anspruch genommen. Daher können Befreiungsgesuche und Weigerungen solcher Geschworener alsbald, schon vor ihrer Ladung zur Eröffnungssitzung, beim Schwurgerichtsvorsitzenden angebracht werden. Aufnahme in die Jahreshilfsliste macht den Geschworenen, da diese Liste für alle Sessionen dient, immer auch zum Sessionshilfsgeschworenen. Daher steht nichts im Wege, dafs diese Hilfsgeschworenen, sobald der Schwurgerichtsvorsitzende ernannt worden ist, Ablehnungsund Weigerungsgründe bei ihm zur Geltung bringen, während Dispensationsgesuche wegen Hinderungsgrundes von ihnen natürlich erst dann angebracht werden können, nachdem im Laufe der Session zur Deckung entstandenen Geschworenenausfalls ihre Zulosung zur Spruchliste erfolgt und damit ihre Dienstpflicht wirksam geworden ist. Wie die Einreihung in die Listen Justizverwaltungsgeschäft ist, so hat auch die Bescheidung des Freigabe-usw.-Gesuchs nicht die Bedeutung eines Prozefsdekrets, sondern einer Inzident11

Vgl. unten § 4 sub I I I .

§ 3. Die Bestimmung cler Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

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entscheidung im Justizverwaltungsverfahren. Die Tatsache, clafs die entsprechende Geschworenenerklärung auch gelegentlich der einzelnen schwurgerichtlichen Verhandlung abgegeben werden kann, ändert nicht den Rechtscharakter des Entscheids. An Stelle hiernach wegfallender Geschworener der Spruchliste hat der Vorsitzende, „wenn es noch geschehen kann", aus der Jahreshauptliste durch Auslosung weitere Geschworene auf die Spruchliste zu bringen und deren Ladung anzuordnen, § 94 Abs. 2 GVG. Der Wegfall kann feststehen für die ganze Session oder den ganzen Rest der Session (Beurlaubung für die zweite unci etwa noch folgende Wochen usw.). Nicht mit gemeint ist Dispensation nur für einzelne Tage. Diese Ergänzung ist geeignet, Heranziehung von Hilfsgeschworenen im Laufe der Session zu erübrigen. Möglichst geringe Belastung der Hilfsgeschworenen aber liegt in der Absicht des Gesetzgebers. Die Zulosung von Hauptgeschworenen ist bis zum Beginne der Eröffnungssitzung r e c h t l i c h möglich 12 . Aber bei einer Ergänzung noch im letzten Moment bleibt zweifelhaft, ob das Erscheinen der Zugelosten zur Anfangssitzung noch erwirkt werden kann. Das Ermessen des Vorsitzenden entscheidet über die Rätlichkeit einer so späten Zulosung. Nach Beginn der Eröffnungssitzung kann weiterer Bedarf nur aus der Liste cler Hilfsgeschworenen entnommen werden, § 280 StPO. Die Losziehung geschieht durch den Vorsitzenden in nicht öffentlicher Sitzung, ohne dafs es cler Anwesenheit der Staatsanwaltschaft bedarf. Berichtigung der Jahresliste vor der Zulosung steht dem Vorsitzenden nicht zu, aber es könnte aus der Auslassung eines vermeintlich Unfähigen bei der Losziehung nicht ein Nichtigkeitsgrund für die Zulosung entnommen werden. Ein Geschworener hingegen, der nicht durch Auslosung, sondern durch willkürliche Auswahl auf clie Spruchliste gekommen wäre, hätte nicht die Befähigung zum Dienste. VII. Um Überlastung des einzelnen mit Gerichtsdienst zu vermeiden, hat das Gesetz untersagt, dieselbe Person für dasselbe Geschäftsjahr zugleich als Geschworenen und als Schöffen zu bestimmen, § 97 Abs. 1 GVG. Sollte dies dennoch geschehen sein, so soll der Einberufene dasjenige Amt übernehmen, zu welchem er zuerst einberufen wird, § 97 Abs. 2. Mit dem gesetzlichen Verbote der mehrfachen Berufung ist — in Erweiterung der §§ 33, 12

Vgl. auch O p p e n h o f f ,

Rechtsprechung des Ob.-Trib. X V I I S. 410 f. 4*

3. Die Bestimmung er Richter und Geschworenen für die Sitzungsperiode.

34 GVG — ein instruktioneller Ausschliefsungsgrund für denjenigen Gerichtsdienst gegeben, dem die Priorität der anderweiten Berufung entgegensteht. Es ergibt sich aber aus dem Gesetz ferner ein Recht des Fernbleibens gegenüber der späteren Einberufung, während sonst ein Ausgeschlossener nur durch gerichtliche Anerkennung des Ausschliefsungsgrundes vom Gerichtsdienste frei wird. Ein Ungültigkeitsgrund liegt in der Anteilnahme des Ausgeschlossenen am Gericht auch in diesem Falle nicht. Ist die erste Einberufung zum Schöffendienste erfolgt, so hat das Landgericht entsprechend seiner Pflicht zur Aufstellung und Kontrolle der Jahreslisten die Removierung des Geschworenen auf die Dauer des Geschäftsjahres zu verfügen. Das Schwurgericht und vor dem Beginne der Session der Schwurgerichtsvorsitzende könnte entsprechende Anordnung nur mit Wirkung für die Session treffen, während doch der Geschworene von allen Sessionen des Geschäftsjahres auszuschliefsen ist. Immerhin ist schwurgerichtliche Entscheidung dann am Platze, wenn der Geschworene bereits in die Spruchliste aufgenommen ist, die frühere Berufung zum Schöffendienste jetzt erst zur Kenntnis kommt und zur Herbeiführung genereller landgerichtlicher Anordnung nicht mehr Zeit ist (Ausbleiben des Geschworenen oder Weigerung desselben in der Hauptverhandlung usw.). Der Geschworene ist dann für die Session auszuscheiden, unter Mitteilung an das Landgericht zwecks genereller Verfügung. Verzicht des Geschworenen auf die Beachtung des Ausschliefsungsgrundes würde unwirksam sein, da das Gesetz die doppelte Funktion nicht will. Er wäre also trotz des Verzichts auszuscheiden, es müfste denn eine Auslosung in bestimmter Sache unter Einbeziehung des Geschworenen bereits begonnen haben ; diese Losung dürfte dann nicht sistiert werden, für clie nächste Sache aber bestände wieder die Removierungspflicht. B. Die Besetzung der Geschworenenbank. Der Bildung der Einzeljury geht eine vorbereitende Konstituierungstätigkeit voran. Sie äufsert sich in Informierung der Parteien über clas für die Auslosung in Betracht kommende Geschworenenpersonal und in Prüfung der Fähigkeit der auszulosenden Geschworenen. Demnach gliedert sich die Darstellung des Bildungsherganges nach vorbereitendem und ausführendem Stadium.

§ 4. Die Vorbereitung der Auslosung.

§ 4.

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D i e V o r b e r e i t u n g der Auslosung.

Das Gesetz gestattet den Parteien, Geschworene abzulehnen. Die gehörige Ausübung dieses Rechts setzt voraus, dafs den Berechtigten die nötige Personalkenntnis rechtzeitig vermittelt wird. Das Gesetz hat die Ausschliefsungsgründe, die für Richter gelten, auf die Geschworenen ausgedehnt und ausdehnen müssen, weil ganz die gleichen Erwägungen, wie sie einen Richter von der Ausübung seines Amtes removieren, auch bei der Aburteilung durch Geschworene zutreffen. Und neben einer so begründeten relativen Unfähigkeit eines Geschworenen kann auch noch die absolute Unfähigkeit zum Amte bei Gelegenheit der einzelnen Hauptverhandlung sich ergeben. Vor der Auslosung ist stets die Fähigkeit der anwesenden Geschworenen in beiden Richtungen zu prüfen. Die vorbereitende Aktion des Gerichts dient dem doppelten Zwecke, für die Parteientschliefsung über Annahme oder Ablehnung von Geschworenen das erforderliche Material zu liefern und unfähige Geschworene von der Auslosung auszuscheiden. I. Dem Angeklagten mufs vor dem Tage, an welchem die Hauptverhandlung beginnen soll, die Spruchliste zugänglich gemacht werden 1. Das geschieht durch Zustellung der Liste an den verhafteten Angeklagten, durch Niederlegung auf der Gerichtsschreiberei für den auf freiem Fufse befindlichen Angeklagten, § 277 StPO. Aus der Spruchliste sind Vor- und Zunamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort der Geschworenen ersichtlich, also diejenigen Personalien, deren der Angeklagte zur Entschliefsung über den Gebrauch seines Ablehnungsrechtes bedarf. Mitteilung gleichen Inhalts ist dem Angeklagten zu machen, wenn nachträglich eine Ergänzung der Spruchliste aus der Jahresliste der Haupt- oder Hilfsgeschworenen erfolgt ist, § 94 Abs. 2 GVG, § 280 Abs. 3, § 277 Abs. 2 StPO ; hierzu genügt statt Zustellung mündliche Bekanntgabe durch den Vorsitzenden oder in dessen Auftrage durch den Gerichtsschreiber „bis zum Beginne der Hauptverhandlung". Der Angeklagte kann aus dem Unterlassen formeller 1

Österr. § 303 bestimmt, dafs das Verzeichnis der Haupt- und Ergänzungsgeschworenen und die Namen der zum Geschworenengericht berufenen Mitglieder des Gerichtshofs jedem Angeklagten „bei sonstiger Nichtigkeit" spätestens am dritten Tage vor demjenigen, an welchem die Hauptverhandlung beginnen soll, durch den Gerichtshof erster Instanz mitzuteilen seien.

§ 4.

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Die Vorbereitung der Auslosung.

Zustellung — im Falle der Inhaftierung, § 277 Abs. 1 — einen Revisionsgrund nicht ableiten, wenn formlose Behändigung der Liste ihm die Möglichkeit genügender Kenntnisnahme gegeben hatte 2 . Da ein auf freiem Fufse befindlicher Angeklagter noch am Tage vor der Verhandlung Gelegenheit zur Einsichtnahme hat r so mufs, wenn der Angeklagte an dem der Hauptverhandlung vorgängigen Tage verhaftet wird, ihm die Liste noch zugestellt werden 3. War der Angeklagte bei der ergänzenden Losziehung aus der Liste der Hilfsgeschworenen, § 280 Abs. 2 StPO, zugegen, so ist er insoweit bereits genügend informiert. Mitteilungen an den Verteidiger ergehen nicht 4 . Streichungen in der Spruchliste nach Zustellung an den Angeklagten — wegen absoluter Unfähigkeit von Geschworenen, § 279 StPO usw. — sind diesem ebenfalls bekannt zu geben5, denn auch diese Negative kann ihn beim Gebrauche des Ablehnungsrechts mitbestimmen. Mitangeklagten ist gesondert zuzustellen. Zu Mitteilungen an die Staatsanwaltschaft ist nur sehr selten Veranlassung : wenn das Schwurgericht Streichungen in der Spruchliste bewirkt hat im Gefolge gleicher Streichungen in der Jahresliste durch das Landgericht, § 89 Abs. 2 GVG 6 . Denn bei der Bildung der Spruchliste, § 91 Abs. 1 GVG, ist die Staatsanwaltschaft vertreten, ebenso bei Ergänzung dieser Liste in der Hauptverhandlung aus der Liste der Hilfsgeschworenen, § 280 StPO, und bei Streichung unfähiger Geschworener durch das Schwurgericht (bei Beginn der Hauptverhandlung). Hat eine ergänzende Auslosung aus der Jahresliste der Hauptgeschworenen stattgefunden, § 94 Abs. 2 GVG, so war zwar die Staatsanwaltschaft nicht zu2

RG 3. Str.-S. R. V S. 175. Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 277 Bern. 3. Nicht bei Verhaftung erst am Verhandlungstage, O p p e n h o f f , Rechtsprechung V I I S. 655. 4 Nach den Beschlüssen der Kommission für die Reform des Strafprozesses soll die Spruchliste auch dem zu den Akten legitimierten Verteidiger zugestellt werden, weil der verhaftete Angeklagte nicht selten die Spruchliste aus Unachtsamkeit verliere, Prot. Bd. I I S. 32. 6 Dagegen wird von Beurlaubungen usw. von Geschworenen Mitteilung nicht gemacht. Es tritt hierdurch eine Änderung in der „Spruchliste", dem Objekte der Notifizierungspflicht, nur ein, wenn es deshalb zu einer Ergänzungslosung kommt. Die letztere ist dann zu notifizieren. Vgi. RG 4. Str.-S. E , Bd. 36 S. 82. 6 Vgl. oben S. 47. 3

§ 4. Die Vorbereitung der Auslosung.

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gegen, aber sie hat die zugelosten Geschworenen auf Anordnung des Schwurgerichtsvorsitzenden zu laden, '§ 93 GVG, und wird so informiert. In Ermangelung gehöriger Bekanntgabe (1er Personalien, bei versäumter, verspäteter Zustellung usw., hat der Angeklagte bis zum Beginne der Auslosung Anspruch auf Aussetzung der Verhandlung. Das Recht des Angeklagten erst zu präkludieren mit einer Erklärung desselben über Annahme oder Ablehnung eines Geschworenen ohne Aussetzungsantragist schon deshalb falsch, weil er Erklärungen überhaupt nicht abzugeben braucht, wenn er sie aber abgibt, mit einem gleichzeitig gestellten Aussetzungsantrag in offenbaren Widerspruch treten würde. Der Angeklagte hat das Recht, sich der Auslosung zu widersetzen durch Aussetzungsantrag, nicht, eine Auslosung erst beginnen zu lassen und dann ihre Sistierung zu verlangen. Nur dann steht Aussetzungsantrag noch nach dem Auslosungsbeginne frei, wenn die Mitteilung in relevanter Hinsicht positiv unrichtig war oder stattgehabte Ergänzungslosung nicht mit umfafste. Es kommt dann darauf an, in welchem Moment der Verhandlung der Angeklagte auf den Fehler aufmerksam wurde. Ob er in diesem Sinne rechtzeitig Aussetzung begehrt hat, steht zum richterlichen Ermessen. Hat er erst nach der Verhandlung den Irrtum bemerkt, so würde Revision von Erfolg sein: wenn das Revisionsgericht annimmt, dafs der Fehler für den Gebrauch des Ablehnungsrechts kausâl gewesen sein kann und der Angeklagte erst nach der Verhandlung darauf aufmerksam wurde 8 . Verwerfung begründeten Aussetzungsantrags ist immer Revisionsgrund. II. In der Hauptverhandlung werden vor der Auslosung die erschienenen Geschworenen unter Mitteilung der gesetzlichen Bestimmungen, der Tat des Angeklagten und des Verletzten zur Anzeige etwaiger Ausschliefsungsgründe aufgefordert, § 279 Abs. 1 9 . Unterbliebene Befragung begründet Revision, wenn es infolgedessen zur Teilnahme eines ausgeschlossenen Geschworenen an der Verhandlung gekommen ist 1 0 . 7

So RG 3. Str.-S. E. Bd. 8 S. 233. Zu weitgehend RG 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 37 S. 164. 9 Ähnlich Österreich § 306; die Anfrage ergeht auch an den Ankläger^ den Privatbeteiligten und den Angeklagten; sie ist „bei sonstiger Nichtigkeit" vorgeschrieben. 10 RG 4. Str.-S. E. Bd. 12 S. 121, 122. A. A. G ö r r e s , Wahrspruch der 8

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§ 4.

Die Vorbereitung der Auslosung.

AusschliefsuDgsgründe sind die Momente des § 22 StPO, vgl. § 32 das. Dafs der Untersuchungsrichter und der Referent der Beschlufskammer des Landgerichts demnächst in derselben Sache der Geschworenenspruchliste angehören, wird nur sehr selten zutreffen, es ist aber nicht einzusehen, weshalb nicht in solchem Falle der Geschworene ebenso ausgeschlossen sein soll, wie es nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift, § 31 StPO, bei einem Schöffen der Fall wäre; § 32 bedarf insofern der analogen Ausdehnung11. Einen weiteren Ausschliefsungsgrund liefert § 317 StPO : nach Verwerfung des Wahrspruchs durch den Gerichtshof darf an der neuen Verhandlung kein Geschworener teilnehmen, welcher bei dem früheren Spruche mitgewirkt hatte. Absolute Unfähigkeit ist bei Geschworenen die gleiche, wie bei Schöffen, es entscheiden die §§ 31, 32 GVG. Die Prüfung bezieht sich nur auf erschienene Geschworene und wird auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung gerichtet, so dafs ein früher übersehener, dann aber weggefallener Unfähigkeitsgrund (Konkurszustand z. B.) der Anteilnahme des Geschworenen nicht entgegensteht12. Absolut unfähig Befundene werden in der Spruchliste gestrichen, § 279 Abs. 2. Jeder anderen Berichtigung dieser Liste hat sich das Gericht zu enthalten. Die Entscheidung über das Ausscheiden eines Geschworenen erfolgt nach dessen Anhörung. Auch die Parteien sind zu hören, § 33; sie können auch den Antrag auf Ausscheidung stellen. Die Entscheidung ist zu verkünden und mit Gründen zu versehen. Beschwerde findet nicht statt. Das Urteil aber unterliegt der Revision, wenn ein absolut oder relativ unfähiger Geschworener mitgewirkt hat — nicht schon wegen seiner Mitauslosung — und ferner dann, wenn Ausscheidung zu Unrecht geschehen i s t 1 3 . Das Geschworenen S. 81: schon die Nichtbefragung sei Revisionsgrund. Aber wie kann die Nichtkonstatierung, dafs ein Ausschliefsungsgrund nicht vorhanden sei, dem Bestehen eines solchen gleich wirken? 11 Vgl. B i n d i n g , Grundrifs § 39 I I I . A. A. G l a s e r I I S. 119. 12 RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 241 f. 13 Vgl. in letzterer Hinsicht RG 4. Str.-S. E. Bd. 17 S. 177; 2. Str.-S. E. Bd. 37 S. 414. A. A. v. K r i e s S. 138. Die Parteien haben nicht Revision wegen fälschlicher Annahme der relativen Unfähigkeit eines Berufsrichters oder Schöffen, denn sie erhalten an dessen Statt einen gleich qualifizierten anderen Urteiler. Grundlose Fern-

§

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ie Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Recht der Parteien ist verletzt durch Zulassung eines unfähigen Richters und durch Verminderung des der Auslosung zu unterwerfenden Geschworenenpersonals um eine befähigte Person. Im ersteren Falle besteht nach § 377 Z. 2 (bei relativer Unfähigkeit, während auf absolute Z. 1 zutreffen würde), im letzteren nach Z. 1 das. ein absoluter Revisionsgrund. Streichung absolut Unfähiger von der Liste ist ein alle Sachen der Sitzungsperiode berührender, also ein g e η e r e 11 e r Konstituierungsakt. Der Zusammenhang mit der einzelnen Hauptverhandlung ist unorganisch. Λ τοη der Streichung ist dem Landgericht Kenntnis zu geben, damit entsprechende Berichtigung der Jahresliste erzielt wird. I I I . Ablehnungs-, Weigerungs- und Hinderungsgründe können von den Geschworenen auch in der Hauptverhandlung zur Kognition des Gerichts gebracht werden, § 94 GVG. Aber es steht diese Entscheidung nur unter den Normen des Gerichtsverfassungsgesetzes, nicht der Strafprozefsordnung. Nur die Staatsanwaltschaft ist zu hören, nicht der Angeklagte, § 94. Der Konstituierungsakt steht mit der einzelnen Hauptverhandlung nur in ganz äufserlicher Verbindung. Die Entscheidung kann niemals Revisionsrecht einer Partei ergeben. Ein Anspruch der Parteien auf Festhaltung von Geschworenen in der Spruchliste durch Verwerfung des Dispensationsgesuchs, des behaupteten Ablehnungsgrundes usw., wäre nicht zu begründen. Die Rechtslage ist ganz die nämliche, mögen Gesuch und Entscheidung vor oder in der Hauptverhandlung erfolgt sein. Die Konstituierungstätigkeit der berufenen Organe ist generelles Justizverwaltungsgeschäft ohne prozessuale Relevanz. Daher geschieht denn auch die Beurkundung eines anläfslich der Hauptverhandlung angebrachten Dispensationsgesuchs usw. und seiner Bescheidung abgesondert vom Hauptverhandlungsprotokoll. § 5. D i e A u s l o s u n g und d i e B e e i d i g u n g der Geschworenen1. Die Vollmacht für das Gericht geht dahin, aus der Spruchliste im Rechtssinne unter Voraussetzung der Anwesenheit von haltung eines Geschworenen von der Auslosung aber schmälert durch Minderung des auszulosenden Personals die den Parteien zustehende Mitwirkung an der Besetzung der Geschworenenbank. 1 Die österreichischen Vorschriften, §§ 304 f., entsprechen im wesentlichen den deutschen. Aber es fällt nur die B e e i d i g u n g der Geschworenen in die Hauptverhandlung.

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Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

mindestens 24 dienstfähigen und dienstbereiten Geschworenen die Geschworenenbank durch Auslosung zu bilden. Die Spruchliste und nur sie, eventuell nach gesetzentsprechender Ergänzung, liefert der Einzelsache die Urteiler. Durch clas Erfordern einer Mindestzahl von Geschworenen in dem angegebenen Sinne werden die Ablehnungsrechte der Parteien vom Gesetze gewährleistet. I. Die Spruchliste ist die gerichtsverfassungsmäfsig aus der Jahreshauptliste der Geschworenen im Wege der Auslosung hergestellte Sessionsliste. Indem die StPO die Bildung der Geschworenenbank aus der Spruchliste — wieder durch Auslosung — vorschreibt und diesen Konstituierungsakt in die Hauptverhandlung verweist, gibt sie den Parteien ein durch Revision geschütztes Recht auf Einhaltung dieses Modus, § 377 Ζ. 1. Eine Verletzung des Gesetzes mit Wirkung für die Einzelsache würde vorliegen, wenn das Schwur, gericht oder schon zuvor das Landgericht der Spruchliste einen weiteren Namen hinzugefügt hätte und dieser „Geschworene" mit zur Auslosung gebracht worden wäre. Nicht erst die Anteilnahme eines solchen Geschworenen am Gericht ergäbe Revisionsrecht, schon die Mitauslosung als Verstofs gegen absolute Gesetzesvorschrift, § 377 Ζ. 1, fundierte das Rechtsmittel. Eine Ergänzung der Sessionsliste ist nur zulässig im Wege der Zulosung: vor dem Sessionsbeginn aus der Jahreshauptliste, § 94 GVG, nachher aus der Jahreshilfsliste, § 280 StPO, beide Male durch den Vorsitzenden des Schwurgerichts. Die beiden Ergänzungslosungen haben wesentlich verschiedenen Rechtscharakter. Während sie nach ihrem inneren Wesen beide Justizverwaltungsgeschäfte sind, ist die strafprozefsordnungsmäfsige Zulosung — nach dem Sessionsbeginn aus der Jahreshilfsliste —, obwohl sie für eine Reihe von Hauptverhandlungen zu wirken vermag, doch vom Gesetze formell als Hauptverhandlungsakt behandelt. Daraus ergibt sich wieder, dafs Verstöfse gegen die Zulosungsvorschriften des Gesetzes als prozessuale Verstöfse mit der Konsequenz eines Revisionsrechts der Parteien wirken. Dagegen hätten Zuwiderhandlungen gegen den § 94 GVG bei Zulosung vor dem Sessionsbeginn, weil nur ein Justizverwaltungsgeschäft betreffend, an sich nicht Revisionseffekt, es müfste denn durch den Fehler die Liste den Charakter der Spruchliste im Rechtssinne eingebüfst haben und trotzdem aus dieser Liste in der Hauptverhandlung gelost worden sein: dann hätte für die Bankbildung die Vollmacht gefehlt. Ein materieller Grund für die ganz ver-

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

schiedene Behandlung der beiden Zulosungen, für die potenzierte Wirkung eines bei der Ergänzung aus der Jahreshilfsliste gemachten Fehlers ist nicht erfindlich, die Unterscheidung des Gesetzes in der Tat willkürlich. Einschiebungen von Geschworenen in die Vorschlagsliste seitens des Landgerichts vor Auswahl der Jahresgeschworenen, in die Jahresliste vor Auslosung der Sessionsgeschworenen ergeben gesetzwidrige Bildung des Einzelgerichts, an dem ein solcher Geschworener teilgenommen hätte, Nichtigkeit der Liste dagegen und der weiteren Konstituierungstätigkeit nur bei einer e r h e b l i c h e n Zahl derartiger Aufnahmen 2. Der gleichen Beurteilung unterliegen Einschiebungen in die Jahreshauptliste durch den Schwurgerichtsvorsitzenden vor Zulosung zur Spruchliste im Falle des § 94 GVG. Der Spruchliste geht nur unter dieser Voraussetzung ( e r h e b l i c h e Zahl von Neuaufnahmen) durch den Verstofs der Rechtsbestand verloren. Wird hingegen der gleiche Fehler unterstellt bezüglich der Jahreshilfsliste vor Zulosung zur Spruchliste, so ändert sich die Beurteilung, denn diese Ergänzung ist Akt der Hauptverhandlung und steht daher unter dem Revisionsrecht der Strafprozefsordnung. Die Einschiebung ergibt sonach im letzteren Falle einen absoluten Revisionsgrund, § 377 N. 1, auch wenn die Zulosung zur Spruchliste oder demnächst die Auslosung der Geschworenenbank den fälschlich Aufgenommenen wieder ausgeschieden hätte. Auch wirkt der Fehler nicht nur für die Hauptverhandlung, die direkt von ihm affiziert ist, sondern für alle weiteren Sachen, bei denen auf Grund der unrichtigen Listenkomplettierung zugezogene Hilfsgeschworene mit ausgelost wurden; die fehlerhafte Ergänzung bedeutet im Hinblick auf die letzteren Verhandlungen eine dem Urteil und der Hauptverhandlung vorgängige Entscheidung, auf der das Urteil mit beruht, § 375 StPO, eine Entscheidung über die Heranziehung von Geschworenen zur Gerichtsbildung. II. Ergänzende Zulosung ist erübrigt, die alsbaldige Bildung des Geschworenenkollegiums geboten im Falle der Anwesenheit von mindestens 24 fähigen und bereiten Geschworenen3. 2

Vgl. oben S. 45 Anm. 6 u. S. 48 Anm. 8. In Österreich § 307 ist die Präsenz von 24 dispositives Erfordernis. Wenn alle zur Ablehnung von Geschworenen Berechtigten sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben, darf die Bildung der Geschworenenbank auch bei Anwesenheit einer geringeren Zahl von Geschworenen erfolgen. 3

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Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Für das Präsenzerfordernis gelten die folgenden Grundsätze: 1. Ein Geschworener, der für die Verhandlung dispensiert war, aber doch erscheint und mitwirken will, ist einzurechnen4. Dagegen sind Geschworene, die für die ganze Session oder den ganzen Rest derselben freigegeben waren u n d im Wege ergänzender Auslosung aus der Jahreshauptliste, § 94 GVG, ersetzt worden sind, als definitiv ausgeschieden — für die Session — zu erachten. 2. Ablehnung der Funktion — § 35 GVG — und Weigerung des Dienstes — wegen eines der instruktionellen Ausschliefsungsgründe der §§ 33, 34 GVG — removieren im Falle stattgebenden Dekrets den Geschworenen für die Dauer der Session. Folglich darf er trotz nachträglicher Bereiterklärung nicht mit zur Auslosung gebracht werden. 3. Ein Ablehnungsrecht geht für die Session verloren, wenn es nicht bis zum Beginne der ersten Auslosung, zu der der Geschworene erschienen ist, geltend gemacht wird. 4. Ein Weigerungsrecht kann unter der Voraussetzung sub 3 in der von der Auslosung betroffenen Einzelsache nicht mehr geltend gemacht werden, indem es dem Geschworenen nicht zusteht, der von ihm zugelassenen Auslosung nachträglich in den Weg zu treten. Dagegen in späterer Verhandlung ist Weigerung wieder möglich. Die Fernhaltung weigerungsberechtigter Geschworener entspricht der Absicht des Gesetzes, sie „sollen nicht berufen werden" (§§ 33, 34 GVG). Mit dieser Tendenz stände im Widerspruch die Annahme genereller Wirkung eines ausdrücklich oder konkludent (durch Nichtgebrauch des Rechtes bei der Auslosung) erklärten Verzichtes auf Weigerung. 5. Das Weigerungsrecht eines Geschworenen, der in einer Periode des Geschäftsjahres seine Verpflichtung schon erfüllt hatte und entgegen dem § 91 Abs. 2 GVG ohne seinen Antrag zur Spruchliste wieder mit ausgelost worden ist, steht in der Frage des Verzichts einem Ablehnungsrechte gleich. 6. Weigerung des Geschworenendienstes wegen früherer Einberufung als Schöffe im nämlichen Geschäftsjahr, § 97 Abs. 2 GVG, kann an sich jederzeit erklärt werden, ohne dafs früherer Verzicht den Geschworenen bände, doch steht auch hier in der einzelnen Sache entgegen, wenn der Geschworene auf ihn mit erstreckte Auslosung ohne Widerspruch hat beginnen lassen. 4

RG 1. Str.-S. E. Bd. 9 S. 253 f.

§ 5.

Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

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7. Auch ein Gesuch um Dispensation würde nach einmal begonnener Auslosung zu spät kommen, abgesehen natürlich von nachträglich eingetretenem Hinderungsgrunde. Zu 3 bis 7. Der Rechtsgebrauch mufs sich in allen diesen Fällen an die Ordnung des Verfahrens binden und es zieht verspätete Geltendmachung den Verlust des Rechts für die einzelne Sache (4, 6, 7) oder die ganze Session (3, 5) nach sich. 8. Nicht dienstbereit ist auch ein solcher Geschworener, der dienstpflichtig wäre, dem Dispensation versagt worden ist oder der ohne den Erfolg der Freigabe einen Ablehnungsgrund geltend gemacht hatte usw. und der nun die Erfüllung seiner Obliegenheiten weigert. Die Strafe der §§ 56, 9(3 GVG ist von ihm verwirkt, aber erzwingen läfst sich die Übernahme des Urteileramtes nicht. Steht die Renitenz schon vor der Auslosung fest, so ist diese auf einen solchen Geschworenen nicht mit zu erstrecken; eine Gerichtsbildung, die sub conditione — wenn nämlich den Renitenten das Los treffen sollte — erfolglos bleiben müfste, ist nicht erst zu versuchen. — Mindestens vierundzwanzig zur Auslosung disponibele Geschworene müssen dienstfähig sein. Das Gesetz hat diese Ziffer vorgeschrieben, um den Parteien in entsprechendem Umfang Ablehnungen zu ermöglichen : zur Ausscheidung unfähiger Geschworener ist nicht die Ablehnung bestimmt, sondern das Gericht ex officio verpflichtet. Nur unter Voraussetzung eines hinreichenden Bestandes fähiger Geschworener hat das Ablehnungsrecht den vom Gesetz ihm zugedachten Wert. Dagegen ist die Vollmacht zur Gerichtsbildung nicht deshalb zu verneinen, weil in dem Mehr über vierundzwanzig ein unfähiger, aber nicht als solcher erkannter Geschworener enthalten ist 5 . Seine Nichtausscheidung ist auftragswidrig (§ 279); aber nicht schon seine Mitauslosung, erst seine Anteilnahme am Gericht würde Nichtigkeit ergeben. Die Entscheidungen über Ordnungsstrafen gegen Ausgebliebene (§§ 56, 96 Abs. 2 GVG) ergehen bei Gelegenheit der Hauptverhandlung, stehen aber mit dieser nur in äufserlicher Verbindung, sind nicht als prozessuale Dekrete in der Einzelsache zu erachten. I I I . Ein Minus an vierundzwanzig fähigen, bereiten Geschworenen mufs durch Heranziehung von Hilfsgeschworenen gedeckt werden. 5

Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 243.

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§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Die Ergänzung geschieht bis zu dreifsig mittels Losziehung durch den Vorsitzenden aus der Liste der Hilfsgeschworenen in öffentlicher Sitzung mit Wirkung für alle in der Sitzungsperiode noch zu verhandelnden Sachen, § 280 Abs. 2 StPO 6 . Erscheinen jedoch zu einer späteren Hauptverhandlung mehr als dreifsig Geschworene, indem früher Dispensierte, früher Ausgebliebene usw. nunmehr dienstbereit sind, so treten die überzähligen Hilfsgeschworenen in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Auslosung zurück, § 280 Abs. 5. 1. Zulosung aus der Liste der Hauptgeschworenen ist nur vor dem Sessionsbeginn statthaft, § 94 GVG. Würde im Laufe der Session diese Liste zur Ergänzung benutzt, so wäre die Komplettierung rechtsungültig und gemäfs § 377 N. 1 StPO ein absoluter Revisionsgrund gegeben, so oft auf derart zugezogene Geschworene die Auslosung sich erstreckt hätte. Denn in allen diesen Fällen wäre die Gerichtsbildung durch den Mangel affiziert. Geringere Wirkung hat ein Fehler in umgekehrter Richtung: Ergänzung der Spruchliste aus der Hilfsgeschworenenliste vor dem Sessionsbeginn. Die Norm des Gerichtsverfassungsgesetzes, § 94, ist verletzt und es fehlt für den Geschworenen an der gesetzlichen Berufung zum Amt, so dafs er einem Unfähigen gleich zu achten ist. Nicht schon seine Mitauslosung, nur seine Anteilnahme am Gericht ergibt Nichtigkeit. Die potenzierte Bedeutung jenes ersteren Verstofses erklärt sich aus der Herrschaft der strafprozessualen Regel. Der Konstituierungsakt ist Teil der Hauptverhandlung 7 oder doch als ein strafprozessual normierter, der Hauptverhandlung vorgängiger Entscheid zu erachten. In diesen beiden Fällen kommt der Revisionsgrund des § 377 Z. 1 in Anwendung : weil in der Hauptverhandlung die falsche Listenergänzung geschah oder auf Gruud des letzteren schon zuvor gemachten Fehlers die Geschworenenauslosung stattfand. Auch hier drängt sich wieder der Zweifel auf, ob die Beurteilung der beiden Ergänzungslosungen nach verschiedenen Prinzipien — nach dem Rechte des Gerichtsverfassungsgesetzes, 6 Anders der österreichische Vorgang. Die Sessionsliste umfafst neben den Hauptgeschworenen neun Ergänzungsgeschworene, die zu jeder Hauptverhandlung zu erscheinen haben. Sind nun weniger als dreifsig Hauptgeschworene anwesend, so werden die fehlenden aus den neun Ergänzungsgeschworenen in der durch das Los zu bestimmenden Reihenfolge ersetzt. § 18 des Ges. v. 23. Mai 1873, § 305 StPO. 7 A. A. B e n n e c k e - B e l i n g S. 540 Anm. 5.

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

nach strafprozessualer Norm — durch einen inneren Grund gestützt ist. 2. Die Hilfsgeschworenenliste ist ungeändert der Ergänzungslosung zugrunde zu legen. Weder Streichungen vermeintlich Unfähiger, noch Einschiebungen sind statthaft. Der Gebrauch einer dergestalt „berichtigten" Hilfsliste zur Komplettierung der Spruchliste würde dieser gesetzwidrigen Charakter geben, und es wäre daher jede Gericlitsbildung gesetzwidrig, die an der Hand einer solchen Spruchliste stattgefunden hätte. Streichung des Unfähigen darf erst geschehen, wenn er durch Zulosung aus der Hilfsliste auf die Spruchliste gekommen sein sollte. Eine Berichtigung der Hilfsliste hingegen steht dem Schwurgericht unter keinen Umständen zu. In die Zahl dreifsig ist der zugeloste Unfähige nicht einzurechnen, die Spruchliste also in solchem Falle noch um einen weiteren Namen zu ergänzen. Wieder ist der Gegensatz zu der Ergänzungslosung vor dem Sessionsbeginn — aus der Liste der Hauptgeschworenen — zu betonen. Die Auslassung eines Unfähigen hierbei würde einen Nichtigkeitsgrund nicht ergeben. Denn dieser Konstituierungsakt steht nicht unter der Regel des Prozefsgesetzes. 3. Die Zulosung nach dem Sessionsbeginn braucht nicht gerade, wie § 280 voraussetzt, in der Hauptverhandlung zu geschehen. Wenn im voraus feststeht — infolge von Dispensationen usw. —, dafs die Zahl von vierundzwanzig Geschworenen für eine Verhandlung nicht erreicht werden wird, so empfiehlt sich alsbald zur Ergänzung zu schreiten, zumal die Ladungen der zuzulosenden Geschworenen Zeit in Anspruch nehmen. Auch dann aber hat die Losziehung in öffentlicher Sitzung zu erfolgen. Indem das Gesetz für den allein geregelten Normalfall, Zulosung in der Hauptverhandlung, die Garantie der Öffentlichkeit verlangt, mufs wegen Gleichheit des Grundes dieses Erfordernis auch gelten, wenn ausnahmsweise schon vorher die Ergänzung sich ermöglicht. Ebenso bedarf es der Anwesenheit zweier beisitzenden Richter. Ein Mangel in der einen oder anderen Hinsicht begründet die Revision. 4. In jedem Falle ist eine Abschrift des Protokolls über die Zulosung zu den Generalakten über die Bildung der Schwurgerichte im Landgerichtsbezirk zu nehmen. Diese Notwendigkeit ist um so einleuchtender, als der Akt eine Reihe von Hauptverhandlungen betrifft. 5. Jeder Fehler der Zulosung nach dem Sessionsbeginn affiziert alle diejenigen Strafsachen, bei denen die Gerichtsbildung auf

5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Grund fälschlich ergänzter Spruchliste stattgefunden hat. So, wenn bei der Zulosung ein Namenszettel in der Urne gefehlt hat, ein Hilfsgeschworener also unberücksichtigt geblieben ist, für denselben Hilfsgeschworenen mehrere Zettel eingeworfen worden sind. Immer ist § 377 Z. 1 anwendbar: die Geschworenenbank war infolge des Versehens bei der Zulosung — in oder vor der Hauptverhandlung — nicht vorschriftsmäfsig besetzt. 6. Ein Plus oder Minus der Ergänzung gegenüber der gesetzlich bestimmten Zahl 30 macht nicht die Zulosung ungültig. Denn für die Gerichtsbildung genügt bereits ein Bestand von vierundzwanzig Geschworenen, während die Mitauslosung eines Einunddreifsigsten usw. gewifs nicht Parteirechte verletzt. 7. Die Spruchliste mehrt sich um die Namen der Zugelosten. Ablehnungs-, Weigerungs-, Hinderungs-, Unfähigkeitsgründe gewinnen für diese neuen Sessionsgeschworenen genau dieselbe Bedeutung, die sie bei den anderen haben. Fallen hiernach Neuzugeloste wieder fort, so ist zu unterscheiden, ob nur einzelne oder alle weiteren Verhandlungen dadurch betroffen sind. Dispensation nur für eine einzelne Sitzung ist nicht Grund zu fernerer Zulosung, wenn ein Bestand von vierundzwanzig disponibeln Geschworenen für diese Sitzung geblieben ist. Sind alle noch ausstehenden Verhandlungen berührt — Ablehnung, Weigerung der Funktion usw. —, so mufs durch neue Zulosung wieder die Zahl 30 erreicht werden, es müfste denn mittlerweile durch das Erscheinen von mindestens vierundzwanzig verfügbaren Geschworenen zu einer Hauptverhandlung die Veranlassung weggefallen sein, die ursprünglich gemäfs § 280 zu der Ergänzung geführt hat. 8. Dem zugelosten Hilfsgeschworenen ist in Analogie des § 91 Abs. 2 GVG ein Befreiungsanspruch zuzubilligen, wenn er in einer früheren Session des Geschäftsjahres seine Verpflichtung schon erfüllt hatte. Mangels Anwesenheit der Hilfsgeschworenen bei der Ergänzungslosung kann ihre Mitberücksichtigung nicht von ihrem Antrage abhängig sein, wie das für die Auslosung der Hauptgeschworenen zur Spruchliste im § 91 bestimmt ist. Die Heranziehung von Hauptgeschworenen trotz früherer Funktion ohne Antrag wird vom Gesetze mifsbilligt und es mufs daher in solchem Falle dem Betroffenen ein Weigerungsrecht 8 eingeräumt werden. Dagegen entspricht die Zulosung von Hilfsgeschworenen in gleichem 8 Dieses Weigerungsrecht wird in der Frage des Verzichts wie ein Ablehnungsrecht behandelt (oben sub I I 5).

§ 5.

Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Falle dem Willen des Gesetzgebers und ihre Dienstbereitschaft seinem Wunsche9, da andernfalls die Ergänzung des Geschworenenpersonals in den späteren Sessionen des Geschäftsjahres in Frage gestellt wäre; sonach ist statt eines Weigerungsrechts ein Ablehnungsrecht des Zugelosten wegen schon erfüllter Geschworenenpflicht anzunehmen. 9. Die zugelosten Hilfsgeschworenen sind in üblicher Weise zu laden. Es genügt aber formlose Benachrichtigung, wenn sie Erfolg hat, und in Eilfällen mag dieser Modus versucht werden. Zur Bankbildung reicht hin, wenn soviele Hilfsgeschworene erscheinen, dafs nun vierundzwanzig Geschworene zur Verfügung stehen. 10. Um übermäfsige Heranziehung von Hilfsgeschworenen zu verhüten, sind, sobald zu einer späteren Hauptverhandlung mehr als dreifsig Geschworene sich gestellt haben, die überzähligen Hilfsgeschworenen in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Auslosung wieder auszuscheiden, § 280 Abs. 5. Nicht treten sie, wie nach dem gesetzlichen Wortlaute angenommen werden möchte, von selbst zurück. Das Gericht hat die Voraussetzung des Rücktritts festzustellen, zumal den Hilfsgeschworenen die Reihenfolge ihrer Auslosung kaum bekannt sein wird. Die Überzähligen s i n d nicht befreit, sondern haben einen Freigabeanspruch an das Gericht. Ihre Einbehaltung in der Liste gibt ihnen Aufsichtsbeschwerde, nicht den Parteien Revisionsrecht 10 . Wohl würde ein Revisionsgrund sein die Freigabe in falscher Reihenfolge oder mangels der gesetzlichen Voraussetzung. Und zwar für alle Sachen, in denen die Jury auf Grund der falsch reduzierten Spruchliste gebildet worden wäre. Der Rücktritt bezieht sich nicht nur auf die eine ihn veranlassende Sache, sondern auf den ganzen Rest der Session. Die Freigegebenen werden in der Spruchliste gestrichen. Als nunmehr dienstbereit sind auch solche Geschworene einzurechnen, die nach dem Sessionsbeginne für alle Verhandlungen oder doch die noch ausstehenden befreit worden waren, wenn sie trotzdem zur Teilnahme sich melden. Denn die Zuziehung der Hilfsgeschworenen war nicht bestimmt, speziell für sie Ersatzleute zu liefern, vielmehr zur Deckung des entstandenen Defizits über9

Diese Erwägung ist in der Entsch. des 1. Str.-S. Bd. 12 S. 373 f. unberücksichtigt geblieben. 10 A. A. H. M e y e r in v. Holtzend. Handb. I I S. 121. B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 5.

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Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

haupt. Anders ist die Rechtslage im Falle der Zulosung vor dem Sessionsbeginn (aus der Jahreshauptliste), diese Listenergänzung schafft wegfallenden Geschworenen Substituten und scheidet damit jene definitiv aus. Da die Freigabe in der Hauptverhandlung geschieht, so wird sie im Sitzungsprotokolle mit beurkundet. Beglaubigter Protokollauszug ist zu den Generalakten zu nehmen. IV. Die Auslosung der Urteilsgeschworenen unter Voraussetzung genügender Präsenz hat sich streng nach den Vorschriften der §§ 281 bis 287 StPO zu richten. Ein Verstofs hiergegen ergibt ungesetzliche Gerichtsbildung und damit den in § 377 Z. 1 bestimmten absoluten Revisionsgrund 11. Der Vorgang der Losung besteht darin, dafs in öffentlicher Sitzung die Namenszettel in die Urne gelegt werden, der Vorsitzende die Gesamtzahl der beteiligten Geschworenen und die Zahl der den Parteien zustehenden Ablehnungen bekannt gibt, dann das Los zieht und die Namen verliest, worauf die Parteien sich über Annahme oder Ablehnung erklären. Das Ende der Auslosung ist gegeben, sobald zwölf — bei Hinzunahme eines Ergänzungsgeschworenen dreizehn usw. — nicht abgelehnte oder nicht mehr ablehnbare Urteilsgeschworene gewonnen sind und für sie die Reihenfolge der Stimmabgabe — sie richtet sich nach der Auslosung, § 199 Abs. 2 GVG — feststeht. Vorbereitenden Charakter haben der Namensaufruf der Geschworenen nach der Spruchliste, um die Präsenz zu konstatieren, und die schon besprochene Verhandlung über etwaige Unfähigkeitsund Ausschliefsungsgründe. 1. Die Auslosung dient nicht nur dem Zwecke der Personalbestimmung, sondern hat auch die Stimmenfolge zu regeln. Deshalb ist mit ihr fortzufahren, auch wenn die Ablehnungen bereits erschöpft sind, die in der Urne noch vorhandenen Zettel also unablehnbare Geschworene bezeichnen, die der Jury notwendig angehören. Denn es mufs auch für diese Geschworenen die Reihenfolge der Stimmabgabe reguliert werden. Die Losung in der letzteren Funktion hann somit die Personalauslosung überdauern. Die Losung ist in jedem Sinne beendigt nicht nur, wenn alle Urteilsgeschworenen bereits bestimmt sind, sondern auch, wenn nur ein Geschworener an der Zwölf-usw.-Zahl noch fehlt und nur 11

Verzicht einer Partei oder beider auf Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften ist wirkungslos. Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 242, 3. Str.-S. E. Bd. 14 S. 213, 214, 3. Str.-S. E. Bd. 26 S. 1 f.

§ 5.

Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

ein Zettel noch in der Urne ist. Denn mit der Verlesung dieses letzten Zettels wird ein bereits feststehendes Losungsergebnis verkündet. Die Personalauslosung endet bereits mit der letzten möglichen Ablehnung. Die Ziehung und Verlesung der nun noch restierenden Zettel hat nur für die Abstimmungsfolge Bedeutung. Der Beginn der Losung ist die Verlesung des ersten gezogenen Zettels. Mit diesem Moment sind Weigerungs- und Ablehnungsrechte von Geschworenen in der früher dargelegten Weise präkludiert. 2. Für die Losung der Geschworenen ist stets Öffentlichkeit vorgeschrieben, § 281. Erst für die folgende Sachverhandlung kann Ausschlufs der Öffentlichkeit in Betracht kommen. 3. Die Losziehung mufs durch den Vorsitzenden selbst geschehen, die Verlesung der Namen kann dem Gerichtsschreiber usw. überlassen werden. Der \7orsitzende ist bei der Losung an Gerichtsbeschlüsse gebunden über die Bemessung der Ablehnungsrechte der Parteien, über die Gesetzlichkeit des Losungsherganges usw. ; vgl. § 237 StPO 1 2 . Er fungiert insoweit als Organ des Kollegiums, nicht in selbständiger Befugnis. Der Richterbank kann nicht zugemutet werden mit einer nach ihrer — der Beisitzer — Überzeugung ungesetzlich gebildeten Geschworenenbank zur Verhandlung und Entscheidung sich zu vereinigen. 4. Die Bankbildung hat in einheitlicher Losung zu geschehen, Nachtragsauslosungen sind unzulässig. Fällt ein Geschworener nach Beendigung der Auslosung fort, weil er für unfähig erkannt wird, die Übernahme der Funktion verweigert usw., so erneuert sich das ganze Losungsgeschäft. Eine substituierende Einzelnachlosung wäre schon tatsächlich unmöglich, wenn die vorangegangene Losung alle Namenszettel konsumiert haben sollte. Denn schon geschehene Ablehnungen könnten doch in keinem Falle kassiert werden unter Zurücklegung der Zettel in die Urne zwecks weiterer Losung! Und auch eine Zulosung beschränkt auf noch nicht verbrauchte Zettel unter Gewährung von Ablehnungen nach dem Verhältnis der restierenden Zettelzahl zu dem weiteren Geschworenenbedarf entbehrte jedes gesetzlichen Anhalts. Dagegen wird anzunehmen sein, dafs bei dem Fortfall an12

Vgl. auch K l e i n f e l l e r ,

Funktionen des Vorsitzenden S. 231, 285. 5*

§

. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

genommener Geschworener w ä h r e n d der Losung diese, sofern es der noch vorhandene Zettelbestand der Urne erlaubt, bis zur Erreichung der vollen Urteilerzahl fortgeführt werden darf, eine Losungserneuerung sich erübrigt. Nach Beendigung der P e r s o n a l auslosung ist das freilich nicht mehr möglich, da in der Urne etwa noch befindliche Zettel ohnehin Urteilsgeschworene bezeichnen, zwischen denen nur noch die Stimmenfolge durch weitere Ziehung zu regulieren ist. Die noch im Gange befindliche Personallosung aber kann höchstens soviel Zettel verbraucht haben, dafs noch ein Name mehr in der Urne ist, als nach der ursprünglichen Annahme Geschworene weiter erforderlich waren. In diesen Grenzen ist also die Fortsetzung möglich. Aber es darf die ergänzende Losung nicht zu einer gesetzwidrigen Verschiebung der Ablehnungen führen. Die Zulosung des — im ganzen gerechnet — dreizehnten usw. Geschworenen mindert die zu gewährenden Ablehnungen um eine. Die Parteien müssen aber entweder die gleiche Zahl von Ablehnungen haben oder es gebührt dem Angeklagten eine, aber auch nur eine mehr als dem Staatsanwalt (§ 282 Abs. 2 StPO und unten sub 6 b). War ζ. B. nach der früheren Sachlage die Zahl der Ablehnungen ungleich und hat der Angeklagte sein Ablehnungsrecht voll konsumiert, so würde nun der Fortfall der einen Ablehnung den Staatsanwalt um zwei Ablehnungen ungünstiger stellen als den Angeklagten. In solchen Fällen mufs auf die Ergänzung verzichtet werden. Ebenso natürlich, wenn durch den Wegfall des schon Ausgelosten die Gesamtzahl der disponibeln Geschworenen unter vierundzwanzig herabgedrückt wird. Die durch zulässige Ergänzung bedingte Änderung des Ablehnungsrechts ist vom Vorsitzenden vor der Zulosung zu konstatieren. 5. Das Protokoll hat über den Hergang der Bankbildung erschöpfende Auskunft zu geben. Es gelten die Beweisregeln des § 274. Beglaubigte Abschrift dieses Protokollinhalts ist zu den Generalakten zu nehmen. 6. Die Geschworenenablehnung hat im Gegensatze zur Kichterablehnung einen rein formalen Charakter: sie geschieht ohne Angabe eines Grundes und bedarf daher auch materiell eines zureichenden Grundes nicht, sie ist andererseits zahlenmäfsig begrenzt 1 3 . 13 Das Unbefriedigende dieses Ilechtszustandes springt in die Augen. Doch müssen kritische Betrachtungen hier ausscheiden. Einen Verbesserungs-

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

a) Die Zahl der möglichen Ablehnungen ist gleich der Zahl der in der Urne befindlichen Namenszettel minus zwölf — minus dreizehn, vierzehn usw., wenn Ergänzungsgeschworene zugezogen werden sollen. Denn zwölf, dreizehn usw. Geschworene sind zur Bankbildung unentbehrlich. Die Ablehnung von Geschworenen nach Richter-Recht, §§ 24 f. StPO, ist unzulässig 14 . b) Die hiernach im Einzelfalle sich ergebenden Ablehnungen werden unter die Staatsanwaltschaft und den Angeklagten gleichmäfsig verteilt; bei ungerader Gesamtzahl hat der letztere eine Ablehnung mehr, § 282 Abs. 2 StPO. Ein Nebenkläger ist nicht ablehnungsberechtigt, § 437. Der Vorsitzende hat immer die Zahl der beiderseits zulässigen Ablehnungen ausdrücklich zu konstatieren, obwohl das Gesetz eine solche Pflicht nicht besonders ausgesprochen hat. Sollte eine Partei durch den Mangel entsprechender Bedeutung beirrt worden sein, so dafs sie bei gehöriger Information präsumtiv anders abgelehnt haben würde, so liegt darin ein wirksamer Revisionsgrund. Die Bank kann unter dieser Voraussetzung nicht als vorschriftsmäfsig besetzt gelten (§ 377 Z. 1 StPO). Mitangeklagte haben zusammen nicht mehr Ablehnungen als ein Alleinbeklagter. Die Konnexität kann somit eine erhebliche Schmälerung des Ablehnungsrechtes ergeben, ja bei einer grofsen Zahl von Beteiligten einige dieses Rechts überhaupt berauben. Am zweckmäfsigsten ist es, wenn die mehreren Angeklagten sich zu gemeinsamer Ausübung des Ablehnungsrechts, etwa durch einen Verteidiger, vereinigen. Der Vorsitzende wird gut tun, die Angeklagten auf diesen Modus hinzuweisen. Eine dem Geriçht angezeigte Vereinbarung ist zu protokollieren, da sie die Legitimation des einen Beteiligten ergibt, mit Wirkung für alle sich zu erklären. Kommt eine Vereinigung nicht zustande, so erfolgt gleichmäfsige Verteilung der Ablehnungen unter die Mitangeklagten; ein dabei sich ergebender Rest — z. B. von drei Ablehnungen bei vier Mitangeklagten — bedingt Ausscheidung eines oder einiger Angeklagten durch das Los, während den übrigen je eine Abvorschlag habe ich in Ger.-Saal Bd. 68 S. 102 aufgestellt. Für Beseitigung der peremtorischen Ablehnung hat sich K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte und Schöffengerichte I S. 11 ausgesprochen. 14 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 18 S. 238.

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lehnung zufällt (das der Sinn der inkorrekten Wendung: „über die Ausübung derjenigen Ablehnungen, welche sich nicht gleichmäfsig verteilen lassen, entscheidet das Los"), § 284 Abs. 2. Auch die Reihenfolge der Erklärungen ist für die Mitangeklagten in Ermangelung einer Vereinigung durch das Los zu bestimmen. Endlich entscheidet das Los über den Rücktritt von der Ablehnung, wenn mehr Angeklagte beteiligt sind, als Ablehnungen auf die Beklagtenseite entfallen. Bedeutung von Mitangeklagten, die sich nicht zu gemeinsamer Rechtsausübung vereinigen, über Zahl und Folge der Ablehnungen ist in besonderem Mafse Bedürfnis. Verkürzung des Rekusationsrechts einer Partei ist Revisionsgrund 1 5 . c. Der Verteidiger mufs bei der Auslosung zugegen sein, denn sie ist wesentlicher Hauptverhandlungsakt und die Ablehnung prozessualer Rechtsbehelf des Angeklagten. Gibt der Verteidiger die Erklärungen ab, so steht dem Angeklagten so lange Widerspruch dagegen zu, als er bei eigener Erklärung Widerrufsrecht hätte, vgl. § 283 Abs. 3 StPO l 6 . d. Sobald ein Name gezogen und aufgerufen ist, hat die Staatsanwaltschaft und sodann der Angeklagte durch die Worte „angenommen" oder „abgelehnt" die Annahme oder Ablehnung zu erklären, § 283 StPO. Nichtabgabe einer Erklärung wirkt wie Annahme, § 283 Abs. 2. Zurücknahme einer Erklärung ist so lange möglich, bis ein fernerer Name gezogen 1 7 oder die gesamte Ziehung für beendet erklärt ist, § 283 Abs. 3 ; unter dieser Voraussetzung kann der Staatsanwalt die Annahme noch widerrufen, obwohl auch der Angeklagte den Geschworenen bereits angenommen 15

RG 3. Str.S. bei Goltd. Bd. 49 S. 129. Ein selbständiges Recht des Verteidigers, Geschworene abzulehnen, also auch im Widerspruche mit den Erklärungen des Angeklagten, besteht nicht. Das formale Recht der Geschworenenablehnung und die Verteilung der zulässigen Ablehnungen auf die vorhandene Geschworenenzahl können begrifflich nicht zwei Subjekte zugleich haben, somit steht die Entscheidung beim Angeklagten. Zutreffend G l a s e r I I S. 247 Anm. 47. A. A. K ö h l e r , Lehre von der Verteidigung, Ger.-Saal Bd. 53 S. 220, 221. 17 Nicht bis zum A u f r u f e des Geschworenen. Vgl. RG Fer.-S. bei Goltd. Bd. 52 S. 403, wo das „Ziehen" des Zettels angenommen wird, wenn der Vorsitzende den Zettel in der Hand hält und den darauf befindlichen Namen gesehen hat. 16

§ 5.

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hat 1 8 . Ausdrücklicher Erklärung des Losungsschlusses steht gleich die Vornahme weiteren Verhandlungsaktes, der Geschworenenbeeidigung, der Befragung der Parteien einer am gleichen Tage folgenden Sache wegen Beibehaltung der Geschworenenbank (§ 286). Die Priorität der klägerischen Erklärung kommt, wenn beide Parteien denselben Geschworenen ablehnen wollen, dem Angeklagten zugute. Angabe von Gründen ist unzulässig, § 283 Abs. 1, und würde der Erklärung die Rechtswirkung nehmen , so dafs die Folge der Nichterklärung eintreten würde, der Geschworene als angenommen zu erachten wäre. Ebenso bei Erklärungen unter einer Bedingung, mit anderen als den vorgeschriebenen Worten „angenommen", „abgelehnt" usw. Angemessen erschiene aber in solchem Fall alsbaldige Bedeutung durch den Vorsitzenden, um die Partei, so lange Widerruf noch möglich, zur Richtigstellung ihrer Erklärung zu veranlassen. 7. Die Losung mufs auf alle anwesenden dienstpräsenten, d. h. dienstfähigen, dienstpflichtigen, dienstbereiten Geschworenen (vgl. oben sub II) gleichmäfsig erstreckt werden. Ein Plus, wie ein Minus von Zetteln in der Urne (Auslassung, mehrfache Berücksichtigung eines Geschworenen, Mitberücksichtigung eines ausgeschiedenen, ausgebliebenen usw. Geschworenen) macht die Losung ungültig. Denn ein solcher Fehler ergibt stets eine Veränderung der Losungschancen. Es darf daher nicht eingewandt werden, dafs die doppelte Ziehung desselben, die Ziehung eines ausgebliebenen usw. Geschworenen ja doch keinen Effekt haben könne. Würde im Laufe der Losung ein überschiefsender Zettel zurückgelegt, ein fehlender noch eingeworfen, so verliefe von nun an die Losung unter geänderten Bedingungen, während doch ihre einheitliche Durchführung vom Gesetze gewollt i s t 1 9 . Eine nichtbeabsichtigte gesetzwidrige Beeinflussung des Losungsgeschäfts liegt auch in versehentlicher Nichtmitverlesung eines gezogenen Zettels 20 . Derartige einmal gemachte Fehler lassen sich nur durch Wiederholung der ganzen Losung korrigieren. Anders, wenn ein entsprechender Verstofs nur affiziert denjenigen Teil der Losung, der lediglich noch zur Regulierung der 18

Vgl. G e y e r S. 317; L ö w e - H e l l w e g zu § 283 Bern. 5; U l i m a n n S. 143; B e n n e c k e - B e l i n g S. 541 Anm. 9 u. Α.; 2. Str.-S. E. Bd. 37 S. 421. Gegenteilig D a l c k e zu § 283 Bern. 3 u. A. 19 Dies verkennt die Entsch. des 3. Str.-S. R. V I I I S. 573 f. 20 RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 35 S. 396 f.

Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Abstimmungsfolge dient. Sind die Ablehnungen erschöpft, so steht fest, dafs diejenigen Geschworenen, deren Namen sich noch in der Urne befinden, Urteilsgeschworene sind: es hat nur der Vorsitzende durch weitere Losung zu bestimmen, in welcher Folge sie zu votieren haben. Wird diese Norm unrichtig gegeben, indem der Vorsitzende die Namen nicht nach cler Folge der Ziehung verlesen, schon gezogene Zettel wieder in die Urne zurückgeworfen hat usw., so ist das Geschworenenkollegium insofern gesetzwidrig konstituiert, als einem Teil der Geschworenen eine falsche Abstimmungsfolge vorgeschrieben ist. In erhöhtem Mafse wäre die Gesetzesverletzung vorhanden, wenn statt fernerer Losung die restierenden Zettel in beliebiger Folge vom Vorsitzenden verlesen wurden. Zur Korrektur genügt aber in solchen Fällen nachträgliche gesetzentsprechende Vornahme dieses Losungsabschnitts, Erneuerung auch der Personallosung wäre nicht nur überflüssig, sondern unzulässig. 8. Erneuerung der Losung ist nur zulässig und ist zugleich notwendig wegen eines Ungültigkeitsgrundes 21 — Auslosung aus weniger als vierundzwanzig oder doch aus weniger als vierundzwanzig fähigen Geschworenen, doppelte Auslosung desselben Geschworenen usw. — oder weil die begonnene Losung infolge Fortfalls gezogener, nach dem Zettelbestand der Urne nicht mehr zu ersetzender Geschworener (oben sub IV 4) nicht fortgeführt werden kann oder weil nach der Losung ein Geschworener den Dienst weigert oder durch Erkrankung usw. an weiterer Funktion behindert wird, während — im letzteren Falle — ein Ergänzungsgeschworener nicht zur Verfügung steht. Im übrigen mufs es bei dem Losungsergebnis, wie immer es ausgefallen sein mag, unbedingt bewenden. Der Erneuerung der Losung geht je nachdem voran Abbruch der im Gange befindlichen Losung oder Auflösung der schon gebildeten Jury. Grund der Losungserneuerung ist auch deren nichtöffentliche Vornahme. Allerdings wirkt dieser Fehler nicht unbedingt Urteilsnichtigkeit. Die Staatsanwaltschaft kann, wie die §§ 379, 377 Z. 6 ergeben, in solchem Falle nicht revidieren, wenn der Angeklagte von den Geschworenen für nichtschuldig erklärt worden i s t 2 2 . Das Gericht aber darf auf diese Heilung von ihm erkannter 21 22

RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 35 S. 396 f. Der Ausdruck im § 377 Z. 6 ist zu eng: nicht nur für „die mündliche

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Nichtigkeit nicht rechnen, mufs vielmehr für jeden Ausgang der deren Rechtsgültigkeit sicher stellen. Eine teilweise andere Beurteilung erfordert die nichtöffentliche Vornahme der Zulosung aus der Liste der Hilfsgeschworenen zwecks Ergänzung der Spruchliste 23 . Der Mangel kann hier nicht für eine einzelne Sache geheilt werden durch den Ausfall des Wahrspruchs in dieser Verhandlung, denn die Ergänzung hat generelle Bedeutung für alle in der Sitzungsperiode noch zu verhandelnden Sachen. Der Gerichtskonstituierungsakt bedingt zwar die Rechtsgültigkeit jeder einzelnen von ihm mitbetroffenen Verhandlung, gehört aber materiell keiner, den folgenden Verhandlungen auch formell nicht an. Nur unorganisch hängt er — kraft positiver Gesetzesbestimmung — mit der ersten Verhandlung zusammen, so dafs selbst für diese der heilende Effekt des Verdiktsausfalles zu verneinen ist. Der Mangel mufs vielmehr für alle Verhandlungen nach Mafsgabe des § 377, 1, im Sinne vorschriftswidriger Gerichtsbildung, darf für keine an der Hand des § 377, 6, als heilbarer Verstofs gegen das Prinzip der Öffentlichkeit, beurteilt werden. Eine verschiedene Behandlung des Fehlers für die erste und für die nachfolgenden Verhandlungen wäre verkehrt. Auch wenn schliefslich die Zulosung nur für die erste Sache sich als erheblich erweist, indem schon in der zweiten alle zugezogenen Hilfsgeschworenen wieder auszuscheiden sind, bleibt § 377, 1 anwendbar. Um so mehr ist genaueste Beachtung aller gesetzlichen Vorschriften bei dieser Zulosung geboten, um so dringender das Bedürfnis alsbaldiger Losungserneuerung bei rechtzeitiger Wahrnehmung eines vorgekommenen Versehens. Die normale Geschworenenauslosung läfst sich zweifellos so lange erneuern, als noch nicht die Geschworenen ihren Spruch abgegeben haben. Das Verdikt aber hat Urteilsnatur und einmal erfolgte Urteilsfällung scheint einer nachträglichen Auflösung des Verhandlung

Verhandlung" im engeren Sinn, sondern für die ganze Hauptverhandlung bedarf es der Öffentlichkeit. Ein Zweifel könnte insofern erhoben werden, als der Verstofs auch vorschriftswidrige Gerichtsbesetzung im Sinne des § 377 Z. 1 ergibt und ein solcher Mangel von der Beschränkung des § 379 nicht betroffen wird. In der Tat konkurrieren betreffs nichtöffentlicher Losung Z. 1 und 6 des § 377 als lex generalis und lex specialis. Da nun die lex specialis im § 379 ausgeschlossen ist, so mufs im Effekt die hier aufgestellte Revisionsbeschränkung auf die nichtöffentliche Losung mit bezogen werden. 23 Im Arch. Bd. 50 S. 214 f. ist dieser Punkt unbeiücksichtigt geblieben.

5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

urteilenden Kollegiums unter Beseitigung der schon gesprochenen Sentenz entgegenzustehen. Allein Verdikt der Geschworenen und Sachendurteil der Richterbank stehen in dem Verhältnis zu einander, dafs der Urteilscharakter des Spruchs erst mit Abgabe der letzteren Entscheidung endgültig festgestellt ist 2 4 . Das Fehlen einer Prozefs-, einer Urteilsvoraussetzung berechtigt nicht nur, sondern verpflichtet das Gericht, dem Verdikt das ergänzende, die Urteilsnatur des ersteren bejahende Sachendurteil zu weigern 25 . Wird aus solchem Grunde noch nach der Verdiktsabgabe das Verfahren eingestellt, die Verhandlung abgebrochen, so ist die Bedingung defiziert, unter der das Verdikt als Urteil wirkt. Sonach liegt im Verdikte kein Hindernis für Neubildung der Geschworenenbank. Der Auslosungsfehler ergibt den Mangel einer Urteilsvoraussetzung; es ist daher, wenn alsbald oder doch noch im Laufe der Verhandlung das Gericht auf den Verstofs aufmerksam wird, die Verhandlung abzubrechen, die Jury aufzulösen, die Losung und vor den neuen Geschworenen die Verhandlung zu erneuern. Für die Neubildung gilt das allgemeine Präsenzerfordernis, es wird deshalb nicht immer gelingen, gleich oder auch nur an demselben Tage noch die nötige Geschworenenzahl zur Stelle zu schaffen. Nur ein Losungsabschnitt, nicht die Losung überhaupt und nicht die Verhandlung ist erneuerungsbedürftig, wenn der Fehler nur die Festsetzung der Abstimmungsfolge betrifft. Auch hier gebricht es an einer Urteilsvoraussetzung, aber da die Bank mit denselben Geschworenen besetzt bleibt, so hätte ein Abbruch der Verhandlung keinen Sinn. Die partielle Neulosung wird auch in diesem Falle nicht gehindert durch bereits erfolgte Abgabe des Verdikts. Das letztere verliert seine Kraft; es ist Gültigkeitsvoraussetzung für das Verdikt und Bedingung zugleich für den Erlafs des Sachendurteils, dafs den Geschworenen die richtige Abstimmungsfolge vorgeschrieben war. Die Geschworenen haben einen neuen Spruch zu finden, und es mufs ihnen zu diesem Zwecke ein neuer Fragebogen behändigt werden 26 . Der Wegfall des Spruchs hat zur Folge, dafs die Fragen noch geändert werden können. Die Obmannswahl hingegen wird durch die Beseitigung des Verdikts nicht aufgehoben, sie ist ja schriftliche, von dem Konstituierungsfehler also nicht betroffene Wahl (§ 304 StPO). 24 25 26

Vgl. unten § 49 (rechtliche Bedeutung des Wahrspruchs). Vgl. unten § 65 (Bedingungen des Sachendurteils). Vgl. unten § 51 sub I V 2.

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Die Losungserneuerung kann, wenn der \Torsitzende nicht selbst auf den Mangel aufmerksam wird, von den beisitzenden Richtern, den Parteien, den Geschworenen angeregt werden. Die Vermeidung nichtigen Urteils ist unter allen Umständen Offizialpflicht des Gerichts 27 . Wie mit der Neubildung der Geschworenenbank die Hauptverhandlung sich erneuert, so auch umgekehrt mit der Erneuerung dieser die Neubildung jener. Kann eine unterbrochene Hauptverhandlung nicht innerhalb der Frist des § 228 StPO fortgesetzt werden oder tritt ein Wechsel im Kollegium cler Berufsrichter ein, so schliefst die neue Verhandlung als wesentlichen, unentbehrlichen Teil auch neue Geschworenenauslosung ein; vgl. in ersterer Hinsicht § 287 StPO. V. Auch der Ausfall eines Urteilsgeschworenen während der Verhandlung (Erkrankung, anderweite dringende Behinderung usw.) bedingt an sich, wenn nicht durch eine Verhandlungspause zu helfen ist, Neubildung der Jury und Erneuerung der Verhandlung. Um diese sehr mifsliche Folge zu vermeiden, läfst clas Gesetz die Zuziehung von Ergänzungsgeschworenen zu, § 285 StPO, § 194 Abs. 3 GVG in Analogie zu dem Institute der Ergänzungsrichter in § 194 Abs. 2 GVG. Es entscheidet dafür das Ermessen des Vorsitzenden. Die Anordnung ist zu protokollieren. Die Ablehnungen mindern sich entsprechend. 1. Die Anordnung und ihre Rücknahme sind nur bis zum Beginn der Auslosung zulässig 28 . Denn das Ablehnungsrecht der Parteien ist dadurch beeinflufst. Es fragt sich, ob der Geschworene X angenommen, abgelehnt worden wäre, wenn die Partei bei ihrer Erklärung gewufst hätte, dafs sie noch eine Ablehnung mehr erhalten, dafs sie eine noch verlieren würde. Auch in Gestalt der Losungserneuerung wären nachträgliche Anordnung, nachträglicher Widerruf unstatthaft, denn nur erkannte Ungültigkeit der Losung berechtigt zu solcher Mafsnahme. Doch ist der Auslosungsbeginn hier mit der Abweichung zu verstehen, dafs nicht bereits die Verlesung des ersten gezogenen Zettels, sondern erst die folgende Annahme- oder Ablehnungserklärung einer Partei das präklusive Moment bildet. Bis dahin 27

Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 32 S. 378 f.; 4. Str.-S. Bd. 33 S. 75. RG 3. Str.-S. E. Bd. 14 S. 206 f., Bd. 26 S. lf., Fer.-Sen. Bd. 34 S. 335. Ebenso die Mehrzahl der Kommentatoren. Α. Α. Κ l e i n f e i 1er, Funktionen des Vorsitzenden S. 230. 28

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§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

kann ohne Verletzung des Ablehnungsinteresses der Parteien noch anderweit verfügt werden. 2. Die Ergänzungsgeschworenen werden zuletzt ausgelost. Es ist für die Partei nicht unwichtig, zu wissen, ob sie sich über die Annahme eines Geschworenen erklärt, der von vornherein zur Mitwirkung am Spruche bestimmt ist oder nur im Bedarfsfalle in das Spruchkollegium einzutreten hat. 3. Die Ergänzungsgeschworenen haben alle sonstigen Rechte und Pflichten eines Geschworenen (Assistenzpflicht, Befragungsrecht usw.), Urteilsgewalt aber nur nach erfolgter Substitution. Sie sind wie andere Geschworene zu beeidigen (nicht erst beim Eintritt in die Urteilsjury) 29 . An der Beratung und Abstimmung der Geschworenen dürfen sie bei Meidung der Nichtigkeit nur teilnehmen, nachdem sie substituiert worden sind 80 . Unfähigkeit des Ergänzungsgeschworenen ergibt unter allen Umständen vorschriftswidrige Gerichtsbesetzung, § 377 Z. 1 3 1 ; seine Ausschliefsung vom Richteramte kraft Gesetzes dagegen ist absoluter Revisionsgrund gemäfs § 377 Z. 2 nur, wenn er kraft Substitution am Urteile sich beteiligt h a t 3 2 . Ein Recht auf Verbleiben im Gericht aber haben noch nicht substituierte Ergänzungsgeschworene nicht, der Vorsitzende kann im Laufe der Verhandlung das Bedürfnis ihrer weiteren Assistenz verneinen und sie entlassen83. 4. Über die Frage der Behinderung eines Geschworenen, den Eintritt des Ergänzungsgeschworenen entscheidet das Gericht 84 , nicht nur der Vorsitzende 35 , nach Anhörung der Parteien durch zu verkündenden, in das Protokoll aufzunehmenden Beschlufs. 29 Andernfalls Urteilsnichtigkeit, auch wenn es zur Substitution nicht gekommen ist. 30 Andernfalls Urteilsnichtigkeit, RG 1. Str.-S. E. Bd. 6 S. 60 f. 31 Abweichend S e u f f e r t , Besetzung der Schöffengerichte und Schwurgerichte S. 7: nur wenn der Ergänzungsgeschworene Urteiler geworden sei. Allein die Funktionen eines Geschworenen erschöpfen sich doch nicht in der Urteilsfindung. Die Gewährung der Geschworenenrechte an einen Unfähigen ist immer Nichtigkeitsgrund. 32 Ist's zur Substitution nicht gekommen, so kann der Ausschliefsungsgrund nur gemäfs § 376 wirken, wenn der Ergänzungsgeschworene prozessual tätig geworden ist und Kausalnexus mit dem Urteile angenommen wird. 33 RG 3. Str.-S. E. Bd. 14 S. 211. 34 RG 2. Str.-S. E. Bd. 13 S. 192 f. Ebenso österr. Kass.-Hof 28. Sept. 1887, Plen.-Beschl. u. Entsch. Bd. 10 S. 103. 35 Entscheid durch den Vorsitzenden allein ist gebilligt worden von RG

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Dafs die Substitutionsanordnung eine die Rechtslage der Parteien tangierende Entscheidung ist, kann mit Fug nicht bestritten werden. Die Partei hätte den Ergänzungsgeschworenen als prinzipalen Urteilsgeschworenen vielleicht nicht angenommen: schon deshalb und weil jedenfalls ein Wechsel im Urteiler-Personal mifslich ist, den Rechtsuchenden erspart bleiben mufs, wenn nicht ein zwingender Grund dafür besteht, bedarf es der Anhörung der Parteien, § 33 StPO 86 . Der hauptsächlichste Substitutionsfall ist Erkrankung eines Geschworenen. Weit seltener werden anderweite Behinderungen (z. B. schwere Erkrankung eines Familiengliedes, Ausbruch eines Brandes im Hause des Geschworenen u. dgl.) in Betracht kommen. Immerhin wird das Gericht eher geneigt sein, einen Hinderungsgrund gelten zu lassen, wenn ein Ergänzungsgeschworener zur Verfügung steht, als in Ermangelung des Ersatzes unter Sprengung der Jury und der Verhandlung. Ein Enthebungsantrag des Geschworenen ist nicht notwendige Vorbedingung, der plötzlich schwer Erkrankte usw. wird ihn vielleicht nicht stellen können. Zur Substitution berechtigt nicht pflichtwidrige Einstellung der Funktion 37 . Einen Urteiler mit Gewalt im Gerichte festzuhalten, wäre allerdings unwürdig und zwecklos, da ein Zwang zum Urteilen nicht denkbar ist. Weigert ein Geschworener, wegen Gewissensbedenken usw., die fernere Dienstleistung, so verfällt er disziplinarer Bestrafung (§ 96 GVG), sein Ausscheiden aber und damit die Auflösung der Jury kann nicht verhindert werden; der Ein2. Str.-S. E. Bd. 38 S. 43 f. Allein da die analogen Entscheidungen über die Befähigung eines Geschworenen, die Gültigkeit einer Losung, von Ablehnungserklärungen usw. immer vom Gericht ausgehen, so kann es in diesem Falle nicht anders sein. Das Reichsgericht meint, bei „zweifelloser" Behinderung sei Gerichtsentscheid überflüssig, während solcher ergehen müsse, wenn ein Geschworener einen nach billigem Ermessen zu beurteilenden Abhaltungsgrund geltend mache. Diese Unterscheidung ist aber gesetzlich nicht zu rechtfertigen und würde die Beurteilung der Notwendigkeit eines Gerichtsbeschlusses ganz dem Vorsitzenden überlassen. 36 Ob §33 auf Konstituierungsbeschlüsse — im Gegensatz zu eigentlichen Prozefsdekreten — generell anwendbar ist, kann dahin gestellt bleiben. Im Falle des Textes sind durch den Beschlufs zweifellos Parteirechte betroffen, und es ist daher § 33 sicher mafsgebend. Indem RG 1. Str.-S. E. Bd. 7 S. 284 das Gehör der Parteien nur fordert, wenn sie das Wort zu einem Antrage verlangen sollten, setzt es sich mit § 33 in Widerspruch. 87 Vielleicht anderer Ansicht, jedenfalls in der Begründung anfechtbar RG Fer.-S. E. Bd. 30 S. 226 f.

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tritt eines Ergänzungsgeschworenen setzt einen gerichtlich anerkannten B e h i n d e r u n g s g r u n d voraus. Ergänzungsgeschworene sind auch nicht dazu bestimmt, Geschworene zu ersetzen, deren absolute oder relative Unfähigkeit dem Gerichte im Laufe der Verhandlung bekannt wird 3 8 . Solche Urteiler sollen eben von vornherein ferngehalten werden. Nur der Eintritt einer tatsächlichen Behinderung ist justa causa substitutionis. Der Substituierungsbeschlufs gibt den Grund an. Eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht findet statt, soweit der Rechtsbegriff des Hinderungsgrundes in Frage steht, nicht nach der Ermessensseite hin. Substituierung ist auch noch möglich nach Abgabe des Wahrspruchs, da bis zum Schlufs der Verhandlung, bis zur Urteilsverkündung, eine voll besetzte Geschworenenbank bestehen mufs 89 . Sind mehrere Ergänzungsgeschworene zugezogen worden, so haben sie in der Reihenfolge der Auslosung einzutreten, § 285 Abs. 2. Revision, wenn hiervon abgewichen sein sollte. 5. Für die Substitution bedarf's, obwohl sie Konstituierungsakt ist, nicht der Wiederherstellung der Öffentlichkeit 40 . Nur für die ursprüngliche Bildung cler Bank ist diese schlechthin vorgeschrieben. VI. Die Bildung der Jury geschieht immer nur für eine Verhandlung, nicht in Zusammenfassung mehrerer Sachen 41 unter Beteiligung aller Angeklagten an der Ablehnung, so dafs nach gleichzeitigem Beginn der Verhandlungen nun die weiteren bis zur Erledigung der ersten (also leicht über die Grenze des § 228 StPO hinaus) auszusetzen wären. Aber das Gesetz läfst zu, dafs die für eine Sache gebildete Geschworenenbank in weiteren an dem38

Unrichtig RG 4. Str.-S. E. Bd. 35 S. 372 f. Doch ist nicht anzunehmen, dafs durch die Versäumung der Substituierung Nichtigkeit entsteht, vorausgesetzt, dafs der Ergänzungsgeschworene in dieser Eigenschaft weiter anwesend geblieben war. Die fernere Assistenzpfticht hatte er ja (falls nicht etwa der Vorsitzende nach Abgabe des Wahrspruchs seine Entlassung verfügt hatte, wodurch bei späterem Wegfall eines Urteilsgeschworenen weitere Verhandlung in Ermangelung der nötigen Geschworenenzahl unmöglich geworden wäre). Die „vorschriftsmäfsige Besetzung" der Geschworenenbank bei Urteilsverkündung usw. blofs deshalb zu verneinen, weil der Ergänzungsgeschworene nicht in die Stelle des weggefallenen Urteilsgeschworenen eingewiesen war, erschiene formalistisch. 40 Vgl. RG 3. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 52 S. 91. 41 Vgl. auch O p p e n h o f f , Rechtsprechung des Ob.-Trib. Bd. IV S. 107f. 39

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

selben Tage anstehenden Verhandlungen in Funktion bleibt, falls die bei den letzteren Sachen beteiligten Angeklagten und die Staatsanwaltschaft sich damit vor der Beeidigung der Geschworenen einverstanden erklärt haben, § 286 42 . Infolge dieser Vorschrift kommt in den folgenden Sachen ausnahmsweise die Priorität der Gerichtsbildung vor dem Verhandlungsbeginn, das normale Verhältnis, zur Geltung. 1. Die weiteren Sachen müssen an demselben Tage zur Hauptverhandlung anstehen, nicht notwendig demnächst auch wirklich an ihm noch zur Verhandlung kommen oder gar zu Ende verhandelt werden. Ist einmal das Verbleiben der Jury vereinbart, so bewendet es dabei, auch wenn die erste, die zweite usw. Sache mehr Zeit beansprucht, als veranschlagt war; ja auch eine Änderung der Reihenfolge fernerer Sachen dergestalt, dafs die zweite, von der Vereinbarung allein betroffene die dritte Stelle erhält, die bisher dritte als zweite Verhandlung mit neuer Gerichtsbildung eingeschoben wird, die Jury der ersten Sache in der nun dritten Verhandlung bleibt, ist rechtlich durchaus möglich. 2. Der Verzicht auf Neubildung der Bank kann nicht v o r der Auslosung in der ersten Sache erklärt werden 43 . Die Parteien der folgenden Verhandlung unterwerfen sich der für die erste g e b i l d e t e n Jury, akzeptieren — eine Art von pi^orogatio judicis — diese Geschworenen. Die Erklärung mufs andererseits vor der Beeidigung der Geschworenen erfolgen, § 286; es sind diese nun zugleich für die mehreren Sachen zu beeidigen. Sukzessive Beeidigung in getrennten Akten wäre unzulässig, Verzicht nach der Beeidigung kommt daher zu spät. Der Verzicht kann nur mündlich, nur i n der Verhandlung erklärt werden. Die Angeklagten der folgenden Sachen müssen daher mit ihren Verteidigern zur Stelle sein, am besten schon während der Auslosung, jedenfalls unmittelbar nach deren Beendigung. Die Staatsanwaltschaft ist ohnehin vertreten, Identität des verzichtenden und des in der späteren Sache auftretenden Staatsanwalts nicht erforderlich. Ohne Assistenz des Verteidigers kann der Angeklagte dem Verbleiben der Jury nicht zustimmen, 42

Korrespondierend § 22 Österr. Ges. betr. Bildung der Geschworenenlisten v. 23. Mai 1873. Dazu G l a s e r , Artikel „Geschworene" in v. Holtz. Rechtslex. I I S. 141, 142. 43 H. M e y e r bei v. Holtz. I l S. 124. A. A. G l a s e r in v. Holtzend. Rechtslexikon I I S. 142.

Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

denn er gibt damit das Recht der Ablehnung auf 4 4 . War der Angeklagte nicht schon bei der Auslosung zugegen, so ist angemessen , nicht rechtsnotwendig, dafs ihm der Vorsitzende die Namen der ausgelosten Geschworenen bekannt gibt, ehe er die Verzichtserklärung entgegennimmt. Das Unterbleiben solcher Mitteilung hebt aber nicht die Wirkung des mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Verteidigers erfolgten Verzichts auf 4 5 . Der Zustimmung des Gerichts bedarf es nicht. Die Erklärungen können spontan oder auf Befragen des Vorsitzenden abgegeben werden. Die Beibehaltung der Jury für die folgende Sache braucht nicht vom Vorsitzenden besonders deklariert zu werden. In der Beeidigung der Geschworenen zu beiden usw. Sachen liegt diese Bestimmung. Späterer Widerruf der Verzichtserklärungen ist ausgeschlossen , würde scheitern an dem schon ergangenen Konstituierungsbeschlufs, wie solcher in der kombinierten Beeidigung latent, wenn nicht zuvor ausdrücklich, gegeben ist. Der Verzicht auf die Neubildung ist aber nicht zugleich Verzicht auf die Geltendmachung von Auslosungsfehlern. Die verzichtenden Parteien behalten das hieraus sich ergebende Revisionsrecht in vollem Umfange 46 . Die korrespondierenden Parteiverzichte bilden nicht einen Prorogationsvertrag, sie sind einseitige, zusammen den gerichtlichen Konstituierungsbeschlufs auslösende Willenserklärungen. Daher steht bis zum Erlasse dieses Dekrets — in formulierter oder latenter Weise — jeder Partei die Rücknahme des Verzichts frei, auch wenn der andere Teil sich schon ebenso erklärt hatte. Die Ablehnung der Vertragsauffassung ergibt einen wesentlichen Unterschied der strafprozessualen prorogatio judicis gegenüber der zivilprozessualen prorogatio fori (soweit diese sich durch Vereinbarung, nicht lediglich in der Form des § 39 ZPO betätigt), begründet durch den Gegensatz der mafsgebenden Prozefsprinzipien. Die prorogatio judicis bezieht sich nur auf die Geschworenenbank, nicht auf das Berufsrichterkollegium. Als Richter der 44

Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 18 S. 361, wo aber irrig auf § 377 Z. 5 statt Z. 1 daselbst verwiesen wird. 45 A. A. L ö w e - H e l l w e g zu § 286 Bern. 6. 46 Vgl. auch RG 3. Str.-S. E. Bd. 14 S. 213. Anders O p p e n h o f f , Rechtsprechung X S. 549.

§ 5.

Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

folgenden Sache fungieren die im Justizverwaltungswege dafür berufenen Personen, § 83 GVG 4 7 . Die Angeklagten der späteren Sachen müssen bei der Beeidigung der gemeinsamen Geschworenen zugegen sein. So ausdrücklich § 288 StPO. Es ist dieses Erfordernis aber nicht auch auf die Verteidiger cler weiteren Angeklagten zu erstrecken. Nur die Abgabe der Verzichtserklärung erheischt die Anwesenheit des Verteidigers. Die Beeidigung für die weiteren Sachen geht der Hauptverhandlung in ihnen voraus, daher sind die §§ 140, 145 StPO nicht im Sinne eines solchen Präsenzverlangens zu verwerten. Wird in der zweiten Sache Neubildung cler Jury verlangt, während die Parteien der dritten an demselben Tage anstehenden Verhandlung die Jury der ersten Sache zu prorogieren bereit sind, so kann durch Vorschieben der dritten Sache vor die zweite der Verbleib der Jury für jene erreicht werden 48 . 3. Da Ausschliefsungsgründe in der späteren Sache clie Geschworenen an der weiteren Funktion behindern würden, so hat der Vorsitzende, ehe er die Parteierklärungen entgegennimmt, entsprechende Feststellung zu treffen. Zweckmäfsigerweise geschieht das noch vor der Auslosung, indem cler Bestand von Ausschliefsungsgründen für die folgende Sache durch deren Voranstellung unschädlich gemacht werden kann, falls die Parteien der ersten, nunmehr zweiten Sache in den Verbleib der so gebildeten Jury willigen 49 . 4. Der Verzicht vertritt neue Auslosung, also einen an sich gebotenen Akt der folgenden Hauptverhandlung, ist aber nicht ein antizipiertes Stück dieser Hauptverhandlung. Bei der letzteren Auffassung müfsten auch die Richter der ersten Sache in der folgenden bleiben — denn ein Wechsel des Richterpersonals während der Verhandlung ist nach § 225 StPO ganz unzulässig —, während doch die Prorogation nur auf das Geschworenenkollegium sich bezieht 50 . Es dürfte auch die weitere Verhandlung der zweiten Sache von dem Verzicht höchstens durch die Zwischenzeit 47

Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 29 S. 389. L ö w e - H e l l w e g zu § 286 Bern. 8 hält dieses Verfahren ohne stichhaltigen Grund für unzulässig. 49 Richtig L ö w e - H e l l w e g zu § 286 Bern. 4. 50 RG 2. Str.-S. E. Bd. 29 S. 338 f. meint, die Vereinbarung sei Teil der Hauptverhandlung, aber entbunden von der Vorschrift des § 225. Wie wäre das möglich? Zutreffend B e n n e c k e - B e l i n g S. 542. 4S

B i n d i n g , Handbuch. I X . 4. I I I :

G l a s e v - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 5.

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Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

des § 228 StPO getrennt sein, eine Beschränkung, die zwar zumeist ohne praktische Bedeutung ist, gelegentlich aber doch erheblich werden könnte — bei unvorhergesehener Verlängerung der ersten \7erhandlung durch weitere Beweiserhebungen —, von der aber jedenfalls das Gesetz nichts weifs 51 . 5. Die Beeidigung der Geschworenen zugleich für die späteren Sachen ergibt für diese in Verbindung mit der Auslosung und den Verzichtserklärungen den jurykonstituierenden A k t 5 2 . Eine sonst anomalerweise in die Hauptverhandlung verwiesene Gerichtsbildung geht hier der zugehörigen Hauptverhandlung voran, bildet aber formell einen Teil früherer Hauptverhandlung. Aus dieser Sachbehandlung folgt, dafs Ungültigkeitsgründe, die der Gerichtsbildung speziell im Hinblick auf die folgende Sache anhaften, z. B. Abgabe des Verzichts in Abwesenheit des Verteidigers dieser Sache, Fehlen des verzichtenden Angeklagten bei der Beeidigung der Geschworenen, relative Unfähigkeit eines Geschworenen wegen seiner Beziehungen zur zweiten Sache, den Rechtsbestand der ersten Verhandlung ganz unberührt lassen; dafs andererseits Nichtigkeiten nur betreffs der ersten Sache die zweite nicht mit ergreifen : denn die nur formelle Eingliederung der Gerichtsbildung für die zweite Sache in die Verhandlung der ersten macht nicht auch jene vitiös wegen eines Vitiums, das nicht der Gerichtsbildung an sich, sondern nur im Hinblick auf die erste Sache anhaftet. Relative Unfähigkeit eines Geschworenen der ersten Sache für diese schadet nicht der folgenden Verhandlung, wohl ein Verstofs gegen die gesetzlichen Losungsvorschriften an sich, wozu gehören würde nicht-öffentliche Losung, Losung in Abwesenheit einer Partei der ersten Sache, Verletzung des Ablehnungsrechtes einer Partei usw., dagegen wiederum nicht Beeidigung der Geschworenen in Abwesenheit einer Erstpartei, des Verteidigers des Erstbeklagten, wohl nicht-öffentliche Beeidigung — entgegen der absoluten Vorschrift des § 288 Abs. 2 StPO. Infolge der Vereinbarung steht die eine Losung gleich mehreren mit genau demselben Ergebnis unter der Herrschaft der gleichen Losungsvorschriften, wobei nur die Anwesenheit der Zweitparteien, 51

Frühere Prozefsgesetze haben zuweilen eine Maximalzwischenzeit bestimmt, Preufs. 1852 Art. 68; Preufs. 1867 § 10. So auch Österreich Ges. v. 23. Mai 1873 betr. Bildung der Geschw.-Listen § 22. Die herrschende Ansicht nimmt für das Reichsrecht gleiches, die Geltung des § 228, ohne jeden gesetzlichen Grund an. 52 Nicht präzis genug die Darstellung im Arch. Bd. 50 S. 240 f.

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

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ihre Annahme- und Ablehnungserklärungen durch den Verzicht ersetzt sind. Die eine kombinierte Beeidigung zerfällt für die juristische Betrachtung in eine Mehrheit von Eidesakten je für eine Sache, die unter demselben Eidesrechte — § 288 StPO — stehen mit der Mafsgabe, dafs es nicht der Anwesenheit des Verteidigers der zweiten Sache bedarf. Fortfall der Jury in der ersten Sache, d. h. ihre Auflösung, wenn auch nur aus einem lediglich diese Sache berührenden Grunde, wegen relativer Unfähigkeit eines Geschworenen usw., oder ihre Sprengung durch Verhandlungsunterbrechung über die Grenzen des § 228 hinaus, entzieht nachträglich der Vereinbarung das Objekt und nötigt zur Neubildung in der folgenden Sache. 6. Mit den prinzipalen Urteilsgeschworenen der ersten Sache gehört auch der zugezogene Ergänzungsgeschworene zur Jury der weiteren Verhandlung. Aber er ist nicht deshalb auch in der zweiten Sache substituiert, weil dies in der ersten notwendig wurde. Fortdauernde Behinderung eines Prinzipalgeschworenen bei Beginn der zweiten Verhandlung nötigt zu erneuter Substituierung. 7. Die Parteierklärungen und selbstverständlich die kombinierte Beeidigung sind im Protokoll der ersten Verhandlung zu beurkunden. Ein auf diese Punkte und den gesamten Hergang bei der Geschworenenauslosung sich erstreckender Protokollauszug — in Form eines zweiten Originals zu fertigen — ist dem Protokoll der zweiten Verhandlung zu adhibieren. VII. Der Geschworeneneid ist, anders als der Schöffeneid, der sich auf das Geschäftsjahr bezieht, ein Eid ad hoc, für die einzelne Sache53. Bleiben dieselben Geschworenen für eine spätere Hauptverhandlung desselben Sitzungstages usw. in Funktion, so werden sie in einer Formel für die mehreren Sachen vereidigt. Den Eid leisten auch die Ergänzungsgeschworenen, denn sie haben, auch 53 Gegen den öfters gemachten Vorschlag einmaliger allgemeiner Beeidigung der Geschworenen für die Session B r a u e r , Ger.-Saal Jahrg. 10 S. 69f. Es liegt in der Tat kein stichhaltiger Grund vor, von der eingebürgerten, die Feierlichkeit der Verhandlung in schwerer Strafsache erhöhenden Spezialbeeidigung abzugehen. In der Reichsjustizkommission hatten W o I f f s on und S t r u c k m a n n die generelle Beeidigung — fakultativ — beantragt, Prot. 1. Lesung S. 427 f. Neuerdings hat sich G i n s b e r g , Arch. f. Strafrecht Bd. 44 S. 286 dafür ausgesprochen. 6*

5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

wenn sie demnächst nicht substituiert werden, doch bis zur Verdiktsfällung, woran sie nicht teilnehmen, alle Befugnisse und Pflichten eines Geschworenen. Der Eidesvorgang ist im § 288 StPO in wesentlicher Übereinstimmung mit den früheren deutschen Prozefsordnungen und mit dem österreichischen Rechte geordnet. Die Beeidigung geschieht nach Bildung der Bank in Gegenwart der Angeklagten, über welche die Geschworenen richten sollen, also auch der Angeklagten der späteren Sachen, wenn für sie die Jury bleibt, und in öffentlicher Sitzung 54 . Die Eidesformel setzt sich zusammen aus der vom Vorsitzenden in Vertretung der Geschworenen für sie alle gesprochenen Eidesnorm und der von jedem einzelnen Geschworenen hinzugefügten Beteuerungsformel. Es ist angemessen, aber nicht notwendig, dafs dieser zweite Akt nach der Folge der Auslosung von den Geschworenen vollzogen wird. Der Eid ist, soweit der Vorsitzende für alle spricht, also abgesehen von der Beteuerungsformel, Eid mit gesamtem Munde. Der Vorsitzende richtet an die Geschworenen die Worte: „Sie schwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, in der Anklagesache (den Anklagesachen) wider N. N. die Pflichten eines Geschworenen getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben." Jeder der Geschworenen fügt hinzu: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Der Schwörende soll — Instruktionen — bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben. Ist ein Geschworener Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, so wird die Abgabe einer Erklärung unter der Beteuerungsformel dieser Religionsgesellschaft der Eidesleistung gleich geachtet. Gesetz in diesem Sinne ist die lex fori, nicht das Gesetz des Heimatsstaats des Geschworenen. Die Verpflichtung des eidbefreiten Geschworenen mufs separat geschehen, nach Beeidigung der anderen. Der Vorsitzende darf sich diesem Geschworenen gegenüber nicht der Worte bedienen : „Sie schwören bei Gott" usw. Sind an einer Strafsache mehrere Angeklagte beteiligt, so genügt's, wenn in der Eidesformel einer genannt wird mit einem die Komplizen bezeichnenden Beisatz („und Genossen" usw.). Denn 54 Nach Österr. § 313 gehört die Beeidigung der Hauptverhandlung an, während die Auslosung der Geschworenen dieser vorangeht (§ 304).

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

•die Absicht ist ja nur, die Strafsache deutlich erkennbar zu machen. Nicht-öffentliche Beeidigung wäre ein Fehler der Gerichtshildung, also Verstofs gegen § 377 Z. 1 (und hier zugleich gegen Z. 6). Ebenso die Anteilnahme eines nicht beeideten Geschworenen {§ 377 Z. 1). Abwesenheit eines Angeklagten bei der Beeidigung wirkt bei kombinierter Beeidigung für mehrere Sachen nur in der betroffenen Sache Nichtigkeit. Über den Eidesvorgang hat das Protokoll Auskunft zu geben ; es gilt dessen qualifizierte Beweiskraft (§ 274 StPO). Zu tadeln ist die Farblosigkeit der gesetzlichen Formel. Worin die „Pflichten" bestehen, ist nicht gesagt, namentlich nicht, dafs sich der Geschworene streng an das Gesetz zu halten hat 5 5 . Während die preufs. Ver. ν. 3. Januar 1849 § 97 im Eide sehr richtig die Abhängigkeit der Geschworenen vom Gesetz hervorhob, wählte das Ges. v. 3. Mai 1852 Art. 73 den unbestimmten Ausdruck „Pflichten", der dann in die RStPO überging. Die anderen deutschen Gesetze gaben meist eine Aufzählung von Geschworenenpflichten 56 , vergafsen aber die Hauptsache: die Bindung an das Gesetz. Gut Österreich § 313, wo mit Recht die Pflicht zu treuer Beobachtung des Gesetzes in den Eid aufgenommen ist 5 7 . VIII. Nur im Umfange der D i e n s t p f l i c h t besteht die F ä h i g k e i t der Geschworenen zum Dienste. Nachdem in der Einzelsache die Dienstpflicht erloschen ist, können nicht mehr die Urteilsgeschworenen und nach Beendigung der Dienstpflicht für die Session nicht mehr die Sessionsgeschworenen gültig amtieren. 1. Die Regeln über die Aussetzung der Hauptverhandlung, •§§ 227, 228 StPO, gelten auch im Schwurgerichtsprozesse. Die Fortsetzung der Hauptverhandlung mufs spätestens am vierten 55

Das rügt mit Recht auch K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte und Schöffengerichte I S. 15. 56 Frankf. 1856 Art. 207 bezog den Eid ausdrücklich mit auf die Pflicht, „zu keiner Zeit irgend jemand eine Mitteilung darüber zu machen, wer von den Geschworenen für oder gegen den Angeklagten gestimmt hat". Die anderen Prozefsordnungen begnügen sich meist mit der gesetzlichen Feststellung der Diskretionspflicht. So auch GVG § 200. Die Rechtsbelehrung seitens des Vorsitzenden hat sich auf diese Pflicht zu erstrecken nach Bayern 1848 Art. 171, Baden 1851 § 96, 1864 § 276 Abs. 3; besondere Belehrung darüber bei Einhändigung des Fragebogens sahen vor Hannover 1850 § 189 und 1859 § 195 Abs. 2. 57 Vgl. auch oben S. 29.

5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Tage nach der Unterbrechung erfolgen, widrigenfalls mit dem Verfahren von neuem zu beginnen ist. Die Überschreitung der Frist sprengt das Geschworenenkollegium; die Erneuerung der Verhandlung schliefst auch die Neubildung der Jury ein. Neue Verhandlung mit den alten Geschworenen wäre nichtig. Die Urteilsgeschworenen bleiben dienstpflichtig, welche Zeit immer die Verhandlung beansprucht; eine mehr als dreitägige Unterbrechung aber beendet Dienstpflicht und Dienstfähigkeit. Die einwöchige Frist zur Urteilsverkündung nach § 267 ist unanwendbar. Da das Urteil nur im Beisein der Geschworenen verkündet werden kann, so würde sich durch die Gestattung einer solchen Aussetzung die Geschworenenpflicht sehr erheblich steigern. Dagegen besteht kein rechtlicher Gegengrund, die dreitägige Frist des § 228 nicht auch auf die Urteilsverkündung zu beziehen. Bedenklich bleibt die Aussetzung stets, eben weil alle Geschworenen wieder zu erscheinen haben, indem sonst nicht gültig verkündet werden könnte. Innerhalb der dreitägigen Frist ist auch ein Ergänzungsurteil noch möglich, wenn ein selbständiger Anklagepunkt im Urteil, sei's nur in diesem oder bereits im Wahrspruch, eventuell auch in der Befragung der Geschworenen, ausgelassen sein sollte 58 . Die Urteilsgeschworenen sind pflichtig, zu dieser Verhandlungsfortsetzung zu erscheinen. Gelingt es nicht, sie sämtlich zu sistieren, so wird völlig neue Verhandlung über die nicht mit abgeurteilte Klage unvermeidlich. Bei an sich zulässiger Verhandlungsunterbrechung schadet es nicht, wenn in der Zwischenzeit eine neue Jury funktioniert haben sollte. 2. Die Sessionsgeschworenen sind pflichtig zur Mitwirkung bei allen Sachen, die vor Beginn der Session oder in deren Verlauf auf die Terminsliste der Session gesetzt worden sind. Es ist nicht das Mafs der Dienstpflicht im voraus bindend fixiert, die Geschworenen müssen sich eine Erstreckung der Session auf neu anzuberaumende Sachen gefallen lassen. In dieser Hinsicht ist allein das Ermessen des Vorsitzenden mafsgebend 59. 58

Vgl. unten § 67 (Verfahren zwischen Wahrspruch und Urteil). Anders Österreich § 298: Über Strafsachen, betreffs deren bei Eröffnung der Session die Versetzung in den Anklagestand noch nicht rechtskräftig war, kann in der Session nur verhandelt werden, wenn der Ankläger oder der Angeklagte darauf anträgt, die Gegenpartei zustimmt und der Vorsitzende des Schwurgerichthofes seine Genehmigung gibt. 59

§ 5. Die Auslosung und die Beeidigung der Geschworenen.

Beendet ist die Dienstpflicht mit cler Beendigung der Verhandlung, die ausdrücklich oder konkludent den Charakter der Schlufsverhandlung erhalten hatte. Für die Urteilsgeschworenen dieser |Sache dauert die Pflicht bis zu deren Erledigung. Die anderen Sessionsgeschworenen sind schon durch das Ergebnis der letzten Jurybildung dienstfrei geworden. Neue Sachen können nun cler Session nicht mehr zugeteilt werden, sie müssen auf das Herankommen der nächsten Session warten. Eine fernere Verhandlung mit den bisherigen Sessionsgeschworenen wäre ungültig, weil mit der Pflicht deren Fähigkeit erloschen ist. Es empfiehlt sich und ist auch üblich, die zur Mitwirkung bei der letzten Sache nicht bestimmten Geschworenen ausdrücklich zu entlassen und damit das Ende der Session zu proklamieren. Aber bereits die Tatsache, dafs weitere Verhandlungen nicht mehr anstehen, ergibt den Sessionsschlufs. Für die Geschworenen der letzten Sache bestehen — nicht anders als bei den früheren Verhandlungen — noch die Möglichkeiten der Verhandlungsunterbrechung, der Urteilsaussetzung, des Nachtragsurteils, immer in der Frist des § 228. Ebenso kann trotz der Präklusion weiterer Sachen durch die Schlufsverhandlung aus den gleichen Anlässen noch die Wiederheranziehung früher gebildeter Geschworenenkollegien, immer unter Wahrung cler gesetzlichen Frist, erforderlich werden. Hiernach ist mit dem Beginne der Schlufsverhandlung cler Kreis der Sessionssachen endgültig fixiert, aber nicht notwendig mit dem Ende der Schlufsverhandlung auch das Ende der Sessionsverhandlungen gegeben. Das Gesetz, § 95 GVG, hat noch ausdrücklich bestimmt, dafs, wenn eine Sitzungsperiode des Schwurgerichts sich über den Endtermin des Geschäftsjahres hinaus erstrecke, die Dienstpflicht der Sessionsgeschworenen bis zum Schlüsse der Sitzungen fortdauere. Dagegen begründet der Beginn einer neuen Sitzungsperiode eine unbedingt zu respektierende Zäsur in der Funktion des schwurgerichtlichen Organismus. Der Gerichtskörper „Schwurgericht" hat von nun an mit neuem Richter- und Geschworenenpersonal zu arbeiten. Die Vollmacht der Richter und der Geschworenen früherer Session ist erloschen. Die neue Spruchliste normiert nun für Dienstpflicht und Dienstfähigkeit der Geschworenen. Die Session hat aber nicht schon deshalb begonnen, weil der in Aussicht genommene Tag ihrer Eröffnung herangekommen ist. Die wirkliche Eröffnung entscheidet und sie ist gegeben, sobald der Vorsitzende sich mit

§ 6. Vorsitzender und Gericht, Obmann und Jury.

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den beiden Mitrichtern zur Besetzung der Richterbank, zur Abhaltung der ersten schwurgerichtlichen Verhandlung vereinigt hat. Von nun an können aus der vorangegangenen Session rückständige Sachen nur von dem neuen Personal erledigt werden. In bereits begonnenen Sachen erneuert sich, auch wenn die Frist des § 228 noch laufen sollte, die Verhandlung vor den neuen Richtern und Geschworenen. Auch die Funktion der richterlichen Mitglieder dauert bis zum Sessionsschlufs, nicht darüber hinaus, wird aber, wie die der Geschworenen, nicht durch den Endtermin des Geschäftsjahres begrenzt 60 .

Drittes Kapitel. § 6.

V o r s i t z e n d e r und G e r i c h t ( R i c h t e r b a n k , Gesamtgericht), Obmann und J u r y 1 .

Die Befugnisse des Schwurgerichtsvorsitzenden und der Richterbank des Schwurgerichts gehören teils dem Justizverwaltungs(Gerichtsverfassungs-)Recht, teils dem Prozefsrecht an. Und bei dem eigenartigen Zusammenhang beider Gebiete durch Einbeziehung von Justizverwaltungsakten in die einzelne Hauptverhandlung zeigen manche Akte gemischten Charakter. Die beiderseitigen p r o z e s s u a l e n Befugnisse sind in der schwurgerichtlichen Verhandlung grundsätzlich ebenso gegeneinander abgegrenzt wie in sonstigen Strafsachen. Nur treten besondere Funktionen des Vorsitzenden hinzu, bedingt durch die Eigentümlichkeiten der schwurgerichtlichen Rechtspflege, ins60

Anders in Strafkammersachen, § 64 GVG. B r a u e r , Deutsche Schwurgerichtsgesetze S. 55 f.; M i t t e r m a i e r im Ger. -Saal 1849 Bd. I S. 17 f.; S c h l i n k das. S. 351 f.; M e r k e l das. Bd. I I S. 244 f.; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung S. 450 f.; G o l t d a m m e r im Arch. Bd. I S. 164 f., 334 f.; v. T i p p e i s k i r c h das. Bd. I I I S. 772 f., Bd. I V S. 4 f.; R e h m im Ger.-Saal 1860 S. 1 f.; Z a c h a r i a e I §50; G l a s e r , Artikel Gerichtsvorsitzender, Schwurgerichtshof, Schwurgerichtspräsident in v. Holtzend. Rechtslex. 3. Aufl. Bd. I I S. 116 f., Bd. I I I S. 642 f., 644 f.; K l e i n f e i l e r , Funktionen des Vorsitzenden 1885; S ü f s , Stellung der Parteien 1898 S. 347 f.; K a l a u v o m H o f e , Vorsitz im Schwurgericht 1901·, F u c h s in v. Holtzend. Handb. I I S. 70 f.; G e y e r §§ 73, 74; W a c h , Handb. des Zivilproz. I S. 323 f.; U l i m a n n , Österr. Strafproz. S. 525 f.; D e r s e l b e , Deutsch. Strafprozefs § 36, ferner S. 452f.; B i r k m e y e r § 49. 1

§ 6. Vorsitzender und Gericht, Obmann und Jury.

besondere die Entwerfung der Fragen an die Geschworenen und die diesen zu erteilende Rechtsbelehrung. „Diskretionäre Gewalt" hat der deutsche Schwurgerichtsvorsitzende nicht. Diese französische Mifsbildung ist dem Reichsrechte fern geblieben. Nur zu erwähnen sind die in den Yorstadien der Schwurgerichtsbildung liegende Tätigkeit des Landgerichts und des Landgerichtspräsidenten — Entscheid über Einsprachen betreffs der Vorschlagsliste, Auswahl der Jahresgeschworenen, Auslosung der Sessionsgeschworenen, §§ 89 f. GVG — und die Kontrolle und eventuelle Berichtigung der Jahreshaupt- und Hilfsliste durch das Landgericht während des Geschäftsjahres 2. Der Vorsitzende repräsentiert in der Hauptverhandlung nicht nur die Richterbank, sondern zugleich in bestimmten Beziehungen das aus Richterbank und Jury kombinierte Gesamtgericht. Die Jury als das eine der zusammenwirkenden Spruchgerichte hat im Obmanne den (gewählten) Vorsitzenden. I. Sukzessoren des Landgerichts und des Landgerichtspräsidenten im Geschäfte der Schwurgerichtskonstituierung sind der Schwurgerichtsvorsitzende und die Richterbank. Sie führen den Bildungsprozefs weiter bis zur Session und die Session hindurch. 1. Der V o r s i t z e n d e sorgt für die Einberufung der Geschworenen (§§ 93, 94 Abs. 2 GVG, § 280 Abs. 3 StPO), entscheidet, so lange das Schwurgericht nicht zusammengetreten ist, über die von Geschworenen geltend gemachten „Ablehnungs- und Hinderungsgründe" (sowie instruktionelle Ausschliefsungsgründe), § 94 Abs. 1 GVG, ergänzt vor dem Sessionsbeginn nach Bedarf die Spruchliste durch Zulosung aus der Jahreshauptliste, § 94 Abs. 2 das. Wird im Laufe der Session Heranziehung weiterer Geschworener notwendig, so hat sie der Vorsitzende der Jahreshilfsliste durch Auslosung zu entnehmen, § 280 StPO, Obwohl diese Ergänzung generelle Bedeutung hat (für alle in der Session noch zu verhandelnden Sachen), ist sie doch mit der einzelnen Hauptverhandlung, anläfslich deren das Bedürfnis hervortrat, verbunden. Generelle Konstituierungsakte des Vorsitzenden sind auch die Streichung unfähiger Geschworener in der Spruchliste, § 279 Abs. 2 StPO, während die Fernhaltung eines solchen von der einzelnen Sache nur prozessual erheblich ist, die Aufnahme der 2

Vgl. oben S. 45 f.

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§ 6.

Vorsitzender und Gericht, Obmann und Jury.

Zugelosten in die Spruchliste, § 94 Ab. 2 GVG, § 280 Abs. 3 StPO, die Streichung überzähliger und daher freigegebener Hilfsgeschworener, § 280 Abs. 5 StPO. 2. Die R i c h t e r b a n k hat, sobald das Schwurgericht zusammengetreten ist (vorher existiert sie ja nicht), ihrerseits über „Ablehnungs- und Hinderungsgründe" (sowie instruktionelle AusschliefsuDgsgründe) zu entscheiden, § 94 Abs. 1 GVG, stellt fest die absolute Unfähigkeit von Geschworenen, § 279 StPO, bestimmt über den Rücktritt überzähliger Hilfsgeschworener, § 280 Abs. 5 StPO, und übt die Ordnungsstrafgewalt gegen Geschworene, § 96 GVG. Diese Entscheidungen sind, auch wenn sie bei Gelegenheit einer Hauptverhandlung ergehen, doch nicht Prozefsentscheide in dieser, sie liegen ganz im Bereiche der Justizverwaltung, dienen dem Zwecke der Gerichtskonstituierung, sichern die Erfüllung der Gerichtsdienstpflicht. — Vorsitzender und Richterbank sind in diesen ihren Funktionen gleichmäfsig Organe der Justizverwaltung, den Vorsitzenden insofern als den Vertreter der Richterbank anzusehen, hätte keine Berechtigung. I I . Die Bildung der konkreten Geschworenenbank, der Endpunkt des konstituierenden Justizverwaltungsverfahrens im Hinblick auf speziellen Rechtspflegezweck, gehört nach dem Gesetz der einzelnen Hauptverhandlung an. Sie ist daher als ein Bestandteil der Verhandlungsleitung zu erachten. Diese aber hat, um an W a c h s 3 Scheidung anzuknüpfen, der Vorsitzende nicht als Organ des Gerichtskörpers neben dem Kollegium, sondern als Repräsentant des letzteren. Aber der Gerichtskörper ist hier entsprechend der materiellen Bedeutung der Losung nicht nur Rechtspflege-, sondern zugleich Justizverwaltungsorgan, während in den Funktionen sub I 2 (abgesehen von der auch die Einzelsache treffenden Feststellung der Geschworenen-Unfähigkeit) reine Justizverwaltungsaufgaben zu finden sind. Bei der Auslosung ist der Vorsitzende an Gerichtsbeschlüsse gebunden, § 237 Abs. 2 StPO. Erachtet eine Partei die Bemessung der Ablehnungsrechte durch den Vorsitzenden oder die Vornahme der Losung selbst ganz oder teilweise für ungesetzlich, so steht 3 Handbuch des Zivilprozesses I S. 326, 327. Widerlegung der Meinung K l e i n f e l l e r s , Funktionen des Vorsitzenden S. 38f., wonach der Vorsitzende stets „unmittelbares selbständiges Organ des Staates" sei, daselbst S. 324 f. Vgl. ferner B i r k m e y e r , Strafprozefs S. 274 f.

§ 6. Vorsitzender und Gericht, Obmann und Jury.

ihr der Anruf an das Gericht frei. Ebenso kann ein beisitzender Richter Gerichtsbeschlufs herbeiführen. In die Verhandlungsleitung fällt auch die Anordnung des Vorsitzenden, es seien Ergänzungsgeschworene zuzuziehen. Aus § 194 GVG aber ergibt sich, dafs gegen diese gerichtskonstituierende Verfügung nicht auf Gerichtsbeschlufs provoziert werden kann 4 . Nicht anders verhält's sich mit der Entlassung der ausgelosten ErgänzuDgsgeschworenen im Laufe cler Verhandlung wegen Erledigung des Bedürfnisses. Die Substitution eines Ergänzungsgeschworenen hingegen für behinderten Prinzipalgeschworenen hat vom Kollegium auszugehen. Ebenso entscheidet das Kollegium, nicht der Vorsitzende, über das Ausscheiden von Geschworenen wegen relativer Unfähigkeit in der einzelnen Sache, § 279. Auch der Abschlufs der Jurykonstituierung, die Beeidigung der Geschworenen, ist als verhandlungsleitender Akt des Vorsitzenden gestaltet. I I I . Die prozessualen Funktionen des V o r s i t z e n d e n in der Einzelsache, soweit sie vor der Hauptverhandlung liegen, insbesondere zu deren Vorbereitung dienen, erfahren durch den schwurgerichtlichen Modus keine Änderung, nur einen kleinen Zusatz : es ist die Spruchliste der Geschworenen dem Angeklagten vor der Hauptverhandlung nach näherer Vorschrift des § 277 StPO zugänglich zu machen. In den anderen Beziehungen — Terminsbestimmung, Veranlassung cler Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an den Angeklagten, der Ladung des Angeklagten, des Verteidigers, Verfügung auf Beweisanträge des Angeklagten, Mitteilung solcher Beweisanträge, soweit ihnen stattgegeben wurde, an die Staatsanwaltschaft, Beweisanordnung ex officio, Benachrichtigung der mitwirkenden Richter, des Gerichtsschreibers, der Staatsanwaltschaft vom Termin, §§ 212, 214f., 217, 218, 220 StPO; ferner Auswahl des zu bestellenden Verteidigers, Bestimmung über Akten verabfolgung an den Verteidiger, Bestellung eines Verteidigers, Erlafs eines Haftbefehls in dringlichem Falle, §§ 144 Abs. 1, 147 Abs. 4, 140, 141, 124 Abs. 3 StPO — gilt nichts Besonderes. In allen diesen Beziehungen ist cler \7orsitzende Organ nicht des Kollegiums, sondern des Gerichtskörpers. 4 Diese Tatsache spricht keineswegs gegen die Annahme der Repräsentanz des Kollegiums durch den Vorsitzenden. Vgl. W a c h a. a. 0. S. 327.

§ 6.

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So lange die Ernennung des Schwurgerichtsvorsitzenden noch nicht erfolgt ist, vikariiert für ihn in den s t r a f p r o z e s s u a l e n Geschäften, nicht in den gerichtsverfassungsmäfsigen Funktionen (sub I 1) der \Torsitzende der Strafkammer des Landgerichts, § 83 Abs. 3 GVG. Dem K o l l e g i u m ist im vorbereitenden Stadium reserviert die Anordnung kommissarischer Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und der kommissarischen Augenscheinseinnahme, §§ 222 f. StPO. Wird eine solche Entscheidung vor dem Zusammentreten des Schwurgerichts, also vor Beginn der Sitzungsperiode erforderlich, so erfolgt sie durch die Strafkammer des Landgerichts, § 82 GVG. IV. In der Hauptverhandlung vermittelt der V o r s i t z e n d e den urteilenden Kollegien, der Richterbank und den Geschworenen, die Wahrnehmungen, leitet die den Entscheidungen vorgängigen Beratungen des Gerichts, verkündet die Entscheidungen und beurkundet die Verhandlungsvorgänge. Immer als Organ des Spruchgerichts in Ausübung der drei wesentlichen gerichtlichen Funktionen — das sind eben: Wahrnehmung, Entscheidung, Beurkundung—, der „Verrichtungen" des Gerichts, wie das Reichsgesetz üb. die freiwill. Gerichtsbarkeit sie nennt 5 . Dabei ist die Repräsentanz zum Teil eine solche nur der Richterbank, zum Teil — bei der Beweiserhebung, der Urteilsverkündung — bezieht sie sich auf das kombinierte Gericht, zusammengesetzt aus den beiden Kollegien. Das Einzelne — Verhandlungsleitung (Vernehmung des Angeklagten, Beweisaufnahme, Worterteilung, Regulierung und Überwachung der Vorträge, soweit dazu Anlafs, Genehmigung, dafs Zeugen und Sachverständige sich entfernen, Sicherung der Assistenz des Angeklagten, Anordnung von Verhandlungspausen, §§ 237 Abs. 1, 238 Abs. 2, 239, 240, 257, 247, 230, 227 Satz 2); Übung der Sitzungspolizei, soweit nicht der Richterbank reserviert, § 177 GVG 6 ; Vorsitz bei den Beratungen der Richterbank, Stellen der Fragen, Sammeln der Stimmen vorbehaltlich kollegialen Entscheids bei Meinungsverschiedenheiten über Gegenstand, Fassung, Reihenfolge der Fragen oder über Abstimmungsergebnisse, § 196 G\7G ; 5

§§ 35, 72. Passivität des Vorsitzenden gegenüber einem prozefsordnungswidrigen Vorgange — ein schwurgerichtliches Beispiel in RGE Bd. 83 S. 254 f. : ein Geschworener stellt nach Erstattung der Rechtsbelehrung eine auf die Beweislage bezügliche Frage, die vom S t a a t s a n w a l t beantwortet wird — kann zur Aufhebung des Urteils führen. 6

§ 6. Vorsitzender und Gericht, Obmann und Jury.

Publikation der Entscheidungen, §§ 237, 267 7 ; Überwachung und Unterzeichnung des Protokolls, §§ 271 f. — ist ohne spezifisches schwurgerichtliches Interesse, wenn auch materiell die Rücksichtnahme auf das Verständnis der Geschworenen die Art der Beweisaufnahme vielfach mit bestimmen wird und zuweilen Anlafs gegeben ist, dem Versuche ungehöriger Beeinflussung der Geschworenen durch das Plädoyer entgegenzutreten. Dem Kollegium stehen zu die Entscheidungen über Aussetzung der Verhandlung, §§ 227, 245, 264, die Anordnung einer Beweisaufnahme, wenn diese Aussetzung der Verhandlung erforderlich macht, § 243 Abs. 2, die Ablehnung eines Beweisantrags, § 243 Abs. 2, der Entscheid über die Zulässigkeit einer Frage an einen Zeugen, Sachverständigen, § 241, der Beschlufs über die Verlesung gerichtlicher Vernehmungsprotokolle, § 250 Abs. 3, die Anordnung der Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung eines Mitangeklagten, eines Zeugen, § 246, der Beschlufs über Aussetzung der Untersuchung im Hinblick auf präjudizierenden Zivilpunkt, § 261, die Mafsnahmen gegen renitente Zeugen und Sachverständige, §§ 50, 69, 77, die Strafbefugnisse gegen Angeklagte, Zeugen, Sachverständige, Verteidiger, Zuhörer usw. nach §§ 178 bis 180 GVG. Ferner hat das Gericht immer dann zu entscheiden, wenn eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet wird, § 237 Abs. 2. Als schwurgerichtliche Besonderheiten treten diesen Verrichtungen hinzu: 1. Auf der Seite des V o r s i t z e n d e n die Entwerfung der den Geschworenen vorzulegenden Fragen und die Veranlassung ihrer Verlesung nach dem Schlüsse der Beweisaufnahme, § 290, die Unterzeichnung des den Geschworenen zu behändigenden Fragebogens, § 301, und des vom Obmann verlesenen Spruchs, § 308 Abs. 2, die Belehrung der Geschworenen, §§ 300, 306, die Anordnung der Verlesung des Spruchs an den Angeklagten, § 313. Während in der Belehrung der Vorsitzende zweifellos eine eigene Funktion ausübt, sie erteilt als ein Faktor der Rechtspflege neben dem Berufsrichterkollegium, nicht in dessen Repräsentation, ordnen sich die anderen speziell schwurgerichtlichen Akte 7 K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 301 bestreitet, dafs der Vorsitzende bei der Verkündung das Kollegium repräsentiere; diese sei nur wirksam bei Nichtwiderspruch der anderen Richter. Vgl. dazu unten § 51 sub I V 1.

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teils den Urkunds-, teils den Sachleitungsbefugnissen unter, die ihm als Organ des Kollegiums zukommen. Das letztere gilt insbesondere für die Entwerfung der Fragen. Die Fragen stellt den Geschworenen die Richterbank, nicht der Vorsitzende allein, der hier, wie in der sonstigen Sachleitung, nur der primus inter pares ist. Die Fertigung eines Fragenentwurfs, dem das Kollegium frei gegenübersteht, den es abändern kann, auch wenn weder seitens der Parteien, noch der Geschworenen Einwendungen erhoben, Anträge angebracht wurden, § 291 Abs. 2, kann unmöglich auf eine selbständige Befugnis des Vorsitzenden zurückgeführt werden. In den Bereich der Sachleitung durch den Vorsitzenden gehört auch dessen Sorge für die Geschworenenklausur während der Beratung, § 303 Abs. 2, und die Bestimmung, dafs den Geschworenen Gegenstände, die ihnen in der Verhandlung zur Besichtigung vorgelegt worden waren, in das Beratungszimmer zu verabfolgen seien, § 302 (eine Anordnung, der gegenüber Gerichtsbeschlufs erwirkt werden kann, § 237 Abs. 2). 2. Der R i c h t e r b a n k hingegen, nicht dem Vorsitzenden allein fällt zu die überaus wichtige Aufgabe der Prüfung des Geschworenenspruchs auf seine formelle und materielle Korrektheit und erkannten Mängeln gegenüber die Anordnung der Berichtigung, §§ 309 f. Eine extraordinäre Befugnis des Gerichts endlich ist die Kassierung des Verdikts, wenn einstimmig angenommen wird, dafs die Geschworenen sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben, § 317. Nur zu billigen ist, dafs die Freisprechung des Angeklagten im Falle eines Nichtschuldigverclikts genau so wie die Freisprechung trotz solchen Verdikts (wegen Strafaufhebungsgrundes) und die Verurteilung nacfy Reichsrecht schlechthin Gerichtssache ist, die französische Eigentümlichkeit (code d'instr. crim. art. 358, imitiert von früheren deutschen Prozefsordnungen), wonach jene Freisprechung durch den Präsidenten allein erfolgt, abgelehnt wurde. Der Verkehr und das Zusammenarbeiten von Richterbank und Jury werden durch den \7orsitzenden vermittelt: er entläfst die Geschworenen mit dem Fragebogen in das Beratungszimmer, veranlafst bei deren Rückkehr in das Sitzungszimmer das Wiederzusammentreten des Gerichts, nimmt aus der Hand des Obmanns den Spruch entgegen, veranlafst die Spruchprüfung durch das Gericht, gibt den Geschworenen die hierbei festgestellten Spruchmängel bekannt und fordert sie auf, sich in das Beratungszimmer

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zurückzubegeben, um ihnen abzuhelfen, sucht durch Belehrung der Geschworenen das Verständnis der Fragen und die zutreffende Gesetzesanwendung sicher zu stellen, ermittelt nach Bedarf durch Befragung der Geschworenen den Sinn erhobener Einwendungen gegen die Fragestellung, von Anträgen auf Ergänzung und Abänderung der Fragen, die Bedeutung einer unklaren Antwort, eines von den Geschworenen schriftlich oder mündlich dem Spruch angefügten Zusatzes, um eventuell durch Änderung der Befragung ein fehlerfreies und dem wahren Willen der Geschworenen entsprechendes Verdikt zu erzielen. V. Nach französischem Recht gelten die schwurgerichtlichen Tatbestände gewissermafsen als „delicta excepta", bei deren prozessualer Behandlung sonst mafsgebende gesetzliche Regeln nicht beachtet zu werden brauchen. Der Präsident ist ermächtigt, sich in der Sachleitung über Gesetzesvorschriften hinwegzusetzen. Er hat die „diskretionäre Gewalt", deren Umfang im Gesetze, code d'instr. art. 268 f., so unbestimmt gelassen ist, dafs es wesentlich der Praxis und der Literatur anheimfiel, nach Begrenzungen zu suchen 8 . Eine durchaus verfehlte Einrichtung ! Glaubt der Gesetzgeber, dafs die Besonderheiten der schwurgerichtlichen Rechtspflege eine Durchbrechung prozessualer Normen, wie sie für das reine Beamtengericht bindend sind, bedingen, so hat er sich über Grund, Inhalt, Tragweite der Ausnahmen bestimmte Rechenschaft zu geben und sie präzis gefafst den Regelrechtssätzen gegenüber zu stellen. Statt dessen auf das Ermessen des Präsidenten zu verweisen, ist eine gewissenlose Bequemlichkeit und im Effekte — dem wohl nicht ungewollten Effekte — eine Verwischung der Grenzen von Macht und Recht. Ein Schwurgerichtspräsident, der nicht lediglich Faktor der Rechtsanwendung ist, der Macht hat über das Gesetz, ist eine Figur, die vielleicht den Neigungen der französischen Bureaukratie entsprechen mag, für die aber in der deutschen Rechtspflege nicht Raum ist. Zur Gewährung dieser diskretionären Gewalt mag wesentlich mitgewirkt haben der Aberglaube, dafs auch die Geschworenen an das Gesetz nicht gebunden seien, ihm zuwider freisprechen könnten. Die Präsidentenwillkür wird so zu dem Beelzebub, der dem Teufel der Geschworenenwillkür einigermafsen die Stange halten soll. 8

Vgl. hierzu H é l i e , Traité V I I I S. 446 f.; v. S t e m a n n , Jury in Strafsachen S. 349 f.; S i r e y et M a l e p e y r e zu den art. 268 f. code d'instr.; K l e i n f e l l e r , Funktionen S. 236 f.; S ü f s , Stellung der Parteien im mod. Strafprozesse S. 383 f.

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Näheres Eingehen auf die diskretionäre Gewalt ist nicht veranlafst 9 . Es sei nur konstatiert, dafs sie in allgemeiner Fassung anerkannt ist in den Art. 268, 270 code („le président est investi d'un pouvoir discrétionnaire, en vertu duquel il pourra prendre sur lui tout ce qu'il croira utile pour découvrir la vérité," art. 268; „le président devra rejeter tout ce qui tendrait à prolonger les débats sans donner lieu d'espérer plus de certitude dans les résultats," art. 270) und dafs als spezielle Anwendungen hinzugefügt sind das Recht des Präsidenten zur Anordnung der Vernehmung solcher Personen, die vom Zeugnisse ausgeschlossen sind, als Auskunftspersonen ohne Beeidigung (art. 269 mit art. 322) und zur Einführung aller anderen Arten von Beweismitteln, insbesondere von Urkunden in den Prozefs (art. 269). Auch die Vernehmung des Angeklagten, die im Gesetz nicht vorgeschrieben ist, beruht auf der diskretionären Gewalt. Ferner kann der Präsident Zeugenprotokolle verlesen lassen als Ersatz für die Aussage eines abwesenden Zeugen usw. Die relative Selbständigkeit des Präsidenten als eines Justizorgans neben dem Kollegium tritt in diesen aufserordentlichen Machtvollkommenheiten in ungesunder Übertreibung hervor. Auch in dieser Beziehung hat leider die französische Gesetzgebung die deutschen Partikulargesetze beeinflufst lü . Und nicht nur im Ausdruck, sondern auch in der Sache ! Das unklar schillernde Schlagwort „diskretionäre Gewalt", mit dem ein klarer Begriff nicht zu verbinden war, hätte schon deshalb gesetzliche Verwendung in Deutschland nicht finden sollen. Nicht selten wird die Bezeichnung auf die Befugnisse des Präsidenten überhaupt angewandt, also auch auf solche Funktionen, die mit der Sachleitung 9 Sie besteht nur im Schwurgericht, nicht in Zuchtpolizeisachen, H é l i e , Traité de l'instr. crim. V I I S. 654 f.; Entsch. des Kass.-Hofs bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 268, 269 Ν. 5. 10 Vgl. besonders Bay. 1848 Art. 141; Hess.-Darmst. 1848 Art. 22 f., 1865 Art. 297; Württ. 1849 Art. 48—52; Hannov. 1850 § 136 Abs. 4, 1859 § 143 Abs. 4; Oldenb. 1857 Art. 263. Zeugen, die vom Präsidenten vorgefordert sind, werden entweder nicht beeidigt, Bay., Württ. a. a. 0. (beseitigt in 1868 Art. 300), Hess.-Darmst. 1848 oder es entscheidet darüber das Ermessen des Präsidenten, Hann., Oldenb., Hess.-Darmst. 1865, auch noch Brem. 1870 Art. 94 § 401. Hann., Oldenb. und Hess.-Darmst. 1865 legen die diskret. Gewalt in ihrem Sinne dem Vorsitzenden überhaupt, nicht nur im Schwurgericht, bei. Anklänge an die diskret. Gewalt finden sich auch in Bad. 1851 §§ 93, 94 1864 §§ 230, 231.

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unmittelbar gegeben sind, einen extraordinären Charakter keineswegs haben 11 . Die z. T. inquisitorische Gestaltung der Hauptverhandlung im französisch-deutschen Strafverfahren bedingt keineswegs notwendig die Erteilung diskretionärer Gewalt an den Vorsitzenden, ermöglicht sie nur, während in einem rein akkusatorischen Verfahren eine solche Machtvollkommenheit sich im Grunde von selbst verbietet 12 . Nach österreichischem Recht besteht wie nach Reichsrecht eine aufserordentliche Gewalt des S c h w u r g e r i c h t s Vorsitzenden nicht 1 3 . „Alles, was bezüglich des Gerichtshofes und des Vorsitzenden" — im 18. Hauptstück „Von der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz" — „verfügt ist, gilt vom Schwurgerichtshofe und dessen Vorsitzenden", § 311 Abs. 1 S. 2 österr. StPO. Dort ist die Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden bestimmt; wenn dabei insbesondere ausgesprochen ist, der Vorsitzende sei verpflichtet, die Ermittelung der Wahrheit zu befördern, und habe für Fernhaltung solcher Erörterungen zu sorgen, welche die Hauptverhandlung ohne Nutzen für die Aufklärung der Sache verzögern würden, § 232 Abs. 2, wenn ferner der Vorsitzende ermächtigt ist, ohne Parteiantrag neue Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen, neue Gutachten abzufordern und andere Beweismittel herbeischaffen zu lassen, § 254, wenn er Fragen, die \ron anderer Seite an Zeugen oder Sachverständige gestellt werden? als unangemessen zurückweisen darf, § 249, wobei jedoch die Entscheidung des Gerichtshofes angerufen werden kann, so ist gegenüber den deutschen Vorschriften die Präsidialbefugnis vielleicht 11 So von Z a c h a r i a e , Handb. I S. 331. Entgegen Anm. 17 daselbst ist zu konstatieren, dais Braunschw. 1849, Thür. 1850, Kurhess. 1863 nichts enthalten, was mit einigem Fug „diskretionäre Gewalt" genannt werden könnte. Auch F u c h s in v. Holtzend. Handb. I I S. 70f. gebraucht den Ausdruck untechnisch, namentlich für Befugnisse des Vorsitzenden von inquisitorischer Färbung. 12 Wenn dem englischen Assisenrichter „discretionary power" zugeschrieben wird, so ist doch diese Befugnis von der diskretionären Gewalt des französischen Präsidenten durchaus verschieden. Es handelt sich dabei nur um Dispensation von Beobachtung gewisser Prozefsformen, nicht um Heranziehung an sich unzulässiger Beweismittel. Vgl. B e s t - M a r q u a r d s e n , Grundzüge des engl. Beweisrechts S. 396 f. Die Praxis wird so in gewissem Mafse durch die Praxis korrigiert. Eine kodifizierte Rechtsordnung kann auch diese Besonderheit nicht zulassen. 13 Vgl. über das österr. Recht U l i m a n n , Österr. Strafproz. S. 178, 528 f.; K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 245 f.; S ü f s , Stellung der Parteien S. 354 f.

B i n d i n g , Handbuch. I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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in etwas erweitert 14 , aber von einer „diskretionären Gewalt" im Sinne einer Entbindung von gesetzlichen Normen doch nicht zu sprechen. VI. Der O b m a n n der Geschworenen ist deren Vorsitzender bei der Beratung und Abstimmung, § 304 Abs. 2 StPO, doch gebunden an Beschlüsse des Kollegiums bei obwaltenden Meinungsverschiedenheiten, § 196 Abs. 2 GVG in analoger Anwendung, er übt die Urkundsgewalt namens des Kollegiums, indem er den Spruch niederschreibt und unterzeichnet, § 307 Abs. 1, er ist das Mundstück der Geschworenen durch Kundgebung des Spruches in solenner vorgeschriebener Form, § 308, und ihr Wortführer dem Gericht gegenüber, wenn weitere Belehrung seitens der Geschworenen gewünscht wird, § 306, oder anläfslich der Spruchprüfung eine Erläuterung der Antworten, insbesondere auf Befragen des Vorsitzenden zu geben ist, wobei aber keineswegs eine Beteiligung der anderen Geschworenen an der Verhandlung ausgeschlossen ist. Die Obmannsfunktionen entsprechen den Befugnissen des Gerichtsvorsitzenden als Repräsentanten des Kollegiums ; eine selbständige dem Kollegium gegenüber differenzierte Stellung hat er nicht. Als schwerer technischer Fehler mufs es bezeichnet werden, dafs es zu einer Organisierung des G e s c h w o r e n e n k o l l e g i u m s erst im Beratungszimmer kommt, der Obmann nicht gleich nach Auslosung der Geschworenen gewählt wird, die Geschworenen aufserstande sind, mit Bezug auf die Fragestellung und die Beweiserhebung auf Grund vorgängiger Beratung gemeinsame Anträge an das Gericht zu stellen 1 5 . Zwangs- und Disziplinargewalt hat die Jury nicht; ihre Aufgabe ist, die Schuldfrage (mit den gesetzlichen Hinzufügungen) zu entscheiden und die zu diesem Zweck nötigen Beweiswahrnehmungen zu machen, durch den Mund ihres Vorsitzenden die Entscheidung zu publizieren, durch seine Hand sie zu beurkunden ; in allen anderen Beziehungen steht die Gerichtsgewalt allein der Richterbank zu. 14 Es käme auf die Auslegung einiger Bestimmungen der beiden Prozefsordnungen (z. B. des § 243 RStPO; kann der Vorsitzende Beweiserhebungen anordnen, die eine Aussetzung der Hauptverhandlung nicht erforderlich machen?) an, worauf aber hier nicht einzugehen ist. 15 Vgl O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65 S. 333 f., Bd. 68 S. 103 f.; zustimmend Κ a h 1 in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte und Schöffengerichte Bd. I S. 13 f.

Zweite Abteilung, Das Verfahren vor dem Schwurgericht. § 7. Gang und E i g e n a r t des V e r f a h r e n s . Die Kompetenzteilung zwischen Jury und Richterbank nach Schuld- und Straffrage bringt notwendig eine entsprechende Gliederung des Verfahrens mit sich. Nicht in dem Sinne, dafs gesondert, erst zur Schuld-, dann zur Straffrage Beweis erhoben würde. Denn das Strafquantum ist immer abhängig vom Schuldquantum und getrennte Ermittelungen anzustellen erst über die Schuld an sich, dann über das Schuldmafs, wäre nicht nur prozefstechnisch undurchführbar, sondern auch begrifflich verkehrt, da konkrete Schuld immer nur existiert als ein Verschulden von bestimmter Intensität. Es kann infolge besonderer prozessualer Gestaltung die leidige Notwendigkeit bestehen. Beweise zu erheben, die nur noch für die Straffrage e r h e b l i c h sind, weil die Schuldfrage bereits gelöst ist. Ergibt eine solche beschränkte Beweisfrage Zweifel an der Schuld, so müssen sie ignoriert werden. Je nach der Prozefslage sind die Resultate der früheren Vollbeweiserhebung für die Strafbemessung mit zu verwerten, — wenn beide Beweisaufnahmen derselben Hauptverhandlung angehören, das Gericht nach Abgabe des Wahrspruchs der Geschworenen noch des Strafmafses halber Beweisfeststellungen getroffen hat — oder zu ignorieren, — weil die Hauptverhandlung nur die Straffrage betrifft, das Urteil unter Aufrechterhaltung des Schuldentscheids der Geschworenen vom Rechtsmittelrichter aufgehoben worden war. Das Unnatürliche, Fiktive des Verfahrens liegt auf der Hand. Ohne Not läfst daher verständige Prozefsgesetzgebung eine solche künstliche Scheidung nicht eintreten. Auch im schwurgerichtlichen Verfahren betrifft 7*

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§ 7.

Gang und Eigenart des Verfahrens.

die Beweiserhebung ungetrennt Schuld- und Straffrage und es ist, wenn irgend möglich, zu vermeiden, dafs Feststellungen mit Wirkung nur für die Straffrage der Abgabe des Wahrspruchs noch nachhinken. Nicht die Beweiserhebung, wohl aber die Erledigung der Urteilsaufgabe geschieht dem Gegensatze von Schuld- und Straffrage entsprechend in äufserlicher Sonderung. Erst hat die Geschworenenbank auf die Fragen des Gerichts hin über die Schuld zu entscheiden, dann die Richterbank aus dem annehmbaren Verdikt durch Freisprechung oder Verurteilung die Konsequenzen zu ziehen. Doch kann trotz des Verdikts oder vor Abgabe eines solchen noch die Notwendigkeit der Einstellung des Verfahrens erhellen, indem der Mangel einer ProzefsVoraussetzung, z. B. der Prozefsfähigkeit des Angeklagten (Alter unter 12 Jahren, Geisteskrankheit usw.), sich herausstellt, oder Fehlen oder Wegfall einer Urteilsvoraussetzung (relative Unfähigkeit eines Richters, Geschworenen, § 22 StPO ; Verhinderung eines Richters, Geschworenen, während ein Ergänzungsrichter usw. nicht zugezogen ist) den Abbruch der Verhandlung bedingen. Das Verdikt unterliegt zunächst der Prüfung des Gerichts. Leidet der Spruch an formellen Mängeln oder ist er in der Sache undeutlich, unvollständig oder sich widersprechend, so sind die Geschworenen zur Berichtigung des Spruchs zu veranlassen, §§ 309 f. StPO. Erst der fehlerfreie Spruch ist Urteilsgrundlage. Auch hat das Gericht die extraordinäre Befugnis, durch einstimmigen Beschlufs den Spruch der Geschworenen dann aufzuheben und die Sache vor ein Schwurgericht der nächsten Sitzungsperiode zu verweisen, wenn jene nach der Überzeugung des Gerichts sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben, § 317 StPO. I. In den Vorstadien bis zur Hauptverhandlung zeigt das Verfahren in der schwurgerichtlichen Sache nach Reichsrecht keinerlei Eigentümlichkeiten — abgesehen von der gebotenen Informierung des Angeklagten über die Spruchliste im Hinblick auf das ihm zustehende Recht der Geschworenenablehnung, § 277 StPO. Dagegen wiesen die früheren deutschen Prozefsordnungen in ihrer Mehrzahl in zwei Richtungen Eigentümlichkeiten auf: 1. Die Versetzung in Anklagestand erfolgte regelmäfsig nach französischem Muster durch Beschlufs der Anklagekammer des

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Gang und Eigenart des Verfahrens.

Appellgerichts 1. Man glaubte durch die Zuweisung an ein Untersuchungsgericht höherer Ordnung eine verstärkte Garantie der Klagevorprüfung zu erlangen. Sicher ein Irrtum ! Die Kognition, die vom Beschlufsgericht überhaupt zu üben ist, kann genau so gut — vielleicht besser! — von Richtern ausgehen, die mit erstinstanzlicher Jurisdiktion befafst sind. Indessen verbietet sich ein näheres Eingehen auf diese Frage schon durch die Erwägung, dafs es dabei einer kritischen Erörterung des Zwischenverfahrens überhaupt bedürfen würde. 2. Nach dem Rechte des code d'instr. Art. 266, 293 hat der Präsident des Schwurgerichts oder ein von ihm beauftragter Richter den Angeklagten nach dessen Einlieferung in das Gefängnis am Orte des Schwurgerichts zu vernehmen, ihn ferner, Art. 294 f., über die Wahl eines Verteidigers zu befragen und ihn zu belehren über Anbringung etwaiger Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Verweisungserkenntnis 2. Durchaus zu mifsbilligende Bestimmungen! Ist dafür gesorgt, dafs dem Beschuldigten rechtzeitig ein Verteidiger zur Seite steht, so bedarf es irgendwelcher Belehrungen über prozessuale Befugnisse nicht. Zu Vernehmungen des Beschuldigten aber war in der Voruntersuchung genügende Gelegenheit. Ein jetzt noch vom Präsidenten vorgenommenes Verhör ist, wenn es dem Verteidigungsinteresse dienen soll, ein Eingriff in die Funktionen des Verteidigers, sachlich mindestens unnütz, wenn nicht als Störung und Durchkreuzung des Verteidigungsplanes direkt schädlich. Wird es aber, was vielleicht noch näher liegt, in den Dienst des Überführungsinteresses gestellt, so gefährdet es aufs schwerste die Unbefangenheit des künftigen Verhandlungsleiters und ist um so mehr eine Benachteiligung des Beschuldigten, als dieser des Beistandes eines Verteidigers dabei entbehrt. Verhört endlich ein Substitut den Beschuldigten, so kann zwar eine Voreingenommenheit des Präsidenten nicht entstehen, aber es wird dann der ganze Akt zu einem zwecklosen Formale 3. 1 G l a s e r , Über Versetzung in Anklagestand, kl. Schriften I S. 303 f. (französisches Recht), S. 330f. (deutsche Prozefsgesetze); D e r s e l b e , Eröffnung des Hauptverfahrens, in v. Holtzend. Rechtslex. 3. Aufl. I S. 729 f. (731 f.: neueres französisches Recht, 733 f.: geltendes österreichisches Recht); D e r s e l b e , Handb. I I S. 405 f.; B i n d i n g , Grundrifs § 27 (früheres deutsches Recht). 2 Hierzu G l a s e r , \ r orbereitung der Hauptverhandlung im französischen Schwurgerichtsverfahren, kl. Schriften Bd. I S. 507 f. 8 Vornahme durch einen Substituten ist durchaus die Regel in der französischen Praxis. Ja es gilt jeder Richter, der das Verhör bewirkt, kraft Prä-

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§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

Eine Reihe deutscher Prozefsgesetze aber hat die unglückliche Idee des Präsidentenverhörs übernommen. Die \Ternehmung wird bald fakultativ (Hannov. 1850 § 175, 1859 § 181, Bad. 1851 § 88), bald obligatorisch (Bayern 1848 Art. 117, 118, Hess.-Darmst. 1848 Art. 111 f., 119 f., 1865 Art. 340 f., Braunschw. 1849 § 101; in Schwurgerichtssachen obligatorisch, sonst fakultativ: Sachs. 1868 Art. 268, Schwurger.-Ges. § 40; obligatorisch im Falle der Verhaftung des Angeklagten, sonst fakultativ: Württ. 1868 Art. 353) angeordnet. Ihr Zweck wird entweder ganz unbestimmt gelassen („über den Inhalt der Anklage", Braunschw. § 101, „über andere Punkte" — als die Verteidigerwahl —, Hann.) oder in allgemeiner Fassung angedeutet („ob Angeklagter an seiner in der Voruntersuchung abgegebenen Aussage etwas zu ändern, derselben etwas hinzuzusetzen habe", Bayern Art. 118 N. 1; „ob er seinen früheren Verhören etwas beizufügen habe", Hess.-Darmst. Art. 340; „ob er noch etwas in der Sache vorzubringen habe", Württ. Art. 353, ähnlich Sachs. Art. 268). Auch die Befragung des Angeklagten über die Wahl eines Verteidigers — alsbaldige Bestellung eines solchen bei Nichtwahl — und die Belehrung über Rechtsbehelfe gegen das Verweisungserkenntnis kehren in den deutschen Gesetzen wieder 4 . Die Erledigung durch einen Substituten wird zugelassen von Braunschw. § 101, Hess.-Darmst. 1865 Art. 340 f., Preufs. 1867 § 220 Abs. 3, Württ. 1868 Art. 253, Sachs. § 40 Schwurger.-Ges. 1868. Die RStPO bestimmt, dafs dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger noch nicht gewählt hat, ein solcher im Zwischenverfahren nach Mitteilung der Anklageschrift zu bestellen sei, § 140 Abs. 3. Damit sind Befragungen über Verteidigerwahl und Verteidigungsmittel durch den Präsidenten nach Eröffnung des Hauptverfahrens völlig erübrigt. Und das Präsidenten verhör ist mit vollem Rechte beseitigt. Zu erwähnen ist die im § 215 Abs. 2 StPO allgemein, nicht nur in Schwurgerichtssachen vorgesehene Aufforderung des verhafteten Angeklagten zur Vorbereitung seiner Verteidigung: der sumtion als ermächtigt. H é l i e , Pratique criminelle I p. 343; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 293 nr. 20. Vgl. auch K l e i n f e i l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 167 f. 4 Bay. Art. 118 N. 2, 3; Hann. a. a. 0.; Hess.-Darmst. a. a. 0 . ; Braunschw. a. a. 0. ; Brem. 1870 § 454. Auch Hinweisungen auf das Recht der Richterablehnung, Braunschw. a. a. 0., Befragung über die Verteidigungsmittel, die vorzuladenden Zeugen usw., Braunschw., Preufe. 1867 § 220 Abs. 3, waren öfters vorgeschrieben. Nach Kurh. 1863 § 143 diente der A k t wesentlich nur der Belehrung über prozessuale Befugnisse.

§ 7.

Gang und Eigenart des Verfahrens.

Angeklagte ist bei cler Ladung zur Hauptverhandlung zu befragen — durch einen Richter oder Gerichtsschreiber; auch durch den zustellenden Gerichtsvollzieher ? 5 —, ob und welche Anträge er in Bezug auf seine Verteidigung für die Hauptverhandlung zu stellen habe. Auch diese gutgemeinte Anregung darf, wenn der Angeklagte einen Verteidiger bereits hat, was in schwurgerichtlicher Sache stets der Fall, als überflüssig bezeichnet werden, sie kann sogar cler Verteidigung schaden, indem der bei der Aufforderung von seinem Verteidiger nicht beratene Angeklagte ungeeignete Beweisanträge stellt. Der Angeklagte sollte niemals zu einseitigem Vorgehen ohne Rücksprache mit seinem Verteidiger veranlafst werden ! Ob schriftliche Aufforderung — in der Ladung — zur Anbringung etwaiger Beweisanträge nach Unterredung mit dem Verteidiger von Wert wäre, mag dahingestellt sein. Österr. § 220 hat an dem Präsidentenverhör festgehalten. Der verhaftete Angeklagte ist binnen 24 Stunden nach seiner Ankunft im Gefängnisse des Gerichtsorts von dem Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes oder von dessen Stellvertreter oder von dem Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz darüber zu vernehmen, ob er seinen in der Voruntersuchung abgelegten Aussagen etwas beizusetzen oder daran abzuändern finde, und ferner über die Wahl eines Verteidigers zu befragen usw. Der nicht-verhaftete Angeklagte wird zur Vernehmung geladen, entweder vor den Vorsitzenden oder vor den Bezirksrichter, in dessen Sprengel er sich befindet. Zwei weitere Besonderheiten des österreichischen Rechts seien hier angereiht 6 : In Schwurgerichtssachen soll bei Meidung der Nichtigkeit dem Angeklagten eine längere Zwischenfrist von der Zustellung der Vorladung bis zur Hauptverhandlung (acht Tage, sonst drei Tage bezw. 24 Stunden) offen bleiben, falls nicht der Angeklagte einer Abkürzung zustimmt, § 221 7 . Ankläger und 5 Befragung durch den Gerichtsvollzieher lassen genügen L ö w e - H e l l w e g zu § 215 Bern. 4 a; ν. Κ r i e s S. 527 u. A. Dagegen B i n d i n g , Grundriß § 107. Vgl. auch G l a s e r , Handb. I I S. 478 Anm. 4. Vornahme der Befragung durch den Vorsitzenden wäre wenig angemessen, aber dafs sie gesetzlich unzulässig sei, kann K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 167 nicht zugegeben werden. Die Tatsache, dafs in der Keichsjustizkommission Anträge (v. S c h w a r z e - G r i m m ; v. P u t t k a m m e r ) , wonach die Befragung durch den Vorsitzenden oder einen Substituten erfolgen s o l l t e , abgelehnt wurden, Prot. 1. Les. S. 332, 333, beweist nichts. 6 Vgl. dazu U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 512 f. 7 In gleichem Sinne frühere deutsche Gesetze, s. P l a n c k , Systemat. Darstellung S. 332, 333.

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§ 7.

Gang und Eigenart des Verfahrens.

Angeklagter haben das Recht, aus erheblichen Gründen zu beantragen, dafs eine Sache nicht schon in der nächsten Schwurgerichtsperiode vorgenommen werde ; die Entscheidung liegt beim Schwurgerichtshof; wenn dieser noch nicht versammelt ist, bei der Ratskammer, § 2998. I I . Nach Bildung und Vereidigung der Jury bis zur Beendigung der Beweisaufnahme verläuft das schwurgerichtliche Verfahren ganz nach den Regeln des landgerichtlichen Prozesses, §§ 289, 276 StPO. Der Geschworenenauslosung ist übrigens ein Hauptverhandlungsakt bereits vorangegangen: der Aufruf der Sache9. Das Gesetz, § 278, bezeichnet insofern den Hauptverhandlungsbeginn nicht ganz korrekt. 1. Die Geschworenen müssen, wie die Richter, während der ganzen Hauptverhandlung ununterbrochen anwesend sein, § 225 StPO. Ein Verstofs hiergegen begründet Nichtigkeit, § 377 Nr. 5 StPO. Anwesenheit in diesem Sinne ist körperliche Assistenz. Der unaufmerksame Geschworene kann nicht als „abwesend" gelten. Ebensowenig ergibt solche Pflichtwidrigkeit vorschriftswidrige Gerichtsbesetzung, § 377 Nr. 1. Besteht aber beim Geschworenen, wenn auch nur ganz vorübergehend, ein Zustand, der ihn zur Ausübung der richterlichen Funktionen, insbesondere zur sinnlichen Wahrnehmung, unfähig macht, so hat insofern ein unfähiger Richter assistiert. In der Literatur wird durchweg übersehen die Möglichkeit transitorischer absoluter Unfähigkeit zum Richteramt 10 . Schlaf wirkt Unzurechnungsfähigkeit, der schlafende Geschworene ist unfähiger Richter 11 . Der Nachweis dieser Tatsache mufs zur 8 Nach § 298 soll in der Session über alle Strafsachen entschieden werden, rücksichtlich deren die Versetzung in den Anklagestand bei Eröffnung der 'Sitzungen bereits rechtskräftig war. Trifft letztere Voraussetzung nicht zu, so kann die Hauptverhandlung während der Session mit Genehmigung des Schwurgerichtsvorsitzenden nur dann erfolgen, wenn eine Partei darauf anträgt und die Gegenpartei zustimmt (in diesem Falle hat der Angeklagte auf den Einspruch gegen die Versetzung in Anklagestand und auf die Zwischenfrist des § 221 ausdrücklich zu verzichten). Vgl. auch oben S. 86 Anm. 59. 9 Vgl. hierzu G l a s e r , Handb. I I S. 517. 10 Vgl. O e t k e r in Goltd. Arch. Bd. 49 S. 98. 11 A. A. RG Fer.-S. E. Bd. 22 S. 106 f. Die Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit entziehe sich der Kontrolle. Gewifs! Ebenso früher preufs. Ob.-Trib. bei Goltd. Bd. 2 S. 800. Aber daraus folgt doch nicht, dafs nachgewiesene Unzurechnungsfähigkeit unerheblich sei.

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

Aufhebung des Urteils führen 12 . Zugleich ist Ordnungsstrafe am Platze, weil sich der Geschworene seinen Obliegenheiten pflichtwidrig entzogen hat, §§ 56, 96 GVG. In noch höherem Mafse wäre diese Reaktion begründet in dem — rein hypothetisch zu erwähnenden — Falle der Trunkenheit eines Geschworenen. 2. Entscheidende Funktion haben die Geschworenen nur für die Schuldfrage und ihre gesetzlichen Zutaten. Prozessuale Fragen werden allein von den Richtern beantwortet 18 . Auch dann, wenn es sich um ^Einstellung des Verfahrens, vor oder nach Verdiktsabgabe, oder um Abbruch der Verhandlung wegen fehlender Urteilsvoraussetzung handelt. Die Geschworenen entscheiden nicht mit über Beweisanträge und haben nach Reichsrecht auch nicht ihrerseits solche zu stellen 14 . Aber es wird sich öfters empfehlen, dafs der Vorsitzende vor der Entscheidung über einen Beweisantrag die Meinung der Geschworenen zu erforschen sucht 15 . Jedenfalls sollte Ablehnung einer Beweiserhebung als präsumtiv fruchtlos oder entbehrlich — von ganz zweifelsfreier Beweislage abgesehen — nicht ohne vorgängige Befragung der Geschworenen erfolgen. Sicher wird die Tatsache, dafs über die Beweisfrage und die Beweiserhebungsfrage je andere Richter zu entscheiden haben, zu manchem Beweisakte führen, der sonst entbehrlich wäre 16 . Das gilt auch vom Falle eines den R i c h t e r n glaubwürdig erscheinenden Geständnisses. 12 So auch mit Recht W. M i t t e r m a i e r , Zur Frage der Schwurgerichte S. 13(Sond.-Abdr. aus Monatsschrift f. Krim.-Psychol. u. Strafrechtsreform 1905). Vgl. auch G ö r r e s , Wahrspruch der Geschw. u. seine psychol. Grundlagen S. 55f., der mit Recht allzulanges ununterbrochenes Verhandeln widerrät. 13 Vgl. G l a s e r I I S. 61. Aus der reichsgerichtlichen Praxis: 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 37 S. 443 (Erloschensein der Strafklage durch rechtskräftiges Urteil), 2. Str.-S. E. Bd. 15 S. 122 f. (Ehescheidung als Voraussetzung der Strafverfolgung wegen Ehebruchs), 1. Str.-S. E. Bd. 33 S. 271 f. (Zulässigkeit der Strafverfolgung im Hinblick auf vorgängige Auslieferung). In früheren Gesetzen wurde die Zuständigkeit des Gerichtshofs öfters ausdrücklich bestimmt: Sachs. 1868 § 57; Württ. 1868 Art. 370. 14 Anders Kurh. 1863 § 155 Abs. 2: Die Geschworenen können den Präsidenten zur Vornahme von Handlungen auffordern, welche ihnen zur Aufklärung der Wahrheit erheblich erscheinen. Ebenso Hamb. 1869 § 207 Abs. 5. 16 Ein solches Verfahren ist vom Reichsgericht gebilligt worden, 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 48 S. 455. Vgl. auch 3. Str.-S. E. Bd. 35 S. 389 f. Der Behauptung R o s e n f e l d s S. 374 Anm. 4, Verständigung des Gerichte mit den Geschworenen sei gesetzwidrig, fehlt die Begründung. 16 Vgl. auch RG 3. Str.-S. E. Bd. 7 S. 76 f.

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

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Österr. § 315 Abs. 1 gibt mit Recht den Geschworenen die Befugnis zu Beweisanträgen 1 7 . Soweit das Gericht die Geschworenen über Fragen der Beweiserhebung hört, kann auch eine vorgängige Beratung der Geschworenen untereinander gestattet werden, im Sitzungszimmer oder im Beratungszimmer, indem für solange der Vorsitzende eine Verhandlungspause eintreten läfst (§ 227 Abs. 1 StPO) 18 . Die Prozefsordnung sieht ein solches Verfahren nicht vor, aber es ist auch nicht der Schein eines Grundes abzusehen, weshalb es unzulässig sein sollte. Unverkennbar ist's ein schwerer Fehler der bestehenden schwurgerichtlichen Prozedur, dafs den Geschworenen, den Richtern der Schuld, de jure kein Einflufs auf die Beurteilung des Beweisbedürfnisses zusteht. Es wäre ein Recht der Geschworenen zu Beweisanträgen an das Gericht anzuerkennen. Gehörte dem Geschworenenkollegium stets ein Richtergeschworener an — siehe oben S. 22, — so dürfte ein einstimmig gestellter Beweisantrag der Geschworenen vom Gericht überhaupt nicht abgelehnt werden; im übrigen wäre für die Ablehnung Einstimmigkeit der Richter zu fordern 19 . Zur Ermöglichung gemeinsamer Anträge der Geschworenen müfste ihnen das Recht separater Beratung zustehen, jedenfalls nach Schlufs der Beweisaufnahme unci schon während cler Beweiserhebung je nach Beendigung eines Beweisaktes auf Verlangen der Geschworenenmehrheit 20. Würde noch hinzugefügt obligatorische Anhörung der Geschworenen vor Ablehnung eines Beweisantrages als präsumtiv fruchtlos, entbehrlich, so dürfte eine wesentliche Verbesserung des Verfahrens erzielt sein. Schon nach geltendem Rechte hat der Vorsitzende den Ge17

Vgl. dazu M a y e r , Handb. des österr. Strafprozefsrechts Bd. I V S. 89f., wo zutreffend auf die Bedeutung dieser Vorschrift gegenüber anderen Gesetzgebungen hingewiesen wird. 18 A. A. RG 1. Str.-S. E. Bd. 26 S. 274 f. Wenn hier ausgeführt wird, den Geschworenen könne ein mafsgebender Einflufs, ein Recht, die Einnahme eines Augenscheines zu fordern, nicht eingeräumt werden, so ist das ganz richtig, aber auch ganz unbeweisend. Und selbstverständlich ist, dafs die Geschworenen nicht einen Beschlufs, a. a. 0. S. 275, — mit einfacher oder Zweidrittelmehrheit — über die Beweiserhebungsfrage zu fassen haben. 19 In diesem Sinne m e i n e Vorschläge, Ger.-Saal Bd. 65 S. 333 f. ; Bd. 68 S. 103 f. W e i n g a r t in Aschrott, Reform des Strafproz. S. 747 will einfache Mehrheit der Geschworenen genügen lassen (m. E. zu weitgehend). 20 Vgl. Anm. 19.

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

schworenen zu gestatten, Fragen an die Zeugen und Sachverständigen — nicht auch an den Angeklagten 21 — zu stellen, kann aber ungeeignete oder nicht zur Sache gehörige Fragen 22 zurückweisen, §§ 239 Abs. 2, 240 Abs. 2 StPO. Die Geschworenen sind durch Zulassung dieser Korrektur seitens des Vorsitzenden, die einem beisitzenden Richter gegenüber nicht erfolgen könnte, insofern in der Fragbefugnis den Parteien gleichgestellt 23 . 3. Die \7erhandlung zur Sache wird nach der allgemeinen Norm des Verfahrens, § 242 Abs» 2 StPO, durch die Verlesung des Eröifnungsbeschlusses eingeleitet. Sollte cler Beschlufs unvollständig sein, den Anforderungen des § 205 StPO (Bezeichnung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes) nicht genügen, so wäre falsch, die gebotene Ergänzung lediglich in der Fragstellung an die Geschworenen vorzunehmen 24. Vielmehr hat das gleich bei Beginn der Verhandlung zu geschehen. Denn die Ergänzung ist notwendig schon im Hinblick auf die positive Vorschrift im § 242 StPO, 21

Ob der Vorsitzende auf Ansuchen eines Geschworenen dem Angeklagten bestimmte Fragen vorlegen will, ist Ermessenssache. A . A . V o i t u s , Kontroversen I S. 33 f. Gegen ihn K l e i n f e i l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 286 f. Vgl. auch RG 2. Str.-S. R. V S. 784 f. 22 Vgl. dazu L ö w e - H e l l w e g zu § 240 Bern. 5. 23 Bestritten ist, ob den Geschworenen (Schöifen, beisitzenden Richtern) das Recht zusteht, Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage zu erheben und dadurch Gerichtsentscheid herbeizuführen, § 241 StPO. Bejahend K e l l e r zu § 241 Bern. 3. \ r erneinend K l e i η f e l l e r , Funktionen usw. S. 289. Die Kontroverse zu § 241 (§ 237 Abs. 2) dürfte dahin zu entscheiden sein: Aus dem Rechte der Befragung ist nicht ohne weiteres ein Recht der Beanstandung herzuleiten (so K e l l e r ) . Wohl ist nach der ratio legis die Befugnis des § 241 sicher den Parteien mitzugedacht wegen ihres Interesses am Beweisergebnis. Die beisitzenden Richter und die Schöffen, die im Falle der Beanstandung mit zu entscheiden haben, in deren Hand die Sorge für die Rechtsgültigkeit des Verfahrens mit gelegt ist, müssen auch in der Lage sein, auf eine solche Beschlufsfassung hinzuwirken. Ferner hat der Befragte dazu das Recht, da es sich um die Bemessung seiner Zeugenpflicht handelt, und zweifellos stets der Vorsitzende als Leiter der Verhandlung. Die Geschworenen hingegen, denen das Gesetz jede aktive Einwirkung auf die Verhandlung abgesehen vom Rechte der Befragung versagt, können dementsprechend nur insofern Gerichtsbeschlufs provozieren, als es sich um ihrerseits gestellte, vom Vorsitzenden zurückgewiesene Fragen handelt, § 237 Abs. 2 StPO. Zu weitgehend K l e i n f e i l er S. 291, der auch in diesem Falle dem Geschworenen den Anruf an das Gericht versagt. 24 Vgl. oben S. 37.

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

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wo unter dem zu verlesenden Beschlufs natürlich ein gesetzentsprechender, vollständiger verstanden ist, und besonders zur Wahrung des Verteidigungsrechtes des Angeklagten, das im Gesetze, § 264, auch in der Weise anerkannt ist, dafs bei Hervortreten eines andern rechtlichen Gesichtspunktes oder von Qualifikationsgründen gegenüber den Annahmen des Eröffnungsbeschlusses Bedeutung des Angeklagten darüber vorgeschrieben ist und unter Umständen diesem ein Aussetzungsanspruch zusteht oder doch auf Antrag oder von Amtswegen nach gerichtlichem Ermessen die Verhandlung auszusetzen ist, Bestimmungen, die einen genügend abgefafsten und voll verlesenen Eröffnungsbeschlufs voraussetzen. Ein Eröffnungsbeschlufs freilich, der auch unter Zuhilfenahme der Anklageschrift eine konkrete inkriminierte Tat nicht erkennen liefse, wäre schlechthin unbrauchbar 25 und die Rechtslage die gleiche, als ob Eröffnungsbeschlufs überhaupt fehlte. Nicht in gleichem Mafse wesentlich ist der weiter durch § 205 geforderte Inhalt. Da die Subsumtion unter das Strafgesetz aus der Tat logisch folgt, so ist in dieser Hinsicht das Gericht der Hauptverhandlung zur Ergänzung des unvollständigen Beschlusses — durch Angabe des Strafgesetzes und der gesetzlichen Merkmale, eventuell unter Heranziehung der Anklageschrift und der Ergebnisse der Voruntersuchung — imstande. In Versäumung solcher Vervollständigung läge ein Prozedurfehler, der im Hinblick auf die Bestimmungen des § 264 die Aufhebung des Urteils zur Folge haben könnte 26 . Die Ergänzung und authentische Interpretierung (aus der Anklageschrift usw.) stehen nicht dem Vorsitzenden 27 allein zu, es bedarf dazu eines Gerichtsbeschlusses. Die Ergänzung usw. ist insbesondere nicht eine „auf die Sachleitung bezügliche Anordnung", auf welche § 237 StPO Anwendung zu finden hätte. Gegenüber einer solchen Ergänzung des Beschlusses hat der 25

Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 10 S. 58. Unrichtig 3. Str.-S. R. V S. 583 f. (Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils war geboten). 26 Der Mangel ist -als kausal für den Urteilsinhalt anzusehen, wenn er eine Beschränkung der Verteidigung zur Folge gehabt hat; vgl. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 43 S. 396. 27 Wie RG 2. Str.-S. E. Bd. 24 S. 64 f. anzunehmen scheint. Dagegen spricht der gleiche Senat E. Bd. 21 S. 66 ausdrücklich von der Pflicht des „Gerichts" zur Interpretierung des undeutlichen Beschlusses. Korrekt das Verfahren in dem bei Goltd. Arcli. Bd. 35 S. 321 mitgeteilten Rechtsfall.

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

Angeklagte ausweislich der §§ 214, 216 StPO 28 , welche Zustellung eines vollständigen Beschlusses spätestens eine Woche vor dem Tage der Hauptverhandlung fordern, stets einen Aussetzungsanspruch 29. Eintritt in die Verhandlung ohne Aussetzungsbegehren steht ausdrücklichem Verzicht gleich. Aussetzungsanspruch des Staatsanwalts aus gleichem Grunde besteht nicht, da er zur Interpretierung und Subsumtion in gleichem Mafse wie das Gericht in der Lage ist. Auch die Nichtgewährung eines Aussetzungsrechtes des Staatsanwalts wegen veränderter Sachlage im § 264 des Gesetzes ist konkludent. Doch ist Aussetzung ex officio auch im Interesse genügender Vorbereitung der Anklage nicht ausgeschlossen. 4. Klagbesserung im Urteil — § 263 StPO : Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sich dieselbe nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt, ohne dafs die rechtliche Beurteilung im Eröffnungsbeschlusse das Gericht zu binden vermöchte — ist Klagbesserung durch Geschworenenspruch, da dieser die Schuldfrage erledigt und von der Richterbank akzeptiert zum integrierenden Bestandteil des schwurgerichtlichen Urteils wird 3 0 . Eine Ausnahme besteht nur insofern, als die Rückfallsfrage zur Kognition cler Richterbank gehört und somit eventuell von dieser klagbessernd entschieden wird. Da aber die Geschworenen zu spontaner Entscheidung überall nicht in der Lage sind, so können sie auch eine Klagbesserung nur in Form von Fragen-Beantwortung vollziehen. Die Klagbesserung, soweit nicht teilweise Verneinung der dem Eröffnungsbeschlufs gemäfsen Fragen dazu hinreicht, wird angebahnt durch Hilfsfrage, anderweite Gestaltung der Hauptfrage als dem Eröffnungsbeschlufs entfprechen würde, Nebenfrage. Das Gericht erteilt solchergestalt den Geschworenen die Legitimation zur Besserung. In der Stellung von Hilfs-, Nebenfrage, in vom Eröffnungsbeschlufs abweichender Substantiierung der Hauptfrage liegt bereits der durch § 264 geforderte Hinweis des Angeklagten auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes, auf hervorgetretenen Qualifikationsgrund 81. Die Verlesung der Frage durch den Vor28 Inkorrekt die Bezugnahme auf § 264 Abs. 4 StPO im Urteil des 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 35 S. 322. 29 Zu Unrecht bestritten in der Anmerkung zu 4. Str.-S. Goltd. Bd. 43 S. 396. 30 Eingehende Darlegung unten in § 17. 31 In diesem Sinne die Rechtsprechung des Reichsgerichts; 3. Str.-S. E.

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sitzenden, § 290 StPO, gilt ohne Zweifel auch dem Angeklagten. Gelegenheit zur Verteidigung in der entsprechenden Richtung, § 264, ist dem Angeklagten geboten, indem zunächst über die Fragen und dann an der Hand der Fragen zu verhandeln ist. Eine bestimmte Form der Bedeutung ist nicht vorgeschrieben und dafs der Angeklagte diese wirklich verstanden habe, natürlich nicht Voraussetzung der Klagbesserung. Der Vorsitzende darf sich bei der Annahme beruhigen, dafs der Hinweis auch in der Frageform genügend deutlich sei, zumal dem Angeklagten ein Verteidiger zur Seite steht, mag aber eventuell auf die Änderung noch ausdrücklich aufmerksam machen. Da teilweise Verneinung der Fragen nach dem Gesetz, § 305 Abs. 2, den Geschworenen stets zusteht, so wird auf die Eventualität einer solchergestalt sich vollziehenden Klagbesserung schon durch die Fragestellung hingewiesen32. Der Vorsitzende ist bei kompliziertem Tatbestande und gegenüber einer Fragengestaltung, die eine gröfsere Zahl wirksamer Teilbejahungen zuläfst, zuweilen gar Bd. 2 S. 55 f., 92 f., 2. Str.-S. R. I V S. 242 f., Fer.-S. E. Bd. 12 S. 353; eine abweichende Auffassung läfst E. Bd. 2 S. 156 (3. Str.-S.) erkennen. Übereinstimmend G l a s e r , Ger.-Saal Bd. 36 S. 130, Handb. I I S. 564 Anm.34; K e l l e r zu §264 Bern. 7; J o h n I I I S.386; S t e n g l e i n zu §264Bern. 13; B e n n e c k e - B e l i n g S. 551; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt S. 86. Dagegen besonders M e v e s in Goltd. Arch. Bd. 38 S. 259 f. Mit der Alternative aber: gilt § 264 im schwurgerichtlichen Verfahren oder nicht? ist die Frage nicht richtig gestellt. Mafsgebend ist, ob der Fragverlesung die F u n k t i o n des Hinweises gemäfs § 264 zugesprochen werden kann. Und dies mufs schon deshalb angenommen werden, weil das Verlangen eines weiteren Hinweises neben der Frage im Hinblick auf deren etwaige Teilverneinung durch die Geschworenen öfters undurchführbar wäre, der vom Vorsitzenden vor allem zu fordernden Unparteilichkeit widerspräche usw., wie die folgende Textausführung ergibt. „Besonders" im § 264 (Meves S. 262) bedeutet, dafs der Hinweis in Form eines ihn enthaltenden Verfahrensaktes, nicht nur beiläufig oder konkludent (durch die A r t der Verhandlungsführung) gegeben werden soll. Das geschieht in der Fragverlesung um deswillen nicht weniger, weil sie zugleich im Dienste eines anderen Verfahrenszweckes steht. Für Hinweis neben der Frage auch L ö w e - H e l l w e g zu § 264 Bern. 5a. I n Frankreich ist üblich, dafs alsbald bei Hervortreten eines erschwerenden Umstandes der Angeklagte im Interesse seiner Verteidigung auf die bevorstehende Befragung darüber hingewiesen wird, S i r e y et M a 1 e ρ e y r e art. 338

Nr. 2.

32 So RG Fer.-S. R. V S. 531 f., 1. Str.-S. E. Bd. 19 S. 224 f. Dagegen L ö w e - H e l l w e g zu § 264 Bern. 5 a ; F r a n k , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 12 S. 338; B e n n e c k e - B e l i n g S. 569. Abweichend auch 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 40 S. 141.

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

nicht in der Lage, sich im voraus alle die Deliktstypen zu vergegenwärtigen, die bei Verneinung von Fragmomenten sich ergeben könnten. Der Vorsitzende kann nicht verpflichtet sein, den Hinweis ultra posse zu spezialisieren. Ebensowenig aber wäre die individuelle Leistungsfähigkeit des Vorsitzenden in dieser Hinsicht geeignet, einen gesetzlichen Mafsstab abzugeben. Schon deshalb mufs der nichtspezialisierte, in der Frage liegende Hinweis genügen38. Und jedenfalls würde durch Aufzählung aller abstrakt denkbaren eine Bestrafung noch bedingenden Variationen der Fragbeantwortung leicht mehr geschadet als genützt, Verwirrung bei den Geschworenen erzeugt, Verständnis beim Angeklagten gewifs nicht erzielt, und zudem vielfach unter Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit und in Schädigung begründeten Strafanspruchs der beklagten Partei ein Verteidigungsbehelf suppeditiert, dem Plaidoyer des Verteidigers die Richtung gewiesen, den Geschworenen grundlose Teilverneinung der Klage geradezu suggeriert 84 . Soll der Vorsitzende, wenn der Angeklagte sicher des Raubes usw. schuldig ist, verpflichtet sein, die Annahme blofsen Diebstahls als möglichen Prozefsausgang zu proklamieren? Ein prozessualer Rechtssatz, die dem Vorsitzenden in § 264 erteilte Anweisung, darf eben nicht so gehandhabt werden, als ob er für sich allein stände ! Die gesetzliche Gesamtkonstruktion der schwurgerichtlichen Hauptverhandlung stellt jene Verfahrensnorm in eine wesentlich andere Umgebung, als das in der Strafkammersache usw. der Fall ist. Während sonst der Hinweis nur erfolgt, wenn der Vorsitzende mit der Wahrscheinlichkeit entsprechender Schuldannahme des Gerichts zu rechnen hat — die klagbessernde V e r u r t e i l u n g ohne vorgängige Bedeutung ist unzulässig — , sollte im Schwurgerichtsverfahren die ganz abstrakte Möglichkeit einer abweichenden, dem Beweisergebnis vielleicht völlig widersprechenden Schuldbeurteilung den Hinweis bedingen? Rationelle Gesetzesauslegung findet bereits in der Aufstellung der Urteilsfrage, wie sie im Schwurgericht geboten ist, eine hinreichende 33 B e n n e c k e - B e l i n g S. 569 zieht aus dem Fehlen des Hinweises die Konsequenz, dafs trotz einer die Anwendung des Strafgesetzes ergebenden Teilbejahung freizusprechen sei. Allein wenn diese Folgerung zuträfe — was nicht der Fall ist, denn wegen eines nicht mehr zu reparierenden Prozefsfehlers könnte nur die Verhandlung abgebrochen, nicht freigesprochen werden und Verhandlungsabbruch nach dem Verdikt ist nur noch wegen fehlender Prozefs- oder Urteilsvoraussetzung möglich (vgl. unten § 65) — so spräche sie doch deutlich gegen die Prämisse. ?4 Diese Konsequenzen hat sich M e v e s a. a. 0. nicht vergegenwärtigt.

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§ 7.

Gang und Eigenart des Verfahrens.

Befolgung der gesetzlichen Anweisung, so dafs weiterer Hinweis rechtlich erübrigt i s t 3 5 . Ob der Vorsitzende noch eine ausdrückliche Bedeutung in bestimmter Richtung hinzufügen will, ist Ermessenssache : die Beweislage, ihre mutmafsliche Würdigung durch die Geschworenen, die Rücksicht auf das materielle Recht, das nicht dem Buchstaben einer auf andere Voraussetzungen abgestellten Vorschrift zuliebe geschädigt werden darf, müssen dabei den Ausschlag geben. Hinweis auf hervorgetretenen Qualifikationsgrund nach Abgabe des Spruchs kommt nur in Betracht und ist zugleich notwendig, wenn das Gericht abweichend vom Eröffnungsbeschlufs zur Annahme des Rückfalls gelangt 36 . Die Klagbesserung ist eben in diesem Ausnahmefall Gerichtssache 37. Das Schutzmittel der Aussetzung — auf Antrag oder von Amtswegen — zur Verhütung von Nachteilen für die Anklage, die Verteidigung infolge der veränderten Sachlage, § 264 Abs. 3 f., besteht in schwurgerichtlichen Sachen ganz wie in Strafkammerverhandlungen. Wenn irgend möglich, ist dabei das Zeitmafs des § 228 zu wahren, damit eine Erneuerung der Verhandlung vermieden wird. Einen A n s p r u c h auf Aussetzung hat der Angeklagte, wenn er unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände bestreitet, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes als des im Eröffnungsbeschlusse bezeichneten zulassen oder welche als Qualifikationsgründe wirken, § 264 Abs. 3. Ein Vorbehalt anderweiter Verfolgung, wie öfters in früheren 36 Es mag zugegeben werden, dafs die Schwurgerichtssache so in einen gewissen Gegensatz zur Strafkammersache usw. tritt. In dieser mufs, obwohl Verlesung des Eröffnungsbeschlusses vorangegangen ist, doch noch ein besonderer Hinweis auf die Änderung erfolgen, ehe das Gericht unter teilweiser Verneinung des im Eröffnungsbeschlusse enthaltenen Tatbestandes verurteilen darf. Die Schwurgerichtssache begnügt sich hier mit der dem Eröffnungsbeschlufs entsprechenden Fragverlesung. Und in der Tat wäre eine Verbesserung des Verfahrens in dieser Richtung anzustreben. Erstattet nach meinen Vorschlägen — oben S. 22 — die Geschworenenbank unter Anteilnahme eines Richtergeschworenen begründete Wahrsprüche, so hat es auch gar kein Bedenken, ihr die Pflicht aufzuerlegen, vor einer Teilverneinung der Frage dafür Sorge zu tragen, dafs der Angeklagte vom Vorsitzenden auf die bevorstehende Änderung noch hingewiesen werde. In einem so konstruierten Schwurgericht liefse sich die Handhabung des § 264 durchweg in völliger Übereinstimmung mit der Strafkammersache leicht erreichen. 36 Ein Beispiel dafür in Goltd. Bd. 44 S. 60 f. (4. Str.-S.). 37 Nähere Ausführungen hierüber unten § 27 sub X.

§ 7.

Gang und Eigenart des Verfahrens.

Prozefsgesetzen 38, ist nicht zugelassen. Die inkriminierte Tat, wie sich dieselbe nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt, in allen ihren tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen ist Gegenstand der Urteilsfindung, § 263 StPO. In diesem vollen Umfange, auch wenn die Befragung der Geschworenen und die Aburteilung den Tatbestand nicht allseitig erschöpft haben sollte, tritt die Rechtskraftswirkung ein. Österr. § 320 fordert für eine Hilfsfrage, die schwerere Strafbarkeit begründet, die Zustimmung des Angeklagten. Wird diese verweigert oder hält das Gericht seinerseits die alsbaldige Verhandlung unter dem neuen Gesichtspunkte nicht für angemessen, so wird nur über die ursprüngliche Klage entschieden und dem Ankläger auf dessen Begehr die anderweite Verfolgung vorbehalten. I I I . Eröffnungsbeschlufs und Verhandlungsergebnis liefern zusammen die Materialien der Fragestellung. Nach Schlufs der Beweisaufnahme wird in diesem Akte dem Schuldentscheid die Richtung gewiesen, der schwurgerichtlichen Prozedur die charakteristische Eigenart aufgeprägt. Von juristisch korrekter Befragung hängt der Rechtsbestand des Urteils, von kunstgerechter, den gesamten relevanten Verhandlungsstoff deckender, knapper und zugleich unmifsverständlicher Gestaltung der Fragen oft genug der materielle Prozefsausgang ab. Die Fragestellung ist der Kernpunkt des Verfahrens, ihre genaueste juristische Durcharbeitung dringendes Bedürfnis. Der Vorsitzende verliest die von ihm entworfenen Fragen. Die Parteien und die Geschworenen können Einwendungen erheben, Anträge auf Abänderung und Ergänzung der Fragen stellen. In diesen Fällen mufs Feststellung der Fragen durch Gerichtsbeschlufs erfolgen. Ebenso, wenn einer der beisitzenden Richter es verlangt. IV. Mit der Fragestellung, die den Geschworenen ihre konkrete Aufgabe zumifst, beginnt der Gegensatz der Schuld- nnd Straffrage das Verfahren mafsgebend zu beeinflussen. Die Parteivorträge können zunächst nur die Schuldfrage (genauer: den vom Gesetz 88 Code art. 361, Preufs. 1852 Art. 86 Abs. 2, 30 (dazu Z a c k e , Fragstellung und Wahrsprüche S. 31 f.) und 1867 § 323 Abs. 2 u. 3, Frankf. 1856 Art. 239, Oldenb. 1857 Art. 326 § 2, Sachs. 1868 § 65 Abs. 2 u. 3, Brem. 1870 §§ 483, 485. Ein solcher Vorbehalt konnte gemacht werden bis zum regelrecht abgegebenen Wahrspruch der Geschworenen, wie auch nur bis dahin Nachbringung einer eventuellen Frage noch möglich war. Vgl. Z a c k e a. a. 0. Ausdrücklich bestimmten so Preufs. 1867 § 323 Abs. 3, Sachs. 1868 § 65 Abs. 3.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozeß I I I .

8

114 ,

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

den Geschworenen zugewiesenen Teil der Urteilsaufgabe) umfassen. Erst nach Abgabe eines die Schuldfrage ganz oder teilweise bejahenden Wahrspruchs ist der Diskussion der Straffrage Raum gegeben. Man kann die Überweisung beider Fragen an verschiedene Richterkollegien beanstanden, die positivrechtliche Abgrenzung der Arbeitsgebiete tadeln, aber die getrennte Erörterung der — richtigbemessenen — Fragen ist logisch einwandfrei und hat einen nicht zu unterschätzenden, gerade im Verfahren vor Laienrichtern bedeutsamen prozefstechnischen Vorzug: Befreiung der Vorträge vom Eventualprinzip, von Erörterungen und Anträgen zur Straffrage in innerem Widerspruch mit den vorgängigen Ausführungen über Schuld, Nichtschuld, Verschuldung bestimmter Art des Angeklagten. Die Verbindung beider Fragen nötigt den Redner, am Ende seines Plaidoyers eine Schuldauffassung zu unterstellen, deren energischer Bekämpfung sein ganzes bisheriges Vorbringen galt. An dieser Klippe könnte Laienrichtern gegenüber auch die gröfste rhetorische Geschicklichkeit scheitern. Denn wie nahe läge, dafs diese aus dem inkongruenten Abschlüfs der Rede folgerten, der Vortragende glaube selbst nicht recht an die Richtigkeit seiner Darlegungen. Im Verfahren vor rechtsgelehrten Richtern kommen Erschwerung des Vortrages und Gefährdung seines Erfolgs weniger in Betracht 89 , aber auch hier kann bei kompliziertem Verhandlungsstoff die Scheidung im Interesse der Übersichtlichkeit und der zutreffenden W 7 ürdigung 40 des Materials liegen 41 . 39 Vgl. jedoch F r y d m a n n , Handbuch der Verteidigung S. 365 f. 40 F r y d m a n n bemerkt richtig, es lasse sich, wenn die inkriminierte Handlung mannigfache rechtliche Gesichtspunkte darbiete, mitunter im Plädoyer nicht mit Sicherheit voraussehen, welche Qualifikation der Gerichtshof annehmen werde. 41 Die braunschweig. StPO § 92 liefs auch im rechtsgelehrten Beamtengericht zunächst einen Spruch über die Schuld ergehen und dann erst die Entscheidung über die Subsumtionsfrage und die Strafe folgen. Nach dem Spruch, vor dem Urteil waren die Parteien auf Verlangen über den Rechtspunkt „nochmals" zu hören, aber es bezogen sich bereits die Vorträge nach erfolgter Beweisaufnahme auf die Rechtsfragen und die Strafe mit (§ 91). Konsequent wäre gewesen, der Folge von Wahrspruch und Urteil entsprechend auch die Parteivorträge nach Schuld- und Straffrage zu trennen. Sehr bemerkenswert bestimmt Österr. § 256 für das nicht-schwurgerichtliche Verfahren: In der Regel ist in den Schlufsvorträgen über alle im Urteile zu entscheidenden Fragen ungetrennt zu verhandeln. Doch steht es dem Vorsitzenden oder dem Gerichtshofe frei, zu verfügen, dafs die Schlufsvorträge über die Schuldfrage von jenen über die Strafbestimmungen, über die privat-

§ 7. Gang und Eigenart des Verfahrens.

115

Den Parteivorträgen zur Schuldfrage folgt ein Vortrag des Vorsitzenden an die Geschworenen mit der Aufgabe nur der Rechtsbelehrung, nicht eines unparteiischen Résumés. Der Vorsitzende belehrt, ohne in eine Würdigung cler Beweise einzugehen, die Geschworenen über die rechtlichen Gesichtspunkte, welche sie bei Lösung der ihnen gestellten Aufgabe in Betracht zu ziehen haben, § 300 Abs. 1 StPO. λΓ. Beweisaufnahme, Parteivorträge, Präsidialbelehrung sind die Grundlagen des Verdikts. Ehe diese Akte beendet sind, darf nicht der Spruch beschlossen werden. Er ruhte sonst auf unvollständigem Fundamente. Wird nach Wiedereintritt der Geschworenen in das Sitzungszimmer mit dem fertigen Spruch vor dessen Kundgebung noch ein Beweisakt vorgenommen oder den Parteien nochmals das Wort gegeben oder die Rechtsbelehrung noch ergänzt, so mufs zunächst neue Beratung der Geschworenen herbeigeführt werden 42. Würde alsbald die Kundgebung des zuvor beschlossenen Verdikts entgegengenommen, so stände fest, dafs ein Verhandlungsmoment, ein Stück der Rechtsweisung von den Geschworenen nicht gewürdigt wäre. Die offenbare Irrelevanz des Beweisaktes, des weitern Parteivorbringens kann keine Ausnahme begründen, denn die Entscheidung darüber steht bei den Geschworenen. Die Beratung der Geschworenen, auch diese Nachtragsberatung, kann nach Reichsrecht immer nur im Beratungszimmer stattfinden. Sagt das Protokoll nicht, dafs die Geschworenen des neuen Beweisaktes halber ins Beratungszimmer zurückgeschickt wurden, so ist erwiesen, dafs die unerläfsliche weitere Beratung unterblieben ist. VI. Auch bei Geständnis des Angeklagten haben im Gegensatze zum englischen Rechte nach der deutschen und der österreichischen Prozefsordnung die Geschworenen ihren Spruch abzugeben. Denn dem Geständnisse gebührt im Strafprozesse nur Beweisbedeutung, nicht Dispositivcharakter. Aber das Geständnis k a n n zu einer rechtlichen Ansprüche und über die Prozefskosten zu trennen seien. I n diesen Fällen werden, nachdem der Gerichtshof über die Schuld des Angeklagten entschieden und seinen Ausspruch verkündet hat, neuerliche Schlufsvorträge gehalten, welche jedoch auf die noch zu entscheidenden Fragen einzuschränken sind. Vgl. U l i m a n n , Österr. Strafproz. S. 557, 558; M a y e r , Handbuch des österr. Strafproz. I S. 161. Eine solche fakultative Verhandlungstrennung hat in der Tat viel für sich. Bei Einführung grofser Schöffengerichte wäre sogar obligatorische Trennung zu empfehlen. 42 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f , Rechtsprechung Bd. 11 S.409f.; RG Str.-S. E. Bd. 3 S. 101. 8*

§ 7.

116

Gang und Eigenart des Verfahrens.

Einschränkung der weitern Beweiserhebung führen. Doch hat das Gericht dabei, wie schon oben betont wurde, zu bedenken, dafs es auf die Wertung des Geständnisses durch die Geschworenen ankommt. Auch ergibt § 244 Abs. 1 RStPO insofern eine Schranke des richterlichen Ermessens, als von der Beweiserhebung, soweit die Beweismittel in bestimmter Weise herbeigeschafft sind, nur im Einverständnis beider Parteien abgesehen werden kann. Ohne Einholung eines Verdikts hat das Gericht bei Mangel einer Prozefs-, einer Urteilsvoraussetzung und noch in einigen weitern Fällen, deren Nachweis späterer Ausführung vorbehalten bleiben mufs 43 , zu entscheiden. So könnte die Meinung entsteheo, es bedürfe, wenn ein solches Verhältnis gleich Anfangs liquide vorliegt, gar nicht erst der Bildung einer Geschworenenbank44. Allein eine schwurgerichtliche Hauptverhandlung gibts nicht ohne Jury. Schon die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses kann erst nach Auslosung der Geschworenen geschehen. An das Schwurgericht ist die Sache gewiesen. Und dieses besteht aus Richterund Geschworenenbank. Die Richterbank ist nicht ein Schwurgericht im Sinne des Gesetzes. Über die Frage fehlender Prozefsvoraussetzung usw. sind die Parteien zu hören. Auch einschlägige Beweiserhebungen können notwendig sein. Diese haben, wie die Parteierörterungen, vor dem Schwurgericht zu geschehen. Vielleicht erweist sich dabei das Hindernis für Befragung und Schuldausspruch der Geschworenen als nicht existent, dann geht das Verfahren in der üblichen Weise fort. Andernfalls erhellt freilich, dafs die Bankbildung materiell überflüssig war, aber sie durfte nicht unterbleiben. VII. Der fehlerfrei befundene oder der gerichtlichen Anweisung entsprechend berichtigte Spruch wird dem Angeklagten verkündet. Mit dem Urteile, gefällt von der Richterbank, schliefst dann das Verfahren ab. Zwischen ganz oder teilweise schuldbejahendem Verdikt und dem Urteil liegen die Parteivorträge zur Straffrage. Auch dann sind die Parteien noch zu hören, wenn das nur teilweise bejahende Verdikt in Wahrheit Strafgesetzanwendung nicht ermöglicht. 43

Vgl. unten § 65. So H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 117 für den Fall des Antragsmangels. Weshalb dann aber n u r hier? 44

§ 8. Hauptfrage auf das Gattungsdelikt?

117

Erstes Kapitel. Die Erster Titel.

Fragestellung1. D i e A r t e n d e r Fragren.

A. Die Hauptfrage.

Jede Hauptfrage ist einheitliche Frage 2 . Täter- und Teilnehmer - Mehrheit und Realkonkurrenz bedingen Fragen - Mehr1

Die ältere Literatur ergibt sich aus den trefflichen Nachweisungen bei G l a s e r , Fragestellung in v. Holtz. Rechtslexikon 3. Aufl. I S. 905, 906. Daraus hervorzuheben: B r a u e r , Deutsche Schwurgerichtsgesetze (1856) S. 189—195; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung über Strafverfahren (1856) S. 517—548; D e r s e l b e , Erfahrungen über die Wirksamkeit der Schwurgerichte (1865); P l a n c k , System. Darstellung (1857) S. 389—426; Z a c h a r i a e , Handbuch des deutsch. Strafproz. I I (1868) S. 483—527; W a i t h e r , Lehrbuch des bayer. Strafproz. (1859) S. 336 —359; T L ö w e , Preufs. Strafproz. (1861) S. 299—309; H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage im Geschworenengericht (1860); v. B a r , Recht und Beweis im Geschworenengericht (1865); Z a c k e , Fragestellung und Wahrsprüche in den preufs. Schwurgerichten (1867): G l a s e r , Schwurgerichtliche Erörterungen 2. Aufl. 1875 S. 1—67; v. S c h w a r z e , Artikel Schwurgericht in Weiskes Rechtslexikon Bd. X S. 83 f.; D e r s e l b e , Die Strafprozefsgesetze im Königreich Sachsen Bd. I I Heft 2 (1869) S. 37—63; D e r s e l b e , Ger.-Saal Bd. 19 S. 358 f., Bd. 20 S. 10 f.; v. B a r , Ger.-Saal Bd. 19 S. 436 f. ; H . M e y e r in v. Holtz. Handbuch I I S. 127—183; U l T m a n n , Österr. Strafproz. 2. Aufl. (1882) S. 622—660; F r y d m a n n , Systemat. Handbuch der Verteidigung (1878) S. 248-297; V a r g h a , Verteidigung (1879) S. 792—815. Ferner: Anl. 5 zu den Motiven der Reichsstrafprozefsordnung S. 183 f. Neuere Literatur: R u h s t r a t , Mitwirkung des Schwurgerichtshofes bei der Entscheidung der Strafsachen, Goltd. Arch. Bd. 29 S. 48—62; F r e u d e n s t e i n , Schwurgerichtliche Fragestellung, Goltd. Arch. Bd. 31 S. 97—138; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt im schwurgerichtl. Verfahren 2. Aufl. (1898); H t i c k i n g , Zur Fragestellung beim Schwurgericht, Goltd. Arch. Bd. 34 S. 216 bis 244; D e r s e l b e , Goltd. Arch. Bd. 35 S. 169—192; D e r s e l b e , Bd. 38 S. 401—413; S t e n g l e i n , Fragestellung an die Geschworenen, Ger.-Saal Bd. 44 S. 401—423; O e t k e r , Gesetzliche Merkmale in Haupt- und Nebenfrage, Ger.Saal Bd. 64 S. 55—218. Ferner G e y e r S. 746f.; v. K r i e s S. 603 f.; U l l m a n n S. 504 f.; B i r k m e y e r S. 647 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 544 f.; R o s e n f e l d 2. Aufl. S. 375f. Unter den Kommentaren steht auch hier weit voran L ö w e H e l l w e g ; manches Originelle bei K e l l e r (2. Aufl.) Spezialliteratur bei den einzelnen Lehren. 2 Eine Teilung der Hauptfrage wäre durchaus unzulässig, weil sie zu getrennter Abstimmung über die Elemente der Schuldfrage führen würde. Falsch die französische Praxis, die dem Präsidenten eine solche Teilung gestattet.

§ 8. Hauptfrage auf das Gattungsdelikt?

118

h e i t 3 , § 292 Abs. 3 StPO. Besonderer Untersuchung bedarf die Fragstellung bei Idealkonkurrenz, Gesetzeskonkurrenz und fortgesetztem Verbrechen. Die Hauptfrage geht gemäfs dem Eröffnungsbeschlufs auf Täterschaft 4 oder Mittäterschaft an einem bestimmten begangenen oder versuchten Delikt (oder an einer selbständig strafbaren Vorbereitungshandlung zum Delikt) oder auf Anstiftung oder Beihilfe dazu. Sie ist nach dem Handlungsstadium Vollendungs- oder Versuchs- oder Vorbereitungsfrage, nach der Beteiligungsform Täterschafts-, Mittäterschafts-, Anstiftungs-, Beihilfefrage. Die Begünstigungsfrage ist, weil es sich dabei um selbständiges Delikt handelt, Täterschaftsfrage. Eine Hauptfrage dieses Inhalts ist auch dann zu stellen, wenn es sich nur um die deutschrechtliche Ehrenfolge eines von einem Deutschen begangenen und im Auslande zur Bestrafung gelangten Delikts handelt, § 37 StGB. Bei solchem Teilstrafurteil scheiden sich Schuld- und Straffrage genau wie beim Vollurteil. Die materiellrechtliche Grundlage für die Darstellung der Fragarten bildet ausschliefslich das Reichsstrafrecht. § 8.

H a u p t f r a g e a u f das G a t t u n g s c l e l i k t ?

Die Bejahung der Hauptfrage ergibt eine bestimmte Deliktsschuld, ist Bejahung eines bestimmten geschlossenen Deliktstatbestandes. Nur ein für sich, ohne Hinzutritt weiterer Momente Vgl. z. B. die Entscheidungen des Kass.-Hofs v. 29. Dez. 1899, v. 22. Jan. 1892, v. 27. Juli 1883 bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 code d'instr. Nr. 25, 39, 316. In der letzteren Entscheidung wird gebilligt, die Frage nach Mord zu zerlegen in die Fragen nach Körperverletzung, Todesfolge und Tötungsvorsatz: eine völlige Yerkennung der einheitlichen Natur der Schuldfrage. 3 Die früheren deutschen Gesetze erklärten durchweg die Verbindung mehrerer Angeklagten in einer Frage für unzulässig, gestatteten aber öfters die Zusammenfassung real konkurrierender Delikte. Vgl. Z a c h a r i a e I I S. 487; Z a c k e , Fragstellung S. 104 f. Die österr. StPO § 323 Abs. 2 verbietet die Zusammenfassung nicht und es werden daher von der Praxis kumulative Fragen zugelassen, sofern nicht die Feststellung der wahren Willensmeinung der Geschworenen durch die Verbindung beeinträchtigt werde. Vgl. U l i m a n n , Österr. Strafprozefsrecht S. 632f.; G l a s e r , Fragestellung in v. Holtz. Rechtslexik. I S. 899; Kass.-Hof v. 26. Sept. 1879, Entscheid. Bd. 3 S. 21 f. Vgl. auch unten § 29 sub I. 4 Nichthinderung gemäfe § 361 Z. 9 StGB, § 21 Reichsprefsgesetzes usw. usw. begründet Täterschaft an einem Unterlassungsdelikt.

§ 8. Hauptfrage auf das Gattungsdelikt?

119

strafbarer Tatbestand kann Gegenstand der Hauptfrage sein 1 . Demnach ist eine Hauptfrage auf das Gattungsdelikt nur zulässig, wenn dieses unter einheitlicher Strafe steht; ein strafschärfender oder strafmildernder Umstand mag dann Gegenstand einer Nebenfrage sein. Es kann beispielsweise nicht gefragt werden nach vorsätzlicher Tötung oder gar schuldhafter Tötung, nach schuldhafter Körperverletzung , nicht nach dem Gattungsdelikt der Ehrverletzung, wohl nach Diebstahl, Raub usw.; jene Begriffe sind blofse Gebilde der juristischen Abstraktion, diese dagegen gesetzlich anerkannte Deliktstatbestände von genereller Bedeutung, denen spezialisierte Formen, qualifizierte und privilegierte Unterarten, wie Einbruchsdiebstahl, Raub mit Marterung, Mundraub gegenüberstehen. Gegen diesen Grundsatz wird in Theorie und Praxis nicht selten verstofsen. Besonders sind in Mordprozessen Hauptfragen auf vorsätzliche Tötung mit Nebenfragen auf Überlegung nicht selten 2 . Es mag daher an ihnen die Verkehrtheit solcher Fragstellung nachgewiesen werden. Gesetzt, drei Geschworene verneinen den Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Tod, drei andere die Überlegung bei der Ausführung, so wird bei einheitlicher Befragung Mord verneint, bei sukzessiver bejaht. Es kann also jedenfalls nicht, wie regelmäfsig behauptet wird, vom Ermessen des Gerichts abhängen, in der einen oder anderen Weise zu fragen. Nun entspricht eine auf vorsätzliche Tötung schlechthin gerichtete Frage sicher nicht den Erfordernissen des § 293 StPO. Denn sie geht nicht auf „die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat nach ihren gesetzlichen Merkmalen", sondern auf eine Abstraktion aus den gesetzlichen Merkmalen verschiedener Tötungsdelikte. Eine glatt bejahte Hauptfrage mufs unmittelbare Gesetzesanwendung gestatten. Denn andernfalls wäre der Angeklagte noch nicht „schuldig" gesprochen, obwohl gerade darnach gefragt worden ist; es bedürfte vielmehr noch der Erledigung einer Nebenfrage. Sukzessive Schuldigsprechung verletzt ein Grundprinzip der Abstimmung in Strafrichterkollegien, den Satz, dafs zur Bejahung der Schuldfrage die Gesamtheit der Tatbestandsmomente des einfachen Delikts in e i n e r Abstimmung die erforderliche Majorität erhalten haben mufs. Das Gesetz hat sehr Recht, Nebenfragen zwar auf Qualifikationsgründe, aber nicht 1

Vgl. auch preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10 S. 120 f. So KG 2. Str.-S. E. Bd. 9 S. 401; 3. Str.-S. Bd. 26 S. 171 f.; 1. Str.-S. Bd. 31 S. 332 f.; 4. Str.-S. Goltd. Bd. 38 S. 339 f. In demselben Sinne L ö w e H e l l w e g zu § 293 Bern. 9 b ; v. S c h w a r z e zu § 293 Bern. 7. 2

§

Hauptfrage bei zusammengesetzten Verbrechen.

auf Merkmale des einfachen Delikts zu gestatten. Die Überlegung bei der Ausführung ist nicht Schärfungsgrund vorsätzlicher Tötung, sondern Mord und Totschlag sind hervorgehobene Unterarten dieses der einheitlichen Strafsanktion entbehrenden Gattungsdelikts. § 9. H a u p t f r a g e b e i z u s a m m e n g e s e t z t e n V e r b r e c h e n . Ein z u s a m m e n g e s e t z t e s Verbrechen, z.B. Raub, ist durch eine Hauptfrage, nicht, wie beim qualifizierten Verbrechen zulässig, durch Haupt- und Nebenfrage zu erledigen 1. Denn keines der Einzeldelikte qualifiziert das andere, sie sind gleichwertige Bestandteile des einen kombinierten Tatbestandes. Demnach kann keines Gegenstand einer Nebenfrage nach § 295 sein. Auch würde ja eine solche Nebenfrage nicht nur das Teildelikt, sondern zugleich seinen Nexus mit dem anderen Teil (Nötigung als Diebstahlsmittel) betreifen. Denn dafs dieser Zusammenhang nicht Gegenstand einer weiteren, einer zweiten Nebenfrage sein kann, ist ohne weiteres klar; solche Befragung entbehrte jeder gesetzlichen Grundlage. Eine Nebenfrage aber auf das eine Teildelikt in seiner Beziehung zum anderen ist ganz abgesehen vom § 295 aus inneren Gründen zu verwerfen: 1. Sie wäre insofern eine komplexe Frage, als sie zwei kriminalistisch selbständige Fakta, z. B. Diebstahl und Nötigung, vereinigte, und sie wäre insofern eine sich widersprechende Frage, als sie zugleich diese Fakta in eine ihre Selbständigkeit aufhebende Verbindung setzte, ohne doch auf das entsprechende zusammengesetzte Verbrechen gerichtet zu sein. 2. Da zum Bau des zusammengesetzten Verbrechens Einzeldelikte häufig in spezialisierter Form verwendet werden, die Nötigung beim Raube z. B. in Gewalt gegen eine Person oder in Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben bestehen mufs, so entstände das Dilemma, die Nebenfrage, z. B. nach Nötigung als Diebstahlsmittel entweder gemäfs den gesetzlichen Merkmalen des Einzeldelikts zu formulieren, wobei dann der gesetzliche Tatbestand des zusammeugesetzten Delikts überhaupt nicht zur Feststellung käme, oder die entsprechenden Momente des Gesamttatbestandes entscheiden zu lassen, in welchem 1 Unrichtig 2. Str.-S. E. Bd. 1 S. 68f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 293 Bern. 9 b ; D a l c k e zu § 295 Bern. 1 ; H. M e y e r in v. Holtzend. Handb. I I S. 176 Anm. 11 ; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 249 Bern. 11. Richtig RG Fer.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 38 S. 347.

§ 9. Hauptfrage bei zusammengesetzten Verbrechen.

121

Falle das Einzeldelikt, wenn dieses die Geschworenen unter Verneinung des Nexus bejahten, nicht nach seinem gesetzlichen Tatbestande festgestellt würde. Es zeigt sich hieran klar der innere Widerspruch einer solchen Nebenfrage. 3. Würden die Geschworenen statt zusammengesetzten Delikts Konkurrenz annehmen, das weitere Delikt also bejahen, den Nexus aber ablehnen, so bliebe nach ihrer Antwort unaufgeklärt, ob Real- oder Idealkonkurrenz vorläge. Denn eine Mehrheit selbständiger Handlungen könnten sie nicht feststellen, da sie danach nicht gefragt worden wären. Für ein rechtsgelehrtes Kollegium bieten sich zur Feststellung eines zusammengesetzten Verbrechens zwei Wege : entweder Totalabstimmung über dessen sämtliche Merkmale oder sukzessive Abstimmungen über die Einzeldelikte und den erforderlichen Nexus 2 . Bei Verneinung der Gesamtfrage wird weiter über die Einzeldelikte und die Konkurrenz (ob reale oder ideale), aber natürlich nicht mehr über den Nexus abgestimmt. Im Falle sukzessiver Abstimmung führt Verneinung des Nexus zur Vorlegung der Konkurrenzfrage. Ganz falsch wäre, das zweite Einzeldelikt und den Nexus in einer Abstimmung zu erledigen, denn es müfsten ja dann alle Richter mit Nein antworten, die entweder das Einzeldelikt oder den Nexus verneinten. Im Geschworenenverfahren ist ebenso eine Frage nach Einzeldelikt und Nexus zu verwerfen. Und der Weg sukzessiver Abstimmung ist nicht gangbar, da es eine Nebenfrage auf den Nexus nicht gibt. Sonach bleibt nur der Modus der Totalabstimmung, der auch zu durchaus richtigem Ergebnisse führt. Die Hauptfrage im ganzen kann nur bejaht werden, wenn mindestens acht Geschworene beide Einzeldelikte und den Nexus bejahen. Hilfsfragen auf die Einzeldelikte und die Konkurrenz sind im Zweifel empfehlenswert. Denn es könnte sonst bei teilweiser Bejahung der Hauptfrage (Verneinung eines Einzeldelikts, des Nexus) zur Feststellung eines Delikts nicht nach den gesetzlichen Tatmomenten3 oder zur Feststellung zweier Delikte ohne Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses kommen. 2

AVer ein Teildelikt verneint, hat auch den Nexus zu verneinen. Raub ergibt, wenn ein Teildelikt verneint wird, zwar den Diebstahl, nicht aber die Nötigung nach den Merkmalen des Strafgesetzes. 3

122

§ 10. Hauptfrage bei qualifizierten und privilegierten Delikten.

§ 10.

Häuptfrage bei q u a l i f i z i e r t e n u n d p r i v i l e g i e r t e n Delikten.

Hat der Eröffnungsbeschlufs q u a l i f i z i e r t e s oder p r i v i l e g i e r t e s Delikt angenommen, so ist's durchaus statthaft, das Delikt in dieser Gestalt zum Gegenstand einer einzigen, einer Hauptfrage zu machen 1 . Das Gericht kann aber auch nach seinem Ermessen die Hauptfrage auf das einfache, das Grunddelikt richten und eine Nebenfrage wegen des Qualifikations- oder Privilegierungsgrundes hinzufügen und mufs das bei entsprechendem Antrag gemäfs § 296. Die gleiche Alternative besteht, wenn erst die Verhandlung entgegen dem Eröffnungsbeschlufs die Annahme des Qualifikations-usw.-Grundes nahegelegt hat. Zu einer Klagbesserung hingegen durch Streichen des in den Eröffnungsbeschlufs aufgenommenen, nach der Verhandlung präsumtiv abfällig gewordenen Qualifikations - usw. - Grundes ist das Gericht nicht befugt. Der Eröffnungsbeschlufs mufs jedenfalls erledigt werden. I. Q u a l i f i k a t i o n s g r ü n d e . In einem Richterkollegium kann entweder zuerst das qualifizierte, bei Verneinung das einfache oder erst das einfache Delikt und bei Bejahung der Qualifikationsgrund zur Abstimmung verstellt werden. Im ersteren Falle verneinen alle Richter das qualifizierte Delikt, die entweder das einfache oder den Qualifikationsgrund verneinen. Im zweiten Falle haben Richter, die das einfache Delikt verneint haben und dabei überstimmt worden sind, demnächst den Qualifikationsgrund zu verneinen 2. Unmifsverständlicher ist der erstere Modus 8 . Im Geschworenenverfahren stehen — abgesehen von einem Antrag auf Nebenfrage — an sich ebenfalls beide Weisen zur Wahl. Bei der erstem aber fällt eine Eventualfrage auf das einfache Delikt weg. Denn die Geschworenen können die Hauptfrage 1

Vgl. auch RG 2. Str.-S. R. I S. 225 f. Unrichtig preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 18 S. 372 f.; L ö w e H e l l w e g zu § 197 GVG Bern. I b . Wer den X des einfachen Diebstahls für nicht überführt erachtet, hält ihn auch des schweren nicht für schuldig und hat von der letzteren Auffassung nicht deshalb abzugehen, weil er mit der ersteren in der Minorität blieb. Richtig bereits v. B a r , Krit. Vierteljahrsschr. Bd. 10 S. 499. 3 Vgl. B i n d i n g , Grundrifs § 89 V u. V I 4b«. 2

§ .

Hauptfrage bei qualifizierten und privilegierten Delikten.

bejahen unter Verneinung des Qualifikationsgrundes. Es bestände kein Bedürfnis für eine Hilfsfrage und sie wäre hier im Verhältnis des einfachen zum qualifizierten Delikt, des Genus zur Spezies, unzulässig, weil die Hilfsfrage begrifflich auf einen der Hauptfragetat gegenüber kriminalistisch selbständigen Tatbestand geht 4 . In der einen Hauptfrage nach dem qualifizierten Delikt steckt zugleich die Frage nach dem einfachen Delikt. Es kann daher die Hauptfrage von den Geschworenen mittelst einheitlicher Abstimmung zwar bejaht, aber nicht verneint werden 5 ; vielmehr ist bei Verneinung des qualifizierten Delikts weiter über das einfache abzustimmen und je nach dem Ausfalle dieser zweiten Abstimmung die Hauptfrage entweder im ganzen zu verneinen oder zu bejahen unter Verneinung des Qualifikationsgrundes. Bei sukzessiver Befragung — nach einfachem Delikt und Qualifikationsgrund — sind ganz ebenso wie im Richterkollegium diejenigen Votanten, die das einfache Delikt verneint haben, gehalten, demnächst auch den Qualifikationsgrund zu verneinen. In jedem Falle wird Belehrung der Geschworenen über das von ihnen bei der Abstimmung zu beobachtende Verfahren sich empfehlen. Die eine ungeteilte Hauptfrage verlangt von den Geschworenen eine kompliziertere Feststellung: clas kann im Einzelfalle für Fragenteilung sprechen. Es gibt Qualifikationen, die sich gleichmäfsig auf mehrere Grunddelikte beziehen ; so wirkt die Gewerbs-usw.-Mäfsigkeit strafschärfend für Personen- und Sachenhehlerei, § 260 StGB, die Öffentlichkeit der Begehung für Verleumdung im engeren Sinn und für Kreditgefährdung, § 187 StGB. Ein delictum sui generis gegenüber den Grunddelikten entsteht in diesen Fällen nicht, die Qualifikation bleibt reiner Strafschärfungsgrund und ihr Hinzutritt ergibt eine qualifizierte Deliktsspezies. Andere Behandlung bedingen Strafgesetze, die zwar materiell qualifizieren, formell aber in der Tat delicta sui generis aufstellen. Lehrreich ist § 11 Dep.-Ges. v. 5. Juli 1896: Ein Kaufmann, welcher seine Zahlungen eingestellt hat oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, wird mit Zuchthaus 4 RG 1. Str.-S. E. Bd. 12 S. 252 f. hat richtig verneint, dafs § 214 StGB (vorsätzliche Tötung bei Unternehmung einer strafbaren Handlung) del. sui generis sei. 5 Nicht zutreffend G e y e r § 219 V : über Schärfungsgründe müsse in jedem Falle besonders abgestimmt werden.

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§ 9. Hauptfrage bei qualifizierten und privilegierten Delikten.

bestraft, wenn er im Bewufstsein seiner Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung fremde Wertpapiere, welche er im Betriebe seines Handelsgewerbes als Verwahrer, Pfand gläubiger oder Kommissionär in Gewahrsam genommen, sich rechtswidrig zugeeignet hat. Dieser Tatbestand ist zweifellos der Sache nach qualifizierte Unterschlagung, ebenso sicher aber der Form nach selbständiges Delikt. Der letztere Gesichtspunkt mufs für die Befragung der Geschworenen den Ausschlag geben. Es geht nicht an, aus § 11 den Unterschlagungskern herauszuschälen und darauf die Hauptfrage zu beschränken unter Verweisung aller weitern Momente in eine Nebenfrage. Vielmehr umfafst die Hauptfrage stets den ganzen Tatbestand des Gesetzes. Einfache Unterschlagung ergibt sich durch teilweise Verneinung dieser Frage. Hatte der Eröffnungsbeschlufs nur Unterschlagung angenommen, während nach dem Verhandlungsergebnis vielmehr das qualifizierte Delikt des § 11 vorliegt, so ist die Hauptfrage entsprechend zu erweitern. Falsch wäre hingegen, auf Unterschlagung (oder das Delikt des § 11) eine Hilfsfrage zu stellen, da die Tatbestände von Haupt- und Hilfsfrage sich nie wie plusminus, sondern immer wie aliud-aliud zueinander verhalten. Die formelle Selbständigkeit des § 11 zeigt sich auch in der materiellen Folge, dafs eine Mehrheit von Depotunterschlagungen bei Einheit der Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) Verbrechenseinheit darstellt 6 — wie unter gleicher Voraussetzung eine Mehrheit von Bankerutthandlungen —, während der Gesichtspunkt blofser Unterschlagungen zur Annahme von Realkonkurrenz führen würde. Noch ausgeprägter tritt der formelle Charakter als delictum sui generis in materiell qualifizierendem Gesetz dann hervor, wenn es an formeller Wiedergabe der Tatbestandsmomente des Grunddelikts darin fehlt. Beispiele sind §§ 343 StGB gegenüber 240, 354 gegenüber 299. Der Beamte, der in einer Untersuchung Zwangsmittel anwendet oder anwenden läfst, um Geständnisse oder Aussagen zu erpressen, wird der qualifizierten Nötigung (oder des Versuchs dazu) schuldig. Rein unmöglich aber wäre, durch teilweise Verneinung dieses Tatbestandes einfache Nötigung gemäfs § 240 festzustellen. Das Delikt des § 354 qualifiziert Fälle unbefugter Brieferöffnung (§ 299), aber in einer Fassung, die es unmöglich macht, daraus im Wege der Teilverneinung das Grunddelikt auszuscheiden. Vgl. weiter die §§ 219, 332, 347 im Ver6

RG 4. Str.-S. E. Bd. 34 S. 239 f.

§

. Hauptfrage bei

ualifizierten und privilegierten Delikten.

hältnis zu §§ 218 Abs. 3, 331, 121 usw. Die formell durchaus selbständige Haltung dieser strafschärfenden, die Grunddelikte nicht reproduzierenden Gesetze nötigt, im Zweifel über einfaches oder qualifiziertes Delikt Haupt- und Hilfsfrage zu stellen. Äufsere Abscheidung der qualifizierenden Momente in eine Nebenfrage oder ihre Verbindung mit dem gesetzlichen Tatbestand des Grunddelikts in entsprechender Hauptfrage wäre undurchführbar, da das qualifizierende Gesetz ein formell nicht trennbares Ganze ist. Für den Gegensatz von Haupt- und Hilfsfrage ist nur charakteristisch, dafs die erfragten Tatbestände formell voneinander unscheiclbar sind, während materiell der eine im anderen enthalten sein kann. Noch einige weitere positivrechtliche Eigentümlichkeiten be-' dürfen der Erwähnung. Zuweilen wird das Grunddelikt nicht allgemein, sondern nur in einer bestimmten hervorgehobenen Erscheinungsform qualifiziert. So beschränkt sich nach § 1 Abs. 2 des Sklavenraubgesetzes vom 28. Juli 1895 die Qualifikation (Todesstrafe bei Todesfolge usw.) auf einen zum Zweck des Sklavenraubs unternommenen Streifzug, während Grunddelikt generell ist die vorsätzliche Mitwirkung an einem auf Sklavenraub gerichteten Unternehmen. Kommt die qualifizierende Todesfolge des Abs. 2 nicht in Betracht, so geht die Hauptfrage nach Abs. 1 einfach auf Mitwirkung am Unternehmen des Sklavenraubes. Soll aber die Qualifikation wirksam werden, so mufs die Hauptfrage neben dem Grundbegriff des Unternehmens noch die spezielle Deliktform (Streifzug) anführen. Sie erweitert sich um ein Moment, das für das Grunddelikt unwesentlich die Grundlage bietet für die gesetzliche Qualifikation. Würde die Hauptfrage nur die spezielle Deliktsform nennen, so käme es, falls die Geschworenen nicht diese Spezies, wohl aber das Genus annehmen sollten, zu ungerechtfertigter Freisprechung. Nebenfrage aus qualifizierendem Gesetz erübrigt sich, wenn Begehung in Mittäterschaft Qualifikationsgrund ist. Denn dieses Moment gehört, wie im § 11 näher darzulegen ist, in die Hauptfrage. Beispiele solcher Qualifikationen in den §§ 119, 123 Abs. 3, 223a, 293 StGB. II. P r i v i l é g i é r u n g s g r ü n de. Voraussetzung ist, dafs der Privilegierungsgrund in Form eines T a t u m s t a n d e s , der zum Tatbestande des einfachen Delikts oder mehrerer solcher Delikte hinzutritt, nicht in Gestalt eines neuen s e l b s t ä n d i g e n D e l i k t s t a t b e s t a n d e s wirksam ist. Es wird z. B. cler Totschlag in § 213 durch das Moment der

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§ 10. Hauptfrage bei qualifizierten und privilegierten Delikten.

Reizung, es werden verschiedene Eidesdelikte usw. in § 157 Nr. 1 und 2 StGB durch die dort bezeichneten Umstände privilegiert. Der Eröffnungsbeschlufs geht auf eine dieser Spezies, sei es als solche, sei's unter Hinzunahme des Privilegierungsgrundes, und es ist nun die Aufgabe, im Hinblick auf Grunddelikt und privilegierendes Moment den Fragmodus korrekt zu bestimmen. Kommt hingegen der Privilegierungsgrund in einem delictum sui generis zum Ausdruck, wie dies für den Kindsmord, die Tötung des Einwilligenden, den Mundraub gegenüber Mord und Totschlag, Diebstahl und Unterschlagung 7 zutrifft, so steht das Delikt zu jedem der ungeschieden in ihm enthaltenen Grunddelikte kriminalistisch selbständig, zu keinem derselben im Verhältnis der Spezies zum Genus und es ist daher bei Zweifel über das Vorhandensein von einfachem oder privilegiertem Delikt immer der Fall der Hilfsfrage gegeben, von dem erst später gehandelt werden kann 8 . Dafs solchem Sachverhalt gegenüber nicht mit einer Hauptfrage auf das privilegierte Delikt oder mit einer Hauptfrage auf einfaches Delikt und einer Nebenfrage auf den Privilegierungsgrund auszukommen ist, springt in die Augen. Denn die Geschworenen können nicht durch teilweise Verneinung der Kindsmordsfrage Mord oder Totschlag feststellen und würden, wenn sie Totschlag oder Mord und aufserdem die Besonderheiten des Kindsmords bejahten, einen dem Gesetz unbekannten privilegierten Totschlag oder Mord, nicht aber Kindsmord, einen Deliktsbegriff, in dem Mord und Totschlag untrennbar vereinigt sind, feststellen 9. Über einen reinen Privilegierungsgrund für bestimmtes Delikt ist in einem Richterkollegium nicht in der Weise zu votieren, dafs erst über das privilegierte, bei dessen Verneinung über das einfache Delikt abgestimmt wird. Denn das im privilegierten Delikt steckende einfache Delikt kann nur mit Zweidrittelmajorität bejaht, der Privilegierungsgrund nur mit gleicher Majorität verneint werden. Einheitliche Abstimmung ist also undenkbar. Die vermeintlich einheitliche Frage zerfiele in zwei Teilfragen mit verschiedenen 7

Über das Verhältnis des Mundraubs zur Unterschlagung vgl. B i n d i n g , Lehrbuch I S. 308 und die dort gegebenen Nachweise. 8 Im Sinne des § 1 StGB ist allerdings, wie B i n d i n g , Lehrbuch I S. 31 Anm. 3 betont, jede qualifizierte oder privilegierte Unterart eines Verbrechens delict, sui generis, aber das privilegierte Delikt mit selbständigem Tatbestand ist es noch in dem besonderen Sinne, dafs es den Grunddelikten nicht als species, sondern als genus gegenübersteht. 9 Unrichtig RG 3. Str.-S. E. Bd. 20 S. 174.

§11.

Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe.

Majoritätserfordernisseh. Vielmehr ist erst über das einfache Delikt, dann über den Privilegierungsgrund zu stimmen 10 . Kein Richter kann einfaches Delikt verneinen, weil er privilegiertes annimmt, denn das privilegierte Delikt ist zugleich einfaches und nach dem Privilegierungsgrund wird besonders gefragt. Richter, die das einfache Delikt verneint haben, sind bei der zweiten Abstimmung nicht genötigt, den Privilegierungsgrund anzunehmen; es kann ihnen nicht angesonnen werden, wegen ihres früheren Votums etwas für wahr zu erklären, von dessen Existenz sie nicht überzeugt sind 11 . Eine Schädigung des Angeklagten kann aus dieser Sachlage um so weniger erwachsen, als der Privilegierungsgrund nur mit Zweidrittelmajorität verneint werden kann. Im Geschworenenverfahren sind zwei Möglichkeiten gegeben: Hauptfrage auf das privilegierte Delikt oder Hauptfrage auf das einfache mit Nebenfrage wegen des Privilegierungsgrundes. Im ersten Falle können die Geschworenen bejahen unter Verneinung des Privilegierungsgrundes. Sie kommen der einen Frage gegenüber mit einer Abstimmung nur aus, wenn das einfache Delikt von ihnen verneint wird, andernfalls müssen sie weiter über den Privilegierungsgrund votieren 12 . Es ist daher sukzessive Befragung durchaus empfehlenswert. Aber es ist nicht der andere Modus unzulässig 13 , denn es steht den Geschworenen immer teilweise Bejahung, teilweise Verneinung der gestellten Frage frei. § 11. H a u p t f r a g e bei M i t t ä t e r s c h a f t , Beihilfe.

Anstiftung,

I. Die Begehung eines Verbrechens durch mehrere Angeklagte als M i t t ä t e r kann nicht in e i n e r Abstimmung des R i c h t e r kollegiums festgestellt werden. Denn es würden ja sonst — um von andern Gegengründen abzusehen — die verneinenden Vota betreffs der einzelnen Mitangeklagten insgesamt als Verneinungen 10 A. A. B e n n e c k e - B e l i n g S. 390 und anscheinend ν. Κ r i e s , Lehrbuch S. 445. Aber das von K r i e s angeführte Beispiel — Zweifel über Diebstahl oder Mundraub — pafst nicht, denn Mundraub ist del. sui generis gegenüber Diebstahl und Unterschlagung. 11 Α. A. v. K r i e s S. 611 Anm. 1. 12 Vgl. auch G e y e r § 219 V. 18 So L ö w e - H e l l w e g § 293 Bern. 9 c ; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 177. v. S c h w a r z e z u § 295 Bern. 5 meint, die Aufnahme des Privilegierungsgrundes in die Hauptfrage werde diese „in der Regel komplex" machen (?). Richtig D a l c k e , Fragestellung S. 22.

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§ 11.

Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe.

der einen komplexen Frage wirken und es könnte zur Freisprechung aller kommen, obwohl eine genügende Majorität der Richter die Mittäterschaft jedes einzelnen angenommen hätte. Vielmehr ist Schuld- und Tatanteil jedes Mitangeklagten besonders zu bestimmen. Die Schuldfrage wird aber für jeden im Hinblick auf eine angeblich gemeinsam begangene Tat gestellt; es fragt sich, ob er in Gemeinschaft mit den andern delinquiert hat. Denn würde für jeden isoliert Täterschaft festgestellt, so könnte die Summe dieser Alleintäterschaften nicht nachträglich zur Mittäterschaft vereinigt werden. Eine nachfolgende Abstimmnng über gemeinsame Begehung stände in vollkommenem Widerspruch mit den vorangegangenen Einzelfeststellungen, die sämtlich im Sinne isolierter Täterschaft erfolgt wären. Keineswegs liegt in Bejahung der Schuldfrage für A dahin, dafs er in gemeinsamer Ausführung mit Β delinquiert habe, bereits die Bejahung entsprechender Schuld des B 1 . Es ist damit allerdings implizite Beteiligung, aber keineswegs bereits schuldhafte Beteiligung des Β angenommen. A ist beispielsweise als Mittäter, keineswegs als Alleintäter zu betrachten, wenn er in Gemeinschaft mit dem zurechnungsunfähigen B, ohne von diesem Zustande zu wissen, delinquiert hat usw. 2 . In Anwendung derselben Grundsätze ist im schwurgerichtlichen Verfahren für jeden Mittäter eine besondere Frage zu stellen unter Hervorhebung der gemeinsamen Ausführung 3. Eine besondere, eine ergänzende Hauptfrage auf gemeinsame Begehung, die für den Fall der Bejahung der vorgängigen Einzelschuldfragen oder mindestens zweier von ihnen zu beantworten wäre, ist dem Gesetze unbekannt. Sie wäre bei Aufnahme des Moments der Gemeinschaft in die Einzelfragen unzulässige Wiederholung bereits erledigter Fragebestandteile. Sollten aber fälschlich einfache Täterschaftsfragen gestellt sein, so würde die vermeintliche Ergänzungsfrage mit ihnen in vollen Widerspruch treten. 1

Unrichtig RG 4. Str.-S. E. Bd. 20 S. 188 f. Eigenartig 1. Str.-S. E. Bd. 36 S. 19 : es widerspreche dem § 292 Abs. 3 StPO, Begehung „ i n Gemeinschaft mit dem Mitangeklagten" zu erfragen, es müsse lauten „ i n Gemeinschaft mit einem anderen". Dann könnte die Mittäterschaft von Mitangeklagten überhaupt nicht festgestellt werden! Ähnlich bei der Schuldfrage wegen Duells. Die Bejahung der für X gestellten Frage auf Zweikampf mit Y bejaht nicht bereits die Schuld des Y. 2 Kannte er die Unzurechnungsfähigkeit, so mufs er als Alleintäter gelten. A . A. 4. Str.-S. Goltd. 46, 41. 3 Übereinstimmend U l i m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 509.

§ 11. Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe.

Die auf Mittäterschaft gerichtete Frage kann von den Geschworenen bejaht werden unter Verneinung der Gemeinschaft, also im Sinne der Alleintäterschaft beantwortet werden. Das folgt aus der Regel des § 305 Abs. 2, wonach teilweise Bejahung und teilweise Verneinung den Geschworenen freisteht. Es möchte eingewandt werden, dafs Alleintäterschaft in Mittäterschaft nicht als Teil enthalten sei, sondern ihr gegenüber ein aliud bedeute. Allein deshalb steckt doch in der Mittäterfrage die Täterfrage — denn für den Mittäter ist Täterwille notwendig und das gleiche Mafs von Tun möglich wie bei einem durch einen Gehilfen unterstützten Alleintäter — und bei Ausscheidung des Moments der Gemeinschaftlichkeit wird die Mittäterfrage zur Alleintäterfrage. Unmöglich aber, bei der begrifflichen Verschiedenheit von Täterund Gehilfenschuld, wäre, durch teilweise Bejahung usw. der Mittäterfrage Beihilfe festzustellen. Vielmehr müfste, wenn solche Annahme in Betracht käme, den Geschworenen eine weitere, auf Beihilfe gerichtete Frage vorgelegt werden. Werden die Mittäterfragen von den Geschworenen unter Verneinung der Gemeinsamkeit bejaht, also mehrere Alleintäterschaften angenommen, so enthält solche Feststellung einen Widerspruch, falls mehrfache isolierte Begehung nicht denkbar ist. Diese Unmöglichkeit liegt vor bei Verbrechen mit unteilbarem Erfolge, z. B. Tötung, Diebstahl an einer bestimmten Sachspezies: A und Β können nicht zugleich — nach der Kausalitätstheorie B i n d i n g ' s , B i r k m e y e r ' s — und unabhängig voneinander, vielmehr nur als Mittäter, den Tod des C verursacht 4 , eine bewegliche Sache des C weggenommen, den C zu einem Delikt angestiftet 5 haben. Würden die Geschworenen in solchem Falle Mittäterschaft ausschliefsen, aber Täterschaft jedes Angeklagten annehmen, so könnten sie jeden nur des Versuchs schuldig sprechen, wobei Hilfsfragen auf Versuch die Voraussetzung wären. Dagegen liegt in der Feststellung, A und Β hätten zugleich, aber nicht als Mittäter, Brandlegung am Hause des C begangen, ein Widerspruch nicht, denn solches Nebeneinander ist durchaus denkbar. Ist ein Mittäter unbekannt geblieben, so ist seine Beteiligung in der Frage durch den Passus „in Gemeinschaft mit einem andern" zu erwähnen. Diese Formel mag sich auch empfehlen, wenn der 4

Gegenteilig RG 3. Str.-S. E. Bd. 19 S. 141 f. Vgl. 1. Str.-S. E. Bd. 13 S. 122. Anstiftung durch mehrere in gemeinschaftlicher Ausführung ist der Mittäterschaft durchaus analog. 5

B i n d i n g , Handbuch I X . 4.· I I I : G l a s e r - O e t k e r , Strafprozeis I I I .

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§11

Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe.

eine oder andere Mittäter nicht mit unter Anklage gestellt werden konnte. Denn in solchem Falle bleibt nach der Verhandlung vielleicht Zweifel über die Person des Beteiligten, während die Tatsache fremder Beteiligung sich mit Sicherheit ergibt. Auf die Frage, ob A in Gemeinschaft mit dem Β delinquiert habe, können die Geschworenen nicht antworten, es sei in Gemeinschaft mit dem C oder „mit einem andern" geschehen — das wäre nicht Verneinung eines Fragebestandteils, sondern eine von der Frage abweichende positive Feststellung —, ebensowenig aber könnten sie unter Verneinung der Beteiligung des Β bejahen, da sie damit die von ihnen in der Tat angenommene fremde Anteilnahme ausschliefsen würden. Es wäre also den Geschworenen unmöglich, ihrer Schuldauffassung entsprechenden Ausdruck zu geben. Die Formel „in Gemeinschaft mit einem andern" befähigt sie dazu und es wird daher das Gericht auf Antrag der Geschworenen entsprechende Fassungsänderung zu bewilligen haben. Im Verhältnis mitangeklagter Teilnehmer aber wäre die unbestimmte Fassung verkehrt 6 . Denn durch die Bejahung so formulierter Fragen würde die Mittäterschaft der Angeklagten nicht festgestellt. Der andere könnte für jeden von ihnen ein anderer sein. Und so wäre bei Verbrechen mit unteilbarem Erfolge die Fragestellung zugleich in sich widersprechend. II. Die Feststellung der A n s t i f t e r - und G e h i l f e n schuld kann nur durch Bejahung besonderer darauf gerichteter Hauptfragen geschehen. Erstreckung der Täterfrage auf den Teilnehmer wäre völlig unzulässig. Die Teilnehmerfrage mufs unter allen Umständen beantwortet werden, auch bei Verneinung der Täterfrage. Sie wird keineswegs nur für den Fall der Bejahung der letzteren gestellt 7 . Denn Erledigung der Anklage gegen den vermeintlichen Teilnehmer durch Freisprechung ist nur auf Grund entsprechenden Verdikts möglich 8 . Zudem ist nur von einem sehr anfechtbaren materiellrechtlichen Standpunkte aus die Verneinung der Teilnehmerfrage die stets notwendige Konsequenz der Verneinung der Täterfrage. Man denke an Zurechnungsunfähigkeit des vom Anstifter, Gehilfen für 6

P u c h e l t zu § 292 Bern. 5 erklärt hingegen für unzulässig, die Namen der Mittäter anzuführen, weil sonst den für diese zu stellenden Fragen präjudiziert werde. Das ist durchaus nicht der Fall! 7 So v. B a r , Recht und Beweis S. 285. 8 Vgl. 4. Str.-S. E. Bd. 24 S. 302.

§11.

Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe.

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zurechnungsfähig gehaltenen Täters 9 , an Rücktritt lediglich des Täters vom Versuch usw. Die Tat des angestifteten, des unterstützten Täters ist in die Teilnehmerfrage mit allen gesetzlichen Merkmalen und den nötigen Individualisierungsmomenten aufzunehmen, mögen auch sprachlich unschöne, schleppende Wendungen dadurch entstehen10. Eine blofse Bezugnahme auf die Täterfrage, so dafs nach Anstiftung, Beihilfe zu der unter 1 bezeichneten Tat usw. gefragt würde, bliebe unschädlich bei Bejahung der Täterfrage. Würde diese hingegen verneint, so litte das Verdikt betreffs des Teilnehmers infolge inkorrekter Fragstellung an sachlicher Unvollständigkeit. Denn es wäre die Tat nicht angegeben, zu der angestiftet, die unterstützt sein sollte; das vorgängige Nein hätte die Täterfrage beseitigt, nur ein Ja die Bezugnahme darauf in der Teilnehmerfrage wirksam erhalten können 11 . Die Bejahung der Teilnehmerfrage liefse einen irgend sicheren Schlufs auf Annahme des objektiven Tatbestandes der Täterhandlung in dem erfragten Umfange nicht zu. Und blofse Schlufsfolgerungen vermöchten auch nicht, Feststellungen der Geschworenen zu ersetzen. Es kann vorkommen, dafs auf den Gehilfen ein milderes Strafgesetz anwendbar ist als auf den Täter, er wollte ein geringeres Verbrechen unterstützen usw. Gleiches ist beim Anstifter möglich im Falle eines exc. mandati des Angestifteten. Umgekehrt können gemäfs § 50 StGB Anstifter und Gehilfe für ein schwereres Verbrechen haftbar sein als der Täter. 9

Kannten „Anstifter", „Gehilfe" die Zurechnungsunfähigkeit des Täters, so sind sie selbst als Täter haftbar. Kannten sie dieselbe nicht, so ist das kein Grund, sie straffrei zu lassen, aber es kann ihnen nun nicht Täterschaft, sondern nur Anstiftung oder Beihilfe imputiert werden. Ebenso darf nicht der „Mittäter", der von der Zurechnungsunfähigkeit des anderen „Mittäters" nichts wufste, als Alleintäter behandelt werden. Gegen die abweichende Judikatur des RG mit z. T. treffenden Gründen H e r z o g , Ger.-Saal Bd. 38 S. 342 f. 10 RG 4. Str.-S. R. I X S. 137. Vgl. auch B e n n e c k e - B e l i n g S. 552. Ausdrücklich war so bestimmt in Sachs. 1868 § 66. 11 Das RG hat mehrfach die Bezugnahme für zulässig erklärt, 3. Str.-S. E. Bd. 2 S. 134 (aus dem nicht zutreffenden Grunde, dafs Bejahung der Anstifterfrage durch Bejahung der Täterfrage notwendig bedingt sei), 3. Str.-S. R. I I I S. 95. Ebenso österr. Kass.-Hof v. 27. Nov. 1876 Entsch. Bd. 2 S. 201 f.; franz. Kass.-Hof v. 15. März 1889 ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 η. 302); Hé l i e I X S. 82; O p p e n h o f f , Preufs. Ges. üb. das Verfahren in Strafsachen S. 383 v. B a r , Recht und Beweis S. 224; H. M e y e r bei v. Holtz. I I S. 179. Anders wohl RG 2. St.-S. E. Bd. 13 S. 234. 9*

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§ 11

Hauptfrage bei Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe.

Die volle Selbständigkeit der Teilnehmerfrage gegenüber der Täterfrage steht hier schon begrifflich fest. Die erfolglose Anstiftung wird öfters als delictum sui generis bestraft: die Schuldfrage ist hier Täterfrage und mufs alle Momente der Tat, also namentlich das Verbrechen, zu dem aufgefordert wurde, selbständig konstatieren. Wie könnte bei der erfolgreichen Anstiftung Bezugnahme auf die Täterfrage genügen? Anstiftung durch einen Akt zu real konkurrierenden Verbrechen ergibt Realkonkurrenz von Anstiftungen und Mehrheit von Anstifterfragen 12 . In der Anstifterfrage kann die Haupttat als begangene oder zu begehende bezeichnet werden: Ist A schuldig, den Β dazu bestimmt zu haben, dafs dieser — dem C 1000 Mk., fremde bewegliche Sachen, in Absicht rechtswidriger Zueignung wegnahm? oder: Ist A schuldig, den Β bestimmt zu haben, dem C wegzunehmen? Den Vorzug hat die erstere Fassung, da sie die wirkliche Begehung des Delikts klarer zum Ausdruck bringt 1 3 . Bei den Tötungsdelikten usw. ist sie auch sachlich richtiger, da die Anstiftung doch nicht dahin geht, mit oder ohne Überlegung zu töten, vielmehr nur die Haftung des Anstifters von diesem Verhalten des zur Tötung Bestimmten bei der Ausführung abhängt. Haften Anstifter und Gehilfe für ein leichteres Delikt als der Täter, so sind in der Teilnehmerfrage die entsprechenden, nur dem Täter zuzurechnenden Tatmomente (ζ. B. der verübte Einbruch, während der Auftrag auf einfachen Diebstahl ging) auszuscheiden. Im umgekehrten Falle figurieren diese Merkmale nur in der Teilnehmerfrage. Es wird ζ. B. für die A die Kindsmordsfrage gestellt, in der Anstifterfrage dagegen konstatiert, dafs die A die Tötung usw. mit (ohne) Überlegung ausgeführt habe 14 . 12

RG 2. Str.-S. E. Bd. 8 S. 158 f. Die Fassung, „ A hat den Β dazu bestimmt, den C zu töten", wird nach gemeinem Sprachbrauch regelmäfsig dahin verstanden, dafs Β zu der wirklich verübten Tötung des C bestimmt worden ist. Und erst recht in juristischer Sprechweise. Es geht daher zu weit, dafs RG 2. Str.-S. E. Bd. 13 S. 234 die entsprechende Formulierung der Anstifterfrage als zweideutig verwirft. Derselbe Senat hat übrigens Bd. 23 S. 252 die Fassung „schuldig, zur Ableistung eines falschen Eides verleitet zu haben" zutreffend auf wirklich erfolgte Ableistung bezogen. 14 Interessant 3. Str.-S. R. I I I S. 93 f. D a l c k e s Gegenbemerkungen, Fragestellung S. 33, erscheinen nicht begründet: Feststellung der Überlegung 18

§ 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz.·

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Ist der Haupttäter unbekannt geblieben, so ist nach Anstiftung oder Unterstützung „eines andern" zu fragen. Die gleiche Form ist zulässig und nach Umständen empfehlenswert schon dann, wenn der Haupttäter nicht mit unter Anklage stellt 1 5 . Dagegen wäre zweifellos falsch, mit der Frage nach der Täterschaft des mitangeklagten X zu verbinden die Frage, ob der Angeklagte Y „einen andern" zu der Tat angestiftet habe. Denn die Bejahung beider Fragen stellte zugleich fest, dafs X der Täter wirklich gewesen sei und dafs es ein anderer gewesen sein könnte, ergäbe also einen absoluten Widerspruch 16 . § 12. H a u p t f r a g e b e i R e a l - u n d I d e a l k o n k u r r e n z . H a u p t f r a g e n m e h r h e i t und M e h r h e i t s h a u p t f r a g e . Die gesetzlichen Vorschriften über die Fragenstellung sind auf den Fall des Einzeldelikts berechnet. Die Deliktsmehrheit bedingt Besonderheiten, für die der Rahmen des gesetzlichen Fragenschemas nicht ausreicht. I. R e a l k o n k u r r e n z . Die Feststellung real konkurrierender Delikte durch ein Richterkollegium geschieht in der Weise, dafs zunächst für die Einzeldelikte die Schuldfragen beantwortet werden und dann, sofern nicht durch die tatbestandliche Gestaltung, durch zeitliches Auseinanderfallen der Einzelhandlungen usw., eine solche Untersuchung sich erübrigt, die Selbständigkeit der mehreren Deliktstatbestände geprüft wird. Gegen Übertragung dieses Modus auf das Geschworenen verfahren darf nicht eingewandt werden, dafs eine besondere auf die Selbständigkeit gerichtete Frage im Gesetze nicht anerkannt sei, denn es ist eben beim Fragensystem des Gesetzes der Fall der Deliktseinheit vorausgesetzt. Und es führt, der A gegenüber wäre unrichtig gewesen, da dem Kindsmordsbegrifte dieses Merkmal nicht zukommt. 15 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g § 292 Bern. 3; 4. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 38 S. 347. Eigentümlich 4. Str.-S. E. Bd. 15 S. 178 f. : vor der Frage nach der Anstiftung müsse festgestellt oder gleichzeitig den Geschworenen die Frage dafür gestellt werden, ob die gemeinte dritte Person der Anstiftung entsprechend gehandelt habe. Das geschieht, wenn der Dritte nicht mit unter Anklage steht, vielmehr in der Anstiftungsfrage. 16 Falsch preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10 S. 245 f., wo solche Befragung gebilligt worden ist. Vgl. auch unten § 47 sub I I I 3.

§ 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz.

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wie die Betrachtung anderweiter Möglichkeiten ergeben wird, nur eine solche Befragung zu richtigen Ergebnissen. Man möchte zunächst an eine mehrgliedrige Frage in der Form denken: Ist der Angeklagte schuldig, durch mehrere selbständige Handlungen a) den Verbrechenstatbestand x, b) den Tatbestand y gesetzt zu haben?1 Nun könnte diese zusammengesetzte Frage gewifs nicht durch eine Abstimmung erledigt werden. Denn es wäre ja widersinnig, die Bejahung der mehreren Delikte nur durch eine gleich komponierte Zweidrittelmajorität von Geschworenen zuzulassen. Wenn vier Geschworene das Delikt x, vier andere das Delikt y verneinen, so sind doch die beiden Delikte zu bejahen, nicht zu verneinen. Und über die Selbständigkeit kann erst abgestimmt werden, wenn mindestens zwei Einzeldelikte bejaht sind. Es ist also klar, dafs die zusammengesetzte Frage sachlich nichts anderes wäre als die Fragenreihe, wie sie sukzessiv vom Richterkollegium erledigt wird. Aber in irreführender Form! Es würde eine Fragenfassung gewählt, die den Geschworenen mifsverständliche Abstimmung nahelegte, an Stelle einer Formulierung, die den Irrtum ausschlösse. Indem ferner clas Moment der Selbständigkeit den Teilfragen vorausginge, entstände der Widerspruch, dafs bei Bejahung nur eines Delikts doch mehrere selbständige Handlungen festgestellt oder etwa durch einen Zusatz zur Antwort (in vermeintlicher Beseitigung des Widerspruchs) verneint würden. Unrichtig ist auch der in cler Praxis häufige Modus, die zweite und die weiter folgenden Schuldfragen mit dem Zusätze „durch eine weitere selbständige Handlung" zu stellen 2 . Denn eine so formulierte Frage läfst, wenn mehr als zwei Delikte zur Entscheidung stehen, nicht erkennen, ob die Selbständigkeit gemeint ist im Hinblick auf das unmittelbar vorangestellte oder alle vorgängigen Delikte. Die Frage ist also, wenn nicht sachlich unvollständig, so jedenfalls undeutlich. Wie sollen die Geschworenen antworten, wenn sie bei Delikt 2 Realkonkurrenz mit 1, bei 3 Idealkonkurrenz mit 2 annehmen? Sagen sie zu 3: Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte eine weitere selbständige Handlung begangen hat, so steht dahin, ob Idealkonkurrenz mit Delikt 1 oder 2 vorliegt. Antworten sie aber auf Frage 3: Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte die Delikte 2 und 3 durch mehrere selbständige Handlungen begangen hat, so ist das 1 3

Reprobiert vom RG 3. Str.-S. E. Bd. 5 S. 383 f. und R. I I S. 638. Gebilligt vom RG 2. Str.-S. E. Bd. 29 S. 327 f.

§ 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz.

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unzulässiger Rückgriff auf die schon erledigte Frage 2 und ein innerer Widerspruch, indem damit dem Delikt 2 die Selbständigkeit zugleich zu- und abgesprochen wird 3 . Der Grundfehler der Fragenstellung liegt eben darin, dafs vor Feststellung der ganzen Handlungsreihe von den Geschworenen bereits das gegenseitige Verhältnis der einzelnen Handlungen geprüft werden soll. Zum Ziele führen kann nur eine besondere, den Schuldfragen nachfolgende Selbständigkeitsfrage : liegen mehrere selbständige Handlungen vor? Antworten die Geschworenen auf die so gestellte Frage : Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte clie Delikte 3 und 4 durch mehrere selbständige Handlungen begangen hat, so ist in allen übrigen Beziehungen, also zwischen den Delikten 1, 2 und dem Deliktskomplex 3, 4 Realkonkurrenz festgestellt. Die Selbständigkeitsfrage ist nicht Nebenfrage 4, denn sie betrifft nicht Merkmale des Einzeldelikts als solchen, sondern das gegenseitige Verhältnis von Delikten. Sie wird passend E r g ä n z u n g s h a u p t f r a g e genannt. Entbehrlich ist die Selbständigkeitsfrage nur dann, wenn durch die festgestellten konkreten Umstände, zeitliche Differenz der Handlungen usw., Idealkonkurrenz völlig ausgeschlossen erscheint. In dubio ist die Frage immer zu stellen. Denn das ganze Fragensystem bezweckt die Willensmeinung der Geschworenen zu formell unzweideutigem Ausdruck zu bringen. Die Fragen dürfen nicht so gestellt werden, dafs die Schuldannahmen der Geschworenen nur durch Schlufsfolgerungen erkannt werden könnten 5 . II. I d e a 1 k ο n k u r r e η z. Im Richterkollegium wird nach Feststellung der Einzeldelikte ihr Verhältnis zu einander ermittelt. Die Verneinung realer Konkurrenz ist die Bejahung idealer und umgekehrt. Die Geschworenen aber sind an die Fragen der Richterbank gebunden. Sie können zwar durch Verneinung der Realkonkurrenz3 In der Entsch. Bd. 35 S. 70 f. hat der 3. Str.-Sen. die auf Frage 9 erteilte Antwort: „ja, doch ist dies dieselbe Handlung wie zu Frage 3" für genügend gehalten. Allein damit ist doch über das Verhältnis der Handlung sub 9 zu den übrigen (aufser 3) gar nichts ausgesagt. 4 So v. K r i e s S. 612. 5 In dem vom RG 4. Str.-S. E. Bd. 25 S. 409 f. unrichtig entschiedenen Fall mufste die Selbständigkeitsfrage gestellt werden. Das RG meint, in Ermangelung der Feststellung, dafs eine einheitliche Handlung vorliege, ergebe sich die Selbständigkeit von selbst. Woraus folgt das? Aus dem Satze in dubio minus jedenfalls nicht. Aber ein solches dubium darf eben nicht bleiben. Abweichend auch B e n n e c k e - B e l i n g S. 549.

136

§ 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz.

frage Idealkonkurrenz feststellen, aber Realkonkurrenz unter allen Umständen nur bejahen, wenn sie danach gefragt worden sind. Die Frage: „Liegen mehrere selbständige Handlungen vor?" enthält notwendig die Frage: „oder nur eine Handlung?" Dagegen würde die Verneinung einer etwaigen Frage: „Liegt eine und dieselbe Handlung vor?" durch die Geschworenen keineswegs als Feststellung mehrerer selbständiger Handlungen wirken. Denn die Geschworenen können positive Feststellungen nur durch Bejahung entsprechender Fragen treffen 6. Wenn zwischen Ideal- und Realkonkurrenz zu entscheiden ist, so gilt bei einem Stimmenverhältnis von 5 zu 7 die erstere, denn die Annahme der Realkonkurrenz wäre dem Angeklagten nachteilig und daher an das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit gebunden, § 262 Abs. 1 StPO. Sind aber die Geschworenen lediglich nach Idealkonkurrenz gefragt, so können sie diese doch nicht mit fünf Stimmen bejahen! Würde also die Verneinung als Feststellung von Realkonkurrenz wirken 7 , so wäre das Prinzip in dubio pro reo in sein Gegenteil verkehrt und § 262 Abs. 1 StPO ganz beiseite geschoben. Im Falle der Idealkonkurrenz nimmt das Strafgesetzbuch, freilich sehr mit Unrecht, nur eine Handlung an. Die prozessuale Konsequenz ist Zusammenfassung der ideell konkurrierenden Delikte in eine Frage 8 . Dafs sie sämtlich der Feststellung be6 Wie Mord nicht dadurch festgestellt wird, dafs die Geschworenen die Totschlagsfrage bejahen, jedoch für nicht erwiesen erklären, dafs der Angeklagte die Tat nicht mit Überlegung ausgeführt habe. Unrichtig v. K r i e s S. 612. 7 So H ü c k i n g in Goltd. Arch. Bd. 34 S. 236. 8 Mehrere Fragen unter Betonung der Identität der Tat erklären für zulässig L ö w e - H e l l w e g § 293 Bern. 10; S t e n g l e i n § 293 Bern. 13; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 73 StGB Bern. 37: D a l c k e , Fragestellung S. 46; K o h l r a u s c h , Prozess. Behandlung der Idealkonkurrenz S. 46; K ö h l e r , Grenzlinien zwischen Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz S. 160 f. Mehrere Fragen verlangen v. S c h w a r z e § 292 Bern. 2; H. M e y e r bei v. Holtz. I I S. 178; G e y e r S. 754; ν. Β o m h a r d - K ο l i e r zu § 292 Bern. 4. Der letzteren Ansicht neigt sich auch U l l m a n n S. 508 Anm. 6 zu. In dem Falle RG E. Bd. 33 S. 317 f. war ohne Kenntlichmachung des Verhältnisses der Delikte zu einander in getrennten Fragen nach Mord und Raub mit Todesfolge gefragt worden. Das Gericht verurteilte auf Grund des bejahenden Spruchs wegen Realkonkurrenz. Das RG 1. Str.-S. erklärte für ausgeschlossen, dafs die Geschworenen die Befragung im Sinne von Realkonkurrenz hätten mifsverstehen können (obwohl das Urteil den Spruch so aufgefafst hatte!) und vernichtete daher nur das Urteil. In Wahrheit kann zwischen den erfragten Tatbeständen weder Real-, noch Idealkonkurrenz bestehen! Es mufste Hilfsfrage gestellt werden.

§ 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz.

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dürfen, ist sicher, da gehörige Strafanwenclung sonst nicht möglich wäre. Es geht nun nicht an, die Mehrheit der Willensverwirklichungen in der Fragenformulierung einfach zu ignorieren und den Geschworenen eine einheitliche Frage vorzulegen, die bei ungleichartiger Idealkonkurrenz die mehreren gesetzlichen Tatbestände in einen zusammenzöge und bei gleichartiger Idealkonkurrenz die mehrfache Gesetzesübertretung auf sich beruhen liefse. Das wäre im ersteren Fall eine komplexe, im zweiten eine materiell unvollständige Fragenstellung. Die Geschworenen können so wenig als die Richter mehrfache Verschuldung durch eine Abstimmung feststellen und müssen in die Lage gesetzt sein, jedes einzelne Delikt für sich zu prüfen, das eine zu bejahen, das andere zu verneinen. Die Schuldfrage ist daher in scharf markierte (mit a, b, c usw.) Unterfragen aufzulösen, über die gesondert abzustimmen ist. Der F r a g e n m e h r h e i t im Falle der Realkonkurrenz entspricht die M e h r h e i t s f r a g e bei Idealkonkurrenz 9. Die Frage wird als Idealkonkurrenzfrage charakterisiert in der Eingangsformel: Ist der Angeklagte schuldig, durch eine und dieselbe Handlung usw. 10 ? Dadurch ist der Unterschied bezeichnet einerseits gegenüber Realkonkurrenzfragen, andererseits gegenüber den später zu besprechenden Gesetzeskonkurrenzfragen. Die Tatsache, dafs mehrere verbrecherische Willen durch eine äufsere Tätigkeit verwirklicht worden sind, bedarf der Feststellung seitens der Geschworenen. Ohne die Aufnahme dieses Moments in die Frage bliebe zweifelhaft, ob Ideal- oder Realkonkurrenz anzunehmen wäre. Nehmen die Geschworenen nur ein Delikt an, so sagen sie infolge des Frageinganges allerdings zugleich, dafs nur eine Handlung vorliege. Das ist aber nicht Widerspruch, sondern unschädliches superfluum. 9 Nicht zutreffend RG 1. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 50 S. 277: Fragenteilung sei nicht gesetzlich geboten, nur zweckmäfsig, um den Geschworenen die Befugnis zu teilweiser Verneinung der „einen Frage" deutlich zu machen. Dabei ist die Notwendigkeit gesonderter Abstimmung über die beiden Delikte verkannt. 10 Übereinstimmend RG 2. Str.-S. E. Bd. 4 S. 287 f. (freilich war in diesem Falle die Annahme idealer Konkurrenz materiell unrichtig), v. K r i e s S. 611. Ähnlich B e n n e c k e - B e l i n g S. 553. G l a s e r , Fragestellung (in v. Holtz. Rechtslexikon) S. 896 hält diesen Passus für entbehrlich.

§ 12. Hauptfrage bei Real- und Idealkonkurrenz.

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Welches Delikt in cler Mehrheitsfrage vorangestellt wird, das schwerere oder leichtere, hängt vom Ermessen des Gerichts ab und wird nicht durch das Prinzip cles § 294 Abs. 2 StPO bestimmt 11 . Da die Verneinung der Selbständigkeitsfrage, wie sie bei Annahme von Realkonkurrenz gestellt wird, Idealkonkurrenz ergibt, so bedarf es im Zweifel über Real- oder Idealkonkurrenz niemals besonderer auf die eine oder andere Möglichkeit gerichteter Eventualfrage. Vielmehr genügt in dieser Hinsicht stets eine Befragung. Das ist ganz klar, wenn der Eröffnungsbeschlufs Realkonkurrenz angenommen hatte und nach den Verhandlungsergebnissen mit Idealkonkurrenz zu rechnen ist. Im umgekehrten Falle würden an sich hilfsweise die Realkonkurrenzfragen und zwar, weil erhöhte Strafbarkeit wirkend, vorab zu stellen sein. Dieser Hilfsfragenkomplex hat aber die besondere Eigenschaft, die Hauptfrage zu ersetzen. Hilfsfragen mit solcher Wirkung sind als „ q u a l i f i z i e r t e H i l f s f r a g e n " zu bezeichnen. Als alleinige Fragen haben sie clie Bedeutung von Hauptfragen. Im übrigen entsprechen sie der Charakterisierung der Hilfsfrage im § 294 StPO : sie werden bedingt durch Verhandlungstatsachen, nach welchen eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende Beurteilung cler inkriminierten Tat in Betracht kommt. Die Natur als Hilfsfrage zeigt sich auch darin, dafs die Vorlegung nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden kann, § 296. Doppelte Befragung ist auch nicht einmal zulässig, denn es enthält einen Widerspruch, dieselben Deliktshandlnngen erst zu verneinen, dann zu bejahen12. Sollten die Geschworenen, die nur nach Idealkonkurrenz gefragt wären, bei ihrer Beratung auf die Annahme von Realkonkurrenz geführt werden, so hätten sie noch jetzt die entsprechenden Fragen zu beantragen. Die Idealkonkurrenzfrage entfiele dann und an Stelle der Mehrheitsfrage träte Fragenmehrheit als qualifizierte Hilfsfrage. Die Antwort auf Idealkonkurrenzfrage: „ja, doch liegen mehrere selbständige Handlungen vor" (oder: „doch ist nicht erwiesen, dafs nur eine Handlung vorliegt" usw.) wäre in sich widersprechend, da Realkonkurrenz nur durch Bejahung mehrerer Fragen festgestellt werden kann, clie Geschworenen also auf nicht gestellte Fragen geantwortet hätten. 11

RG 4. Str.-S. E. Bd. 24 S. 280. I n dem Falle RG Entsch. Bd. 25 S. 409 f. von der Revision ganz richtig, doch ohne Erfolg, geltend gemacht. 12

§ 13. Hauptfrage bei Gesetzeskonkurrenz.

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§ 13. H a u p t f r a g e bei G e s e t z e s k o n k u r r e n z . I n s b e s o n d e r e die k o m b i n i e r t e E i n h e i t s f r a g e 1 . Die verschiedenen Formen der Gesetzeskonkurrenz 2 bedingen verschiedenartige Fragstellungen. I. Stehen die konkurrierenden Gesetze im Verhältnis der lex generalis zur lex specialis, ergibt also der eine Gesetzestatbestand einfaches, der andere qualifiziertes oder privilegiertes Delikt, so richtet sich die Befragung nach den für Qualifikations- und Privilegierungsgründe (im § 10) entwickelten Grundsätzen. Also entweder Hauptfrage auf das qualifizierte oder privilegierte Delikt oder Hauptfrage auf das einfache Delikt mit Nebenfrage wegen des Qualifikations- oder Privilegierungsgrundes. I I . Gesetzeskonkurrenz liegt auch im Zusammentreffen mehrerer selbständiger Qualifikationen (Raub mit Waffen unci unter Marterung eines Menschen, §§ 250 N. 1, 251 StGB usw.) und eines Qualifikations- mit einem Privilegierungsgrunde (Tötung des einwilligenden Aszendenten, Totschlag am Aszendenten unter den Voraussetzungen des § 213 StGB, Mundraub mit Einbruch usw.). Weit seltener ist Konkurrenz von Privilegierungsgründen (z. B. der im § 157 N. 1 und 2 bezeichneten Momente)3. Die Gesetzeskonkurrenz I I ist natürlich für jeden einzelnen Schärfungs-, Milderungsgrund zugleich Konkurrenz mit dem einfachen Verbrechen im Sinne von I. Weil in allen diesen Fällen Deliktseinheit vorliegt und jedenfalls nur die Strafe eines, sei's qualifizierenden, sei's privilegierenden Gesetzes in Anwendung kommt, so scheint Befragung der Geschworenen wegen weiterer Schärfungs-, Milderungsgründe entbehrlich zu sein, clie Feststellung des für die Gesetzesanwendung mafsgebenden Moments, bei einer Konkurrenz gleich wirksamer Qualifikationen usw. die Feststellung einer von ihnen, zu genügen und sonach ganz die Regel sub I zu entscheiden4. Dabei aber würde ein doppeltes übersehen: dafs es ganz von den Geschworenen 1

O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 64 S. 167 f. Nicht nur die materiellrechtliche, auch die strafprozessuale Literatur leidet unter vielfacher Verwechselung von Gesetzes- und Idealkonkurrenz. 3 Dafs die Strafreduktion gemäfs § 157 Abs. 1 nicht doppelt eintritt, steht der Feststellung beider Reduktionsgründe keineswegs entgegen. Vgl. die folgende Textausführung. 4 So die Argumentation des RG 1. Str.-S. E. Bd. 26 S. 312 f.; 4. Str.-S. E. Bd. 36 S. 277 f. Die Geschworenen waren in diesen Fällen richtig nach beiden Qualifikationen gefragt worden. 2

§ 1.

140

Hauptfrage bei

eekonkurrenz.

abhängt, welchen Schärfungs-, Milderungsgrund sie annehmen, und dafs das \7orhandensein weiterer Schärfungs-(Milderungs-)gründe neben dem für die Subsumtion bestimmenden Moment (dem wirksamsten , bei mehreren Schärfungsgründen dem schwersten, bei mehreren Milderungsgründen dem die Strafe am meisten reduzierenden) oder weiterer gleich wirksamer Momente einen obligatorischen Strafzumessungsgrund bildet, also keineswegs irrelevant ist. 1. Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r Q u a l i f i k a t i o n e n . a. Wird die Hauptfrage auf das einfache Delikt gestellt, so sind so viele Nebenfragen hinzuzufügen, als Qualifikationen in Betracht kommen. Die Reihenfolge dabei steht zum gerichtlichen Ermessen. b. Soll dagegen nach qualifiziertem Delikt gefragt werden, so kann für diese Frage jede der etwa vorhandenen, keineswegs nur die schwerste Qualifikation mafsgebend sein. Für den Fall der Bejahung der so formulierten Hauptfrage sind dann soviel Nebenfragen zu stellen, in beliebiger Folge, als weitere Qualifikationen bestehen können. Über alle vom Eröffnungsbeschlufs angenommenen Qualifikationen müssen die Geschworenen jedenfalls befragt werden. Es wäre auch nicht unzulässig, die sämtlichen Qualifikationen mit in die Hauptfrage aufzunehmen 5. Aber leicht könnte eine solche Häufung von Tatmaterial in einer Frage die Geschworenen verwirren. Mit Verneinung der Hauptfrage ist auch das einfache Delikt verneint, es entfallen also sämtliche weitere, in Nebenfragen verwiesene Qualifikationen. Wird die Hauptfrage bejaht unter Verneinung des in sie aufgenommenen Qualifikationsgrundes, so sind nun noch die Nebenfragen auf die weitern Qualifikationen zu erledigen. In einem Richterkollegium würde, wie des Gegensatzes wegen erwähnt sein mag, der Modus b sich dahin gestalten, dafs zuerst nach dem schwerstqualifizierten Delikt, im Falle der Verneinung nach dem nächstleichteren usw., im Falle der Bejahung nach den weiteren Qualifikationen gefragt werden müfste. Nicht umgekehrt zuerst nach dem leichteren, bei Verneinung nach clem schwereren Delikt, bei Bejahung nach der schwereren Qualifikation, denn es würde sonst clen überstimmten Richtern die Möglichkeit korrekter weiterer Abstimmung entzogen. 5

Beispiele dafür in RG Entscli. Bd. 4 S. 287 und Bd. 26 S. 312.

§ 13. Hauptfrage bei Gesetzeskonkurrenz.

141

Die abweichende Art der Geschworenenbefragung resultiert aus der Befugnis zu teilweiser Bejahung, teilweiser Verneinung der Fragen. c. Von dem Zusammentreffen selbständiger Qualifikationen wesentlich verschieden ist die Vereinigung mehrerer qualifizierender Momente zu einer besonderen im Gesetz bestimmten Deliktsform. Die Strafe cler schweren Körperverletzung wächst nach § 225 StGB, wenn die eingetretene Folge auch beabsichtigt war. Der qualifizierende Tatbestand des § 225 schliefst die Qualifikation des § 224 schon in sich. Zwei selbständige Nebenfragen sind hier undenkbar. Wird aus § 224 eine Nebenfrage formiert, so ist deren Bejahung die Voraussetzung für eine zweite Nebenfrage wegen der Absicht. Es können aber auch, weil das eine qualifizierende Moment an das andere anschliefst, beide in eine Nebenfrage aufgenommen werden. 2. Z u s a m m e n t r e f f e n von P r i v i l e g i e r u n g s g r ü n d e n . a. Die Hauptfrage kann auf das einfache Delikt gehen. Dann soviel Nebenfragen, in beliebiger Folge, als Privilegierungsgründe zu erledigen sind. b. Wird statt dessen nach einem privilegierten Delikt gefragt, so werden die weiteren Milderungsgründe Gegenstand von Nebenfragen. Immer sind die Geschworenen nach allen vom Eröffnungsbeschlufs angenommenen Privilegierungsgründen zu fragen. In einem Richterkollegium wäre nur der Modus a möglich. Die Schuldfrage könnte wegen der Verschiedenheit der Mehrheitserfordernisse im Hinblick auf einfaches Delikt und Privilegierungsgrund nicht einheitlich auf privilegiertes Delikt gestellt werden. Das Geschworenenkollegium aber hat die Befugnis teilweiser Bejahung, teilweiser Verneinung. 3. Z u s a m m e n t r e f f e n v o n Q u a l i f i k a t i o n s - u n d P r i vilegierungsgründen. Diese Konkurrenz kann hier nur unter der Voraussetzung besprochen werden, dafs ein privilegierender Tat um stand, nicht Tatbestand, in Betracht kommt. Bei Privilegierung mehrerer Grunddelikte in Form eines delictum sui generis (ζ. B. des Mordes unci Totschlags im Kindsmordsparagraphen) wäre immer der Fall der Hilfsfrage gegeben, der zunächst ausscheiden mufs. Ist ein solcher reiner Privilegierungsgrund nur für das einfache (nicht auch das qualifizierte) Verbrechen wirksam 6 , so müssen 6

Über die materielle Rechtslage vgl. B i n d i n g , Handbuch I S. 528.

§ 1.

142

Hauptfrage bei

eekonkurrenz.

zunächst die Qualifikationen erledigt werden, da nur bei deren A'erneinung der Privilegierungsgrund festgestellt werden kann. Beispiel: § 213 StGB im Verhältnis zu §§ 212 und 215; die Reizung privilegiert nur den einfachen, nicht den Aszendententotschlag. Ist hingegen auch das geschärfte Grunddelikt privilegiert, so ist's gleichgültig, in welcher Folge die Qualifikations- und Privilegierungsgründe erfragt werden. Als Beispiel kann dienen falsches Zeugnis, bei dem die Voraussetzungen der §§ 154 Abs. 2 und 157 Nr. 1 StGB vorliegen. I I I . Bei Konkurrenz koordinierter Strafgesetze, deren Tatbestände sich durchschneiden, so dafs sie neben einem gemeinsamen je ein besonderes Gebiet haben7, können den Geschworenen weder mehrere isolierte Fragen vorgelegt werden, noch würde möglich sein, die mehreren Tatbestände in einer Mehrheitsfrage nebeneinander zu stellen. Denn nicht Verbrechenskonkurrenz, reale oder ideale, steht in Frage, vielmehr Verbrechenseinheit bei Konkurrenz von Gesetzen. Als Beispiel kann dienen Brandstiftung an einem gegen Feuersgefahr versicherten Wohnhause in betrügerischer Absicht 8 (Konkurrenz von §§ 265, 306 N. 2 StGB). Es ist hier nur eine Brandstiftungshandlung gegeben, aber es sind zwei Gesetze darauf anwendbar. Im Ergebnis wird freilich nur aus einem Gesetze gestraft (dem härtesten, bei ganz gleichen Strafdrohungen aus dem einen oder anderen). Trotzdem müssen die Geschworenen über alle konkurrierenden Tatbestände befragt werden; sie können je nach ihrer Schuldbeurteilung den einen oder anderen oder beide usw. bejahen oder verneinen. Auch wirkt die gleichzeitige Verletzung 1

Binding, Strafgesetze.

Handbuch I S. 349 f. spricht hier von Alternativität der

8 Unrichtig KG 3. Str.-S. E. Bd. 4 S. 190: für Idealkonkurrenz. I n diesem Falle, Inbrandsetzung von Haus u n d Mobiliar in betrügerischer Absicht, war, wie folgt, zu entscheiden: das Anzünden des Mobiliars ergibt, weil als Brandstiftung nicht strafbar, nur Versicherungsbetrug, der in ideeller Konkurrenz mit Brandstiftung am Hause steht; das Anzünden des Hauses ergibt Brandstiftung in Gesetzeskonkurrenz mit Versicherungsbetrug; der Versicherungsbetrug betreffs des Hauses und Mobiliars ist ein einheitliches Delikt, das bezüglich des Hauses mit Brandstiftung in Gesetzeskonkurrenz, bezüglich des Mobiliars damit in Idealkonkurrenz steht, und eben wegen dieser Einheitlichkeit kann im Resultat nur Gesetzeskonkurrenz mit Brandstiftung angenommen werden.

§ 13. Hauptfrage bei Gesetzeskonkurrenz.

143

eines weiteren Strafgesetzes bei der Strafzumessung als obligatorischer Erhöhungsgrund. Die Befragung richtet sich auf alle vom Eröffnungsbeschlufs angenommene Gesetzesübertretungen. Vielleicht ergibt die Hauptverhandlung noch eine weitere Gesetzeskonkurrenz oder es wird doch von den Geschworenen entsprechende Fragenergänzung beantragt: Eventualitäten, auf die bei der Lehre von der Hilfsfrage zurückzukommen ist. Versagen für die Hauptfrage in unserem Falle die Fragenmehrheit und die Mehrheitsfrage, so bleibt nur übrig die k o m b i n i e r t e E i n h e i t s f r a g e . Die beiden Gesetzestatbestände sind in einer Hauptfrage dergestalt zu verschmelzen, dafs neben den Individualisierungsmomenten die sämtlichen abstrakten Merkmale beider Gesetze Aufnahme finden. Beispiel: Ist der Angeklagte schuldig, am 1. Dezember 1899 zu X in betrügerischer Absicht sein gegen Feuersgefahr versichertes Wohnhaus, ein Gebäude, welches zur Wohnung von Menschen dient, vorsätzlich in Brand gesetzt zu haben? Eine solche Frage ist nicht komplex, denn sie geht auf eine Verbrechenseinheit. Und sie entspricht dem § 293 StPO, denn sie bezeichnet die inkriminierte Tat nach ihren s ä m t l i c h e n gesetzlichen Merkmalen. Der Tatbestand jedes einzelnen Strafgesetzes ist in der kombinierten Frage enthalten. Keineswegs wird ein nicht existierender zusammengesetzter Gesetzestatbestand fingiert, sondern nur der vorhandenen Gesetzeskonkurrenz in der Frage der allein mögliche Ausdruck gegeben. Rechtsbelehrung ist hier den Geschworenen ganz besonders vonnöten. Glatte Bejahung ist Feststellung beider Gesetzestatbestände. Nehmen die Geschworenen nur einen derselben an, so antworten sie: Ja, doch ist nicht erwiesen usw. 9 . Die kombinierte Einheitsfrage ist jedoch dann nicht am Platze, wenn entsprechende Gesetzeskonkurrenz zwar vorhanden ist, der Gesetzgeber jedoch nur eines der konkurrierenden Gesetze — zumeist, nicht immer!, das härteste — beachtet, das andere beiseite setzt, es praktisch ignoriert. Eine solche Tendenz kann aus Bau und Strafclrohung des Gesetzes deutlich erhellen. Der Beamte, der vermöge seines Amtes bei Ausübung der Strafgewalt mitzuwirken hat und in der Absicht, jemand der gesetzlichen Strafe 9

R o s c n f e l d S. 383 Anm. 35 will der Frage auf Brandstiftung u n d Versicherungsbetrug zwei Hilfsfragen, je auf einen dieser Tatbestände, folgen lassen. Das führt zu doppelter Befragung wegen derselben Handlungen.

§

. Hauptfrage bei

gesetzte

Verbrechen.

rechtswidrig zu entziehen, die Verfolgung einer strafbaren Handlung unterläfst, ist, wenn Verbrechen oder Vergehen in Frage, zweifellos der Begünstigung schuldig. In der Strafsanktion des § 346 aber ist dieses Zusammentreffen offenbar schon mit berücksichtigt und daher auch für die Befragung der Geschworenen unerheblich. Nicht kombinierte (aus den Tatbeständen der §§ 346, 257), sondern schlichte Einheitsfrage (allein aus § 346) ist zu stellen. Die Gesetzeskonkurrenz bleibt latent. Es ist, um mit B i n d i n g 1 0 zu sprechen, die eine Strafdrohung durch die andere komsumiert. Ein weiteres Beispiel ist § 349 gegenüber § 133 StGB. Dem leichteren von konkurrierenden Gesetzen gibt § 184 Inval. - Vers.Ges. v. 13./7. 1899 den Vorzug: beim Zusammentreffen mit einfacher Urkundenfälschung wird, obwohl § 267 StGB die schwerere Strafe hat, doch aus § 184 gestraft; nur schwere Urkundenfälschung wird nach § 184 Abs. 3 beachtet und führt zu kombinierter Einheitsfrage aus beiden Gesetzen. § 14. H a u p t f r a g e b e i f o r t g e s e t z t e m V e r b r e c h e n . Zusammengesetzte Einheitsfrage 1. I. Die Einzelakte des fortgesetzten Delikts können nicht Gegenstand eben so vieler getrennter Fragen sein. Denn sonst würde statt Deliktsfortsetzung Realkonkurrenz festgestellt 2. Aber auch die Mehrheitsfrage versagt. Sie pafst nur auf den Fall der Idealkonkurrenz. Schon die Voraussetzung „eine und dieselbe Handlung", worunter Einheit der äufseren Tätigkeit, nicht des Delikts im Rechtssinne verstanden ist, trifft nicht zu 8 . Das fortgesetzte Delikt eignet sich immer nur zur Einheitsfrage, denn es ist eben nur ein Delikt begangen4. Man möchte 10

Handbuch I S. 363 f. O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 64 S. 173 f. 2 Instruktiv österr. Kass.-Hof v. 2. Aug. 1880 Entsch. Bd. 3 S. 299 f., v. 3. Juli 1884 Bd. 7 S. 125 f. 3 Verkannt vom RG 3. Str.-S. R. I X S. 672 f. Durch den hier vom RG gebilligten Fragmodus (mehrere Fragen, wobei in Frage 2 und den folgenden die Handlungen als „nicht selbständig" bezeichnet sind) würde nicht einmal Idealkonkurrenz, geschweige denn fortgesetztes Verbrechen festgestellt. Unzutreffend auch v. K r i e s S. 612: besondere Fragen auf die Einzelakte mit der „Nebenfrage", ob die Delikte durch mehrere selbständige Handlungen begangen worden seien. 4 Sehr richtig franz. Kass.-Hof in zahlreichen Entscheidungen, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 263, 266, 267, 270, 271, 2721

§ 14. Hauptfrage bei fortgesetztem Verbrechen.

145

einen besonderen Fragmodus überhaupt für überflüssig halten, weil die Einzelakte stets nur die Bedeutung von Konkretisierungsmomenten hätten. Gewifs ist im Rechtssinne immer nur eine Unterschlagung, je unter verschiedenen Handlungsmodalitäten, begangen, mag A auf einmal 300 Mk. oder mit einheitlichem Willen auf das Ganze in drei zeitlich getrennten Einzelakten je 100 Mk. sich zugeeignet haben. Aber im letzteren Falle besteht das Bedürfnis der Abscheidung von Realkonkurrenz. Die Verbindung der Einzelakte zum juristisch einheitlichen Delikt mufs hier den Geschworenen, sollen nicht schwere Irrungen vorkommen, in der Frage demonstriert werden ; sie dürfen nicht einfach gefragt werden, ob der Angeklagte 300 Mk. unterschlagen habe5. Damit ist das Prinzip gewonnen : besondere Fragenformulierung beim fortgesetzten Delikt ist überall da am Platze, wo es gilt, den Schein der Realkonkurrenz zu beseitigen. Dieser Schein aber besteht regelmäfsig nur, wenn die Einzelakte in Intervallen, nicht, wenn sie in continenti einander folgten, und er kann auch unter der ersteren Voraussetzung ausgeschlossen sein durch die Einheitlichkeit des gewollten und eingetretenen Erfolgs. Die Einzelakte beim fortgesetzten Delikt sind isoliert betrachtet entweder sämtlich Versuchsakte (dreimaliges Eingeben von Gift mit einheitlichem Dolus ohne Todesfolge) oder sämtlich Vollendungsakte (Unterschlagung von 300 Mk. durch drei Aneignungen von je 100 Mk.) oder sämtlich Versuchsakte mit Ausnahme des letzten, der zur Vollendung geführt hat (wiederholtes Eingeben von Gift usw., wobei die Wirkungen sich beim letzten Akt zur Todesfolge summiert haben; drei Revolverschüsse, von denen der letzte tödlich getroffen hat). Die Verwechselung mit Realkonkurrenz (zwei usw. Tötungsversuchen und einer vollendeten Tötung) kann im dritten Fall regelmäfsig als ausgeschlossen gelten, die Einheitlichkeit des schliefslichen Erfolgs läfst diesen Irrtum nicht aufkommen. Und es ist im Zweifel nicht ratsam, einer nicht zu befürchtenden Verwechselung besonders entgegenzutreten. Anders im ersten und ganz besonders im zweiten Falle. Bei sukzessiver Bewirkung eines Gesamterfolges durch zeitlich getrennte Teilerfolge liegt für Geschworene die Verwechselung der Teilakte mit selbständigen Delikten sehr nahe und es bedarf einer zusammenfassenden Frage, während bei repetierendem Tatbestand und einheitlichem Erfolg 5

So B e n n e c k e - B e l i n g S. 553.

B i n d i n g , Handbuch IX. 4. I I I : G l a s e r - O e t k e r , Strafprozeß I I I .

10

146

§

.

Hauptfrage bei

gesetzte

Verbrechen.

(Fall 3) die Annahme der Deliktseinheit sich gewissermafsen aufdrängt. Für alle Fälle scheinbarer Realkonkurrenz entspricht dem fortgesetzten Delikt die z u s a m m e n g e s e t z t e E i n h e i t s f r a g e . Beispiel: Ist der Angeklagte schuldig, a) am 1. Dezember 1899 zu X, b) am 3. Dezember 1899 zu X, c) am 5. Dezember 1899 zu X je 100 Mk., fremde bewegliche Sachen, die er in Besitz oder Gewahrsam hatte, sich rechtswidrig zugeeignet zu haben? Es liegt nahe, vor den Einzelakten der Frage noch das Moment „in fortgesetzter Begehung" einzufügen. Allein dieser Passus enthielte nicht ein gesetzliches Merkmal — das StGB hat den Begriff des fortgesetzten Verbrechens nicht bestimmt — und nur solche gehören nach § 293 StPO (neben den Individualisierungsmomenten) in die Frage 6 . Das Wesen des fortgesetzten Delikts liegt in der Einheit des Willens, und sie käme trotz des Zusatzes nicht zum Ausdruck. Würden die Geschworenen nur einen Einzelakt bejahen, die anderen verneinen, so gäben sie bei solcher Befragung unter allen Umständen, möchten sie nun die „fortgesetzte Begehung" durch Nicht Verneinung bejahen oder durch Verneinung ausschliefsen, ein fehlerhaftes Verdikt ab. Denn sie hätten entweder für einen Einzelakt fortgesetzte Begehung festgestellt oder die weiteren Einzelakte nur „in fortgesetzter Begehung" verneint. Indem die Frage über Einheit oder Mehrheit von Handlungen nichts sagt, gibt sie deutlich zu erkennen, dafs sie sich nicht auf den Fall der idealen oder der realen Konkurrenz, sondern auf mehraktige Verbrechenseinheit bezieht. Die Frage zu erläutern, namentlich den Gegensatz zur Realkonkurrenz klarzustellen, ist Sache der Rechtsbelehrung. Die Geschworenen haben über die erfragten Einzelakte getrennt abzustimmen. Es wird ihnen die eine Schuldfrage, jedesmal in Beziehung auf einen Einzelakt wiederholt gestellt. Nicht sind sie mit mehreren Schuldfragen, wie im Falle der Deliktskonkurrenz, befafst. Gesamtabstimmung über die in der Frage geschiedenen Einzelakte führte, ganz abgesehen davon, dafs sie bei einer grofsen Zahl 6 Frühere deutsche Strafgesetzbücher, Z.B.Hannover Art. 106, definierten das fortgesetzte Verbrechen. Demgemäfs waren die Geschworenen über die Begriffsmerkmale zu befragen (nach vorgängiger Befragung wegen der Einzelakte). Vgl. auch v. B a r , Recht und Beweis im Geschworenengericht S. 253.

§

. Hauptfrage bei

gesetzte

Verbrechen.

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von Einzelakten auf ein nicht mehr zu übersehendes Material gerichtet wäre, leicht zu falschem Ergebnis. Verneinen z. B. je vier Geschworene je einen von drei Deliktsakten, so mufs bei getrennten Abstimmungen die Frage im ganzen bejaht werden, was auch durchaus richtig ist, während Gesamtabstimmung ein totales Nein lieferte. Ob die Voraussetzung für zusammengesetzte Einheitsfrage, scheinbare Realkonkurrenz, vorliegt oder nicht, steht zum Ermessen des Gerichts, das für zweckentsprechende, einen materiell richtigen Spruch sichernde Befragung zu sorgen hat. Einfache Einheitsfrage, wo die zusammengesetzte Frage richtiger gewesen wäre, ergibt nicht eine Gesetzesverletzung und folglich nicht einen Revisionsgrund. Eine die Einzelakte nicht erwähnende Frage des Inhalts, ob der Angeklagte in der Zeit vom 1. bis 5. Dezember 1899 300 Mk. unterschlagen habe, ist j u r i s t i s c h nicht zu beanstanden. Aber es wird durch die so gefafste Frage den Teilen ein — scheinbar einheitliches — Ganzes substituiert, ein Modus, der leicht die Geschworenen beirren und so zu materiell unrichtigem Entscheid führen kann. Im Falle der Mittäterschaft kann für den einen Mittäter Realkonkurrenz, für den anderen fortgesetztes Delikt angenommen werden 7. Es entsteht kein Widerspruch, wenn in der zusammengesetzten Einheitsfrage für X die gemeinsame Begehung mit Y, in den Realkonkurrenzfragen für Y die gemeinschaftliche Ausführung mit X konstatiert wird. Denkbar ist, dafs die Begehung mehraktigen Delikts mit Sicherheit feststeht, Zahl und Beschaffenheit der Einzelakte aber nicht zu bestimmen sind. Dann bleibt nur einfache Einheitsfrage übrig, wobei individualisierend auf die Mehrheit der Einzelakte hingewiesen werden mag („in mehreren Fällen") 8 , vielleicht auch eine Alternative (200 oder 300 Mk. usw.) am Platze ist. II. Die zusammengesetzte Einheitsfrage ist nicht notwendig in allen Teilakten auf denselben Deliktsbegriff abgestellt. Denn es gibt Formen des fortgesetzten Verbrechens, bei denen der eine 7

Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 34 S. 47. Dafs eine solche Befragung unzulässig sei, kann dem 4. Str.-S. R. I X S. 655 nicht zugegeben werden. Nach der Fassung ist ganz klar, dafs Realkonkurrenz nicht, vielmehr fortgesetztes Delikt bei nicht fixierbarer Zahl der Einzelakte gemeint ist. Darin aber ist dem RG beizustimmen, dafs, wenn der Eröffnungsbeschlufs so gefafst ist und nun die Verhandlung eine bestimmte Zahl von Akten ergibt, entsprechende Fragänderung erfolgen mufs. 8

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oder andere Einzelakt in qualifiziertes oder zusammengesetztes Verbrechen übergeht 9 . Beispiele: A stiehlt mit einheitlichem Dolus dem Β einen Hundertmarkschein vom Schreibtische und einen weiteren aus dem Schreibtische mittels Einbruchs; A stiehlt mit einheitlichem Dolus dem Β unbemerkt die Geldbörse aus der Tasche und nimmt ihm dann mit Gewalt die Uhr ab. Die Akte können dabei auch durch erhebliche Intervalle getrennt sein: A hat es auf drei Zwanzigmarkstücke des Β abgesehen und stiehlt am 1. März eines aus dem offenen Spinde, die beiden anderen am 10. März mittels Erbrechens des verschlossenen Behältnisses. Die Berücksichtigung der Einzelakte in der Frage ist in diesen Fällen u n e n t b e h r l i c h , da nur so die richtige Beurteilung der Tatbestände gesichert erscheint. Es kann nicht die Frage im ganzen auf qualifiziertes oder zusammengesetztes Verbrechen abgestellt und es kann nicht der so beschaffene Einzelakt in eine besondere Frage verwiesen werden. Die Fragen werden dahin zu lauten haben: Ist der Angeklagte schuldig, a) am 1. März dem Β 20 Mk., b) am 10. März dem Β 40 Mk., fremde bewegliche Sachen, und zwar im Falle b) aus einem Gebäude mittels Erbrechens eines Behältnisses, in Absicht rechtswidriger Zueignung weggenommen zu haben? oder: am 1. März dem B a) eine Geldbörse mit 100 Mk., b) eine goldene Uhr mit goldener Kette, fremde bewegliche Sachen, im Falle b) mit Gewalt gegen die Person des B, in Absicht rechtswidriger Zueignung weggenommen zu haben? usw. Die Qualifikation (Einbruch usw.) kann Gegenstand einer Nebenfrage werden und mufs es auf Verlangen der Geschworenen (§ 296). In diesem Falle ist scharfe äufserliche Trennung der Einzelakte in der Hauptfrage besonders geboten. Das geschieht durch die Positionen a, b, c usw., während dann die Nebenfrage lautet: Im Falle der Bejahung der Frage 1 (Hauptfrage) zu b usw. Ein in der Handlungsreihe begriffenes zusammengesetztes Verbrechen (Raub usw.) ist weder ganz noch auch nur teilweise in besondere Frage zu stellen. Nicht im ganzen, denn es würde sonst als konkurrierendes Delikt behandelt. Und nicht teilweise, denn ein zusammengesetztes Delikt mufs von den Geschworenen einheitlich erledigt werden. Dafs die Geschworenen bei Bejahung im übrigen die qualifizierenden oder zusammengesetztes Verbrechen ergebenden Tatmomente ablehnen können, versteht sich. 9

Vgl. B i n d i n g , Handbuch I S. 546.

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Die Verwechselung mit Realkonkurrenz ist in den Fällen sub I I wegen der teilweisen Verschiedenheit der Einzelakte (einfaches, qualifiziertes usw. Delikt), auch wenn sie in continenti einander folgten, immer zu befürchten, die zusammengesetzte Frage daher unerläfslich. Ist genaue Ausscheidung und Charakterisierung der nicht-qualifizierten usw. Einzelakte nicht möglich, so wird insofern die Frage einheitlich gefafst, während der qualifizierte usw. Akt den Gegenstand der weiteren Fragposition bildet. I I I . Vielfach wird zweifelhaft sein, ob die deliktischen Akte durch einheitlichen Willen verbunden waren oder nicht, ob also fortgesetztes Delikt oder Realkonkurrenz vorliegt. Und jedenfalls können die Anschauungen des Gerichts und der Geschworenen darüber divergieren. Den Geschworenen als den Richtern der Schuld mufs es auf Verlangen immer ermöglicht werden, den Tatbestand unter beiden Gesichtspunkten zu prüfen 10 . Ist nun in solchem Falle zuerst nach fortgesetztem Delikt oder aber nach Realkonkurrenz zu fragen? Für das Voranstellen der Realkonkurrenz liefse sich geltend machen, dafs sie eine Mehrheit von Strafansprüchen und folglich erhöhte Strafbarkeit gegenüber fortgesetztem Delikt als Grund nur eines Strafanspruchs ergebe. Allein das trifft doch nur zu für die Fragenmehrheit im Ganzen verglichen mit der zusammengesetzten Frage, dagegen ist die letztere umfassender im Verhältnis zu jeder Einzelfrage. Würden die Geschworenen zuerst nach Realkonkurrenz gefragt, so kämen sie bei Annahme fortgesetzten Delikts in die unnatürliche Lage, Handlungen, von deren Existenz sie überzeugt sind, zunächst verneinen zu müssen,· um sie nachher als Teile eines fortgesetzten Delikts wiederum zu bejahen! Ein solcher Wahrspruch wäre sogar im Hinblick auf die erste von den Geschworenen bejahte Einzelfrage in sich widersprechend; sie hätten z. B. den ersten am 1. März begangenen Diebstahl zunächst verneint und dann als Anfangsglied einer deliktischen Reihe bejaht, während die Annahme eines einheitlich festgehaltenen Dolus sie doch nur zur Verneinung der zweiten und jeder folgenden Einzelfrage berechtigt hätte. Die Geschworenen können bei der Abstimmung über die erste Einzelfrage sich nur an diese halten und ihr Votum nicht 10

In cler gegenteiligen Entsch. des RG 4. Str.-S. Bd. 14 S. 75 f. ist verkannt, dafs Verneinung der Selbständigkeit bei Realkonkurrenzfragen keineswegs die positive Feststellung der Voraussetzungen fortgesetzten Delikts bedeutet.

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davon abhängig machen, ob sie für die weiteren Einzelfragen selbständigen Dolus annehmen oder nicht. Es gehört daher die zusammengesetzte Frage voran 11 . Ihre Verneinung bedeutet im Hinblick auf die nachfolgenden Realkonkurrenzfragen nur die Verneinung der spezifischen Merkmale fortgesetzten Delikts (des einheitlichen Willens usw.). Das Eventualverhältnis cler Mehrheitsfragen insgesamt gegenüber der zusammengesetzten Frage mufs deutlich markiert werden. Praktisch ist folgendes Schema: 1. Zusammengesetzte Frage. 2. Im Falle der Verneinung der Frage 1 werden folgende Fragen gestellt: a. Frage auf Delikt I ; b. Frage auf Delikt I I ; c. Frage auf Delikt I I I ; d. Im Falle der Bejahung der Fragen 2 a bis c oder zweier von ihnen Selbständigkeitsfrage. (Die Selbständigkeitsfrage ist entbehrlich, wenn die Möglichkeit der Idealkonkurrenz durch die Intervalle der Einzelakte usw. ausgeschlossen erscheint). Nehmen die Geschworenen nur einen Einzelakt an, so dürfen sie die zusammengesetzte Frage nicht verneinen, sondern haben sie zu bejahen unter Verneinung der übrigen Akte. Denn würden sie glatt verneinen, so hätte dieses Votum nicht in der Verneinung der spezifischen Momente fortgesetzten Delikts, nach denen bei einer isolierten Deliktshandlung gar nicht gefragt werden kann, seinen Grund und befände sich in vollem Widerspruch zu der späteren Bejahung des fraglichen Deliktsakts. Die Geschworenen können glatt verneinen nur wenn sie entweder sämtliche Einzelakte verneinen (in welchem Falle dann noch Verneinung der Realkonkurrenzfragen nachfolgt) oder bei Annahme von mindestens zwei Einzelakten das einende Band zwischen ihnen vermissen. Eingehende Belehrung über die Bedeutung der Fragen ist dringend geboten. Ob sie aber alle Mifsverständnisse ausschliefsen wird, bleibt zweifelhaft. IV. Wenn die Geschworenen für einen Einzelakt, z. B. den dritten, selbständiges Delikt annehmen, so müssen sie unter Bejahung der zusammengesetzten Frage im übrigen diesen verneinen. War nur die zusammengesetzte Frage gestellt, so ist solchem Votum 11

A. A. L ö w e - H e l l w e g zu § 294 Bern. 2 b ; K e l l e r zu § 292 Bern. 5; B e n n e c k e - B e l i n g S. 556 Anm. 23. Das RG hat sich in dem von L ö w e zit. Urt. R. I I S. 533 f. (3. Str.-S.) über die Reihenfolge der Fragen n i c h t ausgesprochen. Zutreffend G l a s e r , Fragestellung (in v. Holtz. Rechtslexikon) S. 896: es sei zuerst nach fortgesetztem Verbrechen, im Falle der Ablehnung nach den Einzeldeiikten zu fragen.

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nicht anzusehen, ob es den Einzelakt überhaupt oder nur als Teil der Reihe verneint. Treten die Realkonkurrenzfragen hinzu, so können nun die Geschworenen ohne mit sich in Widerspruch zu treten, die betreffende Einzelfrage bejahen. Es wird so nachträglich der Sinn des vorgängigen Votums festgestellt. Schliefslich mag noch der Möglichkeit gedacht werden, dafs die Geschworenen in den Einzelakten mehrere, z. B. zwei zweiteilige, untereinander real konkurrierende fortgesetzte Delikte erblicken. Sobald die Geschworenen bei Prüfung cler Einzelakte in der Folge der Frage auf einen neuen, die weiteren Tätigkeiten mitumfassenden Dolus stofsen, ist die Kette zerrissen und es müssen von da an alle ferneren Akte verneint werden. Sind Realkonkurrenzfrageu gestellt, so kann demnächst der erste Akt der zweiten Reihe auf die betreffende Einzelfrage hin bejaht werden; die folgenden aber können es nicht mehr, da ja die Geschworenen für sie nicht neuen Dolus annehmen. B e a n t w o r t u n g der entsprechenden Einzelfragen ist jedenfalls notwendig, denn es ist für sie die Eventualität, der Fall der Verneinung der zusammengesetzten Frage, eingetreten. Ein der Schuldauffassung der Geschworenen genau konformer Wahrspruch liefse sich hier nur durch mehrfache eventuelle Befragung erzielen. Werden z. B. vier Einzelakte unterstellt, so müfste auf die zusammengesetzte Frage betreffs der vier Akte zunächst für den Fall der Bejahung unter Verneinung der Akte 3 und 4 eine eventuelle zusammengesetzte Frage bezüglich dieser Akte in Verbindung mit der Selbständigkeitsfrage für die so supponierten beiden Handlungskomplexe folgen und in weiterer Eventualität hätten sich dann die Realkonkurrenzfragen für alle einzelnen Tatakte anzuschliefsen. Weitere mögliche Nüancen in der Beurteilung des zusammengesetzten Tatbestandes, wie sie praktisch nicht selten vorkommen, ohne rechtsgelehrten Richtern erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten, würden einen noch komplizierteren Fragmechanismus ergeben. Die Mifsstände der Geschworenenberatung ohne rechtskundige Unterstützung machen sich hier fühlbar. Die Geschworenen werden den gebotenen materiellrechtlichen Unterscheidungen trotz aller Rechtsbelehrung öfters nicht gewachsen sein. Das Gericht kann bei Stellung der Fragen nicht alle Gestaltungen, die etwa die Schuldauffassung der Geschworenen im einzelnen annehmen könnte, erraten. Und clas Recht der Geschworenen auf Vorlegung von Hilfsfragen bleibt gegenüber Distinktionen, die sie ohne spezielle rechtskundige Anleitung nicht verstehen, leicht eine abstrakte Möglichkeit. Wollte gar das Gericht bei

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einer g r of sen Zahl von Einzelakten alle überhaupt denkbaren Beurteilungsmöglichkeiten im voraus berücksichtigen, so entstände eine geradezu monströse, praktisch ganz unbrauchbare Fragenmasse. Die zusammengesetzte Frage ist Hauptfrage, wenn der Eröffnungsbeschlufs fortgesetztes Delikt angenommen hatte, andernfalls Hilfsfrage. Die Realkonkurrenzfragen bilden der zusammengesetzten Frage gegenüber eine Mehrheit koordinierter Hilfs- oder Hauptfragen. Die Vorlegung der Hilfsfrage oder der Hilfsfragenmehrheit kann seitens der Geschworenen stets verlangt werden. V. Bei gewerbs-, geschäfts-, gewohnheitsmäfsigen, kurz bei Kollektivdelikten werden einfache Einheitsfragen gestellt. Diesen besonderen positivrechtlichen Deliktsbildungen gegenüber besteht nicht der Schein der Realkonkurrenz. Doch können Einzelakte als konkrete Momente in die Frage aufgenommen werden. Wie viel solcher Akte feststehen müssen, um Gewerbs-, Gewohnheitsmäfsigkeit anzunehmen, ist zu einem Teil materiell-rechtliche, zum andern Beweisfrage. Die zusammengesetzte Einheitsfrage pafst nur auf eine Tätigkeitsreihe, die durch einheitlichen WTillen zu einheitlicher Handlung verbunden ist. Die Einzelakte des Kollektivdelikts dagegen sind an sich selbständige Handlungen 12 . VI. Auch das Dauerverbrechen (Einsperrung des X während längerer Zeit usw.) erfordert einfache Einheitsfrage. Gegenüber bestimmten Deliktstatbeständen ferner (Ehebruch cles X mit der Y , unzüchtige Handlung des X an der Y usw.) unterscheidet das Recht nicht, ob sie in einem oder mehreren Tatakten hervortreten und ob im letzteren Fall Willenseinheit oder Willensmehrheit gegeben ist 1 3 . Daher mufs auch die Befragung eine einheitliche sein. VII. K ü n s t l i c h e V er b r e c h e n s e i n h e i t. Mit kasuistischer Fassung der Verbrechensbegriffe im Gesetz verbindet sich zuweilen die Folge, dafs mehrere Tatakte, obwohl sie unter verschiedene gesetzliche Positionen fallen und im Sinne des so geformten Gesetzes jedem Akte ein besonderer verbrecherischer Wille entsprechen würde, doch als e i n Verbrechen zu gelten haben. Bezeichnende Beispiele bieten der Hochverrat und das Bankeruttverbrechen. Zwischen mehreren im Gesetz getrennten 12

Scharf betont wird der Gegensatz des fortgesetzten und des gewohnheitsmäfsigen Handelns vom 4. Str.-S. Goltd. 47, 373. Gegenteilig derselbe Senat E. Bd. 34 S. 310. 13 Das gesetzliche Material bei B i n d i n g , Handbuch I S. 554 f.

§ 15. Hauptfrage bei Subsidiarität des Strafgesetzes.

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hochverräterischen Handlungen (vgl. § 81 Kr. 1 und 2 StGB: Unternehmen, einen Bundesfürsten zu töten, die Verfassung eines Bundesstaats gewaltsam zu ändern usw.) besteht bei materieller Einheit des verbrecherischen Willens trotz formell gegebener Deliktskonkurrenz Verbrechenseinheit. Die Einheit der Zahlungseinstellung, Konkurseröifnung, verbindet Bankerutthandlungen verschiedener Positionen des gleichen Bankeruttstrafgesetzes, ja auch Handlungen des einfachen und des betrügerischen Bankerutts zu einem Bankeruttverbrechen. Die Wahrung der Verbrechenseinheit und das Bedürfnis, die einzelnen Tatakte den zutreffenden rechtlichen Kategorien zu subsumieren, ergibt für diese künstlichen Einheiten die gleiche Befragungsform, wie sie bei der natürlichen Einheit fortgesetzten Delikts durch die Abscheidung von der Realkonkurrenz bedingt wird. Es ist also z u s a m m e n g e s e t z t e E i n h e i t s f r a g e zu stellen. Künstliche Verbrechenseinheit in gleichartigen Tatakten hingegen ist in einfacher Einheitsfrage zu erledigen. Der Schein der Realkonkurrenz besteht hier nicht: das Gesetz erblickt in den mehreren Handlungen (z. B. wiederholtem Verheimlichen von Vermögensstücken, § 239 Nr. 1 KO) stets nur ein Verbrechen, ohne zwischen Einheit und Mehrheit der Willensentschliefsungen zu unterscheiden. § 15. H a u p t f r a g e b e i S u b s i d i a r i t ä t des Strafgesetzes. Insbesondere die k u m u l a t i v e E i n h e i t s f r a g e 1 . Die Subsidiarität der einen Strafdrohung gegenüber der anderen wirft der Regel nach ein besonderes Fragstellungsproblem nicht auf. Es genügt zumeist die Feststellung des einen der konkreten Sachgestaltung entsprechenden, für die Gesetzesanwendung mafsgebenden Tatbestandes. Als Beispiel diene das Verhältnis der Strafgesetze wider die Herausforderung zum Zweikampf, § 201 StGB, und wider den Zweikampf selbst, § 205 f. StGB. Die Bestrafung wegen Herausforderung setzt materiell voraus, dafs der Zweikampf nicht stattgefunden hat, ist aber nicht prozessual durch entsprechende Negativfeststellung bedingt! Demgemäfs wird im schwurgerichtlichen Verfahren nur eine Hauptfrage — nach Herausforderung oder aber Zweikampf — gestellt. Tötung im Duell führt zur Bestrafung aus § 206, es müfste denn die Tötung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfs bewirkt worden sein 1

O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 64 S. 178 f.

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Hauptfrage bei Subsidiarität des Strafgesetzes.

und in Anwendung der allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung sich eine härtere Strafe als nach den Zweikampfgesetzen ergeben, vgl. § 207. Körperverletzung unter gleicher \'oraussetzung bleibt im Rahmen des Duells, wenn nicht die Strafgesetze bei der Körperverletzung eine härtere als die Duellstrafe bedingen, § 207. Die Anwendung des sonach den Tötungs-, Körperverletzungsgesetzen subsidiären Zweikampfgesetzes erforciert, soweit nicht im Einzelfall eine Verletzung cler Duellregeln in Frage kommt, nur, dafs cler ihm gemäfse Tatbestand — Tötung im Duell, Duell (Körperverletzung im Duell ist in den Zweikampfgesetzen nicht ausgezeichnet) — festgestellt worden ist. Dagegen kann eine Bestrafung aus § 207, also nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung oder Körperverletzung, nur stattfinden, wenn feststeht, dafs der Angeklagte mit dem X einen Zweikampf mit tötlichen Waffen vollzogen hat und in diesem Zweikampf mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten Kampfregeln den X vorsätzlich getötet unci die Tötung mit Überlegung (nicht mit Überlegung usw.) ausgeführt hat usw. usw., und wenn ferner — was im Beispiel selbstverständlich — im konkreten Falle nach clem allgemeinen Strafgesetz die Strafe höher ausfällt als nach clem Duellgesetz. Den Geschworenen mufs die Duellfrage vorgelegt werden, weil sie über Tötung (Körperverletzung) im Duell unter Verletzung cler Regeln entscheiden sollen; es mufs ferner die Mord-(Totschlags-, Körperverletzungs- usw.) Frage gestellt werden mit dem Zusatz „mittels vorsätzlicher Übertretung cler vereinbarten — Regeln des Zweikampfs", weil nur die regelwidrige Tötung usw. im Duell die Anwendung des Mord- usw. Paragraphen zu begründen vermag. Es dürfen aber nicht zwei gesonderte Hauptfragen gebildet werden, denn sonst würde reale Konkurrenz festgestellt, die undenkbar ist gegenüber dem Subsidiaritätsverhältnis der Strafgesetze. Wegen Zweikampfs (eventuell mit tötlichem Ausgang) oder gemeiner Tötung, Körperverletzung, nicht wegen beider Delikte, ist zu strafen. Die Frage bleibt, obwohl sie die Feststellung zweier Delikte bezielt;, Einheitsfrage: die beiden Delikte bilden eben des Subsidiaritätsverhältnisses cler Gesetze halber eine Verbrechenseinheit. Es wird daher die aus beiden Strafgesetzen substantiierte in zwei Fragpositionen geschiedene Frage passend „ k u m u l a t i v e E i n h e i t s f r a g e " genannt. Bejahung cler ersten Gliedfrage unter Verneinung der zweiten

§ 16. Hauptfrage bei Wechsel d. Strafgesetze zw. Begehung u. Aburteilung. 155

ergibt Strafbarkeit wegen Duells. Ebenso, wenn die zweite Gliedfrage unter Ablehnung der Regel Überschreitung ebenfalls bejaht wurde; es ist dann Zweikampf mit Todesfolge (§ 206) oder mit Körperverletzungsfolge (dem Duellgesetz gegenüber überflüssig, aber nicht vermeidlich wegen der Notwendigkeit, das gemeine Strafgesetz in der Frage mit zu berücksichtigen) festgestellt worden. Bejahung der Frage nach beiden Positionen liefert die tatbestandlichen Voraussetzungen des Duelldelikts und des gemeinen Delikts und stellt nun clas Gericht vor die Prüfung, aus welchem Gesichtspunkte sich für diesen Verbrechensfall die härtere Strafe ergibt. § 16. H a u p t f r a g e b e i W e c h s e l d e r S t r a f g e s e t z e z w i s c h e n B e g e h u n g und A b u r t e i l u n g und b e i ausl ä n d i s c h e m D e l i k t i m F a l l e des § 4 Nr. 3 StGB. E i n heitsfrage mit Doppelsubsumtion1. I. Wenn zwischen Begehung und Aburteilung die Strafgesetze sich geändert haben, sei's, dafs auch die mafsgebenden Deliktsbegriffe gewechselt haben (die Tat z. B. nach altem Recht als Raub, nach neuem als Erpressung sich darstellt), sei's, dafs nur der Deliktstatbestand im neuen Gesetze erweitert, verengert oder andersartig bestimmt worden ist, Qualifikations- oder Privilegierungsgründe hinzugetreten, weggefallen oder inhaltlich geändert worden sind, während im Einzelfalle qualifiziertes, privilegiertes Delikt in Frage kommt, so wird Befragung cler Geschworenen in Richtung beider Gesetze notwendig. Die Subsumtion nur unter das neue Gesetz genügt nicht, weil dieses nicht mit rückwirkender Kraft früher begangenes Delikt ergreift. Würde hingegen nur unter das alte Gesetz subsumiert, so bliebe die fortdauernde Strafbarkeit nach neuem Gesetz ungewifs. Erst mit der Subsumtion unter beide Gesetze ist die Voraussetzung der Bestrafung erbracht, und es wird dann gemäfs § 2 StGB das Begangenschaftsgesetz angewendet, falls nicht das Aburteilungsgesetz (oder ein Zwischengesetz) das mildere ist. Änderung des Strafgesetzes lediglich in der Strafsatzung berührt nicht clie Schuldbeurteilung und bedingt daher nicht doppelte Befragung. Dem Angeklagten wird e i n , nach altem unci neuem Recht 1

Detaillierte Erörterung der Probleme in O e t k e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 48 S. 321 f. Die Textdarstellung mufs sich auf die Hauptpunkte beschränken.

16 Hauptfrage bei Wechsel d. Strafgesetze zw. Begehung u. Aburteilung.

strafbares Delikt, nicht die Verletzung mehrerer Strafgesetze zugleich — in realer, idealer Deliktskonkurrenz oder in Gesetzeskonkurrenz — zur Last gelegt. Es versagen daher die Typen der Fragenmehrheit, der Mehrheitsfrage, der kombinierten Einheitsfrage. Das Fragstellungsproblem ist ein neues, eigenartiges. Es soll die eine inkriminierte Tat sukzessive unter zwei Strafgesetze subsumiert werden, um ihre fortdauernde Strafbarkeit festzustellen und dem Gerichte die Anwendung des einen oder anderen Gesetzes — je nach dem Prinzip des § 2 — zu ermöglichen. Dieser Zweck der Befragung führt zur Aufstellung der E i n h e i t s f r a g e m i t D o p p e l s u b s u m t i o n (mit dreifacher usw. Subsumtion beim Hinzutreten eines Zwischengesetzes). Die beiden gesetzlichen Tatbestände, der des alten und der des neuen Gesetzes, sind gesondert in die Frage aufzunehmen. Handelt es sich z. B. um ein Wucherdelikt im Sinne des § 302 a StGB., das noch datiert aus der Zeit der älteren Redaktion dieses Gesetzes, so mufs zur Bestrafung formell feststehen, dafs der konkrete Sachverhalt der älteren und der neueren Fassung des § 302 a (wucherliche Vermögensvorteile : „für ein Darlehn"; „in Bezug auf ein Darlehn oder auf die Stundung einer Geldforderung" usw.) gleichmäfsig entspricht. Es kann nicht ausreichen die tatbestandliche Feststellung nur nach einem Gesetz, womit die formelle Möglichkeit gegeben wäre, dafs die jetzt zu strafende Tat zur Zeit ihrer Begehung einen Strafanspruch noch nicht ergeben oder die Strafbarkeit nachträglich wieder verloren hätte. Die Geschworenen können die Frage im ganzen oder jede Fragposition einzeln bejahen oder verneinen. Verneinen sie die erste Gliedfrage (aus dem Begangenschaftsgesetz), so steht damit bereits die Straflosigkeit der Tat fest und sie brauchen über die zweite Gliedfrage (aus dem Aburteilungsgesetz) nicht mehr abzustimmen , sind vielmehr alsbald zur \Terneinung der Gesamtfrage befugt. Bejahung der ersten Gliedfrage nötigt zur Abstimmung über die zweite. Abstimmung über beide Gliedfragen zugleich wäre durchaus verkehrt. Qualifikationen oder Privilegierungsgründe nach altem oder neuem Gesetz, die nach der Sachlage erheblich sind, können in die Gliedfragen aufgenommen oder in Nebenfragen — für den Fall der Bejahung cler entsprechenden Gliedfrage — verwiesen werden. Verneinen die Geschworenen den Qualifikations- oder Privilegierungsgrund nach altem oder neuem Rechte, so gilt insofern clas Delikt als einfaches, und es fragt sich nun, ob das einfache Delikt nach

§ 16. Hauptfrage bei Wechsel d. Strafgesetze zw. Begehung u. Aburteilung.

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Begangenschaftsgesetz oder das qualifizierte, privilegierte Delikt nach Aburteilungsgesetz (oder umgekehrt) die mildere Strafe hat. Die Bedeutung der Gliedfragen ist den Geschworenen durch die Rechtsbelehrung zu vermitteln. Auf die Gesetzesstellen in Parenthese zu den Fragen hinzuweisen, mag sich empfehlen, um jeden Zweifel über die Beziehung der Fragpositionen auf altes, neues Gesetz auszuschliefsen. Ist der Zeitpunkt der Begehung, ob vor oder nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes, zweifelhaft geblieben, so mufs dieser Alternative durch doppelte Befragung der Geschworenen: mit doppelt subsumierender Frage für den Fall früherer, mit einfach subsumierender Frage für den Fall späterer Begehung, Rechnung getragen werden. E i n e alternativ gefafste Frage wäre unmöglich, weil jedes Glied der Alternative eine verschiedene Subsumtionsaufgabe stellen würde 2 . Hat der Eröffnungsbeschlufs den Zweifel beibehalten, so sind beide Fragen, die prinzipale und die eventuelle, Hauptfragen. Voran steht die Frage mit früherer Begehungszeit, also die doppelt subsumierende Frage, es müfste denn das neue Gesetz die härtere Strafe enthalten, in welchem Falle die einfach subsumierende Frage gemäfs diesem Gesetze den Vorrang haben würde; Analogie des § 294 Abs. 1 StPO. Das Verhältnis von Haupt- und Hilfsfrage hingegen liegt vor, wenn der Eröffnungsbeschlufs sich für die eine Annahme entschieden und nun die Verhandlung Anhaltspunkte für anderweite Datierung der Tat ergeben hat. Die Anordnung der Fragen folgt der Regel: 2 Für alternative Befragung Ο s t e r n , Alternativität der strafprozessualen Willenserklärungen S. 80. Er verkennt, dafs schulderhebliche Änderung der Strafgesetze — das ist die Voraussetzung für die Befragung der Geschworenen in Richtung beider Gesetze, vgl. näher O e t k e r a. a. 0. S. 322 f. — auch relevante Änderung des Strafanspruchs begründet. Es ist ein Unterschied, ob der Strafanspruch entstanden ist auf Grund des einen oder anderen der tatbestandlich verschiedenen Strafgesetze. Hat ihn das Strafgesetz I , das Begangenschaftsgesetz, ergeben, so fragt sich weiter, ob er noch fortbesteht auf Grund des tatbestandlich differenten Strafgesetzes I I , des Aburteilungsgesetzes. Wird hingegen die Tat datiert nach dem Geltungsbeginn des neuen Gesetzes, so handelt es sich um die Feststellung eines durch dieses Gesetz begründeten Strafanspruchs. Die Verschiedenheit des Anspruchsgrundes und damit des Anspruchs in beiden Fällen ist doch gar nicht zu verkennen! Also zwiefache Befragung der Geschworenen, prinzipale und eventuelle! Die Geschworenen haben, wenn sie des Zweifels nicht Herr werden können, in dubio mitius, die dem Angeklagten günstigere Begehungszeit anzunehmen, die darauf gerichtete Frage zu bejahen; O e t k e r a. a. 0. S. 329.

16 Hauptfrage bei Wechsel d. Strafgesetze zw. Begehung u. Aburteilung.

an erster Stelle steht die Frage aus dem Eröffnungsbeschlufse, die Hauptfrage, falls nicht die andere, die Hilfsfrage, höhere Strafbarkeit begründet, was dann zutrifft, wenn das neue Gesetz härtere Strafe androht und die Hilfsfrage die spätere Begehung zugrunde legt. I I . Die gleiche Rechtslage besteht bei Anklage gegen einen Deutschen wegen einer im Ausland begangenen, nach deutschem Recht als Verbrechen oder Vergehen und auch nach den Gesetzen des Ortes der Begehung strafbaren Handlung, § 4 Z. 3 StGB. Das deutsche Strafgesetz ist nur unter der Voraussetzung auf das ausländische Delikt erstreckt, dafs dieses zugleich dem Tatbestande ausländischen Strafgesetzes entspricht. Eine Strafschuld nach inländischem Rechte existiert nur auf Grund der Subsumierbarkeit der Tat unter beide Gesetze. Über die tatbestandlichen Voraussetzungen des Strafanspruchs haben in vollem Umfange die Geschworenen zu entscheiden3. Folglich mufs ihnen auch in diesem Verhältnis E i n h e i t s f r a g e m i t D o p p e l s u b s u m t i o n vorgelegt werden. In die Gliedfragen sind aufzunehmen die Deliktstatbestände nach deutschem und fremdem Recht, mögen sie divergieren oder sich decken, mag die begriffliche Auffassung des Delikts die gleiche oder eine verschiedene (Raub, Erpressung usw.) sein. Verneinung schon eines Frageglieds führt zur Freisprechung. Im Zweifel über inländische oder ausländische Begehung (Verübung im Eisenbahnwagen vor oder nach Passieren der Grenze usw.) sind in ganz gleicher Weise, wie beim Gesetzeswechsel, doppelt und einfach subsumierende Frage zu stellen: als prinzipale und eventuelle Hauptfrage, wenn der Eröffnungsbeschlufs die Alternative beibehalten hat, als Haupt- und Hilfsfrage, wenn der Beschlufs den Zweifel gelöst und die Verhandlung ihn erneut oder diese ihn allererst ergeben hat 4 . 3 Befragung der Geschworenen nach beiden Gesetzen verlangen v. B a r , Recht und Beweis im Geschworenengericht S. 229f.; G o l t d a m m e r im Arch. Bd. 15 S. 804 f ; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 4 StGB Anm. 13: L ö w e H e l l w e g zu § 293 Anm. 11 u. A. So auch RG 1. Str.-S. E. Bd. 13 S. 232, Bd. 31 S. 123. Abstrakte Feststellung der Strafbarkeit nach ausländischem Recht lassen genügen v. K r i e s S. 616 Anm. 1; B e n n e c k e - B e l i n g S. 552 Anm. 11. v. M e y e r bei Holtzend. I I S. 143, 144, 178 und F i n g e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 54 f. überweisen die Prüfung der ausländischen Strafbarkeit dem Gericht. 4 Auch in dieser Situation will O s t e r n S. 80 alternative Befragung. Wieder ist zu entgegnen, dafs der Anspruchsgrund in beiden Fällen differiert.

§ 17. Die klagbessernde Funktion der Hilfsfrage.

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In der Schuldfrage ist die Deutschen - Qualität des Täters zu konstatieren, denn nur den deutschen Täter, der im Auslande delinquierte, ergreift das deutsche Strafgesetz 5. Die Frage lautet : Ist der Angeklagte schuldig als Deutscher usw.? Für einen Spezialfall unterwirft das Gesetz im § 4 Z. 3 Abs. 2 auch den delinquierenden Nichtdeutschen wegen ausländischen Delikts deutschem Strafanspruche : wenn der Täter nach der Begehung Deutscher geworden ist. Die jetzt vorhandene deutsche Staatsangehörigkeit bedarf der Feststellung durch die Geschworenen, denn sie bedingt die Zurückbeziehung des deutschen Strafgesetzes auf diesen Delinquenten. Die Frage wird zum Unterschiede von dem Normalfall des Gesetzes (in Abs. 1 des § 4 Z. 3) dahin zu fassen sein: Ist der Angeklagte als Deutscher schuldig usw.? B.

Die Hilfsfrage.

§ 17. D i e k l a g bessernde F u n k t i o n der

Hilfsfrage 1.

Die Hilfsfrage ist in allen ihren Formen e v e n t u e l l e k l a g bessernde H a u p t f r a g e 2 . O s t e r n übersieht auch, dafs bei ausländischem Begehungsort deutsche Staatsangehörigkeit zur Begehungszeit festgestellt werden mufs, bei inländischer Begehung nicht; dafs der Strafanspruch aus ausländischem Delikt den besonderen Aufhebungstatsachen des § 5 StGB unterliegt : wie könnte bei alternativem Schuldausspruch der Geschworenen das Gericht über diese Aufhebungsgründe kognoszieren? Es ist also wiederum doppelte Befragung unerläfslich und es haben die Geschworenen in dubio ausländische Begehung anzunehmen, schon weil in diesem Falle dem Angeklagten die Strafaufhebungsgründe des § 5 zugute kommen, vgl. O e t k e r S. 332." 5 A. A. RG 1. Str.-S. Bd. 31 S. 124: die Eigenschaft des Täters als Deutscher sei nur objektive Voraussetzung der Strafverfolgung. Allein nicht eine Prozefsvoraussetzung, sondern die materielle Anwendbarkeit des Strafgesetzes steht in Frage. 1 Über Klagbesserung: G l a s e r , Gerichtssaal Bd. 36 S. 81 f.; D e r s e l b e in v. Holtz. Rechtslexik. 3. Aufl. Artikel „Urteil im Strafprozefs" Bd. I I I S. 982f.; D e r s e l b e , Handb. I I §63 (mit eingehendem Literaturnachweis). Die reichsgerichtliche Praxis ergibt sich aus L ö w e - H e l l w e g zu § 263 StPO. Über Klagbesserung im schwurgerichtlichen Verfahren insbesondere: B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze (1856) S. 222f.; S c h w a r z e , Artikel „Schwurgericht" in Weiskes Rechtslexikon (1856) X S. 94 f.; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung (1856) S. 494f.; P l a n c k , System. Darstellung §§ 142, 143; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. (1859) S. 351 f.; H . M e y e r , Tat-und Rechtsfrage (1860) S. 182 f.; Go l t d a n i m e r in seinem Archiv Bd. 10 S. 238 f.; v . B a r , Recht und Beweis (1865) S. 126f.; S c h w a r z e , Deutsches Schwurgericht (1865) S. 27 f.; S t e l l i n g , Anklagebesserung (1866) S. 109 f.; Z a c k e , Fragstellung und Wahrsprüche (1867) §§ 6, 8—14; Z a c h a r i a e , Handbuch I I §§ 156, 157;

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§ 17. Die klagbessernde Funktion der Hilfsfrage.

Auch die qualifizierte, den Inhalt der Hauptfrage mit einschliefsende Hilfsfrage hat materiell Eventualcharakter. Sie erG l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. Art. „Fragestellung" Bd. I S. 887 f. ; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt (2. Aufl. 1898) S. 14f.; F r y d m a n n , Verteidigung im Strafverfahren (1878) S. 288 f.; V a r g h a , Verteidigung in Strafsachen (1879) S. 813 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 174 f.; v. K r i e s S. 608 f.; U l i m a n n S. 516 f.; B i r k m e y e r S. 654 f.; B e n n e c k e - B e l i n g § 125; R o s e n f e l d § 96; L ö w e - H e l l w e g zu § 294 StPO. Für das österr. Recht U l l m a n n , Lehrbuch §§ 129, 136; S c h ü t z e , Die Eventualfrage in der schwurgerichtlichen Fragestellung (Sep.-Abdruck aus dem österr. Zentralblatt für die jurist. Praxis Bd. I I2I (Zu HeftS.3), 1885. 159.) In den früheren deutschen Schwurgerichtsgesetzen wurde sie auch „Eventualfrage" genannt. Vgl. die Materialien bei Z a c h a r i a e I I S. 506 Anm. 36. Auch Österr. § 323 Abs. 3 bedient sich dieses Ausdrucks. Die Voraussetzungen für die Eventualfrage werden dahin angegeben: die der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen oder die hervorgetretenen näheren Umstände — — — erscheinen von einem Gesichtspunkte aus als strafbar, unter welchen sie die Anklage nicht gebracht hat, Preufs. 1852 Art. 86; es kommt ein geringerer Grad des angeklagten Verbrechens, ein leichteres Verbrechen oder Vergehen, statt Vollendung Versuch, statt Mittäterschaft Beihilfe, statt Vorsatz Fahrlässigkeit usw. in Betracht, Bay. 1848 Art. 174, 175; durch das Hinzutreten oder Wegfallen des einen oder anderen Tatumstandes fällt eine den Gegenstand der Anklage bildende strafbare Handlung unter den Begriff eines verschiedenen Verbrechens, Hann. 1859 § 194; ähnlich Hess.Darmst. 1865 Art. 368, 369ff.; das Ergebnis der Verhandlung hat den Gesichtspunkt verändert, unter welchem die Handlungen, auf denen die Anklage beruht, an und für sich und in Verbindung mit den erst bei der Verhandlung hervorgetretenen Umständen strafbar erscheinen: Frankf. 1856 Art. 236; nach dem Ergebnisse der Verhandlung kommt in Frage, ob die T a t , um deren Untersuchung es sich handelt, in einer anderen Gestaltung, als der in dem Verweisungsbeschlüsse angenommenen gegen die Strafgesetze verstofsen habe: Preufs. 1867 § 323 usw. usw. Mehrfach wurden Eventualfragen auch in Fällen vorgesehen, wo bereits teilweise Verneinung der Hauptfrage zu der bezüglichen Feststellung genügt hätte: so Oldenb. 1857 Art. 325 § 1 (die Tat fällt durch das Hinwegfallen einzelner gesetzlicher Merkmale unter den Begriff eines leichteren Verbrechens oder Vergehens); ebenso Brem. 1870 § 481. Auf die Einzelheiten einzugehen, verbietet sich, da sonst die präjudizierende Frage zulässiger Klagbesserung, über die in den älteren Gesetzen noch vielfach unrichtige Anschauungen bestanden, herangezogen werden miifste. Stark mifsverständlich die Ausführung Z a c h a r i a e ' s I I §§ 156, 157, der es als Konsequenz des akkusatorischen Prinzips erachtet, die Klagbesserung nur im Sinne einer Beschränkung auf ein geringeres Verbrechen oder eine geringere verbrecherische Schuld zuzulassen. So die von ihm belobte Bestimmung von Hamb. § 211. Die österr. StPO § 320 verlangt für eine Eventualfrage, vermöge welcher die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter den Begriff einer schwerer verpönten strafbaren Handlung gebracht wird, die Zustimmung des Angeklagten.

§ 17. Die klagbessernde Funktion der Hilfsfrage.

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setzt die prinzipale Hauptfrage, weil sie in teil weiser Verneinung deren Bejahung ergibt, so dais auch die letztere Frage stillschweigend den Geschworenen mit vorgelegt ist. Eine n i c h t k l a g b e s s e r n d e , vielmehr auf dem Eröffnungsbeschlufs beruhende Frage ist, auch wenn sie eventueller Natur ist, nicht Hilfsfrage. Der Eröffnungsbeschlufs hat z. B. die beiden Möglichkeiten berücksichtigt, dafs der Angeklagte sich des Raubes oder der Erpressung schuldig gemacht8, dafs er vor oder nach dem Inkrafttreten eines neuen Strafgesetzes, im Inland oder — Unter den Voraussetzungen des § 4 N* 3 StGB — im Ausland delinquiert habe4. In solchen Fällen tritt der prinzipalen eine eventuelle Hauptfrage zur Seite. Hingegen bedarf es für Zusatzfragen auf Erschwerungsgründe, § 322, dieser Einwilligung nicht. Verweigert der Angeklagte die erforderliche Zustimmung oder findet es sonst der Gerichtshof zur gründlicheren Vorbereitung der Verhandlung notwendig, so haben sich Fragestellung und Urteil auf den Gegenstand der Anklage zu beschränken und es ist dem Ankläger auf dessen spätestens vor Beginn der Beratung der Geschworenen zu stellenden Antrag die Verfolgung wegen der betreffenden Tatsachen im Urteil vorzubehalten. Über den Vorbehalt anderweiter Verfolgung nach früheren deutschen Prozefsgesetzen vgl. oben S. 112, 113. S c h ü t z e , Event. Frage in der schwurgerichtl. Fragestellung S. 5 betont, dafs „Eventualfrage" an sich auch eine eventuell gestellte Zusatzfrage sein könne. In der Tat ist die Bezeichnung doppelsinnig und es verdient daher der Ausdruck „Hilfsfrage", der klar ergibt, dafs nur eventuelle Hauptfragen gemeint sind, den Vorzug. Falsch ist S c h ü t z e s Behauptung, S. 3, auch die Hilfsfrage der EStPO könne eventuelle Zusatzfrage sein. I n Frankreich entbehren die Hilfsfragen, questions subsidiaires, der gesetzlichen Basis. Die Praxis hat sie zugelassen comme résultant des débats. Sie müssen enthalten une modification oder une dépendance des faits incriminés. Niemals dürfen sie eine Klagänderung mit sich bringen (vgl. S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 338 nr. 39, 47, 52; auf die nicht immer leichte Scheidung von Klagänderung und Klagbesserung weist H é l i e , Prat. crim. I nr. 826 hin). Die Anwendungen entsprechen im wesentlichen den in Deutschland aus § 294 StPO sich ergebenden Hilfsfragformen, aber der Mangel eines festen Prinzips (die „Dependenz" insbesondere ist viel zu unbestimmt) macht sich doch öfters bemerkbar. Es mag hingewiesen sein auf die Entscheidungen des Kass.-Hofs bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 66 (Vollendung — Versuch), 68 (verschiedene Formen der Beteiligung), 72 (Mord — Körperverletzung mit Todesfolge), 85 und 86 (nicht klagändernde Hilfsfrage). Vgl. auch H é l i e , Prat, crim. I nr. 817 f.; G a r r a u d , Préc. de droit crim. n. 529. 8 Vgl. H. M e y e r bei v. Holtz. I I S. 175; O s t e r n , Alternativität der strafprozessualen Willenserklärungen S. 144. K r i e s S. 610 u. B i r k m e y e r S. 657 rechnen die eventuelle Hauptfrage mit zur Hilfsfrage. 4 O e t k e r im Arch. f. Strafrecht Bd. 48 S. 329, 332. Man kann in den Fällen des Textes von einer „Alternative" des EröffnungsB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 17.

Die klagbessernde Funktion der Hilfsfrage.

Prinzipaler Klaggegenstand bleibt die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat, so wie sie im Eröffnungsbeschlusse charakterisiert ist 5 . Die Hilfsfrage geht auf die gleiche Tat in abweichender rechtlicher und vielfach auch tatsächlicher Charakterisierung. Durch dieses Eventualverhältnis der Klaggestaltungen wird grundsätzlich auch die Reihenfolge der Fragen bestimmt. Doch ist die Hilfsfrage voranzustellen, wenn sie gegenüber der Hauptfrage im engeren Sinne erhöhte Strafbarkeit begründet 6. Im Ordinär verfahren vollzieht sich eine Klagbesserung gegenüber dem Eröffnungsbeschlufs erst durch das Urteil. Bis dahin ist nur die Klaggestaltung des Eröffnungsbeschlusses vorhanden. Ideell geht natürlich die Klagbesserung seitens des urteilenden Gerichts der Aburteilung der gebesserten Klage voraus, aber auch nur ideell. Es wird nicht zuvor der Eröffnungsbeschlufs durch einen anderweiten Klagbeschlufs, auch nur eventuell, korrigiert. Es kommt nicht zu einer Neuformulierung der Klage. Die vom Gesetz, § 264 StPO, geforderten Hinweisungen des Angeklagten auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts, auf Qualifikationsgründe, die erst in der Verhandlung behauptet worden sind, haben nicht schon die Bedeutung der Klagbesserung, sondern bereiten nur auf diese Möglichkeit vor, wie denn die ganze Verhandlung, namentlich die Beweisaufnahme, sich über den Eröffnungsbeschlufs hinaus in den Grenzen zulässiger Klagbesserung zu entwickeln Raum hat. beschlusses sprechen, keineswegs aber besteht dabei eine Alternative der Strafansprüche, wie O s t e r n a. a. 0. S. 132f. anzunehmen scheint, vielmehr stehen die Ansprüche im Eventualverhältnis. I n diesem Sinne auch U l i m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 428. Alternative Verbindung von Ansprüchen ist weder im Strafprozefs, noch im Zivilprozefs möglich. Vgl. auch unten § 36 zu I — I I I . 5 I n der Praxis des österreichischen Kassationshofs ist zwar anerkannt, dafs der Gerichtshof nicht von sich aus dem von der Anklage bezeichneten rechtlichen Gesichtspunkt in der Hauptfrage einen anderen substituieren darf, vielmehr der anderweiten Tatgestaltung grundsätzlich durch Hinzufügung einer Eventualfrage Rechnung zu tragen hat, es wird aber gestattet, bei einem vom Ankläger in der Hauptverhandlung vorgenommenen Wechsel der rechtlichen Beurteilung (Betrug statt Unterschlagung, schwere körperliche Beschädigung statt Totschlag usw.) den Rechtsstandpunkt der Anklageschrift zu verlassen und die Hauptfrage nach der neuen Auffassung des Anklägers zu substantiieren. Vgl. die von C r a m e r zu § 318 sub 7 und 14 angeführten Entscheidungen. Die französische Doktrin läfst eine solche Substitution niemals zu; die dem Verweisungsbeschlufs entsprechende Frage mufs unter allen Umständen gestellt werden, vgl. S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 η. 158. 6 Vgl. weiter unten § 20.

§ 17. Die klagbessernde Funktion der Hilfsfrage.

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Die Geschworenen bedürfen zur Klagbesserung, soweit diese nicht lediglich durch teilweise Verneinung der gemäfs dem Eröffnungsbeschlufs gestellten Hauptfrage erfolgt, der Vollmacht des Gerichts. Die Hilfsfrage ist in dem Sinne klagbessernd, dafs sie diese Ermächtigung ausspricht, Klagbesserung freigibt. Die Vollmacht bleibt unbenutzt, wenn statt der Hilfsfrage die Hauptfrage bejaht wird. Dagegen liegt in Bejahung (ganzer oder teilweiser) der Hilfsfrage und in Verneinung beider Fragen Vollmachtsgebrauch; ein solcher Wahrspruch enthält die Klagbesserung und entscheidet zugleich über die gebesserte Klage. Die Beantwortung der qualifizierten Hilfsfrage wirkt klagbessernd, sofern nicht die Antwort nur Bejahung der in der Hilfsfrage mit enthaltenen prinzipalen Hauptfrage ist. Hiernach bleibt bis zum Wahrspruche stets die Tatqualifizierung des Eröffnungsbeschlusses Klagobjekt, und zwar prinzipales, denn die gebesserte Klage wird nur eventuell substituiert, falls nämlich die Geschworenen auf die ihnen erteilte Ermächtigung eingehen. In den Worten „Haupt-" und „Hilfs-" frage kommen die prinzipale und die eventuelle Klagrichtung deutlich zum Ausdruck. Weil bei Verneinung der Hauptfrage auf die Hilfsfrage geantwortet werden mufs, so enthält insofern die Ermächtigung zur Klagbesserung zugleich eine Verpflichtung. Der Einwand liegt nahe, es sei zwar eine der Hauptfrage folgende, aber nicht auch die vorgängige Hilfsfrage als eventuelle, die letztere vielmehr als prinzipale Klagfrage zu erachten. Allein nicht schon die Beantwortung der Hilfsfrage überhaupt, die stets zu erfolgen hat, wenn diese Frage vorangeht, sondern erst eine bestimmte Art der Beantwortung ergibt Klagbesserung. Durch Verneinung der Hilfsfrage bei Bejahung der Hauptfrage wird Klagbesserung abgelehnt. Das diesem Wahrspruch folgende Urteil verneint nicht die Tatqualifizierung der Hilfsfrage, sondern enthält nur Verurteilung auf die prinzipale Klage der Hauptfrage hin (wenn nicht etwa Freisprechung wegen Straflosigkeit zu erfolgen hat). Ein Gericht bessert nicht die Klage schon dadurch, dafs es bei der Beratung erwägt, ob nach den Verhandlungsergebnissen Klagbesserung indiziert sei, sondern erst durch Verurteilung oder Freisprechung gemäfs gebesserter Klage. Im Geschworenenverfahren besteht nur der Unterschied, dafs ein verneinendes Ergebnis dieser Prüfung sich dann äufserlich manifestiert, wenn die Hilfsfrage voransteht und daher an erster Stelle beantwortet werden mufs. Der Einwand verwechselt das formelle Verhältnis der Klagfragen 11*

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§ 18.

Das Verhältnis der Hilfsfrage zur Hauptfrage.

mit der materiellen Beziehung zwischen prinzipaler und eventueller Klage. Die Hilfsfrage betrifft wie die Hauptfrage die individuelle Tat des Eröffnungsbeschlusses. Eine Änderung des Klagegrundes mittels Hilfsfrage ist ausgeschlossen7. Die Hilfsfrage will die Klage bessern, darf sie nicht ändern. Denn Gegenstand der Urteilsfindung ist immer nur die Tat des Eröffnungsbeschlusses, wie sich dieselbe nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt (§ 263 StPO). § 18. Das V e r h ä l t n i s der H i l f s f r a g e

zur Hauptfrage.

Die Hilfsfrage ist materiell immer Hauptfrage. Ihr Unterschied von der Hauptfrage im engeren, formellen Sinne liegt in der Funktion eventueller Klagbesserung. Sie ist substantiiert wie die Hauptfrage. Die allgemeinen inhaltlichen Erfordernisse einer Hauptfrage gelten auch für die Hilfsfrage, Demnach kann Gegenstand der Hilfsfrage nur sein ein bestimmter, einzelner, in sich geschlossener, nach Handlungsstadium und Beteiligungsform charakterisierter, als solcher strafbarer Deliktstatbestand. Die verschiedenen Typen der Hauptfrage repetieren sämtlich bei der Hilfsfrage. Diese kann also sein Einheitsfrage schlechthin, kombinierte Einheitsfrage, zusammengesetzte Einheitsfrage, Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion usw. Die Realkonkurrenzfragen (die Fragenmehrheit) kommen nicht nur als Haupt-, sondern auch als Hilfsfragenkomplex vor. Die Mehrheitsfrage, wie sie bei Idealkonkurrenz zu formieren ist, fällt insofern weg, als im Zweifel über Real- oder Idealkonkurrenz immer die Realkonkurrenzfragen, sei's als Haupt-, sei's als qualifizierte Hilfsfragen, genügen, indem Verneinung der Selbständigkeit der Deliktshandlungen von selbst Idealkonkurrenz ergibt. Dagegen kann die. Idealkonkurrenzfrage als qualifizierte Hilfsfrage gegenüber der Einheitsfrage vorkommen: im Zweifel über Idealkonkurrenz oder einfaches Delikt reicht immer die umfassendere, also eine auf Idealkonkurrenz gerichtete Hauptfrage oder qualifizierte Hilfsfrage, aus, durch deren teilweise Verneinung einfaches Delikt festgestellt wird. Der Zweifel endlich, ob in 7 Vgl. den lehrreichen Fall RG (8. Str.-S.) E. Bd. 12 S. 409 f.; aus der Praxis des preufs. Ob.-Trib. O p p e n h o f f 10, 384; 11, 150. Der Gegensatz von Klagänderung und Klagbesserung ist hier nicht zu entwickeln. Vgl. G l a s e r I I S. 34 f., 62f.

§ 19. Anwendungen der Hilfsfrage.

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«einem bestimmten Tatbestand Idealkonkurrenz oder Deliktseinheit bei Konkurrenz von Strafgesetzen zu finden ist, bedeutet eine reine Rechtsfrage, die das Gericht bei der Fragenstellung zu entscheiden hat und nicht durch zwiefache Befragung auf die Geschworenen abwerfen darf, so dafs in diesem Falle eine Mehrheitshilfsfrage nicht denkbar ist. Hilfsfrage und Hauptfrage können nicht sein verschiedene Entscheidungen derselben reinen Rechtsfrage. Nach ihrem Verhältnis zur Hauptfrage zerfallen die Hilfsfragen in einfache und qualifizierte, je nachdem sie zur Hauptfrage hinzutreten oder diese ersetzen und somit verdrängen. Die Realkonkurrenzfragen haben, wie früher schon konstatiert werden mufste, als Hilfsfragen gegenüber Idealkonkurrenz immer qualifizierte Bedeutung. Die Idealkonkurrenzfrage ist qualifizierte Hilfsfrage, wenn der Eröffnungsbeschlufs nur eines der einbegriffenen Delikte angenommen hatte und nach den Verhandlungsergebnissen mit Idealkonkurrenz zu rechnen ist. Weitere Fälle qualifizierter Hilfsfragen werden sich in der Folge ergeben. § 19.

A n w e n d u n g e n der H i l f s f r a g e .

Die Hilfsfrage in allen ihren Anwendungen bezweckt, Klagbesserung zu ermöglichen. Aber nicht jede Klagbesserung nötigt zur Hilfsfrage, öfters reicht Umgestaltung der Hauptfrage oder Beifügung einer Nebenfrage aus. Immerhin behält der Kreis der Hilfsfragen erhebliche Ausdehnung. I. Geht die Hauptfrage auf Vollendung, so ist Hilfsfrage auf Versuch möglich 1 und umgekehrt. Gleiches gilt für Vorbereitung im Verhältnis zu Vollendung und Versuch, wenn ausnahmsweise schon eine Vorbereitungshandlung strafbar ist. Dem Gegensatze der Handlungsstadien korrespondiert im Befragungsmodus die Alternative Vorsatz-Fahrlässigkeit: Hauptfrage auf vorsätzliche, Hilfsfrage auf fahrlässige Verübung und umgekehrt. I I . Der Hauptfrage auf zusammengesetztes Verbrechen entsprechen Hilfsfragen auf Realkonkurrenz und umgekehrt. Nehmen die Geschworenen statt des zusammengesetzten einfaches Delikt, z. B. statt Raubes Diebstahl, an und es sind Realkonkurrenzfragen nicht gestellt, so haben sie die Hauptfrage teilweise zu verneinen. 1

Ausdrücklich hervorgehoben in Österr. § 320.

§ 19. Anwendungen der Hilfsfrage.

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Geht der Eröffnungsbeschlufs auf einfaches Delikt, während nach den Verhandlungsergebnissen mit einem den einfachen Deliktstatbestand einschliefsenden zusammengesetzten Delikt zu rechnen ist, Realkonkurrenz aber nicht in Betracht kommt, so wirkt die Frage nach zusammengesetztem Delikt wiederum als qualifizierte Hilfsfrage. I I I . Dagegen ist Hilfsfrage im Verhältnis des qualifizierten zum einfachen Delikt nicht möglich 2 . Klagbesserung durch Ausscheidung der Qualifikation liegt hier in teilweiser Verneinung der Hauptfrage, wenn diese auf das qualifizierte Delikt geht, oder in Verneinung der Nebenfrage auf die Qualifikation. Zur Klagbesserung durch Aufnahme der Qualifikation dient Änderung der Hauptfrage, indem diese abweichend vom Eröffnungsbeschlufs auf das qualifizierte statt auf das einfache Delikt gerichtet wird, oder Hinzufügung einer entsprechenden Nebenfrage 8. IV. Aus analogem Grunde kommt im Verhältnis des privilegierten zum einfachen Delikt Hilfsfrage dann nicht in Betracht, wenn der Privilegierungsgrund als solcher wirkt, nicht zu einem eigenen privilegierenden Deliktstatbestand entwickelt ist. V. Steht eine Deliktsart der anderen koordiniert gegenüber, mögen sie demselben oder verschiedenen Gattungsdelikten angehören (Mord unci Totschlag, Diebstahl und Unterschlagung, Raub 2

A. A. R o s e n f e l d S. 379 Anm. 10. I n den früheren Prozefsgesetzen ist ein scharfer Gegensatz von Hilfsund Neben-(Zusatz-jFrage vielfach zu vermissen. So gestatten Bay. 1848 Art. 174; Hannover 1850 § 188 Abs. 7 u. 1859 § 194 Abs. 7; Oldenb. 1857 Art. 325 § 1 ; Brem. 1870 § 481 im Verhältnis des qualifizierten zum einfachen Verbrechen allerdings Eventualfragen. Durchaus richtig Österr. §§ 320, 322: Auf qualifizierende Umstände wird Zusatzfrage gestellt (ohne dafs Zustimmung des Angeklagten erforderlich ist), § 322; auf eine andere Deliktsart (oder ein anderes Handlungsstadium oder eine andere Beteiligungsform usw.) gegenüber den Annahmen der Anklageschrift richtet sich Eventualfrage (für die, wenn sie schwerere Strafbarkeit begründet, Zustimmung des Angeklagten vorausgesetzt wird). Auch im französischen Recht wird geschieden von der eigentlichen quéstion subsidiaire die Frage auf circ. aggravantes comme résultant des débats. Eine solche Frage ist auch zulässig, wenn der Verweisungsbeschlufs den betreffenden Umstand ausgeschieden hatte. Doch laufen manche Verwechselungen mit Subsidiarfragen unter. Vgl. die Materialien bei S i r e y et M a l e p e y re art. 338 nr. 3 f.; H é l i e , Prat. crim. I nr. 822 f. 3 In diesem Falle bedarf es auch nach österr. Rechte nicht der .Zustimmung des Angeklagten zu der geänderten Befragung, während solche erfordert wird zur Stellung einer schwerere Strafbarkeit begründenden Eventualfrage. Vgl. Kass.-Hof v. 13. Okt. 1882 Entsch. Bd. 5 S. 222 f.

§ 19. Anwendungen der Hilfsfrage.

und Erpressung usw.), so ist im Zweifel über das Vorliegen der einen oder anderen an sich immer Hilfsfrage am Platze. Unterscheiden sich jedoch zwei koordinierte Delikte nur durch das Vorhandensein oder Fehlen eines Tatmoments, und zwar dergestalt, dafs m i t diesem Umstände die höhere Strafbarkeit sich verknüpft (mit der Überlegung bei der Ausführung z. B.), so ist, wenn die Hauptfrage dem Eröffnungsbeschlufs entsprechend den Tatumstand mit umfafst, z. B. auf Mord geht, Hilfsfrage erübrigt, da zur Feststellung von Totschlag die Bejahung der Hauptfrage unter Verneinung der Überlegung genügt ; in cler Mordfrage steckt die Totschlagsfrage 4. Lautet in gleichem Falle der Eröffnungsbeschlufs auf Totschlag, so wirkt die Mordfrage als qualifizierte Hilfsfrage, denn sie macht eine besondere Hauptfrage auf Totschlag überflüssig. Diese Fraggestaltung, wonach mit dem einen Tatbestand zugleich der andere erfragt ist, liegt aber auch nur dann vor, wenn die Delikte inhaltlich und nach ihrer gesetzlichen Formulierung sich lediglich in dem einen Punkte unterscheiden. Schon blofse Fassungsdifferenz im Gesetze nötigt zu gesonderter Hilfsfrage, da die Delikte immer nach den gesetzlichen Merkmalen festgestellt werden müssen. Im Verhältnis z. B. der Abtreibungstatbestände aus § 218 Abs. 3 und § 220 Abs. 1 StGB besteht dieser Gegengrund. Es kommt hinzu, dafs hier das positive Moment, Einwilligung der Schwangern, die Strafbarkeit r e d u z i e r t . Zur Verneinung eines Tatbestandsmerkmals genügen an sich fünf Stimmen, aber doch wahrlich nicht zur Feststellung des dem Angeklagten ungünstigeren g e g e n t e i l i g e n Moments. Haben die Geschworenen die Frage aus § 218 Abs. 3 unter Verneinung der Einwilligung bejaht, so ist damit nicht der Täter schuldig gesprochen, die Leibesfrucht einer Schwangeren ohne deren Wissen oder Willen 4

Verkannt vom RG 4. Str.-S. E. Bd. 16 S. 128, Fer.-Sen. Bd. 31 S. 253. Das Richtige ist angedeutet in E. Bd. 13 S. 344 f. (1. Str.-S.: es hätte genügt, eine die sämtlichen Merkmale des Mordes enthaltende Frage zu stellen, wobei es den Geschworenen anheimgestanden hätte, den Angeklagten durch Verneinung des Merkmals der überlegten Ausführung nur eines Totschlags schuldig zu sprechen). Für Haupt- und Hilfsfrage auch R o s e n f e l d S. 384 Anm. 36. Auf das Bedenkliche der Verbindung von Haupt- und Hilfsfrage weist treifend hin G l a s e r , Fragestellung S. 901: niemals sollten zwei Fragen so gegeneinander gestellt werden, dafe dasjenige, wonach in der zweiten gefragt werden müsse, bereits durch Beantwortung der ersten verneint sein könne. Eine positive Lösung gibt aber auch er nicht.

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§ 19. Anwendungen der Hilfsfrage.

vorsätzlich abgetrieben zu haben, § 220 Abs. 1. Vielmehr ist im Zweifel über das eine oder andere Delikt mit der Hauptfrage gemäfs dem Eröffnungsbeschlusse Hilfsfrage zu verbinden. VI. Das Verhältnis von Haupt- und Hilfsfrage ist auch gegeben, wenn ein Privilegierungsgrund sich auf mehrere einfache Delikte bezieht und in Gestalt eines delictum sui generis wirkt. Grunddelikte gegenüber dem Kindsmord, der Tötung eines Einwilligenden sind gleichmäfsig Mord und Totschlag, gegenüber dem Mundraub Diebstahl und Unterschlagung usw. Ein solches privilegiertes Delikt bildet gegenüber jedem der Grunddelikte einen kriminalistisch selbständigen Tatbestand5. Daher ist im Zweifel über einfaches oder privilegiertes Delikt, über Mord oder Kindsmord, Mord oder Tötung eines Einwilligenden usw., mit der Hauptfrage eine Hilfsfrage zu verbinden 6. Es kann eine fernere Hilfsfrage auf ein weiteres Grunddelikt konkurrieren. Die Hauptfrage ° Dafs die Tötung des Einwilligenden, § 216 StGB, del. sui generis ist, ergibt sich aus der inneren Beziehung der Deliktsbegriffe. Das Gegenteil aus der „Entstehungsgeschichte" beweisen zu wollen, wie es H i i c k i n g in Goltd. Arch. Bd. 35 S. 171 f. versucht hat, ist ein von vornherein aussichtsloses Beginnen. 6 RG 2. Str.-S. E. Bd. 26 S. 363 f. hat verneint, dafs die Tötung eines Einwilligenden, obwohl in diesem Tatbestand Mord und Totschlag ungeschieden enthalten sind, del. sui generis sei, und für zutreffend erklärt, an die Hauptfrage auf Mord Nebenfrage wegen Tötung auf Verlangen anzuschliefsen. Ebenso ders. Sen. R. V I S. 225 f., auch H ü c k i n g in Goltd. Arch. Bd. 35 S. 182. Danach kann der Angeklagte mit vier Stimmen des Mordes für schuldig erklärt werden: vier Geschworene verneinen die Überlegung, vier andere bejahen das Verlangen des Getöteten, es sind also nur vier Geschworene für Mord und doch wird wegen Mordes verurteilt! Vielmehr mufe in erster Linie nach Tötung auf Verlangen (Ist der Angeklagte schuldig, den X, durch dessen ausdrückliches und ernstliches Verlangen bestimmt, getötet zuhaben?) gefragt werden und für den Fall der Verneinung dieser Frage mit Hilfsfrage weiter nach Mord und damit zugleich nach Totschlag. Denn die Unterscheidung von Mord und Totschlag taucht erst auf nach Ablehnung des privilegierten Tötungsdelikts. Vgl. dazu unten § 20 sub V. Falsch wäre auch, in die erste Frage gesondert den allgemeinen Tatbestand vorsätzlicher Tötung und das Verlangen des Getöteten aufzunehmen und für den Fall der Bejahung vorsätzlicher Tötung unter Verneinung des Verlangens eine Nebenfrage auf Überlegung zu stellen. Denn diese Fassung von Frage 1 entspräche nicht dem § 216 StGB und führte zu sukzessiver Abstimmung über die Mordmerkmale, die einheitlich erledigt werden müssen. Vgl. oben § 8. Der Vorsatz wird dem Wortlaute des § 216 gemäfs in der Frage nicht erwähnt, was sich auch m a t e r i e l l erübrigt, da fahrlässige Tötung auf Verlangen des Getöteten ein Unding wäre. Mifsverständlich H ü c k i n g a. a. 0. S. 183.

§ 19. Anwendungen der Hilfsfrage.

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geht z. B. auf Diebstahl, eine Hilfsfrage auf Unterschlagung, eine weitere auf Mundraub. Die Fragenfolge bemifst sich dabei nach dem logischen Verhältnis der Deliktsbegriffe zu einander, nicht nach dem Prinzip des § 294 Abs. 2 StPO. Das Nähere im § 20. Wesentlich verschieden ist die gemeinsame Privilegierung mehrerer Grunddelikte, ohne dafs ein neuer Deliktstatbestand zur Entstehung kommt. So wird in den §§ 157, 158 StGB verschiedenen Eidesdelikten usw. übereinstimmend bei Vorhandensein oder Eintritt einer gewissen Tatsache Strafreduktion bewilligt. Der privilegierende Umstand kann Objekt einer Nebenfrage, nicht einer Hilfsfrage sein. Eine Wahl zwischen Hilfs- und Nebenfrage im Hinblick auf Privilegierungsgründe besteht niemals7. Die gesetzlichen Voraussetzungen des einen und anderen Fragtypus schliefsen einander aus. Die Nebenfrage geht nach § 295 auf Umstände, welche die Strafbarkeit vermindern : gegenüber dem e i n f a c h e n Delikt. Das trifft nur für privilegierende Tat u m stände zu. Ein del. sui generis dagegen mindert nicht die Strafbarkeit eines anderen selbständigen Delikts, wenn es auch eine geringere Strafe als dieses droht. Das privilegierende Delikt, z. B. der Kindsmord, läfst sich nicht in ein einfaches Tötungsdelikt und den Privilegierungsgrund äufserlich zerlegen. Das wäre eine sowohl dem § 293 StPO als der materiellrechtlichen Konstruktion des Kindsmords, in dem Mord und Totschlag gleichmäfsig einbegriffen sind, widerstreitende Zerreifsung des Deliktstatbestandes. Die Annahme des Kindsmords an Stelle Die ver. Straf.-Sen. E. Bd. 28 S. 200 f. erblicken zwar materiell in der Tötung des Einwilligenden ein selbständiges Delikt, prozessual aber in der Einwilligung nur einen strafvermindernden Umstand. Allein der Begriff des strafvermindernden Umstandes im Sinne des § 295 StPO kann nur aus dem materiellen Rechte gewonnen werden und es geht nicht an und führt zu verkehrten Abstimmungsergebnissen, unter Zerschlagung selbständiger materieller Tatbestände künstlich Strafminderungsgründe zu konstruieren. 7 Gut betreffs straferhöhender Umstände RG 1. Str.-S. E. Bd. 12 S. 253. Eine Wahl lassen zu S t e n g l e i n § 294 Bern. 4; D a l c k e S. 18, 19; B e n n e c k e - B e l i n g S. 555; L ö w e - H e l l w e g § 294 Bern. 2a. So auch bereits Z a c h a r i a e I I S. 505, 506. Richtig v. K r i e s S. 609. Die bekämpfte Ansicht mag mit Reminiszenzen an frühere Rechtsbildungen — unvollkommene Scheidung von Eventual- und Zusatzfragen — zusammenhängen. Ygl. oben S. 166 Anm. 2. So liefs insbesondere Hann. 1850 § 188 Abs. 7 u. 1859 § 194 Abs. 7 Eventualfragen auch im Verhältnis des privilegierten zum einfachen Delikt zu und Hamb. 1869 § 211 Abs. 4 stellte i n diesem Fall Eventual- und Zusatzfrage ausdrücklich zur Wahl.

§ 19. Anwendungen der Hilfsfrage.

170

des Mordes usw. ist nicht ein blofses minus, sondern ein aliud, eine „abweichende Beurteilung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat", § 294 StPO. V I I . Ist zweifelhaft, ob die eine oder andere Qualifikation derselben Deliktsart, z. B. Einbruch oder Einsteigen, vorliegt, so können nicht den Geschworenen zwei Fragen auf die bezüglichen qualifizierten Delikte als Haupt- und Hilfsfragen vorgelegt werden, da beiden das Grunddelikt gemeinsam wäre. Die Geschworenen müfsten ja, wenn sie Diebstahl mittelst Einsteigens annähmen, die erste auf Einbruchsdiebstahl gehende Frage bejahen unter Verneinung cler Qualifikation, während sie nur für den Fall der Verneinung der ersten Frage nach dem andern qualifizierten Delikt gefragt wären. Klagbesserung wird hier vielmehr, je nach Verschiedenheit der Voraussetzungen, entweder durch alternative Fragenfassung oder durch Verbindung einer prinzipalen mit einer eventuellen Nebenfrage erzielt 8 . V I I I . Kommt neben einer Qualifikation für bestimmtes Delikt ein Privilegierungsgrund in Betracht, der sich in Gestalt eines delictum sui generis auf m e h r e r e Grunddelikte bezieht, so ist, einerlei ob das in Frage stehende Grunddelikt nur als einfaches oder auch in qualifizierter Gestalt privilegiert ist, immer der Fall der Hilfsfrage gegeben. Der Eröffnungsbeschlufs z, B. hat Aszendententotschlag, Diebstahl mit Einbruch angenommen, die Verhandlung ergibt die Möglichkeit der Tötung eines Einwilligenden, des Mundraubs; im ersteren Fall ist der Privilegierungsgrund auch für das geschärfte, im zweiten (nach richtiger Ansicht) nur für das einfache, immer aber für m e h r e r e Grunddelikte wirksam. N e b e n frage auf den Privilegierungsgrund würde daher wegen der selbständigen Natur des privilegierten Delikts verkehrt sein. Vielmehr hat sich an die Hauptfrage wegen qualifizierten Delikts (oder wegen einfachen Delikts, ergänzt durch Nebenfrage) die Hilfsfrage auf das privilegierte Delikt, Tötung des Einwilligenden, Mundraub, für den Fall der Verneinung der Hauptfrage, anzuschliefsen. Hiernach ist Feststellung zugleich einer Qualifikation bestimmten Delikts u n d eines in selbständigem Delikte verkörperten gemeinsamen Privilegierungsgrundes durch die Geschworenen unmöglich^ während beide Momente nebeneinander der Feststellung zugänglich sind, wenn der Privilegierungsgrund lediglich als solcher wirkt, sei's dafs er übereinstimmend für mehrere Delikte anerkannt ist 8

Vgl. unten § 36 sub IV.

§ 19.

Anwendungen der Hilfsfrage.

171

(§§ 157. 158 StGB), sei's dafs er sich nur auf eine Deliktsart bezieht. Aber es bleibt in jenem Falle das konkurrierende anderweite, von den Geschworenen nicht festgestellte Moment als Strafzumessungsgrund für das Gericht beachtlich, denn es ist klar, dafs ein Einbruchsdiebstahl minder strafbar ist, wenn die Voraussetzungen des Mundraubs dabei vorliegen, dagegen ein Mundraub höhere Strafe finden mufs, falls er mittelst Einbruchs begangen ist. Mit Verneinung der Haupt- oder Hilfsfrage haben die Geschworenen die Subsumtion unter den entsprechenden Deliktsbegriff (Einbruchsdiebstahl , Mundraub) abgelehnt, vielleicht zu Unrecht, aber mit mafsgebender Wirkung für das Gericht, dagegen nicht auch das tatsächliche Substrat des Qualifikations- oder Privilegierungsgrundes verneint. Denkbar, dafs die Nichtannahme dieses Moments der Grund war für die Verneinung der bezüglichen Schuldfrage ; aber ein solches Motiv blieb unausgesprochen und bindet das Gericht in keinem Falle. IX. In der Mittäterfrage steckt die Täterfrage 9. Die Bejahung der Mittäterfrage unter Verneinung der Gemeinsamkeit ergibt einfache Täterschaft. Daher würde eine Verbindung von Haupt- und Hilfsfrage insofern verfehlt sein 10 . Geht der Eröffnungsbeschlufs auf Mittäterschaft, so ist keinerlei Fragenänderung nötig, um Feststellung einfacher Täterschaft zu ermöglichen. Wurde dagegen wegen Täterschaft eröffnet, so wird der Eventualität der Mittäterschaft durch Substituierung der Mittäterfrage Rechnung getragen. Die letztere Frage charakterisiert sich, weil Mittäterschaft nicht ein plus oder minus, sondern ein aliud, einen kriminalistisch selbständigen Tatbestand gegenüber der Alleintäterschaft darstellt, als H i l f s f r a g e und zwar als q u a l i f i z i e r t e Hilfsfrage. Dabei ist aber wohl zu beachten, ob im untergebenen Fall mehrere Alleintäterschaften juristisch denkbar sind. Das trifft im Versuchsstadium immer zu, im Vollendungsstadium aber dann nicht, wenn es sich um ein Verbrechen mit unteilbarem Erfolge (Tötung usw.) handelt 11 . In Fällen der letzteren Art kann nur fraglich sein, ob die Angeklagten (abgesehen von Freisprechung des einen oder andern) der vollendeten oder versuchten Begehung (der Tötung des X usw.) in Mittäterschaft oder der versuchten Begehung in Alleintäterschaft, nicht auch, ob sie der vollendeten Begehung in Alleintäterschaft (Tötung des X zugleich durch A und B, je als 9 10 u

Vgl. hierzu oben § 11 I. Zutreffend preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10 S. 349 f. Vgl. oben § 11 I.

§ 19.

172

Anwendungen der Hilfsfrage.

Alleintäter, undenkbar) schuldig sind. Demnach kann hier die Frage des Versuchs in Mittäterschaft zwar q u a l i f i z i e r t e Hilfsfrage sein im Hinblick auf Versuch in Alleintäterschaft, indem die Verneinung der Gemeinschaft solchen Versuch ergibt, dagegen würde die Frage der vollendeten Mittäterschaft die Möglichkeit der vollendeten Alleintäterschaft nicht einschliefsen, sondern ausschliefsen. Anders natürlich, wenn unter Freisprechung der Mitangeklagten nur einer schuldig befunden wird: für einen, aber nicht für mehrere Angeklagte kann statt Mittäterschaft Alleintäterschaft angenommen werden. Durchaus denkbar bleibt ferner, dafs an Stelle der vollendeten Mittäterschaft des Eröffnungsbeschlusses versuchte Alleintäterschaft für jeden der Angeklagten angenommen wird, und umgekehrt, und die Möglichkeit solcher Feststellung wird durch e i n f a c h e Hilfsfrage eröffnet. X. Die Entscheidungen zwischen Mittäterschaft und Beihilfe 12 , Täterschaft und Anstiftung, Anstiftung und Beihilfe, Beihilfe und Begünstigung, Beihilfe oder Begünstigung und unterlassener Anzeige werden den Geschworenen immer durch Hinzufügung einer Hilfsfrage ermöglicht, wobei die Hauptfrage sich nach der Annahme des Eröffnungsbeschlusses richtet 1 3 . XI. Die Realkonkurrenzfragen sind zusammen qualifizierte Hilfsfrage gegenüber der Idealkonkurrenzfrage. Die letztere ist's gegenüber der Frage auf eines der einbegriffenen Delikte 1 4 . Zur Feststellung von Deliktseinheit an Stelle der Real- oder Idealkonkurrenz der Anklage genügt Verneinung der bezüglichen Realkonkurrenz-Frage-(Fragen), teilweise Verneinung der Idealkonkurrenzfrage. Anders natürlich, wenn zweifelhaft ist, ob Konkurrenz oder ein andersartiges, in den konkurrierenden Delikten nicht mit enthaltenes einheitliches Delikt vorliegt. X I I . Die kombinierte Einheitsfrage bei Gesetzeskonkurrenz wirkt als qualifizierte Hilfsfrage gegenüber der einfachen Einheitsfrage. Die Annahme der Gesetzeskonkurrenz wird abgelehnt durch 12

Hervorgehoben in Osterr. § 320. Zwischen Täterschaft und Anstiftung oder Beihilfe ist auch dann zu entscheiden, wenn Zweifel besteht, ob der „Anstifter" oder „Gehülfe" die Zurechnungsunfähigkeit des Angestifteten, des Unterstützten gekannt hat oder nicht. Die Anwendbarkeit der Hilfsfrage in diesen Fällen verkennt ganz H e r z o g , Gerichtssaal Bd. 30 S. 311. 14 Verkannt von B e n n e c k e - B e l i n g S. 557 Anm. 24. „Nein" auf die Idealkonkurrenzfrage verneint keineswegs nur die ideale Konkurrenz, vielmehr die Frage im ganzen, also jedes der einbegriffenen Delikte. Für Hilfsfragen auf die Einzeldelikte bleibt kein Raum mehr. 18

§ 20. Reihenfolge von Haupt- und Hilfsfrage.

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Verneinung des einen oder anderen in die kombinierte Frage aufgenommenen Gesetzestatbestands, z. B. der spezifischen Merkmale des Versicherungsbetrugs oder des bezüglichen Brandstiftungsdelikts. Entsprechendes gilt für mehrfach kombinierte Einheitsfrage im Verhältnis zu einfach kombinierter« Anders natürlich wiederum, wenn die einfache Einheitsfrage auf einen andersartigen, in der Kombination nicht mit enthaltenen Deliktstatbestand geht. X I I I . Im Zweifel über fortgesetztes Delikt oder Realkonkurrenz ist Hilfsfrage unentbehrlich. Dabei gehört die zusammengesetzte Frage auf das fortgesetzte Delikt voran. Teilweise Verneinung der zusammengesetzten Frage genügt, wenn statt wiederholter einmalige Begehung angenommen wird. Eine Klagbesserung durch Aufnahme weiterer Tatakte bei fortgesetztem Delikt vollzieht sich nicht durch Hilfsfrage, sondern durch Ergänzung der Hauptfrage. XIV. Verneinung der Gewerbsmäfsigkeit, Gewohnheitsmäfsigkeit usw. bei Kollektivdelikten führt zur Verneinung der Hauptfrage, wenn das Moment die Strafe überhaupt bedingt (§§ 284, 302 e, 361 Nr. 6 StGB), zur teilweisen Verneinung der Hauptfrage oder zur Verneinung entsprechender Nebenfrage, wenn die Gewerbsmäfsigkeit usw. nur straferhöhender Umstand ist (§§ 260, 294r 302 d usw. StGB). Kommt nach den Verhandlungsergebnissen entgegen dem Eröffnungsbeschlufs qualifizierende Gewerbsmäfsigkeit usw. in Betracht, so ist entweder die Hauptfrage zu erweitern oder eine Nebenfrage zu stellen, Klagbesserung durch Hilfsfrage aber nicht denkbar. XV. Entsteht der Zweifel, ob ein Delikt vor oder nach Inkrafttreten eines neuen Strafgesetzes, im Inland oder — unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 3 StGB. — Ausland begangen ist, so werden, weil jedes Glied dieser Alternativen eine verschiedene Subsumtionsaufgabe stellt, Hilfsfragen erforderlich. Vgl. oben § 16 1 5 . XVI. Erstreckung der öffentlichen Klage in der Hauptverhandlung auf eine weitere Straftat bedingt eine neue Hauptfrage 16 . § 20. R e i h e n f o l g e von H a u p t - u n d H i l f s f r a g e . Die Hilfsfrage wird der Hauptfrage vorangestellt, wenn die abweichende Beurteilung eine erhöhte Strafbarkeit begründet, § 294 Abs. 2. 15 16

Vgl. weiter O e t k e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 48 S. 329, 332. Das Nähere hierüber unten § 68.

§ 20.

174

Reihenfolge von Haupt- und Hilfsfrage.

L Diese Reihenfolge entspricht einem Grundprinzip der Abstimmung in Richterkollegien : dafs die am weitesten gehende Frage immer vor der weniger weitgehenden zu beantworten ist. Würde in anderer Ordnung, z. B. zuerst nach Erpressung, dann nach Raub gefragt, so niüfste die Erpressungsfrage verneint werden sowohl von solchen Geschworenen, die kein Delikt, als von solchen, die mehr als Erpressung, nämlich Raub, annehmen. Die überstimmte Minorität, die für blofse Erpressung war, könnte bei der zweiten Abstimmung unmöglich für Raub votieren, würde also zusammen mit den Geschworenen, die jedes Delikt verneinen, die Raubfrage verneinen müssen. Die verkehrte Abstimmungsfolge ergibt die Gefahr ungerechtfertigter Freisprechung. Wer das Plus (Raub) annimmt, kann, wenn dieses abvotiert ist, für das Minus (Erpressung) stimmen. Aber doch nicht umgekehrt! Dem Minus ist nur dann die ihm gebührende Stimmenzahl gesichert, wenn erst über das Plus, dann über das Minus votiert wird. I I . Die Voraussetzung in Absatz 2 ist gegeben zunächst mit Anwendbarkeit härteren Strafgesetzes bei Bejahung der Hilfsfrage. Ferner, wenn die Hilfsfrage ein schwerer strafbares Handlungsstadium (Vollendung statt Versuchs usw.) oder eine schwerer strafbare Beteiligungsform (Mittäterschaft oder Anstiftung statt Beihilfe) enthält. Oder endlich: die Bejahung der Hilfsfrage ergibt schwerere Verschuldung in Folge wiederholter Begehung oder der Verletzung mehrerer Strafgesetze (zusammengesetzte Hilfsfrage, Mehrheitshilfsfrage, kombinierte Hilfsfrage gegenüber einer auf andersartiges, aber nicht schwereres Delikt gerichteten einfachen Hauptfrage. I I I . Da § 294 Abs. 2 nicht sowohl eine positive Bestimmung trifft als vielmehr die logisch gebotene Folge der Abstimmungen sichert, so mufs dieser Grundsatz auch im Verhältnis der prinzipalen und eventuellen Hauptfrage (nicht Hilfsfrage) gemäfs dem Eröffnungsbeschlusse gelten. Über Raub und Erpressung z. B. wird in der gleichen Folge abgestimmt, mag die Erpressungsfrage Hilfsfrage oder eventuelle Hauptfrage sein. IV. Die Frage nach dem Tatbestand des prinzipalen Strafgesetzes geht notwendig voraus der Frage aus dem subsidiären Gesetz einerlei welche von ihnen Haupt-, welche Hilfsfrage ist. Die Mordfrage hat die Priorität vor der Körperverletzungsfrage, die Totschlagsfrage vor der Schlägereifrage usw. Diese Folge müfste trotz § 294 Abs. 2 auch gelten, wenn die Strafe des subsidiären Gesetzes 1

Vgl. B i n d i n g , Handb. I S. 358.

§ 20.

Reihenfolge von Haupt- und Hilfsfrage.

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die härtere sein sollte. Aber es kommt dieser Fall — erklärlich genug — im positiven Rechte nicht vor. V. Eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 294 Abs. 2 mufs dann eintreten, wenn eine Frage auf privilegierendes delictum sui generis mit Fragen auf die privilegierten Grunddelikte konkurriert. In der Tötung des Einwilligenden, in Kindsmord sind Mord und Totschlag, in Mundraub Diebstahl und Unterschlagung ungeschieden enthalten. Erst nach Ablehnung des Kindsmords, des Mundraubes usw. kann die Unterscheidung von Mord und Totschlag, von Diebstahl und Unterschlagung in Betracht kommen. Daher ist zuerst nach dem privilegierenden Delikt, dann erst nach den Grunddelikten zu fragen, einerlei, welche der Fragen Hauptfrage ist, welche Hilfsfragen sind 2 . Konkurriert jedoch nur die Frage auf e i n Grunddelikt, ist nur zweifelhaft, ob Diebstahl oder Mundraub usw. vorliegt, so kommt das Prinzip des § 294 Abs. 2 wieder zu Ehren: die Frage auf das schwerere Delikt hat voranzugehen. Mit der Mordfrage aber ist den Geschworenen immer zugleich die Totschlagsfrage gestellt, folglich gebührt — trotz § 294 Abs. 2 — stets der Kindsmordsfrage (der Frage aus § 216 StGB) die Priorität 3 . Das Voranstellen des leichteren Delikts bedingt insofern einen eigentümlichen Abstimmungsmodus, als nach § 262 StPO die Schuldfrage zu ungunsten des Angeklagten nur mit Zweidrittelmehrheit entschieden werden kann. Demnach mufs, wenn mehr als ein Drittel der Geschworenen dem leichteren Delikt vor den schwereren Grunddelikten den Vorzug gegeben hat, die erstere Annahme gelten. Hiernach gestaltet sich die Abstimmung folgendermafsen : Bejahung des privilegierten Delikts mit Zweidrittelmehrheit ist alsbald endgültig; an Verneinung dieses Delikts schliefst sich die Abstimmung über das schwerere Grunddelikt an ; Verneinung auch des letzteren stellt das leichtere Grunddelikt zur Entscheidung; wird eines der 2

Vgl. B i n d i n g , Grundriß, S. 171. Ebenso R o s e n f e l d S. 884 Anm. 36. B e n n e c k e - B e l i n g S. 556 Anm. 27 wollen z u e r s t nach Mord, dann nach Tötung auf Verlangen fragen. Allein mit Verneinung vorsätzlicher Tötung ist doch auch Tötung auf Verlangen bereits verneint. B e n n e c k e - B e l i n g meinen, in der Mord-(Totschlags-)Frage stecke das „negative subintelligendum : ohne durch Verlangen des Getöteten bestimmt worden zu sein". Die Mordfrage dürfte also nur bejaht werden, nachdem die Tötung auf Verlangen mit Zweidrittelmehrheit verneint worden wäre. Können denn aber die Geschworenen über ein solches „negatives subintelligendum" vorab bindend votieren? Soll zuerst über Tötung auf Verlangen abgestimmt werden, so mufs eben diese Frage der Mordfrage vorangehen. Und dann kann sie nur mit Zweidrittelmehrheit bejaht, nicht umgekehrt nur mit Zweidrittelmehrheit verneint werden. 3

§ 20.

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Reihenfolge von Haupt- und Hilfsfrage.

Grunddelikte mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit bejaht, während das privilegierte Delikt bei der ersten Abstimmung mehr als vier bejahende Stimmen gefunden hatte, so gilt das letztere, es kommt also nachträglich zur Bejahung der ersten Frage. Diejenigen Votanten, welche das privilegierte Delikt bejaht hatten, dürfen zwar das schwerere, aber nicht beide Grunddelikte verneinen. Denn in einem der Grunddelikte mufs das von ihnen bejahte privilegierte Delikt seine Basis haben und die Notwendigkeit, zwischen den Grunddelikten zu entscheiden, folgt aus der Verneinung der erstgestellten Frage nach dem privilegierten Delikt (mangels bejahender Zweidrittelmehrheit). Dieses Ergebnis kann nur bei oberflächlicher Betrachtung befremden. Die logisch gebotene Korrektur des § 294 Abs. 2 durch Voranstellen des privilegierenden Delikts vor die Grunddelikte bedarf im Hinblick auf das Mehrheitserfordernis des § 262 ihrerseits wieder der Korrektur. Die Verneinung des privilegierten Delikts kann nur dann als definitiv erachtet werden, wenn die Verneinung der Grunddelikte gefolgt ist oder das erste Nein, wie ein nachfolgendes Ja eine Zweidrittelmehrheit gefunden hat. VI. Eine eigenartige Komplikation entsteht im Verhältnis der Hauptfrage auf vollendetes leichteres Delikt zur Hilfsfrage auf Idealkonkurrenz von versuchtem leichteren und schwereren Delikt. So betraf in dem Falle bei Goltd. 40 S. 146 f. (4. Str.-S.) die Hauptfrage vollendeten Versicherungsbetrug, die Hilfsfrage versuchten Versicherungsbetrug und versuchte Brandstiftung in idealer Konkurrenz. Die Mehrheitsfrage kann nicht in zwei Stücke zerrissen werden, so dafs zuerst nach versuchter Brandstiftung als dem schwersten, dann nach vollendetem Versicherungsbetrug als dem nächst leichteren und schliefslich nach versuchtem Versicherungsbetrug als dem leichtesten Delikt gefragt würde 4 . Durch dieses Einschieben des Hauptfragedelikts zwischen die beiden hilfsweise zu erfragenden. ideal konkurrierenden Delikte würde auch nur Verwirrung geschaffen. Vielmehr hat — wegen der höheren Strafbarkeit des Brandstiftungsversuchs — die nicht trennbare Idealkonkurrenzfrage voranzugehen 5. Dafs teilweise Verneinung der weitergehenden Frage (hier des ideal konkurrierenden Brandstiftungsversuchs) leichtere Verschuldung ergeben kann, als die Bejahung der weniger weitgehenden Frage, ist nicht Grund, von der Reihenfolge des § 294 Abs. 2 abzuweichen. Insofern aber über das leichtere Delikt, den 4 5

Richtig 4. Str.-S. a. a. 0. A. A. hier 4. Str.-S.

§ 20.

Reihenfolge von Haupt- und Hilfsfrage.

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Versuch, vor dem schwereren, der Vollendung, abgestimmt wird, bedarf nach Umständen die erstere Abstimmung der Korrektur oder richtiger der mafsgebenden Auslegung an der Hand der zweiten Abstimmung. Bejahung der Idealkonkurrenzfrage in einem oder in beiden Teilen ist sofort definitiv. Wird hingegen nach Verneinung dieser Frage das vollendete leichtere Delikt mit Zweidrittelmehrheit bejaht, während bei der vorgängigen Abstimmung mehr als vier Stimmen Versuch desselben angenommen hatten, so kann nur wegen Versuchs verurteilt werden. Daraus folgt zugleich die Pflicht derjenigen Geschworenen, welche nur Versuch angenommen hatten, bei der zweiten Abstimmung nicht mit Nein, sondern für Vollendung zu stimmen. Es kehrt also analog wieder die Abstimmungsart, wie sie unter gleichen Voraussetzungen bei Voranstellung des privilegierenden Delikts vor die Grunddelikte eintreten mufste. VII. Die Geschworenen sind über die Abstimmungsmodalitäten zu belehren. Ob diese Anweisung auf Verständnis und Befolgung zu rechnen hat, steht freilich dahin. V I I I . Bei der Vergleichung von Strafgesetzen auf gröfsere Härte oder Milde ist die Situation des Gerichts nur zum Teil die gleiche, wie im Falle des § 2 Abs. 2 StGB, wo zwischen Begangenschafts- und Aburteilungsgesetz zu entscheiden ist. Denn es kommt nur darauf an, ob das eine oder andere Strafgesetz i n abstracto höhere Strafe androht. Ist solche Vergleichung unmöglich, weil z. B. das eine Strafgesetz höheres Minimum, das andere höheres Maximum hat, so kann nun nicht der Standpunkt der konkreten Beurteilung, also die Frage entscheiden, welches Gesetz nach den Eigentümlichkeiten des speziellen Falles, je nachdem dieser eine mehr dem Minimum oder mehr dem Maximum des Gesetzes sich annähernde Strafe zu erfordern scheint, die höhere Strafe ergeben würde, da eine Prüfung der konkreten Strafzumessungsgründe erst nach Erledigung des Schuldentscheids, nicht hypothetisch im voraus möglich ist. Ebenso wenig kann, wie dies für die Idealkonkurrenz nach § 73 StGB zutrifft, lediglich auf das höhere Maximum gesehen werden, denn höheres Mindestmafs bei geringerem Höchstmafs ist ebenso geeignet, erhöhte Strafbarkeit zu ergeben, als höheres Höchstmafs bei geringerem Mindestmafs. Die Vergleichung der Gesetze wird daher nicht selten mit einem non liquet abschliefsen. Es geht dann die prinzipale Klagfrage gemäfs dem Eröffnungsbeschlufs, die Hauptfrage, voran. Und ebenso stets, wenn die gleiche abstrakte Strafbarkeit von vornherein festB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

12

§ 21.

178

Die Voraussetzungen der Hilfsfrage.

steht (im Verhältnis von Täterschaft und Anstiftung, bei völlig gleichem Strafrahmen usw.). Hat eines der Gesetze unter Voraussetzung mildernder Umstände die geringere Strafe, so ist mafsgebend, ob Nebenfrage darauf den Geschworenen vorgelegt wird 6 . Ebenso ist ein Privilegierungsgrund, der für den einen oder anderen Gesetzestatbestand anerkannt ist, nur dann in Anschlag zu bringen, wenn die Frage auf privilegiertes Delikt geht. Sollte endlich eines der Gesetze einen besonderen Strafaufhebungsgrund kennen, so kann nicht um deswillen mindere Strafbarkeit angenommen werden, mag Nebenfrage nach § 295 Abs. 2 gestellt werden oder nicht. Denn es handelt sich hier nicht um das Mafs der Strafbarkeit, sondern um „Schuld" oder „Nichtschuld" im Sinne des „Prozefsgesetzes" : die Verneinung der einen Hauptfrage wegen des Strafaufhebungsgrundes oder die Bejahung der besonderen Nebenfrage ergibt „Nichtschuld". Da die Reihenfolge der Fragen durch Rechtsgründe bestimmt wird, so begründet falsche Anordnung die Revision 7 . § 21.

D i e V o r a u s s e t z u n g e n der H i l f s f r a g e .

I. Die Vorlegung der Hilfsfrage ist im § 294 Abs. 1 an die Tatsache geknüpft, dafs die Verhandlung Umstände ergeben hat, nach welchen eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende Beurteilung β

Anders die Begründung der sachlich richtigen Entscheidung des 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 48 S. 358 (die Fragenfolge war zutreffend: Hauptund Hilfsfrage, je unter Hinzunahme mildernder Umstände, ergaben: erstere höheres Maximum, geringeres Minimum, letztere geringeres Maximum, höheres Minimum; es gebührte daher nach dem im Text entwickelten Prinzip der Frage des Eröffnungsbeschlusses, der Hauptfrage, der Vorrang). Durch den Hinzutritt mildernder Umstände erweitert sich der Strafrahmen nach unten hin; das so entstehende Mindestmafs hat für die Fragenfolge die gleiche Bedeutung, wie ein entsprechendes im Gesetze von vornherein (nicht bedingt durch mildernde Umstände) bestimmtes Minimum. 7 Ist zuerst über das leichtere Delikt (Erpressung ζ. B.) abgestimmt worden, so können die Geschworenen, die hierbei mit Nein votierten, weil sie überhaupt kein Delikt annahmen, geglaubt haben, bei der folgenden Abstimmung über das schwerere Delikt (Raub ζ. B.) der Majorität, die eine Strafschuld für vorliegend erachtete, folgen und nach Ausschliefsung des leichteren Delikts für das schwerere stimmen zu müssen. Rechtsgelehrte Richter allerdings würden solchem Irrtum nicht verfallen sein, aber auch nicht in solcher Folge abgestimmt haben. Es kann daher nicht zugegeben werden, dafs der Abstimmungsfehler als geheilt gelten müsse, wenn es nach Verneinung der Frage auf leichteres Delikt zu einer Bejahung der weitergehenden Frage gekommen sei. Α. A. 4. Str.-S. Goltd. 41 S. 282; L ö w e H e l l w e g § 294 Bern. 7.

§ 21.

Die Voraussetzungen der Hilfsfrage.

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der inkriminierten Tat in Betracht kommt 1 . Das gerichtliche Ermessen hat über diese Voraussetzung zu befinden. Die Ermessensübung hat hier vielfach eine Beweiswürdigung zur Voraussetzung. Mafsgebend mufs sein, wie sich präsumtiv die Geschworenen zu den neuen Momenten stellen werden, denn ihre Schuldauffassung, nicht die des Gerichts gibt den Ausschlag2. Das Gericht hat sich also bei seiner Prüfung möglichst in die Seele der Geschworenen zu versetzen. Dafs der Eröffnungsbeschlufs die entsprechende Tatqualifikation ausdrücklich abgelehnt hatte, steht einer Hilfsfrage nicht entgegen. II. Im § 296 ist weiter bestimmt, dafs ein Antrag auf Hilfsfrage seitens einer Partei oder eines Geschworenen nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden kann 3 . Wäre Stellung oder NichtStellung von Hilfsfragen lediglich Sache des richterlichen Ermessens, so hätte insofern das Gericht eine bindende Vorentscheidung über Schuld- und Subsumtionsfrage. Sollte nicht die Schuldbeurteilung durch die Geschworenen ungebührlich beschränkt werden, zum Schaden der Strafjustiz, so musste ihnen und den Parteien Antrag auf Hilfsfrage freigegeben werden. Denn auch bei gröfstem Divinationsgeschick kann das Gericht nicht mit Sicherheit vorausberechnen, wie die Feststellung der Verhandlungsergebnisse durch die Geschworenen sich gestalten wird und in welchen Tatmomenten sie ein Verschulden des Angeklagten finden möchten. Es bestände somit die Gefahr, dafs die Jury sämtliche Schuldfragen verneinte, während sie den Angeklagten in einer andern Richtung, die nicht zum Gegenstand einer Frage gemacht ist, schuldig gesprochen hätte. 1

Österr. § 320 spricht nur von der „ B e h a u p t u n g " entsprechender Tatsachen, aber zweifellos ist das Gericht auch auf Wunsch der Geschworenen § 327, und von Amtswegen befugt, unter den gesetzlichen Voraussetzungen Eventualfrage zu stellen. Vgl. Kass.-Hof v. 29. Dez. 1879 Entsch, Bd. 3 S. 83 f., v. 29. Mai 1880 das. S. 255 f., v. 13. Jan. 1882 Bd. 5 S. 10 f., v. 30. Jan. 1904 E. N. F. Bd. 6 S. 90 f. 2 Mit Recht warnt G l a s e r , Fragestellung S. 902 vor einer Häufung von Eventualfragen unter Berücksichtigung auch fernliegender Möglichkeiten, da solche Kombinationen das Verständnis der Fragen wesentlich erschweren. Die Geschworenen haben j a das Recht des Fragantrags. Die Verhandlungsleitung mufs bestrebt sein, bei Prüfung der entworfenen Fragen über die Willensmeinung der Geschworenen Klarheit zu schaffen. 8 Gleiches gilt nach österr. Recht, wenn Tatsachen behauptet worden sind, die eine Eventualfrage begründen, § 320, und ebenso, wenn ein Geschworener den Wunsch entsprechender Befragung äufsert, § 327 Abs. 4. U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 656 f. 12*

§ 21. Die Voraussetzungen der Hilfsfrage.

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Das Recht der Geschworenen auf Hilfsfragen ist Recht auf Ermächtigung zur Klagbesserung. I I I . Denkbar bleibt endlich, dafs das Gericht der Hauptverhandlung auch ohne Änderung des Tatbildes gegenüber den Annahmen des Eröffnungsbeschlusses eine andere Subsumtionsansicht gewinnt als das eröffnende Gericht 4 . Der Beschlufs hat z. B. fälschlich Aszendententotschlag angenommen, obwohl die Voraussetzungen der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) von ihm konstatiert worden sind, den Privilegierungsgrund also zu Unrecht auf das geschärfte Tötungsdelikt nicht mit bezogen. Das Gericht der Hauptverhandlung ist, obwohl § 294 darüber schweigt, befugt, ja verpflichtet, die Korrektur in der Fragstellung eintreten zu lassen. Das folgt aus der Unabhängigkeit des urteilenden Gerichts von der Rechtsauffassung des Erölfnungsbeschlusses, § 263 Abs. 2 StPO, die im Geschworenenverfahren vielfach nur durch eine vom Beschlufs abweichende Fragstellung, hier durch Vorlegung einer Hilfsfrage, ermöglicht wird. Falsch wäre nur, wenn das Gericht lediglich im Sinne der eigenen Rechtsansicht fragen würde, denn es darf den Geschworenen, deren Subsumtion die mafsgebende ist, nicht versagt werden, dabei dem Eröffnungsbeschlusse zu folgen. Also Hauptfrage gemäfs dem Beschlüsse und Hilfsfrage im Sinne der gerichtlichen Auffassung 5. Ganz zweifellos könnten die Parteien und die Geschworenen eine solche Hilfsfrage erzwingen, denn Rechtsgründe ständen ihr nicht entgegen, sondern zur Seite. Folglich mufs auch das Gericht schon von Amtswegen zur Vorlegung der Frage berechtigt sein. Hauptund Hilfsfrage sind hier keineswegs verschiedene Entscheidungen derselben reinen Rechtsfrage, vielmehr wird mit der einen und anderen Frage entsprechend den beiden Subsumtionsauffassungen je eine verschiedene tatsächliche Feststellung von den Geschworenen verlangt. Dagegen kann das Gericht niemals, weder durch den Eröffnungsbeschlufs, noch infolge gestellten Antrags, verpflichtet sein, den Geschworenen eine Frage vorzulegen, die unter Voraussetzung 4

Vgl. U l i m a n n , Österr. Strafproz. S. 655; S c h ü t z e , Eventualfrage S. 11 f.; R u l f , Österr. Strafproz. (3. Aufl.) S. 169. Auch in diesem Falle bedarf es nach österr. Recht für die Eventualfrage auf schwerer verpönte strafbare Handlung der Zustimmung des Angeklagten. A. A. M i t t e r b a c h e r zu § 320 Bern. 3. 6 Übereinstimmend H. M e y e r bei v. Holtz. I I S. 155. Vgl. auch S c h w a r z e , Schwurgericht S. 69.

§ 21.

Die Voraussetzungen der Hilfsfrage.

entsprechender Feststellung eine falsche Gesetzesanwendung ergäbe. Das hiefse das Gericht nötigen, ein gesetzwidriges Verdikt anzunehmen und auf dessen Grundlage ein gesetzwidriges Urteil zu fällen, das im Revisionswege aufgehoben werden müfste. Hat z. B. der Eröffnungsbeschlufs fälschlich Idealkonkurrenz angenommen, wo nur Gesetzeskonkurrenz gegeben sein kann, so darf nicht wegen Idealkonkurrenz, sondern mufs wegen Gesetzeskonkurrenz gefragt werden. Eine doppelte Befragung mit Hauptund Hilfsfrage, sei's mit, sei's ohne Antrag auf letztere, wäre ganz unmöglich. Der Fehler des Beschlusses ist zu berichtigen, nicht beizubehalten, auch eventuell nicht! Es ist nicht anders, als wenn das Beschlufsgericht ein Moment des gesetzlichen Tatbestandes vergessen oder diesem ein weiteres Merkmal hinzugefügt hätte 6 . Die Geschworenen haben zu subsumieren unter die von ihnen für zutreffend erachteten g e s e t z l i c h e n Kategorien. Weder die Parteien, noch sie selbst können verlangen, dafs ihnen eine dem Gesetz n i c h t e n t s p r e c h e n d e Kategorie zur Anwendung auf den Einzelfall vorgelegt werde. Das Gericht hat sich andererseits streng auf die gebotene Korrektur zu beschränken und den rechtlich haltbaren Annahmen des Beschlusses ihr volles Recht widerfahren zu lassen. Ein instruktives Beispiel liefert der Fall RG Entsch. Bd. 21 S. 405 f. Der Beschlufs hatte Idealkonkurrenz von Mordversuch und Körperverletzung angenommen, während vielmehr das zweite Strafgesetz dem ersteren subsidiär ist 7 . Mit vollem Rechte hatte das Gericht bei der Fragestellung diese Idealkonkurrenz gestrichen und wird ganz unverdienterweise deshalb vom RG 2. Str.-S. getadelt. Die Verhandlung führte zu einer Nebenfrage wegen Rücktritts vom Versuch des Mordes 8. Da der Eröffnungsbeschlufs eine durch den Mordversuch bewirkte Körperverletzung angenommen hatte, so mufste Hilfsfrage darauf gestellt werden für den Fall der Verneinung der Haupt-(Mordversuchs-)Frage, aber auch — und darin hat das Gericht gefehlt — für den Fall der Bejahung der Hauptfrage und der Nebenfrage. β

K e l l e r zu § 294 Bern. 2 will auch in diesem Falle Hauptfrage (nach dem Eröffnungsbeschlufs) und Hilfsfrage (unter Berichtigung des Beschlusses) gestellt wissen! 7 Vgl. B i n d i n g , Handbuch I S. 358. 8 Dafs Nebenfrage wegen Rücktritts streng genommen nicht gestellt werden darf, vielmehr bei Annahme des Rücktritts die Hauptfrage zu verneinen ist, kann hier auf sich beruhen. Vgl. oben S. 18.

§ 22.

182

Nebenfragen.

Allgemeines.

IV. Es gibt hiernach in Wahrheit nicht einen, sondern drei Anlässe zur Hilfsfrage: ein dem § 294 entsprechendes Verhandlungsergebnis; Antrag einer Partei oder eines Geschworenen, dem Rechtsgründe nicht im Wege stehen ; eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende Rechtsauffassung des Gerichts 9. V. Die e v e n t u e l l e , auf dem Eröffnungsbeschlufs beruhende H a u p t f r a g e ist stets obligatorisch, denn dieser Beschlufs mufs ganz erledigt werden. Das Gericht ist nicht befugt, von der Frage abzusehen, weil die Eventualität durch das Verhandlungsergebnis sich erledigt habe 10 . Schon diese Tatsache drängt zur scharfen Scheidung der Eventualhauptfrage und der Hilfsfrage. C. D i e

Nebenfragen 1.

I. Allgemeines.

§ 22. Die N e b e n f r a g e n treffen sämtlich in der formellen Eigenschaft zusammen, dafs sie Zusatzfragen 2 zur Haupt- oder Hilfsfrage sind. Eine einheitliche materielle Charakterisierung der verschiedenen Nebenfragtypen ist unmöglich. Die Nebenfrage geht nie auf einen Tatbestand, sondern auf einen Tat u m stand oder aber auf ein Strafbarkeitsmoment. Es gibt S c h u l d - und S t r a f nebenfragen. Die Schuldnebenfrage richtet sich auf einen Qualifikations- oder Privilegierungsgrund, § 295 Abs. 1 StPO, oder auf die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht, § 298; die Strafnebenfrage betrifft nach dem Gesetz Strafaufhebungsgründe, § 295 Abs. 2, oder mildernde Umstände, § 297. Die in jedem Betracht zu tadelnde Überweisung eines Teils der Straffrage an die Geschworenen kommt in den Strafnebenfragen zum Ausdruck. 9

I n einem Spezialfälle — Bejahung der Totschlagsfrage unter Verneinung der Negative, dafs der Angeklagte die Tötung nicht mit Überlegung ausgeführt habe — tritt noch ein vierter Grund zur Hilfsfragstellung auf : Unvollständigkeit des Spruchs. Hiervon wird besser erst bei der Lehre von der Verdiktsberichtigung gehandelt. Vgl. unten § 54 sub I 2. 10 Zutreffend O s t e r n , Alternativität der strafprozessualen Willenserklärungen S. 144. 1 Vgl. die Literaturangaben vor § 8. An neuerer Spezialliteratur fehlt es fast ganz (Pe t e r s on in Goltd. Arch. Bd. 28 S. 409 f.; Z u c k e r das. Bd. 29 S. 197 f.; O e t k e r das. Bd. 47 S. 321f.). 2 Sie hiefsen auch so im früheren deutschen Recht und heifsen noch so i n Österreich, U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 681, 659 f.

§ 28. Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe. 183

Die Schuldnebenfrage ergänzt die Haupt- oder Hilfsfrage nicht nur formell, sondern auch inhaltlich. Die Geschworenen beenden mit ihrer Beantwortung die Arbeit der Schuldbeurteilung, die sie durch den Wahrspruch zur Haupt-usw.-Frage begonnen haben. Die Strafnebenfrage schliefst sich nur formell an die Schuld-usw.Frage an, materiell ergänzt sie die vom Gerichtshof zu lösende Straffrage, und zwar betrifft sie als Strafaufhebungsfrage die Frage der Strafbarkeit überhaupt, als Frage nach mildernden Umständen die Frage des Strafmafses. Die Z u s a t z f r a g e n des österr. Rechts sind zum Teil reine Schuldnebenfragen, so die Fragen nach Erschwerungs- und Milderungsumständen gemäfs § 322 StPO, zum anderen Teil entweder Schuld- oder Strafnebenfragen, so die Fragen nach Strafausschliefsungs- und Strafaufhebungsgründen gemäfs § 319 StPO, wobei die Schuldausschliefsungsgründe einbegriffen sind 8 . Die Frage nach „mildernden Umständen" fällt fort. II. Die Schuldnebenfragen.

§ 23. D i e S c h u l d n e b e n f r a g e n a u f Q u a l i f i k a t i o n s Privilegierungsgründe.

und

Die Frage nach der strafrechtlichen Einsicht des jugendlichen, des taubstummen Angeklagten, § 298, will eine Voraussetzung der Zurechnungsfähigkeit, also ein Merkmal des allgemeinen Verbrechenstatbestandes feststellen. Diese Nebenfrage erfordert spezielle eingehende Untersuchung (§ 25) und scheidet zunächst aus. Die übrigen Schuldnebenfragen betreffen Merkmale der besonderen Deliktstatbestände. I. Gegenstand der Schuldnebenfrage ist ein vom Strafgesetz besonders vorgesehener Umstand, welcher die Strafbarkeit erhöht oder vermindert, § 295 Abs. 1, also ein Qualifikations- oder Privilegierungsgrund. Die straferhöhenden Momente haben hier ganz denselben Sinn wie im Irrtumsparagraphen („Tatumstände, welche die Strafbarkeit erhöhen"). Die Feststellung eines solchen, die Strafbarkeit erhöhenden oder mindernden Umstandes führt zur Anwendung einer schärferen oder milderen lex specialis, des Gesetzes wider Einbruchsdiebstahl, Aszendententotschlag, privile3 Über die Zusatzfragen des § 323 Abs. 3 österr. StPO, welche ein in die Frage aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückführen wollen, die sog. „Kontrollfragen", vgl. unten § 33 sub IV.

2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

gierten Totschlag (gemäfs § 213 StGB), des § 313 Abs. 2 StGB (Überschwemmungsstiftung bei Absicht des Eigentumsschutzes) usw., während die Hauptfrage auf das einfache, von der lex generalis (Diebstahls-, Totschlags-usw-Paragraph) erfafste Delikt geht. Ein privilegierendes delictum sui generis ist zur Nebenfrage nicht geeignet. Kindsmord, Tötung des Einwilligenden, Mundraub usw. sind Gegenstand der Haupt- oder Hilfsfrage, nicht einer Nebenfrage. Auch Qualifikationen können formell in Gestalt selbständiger Delikte zum Ausdruck kommen, so dafs auch insofern wegen der besonderen Haltung des qualifizierenden Gesetzes Nebenfrage unmöglich wird. Die Nebenfragen betreffen die Tatumstände, in denen die besonderen Begriffsmerkmale einer qualifizierenden oder privilegierenden lex specialis liegen. Sie haben insofern stets positive Bedeutung. Kann ein qualifizierendes Moment nach materiellrechtlichen Grundsätzen wegen Irrtums darüber nicht zugerechnet werden (Aszendentenqualität des Erschlagenen z. B.), so ist die Nebenfrage zu verneinen und wenn solche nicht gestellt, vielmehr die Hauptfrage auf das qualifizierte Delikt gerichtet ist, diese jedenfalls nur unter Ablehnung des Qualifikationsgrundes zu bejahen. Über die Rechtserheblichkeit des Irrtums sind die Geschworenen zu belehren. Ganz falsch aber wäre, sie wegen des Irrtums besonders zu befragen 4. Ein die Zurechnung eines Qualifikationsgrundes ausschliefsender Irrtum ist doch nicht seinerseits Privilegierungsgrund! Die Verkehrtheit einer solchen Frage wird über allen Zweifel deutlich, wenn die Hauptfrage das einfache Delikt betrifft und nun die Irrtumsnebenfrage für den Fall der Bejahung der ersten auf den Qualifikationsgrund als solchen gerichteten Nebenfrage gestellt würde. Die Geschworenen würden dadurch zu verkehrter sukzessiver Abstimmung über einen Tatumstand und seine Zurechenbarkeit im Hinblick auf etwaigen Irrtum direkt angewiesen. Verneinten vier Geschworene den Tatumstand selbst, vier andere seine Zurechenbarkeit usw., so würde der Angeklagte des qualifizierten Delikts schuldig gesprochen, obwohl nur vier Geschworene ein solches annähmen. Minder offenbar wäre der Fehler, aber sachlich ganz ebenso vorhanden, wenn 4

So auffallenderweise L ö w e - H e 11 we g zu § 295 Bern, l b ; O l s h a u s e n Z w e i g e r t zu § 59 StGB Bern. 20; B o m h a r d - K o l l e r § 295 Bern. 5; K e l l e r das. Bern. 7. Richtig bayer. Kass.-Hof bei S t e n g l e i n , Zeitschr. f. Ger.-Prax. u. Rechtswiss. in Bayern Bd. 5 S. 142.

§ 28. Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

185

die Hauptfrage auf das qualifizierte Delikt ginge und Irrtumsnebenfrage betreffs des Qualifikationsgrundes hinzukäme. Denn auch bei diesem Modus würde die nur einheitlich zu erledigende Frage: Liegt ein zurechenbarer Qualifikationsgrund vor?, durch zwei sukzessive Abstimmungen beantwortet. II. Eine Schuldnebenfrage auf Strafzumessungsgründe wäre ein Widerspruch in sich. Nur von Tatbestandsmerkmalen ist im § 295 Abs. 1 die Rede. Das Gericht, das eine Nebenfrage auf Strafzumessungsgründe stellte, würde damit selbst einen Teil seiner Kompetenz den Geschworenen ausliefern 5. Eine Ausnahme wird vielfach im Falle wahlweiser Androhung von Zuchthaus und Festungshaft für die Frage behauptet, ob die deliktische Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen sei, vgl. § 20 StGB 6 . Man beruft sich hierfür auf die Protokolle der Justizkommission7 und glaubt offenbar, dafs die Volksstimme durch den Mund der Geschworenen am besten über die Gesinnung 5 Frühere Prozefsordnungen schlossen öfters Befragung der Geschworenen über Strafzumessungsgründe ausdrücklich aus: Bayern 1848 Art. 176, Thüringen 1850 Art. 287 Abs. 6; Oldenburg 1857 Art. 328; Hannover 1850 § 188 Abs. 9, 1859 § 194 Abs. 9; Hess.-Darmst. 1848 Art. 196; Baden 1864 § 279 Abs. 2; Sachsen 1868 § 59; Württemb. 1849 Art. 160, 1868 Art. 370 Abs. 3; Hamburg 1869 § 211 Abs. 6. Derselbe Gedanke kommt zum Ausdruck in § 322 österr. StPO: Erschwerungs- und Milderungsumstände sind n u r dann Gegenstand der Fragestellung an die Geschworenen, wenn das Vorhandensein eines solchen Umstandes nach dem Gesetze eine Änderung des Strafsatzes oder der Strafart begründet. Gemeint sind damit nur namentlich bezeichnete Erschwerungs-usw. Gründe von bestimmter strafschärfender usw. Kraft; demnach sind die Geschworenen nicht zu befragen nach dem Vorhandensein von Erschwerungsgründen im allgemeinen, wenn unter dieser Voraussetzung eine Erhöhung des regelmäßigen Strafmaximums eintritt — hier stehen nur Strafzumessungsgründe m ;Frage: vgl. Kass.-Hof v. 12. Nov. 1874 Entsch. Bd. 1 S. 141 f. (zu § 186b österr. StGB), v. 14. Juli 1881 Entsch. Bd. 4 S. 171 f. (zu § 128 österr. StGB), v. 9. Nov. 1885 E. Bd. 8 S. 190f. (zu § 138 StGB), v. 28. Nov. 1885 das. S. 213f. (zu § 184 StGB). Übereinstimmend Z u c k e r in Goltd. Arch. Bd. 29 S. 197 f.; M i t t e r b a c h e r zu § 322; M a y e r das. Bern. 16; a. A. (für Befragung der Geschworenen auch in letzterer Hinsicht) U l i m a n n , Ο s terr. Strafproz. S. 659. 6 So L ö w e - H e l l w e g zu § 295 Bern. 7; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 20 Bern. 2; S t e n g l e i n zu § 295 Bern. 5; K e l l e r das. Bern. 4; D a l c k e , Fragestellung S. 102 u. A. De lege ferenda in gleichem Sinne H e i n z e , Strafproz. Erörterungen S. 84. 7 S. 459. v. A r n s b e r g erklärte einen Antrag G r i m m , der die Geschworenenkompetenz ausdrücklich feststellen wollte, für überflüssig, weil auf Selbstverständliches gerichtet. Ein grofser Irrtum !

2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

des Täters zu urteilen vermöge. Nun ist allerdings die Mitbefragung (nicht die ausschliefsliche Befragung) von Laienrichtern gerade bei der moralischen Würdigung der Tat sehr empfehlenswert, aber jene Nebenfrage auch bei weitherzigster Auslegung mit dem Wortlaute des Gesetzes völlig unvereinbar. Ein Gedanke, der nicht irgendwelchen Ausdruck im Gesetzesworte erhalten hat, ist nicht Gesetz. Es wäre dem Strafgesetzbuch gegenüber gleichermafsen verkehrt, die ehrlose Gesinnung für einen Qualifikationsgrund (unter Anwendung der §§ 262, 264, 266 StPO) als das ehrenhafte Motiv für einen Privilegierungsgrund des sogenannten politischen Verbrechens zu erklären. Vielmehr bildet dieses Moment nur das Kriterium für die Wahl unter den alternativ angedrohten Strafarten, ist also nur für die Straffrage und zwar für die Strafzumessungsfrage erheblich. Die Situation ist ähnlich bei Zulassung von Ehrverlust neben Gefängnisstrafe. Auch in diesem Falle kommt das Motiv ausschlaggebend in Betracht, während die Prüfung ganz zweifellos nur dem Gericht zusteht. Würde in Ermangelung des § 20 StGB der Richter bei der Wahl zwischen Zuchthaus und Festung sich aus inneren Gründen von der bekundeten Gesinnung des Täters leiten lassen, so könnte kein Zweifel sein, dafs er damit eine Funktion der Strafzumessung vornähme. Durch die gesetzliche Fixierung aber des Strafzumessungsgrundes wird an seinem Charakter nichts geändert. Könnte die ehrlose Gesinnung nur von den Geschworenen festgestellt werden, so müfste das Gericht diese bei entsprechender gesetzlicher Alternative auch stets danach fragen. Wie sollte sonst die Wahl getroffen werden? Die Nebenfrage wäre obligatorisch, das Gericht verpflichtet, bei der Befragung der Geschworenen qualifiziertes Delikt zu unterstellen! I I I . Die Nebenfrage darf niemals mit der Haupt-(Hilfs)-Frage dergestalt in Konkurrenz treten, dafs jede von ihnen auf eines der Teildelikte gerichtet würde, wie sie im zusammengesetzten Verbrechen, z. B. im Raube, vereinigt sind. Eine solche Nebenfrage wäre in der Tat eine zweite Hauptfrage, nur nicht als solche gefafst. Sie befragte die Geschworenen in Wahrheit nach einem Tatbestand, behandelte ihn aber fälschlich als blofsen Tatumstand 8 . Und vom blanken Belieben des Gerichts hinge es ab, 8

Dafs zuweilen im Tatbestand des zusammengesetzten Delikts einer der Einzeltatbestände in spezialisierter Form enthalten ist (so der Nötigungstatbestand im Raube), gibt gewifs nicht das Recht, einen so gefafsten Tat-

§ 2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

187

bei welchem Tatbestand diese Verwandelung vorgenommen würde, ob die Vergewaltigung als qualifizierender Tatumstand des Diebstahls oder vielmehr der Diebstahl als Schärfungsgrund der Vergewaltigung den Gegenstand der Nebenfrage bildete. Weitere Gründe gegen derartige Fragstellung sind bei der Lehre von der Hauptfrage bereits gegeben worden 9 . IV. Die Schuldnebenfrage darf ferner nicht der Haupt-usw.Frage den Charakter als Schuldfrage nehmen. Das wäre aber der Fall, wenn durch die Nebenfrage der Haupt-usw.-Frage ein schuldbedingender Bestandteil entzogen würde. Zwei Abwege, von denen besonders der letztere in der Praxis nicht selten betreten wird, sind streng zu vermeiden. 1. Als Schuldfrage umfafst die Haupt-usw.-Frage unausgesprochen alle Schuldausschliefsungsgründe und alle Gründe wegfallender Rechtswidrigkeit, was nur zu billigen i s t 1 0 , aber nach bestand bei der Befragung der Geschworenen in einen blofsen Tat u m stand zu verkehren. 9 Vgl. oben § 9. 10 Auf dem richtigen Standpunkt befanden sich die Prozefsordnungen von Bayern 1848, Braunschweig 1849 und Württemberg 1849, in denen Fragen auf Schuldausschliefsungsgründe nicht zugelassen sind. Dagegen gaben Hess.Darmst. 1848 Art. 165, 1865 Art. 364; Thüring. 1850 Art. 287 und Baden 1851 § 96, 1864 § 279; Hamb. 1869 § 211 Abs. 5 solchen Fragen nach Ermessen des Gerichts Raum. Preufs. 1852 Art. 81, 1867 § 319 Abs. 2; Hannover 1850 § 188 und 1859 § 194, Oldenburg 1857 Art. 327 liefsen die gleichen Fragen a u c h auf Antrag der Verteidigung zu. Auch Württ. 1868 Art. 366 bestimmte spezielle Befragung wegen eines in der Verhandlung hervorgetretenen Schuldausschliefsungsgrundes. Die Anerkennung der besonderen Frage in den Gesetzen bedeutete aber nicht, dafs nur bei deren Stellung der Schuldausschliefsungsgrund von den Geschworenen zu berücksichtigen war, vielmehr hatten diese bei Annahme des nicht besonders erfragten Ausschliefsungsgrundes die Hauptfrage zu verneinen, vgl. P l a n c k , System.Darstellung S. 409f. Die Bestimmung des code art. 339: Lorsque l'accusé aura proposé pour excuse un fait admis comme tel par la loi, la question sera ainsi posée: tel fait est-il constant? ist in der Rechtsübung nur auf spezielle Strafausschliefsungs- und Milderungsgründe, sog. excuses légales (c. pén. art. 100y 108, 114, 116, 135, 138, 163, 190, 213, 247, 248, 321—326, 327, 343), nicht auf allgemein wirksame Momente, wie Unzurechnungsfähigkeit, Notwehr usw., bezogen worden. Vgl. H é l i e , Prat. crim. I η. 819 f., viele Entsch. des Kass.Hofs bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 339. Die Fragen nach faits d'excuse sind zu vergleichen teils den deutschen Nebenfragen nach Strafaufhebungsgründen (z. B. c. pen. art. 100, 108, 138, 213), teils den strafmildernden Nebenfragen (z. B. art. 135, 321—326, 343), teils gehen sie auf Momente, die von vornherein die Strafbarkeit (bezw. die Normwidrigkeit) der Tat beseitigen (z. B. art. 163, 190, 327).

2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

§ 262 StPO auch, was sehr zu beklagen ist, die eigentlichen Strafausschliefsungsgründe. Von den Strafaufhebungsgründen, die teils in Strafnebenfragen verwiesen werden können, teils der Kognition des Gerichts unterliegen, ist an dieser Stelle abzusehen. Ebenso ist nur zu erwähnen, dafs in der Einsichtsnebenfrage ausnahmsweise ein schuldbedingendes Moment aus der Hauptfrage ausgeschieden wird. Die Schuldausschliefsungsgründe (Geisteskrankheit, sinnlose Trunkenheit, Zwang, Irrtum usw.) hindern die Zurechnung der Tat zur Schuld, die Gründe wegfallender Rechtswidrigkeit (Notwehr, Notstand, berechtigte Selbsthilfe, Berufsrecht, Privileg des Berichts, Wahrnehmung berechtigter Interessen usw.) entziehen der Tat den Deliktscharakter. Dafs besondere Nebenfragen auf solche Umstände zu verkehrter Abstimmung „nach Gründen" und damit leicht zu einer Verfälschung der richterlichen Schuldbeurteilung führen würden, ist grundsätzlich fast allgemein anerkannt 11 , wie sie denn zweifellos durch § 295 Abs. 1 ausgeschlossen sind 12 . Aber 11

v. B a r , Krit. Viert.-Schr. X S. 490; L ö w e - H e l l w e g zu §196 GVG Bern. 3 c « ; B i n d i n g , Grundrifs § 89 V I ; H . M e y e r bei v. Holtz. I I S. 169f.; v. K r i e s S. 442 f.; H e i n e m a n n , Z. f. Strafrechtsw. Bd. 15 S. 55 f., 67 f.; B i r k m e y e r S. 472, 658; RG 1. Str.-S. E. Bd. 4 S. 400 u. Bd. 9 S. 105 f.; 3. Str.-S. R. IV S. 89. Stellung einer solchen Nebenfrage begründet zweifellos die Revision. Verfehlt v. S c h w a r z e zu § 205 Bern. 6, der Nebenfragen zuläfst auf Tatumstände, in welchen „eine Negation des dolus" zu finden sei, z. B. bei Mifshandlungen, welche in Ausübung eines Züchtigungsrechts begangen worden seien. 12 Der E. der StPO § 253 wollte Nebenfragen auch auf Schuldausschliefsungsgründe zulassen, unter Gestattüng, die Hauptfrage dann nach Befinden mit anderen als den sonst vorgeschriebenen Worten: „Ist der Angeklagte schuldig?" zu beginnen. In den Mot. S. 177 wird angeführt, dafs nur auf diesem Wege Gewifsheit darüber zu erlangen sei, ob die Geschworenen bei Entscheidung der Schuldfrage den behaupteten Ausschliefsungsgrund ihrer Beratung unterzogen hätten. Die Streichung beruht auf einem Antrage V o l k s , Prot. 1. Les. S. 460 f., 2. Les. S. 1397, Sten.-Ber. S. 513f. Mit vollem Recht machten G n e i s t (Prot. S. 461) und B e c k e r (Sten.-Ber. S. 514) gegen den Entwurf geltend, dafs er zu verkehrter Abstimmung „nach Gründen" nötige. Derselbe Einwand spricht gegen § 319 österr. StPO, wo entsprechende Nebenfragen zugelassen sind. Vgl. dazu G l a s e r , Fragestellung S. 894; U l i m a n n , Österr. StP S. 641 (charakteristisch die Kontroverse, ob bei Bejahung der Zusatzfrage die Hauptfrage zu verneinen oder zu bejahen sei); S c h ü t z e , Eventualfrage S. 28 f. Würde die Hauptfrage nicht mehr als „Schuld"-Frage gefafst, sondern nur auf das Bewiesensein eines bestimmten Tatbestandes gerichtet, so ergäbe

§ 2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

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infolge unrichtiger Auffassung entsprechender Momente werden doch gelegentlich solche Fragen gestellt, z. B. die Irrtumsnebenfrage. ihre Bejahung auch in Verbindung mit dem Nein zur Nebenfrage (betreffs des Schuldausschliefsungsgrundes) nicht eine Deliktsschuld des Angeklagten und somit nicht ein brauchbares Verdikt. Das verkannten die früheren Prozefsgesetze, die im Sinne des Entwurfs eine derartige Befragung zuliefsen: Hess.Darmst. 1848 Art. 165, 1865 Art. 364; Preufs. 1867 § 319 Abs. 2; Sachsen 1868 § 56 Abs. 3; Hamburg 1869 § 211 Abs. 5. Besondere Vorschläge sind von M e y e r , T a t - u n d Rechtsfrage S. 216 und v. B a r , Recht und Beweis S. 194 f. gemacht worden. M e y e r will neben die Frage nach der Schuld, aber nicht koordiniert, sondern alternativ, eine Frage nach dem Schuldausschliefsungsgrund stellen, z. B. : 1. Ist der Angeklagte schuldig, den Β mit Vorsatz und Überlegung getötet zu haben? 2. Hat der Angekl. den Β mit Vorsatz und Überlegung getötet, a b e r im Zustande der Verteidigung usw.? Die zweite Frage wäre also auf den Fall der Verneinung der ersten berechnet. Nun ist klar, dafs über die zweite Frage, die in Wahrheit zwei Fragen umschliefst, nicht einheitlich abgestimmt werden könnte. Wie sollten sonst diejenigen stimmen, die zwar vorsätzliche Tötung usw., aber nicht Notwehr annähmen? Es müfsten also zwei Abstimmungen stattfinden, über vorsätzliche Tötung und über Notwehr. Über die erstere war j a aber schon einmal abgestimmt! Bejahung der zweiten Frage M e y e r s schliefst einen falschen Vorsatzbegriff ein, denn bei Notwehr fehlt es in Wahrheit am Vorsatz. Verneinung dieser Frage aber ergibt undeutliches Verdikt, da entweder die vorsätzliche Tötung oder nur die Tötung in Notwehr verneint ist. Nach v. B a r soll die Frage nach dem Schuldausschliefsungsgrund bedeuten, ob diejenigen Geschworenen, welche die Hauptfrage zum Nachteile des Angeklagten bejaht haben, die ausschliefsende Tatsache erwogen haben und welches ihre Überzeugung in betreff dieser besonderen Frage sei. Demnach würde sich diese zweite Frage, wenn nicht die erste einstimmig bejaht wurde, nur an einen Teil der Geschworenen richten. Nach v . B a r ' s Formulierung kann es nicht die Absicht sein, dafs die zweite Frage auch dann gelten soll^ wenn die erste Frage verneint wurde, weil für Bejahung nicht die nötige Mehrheit sich ergab. Bezieht sich also die zweite Frage auf den Fall der Bejahung der ersten, so ist klar, dafs ihre Bejahung ein widersprechendes Verdikt liefert, denn dann ist die Schuldfrage und zugleich die Frage nach Notwehr usw. bejaht. Es ist aber nicht zulässig, Fragen zu stellen, die nicht ohne Widerspruch zugleich bejaht werden können. Der Kern der v. Bar'sehen Anregung liegt darin, den Grund zu ermitteln, weshalb die Hauptfrage in einem bestimmten Sinne beantwortet worden ist. Dann dürfte aber die Nebenfrage nur für den Fall der S c h u l d f r a g v e r n e i n u n g gestellt werden. Sie hätte dann den Sinn: ist Notwehr usw. Grund der Schuldfragverneinung? In dieser vereinzelten Beziehung aber das Prinzip des nicht-begründeten Verdikts zu durchbrechen, geht nicht an. Und richtiger wäre dann immer noch allgemein zu fragen: w e s h a l b wurde die Schuldfrage verneint? Wenn scchs Geschworene Notwehr, sechs Unzurechnungsfähigkeit annahmen, so könnte auf

2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

Dagegen führt die Einbeziehung der Strafausschliefsungsgründe in die Schuldfrage zu schweren Mifsständen, enthält gewissermafsen eine Verleitung zu einheitlicher statt sukzessiver Abstimmung über die Schuld selbst und diesen Teil der Straffrage und ergibt damit die Gefahr ungerechtfertigter Freisprechungen. 1 2. Die Haupt-usw.-Frage hört auch dann auf, Schuldfrage zu sein, wenn ein Tatbestandsmerkmal nicht des qualifizierten oder privilegierten, sondern des einfachen Delikts in eine Nebenfrage verwiesen, der Tatbestand des Mords z. B. auf vorsätzliche Tötung reduziert und daneben nach der Überlegung gefragt wird. Eine so verstümmelte Frage als Schuldfrage zu stellen, ist ganz verkehrt, da das Strafgesetzbuch eine Schuld, die in vorsätzlicher Tötung als solcher bestände, gar nicht kennt. V. Die Schuldnebenfrage kann klagbessernden Charakter haben. Die Verhandlung hat präsumtiv, nach richterlichem Ermessen, statt des im Eröffnungsbeschlusse angenommenen einfachen Delikts qualifiziertes oder privilegiertes ergeben. Oder es ist von einem Geschworenen oder einer Partei Antrag auf bezügliche Nebenfrage gestellt worden, der nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden kann, § 296 StPO. Oder endlich das Gericht überzeugt sich, dafs schon nach der Tatgestaltung, die dem Eröffnungsbeschlusse zugrunde liegt, bei richtiger Subsumtion die Anklage nicht wegen einfachen, sondern wegen qualifizierten oder privilegierten Delikts erhoben werden mufste. Es repetieren also die drei Gründe der Klagbesserung, wie sie auch bei der Hilfsfrage in Betracht kommen. In allen drei Fällen enthält die Nebenfrage die Vollmacht zur Klagbesserung. Diese bleibt unbenutzt, wenn die Nebenfrage verneint wird, was Bejahung der Hauptfrage zur Voraussetzung hat; der Angeklagte ist damit nach der ursprünglichen Klage schuldig gesprochen. Eventuelle Bedeutung, wie die Hilfsfrage, hat die klagbessernde Nebenfrage nicht. Da qualifiziertes oder privilegiertes und einfaches Delikt im Verhältnis von Spezies und Genus stehen, so setzt die Nebenfrage die Feststellung des Genusdelikts, also nicht die Ablehnung, sondern umgekehrt die Bejahung der ursprünglichen Klage voraus, deren Verbesserung hier in einem Klagzusatze liegt. Die Klagbesserung durch Aufnahme eines Qualifikations- oder die generell gefafste zweite Frage alternativ, auf spezialisierte Frage (wegen Notwehr usw.) überhaupt nicht geantwortet werden.

§ 2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

191

Privilegierungsgrundes kann, wenn nicht Antrag auf Nebenfrage gestellt ist, stets statt in Form der Nebenfrage unter entsprechender Umgestaltung der Hauptfrage geschehen13. Und keineswegs ist die Schuldnebenfrage immer klagbessernd. Es hängt vielmehr gegenüber einem Eröffnungsbeschlusse wegen qualifizierten oder privilegierten Delikts an sich ganz vom Ermessen des Gerichts ab, das Delikt in dieser Gestalt in die Hauptfrage aufzunehmen oder letztere auf einfaches Delikt zu richten und eine Nebenfrage wegen des Qualifikations-usw.-Grundes hinzuzufügen. Gezwungen zu solcher Nebenfrage ist das Gericht im gleichen Falle, wenn Antrag darauf gemäfs § 296 gestellt ist. Ganz falsch wäre, bei Qualifikations-usw.-Gründen. die erst in der Verhandlung hervorgetreten sind, statt Nebenfrage auf den Tat um stand, Hilfsfrage auf den Tatbestand, also das qualifizierte oder privilegierte Delikt, zu stellen. Hilfsfrage ist immer nur möglich auf einen der Hauptfrage gegenüber kriminalistisch selbständigen Tatbestand, also niemals auf das Speziesdelikt, während die Hauptfrage auf das Genus geht. VI. Aufnahme m e h r e r e r Qualifikations- oder Privilegierungsgründe in die Hauptfrage ist nicht ratsam. Die Fragen müssen so übersichtlich wie möglich gefafst werden. Bei einer Konkurrenz von Qualifikations-, Privilegierungsgründen sind daher Nebenfragen nicht zu vermeiden. F o r m e l l o b l i g a t o r i s c h ist Nebenfrage, wenn ein Antrag darauf gemäfs § 296 StPO vorliegt und nicht Rechtsgründe entgegenstehen. In solchem Falle hat das Gericht nicht die Wahl zwischen Nebenfrage und einer dem Tatumstand entsprechenden Umgestaltung der Hauptfrage; die Nebenfrage ist unbedingt geboten. Der Regel nach dagegen hängt es vom Ermessen des Gerichts ab, Nebenfrage zu stellen 14 . Sie ist, wie das Gesetz sagt, „geeignetenfalls" den Geschworenen vorzulegen. In diesen Worten wird dem Gericht eine zweifache Ermessensentscheidung anheimgegeben. Es ist zu prüfen, ob die Verhandlung Umstände ergeben hat, nach denen in Abweichung vom Eröffnungsbeschlufs ein Qualifikations- oder Privilegierungsgrund in Betracht kommt. Und das Gericht hat ferner, mag der Umstand schon im Eröffnungs13

Ohne Grund meint K e l l e r zu § 295 Bern. 5, dals wegen eines in der Verhandlung neu hervorgetretenen Umstandes nur Nebenfrage gestellt werden könne. Dagegen D a l c k e , Fragestellung S. 95. 14 Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 14 S. 356, R. V I I S. 175.

2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

beschlusse angenommen worden sein oder erst aus der Verhandlung sich ergeben haben, die Wahl, ihn in der Hauptfrage zu berücksichtigen oder in eine Nebenfrage zu verweisen 15. Führt jene Prüfung zur Annahme des Umstandes, so ist nun das Gericht auch verpflichtet, ihm in der einen oder anderen Weise Rechnung zu tragen, denn es hat zu sorgen für eine dem wahren Sachverhalt entsprechende Schuldfeststellung. Das gilt auch, wenn ein Qualifikations-usw.-Grund nur fakul15

Die früheren deutschen Gesetze differierten in diesem Punkt. Thür. 1850 Art. 287 Abs. 5; Preufs. 1852 Art. 80 Abs. 4; Sachs. 1868 §§ 60 u. 61; Hamb. 1869 § 211 Abs. 5; Bremen 1870 § 486 stellten Aufnahme in die Hauptfrage oder Vorlegung einer Nebenfrage in das Ermessen des Gerichts. Dagegen wurde Nebenfrage erfordert oder doch instruktioneil oder „nach Tunlichkeit" vorgeschrieben von Bay. 1848 Art. 177 u. 178; Kurh. 1848 § 318 Abs. 4; Hess.Darmst. 1848 Art. 167 u. 168 (wenn Umstände in der Verhandlung hervorgetreten) u. 1865 Art. 366 u. 367 (ebenso); Württ. 1849 Art. 157 u. 158 (wenn in der Verhandlung hervorgetreten) u. 1868 Art. 368 Z. 3 (Privilegierungsgründe, die in der Verhandlung hervorgetreten); Hann. 1850 § 188 Abs. 6 u. 1859 § 194 Abs. 6; Braunschw. 1849 § 140 Abs. 6; Preufs. 1867 § 321 Abs. 1. Österr. § 322 läfst beide Möglichkeiten, Zusatzfrage oder Aufnahme in die Hauptfrage, zu. Aus der Praxis des Kass.-Hofes: 15. Dez. 1880 Entsch. Bd. 4 S. 43 f., 10. Jan. 1885 Bd. 8 S. 90, 24. Jan. 1903 E. N. F. Bd. 5 S. 110 f. Die Aufnahme von Milderungsumständen in die Hauptfrage wird wegen der Verschiedenheit der für Bejahung der Schuld und des Milderungsgrundes erforderlichen Stimmenzahlen widerraten von M i t t e r b a c h e r zu § 322 Bern. 4. Das französ. Gesetz v. 13. Mai 1836 art. 1 schreibt vor, dafs die Jury getrennt abzustimmen habe (par bulletins écrits et par scrutins distincts et successifs) über die Hauptsache, über jeden erschwerenden Umstand, über jedes fait d'excuse légale. Vgl. auch art. 338 code, wo für circ. aggravantes „non mentionnées dans l'acte d'accusation" und art. 339, wo für excuses légales besondere Befragung vorgeschrieben ist. Daher gilt als komplex die Hauptfrage, die ein solches Moment mit aufnimmt. I n diesem Sinne eine kaum übersehbare Zahl von Präjudizien des Kass.-Hofs. Auch die Vereinigung mehrerer circ. aggravantes in einer Nebenfrage ist komplex. Vgl. z. B. die Entscheid, bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 141, 182, 183, 186, 191, 310, 317, 318, 323, 324, 329, 331, 335, 338, 340; R o l l a n d de V i l l a r g u e s , Code d'inst. crim. annoté art. 337 η. 200 f.; H é l i e , Prat. crim. I nr. 833, 848; G a r r a u d , Préc. p. 713. Der Begriff der circonst. aggravantes wird von der französischen Doktrin und Praxis im wesentlichen ganz richtig durchgeführt. Den Gegensatz bilden die éléments constitutifs, d. i. die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des Grunddelikts. Freilich kommt vor, wie in der deutschen Rechtsübung auch, dafs ein qualifiziertes Delikt fälschlich als del. sui generis aufgefafst wird. Ein solches Schwanken tritt z.B. bei parricide hervor, vgl. die Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 175, 343, 344. Die Einwendungen Z a c h a r i a e ' s , Handb. I I S. 515 f. sind durchaus mifsverständlich.

§ 2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

193

tative Bedeutung hat, die Straferhöhung nur gestattet, nicht geboten ist 1 6 . Denn auch in dieser Beziehung kann die Straffrage erst auf der Grundlage allseitiger Schuldermittelung beantwortet werden. Das Gericht darf sich nicht selbst präjudizieren, indem es die Frage der Strafschärfung durch Verhinderung bezüglichen Schuldausspruchs nicht zur Entstehung kommen läfst. Zudem ist es unmöglich, in den § 295 Beschränkung auf obligatorische Schärfungsgründe hinein zu interpretieren. Es sind also beispielsweise die Geschworenen zu befragen, ob der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden hat, ob im Falle fahrlässiger Tötung der Täter zu der Aufmerksamkeit, die er aus den Augen setzte^ vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war (§§ 208, 222 Abs. 2 und weiter §§ 119, 230 Abs. 2, 266 Abs. 2, 293 StGB). Der fakultative Qualifikationsgrund wird besser in eine Nebenfrage gestellt, doch ist Aufnahme in die Hauptfrage nicht unzulässig. VII. Soweit unter Voraussetzung einer besonderen tatbestandlichen Gestaltung neben der Strafe noch eine weitere Reaktion gegen das Delikt, Auferlegung von Bufse, Erteilung der Publikationsbefugnis an den Verletzten, eintritt, hat an sich nur das Gericht hierüber zu kognoszieren. Befragung der Geschworenen über die Vorbedingung wäre nur geboten bei einer Nebenfolge, die eine Strafe und zwar die Strafe qualifizierten Delikts darstellte. Die Publikationserlaubnis bedeutet in den Nebengesetzen (nicht im Strafgesetzbuche) allerdings zuweilen eine Nebenstrafe (mit Präventivwirkung) 17 , aber niemals eine dem erschwerten Delikt als solchem geltende Strafschärfung. Hiernach kann es insoweit zu einer Nebenfrage an die Geschworenen nicht kommen. Als Voraussetzung für n i c h t strafweise Publikationserlaubnis begegnet wohl ein Tatumstand, der z u g l e i c h Qualifikationsgrund ist, so im § 200 StGB die öffentliche Begehung der übelen Nachrede oder Verleumdung (§§ 186, 187 StGB). Insofern, aber nur 16 So ausdrücklich Württ. 1849 Art. 157; Sachs. 1868 § 61 (für fakultative Milderungsgründe); Hess.-Darmst. 1848 Art. 167 u. 1865 Art. 366 für fakultative Erschwerungsgründe, während auf fakultative Milderungsgründe Fragen nicht zu richten waren (1848 Art. 168 u. 1865 Art. 367). 17 § 16 Nahrungsmitteiges. ;i§ 19 Weinges.; § 13 Abs. 1 Wettbewerbsges.; § 20 Marg.-Ges. A. A. B i n d i n g , Grundrifs des Strafrechts § 101.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozeis I I I .

13

2 . Die Schuldnebenfragen auf Qualifikations- und Privilegierungsgründe.

insofern findet dann Feststellung der Vorbedingung durch die Geschworenen statt. V I I I . Die Schuldnebenfrage ist materiell ein Bestandteil der Schuld-, d. i. der Haupt- oder Hilfsfrage und daher nicht selbst als Schuldfrage zu fassen. Sie wird vielmehr, genau dem gesetzlichen Wortlaut entsprechend, auf den Tat um stand als solchen gerichtet 18 , z. B. : ist die zu 1 gedachte Handlung an einem Verwandten aufsteigender Linie begangen worden? hat der Angeklagte die zu 1 gedachte goldene Uhr aus einem Gebäude mittels Einbruchs weggenommen? ist durch die Tat der Tod des Verletzten verursacht worden? Falsch wäre zu fragen: ist der Angeklagte schuldig, einen Verwandten aufst. L. getötet, die Uhr aus einem Gebäude usw. weggenommen, durch die Tat den Tod des Verletzten verursacht zu haben? Diese Fassungen wären in der Tat Hauptfragen auf das qualifizierte Delikt, in völlig inkorrekter Formulierung, die mit den vorangegangenen Hauptfragen auf das einfache Delikt in grellstem Widerspruch ständen. Bei einer Nebenfrage wegen Privilegierungsgrundes, also wegen eines Umstandes, der die Schuld nicht mehrt, sondern mindert, ist der Gedanke, sie als Schuldfrage zu fassen, wohl als ganz ausgeschlossen anzusehen. Die Nebenfrage ist immer akzessorische Frage und darf so wenig der Hauptfrage den Schuldfragcharakter entziehen, als ihn sich selbst anmafsen. In der Frage auf den Qualifikationsgrund t r i t t , soweit nicht der gesetzliche Tatbestand selbst sich darüber ausspricht, nicht hervor, ob der Tatumstand für sich allein genügt oder Wissen des Täters davon zur Zurechnung erfordert wird, ob der blofse Eintritt einer Deliktsfolge oder ihre schuldhafte Herbeiführung gemeint ist. Die Geschworenen sind zu belehren, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen sie die Frage zu bejahen oder zu verneinen haben. Sie urteilen nicht über das blofse Vorhandensein, sondern über die Zurechenbarkeit des Tatumstandes. Das „Schuldig" in der Hauptfrage bezieht sich auf die Nebenfrage mit ; die Beantwortung der Nebenfrage ist nicht blofse Bejahung oder Verneinung einer Tatsache, sondern integrierender Teil des Schuldentscheids. Nur scheinbar ist es ein Widerspruch, dafs die Geschworenen, wenn sie Nichtwissen des Täters von der Aszendentenqualität des Erschlagenen annehmen, die auf diesen Tatumstand gerichtete Nebenfrage verneinen usw. Das nicht motivierte Nein der Geschworenen 18

Vgl. auch RG 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 41 S. 49.

§ 24. Schuldnebenfragen auf Strafausschliefsungsgründe.

195

kann ebensowohl Verneinung der Zurechenbarkeit des Tatumstandes als des letzteren selbst sein. Ausnahmsweise enthält besondere materielle Rechtslage die Nötigung, die Nebenfrage allerdings auf die Z u r e c h e n b a r k e i t des Tatumstandes abzustellen. Bei Teilnahme am Delikt wird öfters im Strafgesetze ein qualifizierender Tatumstand allen zugerechnet, die davon wufsten, nicht nur dem Teilnehmer, in dessen Person er gegeben war. So, wenn einer der Teilnehmer am Diebstahle, am Raube bei dessen Begehung Waffen bei sich geführt hat, §§ 243 Z. 5, 250 Z. 1 StGB. So, wenn beim Raube von einem der Beteiligten ein Mensch gemartert worden ist, § 251 StGB. In solchen Fällen kann nicht mehrfach gefragt werden, für X, Υ, Ζ usw., ob X Waffen bei sich führte. Verschiedene Beantwortung dieser gleichlautenden Nebenfragen ergäbe einen offenbaren Widerspruch, möchten immerhin die Geschworenen die Nebenfrage für Y nach Bejahung für X unter Annahme der Unkenntnis des Y vom Tatumstande verneint haben. Ein unausgesprochenes (und nicht auszusprechendes!) Motiv beseitigt nicht den Konflikt der Antworten. Vielmehr mufs für die weiteren Nebenfragen eine den Widerspruch ausschliefsende F o r m gewählt werden: Ist dem Angeklagten Y usw. zuzurechnen, dafs der Mitangeklagte X bei Begehung der Tat Waffen bei sich führte? § 24. S c h u l d n e b e n f r a g e n a u f S t r a f a u s s c h l i e f s u n g s gründe. Die R e t o r s i o n s n e b e n f r a g e insbesondere. I. Durch die Erstreckung der Schuldfrage auf die S t r a f ausschliefsungsgründe (im Gegensatz zu den S c h u 1 dausschliefsungsgründen) im § 262 ist an diesen materiell nichts geändert worden. Es ist über sie als Bestandteile der Straffrage erst nach Bejahung der eigentlichen Schuldfrage abzustimmen; nur gilt für ihre Verneinung das Erfordernis der Zweidrittelmajorität. Diese getrennte Abstimmung haben auch die Geschworenen vorzunehmen, die in der Hauptfrage (Hilfsfrage) zugleich nach eventuellen Strafausschliefsungsgründen befragt werden. Verneinen ζ. B. zwei Geschworene den Kausalnexus zwischen Handlung und Tod, während einer die Handlung als durch Notwehr entschuldigt ansieht, zwei andere straflose Notwehrüberschreitung annehmen, so dürfen nicht die verneinenden Vota, die sich teils auf die Schuld-, teils auf die Straffrage beziehen, addiert werden, es ist vielmehr die Schuldfrage mit neun gegen drei Stimmen zu bejahen, ebenso die Straffrage (der Geschworene, der die Schuld wegen Notwehr verneinte, 13*

24. Schuldnebenfragen auf Strafausschliesungsgründe.

hat demnächst für straflosen Notwehrexzefs zu votieren 1 ) und sonach die Hauptfrage im ganzen nicht zu verneinen, sondern zu bejahen. Eine besondere Frage auf Notwehrexzefs, also dahin, ob der Angeklagte nur in Bestürzung, Furcht oder Schrecken die Grenzen der Notwehr überschritten habe, eine Frage, deren Bejahung zur Straflosigkeit führen würde, die zu verneinen wäre von allen Geschworenen, die entweder überhaupt nicht Notwehr oder nicht Entschuldbarkeit des Notwehrexzesses annähmen, ist nicht zugelassen2, obwohl Notwehrexzefs zweifellos nicht die Schuld, sondern nur gemäfs § 53 Abs. 3 StGB die Strafbarkeit ausschliefst, und so kann die Hauptfrage verneint werden trotz zweifelloser und von den Geschworenen anerkannter Schuld wegen stillschweigender Annahme des Strafausschliefsungsgrundes 8. Und leider fehlt die 1

Falsch v. H y e , Über das Schwurgericht S. 47. Gegen ihn G l a s e r , . Schwurgerichtl. Erörterungen S. 133 f. 2 Vgl. auch RG 3. Str.-S. E. Bd. 11 S. 277. Der Mangel entsprechender Feststellung bringt erhebliche Erschwerung der zivilen Rechtsverfolgung mit sich: Notwehrexzefs ist schadensersatzpflichtig. 3 Die Frage nach straflosem Notwehrexzefs k o n n t e in der RStPO auch nicht zugelassen werden, da sie Feststellung des Notwehrzustandes und einer Deliktsschuld trotz der geübten Notwehr, also die Annahme objektiver Notwehrüberschreitung, voraussetzen würde. Auf dieses Bedingungsverhältnis hat zutreffend v. T i p p e i s k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 11 S. 24 hingewiesen. Hiernach kann die Frage des Exzesses jedenfalls nur vom Standpunkte einer Legislation vertreten werden, die eine Befragung der Geschworenen wegen Notwehr anerkennt. So erklärt sich, dafs das preufs. Obertribunal wiederholt jene Frage gebilligt hat. Vgl. die Nachweisungen bei v. T i p p e l s k i r c h a. a. 0. S. 22 f., Z a c k e , Fragstellung S. 207 f., ferner O p p e n h o f f r Rechtsprechung Bd. 10 S. 120. Aber es leidet eben die besondere Notwehrfrage an der gleichen Verkehrtheit, die jeder Frage wegen Schuld-(Delikts-)Ausschliefsungsgrundes anhaftet. Beachtenswert v. T i p p e i s k i r c h a. a. 0. S. 83 f. Andererseits führt der Mangel einer besonderen Frage wegen Notwehrexzesses, obwohl die Geschworenen über diesen Strafausschlieisungsgrund mit erkennen sollen, zu den im Texte dargelegten Mifsständen. So ergibt sich mit logischer Notwendigkeit, dafs die Frage des straflosen Exzesses, wie die gesamte Straffrage dem Gerichte zu belassen ist. Nun erfährt aber das Gericht aus dem unbegründeten Verdikt nicht, ob die Geschworenen die Schuldfrage unter Annahme von Notwehrüberschreitung bejaht haben. Und somit ergibt sich wiederum mit unabweislicher Notwendigkeit das Bedürfnis der Verdiktsbegründung. Der österr. Kass.-Hof hat anschliefsend an § 2 lit. g des StGB, wonach „gerechte Notwehr" auch angenommen wird bei Überschreitung der Notwehrgrenzen aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken, Alternativfragen auf echte

§ 24.

Schuldnebenfragen auf Strafausschliefsungsgründe.

197

Gewähr dafür, dafs die Geschworenen vor Abgabe ihres Spruches die verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten sich zum Bewufstsein gebracht, sie einzeln erwogen und in der logisch gebotenen Folge abgestimmt haben. Einer Belehrung in diesen Richtungen ist Verständnis und Nachachtung nicht gesichert, und es kommt auch nur dazu, wenn das Gericht nach der Sachlage eine entsprechende Auffassung der Geschworenen als möglich erachten kann. II. Der Fehler des Gesetzes wird sehr empfindlich ferner bei f a k u l t a t i v e m Strafausschliefsungsgrunde. Dafs die Geschworenen nicht deshalb die Schuldfrage verneinen können, versteht sich, denn die Gewährung der Straflosigkeit steht zum Ermessen des Gerichts. Wenig angemessen aber wäre es, wenn hier das Gericht über die tatsächliche Voraussetzung zu befinden hätte, während diese Feststellung bei obligatorischer Straflosigkeit den Geschworenen zufiele. Nun ist fakultativer Strafausschliefsungsgrund lediglich die Tatsache der Retorsion und diese wirkt zugleich auch als fakultativer Strafaufhebungs- und Strafmilderungsgrund. Es ist daher an dieser Stelle unter notgedrungenem Bruche mit strenger Systematik die Retorsionsfrage zusammenhängend zu behandeln. Das StGB kennt in den §§ 199, 233 Retorsion bei Beleidigungen unci leichten Körperverletzungen. Diese Delikte gehören zwar an sich nicht zur Kompetenz der Geschworenen, aber sie können nach Reichsrecht, vorausgesetzt, dafs sie mit öffentlicher Klage verfolgt werden, im Falle der Konnexität an das Schwurgericht gelangen. Erwiderung von Beleidigung mit Beleidigung hat für den Ersttäter die Bedeutung eines Strafaufhebungsgrundes, wirkt für den Retorquenten als Strafausschliefsungsgrund, in dem einen wie dem anderen Falle aber nur nach richterlichem Ermessen; es wird — fakultativ — einerseits bereits begründete Strafbarkeit wieder beseitigt, andererseits Strafbarwerden der Tat bedingt gehindert. Ein Erwiderungskonnex zwischen leichten Körperverletzungen untereinander oder zwischen solchen und Beleidigungen kann ferner — wiederum fakultativ — dem einen oder beiden Beteiligten Strafmilderung schaffen. Ein fakultativer Strafmilderungsgrund ist im schwurgerichtlichen Verfahren an sich ebenso zu behandeln wie ein entsprechender Schärfungsgrund. Das Gericht kann mildern nur, wenn die tatNotwehr und straflosen Notwehrexzefs SO. Sept. 1885 Samml. Bd. 8 S. 149 f.

zugelassen,

vgl. z. B. Entsch. γ.

24.

Schuldnebenfragen auf Strafausschliefsungsgründe.

sächliche Voraussetzung von den Geschworenen festgestellt worden ist. Und auf solchen Ausspruch hat es hinzuwirken, wenn entweder bereits der Eröffnungsbeschlufs den Erwiderungskonnex angenommen hat oder die Verhandlung ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben hat. Der Eröffnungsbeschlufs braucht freilich auf diesen Umstand nicht einzugehen, da dessen Berücksichtigung nicht zur Anwendung eines andern Strafgesetzes oder andern gesetzlichen Strafrahmens führt, wie beim fakultativen Schärfungsgrunde, vielmehr dabei nur das Gericht statt voller teilweise Straflosigkeit durch Substituier un g einer der Art oder dem Mafse nach mildern Strafe gewähren kann. Es ist daher auch nicht in der nachträglichen Annahme von Retorsion eine Klagbesserung zu finden, mag Strafmilderung eintreten oder nicht; wohl läge sie in der Feststellung eines vom Eröffnungsbeschlusse nicht vorgesehenen fakultativen Schärfungsgrundes, selbst wenn ihm praktische Folge versagt bliebe. Insofern zeigt die Frage, ob der Angeklagte Untersuchungshaft erlitten hat, die ihm auf die Strafe angerechnet werden kann, mit der Retorsionsfrage Verwandtschaft. In anderer Beziehung aber macht sich der bedeutsame Unterschied geltend, dafs bei der Retorsion die Strafmilderung Folge einer besonderen tatbestandlichen Gestaltung, nicht eines vom Delikt unabhängigen Umstandes ist. Es wird daher die Schuldfrage im Sinne des § 262 Abs. 2 auf diesen, nicht auf jenen Milderungsgrund mit zu beziehen sein und es müssen, wenn in der Verhandlung Retorsion behauptet wurde, die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob der Umstand für festgestellt oder nicht festgestellt erachtet worden ist, § 266 Abs. 2 4 . Die Entscheidung über die Retorsionsvoraussetzungen gebührt unbedingt dem Richter der Schuldfrage, Straffrage ist nur die Frage der effektiven Strafmilderung, während über die Tatsache und die Anrechnung erlittener Untersuchungshaft gleichmäfsig der Richter der Straffrage zu entscheiden hat. Weil aber die Erwiderung nur einen unechten Strafmilderungsgrund, nicht einen eigentlichen Privilegierungsgrund ergibt, ist Aufnahme in die Hauptfrage undenkbar, vielmehr Nebenfrage vorkommendenfalls unerläfslich. Nun ergibt der Erwiderungskonnex jedenfalls auch einen fakultativen Strafaufhebungsgrund für den Ersttäter. Die Haupt-(Hilfs-) Frage erstreckt sich zwar nach § 295 StPO auch auf Strafaufhebungs4

Ebenso O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 233 Bern. 3; RG 2. Str.-S. E. Bd. 17 S. 346 f., 1. Str.-S. E. Bd. 31 S. 347 f.

§ 24.

Schuldnebenfragen auf Strafausschliefsungsgründe.

199

gründe, soweit nicht Nebenfrage gestellt ist. Aber das gilt eben nicht mit für fakultative Strafaufhebung. Vielmehr ist Nebenfrage hier, soweit überhaupt der Strafaufhebungsgrund von Bedeutung sein kann, unentbehrlich, soll er nicht anders um seine Wirkung gebracht werden. Die Anwendbarkeit der §§ 262 Abs. 2, 266 Abs. 2 ist nicht zu bezweifeln 5. Ganz entsprechend verhält es sich endlich mit der Erwiderung als fakultativem Strafausschliefsungsgrund für den Retorquenten. Einbeziehung in die Hauptfrage, die nur eine stillschweigende sein könnte, ist ausgeschlossen, besondere Befragung der Geschworenen conditio sine qua non der Berücksichtigung. Daher ist hier und nur hier trotz dem Schweigen des Gesetzes eine Nebenfrage auf einen Strafausschliefsungsgrund anzuerkennen, weil ohne sie nicht auszukommen ist. Es entspricht der gesetzlichen Grundauffassung, die Geschworenen über alle Tatqualifikationen entscheiden zu lassen, die für Anwendung oder Nichtanwendung oder modifizierte Anwendung des Strafgesetzes mafsgebend sind, auch wenn die Wirkung vom richterlichen Ermessen mit abhängt6. Die Schuld des Retorquenten erscheint durch den Affekt reduziert, das Schuldkonto des Ersttäters durch den erlittenen Gegenangriff verringert. Es bedarf der Zweidrittelmajorität, um die Retorsionsvoraussetzungen zu verneinen. Die Retorsionsfrage wird im Anschluss an den gesetzlichen Wortlaut (§§ 199, 233 StGB), wenn nur das Erstdelikt inkriminiert ist, dahin gefafst: Ist die Beleidigung auf der Stelle erwidert worden? mit einer leichten Körperverletzung auf der Stelle erwidert worden? (Nicht alternativ: mit einer Beleidigung oder leichten Körperverletzung usw., denn die Wirkung wäre nach §§ 199, 233 für jedes Glied der Alternative eine teilweise verschiedene.) Steht nur das Retorsionsdelikt unter Anklage, so lautet die Frage : Hat der Angeklagte durch die zu 1 bezeichnete Tat eine Beleidigung, 5

Vgl. RG 31 S. 347 f. B e n n e c k e - B e l i n g S. 206 Anm. 25, 569 Anm. 9 rechnet teilweise „Kompensation" zur Straffrage, totale zur Schuldfrage. Allein durch den Gebrauch der gesetzlichen Ermächtigung wird immer über die Strafe disponiert, während die Retorsionsvoraussetzungen stets von der Schuldfrage umfafst werden. Übereinstimmend mit dem Text Z a c k e , Fragestellung S. 242. Auch S t e i n i t z , Grundlagen der strafrechtlichen Kompensation S. 65 f. stellt die Retorsionsvoraussetzungen zur Schuldfrage. 6

§ 25.

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Die Einsichtsnebenfrage.

eine leichte Körperverletzung auf der Stelle erwidert? Sind Ersttäter u n d Retorquent angeklagt, so dürfen nicht beide Fragen in die eine zusammengezogen werden: Ist die Beleidigung (leichte Körperverletzung) zu 1 durch die Beleidigung (leichte Körperverletzung) zu 2 auf der Stelle erwidert worden? Das wäre eine nach § 292 Abs. 3 unzulässige komplexe Frage, die allerdings gerade hier, wegen des Erwiderungskonnexes, materiell weniger bedenklich wäre. Immerhin bleibt wahr, dafs die Retorsionsfrage für jeden der Beteiligten einen teilweise andern Inhalt hat; ihre Bejahung wirkt fakultativ entweder Strafausschliessung oder aber Strafaufhebung und verschafft nach Umständen idem einen Teile auch nur Strafmilderung, während die Strafe des andern ganz erlassen wird usw. Es enthält auch keineswegs einen Widerspruch, die Retorsionsfrage bei dem einen Angeklagten zu bejahen, bei dem andern zu verneinen, denn die Erwiderung kann durch eine andere oder für eine andere als die inkriminierte Beleidigung erfolgt sein. Die Eigentümlichkeiten der Retorsionsnebenfrage sind also: 1. dafs sie gehen kann auf einen Strafausschliefsungsgrund; 2. dafs sie nie vertretbar ist durch die Hauptfrage; 3. dafs sie im Falle des § 233 StGB indistincte ist für den Ersttäter Frage auf einen Strafaufhebungs- oder Milderungsgrund, für den Retorquenten solche auf einen Strafausschliefsungs- oder Milderungsgrund. § 25. D i e E i n s i c h t s n e b e n f r a g e 1 . Das StGB verlangt in den §§ 56, 58 für die Verurteilung jugendlicher und taubstummer Angeklagter, dafs sie bei Begehung der strafbaren Handlung die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen haben. Gewinnt der Richter diese Überzeugung nicht, so mufs Freisprechung eintreten. Die Anordnung ist prima facie doppelter Deutung fähig: 1. Das Einsichtserfordernis ist generelle Voraussetzung der Zurechnungsfähigkeit 2, bedarf aber bei Jugendlichen und Taubstummen in jedem Verurteilungsfalle der besonderen Feststellung. Theorie des p r o z e s s u a l e n P r i v i l e g i u m s . 1

O e t k e r , Die prozessualen Konsequenzen des Einsichtserfordernisses, Arch. f. Strafrecht Bd. 47 S. 321 f. 2 So B i n d i n g , Normen I I S. 80 f., B e r n e r , H ä l s c h n e r , M e r k e l u. Α., jetzt auch v. L i s z t , Lehrbuch 15. Aufl. § 38.

§ 25. Die Einsichtsnebenfrage.

2. Das Einsichtserfordernis besteht für Jugendliche und Taubstumme noch neben der Zurechnungsfähigkeit 3, bildet für sie eine weitere Schuld Voraussetzung und bedarf d e s h a l b der besonderen Feststellung. Theorie des m a t e r i e l l e n P r i v i l e g i u m s . Der Entscheid zwischen beiden Auffassungen wird durch die Erwägung geliefert, dafs das Verlangen eines höheren Einsichtsmafses bei Jugendlichen und Taubstummen, das Fallenlassen des Erfordernisses mit vollendetem 18. Lebensjahre jeder ratio entbehrte. Der Gesetzgeber kann guten Grund haben, auf die Feststellung der fraglichen Einsicht bei Jugendlichen usw. besonderen Wert zu legen, aber doch nicht, für sie eine geistige Qualität zu postulieren, die bei Erwachsenen entbehrlich wäre 4 . Die Erkenntnis der Normwidrigkeit des Tuns gehört zur Zurechnungsfähigkeit im Einzelfalle, zur k o n k r e t e n Zurechnungsfähigkeit; die Befähigung, die Normwidrigkeit zu erkennen, ist eine Seite der a b s t r a k t e n Zurechnungsfähigkeit 5, d. h. derjenigen bleibenden seelischen Qualifikation, auf deren Grundlage dem Täter die Zurechnungsfähigkeit im Hinblick auf die Einzeltat erwächst, objektiv ausgedrückt die Zurechenbarkeit der Einzeltat gegeben ist. Falsa demonstratio ist, dafs der Gesetzgeber von der zur Erkenntnis der „Strafbarkeit" erforderlichen Einsicht spricht, denn Kriterien der Strafbarkeit aufserhalb des Strafgesetzes gibt es nicht, sonach ist undenkbar eine besondere, gerade die Strafbarkeitserkenntnis vermittelnde geistige Veranlagung 6. Das Gesetz meint · diejenige Einsicht, welche erforderlich ist, um das Tun als rechtlich mifsbilligt, als normwidrig zu erkennen. Weil aber nur für strafbar erklärte Handlungen in Betracht kommen, so ist kurzweg statt der „Normwidrigkeit" gesetzlich strafbarer Tat die „Strafbarkeit" gesetzt. Diese kurze strafrechtliche Digression erschliefst das Verständnis der E i n s i c h t s n e b e n f r a g e des § 298 StPO: „Hatte ein Angeklagter zur Zeit der Tat noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet, so mufs die Nebenfrage gestellt werden, ob er bei 3 So A p p e l i u s , Behandlung jugendlicher Verbrecher S. 7; F r a n c k , Komm, zu § 56 Bern. 3 u. A. 4 Gut das neue russ. StGB, das in Art. 41 Abs. 1 die für den Jugendlichen erforderliche Einsicht mit genau denselben Worten charakterisiert, die Art. 39 Abs. 1 bei Bestimmung der Zurechnungsfähigkeit verwendet. 5 F i n g e r , Lehrbuch des deutsch. Strafrechts I S. 234 nennt sie die „Deliktsfähigkeit" im Gegensatz zur „Zurechnungsfähigkeit" ( = konkrete Zurechnungsfähigkeit i. S. des Textes). 6 Annahme der S t r a f w ü r d i g k e i t wäre subjektives Werturteil. Die Befähigung zu deren Erkenntnis kann also vollends nicht in Betracht kommen.

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Begehung der Tat die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen habe. Dasselbe gilt, wenn ein Angeklagter taubstumm ist" 7 . Dieser Vorschrift ist die richtige Anwendung nur gesichert auf Grund klarer Erkenntnis des zwischen Einsicht und Zurechnungsfähigkeit bestehenden Verhältnisses. Die Theorie des nur prozessualen Privilegiums, die Einbeziehung der Einsicht in den Begriff der Zurechnungsfähigkeit, führt zu völlig andern prozessualen Konsequenzen, als die Annahme materieller Vergünstigung durch das Erfordern eines geistigen Vermögens noch neben der Zurechnungsfähigkeit. Es empfiehlt sich, die Einsichtsnebenfrage zuerst für T a u b s t u m m h e i t als den einfacheren Fall zu erörtern. I. D i e E i n s i c h t s f r a g e b e i T a u b s t u m m h e i t . 1. Ein Richterkollegium kann den Taubstummen nur verurteilen, wenn zwei Drittel der Richter in einheitlicher Abstimmung die Schuldfrage im ganzen bejaht, die Täterschaft des Angeklagten (die Begehung), die Zurechnungsfähigkeit, also auch die Einsicht, und die Willensschuld angenommen haben. Sonderabstimmung über die Einsicht als Stück der Schuldfrage wäre wie jede Zerteilung dieser nur einheitlich zu beantwortenden Frage verkehrt. Sollte die Taubstummheit des Angeklagten zweifelhaft sein, so hätte keinen Sinn, darüber vorab vor der Schuldfrage zu votieren, da die Einsicht für den Taubstummen und Nichttaubstummen ganz dieselbe Bedeutung eines allgemeinen Schulderfordernisses hat. Die Einsicht des Taubstummen ist gemäfs § 58 StGB in den Gründen des verurteilenden Erkenntnisses ausdrücklich zu konstatieren. Da somit die Frage der Taubstummheit der Urteilsbegründung präjudiziell, so ist ein Zweifel darüber nunmehr, nach 7

Wenn Kenntnis der Normwidrigkeit des konkreten Tuns Schuldvoraussetzung ist, so scheint überflüssig zu sein, dafs noch besonders die ß e f ä h i g u n g zu· dieser Erkenntnis festgestellt werden soll. Folgt nicht aus der erlangten Kenntnis die Fähigkeit, sie zu gewinnen? Den Gesetzgeber leitet offenbar die Absicht, auszuschliefsen ein rein mechanisches, verständnisloses Wissen der Normwidrigkeit (wie es trotz Geisteskrankheit, hochgradigen Schwachsinns usw. bestehen kann); es soll vielmehr dieses Wissen getragen sein von der Einsicht in die Bedeutung und Verbindlichkeit rechtlicher Satzungen. W i r d freilich — was in der Tat geboten (sehr schön B i n d i n g , Normen I I S. 72, 73) — ein Wissen der letzteren Art schon zur Schuld Erfordert, so kann nicht neben der Schuldfrage noch eine besondere Einsichtsfrage gestellt werden. Der Gesetzgeber hat eben verkannt, dafs die Prüfung der „Einsicht" den Schuldspruch bedingt, nicht ihm nachfolgen kann.

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Bejahung der Schuldfrage, durch besondere Abstimmung zu erledigen. Es entscheidet dabei die einfache Mehrheit. Würde hingegen in der „Einsicht" ein nur für den Taubstummen (und den Jugendlichen) bestehendes, von der Zurechnungsfähigkeit nicht mit umfafstes Schulderfordernis gefunden, so müfste über zweifelhafte Taubstummheit an erster Stelle entschieden werden, weil je nachdem die Schuldfrage sich inhaltlich verschieden gestaltete. Und zur Verneinung der Taubstummheit bedürfte es, weil damit ein materielles Privilegium für den Angeklagten wegfiele, die Schuldfrage zu seinen Ungunsten beeinfiufst würde, der Zweidrittelmehrheit. 2. Im schwurgerichtlichen Verfahren ist Nebenfrage nach der Einsicht obligatorisch, § 298 Abs. 2 StPO. Es geht also ein Stück der Schuldfrage aus der Hauptfrage in eine Nebenfrage über, und es wird sukzessive abgestimmt über die Schuld abzüglich der Einsicht und über die letztere speziell. Eine durchaus fehlerhafte Befragungsweise! Die Prüfung der Zurechnungsfähigkeit unter Ausscheidung der Einsicht läuft auf eine reine Fiktion hinaus; ein organischer Zusammenhang soll mechanisch zerrissen werden ! Und der Zwang zu getrennter Abstimmung über Bestandteile der Schuldfrage kann als Privilegium odiosum für den Angeklagten wirken: vier Geschworene verneinen die Begehung, vier die Einsicht, vier sind für volle Bejahung der Schuld; die vier ersten können, nachdem sie zur Hauptfrage majorisiert worden sind, sehr wohl die Einsichtsfrage bejahen, sie sind nicht genötigt, den geistig vielleicht sehr geweckten Angeklagten, in dem sie den Täter nicht sahen, nunmehr für einsichtslos zu erklären; also Verurteilung, obwohl nur ein Drittel der Geschworenen die Schuld im ganzen annimmt 8 . Der Gesetzgeber hat durch das Verlangen der Nebenfrage die Prüfung der Einsicht, also die Erfüllung einer Geschworenenpflicht, erzwingen wollen. Die Frage soll clie Unerläfslichkeit der Prüfung demonstrieren, also leisten, was der Rechtsbelehrung zu8

Zutreffend R u h s t r a t in Goltd. Arch. Bd. 29 S. 60 f. Sein Vorschlag aber, das Einsichtserfordernis in die Hauptfrage aufzunehmen („Ist Angeklagter schuldig, mit der zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht weggenommen zu haben?") kann nicht gebilligt werden. Es würde so ein Stück des allgemeinen Verbrechenstatbestandes in einen Bestandteil des besonderen verwandelt. Einsicht ist nicht Schuld, sondern Schuldvoraussetzung. Die Einsichtsnebenfrage ergänzt das „Schuldig" der Hauptfrage, nicht die Angabe der Handlung, deren sich der Angeklagte schuldig gemacht haben soll.

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fiele. Den Geschworenen wird durch den ihnen auferlegten Zwang ein Mifstrauensvotum erteilt, aber unter Yerkennung der materiellen Rechtslage und auf die Gefahr schwerer Schädigung des Angeklagten hin. Vorbereitende Nebenfrage über Taubstummheit kann nicht gestellt werden. Denn nachdem aus der Hauptfrage das Einsichtsmoment ausgeschieden ist, würde Verneinung einer solchen Nebenfrage und damit Wegfall der Einsichts-Nebenfrage einen sachlich unvollständigen Spruch, Schuldfeststellung unter Auslassung eines wesentlichen Schulderfordernisses, ergeben 9. Sollte aber die Einsichtsfrage in jedem Falle erledigt werden, wie immer zur vorbereitenden Nebenfrage geantwortet würde, so erschiene die letztere stets als überflüssig und die Ausscheidung der Einsicht aus der Hauptfrage bei Ablehnung der Taubstummheit durch die Geschworenen als gesetzwidrig. Vielmehr steht die Vorfrage der Taubstummheit zur Entscheidung des Gerichts. Das prozessuale Privilegium der Einsichtsnebenfrage gebührt dem Angeklagten nur, wenn die Mehrheit der Richter dessen Voraussetzung, das Vorhandensein von Taubstummheit, annimmt. Ein Antrag auf Vorlegung der Einsichtsfrage ist keineswegs nur aus Rech t s gründen (§ 296 StPO) ablehnbar; das Gericht hat vielmehr über die T a t s a c h e der Taubstummheit zu befinden, womit zugleich über Vorlegung der Nebenfrage entschieden ist. Um den Grund der Einsichts-Nebenfrage auch formell und abgesehen von der Rechtsbelehrung aufser Zweifel zu stellen, mag ihr eine Bezugnahme auf § 58 StGB parenthetisch hinzugefügt werden. Vom Standpunkte m a t e r i e l l e n Privilegs müfste vorbereitende Nebenfrage zugelassen werden. Nur für den Taubstummen bedarf es neben der in der Hauptfrage erfragten Schuld der Einsicht, der Spruch wird also durch Verneinung vorbereitender Nebenfrage nicht sachlich unvollständig usw. Da die Taubstummheit die Schulderfordernisse beeinflufst, so gebührt im Zweifel über das präjudizierende Moment der Entscheid dem Richter der Schuldfrage. Es mufs dann konsequent angenommen werden, dafs die Geschworenen die Taubstummheit nur mit Zweidrittelmajorität verneinen können. Ein eigentümliches Ergebnis, das starke Zweifel weckt an der Richtigkeit der materiellen Grundauffassung! Ob 9 Verkannt von RG 4. Str-S. E. Bd. 31 S. 233 (im Hinblick auf die Vorfrage der J u g e n d ) .

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Die Einsichtsnebenfrage.

ein Zweifel über Taubstummheit usw. bei den Geschworenen in Betracht käme und demnach die vorbereitende Frage zu stellen wäre, hätte das Gericht mit einfacher Mehrheit zu entscheiden. II. D i e E i n s i c h t s f r a g e b e i J u g e n d . Die Jugend hat gegenüber der Taubstummheit insofern eine besondere strafrechtliche Bedeutung, als sie dem Täter Strafmilderung wirkt (§ 57 StGB), mit dem prozessualen Privilegium der Einsichtsfeststellung also ein Strafprivilegium sich verbindet und als Freisprechung wegen mangelnder Einsicht das Gericht vor die Frage der Zwangserziehung usw. stellt (§ 56 Abs. 2 StGB). Auch aus diesen Gründen und nach diesen Richtungen hin, nicht nur zur Bestimmung der Zurechnungsfähigkeit, besteht Feststellungsbedürfnis , dem Richterurteil und Geschworenenspruch genügen müssen. 1. Ein Richterkollegium stimmt über die Schuldfrage ungetrennt ab, behandelt die Einsicht als nicht ausscheidbaren Bestandteil der Zurechnungsfähigkeit. Gerade deshalb erfordert Verneinung der Schuld im Hinblick auf die Mafsregel der Zwangserziehung usw. die fernere Feststellung: Ist Einsichtsmangel Grund der Schuldverneinung? Eine besondere Abstimmung über diese Frage wird natürlich nur dann notwendig, wenn nicht der Meinungsaustausch bei der richterlichen Beratung bereits Einverständnis ergeben hat. Zur Feststellung des Einsichtsmangels genügt einfache Mehrheit. Ist die Altersfrage zweifelhaft, so ist darüber nicht vor der Schuldfrage abzustimmen, denn diese hat ganz dieselbe Bedeutung für jugendliche und für erwachsene Angeklagte. Da nach Verneinung der Schuld dem Gerichte die weitere Aufgabe erwächst, über mangelnde Einsicht des Jugendlichen als Grund der Schuldfragverneinung und als Voraussetzung für Zwangserziehung usw. zu befinden, so mufs nunmehr, an dieser Stelle, ein Zweifel über das Alter vorab gelöst werden. Zur Verneinung der Jugend genügt einfache Mehrheit. Aber auch Bejahung der Schuld nötigt das Gericht zu bestimmter Entscheidung über das Alter. Denn die Einsicht des Jugendlichen ist nach § 56 StGB, wie die des Taubstummen nach § 58, in den Gründen des Urteils zu konstatieren. Der Jugendliche hat ferner das Strafprivilegium des § 57. Die Jugend als Strafmilderungsgrund wird von der Bestimmung des § 262 StPO mit umfafst, es bedarf daher zu ihrer Verneinung der Zweidrittelmehrheit.

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Somit gestaltet sich für die Altersfrage, je nachdem Verneinung oder Bejahung der Schuld voraufgegangen ist, das Mehrheitserfordernis verschieden und es erhellt mit voller Sicherheit, dafs nicht erst über das Alter, dann über die Schuld votiert werden kann. Wiederum wird durch die materiellrechtliche Theorie der Einsicht andere Fragenfolge bedingt. Alterszweifel ist an erster Stelle durch Abstimmung zu beheben, denn er macht den Inhalt der Schuldfrage zweifelhaft. Und da die Jugend ein weiteres Schulderfordernis mit sich bringt und zugleich Strafmilderungsgrund ist, so kann sie nur mit Zweidrittelmehrheit verneint werden. Wird die Jugend und dann auch die Schuld bejaht, so mufs die Einsicht in den Urteilsgründen konstatiert werden und es trifft den Täter die mildere Strafe des Jugendlichen. Folgt der Annahme der Jugend die Verneinung der Schuld, so ist nun über Einsichtsmangel als Freisprechungsgrund und eventuell über die Mafsregel der Zwangserziehung usw. zu entscheiden. 2. Die obligatorische Einsichtsnebenfrage des schwurgerichtlichen Verfahrens ist denselben Einwendungen ausgesetzt, die für den Fall der Taubstummheit erhoben wurden 10 . Die stückweise Erledigung der Schuldfrage ist materiellrechtlich und prozessual unrichtig. Trotzdem mufste hier der Gesetzgeber in diesem Sinne bestimmen. Denn der Mangel der Wahrspruchsbegründung würde sonst dem Gerichte die Entscheidung über Zwangserziehung unmöglich machen, die ja nur am Platze ist, wenn der Jugendliche wegen fehlender Einsicht freigesprochen wurde (§ 56 Abs. 2 StGB). So zeigt sich hier an einem einzelnen Punkte das unabweisliche Bedürfnis, den Schwurgerichtsprozefs so umzugestalten, dafs motivierte Wahrsprüche erzielt werden. Vorbereitende Altersnebenfrage ist unzulässig n . Denn es müfste ja doch in jedem Falle die Einsichtsfrage beantwortet 10 Die Einsichtsnebenfrage wurde auch erfordert von Hess.-Darmst. 1848 Art. 169 u. 1865 Art. 365, Preufs. 1852 Art. 83 u. 1867 § 320, Frankf. 1856 A r t . 237, Oldenb. 1857 Art. 327 § 2, Brem. 1870 § 489. Bestimmend dafür code d'instr. art. 340 („L'accusé a-t-il agi avec discernement"?) in Verbindung mit art. 66 c. pén. 11 Α. Α. ν. B a r , Recht und Beweis usw. S. 234, 235; L ö w e - H e l l w e g zu § 298 Bern. 4; B e n n e c k e - B e l i n g S. 558; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 56 Bern. 15 u. A. Auch nach der Rechtsprechnng des französ. Kass.-Hofs ist die Jury mit der Alter s Vorfrage befafst, vgl. zahlreiche Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 340; C h a u v e a u et H é l i e , Théor. du code pén. I p. 183.

§ 25.

Die Einsichtsnebenfrage.

werden. Nicht anders, wie bei einer Vorfrage über Taubstummheit! Die strafmildernde Wirkung der Jugend legt allerdings den Gedanken nahe, den Altersentscheid den Geschworenen zu überweisen. aber es ist solche Befragung prozessualisch nicht zu realisieren 1 2 . Vielmehr hat über zweifelhaftes Alter das Gericht vor Aufstellung der Schuldfragen abzustimmen13, denn die Einsicht nur des J u g e n d l i c h e n ist besonders zu erfragen. Dabei ist Verneinung der Jugend, weil diese auch Strafmilderung wirkt, an Zweidrittelmehrheit geknüpft (bei der Besetzung der Richterbank mit drei Richtern freilich tatsächlich bedeutungslos). Verneinung der Einsichtsfrage führt zum Entscheid über Zwangserziehung usw., ihre Bejahung sichert dem Angeklagten mildere Strafe. Ein Antrag auf Vorlegung der Einsichtsfrage steht, da das Gericht über die Vorfrage des Alters entscheidet, auch in tatsächlicher Hinsicht zu dessen Prüfung, ist nicht nur aus Rechtsgründen (§ 296) ablehnbar. Mit der Einsichtsfrage ist Hinweis auf § 56 StGB zu verbinden. Nach der materiellrechtlichen Theorie wäre vorbereitende Nebenfrage an die Geschworenen unbedenklich. Die Jugend des Angeklagten gibt für ihn der Schuldfrage einen andern Inhalt. So erscheint sachgemäfs, auch mit der Vorfrage, wenn mit einem Zweifel hierüber bei den Geschworenen zu rechnen ist, diese, die Richter der Schuld, zu befassen. Verneinung der Jugend durch die Geschworenen erfordert dann Zweidrittelmehrheit, weil dieser Entscheid die Schuldfrage zu ungunsten des Angeklagten tangiert 12 Die Aufstellung einer Alters n e b e η frage scheitert an dem im Text angeführten Grunde. y. K r i e s , Lehrbuch S. 610 will mit Haupt-und Hilfsfrage („schuldig, zu einer Zeit, als er das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte" usw.; „zu einer Zeit, als er das zwölfte, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte" usw.) helfen. Allein der Zweifel über konkrete Tatmomente, die für den Verbrechensbegriff unwesentlich sind, kann nicht eine Hilfsfrage begründen; diese mufs eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende Beurteilung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat ergeben (§ 294). Die von K r i e s angeführte Analogie mit dem Zweifel, ob im Inlande oder Auslande, unter der Herrschaft des älteren oder neueren Strafgesetzes delinquiert worden ist, besteht nicht. Denn in diesen Fällen erwächst den Geschworenen für jedes Glied der Alternative eine verschiedene Subsumtionsaufgabe, während die Altersfrage das anzuwendende Strafgesetz unberührt läfst. 13 Übereinstimmend D a l c k e , Fragestellung S. 99, 100; J o h n , Komm. Bd. I I S. 367.

§ 2.

e e n f r a g e n auf Strafauheungsgründe.

und ihm das Strafprivilegium des § 57 entzieht. Wird Einsichtsfrage gestellt, so mufs auf Antrag (einer Partei oder eines Geschworenen) auch die Altersvorfrage gestellt werden; für diese letztere Nebenfrage als solche gilt die Analogie des § 296 (Ablehnbarkeit nur aus Rechtsgründen). Dagegen steht ganz zur Entscheidung des Gerichts, ob Einsichtsfrage zu stellen sei; Antrag darauf ist auch aus tatsächlichem Grunde, indem höheres Alter des Angeklagten dem Gerichte als zweifellos gilt, abweisbar. Dem Gerichte kann nicht die Einsichtsfrage für einen Sechzigjährigen usw. abgenötigt werden! Wird die Einsichtsfrage ohne die Altersvorfrage gestellt, so empfiehlt sich parenthetische Bezugnahme auf § 56 StGB. III. Die Strafnebenfragen.

Sie zerfallen nach dem Gesetz in zwei Klassen. Die erste wird gebildet durch die Nebenfragen nach Strafaufhebungsgründen, § 295 Abs. 2, die zweite nur durch die Frage nach mildernden Umständen, § 297 StPO. Doch mufste in Ergänzung des Gesetzes noch Nebenfrage auf den Strafausschliefsungsgrund der Retorsion hinzugefügt werden. § 26. D i e N e b e n f r a g e n a u f S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e . Es sind die Fragen nach solchen Strafaufhebungsgründen, die das Gesetz für einzelne Delikte aufstellt, also nach Widerruf beim fahrlässigen Falscheide, § 163 Abs. 2 StGB, freiwilliger Aufgabe des Zweikampfs, § 204, ernstlichem Bemühen eines Kartellträgers zur Verhinderung des Zweikampfs, § 209, Löschen des selbstgestifteten Brandes, § 310, rechtzeitiger Anzeige vom Komplott seitens eines Beteiligten, § 5 Abs. 3 Spion.-Ges., nicht nach Rücktritt vom Versuch, § 46, wodurch vielmehr ein noch nicht definitiv schuldhaftes Tun definitiv schuldlos wird. Ein Zweifel könnte bei § 209 für den Fall erhoben werden, dafs der Kartellträger sich schon vor Überbringung der Forderung durch Abmahnen seines Auftraggebers um die Verhinderung des Duells bemüht hätte. Wäre er dann nicht von vornherein straflos ? Allein er ist Kartellträger und damit strafbar erst und sofort durch Ausrichtung des Auftrags geworden und kann sich nur durch nachträgliche Bemühung Straflosigkeit verschaffen 1. 1

So RG 2. Str.-S. E. Bd. 17 S. 243 f., 3. Str.-S. E. Bd. 22 S. 218 f.

§ 2.

e e n f r a g e n auf Strafauheungsgründe.

209

I. Der Strafaufhebungsgrund wirkt bald nur in der Person dessen, der die straftilgende Tätigkeit vorgenommen hat, bald auch für die andern Beteiligten. Dafs das Bemühen des Kartellträgers nur ihm zu gute kommt, versteht sich. Ebenso nützt das Löschen des vorsätzlich gestifteten Brandes nicht dem Komplizen, kann aber auch vom Anstifter mit strafbefreiender Kraft für ihn ausgehen, ebenso vom Gehülfen 2. Der fahrlässige intellektuelle Urheber eines Falscheides, also der mittelbare Täter, wird straffrei, wenn er den fahrlässigen unmittelbaren Täter zum Widerrufe bestimmt hat 3 . Der fahrlässige intellektuelle Urheber einer Brandstiftung wird straflos, wenn er den Brand rechtzeitig gelöscht hat, nicht dadurch, dafs es der fahrlässige unmittelbare Täter getan hat 4 . Und umgekehrt ! Freiwillige Aufgabe des Zweikampfes vor dessen Beginn schafft auch den Kartellträgern, § 204, Straflosigkeit. Ein nur persönlich wirkender Strafaufhebungsgrund erledigt sich ohne Schwierigkeit. Aus seiner Annahme folgt für einen bestimmten Angeklagten Verneinung der Hauptfrage oder Bejahung der Nebenfrage. Kann derselbe Aufhebungsgrund für mehrere Angeklagte in Betracht kommen (gemeinsames Löschen des Brandes z. B.), so ist eine Mehrheit von Nebenfragen unbedenklich. Anders bei einem Strafaufhebungsgründe von objektiver Wirkung, wie freiwilliger Aufgabe des Zweikampfs durch die Parteien vor dessen Beginn. Stehen die mehreren Beteiligten zugleich unter Anklage, so ist, zivilprozessualisch ausgedrückt, die passive Streitgenossenschaft insofern qualifiziert, als die strafaufhebende Tatsache allen Angeklagten gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann. Ein vollkommener Widerspruch wäre, die Aufgabe des Zweikampfs für einen Beteiligten, z. B. eine Partei, zu bejahen, für einen andern, z. B, einen Kartellträger, zu verneinen. Der Fragmodus mufs so eingerichtet werden, dafs die Antworten, wie immer sie lauten, miteinander verträglich sind. 2

Binding,

Lehrbuch I I 2 S. 20; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t

zu § 310

Bern. 6. 3

Die Textbehauptung folgt des § 158 dem Anstifter zustatten hat (so B i n d i n g , Lehrbuch I I 2 4 „Täter" in § 310 ist auch B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

aus der Tatsache, dafs die Strafermäfsigung kommt, falls dieser den Widerruf veranlafst S. 162). der mittelbare Täter.

G l as e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

14

§ 2.

e e n f r a g e n auf Strafauheungsgründe.

Es dürfen nicht mehrere voneinander unabhängige Nebenfragen auf den Strafaufhebungsgrund gerichtet werden, da sonst die Möglichkeit der Bejahung und Verneinung usw. zugleich sich ergäbe. Vielmehr wird Nebenfrage nur betreffs der ersten Hauptfrage einfach für den Fall der Schuldbejahung gestellt, während beim folgenden Angeklagten die Nebenfrage nur in Betracht kommt, wenn die Schuld des Vormanns verneint wurde usw. Bejahung der Nebenfrage für einen Angeklagten nötigt zur Verneinung der nachfolgenden Schuldfragen betreffs der übrigen mitbetroffenen Angeklagten, da der Bestand des Strafaufhebungsgrundes für sie im voraus feststeht. Dem mittelbaren Täter fahrlässigen Falscheides nützt nicht der blofse Widerruf seitens des unmittelbaren Täters, sondern nur der von ihm veranlafste Widerruf. Auf den letztern Tatbestand aber scheint eine Nebenfrage nicht gestellt werden zu können, da das Strafgesetz (§ 163 Abs. 2) selbst ihn nicht ausdrückt. Es müfste dann bei der Hauptfrage bewenden, unter Belehrung der Geschworenen, dafs sie bei Annahme des — analog konstruierten — Strafaufhebungsgrundes zu verneinen hätten. Allein das Recht der Prozefsbeteiligten auf Nebenfrage, § 196 StPO, mufs doch auch in diesem Verhältnisse anerkannt werden. Und es wird öfters die zutreffende Würdigung des Strafaufhebungsgrundes und die getrennte Abstimmung darüber nur durch Aufstellung einer Nebenfrage gesichert sein. Daher ist solche zuzulassen in analoger Anwendung des Gesetzes und unter Aufnahme des „Veranlafsthabens" in die Fragformel. I I . Die Strafnebenfrage geht auf die strafaufhebende Tatsache, nicht auf Strafaufhebung durch die Tatsache. Die Selbsttäuschung des Gesetzgebers, dafs die Geschworenen hier über die Schuld entschieden, darf nicht aufgedeckt werden durch die Art der Fragenformulierung, für die vielmehr die gesetzliche Auffassung, so falsch sie auch ist, den Ausschlag geben mufs. Es ist freilich eine starke Zumutung an das fragende Gericht, den leidigen Widerspruch im Gesetz loyal zu dissimulieren. Keineswegs richtet sich übrigens die Frage auf eine sogenannte nackte Tatsache. Denn die Geschworenen haben unter den gesetzlichen Strafaufhebungsgrund zu subsumieren und die Frage zu verneinen, wenn sie dessen Wirksamkeit für diesen Angeklagten vermissen. In der Nebenfrage liegt die Nötigung zu spezieller Erwägung des Aufhebungsgrundes und zu getrennter Abstimmung darüber.

§ 26. Die Nebenfragen auf Strafaufhebungsgründe.

211

Es wird so verhindert, dafs die Geschworenen die Schuld- und die Strafaufhebungsfrage in einer Abstimmung erledigen 5. Trotzdem kann es nach Lage der Sache zweckmäfsiger sein, die Nebenfrage zu unterlassen, wenn z. B. einer Neigung der Geschworenen zu unverdienter Freisprechung durch den besonderen Hinweis auf den vielleicht sehr zweifelhaften Strafaufhebungsgrund eine Handhabe geliefert würde. In jedem Falle aber, mag Nebenfrage gestellt werden oder nicht, wird durch die Überweisung der Kognition an die Geschworenen die Straffrage zerrissen. Während korrekterweise nach Bejahung der Schuld in einer Abstimmung zu entscheiden wäre, ob ein Strafanspruch besteht oder durch irgendwelche Strafausschliefsungs- oder Strafaufhebungsgründe beseitigt ist, bleiben dem Gericht nur die von den Geschworenen noch nicht erledigten Straffragbestandteile. Verneint die Majorität eines Richterkollegiums die Strafbarkeit teils wegen Verjährung der Strafverfolgung, teils wegen tätiger Reue, so ist Freisprechung geboten. Im Geschworenenverfahren aber kann es, obwohl sämtliche Richter Straflosigkeit annehmen, doch zur Verurteilung kommen, weil der eine Strafaufhebungsgrund ihrer Kognition entzogen ist. Nicht im gleichen Mafse verkehrt, wenn auch immerhin fehlerhaft genug, ist die Überweisung des fakultativen Strafaufhebungs- (und Ausschliefsungs-)grundes der Retorsion an die Geschworenen. Denn es versteht sich, dais auch das Gericht nicht deshalb die g e s e t z l i c h e Strafbarkeit verneinen könnte, vielmehr erst nach deren Bejahung in die Ermessensentscheidung einzutreten hätte, ob dem Angeklagten Strafnachlafs zu bewilligen wäre. Aber es hätte füglich auch die hierfür präjudizierende Vorabstimmung über die Voraussetzungen der Retorsion dem Gericht belassen werden sollen. Wird Nebenfrage nicht gestellt, während doch nach der Verhandlung der Strafaufhebungsgrund in Betracht kommen kann, so sind die Geschworenen nachdrücklich darüber zu belehren, dafs sie zuerst die eigentliche Schuldfrage zu beantworten und dann erst über den Aufhebungsgrund abzustimmen haben. 6 Bei D a l c k e zu § 295 Bern. 6 und P u c h e l t § 295 Bern. 5 findet sich der Irrtum, dafs die Geschworenen über Strafaufhebungsgründe nur bei besonderer Befragung danach zu kognoszieren hätten, also die Hauptfrage nicht deshalb verneinen dürften. Vgl. dagegen auch B e n n e c k e - B e l i n g S. 554 Anm. 15. 14*

§ 2.

e e n f r a g e n auf Strafauheungsgründe.

Einer die Schuld verneinenden Minorität wird in keinem Falle, mag Nebenfrage hinzugefügt werden oder nicht, durch dieses ihr Votum die Stellungnahme zum Strafaufhebungsgründe verschränkt 6. Es sind z. B. vier Geschworene überzeugt, dafs ein anderer als der Angeklagte den Brand gestiftet und rechtzeitig wieder gelöscht habe : sie werden demnächst den Auf hebungsgrund bejahen ; würden sie dagegen annehmen, dafs der andere, der ihrer Überzeugung nach der Brandstifter war, den Brand überhaupt nicht oder zu spät gelöscht hätte, so müfsteu sie eben die Löschung verneinen. Bei Abstandnahme von einer Nebenfrage wird nicht, wie manche meinen, der Strafaufhebungsgrund in die Hauptfrage aufgenommen7, sondern dessen Erwähnung ganz unterlassen. Wie könnte ohne Not eine Frage als Schuldfrage gefafst werden, deren glatte Bejahung die Freisprechung des Angeklagten bedingte? Wird hingegen der Strafaufhebungsgrund in einer Nebenfrage genannt, so ist damit der Vorbehalt ausgedrückt, unter dem Bejahung der Hauptfrage als Schuldigsprechung erscheint, Widerspruch also vermieden. I I I . Die Bejahung der Nebenfrage wirkt klagverneiuend, nicht klagbessernd. Die Parteien und die Geschworenen können die Vorlegung der Nebenfrage erzwingen, sofern nicht Reclitsgründe entgegenstehen, § 296 StPO. Das Gericht stellt sie „geeignetenfalls" (§ 295 Abs. 1) ex officio, wenn die Verhandlung genügende Anhaltspunkte für den Strafaufhebungsgrund geliefert hat. Also hier wieder doppelte Ermessensentscheidung, ob die Tatsache selbst indiziert erscheint und eventuell besondere Frage danach am Platze ist. IV. Ein Zusammentreffen der verschiedenen Formen tätiger Reue (Löschen, Widerruf usw.) und insofern eine Konkurrenz von Strafaufhebungsgründen im Sinne des § 295 bei demselben Tatbestand ist nach Lage des materiellen Rechts unmöglich. Regelmäfsig kann auch nicht alternativ der eine oder andere Aufhebungsgrund in Frage kommen. Aber bei Anklage gegen einen Kartellträger ist ein Zweifel darüber, ob die Parteien den Zweikampf vor Beginn freiwillig aufgegeben hatten oder nur der Kartellträger ernstlich bemüht war, ihn zu verhindern, nicht ausgeschlossen8. 6

A. A. L ö w e - H e l l w e g § 295 Bern. 9b. Richtig L ö w e - H e l l w e g § 295 Bern. 9 b ; S t e n g l e i n das. Bern. 1; U l i m a n n S. 520. K r i e s S. 612 w i d e r r ä t nur die Aufnahme in die Hauptfrage. 8 § 209 setzt nicht voraus, dafs der Zweikampf stattgefunden hat. 7

§ 2.

e e n f r a g e n auf Strafauheungsgründe.

213

Öfter könnte eine solche Alternative auftreten, wenn der Rücktritt vom Versuch zu den Strafaufhebungsgründen gerechnet werden müfste (Rücktritt oder tätige Reue?). So scheint bisweilen für das Gericht ein böses Dilemma zu entstehen: nach mehreren Auf hebungsgründen getrennt zu fragen und dadurch vielleicht die Verneinung aller zu bewirken, obwohl mehr als ein Drittel der Geschworenen oder gar deren Majorität den einen oder andern annimmt; oder besondere Fragen zu unterlassen und nun zu riskieren, dafs bei der Abstimmung zur Hauptfrage die schuld- und strafverneinenden Vota addiert werden. Indessen wird, wenn besondere Befragung zweckmäfsig oder geboten erscheint, der erstere Mifsstand durch alternative Vereinigung der mehrern Aufhebungsgründe in derselben Frage vermieden. Die Alternative ist unbedenklich, da die Bejahung jedes Fragegliedes die gleiche Rechtswirkung, Nichtanwendung eines bestimmten Strafgesetzes, hat. Auch wenn der Kartellträger mit den übrigen Beteiligten, den Parteien usw., zugleich unter Anklage steht, kann diese Alternativfrage für ihn in Betracht kommen. Allerdings läfst sich der Aufhebungsgrund des § 204 allen Angeklagten gegenüber nur einheitlich, also nicht für einen von ihnen schlechthin, für den andern nur in alternativer Weise feststellen. Allein die Nebenfrage für den Nachmann, hier die alternative Nebenfrage, hätte ja zur Voraussetzung, dafs die Schuldfrage betreffs des Vormannes (der Vormänner) verneint, die Nebenfrage (einfache Nebenfrage) für diesen also nicht beantwortet wurde, oder aber die vorgängige Hauptfrage bejaht, die vorgängige Nebenfrage verneint wurde. Die Verneinung einfacher Nebenfrage (wegen Zweikampfaufgabe) beim Vormann (der Partei) stände nicht in Widerspruch mit der Bejahung alternativer Nebenfrage (wegen Zweikampfaufgabe oder Hinderungsbemühens) beim Nachmanne (dem Kartellträger). V. Beim Meineide bewirkt tätige Reue nur teilweisen Straffortfall, § 158 StGB. Dieser Teilstrafaufhebungsgrund wird im schwurgerichtlichen Verfahren wie ein Privilegierungsgrund behandelt Ausdrückliche Befragung der Geschworenen ist daher geboten. Das kann entweder in einer Nebenfrage geschehen oder durch Aufnahme des Umstandes in die Hauptfrage (etwa in der Form: Ist der Angeklagte schuldig, falsch geschworen, die Aussage jedoch widerrufen zu haben?), womit dann ein entsprechendes privilegiertes Delikt gewissermafsen fingiert wird. Den letztern Modus ebendeshalb — wegen der ent-

214

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

stehenden Fiktion — auszuschliefsen, geht nicht an, weil im § 295 dem Gerichte die Wahl allgemein freigegeben ist. Trifft der unechte Privilegierungsgrund mit einem der echten des § 157 StGB zusammen, so ist zwar nicht mehrfache Strafreduktion möglich, aber doch Befragung der Geschworenen in beiden Richtungen geboten, weil die Konkurrenz für die Strafzumessung erheblich und es Sache der Geschworenen ist, ob sie den einen oder andern oder beide Gründe feststellen wollen. Alternative Befragung wäre unzulässig, da sie Verbindung eines echten mit einem unechten Privilegierungsgründe, also Gleichstellung von Schuld- und Straffragbestandteilen enthielte. § 27. D i e N e b e n f r a g e nach m i l d e r n d e n U m s t ä n d e n . Die Überweisung dieser Frage an die Geschworenen im § 297 1 ist sachlich verkehrt und Quelle mancher formeller Schwierigkeiten 2 . I. Die Annahme mildernder Umstände durch die Geschworenen gibt dem Gericht keinen Aufschluss darüber, in welchen konkreten Tatmomenten jene gefunden wurden. Leicht möglich, dafs die Geschworenen selbst sich darüber Rechenschaft nicht gegeben und lediglich nach einem tumultuarischen Gesamteindruck entschieden haben. Soll nun das Gericht zu erraten suchen, welche Umstände den Geschworenen vorgeschwebt haben könnten, und bei der Strafzumessung das Gewicht dieser Momente abschätzen? Das wäre ein unerfüllbares Verlangen. Es bleibt nur übrig, dafs das Gericht in dem durch die Annahme mildernder Umstände bestimmten Strafrahmen die Strafe selbständig zumifst. Dabei ist's möglich, 1 Ebenso früher Preufs. 1852 Art. 84, 1867 § 321, Oldenb. 1857 Art. 327 § 1, Wald. Ges. v. 15. Mai 1855 Art. X X (Oldenb. und Wald, hatten das preufs. StGB v. 14. April 1851, mit ihm das Institut der mildernden Umstände in der Weise des französischen Rechts eingeführt). Code d'instr. art. 341 weist den Entscheid den Geschworenen zu, doch nicht i n Form einer Antwort auf besondere Frage, sondern eines Zusatzes zur Bejahung der Hauptfrage; der Präsident hat die Jury über ihr Recht, mit einfacher Mehrheit mildernde Umstände festzustellen, bei Strafe der Nichtigkeit zu belehren. Wenn infolge des Verdikts die als Verbrechen qualifizierte Tat auf ein Vergehen sich reduziert, so geht die Bestimmung über mildernde Umstände auf den Gerichtshof über; vgl. G a r r a u d , Précis η. 246; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 341 Bern. 27 f. Nur bei Prefsvergehen bleibt diese Zuständigkeit der Jury; F a b r e g u e t t e s , Traité des infractions de la parole Bd. I S. 498. 2 Vgl. auch P e t e r s o n in Goltd. Arch. Bd. 28 S. 409f.

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

dafs Umstände, die den Geschworenen als mildernd galten, vom Gericht nicht als Milderungsgründe, vielleicht umgekehrt als StraferhöhuDgsgründe erachtet werden. Ein solches in sich zwiespältiges Urteil ist alles andere als gerecht. Haben die Geschworenen mildernde Umstände verneint, während das Gericht sie bejaht hätte, so wird die Strafe dem normalen Minimum sich nähern, also vom Standpunkte der Geschworenen zu gering, nach der innern Überzeugung des Gerichts schon zu hart ausfallen. Also wiederum ein doppelzüngiges und jedenfalls ungerechtes Urteil! Diese Einwendungen gegen das Gesetz sind so handgreiflich, dafs ihr Übersehen kaum verständlich erscheint. Wie war es möglich, von dem einen Gerichtshof einen abstrakten Ausspruch über Dasein oder Nichtdasein von Strafzumessungsgründen zu erfordern, dem andern die konkrete Strafzumessung zu übertragen? I I . Nur mit dem Entscheid über mildernde Umstände, nicht auch mit den verwandten Strafzumessungsaufgaben, „minder schwere", „besonders leichte" Fälle festzustellen (§§ 94, 96; 57 N. 4 StGB) sind die Geschworenen befafst 3. I I I . Soweit das Gesetz mildernde Umstände berücksichtigt, mufs Nebenfrage danach auf Verlangen des Staatsanwalts, des Verteidigers oder des Angeklagten und kann ex officio gestellt werden, § 297. Die Geschworenen haben Antragsrecht nicht. Die Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn mildernde Umstände nur bei teil weiser V e r n e i n u n g der Hauptfrage in Betracht kommen würden, indem dann ein mildernde Umstände zulassendes Delikt restierte. Es trifft dies in zwei Fällen zu : die Hauptfrage ist auf das qualifizierte Delikt gerichtet, während das einfache mildernde Umstände kennt; die Hauptfrage geht auf ein Delikt, aus dem bei Verneinung eines Tatumstandes ein koordinierter mildernde Umstände anerkennender Tatbestand sich ergibt (Mord — Totschlag). Die Nebenfrage ist zu stellen für den Fall, dafs die Hauptfrage bejaht, der betreffende Tatbestandteil (die Qualifikation, die Überlegung bei der Ausführung) aber verneint werden sollte. 3

Unrichtig D a l c k e , Fragestellung S. 55. In früheren Gesetzen wurde die Beurteilung der „besonders leichten", „minder schweren" Fälle zuweilen ausdrücklich von der Geschworenenzuständigkeit ausgenommen: Hann. 1850 § 188 Abs. 9, 1859 § 194 Abs. 9; Hamb. 1869 § 211 Abs. 6 usw.

216

§ 27.

Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

Statt der Hauptfrage auf qualifiziertes Delikt kann solche auch auf das einfache gerichtet und eine Nebenfrage wegen des Qualifikationsgrundes hinzugefügt werden, wobei dann die Frage der mildernden Umstände durch die Bejahung der ersten, die Verneinung der zweiten Frage bedingt ist. Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagter können diesen Fragmodus erzwingen (§ 296), aber es ist ihr Recht auf die Frage nach mildernden Umständen nicht davon abhängig, dafs zugleich die Verweisung der Qualifikation in eine Nebenfrage von ihnen begehrt wird. Die Parteien brauchen auch die Voraussetzung, unter der nach mildernden Umständen gefragt werden soll (teilweise Bejahung, teilweise Verneinung usw.) nicht selbst zu formulieren. Die Zulässigkeit der beantragten Frage unterliegt immer der richterlichen Offizialprüfung. Aber es können natürlich die Parteien ihren Antrag auf eine von mehreren Eventualitäten beschränken. IV. Annahme mildernder Umstände für das einfache Delikt spricht solche nicht auch dem qualifizierten zu. Bejahung für das qualifizierte ist nicht zugleich Bejahung für das einfache Delikt. Es ist keineswegs ein Widerspruch, dem qualifizierteu Raube mildernde Umstände zuzubilligen, dem in ihm steckenden einfachen Raube aber nicht, oder umgekehrt. Sehr bedauerlich bleibt freilich die verkehrte Bemessung der Strafgrenzen in den §§ 249, 250 StGB und sonst: qualifizierter Raub unter Annahme mildernder Umstände dürfte in keinem Falle leichter gestraft werden als einfacher Raub mit Ausschlufs derselben. Hiernach kann, wenn mildernde Umstände für beide Delikte, das einfache und das qualifizierte, zugelassen sind, die Frage für beide Fälle — Annahme des qualifizierten oder des einfachen Delikts — oder nur für einen dieser Fälle gestellt werden. Nimmt die Hauptfrage die Qualifikation in sich auf, so genügt, wenn in beiden Beziehungen nach mildernden Umständen gefragt werden soll, e i n e Nebenfrage, die Beantwortung erheischt sowohl im Falle voller Bejahung der Hauptfrage als der Bejahung unter Ausschlufs der Qualifikation. Bei Ausscheidung der Qualifikation in eine Nebenfrage ist unter gleicher Voraussetzung nach mildernden Umständen zu fragen für den Fall der Bejahung der Hauptfrage und der qualifizierenden Nebenfrage oder nur der erstem. Mifsverständlich wäre, die mildernden Umstände einfach für den Fall der Bejahung der Hauptfrage zu erfragen, obwohl ja die Feststellung erfolgen soll, wie immer die qualifizierende Nebenfrage beantwortet wird. Denn es

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

können nicht mildernde Umstände für das einfache Delikt trotz Annahme der Qualifikation bejaht werden. Soll sich gegenüber einer die Qualifikation mit einschliefsenden Hauptfrage die Befragung auf die eine Eventualität — Feststellung des einfachen oder aber des qualifizierten Delikts — beschränken, so ist diese Voraussetzung klar erkennbar zu machen. Unter allen Umständen mufs die Frage den Schuldnebenfragen nachfolgen. V. Bei Teilnahme am Delikt ist die Frage keineswegs notwendig für alle Angeklagten zu stellen 4 . Mildernde Umstände können bei dem einen Beteiligten vorliegen, beim andern fehlen. Auch die Konkurrenz von Haupt- und Hilfsfrage nötigt nicht, wenn beide Tatbestände mildernde Umstände zulassen, für jedes Delikt danach zu fragen 5. Soll es geschehen, so genügt e i n e , für den Fall der Bejahung der Haupt- oder Hilfsfrage zu beantwortende Nebenfrage. VI. Unbedingt darf nach dem Gesetz die Frage nur auf mildernde Umstände schlechthin, nicht auf bestimmte Strafzumessungsgründe gerichtet werden. VII. Idealkonkurrenz ist Verbrechensmehrheit. Es ist daher bei gleichartiger und bei ungleichartiger Idealkonkurrenz richtig, für jedes der ideell konkurrierenden Delikte die Frage nach mildernden Umständen, deren gesetzliche Berücksichtigung vorausgesetzt, gesondert zu stellen 6 . Die Frage kann sehr wohl bei dem einen Delikt indiziert sein, bei dem andern nicht. Das Gericht ist nicht genötigt, wenn die Frage von der Partei nur für ein Delikt beantragt wird, sie ex officio auch bei dem andern zu stellen. Die Geschworenen können die Frage bei einem Delikt bejahen, beim andern verneinen. Die mildernden Umstände werden erfragt für den Fall der Bejahung der Frage Ia, der Frage l b usw. Aber es wird eingewandt werden, das Gesetz nehme bei Idealkonkurrenz nur eine Handlung an, lasse Beschränkung von Idealkonkurrenz auf Deliktseinheit und umgekehrt die Erweiterung des Tatbestandes um ein ideell konkurrierendes Delikt nicht als Klagänderung gelten. Bei e i n e r Handlung aber könnten doch 4

Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g § 297 Bern. 3. RG 3. Str.-S. R. V I I S. 471. 6 Richtig H ü c k i n g in Goltd. Arch. Bd. 34 S. 232; K ö h l e r , Grenzlinien zwischen Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz S. 163 f. 5

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

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mildernde Umstände nur vorliegen oder fehlen, nicht teilweise vorhanden sein; es müsse daher die Frage, wenn bei allen Delikten zulässig, auch bei allen gestellt und zwar im ganzen gestellt werden, so dafs Bejahung oder Verneinung nur einheitlich möglich sei. Von diesem Standpunkte aus wäre ein Verdikt in sich widersprechend, das mildernde Umstände bei einem Delikt bejahte, beim andern verneinte 7 . Ja es müfste auch in dem Falle die Frage einheitlich für alle Delikte gestellt werden, dafs nur eines mildernde Umstände zulassen sollte 8 . Allein gerade in der letztern Konsequenz liegt die bündige Widerlegung des Einwandes. Es dürfen nicht aus der fehlerhaften Behandlung der Idealkonkurrenz im Strafgesetz ohne zwingenden Anlafs weitere an sich unrichtige Folgesätze abgeleitet werden. Theorie und Praxis haben vielmehr die richtige Auffassung überall da zum Durchbruch zu bringen, wo es ohne Verletzung positiver Gesetzesbestimmungen möglich ist. Auch greift das Gericht, wenn es von Amts wegen die Frage nur bei einem Delikte stellt, keineswegs insofern der Lösung der Straffrage vor, als es hierdurch das Delikt erkennbar machte, dessen Strafe nach dem Absorptionsprinzip auszusprechen wäre. Denn es kann die Frage ebensogut bei dem andern Delikt gestellt werden und das Gericht behält auch bei Bejahung aller Delikte, wie immer die Feststellung betreffs mildernder Umstände erfolgt sein mag, in der Beurteilung der Absorptionsfrage völlig freie Hand. V I I I . Anderer Beurteilung unterliegen die mildernden Umstände bei Gesetzeskonkurrenz. Im Falle der Konkurrenz koordinierter Gesetze kann, da nicht Mehrheits-, sondern kombinierte Einheitsfrage gestellt wird, die Nebenfrage den Geschworenen immer nur einheitlich vorgelegt werden, auch wenn nur eines der konkurrierenden Gesetze mildernde Umstände zuläfst 9 . So beim Zusammentreffen von Brandstiftung nach § 306 (mildernde Umstände ausgeschlossen) mit Versicherungsbetrug (mildernde Umstände anerkannt). Für eine einheitliche Tat 7

So RG 2. Str.-S. E. Bd. 5 S. 155 u. Bd. 14 S. 8f., 4. Str.-S. R. X S. 158. Es lag übrigens in allen diesen Fällen Gesetzeskonkurrenz vor und unter diesem Gesichtspunkt waren die Entscheidungen richtig. Wie RG auch L ö w e - H e l l w e g § 297 Bern. 4 c ; D a l c k e S. 104; S t e n g e i n § 292 Bern. 6. 8 So RG 14 S. 11. Richtig hingegen 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 40 S. 148. 9 A. A. B i s e h o f f in Goltd. Arch. Bd. 42 S. 868.

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

läfst sich die Frage nur einheitlich stellen und beantworten. Denn die Prüfung kann nur darauf gerichtet werden, ob nach den gesamten Umständen der Tat die Minderungsgründe vorhanden sind oder nicht. Es entfällt jedoch die Frage dann, wenn die Geschworenen durch teilweise Verneinung der Hauptfrage den Gesetzestatbestand ausschliefsen, der allein mildernde Umstände anerkennt. Für diesen Fall wäre die Beantwortung der Nebenfrage überflüssig (doch nicht im Widerspruche mit der vorangegangenen Antwort). Sie hat nur Bedeutung, wenn die Hauptfrage im ganzen oder doch nach den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen bejaht wird. Ein weiteres Beispiel solcher Konkurrenz ist Kuppelei an der Ehefrau, dem Kinde usw. unter Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe, § 181 N. 1 und 2 StGB, wobei nur in ersterer Hinsicht mildernde Umstände anerkannt sind. Die nicht gewohnheitsmäfsige und nicht eigennützige Kuppelei, von der § 181 ausgeht, wird strafbar, wenn die Momente der Nr. 1 o d e r 2 dieses Paragraphen hinzukommen ; ihr Zusammentreffen ergibt Konkurrenz koordinierter Strafgesetze. Die Feststellung mildernder Umstände ist als solche wirksam, sofern das Gericht nach dem sie zulassenden Gesetze die Strafe zu bestimmen hat. Aber auch, wenn ein mildernde Umstände ausschliefsendes koukurrierendes Gesetz zur Anwendung kommt, ist die Annahme derselben als Strafzumessungsmoment erheblich 10 . Es darf nicht eingewandt werden, die Anerkennung mildernder Umstände scheitere an dem gleichzeitigen Vorhandensein einer sie ausschliefsenden Tatgestaltung. Denn ob das eine oder andere Strafgesetz den Ausschlag gibt, ist erst demnächst vom Gericht zu entscheiden. Da die mildernden Umstände zur Domäne der Geschworenen gehören, so ist ganz in der Ordnung, dafs diese sich unter der Voraussetzung der Anwendbarkeit des mildernde Umstände zulassenden Strafgesetzes darüber aussprechen, wobei die anderweiten Tatmomente mit zu berücksichtigen sind, aber nur als Modalitäten der Tat gesehen unter dem Gesichtspunkt jenes Gesetzes. 10

A. A. B i s c h o f f a. a. 0. S. 367: der Gerichtshof habe den bezüglichen Geschworenenausspruch völlig zu ignorieien. Es kann aber doch nicht gleichgültig sein, dafs der e i n h e i t l i c h en Tat unter dem Gesichtspunkte des mildernde Umstände zulassenden Gesetzes solche auf Frage des Gerichts hin zugebilligt sind. Natürlich läfst sich dem Strafzumessungsmoment ein bes t i m m t e r Einflufs nicht beilegen.

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

220

Gesetzeskonkurrenz liegt auch in einer Mehrheit von Qualifikationen desselben Grunddelikts. In solchem Falle sind die mildernden Umstände erst nach allen Qualifikationen zu erfragen, auch wenn sie nur für eine von ihnen in Betracht kommen sollten. Denn das Vorhandensein weiterer Qualifikationen beeinflufst das Tatbild auch vom Standpunkte des mildernde Umstände zulassenden Gesetzes und fällt daher bei der Prüfung wesentlich mit ins Gewicht. Unbedingt ist die Frage, auch wenn bei allen Qualifikationen zulässig, nur einmal zu stellen. Begeht z. B. ein Beamter in Ausübung seines Amtes vorsätzlich eine Körperverletzung mittels einer Waffe, so sind die Qualifikationen nach § 223a und nach § 340 Abs. 1 begründet, die beide mildernde Umstände zulassen. Bewaffneter Raub unter Marterung eines Menschen dagegen duldet nur in ersterer Hinsicht die Annahme mildernder Umstände; bei der Strafabmessung nach § 251 aber ist mit erheblich, ob für den bewaffneten Raub an sich mildernde Umstände zu bewilligen wären. Das Gericht empfängt aus der Hand der Geschworenen die in den konkurrierenden Strafgesetzen vorgesehenen Deliktstatbestände und empfängt sie, soweit Parteiantrag oder amtliches Ermessen zu dieser Ergänzung führte, mit einem Ausspruch über mildernde Umstände. Auf diesen Grundlagen vollzieht sich dann die Strafbestimmung. Zu einer nachträglichen Befragung der Geschworenen über mildernde Umstände, wenn deren Erheblichkeit bei der Urteilsberatung sich herausstellen sollte, wäre das Gericht aufserstande. IX. Dafs bei jedem von r e a 1 konkurrierenden Delikten die Frage nach mildernden Umständen gesondert zu stellen ist, bedarf kaum der Erwähnung n . Der Deliktseinheit des fortgesetzten Verbrechens hingegen und der künstlichen Verbrechenseinheit, sofern sich beide in gleichartigen Tatakten äufsern, entspricht generelle, auf die Tat im ganzen und alle einzelnen Tatakte bezügliche Nebenfrage 12. Lassen ungleichartige (unter verschiedene Gesetzesbestimmungen zu subsumierende) Tatakte mildernde Umstände nur zum Teil zu, so hat die Nebenfrage zur Voraussetzung Bejahung der Hauptfrage im ganzen oder doch nach den entsprechenden Tatakten. X. Da im Gesetz eine Ausnahme nicht gemacht ist, so mufs 11 12

Vgl. auch RG Fer.-S. E. Bd. 2 S. 227. Vgl. auch RG 4. Str.-S. E. Bd. 34 S. 241.

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

der Entscheid über mildernde Umstände den Geschworenen auch dann überwiesen werden, wenn es sich um rückfälliges Verbrechen handelt, obwohl über die Voraussetzungen des Rückfalls das Gericht zu kognoszieren hat. Diese Sachbehandlung ist gleichmäfsig verkehrt, mögen mildernde Umstände nur bei dem durch Rückfall qualifizierten oder auch beim einfachen Delikt anerkannt sein. Zunächst mag der letztere Fall ins Auge gefafst werden. 1. Verneinung der mildernden Umstände für das einfache Delikt, z. B. Betrug nach § 263 Abs. 2 StGB, hat deren Verneinung für das rückfällige Verbrechen, § 264 Abs. 2, keineswegs zur notwendigen Folge, da spezielle Minderungsgründe in der Geringfügigkeit der Vordelikte usw. gefunden werden können. Und ganz sicher involviert Bejahung beim einfachen Delikt nicht die gleiche Feststellung für das qualifizierte. Die Frage, ob ein rückfälliges Delikt unter mildernden Umständen begangen worden ist, läfst sich nicht unter Abstraktion vom Rückfalle beantworten. Demnach würde Bejahung der mildernden Umstände durch die Geschworenen für einfachen Betrug das Gericht keineswegs nötigen, ja nicht einmal berechtigen, dem Angeklagten auch unter Annahme des Rückfalls mildernde Umstände zuzubilligen. Die Nebenfrage kann vielmehr, wenn sie für das rückfällige Verbrechen relevant sein soll, nur unter ausdrücklicher Bezugnahme darauf gestellt werden. Es ist nach mildernden Umständen zu fragen: für den Fall der Bejahung der Hauptfrage und unter der weiteren Voraussetzung, dafs das Gericht annehmen sollte, der Angeklagte sei im Inlande wegen Betruges einmal und wegen darauf begangenen Betruges zum zweiten Male bestraft worden (§ 264) usw. 18 . Über mildernde Umstände des einfachen Delikts sind die Geschworenen eventuell besonders zu befragen (für den Fall der Bejahung der Hauptfrage). Diese letztere Nebenfrage würde dann die erste Stelle haben. Bejahung der ersten, Verneinung der zweiten Nebenfrage enthielte keineswegs einen Widerspruch; nach richtiger Ansicht auch nicht die Verneinung der ersten, die Bejahung der zweiten. Es ist auch durchaus möglich, die Nebenfrage auf den Fall des einfachen oder aber des qualifizierten Delikts zu beschränken. Wer diese doppelte Befragung und eine derartig bedingte Form der zweiten Nebenfrage für bedenklich hält, mufs die Feststellung der mildernden Umstände beim rückfälligen Delikt dem Gericht 18

Richtig H ü c k i n g

in Goltd. Arch. Bd. 34 S. 241.

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

222

überlassen u , während doch § 297 clen Entscheid darüber generell den Geschworenen zugewiesen hat. 2. Die Annahme, dafs Bejahung der mildernden Umstände beim einfachen Delikt auch für das rückfällige Verbrechen wirke, verbietet sich von selbst, wenn nur das letztere mildernde Umstände kennt. Hier kann nur eine und zwar doppelt bedingte Nebenfrage (bedingt durch Bejahung der Hauptfrage und durch gerichtliche Feststellung des Rückfalls) in Betracht kommen. Zweifellos falsch wäre, die Geschworenen einfach für den Fall der Bejahung der Hauptfrage nach mildernden Umständen zu fragen 10 und ihnen etwa in der Rechtsbelehrung zu eröffnen, dafs die Frage unter der Voraussetzung des Rückfalls gestellt werde. Ein Verdikt, das in dieser Form mildernde Umstände feststellte, müfste gemäfs § 309 berichtigt werden. Denn hätten die Geschworenen dabei das rückfällige Delikt, z. B. Diebstahl nach § 244 StGB, im Auge, so wäre der Spruch in der Sache undeutlich, bezogen auf das einfache Delikt dagegen, z. B. Diebstahl nach § 242, wäre er in sich widersprechend, da das Gesetz bei diesem Tatbestand mildernde Umstände nicht kennt. Z u 1 u n d 2. Die Nebenfrage für das rückfällige Delikt ist gemäfs § 297 zu stellen, wenn es von Amtswegen für angemessen erachtet oder von einer Partei beantragt wird. Die Voraussetzung aber, unter der die Frage allein erheblich sein kann, ist Annahme des Rückfalls durch das Gericht. Undenkbar wäre eine Pflicht des Gerichts, die Frage auf Verlangen einer Partei nur deshalb zu stellen, weil das Delikt im Rückfalle unter Zulassung mildernder Umstände qualifiziert wird, auch wenn nach Lage der Sache die Rückfallsvoraussetzungen zweifellos fehlen sollten. Das Gericht wird — in der Regel — die Frage dann zulassen, wenn im Eröffnungsbeschlusse Rückfall angenommen worden war, sollten auch im Laufe der Verhandlung die Rückfallsvoraussetzungen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zweifelhaft geworden sein. War hingegen wegen einfachen Delikts eröffnet, so könnte das Gericht die Nebenfrage nicht stellen, ohne damit den Hinweis nach § 264 StPO zu verbinden, und nur mit der Konsequenz, dafs auf Antrag des Angeklagten die Hauptverhandlung ausgesetzt werden müfste (§ 264 Abs. 3). Zu den Mafsnahmen des § 264 aber 14

S. 106.

So M e v e s in Goltd. Arch. Bd. 44 S. 61; D a l c k e ,

Fragestellung

16 So L ö w e - H e l l w e g § 297 Bern. 5 ·, B e n n e c k e - B e l i n g § 125 Anm. 25. In diesem Sinne auch RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 44 S. 60 f.

§ 27. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen.

ist das Gericht wie verpflichtet, so berechtigt nur, wenn entsprechende Umstände, die Rückfall ergeben könnten, neu hervorgetreten sind, eine Voraussetzung, die der pflichtmäfsigen Prüfung des Gerichts unterliegt. In Ermangelung solcher Umstände ist die beantragte Nebenfrage abzulehnen. Dem Angeklagten usw. das unbedingte Recht auf solche Nebenfrage geben, hiefse ihm zugleich bei jeder Anklage wegen einfachen Diebstahls vor den Geschworenen ein unbedingtes Aussetzungsrecht geben (§ 264 Abs. 3). Nachträgliche Annahme oder Verneinung des Rückfalls durch das Gericht im schwurgerichtlichen Verfahren ist der einzige Fall einer ihm und nicht den Geschworenen zustehenden Klagbesserung. Wegen dieses exzeptionellen eigenen Klagbesserungsrechts ist daher auch das Gericht, wenn der Eröffnungsbeschlufs Rückfall angenommen hatte, nicht v e r p f l i c h t e t , bei der Fragestellung diese Annahme aufrecht zu erhalten und beantragte Nebenfrage auf mildernde Umstände für rückfälliges Delikt zuzulassen. Nicht unmöglich, wenn auch unwahrscheinlich ist, dafs das Gericht, nachdem es die Nebenfrage wegen Fehlens der Voraussetzungen abgewiesen hatte, nachträglich bei der Urteilsberatung noch zur Rückfallsannahme kommt. Es entsteht dann eine eigentümliche Prozefslage. Hatte der Eröffnungsbeschlufs Rückfall angenommen, so fehlt es eben deshalb zwar an einem Aussetzungsanspruch des Angeklagten aus § 264 Abs. 3, aber es ist doch Abs. 2 das. analog anwendbar. Denn nach Ablehnung der Nebenfrage hatte der Angeklagte nicht Veranlassung, sich gegenüber der Rückfallsqualifikation zu verteidigen. Diese Gelegenheit mufs ihm jetzt noch gegeben werden. Ebenso mufs der Staatsanwalt das Recht haben, nun im Sinne des Rückfalls zu plädieren. Daher ist unter Wiedereröffnung der Verhandlung beiden Parteien das Wort zur Rückfallsfrage zu geben. Ging der Eröffnungsbeschlufs auf einfaches Delikt, so ist ganz nach § 264 zu verfahren, also auf Antrag des Angeklagten auch eine Aussetzung der Verhandlung zu bewilligen, deren Dauer im richterlichen Ermessen steht. Wesentlicher Verteidigungsbehelf ist das Recht auf Nebenfrage wegen mildernder Umstände. Die früher abgewiesene, von der einen oder anderen Partei beantragte Nebenfrage mufs jetzt noch gestellt werden. Denn jetzt ist die Voraussetzung, Rückfallsannahme durch das Gericht, erfüllt, unter der die Pflicht zur Nebenfrage auf Parteiverlangen besteht.

§ 28.

224

Inhalt der Frage.

Allgemeines.

Ebenso würde noch jetzt Parteiantrag neu zuzulassen sein und die Frage auch von Amtswegen noch gestellt werden können. Der Regel nach allerdings ist nach Publikation eines nicht berichtigungsbedürftigen Verdikts weitere Befragung der Geschworenen ausgeschlossen. Eine Ausnahme aber tritt notwendig in unserem Falle ein, in dem erst nachträglich die Voraussetzung für fernere Frage gemäfs § 297 StPO sich ergeben hat. So mufs das seltsame Ergebnis hingenommen werden, dafs in Beschränkung auf mildernde Umstände beim rückfälligen Delikt Fragestellung, Plädoyers zur Schuldfrage (d. h. über die Frage, ob mildernde Umstände vorliegen oder nicht), Rechtsbelehrung, Verdikt, Prüfung des Verdikts und Plädoyers zur Straffrage sich erneuern. Das Schuldkonto des grundverkehrten § 297 wird durch diese bisher übersehenen Konsequenzen noch bereichert. Zweiter Titel. A.

D e r A k t der B e f r a g u n g .

Der I n h a l t der Frage.

§ 28.

Allgemeines.

Die Frage, ob jemand von der Existenz einer Tatsache überzeugt sei, kann ihren Zweck nur erreichen, wenn dem Gefragten die Tatsache so bestimmt bezeichnet wird, dafs ein Zweifel über ihr Wesen und ihre Identität nicht möglich ist. Die Frage an die Geschworenen nach der Schuld des Angeklagten liefert ein brauchbares Ergebnis nur, wenn feststeht einmal, welches individuelle Faktum vom fragenden Gerichte gemeint ist, und ferner, auf welchen gesetzlichen Deliktstatbestand hin die konkrete Tat geprüft werden soll. Jede verbrecherische Handlung umschliefst drei Gruppen von Tatmomenten : die allgemeinen und die speziellen wesentlichen Verbrechensmerkmale und die Individualisierungsmomente 1. Die allgemeinen wesentlichen Verbrechensmerkmale werden nicht b e s o n d e r s erfragt. Aber die Frage, ob Α χ getan habe, ist notwendig zugleich Kausalitätsfrage. Und als Schuldfrage richtet sich die Frage immer mit auf die Zurechnungsfähigkeit des Täters, die Rechtswidrigkeit der Tat, als Schuldfrage nach Mafsgabe bestimmten Strafgesetzes auch auf die Subsumierbarkeit der Tat unter die Strafdrohung. 1

Vgl. dazu B i n d i n g , Normen I §§ 27 f., Handb. I S. 498 f.

§ 28. Inhalt der Frage.

Allgemeines.

Zur Feststellung des speziellen gesetzlichen Deliktstatbestandes genügt nicht die Angabe des Strafgesetzparagraphen oder die Bezeichnung der Deliktsart 2 , es sind vielmehr die sämtlichen besonderen wesentlichen Verbrechensmerkmale, soweit sie im Einzelstrafgesetz aufgenommen sind, auch in die Frage aufzunehmen, weil nur so die Prüfung ihres Vorhandenseins im Einzelfalle dem Gesetze genügend garantiert erscheint und sonst auch das blofse „Ja" der Geschworenen nicht die zur Verurteilung unerläfsliche Feststellung der Deliktsmomente (§ 206 StPO) enthalten würde. Zur Allegierung des Strafgesetzes in der Frage neben Angabe der gesetzlichen Merkmale ist Anlafs gegeben bei der Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion. Es wird so aufser Zweifel gestellt, auf welches der Strafgesetze — das ältere, das jüngere; das deutsche, das ausländische — die eine, die andere Gliedfrage sich bezieht. Bei völliger Übereinstimmung des Wortlauts beider Gesetze ist die Anführung sogar unerläfslich, da sonst Frage und Spruch undeutlich würden 3 . Auch der Einsichtsnebenfrage ist das Zitat (§ 56 Abs. 1, § 58 StGB) beizufügen, damit der Grund dieser Befragung klar wird 4 . Die Individualisierungsmomente, die den einzelnen Deliktsfall charakterisieren, müssen der Frage inseriert sein, damit erkennbar wird, auf welche konkrete Handlung das Ja oder Nein der Geschworenen , die Verurteilung oder Freisprechung durch das Ge2 In der älteren französischen Praxis sind im Anschlufs an den Wortlaut des Art. 337 code d'instr. die Geschworenen öfters allgemein nach der Verbrechensart (vol, faux, attentat à la pudeur usw.) gefragt worden; Nachweisungen bei H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 74 f. Ähnlich die bayerische Rechtsübung in offenbarem Mifsverständnis des Art. 173 des Proz.-Ges. v. 10. November 1848 („Ist der Angeklagte schuldig, das Verbrechen des Raubes vierten Grades dadurch begangen zu haben, dafs er" — folgen die konkreten Tatsachen; H. M e y e r a. a. 0. S. 136). Für Aufnahme des Deliktsbegriffs neben den gesetzlichen Merkmalen v. B a r , Recht und Beweis S. 174. Es bedarf aber die gesetzliche Begriffsbestimmung nicht der Bestätigung durch die Geschworenen und, wenn es nicht die Absicht ist, ihnen eine solche Operation anheimzugeben, so soll man auch nicht eine diesen Schein erregende Befragungsart wählen. Zu einer Befragung im Sinne v. B a r ' s könnte verleiten § 181a StGB, indem hier der Begriffsbestimmung des „Zuhälters" dieser Terminus parenthetisch beigefügt ist. Dafs indes n u r nach den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen, nicht aufserdem noch generell nach der Zuhälterqualität zu fragen ist, hat richtig RG 4. Str.-S. E. Bd. 34 S. 72 f. entschieden. 8 O e t k e r in Goltd. Arch. Bd. 48 S. 323, 324, 330. 4 O e t k e r in Goltd. Arch. Bd. 47 S. 329, 338.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I : G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

15

226

§ 28.

Inhalt der Frage.

Allgemeines.

rieht sich beziehen soll. Denn es steht ja nicht zur Untersuchung, ob der Angeklagte irgendwann und irgendwo einen Mord, einen Diebstahl usw. begangen hat, sondern ob er der ganz bestimmten, im Eröffnungsbeschlufs behaupteten und nach Zeit, Ort, Begehungsweise individualisierten Mord-usw.-Tat schuldig ist. Mangel der Individualisierung im Urteil würde, möchte es verurteilend oder freisprechend lauten, die Rechtskraft illusorisch machen. Und wie könnte Bestrafung, insbesondere Strafzumessung, begründet erscheinen ohne Bezeichnung der individuellen Handlung, der sie gelten sollte? Ganz mit Recht verlaugt daher § 293 StPO für die Hauptfrage, dafs sie die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat nach ihren gesetzlichen Merkmalen und unter Hervorhebung der zu ihrer Unterscheidung erforderlichen Umstände bezeichne. Das Gleiche gilt für die Hilfsfragen, die immer materiell Hauptfragen sind. Und bei den Nebenfragen, die als SchuldnebeDfragen Tatumstände, als Strafnebenfragen Strafaufhebungsgründe oder mildernde Umstände betreffen, ergibt sich die Beziehung auf ein konkretes Delikt aus ihrem Verhältnis zur Hauptfrage. F o r m gebend für rechteerhebliche Gedankenäufserungen, mögen sie selbständige Aussagen sein oder nur im Zusammenhalt mit vorgängiger Frage den Gedanken ergeben, ist in erster Linie immer der auszudrückende rechtserhebliche I n h a l t . Aber es bestimmt nicht a l l e i n und a b s c h l i e f s e n d der S c h u l d f r a g e n inhalt die S c h u l d f r a g e η form. Den inhaltlichen Anforderungen kann öfters eine Mehrheit von Formulierungen genügen, so dafs die Wiedergabe des vorgeschriebenen Inhalts zugleich clas Ergebnis einer Wahl ist. Auch bestehen neben den inhaltlichen Erfordernissen des Gesetzes noch rein formale Vorschriften. Es ist daher nach Darlegung des Frageninhalts noch besonders von der Fragenform zu handeln. Inhalt und Form der Fragen mufsten bei Entwickelung der Fragarten schon vielfach mit berührt werden. Scharfe Charakterisierung der einzelnen Fragtypen war anders nicht erreichbar. In der Folge kehrt daher manches in speziellem Zusammenhange schon Gesagte als Teil allgemeiner, alle Fragarten umfassender Lehre wieder. Unvermeidliche oder doch dem besseren Verständnis dienende Wiederholungen sind billigerweise nicht zu beanstanden. Alle Haupt- und Hilfsfragen setzen sich aus a b s t r a k t e n und i n d i v i d u e l l e n Momenten zusammen. Die Nebenfragen als unselbständige Fragen lassen das von ihnen betroffene individuelle

§ 29.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

227

Faktum durch Bezugnahme auf die Haupt- (Hilfs-)Frage erkennen, ihr w e s e n t l i c h e r Inhalt ist rein abstrakt. Mit der Besprechung der abstrakten Momente ist zu beginnen. Dabei sind unbedenklich auch solche Delikte mit heranzuziehen, für die an sich die Zuständigkeit der Strafkammer oder des Schöffengerichts begründet wäre. Denn sie gelangen im Falle der Konnexität mit an das Schwurgericht. Und auch sonst hat sich ja dieses Gericht nicht für unzuständig zu erklären, weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre, § 269 StPO. §29.

Die a b s t r a k t e n B e s t a n d t e i l e der

Hauptfrage 1.

I. Die Hauptfrage umfafst die sämtlichen gesetzlichen Merkmale einer bestimmten Deliktsart 2 . Als Schuldfrage kann die Hauptfrage nur bejaht werden, wenn die Geschworenen auch die Erfordernisse des allgemeinen Deliktstatbestandes annehmen. In dem „Schuldig" sind diese Momente mit umfafst. Die Hauptfrage kann sein Vollendungs-, Versuchs-, Vorbereitungsfrage, Frage nach Täterschaft, Mittäterschaft, Anstiftung. Beihilfe. Immer ist die Tat, die vollendet, versucht, durch die vorbereitet, die in Mittäterschaft begangen, zu der angestiftet, Beihilfe geleistet sein soll, mit allen gesetzlichen Momenten in die Frage aufzunehmen. Auch bei der Anstiftungs- und Beihilfefrage genügt nicht blofser Hinweis auf die in einer andern Frage beschriebene Haupttat. Weiter sind die gesetzlichen Momente des Versuchs 8, der Mittäterschaft, der Anstiftung, Beihilfe 4 in der 1 Z a c k e , Fragstellung und Wahrsprüche S. 17f.; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt S. 30 f.; B i s c h o f f in Goltd. Arch. Bd. 42 S. 349 f.; O e t k e r , Gesetzl. Merkmale in Haupt- und Nebenfrage, Ger.-Saal Bd. 64 S. 55 f. P l a n c k , System. Darst. § 142; Z a c h a r i a e I I § 155; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. §§ 88 f.; L ö w e , Preufs. Strafproz. § 73; G l a s e r in v. Holtz. Rechtslexik. I S. 885 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 144 f.; G e y e r S. 750 f.; v. K r i e s S. 606 f.; U l i m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 512 f; B i r k m e y e r S. 652 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 550 f.; R o s e n f e l d S. 376 f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 643 f. 2 Die französische Rechtssprache nennt sie die „éléments constitutifs", H é l i e , Prat. crim. I nr. 931. 8 Schon daraus folgt, dafs teilweise Bejahung der auf vollendetes Delikt gerichteten Frage, z. B. der Betrugsfrage unter Verneinung eingetretener Vermögensschädigung, niemals Bestrafung wegen Versuchs begründen kann. Vgl. auch bayer. Kass.-Hof bei S t e n g l e i n , Zeitschr. f. Gerichtsprax. N. F. Bd. 6 S. 1. 4 Es genügt nicht, zu fragen, ob A dem Β zu d e r strafbaren Hand15*

228

§ 29. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Frage zu konstatieren; Fragen nach „Versuch", „Anstiftung", „Beihilfe" schlechtweg wären durchaus verkehrt. Nach Begehung „in Gemeinschaft mit einem andern", nach Anstiftung, Unterstützung eines „andern" darf nur gefragt werden, wenn dieser unbekannt geblieben oder doch nicht mit angeklagt ist. Andernfalls ist der Name des Mittäters, des Angestifteten, des Unterstützten in die Frage aufzunehmen. An Stelle der Namensnennung wird, wenn die generelle Angabe „der andere" zulässig ist, auf Wunsch der Geschworenen diese gewählt werden müssen. Freilich ist ein solches Begehren nicht formell verbindlich, vielmehr das Gericht Herr der Fragenfassung. Aber würden die Geschworenen speziell gefafste Fragen bejahen unter der Konstatierung, dafs nicht A , sondern Β der Mittäter, der Angestiftete usw. gewesen sei, so könnte dieses Verdikt, da es mit der Frage nickt korrespondierte, nicht angenommen werden und es müfste nachträglich im Berichtigungsverfahren konzediert werden, wozu gleich anfangs Anlafs gewesen wäre: eine dem Geschworenenantrag entsprechende generelle Fragenfassung 5. Ferner darf nicht aufser acht bleiben, dafs, wenn mehrere mit einem „andern" gemeinsam delinquiert, einen „andern" unterstützt haben sollen, die Bejahung entsprechend gefafster Fragen die Möglichkeit einschliefsen würde, dass der „andere" für jeden ein anderer gewesen sein könnte. Es wäre in solchem Falle unberechtigt, im Urteile von der Identität des andern auszugehen. Diese kann vielmehr nur von den Geschworenen festgestellt werden. Es wird daher in der zweiten Mittäter-, Gehilfenfrage die Identität des andern zu konstatieren sein: Ist der Angeklagte Β schuldig, in Gemeinschaft mit dem Angeklagten A und demselben dritten usw., ist er schuldig, einem andern, und zwar derselben Person wie der Angeklagte A Hilfe geleistet zu haben? Bejahen dann die Geschworenen unter Verneinung der Identität des andern, so könnte diese Antwort nur in Annahme realer Konkurrenz ihren Grund haben. Darauf aber war die Befragung nicht gerichtet. Es sind vielmehr den Geschworenen die Mittäterfragen im Hinblick auf ein und dasselbe Faktum vorgelegt worden. Soll die Möglichkeit mit berücksichtigt werden, dafs A und Β zusammen mit X und dafs aufserdem A und Β zusammen mit Y delinquiert haben, lung usw. Hilfe geleistet habe, vielmehr mufs es heifsen „zur Begehung" usw. Die erstere Fassung könnte auch auf Begünstigung bezogen werden. RG 3. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 50 S. 135. 5 Vgl. näher unten § 47 sub I I I 3.

§ 29.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

229

so müssen die Mittäterfragen doppelt, für beide Fälle, gestellt werden. Es wird daher durch Befragung der Geschworenen seitens des Vorsitzenden deren Meinung eruiert werden müssen und dabei zu prüfen sein, ob unter Festhaltung der Identität der Tat, des inkriminierten historischen Vorgangs in ihm zwei Delikte erblickt werden können. Denn Erstreckung der Fragen auf ein weiteres nicht inkriminiertes Faktum ist nur unter den Voraussetzungen des § 265 StPO möglich. Kein Bedenken hätte, die nicht annehmbare Antwort der Geschworenen, die eine bei Aufstellung der Fragen nicht mit berücksichtigte Schuldauffassung indiziert, als Antrag auf entsprechende Befragung anzusehen6. Dabei bleibt aber noch zu beachten, dafs bei Verbrechen mit unteilbarem Erfolg, z. B. Tötung des Z, wie nicht mehrere isolierte vollendete Begehungen durch Alleintäter, so auch nicht durch zwei oder mehrere verschiedene Mittätervereinigungen (Α, Β und X ; Α, Β und Y ) denkbar sind. Daher würde unter dieser Voraussetzung die Bejahung von Mittäterfragen sowohl für Α, Β und X als für Α, Β und Y einen innern Widerspruch ergeben und daher solche doppelte Befragung unzulässig sein. Es sind also nur Mittäterfragen für Α, Β und X zu stellen, denn diese Mittäterschaft nehmen ja die Geschworenen an, während die ihnen weiter vorschwebende konkurrierende Mittäterschaft Α, B , Y neben jener rechtlich undenkbar und folglich nicht erfragungsfähig ist. Wohl können konkurrierende V e r s u c h s akte — erstens des Α , Β , X und zweitens des Α, Β, Y, je als Mittäter — gedacht und eventuell hilfsweise erfragt werden. Entsprechende tatsächliche Zweifel vorausgesetzt, entstehen Auch für ein einheitliches Richterkollegium schwierige Prozefssituationen, während sich im schwurgerichtlichen Verfahren die einseitige Aufstellung der Schuldfragen durch die Richter unter Ausschlufs der Geschworenen noch als besonders mifslich erweist. Die gegenseitige Verständigung wird durch das gesetzliche Befragungsverfahren in solchen Fällen sehr erschwert. Aufs strengste zu vermeiden sind „ k o m p l e x e " , d. h. solche Fragen, die mehrere von einander unabhängige Fakta desselben Angeklagten oder das deliktische Tun mehrerer Angeklagten zugleich betreffen 7 . β

Ähnlich, wenn die Geschworenen durch positiven Zusatz eine nicht erfragte Feststellung getroffen haben. Vgl. darüber unten § 47 sub I I I 2. 7 Über und gegen komplexe Fragen G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen S. 65; U l l m a n n , Lehrbuch S. 508 f.; B i r k m e y e r , Strafprozefsrecht

§ 29.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Im Falle der Realkonkurrenz sind die Geschworenen wegen jedes Delikts besonders zu befragen. Um die Selbständigkeit der Deliktshandlungen festzustellen, dient die E r g ä n z u n g s - H a u p t fr age, wofern nicht durch zeitliche oder örtliche Differenzierung der einzelnen Begehungen oder die Anteilnahme verschiedener dritter an den Delikten solche Befragung sich erübrigt. Idealkonkurrenz führt zur M e h r h e i t s f r a g e . Qualifikations- und Privilegierungsgründe können in die Hauptfrage mit aufgenommen oder zum Gegenstand einer Nebenfrage gemacht werden. Bei Konkurrenz von Qualifikationen ist entweder die Hauptfrage auf eine von ihnen mit zu richten, während alle übrigen in Nebenfragen verwiesen werden, oder es geht die Hauptfrage auf das einfache Delikt, wobei dann noch eine Nebenfrage mehr erforderlich wird, oder endlich die Hauptfrage nimmt sämtliche Qualifikationen auf. Entsprechend, wenn mehrere Privilegierungen zusammentreffen sollten. Konkurrenz koordinierter Strafgesetze bei Einheit des Delikts findet in k o m b i n i e r t e r E i n h e i t s f r a g e Ausdruck. Das fortgesetzte Verbrechen bedingt eine besondere FragenS. 656. Aus der Praxis des Reichsgerichts: R. I I S. 638 (3 Str.-S.), E. Bd. 5 S. 383 (3. Str.-S.). Die frühere preufsische Praxis hat öfters komplexe Fragen zugelassen, vgl. z. B. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 11 S. 165 und 241 f. (gleichartige Realkonkurrenz). Zur österr. StPO § 323 Abs. 2 vgl. oben S. 118 Anm. 3. Besonders reich an Entscheidungen über komplexe Fragen ist die Rechtsprechung des französischen Kassationshofs. Komplex nach französischer Auffassung ist eine Hauptfrage, die mehrere selbständige Anklagepunkte, chefs d'accusation, verbindet oder auf mehrere Angeklagte sich bezieht, die aufgenommen hat einen erschwerenden Umstand, ein fait d'excuse oder die Frage des discernement. Komplex ist eine Nebenfrage, die zugleich für mehrere Delikte oder für mehrere Angeklagte gestellt ist, die mehrere circ. aggravantes, mehrere faits d'excuse vereinigt. Komplex ist die Alternativfrage, soweit nicht ausnahmsweise die alternative Befragung gestattet ist (vgl. unten § 36 Anm. 4). Danach wird geschieden die kumulative und alternative Komplexität. Aus dem überreichen Material mögen hervorgehoben sein die Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 153, 207, 236, 239, 249, 250 (Alt. Frage), 255, 256, 261, 289, 290; art. 339 η. 29. Entsprechend mufs der ungefragte Ausspruch der Geschworenen über mildernde Umstände für jeden Anklagepunkt und jeden Angeklagten getrennt erfolgen, S i r e y et M a l e p e y r e art.341 nr. 22. Vgl. weiter H é l i e , Prat. I nr. 845—850; G a r r a u d , Préc. nr. 529. Es fehlt übrigens auch nicht an Beispielen fälschlicher Zulassung komplexer Fragen durch den Kass.-Hof, vgl. die Entsch. bei S i r e y usw. art. 337 nr. 265, 292, 294, 299 (19. Mai 1865, 30. Mai 1879, 15. Jan. 1898, 2. Apr. 1898).

§ 29. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

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fassung, wenn der Schein der Realkonkurrenz zu beseitigen ist, also entweder die Einzelakte in Intervallen aufeinander folgten 8 oder einige von ihnen qualifizierte oder zusammengesetzte Verbrechen ergaben. Es ist dann eine z u s a m m e n g e s e t z t e F r a g e zu stellen. Das Kollektivdelikt dagegen wird durch einfache Einheitsfrage erledigt. Auch künstliche Verbrechenseinheit in rechtlich ungl eichartigen Tatakten erheischt zusammengesetzte Einheitsfrage. Selten ist die k u m u l a t i v e , aus zwei Strafgesetzen in getrennten Fragpositionen substantiierte E i n h e i t s f r a g e bei Subsidiarität des Strafgesetzes. E i n h e i t s f r a g e m i t D o p p e l s u b s u m t i o n , d. h. unter Aufnahme der Tatbestandsmerkmale zweier Strafgesetze, ist geboten, wenn zwischen Begehung und Aburteilung die Strafgesetze sich geändert haben oder ein im Ausland begangenes Delikt gemäfs § 4 N. 3 StGB vor deutschem Gericht zur Aburteilung kommt. Hängt (§ 4 N. 3 StGB usw.) die Strafbarkeit des im Ausland begangenen Delikts von der Reichsangehörigkeit des Täters ab, so sind die Geschworenen über diese Qualität des Angeklagten mit zu befragen. In den Fällen des § 4 N. 3 StGB ist die Verfolgung im Inlande auch zulässig, wenn der Täter bei Begehung der Handlung noch nicht Deutscher war, Abs. 2 das. Jenachdem der Angeklagte schon zur Zeit der Tat Deutscher war oder es erst nachher geworden ist, wird die Deutschen-Eigenschaft in der Frage nach oder vor dem Worte „schuldig" erwähnt. Der Angeklagte hat sich entweder bereits als Deutscher schuldig gemacht oder er ist durch spätem Erwerb der Reichsangehörigkeit dem deutschen Gesetze haftbar geworden wegen früher begangenen Delikts. Selten sind e v e n t u e l l e H a u p t f r a g e n . Sie werden notwendig, wenn bereits der Eröffnungsbeschlufs verschiedene Möglichkeiten der rechtlichen Beurteilung ergibt, z. B. die Begehung des Delikts vor oder nach dem Inkrafttreten eines neuen Strafgesetzes zweifelhaft läfst. I I . Die Hauptfrage 9 tritt als S c h u l d frage auch dann auf, wenn der mafsgebende Strafrechtssatz das Schuldmoment nicht oder nur ungenügend berücksichtigt. Das „Schuldig" der Haupt8

Das Nähere oben § 14. Vgl. zum folgenden O e t k e r a. a. 0. S. 55f. Der Text beschränkt sich hier und in der Folge auf die besonders charakteristischen Punkte. 9

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§ 29. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

frage ist der Ausdruck für das Vorhandensein aller im materiellen Rechte bestimmten Erfordernisse der Verantwortlichkeit. Die „Schuldfragen" verdienen leider in Wahrheit nicht immer diese Bezeichnung, aber das Strafprozefsgesetz ignoriert die positivrechtlichen Durchbrechungen des Schuldprinzips und läfst stets nach der „Schuld" des Angeklagten fragen. Die Haftung wegen Nichthinderung fremden Delikts, wie sie besonders in den Zoll- und Steuer-Strafgesetzen häufig ausgesprochen wird, nimmt keineswegs immer ein subjektives Moment in den Tatbestand auf, das nun in jedem Einzelfall festgestellt werden müfste, besteht vielmehr öfters lediglich auf Grund objektiver Erfordernisse, während Nichtschuld nur insofern zur Anerkennung kommt, als das Fehlen eines bestimmten subjektiven Moments die Haftung beseitigt 10 . Die Schuldfrage schweigt demgemäfs über die Willens„Schuld", es sind nur die Geschworenen zu belehren, dafs sie bei Annahme der entlastenden Tatsache die Frage zu verneinen haben. Beispiele sind: §§ 153 Ver.-Zollges. v. 1. Juli 1869, 20 Schaumweinsteuerges. v. 9. Mai 1902 usw. Im fiskalischen Strafrecht wird vielfach Ordnungsstrafe an rein objektive Tatbestände angeknüpft, so dafs insofern in der Tat schuldfreie Delikte bestehen. Ein bestimmtes Verhalten gilt dem Gesetz als Defraude, als Konterbande, so lange nicht das Fehlen des Vorsatzes sich ergibt. Unter der letztern Voraussetzung aber fällt nicht die Strafe überhaupt fort, sondern es tritt nun an Stelle der Kriminalstrafe blofse Ordnungsstrafe. Die letztere ist also in der Tat Strafe ohne Schuld. Erwiesener Vorsatzmangel schliefst die Strafe nicht aus, wirkt nur strafmildernd, "substituiert der Kriminalstrafe blofse Ordnungsstrafe, ist „Quasiprivilegierungsgrund" n . Vgl. besonders § 13 Salzges. v. 12. Oktober 1867, § 137 Ver. Zollges., § 34 Tabaksteuerges. v. 16. Juli 1879, § 46 Zuckersteuerges. v. 27. Mai 1896, § 16 Schaumweinsteuerges. v. 9. Mai 1902. Die Hauptfrage ist zu richten auf den im Gesetz — vorbehaltlich des Privilegierungsgrundes — als Defraude usw. be10 Keineswegs wird die Schuld präsumiert. Nähere Erwägung des haftausschliefsenden Moments (z. B. nach § 153 Abs. 3 Ver.-Zollges.) ergibt, dafs sein Bestehen nicht mit Nichtschuld, sein Fehlen nicht mit Schuld notwendig zusammenfällt. 11 In voller Verkennung der juristischen Struktur dieser Bildungen greift die Literatur zu dem beliebten Auskunftsmittel der Schuldpräsumtion, obwohl bereits der Wortlaut der Gesetze, z. B. des § 137 Abs. 1 Ver.-Zollges., einer solchen Auffassung entgegensteht.

§ 29. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

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handelten Tatbestand ohne Anführung eines Schuldmoments (des Vorsatzes). Der Privilegierungsgrund — das Fehlen des Vorsatzes —, dessen Bejahung die Kriminalstrafe verdrängt, die Ordnungsstrafe begründet, bildet den Gegenstand einer Nebenfrage. Beispiel: Ist der Angeklagte schuldig, als Frachtführer Gegenstände, deren Einfuhr verboten ist, unrichtig deklariert zu haben ? Ist anzunehmen, dafs der Angeklagte nicht beabsichtigt hat, die Einführung verbotener Gegenstände zu unternehmen? Vgl. § 134 bis 137 Ver. Zollges. Die Hauptfrage umspannt a l l e Tatbestandsmerkmale, auch solche, die rein objektiver Art sind und von der Deliktsschuld nicht mit ergriffen werden. Dahin gehören die Begehung des nichtangezeigten Delikts, § 139 StGB, die Vornahme des Zweikampfs, zu dem angereizt wurde, § 210 12 , die Schadensverursachung in den Fällen der §§ 326, 329 Abs. 2 StGB. Die Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung bei Bankeruttdelikten, §§ 239 f. KO, ist insofern Teil des Tatbestandes, als nur d e r Schuldner, der seine Zahlungen eingestellt hat usw., taugliches Subjekt des Verbrechens ist, der Begehung einfachen, betrügerischen Bankerutts usw. fähig erscheint. Unzweifelhaft sind die Geschworenen wegen des objektiven Moments mit zu befragen, aber nicht veranlagst wäre, ein Verschulden insofern durch die Fassung der Frage zu fingieren. Vielmehr folgt in der Frage auf die schuldhafte Begehung als zweites Glied die zur Bestrafung weiter erforderliche objektive Tatsache, z. B. : Ist der Angeklagte schuldig, den X zum Zweikampfe mit tötlichen Waffen mit dem Y absichtlich, insonderheit durch Bezeigung von Verachtung, angereizt zu haben, und hat dieser Zweikampf stattgefunden? Bei den Bankeruttdelikten wird das entsprechende Moment in Gestalt eines Relativsatzes, „als Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt hat" usw. in die Frage eingefügt. Tatbestandsmerkmal der üblen Nachrede des § 186 StGB, nicht blofse Strafbarkeitsbedingung, und zwar von der Schuld umfafstes Tatbestandsmerkmal ist die Unerweislichkeit der behaupteten Tatsache, so dafs sich das „Schuldig" der Frage materiell und formell darauf mitbezieht: Ist der Angeklagte schuldig, in Beziehung auf X eine nicht erweislich wahre Tatsache behauptet zu haben? Da Schuld immer Individualschuld, nie Kollektivschuld mehrerer 12

v. L i s z t , Lehrbuch § 44 nimmt „Strafbarkeitsbedingungen" an. Vgl. dagegen O e t k e r a. a. 0 . S. 74.

§ 29. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

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ist, so mufs, wenn die strafgesetzliche Fassung auf den Fall der Tätermehrheit abgestellt ist, die Frage doch streng auf die individuelle Beteiligung beschränkt bleiben. Nicht eine Frage wegen der Gesamthandlung, sondern so viel Individualfragen, als Beteiligte unter Anklage gestellt sind! Zu beachten besonders bei der Meuterei von Gefangenen, § 122 StGB, dem schweren Hausfriedensbruch des § 124, dem Landfriedensbruch nach § 125 StGB. Die Frage lautet: Ist der Angeklagte schuldig, an öffentlicher Zusammenrottung einer Menschenmenge und deren widerrechtlichem Eindringen in die Wohnung — eines andern in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, teilgenommen zu haben? usw. I I I . Die Hauptfrage definiert nicht in weiterem Umfang als das Strafgesetz. Gesetzlich Undefinierte D e l i k t s b e g r i f f e , wie Beleidigung, Ehebruch, Zweikampf (nur die Verübung „mit tödlichen Waffen" ist gesetzlich bestimmt) werden auch Undefiniert erfragt. Wenn einem gesetzlichen Tatbestand ein an anderer Stelle vom Gesetz bestimmter Deliktsbegriff Undefiniert als Bestandteil angehört, so ist der ratio legis zu entnehmen, ob jene Definition oder einfach das Definitum in die Frage zu setzen sei. In der Tat trifft bald das eine, bald das andere zu: Das strafschärfende Moment verursachter „schwerer Körperverletzung" in den §§ 221 Abs. 3, 227, 229 Abs. 2, 239 Abs. 2, 251, 315 Abs. 2 usw. StGB ist in der Schuldfrage nach der Legaldefinition des § 224 zu bestimmen 18 . Sonst bestände die Gefahr, dafs statt des gesetzlichen Begriffs die Anschauung der Geschworenen über „schwere Körperverletzung" den Ausschlag gäbe. Das nichtangezeigte Verbrechen, § 139 StGB, ist, da die Strafbarkeit der Verletzung von seiner Begehung abhängt und diese in der Frage zu konstatieren ist, definiert einzusetzen. Die Frage nach Amts-„Unterschlagung", § 350 StGB, darf nicht diesen Kunstausdruck beibehalten, sondern hat die gesetzlichen Unterschlagsmomente aufzunehmen u . 18

Dagegen ist in der Schuldfrage aus § 118 StGB (Widerstand, durch den eine Körperverletzung verursacht worden ist) nach „Körperverletzung" schlechthin im Sinne von körperlicher Beschädigung zu fragen; die Definition des § 223 ist hier nicht mafsgebend. Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 96. Gleiches wird für § 230 anzunehmen sein (Verursachen einer „Körperverletzung" durch Fahrlässigkeit). So auch RG 1. Str.-S. bei Goltd. Bd. 51 S. 352. 14 Es genügt nicht, das E m p f a n g e n der Gelder in amtlicher Eigen-

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. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

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In andern Fällen vertritt in der Tat der Terminus technicus die Stelle der Definition. Die Frage würde mit der Definition ungelenk und eben wegen des schwerfälligen Aufbaus den Geschwornen vielleicht weniger verständlich sein als ohne sie. „Diebstahl" und „Raub" in den §§ 243 Z. 6, 250 Z. 2, „Mord, Brandstiftung, Verursachung einer Überschwemmung" im § 254 bleiben daher Undefiniert. Die Rechtsbelehrung hat den Geschworenen den gesetzlichen Begriff zu übermitteln. T a t b e s t a n d s m e r k m a l e sind niemals eingehender zu bestimmen, weiter „aufzulösen", als das Gesetz es getan hat. Im übrigen ist zu unterscheiden: Das überhaupt nicht definierte Tatmoment, wie die „Zusammenrottung" in den §§ 115, 122, 124, 125 StGB, wird stets Undefiniert erfragt 15 . Findet sich an anderer Stelle im Gesetze eine Definition, so hat das Gericht zu prüfen, ob diese auch für das inkriminierte Delikt materiell mafsgebend und ob sie bejahendenfalls auch für die Schuldfrage daraus formell mitbestimmt ist. Die Legaldefinition der „Angehörigen" im § 52 Abs. 2 StGB normiert auch formell für alle mit diesem Begriff operierenden Deliktstatbestände, z. B. für § 213 StGB 1 6 . Dagegen ist der Beamtenbegriff des § 359 StGB nach der offenbaren Absicht des Gesetzgebers nicht bestimmt, cler Schuldfrage aus entsprechendem Deliktsbegriff einverleibt zu werden. „Teilnahme", die zusammenfassende Bezeichnung der verschiedenen Formen der Beteiligung am Delikt, ist nur in diesen Speziesbegriffen definiert und daher als im Gesetz nicht spezialisiertes Ganzes — «Teilnahme" an öffentlicher Zusammenrottung usw., §§ 115, 125, 116 Abs. 2, 124, 243 Z. 5, 250 Z. 1 StGB — auch Undefiniert zu erfragen. Eine nicht strafgesetzliche Definition endlich eines im Strafgesetz verwendeten Begriffs, z. B. der „Strandung", der „öffentlichen Urkunde", §§ 265, 322 Abs. 2, 323, 267, 268, 271 StGB, § 853 HGB, § 415 ZPO, bleibt für die Befragung stets aufser Betracht. IV. Unvollständigkeit des Strafgesetzes in Angabe der Tatbestandsmomente hat, da nur die gesetzlichen Merkmale wiederzugeben sind, entsprechende Unvollständigkeit der Frage zur Folge. schaft zu erfragen, der n o c h bestehende Gewahrsam des Beamten mufs konstatiert werden. Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 98 und RG 1. Str.-S. E. Bd. 37 S. 8. 15 Ein weiteres Beispiel ist „Verfahren" im § 242 Z. 2 KO (Geltendmachen erdichteter Forderungen in dem „Verfahren"), RG 2. Str.-S. E. Bd. 38 S. 275 f. 16 A. A. B i s c h o f f in Goltd. Arch. Bd. 42 S. 350.

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.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Nennt das Gesetz die Schuldart nicht (im Übertretungs-Abschnitt des StGB häufig), so mufs auch die Frage darüber schweigen und es ist dann ganz besonders die Rechtsbelehrung zur Ergänzung berufen. Eine Unvollständigkeit aber besteht nicht, wenn das Strafgesetz auf eine andere, die nötige Bestimmung enthaltende strafgesetzliche Vorschrift ausdrücklich 17 verweist, und sie ist nur scheinbar vorhanden im Falle stillschweigender gesetzlicher Bezugnahme. Zitate liefern Fragstoff für die Delikte der §§ 115, 163, 273, 279, 308, 309 usw. StGB (§ 115: wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei welcher eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird usw.). Konkludente Bezugnahme ist sicher anzunehmen in den §§ 205 fg. StGB, wo gemäfs § 201 zu „Zweikampf" der Zusatz „mit tötlichen Waffen" gilt, in den §§ 218 Abs. 3, 219, 220, die von „Fruchttötung" = „Fruchttötung im Mutterleibe" (§ 218 Abs. 1) sprechen, für § 270, der das Moment der „rechtswidrigen Absicht" stillschweigend aus § 267 herübernimmt 18 und „Urkunde" in der Umschreibung desselben Paragraphen versteht. Anders steht's bei § 117 Abs. 1 Halbsatz 2: die Frage hat hier nicht aus Halbsatz 1 die „Rechtmäfsigkeit" der Amts- usw.-Ausübung zu ergänzen, vielmehr entscheidet über die Relevanz dieser Eigenschaft allein die Gesetzesauslegung19. Das „hochverräterische Unternehmen" wird auch für § 86, nicht nur für die ausdrücklich zitierenden §§ 83, 85 StGB durch die Definition des § 82 bestimmt. Gerade das Zitat in den korrespondierenden §§ spricht hier deutlich für konkludente Inbezugnahme. Von dem stillschweigend mit einbezogenen Tatbestandsmerkmal ist zu unterscheiden das nur mit gemeinte, das sog. Subintelligendum. Solche Momente werden nicht in die Fragen eingestellt 20 . 17

Ausdrückliche Bezugnahme kann auch anders als durch Anführung der betreffenden Gesetzesstelle geschehen. So in § 242 Z. 2 KO: „im Interesse eines solchen Schuldners". Zweifellos ist gemeint ein Schuldner, der seine Zahlungen eingestellt hat usw., § 242 Z. 1, und zweifellos ist auch so zu fragen. RG 2. Str.-S. E. Bd. 38 S. 381. 18 Vgl. KG 2. Str.-S. Entsch. Bd. 12 S. 112 f. 19 RG 1. Str.-S. R. I I I S. 819 f. 20 I n diesem Sinne viele Entscheidungen des österr. Kass.-Hof : v. 4. Nov.

§

.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

237

Subintelligiert ist die nicht genannte Schuldart, ist beim Meineide die Zuständigkeit der Behörde zur Eidesabnahme21. Die Abgrenzung von den konkludent in Bezug genommenen Tatumständen bereitet zuweilen Schwierigkeit. Im Zweifel empfiehlt sich Aufnahme in die Frage. Zuweilen finden sich ganz allgemein gehaltene Bezugnahmen auf das „Gesetz", auf die „gesetzlichen Pflichten" u. dgl., z. B. in § 354 StGB („im Gesetz nicht vorgesehener Fall"), in §§ 239 N.3 und 240 N. 3 KO („gesetzliche" Pflicht zur Buchführung), in § 240 N. 4 das. („Bestimmung des Handelsgesetzbuchs" über Ziehen der Bilanz) usw. Die zutreffende Ergänzung aus dem „Gesetz" überläfst hier der Gesetzgeber der Rechtsübung, gibt sie nicht selbst. Daher hat auch die Frage die generelle Charakterisierung als „gesetzliche Pflicht", „im Gesetz nicht vorgesehener Fall" usw. beizubehalten. V. Die Hauptfrage aus einem B l a n k e t t s t r a f g e s e t z gestaltet sich verschieden, jenachdem das Gesetz für den Deliktstatbestand lediglich auf die Norm verweist (Beispiele: §§ 145, 327, 328 StGB) oder selbst die Tatbestandsmerkmale angibt unter nur ergänzender Bezugnahme auf die Norm (§ 360 Z. 2, 9, 12 Halbsatz 2 usw.) Im ersteren Falle wird die Frage ganz aus der N o r m substantiiert, die „gesetzlichen Merkmale" des § 293 StPO sind die in der Norm angeführten Tatmomente. So lautet z. B. die Frage aus § 145 nicht: Ist der Angeklagte schuldig, eine vom Kaiser zur Verhütung des Zusammenstofsens der Schiffe auf See erlassene Verordnung übertreten zu haben?, sondern sie hat den Inhalt der übertretenen Norm anzugeben. Da eine solche Norm selbständig neben dem Strafgesetz steht, so ist mit der Bejahung der normgemäfsen Frage die formelle Subsumtion der Tat unter das Strafgesetz noch nicht vollzogen, sondern vom Gericht in Ergänzung des Wahrspruchs zu geben. Die Anwendung des Strafgesetzes hat diese Einbeziehung zur unentbehrlichen Voraussetzung. Die zweite Gruppe der Blankettgesetze liefert selbst den Fragstoff, doch nach Umständen nur in Verbindung mit der Norm, aus der dann weitere Fragmomente sich ergeben. Ist z. B. das Feilhalten usw. von Stofswaffen, die in Stöcken usw. verborgen sind, 1876, Entsch. Bd. 2 S. 131 f., v. 30. Okt. 1882 E. Bd. 5 S. 492 f., v. 30. April 1883 E. Bd. 6 S. 96 f., v. 26. März 1886 E. Bd. 9 S. 10 f., v. 30. Januar 1904 Entsch. N. F. Bd. 6 S. 90 f. 21 RG Fer.-S. R. I X S. 421.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

generell verboten, so ist der ganze Tatbestand eigentlich „strafgesetzlich", ganz durch § 367 Z. 9 StGB, bestimmt, ohne dafs die Norm dazu beisteuerte. Dagegen entnimmt die Anklage gegen einen Pfandleiher aus § 360 Z. 12 Halbsatz 2 der Norm ein wesentliches Tatmoment, den Zinssatz, dessen Überschreitung dem Angeklagten zur Last gelegt wird. Immer aber ist, mag nur das Strafgesetz oder in dessen Ergänzung zugleich die Norm die Fragmaterialien ergeben, schon in der Befragung die Tat hypothetisch dem Strafgesetze subsumiert. § 30. F o r t s e t z u n g . VI. Die Befragung geschieht grundsätzlich nach dem Wortlaut des Strafgesetzes. Aber nicht immer läfst sich dessen Fassung streng einhalten. Denn die Redaktion der Strafgesetze setzt die Rücksicht auf leichte Erfragbarkeit der Tatbestände öfters beiseite. Auch bringt die Umformung des gesetzlichen Tatbestandes für den Versuchsfall zuweilen Ausscheidung eines Tatmoments mit sich. Endlich bedingen gelegentlich materiell inkorrekte Fassungen und eigentliche Redaktionsversehen Differenzen der Frage und des Fragvorbildes. In diesen Beziehungen einige charakteristische Belege : 1. Die Aufforderung zur Begehung eines Verbrechens usw. wird in Abs. 1 des § 49 a StGB zunächst in weiterem Umfange verpönt, als ausweislich des Abs. 3 in Wahrheit beabsichtigt ist. Die nachfolgende Einschränkung mufs in der Befragung mit berücksichtigt werden. Die Frage kann daher nicht einfach gehen auf Aufforderung usw., sondern sie lautet, je nach dem Einzelfalle, auf Aufforderung d u r c h S c h r i f t e n oder a n d e r e D a r s t e l l u n g e n oder auf m ü n d l i c h e , an d i e G e w ä h r u n g von V o r t e i l e n g e k n ü p f t e Aufforderung usw. Die Strafvorschriften des Depotgesetzes v. 5. Juli 1896 werden nicht jede besonders, sondern generell im Schlufsparagraphen (13) auf diejenigen Klassen von Kaufleuten beschränkt, die zur Führung von Handelsbüchern gesetzlich verpflichtet sind. In Ergänzung der gesetzlichen Einzeltatbestände ist dieses Moment immer in die Schuldfrage mit aufzunehmen 1. Diesen Zusätzen stehen Streichungen gegenüber. Mannigfache Gründe sind dafür bestimmend: Wenn das Gesetz Strafe droht „aufser dem Falle" eines anderen, 1

Vgl. RG 4. Str.-S. Entsch. Bd. 34 S. 238.

§ 30. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

239

schwerere Strafe enthaltenden Paragraphen, so gehört nicht auch diese negative, sondern nur die positive Angabe des bezüglichen Tatbestandes in die Frage. Die Anwendung des mildern Gesetzes ist nicht durch die Negativfeststellung bedingt, dafs der Tatbestand eines andern härtern Gesetzes nicht gegeben sei. Vgl. die §§ 81, 98—101 StGB. Zur bessern Klarstellung gegenüber andern strafrechtlichen Gebilden werden spezifische Merkmale der letztern zuweilen in den bezüglichen Tatbestandsangaben ausdrücklich abgelehnt: der Versuchsbegriff, § 43, enthält die Negative „wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist"; das hochverräterische Komplott, „ohne dafs es zum Beginn einer nach § 82 strafbaren Handlung gekommen ist", wird im § 83 getroffen; § 184a StGB spricht von Schriften, welche, „ohne unzüchtig zu sein", das Schamgefühl gröblich verletzen u. dgl. Ganz falsch wäre, in diesen Wendungen fragbedürftige wahre negative Tatbestandsmerkmale2 zu erblicken, sie sind in den Fragen einfach fortzulassen und nur nach Bedarf in der Rechtsbelehrung gegensätzlich hervorzuheben. Das gleiche gilt von lediglich begriffserläuternden Aussprüchen des Gesetzgebers : es ist nicht wegen § 192 StGB in der Beleidigungsfrage noch besonders zu erfragen, ob „das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung hervorgehe". In diesem Zusammenhange verdient auch Erwähnung die zuweilen ausgesprochene gesetzliche Gleichstellung anderweiter Tatmomente mit den in den vorgängigen Deliktsdefinitionen enthaltenen. Dem Papiergelde werden gleichgeachtet „die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen" usw., § 149 StGB; der Gebrauch einer den Eid vertretenden Beteuerungsformel steht nach § 155 der Eidesleistung, die Zerstörung einer Sache durch Pulver usw. nach § 311 der Inbrandsetzung gleich. Der Gesetzgeber fingiert nicht, dafs Inhaber-Schuldverschreibungen Papiergeld seien usw. — eine Fiktion, an welche auch die Frage gebunden wäre —, sondern er erweitert Strafgesetze durch nachfolgende Angabe äquivalenter Tatmomente. Daher sind diese letztern in der Frage zu nennen (Ist der Angeklagte schuldig, ein Gebäude usw. durch Gebrauch von Pulver ganz oder teilweise zerstört zu haben?). Nicht immer verfahren dabei die Gesetze konsequent; so wird im § 269 die widerrecht2

Darüber unten sub V I I .

30. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

liehe Blankettausfüllung der Urkundenfälschung nur „gleichgeachtet" (obwohl sie Fälschung ist), dagegen in dem gleich folgenden Paragraphen eine so entstandene Urkunde einfach unter den „falschen" Urkunden mitbegriffen 3. 2. Durch die Fassung des Versuchsbegriffes im § 43 StGB wird auch formell ausgeschlossen die materiell zweifellos nicht bestehende Möglichkeit des Versuches fahrlässiger Begehung. Statt „Entschlufs" konnte im Gesetze auch „Vorsatz" stehen. Jedenfalls umfafst der „Entschlufs" nur vorsätzliche Delikte. Soweit nun die gesetzlichen Deliktstatbestände das Merkmal des Vorsatzes enthalten, darf die Versuchsfrage nicht neben dem „Entschlufs" noch den „Vorsatz" aufnehmen 4, weder bei Angabe des beabsichtigten Verbrechens, noch bei Charakterisierung der den Versuch ergebenden Handlung 5 . Die doppelte Erwähnung könnte die Geschworenen beirren und ein sich widersprechendes Verdikt zur Folge haben. Die Geschworenen antworten z. B. auf die Frage: Ist der Angeklagte schuldig, den Entschlufs, vorsätzlich zu töten usw. betätigt zu haben?: Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Entschlufs auf vorsätzliche Tötung gerichtet war, oder auf die Frage : schuldig, den Entschlufs, zu töten usw., durch vorsätzlich begangene Handlungen — betätigt zu haben?: Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte die Handlungen vorsätzlich begangen hat. Durch die Fassung der Frage wurde die Annahme nahegelegt, dafs neben dem Entschluss der aufserdem erfragte Vorsatz auch noch besonders zu prüfen sei! Vielmehr ist, mag das Strafgesetz den Vorsatz erwähnen oder nicht, die Versuchsfrage nur auf den Entschlufs zu richten. 3. Die Frage berichtigt nach Bedarf ungenaue Ausdrucksweisen des Gesetzes und solche, die auf den Regelfall abgestellt sind, während doch auch anders gelagerte Fälle zweifellos mit gemeint sind. Eine Aussetzung, die vom Vater oder der Mutter begangen wird, ist genau so qualifiziert, wie die von den „leiblichen Eltern", § 221 Abs. 2 StGB, gegen das Kind verübte; die Frage kann hier, selbst wenn beide Eltern unter Anklage stehen, die gesetzliche Fassung nicht beibehalten, da die Schuldfragen für jeden Elternteil getrennt zu stellen sind. Kinderraub wird nicht erfragt 8

RG 2. Str.-S. die Momente des § 4 A. A. RG 3. 5 I n letzterem

E. Bd. 12 S. 114. Anders derselbe Senat E. Bd. 23 S. 259f. 269 seien in die Frage aufzunehmen). Str.-S. E. Bd. 25 S. 72 u. bei Goltd. Arch. Bd. 51 S. 188. Sinne RG 3. Str.-S. E. Bd. 3 S. 295 f.

§ 30. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

241

als Delikt gegenüber „den Eltern", § 235, wenn nur ein Elternteil noch lebt oder wenn der Vater der Mutter oder umgekehrt das Kind entzogen hat. Dafs die Strafe des § 316 Abs. 2 nicht nur den zur Leitung der Eisenbahnfahrten u n d zur Aufsicht über die Bahn angestellten Täter trifft, sondern dafs bereits eine dieser Eigenschaften genügt, ist anerkannten Rechtens; wie könnte in einem Falle der letzteren Art die Frage beide Momente anführen ? Unbedingt zu korrigieren ist das Redaktionsversehen des § 147 StGB. Eine Frage dahin, ob der Angeklagte schuldig sei, das von ihm „auch" ohne die Absicht des Inverkehrbringens nachgemachte Geld als echtes in Verkehr gebracht zu haben, könnte nur Verwirrung stiften, glatte Bejahung nicht die Anwendung des § 147 begründen, da entgegen dem Wortlaute des Gesetzes die Voraussetzung ist, dafs der Angeklagte n i c h t in solcher Absicht nachgemacht hat. Sonach ist das irreführende Wort zu streichen. Auch die Anreizung zum Klassenkampf, § 130 StGB, darf nicht in der mifsverständlichen Fassung des Gesetzes erfragt werden; es handelt sich eben nicht um Aufreizung „verschiedener Klassen der Bevölkerung gegeneinander", sondern der einen Klasse wider die andere. In andern Fällen bewendet es bei einem nicht ganz entsprechenden gesetzlichen Wortlaut. Ausdehnende Interpretation erheischt keineswegs immer abweichende Fragenfassung. Das „nur mündlich erteilte Zahlungsversprechen" des § 301 (vgl. auch § 49a) StGB umfafst auch das konkludent gegebene : aber es hat nur die Rechtsbelehrung diese Deutung zu geben, während die Frage den gesetzlichen Ausdruck beibehält. Nur darf nie den Geschworenen eine f a l s c h e tatsächliche Feststellung zugemutet werden, wie sie vorliegen würde, wenn die Auslegung zur Gleichstellung eines g e g e n s ä t z l i c h e n Moments mit dem gesetzlichen Tatumstande führt und nun im Anschlüsse an den letztern das Gegenteil dessen erfragt würde, was gemeint ist. Hat X auf Geheifs des Y diesem gehörige Gegenstände im Sinne des § 308 StGB, die ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet waren, das Feuer fremden Gebäuden usw. mitzuteilen, in Brand gesetzt, so pafst dieses Strafgesetz, obwohl es zweifellos anwendbar ist, in der ersten Alternative „fremdes Eigentum" um deswillen nicht, weil dabei Inbrandsetzen ohne Einwilligung des Eigentümers vorausgesetzt ist, während die zweite Alternative „Gegenstände, die zwar dem Brandstifter eigentümlich gehören, jedoch ihrer BeB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

16

30. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

schaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer mitzuteilen" schon dem Wortlaute nach versagt. Sollen nun die Geschworenen einfach, ohne Erwähnung der Einwilligung des Eigentümers, feststellen, X habe „fremdes Eigentum" angezündet? Damit würde subsumiert unter einen zweifellos ausgeschlossenen gesetzlichen Tatbestand. Oder sollen sie wahrheitswidrig bejahen, dafs der Brandstifter ihm „eigentümlich gehörende" Gegenstände unter Gefahr der Weiterverbreitung des Feuers in Brand gesetzt habe? Es bleibt nur übrig, dem wirklichen Sachverhalt entsprechend zu fragen: Ist der Angeklagte schuldig, eine Hütte usw., welche dem Y eigentümlich gehörte und ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet war, das Feuer fremden Gebäuden mitzuteilen, mit Einwilligung des Y vorsätzlich in Brand gesetzt zu haben? Ist strikte Befolgung der gesetzlichen Anweisung, die inkriminierte Tat nach den Merkmalen des Strafgesetzes zu bezeichnen, undurchführbar, so mufs die wirkliche Rechtslage bei der Befragung den Ausschlag geben und das Fragvorbild, der strafgesetzliche Wortlaut, entsprechend umgestaltet werden 6. Die volle Unmöglichkeit, nach dem gesetzlichen Wortlaut zu fragen, erhellt ferner dann, wenn ein Strafgesetz ausnahmsweise analoge Anwendung freigibt und der analoge Fall vorliegt. Vgl. § 302b StGB: „unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder u n t e r ä h n l i c h e n V e r s i c h e r u n g e n oder Bet e u e r u n g e n " ; ferner §§ 360 Z. 9, 367 Z. 9, 370 Z. 2 usw. Hier ist gegebenenfalls die analoge, im Gesetze nicht mitbenannte Spezies in die Frage einzusetzen. Das Gericht hat bei der Befragung den Analogieschlufs zu vollziehen und seine Richtigkeit nachzuprüfen beim Entscheid über die Straffrage im Anschlüsse an das Verdikt. Unrichtige analoge Anwendung begründet die Revision. VII. Die Befragung bezieht sich mit auf n e g a t i v e Tatbestandsmerkmale. Aber es gilt, diesen Begriff richtig zu erfassen. Deliktsausschliefsungsgründe wie Notwehr, Notstand usw. sind anspruchshindernde Tatsachen, nicht ist ihr Fehlen anspruchserzeugendes Moment ; Bejahung der Schuldfrage enthält von selbst ihre Verneinung. Aufnahme solcher Umstände in die Hauptfrage ist im gleichen Mafse fehlerhaft, wie die Vorlegung einer entsprechenden Nebenfrage 7. 6 Nicht zutreffend die vom RG 3. Str.-S. in Goltd. Arch. Bd. 41 S. 33 f. gebilligte Fragestellung. 7 Vgl. den Fall RG 3. Str.-S. E. Bd. 12 S. 337 f., wo mit vollem Rechte die Revision für begründet erachtet wurde.

§ 30. Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

243

Wahre negative Tatbestandsmerkmale sind solche, die wesentliche Teile bilden des anspruchserzeugenden Tatbestandes und daher in jedem Einzelfalle der Feststellung bedürfen. Zum Totschlag gehört immer der Mangel der Überlegung bei der Ausführung, § 212 StGB. Während hier die Negative nur Umkehrung ist des für den Mord geforderten positiven Moments, haben die weiter folgenden tatbestandlichen Negativen durchaus selbständige Bedeutung. Statt einem verbietenden Regelrechtssatz einen erlaubenden Ausnahmerechtssatz an die Seite zu stellen, wird öfters ein Verbot gleich mit der Ausnahme ausgesprochen und so zum Ausdrucke gebracht, dafs das Nichtbestehen der Ausnahme als feststellungsbedürftiges negatives Tatbestandsmoment gemeint ist. Den Postbeamten ist durch § 354 StGB die Brieferöffnung usw. verboten „in Fällen, die vom Gesetze nicht vorgesehen sind"; die Feststellung hat sich stets auf diese Negative mit zu erstrecken 8. Der Tatbestand des § 360 Z. 10 fordert, dafs der Aufforderung zum Hilfeleisten „ohne erhebliche eigene Gefahr" genügt werden konnte; die Geschworenen sind wieder über das negative Tatbestandsmerkmal mit zu befragen. Völlig sichere Anwendungsfälle ergeben ferner die Verbote mit Dispensschranke: §§ 360 N. 1, 4, 5, 367 N. 3,4,8,11, 369 N. 1 („ohne besondere Erlaubnis", „ohne polizeiliche Erlaubnis" usw.); die Bestrafung ist ganz zweifellos an die F e s t s t e l l u n g fehlender Erlaubnis geknüpft (gebraucht doch der Gesetzgeber an anderen Stellen in gleichem Sinne das Wort „unbefugt", dem der Charakter eines unentbehrlichen Fragmoments noch nie bestritten worden ist, vgl. §§ 290, 296a, 360 Z. 14 usw. StGB). Interessant ist die gegensätzliche Behandlung einer entsprechenden Negative gemäfs § 227 StGB einerseits, § 367 Ζ . Ί 0 andererseits. Dort geht die Frage einfach auf Beteiligung an einer Schlägerei mit tödlichem usw. Ausgang und bedarf der Verneinung, wenn die Geschworenen annehmen, der Angeklagte sei ohne sein Verschulden in den Raufhandel verwickelt worden. Die Übertretung des § 367, 10 hingegen betrifft ein von vornherein durch die doppelte Negation, dafs der Täter „nicht ohne sein Verschulden" in die Schlägerei hineingezogen worden ist, beschränktes Unrichtig v. S c h w a r z e zu § 295 Bern. 6: es sei zulässig, die Überschreitung des Züchtigungsrechtes in der Hauptfrage zu konstatieren. 8 Vgl. RG 2. Str.-S. Entsch. Bd. 22 S. 394 f. 16*

30.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

Verbot, daher nimmt die Frage das negative Moment mit auf. Der Bau des Strafgesetzes in dem einen und andern Falle läfst erkennen, dafs hier die Negative anspruchsbegründende Tatsache ist, dort nur der Strafanspruch ausgeschlossen wird durch den Mangel des Verschuldens. V I I I . Die Frage umfafst auch n o t o r i s c h e und g e r i c h t s k u n d i g e T a t s a c h e n . Ihre Auslassung würde einen Teil des Schuldentscheids gesetzwidrig den Geschworenen entziehen, dem Gericht reservieren 9. Es mufs darauf gerechnet werden, dafs die Geschworenen der vom Gesetz ihnen beigelegten Richterqualifikation auch in dem Sinne sich gewachsen zeigen, dafs sie nicht Notorisches usw. verneinen. Sie werden, um einige Beispiele zu geben, im Falle des § 154 Abs. 2 StGB auch darüber mitbefragt, ob ein Angeschuldigter, zu dessen Nachteil ein falsches Zeugnis abgegeben sein soll, zum Tode usw. verurteilt worden sei; haben auf die Bankeruttfrage hin mit den übrigen Deliktsmomenten auch die Tatsache festzustellen, dafs der Angeklagte seine Zahlungen eingestellt hat, dafs über sein Vermögen Konkurs eröffnet worden ist. IX. Die Hauptfrage nimmt zuweilen aufser dem gegebenen strafgesetzlichen Tatbestand noch weitere Tatmomente in sich auf. Während die Mehrheitsfrage z w e i Tatbestände, die der ideal konkurrierenden Delikte, vereinigt, kann es zur gehörigen Gesetzesanwendung auf e i n e n Tatbestand, auf eine Deliktseinheit, der Hinzunahme b e s t i m m t e r e i n z e l n e r T a t m e r k m a l e bedürfen. Wenn § 257 StGB die vor Begehung der Tat zugesagte Begünstigung als Beihilfe bestraft, so hat die Konstatierung des vorgängigen Versprechens die doppelte Bedeutung, die Anwendung des Begünstigungsparagraphen auszuschliefsen, die des Beihilfeparagraphen zu begründen. Feststellung von Beihilfe wäre verkehrt, denn es ist ja vielmehr im voraus zugesicherte Begünstigung verübt worden. Die Frage geht also auf dieses Delikt, das nach seinen gesetzlichen Merkmalen zu konstatieren ist, aber mit dem Anfügen, dafs der Angeklagte den Beistand dem Täter vor Begehung der Tat zugesagt habe. Dieser Zusatz bildet das Kriterium für die Nichtanwendung des einen, für die Anwendung des andern Gesetzes. Die Frage ist E i n h e i t s f r a g e m i t Gesetzanwendungskriterium. Der gleiche Fragtypus kehrt wieder, wenn eine bestimmte Deliktsfolge nach positiver Vorschrift ein tatbestandlich nicht 9

Zutreffend H é l i e , Prat. crim. I nr. 815.

§ 30.

Die abstrakten Bestandteile der Hauptfrage.

Fortsetzung.

245

gegebenes Strafgesetz zur Aktion bringt. Die Aufforderung zur Begehung einer strafbaren Handlung, § 111 StGB, ist von der Anstiftung prinzipiell verschieden, wird aber wie Anstiftung bestraft, falls sie die strafbare Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat. Als drittes Beispiel mag folgen Tötung (Körperverletzung) im Duell unter vorsätzlicher Übertretung der Kampfregeln, strafbar nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung (Körperverletzung), es müfste denn nach dem Zweikampfstrafgesetze härtere Strafe verwirkt sein, § 207 StGB. Die in solchem Falle zu stellende k u m u l a t i v e Ε i n h e i t s f r a g e 1 0 enthält zunächst den Tatbestand des Zweikampfs, dann den des Mordes (Totschlags usw.), letztern mit dem Zusätze, dafs die vorsätzliche Tötung „mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten usw. Regeln des Zweikampfs" bewirkt worden sei. Vorsätzliche Tötung ohne Verletzung der Regeln bliebe ja im Rahmen des Duells, könnte nicht die Mord- usw.-Strafe begründen, während die Frage auf Mord usw. unter Regelübertretung ihrerseits die Feststellung von Zweikampf zur Voraussetzung hat. So mufs nach beiden Delikten kumulativ gefragt werden und es mufs die zweite Glietffrage, die Mord- usw.-Frage, das Gesetzanwendungskriterium, die vorsätzliche Regelverletzung, in sich aufnehmen. — Nach alledem stöfst die korrekte Ableitung der Fragformeln aus den Strafgesetzen häufig auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Buchstäbliche Befolgung der strafprozessualen Vorschrift, die Tat nach ihren „gesetzlichen Merkmalen" zu bezeichnen, ist vielfach unmöglich. Es bedarf in mannigfacher Hinsicht des Abund Zutuns, der Streichung, Ergänzung, Änderung, um das Fragvorbild, das Strafgesetz, den materiellen Fraganforderungen zu akkommodieren. Gut zu fragen ist [eine Kunst, die nur zu üben vermag, wer sich nicht beirren läfst am wahren Gesetzeswillen durch die Unvollkommenheiten des Gesetzesworts. — Mängel des Eröffnungsbeschlusses in Angabe der gesetzlichen Tatbestandsmomente ist das Gericht bei der Fragestellung zu verbessern berechtigt und verpflichtet 11 . Die Korrektur begründet einen Aussetzungsanspruch des Angeklagten 12 . 10

Vgl. oben § 15. Übereinstimmend die französ. Praxis, S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 20, 23, 213. 12 Vgl. oben S. 109. 11

246

§ 31. Die abstrakten Momente der Hilfsfrage.

§ 31. D i e a b s t r a k t e n M o m e n t e der H i l f s f r a g e . Die Hilfsfragen sind Hauptfragen, durch die eventuell Klagbesserung erzielt wird. Daher gilt für beide Fraggruppen der gleiche gesetzliche Inhalt. Der Charakter der Hilfsfrage als Hauptfrage wird besonders deutlich bei der qualifizierten, die Hauptfrage im engern Sinn verdrängenden Hilfsfrage. Die Hilfsfrage kann gleich der Hauptfrage auftreten in den verschiedenen Formen der Einheitsfrage : als schlichte, kombinierte, zusammengesetzte Einheitsfrage, als Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion. Klagbesserung durch Substituierung von Idealkonkurrenz für einfaches Delikt des Eröifnungsbeschlusses ergibt MehrheitsHilfsfrage. Hiernach versteht sich, dafs die Beziehungen zwischen Gesetzestatbestand und Schuldfrage, die vielfach unerläfslichen Abweichungen der Fragformel von der Gesetzesfassung, wie sie im vorgängigen Paragraphen für die Hauptfragen festgelegt sind, in vollem Umfange die Hilfsfragen mitbetreffen. Haupt- und Hilfsfrage haben bei der klagbessernden Natur der letztern häufig gewisse Tatbestandsmerkmale gemeinsam (z. B. im Verhältnisse von Diebstahl und Unterschlagung). Niemals aber darf die Angabe der gesetzlichen Tatmomente in der Hilfsfrage durch Bezugnahme auf die Hauptfrage teilweise ersetzt werden, da ja deren Verneinung vorausgesetzt wird, mit ihr aber dem Hinweise das Objekt entzogen würde 1 . Die Konkurrenz von Haupt- und Hilfsfrage stellt die Geschworenen vor die Alternative, ob ein Verschulden der einen oder andern Art von ihnen anzunehmen sei — Raub oder Erpressung, Diebstahl oder Unterschlagung —, falls nicht beide Fragen Verneinung fordern. Die Hilfsfrage mufs ihnen korrekte, dem Strafgesetz entsprechende Schuldfeststellung ganz ebenso ermöglichen, wie die Hauptfrage, was nicht zutreffen würde bei fehlerhafter Angabe der gesetzlichen Merkmale in der Hilfsfrage. Es führt daher, auch wenn die Hauptfrage richtig gestellt war und uneingeschränkt bejaht worden ist, die Fehlerhaftigkeit der Hilfsfrage zur Aufhebung des Urteils 2 . 1

I n der Entsch. (2. Str.-S.) Bd. 2 S. 408 f. ist allerdings eine Ergänzung der Hilfsfrage aus der Hauptfrage für zulässig erklärt, aber nur beiläufig, während in dem entschiedenen Rechtsfalle selbst die Hilfsfrage vollständig gefafst war. 2 Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 33 S. 131 f.

§ 32.

Der abstrakte Inhalt der Nebenfrage.

247

§ 32. D e r a b s t r a k t e I n h a l t cler N e b e n f r a g e 1 . Schuldnebenfragen dienen, die Haupt- und Hilfsfragen ergänzend, der bestimmungsgemäfsen Aufgabe der Jury, die Schuld des Angeklagten zu ermitteln. Strafnebenfragen greifen als bedauerliche Konzessionen an Überspannung der Geschworenenkompetenz in das bei zutreffender Scheidung dem Gericht zu belassende Arbeitsgebiet ein. I. Die S c h u l d nebenfrage hat, jenachdem sie auf einen Qualifikations- oder Privilegierungsgrund sich richtet, schulderhöhende oder schuldmindernde Funktion. In der Fassung der Frage kommt diese Verschiedenheit nicht zum Ausdruck. Es wird einfach gefragt nach dem Tatumstand, der im Gesetz als Erschwerungs-, als Milderungsgrund anerkannt ist. Ein schwerer Fehler wäre, die Nebenfrage, die stets a k z e s s o r i s c h zur Hauptfrage hinzutritt, selbst wie eine Hauptfrage zu gestalten, als Frage nach der „Schuld" des Angeklagten zu stellen. Es wird vielmehr durch die Nebenfrage von den Geschworenen nur verlangt, die mit Bejahung der Hauptfrage schon festgestellte Schuld positiv — erhöhend oder mindernd — oder negativ in einer einzelnen Richtung noch weiter zu bestimmen. Das Grunddelikt, d. i. das Delikt der Hauptfrage, wird in der Nebenfrage, soweit diese es anführt, zur „Tat": Ist die zu 1 bezeichnete T a t zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude, in welches sich der Täter in diebischer Absicht eingeschlichen hatte, begangen worden? (§ 243 N. 7 StGB). Damit fällt von selbst weg die technische Bezeichnung des Grunddelikts (Raub, Erpressung, Hehlerei, Untreue, Urkundenfälschung, Wucher usw.), wie sie häufig in qualifizierender lex specialis (z. B. in den §§ 251, 254, 260, 266 Abs. 2, 268, 302d StGB) sich findet, während die lex generalis (vgl. die §§ 249, 253, 258, 259, 266 Abs. 1, 266, 302 a bis 302 c) definiert. Ist in den qualifizierenden, privilegierenden Sachverhalt ein Undefinierter Begriff aufgenommen, so bleibt dieser in der Frage jedenfalls dann Undefiniert, wenn auch an anderer Stelle das Strafgesetz eine Begriffsbestimmung nicht gegeben hat. Dies gilt z. B. für „Rädelsführer", § 115 Abs. 2 StGB, für „gewerbs-, gewohnheitsmäfsige Begehung", §§ 260, 294, 302d StGB usw. Und gegenüber anderweiter Begriffsbestimmung ist zunächst zu prüfen, ob ihre 1

O e t k e r a. a. 0. S. 199 f.

§ 3.

248

De

abstrakte

n t

der

frage.

Übernahme in die Nebenfrage an Stelle des terminus technicus den mutmafslichen Intentionen des Gesetzgebers entspricht. Es wird also in diesen Fällen eben die Erwägung notwendig, die bei der Lehre von der Hauptfrage schon angestellt werden mufste 2. „Schwere Körperverletzung" ist in der Nebenfrage, wie in einer die Qualifikation aufnehmenden Hauptfrage, durch die Definition zu ersetzen, „Mord", „Raub" im Falle des § 307 N. 2 beizubehalten usw. I I . Die S t r a f nebenfrage betrifft ganz ausnahmsweise, im Falle der Retorsion, einen (fakultativen) Strafausschliefsungsgrund, sonst einen Strafaufhebungsgrund oder mildernde Umstände. 1. Die Wiedergabe des S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d e s in der Frage begegnet Schwierigkeiten nicht. Die gesetzliche Fassung ist unmittelbar mafsgebend. Z. B.: Hat der Angeklagte, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt — und bevor ein Rechtsnachteil für einen andern aus der falschen Aussage entstanden war, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hatte, widerrufen? (§ 163 Abs. 2 StGB). Dafs der Strafaufhebungsgrund, wie im Beispiel (vgl. § 163 Abs. 1), für eine Mehrheit von Delikten wirksam ist, bedingt nicht Fassungsverschiedenheiten der Nebenfrage: durch den Anschlufs der letztern an die Hauptfrage ist der Bezug des Aufhebungsgrundes auf das eine oder andere Delikt genügend klargestellt. 2. Ein für mehrere Angeklagte wirksamer Strafaufhebungsgrund. z. B. die freiwillige Aufgabe des Zweikampfs durch die Parteien vor dessen Beginn, § 204 StGB, kann nur einmal von den Geschworenen festgestellt werden. Die Nebenfrage wird ihnen im Anschlufs an die erste Hauptfrage für den Fall der Schuldbejahung vorgelegt. Beim folgenden Angeklagten kommt die Nebenfrage nur in Betracht, wenn die Schuld des Vormanns verneint wurde usw. Bejahung der Nebenfrage nötigt zur Verneinung der Schuldfragen betreffs der übrigen mitbetroffenen Angeklagten. 3. Für die Retorsionsnebenfrage besteht die Eigentümlichkeit, dafs sie, weil auf einen fakultativen Strafausschliefsungs- oder Strafaufhebungsgrund gerichtet, nie vertretbar ist durch die Hauptfrage, vielmehr, wenn die Erwiderung überhaupt berücksichtigt werden soll, besonders gestellt werden mufs. In die Retorsionsnebenfrage sind dem Wortlaute der §§ 199, 233 StGB entsprechend die technischen Ausdrücke „Beleidigung", „leichte Körperverletzung" aufzunehmen, nur ist, wenn es sich um 2

Vgl. oben S. 234, 235.

§ 32. Der abstrakte Inhalt der Nebenfrage.

249

Erwiderung einer leichten Körperverletzung oder mit einer solchen handelt, zu fragen: Ist die „Tat" auf der Stelle erwidert worden? mit einer Beleidigung auf der Stelle erwidert worden? ist durch die zu 1 usw. gedachte „Tat" eine Beleidigung, leichte Körperverletzung auf der Stelle erwidert worden? „Beleidigung" wird auch in der Hauptfrage nicht definiert, „leichte Körperverletzung" dagegen in der Hauptfrage wegen dieses Delikts nach den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen bezeichnet, weshalb zur Vermeidung schleppender Wiederholung von abermaliger Definition in der Nebenfrage abzusehen ist. Würde die eben in der Hauptfrage nach den gesetzlichen Merkmalen bestimmte Tat in der Retorsionsnebenfrage als „leichte Körperverletzung" bezeichnet, so könnte im Hinblick auf den Ersttäter die doppelte Charakterisierung derselben Tat einen Zweifel über deren Identität hervorrufen, indem zuerst nach der Begehung einer gesetzlich definierten und dann nach der Erwiderung einer Undefinierten Körperverletzung gefragt würde, und immer insofern Verwirrung stiften, als durch die unmittelbar folgende Hinzufügung des terminus technicus den Geschworenen das Mifsverständnis nahe gelegt würde, dafs sie in dem Worte „leicht" ein ferneres bei der Hauptfrage besonders zu prüfendes Tatbestandsmerkmal des Delikts zu erblicken hätten. Stehen Ersttäter und Retorquent unter Anklage, so wird die Nebenfrage für den letzteren in der Regel dahin gefafst werden: Hat der Angeklagte durch die zu 3 gedachte Tat die zu 1 gedachte Beleidigung usw. erwidert? Ist nach der Sachlage ein Zweifel möglich, ob die erwidernde Injurie usw. sich auf die inkriminierte oder eine andere Injurie usw. des Ersttäters bezog, so heifst es statt dessen: „eine Beleidigung erwidert". Dann kommt zur Feststellung das Erwidertsein einer, der erwidernde Charakter einer anderen Injurie, aber nicht der Erwiderungskonnex zwischen ihnen. 4. Die Frage nach m i l d e r n d e n U m s t ä n d e n darf niemals einzelne Minderungsgründe nennen, weder allein, noch in Verbindung mit der Generalklausel „oder andere mildernde Umstände". Sie geht dem Gesetz entsprechend auf „mildernde Umstände" schlechthin. Nur scheinbar wird die Hervorhebung eines einzelnen mildernden Umstandes in der Frage gestattet oder gar geboten durch § 213 StGB 8 . 3

So O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 213 Bern. 2.

250

§ 3.

De

abstrakte

n t

der

frage.

In Wahrheit vereinigt dieses Gesetz in sehr inkorrekter Weise ein privilegiertes Totschlagsdelikt (bei Reizung zum Zorn) mit Anerkennung mildernder Umstände für einfachen Totschlag 4 . Während die Entwürfe zu § 213 im Anschlufs an § 177 preufs. StGB nur die spezielle Privilegierung anerkannt hatten, wurde in der Reichstagskommission, um für fernere ähnliche Verhältnisse Strafmilderung zu erzielen, hinzugefügt: „oder sind andere mildernde Umstände vorhanden?" Allein richtig wäre gewesen, die mildernden Umstände in dem vorgängigen, vom einfachen Totschlag handelnden § 212 zur Anerkennung zu bringen, die spezielle Berücksichtigung der Reizung aber entweder ganz aufzugeben oder den Entwürfen gemäfs in Form eines privilegierenden Gesetzes beizubehalten. Die alternative Vereinigung beider Dispositionen in einem Paragraphen war technisch verkehrt und das Wort „andere" ist ein schlimmer Redaktionsfehler. In der Gesetzesanwendung sind beide Bestimmungen zu trennen und sowohl materiellrechtlich als prozessual selbständig zu behandeln. Die Verneinung der Reizung durch die Geschworenen setzt nach §§ 262 Abs. 2, 307 Abs. 2 StPO Zweidrittelmehrheit, die der mildernden Umstände nach §§ 297 Abs. 2, 307 Abs. 2 StPO nur einfache Mehrheit voraus. Zweifellos ist die „Reizung", wie man über die rechtliche Bedeutung dieses Moments immerhin denken mag, ein im Strafgesetz besonders vorgesehener, die Strafbarkeit vermindernder Umstand (§ 262 Abs. 2). Hiernach ist alternative Befragung über Reizung „oder andere mildernde Umstände" jedenfalls unmöglich. Würde andererseits lediglich nach mildernden Umständen gefragt ohne Erwähnung der Reizung, so wären die Geschworenen auch nicht in der Lage, diese gebührend zu berücksichtigen. Ist nach dem Eröffnungsbeschlufs oder nach den Ergebnissen der Verhandlung die Reizung zu prüfen, so hat der Angeklagte auf die mildere Strafe Anspruch, wenn auch nur fünf Geschworene das mildernde Moment annehmen. Es bleibt daher in solchem Falle nur übrig, nach dem besonders vorgesehenen Umstand auch besonders zu fragen und eventuell daneben noch nach mildernden Umständen. Die Reizung kommt nicht zu ihrem Rechte, wenn sie unausgesprochen unter die mildernden Umstände einbegriffen wird. Die Tatsache, dafs mildernde Umstände nach § 297 4 Gut die Marburg. Diss, von E r l a n g e r , Bedeutung des § 213, 1903.

Materiellrechtl. uud prozess.

§ 32.

Der abstrakte Inhalt der Nebenfrage.

251

Abs. 2 StPO schlechthin, ohne dafs für bestimmte mildernde Umstände eine Ausnahme gemacht wäre, mit sieben Stimmen, besonders vorgesehene strafmindernde Umstände aber nach § 262 Abs. 2 mit acht Stimmen verneint werden, ist ein sicheres strafprozessuales Indizium für den juristischen Charakter der Reizung. Sie ist ein im § 213 mit mildernden Umständen unorganisch verbundener Privilegierungsgrund. Daraus folgt weiter, dafs auch die Geschworenen Nebenfrage wegen der Reizung (nicht wegen der „anderen" mildernden Umstände) mit der Konsequenz beantragen können, dafs Ablehnung nur aus Rechtsgründen möglich ist (§§ 296, 297 StPO). Aufnahme des privilegierenden Moments in die Hauptfrage ist durchaus zulässig6. Nebenfrage nach mildernden Umständen kann, wenn die Geschworenen auch wegen der Reizung befragt werden, nur für den Fall der Verneinung dieses Moments (sei's dafs es in eine Nebenfrage verwiesen, sei's dafs es in die Hauptfrage aufgenommen ist) gestellt werden, da nur der einfache, nicht auch der privilegierte Totschlag mildernde Umstände zuläfst. Dieses BedingungsVerhältnis ist im Eingange der Nebenfrage bestimmt zu konstatieren. Es ist aber, soweit nicht der Eröffnungsbeschlufs, das Verhandlungsergebnis oder der Antrag eines Prozefsbeteiligten (§ 296 StPO) entgegensteht, zulässig, unter Beiseitelassung der Reizung lediglich nach mildernden Umständen zu fragen. Bei doppelter Befragung sind Geschworene, welche zur ersten Frage erfolglos für Reizung gestimmt hatten, nicht genötigt, aber auch nicht gehindert, mildernde Umstände anzunehmen. — Nicht selten kommen mildernde Umstände nur für den Fall teilweiser Verneinung der Hauptfrage, z. B. des in sie aufgenommenen Qualifikationsgrundes, in Betracht. Die Nebenfrage wird dann auch nur unter dieser — bestimmt zu fixierenden — Bedingung gestellt. Niemals genügt für mehrere Angeklagte e i n e Frage nach mildernden Umständen. Wohl wenn Haupt- und Hilfsfrage solche zulassen und die Geschworenen in beiden Richtungen danach gefragt werden sollen. Während im Falle der Idealkonkurrenz mildernde Umstände sowohl für beide Delikte als nur für eines von ihnen gesetzlich 5

Vgl. E r l a n g e r S. 44.

§ 33. Die Individualisieriingsmomente.

252

wirksam sein und erfragt werden können, läfst Gesetzeskonkurrenz nur einheitliche Befragung darüber zu. Die Nebenfrage ist doppelt bedingt, wenn bei rückfälligem Delikt nach mildernden Umständen gefragt wird. Sind solche auch beim einfachen Delikt anerkannt, so bedarf es insofern eventuell besonderer Frage. Im ersteren Fall sind Bedingungen der Nebenfrage die Bejahung der Hauptfrage und die Annahme der Rückfallsvoraussetzungen durch das Gericht, im letzteren ist es lediglich die Bejahung der Hauptfrage. Ob die zweite Bedingung sich erfüllen wird, steht bei Beantwortung der Nebenfrage noch dahin. Befragung unter einer derartigen Bedingung kommt auch nur in diesem Verhältnis vor; in allen anderen Fällen besteht die Bedingung in einem Umstand, dessen Eintritt oder Nichteintritt von einer vorgängigen Antwort der Geschworenen abhängt. Wird die Vorlegung der Nebenfrage für rückfälliges Delikt beantragt , während der Eröffnungsbeschlufs auf einfaches Delikt lautet, so hat das Gericht zu prüfen, ob nach den Verhandlungsergebnissen die Rückfallsvoraussetzungen präsumtiv anzunehmen sind, und nur in diesem Falle die Frage zu stellen. § 33.

Die

Individualisierungsmomente1.

Das Gesetz verlangt und mufs verlangen neben Angabe der besonderen wesentlichen Verbrechensmerkmale, soweit sie im Einzelstrafgesetz aufgenommen sind, die Individualisierung der Tat in der Frage. Ein Urteil wäre ja in sich nichtig, wenn es sich nicht auf einen bestimmt erkennbaren \7erbrechensfall bezöge. Auch könnte ein nicht individualisierter Geschworenenspruch nicht aus dem Eröffnungsbeschlufs (etwa noch in Verbindung mit der Anklageschrift) interpretiert werden. Denn es fehlte die Gewähr, dafs die Geschworenen dieselbe individuelle Tat gemeint hätten, die im Eröffnungsbeschlufs bezeichnet ist. 1

Hervorzuheben P l a n c k , System. Darstellung S. 400 f.; H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 109f.; D e r s e l b e , Über das Verhältnis des konkreten zu dem gesetzlichen Tatbestande des Verbrechens im schwurgerichtl. Verfahren, Goltd. Arch. Bd. 10 S. 226 f., 337 f., 377 f.; D e r s e l b e in v. Holtz. Handb. I I S. 156 f.; v. B a r , Recht und Beweis S. 65 f., 153 f., 169 f.; Z a c k e , Fragstellung und Wahrsprüche S. 40 f. Vgl. weiter S t e n g l e i n im Ger.-Saal Bd. 34 S. 161 f., Bd. 44 S. 402f.; M i t t e l s t a d t das. Bd. 37 S.557f.·, D a l c k e , Fragestellung und Verdikt S. 57 f.; R o s e n b l a t t im Ger.-Saal Bd. 35 S. 332f. (österreichisches Recht).

§ 33. Die Individualisierngsmomente.

Nun ist die Gesamtheit der Merkmale, die ein bestimmtes Geschehnis, eine Brandstiftung z. B., von allen anderen denkbaren Vorgängen gleicher Art unterscheiden in jedem Einzelfalle unendlich grofs. Das Verlangen, sie sämtlich festzustellen, würde jede Rechtspflege unmöglich machen. Und Übereinstimmung zwischen einer Mehrheit von Urteilern über sämtliche einzelne Individualisierungsmerkmale wäre, auch wenn diese alle feststellbar wären und alle Urteiler genau dieselbe Tat meinten, niemals zu erzielen. Da das Ganze für menschliche Richter nicht erreichbar ist, so mufs der Teil genügen. I. Wie aber ist dieser Ausschnitt aus der Gesamtheit der individualisierenden Momente näher zu bestimmen ? Die Beschreibung der Tat im Urteil, im Geschworenenspruch mufs sich auf die Angabe solcher Merkmale beschränken, die bei einer verständigen Beurteilung der Verhältnisse, frei von übertriebener Skepsis und kritikloser Schnellfertigkeit, Identitätszweifel ausschliefsen. Wie der Mensch, so kann zumeist auch die Tat des Menschen einen Doppelgänger haben. Das ist auch denkbar bei Verbrechen mit unteilbarem, einer Wiederholung nicht fähigen Erfolg, der Tötung eines Menschen z. B. Gewifs kann X nicht zweimal getötet worden sein, aber es ist nicht ausgeschlossen, dafs die Annahme, X sei getötet worden, sich als unrichtig erweist, indem vielmehr der Doppelgänger des X getötet worden ist. Ein Rest von Ungewifsheit bleibt stets, wie genau immer die Tatfeststellung geschehen mag 2 . Der Verbrechensfall ist ein zeitlich und örtlich charakterisiertes Faktum, das in einem bestimmten Tun (Unterlassen) eines bestimmten Menschen, zumeist im Hinblick auf ein bestimmtes Objekt, besteht. Das Subjekt ergibt sich stets aus der Frage. Zeit und Ort sind, so genau es angeht, in die Frage aufzunehmen. Die Tat kann aber nicht deshalb als unbestimmt gelten, weil die entsprechende Angabe nur in allgemeinerem Umrifs, nicht in erschöpfender Spezialisierung, nicht bis auf die Minute usw., gemacht worden ist. Mangel j e d e r Mitteilung von Zeit und Ort wäre immer Mangel der Individualisierung 8 . Die Tätigkeit ist im Strafgesetz bald ganz allgemein bezeichnet » H. M e y e r in Goltd. Arch. Bd. 10 S. 345f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 649; D a l c k e , Fragestellung S. 59 fordern Individualisierung derart, dafs unter den angegebenen Umständen die Anklagetat nur einmal begangen sein könne. Das ist aber nicht durchführbar. 8 Vgl. preufe. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 13 S. 139.

§ 33. Die Individalisierngsmomente.

254

(Töten, in Brand Setzen, körperlich Mifshandeln usw.), bald —• so besonders in qualifizierenden Gesetzen — durch das Erfordern bestimmter Folgen, Mittel usw. in engere Grenzen gewiesen. Es mag sich vielfach empfehlen, in der Frage noch eine speziellere Angabe der konkreten Tätigkeitsform hinzuzufügen. Doch auch dies wird zumeist nur in einer Weise geschehen können, die immer noch eine Reihe von Möglichkeiten umfafst. So bei Anführung des Mittels : Dolch, Pistole, Axt usw., womit eben nur eine Kategorie, nicht ein Sachindividuum genannt ist, sodafs diese Spezialisierung öfters ohne erheblichen Wert sein wird, ganz abgesehen von den Bedenken, die sich mit eng gefafsten Fragen an die Geschworenen leicht verbinden können. Der Gegenstand der verbrecherischen Handlung, das Durchgangsobjekt, durch das der Angriff auf das Rechtsgut (das Angriffsobjekt des Verbrechens im Rechtssinne) erfolgt 4 , gestohlene bewegliche Sache, fälschlich angefertigte Urkunde usw. wird meist schon deshalb in der Frage generisch genannt, weil das Strafgesetz das Objekt mit aufführt. Soweit dies nicht zutrifft (z. B. bei unbefugter Jagdausübung, § 292 StGB), bleibt die Erwähnung dem richterlichen Ermessen überlassen. Auch kann eine fernere speziellere Angabe des Objekts (goldene Uhr, Brillantring usw.) neben der gesetzlichen Charakterisierung am Platze sein ; insbesondere bei den Eigentumsvergehen, den Delikten gegen die Person läfst die Weite der Kategorie „bewegliche Sache", „Mensch" eine nähere Bezeichnung zur Individualisierung vielfach als geboten oder doch dienlich erscheinen 5. Die Person, in Beziehung auf welche deliktisch gehandelt worden ist, braucht nicht mit dem Verletzten, der meist unter dem Gesichtspunkte des „Objekts" in Betracht käme, identisch zu sein. Man denke an Zuhälterei gegenüber der Dirne X , an Ehebruch mit der Ehefrau Y, an Zweikampf mit dem Z. In solchen 4

Vgl. O p p e n h e i m , Objekte des Verbrechens S. 154 f. Die Fragen wegen übeler Nachrede, Verleumdung werden den „anderen", §§ 186, 187 StGB, wohl immer nennen. Die Frage wegen Aszendenten-Totschlags sollte sich nie darauf beschränken, als Objekt einen „Verwandten aufsteigender Linie" aufzuführen, sondern den Namen enthalten, schon damit nicht die Verneinung des Qualifikationsmomentes (weil die Geschworenen annehmen, der Angeklagte sei sich bei der Tat der Aszendenten-Eigenschaft nicht bewufst gewesen) ein Vakuum ergibt. Ein solcher Spruch müfste zum Berichtigungsverfahren führen wegen Unvollständigkeit der Frage, die ein qualifiziertes Delikt formell wie ein einfaches behandelt hätte. 5

§ 33. Die Individualisierngsmomente.

Fällen enthält naturgemäfs die Schuldfrage die bezügliche Namensangabe. Minimalerfordernis ist hiernach immer annähernde Bestimmung von Zeit und Ort, während das Mafs der gebotenen Individualisierung im übrigen wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt6. Die Frage wegen Anstiftung und Beihülfe enthält stets die Individualisierung der Haupttat. Damit ist auch die anstiftende, helfende Tätigkeit individualisiert, und es bedarf daher insofern einer weiteren tatsächlichen Angabe von Ort und Zeit der Anstiftungshandlung usw. nicht 7 . Eine Ausnahme besteht, wenn die Haupthandlung im Auslande begangen worden ist: dann darf die Teil nehmerfrage keinen Zweifel darüber lassen, ob der Teilnehmer im Inlande oder Auslande gehandelt hat, weil für ihn die Strafgesetzanwendung von diesem Umstände abhängt 8. 6

In gleichem Sinne bereits v. S t e m a n n in Goltd. Arch. Bd. 2 S. 170. Vgl. ferner L ö w e - H e l l w e g § 293 Bern. 13b; B i r k m e y e r S. 653; RG 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 36 S. 157, 4. Str.-S. das. Bd. 48 S. 440; 1. Str.-S. E. Bd. 38 S. 421 f.; zahlreiche Entscheidungen des österr. Kass.-Hofs, z. B. v. 20. Nov. 1874 Entsch. Bd. 1 S. 146 f., v. 7. Juni 1880 E. Bd. 3 S. 271 f., v. 26. Nov. 1880 das. S. 369 f., v. 22. Juni 1881 E. Bd. 4 S. 149 f., v. 24. Febr. 1899 Entsch. N. F. Bd. 1 S. 180 f., v. 9. Jan. 1904 E. N. F. Bd. 6 S. 52 f. H. M e y e r s Darlegungen über die Individualisierung bei den einzelnen Verbrechensarten, Goltd. Bd. 10 S. 346 f., 377 f., geben nützliche Winke, enthalten nicht bindende Normen. Insbesondere kann nicht zugegeben werden, dafs die Meineidsfrage notwendig den Wortlaut der beschworenen Aussage enthalten müsse — H. M e y e r bei Goltd. S. 378; U l i m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 514 Anm. 5 —, vielmehr haben auch insofern die Umstände des Falles zu entscheiden. Selbst wenn z. B. der Angeklagte im Verlaufe desselben Zivilprozesses mehrfach zum Eide gekommen sein sollte, wird zumeist schon die Zeitangabe der Frage den gemeinten Eidesvorgang klar erkennen lassen. Vgl. auch preufs. Ob.-Trib. bei Goltd. Bd. 12 S. 766, bei O p p e n h o f f 11, 298 und 14, 298; österr. Kass.-Hof v. 13. Juni 1881 Entsch. Bd. 4 S. 146 f., v. 10. Jan. 1885 E. Bd. 7 S. 290 f. Die französische Rechtsübung verlangt Angabe von Ort und Zeit und soweit angängig des Verletzten (dies nicht als unbedingt wesentlich erachtet), H é l i e , Prat. crim. I nr. 830; S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 89 f. 7 Vgl. Z a c k e , Fragstellung S. 41; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 647 Anm. 3. 8 Ist die Haupthandlung nach ausländischem Rechte nicht strafbar, wohl aber nach inländischem, so unterliegt die inländische Teilnahmehandlung dem inländischen Gesetz. Vgl. B i n d i n g , Handbuch I S. 425; RG 3. Str.-S. E. Bd. 9 S. 10. Hiernach wird wegen Teilnahme an ausländischem Delikt Einheitsfrage

256

§ 33.

Die Individualisieriingsmomente.

Dagegen mufs jede Mittäterfrage den Tatbestand sowohl in rechtlicher als in tatsächlicher Hinsicht ganz enthalten. Die Individualisierung der Frage unterscheidet sich wesentlich von der Substantiierung der Tat in der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschlufs, §§ 198, 205 StPO 9 . Die dem Angeschuldigten „zur Last gelegte Tat", wie Klageschrift und Klagbeschlufs sie enthalten müssen, ist das nach den konkreten Tatbestandsmerkmalen in Parallele mit den abstrakten gesetzlichen Tatumständen bezeichnete Faktum 1 0 . Für die Frage ist dieses Nebeneinander nicht vorgeschrieben, sie hat die gesetzlichen Tatmomente anzuführen, die konkreten nur insoweit, als es zum Zwecke der Individualisierung erforderlich erscheint. Dieser Gegensatz tritt klar hervor schon im Wortlaute der §§ 198, 205 einerseits — Angabe der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Tat „unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale", nicht nur „nach ihren gesetzlichen Merkmalen" —, des § 293 andererseits — Angabe der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat „nach ihren gesetzlichen Merkmalen und unter Hervorhebung der zu ihrer Unterscheidung erforderlichen Umstände". Die Individualisierungsmomente im § 293 sind doch keinesfalls als ein Drittes neben den gesetzlichen und den konkreten Tatmomenten zu deuten, die Annahme aber ihrer Identität mit den letzteren verbietet sich durch die signifikante Verschiedenheit der Ausdrucksweise in jenen und in diesem Paragraphen. Zu dem gleichen Ergebnis führt die Gesetzesgeschichte, die ergibt, dafs für die Frage nur Individualisierung gewollt i s t 1 1 . Der Antrag auf Voruntersuchung hingegen, § 177 StPO, braucht konkrete Tatsubstantiierung nicht zu enthalten und kann sie vielfach nicht geben, wohl ist auch hier zu individualisieren, während es cler Angabe auch der gesetzlichen Tatmerkmale bei dem vielfach noch ungewissen Rechtscharakter der Tat nicht bedarf; das Gesetz verlangt nur Bezeichnung der dem Beschuldigten „zur Last gelegten Tat" ohne weiteren Zusatz. I I . Indem von der Gesamtheit der Individualisierungsmerkmale stets nur einige wenige als relevant und ausreichend zur Untermit Doppelsubsumtion, oben S. 158, nur gestellt, wenn auch die Teilnahmehandlung in das Ausland fällt. 9 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g zu § 198 Bern. 4, zu § 205 Bern. 2, zu § 293 Bern. 13; v. K r i e s S. 615; U l i m a n n S. 516. 10 Abweichend G l a s e r I I S.576; B i r k m e y e r S.591Bem.6; B e n n e c k e B e l i n g S. 476; R o s e n f e l d S. 299, 304: es genüge Individualisierung. 11 Vgl. Mot. S. 174.

§ 33. Die Individualisieriingsmomente.

Scheidung in die Frage übergehen, die Hauptmasse aber unverwertet bleibt, ergibt sich das Bedürfnis gesonderter Bezeichnungen für jene und diese. Es ist üblich geworden, eine Tatspezialisierung, die über die Grenzen der gebotenen Unterscheidung hinausgeht, als „Konkretisierung" abzulehnen, dem Gerichte zu widerraten 12 . Im Anschlüsse an diesen Sprachgebrauch treten in Gegensatz die Individualisierungsmomente im engeren Sinn und die Konkretisierungsmerkmale. Die Grenze ist aber notwendig eine fliessende. Auch die weitestgehende Individualisierung schliefst zumeist nicht aus, dafs noch eine zweite, allen angegebenen Kriterien ebenfalls genügende Tat gedacht werden könnte. Als zivilprozessuales Analogon mag angeführt werden die Unmöglichkeit, zwischen Individualisierung und Substantiierung bei nicht-exklusiven dinglichen und Forderungsrechten eine scharfe Grenze zu ziehen. Der Richter, der die Tat untrüglich mit lückenloser Vollständigkeit individualisieren wollte, strebte Unerreichbares an. Ein Übermafs von Individualisierung oder, wie man zu sagen pflegt, eine zur Identifizierung nicht nötige „Konkretisierung" kann leicht schädlich wirken 1 S . Die Frage verliert an Verständlichkeit, wenn sie mit konkretem Stoffe zu sehr beschwert ist. Und namentlich bleibt zu bedenken, dafs die Geschworenen die abstrakten Deliktsmerkmale vielleicht in andern als den angegebenen konkreten Momenten finden oder diese z. T. in anderer Verkörperung sehen als das fragende Gericht und nun, durch die Frage sich beengt fühlend, fälschlich ganz verneinen, statt nur jene Tatumstände abzulehnen14. Eine ungerechtfertigte Freisprechung ist dann die 12 U n t e r s a g t im Gesetze ist solche Spezialisierung nicht. Vgl. auch U l i m a n n S. 516; B e n n e c k e - B e l i n g S. 548. 13 Vgl. bereits v. K r a e w e l in Goltd. Arch. Bd. V I S. 212 f.; Z a c k e , Fragstellung S. 53 f. und besonders H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 160 f. Treffend österr. J.-M. E. v. 9. Februar 1880 bei v. C r a m e r zu § 207 StPO. A. A. F r y d m a n n , Verteidigung S. 262. 14 Ein bezeichnendes Beispiel spezialisierter Befragung gibt H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 153: „Ist die Angeklagte schuldig, in dem Zeitraum vom Abend des 17. bis zum Morgen des 18. Oktober 1851 ein lebendiges uneheliches Kind geboren und dadurch, dafs sie dasselbe, ohne ihm die notwendige pflichtmäfsige mütterliche Pflege angedeihen zu lassen, auf dem kalten Lehmboden ihres ungeheizten Wohngemaches nackt und von aller Hülle entblößt nach der Geburt liegen liefs, den Tod ihres neugeborenen Kindes innerhalb der ersten 24 Stunden nach dessen Geburt zu Β vorsätzlich verursacht zu haben?" Wie nahe liegt da die Gefahr, dafs die Geschworenen in abweichender Auffassung von Nebenumständen einen Grund der Fragverneinung finden !

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

17

§ 33.

258

Die Individualisierngsmomente.

unausbleibliche Folge. Auch führt bereits die Bejahung der Schuldfrage unter Verneinung oder Andersbestimmung konkreter Umstände leicht zu technischen Schwierigkeiten. Zu einer über den Individualisierungszweck hinausgehenden teilweisen Konkretisierung gelangten alle diejenigen früheren Prozefsgesetze, die eine Ersetzung gewisser Rechtsbegriffe durch Angabe der entsprechenden tatsächlichen Verhältnisse forderten 15 . Zu ähnlichem Ergebnis führte auch die Anweisung in der württbg. StPO 1868 Art. 364: im Hinblick auf solche gesetzliche Merkmale, die einen nicht allgemein bekannten oder einen in seiner Anwendbarkeit auf den gegebenen Fall nicht unbestrittenen Rechtsbegriff enthielten, es nicht bei der Aufnahme des Merkmals selbst bewenden zu lassen, sondern dieses d a n e b e n , soweit tunlich, auf das entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückzuführen. Dagegen wird eine d u r c h g r e i f e n d e Konkretisierung neben der Angabe der gesetzlichen Merkmale in den deutschen Gesetzen nicht gefordert, vielmehr zur Charakterisierung des Verbrechensf a l l e s nur die Bezeichnung der unterscheidenden Nebenumstände der Handlung, insbesondere von Ort und Zeit, verlangt 16 . I I I . Die individualisierenden Tatmomente sind vielfach zugleich Strafzumessungsgründe (Beschaffenheit des gebrauchten Mittels, der gestohlenen Sache usw.). Durch ihre Feststellung liefern dann die 15

Vgl. Oldenb. 1857 Art. 324; Hess.-Darmst. 1865 Art. 362; Preufs. 1867 § 318; Sachsen 1868 § 66; Bremen 1870 § 480. G e s t a t t e t war diese Substituierung nach Baden 1864 § 278. 16 Waldeck 1850 § 110; Preufs. 1867 § 317; Sachs. 1868 § 54; Württemb. 1868 Art. 364. Ebenso Österr. § 318: Die besonderen Nebenumstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw. sind insoweit beizufügen, als dies zur deutlichen Bezeichnung der Tat notwendig ist. (Österr. fordert aufserdem die Aufnahme derjenigen Tatumstände, deren Feststellung es zur Entscheidung über die Entschädigungsansprüche bedarf.) In diesem Sinne auch die frühere preufs. Praxis, Ob.-Trib. bei Goltd. Bd. I S. 220, Bd. I V S. 209, Bd. V S. 538, Bd. V I S. 536 usw.; dazu v. K r a e w e l bei Goltd. Bd. V I S. 212 f. Abweichend die Auffassung P l a n c k s System. Darstellung S. 400 f., wonach die Geschworenen nicht nur nach den gesetzlichen Merkmalen, sondern auch nach den sie verkörpernden konkreten Tatumständen zu befragen waren ; doch hielt er die Geschworenen für befugt, die gesetzlichen Merkmale auch in anderen Tatsachen, die sie durch die Verhandlung als festgestellt erachteten, zu finden, also unter \ r erneinung der erfragten Konkreta die Frage nach ihrem abstrakten Inhalte zu bejahen. Im Befragungsmodus mit P l a n c k einverstanden, doch für Bindung der Geschworenen an die herausgehobenen konkreten Umstände G ο I t d ä m m er in seinem Archiv Bd. 4 S. 485 f., Bd. 7 S. 667 f., Bd. 9 S. 517 f.

§ 33.

Die Individualisierungsmomente.

Geschworenen Grundlagen des Strafentscheids 17. Der Geschworenenausspruch ist auch insofern für das Gericht verbindlich. Aber bei dem arbiträren Charakter der Strafzumessung wäre eine Nachprüfung ihrer Übereinstimmung mit den Annahmen des Verdikts im Revisionswege unmöglich. Immerhin präjudiziert das Gericht sich selbst für die Straffrage, wenn es unnötigerweise Strafzumessungsgründe in die Schuldfrage aufnimmt. Auch wegen dieser Verschiebung der beiderseitigen Arbeitsgebiete ist eine zu weitgehende Spezialisierung nicht ratsam. Gelegentlich enthält ein Individualisierungsmoment bereits die Grundlage für Strafschärfung. Dafs der Zuhälter der E h e mann der Frauensperson ist, ein Umstand, der ohnehin in der Schuldfrage als Unterscheidungsmerkmal wohl stets Erwähnung finden würde, wirkt nach § 181a Abs. 2 StGB qualifizierend 18 . Zu einer Nebenfrage wegen dieses Moments dürfte es wohl kaum jemals kommen. Es wird Nebenfrage ersetzt durch Individualisierung der Hauptfrage. Wenn eine Geldstrafe als Vielfaches oder Quote eines bestimmten Sachwertes oder gleich diesem berechnet wird und der letztere zwecks Individualisierung in die Frage aufgenommen worden ist, so ergibt das bejahende Verdikt zugleich die Strafhöhe. Von einem Ansprüche der Parteien aber auf entsprechende Befragung der Geschworenen kann nicht die Rede sein 19 . Es steht ganz zur Beurteilung des Gerichts, ob der Identifizierungszweck die Einfügung des Moments in die Schuldfrage bedingt oder doch empfiehlt. Noch für anderweite Entscheidungen kann ein Individualisierungsmoment der Frage erheblich sein. So für die Beurteilung der Antragslegitimation. Die Frage nennt z. B. bei Beleidigung einer Frau deren Qualität als Ehefrau zur Zeit der Tat, führt im Falle der sog. Amtsehrenbeleidigung an die Richtung der Beleidigung „gegen einen Beamten, während dieser in Ausübung seines Berufs begriffen war" usw. Dafs nicht deshalb diese Momente zu erfragen sind, um für den Antrag des Ehemanns, § 195 StGB, 17

Vgl. unten § 66. Vgl. aus der österreichischen Praxis Kass.-Hof v. 10. Juni 1881 Entsch. Bd. 4 S. 134 f., v. 25. Okt. 1882 E. Bd. 5 S. 246 f. (beide zu § 142 StGB : mit Aufnahme des betreffenden Verhältnisses, Eigenschaft des Getöteten als Bruder, Oheim des Angeklagten, in die Hauptfrage ist der Qualifikationsgrund der „nahen Verwandschaft" festgestellt). 19 Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 12 S. 150 f. 17* 18

§ 33.

260

Die Individualisierngsmomente.

der vorgesetzten Behörde, § 196, in bejahendem Geschworenenspruch eine urteilsmäfsige Anerkennung zu schaffen, versteht sich. Nur der Individualisierungszweck begründet solche Befragung 20 . Die — nicht berichtiguDgsbedürftige — Antwort der Geschworenen aber, mag sie die Ehefrauenqualität, die Amtseigenschaft usw. bejahen oder verneinen, bindet das Gericht, schafft ein Präjudiz für die Prüfung der Antragsbefugnis. Die Schuldfrage hat die nach dem Ermessen des Gerichts zur Individualisierung nötigen konkreten Momente zu enthalten. Die Ermessensübung ist für das Gericht bindend geworden, sobald korrekte Antwort der Geschworenen die gestellte Frage der Abänderung entzogen hat. Das Gericht hat nicht ein Antragsdelikt bei nicht gestelltem Antrage zu erfragen. Dafs aber einem Antrage durch Verneinung eines nach Ansicht des Gerichts zur Individualisierung unentbehrlichen konkreten Moments die Grundlage entzogen wird, mufs als eine nicht zu vermeidende Eventualität hingenommen werden. Andererseits kann die Verneinung eines zwecks Individualisierung miterfragten Tatumstandes, z. B. der Angehörigen-Eigenschaft in den Fällen der §§ 247, 263, 292 StGB, die Entbehrlichkeit des gestellten Antrages ergeben. Ein und dasselbe Moment hat zuweilen für bestimmte Deliktsspezies die Bedeutung eines Qualifikationsgrundes, während es bei andern Spezies derselben Gattung nur als Strafzumessungsgrund, als Voraussetzung zu erteilender Publikationsbefugnis, für die Antragsfrage in Betracht kommt. Die Öffentlichkeit der Begehung schärft die Strafe der üblen Nachrede und der Verleumdung, §§ 186, 187 StGB, nicht die der einfachen Beleidigung, § 185, begründet aber in allen drei Fällen die Gewährung des Publikationsrechts, § 200. Hat das Gericht wegen der Öffentlichkeit usw. einfacher Beleidigung die Geschworenen mitbefragt, was der Individualisierung halber nur ausnahmsweise g e b o t e n sein wird, so mufs es nun auch beim Entscheid über die Publikationsfrage die bezügliche Verdiktsfeststellung respektieren. Die fahrlässige, nicht die vorsätzliche Körperverletzung wird qualifiziert durch Übertretung einer Amts-, Berufs-, Gewerbepflicht, § 230 Abs. 2 StGB; die leichte vorsätzliche Körperverletzung aber (wie die fahrlässige) hört bei solcher Koinzidenz auf, Antragsdelikt zu sein, § 232 Abs. 1. 20

Der Passus des § 196 „gegen einen Beamten, während dieser in Ausübung seines Berufs begriffen war", enthält keineswegs ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 176 f. ; 0 1 s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 196 Bern. 4. Gegenteilig 1. Str.-S. Bd. 15 S. 85 f.

§ 33.

Die Individualisierngsmomente.

Wurde die Schuldfrage wegen des letztern Delikts individualisierend auf diese Pflichtverletzung mit gerichtet, so ist damit ein Präjudiz geschaffen für die Beurteilung der Antragsfrage. Ein sehr eigenartiges Verhältnis zwischen einer an sich individualisierenden Angabe und einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal besteht nach § 339 StGB. Die Geschworenen dürfen nicht gefragt werden, ob der angeklagte Beamte „durch Androhung eines bestimmten Mifsbrauchs seiner Amtsgewalt" widerrechtlich genötigt habe. Das Wort „bestimmt" im Gesetze läfst deutlich erkennen, dafs die in concreto angedrohte Zwangsmafsregel in der Schuldfeststellung, auch im Schuldspruche der Geschworenen genannt sein mufs. Das gesetzliche Moment „bestimmter Mifsbrauch" kann nur im Wege der Individualisierung zu seinem Rechte kommen. Mit Angabe der betreffenden Zwangsmafsregel in der Frage ist zu verbinden die Charakterisierung „unter Mifsbrauch der Amtsgewalt". Die österr. Proz. 0. verlangt in § 318, dafs die konkreten Tatumstände auch insofern in die Frage aufgenommen werden, als es zur Entscheidung über die Entschädigungsansprüche notwendig ist, d. h. dafs die den Grund, nicht auch die den Betrag des Anspruches ergebenden Tatsachen angeführt werden 21 . IV. Das nicht-schwurgerichtliche Urteil mufs bei Verurteilung des Angeklagten in den Gründen die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in welchen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden wurden, § 266 Abs. 1 StPO. Damit wird ermöglicht Nachprüfung der Subsumtion unter das Strafgesetz im Revisionswege. Das verurteilende Schwurgerichtsurteil nimmt in seinen Gründen nur Bezug auf den Spruch der Geschworenen und schliefst daher, soweit nicht die Schuldfrage konkrete Deliktsmerkmale angeführt hat, Revision wegen falscher Subsumtion aus. Unrichtig aber ist die verbreitete Auffassung, dafs die Sprüche der Geschworenen hinsichtlich der Anwendung des materiellen Rechts der Anfechtung unbedingt entzogen seien 22 . Ist z. B. die 21

Vgl. Kass.-Hof v. 7. Juni 1880 Samml. Bd. 3 S. 251 f. So RG 3. Str.-S. Entsch. Bd. 2 S. 136, Bd. 3 S. 250 f. (trotz Aufnahme der konkreten Momente in die Frage sei die Möglichkeit anzuerkennen, dafs der Spruch auf anderen in der Frage nicht enthaltenen Tatumständen beruhe ; allein versichern denn nicht die Geschworenen mit Bejahung so gefafster Frage, dafs ihr Spruch auf den erfragten Momenten beruhe?), Bd. 4 S. 313 f.; 1. Str.-S. R. I I I S. 738 (ob die Geschworenen bei ihrem Schuldig von einer irrigen Auffassung des Charakters der öffentlichen Urkunde ausgegangen seien, 22

262

§ 33. Die Individualisierngsmomente.

Frage nach Kindsmordsversuch mit ausdrücklichem Hinweis auf ein totgeborenes Kind gestellt und bejaht worden, so steht zweifelr los fest, dafs die Geschworenen einen Versuch am absolut untauglichen Objekt für strafbar erklärt, also in iure geirrt haben. Es ist nicht abzusehen, aus welchem Grunde die Revision entfallen sollte. So viel aber ist richtig, dafs nur ausnahmsweise solche Revisionen möglich sein werden, indem zumeist nur ganz unentbehrliche und für die Subsumtion irrelevante Unterscheidungsmerkmale in der Frage genannt sind. Unverkennbar liegt in dem regelmäfsigen Wegfalle der Revision wegen Subsumtionsirrtums ein erheblicher und oft bitter empfundener Mangel des bestehenden Jury Verfahrens. Man hat wegen dieser Schranke der Anfechtbarkeit die Verdikte übertreibend „Orakelsprüche", „Gottesurteile" genannt 28 . Eine Abhilfe kann nicht gefunden werden in Aufnahme der konkreten Tatmomente in die Fragen 24 . Denn diese Merkmale könnten im entziehe sich der Nachprüfung, auch wenn der volle Wortlaut der Urkunde in die Frage mit aufgenommen sei; ja warum denn?), R. I V S 387 f. (es könne nicht vom Gericht abhängen, durch weitergehende Konkretisierung in der Frage, als das Gesetz sie wolle, Revision zu ermöglichen; allein das Individualisierungsgebot des § 293 wendet sich an das Ermessen des Gerichts und macht damit indirekt allerdings die Zulässigkeit der Revision von der Art der Ermessensübung mit abhängig), E. Bd. 15 S. 85 f.; 2. Str.-S. R. I I S. 431 f. (gegen die Ausführung des Oberreichsanwaltes). Dagegen treffend v. K r i e s , Lehrbuch S. 615. Vgl auch schon H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 106, 229. Die Rechtsirrigkeit eines Geschworenenspruchs kann übrigens gelegentlich auch — freilich nur höchst ausnahmsweise — aus falscher Lösung der Beweisfrage sich ergeben. Die Geschworenen haben z. B. die Frage nach übler Nachrede oder Verleumdung bejaht, obwohl ausweislich des Protokolls ein den Beleidigten wegen der behaupteten strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilendes Erkenntnis zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden war, vgl. § 190 Satz 1 StGB. (Eine Verletzung der in S. 2 dieses Paragraphen folgenden Beweisregel durch schuldverneinendes Verdikt kann wegen fehlender Begründung des Spruchs nicht in Betracht kommen). Das Nähere hierüber gehört in die Revisionslehre. 23 Vgl. die sehr temperamentvollen Ausführungen M i t t e l s t ä d t e , Ger.Saal Bd. 37 S. 557 f. 24 So der Vorschlag S t e n g l e i n s , Ger.-Saal Bd. 34 S. 179 f.; ähnlich M i t t e l s t ä d t a. a. 0. S. 574. Vgl. auch S t e n g l e i n , Ger.-Saal Bd. 44 S. 402 f. Früher hatten sich in gleichem Sinne geäufsert P l a n c k S. 400 f.; D a l c k e in Goltd. Arch. Bd. 14 S. 155 f.; v. B a r , Recht und Beweis S. 169 f.; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 305; S t a h l in Goltd. Arch. Bd. 24 S. 200f. (mit mancherlei Einschränkungen).

§ 33. Die Individualisierngsmomente.

Verdikt wie im Urteile nur die Bedeutung von G r ü n d e n des Schuldspruches haben. Eine Frage aber, die dem Gefragten bedingt die Gründe seiner Antwort mit vorschreibt, vinkuliert ihn ungehörig. Die für den Fall der Bejahung gewünschte Begründung wird vorweggenommen, in einer Frage, die ebensowohl verneint werden kann! Gründe der Verneinung werden durch so gefafste Frage den Geschworenen nicht abgenötigt. Es bleibt ganz im Dunkeln, ob sie wegen Nichtannahme der konkreten Merkmale oder wegen Unanwendbarkeit des Gesetzes darauf verneint haben. Und bei anderweiter konkreter Substantiierung wäre vielleicht verurteilt worden! Die Geschworenen haben einfach verneint, statt auf Änderung der Frage hinzuwirken! Das Verlangen der Fragkonkretisierung ist nichts als fehlgehendes Bestreben der Verdiktsbegründung. Dieses letztere Ziel läfst sich im Rahmen der bes t e h e n d e n Juryorganisation nicht erreichen. Die österr. StPO § 323 Abs. 3 läfst einem Vorschlage v. B a r s 2 5 folgend für den Fall der Bejahung einer Hauptfrage Zusatzfragen zu dem Zwecke zu, um ein in die Frage aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückzuführen 2 6 . Die Bejahung einer solchen Zusatzfrage — „Kontrollfrage" — würde dann allerdings die Möglichkeit geben, das Urteil wegen unrichtiger Anwendung des Strafgesetzes auf die festgestellten Tatsachen anzufechten. Auch wäre bereits der Schwurgerichtshof selbst in der Lage, entgegen dem Verdikt zu entscheiden, wenn die Tatsache dem Strafgesetz nicht subsumierbar wäre. Aber es stände den Geschworenen auch die Verneinung der Zusatzfrage frei, ohne dafs dadurch ihr Verdikt, die Bejahung der Hauptfrage, unvollständig würde. Der Versuch, eine Begründung I n der Justizkommission wurde ein entsprechender Antrag K r a e t z e r abgelehnt; Prot. 1. Lesung S. 453 f. Vgl. dagegen besonders H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 158f. 25 Recht und Beweis S. 82 f. 26 Vgl. U l i m a n n , Österr. Strafproz. S. 651; R o s e n b l a t t im Ger.-Saal Bd. 35 S. 332 f. Ein ähnlicher Gedanke in G l a s e r s Schwurgerichtlichen Erörterungen S. 55: wenn der Gerichtshof finde, dafs die der Hauptfrage zugrunde liegenden Tatsachen die im Verweisungserkenntnis erfolgte Subsumtion nicht rechtfertigten, habe er zwar die Hauptfrage zu stellen, aber die konkreten Umstände, welche die unrichtige Subsumtion ergäben, mit aufzunehmen und auf ein Schuldig der Geschworenen hin freizusprechen. Verwandt Württ. 1868 Art. 364, wonach n e b e n den gesetzlichen Merkmalen die entsprechenden tatsächlichen Verhältnisse in die Hauptfrage einzustellen waren.

§ 33. Die I n d i v i d u a l i s i e r n g s m o n t e .

264

zu erzielen, könnte also leicht scheitern und es ständen begründete und nicht begründete Wahrsprüche gleich wirksam nebeneinander. Es verdient daher dieser Modus keine Nachfolge 27 . In der Reichsjustizkommission ist ein auf die Aufnahme solcher Zusatzfragen gerichteter Antrag B e c k e r s abgelehnt worden 28 . V. Unbedenklich, ja geboten ist, in der Frage solche für das konkrete Tatbild bedeutsame Angaben des Eröffnungsbeschlusses, die in der Verhandlung andere Gestalt angenommen haben, entsprechend zu berichtigen 29 . Selbstverständlich mufs die Identität der Tat bleiben. Auch darf nicht deren rechtliche Beurteilung durch die Änderung beeinflufst sein, da sonst der Fall der Hilfsfrage (Nebenfrage) gegeben wäre, nicht anderweite Individualisierung der Hauptfrage hinreichte. Unter dieser doppelten Voraussetzung können z. B. korrigiert werden die näheren Angaben über Zeit 3 0 , O r t 8 1 , Mittel, Objekt 8 2 , die Bezeichnung des Angeklagten, des Verletzten 88 usw. Sollte der Eröffnungsbeschlufs unvollständig individualisiert haben, so mufs in der Frage das Nötige nachgeholt werden 84 . Da eine absolute Individualisierung, eine vollkommene Identifizierung der Tat unmöglich ist, so kann auch nicht das Aufhören der Identität infolge Änderung von Tatmomenten abstrakt bestimmt werden. Es gibt ebensowenig absolute Kriterien der Nicht27

Vgl. dagegen H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 167, 168. Prot. 1. Lesung S. 451 f. Für Zusatzfragen neuerdings G o l d s c h m i d t , Jur. Zeit. V I I S. 73. 29 Vgl. G l a s e r , Fragestellung S. 888. S. auch RG 3. Str.-S. R. I I I S. 131 f. Die Berichtigung des Eröffnungsbeschiiisses in dieser Hinsicht begründet einen Aussetzungsantrag des Angeklagten, § 264 Abs. 4 StPO, wenn die Veränderung der Sachlage einen für die Verteidigung wesentlichen Punkt betrifft, RG 3. Str.-S. R. I S. 105f. Dem Staatsanwalt wird entsprechender A n s p r u c h nicht zuzubilligen sein, da ihm ein Recht auf Aussetzung selbst dann nicht zusteht, wenn neu hervorgetretene Umstände den rechtlichen Charakter der Tat verändern (erschweren), § 264 Abs. 3; a. A. G l a s e r , Ger.-Saal Bd. 36 S. 133. 80 RG Fer.-S. R. I I I S. 493. Hilfsfrage wird notwendig, wenn die andere Datierung der Tat, %. B. einer Beischlafs Vollziehung, deren rechtlichen Charakter wandelt, z. B. statt Verführung eines nicht 16jährigen Mädchens Beleidigung eines über 16 Jahre alten ergibt. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 30 S. 11. 81 RG 1. Str.-S. R. V I S. 730. 82 RG. 2. Str.-S. E. Bd. 24 S. 370 f. 38 RG 2. Str.-S. R. IX S. 430 f., 2. Str.S. in Goltd. Bd. 36 S. 181. 84 Vgl. dazu H. M e y e r in v. Holtz. I I S. 166. 28

§ 33. Die Individualisierngsmomente.

Identität als der Identität. Neben zweifellosen Fällen der NichtIdentität, totaler Verschiedenheit der Tatgestaltung und sicherer Identität, unerheblicher Korrektur des Tatbildes bleibt eine dritte Gruppe, die nur eine konkrete Würdigung nach verständigem richterlichen Ermessen zuläfst 35 . Befragung der Geschworenen wegen eines anderen individuellen Faktums führte zur Aburteilung ohne Eröffnungsbeschlufs. Und eine Änderung des Tatbildes, mit der zwar nicht die Tatidentität wegfällt, aber die Subsumtion unter das Gesetz sich ändert, kommt in Hilfsfrage, Erweiterung oder Einschränkung der Hauptfrage, Nebenfrage zum Ausdruck. Anträge der Prozefsbeteiligten betreffs der Individualisierung sind für das Gericht nicht verbindlich. Aber es mufs möglichste Annäherung der Fragsubstantiierung an das nach den Verhandlungsergebnissen von den Geschworenen präsumtiv gewonnene Tatbild angestrebt werden. Entsprechenden Anregungen von Geschworenen wird daher Folge zu geben sein, soweit nicht die Tatidentität berührt wird, die Rücksicht auf mutmafslich abweichende Anschauung 36 v. K r i e s , Lehrbuch S. 569 f. hat versucht Tatberichtigung und Tatänderung in bestimmte Ko ι mein zu fassen: Abweichung nur in e i n e m individualisierenden Umstände, ζ. B. in der Zeitangabe, lasse die Identität der Tat stets unberührt. Auch wenn eine allen übrigen zur Individualisierung benutzten Momenten entsprechende Tatgestaltung mehrfach gedacht werden kann? Kann nicht A den Β gestern in der nämlichen Weise und unter den nämlichen Umständen beschimpft haben, als er es heute getan hat? Die Identität bleibe aber auch dann gewahrt, wenn sich mehrere der Umstände geändert hätten und nur entweder die Tätigkeit oder der Erfolg der gleiche geblieben sei. Darauf ist wiederum einzuwenden, dafs bei vielen Verbrechensarten eine Mehrheit kongruenter (genauer: uns kongruent erscheinender) Tätigkeiten und Erfolge widerspruchslos vorgestellt werden kann. Zwei Körperverletzungen ζ. B. begangen von A an Β sehen sich, wenn von Zeit, Ort usw. abstrahiert wird, vielleicht zum Verwechseln ähnlich. Durch Veränderungen hingegen mit Bezug auf Tätigkeit und Erfolg werde die Identität aufgehoben. Doch nicht notwendig! X ist angeklagt, dem Y eine wertvolle Vase gestohlen zu haben, es stellt sich heraus, dafs er sie im Hause des Y zertrümmert und die Stücke beiseite geworfen hat. Das ist nicht andere Tat, nur anders substantiierte Tat. Es mag vielleicht angehen, der Identitätsbeurteilung in Erfahrungssätzen von durchschnittlicher Geltung gewisse Anhaltspunkte zu geben, obwohl der Nutzen solcher elastischer Regeln nicht recht einleuchtet. Identitäts- w Gesetze u aber existieren nicht. K r i e s tritt mit den gegebenen Formeln in vollen Widerspruch zu seiner treffenden Ausführung S. 501, wo er die Aufstellung eines bestimmten Minimalmafses für die gebotene Klagindividualisierung als unmöglich bezeichnet.

§ 33. Die Individualisierngsmomente.

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anderer Geschworener entgegensteht oder eine Überlastung der Frage mit tatsächlichem Material eintreten würde. Vielfach wird durch e r w e i t e r n d e , den verschiedenen denkbaren Eventualitäten Rechnung tragende Fassung des Zeit-, Orts- usw.-Moments zu helfen sein. Durchaus zu widerraten ist, der Frage selbst eventuelle Fassung zu geben, z. B. von Mifshandlung „durch Schläge, eventuell durch Stöfse" zu sprechen 86. Auch eine Alternative in der Frage ist tunlichst zu vermeiden, ihre Zulässigkeit aber nicht zu bezweifeln 3 7 . VI. Die Geschworenen haben ohne Zweifel das Recht, bei Bejahung der Frage im übrigen ein konkretes Moment zu verneinen 3S. In diesem Falle mufs unterschieden werden, ob der Umstand zur Identifizierung der Tat unentbehrlich ist oder nicht. Wenn ja, so ist das Verdikt unvollständig und Berichtigung herbeizuführen, wobei die Frage in einer den Intentionen der Geschworenen entsprechenden Weise zu ändern sein wird. Die Geschworenen haben z. B. die Zeit- oder Ortsangabe in der Frage einfach verneint. Handelt es sich dagegen nur um ein sog. Konkretisierungsmoment, so kann der Spruch ohne anderweite positive Bestimmung hingenommen werden. Dafs eine völlig scharfe Greüze zwischen Individualisierung und Konkretisierung nicht besteht, ist auch in diesem Zusammenhang zu konstatieren. VII. Die zusammengesetzte Einheitsfrage bei fortgesetztem Delikt w i r k t durch Aufnahme der Einzelakte immer zugleich individualisierend, während das eigentliche Kollektivdelikt nur einfache Einheitsfrage zuläfst und die etwa erwähnten Einzelakte Individualisierungsmomente sind 3 9 . V I I I . Nur Haupt- und Hilfsfragen, nicht Nebenfragen erfordern Individualisierung. Die Nebenfrage kann stets einfach auf den gesetzlichen Qualifikations-, Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrund gerichtet werden. Die individuelle Tat, auf welche die Nebenfrage sich bezieht, ergibt sich ja aus der Hauptfrage. Aber es ist nicht unzulässig, ein qualifizierendes usw. Moment, z. B. das Erbrechen eines Behältnisses, tatsächlich zu substantiieren. 86

Dafür H. M e y e r in v. Holtz. I I S. 166. Allerdings würde die Bejahung einer so gefafsten Frage ein annehmbares Verdikt geben, aber wie nahe liegen Mifsverständnis und falsche Abstimmung! 87 Vgl. unten § 36 sub VIII. 38 Das Nähere hierüber unten § 47 sub I I . 39 Vgl. oben § 14.

§ 34. B.

Die Formvorschriften des Gesetzes.

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Di© F o r m u l i e r u n g d e r F r a g e n 1 .

§ 34. D i e F o r m vor Schriften des Gesetzes. Die Frage formulieren, heifst sie anpassen den formellen Gesetzesvorschriften, ihnen eine den inhaltlichen Erfordernissen des Gesetzes entsprechende Form geben, bestimmen über Beibehaltung oder Ausscheidung, Auflösung, Reduktion gesetzlicher Alternativen und Generalisierungen, wählen zwischen synonymen Wortfassungen und mehr oder minder konkreten Angaben der Individualisierungsmomente, zwischen Nebenfrage und entsprechender Erweiterung der Hauptfrage. Die F o r m v o r S c h r i f t e n des G e s e t z e s bereiten Schwierigkeiten nicht. Dit Fragen sind so zu stellen, dafs sie mit Ja oder mit Nein sich beantworten lassen2, § 292 Abs. 1. Das trifft auch bei alternativ gefafster Frage zu; ihre Bejahung führt zu alternativer Feststellung, während Verneinung beide Glieder der Alternative beseitigt. Haupt- und Hilfsfragen beginnen mit den Worten: Ist der Angeklagte schuldig?, §§ 293, 294 StPO 3 . Die Geschworenen haben 1

P l a n c k , System. Darstellung § 143; Z a c h a r i a e I I § 154; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 299 f.; G l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. I S. 896 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 174f.; G e y e r S. 746f.; v. K r i e s S. 606f.; U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 507 f.; B i r k m e y e r S. 655 f.; B e n n e c k e B e l i n g S. 547f.; R o s e n f e l d S. 380f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 630f. Z a c k e , Fragstellung u. Wahrsprüche §§ 42 f. ; D a l c k e , Fragstellung u. Verdikt S. 41 f. 2 Ebenso Braunschw. 1849 § 140 Abs. 5; Thüring. 1850 Art. 287 Abs. 1; Preufs. 1852 Art. 80 Abs. 1 u. 1867 § 316.; Oldenb. 1857 Art. 330 § 1; Württ. 1868 Art. 371; Sachs. 1868 § 54 Abs. 1; Hamb. 1869 § 211 Abs. 7; Brem. 1870 § 492. Vorausgesetzt wurde die gleiche Befragungsweise auch in Bay. 1848 Art. 191 ; Kurh. 1848 § 325 u. 1863 § 159 sub 5; Hann. 1859 § 195 Abs. 13; Bad. 1864 § 286, indem die Antwort der Geschworenen „ja" oder „nein" zu lauten hatte. Österr. § 323 Abs. 1 verlangt Fragen, die sich mit „ja" oder „nein" beantworten lassen. 3 Die gleiche Vorschrift in der grofsen Mehrzahl der früheren Gesetze: Bay. 1848 Art. 173 Abs. 1; Württ. 1849 Art. 154 u. 1868 Art. 364; Hess.-Darmst. 1848 Art. 165 u. 1865 Art. 364; Braunschw. 1849 § 140; Thür. 1850 Art. 287 Abs. 2; Hann. 1850 § 188 Abs. 5 u. 1859 § 194 Abs. 5; Preufs. 1852 Art. 81 Abs. 2 u. 1867 § 316: Oldenb. 1857 Art. 324; Sachs. 1868 § 55; Hamb. 1869 § 211 Abs. 1; Brem. 1870 § 480. Frankf. 1856 Art. 232 liefs die Fragen „in der Regel" so beginnen und gestattete, „geeignetenfalls" den Eingang der Frage zu ändern.

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§ 34. Die Formvorschriften des Gesetzes.

zu prüfen, ob die inkriminierte Tat unter den in der Frage enthaltenen Gesetzestatbestand subsumierbar, ob der Angeklagte vor dem Gesetze „schuldig" ist. Daher ist der Gebrauch dieses Wortes unerläfslich 4 . Würde nur gefragt: Hat der Angeklagte vorsätzlich getötet ? oder: ist er überführt, vorsätzlich getötet zu haben? so könnte in dem Ja der Geschworenen die Feststellung einer Deliktsschuld nicht gefunden werden. Gewifs setzt die Annahme vorsätzlicher Tötung richtig verstanden die Bejahung der Zurechnungsfähigkeit, der Rechtswidrigkeit, die Verneinung von Schuldausschliefsungsgründen usw. b e g r i f f l i c h voraus. Aber für die Prüfung dieser Momente durch die Geschworenen bietet nur eine formell auf das Verschulden abgestellte Frage dem Gesetze Gewähr. Das Verdikt wäre sachlich unvollständig5, nicht nur formwidrig, wenn eine nicht auf die Schuld, sondern lediglich auf den Tatbestand des Gesetzes gerichtete Frage von den Geschworenen bejaht worden wäre. Auch verneinendes Verdikt litte im gleichen Falle an sachlicher Unvollständigkeit. Denn die Nichtschuld würde bei Zulassung eines solchen Spruchs nicht von den Geschworenen, sondern in Konsequenz dieses Verdikts vom Gericht in Form freisprechenden Urteils festgestellt. Die Fragen sind schriftlich abzufassen, vom Vorsitzenden zu unterzeichnen (also nicht notwendig auch eigenhändig von ihm niederzuschreiben) und so den Geschworenen zu übergeben, § 301. Nicht schon in der Verlesung der Fragen nach dem Schlüsse der Beweisaufnahme, wie § 290 Abs. 2 sie fordert, liegt die Befragung, denn diese Fragen sind nur Entwurf. Und auch die Verlesung der gerichtlich festgestellten Fragen, die nach § 291 Abs. 2 einzutreten hat, wenn Einwendungen gegen die Fragestellung erhoben oder Anträge angebracht wurden oder einer der Richter es verlangte, ist nur die Konstatierung der zu beantwortenden Fragen, aber Soweit Nebenfragen auf Schuldausschliefsungsgründe zugelassen waren, substituierten die Gesetze öfters dem „Schuldig" der Hauptfrage „Überführt", vgl. oben S. 188 Anm. 12. Eine Ausnahme bildete insbesondere Kurhessen, da hier die Fragen auf „Tatsachen" zu richten waren. 4 Vgl. auch B i r k m e y e r S. 659: „sakrosankte Formel". 5 Sehr richtig betont G l a s e r , Fragestellung S. 886, dafs der Mangel des Wortes „schuldig" zwischen der Feststellung der Geschworenen und dem Ausspruche des Schwurgerichtshofes eine Lücke lassen würde. Vgl. auch österr. Kass.-Hof v. 27. Juni 1878 Entsch. Bd. 2 S. 508 f., v. 18. Okt. 1880 Entsch. Bd. 3 S. 346; franz. Kass.-Hof v. 16. Aug. 1878, v. 29. Mai 1879 und öfter ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 101, 102).

§ 35.

Die Gestaltung des Fragenstoffs.

269

noch Dicht die Aufforderung zur Beantwortung. Die Antwort heischende Frage ist erst die schriftlich fixierte, vom Vorsitzenden den Geschworenen eingehändigte Frage. Obwohl die vorgelesenen Fragen vom Vorsitzenden im Schlufsvortrag und auf Wunsch der Geschworenen in einzelnen Beziehungen noch nachträglich erläutert werden, findet doch in eigentümlichem Kontrast zu dem für die Verhandlung bestimmenden Prinzip der Mündlichkeit bei der Befragung ein unmittelbarer und ungehinderter Verkehr zwischen den beiden Gerichtskollegien nicht statt. Die Geschworenen antworten schriftlich auf schriftlich gestellte Fragen, wobei zwar eine Verlesung der Antworten vorgeschrieben ist, eine Erläuterung aber nur insofern Bedeutung hätte, als sie ein Mifsverständnis der Fragen, eine Undeutlichkeit, einen Widerspruch im Verdikt anzeigte. Dagegen werden im einheitlichen Kollegialgericht die für den Urteilstenor mafsgebenden Fragen vom Vorsitzenden mündlich — wenn auch vielleicht in verwickelten, schwierigen Fällen an der Hand eines geschriebenen Entwurfs — zur Beratung und Abstimmung verstellt. Die Bedeutung einer Abweichung der schriftlichen Fragen an die Geschworenen von den zuvor mündlich konstatierten , der vom Obmann kundgegebenen Antworten von den auf dem Fragebogen niedergeschriebenen wird später zu besprechen sein. Die etwa versäumte Unterschrift des Vorsitzenden unter den Fragen könnte jederzeit noch nachgeholt werden. Die Fragen sind dergestalt niederzuschreiben, dafs der Obmann in der Lage ist, die Antworten der Geschworenen daneben zu setzen, § 307 Abs. 1. § 35. D i e G e s t a l t u n g des F r a g e n s t o f f s 1 . Leitende Gesichtspunkte für die Fragenfassung müssen sein möglichst enger Anschlufs an das gegebene Fragenvorbild, den gesetzlichen Tatbestand, und leichte Verständlichkeit für die Geschworenen. Fehler der Fragenredaktion ergeben nur zu leicht sachliche Fehler der Feststellung. Der Rechtsbelehrung darf nicht überlassen werden, was bereits durch streng gesetzmäfsige und geschickt formulierte Befragung geleistet werden kann. Erst auf dieser Grundlage wird die Rechtsbelehrung vollwirksam. Die Befragungstechnik läfst sich nicht an einem Schema fester Regeln erschöpfend demonstrieren. Das Rechtsleben zeigt 1

B i s c h o f f in Goltd. Arch. Bd. 42 S. 359 f.; O e t k e r a. a. 0. S. 119 f.

§ 35.

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Die Gestaltung des Fragenstoffs.

die Gebilde des Rechtssystems in einer solchen Fülle von Kombinationen, produziert die rechtserheblichen Tatgestaltungen in so mannigfachen Formen, dafs trotz aller Fragstellungsdoktrin dem individuellen Geschick des fragenden Richters ein weites Feld der Betätigung bleibt. Aber was wissenschaftliche Deduktion auf diesem Gebiete vermag, hat sie auch zu leisten. Die gesetzlichen Tatbestände sind auf die sich ergebenden Befragungsmöglichkeiten hin eingehend zu prüfen mit besonderer Berücksichtigung solcher Bildungen, die — wie generalisierende, alternative Fassungen — eine Mehrheit zulässiger Fragmodi ergeben oder doch zu ergeben scheinen. I. In der G e n e r a l i s i e r u n g und der S p e z i a l i s i e r u n g von T a t u m s t ä n d e n geht die Frage parallel dem Gesetze. Die gesetzlichen Abstraktionen sind immer generalisierend. „Waffen" im Gesetz, schlechthin, ohne Zusatz, bedeutet alle Spezies von Waffen. Die Frage, z. B. auf bewaffneten Diebstahl, hat das Genus beizubehalten, darf aber individualisierend eine nähere Bezeichnung der in concreto gebrauchten Waffe hinzufügen. Hat das Gesetz nur eine Spezies aufgenommen, z. B. nur Drohungen „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben", so versteht sich, dafs die Frage nicht das Genus substituieren darf, da sie in solcher Fassung zu einer Schuldfeststellung nicht führen könnte. Es kommt aber auch vor — und diese Fälle erfordern nähere Betrachtung —, dafs das Strafgesetz Tatmomente in specie und in genere zugleich aufführt. Dabei wird folgende Unterscheidung notwendig : 1. Alle Begehungsformen, in denen sich der Deliktsbegriff überhaupt zu verkörpern vermag, fallen unter das Gesetz, aber es werden bestimmte hervorgehoben mit Anschlufs einer alle andern umfassenden Generalklausel. So der Anstiftungsparagraph (48 StGB), der von vorsätzlicher Bestimmung spricht durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mifsbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder d u r c h a n d e r e M i t t e l " . Weil jedes Mittel genügt, so braucht die Frage keines zu nennen, denn dafs irgend ein^jMittel dem Täter gedient haben mufs, ist selbstverständlich 2. Aber es kann 2

Übereinstimmend Z a c k e , Fragestellung 'S. 48; R u b o , Komm, zum StGB S. 446.

§ 35. Die Gestaltung des Fragenstoffs.

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die Frage das gebrauchte Mittel aufnehmen, mag es unter die gesetzlich hervorgehobenen gehören oder nicht; die Mittelangabe trägt dann zur Individualisierung bei. Auch alternative Anführung mehrerer Mittel, wenn nach dem Verhandlungsergebnis eines von ihnen benutzt sein mufs, zweifelhaft welches, ist unbedenklich. Bejahen die Geschworenen die Anstiftungsfrage unter Verneinung des genannten Mittels, so ist der Spruch nicht unvollständige Feststellung des gesetzlichen Tatbestandes3. Denn das Gesetz schliefst kein überhaupt denkbares Anstiftungsmittel aus, sonach ist das Mittel nie „gesetzliches Merkmal", § 293 StPO, das unbenannte gewifs nicht, wegen der angehängten Generalklausel aber auch nicht das gesetzlich benannte. Höchst auffälligerweise verlangt das Reichsgericht unter allen Umständen die Aufnahme eines gesetzlich genannten Mittels und der Generalklausel ; selbst wenn ein unbenanntes Mittel gebraucht wurde 4 . Allein die Angabe der Mittelspezies verliert infolge des Zusatzes „oder durch andere Mittel" jeden Feststellungswert, und wenn im Einzelfalle ein nicht benanntes Mittel zur Anwendung kam, so ist der Zwang zur alternativen Anführung eines nicht gebrauchten benannten Mittels nicht zu begreifen. Zudem ist bei der q u a l i f i z i e r t e n Anstiftung des § 357 die Mittelangabe zweifellos überflüssig, da hier das Gesetz auf exemplifizierende Mittelaufzählung samt Generalklausel verzichtet hat. Die gleiche Fassung wie bei der Anstiftung findet sich in den §§ 150, 315 StGB („durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art", „durch falsche Zeichen oder Signale oder auf andere Weise"). 2. Viel häufiger ist, dafs das Gesetz ein b e s t i m m t e s t a t b e s t a n d l i c h e s E r f o r d e r n i s — Subjekt, Objekt, Tätigkeit usw. — allgemein bezeichnet und ausserdem noch beispielsweise eine Spezies anführt 5 . Liegt eine nichtbenannte Spezies vor, so mufs die Frage das Genus nennen, weil es in der Tat gesetzliches Merkmal ist. Individualisierend mag die konkrete Spezies hinzugefügt werden. Richtig auch österr. Kass.-Hof v. 11. Dez. 1885 bei v. C r a m e r zu § 318 StPO Bern. 22. 3 A. A. RG 4. Str.-S. R. V I I I S. 780. * 3. Str.-S. Entsch. Bd. 9 S. 22 f., Bd. 15 S. 304; 4. Str.-S. R. V I I I S. 780. Gebilligt von O s t e r n , Alternativität der strafprozessualen Willenserklärungen S. 92. 5 O s t e r n , Alternativität S. 92 verwechselt diese Rechtserscheinung mit der sub 1 besprochenen.

§ 35.

Die Gestaltung des Fragenstoffs.

Dagegen besteht gegenüber der benannten Spezies die Wahl, sie oder das Genus zu nennen, denn sie ist alternativ mit dem letztern „gesetzliches Merkmal". Die Speziesangabe hat z u g l e i c h individualisierende Bedeutung, denn sie trägt bei zur Darlegung der konkreten Tatgestaltung. Aus der Masse des gesetzlichen Materials nur einige Belege: „Ärzte oder andere Medizinalpersonen" sind strafbar nach § 174 N. 3 StGB, „Advokaten oder andere Rechtsbeistände" nach § 356; das Diebstahlsobjekt im § 243 Z. 4 bilden „Reisegepäck oder andere Gegenstände der Beförderung", der Strafe des § 301 verfällt, wer sich von einem Minderjährigen „Schuldscheine, Wechsel oder eine andere, eine Verpflichtung enthaltende Urkunde" ausstellen läfst; Zuhälter ist, wer der Dirne „Schutz gewährt oder sonst förderlich ist", § 181 StGB, die Tätigkeit des Hehlers ist „Ankaufen, zum Pfände nehmen oder sonst an sich bringen", § 259; spezielle und generelle Angabe der Mittel findet sich in § 229 („Gift oder andere Stoffe, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind"), beim Diebstahl mittels Nachschliefsens in § 243 Z. 3 („falsche Schlüssel oder andere zur ordnungsmäfsigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge"); den Zweck des Tuns bezeichnet in entsprechender Alternative § 146 StGB, „um das nachgemachte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst in Verkehr zu bringen" usw. usw. Nicht ebenso zu beurteilen sind gesetzliche Tatbestände, in denen mit dem Genusdelikt eine hervorgehobene Spezies unter Androhung der nämlichen Strafe alternativ verbunden ist. So wird im § 169 StGB dem allgemeinen Tatbestande der Personenstandsveränderung das Speziesdelikt der Kindesunterschiebung angeschlossen. Materiell in der Personenstandsveränderung mit enthalten ist die besonders genannte Spezies doch formell als delictum sui generis gemeint. Diese Auffassung des Gesetzes, die allerdings den herkömmlichen kriminalistischen Anschauungen insofern widerspricht, als das Speziesdelikt hier weder qualifiziertes, noch privilegiertes, sondern in der Bestrafung gleichgestelltes Delikt ist, mufs bei der Befragung respektiert werden. Es darf nicht die Frage an Stelle der speziellen Deliktsform die generelle setzen! I I . Ein verwandtes Formulierungsproblem entsteht, wenn das Strafgesetz zur Bestimmung eines speziellen Deliktstatbestandes eine allgemeine strafrechtliche Kategorie, „strafbare Handlung", „Verbrechen oder Vergehen", „gemeingefährliches Verbrechen" u. dgl., mit verwendet. Es wird z. B. gestraft das Ansichbringen

§ 35.

Die Gestaltung des Fragenstoffs.

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von Sachen , die „mittels strafbarer Handlung" erlangt sind, § 259 StGB. Jeder derartige Gesetzestatbestand umschliefst eine Mehrheit koordinierter Begehungsformen: die Hehlerei kann sich auf gestohlene, unterschlagene, abbetrogene usw. Sachen beziehen, die Bedrohung mit der Begehung eines Verbrechens, § 241, als Drohung mit Mord, Raub, Brandstiftung usw. sich äufsern usw. Ist nun in die Frage die im Einzelfall gegebene Deliktsspezies oder das Genus aufzunehmen? 1. Generelle Feststellung genügt, wenn nach der Gestaltung des gesetzlichen Tatbestandes das Verlangen spezieller Angabe dem Gesetzgeber nicht zu imputieren ist, indem bei solchem Erfordern leicht trotz sicher vorhandenem Genus („strafbarer Handlung" als Mittel der Erlangung usw.) die Verurteilung an unlösbarem Zweifel über die Spezies (Diebstahl, Unterschlagung usw.) scheitern müfste. Dieser Grund schlägt durch gegenüber den §§ 106, 107, 157 N. 1, 164, 240, 241, 259 StGB. Eine prozessuale Handhabung des Gesetzes, die dessen Anwendung vielfach vereiteln würde, kann nicht beabsichtigt sein. Die Geschworenen stehen nicht anders als ein rechtsgelehrtes Kollegium : darf dieses verurteilen unter Feststellung des Genus, so können es auch jene. Liegt hiernach generelle Befragung im Sinne des Gesetzes, so mufs spezielle vermieden werden, da sie zu ungerechtfertigter Schuldverneinung führen könnte; die Geschworenen nahmen vielleicht eine andere Spezies an und hätten eine auf das Genus abgestellte Frage bejaht. Der Fehler bleibt unschädlich im Falle der Bejahung, denn mit der Spezies ist das Genus festgestellt. 2. Zu anderem Ergebnisse führt die Betrachtung der § 126, 139, 111, 214 6 , 257 StGB. Das „gemeingefährliche Verbrechen", §§ 126, 139, ist eine viel zu vage Kategorie, als dafs diese generelle Annahme statt der Konstatierung einer bestimmten, im Gesetz unter die Rubrik (T. I I Abschn. 27 StGB) gezogenen Spezies ausreichen könnte. Es wäre insbesondere sehr bedenklich, einen solchen G e s c h w o r e n e n Ausspruch genügen zu lassen, da die Gewähr fehlte für zutreffende Anwendung der Rubrik im Einzelfalle (auf ein wirklich im gesetzlichen Sinne und nicht nur nach Laienauffassung als „gemeingefährliches Verbrechen" zu qualifizierendes Tun). Die Aufforderung des § 111 Abs. 1 mufs die strafbare Handlung wirklich nach sich gezogen haben, und so versteht sich, dafs die 6

Vgl. auch RG 3. Str.-S. Entsch. Bd. 23 S. 78.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. TII: G1 as e r - 0 e tk e r , Strafprozefs I I I .

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§ 35.

Die Gestaltung des Fragenstoffs.

Frage diese auch speziell zu konstatieren hat; für die erfolglose Aufforderung nach Abs. 2 ergibt sich die Strafgrenze aus der Strafsanktion für das zu verübende Delikt, dessen spezielle Feststellung somit unentbehrlich ist. Totschlag bei Unternehmung einer „strafbaren Handlung", § 214, kann nur angenommen werden, wenn ein spezielles unternommenes Delikt erwiesen ist. Die Begünstigungsfrage endlich hat nach Analogie der Beihülfefrage das unterstützte Verbrechen oder Vergehen speziell zu nennen, was um so sicherer ist, als auch hier die Strafe des Einzelfalles nicht schwerer sein darf, als die auf die Handlung selbst angedrohte, § 257. Diese Erwägungen schliefsen nicht aus, die Frage alternativ auf mehrere Spezies zu richten (wobei dann in den Fällen der §§ 111 Abs. 2, 257 das minder strafbare Delikt die Strafgrenze liefern würde). Generelle Befragung aber würde einen brauchbaren Spruch nicht liefern. Das schwurgerichtliche Urteil kann so wenig als ein Strafkammerurteil unter Überspringung des Mittelgliedes, der Spezies, lediglich das Genus angeben. Vielmehr haben die Geschworenen die Spezies festzustellen, die dann von den Richtern im Schlufsurteil unter das Genus zu subsumieren ist. I I I . Eine Mehrheit von Gründen ist dem Strafgesetzgeber Anlafs, dem Deliktstatbestand öfters Objekt und Mittel im Plural einzusetzen, obwohl die Einzahl zur Gesetzesanwendung genügt. Unter Verzicht auf erschöpfende Würdigung dieser FassungsBesonderheiten seien als häufigste Motive dazu hervorgehoben: Anschlufs an den gemeinen Sprachgebrauch bei kollektiven Begriffen, wie „Schulden", „Summen", „Früchte", „Vorräte" usw. (§§ 239 N. 2, 240 N. 1 KO, §§ 308, 360 Ν. 2 StGB); die Beziehung des Strafgesetzes auf eine unbestimmte Mehrheit von Fällen (Verrat von „Staatsgeheimnissen", „Festungsplänen" — § 92 StGB —, Mitführen von „Waffen" beim Diebstahl — § 243 Z. 5 —, Entfernung von „Löschgerätschaften" — § 307 N. 3 —, Inbrandsetzen von „Gebäuden" — § 308 usw.); Vorhandensein einer Mehrheit von Objekten usw. im Regelfalle (Beiseiteschaffen von „Vermögensstücken" — § 239 Ν. 1 KO —, Stellen von „Schlingen" — § 293 StGB —, Fälschen von „Führungszeugnissen" — § 363 StGB usw.). Die Frage hat bei Einheit des Objekts, Mittels im Singular zu sprechen, wenn andernfalls materiell Unrichtiges festgestellt würde, der Angeklagte ζ. B. nur ein Gebäude angezündet hat, kann im übrigen den Plural beibehalten, vorausgesetzt, dafs nicht ein Mifsverständnis bei den Geschworenen zu besorgen wäre (was

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

zutreffen könnte für Verrat von „Staatsgeheimnissen", als ausgeschlossen anzusehen ist beim Diebstahl „mit Waffen" usw.). Wird übrigens der Individualisierung zuliebe auch der konkrete Tatumstand aufgenommen und ist insofern eine Einzahl (z.B. e i n unrichtig geführtes Buch, § 239 Z. 4 KO) gegeben, so figuriert natürlich nicht daneben das gesetzliche Moment in der Mehrzahl. §36. F o r t s e t z u n g . D i e A l t e r n a t i v f r a g e n insbesondere 1 ). Während die Geschworenen die Alternative der Schuld oder Nichtschuld, der qualitativ schwereren oder leichteren Schuld stets unzweideutig zu entscheiden haben, kann und mufs nicht selten in entsprechender positiver Schuldfeststellung allerdings eine Alternative bleiben. Der Wahrspruch braucht nicht bestimmter zu sein als das Schuldurteil eines Richterkollegiums. Wo das Gericht selbst alternativ feststellen dürfte, kann es auch die Geschworenen alternativ befragen. Und tatsächlichen Anlafs zu solcher Befragung bietet unverkennbar das schwurgerichtliche Verfahren in erhöhtem Mafse. Denn der Fragende ist vom Antworter verschieden und kann sich bei der Fragestellung das vom letztern gewonnene Tatbild häufig kaum anders als in alternativer Bestimmtheit vorstellen. Der Umfang der Zulässigkeit alternativer Befragung ergibt sich in völlig sicherer Weise, wenn Identität und Verschiedenheit der Strafansprüche, ihre Beziehungen zu den Strafgesetzen und das Verhältnis der tatbestandlichen Feststellung zur Anspruchsfeststellung scharf erfafst werden 2. Es empfiehlt sich, die Ergebnisse voranzustellen, die nähere Begründung folgen zu lassen. 1 Aus der älteren Spezialliteratur hervorzuheben: v. T i p p e i s k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 15 S. 449 f., 505f.; v. B a r , Recht und Beweis S. 200 f.; G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen S. 59 f., 127 f. Neuere Monographien: O s t e r n , Alternativität bei strafprozessualen Willenserklärungen 1902; W e r t h e i m e r , Die Mischgesetze des deutschen Strafgesetzbuchs 1903, 2 Wenig fördernd die frühere preufsische Praxis, worüber zu vergleichen v. T i p p e i s k i r c h a. a. 0. S. 454 f. Das Gleiche gilt von der Praxis der anderen deutschen Rechtsgebiete; einige Nachweisungen bei O s t e r n , Alternativität S. 23, 24. Auch die französische Rechtsprechung ist zu brauchbaren allgemeinen Prinzipien nicht gelangt, vgl. H é l i e , Traité I X § 673. Für deutschen Rechtsverstand schlechthin unbegreiflich der englische Modus: die Anklageschrift stellt in verschiedenen Abschnitten (counts) tatsächliche Behauptungen alternativer Art kopulativ nebeneinander, und man läfst die Geschworenen in kumulativer Weise feststellen, was im Grunde nur

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§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

I. Sind im einheitlichen Strafgesetz alternativ verschiedene Formen derselben Deliktsart zusammengefafst, z. B. bei Nötigung, Raub, Erpressung die Anwendung von Gewalt oder Drohung, bei Betrug die Vorspiegelung falscher oder die Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen, bei Kindsmord die Tötung in oder gleich nach der Geburt, bei § 218 Abtreibung der Frucht oder deren Tötung im Mutterleibe, bei Menschenraub und Entführung Anwendung von List, Drohung oder Gewalt, beim Schiffsversicherungsbetrug Sinken- oder Strandenmachen des Schiffes usw. usw. 3 , so ist alternative Befragung der Geschworenen unbedenklich 4 und stets dann zu empfehlen, wenn mit einem Zweifel über die eine oder andere Begehungsweise zu rechnen ist. Bei Berücksichtigung nur eines Gliedes der gesetzlichen Alternative wäre öfters Verneinung der Schuldfrage zu befürchten, indem genügende Majorität gerade für diesen Verübungsmodus leicht fehlen könnte. Ist jeder einzelne Urteiler überzeugt, dafs entweder Gewalt oder Drohung usw. vorgelegen habe, ohne zwischen diesen Möglichkeiten entscheiden zu können, oder nehmen sie zum Teil den einen, zum Teil den andern Modus an 5 , so ist eine alternativ gefafste alternativ gemeint ist, obwohl sich nun konsequent — was man eben nicht ist — eine von den Intentionen der Anklage völlig verschiedene Strafverhängung ergeben müfste. Vgl. G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 75 f, 204 f. Die Mot. zu StPO S. 172 verstellen — und mit Recht — die Zulässigkeit alternativer Befragung zum Entscheid durch die Wissenschaft. 3 Ganz besondere Häufung solcher Alternativen in §§ 271, 304, 321, 346 StGB. 4 Gegen die alternative Befragung H é l i e I X § 673; T r é b u t i e n , Cours élément, de droit crim. I I p. 496f.; M i t t e r m a i e r , Ger.-Saal I V Bd. 1 S. 228, 407 f., Bd. 2 S. 229; A r n o l d , Ger.-Saal V I I 1 S. 216 f.; F r y d m a n n , Verteidigung in Strafsachen S. 271 f. Für solche Befragung: v. T i p p e l s k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 15 S. 506; G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen S. 59 f., 127f.; ν. B a r , Recht und Beweis S. 204 f. (in viel zu enger Begrenzung); U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 636 f.; D e r s e l b e , Deutsch. Strafproz. S. 510; v. K r i e s S. 591; O s t e r n S. 87, 93f.; W e r t h e i m e r , Mischgesetze S. 14f.; RG in vielen Entscheidungen; österr. Kass.-Hof v. 7. Nov. 1885 Entsch. Bd. 8 S. 188 f. (vgl. weiter v. C r a m e r zu § 323 StPO). I n den Fällen des Textes hat auch der franz. Kass.-Hof mehrfach alternative Befragung zugelassen, vgl. Entsch. v. 2. A p r i l 1885, 25. Febr. 1887, 5. Aug. 1897 bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 284—286. 6 O p p e n h o f f , Preufs. Gesetze üb. das Verfahren in Strafsachen S. 175, 176 und R u b o in Goltd. Arch. Bd. 14 S. 378 f. erklären die Addition von Voten, die auf verschiedene Alternativglieder gefallen seien, für unzulässig;

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Schuldfrage allseitig zu bejahen und liefert eine völlig genügende Grundlage der Verurteilung, während einseitig formulierte Frage verneint werden und eine ganz ungerechtfertigte Freisprechung ergeben würde. Für die Zulässigkeit solcher Fragen entscheidet auch nicht die Identität des Strafgesetzparagraphen oder der Strafgesetzposition, vielmehr die Gleichheit der Deliktsart nach gesetzlicher Auffassung 6. So sieht der Gesetzgeber offenbar in fälschlicher die nötige Majorität sei nur vorhanden, wenn die entsprechende Zahl von Richtern entweder das eine Alternativglied oder die Alternative bejaht habe; Bejahungen je des einen, des anderen Alternativgliedes seien inhaltlich verschiedene Feststellungen, durch deren Gleichbehandlung und Zusammenzählung nur eine Scheinmajorität erzielt werden könne. Ein schwer begreitlicher Irrtum: Raub ist — die übrigen Tatbestandsmerkmale vorausgesetzt — sowohl dann festgestellt, wenn Gewalt gegen die Person, als wenn qualifizierte Drohung angenommen wird. Folglich haben alle diejenigen Votanten, die eines von beiden als vorliegend erachten, für Raub zu stimmen. Denn es stehen trotz der differierenden Annahme — Gewalt, qualifizierte Drohung — für die einen wie die anderen Votanten alle Deliktsmerkmale fest. Wie kann die Alternative, da sie den Raubbegriff nicht in Frage stellt, der Zusammenrechnung der Voten entgegenstehen? Man darf nach G l a s e r s tr,effendem Ausspruch, Schwurgerichtl. Erörterungen S. 62, vom Kollektivvotum nicht in höherem Grade Übereinstimmung fordern, als vom Einzelvotum Bestimmtheit. Ob die Alternative nur dem Kollektivvotum anhaftet oder auch den Einzelvoten, ist für die B i l d u n g des Gesamtwillens unerheblich. Nur die B e g r ü n d u n g kann von dem Unterschiede beeinflufst sein: haben zwei Drittel der Richter rechtlich einwandfrei Gewalt gegen die Person angenommen, die anderen oder ein Teil der anderen auf Grund falscher Gesetzesauslegung qualifizierte Drohung, so ist dieser Subsumtionsirrtum für das Urteil nicht kausal geworden; wohl, wenn unter sonst gleichen Voraussetzungen auch die Einzelvoten die Alternative enthielten; eine Differenz der Einzelvoten untereinander ist daher, wenn nicht schon die eine Gruppe dem Mehrheitserfordernis genügt, in den Gründen unter Angabe des Stimmenverhältnisses zu konstatieren. Dieser Punkt ( O e t k e r in Goltd. Arch. Bd. 47 S. 324 Anm. 7) wird durchgängig übersehen. Für das schwurgerichtliche Verfahren ist er natürlich ohne Erheblichkeit. Gegen O p p e n h o f f und R u b ο (insbesondere gegen den wunderlichen von R u b o befürworteten Abstimmungsmodus) v. B a r in Goltd. Arch. Bd. 15 S. 569 f.; O s t e r n , Alternativität S. 121 f. Vgl. auch die von O s t e r n angeführte Entsch. des bad. Oberhofgerichts, Annal, der bad. Ger. Bd. 26 S. 422. 6 Vgl. O s t e r n , Alternativität S. 82 f. Anders R o s e n f e l d S. 211: was in getrennten Paragraphen oder Ziffern desselben Paragraphen ohne Verweisung aufeinander untergebracht sei, könne trotz gleicher Rechtsfolgen auch bei inilerer Verwandtschaft nicht als gleichwertig gelten.

§ 36.

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Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Anfertigung einer Urkunde und in rechtswidriger Ausfüllung eines Blanketts mit nachfolgendem Gebrauch zum Zweck der Täuschung, §§ 267, 269 StGB, nur verschiedene Formen desselben Urkundendelikts 7 , deren Vereinigung in einem Paragraphen aus sprachlichen Gründen nicht wohl angängig war. Alternative Befragung ist sonach zulässig 8 . I I . Verschiedene Deliktsarten hingegen können auch dann nicht in eiuer Frage vereinigt werden, wenn sie in ihrem Wesen verwandt und mit gleicher Strafe bedroht sind 9 . So wäre unmöglich, nach Raub und räuberischer Erpressung alternativ zu fragen. Daran ändert nichts die überaus häufige Vereinigung von Delikten in demselben Strafgesetzparagraphen, um die Wiederholung der gleichen Strafdrohung zu ersparen, sei's, dafs eine Deliktsart (Hochverrat, Landesverrat, unzüchtige Handlung, Bankerutt usw.) nicht als solche, in begrifflicher Allgemeinheit, sondern nur in kasuistisch gefafsten Deliktsformen gestraft wird 1 0 , sei's, dafs die Tatbestände verschiedene Deliktsarten ergeben, aber in der Begehungsweise, durch Gleichheit oder Verwandtschaft des verletzten Rechtsgutes usw. sich berühren n , sei's, dafs verschiedene Handlungsstadien bei einer Deliktsart (Vollendung und Versuch usw.) in der Strafbarkeit gleichgestellt sind 1 2 , sei's endlich, dafs die Zusammen7

Theoretisch steht die widerrechtliche Blankettausfüllung der fälschlichen Anfertigung einer Urkunde nicht nur gleich, sondern i s t solche. Für die Befragung aber entscheidet die im Gesetz ausgedrückte blofse Gleich a c h t u n g der Tatbestände. 8 RG 3. Str.-S. E. Bd. 15 S. 67 f.; 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 40 S. 46 f.; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 269 Bern. 1: O s t e r n , Alternativität S. 157; W e r t h e i m e r , Mischgesetze S. 59. 9 Für solche alternative Befragung R u b ο in Goltd. Arch. Bd. 14 S. 385 f. Dagegen v. T i p p e i s k i r c h in Goltd. Bd. 15 S. 506, 508; v. B a r , Recht und Beweis S. 204; G e y e r S. 748; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 179; U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 510; v. K r i e s S. 590; L ö w e - H e l l w e g zu § 292 Bern. 2; B e n n e c k e - B e l i n g S. 291. 10 Vgl. §§ 81, 90, 92, 174, 176 StGB, 239, 240 KO. 11 §§ 146 (Falschmünzerei, Münzfälschung), 166, 168, 187 (Verleumdung, Kreditgefährdung), 265 (Brandversicherungsbetrug, Schiffs Versicherungsbetrug) usw. StGB. 12 § 80 StGB. Die strafbaren „Unternehmen", §§ 81 f., 105, 114 usw. StGB, bleiben beiseite, da hier bei der Abhängigkeit der Fragestellung von der Gesetzesfassung nach „Unternehmen" — in den Fällen der §§ 81 f. definiert gemäfs § 82, sonst Undefiniert — zu fragen ist, eine Versuchsfrage (§ 43) niemals in Betracht kommt.

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Stellung eine rein äufserliche ist, wie das öfters im ÜbertretungsAbschnitt des StGB zutrifft. Gesetze dieser Art heifsen herkömmlich „ M i s c h g e s e t z e 1 4 1 8 , die in ihnen vereinigten Deliktstatbestände „ M i s c h t a t b e s t ä n d e " 1 4 . is W e r t h e i m e r , Die Mischgesetze S. 3, unterscheidet alternative und kumulative Mischgesetze, je nachdem nur eine den Deliktsbegriff nicht alterierende Verschiedenheit der Begehungsweise vorliege oder das Gesetz mehrere selbständige Delikte zusammenfasse. Diese Terminologie ist abzulehnen. Der Ausdruck „Mischgesetz" ist im Sinne seines Urhebers, B i n d i n g , Normen I S. 205 f., auf die Verbindung von Delikten im Gesetze zu beschränken. W e r t h e i m e r s „alternative Mischgesetze" sind in Wahrheit „Alternativgesetze". Richtig ist, dafs W e r t h e i m e r S. 18 bei den von ihm sogenannten kumulativen Mischgesetzen alternative Befragung ausschliefst, bei den „alternativen Mischgesetzen" sie zuläfst. u Vielfach sind Gesetze doppelte Mischgesetze, indem die verschiedenen Gesetzespositionen wiederum Mischgesetze in sich vereinigen ; vgl. z. B. §§ 140, 184, 274 StGB, §§ 239, 240 KO, 360 (Ζ. 4, 5, 6, 8), 361 (vgl. Ζ. 4, Ζ. 6), 363 (vgl. Abs. 2), 367 (Ζ. 1, 6, 8), 369 (Ζ. 1, 2) StGB. Statt der Gliederung in Positionen kommt häufig Verbindung mit „ingleichen", „sowie", „gleiche Strafe trifft", „dieselbe Strafe trifft", „dasselbe gilt" und kurzweg mit „oder" vor; vgl. §§ 130a, 138, 141, 142 Abs. 2, 146, 150, 166, 170, 171, 201 usw. usw. StGB. In den Nebengesetzen finden sich Mischgesetze öfters in der Form, dafs der Tatbestand des kombinierten Strafgesetzes auf einen Normenkomplex verweist: „wer den Bestimmungen in den Paragraphen usw. vorsätzlich zuwiderhandelt" usw. Vgl. ζ. B. § 68 Personenstandsges. v. 6. Februar 1875, § 2 RG v. 26. Mai 1885 betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers usw., § 4 RG v. 25. Juni 1887 (betr. Verkehr mit bleihalt. Gegenständen), § 12 RG v. 5. Juli 1887 betr. Verwendung gesundheitsschädl. Farben, ebenso Weingesetz, Margarinegesetz, Süfsstoffgesetz, ferner § 62 Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen v. 5. Juli 1892, § 45 Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen v. 5. Juli 1892, § 82 HGB, §§ 23 f. RG betr. Kinderarbeit usw. v. 30 März 1903 usw. Blankettgesetze sind insoweit zugleich Mischgesetze, als durch Erlafs einer Normenmehrheit in Ausfüllung des Blanketts eine Mehrheit verbotener Tatbestände entsteht. Nicht selten auch ist ein Mischgesetz seinerseits teilweises Blankettgesetz, indem der Tatbestand Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des Gesetzes selbst und die in Ergänzung des Gesetzes zu erlassenden Normen („Ausführungsbestimmungen" usw.) vereinigt; vgl. z.B. §368 Z. 8 StGB, § 17 RG betr. Statistik des Warenverkehrs v. 20. Juli 1879, §§ 65, 66 Viehseuch.-Ges. v. 23. Juni 1880, § 12 Reblausges. v. 3. Juli 1883; besonders charakteristisch § 16 Spielkartenstempelges. v. 3. Juli 1878 (Mischgesetz, Blankettgesetz und subsidiäres Gesetz!), § 40 Tabaksteuerges. v. 16. Juli 1879r § 26 Branntweinsteuerges. v. 16. Juni 1895, § 52 Zuckersteuerges. v. 27. Mai 1896, § 19 Schaumweinsteuerges. v. 9. Mai 1902. Tat u m standliche Alternativen kann die Strafgesetzgebung vielfach nicht

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§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Zum Unterschiede von ihnen sind Einzelstrafgesetze, die gleichwertige Formen desselben positivrechtlichen Deliktsbegriffs alternativ verbinden, „ A l t e r n a t i v g e s e t z e " 1 5 , die so gefafsten Tatbestände „ A l t e r n a t i v t a t b e s t ä n d e " zu nennen. Der Gegensatz ist völlig klar : Das Mischgesetz ist eine Summe alternativ vereinter Gesetze, das Alternativgesetz einheitliches, eine Alternative der Begehungsweise enthaltendes Strafgesetz 16. entbehren. Die Mischgesetze aber, Bildungen, die den Stempel willkürlicher Zusammensetzung deutlich an der Stirne tragen, sollten (mit Ausnahme etwa gewisser Blankettmischgesetze) künftig ganz verschwinden. Die gröfsere Zahl der Paragraphen schadet wahrlich nicht, wenn sie zutreffende Rechtsanwendung erleichtert und sicher stellt. Auf Kürzung der Dispositionen, Vermeidung von Wiederholungen darf der Gesetzgeber nur in den Grenzen klarer Verständlichkeit Bedacht nehmen. Jedem besonderen Strafgesetz gebührt ein besonderer Paragraph. Die Formlosigkeit des bestehenden Rechts geht sogar so weit, Strafgesetze mit verschiedenen Strafsanktionen lediglich wegen des gleichen oder ähnlichen Anfangs der Gesetzestatbestände: „wer es unternimmt", „wer einen anderen verleitet" usw. zusammenzuschweifsen, vgl. z. B. §§ 159, 160 StGB usw. Der Schaden der Mischgesetze wird besonders klar, wenn der Gesetzgeber sich verleiten läfst — aus Bequemlichkeit — zu dieser Gesetzesform zu greifen gegenüber Handlungen von verschiedener Strafwürdigkeit und nun diese Differenz über der Vereinigung der Tatbestände übersieht, vgl. §§ 163, 309, 326 StGB (die fahrlässigen Begehungsformen von Delikten, die vorsätzlich verübt unter verschiedener Strafsanktion stehen, werden in einer Strafsatzung verbunden; eine korrekte Strafzumessung ist dabei unmöglich!) 16 Mischgesetze können in ihren Gliedern zugleich Alternativgesetze sein. Ein sehr häufiges Vorkommnis! Vgl. z. B. §§ 113, 117, 130a, 146, 147, 150, 166, 167, 168, 174, 176, 177, 181a, 187 (Verleumdung, Kreditgefährdung sind je Alternativtatbestände), 218, 221, 234, 265, 266, 275, 276 StGB, §§ 239, 240 KO, §§ 302, 308, 315, 321, 322, 324, 334, 353, 353 a, 360, 361, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 370 StGB. 16 Nicht immer leicht aber ist die Handhabung der Unterscheidung. Nachlässige, undurchsichtige Gesetzesredaktion und die unerläfsliche Prüfung der Selbständigkeit strafgesetzlicher Gebilde nach inneren Kriterien bringen manche Schwierigkeiten mit sich. Vgl. z. B. §§ 105 (Mischgesetz), 106 (nicht Mischgesetz), 109 (Mischgesetz), 110 (Mischgesetz), 130 a (Mischgesetz), 132 (Mischgesetz), 223 (nicht Mischgesetz), 234 (Mischgesetz), 257 (Mischgesetz), 266 (Mischgesetz), 274 Ν. 1 („vernichtet oder unterdrückt": Mischgesetz), § 274 N. 2 („wegnimmt unkenntlich macht, verrückt oder fälschlich setzt": Mischgesetz), 285 (Mischgesetz) usw. StGB und zu § 223 B i n d i n g , Lehrb. I S. 44 (keine scharfe begriffliche Grenze zwischen Mifshandlung und Gesundheitsbeschädigung), W e r t h e i m e r , Mischgesetze S. 47, O l s h a u s e n - Z w e i g e r t § 223 Bern. 7, a. A. O s t e r n S. 161; zu § 234 B i n d i n g , Normen I I S. 534 f., W e r t h e i m e r a. a. O. S. 50, O s t e r n S. 161; zu § 266 W e r t h e i m e r S. 58, a. A. K ö h l e r , Ideal- u. Gesetzeskonk. S. 55, 56; zu § 274 N. 2 B i n d i n g ,

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Während Trennung der Strafgesetze in verschiedene Gesetzesparagraphen mit selbständigen, wenn auch gleichartigen Strafdrohungen stets den Begriff des Mischgesetzes beseitigt, kann ein Alternativgesetz in der Weise mehrere Gesetzesparagraphen umfassen, dafs der spätere die Gleichachtung eines Tuns mit der im vorgängigen Paragraphen unter Strafe gestellten Begehung ausspricht. Ob eine solche Gleichstellung wirklich ein Alternativgesetz ergibt, ist nur auf Grund präziser Bestimmung der positiven Deliktsbegriffe zu entscheiden. Eine gute Illustration liefern die §§ 269, 270 StGB. Während der ergtere Tatbestand den Begriff der Urkundenfälschung in einer Beziehung erweitert (richtiger: näher feststellt), ist das Vergehen des § 270 diesem Delikte nur in der Bestrafung (mit Unrecht!) gleichgeachtet, aber nicht selbst Urkundenfälschung. Ist zweifelhaft, ob der Täter die falsche Urkunde usw., von der er wissentlich zum Zwecke der Täuschung Gebrauch gemacht hat, auch selbst fälschlich angefertigt usw. hatte, so kann unmöglich alternativ aus § 267 oder § 270 1 7 , sondern nur aus dem letztern Paragraphen verurteilt werden. I I I . Die alternative Fassung kann wie bei Hauptfragen, so bei Hilfsfragen notwendig werden, sei's, dafs nur die letztern, sei's, dafs zugleich die entsprechenden Hauptfragen in dieser Gestalt auftreten. Als Beispiele dienen folgende Kombinationen: Hauptfrage auf Raub, Hilfsfrage auf räuberische Erpressung bzw. auf das Delikt des § 252 StGB, während Begehung durch Gewalt oder Drohung zweifelhaft ist; Hauptfrage auf Mundraub, Hilfsfrage auf Diebstahl mittels Erbrechens oder Nachschliefsens. Z u I bis I I I . Die Zulassung der Alternativfrage aus dem Lehrb. I I S. 348, O l s h a u s e n - Z w e i g e r t Bern. 8, andererseits W e r t h e i m e r S. 59 (nicht Mischgesetz). Zweifelloses Mischgesetz ist § 146 StGB (Falschmünzerei, Münzfälschung); unrichtig W e r t h e i m e r S. 36. Dagegen mufs in § 176 N. 2 ein blofses Alternativgesetz gesehen werden, so auch RG 3. Str.-S. R. I V S. 86 f., während die Positionen des § 176 untereinander Mischgesetz sind (vgl. O l s h a u s e n - Z w e i g e r t § 176 Bern. 20; a. A. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 40 S. 44, O s t e r n S. 154). Den §§ 239, 240 KO wird von W e r t h e i m er S. 60 der Charakter als Mischgesetze bestritten. Er verwechselt hier, wie auch sonst mehrfach, die Tatsache der künstlichen Verbrechenseinheit bei Konkurrenz von Deliktsakten — B i n d i n g , Handb. I S. 560 f. — mit der Zulässigkeit alternativer Feststellung. Es zeigt sich hier recht klar die Abhängigkeit der Fragstellungslehre von der Strafrechtsdogmatik. 17 A. A. RG 3. Str.-S. E. Bd. 35 S. 299 f.

282

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Alternativgesetz findet in der Einheit des Strafanspruchs, ihre Ausschliefsung im Falle des Mischgesetzes in der Mehrheit der Ansprüche ihre Grundlage. Würde dem Staat alternativ der Strafanspruch a oder der Strafanspruch b zugesprochen, so könnte das Urteil für keinen der Ansprüche rechtskräftig und vollstreckbar werden. Die Feststellung, es bestehe entweder a oder b, schliefst begriffsnotwendig die beiden Möglichkeiten ein, dafs nicht a, sondern b, dafs nicht b, sondern a besteht. Sonach ist weder der Anspruch a, noch der Anspruch b festgestellt 18 . Die Vollstreckung aus solchem Urteil könnte mit demselben Rechte auf nicht bestehenden, nicht festgestellten Anspruch, als auf bestehenden festgestellten bezogen werden. Sie wäre ohne anspruchstilgende Kraft, da sie ebensowohl einem nichtbestehenden, als einem bestehenden Anspruch gegolten haben könnte. Nur der einfach bejahte, nicht der bedingt bejahte und damit zugleich bedingt verneinte Anspruch ist vollstreckbar. Aus jedem selbständigen Strafgesetze aber erwächst dem Staat ein selbständiger Strafanspruch. Die Strafgesetze enthalten den Katalog der Tatbestände, aus denen der Staat sich Strafansprüche beilegt. Die Selbständigkeit von Strafgesetzen untereinander fehlt, so weit zwischen ihnen Gesetzeskonkurrenz besteht. Im Verhältnisse der lex specialis zur lex generalis und bei sich kreuzenden Strafgesetzen (Versicherungsbetrug — Brandstiftung usw.) ist trotz Mehrheit anwendbarer Gesetze der Strafanspruch einheitlich. Die Selbständigkeit wird nicht ausgeschlossen durch Vereinigung der Dispositionen in einem Gesetzesparagraphen. Bei Alternativen im Strafgesetz ist zu prüfen, ob alternative Tatbestände oder nur alternative Tat um stände für denselben Tatbestand aufgestellt sind 1 9 . Dafür entscheidet nicht sowohl der Wortlaut des Gesetzes, der freilich als Erkenntnismittel des Gesetzeswillens in erster Linie mit heranzuziehen ist, aber diesen Willen vielleicht nur inkorrekt wiedergibt, als der auf Grund des Gesetzesinhalts unter Berücksichtigung der geschichtlichen Ent18

Nicht anders ist's im Zivilprozesse. Es können Ansprüche in der Klage kumuliert werden (auch wenn sie auf dieselbe Leistung gehen, S e u f f e r t , Komm, zu § 260 Bern. 2d), es kann mit einem prinzipalen ein eventueller Anspruch sich verbinden, es kann ein Anspruch alternativ auf die eine oder andere Leistung gerichtet sein, aber der Kläger kann nicht alternativ diesen oder jenen Anspruch erheben, er mufs sagen, welchen er geltend machen will. 19 I n demselben Sinne RG 3. Str.-S. E. Bd. 28 S. 98 f., Bd. 32 S. 85 f.

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Wickelung, mit besonderer Beachtung des Angriffsobjekts, des Rechtsguts und der Art des Angriffs zu gewinnende Deliktsbegriff. Ergibt sich für jedes Glied der Alternative ein anderes angegriffenes Rechtsgut 20 , so ist die Verschiedenheit der Tatbestände und folglich die Mehrheit der Ansprüche sicher. Bei Identität des Rechtsguts können doch die verschiedenen Formen des Angriffs in bestimmter Gruppensonderung (Verletzungen — Gefährdungen; Arten von Verletzungen 21 , von Gefährdungen 22) Gegenstand der strafgesetzlichen Behandlung sein, so dafs eigene Deliktsbegriffe entstehen. Dann entspricht jedem solchen, eine Spezies von Angriffen einschliefsenden Deliktsbegriff ein besonderer Strafanspruch. Stehen Verbote schlechthin, also solche Normen in Frage, deren Übertretung einen Angriff auf ein Rechtsgut, Verletzung, Gefährdung des Gutes nicht zu enthalten braucht, so mufs nach der Art der alternativ verbundenen Begehungsweisen bestimmt werden, ob sie nur in einem Punkte oder im ganzen differieren, eine tatbestandliche oder nur tat um standliche Verschiedenheit vorliegt 2 8 , wobei Verschiedenheit der Rechtsgüter, deren wirksame Sicherung durch das absolute Verbot bezweckt ist, bei dem einen, bei dem andern Glied der gesetzlichen Alternative mit in Anschlag zu bringen ist, aber nicht notwendig den Ausschlag gibt, da ein und dasselbe absolute Verbot zum Schutze verschiedener Rechtsgüter erlassen sein kann. Die gleiche Betrachtungsweise erfordern Gebote, deren Übertretungen ja nie Angriffe auf Rechtsgüter sind, sondern nur Nichtförderung von Gütern ergeben. Feststellungen verschiedener Gesetzestatbestände können nicht als Feststellung des gleichen Anspruchs wirken. Dagegen steht die nur tatumstandliche Verschiedenheit der Feststellung nicht der Identität des festgestellten Anspruchs entgegen. Soweit der Gesetzgeber trotz verschiedener Gestaltung eines Tatumstandes doch den20

Für § 105 StGB erste und zweite Alternative ist Angriffsobjekt die Gesamtorganisation, für die dritte Alternative ist es das Mitglied, B i n d i n g , Lehrb. I I 2 S. 817. 21 § 105 erste Alternative: Sprengung, zweite: Nötigung. Arten von Verletzungen geschieden nach der Absicht des Verletzenden in § 234 (Menschenraub). Auch § 274 N. 1 (Beschädigen, Unterdrücken) ist hierher zu stellen. Ebenso § 274 N. 2 (vgl. B i n d i n g , Lehrbuch I I S. 348). 22 Beispiel: § 130a StGB Abs. 1 u. 2. 28 Tatbestandliche Verschiedenheit ist gegeben bei öffentlicher Aufforderung und solcher durch Verbreitung usw. von Schriften im Falle des § 110 StGB. Auch § 285 gehört hierher.

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§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

selben Anspruch annimmt, kann entsprechende Feststellungsalternative nicht einen Anspruchszweifel begründen. Die Prozefsinstitution will in ihrer Zweckbeziehung zum materiellen Rechte erfafst sein. Vom Prozesse die Beseitigung aller tatumstandlichen Zweifel zu verlangen, ginge vielfach über die Leistungsfähigkeit der Beweiserhebung hinaus und wäre geeignet, die Herrschaft des Strafgesetzes erheblich zu beeinträchtigen. Ist das Ergebnis der Feststellungen a + b + c + d und a + b + c + e das gleiche, die Annahme des Anspruchs x, so fehlt jeder vernünftige Grund, die Feststellung a - f b + c + d o d e r e nicht als Feststellung des Anspruchs χ wirken zu lassen. Aber eine Schranke darf nicht aufser acht bleiben. Anspruchsfeststellung ist nicht nur Feststellung der Anspruchsart, sondern eines Anspruchsindividuums. Alternative Feststellung erscheint daher immer nur dann möglich, wenn in concreto durch die Ungewifsheit des Tatumstandes die Tat- und damit die Anspruchsindividualität unberührt bleibt, bei der einen identischeil Tat Vorhandensein des einen oder andern Tatumstandes gedacht werden kann. Sonst würden alternativ zwei zwar gleichartige, aber individuell verschiedene Ansprüche zugesprochen. Eine solche Feststellung könnte wiederum nicht Rechtskraft und nicht Vollstreckbarkeit begründen. Von der Tatsachenalternative ist zu scheiden die blofse Beweisalternative. Die Gesetze erachten zuweilen für gleichwertig die Tatsachenfeststellung auf Grund freier Beweiswürdigung und vermittelt durch gesetzliche Beweisregel. Das klassische Beispiel ist § 259 StGB: Wer Sachen, „von denen er weifs oder den Umständen nach annehmen mufs", dafs sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, an sich bringt usw. 2 4 Wenn nach den Umständen des Falles die deliktische Provenienz der Sachen dem Angeklagten sich aufdrängen mufste, so wird diese Kenntnis bei ihm vermutet 25 . Das Gericht wird immer gut tun, diese 24 W e r t h e i m e r , Mischgesetze S. 56, spricht hier fälschlich von tatbestandlicher Alternative. Die gleiche Auffassung in RG 2. Str.-S. R. I S. 777. Gut hingegen 4. Str.-S. E. Bd. 25 S. 222: die Worte „von denen er den Umständen nach annehmen mufs", bedeuten nicht ein zweites neben dem Wissen stehendes anders geartetes Tatbestandsmoment. 26 Vgl. O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 259 Bern. 21; RG 2. Str.-S. E. Bd. 7 S. 85 f.. B i n d i n g , Lehrbuch I S. 392, sieht in dem gesetzlichen Passus die Anerkennung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im konkreten Falle, also auch einen Beweisrechtssatz.

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Alternative in der Frage beizubehalten, wenn es nicht nach der konkreten Beweislage auf Feststellung des Wissens durch die Geschworenen auch ohne die Beweisregel mit Sicherheit rechnen kann. Schliefslich mag noch hingewiesen werden auf tautologe, durch den Sprachgebrauch sanktionierte und solche Alternativen, deren Einfügung in das Gesetz zwar guten Grund hat, deren Feststellung aber nichtssagend wäre. Tautolog erscheint die Alternative des § 10 Abs. 2 des Sprengstoffges. v. 9. Juni 1884 „anpreist oder als etwas Rühmliches darstellt". Ein greifbarer Unterschied dieser Qualifizierungen von Dynamitverbrechen ist nicht erkennbar 26 , beide laufen darauf hinaus, dafs dem Delikte ein positiver Wert, ein Verdienst beigemessen wird. Die Frage ist einfach auf „Anpreisen" zu richten. Auch „Besitz — Gewahrsam" in § 246 StGB ist tautolog 7 , wie aus dem richtig erfafsten strafrechtlichen Besitzbegriff sich ergibt. Dem gemeinen Sprachgebrauch folgend verwenden auch die Gesetze gewisse Alternativen als Einheiten, nicht im Sinne einer Gegenüberstellung von Begehungsformen und ohne die Absicht, den Richter unterscheiden zu lassen. So besonders „ohne Wissen oder Willen", z. B. § 220 StGB, „Gefahr für Leib oder Leben", § 249 usw. Diese Alternativen werden in der Frage nicht aufgelöst; es wird nach Gefahr „für Leib oder Leben" auch dann gefragt, wenn nach der Sachlage zweifellos Lebensgefahr bestand. Wenn der deutsche Gesetzgeber eine Tat für strafbar erklärt, einerlei, ob sie „im Inlande oder im Auslande" begangen ist, z. B. in § 298 StGB, so wird damit die naheliegende Annahme ausschliefslicher Strafbarkeit der inländischen Begehung abgelehnt, aber sinnlos wäre, die Geschworenen feststellen zu lassen, der Täter habe „im Inlande oder im Auslande" delinquiert. Ist der genaue Tatort zweifelhaft geblieben und kann danach die Tat im Inlande oder im Auslande geschehen sein, so ist ihre örtliche Individualisierung in der Frage nur in allgemeinerem Umrifs möglich und es wird dabei erkennbar zu machen sein, dafs sie sich in dem einen oder andern Staatsgebiet abgespielt haben kann, aber es wird doch nicht schlechthin die Alternative inländischer oder ausländischer Begehung erfragt. IV. Alternative Feststellung ist öfters auch zulässig im Zweifel 26

B i n d i n g , Lehrbuch I I 2 S. 858 Anm. 2 sagt, der Unterschied sei für einen gesunden Verstand schwer zu finden. 27 B i n d i n g , Lehrbuch I S. 286; K e l l e r zu § 292 Bern. 2d.

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§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

über das Vorliegen der einen oder anderen gleich strafbaren Qualifikation desselben Grunddelikts, wenn z. B. nach der Sachlage der Diebstahl verübt worden sein mufs mittels Einbruchs oder Einsteigens 2 8 , mittels Erbrechens eines Behältnisses oder Nachschliefsens, ohne dafs zwischen diesen Möglichkeiten bestimmt entschieden werden kann. Ob die Schärfungen im Gesetze alternativ verbunden oder ob sie getrennt aufgestellt sind, in verschiedenen Positionen desselben Paragraphen oder auch in verschiedenen Paragraphen, ist nicht ausschlaggebend. Die gleiche Feststellung ist an sich auch denkbar bei äquivalenten Privilegierungsgründen betreffs desselben Grunddelikts, doch kommt dieser Konkurrenz im positiven Rechte eine erhebliche praktische Bedeutung nicht zu. Der Zweifel zwischen ungleichwertigen, die Strafe in verschiedenem Mafse steigernden Qualifikationen kann nicht in das Urteil übergehen. Eine àlternative Feststellung, die in ihren beiden Gliedern Subsumtion unter verschieden bemessene Strafsatzungen bedingen würde, wäre unbrauchbar 29 . Gleichwertige Qualifikationen gestatten alternative Feststellung dann, wenn sie ferner gleichartig sind 8 0 . Es wird, um das Stärkste zu setzen, niemand auf die Idee kommen, eine alternative Diebstahlsfeststellung dahin zu treffen, dafs entweder aus einem zum Gottesdienst bestimmten Gebäude ein dem Gottesdienst gewidmeter Gegenstand, § 243 Z. 1 StGB, oder auf einem Eisenbahnhofe eine zum Reisegepäck gehörende Sache usw., § 243 Z. 4, gestohlen worden sei. 28

Für alternative Feststellung im Falle des Textes v. T i p p e i s k i r c h a. a. 0. S. 516; M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 180 (der zwar prinzipiell alternative Befragung wegen Qualifikationen verwirft, eine Ausnahme aber macht, wenn es, wie bei § 243 N. 2 StGB, nicht auf die einzelnen strafschärfenden Umstände, sondern auf den ihnen zugrunde liegenden allgemeinen Begriff ankomme, als welcher für § 243 N. 2 das rechtswidrige Gelangen an die Sache erscheine). Dagegen v. K r i e s S. 592; D a l c k e , Fragestellung S. 36; B e n n e c k e B e l i n g S. 291, 549 N. 21; O s t e r n S. 161, 162. 29 Vgl. H é l i e I X § 673; Z a c k e , Fragstellung S. 99 und die hier angeführten Präjudizien. Unrichtig R u b ο in Goltd. Arch. Bd. 14 S. 385: die Alternative sei zulässig, bei der Strafverhängung aber das minus anzunehmen. 30 Die Ansicht v. B a r ' s , Recht und Beweis S. 207 f., dafs Qualifikationsgründe betreffs der Zulässigkeit alternativer Feststellung, wie konkrete Tatumstände zu behandeln seien, kann nicht gebilligt werden. Diese Gleichstellung entbehrt inneren Grundes und würde in viel zu weitem Mafse alternative Feststellungen freigeben.

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Gleichartig sind Qualifikationen, wenn sie nach der Lebensauffassung analoge Tatgestaltungen darstellen und in der ratio legis zusammentreffen. Die Gleichartigkeit kann gegeben sein durch die Verwandtschaft des Objekts 81 , des Mittels 3 2 , der Tätigkeit 8 8 , des Motivs 84 usw. Beurteilung dieser Frage nach rein logischen Kriterien wäre undurchführbar. Entscheidend ist, ob das positive Recht Verbrechensmodalitäten, die nach der Anschauung des Rechtslebens verwandt sind, erkennbar aus demselben Motiv (besondere Schutzbedürftigkeit des Objekts, intensive Hindernisbeseitigung, Gefährlichkeit des gebrauchten Mittels usw.) heraus qualifizierend nebeneinander gestellt hat. Dabei ist auch die geschichtliche Entwickelung der Verbrechensbegriffe, jenachdem von ihr bestimmte Verbrechensformen (Einbrechen, Einsteigen beim Diebstahl usw.) koordiniert oder die Typen scharf voneinander abgesondert worden sind (Strafsenraub, Raub in einem bewohnten Gebäude zur Nachtzeit usw.) 85 , wohl mit in Betracht zu ziehen. Die detaillierte Darlegung und Anwendung dieser Unterscheidungsmerkmale ist der Strafrechtsdogmatik zu überlassen. Gleichartige (und gleichwertige — was in der Folge immer zu ergänzen ist) Qualifikationen ergeben zu dem Grunddelikt hinzutretend nicht verschiedene Gesamttatbestände, sondern einen und denselben Gesamttatbestand je mit tat umständlicher Besonderheit. Der Mehrheit solcher Qualifikationen entspricht nicht eine Mehrheit von Strafansprüchen, vielmehr stehen nur Nuancen desselben Strafanspruchs in Frage, deren Aufklärung zwar erwünscht, aber für die Strafgesetzanwendung keineswegs unerläfslich ist. Der Gesetzgeber sieht in der Ungewifsheit betreffs der gleichartigen Qualifikationen a, b nicht Ungewifsheit über die Strafansprüche x, y, sondern über die eine oder andere Gestaltung desselben Strafanspruchs χ und läfst daher in der zutreffenden Erwägung, dafs er 31 Reisegepäck oder andere Gegenstände der Beförderung, § 243 Z. 4. Alternative Privilegierung: Nahrungs- oder Genufsmittel, § 370 N. 5. 32 Gewalt oder Drohung usw. 33 Einbrechen, Einsteigen, § 243 Z. 2. Formen der schweren Körperverletzung nach § 224. 34 Beispiele: §§ 213 (Reizung durch Mifshandlung oder schwere Beleidigung), 235 (Absicht, die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen usw. Beschäftigungen zu gebrauchen), § 268. 35 Ist zweifelhaft geblieben, ob ein nächtlicher Raub in einem bewohnten Gebäude (§ 243 N. 7) oder auf der unmittelbar angrenzenden öffentlichen Strafse begangen worden ist, so kann nicht alternativ aus § 250 N. 3, 4 StGB verurteilt werden.

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§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

andernfalls die Anforderungen an die strafprozessuale Beweiserhebung öfters überspannen würde, alternative Feststellung zu. Das solche Qualifikationen alternativ verbindende strafschärfende Gesetz ist nicht Mischgesetz, sondern ergibt mit dem Grundgesetz für das einfache Delikt zusammen ein Alternativgesetz, selbst dann, wenn die Strafschärfungen in verschiedenen Paragraphen oder Positionen desselben Paragraphen ausgesprochen sein sollten 86 . Der Zweifel zwischen ungleichartigen Qualifikationen hingegen läfst sich nicht durch alternative Feststellung erledigen. Denn trotz der Gleichheit des Grunddelikts besteht hier eine Alternative von Strafansprüchen. Nur insofern decken sich die Ansprüche, als sie aus demselben Grunddelikt — je unter Hinzunahme anderweiter Begründungstatsachen — abgeleitet werden. Daher bleibt nur übrig, bei nicht zu hebender Ungewifsheit über die Qualifikationen die Feststellung auf das Grunddelikt, das gemeinsame Fundament beider Ansprüche, zu beschränken. Alternative Feststellung gleichartiger Qualifikationen steht der Rechtskraftswirkung und der Vollstreckbarkeit des Urteils ebensowenig entgegen als die Annahme des einen oder anderen von gesetzlich gleichgestellten Tatumständen des Grunddelikts. Immer ist durch die tatbestandliche Feststellung trotz der tatumstandlichen Alternative der gleiche Strafanspruch festgestellt. Wiederum besteht die Schranke der Tatidentität. Die Tat, 86 Alternativqualifikationen finden sich in §§ 181a Abs. 2 (Gewalt oder Drohungen), 202, 213, 214, 222 Abs. 2, 224, 230 Abs. 2, 235 (Alternativqualifikation im Hinblick auf Alternativgrundgesetz, also doppeltes Alternativgesetz), 243 Z. 2, 3, 4, 5, 6, 7 (jede dieser Ziffern enthält alternative Qualifikationen, während die Ziffern im Verhältnis zueinander, abgesehen von Ziffer 2 und 3, ein Mischgesetz ergeben), 250 Z. 1, 2, 3, 4 (untereinander Mischgesetz), 254, 268, 272, 273, 307 Z. 2, 3 (untereinander wieder Mischgesetz), 340 Abs. 2, 349 StGB. Vgl. zu § 222 Abs. 2 W e r t h e i m e r S. 47, O s t e r n S. 156, RG 2. Str.-S. R. V I I S. 638 f., 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 50 S. 109; zu § 224 W e r t h e i m er S. 49, O s t e r n S. 156; zu § 235 O s t e r n S. 156, O l s h a u s e n - Z w e i g e r t Bern. 9; zu § 243 RG 2. Str.-S. E. Bd. 10 S. 103f. („Gebäude oder umschlossener Raum" ist zulässige Alternative), 3. Str.-S. R. V I I S. 138 f. (Einbruch und Erbrechen eines Behältnisses seien selbständige Qualifikationen), 4. Str.-S. E. Bd. 23 S. 47 f. (Erschwerungsgriinde verschiedener Nummern des § 243 sind nicht alternativ feststellbar), 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 39 S. 60 (auch Einsteigen und Einschleichen, N. 2 und 7, ergäben eine zulässige Alternative), O s t e r n S. 104, 161, W e r t h e i m e r S. 51; zu § 250 W e r t h e i m e r S. 53; zu §§ 268, 272, 273 O s t e r n S. 152, W e r t h e i m e r S.53, O l s h a u s e n - Z w e i g e r t § 268 Bern. 4.

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

das abzuurteilende historische Faktum, mufs trotz der alternativen Bestimmung als genügend individualisiert erscheinen. Kann ein identisches Geschehnis nicht gedacht werden behaftet mit der Alternative, würde jedes Glied der Alternative zur Annahme eines andern geschichtlichen Vorgangs führen, so wäre die alternative Feststellung Feststellung der einen oder anderen Tat, des einen oder anderen Anspruchsindividuums. Steht hiernach fest, dafs gleichartige Qualifikationen an sich alternativ festgestellt werden können, so mufs doch in einer Richtung die Voraussetzung für diese Feststellung noch näher bestimmt werden. Es ist wohl denkbar, dafs solche Qualifikationen bei einem und demselben Delikt konkurrieren, dafs z. B. der Dieb erst eingebrochen, dann eingestiegen i s t 3 7 . So entsteht die Frage, ob die alternative Feststellung nicht nur möglich ist auf Grund einer und derselben nicht voll aufgeklärten konkreten Tatunterlage, sondern auch auf Grund einer Alternative konkreter Tatumstände, von denen der eine oder andere nach der Sachlage anzunehmen wäre. Bei einer besonderen Beweislage hält vielleicht der Richter das Vorhandensein der einen oder anderen tatsächlichen Basis der Qualifikationen, z.B. ein Hineingelangen des Diebes in umschlossenen Raum, das Einbrechen ergeben würde, oder ein Hineingelangen in ein Gebäude innerhalb des umschlossenen Raumes, das Einsteigen sein würde, für wahrscheinlich. Nun ist die alternative Feststellung, soweit sie bisher besprochen wurde, alternative Subsumtion eines konkreten Tatumstandes unter die eine oder andere gesetzliche Kategorie, es kann aber ferner auch — wovon später sub V I I I zu handeln sein wird — die alternative Feststellung zum Gegenstande haben den einen oder anderen konkreten Tatumstand bei Anwendbarkeit der nämlichen gesetzlichen Kategorie. Ist ein Untersatz — konkreter Tatumstand — festgestellt worden, auf den die eine oder andere gleichwertige und gleichartige gesetzliche Kategorie anwendbar wäre, so schadet dieser Zweifel im Obersatz nicht der Subsumtion88. Ebenso schadet nicht ein Zweifel im 37

Vgl. über die Möglichkeit solchen Zusammentreffens die Bern. 16 bis 22 zu § 243 bei O l s h a u s e n - Z w e i g e r t . 38 v. K r i e s S. 590 f. will eine Alternative nur der Subsumtion nicht zulassen. Die Rechtsfrage der Gesetzesanwendung auf die feststehende Tatsache sei stets bestimmt zu entscheiden. Dabei ist der praktische Zweck der Rechtsfindung verkannt. Gegenüber einer Alternative äquivalenter gesetzlicher Tatmomente bedarf es zur zutreffenden Gesetzesanwendung der Lösung des Rechtszweifels eben nicht. Es kommt hinzu, dafs Subsumtionsschwierigkeiten aus B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Untersatz — über den einen oder anderen konkreten Tatumstand — bei sicherer Anwendbarkeit des gleichen Obersatzes, vgl. unten V I I I . Daraus folgt, dafs auch ein entsprechender Zweifel auf beiden Seiten der Feststellung nicht entgegensteht, diese also in doppeltem Sinne eine alternative sein kann 3 9 . Die aufgeworfene Frage ist daher zu bejahen: alternative Feststellung gleichartiger Qualifikationen kann auch auf der Grundlage erfolgen, dafs der Richter den einen oder anderen konkreten Tatumstand, von denen der eine unter diese, der andere unter jene Qualifikation zu subsumieren wäre, als erwiesen annimmt. Dieses Ergebnis wird noch gestützt durch die Erwägung, dafs eine scharfe Grenze zwischen Einheit und Mehrheit konkreter Tatumstände (von zweifelhafter rechtlicher Bedeutung) im Grunde nicht existiert. Jeder Tatumstand kann wieder in Teile zerlegt werden, es können Tatumstände zu einem erweiterten Tatumstand zusammengefafst werden. Soll nach Qualifikationen alternativ gefragt werden, so sind sie entweder alternativ in die Hauptfrage aufzunehmen oder es ist der Hauptfrage auf das einfache Delikt eine alternativ gefafste Nebenfrage hinzuzufügen. Mufs mit einem Zweifel über die eine oder andere Qualifikation bei den Geschworenen gerechnet werden, so ist das Gericht auch stets veranlafst, alternativ zu fragen. Reduktion auf ein Glied der Alternative könnte zur Verneinung so gefafster Frage führen, während mit der Alternative die Frage bejaht worden wäre. Ein Gesetz, das ungleichartige Qualifikationen verbindet — in welcher Form immer, ob nur mit „oder", ob in gesonderten Positionen —, ist, mit und ohne Hinzunahme des Grundgesetzes für das einfache Delikt, immer ein Mischgesetz40. Erst recht bei ungleichwertigen Qualifikationen 4 1 . rechtlichem und aus tatsächlichem Grunde vielfach nicht durch völlig falsche Grenzlinie geschieden sind. Und in welcher Form sollte nun die praktisch unerhebliche Rechtsfrage zur Entscheidung der Geschworenen gebracht werden? Durch eine Alternativfrage, die nicht alternativ beantwortet werden dürfte? Oder durch prinzipale und eventuelle Frage? Das eine wäre so falsch wie das andere. 39 Vgl. O s t e r n S. 65. 40 Qualifizierende Mischgesetze sind: §§ 117 Abs. 2, 123 Abs. 3, 181a Abs. 2 (Gattenqualität des Zuhälters, Anwendung von Gewalt usw.), 186 (öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften usw.), 187, 223a, 239 Abs. 2 u. 3, 243 (die Positionen untereinander, abgesehen von Ziffer 2 und 3, die ein Alternativgesetz bilden), 250 (die Positionen untereinander), 251, 260, 293, 296, 302b (Mischgesetz, das in einem Gliede zugleich Alternativgesetz ist), 302d,

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

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Besteht ein Zweifel über ungleichwertige oder ungleichartige Qualifikationen, z.B. darüber, ob die Körperverletzung nur eine der Folgen des § 224 StGB gehabt oder den Tod des Verletzten verursacht hat (vermittelt durch die Folge, die dann nicht selbständig in Betracht käme), über die Bewertung des nächtlich begangenen Raubes als Strafsenraub oder als Raub in einem bewohnten Gebäude gemäfs § 250 Z. 4 StGB, so ist's nicht Sache des Gerichts, durch Isolierung der Schuldfragen auf die eine Eventualität dem Geschworenenentscheid zu präjudizieren, es ist vielmehr den Geschworenen Gelegenheit zu geben, die Tat unter beiden Gesichtspunkten zu prüfen. Das kann nun nicht, wie dargelegt worden ist, durch alternativ gefafste Fragen geschehen. Es dürfen aber auch nicht zwei volle Schuldfragen — Haupt- und Hilfsfrage — je unter Einbeziehung der einen oder anderen Qualifikation gestellt werden. Denn damit würden die Geschworenen wegen des Grunddelikts doppelt befragt. Vielmehr bleibt nur übrig, im Anschlufs an die eine Hauptfrage auf das Grunddelikt zwei Nebenfragen auf die Qualifikationen im Eventualverhältnis zueinander zu stellen (oder etwa auch die eine Qualifikation in 307, 351, 362 Abs. 2 Satz 2 StGB. Vgl. zu § 186 O s t e r n S. 160; zu § 223a RG 3. Str.-S. E. Bd. 12 S. 379 f., O s t e r n S. 161, W e r t h e i m e r , Mischgesetze S. 48; zu § 251 RG Fer.-S. E. Bd. 35 S. 357 f., wo alternative Feststellung von Raub unter Marterung und Raub mit der Folge schwerer Körperverletzung für zulässig erachtet wird, dagegen mit Recht der Oberreichsanwalt und B i n d i n g , Lehrb. I S. 315; zu § 260 RG 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 138 (gewerbs-, gewohnheitsmäfsige Begehung nicht alternativ festzustellen), O l s h a u s e n Z w e i g e r t Bern. 1, a. A. O s t e r n S. 157, W e r t h e i m e r S. 56; zu §§ 302b und 302 d abweichend W e r t h e i m er S. 62. Zum Teil sind diese Gestaltungen in doppeltem Sinne Mischgesetze, indem auch das Grundgesetz Mischgesetz ist: §§ 117 Abs. 2, 123 Abs. 3, 181a Abs. 2, 187, 260, 307. Vgl. zu § 187 B i n d i n g , Lehrb. I S. 160 (Verleumdung und Kreditgefährdung Mischtatbestände)·, zu § 181a Abs. 2 unrichtig W e r t h e i m e r S. 43 (verkennt den Mischgesetzcharakter des Grundgesetzes). Nicht selten kommt vor, dafs eine Qualifikation einheitlich für ein Mischgrundgesetz ausgesprochen wird: sprachliche Zusammenfassung identischer Qualifikationen für zwei Grunddelikte. Siehe z. B. §§ 133 Abs. 2, 221 Abs. 2, 257, 261, 266 Abs. 2, 315 Abs. 2, 316, 321 Abs. 2, 322 Abs. 2, 324, 326 StGB. Vgl. zu § 221 W e r t h e i m e r S. 47, unrichtig O s t e r n S. 155 N. 7 (läfet betreffs des Grundgesetzes alternative Feststellung zu); zu § 257 B i n d i n g , Lehrb. I I S. 666 N. 1, W e r t h e i m e r S. 54, O l s h a u s e n - Z w e i g e r t Bern. 1, unrichtig K ö h l e r , Ger.-Saal Bd. 61 S. 66, 81. 41 (Zu S. 290). Beispiele dafür: §§ 239 Abs. 2 u. 3 (schwere Körperverletzung, Tod), 315 Abs. 2, 321 Abs. 2 (ebenso), 322 Abs. 2 (Strandung eines Schiffes, Tod eines Menschen) StGB. 19*

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§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

die Hauptfrage aufzunehmen und Nebenfrage auf die andere Qualifikation für den Fall der Bejahung der Hauptfrage unter Verneinung der einbegriffenen Qualifikation folgen zu lassen). Dabei gehört im Falle ungleichwertiger Qualifikationen entsprechend einem allgemeinen Prinzip für die Abstimmung in Kollegien und in Analogie des § 294 Abs. 2 StPO die schwerere voran (auch bei Aufnahme einer Qualifikation in die Hauptfrage). Die Geschworenen sind zu bedeuten, dafs sie, sofern ungleichwertige Qualifikationen im Plus-Minus-Verhältnis zueinander stehen (Zweifelspunkt ist z. B., ob der Tod des X im Kausalnexus steht mit der ihm zugefügten schweren Körperverletzung), in dubio minus anzunehmen haben, in allen sonstigen Beziehungen aber, wenn sie des Zweifels nicht Herr werden können, beide Qualifikationen zu verneinen haben. Z u I b i s I V . Die Alternative des Grundgesetzes und die Alternative gesetzlicher Qualifizierung bilden nicht einen unerläfslichen Inhalt der Frage und der Feststellung. Das Gesetz zwingt nicht zu zweifeln gegenüber einer klaren Beweislage. Beim Erlasse des Eröffnungsbeschlusses konstruiert sich der Richter nach den Ergebnissen des Vorverfahrens das mutmafsliche Tatbild. Hat er danach nicht Anlafs, mit der Alternative zu rechnen, so berücksichtigt er auch nur die eine, nach dem' ihm vorliegenden Material indizierte Tatgestaltung. Aber es ergibt nun vielleicht die Verhandlung den Zweifel. Oder umgekehrt die Beweiserhebung beseitigt früher vorhandene, in alternativer Fassung des Beschlusses ausgedrückte Ungewifsheit. Im letztern Falle würde ein Richterkollegium die Alternative streichen, für die eine Möglichkeit sich entscheiden. Im schwurgerichtlichen Verfahren aber wirkt modifizierend die Pflicht des Gerichts, in der Fragestellung den Eröffnungsbeschlufs zu erledigen; eine Abweichung des Verhandlungsergebnisses von den Annahmen des Beschlusses kann nicht dem Schuldentscheid präjudizierencl durch Fragenänderung festgestellt werden. 1. Hatte der Eröffnungsbeschlufs gegenüber einer A l t e r n a t i v e des G r u n d g e s e t z e s nur dem einen Modus Rechnung getragen und ergab nun die Verhandlung Anhaltspunkte auch für den andern oder nur für ihn, so ist die Frage alternativ zu fassen. Falsch wäre, nur den andern Modus zu berücksichtigen. Unverkennbar sind bei dieser Prozefssituation die Voraussetzungen der Hilfsfrage gemäfs § 294 StPO gegeben, und in der Tat ist die nunmehr alternativ gefafste Frage als q u a l i f i -

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

zierte, die H a u p t f r a g e ausschliefsende H i l f s f r a g e zu betrachten 42. Daraus folgt, dafs, wenn dem Hauptfragentwurf gegenüber eine Partei oder ein Geschworener alternative Fassung beantragt, damit eine qualifizierte Hilfsfrage begehrt wird, die nur aus Rechtsgründen, also — entsprechende Alternative im Gesetz vorausgesetzt — nicht als tatsächlich unveranlafst abgelehnt werden kann (§ 296 StPO) 43 . Geht der Antrag dahin, auch wegen der andern Begehungsform eine Frage zu stellen, so ist er doch in dubio als Antrag auf Alternativfrage, also auf qualifizierte Hilfsfrage, aufzufassen, bei ausdrücklichem Verlangen besonderer Frage aber als unzulässig abzuweisen. Denn es stände im letzteren Fall der Rechtsgrund entgegen, dafs Konkurrenz von Haupt- und Hilfsfrage an Stelle alternativer Frage ausgeschlossen ist, mit dem Antrag also eine verkehrte, die Gefahr ungerechtfertigter Freisprechung ergebende Frag- und Abstimmungsweise begehrt würde. Doch könnte zugleich von Amtswegen die Alternativfrage gestellt werden. Die Alternative des Eröffnungsbeschlusses ist beizubehalten, auch wenn die eine Eventualität nach dem Beweisergebnis abfällig erscheinen sollte. Streichungsantrag eines Prozefsbeteiligten wäre abzuweisen. Einfache statt hiernach gebotener alternativer Fragenfassung bleibt unschädlich im Falle der Bejahung so gestellter Frage. Die Verneinung aber kann gerade im Fehlen der Alternative, auf die sich genügende Stimmenzahl vereinigt haben würde, ihren Grund haben; daher wäre die Revision liquide. Im nichtschwurgerichtlichen Verfahren kann an Stelle des im Eröffnungsbeschlusse angenommenen gesetzlichen Tatumstandes das Urteil einen anderen im Gesetze als gleichartig anerkannten und 42

K e l l e r zu § 294 Bern. 3 hat richtig erkannt, dafs der Fall der Hilfstrage vorliegt, aber da ihm der Begriff der qualifizierten Hilfsfrage fremd ist, so verfällt er in den charakteristischen Fehler, mit einfach gefafster Hauptfrage eine alternative Hilfsfrage zu verbinden. Die Geschworenen werden also nach der einen Deliktsgestaltung doppelt, in Haupt- und Hilfsfrage, gefragt, während ihnen doch freisteht, die Alternativfrage durch Feststellung des einen Alternativgliedes zu beantworten! 43 Im Ergebnis richtig L ö w e - H e l l w e g zu § 296 Bern. 2: der Grundsatz des § 296 sei anzuwenden auf jeden Antrag, der eine Erweiterung der Fragestellung über den Inhalt des Eröffnungsbeschlusses hinaus bezwecke, insbesondere auf Berücksichtigung einer zulässigen Alternative gerichtet sei. Damit ist der Sache nach die qualifizierte Hilfsfrage anerkannt.

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Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

mit jenem alternativ verbundenen, z. B. statt Gewalt als Begehungsmittel Drohung, feststellen. Das Gericht verfügt über die Klagbesserung, § 263 StPO. Aus § 264 StPO ergibt sich, dafs es in solchem Falle eines Hinweises des Angeklagten auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt nicht bedarf 44 . Mit der Eigenart der schwurgerichtlichen Prozedur dagegen ist eine solche Klagbesserungsbefugnis des Gerichts nicht vereinbar 4 5 . Durch die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht ist die Schuldfrage im vollen Umfange des Eröffnungsbeschlusses den Geschworenen überwiesen. Diese haben zu entscheiden, ob der Tatbestand die Subsumtion nach Mafsgabe des Eröffnungsbeschlusses rechtfertigt. Das Gericht ist aufser stände, den Geschworenen irgend einen Teil des so fixierten Schuldentscheids zu entziehen. Es kann zwar und mufs unter früher bestimmten Voraussetzungen die im Eröffnungsbeschlusse den Geschworenen gestellte Aufgabe im Wege von Hilfs- und Nebenfragen noch erweitert werden. Eine Korrektur des Beschlusses aber durch anderweite Subsumtion der Tat, wenn auch unter gesetzlich äquivalente rechtliche Gesichtspunkte, steht dem Gerichte nicht zu. Die Klagbesserung in rechtlicher Hinsicht ist allein Sache der Geschworenen; das Gericht erteilt dazu nur die Vollmacht — durch Hilfs- und Nebenfragen —, vollzieht aber die Besserung nicht. Die Geschworenen sind die Richter der Schuld. Für einen Beschlufs des Gerichts, sie über eine vom Eröffnungsbeschlufs angenommene Tatqualifikation nicht zu befragen, ist nicht Raum. 44 Das RG fordert Hinweis des Angeklagten auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes, § 264 Abs. 1 StPO, wenn die eine und die andere Tatgestaltung — nach Eröffnungsbeschlufs und Verhandlungsergebnis — den Tatbeständen eines Mischgesetzes entsprechen, während die Bedeutung nicht verlangt wird im Verhältnis von Alternativtatbeständen. Vgl. z. B. 2. Str.-S. R. I I I S. 350, 1. Str.-S. R. I V S. 62, E. Bd. 8 S. 150 f., 3. Str.-S. E. Bd. 12 S. 379 f., 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 138, 2. Str.-S. E. Bd. 36 S. 266 f., 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 50 S. 109. Übereinstimmend G l a s e r , Handb. I I S. 563; v. K r i e s S. 572. A. A. B e n n e c k e - B e l i n g S. 533, wo § 264 Abs. 1 auch auf reine Alternativgesetze bezogen wird. Bei bestimmten vom RG für zulässig erachteten Alternativen, z. B. bei Täterschaft — Mittäterschaft, weicht freilich das RG von dieser Regel ab und verlangt den Hinweis, was im Grunde ein deutliches Indizium für die Unzulässigkeit der Alternative ist (s. z. B. 1. Str.-S. E. Bd. 36 S. 18 f.). Vgl. unten sub V. Im Schwurgerichtsprozefe ist die Frage des Hinweises insofern unerheblich, als die geänderte Befragung einen solchen ohnehin enthält. Vgl. oben S. 109 f. 45 Verkannt von D a l c k e , Fragestellung S. 81.

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Und ein Beschlufs der Geschworenen, dafs sie in bestimmter Richtung nicht gemäfs dem Eröffnungsbeschlufs befragt sein wollten, ausgedrückt durch entsprechenden Antrag an clas Gericht, wäre nach dem Gesetz vollends unmöglich 46 . Sonach bleibt nur übrig, eine im Eröffnungsbeschlufs nicht angenommene, vom Strafgesetz alternativ mit berücksichtigte Tatgestaltung, die in der Verhandlung hervorgetreten oder doch zum Gegenstand eines Fragantrags gemacht worden ist, durch alternativ gefafste, die Hauptfrage ausschliefsende Hilfsfrage mit zur Geltung zu bringen. Eine besondere, auf das weitere Alternativglied gerichtete Hilfsfrage wäre unzulässig, da sie zur sukzessiven Abstimmung über die beiden Möglichkeiten nötigte, während doch mit alternativer Feststellung die Voraussetzung der Strafgesetzanwendung voll erbracht ist. — In diesem Zusammenhang ist auch hinzuweisen auf die Fragsituationen, die sich ergeben, wenn das Gesetz Tatbestandsmomente zugleich in spezieller und in genereller Gestalt anführt, der Eröffnungsbeschlufs die eine Spezies eingesetzt hat und nun nach dem Verhandlungsergebnis oder einem Fragantrag eine andere in Betracht kommt. Es steht dann dem Gericht jedenfalls frei, der angegebenen Spezies (dem „Ankaufen" z. B. im Falle des § 259 StGB) das Genus „ Anfichbringen" zu substituieren, denn in diesem Sinne hätte ja von vornherein gefragt werden können. Ist die neu hervorgetretene Spezies eine gesetzlich benannte („Zum Pfände Nehmen" bei § 259 z. B.), so kann sie nun alternativ mit der ursprünglich aufgeführten erfragt werden: die so gefafste Frage ist zweifellos qualifizierte Hilfsfrage, die eine wie die andere benannte Spezies ist gesetzliches Merkmal. Eine im Gesetz nicht benannte Spezies hingegen darf, wie nicht allein, so auch nicht alternativ erfragt werden; in solchem Falle bleibt nur Einsetzung des Genus übrig. Offenbar ist auch die generelle statt der speziellen Befragung in diesen Fällen qualifizierte Hilfsfrage 47 , da sie durch das Verhandlungsergebnis, den Fragantrag, bedingt ist. Das Ge46

De lege ferenda wäre zu empfehlen Ersetzung der Hauptfrage durch die Hilfsfrage, wenn Gericht, Geschworene und Prozefsbeteiligte mit dieser Substitution einverstanden sind. Vgl. näher unten § 41 sub X I I . So könnte auch die qualifizierte Hilfsfrage des Textes erübrigt, die Befragung auf die Tatgestaltung gemäfs der Verhandlung beschränkt werden. 47 Dagegen dann nicht, wenn das Gericht spontan, ohne die im Text angegebenen Voraussetzungen, nachträglich der Genusangabe den Vorzug gegeben hat.

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§ 36.

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Die Alternativfragen insbesondere.

rieht hat hiernach gegenüber neu hervorgetretener b e n a n n t e r Spezies zwischen zwei Formen qualifizierter Hilfsfrage die Wahl : der generellen und der beide Spezies verbindenden Befragung. Anders, wenn das Gesetz beispielsweise einige Mittel genannt hat, während auch jedes andere dem Deliktsbegriff entsprechende Mittel genügt, das Mittel also nie die Bedeutung eines gesetzlichen Tatumstandes hat. So bei der Anstiftung nach § 48 StGB. Die Mittelangabe hat hier unter allen Umständen nur individualisierende Bedeutung, und in welchem Umfange und in welcher Weise zu individualisieren ist, steht allein beim Gericht, das durch Fraganträge insofern niemals gebunden ist. 2. In gleicher Weise, wie sub 1, ist alternativ zu fragen, wenn der Eröffnungsbeschlufs von zwei a l t e r n a t i v w i r k s a m e n g e s e t z l i c h e n Q u a l i f i k a t i o n e n die eine (Einbruch usw.) angenommen hatte, nach der Verhandlung die andere (Einsteigen usw.) oder doch alternativ auch sie indiziert erscheint. Nicht darf lediglich die letztere berücksichtigt werden. Die Prozefsbeteiligten können dem Fragentwurf gegenüber Befragung auch wegen der anderweiten Qualifikation verlangen; gegenteilige Beweislage wäre nicht Abweisungsgrund (§§ 294, 296 StPO). Bei der Alternative des Eröffnungsbeschlusses mufs es wiederum bewenden auch gegenüber ihrer tatsächlichen Beseitigung durch das Verhandlungsergebnis. Die weiter zu beachtende Qualifikation wird der Hauptfrage oder der Nebenfrage alternativ mit eingefügt. Im letztern Falle wirkt clie erweiterte Nebenfrage als q u a l i f i z i e r t e N e b e n f r a g e , denn sie ersetzt eine zweite Nebenfrage auf die Qualifikation des Eröffnungsbeschlusses, während beim ersten Modus die Hauptfrage zugleich die F u n k t i o n e i n e r q u a l i f i z i e r t e n N e b e n f r a g e ausübt. So führt die Betrachtung dieser Prozesslage zur Erkenntnis einer bisher nicht konstatierten Fragenkategorie, der q u a l i f i z i e r t e n N e b e n f r a g e n . Ist einfach gefragt worden, wo eine Alternative von Qualifikationen hätte eingesetzt werden müssen, so gilt für die Urteilsanfechtung die Regel sub 1. 3. Im Hinblick auf Vorkommnisse in der Praxis darf nicht unerörtert bleiben die Rechtslage, die entsteht, wenn an Stelle der Alternative des Gesetzes in der Frage eine kumulative Verbindung gewählt wird 4 8 . Inkorrekt ist eine solche Befragung unter allen 48

Ein Gegenstück zu diesem Fehler ist die Verwandlung alternativer

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Umständen, da das Gericht sich an den gesetzlichen Wortlaut zu halten hat. Vielleicht hat schon der Eröffnungsbeschlufs den Fehler, indem z. B. beim Raube „Gewalt gegen eine Person u n d Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben", beim Betrüge „Vorspiegelung falscher u n d Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen" in dieser Verbindung genannt sind. Vielleicht auch ist der Eröffnungsbeschlufs einfach oder alternativ gefafst, das Verhandlungsergebnis aber oder der Antrag eines Prozefsbeteiligten hat das Gericht zu der Änderung veranlafst. Können beide Alternativglieder nicht nebeneinander bestehen — Tötung des unehelichen Kindes in u η d gleich nach der Geburt, Abtreibung der Frucht u n d ihre Tötung im Mutterleibe —, so enthält die Frage einen innern Widerspruch und folglich auch ihre Bejahung durch die Geschworenen. Reduktion auf ein Alternativglied durch teilweise Verneinung heilt den Befragungsfehler. Mit einfacher Verneinung ist der Kindsmords-, der AbtreibungsTatbestand des Gesetzes weder bejaht noch verneint, vielmehr nur ausgeschlossen die Existenz eines an sich undenkbaren Gebildes. Das Verdikt ist unvollständig, weil die Frage infolge der verkehrten Kumulation den gesetzlichen Tatbestand, der bei Tötung in oder gleich nach der Geburt vorliegt, nicht wiedergegeben hat. Die kopulative Vereinigung von Alternativgliedern, die mit einander verträglich sind, ζ. B. Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung 49, Verheimlichen und Beiseiteschaffen von Vermögensstücken 50 usw. in den Bankeruttfällen, ergibt nie einen W i d e r s p r u c h in der Frage. Bejahung im ganzen, Bejahung eines Alternativgliedes sind brauchbare Verdikte 5 1 . Aber die Verneinung der so gefafsten Frage läfst, obwohl die Befugnis der Teilbejahung und Teilverneinung besteht, stets die Deutung zu, dafs die Geschworenen, durch die Frage irregeführt, das Zusammentreffen beider Momente für ein wesentliches Deliktsmerkmal gehalten und deshalb im ganzen verneint haben 52 . Das Verdikt ist daher unFeststellung der Geschworenen in eine kumulative bei der Strafbemessung. Mit Recht hat in einem solchen Falle das RG 2. Str.-S. E. Bd. 36 S. 194 f. das Urteil vernichtet. 49 RG 3. Str.-S. E. Bd. 24 S. 435. 50 RG 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 44 S. 260. B1 Richtig E. Bd. 24 S. 435. 52 Richtig Goltd. 44 S. 260.

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Die Alternativfragen insbesondere.

deutlich und hinter dem Dunkel kann sich eine Unvollständigkeit bergen, indem die Geschworenen zur Bejahung sich nur für befugt erachteten bei Vorhandensein beider Momente. Das Gericht darf somit auch dann nicht die kopulative Form wählen, wenn es Zuwiderhandeln gegen das eine und andere Alternativglied, Verheimlichen u n d Beiseiteschaffen von Vermögensstücken usw., als gegeben ansieht; vielmehr sind in diesem Falle die Einzelakte unverbunden, in getrennten Fragpositionen, nebeneinander zu stellen, so dafs durch die Form der Frage den Geschworenen klar wird, dafs sie wegen des einen und des anderen Tataktes besonders, nicht nach beiden zugleich als Komponenten eines gesetzlichen Tatbestandes gefragt sind 5 8 . V. Die verschiedenen Formen der Täterschaft und Teilnahme (Alleintäterschaft, Mittäterschaft, Anstiftung 54 , Beihilfe), die verschiedenen Stadien der Handlung (Versuch, Vollendung), die verschiedenen Schuldarten (Vorsatz, Fahrlässigkeit) dulden nicht alternative Feststellung, sollte auch die Strafbarkeit abstrakt ganz die gleiche sein. Dafs unter Aufrechterhaltung einer solchen Alternative Strafbemessung nach Mafsgabe des Verschuldens unmöglich wäre, liegt auf der Hand. Das Gericht müfste also jedenfalls bei der S t r a f f i n d u n g die Alternative auf das Minus, Mittäterschaft, Versuch usw. reduzieren 55 . Aber es führt die Beschaffenheit dieser Alternativen vielmehr zu dem Ergebnis, im Zweifel über die beiden einbegriffenen Möglichkeiten schon bei der F e s t s t e l l u n g nur das Minus, also nur Mittäterschaft, nur Versuch, nur Fahrlässigkeit anzunehmen. 58

Die Textausführung ergänzt in einer Beziehung die Ausführung über die zusammengesetzte Einheitsfrage, oben § 14 sub V I I . Es konnte dort noch nicht eingegangen werden auf den Fall, dafs das die zusammengesetzte Einheitsfrage bedingende Mischgesetz, z. B. § 239 KO, in einem seiner Glieder (Z. 1 usw.) zugleich Alternativgesetz ist. Soll unter dieser Voraussetzung nach mehreren Tatakten besonders gefragt werden, die im Gesetze alternativ verbunden sind, so hat es in getrennten Fragpositionen zu geschehen. 54 Gegen die Alternative Anstiftung — Täterschaft v. B a r , Recht und Beweis S. 219; v. T i p p e i s k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 15 S. 507; v. K r i e s S. 592; O s t e r n , Alternativität S. 159. 65 v. B a r , Recht und Beweis S. 220 f., will alternative Feststellung von Täterschaft (Mittäterschaft) und Beihilfe zulassen, wobei dann das mildere Strafgesetz anzuwenden sei. Dagegen U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 511: v. K r i e s S. 593; O s t e r n , Alternativität S. 160; R o s e n f e l d S. 211. Auch Anstiftung und intellektuelle Beihilfe bilden nach v. B a r S. 220 eine zulässige Alternative. Dagegen G e y e r S. 749.

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

1. Alternative Feststellung von Alleintäterschaft und Mittäterschaft besagte: Der Staat hat nur gegen den Angeklagten oder auch gegen ihn einen Strafanspruch wegen Täterschaft erworben. Das erste Glied cler Alternative erschiene nachträglich widerlegt, wenn demnächst ein anderer als Mittäter verurteilt würde. Es ist aber schon prozefstechnisch verkehrt, ohne Not eine alternative Feststellung zu treffen, die bei fortbestehendem ersten Urteil durch ein anderes materiell beseitigt werden kann. Die tatumstandlichen Alternativen hingegen, mögen sie das Grunddelikt oder Qualifikationen betreffen, bleiben mit dem sie aussprechenden Urteil bei Bestand, können nicht ohne dieses hinwegfallen. Würde zwei Angeklagten gegenüber je Alleintäterschaft oder Mittäterschaft festgestellt, so wäre jeder bedingt für einen Alleintäter erklärt, was jedenfalls bei Verbrechen mit unteilbarem Erfolge einen Widerspruch ergäbe. Der Konflikt der Feststellungen wird aber nicht dadurch beseitigt, dafs sie sich auf zwei Urteile verteilen, sukzessive erst A, dann Β als Alleintäter-Mittäter verurteilt wird. Dafs in der Alternative Mittäterschaft — Alleintäterschaft die erstere immer das Minus bedeutet, steht nicht zu bezweifeln. Allerdings kann an sich die Strafwürdigkeit des Mittäters gegenüber dem Alleintäter insofern die höhere sein, als jener vielleicht andere in das von ihm geplante Verbrechen mit verwickelt hat, untechnisch gesprochen zugleich Anstifter gewesen ist. Allein diese kurz gesagt initiative Mittäterschaft fällt aufser Betracht, denn bei alternativer Konkurrenz mit Alleintäterschaft kann die Mittäterschaft gewifs nicht in diesem qualifizierten Sinne gedeutet werden. Sonach bleibt zur Vergleichung nur übrig das objektive Moment, die bei der Strafbemessung schlechterdings nicht zu ignorierende Differenz von Tat und Tatanteil. Bei Annahme von Mittäterschaft wird nur eventuell ein zu geringes Schuldmafs unterstellt und zu geringe Strafe verhängt, während fälschliche Verurteilung wegen Alleintäterschaft ein Haftbarmachen für fremde Schuld, für den Tatanteil eines andern einschlösse. Hiernach sind die Geschworenen nie alternativ nach Alleintäterschaft oder Mittäterschaft 56 , sondern im Zweifel darüber nur 56 So RG Fer.-S. E. Bd. 12 S. 351 f.; 1. Str.-S. E. Bd. 36 S. 18f.; 4. Str.-S. Bd. 37 S. 215; O p p e n h o f f 16, 615; 17, 543; L ö w e - H e l l w e g zu § 292 Bern. 2; S t e n g l e i n § 292 Bern. 1; O s t e r n , Alternativität S. 151. Richtig R o s e n f e l d S. 212.

§ 36.

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Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

wegen Mittäterschaft zu befragen. Die Mittäterfrage begreift aber, wie früher dargelegt wurde, insofern immer die Alleintäterfrage in sich, als sie unter Verneinung der Gemeinschaft bejaht werden kann 5 7 . Die Geschworenen sind zu belehren, dafs sie in dubio die Mittäterfrage einfach zu bejahen haben, indem der Schuldanteil des blofsen Mittäters der geringere ist. Hatte der Eröffnungsbeschlufs Alleintäterschaft angenommen und die Verhandlung weist direkt oder alternativ auf Mittäterschaft hin, so ist in der Schuldfrage die Mittäterschaft zu substituieren 58 . Damit sind beide Möglichkeiten der Feststellung eröffnet. Die Mittäterschaftsfrage ist dann qualifizierte Hilfsfrage gegenüber der Hauptfrage auf AUeintäterschaft. Der Antrag eines Prozefsbeteiligten auf die qualifizierte Hilfsfrage ist nur aus Rechtsgründen ablehnbar (§ 296 StPO). 2. Der Gegensatz der Handlungsstadien Versuch — Vollendung darf nicht durch alternative Feststellung verwischt werden 59 . Greift auch der Gesetzgeber ausnahmsweise für beide Fälle zu der gleichen Strafdrohung, so ist doch damit nicht im Bereiche dieser Satzungen (betreffend den Hochverrat, §§ 80 f. StGB usw.) der Unterschied für tatbestandlich irrelevant erklärt 6 0 . Der Gegensatz besteht fort auch für die Schuldfrage, beschränkt nicht seine Bedeutung auf die Straffrage. Das Gesetz desavouiert nicht in diesen Sonderbestimmungen das feststehende, im § 44 StGB auch ausdrücklich anerkannte strafrechtliche Prinzip, Versuch und Vollendung getrennt zu halten als wesentlich verschiedene Formen des kriminellen Verschuldens. Die Eigentümlichkeit liegt entweder darin, dafs die aus der Schulddifferenz f o l g e n d e Strafbarkeitsdifferenz statt wie sonst bei der Strafsanktionierung (§ 44 Abs. 2 bis 4), erst in der Strafzumessung wirksam wird, oder es gilt dem Gesetzgeber die Höchststrafe des rezipierten Strafensystems (Todes-, lebenslängliche Freiheitsstrafe) als Äquivalent bereits des Versuchs, wobei dann auf Strafsteigerung bei vollendetem Delikt notgedrungen verzichtet werden mufs. Im Zweifel über Vollendung oder Versuch sind auch bei einheitlicher, beide Stadien anführender Strafsatzung stets Haupt ^ und Hilfsfrage zu stellen, unter Belehrung der Geschworenen, dafs 57

Vgl. oben § 11 sub I. Diese Notwendigkeit ist ganz besonders dann vorhanden, wenn ausnahmsweise, wie bei § 223a StGB, die Begehung in Mittäterschaft einen Qualifikatiorisgrund bildet. 56 Vgl. schon v. T i p p e i s k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 15 S. 507. 60 Unrichtig W e r t h e i m e r , Mischgesetze S. 25. 68

§ 36. Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

sie, wenn auch für sie die Ungewifsheit bleibt, Versuch anzunehmen haben. Die Vollendungsfrage ermöglicht nicht Feststellung des Versuchs, ist nicht qualifizierte Hilfsfrage gegenüber einer Versuchshauptfrage. Die vom Eröffnungsbeschlufs angenommene Tatgestaltung mufs jedenfalls erfragt werden. 3. Auch Vorsatz und Fahrlässigkeit entziehen sich der alternativen Feststellung. Dieser fundamentale Gegensatz der deliktischen \rerschuldung wird nicht durch die — stets tadelnswerte — Wahl des gleichen Strafrahmens für beide Fälle zu einer blofs tat um standlichen Unterscheidung herabgedrückt; dem Rechte kann niemals gleichgültig sein, ob der Urheber des Erfolgs bei seinem Tun die richtige oder eine falsche Kausalitätsvorstellung gehabt, ob er den Erfolg gewollt oder nicht gewollt hat. Es erübrigt sich daher eine Prüfung der begrifflichen Möglichkeit solcher Alternativfeststellung, wobei näheres Eingehen auf die strafrechtliche Schuldlehre unvermeidlich wäre. Schweigt das Strafgesetz über die Schuldart, sind aber Vorsatz und Fahrlässigkeit von ihm umfafst — wie das bei Übertretungen öfters zutrifft, vgl. z. B. §§ 361 N. 8, 9, 366 N. 2, 8, 9, 367 N. 5, 11 usw. StGB — so ist die scheinbar einheitliche Satzung begrifflich in zwei Strafgesetze, mit gleichen Strafrahmen, je für eine Schuldart, aufzulösen. Ohne Zweifel schliefst ein solches zusammenfassendes Strafgesetz — ähnlich wie öfters in den Fällen sub 2 — einen inneren Widerspruch ein. Der Gegensatz der Schuldarten soll in der Strafzumessung zum Ausdrucke kommen: nun ist aber je der höchste unci je der geringste Grad des dolus und der culpa mit dem gleichen Strafsatze bedroht, so dafs konsequent fortgedacht auch in allen Zwischenstufen die Strafbarkeitsdifferenz fallen müfste. Der Gesetzgeber rechnet auf Inkonsequenz des strafbemessenden Richters. Es darf gegen die gedankliche Teilung des Strafgesetzes nicht die nun konsequent sich ergebende Strafengleichheit eingewandt werden! Den Geschworenen wird bei solcher Haltung des Strafgesetzes, weil das Schuldmoment in der Frage unerwähnt bleibt, im Zweifel über Vorsatz oder Fahrlässigkeit allerdings nur eine Frage vorgelegt. Aber sie dürfen bejahen nur auf Grund der einen oder anderen bestimmten, nicht einer alternativ gehaltenen Schuldannahme und sind nach Bedarf darüber zu belehren. Ausnahmsweise jedoch kommt es vor, dafs die Einbeziehung beider Schuldarten im Strafgesetze a u s g e d r ü c k t wird. So in

§ 36.

302

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

den §§ 18, 20 des älteren Urheberrechtsgesetzes v. 11. Juni 1870 61 , mafsgebend für die Gesetze v. 9. Januar 1876 betr. Urheberrecht an Werken der bild. Künste § 16, v. 10. Januar 1876 betr. den Schutz der Photographien § 9, v. 11. Januar 1876 betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen § 14: „Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einen Nachdruck veranstaltet" usw. Diese Alternative darf in der Frage nicht übernommen werden, vielmehr sind gegebenenfalls zwei Fragen, je auf Vorsatz und Fahrlässigkeit, zu stellen: als prinzipale und eventuelle Hauptfrage, wenn der Eröffnungsbeschlufs beide Möglichkeiten berücksichtigt hatte, als Haupt- und Hilfsfrage, wenn erst die VerhandlungAnhaltspunkte für eine weitere, im Beschlufs nicht erwähnte Schuldart geliefert hatte. Die Geschworenen haben in dubio blofse Fahrlässigkeit anzunehmen. Z u 1 bis 3. Die Formen der Beteiligung am Delikte, die Stufen des deliktischen Handelns und die Arten der Schuld, also die Typen des allgemeinen Deliktstatbestandes, entziehen sich somit in gleicher Weise der alternativen Feststellung, als dies für die speziellen Deliktstatbestände (Raub — Erpressung, Diebstahl — Unterschlagung usw.) untereinander zutrifft. VI. Zuweilen sind in den Gesetzen Begehungsweisen eines Delikts alternativ verbunden, obwohl bei ihnen die Tatseiten qualitativ oder quantitativ verschiedene Intensität zeigen. Vgl. § 274 N. 1 StGB — Vernichten usw. einer Urkunde, welche dem Täter „entweder überhaupt nicht oder nicht ausschliefslich gehört" —. § 239 Z. 2 KO. — Anerkennen usw. von Schulden, „welche ganz oder teilweise erdichtet sind" —, § 303 StGB. — „Beschädigen oder Zerstören" fremder Sachen —, § 305 das. — gänzliches oder teilweises Zerstören fremder Gebäude usw. 62 . Man kann diese gesetzlichen Bildungen kurz (nicht für alle Fälle ganz genau!) P l u s - M i n u s - A l t e r n a t i v e n nennen 68 . Alternative Feststellung mufs hier für zulässig erachtet werden 64 . Allerdings darf der Richter den Unterschied bei der 61

Beseitigt im neuen Urheberrechtsgesetz v. 19. Juni 1901 §§ 38 f. I n den §§ 168, 367 N. 1 StGB dient dagegen die Differenz (Leiche, Teil einer Leiche) zum Aufbau zweier Strafgesetze. 63 Von ungleichwertigen Qualifikationen, die im Plus-Minus-Verhältnis zueinander stehen, war oben S. 292 die Rede. 64 A. A. R o s e n f e l d S. 213, die alternative Feststellung sei unzulässig, wenn auch nur in Bezug auf die Strafbemessung die Unbestimmtheit einen Zweifel ergebe. 62

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

StrafbemessuDg nicht ignorieren und ist daher insoweit entsprechender Alternative des Wahrspruchs gegenüber zur Annahme des Minus genötigt. Nicht stände ihm frei, seinerseits nach der Beweislage die Alternative zu entscheiden, das wäre Usurpation eines Schuldfragbestandteils. Der Gesetzgeber hat die Alternative, obwohl ihr konkrete Strafbarkeitsdifferenz entspricht, doch abstrakt, bei der Konstruktion des Deliktstatbestandes, nicht als Grund für Aufstellung gesonderter Dispositionen erachtet. In der Konsequenz dieser Auffassung liegt die alternative Frage bei zweifelhafter Beweislage. Unerläfslich, auch dem ganz sicheren Beweisergebnis gegenüber, ist die Alternative nicht. Aber in dubio ist sie immer am Platze, da ja die Beweisauffassung der Geschworenen entscheidet. Müfste statt dessen die Frage auf das Minus gerichtet werden, so läge darin für solche Urteiler, die das Majus annehmen, der Zwang, nun doch für das Minus zu votieren. Zu solcher Nötigung sieht der Gesetzgeber in diesem Verhältnisse keinen Grund. Er schliefst sie aus durch die Erklärung tatbestandlicher Irrelevanz. Bei der Strafzumessung erst fällt die Alternative zugunsten des Minus. Würde die Alternative „ganz oder teilweise" überhaupt fortgelassen, also z. B. einfach nach Aufstellung „erdichteter Schulden", § 239 Z. 2 KO, gefragt, so könnten Verneinung und Bejahung durch die Geschworenen, da die Einschränkung „teilweise" fehlte, nur auf den Fall gänzlicher Erdichtung bezogen werden. Das verneinende Verdikt erledigte den Eröffnungsbeschlufs dann nicht, wenn dieser beide Alternativen hätte oder schlechthin auf teilweises Erdichten lautete 65 . Mit einem Ja der Geschworenen wäre in gleichem Falle der inkorrekten Befragung die Wirkung genommen. Durchaus fehlerhaft erschiene Konkurrenz von Haupt- und Hilfsfrage. Hat der Eröffnungsbeschlufs nur die eine Eventualität berücksichtigt, so erhält alternativ erweiterte Frage gemäfs dem Verhandlungsergebnis wieder die Bedeutung qualifizierter Hilfsfrage. Die anderweiten Folgesätze ergeben sich aus vorgängiger Erörterung. VII. Auch eine Strafnebenfrage kann mit einer Alternative behaftet sein. Doch ist dies ein seltenes Vorkommnis. Ein Richterkollegium hat, wenn Gründe der Straflosigkeit — 65

Verkannt von RG 3. Str.-S. E. Bd. 24 S. 433 f.

304

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

des Strafausschlusses oder der Strafaufhebung — in Betracht kommen, einheitlich darüber abzustimmen, ob der staatliche Strafanspruch als bestehend oder nicht besteheud zu erachten sei. Durch clie falsche Kompetenzverteilung zwischen Richterbank und Jury ist die Straffrage derart zerrissen, dafs über Strafausschliefsung und über die Strafaufhebung aus speziellem Grunde die Geschworenen, über die generellen Strafaufhebungsgründe die Richter zu entscheiden haben. Es kommt hinzu, dafs Strafausschliefsung nicht besonderes Fragobjekt ist, vielmehr in und mit der Hauptfrage ihre Erledigung findet, nur auf die speziellen Strafaufhebungsgründe besondere Fragen gestellt werden können. Diese Mifsgriffe des Gesetzgebers, die zu sukzessiver Abstimmung nötigen, wo einheitlich votiert werden müfste, und damit die Gefahr ungerechten Urteils ergeben, beschränken die Möglichkeit alternativer Befragung und Feststellung auf die speziellen Strafausschliefsungsgründe. Und diese sind so gelagert, dafs nur in einer Beziehung, gegenüber einem angeklagten Kartellträger, eine Alternative sich ergeben kann. Hier besteht vielleicht der Zweifel — und praktisch wird auch das nur sehr selten eintreten —, ob die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben, § 204 StGB., oder nur der Kartellträger ernstlich bemüht gewesen ist, den Kampf zu verhindern, § 209 StGB. Dann ist alternative Befragung insofern unbedenklich, und sie kann, wie an anderer Stelle näher dargelegt worden i s t 6 6 , auch eintreten, wenn der Kartellträger mit den anderen Beteiligten zusammen unter Anklage steht, in welchem Falle über die freiwillige Aufgabe des Zweikampfs allen Angeklagten gegenüber nur einheitliche Entscheidung möglich ist. Die alternative Frage wird dann bei dem Kartellträger gestellt für den Fall, dafs die Schuld der Partei, des Yormanns, verneint wird, die einfache Nebenfrage (über Aufgabe des Zweikampfs) also für die Partei nicht zur Erledigung kommt oder aber die Hauptfrage für die Partei bejaht, die Nebenfrage für sie verneint wird 6 7 . Durch eine so bedingte alternative Nebenfrage kann niemals ein Widerspruch in die Schuldfeststellungen hinein gebracht werden. V I I I . Während abstrakte Tatumstände alternativ erfragt werden können, soweit das Gesetz sie als gleichwertig behandelt, 66

Vgl. oben § 26 sub IV. Die Bejahung der einfachen Nebenfrage beim Yormann (nach Bejahung der Hauptfrage für ihn) zwingt bei der generellen Wirkung des Strafaufhebungsgrundes (der Zweikampfaufgabe) zur Verneinung der Hauptfrage bei den weiteren Angeklagten. 67

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

ist eine Alternative konkreter Tatumstände in der Frage zulässig, wenn der Richter konkrete Fragsubstantiierung in der bezüglichen Richtung zwecks Individualisierung der Tat und folglich des Strafanspruchs für geboten erachtet und nach der Beweislage sie nur in dieser Form angängig erscheint 68 . Die Tat hat sich auf eines von zwei Objekten bezogen, ist mit einem von zwei Mitteln begangen worden usw. Es sind gestohlen worden 20 Mark in einem Zwanzig- oder in zwei Zehnmarkstücken, eine Geldrolle mit 50 oder 60 Mark Inhalt, ein Kassenschrank ist gesprengt worden durch Gebrauch von Pulver oder von Dynamit, X hat den Y getötet durch Eingeben von Gift oder indem er ihn veranlafste, es selbst einzunehmen (Unterschied des occidere und causam mortis praestare !), schwere Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge ist geschehen durch Axt- oder Säbelhieb, Brandlegung, diebische Wegnahme bewirkt worden durch X selbst oder den in seinem Auftrage handelnden geisteskranken Y u. dgl. m. Immer kann hier die Alternative in die Frage aufgenommen werden. Ob dies angemessen, durch den Individualisierungszweck erfordert ist, ob besser von der bezüglichen Angabe ganz abgesehen oder doch die Alternative durch eine unbestimmtere, allgemeinere Fassung (Sprengstoff, Hiebwerkzeug usw.) ersetzt wird, steht zum richterlichen Ermessen. Nicht gebotene Konkretisierung wird um so eher unterbleiben, wenn sie nur alternativ erfolgen könnte! Vielleicht auch dient statt der Alternative eine Minimalangabe: Geldrolle mit mindestens 50 Mark Inhalt. Es bedarf kaum des Hinweises auf die häufig ganz analogen gesetzlichen Alternativen : Gewalt oder Drohung, Abtreiben oder im Mutterleibe Töten, Messer oder anderes gefährliches Werkzeug, Einbruch oder Einsteigen, Vorspiegelung falscher oder Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen, Zerstörung einer Sache (im Sinne des Brandstiftungsparagraphen) durch Gebrauch von Pulver oder anderen explodierenden Stoffen, Entwendung von Nahrungsoder Genufsmitteln usw. Indem so in weitem Umfange das Gesetz tatumstandliche Alternativen in der Schuldfrage sanktioniert, ergibt sich der sichere Analogieschlufs auf Zulässigkeit alternativer 68 Vgl. G e y e r S. 749; U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 510; v. K r i e s S. 590; M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 182; B e n n e c k e - B e l i n g S. 291; L ö w e - H e l l w e g zu § 292 Bern. 2; O s t e r n S 47 f.; RG 3. Str.-S. E. Bd. 26 S. 157. Unzutreffende Einschränkungen bei v. B a r , Recht und Beweis S. 202 f.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

20

306

§ 36.

Fortsetzung.

Die Alternativfragen insbesondere.

Befragung auch bei solchen Tatumständen, die nicht in den gesetzlichen Tatbestand aufgenommen sind, — wenn eine solche Argumentation überhaupt noch notwendig wäre! Dafs durch die Alternative nicht die Identität der Tat in Frage gestellt sein darf, ist um so gewisser, als clie konkrete Angabe ja gerade zum Zwecke der Individualisierung gemacht wird 6 9 . Ob ein Identitätszweifel sich ergeben würde, kann nur an der Hand des Einzelfalles beurteilt werden. Haupt- und Hilfsfrage aus derartiger Alternative zu stellen, beruhte auf völliger Verkennung des Hilfsfragenbegriffs. Nur abweichende r e c h t l i c h e Beurteilung der Tat infolge neu hervorgetretener Tatumstände rechtfertigt Hilfsfrage. Das Ermessen des Gerichts, alternativ oder nur wegen eines Tatumstandes zu fragen oder von jeder Angabe in der Frage abzusehen, wird nicht beschränkt durch Anträge der Prozefsbeteiligten. Ablehnbarkeit nur aus Rechtsgründen gilt für Anträge auf Hilfs-, Nebenfragen (§ 296) ; in dem Mafse der erforderlichen Individualisierung aber hat das Gericht freie Hand. Alternativen des Eröffnungsbeschlusses können gestrichen, auf ein Glied, auf das Minus reduziert werden, es kann umgekehrt Neuaufnahme einer Alternative sich empfehlen. Ist die konkrete Alternative zugleich „Plus-Minus-Alternative" (Geldrolle mit 50 oder 60 Mark), so gilt für die Strafzumessung jedenfalls das Minus. Inkorrekt — bei der Irrevisibilität der Strafzumessung freilich nicht anfechtbar — wäre es, wenn nach alternativer Frage und Antwort das Gericht nunmehr die Alternative im Urteil entschiede. Die Geschworenen sollen nicht ohne Not mit der Feststellung, weder der alternativen, noch der einfachen, von Strafzumessungsgründen befafst werden. Sind sie aber einmal zum Zwecke der Individualisierung — sei's mit, sei's ohne genügenden Grund — nach entsprechenden Momenten in der einen oder anderen Form befragt worden, so mufs sich nun auch das Gericht an ihre — nicht berichtigungsbedürftige — Antwort halten. Die konkrete Tatsachenalternative kann, wie die abstrakte, immer nur Tatumstands-, nicht Tatbestandsalternative sein. Feststellung der einen oder anderen, wenn auch gleichartigen konkreten Straftat, z. B. eines Meineids begangen durch falsche Ausschwörung 69 Vgl. H. M e y e r O s t e r n S. 46 f.

in v. Holtz. Handb. I I S. 182; v. K r i e s S. 590;

§ 37.

Fortsetzung.

Die verdeckten Alternativfragen.

307

des Eides χ oder des Eides y, ist rein unmöglich 70 . Denn ein individueller Strafanspruch stände ja dann gar nicht fest. § 37. F o r t s e t z u n g .

Die verdeckten

Alternativfragen.

Ein interessantes Gegenstück zu den offenen Alternativfragen, wie sie bisher besprochen wurden, und zugleich ein positivrechtliches Zeugnis für die Zulässigkeit solcher Befragung bilden die v e r d e c k t e n Alternativfragen. I. Lehrreich sind besonders die §§ 36 Patentges. v. 7. April 1891, 10 Gebrauchsmusterges. ν. 1. Juni 1891. Strafbarer Patentverletzung ist schuldig, „wer wissentlich den Bestimmungen der §§ 4 und 5 zuwider eine Erfindung in Benutzung nimmt", § 36 Patentges. Hiernach kann die Frage dahin gestellt werden: Schuldig, wissentlich eine durch Patent geschützte Erfindung widerrechtlich in Benutzung genommen zu haben. Nun gibt die zugehörige Norm, § 4, den Tatbestand widerrechtlicher Benutzung näher dahin an: gewerbsmäfsig den Gegenstand der Erfindung herstellen, in Verkehr bringen, feilhalten oder gebrauchen. Diese Alternative wird also durch die allgemeinere Fassung des § 36 ersetzt und somit verdeckt. Mit der verdeckten Alternative ist aber ganz zweifellos auch die offene sanktioniert. Es kann die Frage statt dem Strafgesetz entsprechend auch normgemäfs substantiiert, auf eine oder alternativ auf mehrere der im § 4 speziell genannten Begehungsweisen gerichtet werden. So ist hier für ein einzelnes Delikt die Alternativfrage durch unmifsverständliche Gesetzesbestimmung legitimiert. Und die spezielle Anwendung bekundet das Prinzip. Ein gleiches unwidersprechliches Zeugnis enthält § 10 verglichen mit § 4 Gebrauchsmusterges. Die Schuldfrage nach dem strafgesetzlichen Wortlaut, § 10, lautet: Schuldig, wissentlich widerrechtlich ein eingetragenes Gebrauchsmuster in Benutzung genommen zu haben. Die Norm des § 4 spezialisiert die verbotene Benutzung dahin : gewerbsmäfsiges Nachbilden des Musters, gewerbsmäfsiges In-Verkehr-Bringen, Feilhalten, Gebrauchen der durch Nachbildung hervorgebrachten Gegenstände und Gerätschaften. Die 70 Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 26 S. 155 f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 292 Bern. 2; B e n n e c k e - B e l i n g S. 549 Anm. 21; O s t e r n S. 57 f. W a g e η η in Goltd. Arch. Bd. 44 S. 127 f. befürwortet, de lege ferenda alternative Feststellung zuzulassen. Dabei ist verkannt die Notwendigkeit der Anspruchsindividualität, vgl. oben S. 284. 20*

§ 37.

308

Fortsetzung.

Die verdeckten Alternativfragen.

Frage kann verdeckte wie offene Alternativfrage sein und auch auf ein Glied der Alternative beschränkt werden. I I . Sind im Gesetze Tatumstände zugleich speziell und generell bezeichnet — Gift oder andere Stoffe, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind, § 229 StGB; falsche Schlüssel oder andere zur ordnungsmäfsigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge, § 243 Z. 3 und 4, Ankaufen, zum Pfände nehmen oder sonst an sich Bringen, § 259; Schuldschein oder eine andere eine Verpflichtung enthaltende Urkunde, § 301 usw. usw. —, so schliefst der Gebrauch des Genus in der Frage eine verdeckte Alternative ein, während durch die ebensowohl zulässige spezielle Fragfassung die Feststellung auf eine bestimmte oder in offener Alternative auf die eine oder andere im Gesetze benannte Unterart beschränkt wird. I I I . Bei den Bankeruttdelikten der §§ 239, 240 KO ist Angeklagter ein Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt hat oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, ebenso bei der Gläubigerbegünstigung des § 241 KO. Entsprechend geschieht die Schuldnerbegünstigung im Interesse eines solchen Schuldners. Soweit nun die Bankbruchhandlung, der Begünstigungsakt1, der Zahlungseinstellung, Konkurseröffnung sowohl vorangehen als nachfolgen kann, wird, sofern nicht der weitere Fraginhalt das Zeitverhältnis ergibt, diese Alternative verdeckt übernommen durch die Fragfassung : Schuldig, als Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt h a t usw.; schuldig, im Interesse eines Schuldners, welcher seine Zahlungen eingestellt h a t usw. Diese Formulierung läfst in dubio die Priorität der Zahlungseinstellung oder der Bankbruchhandlung. An der Zulässigkeit solcher Befragung ist nicht zu zweifeln 2, da die Strafbarkeit in beiden Fällen gleichmäfsig begründet ist, die Nichtaufklärung des Zeitverhältnisses der Gesetzesanwendung nicht entgegensteht. Dagegen ist die Alternative aufgelöst, die Priorität der Zahlungseinstellung vorausgesetzt in der Fassung: als Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt h a t t e usw. In doppeltem Sinne alternativ ist die Formel: „als Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt h a t oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden i s t " . Denn danach bleibt unbestimmt, ob die Bankbruchhandlung usw. vor oder nach 1

Auch im Falle der Nr. 2 des § 242 ist Begünstigung schon vor der Zahlungseinstellung, Konkurseröffnung möglich. Vgl. P e t e r s e n - K l e i n f e l l e r , Komm, zu § 242 Bern. 3. 2 Unrichtig RG 3. Str.-S. R, Y I I S. 26 f.

§ 37. Fortsetzung.

Die verdeckten Alternativfragen.

der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung geschehen ist. Es verbindet sich mit der verdeckten eine offene Alternative. Die Frage kann auch lediglich diese offene Alternative enthalten : wenn sicher ist, dafs nach der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung, ungewifs aber, ob zwischen Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung oder erst nach dieser die Bankbruchhandlung usw. vorgenommen worden ist. Es wird dann gefragt: Schuldig, als Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt h a t t e oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden war usw. IV. Verdeckte Alternativfrage im Hinblick auf Qualifikationen wird durch die §§ 243 Z. 5, 250 Z. 1 StGB dann bedingt, wenn sich nicht hat ermitteln lassen, ob der Angeklagte oder ein anderer Teilnehmer am Diebstahle, Raube bei Begehung der Tat Waffen bei sich geführt hat. Die Zurechnung des erschwerenden Umstandes wird durch diese Ungewifsheit nicht aufgehoben, vorausgesetzt nur, dafs für den Fall des zweiten Alternativgliedes das Wissen des Angeklagten vom Tatumstand als feststehend zu erachten ist, § 59 StGB; eine Haftungsbedingung, die in der Frage nicht zum Ausdrucke kommt. Stehen die Mittäter usw. am Diebstahle usw. zugleich unter Anklage, so kann, wie an anderer Stelle ausgeführt worden ist 3 , nicht mehrfach gefragt werden, ob einer von ihnen bei Begehung der Tat Waffen bei sich geführt hat. Ist ermittelt, welcher sie geführt hat, so wird bei diesem Angeklagten die qualifizierende Nebenfrage direkt auf den Tatumstand selbst, das Waffenführen, gerichtet, während bei den Mitangeklagten die Frage dahin zu modifizieren ist, ob ihnen zuzurechnen sei, dafs der Angeklagte X bei Begehung der Tat Waffen bei sich geführt habe. Ist ungewifs geblieben, ob der Mitangeklagte A oder Β die Waffen trug, so mufs die unbestimmtere Fassung gewählt werden: Ist dem Angeklagten zuzurechnen, dafs einer der Teilnehmer an der Tat bei deren Begehung Waffen bei sich führte? Der Angeklagte kann selbst dieser Teilnehmer gewesen sein, die Frage ist also verdeckte Alternativfrage. Steht nur einer der Teilnehmer unter Anklage, ohne dafs ermittelt worden ist, ob er oder der Genosse die Waffe bei sich trug, so wird die verdeckte Alternativfrage in der einfacheren Form gestellt: Hat einer der Teilnehmer usw. Waffen bei sich geführt? 3

Vgl. oben S. 195.

310

§ 37. Fortsetzung.

Die verdeckten Alternativfragen.

Ganz ähnlich verhält es sich bei gemeinsam verübtem Raube unter Marterung eines Menschen, § 251 StGB. Hier geht unter entsprechenden Voraussetzungen die Nebenfrage dahin: Ist dem Angeklagten zuzurechnen, dafs bei der Tat ein Mensch gemartert worden ist? Ist bei der Tat ein Mensch gemartert worden? Das ist in beiden Fällen wieder verdeckte Alternativfrage. V. Eine sehr eigenartige Rechtserscheinung endlich ist die scheinbare verdeckte Alternativfrage. Es kommt vor, dafs ein Strafgesetz formell als einheitliches Gesetz auftritt, während es materiell Mischgesetz ist. Es wird zuweilen eine generelle Kategorie deliktischen Handelns, z. B. „Tätlichkeit", die in ihren Speziesbegriffen — Totschlag, Körperverletzung, Realinjurie usw. — den Stoff für verschiedene Strafgesetze liefert, in besonderer Beziehung — z. B. gegenüber bestimmten Angriffsobjekten — nicht spezialisiert zum Bau eines umfassenden, die mehreren Spezies indistincte in sich schliefsenden Strafgesetzes verwertet; vgl. die §§ 94f. StGB. Was so das Gesetz äufserlich nicht scheidet, bleibt auch in der Frage ungeschieden. Das Gesetz ist „verdecktes Mischgesetz". Die verschiedenen Tatbestände sind formell in einen zusammengeflossen: ein Gegenstück zu dem in verschiedene Gesetzesparagraphen zerteilten Alternativgesetz, wie es die §§ 267, 269 StGB ergeben. Analog das strafbare „Unternehmen", §§ 105, 114 usw. StGB, insofern Vollendung und Versuch vom Gesetze einbegriffen ist. Entsprechend der Zusammenfassung von Begehungsformen im Gesetz scheint die auf „Tätlichkeit", „Unternehmen" gerichtete Frage verdeckte Alternativfrage zu sein. Das träfe aber nur zu, wenn zur Bejahung der Schuldfrage die alternative Annahme von Totschlag oder Körperverletzung usw. hinreichte. Und dem ist nicht so: zwei so grundverschiedene Tatbestände können nicht dem unbestimmten gesetzlichen Terminus „Tätlichkeit" zuliebe alternativ festgestellt werden 4. Das Gesetz ist eben nicht verdecktes Alternativ-, sondern verdecktes Misch gesetz. Ein solches enthält, wie das offene Misch gesetz Mischtatbestände, die trotz der formellen Verbindung im Gesetze stets der besonderen Feststellung bedürfen. Es wird zwar nach „Tätlichkeit" schlechthin gefragt, eine solche kann aber nur festgestellt werden auf Grund der An4

Treffend betont B i n d i n g , Normen I I S. 483, dafs die „Tätlichkeit" Angriffe auf Leben, Körperintegrität, Freiheit und Ehre umfasse, von denen jeder seinen eigenen Vorsatz erfordere.

§ 38. Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobleme.

311

nähme eines bestimmten einbegriffenen Deliktstatbestandes, nicht alternativ des einen oder anderen. Die Geschworenen sind über diese Rechtslage zu belehren. Das Richterkollegium, das wegen „Tätlichkeit" verurteilt, hat in den Gründen einen bestimmten, diesem Sammelbegriff subsumierten Tatbestand festzustellen. Der Wahrspruch enthält diese Begründung nicht, darf aber nur auf Grund ganz der gleichen logischen Operation die Schuld bejahen. Die scheinbare verdeckte Alternativfrage unterscheidet sich von den Fällen der wahren auch dadurch, dafs sie unbedingt obligatorisch ist, während die letztere immer nur bei besonderer Beweislage geboten erscheint. Scheinbare verdeckte Alternativfrage ist endlich auch die Frage aus einem das Schuldmoment nicht erwähnenden, Vorsatz und Fahrlässigkeit umfassenden Strafgesetz 5. Denn nicht ein verdecktes Alternativ-, sondern ein verdecktes Mischgesetz liegt vor. Kommt die Alternative im Strafgesetz zum Ausdruck (§§ 18, 20 des älteren Urheberrechtsges. v. 11. Juni 1870)e, so ist im Zweifel über Vorsatz oder Fahrlässigkeit doppelte Befragung der Geschworenen unerläfslich. §38.

Fortsetzung.

Weitere

Formulierungsprobleme.

I. Da die gesetzlichen Deliktstatbestände das vollendete Delikt eines Alleintäters zum Ausdrucke bringen, so bedürfen sie der Modifikation, wenn Versuch, Mittäterschaft in Frage stehen. Diese Umformung ist Erweiterung um die besonderen Merkmale des Versuchs, der Mittäterschaft, kann die Streichung eines Tatumstandes bedingen — des in den gesetzlichen Deliktsbegriff aufgenommenen „Vorsatzes", der im Versuchsfalle nicht noch neben dem „Entschlufs" der Verbrechensbegehung zu erfragen i s t 1 —, und weist zuweilen ein Deliktsmerkmal an eine andere Stelle, als ihm im Rahmen vollendeter Alleintäterschaft vom Gesetze anzuweisen war. Dem Mordbegriffe des § 211 ist nicht wesentlich der überlegte Entschlufs zu töten, sondern die Überlegung bei der Ausführung des Tötungsvorsatzes. Demnach ist auch in der Mordversuchsfrage die Überlegung nicht auf das beabsichtigte Verbrechen, sondern auf die Ausführungshandlung zu beziehen2. Sie lautet: Ist der B

Auf diese Gesetze mufste schon Vgl. oben S. 302. 1 A. A. RG 3. Str.-S. Entsch. Bd. 2 Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 36 S. 3. Str.-S. E. Bd. 8 S. 277. Abweichend 6

oben S. 301 eingegangen werden. 35 S. 72. 26 f.; ferner Fer.-S. R. Bd. 7 S. 500, 1. Str.-S. R. Bd. 10 S. 256.

312

§ 38.

Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobleme.

Angeklagte schuldig, den Entschlufs, den X zu töten, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens enthielten, betätigt zu haben und diese Handlungen mit Überlegungbegangen zuhaben? 8 Nicht: schuldig, den Entschlufs, den X (vorsätzlich und) mit Überlegung zu töten, betätigt zu haben? oder schuldig, den überlegten Entschlufs betätigt zu haben. Denn diese Fassungen würden nicht oder doch nicht genügend deutlich dokumentieren, dafs die Überlegung bei der Ausführung bestand; die letztere verlangte dem Gesetz zuwider schon überlegten Entschlufs und die vorgängige enthielte einen psychologischen Fehler, indem ein Entschlufs, mit Überlegung zu töten, nicht denkbar ist. Der Versuch in Mittäterschaft erfordert, wie vollendete Mittäterschaft, Gemeinsamkeit des Entschlusses und der Ausführung. Es darf also nicht heifsen: Schuldig, den Entschlufs, in Gemeinschaft mit dem X den Y zu töten, durch Handlungen betätigt zu haben?, sondern: Schuldig, in Gemeinschaft mit dem X den Entschlufs den Y zu töten, betätigt zu haben? Denn die erstere Formel liefse die unbedingt wesentliche Gemeinsamkeit der Ausführung unerfragt, während die zweite durch richtige Anordnung der Fragbestandteile die Gemeinsamkeit auf Entschlufs und Ausführung bezieht. II. Qualifikationen als Gegenstand von Nebenfragen sind so zu formulieren, dafs ihr Bezug auf bestimmtes in der Hauptfrage enthaltenes Delikt eines bestimmten Angeklagten zweifellos ist. Dazu k a n n bereits genügen, dafs die Nebenfrage entsprechend der Vorschrift des § 292 Abs. 2 für den Fall der Bejahung der Hauptfrage gestellt und der Qualifikationsgrund einfach mit den Worten des Gesetzes wiedergegeben wird. 1. Öfters aber ist in der Fassung der Qualifikation ein aus3 Das RG formuliert Bd. 36 S. 26: Schuldig, den Entschlufs, den X zu töten, durch vorsätzlich, und zwar mit Überlegung begangene Handlungen betätigt zu haben. Ebenso bereits Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 17, 507. Allein, da es unmöglich ist, den Entschlufs durch andere als vorsätzliche Handlungen dergestalt zu betätigen, wie es der Versuchsbegriff erfordert, die Versuchsdefinition des § 43 daher auch das Merkmal der \ r orsätzlichkeit für die betätigenden Handlungen nicht aufstellt, so hat auch die Frage von dieser Charakterisierung abzusehen. Andernfalls besteht die Gefahr des Mißverständnisses und des Fehlspruchs. Auch erscheint richtiger, nach der Überlegung bei der Ausführung besonders zu fragen, nicht nur in Form einer Qualifizierung der erfragten Ausführungshandlung.

§ 38.

Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobeme.

313

drücklicher Hinweis auf die Tat der Hauptfrage nötig oder doch empfehlenswert. Würde z. B. bei § 356 Abs. 2 StGB einfach gefragt: Handelte der Angeklagte im Einverständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteile seiner Partei?, so könnte bei den Geschworenen leicht der Irrtum entstehen, dafs ein zweiter selbständiger Deliktstatbestand gemeint sei. Es ist daher ausdrücklich zu sagen: Handelte der Angeklagte b e i der i n F r a g e 1 b e z e i c h n e t e n T a t usw.? Die gleiche Fassung ist am Platze, wenn gewerbs- oder gewohnheitsmäfsige Begehung qualifizierend wirkt; die Nebenfrage lautet also wiederum: Handelte der Angeklagte b e i der zu 1 b e z e i c h n e t e n T a t gewerbsmäfsig usw.? Grundfalsch wäre, zu fragen: Hat er die Hehlerei usw. gewerbsmäfsig betrieben? Z u l ä s s i g ist entsprechende Bezugnahme in allen Fällen. Das Gericht wird einen solchen Hinweis der Frage stets einfügen, wenn es im Interesse der Deutlichkeit liegt. Dabei wird das Delikt cler Hauptfrage niemals mit dem terminus technicus (Körperverletzung, Raub, Erpressung usw.), sondern einfach als die „Tat" angeführt. So heifst es in der Nebenfrage bei § 254 StGB: Ist die zu 1 bezeichnete Tat (nicht „die Erpressung") durch Bedrohung mit Mord begangen worden? (Vgl. ferner §§ 226, 251, 255 usw. StGB.) 2. Ausnahmsweise mufs auch die gesetzliche Fassung des Strafschärfungsgrundes modifiziert werden. Es wird zuweilen im Strafgesetz für ein von einer Mehrheit begangenes Delikt eine Qualifikation scheinbar generell ausgesprochen, während sie doch nur auf solche Beteiligte berechnet ist, in deren Person der qualifizierende Umstand vorliegt. Zum Beleg dient besonders § 116 Abs. 2 StGB. Die einmalige Nebenfrage: Ist gegen die Beamten tätlicher Widerstand geleistet worden? wäre komplex und liefse die Voraussetzung der Zurechenbarkeit für die einzelnen Beteiligten in dubio. Der letztere Fehler haftete genau so mehrfach gestellter gleicher Nebenfrage an, ein Modus, der zudem, als wiederholte Befragung wegen desselben Tatumstandes, in sich widerspruchsvoll wäre. Vielmehr ist unter ausdrücklichem Bezug auf die einzelnen Beteiligten dahin zu formulieren: Hat der Angeklagte bei der zu 1 genannten Tat an Leistung tätlichen Widerstands mit vereinten Kräften gegen die Beamten teilgenommen? Entsprechend ist bei § 227 Abs. 2 festzustellen, ob dem Angeklagten eine der Verletzungen zur Last fällt, welche durch ihr Zusammentreffen den Tod des Verletzten verursacht haben?

314

§ 38.

Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobleme.

I I I . Die Aufnahme von Qualifikations- und Privilegierungsgründen in die Hauptfrage oder ihre Verweisung in eine Nebenfrage ist, soweit nicht Anträge der Prozefsbeteiligten (auf Nebenfrage) vorliegen (§ 296), Ermessenssache. Einerseits die bessere Verständlichkeit des erfragten Gesamttatbestandes und insbesondere der Bedeutung festzustellender Qualifikation für die Geschworenen, andererseits die Erleichterung zutreffender Abstimmung haben den Ausschlag zu geben. Die beiden Rücksichten können sich durchkreuzen. Die Stellung einer Nebenfrage z w i n g t zu besonderer Abstimmung. Aber die Nebenfrage läfst, da sie einfach auf den betreffenden Tatumstand geht, nicht erkennen, ob dessen objektives Vorhandensein genügt oder die Schuld des Täters sich darauf erstreckt haben mufs. Die Hauptfrage unter Einschlufs des Qualifikationsgrundes kann diesen Unterschied insofern zum Ausdrucke bringen, als nach einem rein objektiven strafschärfenden Moment auch objektiv gefragt, es zu einem vom „Schuldig" nicht mit umfafsten Fragbestandteil gemacht wird. Z. B. : Ist der Angeklagte schuldige den X körperlich mifshandelt »zu haben, und ist dadurch der Tod des X verursacht worden? 4 In der Praxis ist vielfach üblich, den in die Hauptfrage aufgenommenen Qualifikationsgrund mit „und zwar" an den vorangestellten Tatbestand des einfachen Delikts anzugliedern 5. Die Qualifikation selbst wird dabei, was auch ganz richtig, lediglich mit den Worten des Gesetzes wiedergegeben und lautet z. B. bei § 250 N. 3 StGB einfach „auf einer Strafse" usw. Das Reichsgericht hat bei einer Frage wegen versuchten Strafsenraubes diese letztere Fassung für fehlerhaft erklärt 6 . 4 Diese Fragfassung hat entschieden den Vorzug vor dem Modus: Schuldig, körperlich mifshandelt zu haben und zwar derart, dafs durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist? (so war in dem Falle RG E. Bd. 33 S. 285 f. gefragt w orden). Doch kann die letztere Formulierung nicht als undeutlich bezeichnet werden, so dafs wegen Annahme entsprechenden Verdikts die Revision begründet wäre. 5 Nicht empfehlenswert ist, Momente des Grunddelikts, z. B. die Benachteiligungsabsicht des Schuldners im Falle betrügerischen Bankerutts, mit „und zwar" an den sonstigen Tatbestand anzureihen und so in der Frage zu isolieren. Das kann zu einer Abstimmungsirrung führen, indem die Geschworenen glauben, über das so hervorgehobene Merkmal besonders votieren zu müssen. Dieses Bedenken hätte in der Entsch. des RG 2. Str.-S. Bd. 2 S. 95 f. gewürdigt werden sollen. Immerhin kann der Befragungsmodus nicht als gesetzwidrig bezeichnet werden. 6 Vgl. Jurist. Zeitung Bd. V S. 499.

§ 38. Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobleme.

315

Durch die bejahende Antwort der Geschworenen sei nur festgestellt, dafs der Angeklagte den Entschlufs, einen Raub zu begehen, durch Ausführungshandlungen, welche auf der Strafse begangen seien, betätigt habe. Zur Verurteilung aus §§ 250 Z. 3, 43 StGB habe es aber weiter der Feststellung bedurft, dafs der Entschlufs des Täters den Umstand in sich geschlossen habe, das Verbrechen auf der Strafse zu begehen. Allein indem die Geschworenen die Schuld des Angeklagten mit Einschlufs des Qualifikationsmoments bejaht haben, ist damit die Voraussetzung entsprechender Verurteilung gegeben. Die Rechtsbelehrung hat darzutun, unter welchen Bedingungen die Zurechenbarkeit eines Qualifikationsmoments besteht. Eine Nebenfrage hätte doch auch nur lauten können: Hat der Angeklagte die unter 1 gedachte Handlung auf einer Strafse begangen? Ganz dasselbe aber besagen die dem Tatbestand des einfachen Delikts angefügten Worte „und zwar auf einer Strafse". Das Verlangen des Reichsgerichts, dafs in der Fragfassung der Entschlufs der Verbrechensverübung auf das Qualifikationsmoment mit bezogen werde, müfste zum Ausschlufs einer Nebenfrage führen. Denn wie könnte eine solche dieser Anforderung gerecht werden? Die Frage „Hat der Angeklagte die unter 1 gedachte Handlung auf einer Strafse begangen?" würde nicht den Entschlufs auf S t r a fs en raub, die Fassung „Ging der zu 1 gedachte Entschlufs des Angeklagten dahin, die Tat auf einer Strafse zu begehen ?" nicht die Betätigung dieses Entschlusses feststellen. Durch Vereinigung beider Momente in der Frage aber, etwa in der Form : Hat der Angeklagte durch die zu 1 gedachten Handlungen den Entschlufs betätigt, das beabsichtigte Verbrechen auf einer Strafse zu begehen? würde die Einheit der Tat zerstört, der einheitliche Entschlufs zum Verbrechen und dessen einheitliche Betätigung in zwei Entschlüsse mit besonderen Betätigungsakten zerschlagen. Zu rein objektiver Fassung eines Qualifikationsmoments im Versuchsfalle drängt die Besonderheit der materiellen Rechtslage, wenn der Versuch eines durch eine Folge — Tod des Verletzten z. B. — qualifizierten Verbrechens diese Folge bereits bewirkt hat. Vom Entschlufs war die Folge nicht umfafst, sie ist streng objektiv zu erfragen. Also z. B. : Ist der Angeklagte schuldig, den Entschlufs, die X durch Gewalt zur Duldung des aufserehelichen Beischlafs zu nötigen, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung diesesVerbrechens enthielten, betätigt zu haben, und ist durch diese Handlungen der Tod der verletzten Person verursacht

§ 38.

316

Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobleme.

worden? Entsprechend geht Nebenfrage einfach auf den letztern Kausalnexus. IV. Weglassung gesetzlicher Fragbestandteile ist dann unschädlich, wenn sie durch erfragte konkrete Umstände in einer jeden Zweifel ausschliefsenden Weise repräsentiert werden. Hat z. B. die Mordfrage den Namen des Getöteten aufgenommen, so braucht nicht noch gesagt zu werden, dafs er ein Mensch gewesen sei 7 . Dagegen würde durch Nennung des Amtsgerichts X als eidabnehmender Behörde nicht ersetzt das gesetzliche Erfordernis der Zuständigkeit zur Eidesabnahme (§ 154 StGB) 8 . Gebrauch synonymer Ausdrücke an Stelle der gesetzlichen ist stets inkorrekt und stets zu widerraten. Aber es begründet nicht jede derartige Vertauschung die Revision. Man denke z. B. an Substituierung von „Mensch" für „anderer" und umgekehrt in den §§ 239, 240 StGB 9 . Mafsgebend ist, ob ein Mifsverständnis bei den Geschworenen möglich oder durch die zweifellose Äquivalenz der Worte ausgeschlossen war. Trifft ersteres zu, so kann Fragverneinung erfolgt sein, weil dem substituierten Ausdruck eine andere Bedeutung, als sie der gesetzliche Tatumstand hat, beigelegt wurde, während Bejahung der Frage nicht mit Sicherheit die Annahme des gesetzlichen Merkmals durch die Geschworenen ergibt. Inhaltliche Bezugnahme auf eine andere Hauptfrage, z. B. in der Frage nach Anstiftung, Beihilfe, oder auf die Hauptfrage in der Hilfsfrage, z. B. auf die Meineidsfrage in der Frage nach fahrlässigem Falscheid, ist stets zu vermeiden. Jede Hauptfrage und jede Hilfsfrage mufs in den abstrakten und in den konkreten Momenten vollständig sein. Die Verneinung der anderen Hauptfrage nimmt dem Hinweise formell das Objekt und es fehlt auch tatsächlich die Gewissheit, dafs die mit der ersten Frage verneinten Tatmomente durch die nachfolgende Antwort der Geschworenen nun wirklich sämtlich mit getroffen sein sollten. Die Hilfsfrage vollends kommt überhaupt nur für den Fall der Hauptfragverneinung in Betracht, so dafs die Ergänzung der zweiten Antwort aus der ersten Frage besonders bedenklich sein würde 10 . V. Die Frage, Hauptfrage, Hilfsfrage, Nebenfrage, hat insofern 7

Vgl. auch G l a s e r , Fragestellung S. 885. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 21 S. 321. 9 Weitere Beispiele aus der Praxis des österr. Kass.-Hofs: Entsch. v. 18. Febr. 1881 E. Bd. 4 S. 23 f., v. 28. Okt. 1892 E. Bd. 13 S. 169 f. („Aufstellung erdichteter Forderungen" statt „Aufstellung erdichteter Gläubiger"). 10 Anders RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 409. 8

§ 38. Fortsetzung.

Weitere Formulierungsprobleme.

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stets einen positiven Inhalt, als sie sich auf die Existenz einer Deliktsschuld, einer schulderhöhenden, schuldmindernden, strafaufhebenden Tatsache, auf die Einsicht des jugendlichen, des taubstummen Angeklagten, auf mildernde Umstände richtet. Aber es kann das Verschulden in einer Negative bestehen, was für alle Unterlassungsdelikte zutrifft, oder doch eine Negative einschliefsen, wie es stets bei wahren negativen Tatbestandsmerkmalen der Fall ist. Gleiches gilt für qualifizierende, privilegierende, strafaufhebende Tatbestände. Dafs der Zweikampf ohne.Sekundanten stattgefunden hat, erhöht (fakultativ) die Strafbarkeit, § 209 StGB; der Strafermäfsigungsgrund des § 157 N. 2 StGB setzt neben dem positiven Moment, dafs der Aussagende die falsche Aussage zu gunsten einer Person erstattet hat, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durfte, negativ voraus, dafs es geschah, ohne dafs er über sein Recht, die Aussage ablehnen zu dürfen, belehrt worden war. Wird, was freilich nicht zu billigen, eine Nebenfrage auf Rücktritt vom Versuch gerichtet, so enthält sie sowohl im Falle der N. 1 als der N. 2 des § 46 eine Negative: sie geht auf Tateinstellung, „ohne dafs der Täter an der Ausführung durch Umstände gehindert worden war, welche von seinem Willen unabhängig waren", N. 1; auf Erfolgsabwendung „zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war", N. 2. Ein Axiom dahin, dafs die Fragen nicht auf Negativen sich richten dürften 11 , wäre also entschieden mifsverständlich. Richtig ist nur, dafs vermeidliche negative Fassung auch wirklich vermieden werden mufs. Das ist aber nichts Besonderes, sondern nur Konsequenz aus der Tatsache, dafs mit den Worten des Gesetzes zu fragen ist. Positive Wendungen des Gesetzes lassen sich natürlich vielfach negativ umformen, z. B. in den Fällen der §§ 158, 163 Abs. 2 StGB, wo Strafermäfsigung oder Straflosigkeit bestimmt ist, wenn der Angeklagte, „ b e v o r eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und b e v o r ein Rechtsnachteil für einen andern aus der falschen Aussage entstanden war", diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hatte, widerrufen hat. Aber eine solche Ummodelung wäre nicht nur überflüssig, sondern bei der Abhängigkeit der Frage von der Gesetzesfassung auch verfehlt. 11

So H. M e y e r in v. Holtzend. Handb. I I S. 179. Dagegen auch F r e u d e n s t e i n in Goltd. Arch. Bd. 30 S. 190 f., dessen eigene Darstellung aber mehrfach unrichtig ist.

§ 38. Fortsetzung.

318

Weitere Formulierungsprobleme.

Weitere Negativfragen würden sich ergeben, wenn das Gesetz Nebenfragen auf Schuldausschliefsungs-, Strafausschliefsungsgründe zuliefse. Vgl. z.B. Art. 81 des preufs. Ges. v. 3. Mai 1852: „Hat der Angeklagte die Tat ohne Zurechnungsfähigkeit begangen?"12 Auch die Irrtumsnebenfrage aus § 59 StGB, wenn es solche gäbe!, wäre negativ zu fassen: die Unkenntnis vom Qualifikationsgrunde schlösse als Privilegierungsgrund (sit venia verbo !) die Zurechnung des erstem aus. Der negative Fraginhalt wird genau wie der positive durch das „Ja" der Geschworenen festgestellt, während „Nein" gegenüber der Negative, z. B. dafs der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden habe, dafs der Angeklagte über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrt worden sei, dafs Brieferöffnung erfolgt sei „in einem vom Gesetze nicht vorgesehenen Falle" (§ 354 StGB) usw., eine Affirmative enthält 18 . Es empfiehlt sich, über diese Bedeutung des Ja, des Nein, des teil weisen Nein die Geschworenen stets zu belehren, wenn nach der Sachlage mit einem Zweifel darüber zu rechnen i s t 1 4 . Sicher ist eine positiv gefafste Frage immer unmifsverständlicher als eine negative und schon deshalb überall da am Platze, wo nicht das Gesetz nach Inhalt und Wortlaut zur Negative nötigt. VI. Das Gericht „formuliert" endlich, indem es das im Einzelfall dienliche Mafs von Individualisierung bestimmt und den dazu gewählten Merkmalen geeignete und für die Geschworenen leicht verständliche Fassungen gibt. 12

Diese Negativfragen haben in der preufsischen Praxis zu den leidigsten Kontroversen geführt. Vgl. die Darstellung Z a c k e s , Fragstellung S. 110 f., der sehr richtig bemerkt, der Formalismus habe kaum in irgendeinem Teile der Fragstellungslehre mehr Spuk getrieben als hier. 18 Diese Affirmative hat aber nicht die Bedeutung positiver Feststellung des der Negative (Mangel der Überlegung bei Ausführung der Tat) korrespondierenden in einem parallelen Strafgesetz (im Mordparagraphen) enthaltenen positiven Moments (der Überlegung bei der Ausführung). Es kann nicht durch Verneinung des Überlegungsmangels auf die Totschlagsfrage hin der nicht erfragte Tatbestand des Mordes festgestellt werden. Vgl. näher unten § 54 sub I 2. 14 Vgl. die Fälle bei Z a c k e a. a. 0., in Goltd. Arch. Bd. I S. 364, Bd. V S. 830, Bd. V I I S. 351, Bd. V I I I S. 580 usw.

§ 39. Zahl und Reihenfolge der Fragen.

319

C. Z a h l u n d R e i h e n f o l g e d e r F r a g e n . I h r V e r h ä l t n i s z u e i n a n d e r \

§ 39. Z a h l und R e i h e n f o l g e d e r F r a g e n . Bei einer Fragenmehrheit mufs den Geschworenen bestimmte Anweisung gegeben sein über die Folge, in der sie zu den einzelnen Fragen beraten und abstimmen sollen. Auch bedarf es des ausdrücklichen Hinweises auf die Bedingtheit einer Frage durch eine bestimmte Art der Erledigung einer vorangehenden. I. Die Zahl der Fragen kommt mindestens der Zahl der Angeklagten und der im Eröffnungsbeschlufs inkriminierten selbständigen Handlungen gleich 2 . Sie übersteigt die letztere Ziffer, wenn Hilfs- oder Nebenfragen gestellt werden oder wenn unter den Voraussetzungen des § 265 StPO die Anklage im Laufe der Hauptverhandlung auf eine weitere Tat erstreckt wird. Um nicht Bekanntes zu wiederholen, genügt es, an die Realkonkurrenzfragen und im Gegensatz zu dieser Fragenmehrheit einerseits, zur einfachen Einheitsfrage andererseits an die Typen der „Mehrheitsfrage" (im Falle von Idealkonkurrenz), der „kombinierten Einheitsfrage" (bei Gesetzeskonkurrenz), der „zusammengesetzten Frage" (bei fortgesetztem Delikt), der kumulativen Einheitsfrage (bei Subsidiarität des Strafgesetzes), der „Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion" zu erinnern. Komplexe Fragen begründen die Revision. Dahin würde auch gehören, wenn Anstiftung durch eine Handlung zu mehreren Delikten in einer Frage Erledigung fände. Wird für mehrere Deliktsbeteiligte übereinstimmend dieselbe Qualifikation erfragt, z. B. bei Kinderraub die Begehung in der Absicht, die minderjährige Person zum Betteln zu gebrauchen (§ 235 StGB), so bedarf es ganz regelmäfsig einer der Zahl der angeklagten Teilnehmer entsprechenden Mehrheit von Nebenfragen. Denn für jeden einzelnen Mitangeklagten ist selbständig zu prüfen, ob in seiner Person die Voraussetzungen der Strafschärfung bestehen. Eine Ausnahme tritt notwendig dann ein, wenn es sich um eine Deliktsfolge — Tod, schwere Körperverletzung usw. — handelt, für deren Zurechnung nur objektiver Kausalnexus mit der inkriminierten Tat gefordert wird; vgl. die §§ 118, 178, 220 Abs. 2, 221 Abs. 3, 224, 226, 229 Abs. 2, 239 Abs. 2 u. 3, 251 (2. Halb1 2

D a l c k e , Fragstellung und Verdikt S. 24 f. Zu Österr. § 323 Abs. 2 vgl. oben S. 118 Anm. 3.

§ 39.

320

Zahl und Reihenfolge der Fragen.

satz), 307 N. 1, 309, 312, 314, 315 Abs. 2, 316 Abs. 1, 321 Abs. 2, 322 Abs. 2, 323, 324, 326, 327 Abs. 2, 328 Abs. 2 StGB und entsprechende Bestimmungen in Reichsspezialgesetzen8. Es kann unmöglich mehrfach gefragt werden, ob eine gemeinsam begangene Körperverletzung den Tod des Verletzten verursacht habe usw. Das Verdikt wäre sonst unter allen Umständen entweder unklar — bei übereinstimmender Bejahung, Verneinung der Nebenfragen — oder sich widersprechend — bei Bejahung der Nebenfrage für den einen, Verneinung für den anderen Mitangeklagten. Die Tatsache duldet allen Beteiligten gegenüber nur einheitliche Feststellung, es besteht i n s o f e r n eine gewisse Analogie zur qualifizierten Streitgenossenschaft des Zivilprozesses. Somit ist e i n e Nebenfrage zu stellen: unter der Voraussetzung, dafs die zugehörigen Hauptfragen sämtlich oder zum Teil, mindestens eine von ihnen, bejaht werden 4. Bejahung der Nebenfrage ergibt dann die Qualifikation für alle schuldig befundenen Teilnehmer. Diese gemeinsame Nebenfrage ist nur scheinbar „komplex", denn sie enthält in Wahrheit nur e i n Faktum, nicht mehrere voneinander unabhängige Anklagetatsachen. Gemeinsame Nebenfrage ist auch nur dann zulässig, wenn die materielle Rechtslage sie unabweislich bedingt. Zuweilen besteht — besonderen Rechtsbildungen gegenüber — der Anschein solcher Nötigung, während genaueres Zusehen ihn beseitigt. Diebstahl, Raub unterliegen geschärfter Strafe, wenn von Mitgliedern einer Diebes-, Räuberbande begangen, §§ 243 Z. 6, 250 Z. 2 StGB. : nun scheint doch das Faktum der Bandenbildung nicht mehrfacher Feststellung oder gar der Bejahung und der Verneinung zugleich ausgesetzt zu sein. Allein es handelt sich vielmehr für jeden der Mittäter um seine Beteiligung an der Bande, ein Verhältnis, das bestimmte subjektive Voraussetzungen hat und nur solchen Teilnehmern am Diebstahle usw. gegenüber bejaht werden kann, die vor Ausführung des Verbrechens schuldhaft Mitglieder der Bande geworden waren. Es ist daher für jeden besonders zu fragen, ob er sich mit B, C, D usw. zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hatte. Die Verneinung dieser Frage in der Person des A steht nicht im Widerspruch mit uneingeschränkter Bejahung der entsprechenden Frage — gerichtet auf Banden8

Vgl. O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 64 S. 202 f. Richtig erkannt in den Entsch. des franz. Kass.-Hofs (v. 11. Aug. 1892, 21. Mai 1898), S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 Nr. 170, 309. 4

§ 39. Zahl und Reihenfolge der Fragen.

321

bildung mit A, C, D usw. — in der Person des Β usw. Denn nur schuldhafte Beteiligung des Angeklagten an der Bande führt zur Bejahung der einzelnen Nebenfrage 5. Mit der Hauptfrage verbindet sich einfache Hilfsfrage, während qualifizierte Hilfsfrage die Hauptfrage verdrängt. Die Hauptfrage kann mehrere Qualifikations- oder Privilegierungsgründe in sich aufnehmen, doch wird meist zweckmäfsig sein, für alle diese Momente besondere Nebenfragen zu stellen oder doch nur eines von ihnen der Hauptfrage einzuverleiben. Soll für mehrere Angeklagte oder mehrere Delikte nach mildernden Umständen gefragt werden, so hat es in ebensovielen besonderen Nebenfragen zu geschehen6. Dagegen genügt eine Frage nach mildernden Umständen, wenn solche bei Bejahung der Hauptoder Hilfsfrage in Betracht kommen. Schliefslich mag noch hingewiesen sein auf die besonderen Erscheinungen der qualifizierten Nebenfrage und der Hauptfrage mit der Funktion einer solchen Nebenfrage, wie sie vorkommen können, wenn Zweifel über das Vorhandensein der einen oder anderen Qualifikation (Einbruch, Einsteigen) desselben Delikts besteht7. II. Die Reihenfolge der Fragen wird teils durch Gründe der juristischen Logik, in einer Beziehung (im Verhältnis der Hilfsfrage zur Hauptfrage) auch durch ausdrückliche Rechtsanordnung bestimmt, teils steht sie im richterlichen Ermessen 8. 1. Für realkonkurrierende Delikte desselben Täters richtet sich die Fragenfolge nach der Begehungszeit, ohne dafs jedoch eine Abweichung Revision begründen könnte. Bei Mittätern ergibt deren Aufzählung im Eröffnungsbeschlufs die Anordnung der Fragen, doch wiederum ohne Präjudiz für Revision. B

Unzulässig ist auch, mit Wirkung für mehrere Angeklagte zu fragen, ob einer von ihnen bei Begehung der Tat Waifen bei sich geführt habe (§§ 243 Z. 5, 250 Ζ. 1 StGB). Vgl. näher O e t k e r a. a. 0. S. 207. Falsch franz. Kass.Hof v. 2. April 1898: gemeinsame Nebenfrage nach „main armée". 6 Entsprechend haben die französischen Geschworenen, die j a nach mildernden Umständen nicht gefragt werden (vgl. oben S. 214 Anm. 1), bei jedem Angeklagten besonders darüber zu befinden vgl. die Entsch. des Kass.-Hofs bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 341 Bern. 22. 7 Vgl. oben S. 296. 8 Die Bestimmung der österr. StPO § 323 Abs. 2, die Reihenfolge der Fragen bleibe der Beurteilung im Einzelfalle überlassen, wäre besser fortgeblieben, da sie Mifsverständnissen ausgesetzt ist. B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I : G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

21

§ 39.

322

Zahl und Reihenfolge der Fragen.

Stehen neben dem Täter Anstifter oder Gehilfen unter Anklage, so geht immer die Täterfrage der Anstifter- oder Gehilfenfrage voran. Es wird zwar keineswegs die letztere Frage nur für den Fall der Bejahung der ersteren gestellt, aber Verneinung der Haupttat — nicht nur ihrer schuldhaften Begehung — führt notwendig zur Verneinung der Anstifter- usw.-Frage. Vollends fehlerhaft wäre es, in einer vorausgehenden Anstifterfrage betreffs der Tat des Angestifteten auf die spätere Täterfrage zu verweisen. Die falsche Fragenfolge begründet Revision, denn es wird dabei die präjudizierte Frage vor die präjudizierende gestellt. 2. Dafs eine Nebenfrage nie vor der Hauptfrage gestellt werden darf, ist selbstverständlich, denn sie setzt ja deren Bejahung voraus. 3. Mehrere Schuldnebenfragen im Hinblick auf dieselbe Hauptfrage können, wenn sie sämtlich entweder Qualifikationen oder Privilegierungsgründe betreffen, an sich in beliebiger Folge gestellt werden. Doch ist empfehlenswert, nicht rechtlich geboten, mit der schwereren Qualifikation, dem weitergehenden Privilegierungsgrund zu beginnen. Trifft ein Privilegierungsgrund mit einer Qualifikation zusammen und bezieht sich der erstere nur auf das einfache, nicht auch auf das geschärfte Verbrechen, so gehört die qualifizierende Frage voran, weil nur bei ihrer Verneinung die Privilegierung überhaupt wirksam werden kann. Ergreift dagegen die Privilegierung auch das qualifizierte Delikt, so ist die Fragenfolge Ermessenssache. Besser erhält wohl die Qualifikation die erste Stelle. In dem seltenen Falle, dafs eine Qualifikation nur wirkt auf der Grundlage einer andern — Beispiel: § 206 StGB; die Tatsache, dafs der Zweikampf den Tod eines Kämpfers herbeiführen sollte, ergibt eine Strafschärfung nur für den Zweikampf mit Todesfolge — ergibt sich aus diesem Bedingungsverhältnis die Anordnung der Fragen. 4. Die Strafnebenfragen folgen den Schuldnebenfragen. Immer ist ja die Schuldfrage vor der Straffrage zu erledigen. Dieser Grundsatz gilt auch für Geschworene, soweit ihnen verkehrterweise ein Teil der Straffrage überwiesen ist. Eine andere Anordnung der Fragen, z. B. Befragung erst nach mildernden Umständen, dann nach einem Qualifikationsgrund oder der Einsicht des jugendlichen Angeklagten 9 , begründet stets Revision. 9

RG. 1. Str.-S. E. Bd. 33 S. 298 f.

§ 40.

Das Verhältnis der Fragen zueinander.

323

Innerhalb der Strafnebenfragen hat die Frage nach einem Strafaufhebungsgründe den Vorrang vor der Frage nach mildernden Umständen. Denn mit der Bejahung der erstem wird die letztere Frage abfällig. Die Annahme mildernder Umstände n a c h Bejahung des Strafaufhebungsgrundes erschiene freilich als unschädliches Superfluum. Würde dagegen zuerst die Frage nach mildernden Umständen bejaht, dann der Aufhebungsgrund verneint, so wäre nicht ausgeschlossen, dafs die Geschworenen sein Verhältnis zu den mildernden Umständen verkannt, vielleicht gerade in ihm einen mildernden Umstand gefunden und nun geglaubt hätten, die besonders darauf gerichtete Frage nicht noch einmal bejahen zu dürfen. Aber auch bei anderer Beantwortung der in falscher Folge gestellten Fragen könnten ähnliche Irrungen bestanden haben. Die Revision mufs daher Erfolg haben 10 . 5. Die Hauptfrage ist vor der Hilfsfrage zu stellen, es müfste denn die letztere in abstracto höhere Strafbarkeit begründen, § 294 Abs. 2 StPO. Im einzelnen kann auf frühere Ausführung verwiesen werden. Ebenso ist nicht wiederholt einzugehen auf die Fragenfolge im Zweifel über die Begehungszeit bei Wechsel der Gesetze und über ausländischen oder inländischen Begehungsort. Nebenfragen mit Bezug auf vorangehende Hauptfrage sind zwischen dieser und der Hilfsfrage einzuschieben, während der letztern wiederum die zu ihr gehörigen Nebenfragen folgen. 6. Sind im Anschlufs an mehrere Hauptfragen (für mehrere Angeklagte, für mehrere Delikte eines Angeklagten) mehrere Nebenfragen (z. B. nach mildernden Umständen) zu stellen, so verdient den Vorzug, jeder Hauptfrage alsbald die zu ihr gehörigen Nebenfragen folgen zu lassen; doch wäre r e c h t l i c h nicht zu beanstanden, wenn das Gericht erst nach allen Hauptfragen die Nebenfragenreihe stellte. § 40. Das V e r h ä l t n i s der F r a g e n z u e i n a n d e r . Aus dem Fragebogen mufs bestimmt erhellen, inwieweit die Fragen selbständig nebeneinander stehen, inwiefern eine Frage nur unter der Voraussetzung zu beantworten ist, dafs eine vorausgehende in bestimmtem Sinne erledigt wird, § 292 Abs. 2 \ Überein10

A. A. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 52 S. 251. In gleichem Sinne betreffs eventueller Fragen Oldenb. 1857 Art. 330 § 3; Württ. 1868 Art. 371; Brem. 1870 § 494. Generell wie heute Preufs. 1867 § 316 S. 2 u. Sachs. 1868 § 54 Abs. 2. 1

21*

§ 40.

324

Das Verhältnis der Fragen zueinander.

stimmend Österr. § 323 Abs. 3: Fragen, welche nur für den Fall der Bejahung (Zusatzfragen) oder für den der Verneinung einer andern Frage gestellt werden (Eventualfragen), sind als solche ausdrücklich zu bezeichnen. I. Hauptfragen, die verschiedene Angeklagte oder verschiedene Delikte desselben Angeklagten betreffen, sind untereinander stets koordiniert. Es darf namentlich die Anstifter- oder Gehilfenfrage nicht unbeantwortet bleiben, weil die Täterfrage verneint wurde. Eine eventuelle Hauptfrage bezieht sich auf dieselbe Tat wie die prinzipale Frage und steht zu ihr in gleichem Verhältnis, wie sonst die Hilfsfrage zur Hauptfrage. I I . Bei Verbindung von Haupt- und Hilfsfrage wird die spätere Frage nur für den Fall der Verneinung der vorgängigen gestellt. Dieses Abhängigkeitsverhältnis mufs im Eingang der nachfolgenden Frage klar zum Ausdruck kommen, § 292 Abs. 2. Es genügt dazu nicht das Wort „eventuell", das sehr verschiedene Deutungen zulassen würde 2 . Passend ist die übliche Form „für den Fall der Verneinung von Frage 1". Bei teil weiser Verneinung der vorgängigen Frage hat die folgende Hilfs- usw.-Frage immer dann unerledigt zu bleiben, wenn die teilweise Bejahung noch einen strafbaren Tatbestand ergeben hat 8 . Unterblieb die Angabe der Hilfsfragvoraussetzung, so kann der Fehler auch nicht dadurch als saniert gelten, dafs das materielle Abhängigkeitsverhältnis der Fragen durch den Geschworenenspruch formell nicht verletzt erscheint, indem beide Fragen verneint wurden oder mit Verneinung der ersten Bejahung der zweiten sich verband. Denn es fehlt die Gewähr, dafs die Geschworenen Haupt- und Hilfsfrage auf dieselbe, unter zwiefachem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfende Tat bezogen haben. Die Fragen haben den Anschein von Realkonkurrenzfragen und konnten leicht auch so verstanden werden. Der Spruch ist undeutlich infolge der fehlerhaften Fragfassung. I I I . Die Schuldnebenfrage fordert Beantwortung im Falle der Bejahung clçr auf das einfache Delikt gerichteten Haupt-(Hilfs-) Frage, wozu möglicherweise die fernere Voraussetzung hinzutritt, dafs eine anderweite Schuldnebenfrage bejaht oder verneint wird. Das letztere Verhältnis trifft zu, wenn ein Privilegierungsgrund nur für das einfache, nicht für das geschärfte Gattungsdelikt 2 3

Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 7 S. 434. Vgl. näher unten § 54 sub I 3c£.

§ 40.

Das Verhältnis der Fragen zueinander.

325

(§ 213 StGB gegenüber § 212 einerseits, § 215 andererseits) wirkt und nach der Qualifikation besonders gefragt ist. Hätte im gleichen Falle die Hauptfrage die Qualifikation mit aufgenommen, so würde die Nebenfrage wegen des Milderungsgrundes nur bestehen für den Fall der Bejahung der Hauptfrage unter Verneinung der Qualifikation. Mehrere Qualifikationen desselben Delikts liefern regelmäfsig untereinander koordinierte Nebenfragen. Ist zweifelhaft, welche von zwei gleichwertigen und gleichartigen Qualifikationen (Einbruch oder Einsteigen usw.) im Einzelfalle vorlag, so hat das Gericht alternativ nach der einen oder anderen zu fragen 4. Es wird also nur eine Nebenfrage gestellt, falls nicht Aufnahme der Alternative in die Hauptfrage den Vorzug erhält. Gelegentlich ist eine Qualifikation nur begründet für clen Fall der Bejahung einer anderen; so § 206 StGB (oben S. 322). Es kann endlich auch eintreten, dafs eine qualifizierende Nebenfrage nur zu bejahen ist für den Fall der Verneinung einer anderen. Nach der Sachlage ist zweifelhaft, welche von zwei ungleichwertigen oder ungleichartigen Qualifikationen — Raub auf öffentlicher Strafse oder in einem bewohnten Gebäude, bei nächtlicher Verübung — anzunehmen steht. Die eine Qualifikation wird erfragt unter der Bedingung der Verneinung der anderen 5. Immer ist das Bedingungsverhältnis bei der Schuldnebenfrage ausdrücklich .zu konstatieren. Kommt eine Qualifikation auch für den Fall teilweiser Bejahung der Hauptfrage in Betracht, wie dies für die Innehabung von Waffen bei der Tat zutrifft, mag die Raubfrage voll bejaht werden oder unter Verneinung der Gewalt, wobei Diebstahl restiert — vgl. die §§ 243 Z. 5 und 250 Z. 1 StGB —, so empfiehlt sich, im Eingange der Nebenfrage auch diese Eventualität teilweiser Bejahung hervorzuheben. Immerhin würde Nebenfrage einfach gestellt für den Fall der Bejahung der Hauptfrage als ausreichend zu erachten sein, müfste auf Bejahung unter entsprechender Einschränkung mitbezogen werden. IV. Die Nebenfrage wegen Strafaufhebungsgrundes ist bedingt durch die Bejahung der Frage nach dem einfachen Delikt, einerlei wie über Qualifikationen entschieden wird. Denn die strafaufhebenden Umstände wirken nach dem Gesetz nicht nur für das einfache, sondern auch für das qualifizierte Delikt (so § 204 StGB 4 5

Vgl oben S. 286. Vgl. oben S. 291, 292.

§ 40.

326

Das Verhältnis der Fragen zueinander.

auch für den Fall des § 202, § 209 auch bei Tötung im Zweikampf usw.). Auch wenn die Qualifikation in die Hauptfrage mit aufgenommen ist, genügt es, die Nebenfrage auf den Fall der Bejahung der Hauptfrage zu beziehen; es braucht nicht hinzugefügt zu werden: oder für den Fall der Bejahung unter Verneinung der Qualifikation. Denn es ist selbstverständlich, dafs diese Beschränkung der Bejahung nicht den Strafaufhebungsgrund zu beseitigen vermag. Ist ein Strafaufhebungsgrund für mehrere Angeklagte wirksam (z. B. freiwillige Aufgabe des Zweikampfs durch die Parteien usw.), so mufs zwar jeder Hauptfrage die entsprechende Nebenfrage hinzugefügt werden, aber es geschieht das nur bei der ersten Hauptfrage einfach für den Fall der Schuldbejahung, während beim folgenden (den folgenden) Angeklagten als weitere Bedingung die Verneinung der Schuld des Vormanns (der Vormänner) hinzutritt 6 . V. Kommen mildernde Umstände nur für das einfache Delikt in Betracht, während Qualifikationen mit in Frage stehen, so lautet der Eingang der Nebenfrage: für den Fall der Bejahung von Frage 1 und der Verneinung von Frage 2 — wenn nach dem Qualifikationsgrund besonders gefragt ist — oder: für den Fall der Bejahung von Frage 1 unter Verneinung usw. (des qualifizierenden Moments) — wenn die Qualifikation in die Hauptfrage aufgenommen ist. Beispiel: die Zulassung mildernder Umstände für einfachen, nicht auch für Aszendenten-Totschlag in den §§ 213, 215 StGB. Möglich ist auch, dafs nur das qualifizierte (schwerer Diebstahl), nicht das einfache (nicht geschärfter Diebstahl) Delikt mildernde Umstände zuläfst. Die entsprechenden Formulierungen der Nebenfrage ergeben sich von selbst. Endlich kann auch die Verneinung anderweiter Tatumstände, die weder qualifizieren noch privilegieren, unter Bejahung im übrigen einen strafbaren Tatbestand herausstellen (z. B. durch Reduktion von Raub auf Diebstahl), bei dem mildernde Umstände nicht ebenfalls anerkannt sind. Diese Eventualitäten im Eingang der Nebenfrage sämtlich zu berücksichtigen oder sie auch nur alle vorauszusehen, wäre unmöglich. Übrigens würde die Bejahung mildernder Umstände in solchem Falle auch unschädlich sein. Die Geschworenen dürfen dem Gericht die Beurteilung überlassen, ob für den von ihnen unter Verneinung der betreffenden 6

Vgl. dazu oben S. 209, 210.

§ 40. Das Verhältnis der Fragen zueinander.

327

Tatmomente festgestellten Tatbestand mildernde Umstände wirksam sind. Die Nebenfrage ist daher einfach für den Fall der Bejahung der Hauptfrage zu stellen. Die Geschworenen sind dann auch unter der Voraussetzung nach mildernden Umständen mit gefragt, dafs bei teilweiser Verneinung der Hauptfrage ein Tatbestand sich ergibt, der ebenfalls mildernde Umstände zuläfst. Dagegen ist im Verhältnis des einfachen zum qualifizierten Delikt genaue Kenntlichmachung der Fragvoraussetzung möglich. Hier sollte stets unzweideutig gesagt sein, ob die Nebenfrage nach mildernden Umständen für den Fall der Annahme des einfachen oder des qualifizierten Delikts oder für beide Fälle gemeint ist. Bejahung der mildernden Umstände für eine in der Nebenfrage nicht mit enthaltene Eventualität wäre, selbst bei entsprechender Anerkennung mildernder Umstände im Gesetz, eine überflüssige unbeachtliche Feststellung. Die Nebenfrage, einfach gestellt auf „den Fall der Bejahung der Hauptfrage", wird, wenn diese die Qualifikation mit einschliefst, auf das einfache Delikt mit zu bejahen sein; Beschränkung auf das qualifizierte Delikt bedürfte der Hervorhebung. Aber es ist entschieden ratsam, durch strikte Fragfassung jeden Zweifel abzuschneiden. Unterscheiden sich zwei Delikte n u r durch das Vorhandensein oder Fehlen eines einzelnen bestimmten Tatmoments (Mord und Totschlag im Hinblick auf Überlegung bei der Ausführung), während mildernde Umstände nur bei dessen Verneinung wirksam sind, so mufs die Nebenfrage auf diesen Fall ausdrücklich beschränkt werden. Die Geschworenen dürfen nicht für den Fall der Bejahung der Mordfrage nach mildernden Umständen gefragt werden ! Die Nebenfrage hat vielmehr zu lauten: für den Fall der Bejahung von Frage 1 unter Verneinung der Überlegung. Denn bei j e η er Befragungsweise könnten die Geschworenen einen Totschlag unter mildernden Umständen überhaupt nicht feststellen. Wird für rückfälliges Delikt nach mildernden Umständen gefragt, so mufs ersichtlich sein, dafs die Frage für den Fall der Bejahung der Hauptfrage und unter der ferneren Voraussetzung der Rückfallsannahme durch das Gericht zu beantworten ist 7 . Wie sich die Befragung wegen mildernder Umstände in den Fällen der Real-, Ideal-, Gesetzeskonkurrenz gestaltet, ist in anderem Zusammenhang genügend dargelegt worden 8 . 7 8

Vgl. oben S. 221. Oben S. 217 f.

328

§ 41. Der Gang des Verfahrens.

D.

Einwendungen und Anträge.

E n t w e r f u n g und Feststellung der Fragen 1.

§ 41. D e r Gang des V e r f a h r e n s . Anträge.

Einwendungen

und

I. Das eine der beiden koordinierten Richterkollegien hat zu fragen, das andere zu antworten. Die Fragstellung ist Prozefshandlung nicht des Vorsitzenden, sondern des Kollegiums 2 . 1 Z a c k e , Fragstellung und Wahrsprüche S. 10f. ; G l a s e r , Fragestellung S. 902 f.; H . M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 132 f.; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt S. 7 f.; W a h l b e r g , Österr. Gerichtszeit. Bd. 19 S. 77 f.; S c h w a r z e , Ger.-Saal Bd. 20 S. 125 f.; F r e u d e n s te i n im Magaz. f. deutsch. Recht I S. 261 f., I I S. 153 f.; M a y e r , Streiflichter auf den gegenwärt. Strafproz. (1886) S. 143 f. Ferner P l a n c k , System. Darstellung S. 425 f.; Z a c h a r i a e I I S. 483 f.; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 338 f.; G e y e r S. 747; v. K r i e s S. 604 ff.; U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 505 f.; B i r k m e y e r S. 660 f.; B e n n e c k e B e l i n g S. 545 f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 627 f. 2 Die früheren deutschen Gesetze ordneten gerichtliche Fragbestimmung dann und meist nur dann an, wenn der Entwurf des Vorsitzenden von einer Partei bestritten wurde. So preufs. Ges. v. 3. Mai 1852 Art. 79, 87; Bayern 1848 Art. 172, 179; Thüringen 1850 Art. 286; Oldenburg 1857 Art. 322 usw. Nach Württ. 1868 Art. 361 Abs. 2 und Baden 1864 § 276 Abs. 2 hatte der Vorsitzende nach Beratung mit dem Gerichtshof die Fragen aufzustellen. Sachsen 1868 § 50 und Waldeck 1850 § 109 liefsen stets gerichtliche Fragenfeststellung eintreten. So auch Braunschweig 1849 § 139, mit der charakteristischen Abweichung, dafs zuvor die Parteien die von ihnen begehrten Fragen schriftlich einzureichen hatten (§§ 136, 137; empfohlen von W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 339 und v . B a r , Recht und Beweis S. 305 als Konsequenz des Anklagegrundsatzes). Nach Österr. § 316 hat der Vorsitzende nach Beratung mit dem Gerichtshof die Fragen aufzustellen. Die Beisitzer haben hiernach konsultative, nicht beschliefsende Stimme; vgl. U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 628; M a y e r , Kommentar zu § 316 Bern. 2, 6 bis 8; K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 294. Mit Unrecht bezeichnet M i t t e r b a c h e r , Komm, zu § 316 Bern. 1 das Gericht als das Subjekt der Fragenstellung. Während Art. 376 des code vom 3. brum, an I V dem Angeklagten, dessen Rechtsbeiständen, der Staatsanwaltschaft und den Geschworenen einen Einflufs auf die Fragestellung verstattete, enthält code d'instr. darüber keine Bestimmung. Die Rechtsübung hat sich dahin festgestellt: die Befragung ist prinzipiell Sache des Präsidenten, es können aber Staatsanwaltschaft und Verteidigung zur Fragenstellung gehört werden und sie müssen es auf Verlangen, vgl. z. B. Entsch. des Kass.-Hofs v. 24. Dez. 1885, v. 19. Jan. 1838, v. 11. Jan. 1840 (bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 336 nr, 12, zu art. 337 nr. 370), H é l i e , Prat. crim. I nr. 856; bei Streit über die Art der Befragung gebührt die Ent-

§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Der Vorsitzende e n t w i r f t die Fragen, § 290 Abs. 1. Sobald aber einer der Richter es verlangt, erfolgt F e s t s t e l l u n g durch das Gericht, § 291 Abs. 2. In dem NichtStellen dieses Verlangens liegt die Billigung des Entwurfs durch die beisitzenden Richter und damit seine Verwandelung in den relevanten Prozefsakt des Gerichts. Der Vorsitzende ist daher bei Aufstellung der Fragen nur als Organ des Gerichts, nicht kraft eigenen selbständigen Rechtes tätig. Es steht auch nichts im Wege, dafs er die Fragen durch einen beisitzenden Richter, einen Referendar usw. entwerfen läfst, sich dessen Arbeit aneignet und als eigenen Entwurf verliest 8 . Vielleicht veranlafst auch der Vorsitzende von sich aus kollegiale Feststellung der Fragen. Dazu mag namentlich Anlafs gegeben sein, wenn zu erwägen ist, ob nach den Verhandlungsergebnissen Hilfsfragen indiziert sind, ob Nebenfragen auf Qualifikations-, Privilegierungsgründe, mildernde Umstände angemessen erscheinen 4 . II. An die Aufstellung der Fragen durch den Vorsitzenden oder durch von ihm herbeigeführten Gerichtsbeschlufs schliefst sich ihre Verlesung und Prüfung an. Das Gesetz läfst abweichend von frühern Prozefsordnungen 5 die Fragestellung den Plädoyers zur Scheidung dem Gerichtshof, vgl. z. B. Entsch. v. 27. Febr. 1885, v. 17. Mai 1889 ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 371); der Präsident kann aus eigener Initiative und auf Anregung der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten, ja auch auf die Bitte eines Geschworenen hin questions subsidiaires comme résultant des débats stellen, bei Widerspruch des Staatsanwalts oder Verteidigers aber hat darüber das Gericht zu entscheiden, Entsch. v. 24. April 1896, v. 27. Mai 1892 ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 82 und 223), H é l i e , Prat. crim. I nr. 855, 856. Ein gesetzliches Recht der Befragung hat der Angeklagte betreffs faits d'excuse, vgl. unten S. 346 Anm. 2. 8 Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 290 Bern. 2; S t e n g l e i n das. Bern. 1. 4 Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 291 Bern. 1. 5 Vgl. P l a n c k S. 425; Z a c h a r i a e I I S. 527; B i n d i n g , Grundrifs § 109 I I I . Die richtige, von W a l t h e r , Lehrbuch des bayer. Strafproz. S. 339 u. A . empfohlene Folge: Fragestellung, Plädoyers, Schlufsvortrag, hatte das sächs. Schwurgerichtsgesetz vom 1. Okt. 1868 § 50. Ebenso bestimmt Österreich § 316. Preufsen 1867 § 328 liefs wenigstens fakultativ die gleiche Anordnung zu. Bei Fragestellung nach den Parteivorträgen ging bald jene (Preufsen 1867 §§ 315f., Württ. 1868 Art. 359 f.), bald der Präsidialschlufsvortrag (code d'instr. art. 336) voran. Für Fragestellung nach den Parteivorträgen neuerdings v. B a r in Goltd. Arch. Bd. 48 S. 211.

330

§ 41. Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Schuldfrage vorangehen, um den Parteien dabei Anknüpfung an die Fragen zu ermöglichen, den Vorträgen bestimmte Richtung und Begrenzung zu geben6. Nach dem Schlüsse der Beweisaufnahme werden die Fragen durch den Vorsitzenden oder in seinem Auftrag durch den Gerichtsschreiber verlesen, § 290 Abs. 2 S. 1, Öst. § 316 7 . Dabei ist eine Erläuterung der Fragen unbedenklich und nach Umständen zweckmäfsig 8. Die Verlesung kann nicht durch anderweite, mündliche oder schriftliche Mitteilung ersetzt werden, auch nicht bei Einverständnis der Prozefsbeteiligten (Geschworenen, beisitzenden Richter). Unterlassung begründet Revision 9 . Bei späterer Änderung der Fragen, mag diese bestehen in Streichung, Hinzufügung, Abänderung eines Fragbestandteils oder in Streichung, Hinzufügung einer Frage bedarf's wiederholter Verlesung insofern, als die Fragen durch die Änderung betroffen sind 10 . Ein zusammengehöriger Fragenkomplex, Haupt-, Hilfs-, Nebenfrage betreffs derselben Tat desselben Angeklagten, wird, wenn die Änderung auch nur eine der verbundenen Fragen betrifft, im ganzen neu zu verlesen sein, falls das Verständnis auch der übrigen Fragen durch die Änderung berührt sein kann 1 1 . Die Berichtigung eines offenbaren Schreibfehlers in dem den 6

Mot. S. 171. Obwohl der code d'instr. Fragenverlesung nicht ausdrücklich vorschreibt, so ist doch anerkannten Rechtens, dafs dem Angeklagten rechtzeitig ausreichende Kenntnis der Fragen gegeben werden mufs, damit er in der Lage ist, Einwendungen und Anträge vorzubringen. Das in art. 335 code erwähnte „poser les questions" wird allgemein in dem doppelten Sinne der Verlesung der Fragen und der demnächstigen Übergabe der geschriebenen Fragen an die Jury verstanden. Insbesondere müssen Fragen, die gestellt werden „comme résultant des débats", dem Angeklagten zur Kenntnis gebracht werden. Nur braucht dieses Avertissement nicht avant la clôture des débats zu geschehen. Vgl. S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 215, 216, 220, 223 (Entsch. des Kass.-Hofs v. 24. April 1896, 3. Sept. 1896, 27. Mai 1892) und T r é b u t i e n , Cours élém. de droit crim. I I p. 507 f. Auch die Berichtigung einer Frage kann nur in Gegenwart des Angeklagten geschehen (es genügt nicht die Anwesenheit des Verteidigers), S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 377. 8 Prot. S. 446. 9 RG 4. Str.-S. E. Bd. 10 S. 436 f. Österr. § 316 schreibt Verlesung ausdrücklich „bei sonstiger Nichtigkeit" vor. 10 RG 2. Str.-S. E. Bd. 24 S. 102; 3. Str.-S. Bd. 26 S. 336 f. 11 Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 28 S. 415. 7

§ 41. Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Geschworenen übergebenen Fragebogen auf deren Veranlassung durch den Vorsitzenden ist nicht Fragenänderung 12. Wiederaufnahme des Beweisverfahrens infolge der Plädoyers usw. ist für sich allein nicht Grund zur Neuverlesung der Fragen, es müfste denn infolge von Einwendungen oder Anträgen zu gerichtlicher Feststellung der Fragen gekommen sein, in welchem Falle nach § 291 Schlufssatz die festgestellten Fragen stets zu verlesen sind, oder von Amtswegen Anlafs zur Fragenänderung sich ergeben haben 18 . Um Prüfung der Fragen durch die Beteiligten zu erleichtern und den Parteien die verlesenen Fragen in authentischer Form gegenwärtig zu erhalten, kann der Vorsitzende eine Abschrift der Fragen den Geschworenen, der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten mitteilen und „soll" einem hierauf gerichteten Antrage entsprechen, § 290 Abs. 2 1 4 . Doch würde Nichtberücksichtigung solchen Antrags, wie die instruktionelle Fassung beweist, nicht Revisionsgrund sein 1 5 . Und es genügt, wenn dem Geschworenenkollegium, wenn allen Angeklagten zusammen eine Abschrift erteilt wird 1 6 . Da die Befragung der Geschworenen auf Grund der Beweisergebnisse geschieht, so darf, auch wenn die Fragen schon vorher entworfen sein sollten, doch erst nach Schlufs der Beweisaufnahme eine Fragenabschrift mitgeteilt werden, da erst jetzt mit Sicherheit zu übersehen ist, ob ein früher gefertigter Entwurf sich haltbar erweist und unverändert verlesen werden kann. Die Abschrift bezieht sich eben auf die verlesenen Fragen. Ist der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig, so müssen ihm die Fragen verdolmetscht werden, § 187 GVG. Ebenso, wenn er taub ist und schriftliche Verständigung mit ihm ausgeschlossen ist, § 188 GVG. Im erstem Falle wird dem An12

Vgl. RG Fer.-S. bei Goltd. Bd. 43 S. 255. RG 1. Str.-S. E. Bd. 7 S. 285; 2. Str.-S. Bd. 22 S. 138. 14 Österr. § 316 v e r p f l i c h t e t den Vorsitzenden, die Fragen dem Ankläger und dem Verteidiger auf Verlangen schriftlich vorzulegen. 15 Ebenso L ö w e - H e l l w e g zu § 290 Bern. 4 a ; G e y e r S. 747; T h i l o zu § 290 Bern. 4; D a l c k e das. Bern. 3. A . A . für „verwickelte Sachen" P u c h e l t zu §§ 290, 291 Bern. 4. K e l l e r zu § 290 Bern. 3 findet in der Nichterteilung „nach Umständen" einen Revisionsgrund. K ö h l e r , Ger.-Saal Bd. 53 S. 258 hält das „Soll" hier für nicht instruktionell. Ebenso K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 275. 16 Übereinstimmend L ö w e - H e U w e g zu § 290 Bern. 4b. A . A . S t e n g l e i n das. Bern. 2. 13

332

§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

geklagten erbetene Abschrift in Form einer durch den Dolmetscher gefertigten Übersetzung erteilt. Auf Verlangen der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder eines der Geschworenen ist zwecks Prüfung der Fragen die Verhandlung auf kurze Zeit, deren Dauer im Ermessen des Vorsitzenden steht, zu unterbrechen, § 290 Abs. 3 1 7 . I I I . Da die Feststellungen der Geschworenen durch die Fragen begrenzt werden, nur auf solche gesetzliche Tatbestände und Tatumstände sich richten können, die zum Gegenstand einer Frage gemacht sind, da undeutliche, unvollständige, sich widersprechende Fragen zu fehlerhaften Wahrsprüchen führen, da durch die Art der Fragenformulierung, durch das Mafs ihrer Konkretisierung trotz der Befugnis der Geschworenen zu teilweiser Bejahung, teilweiser Verneinung leicht deren freie Bewegung erheblich beeinträchtigt wird, so ist mit Recht den Parteien und den Geschworenen gestattet, auf Mängel in der Fragestellung aufmerksam zu machen und auf Abänderung und Ergänzung der Fragen anzutragen, § 291 Abs. 1 1 8 . Ja, es dürfen Anträge auf Vorlegung von Hilfs- oder Nebenfragen nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden, § 296. Die letztere, besonders weitgehende Befugnis ist zunächst nur zu konstatieren. Ihre spezielle Prüfung bleibt dem folgenden Paragraphen überlassen. Die Einwirkung der Beteiligten auf die Art der Befragung äufsert sich in Einwendung und Antrag. Die E i n w e n d u n g ist Hinweis auf einen Mangel in der Fragestellung ohne entsprechenden Antrag. Begründung ist nicht 17 K l e i n f e l l er a. a. 0. folgert aus dem Ansprüche auf Verhandlungsunterbrechung, dafs auch ein Anspruch auf Mitteilung einer Fragenabschrift bestehe, da sonst jenes Recht illusorisch sei. Diese Erwägung mag tatsächlich zumeist zutreffen, der Gesetzgeber hat sie aber eben nicht als zwingend erachtet. 18 Österr. gibt im § 316 den Parteien das Recht des Antrags. Die Geschworenen haben es nach § 327 auf Grund ihrer Beratung über den Spruch. Zwar ist in der letzteren Stelle nur von einem „Wunsche" die Rede, aber es mufs vom Gericht Beschlufs gefaßt werden, so dafs die Wirkung eines Antrags besteht. Vgl. dazu U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 629; Kass.-Hof v. 17. Nov. 1876 Entsch. Bd. 2 S. 168 f., v. 29. Dez. 1879 Bd. 3 S. 83 f., v. 16. Jan. 1880 Bd. 3 S. 69 f., v. 28. Jan. 1881 Bd. 4 S. 9 f., v. 13. Dez. 1884 Bd. 7 S. 268 f. Die Abweisung des Verlangens des Geschworenen ergibt einen Nichtigkeitsgrund, sofern die Nichtberücksichtigung den §§ 318 f. StPO widerspricht, Kass.Hof v. 12. März 1889 E. Bd. 11 S. 88 f., v. 7. Dez. 1899 Bd. 2 N. F. S. 46 f.

§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

erforderlich, wird aber öfters zweckmäfsig sein. Die Einwendung kann eine Einzelfrage, eine Fragenmehrheit (sämtliche Hauptfragen usw.), einen Fragenkomplex (Haupt-, Hilfs- und Nebenfrage) betreffen. Sie führt immer zur Feststellung der von ihr berührten Fragen durch Gerichtsbeschlufs, § 291 Abs. 2. Besonderer Zurückweisung einer für unbegründet erachteten Einwendung bedarf es daneben nicht. Die Feststellung wird nicht begründet 19 . Der A n t r a g auf Stellung einer Frage macht immer eine Fragepflicht des Gerichts geltend. Es hängt nicht vom Ermessen des Gerichts ab, bestimmte Hauptfragen zu stellen oder nicht, indem vielmehr der Eröffnungsbeschlufs hierfür den Ausschlag gibt, und begehrte Hilfs- und Nebenfragen müssen nach § 296 gestellt werden, soweit nicht Rechtsgründe entgegenstehen. Die Nebenfrage nach mildernden Umständen nimmt insofern eine besondere Stellung ein, als nur die Parteien, nicht auch die Geschworenen zum Antrage legitimiert sind. Die Einsichtsnebenfrage des § 298 mufs gestellt werden, wenn das Gericht Jugend, Taubstummheit des Angeklagten annimmt. In allen diesen Fällen kann daher der Antrag auf Vorlegung einer Frage nur durch motivierten Beschlufs abgelehnt werden, vgl. auch § 34 StPO, während stattgebender Beschlufs sich in kollegialer Feststellung der entsprechenden Frage äufsert. Der Antrag auf Abänderung einer Frage wendet sich, soweit es sich dabei um die Angabe konkreter Tatmomente handelt, an das richterliche Ermessen. Denn wenn auch die Individualisierung der Tat Richterpflicht ist, so bleibt doch die Art ihrer Ausführung im Einzelfalle, das Mais der Bestimmtheit und Vollständigkeit in Angabe der Identitätsmerkmale vollständig Ermessenssache 2 0 . Dagegen ist die vollständige und genaue Wiedergabe aller gesetzlichen Merkmale eines Tatbestandes oder Tatumstandes in der Frage keineswegs in das Ermessen des Gerichts gestellt, sondern schlechthin dessen Pflicht. Trotzdem wird anzunehmen sein, dafs auch gegenüber Änderungsanträgen in der letztern Richtung die kollegiale Fragenfeststellung genügt, ein motivierter Ablehnungsbeschlufs, wie er bei Anträgen der erstem Art wegen des arbiträren Charakters der Entscheidung schon von selbst entfällt, nicht zu erlassen ist. Jeden19 20

Vgl. auch RG 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 68. Nicht zutreffend v. K r i e s S. 619.

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§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

falls wird ein solcher durch das praktische Bedürfnis nicht erfordert. Diese Ansicht entspricht auch dem gesetzlichen Wortlaut, wonach Erledigung der Einwendungen und Anträge durch Fragenfeststellung erfolgt, ein Modus, der dann und nur dann versagt, wenn das Gericht eine beantragte Frage nicht zu stellen beschliefst 21. Aus dem letztern Grunde bedarf auch der Antrag auf Streichung einer Frage nicht besonderer Ablehnung; es genügt die gerichtliche Feststellung der betreffenden Frage 22 . Motivierung der Anträge ist niemals erforderlich, wenn auch öfters zweckdienlich. Die auf Einwendung oder Antrag hin festgestellten Fragen sind zu verlesen, auch wenn keinerlei Änderung der ursprünglichen Fragen beschlossen worden i s t 2 3 . Der ganze Vorgang, Einwendung, Antrag, Ablehnung, gerichtliche Feststellung, Verlesung ist zu protokollieren, § 273. Zu solchen Fragefeststellungen kann es mehrfach kommen, da Einwendungen und Anträge mehrfach vorgebracht werden können, vielleicht auch der Einwendung usw. das Feststellungsverlangen eines beisitzenden Richters vorangegangen war. Dagegen wird anzunehmen sein, dafs, wenn ein bereits erledigter Einwand oder Antrag von einem andern Beteiligten wieder aufgenommen wird, einfach auf die schon getroffene Entscheidung verwiesen werden kann, es müfste denn das Gericht seine frühere Entscheidung nunmehr als unrichtig erkennen oder auf die neue Anregung hin zu einer Fragenänderung von Amtswegen Anlafs finden. 24. In Einwendung und Antrag liegt nach dem Gesetz immer das Verlangen g e r i c h t l i c h e r Entscheidung. Es kann daher nicht mehr der Vorsitzende allein abändern, so wenig er einen Antrag allein abzulehnen befugt ist. Nur den ursprünglich entworfenen und verlesenen Fragen gegenüber wirkt es als Billigung des Gerichts, wenn keiner der beisitzenden Richter die Feststellung verlangt. In unserem Falle aber ist nach bestimmter Gesetzesvorschrift nicht ein abändernder Fragenentwurf des Vorsitzenden, 21

RG 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 67 f. Dafs die Parteien zu einem Streichungsantrage befugt österr. Kass.-Hof mit Recht angenommen, E. v. 2. Nov. 1877 S. 339 f. 23 Österr. § 316 erfordert die nochmalige Verlesung nur Fragenänderung. 24 Ein Beispiel in Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 8 S. 22

sind, hat der Samml. Bd. 2 im Falle der 172 f.

§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

sondern es sind die gerichtlich festgestellten Fragen zu verlesen 2 5 . Das Recht der Einwendung und des Antrags besteht den entworfenen Fragen gegenüber. Beschliefst das Gericht, von Befragung der Geschworenen überhaupt abzusehen, wegen fehlender Prozefsvoraussetzung einzustellen, wegen feststehender Verjährung freizusprechen, so ist damit die Einwirkung der Prozefsbeteiligten auf die Befragung elidiert. Ein etwaiger Antrag auf Vorlegung der Schuldfragen bedürfte besonderer Abweisung nicht, er wäre mit dem einstellenden, freisprechenden Dekret erledigt. Zu Einwendung und Antrag fehlt einem Angeklagten die Legitimation, wenn die betreffenden Fragen nicht auf ihn, sondern lediglich auf einen Mitangeklagten sich beziehen 26 . In solchem Falle ist Fragenfeststellung nicht veranlafst, aber Fragenänderung von Amtswegen durch den Legitimationsmangel natürlich nicht ausgeschlossen. Ausdrückliche Abweisung der nicht legitimierten Einwendung usw. ist immer am Platze. Dafs ein Angeklagter durch die den Komplizen betreffenden Fragen indirekt mit berührt sein kann, indem deren Erledigung nach Umständen für ihn präjudiziell wird, genügt nicht zur Anerkennung eines Entscheidungsanspruchs auch insoweit. Die Parteirechte von Mitangeklagten stehen selbständig nebeneinander, zu Eingriffen in die Nachbarsphäre fehlt die Legitimation. Bei gleichartigen und korrespondierenden Fragen für Mitangeklagte bedingt die Änderung der einen (der Anstifter-, Mittäter- usw.-Frage) im Interesse einheitlichen, erschöpfenden, widerspruchsfreien Verdikts öfters Gleiches für eine andere Frage (Täter-, Mittäter- usw.-Frage). Aber kraft richterlicher Amtspflicht, nicht eines Entscheidungsanspruchs des Antragstellers, der die erste Änderung erwirkt hatte. Das Recht des Verteidigers zu Einwendung und Antrag besteht in Konkurrenz mit dem Rechte des Angeklagten 27 . 25 Nicht korrekt L ö w e - H e l l w e g zu § 291 Bern. 1; v. K r i e s S. 605 (der Vorsitzende setze so einen neuen Entwurf an die Stelle des bemängelten; aber die Bemängelung bezielt nicht einen neuen Entwurf, sondern Feststellung); S t e n g l e i n zu § !291 Bern. 2; ν. Β o m h a r d - K o l l e r zu § 291 Bern.2; D a l c k e das. Bern. 1; K e l l e r zu § 291 Bern. 1; D a l c k e , Fragestellung S.8; v . L i l i e n t h a l , Strafprozefsrecht in Birkmeyers Enzykl. S. 51. Richtig T h i l o zu § 291 Bern. 3. -β Vgl. RG 1. Str.-S. R. IV S. 524 f. Eine teilweise Modifikation tritt im Berichtigungsverfahren ein. S. darüber unten § 56 sub II. 27 So auch K ö h l e r , Ger.-Saal Bd. 53 S. 258. Α. A. G l a s e r I I S. 247

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§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Vor der Beschlufsfassung über eine Einwendung oder einen Antrag sind die übrigen Prozefsbeteiligten zu hören. Dafs auch ein Verdiktszusatz — eine dem Spruch hinzugefügte ungefragte Feststellung — als Antrag auf entsprechende Befragung wirken kann, wird später darzulegen sein 28 . IV. Weder Verlesung unter konkludenter Billigung der beisitzenden Richter, noch Feststellung der Fragen ist für das Gericht in dem Sinne präklusiv, dafs nicht von Amts wegen eine Änderung der Fragen noch erfolgen könnte. Eine solche Änderung kann auch in der Wiederherstellung des ursprüuglichen, durch Feststellungsbeschlufs geänderten Fragmodus bestehen29. Denn dieser Beschlufs ist widerruflich. Erst die endgültige Fragenbestimmung — als ein das Gericht, die Geschworenen und die Parteien bindender Vorentscheid über die Verhandlungsergebnisse — hat Urteilscharakter 80 . Einwendungen und Anträge, auf welche hin die frühere Feststellung ergangen war, können nach späterer Änderung im gegenteiligen Sinne nicht abermals vorgebracht werden, um wiederholte Abänderung gemäfs der ältern Entscheidung zu erwirken. Sie sind und bleiben durch die darüber getroffene jetzt geänderte Entscheidung erledigt. Änderung eines Feststellungsbeschlusses steht nicht dem Vorsitzenden allein, sondern nur dem Kollegium zu. Würden freilich die beisitzenden Richter es geschehen lassen, dafs der Vorsitzende nach einseitiger Abänderung die betreffenden Fragen wie festgestellte zur Verlesung brächte, so bliebe der prozessuale Verstofs unerkennbar. Im übrigen, soweit Feststellung nicht vorangegangen war, gelten einseitige Ergänzungen und Abänderungen des ursprünglichen Entwurfes durch den Vorsitzenden als gebilligt bei konkludentem Schweigen der Beisitzer auf die Verlesung des neuen Entwurfs hin. Anm. 47 : dem Verteidiger stehe beim Widerspruch des Angeklagten der Antrag auf Hilfs- oder Nebenfragen nicht zu. Für das österreichische Recht nimmt auch G l a s e r selbständige Befugnis des Verteidigers an, weil hier die Stellung der Fragen nicht vom Antrage, sondern von der Behauptung entsprechender Tatsachen abhängig sei (§ 320: Sind Tatsachen b e h a u p t e t worden, wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele , so sind entsprechende Fragen an die Geschworenen — Hilfsfragen usw. — zu stellen). 28 Vgl. unten § 47 sub I I I 2. 29 E i n Beispiel in RG E. Bd. 26 S. 33 f. 30 Vgl. unten § 43.

§ 41. Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Fragenänderung von Amts wegen bedingt immer Neuverlesung der betroffenen Fragen. V. Unabänderlich werden die gestellten Fragen erst mit dem Beginne der Kundgebung des Wahrspruchs, sofern nicht das Verdikt wegen sachlicher Mängel der Berichtigung bedarf 31 . Der Urteilscharakter des Verdikts bringt notwendig diese Präklusion mit sich. Bis dahin können die Prozefsbeteiligten Einwendungen und Anträge noch nachbringen und auch ex officio Änderungen noch getroffen werden. Dafs die Beratung der Geschworenen bereits begonnen hatte, steht einer Änderung der Fragen — auf Antrag oder von Amts wegen — nicht entgegen82. Die Geschworenen sind in diesem Falle aus dem Beratungszimmer zurückzurufen und haben bei dem Zusammenhang der Schuldfeststellungen untereinander über alle Fragen neu zu beraten, können aber, soweit nicht dadurch ein Widerspruch entsteht, die beschlossenen Antworten beibehalten. Einen speziellen Fall nachträglicher Änderung sieht das Gesetz im § 306 ausdrücklich vor: eine von den Geschworenen vor Abgabe des Wahrspruches erbetene weitere Belehrung ergibt Anlafs zur Änderung oder Ergänzung der Fragen. Bei nur formellen Mängeln des Spruchs darf eine sachliche Änderung desselben nicht vorgenommen werden, § 310, womit auch Änderung der Befragung ausgeschlossen ist. Dagegen kann die Erörterung sachlicher Mängel zur Änderung oder Ergänzung der Fragen führen, § 311. Das Gericht darf, wenn der Obmann der Geschworenen zur 31

Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei Z a c k e , Fragestellung S. 11, bei Oppenhoff 17, 17 u. 788; RG 3. Str.-S. E. Bd. 7 S. 345 f., 1. Str.-S. E. Bd. 11 S. 168 f., Fer.-S. R. V I I S. 497 f., 4. Str.-S. R X S. 351 u. E. Bd. 30 S. 403 f., 1. Str.-S. E. Bd. 33 S. 139f. Ebenso G e y e r S.748; L ö w e - H e l l w e g zu § 291 Bern. 5a; H. M e y e r in v. Holtzend. Handb. I I S. 137 usw. Die V e r k ü n d u n g an den Angeklagten gemäfs § 313 läfst P u c h e l t zu §§ 290, 291 Bern. 7 entscheiden. Dagegen bereits v. B a r , Recht und Beweis S. 273; Z a c k e , Fragestellung S. 11. Schon mit der K u n d g e b u n g wird der Wahrspruch, das Geschworenenurteil, Prozefstatsache, eine Verschiebung der Urteilsgrundlagen ist daher nur noch in dem Falle möglich, dafs es einer sachlichen Berichtigung des Wahrspruchs bedarf. v. B a r , Recht und Beweis S. 270 will eine Ausnahme dann eintreten lassen, wenn nach den Umständen eine Frage nach Strafausschliefeungs- oder Milderungsgründen „dringend" indiziert sei, hier müsse noch nach Abgabe des Verdikts die Frage gestellt werden. 32 Vgl. auch G l a s e r , Berichtigung des Wahrspruchs, in v. Holtz. Rechtslex. I S. 304. B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Kundgebung des Spruchs das Wort erhalten hat, diese nicht unterbrechen, um Fragen noch nachzubringen oder zu ändern 38 . Noch weniger stände das einer Partei zu 3 4 . Nach Beendigung der Publikation ist Fragenergänzung usw. nur unter den Voraussetzungen und in den Formen des Sachberichtigungsverfahrens noch zulässig. Es dürfen nach Kundgebung eines fehlerfreien Spruchs nicht Hilfsfragen, Nebenfragen, z. B. nicht bei teilweiser Verneinung der Hauptfrage (der Überlegung bei vorsätzlicher Tötung usw.) die nun erhebliche Frage nach mildernden Umständen, noch nachgebracht werden 85 . Das Gericht hat insbesondere die Eventualität teilweiser Fragenverneinung gleich anfangs ins Auge zu fassen und, soweit es clie Sachlage erfordert, in der Fragenstellung mit zu berücksichtigen. Sollten — bei einer grofsen Zahl von Delikten oder von Angeklagten — Hauptfragen vergessen worden sein 36 , so müfsten sie, so lange die Geschworenenbank noch konstituiert wäre, unbedingt noch nachgeholt werden. Denn das Gericht ist zur Erledigung aller bei ihm erhobenen Strafansprüche verpflichtet. Die Funktion der Geschworenenbank endet erst mit der Publikation des Urteils. Es hat daher, wenn der Mangel einer Hauptfrage vor der Urteilsverkündigung entdeckt wird, nachträgliche Befragung der Geschworenen wegen der vergessenen Anklage stattzufinden, wobei nach Bedarf auch Hilfsfrage, Nebenfrage anzuschliefsen ist 3 7 . Ein solches Verfahren entspricht allerdings nicht der Prozefsordnung, aber noch viel weniger würde ihr, nachdem einmal das Versehen untergelaufen ist, einfache Nichterfüllung der Urteilspflicht entsprechen. Tritt der Mangel erst nach Verkündigung des Urteils, jedoch innerhalb der Frist des § 228 StPO zutage, so mufs versucht 33 D a l c k e , Fragestellung S. 12, scheint dem Gerichte eine solche Befugnis einzuräumen. Dagegen Z a c k e S. 12, preufs. Ob.-Trib. bei Goltd. Bd. 13 S. 105. 84 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f V S. 326: der Verteidiger beantragte den Obmann unterbrechend Nebenfrage wegen mildernder Umstände. 35 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 14, 543; RG 4. Str.-S. E. Bd. 16 S. 126 f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 291 Bern. 5a; B e n n e c k e - B e l i n g S. 546. A. A. M e v e s in Goltd. Bd. 35 S. 400, der neue Fragen bis zur Urteilsverkündung zulassen will. 36 Vgl. zum folgenden O e t k e r im Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 246. 37 Über eine analoge Prozefssituation — nachträgliche Rückfallsannahme durch das Gericht, wobei nun die Frage nach mildernden Umständen erheblich wird — vgl. oben S. 222 f.

§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

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werden, zum Zweck der Ergänzung des Urteils das Gericht und die Geschworenenbank in der früheren Besetzung zu rekonstituieren. Gelingt die Wiederheranziehung der früheren Geschworenen usw. nicht oder ist die Frist des § 228 schon verstrichen, so mufs über die vergessenen Anklagepunkte eine völlig neue Schwurgerichtsverhandlung stattfinden. Vor der neu zu bildenden Geschworenenbank erneuert sich notwendig das gesamte Be weis verfahren betreffs der von ihr abzuurteilenden Delikte usw. VI. Verlesung und Prüfung der Fragen kann immer nur in Gegenwart des Angeklagten, der zu Einwendung und Antrag berechtigt ist, stattfinden. Das Gesetz verlangt daher ausdrücklich, dafs der Angeklagte zur Verhandlung zugezogen werde, wenn sich bei Erteilung ergänzender Belehrung an die Geschworenen oder bei Erörterung sachlicher Mängel des Spruchs Anlafs zur Änderung oder Ergänzung der Fragen ergibt, §§ 306 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO. VII. Zur Berücksichtigung einer Einwendung, eines Antrags genügt, dafs die Willensmeinung des Urhebers erkennbar ist. Mangelhafte Formulierung schadet nicht. In dieser Beziehung besteht kein Unterschied zwischen Anträgen usw. des Staatsanwalts, Verteidigers und des Angeklagten selbst oder eines Geschworenen 38. Aber das Gericht wird dem rechtsverständigen Antragsteller gegenüber Differenzen zwischen Erklärung und Willen nicht zu unterstellen haben 89 und daher zur Ausübung des Fragrechts nicht in demselben Mafse veranlafst sein, wie beim Antrage usw. eines Geschworenen usw. VIII. Der Umfang der gerichtlichen Kognition gegenüber Anträgen der Beteiligten ist verschieden, jenachdem Änderung, Stellung oder Streichung einer Frage begehrt wird und jenachdem der Antrag eine Hauptfrage oder aber eine Hilfs- oder Nebenfrage betrifft. 1. Anträge auf blofse Abänderung einer Frage, mag diese Haupt-, Hilfs- oder Nebenfrage sein, stehen an sich immer unter den Grundsätzen des § 291. Das Gericht prüft, ob die begehrte Änderung rechtsnotwendig (Einfügung eines vergessenen gesetzlichen Tatmoments) oder aber zulässig und angemessen ist. Ein Rechtsgrund führt zur Ablehnung des Antrags beispielsweise, wenn ein abstraktes Deliktsmerkmal (Vorsatz usw.), das der 38

Unrichtig S t e n g l e i n zu § 296 Bern. 2. RG 3. Str.-S. E. Bd. 5 S. 327 f. steht dieser Ansicht keineswegs zur Seite. 39 Aus diesem Gesichtspunkte erklärt sich die RG Entscheidung in Anm. 38. 22*

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§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

Frage eingefügt werden soll, vom Gesetze in den Verbrechenstatbestand nicht aufgenommen ist oder gar dem Gesetze widerstreitet 40 , wenn ein konkretes Moment (eine bestimmte Manipulation usw.), dessen Aufnahme gewünscht wird, unter das gesetzliche Tatbestandsmerkmal (unzüchtige Handlung usw.) nicht subsumiert werden kann usw. Aus tatsächlichem Grunde wird ein Änderungsantrag usw. abgelehnt, wenn die Einfügung eines konkreten Tatumstandes die Schuldbeurteilung durch die Geschworenen vinkulieren könnte, die vielleicht in einem anderen individuellen Moment das gesetzliche Tatbestandsmerkmal finden würden, wenn umgekehrt einem Streichungsantrage zuwider dem Gericht die Beibehaltung eines konkreten Moments angemessen erscheint usw. In gleicher Weise vollzieht sich die gerichtliche Prüfung gegenüber blofser Einwendung (ohne Antrag). Betrifft der Änderungsantrag Aufnahme eines Qualifikationsoder Privilegierungsgrundes in die Frage, so kommt modifizierend die beschränkende Vorschrift des § 296 in Betracht, wonach lediglich Rechtsgründe zur Ablehnung der gewünschten Befragung berechtigen. Bei der Lehre von den Hilfs- und Nebenfragen ist näher darauf einzugehen. 2. Anträge auf S t e l l u n g e i n e r H a u p t f r a g e werden dem Gericht nur selten vorliegen. Der Antrag hat Erfolg, wenn beispielsweise das Gericht bei einer grofsen Zahl von Anklagepunkten oder Angeklagten ein Delikt oder einen Angeklagten in der Befragung vergessen haben sollte 41 . Oder es war unter den Voraussetzungen des § 265 StPO beantragt worden, die Aburteilung auf eine weitere erst im Laufe der Hauptverhandlung inkriminierte Tat zu erstrecken, das Gericht hat aber trotz seines Einverständnisses mit dem Antrag die entsprechende Frage zu stellen versäumt usw. Da die Fragestellung den Eröffnungsbeschlufs erschöpfen mufs, wie auch die Verhandluugsergebnisse sich gestaltet haben mögen, so ist die Ablehnung einer nach dem Beschlufs zu stellenden Hauptfrage nicht möglich. Würde aber ein bezüglicher Antrag abgewiesen, weil der Beschlufs auf die vom Antragsteller genannte Tat oder Person sich nicht erstrecke, so wäre das Ablehnung aus einem Rechtsgrunde, wegen prozessualer Unzulässigkeit. Anträge auf Stellung oder Streichung einer Hauptfrage sind — ab40 41

Ein Beispiel in Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 7 S. 43 f. Vgl. auch B e n n e c k e - B e l i n g S. 545.

§ 41. Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

gesehen von dem besonderen Falle des § 265 StPO — gerechtfertigt oder nicht je nach Lage des Eröffnungsbeschlusses und demnach begrifflich aus faktischem Grunde niemals ablehnbar. Anders steht es mit Anträgen auf Hauptfragen gemäfs dem zitierten § 265 StPO. Das freie Ermessen des Gerichts entscheidet darüber, ob der Gegenstand der Aburteilung im Sinne dieses Paragraphen erweitert werden soll oder nicht. Auch ein formulierter Beschlufs, durch den das Gericht entsprechend dem staatsanwaltschaftlichen Antrag die Verhandlung auf die weitere Tat erstreckt hätte, wäre noch widerruflich 42 . Das Gericht hat nach Gründen der prozessualen Zweckmäfsigkeit die Verbindung und damit die entsprechende Hauptfrage zu beschliefsen oder zu versagen. Der Antrag, den Realkonkurrenzfragen die Selbständigkeitsfrage („Ergänzungs-Hauptfrage") hinzuzufügen, ist zu behandeln wie Antrag auf Abänderung einer Frage. Es gilt § 291. Anträge auf S t e l l u n g v o n H i l f s - oder N e b e n f r a g e n können nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 296 nur aus Rechtsgründen abgewiesen werden. Das gilt auch für Anträge auf mildernde Umstände, § 297. Aber es gilt nicht auch für Anträge auf S t r e i c h u n g von Hilfs- oder Nebenfragen. Das Gericht hat in dieser Hinsicht grundsätzlich freie Hand und daher nicht nur die rechtliche Zuläfsigkeit, sondern auch die Angemessenheit des Antrags zu prüfen. Eine Hilfs- usw. -Frage kann unzulässig sein, weil sie eine Klagänderung, eine reformatio in pejus usw. enthält; in solchem Falle wäre sie auch ohne Antrag aus einem Rechtsgrunde zu streichen. Aber es ist nicht der Antrag auf Streichung einer an sich zulässigen Frage nur aus Rechtsgründen ablehnbar. 3. Der Antragsteller braucht die von ihm begehrte Frage nicht unter eine bestimmte Fragenkategorie zu subsumieren. Es genügt, wenn der Tatbestand oder Tatumstand, auf den die Frage sich richten soll, erkennbar ist. Das Gericht hat dann zu prüfen, welche Fragenart, ob Hauptfrage oder Hilfsfrage, Hilfs- oder Nebenfrage in Betracht käme und danach über den Antrag zu entscheiden. In der Aufstellung einer Frage, welcher Kategorie immer, liegt eine dem Antragsteller günstige Entscheidung. Motivierte Ablehnung ist also nur notwendig, wenn überhaupt nicht gefragt wird. 4. Hat dagegen der Antragsteller ausdrücklich eine „Hilfs" 42

Vgl. O e t k e r , Strafprozefsbegründung und Strafklagerhebung S. 64 f.

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§ 41. Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

eine „Nebenu-Frage begehrt, so ist denkbar, dafs er gerade und allein eine Frage dieser Kategorie, eine anderweite Frage überhaupt nicht wünscht. In dubio aber, soweit gegenteiliger Wille nicht geäufsert wird, mufs angenommen werden, dafs der Antrag zwar zunächst auf eine Frage der betreffenden Kategorie, eventuell aber auch auf eine andersartige Frage des betreffenden Inhalts geht. Im ersteren Falle ist der Antrag damit erledigt, dafs das Gericht die gewünschte Kategorie für unanwendbar erklärt auf die begehrte Frage und aus diesem Grunde den Antrag abweist. Es kann aber zugleich von Amts wegen anläfslich des Antrags eine andersartige Frage, statt Nebenfrage z. B. eine Hilfsfrage, gestellt werden nach Prüfung ihrer rechtlichen Zulässigkeit und ihrer tatsächlichen Angemessenheit. Dagegen ist im zweiten Falle über einen Prinzipalantrag und einen weitern implicite gestellten Eventualantrag zu entscheiden. Korrekt ist ausdrückliche Abweisung des ersten Antrags, wenn clem letztern stattgegeben wird. Das Gericht hat in beiden Beziehungen nur das der bezüglichen Fragenkategorie entsprechende Mafs von Kognition, kann also die primär gewollte Hilfsfrage wie die eventuell gewünschte Nebenfrage nur aus Rechtsgründen ablehnen. 5. Antrag auf A b ä n d e r u n g einer Hilfs- oder Nebenfrage kann in Wahrheit Antrag auf S t e l l u n g einer anderweiten Hilfsoder Nebenfrage sein. Das ist der Fall, wenn der Antrag einen andern gesetzlichen Tatbestand oder Tatumstand betrifft als die schon formulierte Frage. Der vermeintliche Änderungsantrag ist dann der Sache nach Antrag, eine gewisse Frage nicht, dagegen eine andere zu stellen. In dubio kann nicht angenommen werden, dafs der letztere Antrag nur gestellt sein soll für den Fall, dafs der Streichungsantrag Erfolg hat. Doch mag sich Befragung des Antragstellers empfehlen. Der Streichungsantrag fällt unter § 291, der Antrag auf Fragenstellung dagegen unter § 296, so dafs seine Abweisung nur aus Rechtsgründen zulässig ist. Da es der ausdrücklichen Abweisung eines Streichungsantrags nicht bedarf, so genügt, wenn dem zweiten positiven Antrage, nicht aber zugleich dem Streichungsantrage stattgegeben wird, zur Bescheidung des Antragstellers die Aufstellung der entsprechenden Frage in Verbindung mit Feststellung cler vom Streichungsantrag betroffenen Frage. Sollte jedoch nach der Intention des Antragstellers der positive Antrag wirklich nur bei Erfolg des negativen, also eine eigent-

§ 41.

Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

liehe Fragensubstituierung gewollt sein, so wäre mit Ablehnung des ersten der zweite Antrag erledigt. Und die Abweisung brauchte wiederum nicht eine ausdrückliche zu sein, vielmehr wäre nach der Regel des § 291 Abs. 2 die kollegiale Feststellung der Frage dem Streichungsantrage gegenüber hinreichend. Antrag auf Ä n d e r u n g der Hauptfrage kann in Wahrheit die S t e l l u n g einer Hilfsfrage bezwecken43. Auch hier entscheidet nicht die inkorrekte Fassung, sondern die erkennbare Intention des Antrags. Abgesehen aber von den Fällen der qualifizierten Hilfsfrage kann niemals die Hauptfrage durch die Hilfsfrage verdrängt werden. Sollte dem zuwider Streichung der Hauptfrage und nur für diesen Fall die Stellung der Hilfsfrage beabsichtigt sein, so wäre der Antrag als in sich verkehrt abzuweisen. Liegt dagegen die H i n z u f ü g u n g einer Hilfsfrage im Sinne des Antrags, so mufs diesem stattgegeben werden, sofern nicht Rechtsgründe entgegenstehen. IX. Wird einem Antrage auf Fragenstellung stattgegeben, so bleibt doch die Fragenfassung Gerichtssache. Inhaltliche Änderung aber, wodurch die Frage auf einen andern als den vom Antragsteller gewollten gesetzlichen Tatbestand oder Tatumstand gerichtet würde, wäre nicht mehr blofse Formulierung. Die dem Gericht zustehende Fragenfassung kann zur Teilung in mehrere Fragen führen. Es wird z. B. aus dem Stoffe der begehrten Hilfsfrage auf qualifiziertes Delikt eine Hilfsfrage auf einfaches Delikt mit Nebenfrage wegen des Qualifikationsgrundes gebildet. X. Die Verlesung und Prüfung der Fragen geschieht einheitlich für alle Anklagepunkte, nicht sukzessive nach Angeklagten, inkriminierten Delikten desselben Angeklagten. Denn das Gesetz sieht auch in einem entsprechend zusammengesetzten Geschworenenspruch eine Einheit, so dafs im Falle eines Spruchmangels die Geschworenen das Verdikt auch in mangelfrei befundenen Punkten noch ändern können (§ 311 StPO). Demgemäfs mufs auch das Prüfungsverfahren sich einheitlich entwickeln, die gegenseitige Beziehung aller Schuldfragen dabei zu ihrem Rechte kommen. XI. Die Fragen in ihrer mafsgebenden Gestalt, d. h. die vom Vorsitzenden entworfenen von keiner Seite bemängelten oder die gerichtlich festgestellten Fragen werden vom Vorsitzenden unterschrieben und den Geschworenen übergeben, § 301 StPO. Nur 43

Vgl. auch RG 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 69.

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§ 41. Der Gang des Verfahrens.

Einwendungen und Anträge.

dieser Unterschrift 44 , nicht auch der Niederschrift 45 der Fragen durch den Vorsitzenden bedarf es; die letztere kann vom Gerichtsschreiber, einem beisitzenden Richter bewirkt werden. Die Unterschrift des Vorsitzenden ist amtliches Zeugnis der Authentizität des Fragebogens, seiner Übereinstimmung mit den verlesenen, festgestellten Fragen 46 . X I I . Das Fragenfeststellungsverfahren des Gesetzes ist unverkennbar in mehrfacher Hinsicht reformbedürftig 47 . Ein Hauptmangel liegt darin, dafs eine gemeinsame Beratung der Geschworenen über die vom Vorsitzenden entworfenen Fragen nicht vorgesehen ist, Einwendungen und Anträge nur den einzelnen Geschworenen — ohne vorherige Verständigung mit den Genossen —, nicht dem Geschworenenkollegium zustehen. Erst bei der Beratung des Wahrspruchs sind die Geschworenen organisiert ; stellen sie aber nunmehr noch Anträge auf Fragenänderung, so wird damit das Verfahren in ein früheres Stadium zurückversetzt. Die abschriftliche Mitteilung der entworfenen Fragen an die Geschworenen, § 290 Abs. 2 StPO, müfste obligatorisch sein und es wäre zur Ermöglichung gemeinsamer Geschworenenberatung in jedem Falle — nicht nur auf besonderes Verlangen hin, § 290 Abs. 3 — die Verhandlung zu unterbrechen 48 . Eine wesentliche Verbesserung würde ferner sein, wenn nach separater Beratung der Geschworenen und nach Anhörung der Parteien zur Fragestellung eine gemeinsame Beratung der Richter und der Geschworenen über die Befragung stattfände. Einem Mifsverständnis der Fragen durch die Geschworenen und nachträglichen Änderungsanträgen anläfslich der Verdiktsberatung, womit stets Verzögerung und Komplizierung der Verhandlung verbunden ist, würde so wirksam vorgebeugt. Der E n t s c h e i d über die Fragenfassung wäre dem Gericht zu belassen, in der vorgängigen Beratung mit den Geschworenen aber die Gewähr gegeben, dafs deren Auffassungen und Wünsche betreffs der Fragenstellung zu ungehindertem Ausdruck kämen. Während zurzeit das Gericht für Stellung oder NichtStellung von Hilfsfragen auf Mutmafsungen über die präsumtive Schuldauffassung der Geschworenen angewiesen 44

Vgl. für den Fall des Fehlens der Unterschrift unten § 52. Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 13, 445. 46 Vgl. dazu unten § 48 I. 47 Vgl. zum folgenden O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65 S. 334f., Bd. 68 S. 104f. 48 Übereinstimmend K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte und Schöffengerichte I S. 18. 45

§ 42.

Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

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ist, böte die Beratung mit diesen die Gelegenheit, das Befragungsbedürfnis weit besser zu beurteilen. Die Nötigung, Hilfs- und Nebenfragen auf Antrag der Geschworenen oder eines Geschworenen oder einer Partei zu stellen, falls nicht Rechtsgründe entgegenstehen, mufs bleiben. Dagegen wäre die Hauptfrage zugunsten der Hilfsfrage dann zu streichen, wenn Gericht und Geschworene dahin einverstanden sind und keine der Parteien widerspricht 49 . Die Klagbesserung würde sich dann insofern schon in der Befragung und nicht erst durch den Geschworenenspruch vollziehen. § 42. A n t r ä g e auf H i l f s - oder N e b e n f r a g e insbesondere. Diese Anträge erfordern im Hinblick auf die Spezialvorschrift des § 296 eine besondere Betrachtung: sie dürfen nur aus „Rechtsgründen" abgelehnt werden. Gleiches für Hauptfragen auszusprechen, wäre überflüssig gewesen, da sie durch den Eröffnungsbeschlufs bestimmt werden, die Nichtsteilung einer hiernach gebotenen Frage einen prozessualen Verstofs ergeben, für die Ablehnung eines weitergehenden Antrags aber — abgesehen vom Falle einer ProzefserWeiterung gemäfs § 265 — nur ein ganz bestimmter Rechtsgrund, der Hinweis auf den Eröffnungsbeschlufs, mafsgebend sein würde. Qualifizierte Hilfsfragen stehen in Anwendung des § 296 durchaus den einfachen Hilfsfragen gleich. Geht z. B. der Eröffnungsbeschlufs auf Totschlag, so darf der Antrag, den Geschworenen die Mordfrage, also eine qualifizierte Hilfsfrage, vorzulegen, auch nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden. Das gleiche gilt, wenn die Mitberücksichtigung einer strafgesetzlichen Tatbestandsgestalt beantragt wird, die alternativ mit der Annahme des Eröffnungsbeschlusses erfragt werden kann: die nun alternativ zu fassende Frage ist qualifizierte Hilfsfrage gegenüber der nur das eine Glied der Alternative enthaltenden Hauptfrage gemäfs dem Eröffnungsbeschlusse 1. Es kann nicht darauf ankommen, ob eine Hilfsfrage die Hauptfrage ersetzt oder neben ihr zu stellen ist. Die Bestimmung des § 296 ist durch die Erwägung begründet, dafs die gesamte Schuldfrage der Jury gebührt und es daher dem 49

G l a s e r , Fragestellung S. 891, hält dieses Verfahren — m. E. mit Unrecht — schon de lege lata für zulässig. 1 Vgl. oben S. 292 f.

§ 42.

346

Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

Gerichte nicht freistehen darf, die Schuldbeurteilung durch die Geschworenen entgegen den Anträgen der Beteiligten· (einschliefslich der Geschworenen) zu beschränken 2. Verletzung des § 296 begründet die Revision 3 . Das Gesetz hat im § 296 nicht f o r m e l l e Abweisungsgründe im Auge, die sich schon nach allgemeinen Prinzipien ergeben: wegen verspäteten Vorbringens 4 ; wenn der Antrag so undeutlich ist, dafs das Gericht nicht zu eruieren vermag, was gefragt werden soll; wegen Identität der Hilfsfrage mit der Hauptfrage, 2

Vgl. Mot. S. 176. Im gleichen Sinne bereits G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen S. 51 f. Die meisten früheren deutschen Gesetze (anders Bad. 1864 §§ 277—280; Braunschw. 1849 § 140; Thür. 1850 Art. 287; Hamb. 1869 § 211: „geeignetenfalls", also nach Ermessen des Gerichts, dem damit auch die tatsächliche Prüfung und somit ein Vorentscheid zur Schuldfrage zufiel) enthielten den gleichen Grundsatz für Zusatzfragen, während Eventualfragen nur nach Sachsen 1868 §§ 63, 64, Hessen 1865 Art. 368, 370 (in beiden Gesetzen mit Beschränkungen), Württemberg 1868 Art. 365, 368 N. 2, 369 entsprechend behandelt wurden. Vgl. näher Anl. 5 zu den Mot. S. 205 f. Voraussetzung war Parteiantrag. Ebenso nach dem Entwurf § 254. Die Gleichstellung des Geschworenenantrags ist von der Reichs.justizkommission Prot. S. 464 beschlossen worden. Nach art. 339 code d'instr. müssen die Fragen auf gesetzlich anerkannte faits d'excuse, wenn sich der Angeklagte auf einen solchen Umstand berufen hat, bei Strafe der Nichtigkeit gestellt werden (vgl. dazu oben S. 187 Anm. 10), ohne dafs zu prüfen ist, ob die Verhandlung die tatsächlichen Voraussetzungen dafür geliefert hat. Vgl. die Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 337 nr. 351 (v. 9. Dez. 1898), art. 339 nr. 7 f. Doch kann auch der Staatsanwalt die Frage anregen. Eine Pflicht, sie von Amtswegen zu stellen, besteht nicht. Österr. §§ 319, 322, 323 Abs. 3, 320 verpflichtet zur Stellung begehrter Zusatzund Eventualfragen (im letzteren Falle bei Anwendbarkeit schwereren Strafgesetzes mit Zustimmung des Angeklagten), wenn nicht Rechtsgründe entgegenstehen. I n den Fällen der §§ 319 (Zusatzfrage auf Schuld-, Strafausschliefsungsgründe, Strafaufhebungsgründe), 322 (Zusatzfrage auf Erschwerungs-, Milderungsgründe), 320 (Eventualfragen) bedarf's nicht einmal förmlichen Antrags, es genügt die Behauptung des entsprechenden Verhältnisses ; dagegen wird bei § 323 Abs. 3 (Zusatzfragen, welche ein in die Frage aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückführen sollen) ein Fragverlangen erfordert. Vgl. dazu U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 656 f., 660. 3 Der Revision wegen Ablehnung beantragter Hilfsfrage steht nicht entgegen, dafs die Geschworenen die Hauptfrage bejaht haben, wie preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 17 S. 25 angenommen hat. Denn die Geschworenen mufsten vor die Alternative Hauptfrage — Hilfsfrage gestellt werden. 4 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. X I S. 168 f., 4. Str.S. E. Bd. X V I S. 126 f. und oben § 41 sub V.

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

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indem schon diese auf den vom Antragsteller gemeinten gesetzlichen Tatbestand geht ; wegen fehlender Legitimation des Antragstellers, der eine Frage vorgeschlagen hat, die nicht ihn, sondern einen andern Prozefsbeteiligten (einen Mitangeklagten) betrifft 5 usw. Die Legitimationsfrage speziell bedarf in einer Beziehung der Prüfung. Es wird vielfach behauptet, ein Angeklagter könne nicht Hilfs- und Nebenfragen beantragen, die für ihn erhöhte Strafbarkeit begründen würden 6. Das wäre aber nur zutreffend, wenn die Stellung einer solchen Frage dem Verteidigungsinteresse schlechthin nicht dienen könnte. Gewifs ist die Legitimation des Angeklagten nicht schon durch die Erwägung gegeben, dafs ein aufrichtig Reuiger wünschen mag, die volle ihm gebührende Strafe zur Sühne der Tat zu erhalten. Denn dieses Streben kann er nur durch rückhaltloses Geständnis betätigen, während er die Beurteilung der Tat an sich dem Gericht zu überlassen hat. Nur das Verteidigungsinteresse vermag ihn zum Antrage auf Fragestellung zu legitimieren. Aber es ist nicht undenkbar — wenn auch meist nicht gerade wahrscheinlich —, dafs die Nötigung der Geschworenen, den Tatbestand auch von den mit straferhöhender Hilfs- oder Nebenfrage gegebenen Gesichtspunkten aus zu würdigen, dem Interesse der Verteidigung dienen kann 7 . Ob dies in concreto wirklich der Fall ist, hat der Angeklagte — auf eigene Gefahr hin — zu beurteilen. Ganz zweifellos ist jedenfalls sein Recht, eine besondere Nebenfrage dann zu begehren, wenn ein strafschärfender Umstand in die Hauptfrage mit aufgenommen wurde. Die m a t e r i e l l e n , d. h. aus Prüfung des Fraginhalts sich ergebenden Abweisungsgründe dürfen nach § 296 nur Rechtsgründe sein. In dieser Ausdrucksweise liegt ein Anklang an die Scheidung von Tat- und Rechtsfrage. Es ist nachdrücklich zu konstatieren, 5

Vgl. RG 1. Str.-S. R. I V S. 524 f. Die preufsische Praxis versagte ohne gesetzlichen Anhalt (ja im Widerspruch mit der allgemeinen Fassung des Art. 87 des Ges. v. 3. Mai 1852) dem Angeklagten den Antrag auf Hilfsfrage überhaupt, aus dem nicht zutreffenden Grunde, dafs er an einer Prüfung der Tat aus anderem strafrechtlichen Gesichtspunkte nicht interessiert sei, Z a c k e , Fragestellung S. 30. Gegen diese Erwägung vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 3 S. 67 f. L ö w e - H e i l weg zu § 296 Bern. 5; v. K r i e s S. 619 schliefsen straferhöhende Hilfs- und jSiebenfragen von der Befugnis des Angeklagten aus. 7 Die Geschworenen kommen vielleicht zu dem Ergebnis, dafs das s c h w e r e r e Delikt, dessen objektiven Tatbestand sie für feststehend erachten, dem A n g e k l a g t e n nicht zugetraut werden könne, ein anderer der Täter sein müsse. 6

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§ 42.

Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

dafs aus e i n e m bestimmten Rechtsgrunde, wegen Nichtsubsumierbarkeit des fraglichen konkreten Tatbestandes oder Tatumstandes unter das vom Antragsteller gemeinte Strafgesetz n i c h t abgewiesen werden kann 8 . Denn das Gericht ist dem Antrage gegenüber zur Feststellung einer konkreten Tatgestaltung nicht befugt und zur Prüfung der Subsumierbarkeit unter den gesetzlichen Tatbestand oder Tatumstand auch hypothetisch nicht in der Lage. Der Antragsteller braucht konkrete Momente, die er bei seinem Antrag im Auge hat, überhaupt nicht anzuführen 9, und etwaige derartige Angaben würden unverbindlich sein, indem die Geschworenen in anderen Tatumständen die gesetzlichen Merkmale finden könnten. Das Bedenkliche dieser Rechtslage ist freilich unverkennbar: Das Gericht mufs auf Verlangen Hilfs- und Nebenfragen stellen, für die jeder tatsächliche Anhaltspunkt fehlt. Ja, selbst Fragen auf solche Umstände können dem Gericht abgenötigt werden, deren Gegenteil notorisch ist, z. B. bei einer Anklage wegen Depotunterschlagung die Frage aus § 11 des Depotgesetzes v. 5. Juli 1896, obwohl Konkurs über das Vermögen des angeklagten Kaufmanns zweifellos nicht eröffnet worden ist 1 0 . Denn auch die Frage der 8 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. I S. 423f.; 3. Str.-S. E. Bd. 8 S. 222f.; 3. Str.-S. R. I V S. 484; 1. Str.-S. R. I X S. 478 f.; D a l c k e , Fragestellung S. 10. A. A. G l a s e r , Fragestellung S. 890, 903; RG 1. Str.-S. E. Bd. 18 S. 337 f. Das Gericht braucht die konkreten Tatumstände in die Frage nicht aufzunehmen; geschieht das aber und die Geschworenen bejahen, während nach Ansicht des Gerichts die Subsumtion unrichtig ist, so ist nicht die Antwort in sich widersprechend, sie kommt aber, weil die abschliefsende Subsumtionsprüfung dem Gericht zufällt, in ihrer Wirkung dem Nein gleich, vgl. unten § 66. 9 Abweichend G l a s e r , Fragestellung S. 905, der sich für Ablehnung tatsächlich nicht substantiierter Anträge ausspricht. In G l a s e r s Sinne die Rechtsprechung des österr. Kass.-Hofs, vgl. E. v. 20. Dez. 1879 Samml. Bd. 3 S. 128 f., v. 29. Mai 1880 Bd. 3 S. 255 f., v. 10. März 1882 Bd. 5 S. 76f., v. 19. Dez. 1885 Bd. 8 S. 244 f. Das österr. Gesetz, §§ 319, 320 („ist behauptet worden, dafs eine Tatsache eingetreten sei"; „sind Tatsachen behauptet worden, vermöge welcher" usw.), läfst allerdings diese Auffassung zu, für das deutsche Recht aber ist sie nicht haltbar. 10 Gemeinsame Beratung des Gerichts und der Geschworenen über die Befragung ist, auch wenn den Parteien das Recht auf — tatsächlich nicht veranlafste — Hilfs- usw. -Frage bleibt, wohl geeignet, Irrungen der Geschworenen betreffs solcher Fragen entgegenzuwirken. Selbstverständlich darf nur über die Fragen, nicht auch über die Antworten debattiert werden. Aber bereits die Konstatierung, dafs die Frage wegen des formellen Rechts der Partei ohne Rücksicht auf das Yerliandlungsergebnis gestellt werden müsse, wirkt klärend.

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

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Notorietät steht zur Beurteilung der Geschworenen. Gegen Schuldigsprechung im Widerspruch mit notorischer Sachlage hätte das Gericht das Schutzmittel der Verdiktsaufhebung nach § 317 StPO. Schuldverneinung und Annahme geringerer Schuld unterliegen trotz gleichen Fehlers dieser Remedur nicht. I. B e d e u t u n g des § 298 f ü r H i l f s f r a g e n . Der Hilfsfrage steht ein Rechtsgrund entgegen, wenn sie entweder in sich gesetzwidrig wäre oder eine ihr entsprechende Schuldfeststellung aus prozessualem oder materiellrechtlichem Grunde unzulässig sein würde 11 . 1. Die begehrte Hilfsfrage ist nicht abzulehnen, weil die vom Antragsteller angeführten konkreten Umstände aus der Verhandlung sich nicht ergeben hätten; nicht, weil sie unter den von ihm genannten oder doch gemeinten gesetzlichen Tatbestand nicht subsumierbar seien; wohl, wenn ein solcher Tatbestand nur in der Einbildung des Antragstellers, nicht aber in Wirklichkeit existiert 12 . Zur Anwendung der Strafgesetze, nicht zu einer in sich nichtigen Ergänzung derselben sollen die Geschworenen durch die Schuldfragen angeregt werden. Übrigens braucht im Antrage nicht auf einen gesetzlichen Tatbestand hingewiesen zu werden, auch indirekt nicht; es kann dem Gerichte überlassen werden, das zutreffende Strafgesetz zu finden, nur mufs natürlich in diesem Falle erkennbar sein, welche Verhandlungsumstände gemeint sind , da sonst der Antrag völlig undeutlich sein würde. Das Gericht ist hier vom Antragsteller selbst aufgefordert, die Subsumtionsmöglichkeit zu prüfen, und verwirft, wenn solche von ihm nicht angenommen wird, die Frage aus einem Rechtsgrund, als gesetzlich nicht qualifizierbar. Ähnlich, wenn der Antragsteller zur Charakterisierung der von ihm angeführten Tatumstände direkt oder indirekt auf mehrere gesetzliche Tatbestände hiogewiesen hat, nicht kumulativ, vielmehr dem Gerichte die Wahl des zutreffenden überlassend. Da ein auf einen bestimmten Gesetzestatbestand gerichteter Antrag nicht vorliegt, so hat notwendig das Gericht die Anwendbarkeit des Strafgesetzes zu prüfen. Die Subsumtion ist immer dann Gerichtssache, wenn 11 Vgl. auch v. K r i e s S. 618, der jedoch den Kreis der Ablehnungsgründe zu eng zieht. 12 Ein Beispiel für einen Antrag auf einen mit dem angegebenen Inhalt nicht bestehenden Deliktstatbestand in RG Entsch. Bd. 5 S. 328. Vgl. analoge Fälle in Entsch. des österr. Kass.-Hof Bd. 1 S. 22 f., Bd. 3 S. 356 f.

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§ 42.

Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

nicht schon der Antragsteller in der begehrten Frage, ausdrücklich oder implicite, subsumiert hat. Die nach Ansicht des Gerichts nicht subsumierbare Frage ist in solchen Fällen abzuweisen. 2. Eine Hilfsfrage ist prozessual unzulässig, wenn sie auf einen Tatbestand geht, dessen Aburteilung dem Gerichte nicht zusteht. Das trifft namentlich in drei Beziehungen zu 1 8 . a. Hilfsfragen dürfen nur klagbessernd wirken, nicht aber Klagänderung enthalten. Es ist abzulehnen, eine Hilfsfrage, welche eine andere Tat als die des Eröffnungsbeschlusses betreffen würde 14 . Nur eine andere Gestaltung des individuell gleichen Faktums ist möglicher Gegenstand einer Hilfsfrage. b. Unstatthaft ist Hilfsfrage auf ein Antragsdelikt bei nicht gestelltem Antrage. Die prozessuale Vorfrage, ob Antrag gestellt worden ist oder nicht, unterliegt der ausschliefslichen Prüfung des Gerichts. Nach § 259 Abs. 2 ist das Verfahren e i n z u s t e l l e n , wenn bei einer nur auf Antrag zu verfolgenden strafbaren Handlung sich ergibt, dafs der erforderliche Antrag nicht vorliegt. Allerdings kann ein Antragsdelikt bei teilweiser Bejahung der Hauptfrage als Teil des Klagdelikts restieren. Diese Eventualität ist mit der Hauptfrage schlechterdings gegeben und nicht zu beseitigen. Dagegen darf nicht durch Hilfsfrage ermöglicht werden die Feststellung eines Antragsdelikts, das nicht im Klagdelikt enthalten, vielmehr diesem gegenüber einen kriminalistisch selbständigen Tatbestand bildet. Wenn ein Antragsdelikt im Delikt des Eröffnungsbeschlusses . und folglich der Hauptfrage (eventuell zuzüglich der Nebenfrage) als Teil einbegriffen ist — einfache Körperverletzung in Körperverletzung mit tötlichem Erfolg —, so ist bei Bejahung nur dieses Delikts einzustellen 15 . Ein Richterkollegium hätte, wenn es das weitergehende Offizialdelikt zu bejahen nicht vermöchte, auch nicht das Antragsdelikt festzustellen, vielmehr sofort einzustellen 13 Ein weiterer Fall ist z. B. gegeben, wenn nach dem Rechte der Auslieferung der Angeklagte wegen des Delikts, das zum Gegenstande der Hilfsfrage gemacht werden soll, nicht verfolgt werden darf. Vgl. RG E. Bd. 36 S. 345 f. (hier vom RG das Hindernis als nicht vorliegend erachtet); E. Bd. 37 S. 88 f. (hier die Zulässigkeit der Verfolgung vom RG verneint). u RG 3. Str.-S. E. Bd. 12 S. 409 f. 16 Nicht ist mit Einstellung wegen des Antragsdeliktes Freisprechung vom Offizialdelikte zu verbinden, wie es in dem Falle RG Entsch. Bd. 11 S. 169 geschehen war.

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mit der Begründung, dafs die Qualifikation nach der Verhandlung jedenfalls nicht anzunehmen sei, über etwaiges Antragsdelikt aber in Ermangelung des Antrags sachlich nicht entschieden werden könne 16 . Im Geschworenenverfahren aber ist in gleichem Falle, weil der Eröffnungsbeschlufs der Erledigung durch die Geschworenen bedarf, die Feststellung des Antragsdeliktes infolge teilweiser Bejahung der Hauptfrage nicht zu verhindern. Eine analoge Prozefssituation entsteht, wenn der Eröffnungsbeschlufs trotz fehlenden oder unwirksamen usw. Antrags auf ein Antragsdelikt gerichtet war und nach dem Verhandlungsergebnisse eine Qualifikation in Betracht kommt, die das Delikt zum Offizialdelikt machen würde, oder doch Befragung der Geschworenen wegen einer solchen Qualifikation von einem Beteiligten beantragt worden ist, §§ 294, 296 StPO. In dem einen wie dem anderen Falle ist nach dem qualifizierten Delikt zu fragen und die Möglichkeit der Bejahung unter Ausschlufs der Qualifikation gegeben. Kommt nach den Ergebnissen der Verhandlung nur in Frage ein Antragsdelikt von krimineller Selbständigkeit gegenüber dem Delikt des Eröffnungsbeschlusses und es fehlt am Antrag, so hat ein Richterkollegium sofort einzustellen. Im Geschworenenverfahren wäre Hilfsfrage auf Antragsdelikt völlig überflüssig, da nach Verneinung der Hauptfrage doch in jedem Falle eingestellt werden müsste, möchten die Geschworenen die Hilfsfrage bejahen oder verneinen 17. Jede Schuldfrage ist Frage mit der Tendenz der Verurteilung oder Freisprechung. Dafs bei Verneinung der Schuldfrage Freisprechung zu erfolgen hat, wird im § 314 StrPO be16

Wesentlich übereinstimmend R u h s t r a t in Goltd. Arch. Bd. 29 S. 59; v. R i s c h , Ger.-Saal Bd. 36 S. 266; G l a s e r I I S. 538f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. des Strafproz. I I S. 117; v. K r i e s , Lehrb. S. 583; S t e n g l e i n zu § 151 Bern. 8g; L ö w e - H e l l w e g zu § 270 Bern. 6b. Alsbaldiges Einstellungsurteil wird gebilligt von RG 1. Str.-S. E. Bd. 2 S. 221 f. Damit steht nicht im Widerspruch 1. Str.-S. R. X S. 32 (es war ohne Beweiserhebung eingestellt worden, obwohl der Staatsanwalt diese begehrt hatte, um darzutun, dafs die Tat als Offizialdelikt sich charakterisiere). 17 Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 5'S. 329, 2. Str.-S. R. I X S. 226, 4. Str.-S. E. Bd. 37 S. 412f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 296 Bern. 1; D a l c k e , Fragestellung S. 17; S t e n g l e i n zu § 296 Bern. 1. A. A. K ö h l e r , Strafantrag S. 135 Anm. 4; H e r o l d , Jurist. Zeit. I X S. 210: Die Ablehnung der Frage wegen fehlenden Antrags sei eine solche aus tatsächlichem Grunde und daher nach § 296 unzulässig. Allein die Prüfung der Antragstellung steht zweifellos dem Gericht zu und die Ablehnung der Frage ist die r e c h t l i c h e K o n s e q u e n z des festgestellten Antragsmangels.

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Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

stimmt vorausgesetzt. Es ist daher rechtlich unzulässig, eine Schuldfrage noch zu stellen, wenn die Notwendigkeit der Einstellung, wie immer geantwortet werden möchte, im voraus feststeht. Ist also Hilfsfrage auf einen kriminalistisch selbständigen Tatbestand mit der Bedeutung eines Antragsdeliktes nicht zu richten, so erübrigt nur. dafs nach Verneinung der Hauptfrage die Richterbank selbst prüft, ob die Verhandlung Umstände ergeben hat, die zur Annahme eines solchen Delikts führen 18 . Wenn ja, so ist einzustellen, während Verneinung Freisprechung bedingt. Auch im Schwurgerichtsverfahren bezieht sich die Freisprechung auf die Tat des Eröffnungsbeschlusses im ganzen, nicht nur auf eine bestimmte darin etwa enthaltene Verbrechensform. Keineswegs liegt in solcher Prüfung seitens des Gerichts eine unzulässige Schuldwürdigung. Die Erwägung, ob nach den Umständen der Verhandlung eine Hilfsfrage veranlasst sein würde, steht dem Gerichte nach § 294 zu. In diesem Rahmen verbleibt die Kognition auch dann, wenn der Hilfsfrage das Fehlen des Antrags entgegensteht, die Schuldfeststellung insofern unmöglich ist und daher statt Befragung der Geschworenen Einstellung erfolgen mufs. Über die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen ein Teilantragsdelikt vorliegt, haben die Geschworenen nur deshalb zu befinden, weil sie nach dem Gesamtdelikt gefragt werden müssen. Die Antwort ist für das Gericht bindend, auch wenn sie das Teilantragsdelikt feststellt. Die dem Eröffnungsbeschlufs entsprechende Hauptfrage mufs den Geschworenen auch vorgelegt werden, wenn das Gericht nach den Verhandlungsergebnissen vielmehr ein selbständiges Antragsdelikt annimmt und der Antrag fehlt 1 9 . Einstellung ist nur möglich bei Verneinung der Hauptfrage. Die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Antragsdeliktes aber stehen nicht zur Prüfung der Geschworenen. Ja, diese würden eine solche Kognitions18 Unrichtig H e r o l d a. a. 0 . , der das Gericht in diesem Falle stets zur Freisprechung für verpflichtet hält. 19 Anders, wenn Eröffnungsbeschlufs ergangen war, obwohl es für die Tat des Eröffnungsbeschlusses am erforderlichen Antrag fehlte. Hier ist ohne Befragung der Geschworenen vom Gericht einzustellen — a. A. preufe. Ob.-Trib. bei O p p e n ho f f Bd. 12 S. 630 — , es müfste denn in der Verhandlung die Tat den Charakter eines Offizialdelikts angenommen haben (vgl. S. 351).

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insbesondere.353

befugnis auch nicht dadurch gewinnen, dafs die Richterbank ihnen verkehrterweise eine entsprechende Hilfsfrage vorlegte. Trotz Verneinung derselben könnte doch noch vom Gericht eingestellt werden. Andererseits wäre trotz Bejahung noch Freisprechung denkbar, indem das Gericht abweichend von den Geschworenen zur Nichtannahme des Antragsdelikts käme. Das G e r i c h t w i r d n i c h t g e b u n d e n d u r c h p r o z e f s r e c h t l i c h u n z u l ä s s i g e Frage. Der Hilfsfrage würde fehlen eine für diese Fragenkategorie begriffswesentliche Eigenschaft: die Wirkung der Klagbesserung im Bejahungsfalle. Denn das Gericht behielte trotz des Schuldspruches die Befugnis der Freisprechung und nicht im bejahenden Verdikt auf die Hilfsfrage hin, sondern erst im nachfolgenden Einstellungsurteile läge die Klagbesserung, indem dadurch die Klage bezogen würde auf das nach der Verhandlung präsumtiv vorliegende Antragsdelikt, dessen Aburteilung mangels Antrags zur Zeit nicht möglich wäre. c. Eine Frage ist rechtlich unzulässig, wenn dem Gerichte die Kompetenz fehlt zur Aburteilung des erfragten Delikts. Demnach ist Hilfsfrage abzulehnen auf einen Tatbestand reichsgerichtlicher Zuständigkeit. Hat die Verhandlung Umstände ergeben, nach denen abweichend von der Klage die Tat als ein vor das Reichsgericht gehöriges Delikt zu qualifizieren wäre, so darf zwar nicht clie Hauptfrage unterlassen werden, indem nur durch Geschworenenspruch die Annahme des Eröffnungsbeschlusses widerlegt werden kann, aber es ist bei Verneinung dieser Frage gemäfs § 270 ohne weiteres durch Beschlufs die Unzuständigkeit des Schwurgerichts auszusprechen und die Sache an das Reichsgericht zu verweisen 20. Die Prüfung der Voraussetzungen des Verweisungsbeschlusses ist ausschliefslich Sache des Gerichts; es darf und kann sich diese Kognition nicht durch Stellung einer Hilfsfrage von den Geschworenen entwinden lassen. Trotz Bejahung der Hilfsfrage bliebe Freisprechung, trotz ihrer Verneinung Verweisung möglich. Verurteilung auf die Hilfsfrage hin wäre undenkbar, worin der klare Beweis ihrer Verkehrtheit liegt. 3. Hilfsfrage auf verjährtes Delikt widerspricht dem materiellen Rechte. Durch Verjährung wird der staatliche Strafanspruch auf20

Nicht ist damit Freisprechung von der Anklage des Eröffnungsbeschlusses zu verbinden. Vgl. auch RG 1. Str.-S. E. Bd. 3 S. 4 f. (Strafkammersache). B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

gehoben 21 . Die Hilfsfrage würde also auf eine straflose Handlung gerichtet sein. Das Gericht ist den vorhandenen Verjährungsvoraussetzungen gegenüber gar nicht befugt, das Delikt erst festzustellen und dann wegen Verjährung freizusprechen, vielmehr nötigt die Verjährung zur Freisprechung schlechthin 22 . Die Schuldfrage entzieht sich der Prüfung, wenn die Straffrage jedenfalls verneint werden müsste. Ein Urteil, das, ohne eine Schuldfeststellung zu treffen, wegen Verjährung freispricht, hat in Wahrheit alternativen Charakter: es ist ein Strafanspruch entweder nicht entstanden — mangels begangenen Delikts — oder wieder untergegangen. Der Angeklagte ist im Sinne des § 266 Abs. 4 als „nicht überführt" zu erachten; das zweifellose Fehlen der Strafbarkeit schliefst die Schuldfeststellung aus 23 . 21 Es ist daher im Falle der Verjährung freizusprechen, nicht einzustellen. Die Gültigkeit des Prozesses wird durch Verjährung des Anspruchs so wenig in Strafsachen als in Zivilsachen berührt. Verjährung ergibt nicht Mangel einer Prozefsvoraussetzung. Übereinstimmend B i n d i n g , Handbuch des Strafrechts I S. 826; v . L i s z t , Lehrbuch § 76 Bern. 3; v. K r i e s , Lehrbuch S. 8, 9; F i n g e r , Lehrbuch des deutsch. Strafrechts I S. 575; RG 3. Str.-S. E. Bd. 12 S. 434 f.; 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 47 S. 159. A. A. (für Einstellung wegen mangelnder Prozefsvoraussetzung) v. R i s c h , Ger.-Saal Bd. 36 S. 247 f., insbes. S. 258 f., Zeitschr. f. Strafrechtswissensch. Bd. 9 S. 250 f.; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 66 StGB Bern. 7; sachlich ebenso L ö w e - H e l l w e g zu § 259 Bern.4 (die Unzulässigkeit der Strafverfolgung sei auszusprechen); F r a n k zu § 66 Bern. I I . 22 Übereinstimmend B i n d i n g , Handbuch des Strafrechts Bd. I S. 831. 23 Ein bekanntes zivilprozessuales Analogon: die Klage ist bei liquider Aufrechnungseinrede trotz bestrittener Forderung alsbald abzuweisen. Ferner: Freisprechung aus § 173 Abs. 4 StGB ist ohne Befragung der Geschworenen alsbald liquide, wenn das Gericht abweichend vom Eröffnungsbeschlusse die Jugend des Angeklagten annimmt. Vgl. oben S. 14. Die Freisprechung wegen Verjährung ohne Prüfung der Schuldfrage ist in der Tat nur Anwendungsfall eines allgemeinen prozessualen Prinzips: der Unzulässigkeit weiterer Sachuntersuchung, sobald die Notwendigkeit eines bestimmten Sachentscheids schon aus den bisherigen Feststellungen sich ergibt. Es ist daher falsch, den Angeklagten nur für straffrei zu erklären, denn die Begehung wird eben nicht festgestellt, oder gar neben der Straflosigkeit die Schuld im Urteil ausdrücklich zu proklamieren. So H e i n z e in v. Holtz. Handb. I I S. 625; G e y e r , Lehrbuch S. 690. Dagegen auch RG 3. Str.-S. E. Bd. 4 S. 358. Andererseits kann auch B i n d i n g a. a. Ο. S. 831 und O l s h a u s e n Z w e i g e r t zu § 66 StGB Bern. 6 nicht zugegeben werden, dafs die Entscheidung über die Verjährung nicht Entscheidung über die Straffrage sei,

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

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Die Verjährungsfrage als Teil der Straffrage gehört zur Kognition des Gerichts, § 262 Abs. 3 StPO. Stellt sich in der Hauptverhandlung heraus, dafs das vom Eröffnungsbeschlufs angenommene Delikt bereits verjährt sein würde, so ist ohne Befragung der Geschworenen und ohne weitere Beweiserhebung alsbald freizusprechen 24. Zu einer Feststellung schon verjährten Delikts kann es hingegen in dem Falle kommen, dafs infolge teilweiser Bejahung der Hauptfrage ein verjährtes Delikt (z. B. statt Mordes Totschlag, vgl. § 67 StGB) restiert. Vielleicht auch ergibt die Hauptverhandlung zu dem bereits verjährten Delikt des Eröffnungsbeschlusses einen Tatzusatz, einen Qualifikationsgrund, der die Verjährung ausschliefsen würde, z. B. Einbruchsdiebstahl statt einfachen Diebstahls. Dann ist Hauptfrage auf das qualifizierte Delikt oder Nebenfrage auf den Qualifikationsgrund zu richten, mit der möglichen Folge, dafs unter Ablehnung der Qualifikation das verjährte Delikt zur Feststellung kommt. Die Voraussetzung für diese Prozefssituation ist, dafs entweder nach gerichtlicher Annahme der Qualifikationsgrund durch die Verhandlung indiziert ist, oder Antrag eines Prozefsbeteiligten auf entsprechende Nebenfrage vorliegt, §§ 294, 296 StPO. Hat die Verhandlung Umstände ergeben, nach denen statt des bisher unterstellten ein anderweites, kriminell selbständiges, schon weil eine solche nur da auftauche, wo eine Schuldfrage bejaht werden könne. Yielmehr ist die Entscheidung über die Schuldfrage dann erübrigt, wenn die Straffrage in jedem Falle verneint werden müfste. 24 Ebenso R u h s t r a t in Goltd. Arch. Bd. 29 S. 58 (nur will er nicht freisprechen, sondern einstellen); v. S c h w a r z e zu § 290 Bern. 4; O l s h a u s e n Z w e i g e r t zu §66 StGB Bern. 8; v. R i s c h im Ger.-Saal Bd. 36 S.265f. (Einstellung); B i n d i n g a. a. Ο. S. 831. Α. Α. M e y e r in v. Holtzend. Handb. des Strafproz. I I S. 117; es müsse der Verjährung ungeachtet über die einmal erhobene Anklage erschöpfend abgeurteilt werden. RG 1. Str.-S. bei Goltd. Bd. 46 S. 425 gibt zwar zu, dafs eine Hilfsfrage auf verjährtes Delikt nicht gestellt werden dürfe, meint aber, die Hauptfrage bedürfe, auch wenn der betreffende Tatbestand bereits verjährt sei, der Beantwortung durch die Geschworenen. Die österr. StPO gibt im § 317 die richtige Entscheidung: „Die Fragestellung an die Geschworenen entfällt, wenn der Gerichtshof erkennt, dafs der Angeklagte freizusprechen sei, weil — die Strafbarkeit der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat durch Verjährung aufgehoben ist." Die Aufnahme einer ähnlichen Bestimmung in die RStPO hatte v. S c h w a r z e beantragt, Prot, der R.-Just.-Komm. S. 443 f. Auch Hamb. 1869 § 206 in Verbindung mit § 138 N. 4 läfst das Gericht ohne Geschworenenspruch freisprechen. 23 *

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

verjährtes Delikt (z. B. statt Raubes Erpressung) anzunehmen wäre, so darf zwar nicht die Hauptfrage unterbleiben, indem nur Geschworenenspruch den Eröffnungsbeschlufs insofern zu widerlegen vermag, aber es ist eine Hilfsfrage auf das verjährte Delikt für den Fall der Verneinung der Hauptfrage nicht zuzulassen25. Das Gericht kann nicht verpflichtet sein, eine Frage zu stellen, deren Bejahung oder Verneinung für die Urteilsdezisive gleichgültig wäre. Freisprechung hätte ja doch in jedem Falle zu erfolgen. Im Hinblick auf die Urteilsbegründung hat das Gericht zu prüfen, ob bei verneinter Hauptfrage nach den Verhandlungsergebnissen mit der Möglichkeit der Begehung eines anderweiten schon verjährten Delikts zu rechnen ist und je nachdem die Freisprechung entweder nur zu stützen auf den Wahrspruch oder aufserdem auf Verjährung. Das Gericht übt dabei eine tatsächliche Kognition nur in demselben Umfange, wie sie nach § 294 StPO eintreten müfste, um über die Stellung zulässiger Hilfsfrage zu entscheiden. Es darf daher auch in dieser Beziehung nicht eingewandt werden, dafs dem Gerichte Schuldwürdigung nicht zustehe. Aber ist nicht Geschworenenspruch notwendig, um die für Berechnung der Verjährungsfrist mafsgebende Begehungszeit zu bestimmen? Die Beteiligten hätten doch, so möchte man meinen, wenn eine Schuldfrage (Haupt- oder Hilfsfrage) auf bereits verjährtes Delikt aufgestellt worden wäre, vielleicht die Aufnahme einer anderweiten Begehungszeit in der Frage, wonach Verjährung noch nicht bestehen würde, erwirken können 26 . Indessen: hält das Gericht die Tat für verjährt, so hält es eben hypothetisch für den Fall der Begehung eine bestimmte Begehungszeit für mafsgebend und würde daher auf einen Änderungsantrag in dieser Richtung, an den es nach § 291 nicht gebunden wäre, auch nicht eingehen. Etwas anderes als kollegiale Beschlufsfassung über die Frage der Begehungszeit konnte der Antragsteller in keinem Falle verlangen. Das wegen Verjährung ohne Befragung der Geschworenen 25 Vgl. RG 1. Str.-S. bei Goltd. Bd. 46 S. 426, Entsch. Bd. 23 S. 327. Unrichtig österr. Kass.-Hof v. 14. April 1897 Entsch. Bd. 16 S. 260 f. 26 Dafs die Feststellung der Begehungszeit im Geschworenenspruch das Gericht bei Prüfung der Verjährung bindet, ist sicher. Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 15 S. 107 f. Unhaltbar die Meinung R u h s t r a t ' s a. a. Ο. S. 59, dafs der Gerichtshof trotz Bejahung der Schuldfrage durch die Geschworenen zwecks Entscheidung über die Verjährung die Tatsache der Deliktsbegehung selbständig zu prüfen habe.

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Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage

insbesondere.357

freisprechende Urteil aber involviert bereits einen solchen Beschlufs: den Beschlufs, nicht zu fragen wegen Annahme einer die Verjährung der Tat ergebenden Begehungszeit. Besteht über die Begehungszeit Zweifel, so hat ihn das Gericht, weil die Vorlegung der Schuldfrage an die Geschworenen davon abhängt, durch Abstimmung zu lösen. Nur wenn die Mehrheit der Richter eine Begehungszeit annimmt, nach der die Tat noch nicht verjährt sein würde, kommt es zu entsprechender Befragung der Geschworenen 2 7 . Eine doppelte Befragung der Geschworenen endlich im Hinblick auf die eine und andere Begehungszeit (Hauptfrage mit Hilfsfrage oder Verbindung zweier Hilfsfragen) wäre schon deshalb unzulässig28, weil die zeitliche Differenz gar nicht für die Schuldbeurteilung, wie § 294 voraussetzt, sondern lediglich für die Straffrage in Betracht käme. Das für die Verjährung gewonnene Ergebnis trifft nicht zu, wenn ein Strafausschliefsungsgrund, der das Hilfsfragedelikt ergreifen würde, zur Kognition der Geschworenen steht. Das Gericht kann wegen eines solchen Umstandes, z. B. der Aszendenten-, Ehegatten-, Angehörigenqualität nach §§ 247 Abs. 2, 257 Abs. 2, 370 N. 5 StGB, nicht die Stellung der Hilfsfrage verweigern, auch wenn das strafausschliefsende Verhältnis noch so evident vorliegt, da der Entscheid darüber den Geschworenen zukommt 29 . Diese sind zu belehren, dafs sie bei Annahme des Strafausschliefsungsgrundes die Hilfsfrage zu verneinen haben. Es kann auch das tatsächliche Moment individualisierend in die Frage mit aufgenommen werden 80 . 4. Die Hilfsfrage ist aus materiellem Rechtsgrunde abzulehnen, wenn sie dieselbe tatsächliche Feststellung bezielt wie die Hauptfrage und nur anders, und zwar nach der Überzeugung des Gerichts, unrichtig subsumieren w i l l 8 1 . Das Gericht nimmt z. B. 27

Analog hat das Gericht, wenn Zweifel besteht, ob der Angeklagte in j u g e n d l i c h e m A l t e r delinquiert hat, darüber vorweg abzustimmen, weil die Stellung der Einsichtsnebenfrage durch die Altersannahme bedingt ist. Vgl. O e t k e r in Arch. f. Strafr. Bd. 47 S. 840. 28 Vgl. gegen solche Verbindung von Haupt- und Hilfsfrage auch O e t k e r a. a. 0. 29 Unzutreffend RG 1. Str.-S. bei Goltd. 47 S. 164. 30 Vgl. oben S. 15. 31 In dem Falle RG Entsch. Bd. 18 S. 337 f. bezweckte die Hilfsfrage eine wesentlich andere tatsächliche Feststellung als die Hauptfrage (die eine ging auf Mordversuch in Konkurrenz mit fahrlässiger Tötung, die andere auf

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

Gesetzeskonkurrenz an, es wird beantragt unter Festhaltung ganz desselben Tatbestandes eine Hilfsfrage auf Idealkonkurrenz zu richten. Oder das Gericht soll genötigt werden, trotz Einheit der Zahlungseinstellung Hilfsfrage wegen r e a l e r K o n k u r r e n z von betrügerischem und einfachem Bankerutt zu stellen 82 . I I . B e d e u t u n g des § 296 f ü r N e b e n f r a g e n . 1. Einer Nebenfrage fehlt es am rechtlichen Fundament, es steht ihr ein Rechtsgrund entgegen, wenn sie gerichtet werden soll auf einen im Strafgesetz nicht anerkannten Qualifikations-, Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrund 88 oder auf einen Umstand, der zur Kognition des Gerichts gehört, wie es für Strafzumessungsgründe, Prozefsvoraussetzungen 84 und Verjährung zutrifft. 2. Nicht zu prüfen ist, ob in der Verhandlung Umstände hervorgetreten sind, die unter das vom Antragsteller genannte oder gemeinte gesetzliche Moment, den Qualifikationsgrund usw., subsumiert werden könnten. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die zur Begründung des Antrages etwa angeführten konkreten Tatmomente dem qualifizierenden usw. Gesetz wirklich entsprechen. Anders nur, wenn der Antragsteller, ,ohne auch nur indirekt ein Gesetz in Bezug zu nehmen, die Subsumtion dem Gericht überlassen hätte. 3. Eine Nebenfrage ist als disparat abzuweisen, wenn sie auf eine andere als die in der Hauptfrage genannte Tat sich beziehen würde. Die Hilfsfrage darf nicht, die Nebenfrage kann nicht klagändernd wirken. Die Tat der Hauptfrage und der Tatumstand der Nebenfrage müssen ein Ganzes sein. 4. Nebenfrage auf einen Privilegierungsgrund wird nicht dadurch gehindert, dafs das privilegierte Delikt bereits verjährt sein würde. Währeod Hilfsfrage auf ein solches strafloses Delikt abzuweisen wäre, kann mittels Nebenfrage allerdings eine Feststellung darüber erwirkt werden. Hat der Eröffnungsbeschlufs Totschlag angenommen, so mufs auf Verlangen Nebenfrage wegen Reizung aus § 213 StGB gestellt werden. Denn die Geschworenen können nicht das Genusdelikt vollendeten Mord). Es durfte daher nicht, wie das RG 1. Str.-S. meint, die Hilfsfrage als unzulässig abgewiesen werden. Vgl. auch oben S. 180 f., 347, 348. 82 Vgl. auch RG 2. Str.-S. R. I X S. 197. Nicht zutreffend v. K r i e s S. 618. 33 Völlig unzulässig wäre eine Nebenfrage, durch die von den Geschworenen Begründung des Spruchs verlangt würde. Ein Fall derart in Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 13 S. 240 f. 34 Vgl. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 37 S. 443 (Frage des ne bis in idem).

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

um deswillen verneinen, weil sie die tatbestandlichen Momente der Spezies annehmen: die Nebenfrage wird ja gestellt für den Fall der B e j a h u n g der Hauptfrage. Die Beteiligten haben ein Recht darauf, dafs die Geschworenen vor die Entscheidung, ob gemeiner Totschlag oder Totschlag auf Reizung vorliege, gestellt werden. Verurteilung wegen gemeinen Totschlags wäre ungerecht, wenn die Geschworenen privilegierten Totschlag annehmen sollten und nur durch den Mangel einer bezüglichen Frage an dieser Feststellung sich gehindert sähen. Totschlag auf Reizung ist — anders als Totschlag unter mildernden Umständen — vom Standpunkte des materiellen Rechts ein Vergehen, wenn auch prozessual, im Hinblick auf die Zuständigkeit, Gleichbehandlung mit dem Verbrechen des Totschlags unter mildernden Umständen eintritt, und daher der Verjährungsfrist für Vergehen unterworfen. Es kann somit dieses privilegierte Delikt bereits verjährt sein, während für gemeinen Totschlag die Verjährungsfrist noch laufen würde 85 . Das verjährte Delikt steckt hier nicht als Teil im Delikt der Hauptfrage, wie es zutreffen kann, wenn diese auf qualifiziertes Delikt geht. Vielmehr enthält das einfache Delikt der Hauptfrage einen Teil der Begriffsmerkmale des verjährten privilegierten Delikts, das bei Begehung von Haupt- und Nebenfrage sich ergibt. Auch ist wohl möglich, dafs gleich die Hauptfrage auf privilegiertes Delikt gerichtet wird trotz eingetretener Verjährung. Die Verhandlung hat Anhaltspunkte geliefert für Annahme der Reizung : ist nicht eine besondere Nebenfrage beantragt, so steht nichts im Wege, den Privilegierungsgrund in die Hauptfrage wegen Totschlags aufzunehmen. Glatte Bejahung dieser Frage führt dann zur Freisprechung wegen Verjährung, teilweise Bejahung zur Feststellung gemeinen Totschlags im Einklang mit dem Eröffnungsbeschlufs. Die Prozefssituation ist das Gegenstück zu der früher besprochenen Eventualität, dafs teilweise Bejahung der Hauptfrage (auf qualifiziertes Delikt) ein schon verjährtes einfaches Delikt ergibt 8 6 . Der Gegengrund, der gegen Hilfsfrage auf verjährtes Delikt spricht, die Zwecklosigkeit eines bezüglichen Geschworenenspruchs, trifft nicht zu auf Hauptfragen, deren teilweise Bejahung ein wirksames Verdikt, eine Grundlage zur Verurteilung, liefert. 35 36

So auch E r l a n g e r , Mat. u. proz. Bedeutung des § 213 S. 32. Vgl. oben S. 354.

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

360

5. Die Nebenfrage wegen m i l d e r n d e r U m s t ä n d e ist nach § 297 zu stellen, wenn es von der Staatsanwaltschaft oder dem Angeklagten beantragt oder von Amtswegen für angemessen erachtet wird. Als Besonderheit ist also zu bemerken, dafs den Ges c h w o r e n e n der Antrag auf diese Frage nicht zusteht 37 . Die Frage wird als rechtlich unzulässig abgewiesen, wenn das Gesetz mildernde Umstände weder beim Delikt der Hauptfrage (bzw. Hilfsfrage) selbst, noch bei einem im Falle teilweiser Bejahung dieser Frage restierenden Delikt berücksichtigt. Ob letzteres zutrifft, hat das Gericht zu prüfen und kann nicht verlangen, dais der Antragsteller durch präzise Fixierung der Bedingung die Erheblichkeit der begehrten Frage selbst klarstellt 88 . Geht z. B. die Hauptfrage auf Mord und cler Angeklagte beantragt Nebenfrage wegen mildernder Umstände, so steht die Relevanz dieser Frage für den Fall der Verneinung der Überlegung ohne weiteres fest. Lassen beide Delikte, das weitergehende und das leichtere, z. B. Raub mit Waffen und einfacher Raub, mildernde Umstände zu, so ist der Antrag auf beide zu beziehen, wenn nicht das Gegenteil erhellt. Den Antrag nur auf den einen oder anderen Fall zu beschränken, ist durchaus zulässig. Das Gericht mag dann veranlafst sein, die Frage von Amtswegen auch in der anderen Richtung zu stellen. Die Voraussetzung der Befragung ist bemerklich zu machen: im Falle der Bejahung von Frage 1; im Falle der Bejahung von Frage 1 unter Verneinung usw.; im Falle der Bejahung von Frage 1 oder ihrer Bejahung unter Verneinung usw. Durchaus unstatthaft wäre eine i n h a l t l i c h e Beschränkung der Frage auf einen Teil der an sich denkbaren mildernden Umstände, z. B. auf die schon bei Verübung der Tat vorhandenen 39, oder auf bestimmte einzelne derartige Momente. Ein entsprechender Antrag müfste verworfen werden, wobei jedoch zugleich das Gericht von Amtswegen die Frage allgemein stellen könnte. Die mildernden Umstände sind zwar materiell Strafzumessungsgründe, 37

Prot, der Just.-Komm. S. 1125, 1126. Zu tadeln die formalistische Entsch. des 1. Str.-S. Bd. 18 S. 401, wonach der Antragsteller bestimmt darzulegen hätte, inwiefern bei teilweiser Verneinung der Hauptfrage mildernde Umstände von Bedeutung sein könnten. Dabei käme die materielle Wahrheit zu kurz. Richtig L ö w e - H e l l w e g § 297 Bern. 4a. 39 Vgl. z. B. RG 1. Str.-S. E. Bd. 20 S. 266f. Die Frage lautete: „ W a r e n mild. Umstände vorhanden?" S. auch 2. Str.-S. R, I I I S. 841, V S. 194. A. M. R i n t e l e n , Strafproz. S. 235. 38

§ 42.

Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

aber das Gesetz will nun einmal, dafs die Frage in abstrakter Allgemeinheit gestellt werde, was in der Tat bei Überweisung an die Geschworenen auch das allein Mögliche ist. Die eigentümlichen Prozefssituationen, die sich aus Überweisung der mildernden Umstände an die Geschworenen, der Rückfallsfrage an das Gericht, zumal im Hinblick auf § 297 StPO, ergeben können, sind früher erörtert worden 40 . 6. D i e N e b e n f r a g e des § 298. Bei Jugend und Taubstummheit des Angeklagten mufs clen Geschworenen die Einsichtsnebenfrage vorgelegt werden. Es bedarf dazu nicht erst des Antrags eines Beteiligten und es ist andererseits ein solcher Antrag nicht in dem Sinne bindend, dafs nun das Gericht auf die blofse Behauptung des Antragstellers hin das Vorhandensein der gesetzlichen Voraussetzung, der Jugend, der Taubstummheit, zu supponieren und demnach die Frage zu stellen hätte. Das Gesetz hat vielmehr im § 298 nur bestimmt, dafs, wenn der Angeklagte jugendlich, taubstumm sei, es der Nebenfrage unbedingt bedürfe. Der Antrag steht nur unter den Grundsätzen des § 291 und kann daher auch aus tatsächlichen, nicht blofs aus Rechtsgründen abgewiesen werden. Die Vorschrift des § 296 gilt (abgesehen von den Hilfsfragen) für die Nebenfragen des § 295, also für Fragen nach Strafschärfungs-, Strafmilderungs-, Strafaufhebungsgründen, darf nicht auf den Spezialfall des nachfolgenden § 298, auf die hier ausnahmsweise erforderte Frage wegen Schuldausschliefsungsgrundes, mit bezogen werden. Es wäre ja auch sinnlos, das Gericht zu dieser Nebenfrage zu verpflichten, obwohl der Angeklagte zweifellos nicht jugendlich, nicht taubstumm ist, nur weil ein Beteiligter das Gegenteil behauptet hätte 4 1 . Vielmehr ist, wenn solcher Antrag vorliegt, vom Gericht pflichtmäfsig zu prüfen, ob nach der Sachlage die Annahme der Jugend, der Taubstummheit in Betracht kommen kann. Das Privilegium der Einsichtsnebenfrage gebührt dem Angeklagten, wenn die Mehrheit der Richter dessen Voraussetzung als vorliegend erachtet. In dubio hat jeder Richter pro reo, also für Vorlegung der Frage, zu stimmen 42 . 40

Vgl. oben § 27 sub X. O e t k e r im Arcb. f. Strafr. Bd. 47 S, 328, 329, 341. 42 O e t k e r a. a. 0. S. 328, 340, 341. Zur Verneinung der J u g e n d würde es an sieb, weil diese zugleich ein Strafprivilegium ergibt (§ 57 StGB), der Zweidrittelmehrheit bedürfen. Es fällt 41

362

§ 42. Anträge auf Hilfs- oder Nebenfrage insbesondere.

Schlechthin abzuweisen wäre ein Antrag auf v o r b e r e i t e n d e N e b e n f r age nach dem Alter, der Taubstummheit. Denn es bliebe, wie auch darauf geantwortet würde, doch die Einsichtsnebenfrage zu erledigen. Da die Einsicht ein allgemeines Erfordernis der Zurechnungsfähigkeit bedeutet und die Hauptfrage diesen Punkt ausgeschieden hätte, so müfste in jedem Falle, auch bei Verneinung der Jugend usw., besondere Feststellung über die Einsicht durch Beantwortung der Einsichtsnebenfrage nachfolgen, obwohl diese Fragenteilung nur für jugendliche, taubstumme Angeklagte vorgeschrieben und zulässig ist. Andernfalls wäre das Verdikt, indem die Frage der Einsicht offen bliebe, sachlich unvollständig. Die Verkehrtheit einer vorbereitenden Alters- usw. -Nebenfrage ist also zweifellos 43 . 7. Wurde nicht Nebenfrage, sondern Erweiterung der Hauptfrage durch Aufnahme eines Qualifikations- oder Privilegierungsgrundes beantragt, so kann unmöglich dieser formellen Verschiedenheit halber die beschränkende Vorschrift des § 296 aufser Kraft treten und Versagung auch aus tatsächlichem Grunde zulässig sein 44 . Aber es bleibt dem Gericht frei, statt Ergänzung der Hauptfrage die Form der Nebenfrage zu wählen 45 . Dagegen darf nicht umgekehrt an Stelle beantragter Nebenfrage Aufnahme des Moments in die Hauptfrage beschlossen werden 46 . Denn der Bejedoch die letztere bei der Besetzung der Richterbank (3) mit der einfachen Mehrheit zusammen. Die Taubstummheit zu verneinen genügt zweifellos einfache Mehrheit. 48 Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 328, 338 und oben § 25 sub I 2 uud I I 2. 44 Besonderer Bau des Strafgesetzes bringt gelegentlich die Folge mit sich, dafs wegen neu hervorgetretener tatsächlicher Momente überhaupt nicht Nebenfrage (oder Hilfsfrage), vielmehr nur Erweiterung der Hauptfrage be-* schlossen und beantragt werden kann. E i n gesetzlicher Tatbestand, der materiell qualifiziert und alle Tatbestandsmerkmale eines anderweiten, einfachen Delikts in sich enthält, wird zuweilen vom Gesetzgeber doch als delictum sui generis erachtet, so dafs Verweisung der qualifizierenden Momente in eine Nebenfrage unzulässig sein würde. Das trifft zu für § 11 des Dep.-Ges. v. 5. Juli 1896 im Verhältnis zur Unterschlagung. Ging der Eröffnungsbeschlufs auf einfache Unterschlagung und es soll nun nach der qualifizierten Unterschlagung des § 11 gefragt werden, so ist nur entsprechende Erweiterung der Hauptfrage möglich, Dafs solcher Antrag nur aus Rechtsgründen ablehnbar ist, erscheint völlig zweifellos. Vgl. oben S. 123, 124 und O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 64 S. 184 f. 45 Insofern übereinstimmend L ö w e - H e l l w e g zu § 296 Bern. 2. 46 A. A. L ö w e - H e l l w e g zu § 296 Bern. 2, wohl auch v. K r i e s S. 619, ferner D a l c k e , Fragestellung S. 17.

§ 43. Der dezisive Gehalt der Fragestellung.

363

teiligte kann an besonderer Befragung der Geschworenen ein Interesse haben und dieses Interesse ist in dem unzweideutigen Wortlaut des § 296 zur Anerkennung gekommen47. E. § 43.

D e r d e z i s i v e G e h a l t der F r a g e s t e l l u n g 1 .

„Frage" und „Entscheidung" stehen scheinbar immer in gegensätzlichem Verhältnis. In der Urteilsfrage des schwurgerichtlichen Verfahrens aber steckt eine Entscheidung. Freilich wird dieser dezisive Gehalt der Fragestellung vielfach verkannt 2 . Es fehlt die Form des Entscheids. Läfst man nur formulierte Dekrete als solche gelten, so sind die Urteilsfragen ebensowenig Entscheidungen, wie die Fragen an die Zeugen und Angeklagten. Wer hingegen das Wesen über die Form stellt, mufs zu anderer Auffassung kommen. Da die Geschworenen nur zu antworten haben, nicht ungefragt Feststellungen treffen können, so wird durch die Fragen das Thema des Verdikts bestimmt. Relevant für Verdikt und Endurteil sind nur diejenigen Verhandlungsergebnisse, die zum Gegenstand einer Frage gemacht sind. Die Fragenstellung enthält also einen Relevanzentscheid. Zugleich wird in den Fragen die Klage wenn nötig gebessert (präziser : die Klagbesserung den Geschworenen freigegeben), jedenfalls fixiert: die Geschworenen werden befragt über die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sich dieselbe dem Gericht nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt (§ 263 StPO). 47 Die gleiche Auffassung war geboten für Preufs. 1852 A r t . 84 Abs. 3, Preufs. 1867 §§ 321 Abs. 1 u. 322, Brem. 1870 § 488. Besonders deutlich Württ. 1849 Art. 158 : auf einen vom Angeklagten geltend gemachten Milderungsgrund ist bei Meidung der Nichtigkeit eine besondere Frage zu stellen, und Oldenb. 1857 Art. 327 § 1 : eine wegen Milderungs- oder Schärfungsgrundes beantragte Zusatzfrage mufs bei Strafe der Nichtigkeit gestellt werden. 1 G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel im engl. Schwurgerichtsverfahren S. 512; B i n d i n g , Grundrifs § 86. 2 Die Denkschrift über die Rechtsfindung im Geschworenengericht, Anl. 5 zu den Mot. des E. d. StPO, hebt mehrfach richtig hervor, dafs die Fragestellung nach französischem und deutschem Recht eine antizipierte Entscheidung in der Sache selbst enthalte, vgl. S. 187, 203. Einen ähnlichen Gedanken (wenn auch in nicht zutreffender Formulierung) hatte G l a s e r a. a. 0. S. 512 ausgesprochen. Diese wertvollen Anregungen sind aber in der Literatur nicht weiter verfolgt, eine ihnen entsprechende juristische Konstruktion ist nicht gegeben worden. Es wird nur gelegentlich der gleiche Gedanke reproduziert, vgl. G e y e r S. 748; H. M e y e r bei v. Holtzend. I I S. 130; L ö w e H e l l w e g zu § 291 Bern. 1; D a l c k e , Fragestellung S. 7.

§ 43. Der dezisive Gehalt der Fragestellung.

364

Diese beiden Funktionen der Befragung, die Relevanzbestimmung und die Klagfixierung, ergeben ihre dezisive Natur. Die Fragen insgesamt sind theoretisch richtig als ein Z w i s c h e n u r t e i l 8 zu charakterisieren. I. Die Geschworenen werden nicht gefragt, welche, sondern ob bestimmte Delikte in dem durch die Verhandlung ihnen vorgeführten Tatbestand enthalten seien. Die Fragen sind sämtlich Suggestivfragen. Durch sie ist abgesteckt der Kreis der Delikte^ die allein zur Feststellung kommen können. Damit ist implicite entschieden, dafs der Tatbestand weitere Delikte nicht in sich schliefse. Für die erfragten Delikte werden die sämtlichen gesetzlichen Tatbestandsmerkmale festgelegt. Die Fragen richten sich nicht auf abstrakte Deliktstypen, sondern auf individualisierte Deliktsfälle. Soweit clie konkreten Verkörperungen gesetzlicher Momente in die Fragen aufzunehmen sind oder doch aufgenommen werden, subsumiert sie das Gericht zugleich den entsprechenden abstrakten Tatumständen. Die Geschworenen sind auch in dieser Hinsicht von den Fragen abhängig ; sie können Anträge auf Fragenänderung stellen, über die das Gericht zu entscheiden hat, dürfen aber nicht in ihren Antworten andere konkrete Umstände substituieren, haben vielmehr nur eventuell die Fragen unter Beschränkungen (unter Ablehnung der erfragten konkreten Momente) zu bejahen4. Der konkrete Tatumstand in der Frage hat öfters zugleich die Bedeutung eines Strafzumessungsgrundes, so dafs insofern durch die Fragstellung bereits der Strafentscheid mit angebahnt wird. Auch an die Reihenfolge der Fragen sind die Geschworenen gebunden. Wenn eine spätere Frage nur für den Fall zu beantworten ist, dafs eine vorausgehende in einem gewissen Sinne erledigt werde, so gibt auch darüber die Fragenformulierung Aufschlufs. Insofern wird wiederum ein wichtiges richterliches Geschäft, die Bestimmung der Schuldfragenfolge mit Scheidung zwischen präjudiziellen und präjudizierten Fragen den Geschworenen vom Gericht abgenommen5. 3

Übereinstimmend B i n d i n g , Grundrifs § 86. Vgl. näher § 47 sub I I I . 5 Freilich kann noch die Einzelfrage eine Mehrheit von Abstimmungen bedingen — wenn sie einen Privilegierungsgrund aufgenommen hat, wenn ein 4

§ 43.

Der dezisive Gehalt der Fragestellung.

365 6

Der Fragebogen ist der Entwurf des Wahrspruchs , das Gericht durch seine Fragen Mitarbeiter am Verdikt. II. Die Feststellungen, die so das Gericht in Frageform trifft, werden allerdings durch Anträge der Prozefsbeteiligten einschliefslich der Geschworenen auf Vorlegung, inhaltliche Fixierung, Formulierung von Fragen mitbestimmt. Besonders weitgehend ist dieser Einflufs betreffs Hilfs- und Nebenfragen, die nur aus Rechtsgründen abgelehnt werden können, § 296. Die Geschworenen haben das formelle Recht, dem Gericht Fragen abzunötigen wegen jedes strafgesetzlichen Tatbestandes, jedes Strafschärfungs-, Strafmilderungs- usw. Grundes, der von ihnen etwa in den Verhandlungsergebnissen gefunden werden könnte. Sie bleiben insofern auch dem Gericht gegenüber die Herren der Schuldfrage. Ob sie aber diese abstrakte Befugnis auch gehörig auszuüben vermögen, ob es ihnen gelingt, die einer bestimmten Schuldauffassung entsprechenden gesetzlichen Deliktstypen aus dem Tatbestand selbst herauszuerkennen oder doch durch ihre Angaben dem Gericht erkennbar zu machen und die Vorlegung entsprechender Fragen zu fordern, ist keineswegs sicher. Insbesondere bleibt denkbar, dafs sie den Angeklagten schuldig finden in einer Richtung, an die das Gericht in seinen Fragen nicht gedacht hat und über die sie sich selbst und dem Gericht die nötige Klarheit zu geben nicht vermochten, so dafs der Prozefs mit einer Freisprechung wider Willen abschliefst. Immerhin liegt in diesem Antragsrecht der Geschworenen ein erhebliches Korrektiv ihrer Abhängigkeit von den Fragen. I I I . Ein Bedenken gegen die dezisive Bedeutung der Fragenstellung kann nicht aus der Tatsache entnommen werden, dafs die bezüglichen Beschlüsse des Gerichts der Abänderung unterliegen. Es ist kein Widerspruch, den Fragen in ihrer definitiven Gestalt den Charakter eines Urteils zu vindizieren, eine Bindung des Gerichts durch feststellende Beschlüsse aber abzulehnen und ihm bis zur Verkündung eines sachlicher Berichtigung nicht ausgesetzten Verdikts freie Hand zu lassen. IV. Die den Geschworenen gegebene R e c h t s b e l e h r u n g ist Entscheidung nicht und wäre es auch dann nicht, wenn man in ihr Ausübung einer g e r i c h t l i c h e n Funktion finden sollte. eigentlicher Strafausschliefsungsgrund in Betracht kommt usw. — darüber sind dann die Geschworenen zu belehren. 6 Vgl. G l a s e r , Fragestellung S. 883.

§ 43.

366

Der dezisive Gehalt der Fragestellung.

Der Vorsitzende will durch seinen Vortrag die Geschworenen zu Urteilern tüchtig machen, will abhelfen dem präsumtiven Mangel einer zum Urteilen erforderlichen Qualifikation bei diesen Richtern. Anders stände es, wenn die Rechtsbelehrung für die Geschworenen bindend wäre. Hätte ein Richterkollegium eine dem Urteil präjudizierende Rechtsfrage vorab durch formulierten Beschlufs bindend zu entscheiden, so müfste in solchem Ausspruch materiell ein Zwischenurteil gefunden werden. Und die gleiche Auffassung wäre auch dann geboten, wenn in Form der Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden den Geschworenen eine bestimmte für ihren Wahrspruch mafsgebende Rechtsauffassung aufgenötigt würde, Die wirkliche Annahme der dargelegten Rechtsansicht bliebe freilich bei dem Mangel der Motivierung des Verdikts regelmäfsig unerkennbar. Dagegen enthielte eine den Rahmen der Rechtsbelehrung überschreitende kategorische oder bedingte Anweisung der Geschworenen ein bestimmtes Verdikt zu fällen, wie sie in englischen Schwurgerichtsverhandlungen häufig ist, trotz ihres aufdringlichen Charakters eine Entscheidung nicht; sie wäre nur energische Erinnerung an die (wirkliche oder vermeintliche) Pflicht der Geschworenen. Das vorgesagte Verdikt suggeriert, aber gibt nicht den Entscheid; der Souffleur ist nicht Schauspieler. V. Irrig wäre, in der Fragestellung ein b e d i n g t e s E n d u r t e i l zu finden 7. Sie ist es schon deshalb nicht, weil in ihr ein Strafentscheid auch nicht bedingt ausgesprochen ist, das schliefsliche dem Verdikt folgende Gerichtsurteil die Straffrage allererst und sofort unbedingt entscheidet. Gewifs wird durch das bejahende Verdikt die Strafe jedes Gesetzes ausgeschlossen, unter das die festgestellte Tat nicht subsumiert werden kann. Aber es liegt nicht in der Frage nach einem bestimmten Delikts-Tatbestand eine bedingte Verhängung der entsprechenden Strafe. Denn der Entscheid über Strafaufhebungsgründe — in den Grenzen der G e r i c h t s kompetenz — bleibt reserviert und bei allen nicht absolut bestimmten Strafgesetzen auch das Strafausmaafs. Zudem kann selbst die Frage nach einem Delikt mit absolut bestimmter Strafe infolge teilweiser Verneinung (Totschlag statt Mord usw.) das Gericht vor eine Strafzumessungsaufgabe stellen. Im Strafentscheid liegt daher niemals ein blofs purifizierendes Dekret. 7

So G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 512.

§ 43. Der dezisive Gehalt der Fragestellung.

367

Und vor allem geht es nicht an, im Wahrspruch, ähnlich wie in der Leistung oder Weigerung eines Eides im Zivilverfahren, lediglich die Bedingung zu finden für das verurteilende oder freisprechende Gerichtsurteil. Bei dieser Auffassung wird unvermerkt die Präjudizialität des einen Urteils für das andere Anlafs, dem ersteren den Urteilscharakter abzusprechen. Die Folgerung, das Verdikt sei Urteilsbedingung, also nicht Urteil, würde die Kategorie des bedingenden Urteils verkennen. Der Schuldausspruch im einheitlichen Urteil ist auch die Bedingung der Verurteilung oder Freisprechung, aber doch gewifs Urteilsbestandteil. Wie könnte es anders sein bei formeller Scheidung des Urteilsinhaltes in einen Schuldausspruch und eine davon abhängige, auf ihm sich aufbauende verurteilende oder freisprechende Sentenz? Die Schuldfeststellung liefert der Schlufssentenz die Grundlage und den Hauptinhalt. Das ganze Urteil fiele in sich zusammen, wenn jene den Urteilscharakter verlöre. Unerheblich ist, dafs die Prozefsordnung den Wahrspruch nicht „Urteil" nennt; als Dekret betrachtet sie ihn ganz zweifellos (vgl. z. B. §§ 81 GVG. — „Entscheidung der Schuldfrage durch die Geschworenen" — , 307 StPO.) und Sache der Theorie ist's, die zutreffende rechtliche Kategorie dafür zu bestimmen. Freilich unterliegt dieses Urteil der Prüfung des Gerichts; es kann Berichtigung angeordnet, es kann sogar unter den Voraussetzungen des § 317 das Verdikt aufgehoben und die Sache vor ein neues Schwurgericht verwiesen werden. Die Präponderanz des juristischen Elements ist insofern gewahrt. Aber selbst wenn man in der Annahme des Spruchs eine Bestätigung, ja bis zur Billigung einen blofsen Urteilsentwurf in ihm finden wollte, so bliebe doch dem angenommenen Spruche der Urteilscharakter gewahrt. Es bedarf daher an dieser Stelle einer näheren Bestimmung der gerichtlichen Prüfungsgewalt nicht. Möchte immerhin das Verdikt seine Kraft erst gewinnen aus einer Billigung der Richter, mit ihr wäre es ganz gewifs Urteil. .Ein „bestätigungsbedürftiges Urteil" bedeutet keineswegs einen inneren Widerspruch. VI. Die Fragestellung ist ganz gewifs nicht u n b e d i n g t e s Endurteil. Als Relevanzentscheid bereitet die Fragestellung die Aburteilung der Strafansprüche, also das Sachendurteil, nur vor. Sie ist aber nicht selbst Sachendurteil, denn der Entscheid über die Ansprüche wird in ihr nicht gegeben, nur durch sie gefordert.

368

§ 4.

Der dezisive Gehalt der Fragestellung.

Wenn ein Zivilrichter in den Gründen des Urteils unerhebliche Angriffs- und Verteidigungsmittel verwirft, so konstatiert er eine Operation, die er vor dem Entscheid über die Ansprüche vorgenommen hat, die Ausscheidung unbeachtlichen Verhandlungsstoffes. Die analoge Erklärung der Richterbank im Schwurgerichtsverfahren ist trotz ihrer qualifizierten Form und Bedeutung auch nur Vorstufe zum Sachendurteil, nicht selbst ein solches. V I I . Ist hiernach die Fragestellung in ihrer definitiven Gestalt eine das Gericht, die Parteien und die Geschworenen bindende Entscheidung und doch nicht Endurteil, weder bedingtes, noch unbedingtes, so erübrigt nur die Auffassung als Z w i s c h e n u r t e i l . 1. Durch die Fragen wird — wie schon Eingangs betont — geschieden zwischen relevanten und irrelevanten Verhandlungsergebnissen. Freilich nicht in unzweideutiger äufserlicher Markierung. Es bleibt möglich, dafs die Geschworenen einem erfragten gesetzlichen Tatbestand oder Tatumstand unerheblichen Verhandlungsinhalt fälschlich subsumieren. Immerhin wird durch die Befragung in weitem Umfange irrelevantes Material vom Verdikt und Urteil ferngehalten: es scheiden aus alle diejenigen tatsächlichen Momente, die zu den gestellten Fragen schlechterdings nicht in Beziehung gebracht werden können. Indem die Fragestellung dem Sachendurteil vorarbeitet durch Verwerfung unerheblichen Materials, erhält sie selbst die Bedeutung eines Zwischenurteils. 2. Im ungetrennten, einheitlichen Strafurteil liegt stets, mag es verurteilend oder freisprechend lauten, mafsgebende Klagfixierung, vielleicht zugleich Klagbesserung. Dem Strafrichter werden nicht, wie dem Zivilrichter, die abzuurteilenden Ansprüche ausschliefslich durch die Anträge und Ausführungen eines formalen Klageaktes geliefert. Die inkriminierte Tat ist Gegenstand der Urteilsfindung in der Gestalt, die sie in der Verhandlung gewonnen hat, und der Strafrichter hat, in voller Unabhängigkeit von den Anführungen des Klägers, selbst zu ermitteln, welche Strafansprüche diesem Tatbilde gegenüber in Betracht kommen könnten. Freisprechung bedeutet, dafs dem Staat aus dem individuellen in der Klage bezeichneten, durch die Verhandlung näher substantiierten Sachverhalt ein irgend welcher Strafanspruch nicht erwachsen sei, verneint nicht nur die ausdrücklich erhobenen Ansprüche. Ebenso ist das Gericht bei der Verurteilung nicht gebunden an die Anspruchscharakterisierung des Klägers. Nicht dieser, sondern der Richter in seinem Urteile bestimmt authentisch die Strafansprüche,

§ 44.

Die Materialien des Wahrspruchs.

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deren Verfolgung für den Staat — zumeist auch durch den Staat (anders bei Privatklage) — den Inhalt der Klage ergibt. Die Klagfixierung geht im einheitlichen Strafurteil der Klagaburteilung nur logisch voran. Das Schwurgerichtsverfahren dagegen weist beide Funktionen verschiedenen Richterkollegien zu, so dafs der logischen Folge zugleich eine zeitliche entspricht 8 . Die Substanz des Sachendurteils liegt im Anspruchsentscheid, während durch die Klagfixierung eine präjudizierende Vorfrage erledigt wird. Vom Endurteil getrennt, wird der letztere Entscheid zum Zwischenurteil. Die Definition des zivilprozessualen Zwischenurteils, eine den Rechtsstreit nicht erledigende bindende Entscheidung über eine Vor- (oder Zwischen-) Frage, trifft durchaus auf die Fragestellung als separate Klagfixierung zu. Streit der Zivilparteien über die Frage der Klagänderung oder blofsen Klagbesserung, über die Zulässigkeit der Änderung usw. ist zweifellos Zwischenstreit und als solcher taugliches Objekt eines Zwischenurteils. Das Strafverfahren kennt einen solchen Zwischenstreit nicht, aber die Erledigung der richterlichen Amtspflicht, die abzuurteilende Klage nach Inhalt und Umfang mafsgebend zu bestimmen, entspricht, wenn sie in gesondertem Dekret auftritt, dem materiellen Begriff des Zwischenurteils.

Zweites

Kapitel.

Der Wahrspruch 1 · Die Entscheidung der Jury äufsert sich nicht in der Form eines Urteils, das den Parteien verkündet würde, sondern als 8

Vgl. oben § 17. B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze S. 195—207; D e r s e l b e , Arch, des Krim.-Rechts N. F. 1857 S. 527 f.; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung S. 548 f.; S c h w a r z e in Weiskes Rechtslex. Bd. 10 S. 102f.; P l a n c k , System. Darstellung §§ 145,146; Z a c h a r i a e , Handb. I I S. 527—549; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 359—368; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 316f.; S c h w a r z e , Strafproz. Ges. in Sachsen I I 2 S. 66—78; v. B a r , Recht und Beweis S. 258f.; Z a c k e , Fragestellung u. Wahrsprüche S. 116—174; B i e n e r , Arch, des Krim. Rechts N . F . 1849 S. 88f.; A r n o l d das. 1854 S. 242f.; v. K r a e w e l das. 1855 S. 320 f.; M a r q u a r d s e n , Ger.-Saal 3 I I S. 3 f.; A h e g g in Goltd. Arch. Bd. 6 S. 747 f.; D e r s e l b e , Goltd. Bd. 14 S. 168 f., 223 f.; G u n d e r m a n n , Einstimmigkeit der Geschworenen 1849; G o l t d a m m e r in seinem Arch. Bd. 12 S. 252 f.; H e i n z e das. Bd. 13 S. 616 f., 665 f., 729 f., Bd. 14 S. 1 f.; R u b o im Ger.-Saal Bd. 18 S. 375 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 190 f.; G e y e r 1

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozeis I I I .

24

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§ 44. Die Materialien des Wahrsprucs.

Antwort des einen Richterkollegiums auf die Fragen des andern. Der Grundgedanke der fränkischen inquisitio, die Brunner als den Keim der Jury nachgewiesen hat, ist insofern heute noch lebendig, als die Geschworenen nach ihrem besten Wissen zu antworten haben auf die Fragen des Richters und diese Pflicht durch promissorischen Eid bekräftigen (§ 288 StPO). Der Spruch war einst ein Zeugnis der Nachbarn, der Gemeindegenossen und hatte als solches in primitiven Verhältnissen seine volle Berechtigung. Dann ist er infolge einer höchst eigentümlichen Entwickelungsgeschichte im englischen Prozefsrecht zu einem Entscheid über die Schuldfrage geworden; die Inquisitionszeugen haben sich in Urteiler verwandelt. Die Nachbarnaussage durfte man einen „Wahrspruch", ein veredictum, nennen, denn sie sollte auf Grund eigener Wissenschaft erfolgen und wurde durch Eid erhärtet. Die Übertragung des Ausdruckes auf den Geschworenenspruch, der nicht eigene Tatsachenkenntnis bezeugt, sondern auf Grund der Beweisaufnahme gefällt wird von nichtbeamteten, zumeist .Laien-Richtern und dem vorausgegangen ist die Leistung nicht eines Zeugen-, sondern des Richtereides, hat keinerlei innere Berechtigung und ist nur das Produkt historischer Zufälligkeiten. Die anpreisende Bezeichnung kann dem Spruche nicht einen höheren Wert antäuschen , als er ihm in Wahrheit zukommt. Aber es ist psychologisch nicht unwahrscheinlich, dafs sich an das Wort vielfach mystische Vorstellungen von einer besonderen Erleuchtung der Geschworenen angeschlossen und zur Empfehlung des Instituts unbewufst beigetragen haben. Entscheidungen, die Wahrsprüche stets wären und niemals nur so genannt würden, kann auch die beste Prozefsordnung nicht garantieren. Und am allerwenigsten wäre das dienliche Mittel dazu die Auslieferung der Schuldfrage an Geschworene unter Ausschlufs berufsrichterlicher Mitwirkung. Die Reichsgesetzgebung ist denn auch skeptischer geworden und nennt die Geschworenenantwort nur noch den Spruch. Ein einfaches Ja oder Nein oder ein teilweises Ja, teilweises Nein ohne jede Begründung entscheidet über das Schicksal des Angeklagten! Das Erfordernis der Urteilsgründe, das den Richter zur sorgsamen Prüfung der Beweise und der materiellen RechtsS. 759 —765; G l a s e r , Artikel „Wahrspruch" in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 1223 f.; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt 2. Aufl. S. 118—134; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 660 f.; D e r s e l b e , Deutsch. Strafproz. S. 521 f.; v. K r i e s S. 621 f.; B i r k m e y e r S. 640 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 561 f.; R o s e n f e l d S. 385 f.; L ö w e - H e l l w e g zu §§ 301—305, 307, 308 StPO.

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fragen nötigt und der betroffenen Partei die Möglichkeit erfolgreicher Anfechtung des Urteils gibt, existiert für Geschworene nicht. So wird gerade in den schwersten Strafsachen der Schuldentscheid nur auf ein nichtssagendes Zitat — des Geschworenenspruchs — gestützt. Wurde nicht einst mit vollem Rechte ein wesentliches Gebrechen des Inquisitionsprozesses in der Laxheit oder dem völligen Fehlen der Urteilsbegründung gefunden? Und haben nicht die Gesetze des reformierten Strafprozesses exakte Motivierung der Urteile gefordert? Wie konnte man bei der Aburteilung s c h w e r e r Delikte in den alten, bei leichteren Vergebungen vermiedenen Fehler zurückfallen! Die Wahrheit ist, dafs man sich zum Opfer der Gründe entschlossen hat, weil Geschworene ohne sachkundige Unterstützung bei ihrer Beratung zu gehöriger Begründung nicht imstande sind. Mit Zuziehung eines Berufsrichters zu den Geschworenen wäre dieses Hindernis beseitigt, die Ermöglichung der Begründung und mit ihr der Urteilsanfechtung wegen Subsumtionsirrtums im Spruche gegeben2. Das juristische Wesen des Verdikts ist bei einer Überfülle rechtspolitischer Erörterungen über das Geschworenengericht und wohl gerade deshalb noch wenig geklärt. Eine haltbare, den Anforderungen moderner Prozefswissenschaft entsprechende juristische Konstruktion fehlt. Über das Verhältnis des Spruchs zu den Fragen und zum Urteil, über die Rechtsbeziehungen zwischen Richterbank und Jury besteht vielfache Unsicherheit, die in der Rechtsanwendung nicht weniger als in der Rechtslehre hervortritt. Es empfiehlt sich zunächst die Entstehung des Verdikts, dann seinen Inhalt und seine Form zu behandeln und schliesslich seine rechtliche Bedeutung festzustellen. A.

D i e E n t s t e h u n g des W a h r s p r u c h s ·

§ 44. D i e M a t e r i a l i e n des W a h r s p r u c h s . Der Wahrspruch soll sein Werk nur der Geschworenen auf Grund nur der Verhandlungsergebnisse. I. Entstehungsort ist das Beratungszimmer 1. 2

O e t k e r im Ger.-Saal Bd. 68 S. 107. Vgl. auch oben S. 22. 1 In England regelmäfsig der Sitzungssaal; nur wenn sich hei der Besprechung Meinungsverschiedenheit ergibt, ziehen sich die Geschworenen in das Β era tungs zimmer zurück. Vgl. M i t t e r m a i e r , Englisches usw. Strafverfahren S. 469; G l a s e r , Anklage usw. S. 149. 24*

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Um ungehörige Einflüsse vom Wahrspruch fernzuhalten, fordert das Gesetz, dafs er im Beratungszimmer von den Geschworenen beschlossen werde, verbietet jeden Verkehr zwischen den im Beratungszimmer versammelten Geschworenen und anderen Personen2 und verpflichtet den Vorsitzenden zur Obsorge, dafs ohne seine Erlaubnis kein Geschworener das Beratungszimmer verlasse und keine dritte Person in dasselbe eintrete 8 , §§ 301, 303 StPO. Verletzung dieser formalen Vorschriften ist nicht schlechthin Nichtigkeitsgrund. Entscheidend kann nur sein, ob die Selbständigkeit der Beratung und Beschlufsfassung dadurch gefährdet war 4 . Nach code art. 342 u. 343 und sämtlichen früheren deutschen Gesetzen wird der Spruch im Beratungszimmer gefunden. Ebenso bestimmt Österr. § 325 Abs. 2. 2 Code d'instr. enthält im art. 343 die gleiche Vorschrift, wie § 303 StPO, verbietet aber weiter im art. 355 generalisierend jede Kommunikation der Geschworenen „au dehors". Diese letztere Bestimmung wird von der Jurisprudenz auch bezogen auf Meinungsäufserungen von Geschworenen zur Schuldfrage im Laufe der Verhandlungen. Darüber zahlreiche Entscheidungen des Kassationshofs (vgl. z. B. 31. Aug. 1893, D a l l o z , Recueil 96. 1. 429: ein Geschworener hatte nach der Vernehmung eines Zeugen gerufen: „ces faits me paraissent très concluants"). Dem französischen Temperament fällt offenbar schweigendes Zuhören schwer. 3 T h i l o zu § 303 Bern. 5 meint, es könne einem Geschworenen, der der deutschen Sprache nicht mächtig sei, ein Dolmetscher in das Beratungszimmer mitgegeben werden. Allein eine Verdolmetschung der Gerichtssprache an die Richter, Berufs- oder Nichtberufsrichter, gibt es nicht. 4 So bereits preufs. Ob.-Trib. bei G o l t d . Bd. 12 S. 284 und bei O p p e n h o f f Bd. 12 S. 236 f.; ferner RG 1. Str.-S. E. Bd. 1 S. 209. Das blofse Verlassen des Beratungszimmers ohne Verkehr des Geschworenen mit Dritten begründet selbstverständlich die Revision nicht, Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10 S. 336, 1. Str.-S. E. Bd. 27 S. 3. Wesentlich übereinstimmend die franz. Praxis zu art. 343 und 355 c ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 343 nr. 5, 11, art. 355 nr. 2 f.). Doch wird angenommen, dafs unzulässiger Verkehr eines Geschworenen mit einer dritten Person durch Substituierung eines Ergänzungsgeschworenen (art. 394) paralysiert werden könne ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 355 nr. 26). Auch bei vorlauter Meinungsäufserung eines Geschworenen sei zu diesem Mittel zu greifen. Nur in Ermangelung eines Ergänzungsgeschworenen müsse die Verhandlung abgebrochen werden. Die Abhilfe durch Substituierung würde nach deutschem Recht jedenfàlls versagen (vgl. oben S. 77 f.), ist aber auch materiell ungenügend, da eine Beeinflussung der anderen Geschworenen durch den Kontravenienten bereits stattgefunden haben kann. I n jedem Verkehr der Geschworenen mit Dritten sehen Nichtigkeit H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 194; L ö w e - H e l l w e g zu § 303 Bern. 3. Zutreffend K e l l e r zu § 303 Bern. 2; B e n n e c k e - B e l i n g S. 562.

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Wie könnte der Wahrspruch nichtig sein, wenn ihn die Geschworenen im Sitzungszimmer nach Entfernung aller anderen Personen gefunden hätten? 5 Wie könnte der Gültigkeit des Spruchs entgegenstehen, dafs auf Verlangen der Geschworenen der Gerichtsdiener das Beratungszimmer betreten, ein Geschworener es ohne Erlaubnis des Vorsitzenden vorübergehend verlassen hätte, ohne mit dritten Perr sonen irgend in Verbindung getreten zu sein, oder dafs selbst ein Geschworener mit einem Dritten in ganz unverfänglichen Verkehr getreten wäre, eine Depesche, eine häusliche Bestellung usw. im Beratungszimmer entgegengenommen hätte? Die Bedeutung der Formvorschriften liegt in dem Zwecke, dem sie dienen sollen; das Gesetz will, dafs jede Formwidrigkeit vermieden werde, will aber nicht, dafs aus der materiell unerheblichen Formverletzung ein Nichtigkeitsgrund entnommen werde. Es ist nicht die Beobachtung der betreffenden Bestimmungen bei Strafe der Nichtigkeit vorgeschrieben, sonach kann in der Revisionsinstanz nur entscheiden die mögliche Kausalität des Verstofses für den Urteilsinhalt. Ganz besonders bedenklich ist Betreten des Beratungszimmers durch den Vorsitzenden. Hält dieser oder halten die Geschworenen weitere Rechtsbelehrung für nötig, so hat sie in Gegenwart der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers im Sitzungszimmer zu erfolgen 6 . Eintritt des Vorsitzenden in das Beratungszimmer mufs, sofern nicht dienstliche Erklärung jenes den unverfänglichen Charakter der Formwidrigkeit (Übermittelung einer dringlichen Nachricht an einen Geschworenen in privater Sache usw.) ergibt, auf den Belehrungszweck bezogen werden und führt daher zur Aufhebung des Urteils 7 . Erst mit dem Eintritt der Geschworenen in das Beratungs5

Gegenteilig H. M e y e r I I S. 191 Anm. 5; T h i l o zu § 301 Bern. 2. Vgl. unten § 64 sub IV. 7 A. A. v. S c h w a r z e zu § 303 Bern. 3 in unkritischer Verwertung preufsischer Präjudizien: Nichtigkeit liege nicht vor. In anderer Richtung zu weitgehend H. M e y e r I I S. 194: es sei stets Nichtigkeit anzunehmen. Heilung der Nichtigkeit kann nicht gefunden werden in vorschriftsmäfsiger Wiederholung der Belehrung im Sitzungszimmer, wie preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10 S. 192f. angenommen hat, denn eine etwa bereits geschehene Beeinflussung der Geschworenen würde dadurch nicht aus der Welt geschafft. 6

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ziminer beginnt deren strenge Isolierung 8 . Zuvor, in Verhandlungspausen, in den Zwischenzeiten mehrtägiger Verhandlung, ist der Verkehr mit Dritten freigegeben und es bleibt der Gewissenhaftigkeit der Geschworenen überlassen, ungehörige Einwirkungen von sich abzuweisen, sich Suggestionen jeder Art, mündlichen, schriftlichen, gedruckten, möglichst zu entziehen. Dafs Trübungen der empfangenen Beweiseindrücke und des auf sie gebauten Urteils durch Mitteilungen anderer eintreten können, mögen diese Verhandlungswahrnehmungen, Gerüchte, reine Phantasiegebilde, Beurteilungen — bedachte oder unbedachte, in gutem oder in bösem Glauben — wiedergeben, dafs besonders Zeitungsberichte über die Verhandlung geeignet sind, solchen Einflufs zu üben, ist eine nicht auszuschliefsende psychologische Tatsache. Das Gesetz kann aber, soll nicht während der ganzen Verhandlung hermetische Abschliefsung der Geschworenen von der Aufsenwelt eintreten, ein solches leidiges Ergebnis nicht schlechthin verhindern. Und zu jenem Mittel darf es nicht greifen, die Verhängung derartiger Polizeiaufsicht über das Geschworenenkollegium müfste dem Spruche jeden Kredit nehmen9. Die Geschworenenklausur während der Beratung war in früheren Gesetzen öfters speziell sicher gestellt 10 . Jetzt entscheidet 8

Vgl. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 36 S. 195 (Gespräch von Geschworenen mit dem Staatsanwalt im Sitzungssaal). 9 Die abweichenden Eigentümlichkeiten des englischen Rechts, G l a s e r a. a. 0. S. 142, S t e p h e n , New Commentar. on the laws of England 14. Aufl. p. 382 (Milderung durch Juries Detention Act 1897), entziehen sich der Übertragung auf deutsche Verhältnisse. Ohne Zweifel aber liegt es in der sitzungspolizeilichen Befugnis des Vorsitzenden, einen Verkehr der Geschworenen mit Dritten während der Verhandlung zu inhibieren. 10 Vielfach auch durch scharfe Strafbestimmungen für den Kontraventionsfall. Vgl. im einzelnen code art. 343, Bay. 1848 Art. 181 Abs. 2, Kurhess. 1848 § 326 u. 1863 § 162, Hess.-Darmst. 1848 Art. 175 u. 1865 Art. 373, Braunschw. 1849 § 143, Württ. 1849 Art. 164 u. 1868 Art. 373, Thür. 1850 Art. 290, Hannov. 1850 § 189 Abs. 3—5 u. 1859 § 195 Abs. 3—5, Preufs. 1852 Art. 90, Frankf. 1856 Art. 244, Oldenb. 1859 Art. 333, Bad. 1864 § 282, Preufs. 1867 § 332, Sachs. 1868 § 72, Hamb. 1869 § 216, Bremen 1870 §§ 501, 502. Strafandrohung für Geschworene und für Dritte auch in Österr. 1873 § 327 Abs. 1. In der R.Just.-Komm. wurde ein Antrag, eine Strafvorschrift in das Gesetz aufzunehmen, abgelehnt, Prot. S. 471. Doch kann die Ordnungstrafgewalt nach § 179 GVG in Betracht kommen. Auch der Geschworeneneid enthielt öfters das Versprechen, über den zu erteilenden Ausspruch mit niemand, aufser mit den Mitgeschworenen, Rücksprache zu nehmen: Bay. 1848 Art. 110, Kurh. 1848 § 295 u. 1863 § 152,

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das Ermessen des Vorsitzenden über die sachdienlichen Mafsnahmen. Für behauptete Verletzung der gesetzlichen Vorschriften gilt, da der Vorgang aufserhalb der Hauptverhandlung liegt, keineswegs die ausschliefsliche Beweiskraft des Protokolls n . Während der Beratung der Geschworenen wird der Angeklagte aus dem Sitzungszimmer entfernt, § 301 StPO 12 . Das ist um so mehr veranlafst, als er bei Kundgebung des Spruches durch den Obmann nicht zugegen sein soll, erst nach vorgängiger gerichtlicher Prüfung der Spruch ihm verkündet wird. Aber es .versteht sich, dafs Verbleiben des Angeklagten im Sitzungszimmer während des Beratungsstadiums Nichtigkeit des Urteils nicht zu begründen vermag 13 . I I . Die Geschworenen haben zu entscheiden nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme an der Hand des Gesetzes. Dafs rechtsgelehrte Richter je in den elementaren Fehler verfallen sollten, bewufst statt nach dem Verhandlungsinhalt oder in dessen Ergänzung oder Korrektur nach dem Inhalt der schriftlichen Untersuchungsakten zu erkennen, kann als ausgeschlossen gelten. Den Richtern unbewufst mag die Kenntnis der Voruntersuchungsprotokolle gelegentlich das Verhandlungsbild verfälschen. Die aus den Akten gewonnenen Eindrücke ganz in sich zurückzudrängen, ihnen jeden Einflufs zu versagen auf die Würdigung der Verhandlungsbeweise, auf die Schuldüberzeugung, die Schätzung des Schuldmafses kann bei aller Kritik und Gewissenhaftigkeit nicht immer gelingen. Indem das Rechtsgesetz die Richter bindet an das Prinzip der reinen Mündlichkeit, vermag es sie doch nicht zugleich zu entbinden von einer dieses Postulat gelegentlich durchkreuzenden Wirkung der psychologischen Gesetze 1 4 . Solche Schädlichkeiten aber liegen schon vor der Beratung. Den Richtern die Mitnahme der Akten in das Beratungszimmer zu verbieten, hätte keinen Sinn. Einen pflichtwidrigen Gebrauch I

Württ. 1849 Art. 118, Thür. 1850 Art. 281, Frankf. 1856 Art. 207, Oldenb. 1857 Art. 314 § 2. Ebenso code art. 312 und Österr. § 313. 11 Vgl. auch RG Bd. 27 S. 5, ferner 2. Str.-S. E. Bd. 3 S. 267 f. 12 Ebenso die früheren deutschen Gesetze und Österr. § 325 Abs. 2. 13 L ö w e - H e l l w e g zu § 301 Bern. 5; H. M e y e r a. a. 0. S. 192. Vgl. auch RG 2. Str.-S. R. X S. 417. Ebenso die Praxis des franz. Kass.Hofs, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 341 Bern. 5. 14 Eine gewisse Sicherung bieten der Ausschlufs des Untersuchungsrichters und des Referenten der Beschlufskammer von der Teilnahme am erkennenden Gericht, § 23 StPO.

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der Akten bei der Beratung vorauszusetzen, wäre ein die Würde des Richteramts verletzendes Mifstrauensvotum. Den Geschworenen hingegen fehlt, wenn sie auch die Pflicht, nur nach dem Verhandlungsinhalte zu erkennen, wohl verstehen, doch die geistige Schulung, die allein eine voll ausreichende Erfüllung dieser Forderung sicher zu stellen vermag. Sie sind nicht gewohnt, zwischen Eindrücken, die ihnen die Beweisaufnahme geboten hat, und Informationen von anderer Seite in ihrem Bewufstsein scharf zu sondern, sich das Verhandlungsbild frei zu erhalten von allen Zutaten verhandlungsfremden Ursprungs. Dem Geschworenen soll wie dem Richter ein aufsergerichtlich erworbenes Wissen nicht Urteilsgrundlage sein, aber es wird ihm damit eine Gedankenoperation zugemutet, der er öfters nicht gewachsen ist. Würden gar den Geschworenen die Akten in das Beratungszimmer mit gegeben, so müfste diese Duldsamkeit des Gesetzes zu einer Quelle der schlimmsten Verwirrung werden. Zweifel über den Inhalt von Zeugen- usw. -Aussagen fänden dann ihre Lösung durch Verwertung der Protokolle über frühere Vernehmungen derselben — oder auch anderer ! — Personen ; Tatsachen, die nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen sind, würden ergänzend und berichtigend aus den Akten herangezogen; Schriftstücke, die nach gesetzlicher Vorschrift nicht verlesen werden durften, Leumundszeugnisse u. dgl., erhielten mitbestimmende Bedeutung. Die Mündlichkeit würde zu einer reinen Fiktion. Und das alles könnte kommen beim besten Willen der Geschworenen, in den Grenzen der Verhandlung zu bleiben, nur die Erinnerung an deren Ergebnisse „aufzufrischen". Die Mündlichkeit zu schützen, dient der negative Inhalt des § 302 StPO: „Gegenstände, welche in der Verhandlung den Geschworenen zur Besichtigung vorgelegt wurden, können ihnen in das Beratungszimmer verabfolgt werden." Der Gesetzgeber hätte besser in der verbietenden Form gesprochen, statt auf das argumentum e contrario aus erteilter Erlaubnis zu verweisen. Der Sinn kann nur sein, den Geschworenen zu entziehen alle Gegenstände, deren Berücksichtigung bei der Beratung dem Mündlichkeitsprinzip widerspricht. Ein Komplex solcher Dinge und daher unbedingt vorzuenthalten sind vor allem die Akten im Ganzen15. 15

Viel zu weitgehend die Bestimmungen des code art. 341 und früherer deutscher Gesetze, Bay. 1848 Art. 180, Württ. 1849 Art. 161 u. 1868 Art. 372,

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Dagegen besteht kein gesetzliches Hindernis, den Geschworenen mitzugeben Schriftstücke, die in der Verhandlung verlesen worden sind 1 6 ; wie sollte unzulässig sein eigenes Lesen des den GeHess.-Darmst. 1849 Art. 173 u. 1865 Art. 372, Frankf. 1856 Art. 241, Oldenb. 1857 Art. 332, Preufs. 1867 § 330 Abs. 2, Brem. 1870 § 499, wonach die Akten mit Ausnahme der Zeugenprotokolle den Geschworenen behändigt werden durften. Ähnlich Österr. § 325 Abs. 2. Beschränkter Sachs. 1868 § 71, Hamb. 1869 § 213. Dagegen treffend die Mot. S. 180. Falsch auch Hann. 1850 § 189 Abs. 1 u. 1859 § 195 Abs. 1, wonach die Geschworenen erhalten die „über den sachlichen Tatbestand aufgenommenen Protokolle". Vielfach wurde auch der Anklageakt den Geschworenen mitgegeben, code, Bayern, Kurh., Württ., Hess.-Darmst., Bad., Thür., Frankf., Oldenb., Sachs., Hamb., Brem., als ob die Beeinflussung der Geschworenen durch dessen Verlesen beim Verhandlungsbeginn noch nicht genügt hätte! So leider auch Österr. § 325 Abs. 2. Die Vorschriften des code haben zudem in der Praxis die allerweiteste Ausdehnung gefunden. Das Gesetz wird imperativ ausgelegt, doch nicht in der Unterlassung ein Nichtigkeitsgrund gesehen, R o l l a n d de V i l l a r g u e s art. 341 η. 119. Sogar anonyme Briefe über den Angeklagten dürfen den Geschworenen mitgegeben werden ( S i r e y et M a l e p e y r e art. 341 η. 60)! Andererseits gilt die verbotswidrige Mitgabe der Zeugenprotokolle als Nichtigkeitsgrund nur, wenn der Angeklagte zuvor die strikte Befolgung des Gesetzes verlangt hatte, H é l i e , Prat. crim. I nr. 863! Dagegen besteht nicht die Pflicht zur Mitgabe von Augenscheinsobjekten, die doch unbedenklich und öfters empfehlenswert ist. Preufs. 1852 Art. 88 enthielt keine bezügliche Bestimmung. Ob.-Trib. bei G o l t d . Bd. 13 S. 572 hat mit Recht die Mitgabe der Akten für unzulässig erklärt. Einzelne Beweisstücke den Geschworenen zu behändigen, wurde gestattet, Ob.-Trib. bei G o l t d . Bd. 2 S. 233, bei O p p e n h o f f 17, 295 f. Schlechthin verboten war die Mitgabe irgendwelcher Aktenstücke in Braunschw. 1849 § 141 : die Geschworenen konnten nur nochmalige Vorlesung von Urkunden erbitten. Das Reichsgericht hat mit Recht die Mitgabe ganzer Aktenbände usw. mehrfach reprobiert, Fer.-S. Bd. 16 S. 188, 2. Str.-S. E. Bd. 22 S. 368 f. 16 So ausdrücklich Kurh. 1848 § 321 u. 1863 § 162, Bad. 1851 § 97 Abs. 3 u. 186*4 § 281 Abs. 2. Das Reichsgericht ist mehrfach von dem falschen arg. e contrario ausgegangen, dafs den Geschworenen nur die im § 302 erwähnten Gegenstände verabfolgt werden dürften, so 2. Str.-S. E. Bd. 10 S. 115 f. (hier war aber ein nur teilweise verlesenes Protokoll mitgegeben worden), ders. S. bei Goltd. Bd. 42 S. 118 (die Mitgabe verlesenen Protokolls verstöfse gegen § 302, begründe aber nicht die Revision wegen mangelnder Kausalität für den Urteilsinhalt: womit die Unrichtigkeit des Ausgangspunktes deutlich indiziert ist). I n der Entsch. 20 S. 382 ist vom 1. Str.-S. für zulässig erachtet, den Geschworenen während der Beweiserhebung zur Unterstützung des Gedächtnisses beglaubigte Abschriften

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schworenen bereits \rorgelesenen, das bestimmt war, bei der Entscheidung von ihnen benutzt zu werden ? Im Falle gesetzwidriger Verlesung ist, wenn der Verstofs vom Gerichte vor Abgabe des Wahrspruchs noch erkannt wird, Warnung der Geschworenen vor der Verwertung des ungesetzlichen Beweisaktes, eventuell unter Zurückrufung der Geschworenen aus dem Beratungszimmer, geboten 17 , das Schriftstück diesen also jedenfalls nicht auszuhändigen oder ihnen wieder zu entziehen. Objekte, an denen in der Verhandlung der Augenschein eingenommen worden ist, wozu öfters auch Schriftstücke, gefälschte Wechsel, beleidigende anonyme usw. Briefe, die eine Schriftvergleichung unter Zuziehung von Sachverständigen in der Hauptverhandlung bedingten, u. dgl. gehören, können ganz unbedenklich in der Beratung von den Geschworenen noch einmal eingesehen werden 18 . So der positive Inhalt des § 302 19 . Unter der Augenscheinseinnahme in der Verhandlung ist natürlich eine solche durch Richter und Geschworene zu verstehen. Es mufs den Geschworenen, den Urteilern über die Schuld, die Gelegenheit zur Besichtigung durch den Verhandlungsleiter unter ausdrücklicher oder konkludenter Aufforderung dazu geboten gewesen sein; es genügt nicht die blofse Tatsache, dafs sie den Gegenstand sehen usw. konnten, ohne dafs bezügliche Beweishandlung, die Heranziehung der Geschworenen zur Augenscheinseinnahme stattfand 20 . verlesener Beweisurkunden einzuhändigen: dann mufs es aber um so mehr statthaft sein, ihnen die Originale zu übergeben, auch zur Mitnahme in das Beratungszimmer. Zutreffend U l l m a n n , Österr. Strafp. S. 567; W o l f g . M i t t e r m a i e r , Zur Frage der Schwurgerichte S. 17. 17 Vgl. unten § 64 Y 1. 18 I n diesem Sinne Kurh. 1848 § 321 u. 1863 § 162, Thür. 1850 Art. 288, Bad. 1851 § 97 Abs. 3 u. 1864 § 281 Abs. 2. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 10 S. 161. Kann ein Augenscheinsobjekt, z. B. eine besichtigte schriftliche Erklärung, von anderen Gegenständen nicht getrennt werden (es befinden sich z. B. auf demselben Blatte weitere Erklärungen usw.), so ist Herausgabe an die Geschworenen möglichst zu vermeiden, würde aber, wenn nach Lage der Sache die weiteren Gegenstände einen Einflufs auf den Wahrspruch nicht zu üben vermochten, nicht Nichtigkeit ergeben. Vgl. dazu 2. Str.-S. Bd. 22 S. 368 f. 19 Ihn lassen allein entscheiden unter Ausschlufs der Mitgabe weiterer Gegenstände: H. M e y e r S. 192; B i r k m e y e r S. 640; B e n n e c k e - B e l i n g S. 561; v. S c h w a r z e zu § 302 Bern. 2; ν. Β o m h a r d - K o l l e r das. Bern. 2; D a l c k e das. Bern. 1; K e l l e r Bern. 2. 20 Entschieden unrichtig RG 3. Str.-S. E. Bd. 5 S. 398 f. Zutreffend da-

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Unter dieser Voraussetzung ist die wiederholte Besichtigung im Beratungszimmer ebensowenig „Beweisaufnahme ohne Anwesenheit der Parteien", als wenn ein rechtsgelehrtes Gericht bei seiner Beratung noch einmal die Augenscheinsobjekte sich ansieht 21 . Der in der Erinnerung des Richters fixierten viva vox des Zeugen entspricht die gegenständlich verkörperte stumme Aussage des sachlichen Beweisstückes. Dem Ansprüche der Parteien ist genügt, wenn ihnen bei der Besichtigung in der Verhandlung ausreichende Gelegenheit gegeben war, sich zu erklären, Beweisanträge zu stellen usw. Das Gesetz hat also gewifs Recht, wenn es im § 302 der Behändigung solcher Beweisstücke auch an beratende Geschworene nicht entgegentritt. Der Unterschied freilich besteht, dafs rechtsgelehrte Richter bei nachträglich noch aus der Besichtigung sich ergebenden Zweifeln, die durch Wiedereröffnung der Beweisverhandlung vielleicht gehoben werden können, diese beschliefsen, während bei Geschworenen nicht mit Sicherheit zu erwarten ist, dafs sie dazu die Initiative geben. Ganz falsch wäre, den Geschworenen schlechthin die sog. Überführungsstücke zur Verfügung zu stellen 22 . Vielmehr kann es sich nach dem Gesetze nur handeln um Gegenstände stattgehabter Augenscheinseinnahme. Einen A n s p r u c h auf Mitgabe verlesener Schriftstücke und von Augenscheinsobjekten haben die Geschworenen nicht. Es entscheidet das Ermessen des Gerichts, zunächst des Vorsitzenden, im Falle der Beanstandung seiner — positiven oder negativen — Bestimmung, § 237 Abs. 2, das des Gerichts 23 . Auf Gerichtsbeschlufs können hinwirken die beisitzenden Richter, die Geschworenen und die Parteien. Die Anordnung ist gedacht als eine Mafsregel der Verhandlungsleitung, nicht als Internum, das nur die beiden Richterkollegien berührt. Der Vorsitzende hat daher noch in der Verhandlung, also im Beisein der Parteien, ausdrücklich zu konstatieren, welche Objekte er den Geschworenen übergeben will, während Nichtmitgabe durch konkludentes Schweigen von ihm erklärt wird. Den Parteien steht frei, wie den Mitgegen 2. Str.-S. E. Bd. 37 S. 253 (es mufs Vorlegung an die Geschworenen zur Besichtigung stattgefunden haben). 21 Sehr richtig preufs. Ob.-Trib. bei Goltd. Bd. 2 S. 233. Unzutreffend v. K r i e s S. 253. 22 So Preufs. 1867 § 330 Abs. 2. 23 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g zu § 302 Bern. 2; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 193; S t e n g l e i n zu § 302 Bern. 2.

§ 45. Die Obmannswahl.

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richtern und den Geschworenen, die positive und die negative Anordnung zu beanstanden. Gesetzbücher, rechtswissenschaftliche Werke dürfen von den Geschworenen zweifellos benutzt werden. Diese sollen ja nach dem Gesetz entscheiden, ohne dafs sie durch die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden gebunden wären. Eine andere Frage ist, ob die Geschworenen von solchen Behelfen auch den richtigen Gebrauch machen können und ob es sich daher empfiehlt, sie ihnen auf Wunsch oder auch spontan zur Beratung mitzugeben 24 . Unzulässig ist die Verabfolgung nie, da das Mündlichkeitsprinzip dabei ganz aufser Frage steht 2 5 . Wissenschaftliche Schriften in der Hand des Laienrichters können Nutzen kaum jemals haben, aber leicht Verwirrung stiften, zutreffende Rechtsbelehrung um ihre Wirkung bringen 26 . Dagegen mag Einsicht des Gesetzestextes zuweilen dienlich sein: wenn ein Gesetzesinhalt nicht in die Fragen aufzunehmen war, z. B. der Schuldausschliefsungsgrund der Notwehr, des Notstandes in Betracht kommt, und die Erläuterung der Gesetzesfassung durch den Vorsitzenden den Geschworenen in und mit den erläuterten Worten gegenwärtig gehalten wird 2 7 . § 45.

Die Obmannswahl.

Nach Eintritt in das Beratungszimmer haben sich die Geschworenen, die bisher nur durch Wahrnehmung, Frage, Antrag ihr Richteramt geübt hatten, zunächst als Spruchkollegium zu 24

Den englischen Geschworenen wird das G e s e t z auf Verlangen eingehändigt, G l a s e r a. a. 0. S. 149. I n der R.-Just.-Komm. war ein entsprechender Zusatz beantragt worden. Man sah davon ab, um nicht einem arg. e contr. gegen die Zulassung wissenschaftlicher Werke Raum zu geben. Prot. S. 470. 25 Übereinstimmend RG 2. Str.-S. R. V I I I S. 301. Zweifellos besteht nicht ein A n s p r u c h , weder der Geschworenen, noch der Parteien, auf Mitgabe solcher Bücher. Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 13 S. 248. 26 Einem Richtergeschworenen — im Sinne meiner Vorschläge, Ger.-Saal Bd. 68 S. 96 f. — sind wissenschaftliche Hilfsmittel auf Wunsch selbstverständlich zu behändigen. Für das geltende Recht widerraten die Mitgabe L ö w e - H e l l w e g zu § 302 Bern. 3; D a l c k e , Fragestellung S. 125; H. M e y e r S. 193; a. A. S t e i n , Privates Wissen des Richters S. 187. 27 I n unstatthafter Generalisierung erklärt v. K r i e s S. 622 die Mitgabe von Gesetzbüchern stets für dringend geboten.

§ 45.

Die Obmannswahl.

konstituieren 1 . Das geschieht durch die Wahl eines Organs zur Leitung der Beratung und Abstimmung, d. i. des O b m a n n s 2 . Das Gesetz schreibt hierfür schriftliche Abstimmung vor und läfst die Mehrheit der Stimmen, bei Stimmengleichheit das höhere Lebensalter genügen, § 304 Abs. I 3 . I. Über die Leitung des Wahlaktes ist nichts bestimmt. Vielleicht wird sie von den Geschworenen stillschweigend dem erst ausgelosten oder dem ältesten oder einfach demjenigen Mitgliede überlassen, das die Initiative dazu ergreift. Andernfalls müfste zunächst eine Vereinbarung über die Wahlleitung herbeigeführt werden. Dafs Einigung nicht gelingen sollte, ist unwahrscheinlich, aber nicht undenkbar. Eine Wahl, für die ja auch erst wieder ein Leiter bestimmt sein müfste, würde nicht zum Ziele führen. Beansprucht jeder von den Zwölf die Leitung für sich, während alle anderen widersprechen, oder stöfst auch nur der Versuch des einen oder anderen, die Wahlleitung in die Hand zu nehmen, jedesmal auf den Widerstand anderer, so ist nicht weiter zu kommen und es bleibt nur übrig, dafs die Geschworenen dem Gericht anzeigen, ihre Konstituierung sei nicht gelungen. Ein Abhilfemittel gibt es dann nicht. Das Gericht hat nicht die Befugnifs, selbst den Wahlleiter zu bestimmen. Zur Verhängung einer Ordnungsstrafe , weil die Geschworenen sich durch Unterlassung der Obmannswahl ihren Pflichten entzogen hätten, §§ 56, 96 GVG, 1 Es mufs als schwerer Fehler des Gesetzes bezeichnet werden, dafs die Konstituierung der Jury durch Obmannswahl nicht gleich nach der Vereidigung geschieht. Eine prozessuale Aktion des Geschworenenkollegiums im Gegensatz zu den einzelnen Geschworenen bei der Fragenfeststellung und im Beweisverfahren ist dadurch unmöglich gemacht. O e t k e r , Ger,-Saal Bd. 65 S. 333f., Bd. 68 S. 103 f. und oben S. 98, 344. 2 Code art. 342 Abs. 2 bestimmt den erstausgelosten Geschworenen zum Vorstande, aber es steht mit Einwilligung dieses Geschworenen die Bestimmung eines anderen Obmanns frei. Der letztere Vorgang ist nicht gesetzlich geordnet ; nach der Praxis kann die Ersetzung sofort im Gerichtssaale, noch vor der Beeidigung der Geschworenen erfolgen, Kass.-Hof v. 12. Jan. 1860 bei S i r e y , Recueil 60. 1. 393. Es wird präsumiert, dafs die Ersatzwahl gesetzmäfsig stattgefunden hat, wenn ein anderer Geschworener den Spruch signiert und verlesen hat ohne Widerspruch der übrigen, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 342 nr. 12 u. 13. 3 Der Entw. § 261 wollte in dieser Hinsicht alles den Geschworenen überlassen, da die Obmannswahl erfahrungsmäfsig niemals Schwierigkeiten bereite (Mot. S. 181). Eine schwerlich zutreffende Voraussetzung! Jedenfalls aber hat das Gesetz, nicht das Belieben der Geschworenen über die erforderliche Majorität usw. zu bestimmen.

382

§ 45. Die Obmannswahl.

läge kein Grund vor. Kein Geschworener ist verpflichtet, sich der Wahlleitung durch einen anderen zu unterwerfen. Und das Gericht kann doch auch nicht ohne Rücksicht auf individuelles Verschulden kurzweg das Geschworenenkollegium in Strafe nehmen! Das Gesetz hätte den Wahlleiter bestimmen müssen (nach Analogie der parlamentarischen Geschäftsordnungen) 4. So ist den Geschworenen, wenn sie nicht urteilen wollen, vom Gesetz eine bequeme Handhabe geboten, ihre Funktion zu versagen, indem sie durch Dissens über den Wahlleiter den Wahlakt verhindern. Das Gericht kann auf solche Anzeige hin weiter nichts tun als die Verhandlung abbrechen und sie mit einer neuen Geschworenenbank von Neuem beginnen. I I . Die Wahl des Obmanns soll schriftlich, also durch Stimmzettel, erfolgen. Die Absicht dabei ist, zu verhüten, dafs ohne weitere Überlegung der erste Beste, der von irgend einer Seite vorgeschlagen wird oder sich selbst zur Funktion vordrängt, zum Obmann bestellt wird 5 . Geheime Abstimmung ist nicht vorgeschrieben, die Stimmzettel können die Namen der Stimmenden enthalten. Ein Wahlprotokoll wird nicht aufgenommen 6, die Stimmzettel sind alsbald zu vernichten. I I I . Indem nur die „Mehrheit", nicht, wie im § 198 GVG, die „absolute Mehrheit" der Stimmen gefordert und über eine engere Wahl keinerlei Bestimmung getroffen wird, läfst das Gesetz relative Mehrheit genügen7. Sollten mehr als zwei Geschworene je die gleiche Stimmenzahl erhalten haben, so würde ebenfalls zwischen ihnen das höhere Lebensalter entscheiden. Falls die Geschworenenbank gemäfs § 286 StPO für weitere Sachen zu verbleiben hat, ist angemessen, dafs auch die Obmannswahl auf die mehreren Verhandlungen bezogen wird. Aber es ist kein Grund abzusehen, Erneuerung der Wahl, Obmannswechsel in 4 So Hannover 1850 § 189, 1859 § 195, Hamb. 1869 § 214 (Leitung durch den Erstausgelosten). 6 Prot. 1. Les. S. 471. 6 Preufsen 1852 Art. 89; Oldenburg 1857 Art. 334 § 1; Preufsen 1867 § 333; Brem. 1870 § 502 schliefsen die Protokollierung ausdrücklich aus. 7 Übereinstimmend L ö w e - H e l l w e g zu § 304 Bern. 3; T h i l o Bern. 2; v. B o m h a r d - K o l l e r Bern. 2; K e l l e r Bern. 2. Ebenso für Österreich M a y e r zu § 326 StPO Bern. 4. A. A. D a l c k e Bern. 4. I n früheren Gesetzen wird zuweilen ausdrücklich nur rel. Majorität vorausgesetzt, Hannover 1859 § 195, Württ. 1868 Art. 374.

§ 45. Die Obmannswahl.

den mehreren Sachen für unzulässig zu erachten 8. Der — ausdrücklich oder stillschweigend — nur für die erste Sache gewählte Obmann kann tacito consensu omnium ohne Neuwahl in den ferneren Sachen weiter funktionieren. Wird das vom Leiter konstatierte Abstimmungsergebnis oder die Gültigkeit der Wahl (weil nicht schriftlich, weil z. T. mündlich, z. T. schriftlich gewählt worden ist, weil ein Plus von Zetteln sich ergeben hat usw.) bezweifelt, so hat das Kollegium der Geschworenen zu entscheiden, in Analogie des § 196 Abs. 2 GVG. Stimmenthaltungen (durch Abgabe weifser Zettel) sind rechtswidrig, da jeder Geschworene zur Wahl verpflichtet ist, machen aber nicht die Wahl ungültig. Es kommt nur darauf an, dafs die gesetzlich erforderte relative Mehrheit erreicht ist. Dazu gehören nicht einmal unbedingt mehrere Stimmen : die Wahl würde gültig sein auch bei Abgabe von elf weifsen Zetteln. Der Gewählte hätte auch in diesem Falle ein Mehr an Stimmen für sich als jeder andere Geschworene; wer einen weifsen Zettel abgibt, erklärt sich damit einverstanden, dafs lediglich auf Grund der beschriebenen Zettel das Wahlresultat festgestellt wird. Die Entscheidung des Kollegiums über die Gültigkeit der Wahl ist definitiv. Zur Kognition des Gerichts kann die Frage nicht gebracht werden. Die Vornahme der WTahl ist durchaus internum corporis. Ein Beschlufs der Geschworenen darüber kommt nicht zu den Akten, wird überhaupt nicht schriftlich fixiert, ist gar nicht Prozefstatsache. Die Geschworenen sind verpflichtet, über die Hergänge auch bei der Obmannswahl, nicht nur bei der dann folgenden Beratung und Abstimmung zur Sache Stillschweigen zu beobachten, § 200 GVG. Daraus folgt von selbst, dafs sich auch die Schriftlichkeit der Abstimmung der Nachprüfung entzieht 9 ; das Erfordernis nimmt insofern blofs instruktionellen Charakter an. IV. Ablehnung der Wahl ist unzulässig, die Übernahme der Funktion gehört zu den Geschworenenpflichten. Aber die Annahme der Wahl zu erzwingen, etwa unter Veranlassung gerichtlicher Intervention, sind die Geschworenen nicht in der Lage 1 0 ; einer Anzeige an das Gericht stände wieder § 200 GVG im Wege. Es wird daher bei Ablehnung alsbald zur Neuwahl zu schreiten sein. 8

Richtig D a l c k e S. 121. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 2 S. 257, 2. Str.-S. R. I V S. 713. 10 So Geyer S. 759; Y o i t u s zu § 304 Bern. 1. K e l l e r Bern. 4 hält eine „von den übrigen Geschworenen nicht genehmigte" Ablehnung für strafbar : also Straferlafs durch das Geschworenenkollegium ! 9

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§ 45. Die Obmannswahl.

In dem äufserst unwahrscheinlichen Falle, dafs elf Gewählte hintereinander ablehnen sollten, wäre der zwölfte nun eo ipso Obmann ; da die Wahl Pflicht ist und nur auf ihn noch fallen könnte, ist er als gewählt zu betrachten. Sollte auch er die Übernahme verweigern, so läge nun in Verbindung mit den elf früheren Ablehnungen eine Justizverweigerung des Geschworenenkollegiums vor: sie machen sich durch allseitige Ablehnung des Obmannsamtes selbst die Erfüllung der Urteilspflicht unmöglich 11 . Die Anzeige der Geschworenen an das Gericht, Obmannsbestellung sei an konsequenter Ablehnung gescheitert, ist die Erklärung, dafs die Justiz von ihnen geweigert werde. Daher sind alle Geschworenen, wenn nicht auf Bedeutung und Mahnung des Vorsitzenden hin eine Obmannswahl noch zustande kommt, nach §§ 56, 96 GVG vom Gericht in Strafe zu nehmen, weil sie alle sich ihren Obliegenheiten entzogen haben. Jeder Einzelne hat durch seine pflichtwidrige Ablehnung, bei der er trotz Ablehnung auch der Anderen verblieben ist, die Justizverweigerung mitverursacht. Diese Strafbefugnis ist das einzige Mittel, einem solchen Obstruktionsversuche, wie er immerhin in mifsliebigen politischen Prozessen gelegentlich vorkommen könnte, wirksam zu begegnen. Weitere Verhandlung in der Sache ist natürlich unmöglich, der Prozefs ist an ein neues, Geschworenenkollegium zu bringen. V. Gleiche Behandlung tritt in anderen Fällen der Nichtwahl ein. Anders nur, wenn der Dissens über den Wahlleiter die W7ahl verhindert haben sollte; hier liegt die Schuld am Gesetz. Erklären die Geschworenen, dafs Obmannswahl nicht zustande gekommen sei, so haben sie sich wegen Justizverweigerung zu verantworten und die Gründe anzugeben. Der Vorsitzende sucht durch geeignete Belehrung das Wahlhindernis zu beseitigen. Gewinnt das Gericht, eventuell nach wiederholten vergeblichen Versuchen die Überzeugung, dafs auf das Gelingen der Wahl nicht zu rechnen ist, so bewendet nur Abbruch der Verhandlung und Entlassung der Geschworenen. Zugleich werden diese, soweit das Gericht ein Verschulden als erwiesen ansieht, in Strafe genommen. Die W a h l des Obmanns ist allerdings ein Internum. Aber die Gründe der N i c h t w a h l der Kognition des Gerichts zu entziehen, steht den Geschworenen selbstverständlich nicht zu. 11 Ablehnung des Amtes seitens des Erst- usw. -Gewählten macht ihnen die Pflichterfüllung nicht unmöglich. Daher kein Strafbedürfnis !

§ 45.

Die Obmannswahl.

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VI. Zur Entsetzung des Obmanns sind die Geschworenen an sich nicht befugt. Wird jedoch der Spruch vom Gericht abgelehnt, weil Geschworene sein Zustandekommen bestritten haben und das Gericht diesem Protest Folge gegeben hat oder weil das kundgegebene und niedergeschriebene Abstimmungsergebnis zeigt, dafs nicht alle Geschworene am Spruch teilgenommen hatten, so steht den Geschworenen Neuwahl frei 1 2 . Mit dem zurückgewiesenen Spruche hat auch die Aktion des Obmanns für das Gericht ihre Bedeutung verloren. Anders, wenn der Spruch den Geschworenen nur zur Berichtigung zurückgegeben wird. In solchem Falle ist Obmannswechsel ausgeschlossen18. VII. Niederlegung des Amts seitens des Obmanns ist so wenig zulässig, als Ablehnung der Wahl. Aber die Geschworenen haben nicht Zwangsbefugnis gegen den Obmann und können dem Gericht von dem internen Vorgang nicht Anzeige machen. Nur wenn der Obmann den Spruch bereits kundgegeben und das Gericht Berichtigung angeordnet hätte, wäre wegen der prozessualen Unzulässigkeit des Obmannswechsels im Berichtigungsverfahren durch die Weigerung des Obmanns zu weiterer Funktion die Strafe des § 96 GVG verwirkt. Tritt — abgesehen vom Berichtigungsfalle — der Obmann während der Spruchberatung zurück, so bewendet nur Neuwahl. Die unter dem früheren Obmann bereits erfolgten Abstimmungen bleiben bei Bestand. Der neue Obmann hat den Spruch auf Grund der früher getroffenen und der etwa noch weiter unter seiner Leitung zu treffenden Feststellungen zu verkünden. Zu solchem Wechsel mag es z. B. kommen in dem immerhin möglichen Falle, dafs der Obmann sich weigerte, einen bestimmten Spruch zu verkünden, um so dessen Änderung zu erzwingen, die Geschworenen jedoch bei ihrer Antwort beharrten. Erkrankung oder sonstige Behinderung des Obmanns während der Beratung und Eintritt eines Ergänzungsgeschworenen in das Urteiler-Kollegium bedingt Wiederholung aller Abstimmungen. Es können nicht auf den neuen Urteiler schon gefafste, ohne seine Beteiligung erfolgte Entscheidungen nachträglich mit bezogen 12 13

Vgl. unten § 51 sub I V 1. Vgl. § 51 sub I V 1.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozeß

III.

25

§ 45. Die Obmannswahl.

386

werden. Ebenso, wenn der Bebinderungsfall in der Person eines anderen Geschworenen gegeben war. Bei blofsem Obmannswechsel hat doch die Unterzeichnung des Spruches im Ganzen durch den neuen Obmann zu geschehen. Dafs die Niederschriften der einzelnen Antworten nicht dieselbe Hand zeigen , schadet nicht. Unzulässig aber wäre Unterzeichnung der Antworten teils durch den alten, teils durch den neuen Obmann. Der Spruch mufs von demselben Obmann kundgegeben werden, der ihn unterzeichnet hat, §§ 307, 308. Sollten also bei Eintreten eines neuen Obmanns einzelne Antworten oder der Spruch im Ganzen schon vom \7orgänger unterzeichnet sein, so müfsten sich die Geschworenen ein neues Exemplar der Fragen erbitten, weil das frühere unbrauchbar geworden sei. Selbstverständlich mufs der neue Fragebogen inhaltlich mit dem früheren genau übereinstimmen und, wie dieser, vom Vorsitzenden unterzeichnet sein (§ 301). Veranlassung zur Einhändigung eines neuen Bogens kann sich ja auch in anderer Weise ergeben, z. B. dadurch, dafs der Bogen durch Tintenflecke z. T. unleserlich geworden ist. Rückgabe des alten Bogens erfolgt nicht; sie wäre im Falle des Obmannsrücktrittes sogar unzulässig, weil damit ein Vorgang bei der Beratung dem Gericht offenbart würde. Auf den neuen Bogen sind die früheren Antworten wortgetreu zu übertragen und vom Obmann im Ganzen zu unterzeichnen. Die Aushändigung des neuen Fragebogens auf Ersuchen der Geschworenen ist im Protokoll zu vermerken, der alte Bogen von den Geschworenen zu vernichten. In erhöhtem Mafse besteht das Bedürfnis neuen Fragebogens, wenn mit dem Obmannswechsel Änderung des Urteilerbestandes sich verknüpfte 14 , einzelne Antworten schon aufgeschrieben und unterzeichnet waren usw. V I I I . Wie nun auch die Vorgänge bei der Obmannswahl im Einzelnen verlaufen sein mögen, nach aufsen, dem Gericht und den Parteien gegenüber, gilt als Obmann derjenige Geschworene, der die Antworten unterzeichnet und in der vorgeschriebenen Form (§ 308 StPO) verlesen hat. Das Gericht hat von Amtswegen nur zu achten auf die Identität des Verkündenden mit der Person, die unterzeichnet hat. Wie es zu halten ist, wenn ein Geschworener dem auftretenden „Obmann" die Legitimation, die Obmannsqualität bestreitet, kann erst später geprüft werden 15 . 14 15

Vgl. sub IX. Vgl. unten § 51 sub I V 2.

§ 46. Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

387

IX. Ergänzungsgeschworene, die schon während der Verhandlung an Stelle behinderter Geschworener eingetreten waren, nehmen an der Beratung und Abstimmung von vornherein teil und wählen selbstverständlich auch den Obmann mit. Substitution erst im Beratungsstadium führt notwendig zur Erneueruug der ganzen Beratung und Abstimmung. Der Spruch kann eben nicht von verschieden komponierten Kollegien je zum Teile erlassen werden. An die bereits erfolgte Obmannswahl ist auch der Ergänzungsgeschworene gebunden, er tritt in diesem Falle in ein schon konstituiertes Spruchkollegium ein. In die Obmannsstellung aber sukzediert der Neueintretende nicht, bei Behinderung des Obmanns ist Neuwahl unvermeidlich. Von dem Behinderungsfall nach Beginn der Beratung haben die Geschworenen, nachdem sie zu diesem Zweck in das Sitzungszimmer wieder eingetreten sind, dem Gericht Anzeige zu machen, damit dieses über die Ersetzung Beschlufs fasse. Die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger sind zur Verhandlung zuzuziehen. Es bedarf der Anhörung auch des Angeklagten, der in das Sitzungszimmer wieder einzuführen i s t 1 6 . Wird die Ersetzung beschlossen, so ist den Geschworenen auf deren Ansuchen zugleieh ein neuer Fragebogen einzuhändigen, da bereits beschlossene und niedergeschriebene Antworten ihre bindende Kraft verloren hätten. §46.

Die

B e r a t u n g und A b s t i m m u n g schworenen.

der

Ge-

I. Bei der Abstimmung sind die Geschworenen an die Reihenfolge der Fragen gebunden1. Aus der Fragenfassung ersehen sie auch, ob Antwort von ihnen unbedingt verlangt wird oder nur unter der Voraussetzung, dafs eine vorgängige Frage in bestimmtem Sinne sich erledigte. Dagegen steht nichts im Wege, zur Klärung der Ansichten zunächst eine allgemein gehaltene, auf alle Fragen sich erstreckende Beratung eintreten zu lassen und dann erst zur Spezialberatung und Abstimmung überzugehen. Die Gestaltung der Beratung im Einzelnen hängt immer vom Obmann und eventuell vom Willen des Kollegiums ab. Sehr wohl kann eine Frage mehrere Abstimmungen erfordern. So ist über einen in die Hauptfrage aufgenommenen Privilegierungs16 1

Vgl. O e t k e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 236. A. A. D a l c k e , Fragestellung S. 122. 25*

§ 46.

388

Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

grund, wenn nicht das Grunddelikt verneint wird, notwendig besonders abzustimmen; so mufs nach Verneinung der Hauptfrage auf qualifiziertes Verbrechen noch über das einfache Delikt abgestimmt werden usw. Ob die richtigen Abstimmungsgrundsätze auch eingehalten werden, ist freilich nichts weniger als sicher. Zweifellos aber gelten für Geschworene hier ganz die gleichen Normen wie für die Richter. Bei Meinungsverschiedenheiten über den Gegenstand, die Begrenzung, die Reihenfolge von Unterfragen, die zu einer Frage des Gerichts etwa zu bilden sind, hat das Kollegium der Geschworenen zu entscheiden, § 196 Abs. 2 GVG. I I . Stimmenthaltungen sind ausgeschlossen2. Dafs Abstimmung nicht verweigert werden darf, weil der Geschworene bei der Abstimmung über eine vorhergegangene Frage in der Minderheit geblieben ist, sagt das Gesetz ausdrücklich (§ 197 GVG) 8 . Gültige Beschlüsse können nur unter Anteilnahme aller Geschworenen zustande kommen 4 . Der Mangel aber bleibt latent, wenn die Abstimmung trotz vorgekommener Stimmenthaltung vom Geschworenenkollegium für gültig erachtet, die Antwort danach ohne Erwähnung der Stimmenthaltung festgestellt und vom Obmann verkündet wurde. Stimmenthaltung seitens eines Geschworenen dem Gericht anzuzeigen, ist das Geschworenenkollegium nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet 5 . Die Diskretionspflicht des § 200 G\ 7 G tritt zurück, soweit durch Renitenz eines einzelnen den Geschworenen die Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflicht unmöglich gemacht wird. Die Geschworenen sind freilich formell in der Lage, die Stimmenthaltung zu dissimulieren, indem sie trotzdem Beschlufs fassen und verkünden. Aber legal ist ein solches Verfahren gewifs 2

Anders das franz. Ges. v. 13. Mai 1836 Art. 4: weifse Zettel zählen zugunsten des Angeklagten. Daher wäre gegenteilige Belehrung der Geschworenen durch den Präsidenten unzulässig, Kass.-Hof 17. Juli 1890, S i r e y , Recueil 91. 1. 367. 3 Anders manche frühere Prozefsordnungen : Hannover 1859 § 195 Abs. 11 (gebilligt von v. B a r , Recht und Beweis S. 183), Kurh. 1863 § 163 Abs. 3, Hess.-Darmst. 1865 Art. 375, Sachsen 1868 § 76 rechneten die Stimme eines Geschworenen, der die Hauptfrage verneint hatte, bei den besonderen auf diese Hauptfrage sich beziehenden Fragen zugunsten des Angeklagten. In gleichem Sinne Österr. g 329 Abs. 1. 4 Verfehlt M a y e r zu § 328 österr. StPO Bern. 11: die nicht abgegebene Stimme zähle zugunsten des Angeklagten. 5 Vgl. auch H. M e y e r in v. Holtz. Handbuch I I S. 196; K l e i n f e i l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 186.

§ 46. Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

nicht 6 . Vielleicht genügt schon die Drohung mit Anzeige, den Geschworenen zur Abstimmung zu bewegen. Oder es führt das gerichtliche Einschreiten, § 96 GVG, zum Ziele. Wenn nicht, so bewendet freilich nur Entlassung der Geschworenen, aber es steht doch die Nichtschuld der übrigen an der Justizverweigerung fest, und der Schuldige erhält die verdiente Strafe. Dagegen sind die Geschworenen zur Anzeige weder verpflichtet, noch auch nur berechtigt, wenn trotz Renitenz des Einzelnen die Erfüllung der Urteilspflicht sich ermöglicht; so nicht bei Ablehnung des Obmannsamtes. In solchem Falle wäre die Anzeige Bruch der Diskretionspflicht. Anzeige von einer Stimmenthaltung n a c h Kundgebung des Spruchs wäre unbeachtlich. Hat das Geschworenenkollegium trotz einer Stimmenthaltung die Abstimmung für gültig befunden, so bindet dieser Beschlufs jeden einzelnen Geschworenen. Anderenfalls liegt eine Entscheidung der Geschworenen gar nicht vor. Der Obmann hätte dann also einen nicht gefafsten Beschlufs kundgegeben. Dagegen zu protestieren steht jedem Geschworenen frei. Nicht die Stimmenthaltung, sondern die fälschliche Kundgebung wird geltend gemacht. Die Bedeutung eines solchen Protestes ist in anderem Zusammenhang klarzustellen. I I I . Gleichzeitige Abstimmung über mehrere Fragen wäre ein schwerer, aber bei Sonderung der Antworten im Spruch nicht erkennbarer Fehler. Der Spruch bezeugt dann durch Trennung der Antworten fälschlich, dafs gesondert gestimmt worden sei. Die Abstimmung geschieht mündlich 7 . Die Reihenfolge dabei richtet sich nach der Auslosung, der Obmann stimmt zuletzt, § 199 Abs. 2 G\ 7 G. Zuwiderhandlungen aber würden sich der gerichtlichen Kognition entziehen. Denn der Spruch ergibt den Mangel nicht. Die Einhaltung der gesetzlichen Abstimmungsfolge ist nur 6

Vgl. auch A b egg in Goltd. Arch. Bd. 14 S. 178 Anm. 2, der — wohl nicht mit Unrecht — annimmt, dafs solche Fälle keineswegs selten seien. 7 Vgl. RG Fer.-S. R. I I I S. 495. In Frankreich ist schriftliche Abstimmung vorgeschrieben, Ges. v. 9. Sept. 1835 u. v. 13. Mai 1836. Der Präsident hat hierüber die Geschworenen zu belehren, c. art. 341 Abs. 2, wie die Jurisprudenz annimmt, bei Meidung der Nichtigkeit; vgl. H é l i e , Prat. crim. I η. 858 u. viele Entsch. des Kass.-Hofs ( S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 341 nr. 38). Bad. 1851 § 99, 1864 § 284 war auch in dieser Hinsicht dem französischen Muster gefolgt. Sehr richtig bemerkt G l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 1224, dafs bei diesem Modus entweder die Beratung oder das Geheimnis der Abstimmung illusorisch sei.

§ 46.

390

Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

vom Geschworenenkollegium zu kontrollieren. Schon wegen der hier eingreifenden Schweigepflicht, § 200 GVG, könnte gerichtliche Entscheidung darüber nicht erwirkt werden. IV. Das Abstimmungsergebnis stellt der Obmann fest. Doch kann jeder Geschworene über die Gültigkeit der Abstimmung und die Richtigkeit der Stimmenzählung kollegialen Entscheid verlangen, § 196 Abs. 2 GVG. V. Mit vollem Rechte läfst die StPO auch für die Geschworenenentscheide Majorität genügen : Zweidrittelmehrheit im Bereiche der Schuldfrage, soweit sie zum Nachteile des Angeklagten entschieden wird, einfache Mehrheit zur Verneinung der mildernden Umstände, die bei Stimmengleichheit als bejaht gelten, §§ 262 Abs. 1, 297 Abs. 2, 307 Abs. 2 StPO. Die Einstimmigkeit der Verdikte im englischen Recht hängt mit dem englischen Beweissystem, einem Komplex von Beweisregeln, über die im Einzelfall die Geschworenen vom Richter bindend belehrt werden, und der absoluten Präponderanz des rechtweisenden Richters zusammen8: Voraussetzungen, die eine Übertragung auf deutsche Verhältnisse nicht zulassen (und auch keineswegs nachahmungs w ü r d i g wären) 9 . 8

Daraus erklärt sich auch, dafs die Jury durchaus in der Regel zur sofortigen Abgabe des Verdikts in der Lage ist. Nach der Aufstellung Z a c k e s , Beschlufsfassung in Versammlungen und Kollegien S. 112, kommt es zu abgesonderter Beratung der Jury durchschnittlich nur in der 100. Kriminalsache (in der 20. Zivilsache). Ist Einigung nicht alsbald zu erzielen, so wird die Jury im Beratungszimmer so lange eingeschlossen, bis der Richter die Gewifsheit erlangt, dafs Einstimmigkeit nicht zu erwarten ist. (Nach dem alten Herkommen war diese Einschliefsung unter Versagung von Speise, Trank, Feuer, Licht ein direktes Zwangsmittel, vgl. dazu H e i n z e in Goltd. Arch. Bd. 13 S. 622). In diesem Falle, der nach Z a c k e S. 112 etwa in der 1000. Kriminalsache (in der 500. Zivilsache) praktisch wird, mufs das Verfahren abgebrochen und der Angeklagte vor eine neue Jury gestellt werden. 9 Die englische Einrichtung — von ihren Vorbedingungen getrennt — wurde imitiert in Braunschw. 1849 § 142 und Waldeck Ges. v. 14. Juni 1850 § 118 mit dem Ergebnis, dafs nur sehr selten Einigung nicht zu erzielen war ( H e i n z e in Goltd. Arch. Bd. 14 S. 4, R u b ο im Ger.-Saal Bd. 17 S. 375), womit aber natürlich nicht gesagt ist, dafs in allen sonstigen Sachen eine wahre Einigung zustande gekommen wäre. Vgl. ferner Braunschw. § 143 Abs. 2: „Können sich die Geschworenen über den Beschlufs binnen 24 Stunden nicht einigen, so hat der Präsident des Gerichts das Recht, sie zu entlassen und die Sache vor die nächste Sitzung zu verweisen." Für das Erfordernis der Einstimmigkeit ist namentlich H e i n z e eingetreten, Goltd. Arch. Bd. 13 S. 729 f., Parallelen zwischen der engl. Jury und dem franz. deutsch. Gesch.-Gericht [(1864) S. 80: die Einstimmigkeit bedeute

§ 46.

Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

Das Erfordernis der Einstimmigkeit der Geschworenen würde für Deutschland bedeuten: wenn ein Teil nachgibt, den Sieg des die Beseitigung aller Zweifel und reduziere die Bedeutung der Majorität von der Kopfzahl auf das Gewicht der Gründe. Welche Illusion! Wie in dem gepriesenen Musterlande, in England, die Einstimmigkeit gelegentlich zustande gekommen ist, darüber vgl. z. B. M a c a u l a y , Gesch. v. Engl, (deutsch von Be s e i e r ) Bd. I I I S. 420. Da sich die menschliche Natur seitdem nicht geändert hat, so wird ähnliches wohl auch heute noch vorkommen. Wenn H e i n z e , Parallelen S. 82, in der Einstimmigkeit einen Ersatz sieht für den Mangel an Entscheidungsgründen, so kann nicht einmal zugegeben werden, dafs dieser Fehler durch jenen a b g e s c h w ä c h t , geschweige dafs er dadurch beseitigt wäre. Vgl. ferner für Einstimmigkeit R ü t t i m a n n , Über die engl. Strafrechtspflege S. 97; v. S t e m a n n , Jury in Strafsachen S. 359 f.; K ö s t l i n , Geschw.Gericht S. 207 f.; M e r k e l , 9. Jur.-Tag I I Nachträge S. 43 usw. I n seltsamen Gedankengängen, krausen Paradoxien und offenbaren Widersprüchen bewegt sich G u n d e r m a n n , Einstimmigkeit der Geschworenen(1849): S. 40, 41 wird die Einstimmigkeit, d. h. jedoch die Einstimmigkeit von mindestens e 1 f Geschworenen — die Aussage eines Dissentienten sei „unbestimmte Einheit", die erst „in einem anderen wirklich geworden", Beachtung finden könne — als wesentliches Element des Schwurgerichts überhaupt bezeichnet, dagegen soll die Einführung dieses Erfordernisses f ü r D e u t s c h l a n d nicht empfohlen werden, S. 202; als Mahnung an die Geschworenen, als ein „Lehrsatz" für sie behalte aber die Einstimmigkeit, auch wenn sie gesetzlich nicht verlangt werde, ihre Bedeutung, S. 208; jedenfalls müsse, obwohl einfache Mehrheit genüge, die Beratung so lange fortgesetzt werden, als zwei widersprechende Geschworene zur Fortsetzung bereit seien, S. 208, obwohl es dann offenbar bei diesen liegt, durch Obstruktion das Zustandekommen eines Verdikts überhaupt zu vereiteln. Gute Gegengründe bei G o l t d a m m e r , Arch. Bd. 12 S. 254 f. Das legislative Material in H e i n z e s Abhandlung, Arch. Bd. 13 S. 616 f., 665 f.; über den geschichtlichen Ursprung (zwölfstimmiges, bei Nichteinigung der ursprünglich berufenen eventuell durch Heranziehung weiterer Geschworenen erzieltes Gemeindezeugnis wandelt sich in einen einstimmigen Spruch der zwölf U r t e i l s geschworenen) der Einstimmigkeit s. besonders B i e n e r , Engl. Geschw.-Gericht I I S. 167 f. Z a c h a r i a e , Handb. I I S. 543 f., hat sich ganz an H e i η ζ e angeschlossen, der Wahrspruch gilt ihm als „eidliches Zeugnis über den Totaleindruck der gerichtlichen Verhandlung" (?). In seiner Schrift „Ein deutsch. Geschw.-Gericht" (1865) S. 184 macht H e i n z e , wie früher G u n d e r m a n n , wenigstens die Konzession, dafs e i n e dissentierende Stimme hingenommen werden könne. Es hängt das bei H e i n z e zusammen mit der von ihm vorgeschlagenen Bildung der Jury nach Gruppen (S. 112 f.). Eine Minderheit von soviel Geschworenen, dafs sie zu einer Gruppe (aus zwei bis drei Geschworenen bestehend) vereinigt, die Mehrheit in dieser bilden würde, also von zwei Geschworenen, reiche aus, das Zustandekommen eines gültigen Verdikts zu vereiteln. I n diesem Falle sei die Verhandlung vor

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46. Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

Stärkeren (der Hartnäckigeren, Redegewandteren usw.), wohl zu unterscheiden vom Siege der besseren Sache; wenn der Zwiespalt bleibt, eine Justizverweigerung, dem Schuldigen sehr willkommen, für den Unschuldigen schwer belastend. Die Natur der richterlichen Aufgaben, der Beweiswürdigung, die stets mit Wahrscheinlichkeiten, also Zweifeln, zu rechnen hat, der Gesetzesanwendung , die in jedem Einzelfalle auf Streitfragen und Subsumtionsschwierigkeiten stofsen kann, und die nicht zu beseitigende, durch Zwang und Fiktion nur etwa zu verdeckende \7erschiedenheit der individuellen Beurteilungsfähigkeit und Entschlufskraft fordern die Anerkennung des Majoritätsprinzips. Der Staat hat Justiz zu üben mit den Mitteln und Kräften, die zur Wahrheitserforschung zu Gebote stehen, kann Garantien gegen die Fehlsamkeit der Richter nur finden in einer Mehrheit von Urteilern, in einer gröfseren Mehrheit für einen den Angeklagten belastenden Schuldentscheidlü, darf nicht Schuldurteile den Richtern aufdrängen, aber sie auch nicht scheitern lassen an der Zweifelsucht, der Rechthaberei oder der Ängstlichkeit einzelner. einer neuen Jury zu wiederholen. Ergebe sich dann wieder der gleiche Dissens, also zusammen eine Minorität von mindestens vier Stimmen in zwei Juries, so bedeute das Entscheidung zugunsten des Angeklagten. Die letztere Konsequenz ist offenbar unrichtig, es resultierte vielmehr ein „non liquet". 10 Das Mafs für eine solche Verstärkung ist natürlich nicht logisch deduzierbar. Darum ist's aber nicht willkürlich — wie die Verfechter des Einstimmigkeitsprinzips behaupten —, zwischen unpraktikabeler Einstimmigkeit und unbefriedigender einfacher Mehrheit eine mittlere Linie zu suchen. Bedenklich code d'instr. Art. 347 (Ges. v. 9. Juni 1853, nach sehr vielfachem Wechsel, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 347 Bern. 1): einfache Mehrheit genügt zur Bejahung der Schuldfrage, der circonstances aggravantes, des discernement, zur Verneinung der excuses legales; auch zur B e j a h u n g der mildernden Umstände bedarf es der Stimmenmehrheit, Art. 341. Die grofse Mehrzahl der deutschen Gesetze forderte Zweidrittelmehrheit für Bejahung der Hauptfrage und für Annahme von Qualifikationsgründen, dagegen — mit Ausnahme von Baden 1864 § 285, Sachs. 1868 § 75, teilweise Württ. 1868 Art. 377 Abs. 3 — nicht auch für Verneinung von Strafausschliefsungsund Milderungsgründen. Ebenso Österr. § 329 (dazu Entsch. des Kass.-Hofs Bd. 2 S. 545 f., Bd. 7 S. 3 f., Bd. 9 S. 265 f.). Preufs. 1852 Art. 92, Preufs. 1867 § 335; Hess.-Darmst. 1848 Art. 180 u. 1865 Art. 378, Hann. 1850 § 189 u. 1859 § 195, Hamb. 1869 § 218 begnügten sich mit einfacher Mehrheit, indem Stimmengleichheit für die dem Angeklagten günstigere Meinung entschied. Nach Preufsen, Hess.-Darmstadt und Hamburg devolvierte dann bei nur sieben gegen fünf Stimmen gegen den Angeklagten der mafsgebende Spruch auf den Gerichtshof; vgl. unten § 66 sub V. Dagegen war in Hannover der Geschworenenspruch stets endgültig.

§ 46.

Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

VI. Die Entstehungsweise des gehörig publizierten Spruchs entzieht sich der Nachprüfung. Es müfste denn aus Zusätzen zu den Antworten hervorgehen, dafs an dem Spruch überhaupt oder an Teilen desselben nicht alle Geschworenen partizipiert hätten. So z. B., wenn die Hauptfrage „mit acht gegen zwei", die Frage der mildernden Umstände „mit sechs gegen vier Stimmen" bejaht worden wäre. Dann läge ein Spruch des Geschworenenganzen nicht vor und nur einen solchen darf das Gericht akzeptieren. Das Geschworenenkollegium hätte selbst in bündigster Form dem Gerichte die Stimmenthaltung angezeigt und dennoch zu entscheiden prätendiert. Mag der einzelne Geschworene an den Beschlufs des Kollegiums, eine Entscheidung, an der nicht alle mitgewirkt haben, trotzdem gelten zu lassen, gebunden sein: das Gericht ist doch nicht gehalten, einen ihm im Spruche selbst mitgeteilten Nichtigkeitsgrund des Geschworenenentscheids zu ignorieren. VII. So lange noch nicht der Obmann mit der Kundgebung des Spruches begonnen hat, können die Geschworenen ihre Entscheidungen noch ändern 11 . Ihr Eintritt in das Sitzungszimmer 11 In der Literatur wird nicht unterschieden zwischen Aufhebung eines Beschlusses durch das Kollegium und Rücknahme eines Einzelvotums. Die erstere ist jedenfalls möglich bis zum Beginne der Publikation — doch sind öfters auch bereits publizierte Beschlüsse noch abänderlich —, die letztere versagt gegenüber dem fertigen, dem zustande gekommenen Beschlufs. Der einzelne wird gebunden durch die Willens e n t s ch I i e fs u n g des Kollegiums, dieses selbst durch die W i l l e n s e r k l ä r u n g (abgesehen von widerruflichen Willenserklärungen). Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Einzelmeinungen würden, da sie alle an demselben Grundfehler laborieren, unerspriefslich sein; vgl. zur Orientierung L ö w e - H e l l w e g zu § 304 Bern. 6. Unzutreffend auch RG S. Str.-S. E. Bd. 17 S. 289: jedes Gerichtsmitglied könne seine Abstimmung über die einzelnen Fragen jederzeit bis zur Verkündung des Urteils widerrufen. Wenn nachträglich vor der Verkündung ein Richter noch erhebliche neue Bedenken gegen einen gefafsten Beschlufs äufsert, so wird loyalerweise stets das Kollegium in erneute Beratung eintreten, aber ein formelles Recht -darauf kann dem Einzelnen nicht zugestanden werden. Verfehlt waren auch die Entscheidungen in früheren Prozefsgesetzen. Vgl. Kurh. 1848 § 328: „Sobald die Geschworenen nach erteiltem" (d.h. nach beschlossenem und aufgeschriebenem) „Wahrspruch das Beratungszimmer verlassen haben, kann kein Geschworener eine wiederholte Beratschlagung fordern." Das heifst das Kollegium zu früh, den einzelnen zu spät präkludieren. Es wäre ja unerträglich, wenn b i s zu diesem Moment jederzeit jeder Geschworene seine Vota noch revozieren, das Kollegium auf schon erledigte Punkte wieder zurückwerfen könnte. Ebenso Württ. 1849 Art. 167 und 1868 Art. 382; Kurh.

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Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

präkludiert diese Befugnis nicht; nichts hindert sie an Rückkehr in das Beratungszimmer. Jedes richterliche Dekret ist solange widerruflich, als noch nicht der Richterwille relevant erklärt worden ist. Das gilt auch für den Geschworenenspruch. Eine andere hier nicht zu entscheidende Frage ist, inwiefern offenbare Versehen, Schreibfehler usw. in dem verlesenen Spruch noch berichtigt werden können. 12 Der „Beginn" der Kundgebung ist näher dahin zu bestimmen, dafs die Präklusion eintritt, sobald eine in sich abgeschlossene Entscheidung, also die Antwort auf die erste eine Straftat erledigende Hauptfrage oder den ersten eine Straftat betreffenden Fragenkomplex (Hauptfrage mit Nebenfrage usw.) verlesen worden ist, die Kundgebung insofern definitiv aufgehört hat (Übergang zur Verlesung eines weiteren Fragenkomplexes usw.). Bis dahin kann die Publikation noch abgebrochen werden; es ist noch nichts entschieden, so lange nicht wenigstens eine Entscheidung fertig publiziert worden ist. Die erklärte Entscheidung der Geschworenen aber entzieht sich dem Widerruf. Mit ihr werden bei der Einheit der Schuldfeststellungen auch die noch nicht verlesenen unwiderruflich. Zurückweisung des Spruchs wegen sachlichen Mangels in einem Teile hebt nach § 311 StPO die Verbindungskraft des ganzen Spruchs auf. Aus dem so anerkannten Prinzip folgt umgekehrt, dafs Unabänderlichkeit eines Spruchteils die Abänderung der übrigen ausschliefst 18. 1863 § 163 Abs. 7; Baden 1864 § 287 Abs. 2; Sachs. 1868 § 83. Noch verkehrter Thür. 1850 Art. 293 Abs. 5: Nach der V e r l e s u n g des Spruchs kann keiner der Geschworenen eine neue Beratung verlangen. Wohl nur ein anderer Ausdruck desselben Gedankens war die Vorschrift der braunschw. Gesetze (1849 und 1858 § 144): „Sobald die Geschworenen in den Sitzungssaal zurückgekehrt sind, kann eine neue Beratung derselben nicht mehr stattfinden". Österr. 1873 § 330 Abs. 4 bestimmt zunächst wie Kurh. usw. und fügt hinzu, eine neue Beratung sei nur zuzulassen, wenn es sich um die Beseitigung einer durch blofses Mifsverständnis in den Wahrspruch gelangten irrigen Angabe handele. Dabei ist an den Fall gedacht, dafs bei Kundgebung des Spruchs durch Erklärungen von Geschworenen eine Differenz des Gewollten und des objektiven Spruchsinnes erhellt. Vgl. U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 670, G l a s e r , Berichtigung des Wahrspruchs in v. Holtz. Rechtslex. I S. 303 und unten § 51 sub I V 5. 12 Vgl. unten § 51 sub I. 13 Nicht zutreffend B e n n e c k e - B e l i n g S. 564: erst die B e e n d i g u n g der Kundgebung ergebe die Unwiderruflichkeit des Spruches. Ebenso bereits Z a c k e S. 145 f.

§ 46.

Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

Der kundgegebene Spruch ist die perfekte Antwort auf die richterlichen Fragen. Und die Kundgebung geschieht nicht nur dem Gericht, sondern als Akt der Hauptverhandlung auch den Parteien, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger gegenüber. Vorbehaltlich einer etwa noch erforderlichen Berichtigung nach Anordnung des Gerichts ist der Spruch endgültig 14 . Als Schuldentscheid wird das Verdikt, wie ein Urteil, mit der Erklärung für seinen Autor unwiderruflich 15 . Beide Parteien können verlangen, dafs auf Grund eines nicht berichtigungsbedürftigen Verdikts das Urteil gefällt werde. Freilich ist bei der Kundgebung durch den Obmann der Angeklagte nicht zugegen ; ihm wird der Spruch erst verkündet nach Prüfung durch das Gericht und eventueller Berichtigung. Daraus darf aber nicht eine Abänderlichkeit seitens der Geschworenen bis zu diesem Moment gefolgert werden 16 . Denn die Kundgebung ist bereits relevanter Erklärungsakt und zudem der Angeklagte dabei durch den Verteidiger repräsentiert, so dafs auch diese Publikation ihm mit gilt. Die Aufhebung eines nur festgestellten, noch nicht publizierten Entscheides kann vom Gericht und ebenso von den Geschworenen mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, selbst wenn es für den Entscheid selbst einer höheren Majorität oder gar der Einstimmigkeit bedurfte. Erschwerung des Zustandekommens eines Beschlusses ist gewifs nicht zugleich Erschwerung seiner Aufhebung. Stimmengleichheit läfst den früheren Beschlufs bestehen. Nach Aufhebung des Beschlusses führt die erforderliche neue Beratung und Abstimmung wieder zu dem gleichen Ergebnis, wenn nicht eine Verschiebung des Stimmenverhältnisses eintritt. Indes möchte eingewandt werden, jeder einzelne Richter oder Geschworene, er möge gestimmt haben, wie er wolle, müsse, nachD a l c k e , Fragestellung S. 122, meint, ein abgeschlossener formgerechter Spruch liege erst mit dessen Unterzeichnung durch den Vorsitzenden und den Gerichtsschreiber vor und bis dahin könne noch geändert werden. Allein die Unterzeichnung bezeugt nur, dafs der ganze geschriebene Spruch auch verlesen worden ist, und steht durchaus nicht entgegen der Einleitung eines Berichtigungsverfahrens wegen formellen oder sachlichen Mangels. 14 Vgl. auch 1. Str.-S. R. V I I S. 529. 15 In England ist präklusives Moment die Protokollierung des Verdikts. Der Unterschied gegenüber dem deutschen Recht erklärt sich aus der formlosen mündlichen Abgabe des Spruchs ohne vorgängige Niederschrift. Die Jury kann das noch nicht protokollierte Verdikt aus eigenem Antriebe berichtigen, A r c h b o l d , Pleading-and evidence in crim. cases (19. Aufl.) p. 179. 16 So P u c h e l t zu § 304 Bern. 3.

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46.

Die Beratung und Abstimmung der Geschworenen.

dem ein alle bindender Beschlufs zustande gekommen sei, auch verlangen können, dafs es dabei verbleibe, und es sei daher zur Wiederaufhebung stets Einstimmigkeit der Votanten nötig. Allein indem das Gesetz für Beschlüsse — von bestimmten Ausnahmen abgesehen — nur einfache Mehrheit fordert, mufs dies auch gelten für solche Beschlüsse, durch welche bereits getroffene, noch nicht publizierte Entscheidungen wieder aufgehoben werden 17 . Wäre Einstimmigkeit erforderlich, so könnte der Einzelne das Kollegium bei einem nachträglich als verkehrt erkannten Beschlufs selbst dann festhalten, wenn dieser mit einem späteren Beschlüsse unvereinbar wäre: denn möchte immerhin angenommen werden, dafs zur Feststellung des Widerspruchs Majorität genügte, so könnte daraus doch höchstens — und selbst das wäre noch zweifelhaft — die Widerruflichkeit des s p ä t e r e n Beschlusses mit Majorität gefolgert werden. Andererseits kann es nicht ausreichen, dafs so viele Votanten für die Rücknahme sind, dafs sie nun mit den früheren Dissentienten zusammen die Majorität ergeben: denn auch die Überstimmten sind durch den Beschluis gebunden und tragen daher zu dessen Aufhebung durch ihre f r ü h e r e n Voten nichts bei; es wäre auch unerträglich, wenn auf diesem Wege einzelne Urteiler die gefafsten Beschlüsse immer wieder in Frage stellen könnten. Wohl zu unterscheiden von der bindenden Kraft des Beschlusses für das Geschworenenkollegium ist das Gebundensein des einzelnen Geschworenen an sein Votum. Der festgestellte Beschlufs ist Wille einer idealen Einheit. Die Einzelvoten, der Dissentienten wie der Konsentienten, verlieren in und mit dem gefafsten Beschlufs ihre Bedeutung und können daher nur bis zur Feststellung des Stimmergebnisses noch geändert werden. Gleichgültig ist, ob diese Feststellung ausdrücklich oder konkludent erfolgte. Schlüssige Tatsache — bei einem allen Beteiligten zweifellosen Resultate — k a n n sein die Niederschrift der Antwort oder der Beginn einer weiteren Abstimmung. Erheben sich Zweifel, ob 17

Bei schon publizierten, noch abänderlichen Beschlüssen ist wohl zu unterscheiden zwischen der Herbeiführung neuer Beratung und Abstimmung und dieser selbst. In ersterer Hinsicht genügt immer einfache Mehrheit. Von dem Ausfall der neuen Beratung usw. hängt es dann ab, ob der schon publizierte Beschlufs bestehen bleibt, einfach zurückgenommen wird, durch einen anderen ersetzt wird, wobei die für den entsprechenden Beschlufs selbst mafsgebende Majorität entscheidet. Durch einen i n t e r n e n A k t kann der schon publizierte Beschlufs natürlich nicht zurückgenommen werden.

§ 47. Der Inhalt des Wahrspruchs.

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Rücknahme eines Votums noch zu gestatten sei, so hat das Kollegium zu entscheiden. Falsch ist's, in der Niederschrift als solcher ohne Rücksicht auf Konkludenz, sei's der einzelnen, sei's aller Antworten, oder aber erst in der Unterzeichnung des Spruchs die p r ä k l u s i v e Tatsache zu erblicken. V I I I . Ein Protokoll wird über die Beratung und Abstimmung nicht aufgenommen, wie bei Gerichtsbeschlüssen auch nicht. Facta interna sind nicht aktenkundig zu machen. Eine Privataufzeichnung des Obmanns zur besseren Übersicht ist nicht ausgeschlossen, aber im Hinblick auf die Diskretionspflicht des § 200 GVG nach Feststellung des Spruchs zu vernichten. Die Geschworenen können über das Verfahren bei der Abstimmung die Belehrung des Vorsitzenden erbitten, § 306 StPO, auch nachdem die Beratung schon begonnen hatte, nur dürfen auch hierbei nicht konkrete Abstimmungsvorgänge unter Bruch der Schweigepflicht mitgeteilt werden. B.

§ 47.

I n h a l t u n d F o r m des W a h r s p r u c h s .

D e r I n h a l t des W a h r s p r u c h s .

I. Die richterlichen Fragen sind der Entwurf des Verdikts. Zur Perfektion des Spruchs mufs noch das Ja oder Nein der Geschworenen hinzukommen. Doch steht diesen auch teilweise Bejahung, teilweise Verneinung von Fragen frei, § 305 Abs. 2 StPO 1

Ebenso Preufs. 1852 Art. 80 Abs. 2; Bay. Art. 191; Hann. 1859 § 196; Oldenb. Art. 335 § 2; Bad. 1864 § 284; Preufs. 1867 § 334; Württ. 1868 Art. 377 Abs. 1; Sachs. 1868 § 77; Hamb. 1869 § 217; Brem. 1870 § 505; Österr. § 328 Abs. 2. Obwohl das franz. Gesetz v. 13. Mai 1836 für die schriftliche Abstimmung der Geschworenen schlechthin „ja" oder „nein" fordert, so wird doch, wie nicht anders möglich, in der Praxis auch teilweise Bejahung und Verneinung zugelassen, vgl. die Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 344 f. nr 21, 22. Auch die englischen Geschworenen sind zu teilweiser Bejahung der Anklage befugt, sie können z. B. bei einer Anklage wegen Mordes den boshaften Vorbedacht verneinen, so dafs die Verurteilung nur wegen manslaughter erfolgt, können statt Raubes Diebstahl annehmen. Dagegen haben sie prinzipiell nicht das Recht, statt blofser Beschränkung eine anderweite positive Feststellung zu geben, also einen Tatbestand zu bejahen, auf den nach kontinentalem Recht eine Hilfsfrage hätte gestellt werden müssen. Aber diese Grenze ist keineswegs scharf gezogen, vielmehr lassen Spezialgesetze öfters zu, wegen eines anderen als des inkriminierten Delikts, wegen Versuchs statt wegen Vollendung usw. schuldig zu sprechen. Ferner wird vielfach — ohne jedes feste Prinzip — eine Abweichung des Verhandlungsbildes von cler Anklage

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§ 47.

Der Inhalt des Wahrspruchs.

Schliefst die Frage einen Qualifikations- oder Privilegierungsgrund ein und die Geschworenen wollen im Ganzen bejahen, so genügt stets ein einfaches Ja, es braucht nicht der Qualifikationsusw. -Grund besonders bejaht zu werden 2. Diesem „Ja" ist das Stimmenverhältnis „mit mehr als sieben Stimmen" hinzuzufügen 3 ; im Falle des mitbejahten Privilegierungsgrundes bezieht sich die Angabe auf das „Ja" nur insofern, als es dem Angeklagten ungünstig ist, also nicht auch auf den Privilegierungsgrund, zu dessen Annahme fünf Stimmen genügen, vgl. § 307 Abs. 2 StPO. Wiederholt ist zu betonen, dafs es zur Beantwortung einer Frage möglicher Weise mehrerer Abstimmungen bedarf. So, wenn die Hauptfrage einen Privilegierungsgrund einschliefst. Im Falle der Hauptfrage mit Qualifikationsgrund führt Verneinung der Frage im Ganzen zur Abstimmung über das eineinfach ignoriert und nach dieser, also unter einer Fiktion, schuldig gesprochen (z. B. Beihilfe hei gleicher Strafbarkeit mit Hauptschuld unter diesem Titel festgestellt). G l a s e r , Anklage usw. S. 178 f., 196 f.; A r c h b o l d , Pleading and Evidence usw. p. 176 f.; H a r r i s , Principles of the crim. law (10. Aufl.) p. 457 f. I n Schottland ist neben guilty und not guilty auch zulässig die Formel „not proven", von der willkürlich statt des not guilty Gebrauch gemacht wird und die geeignet ist, dem so Absolvierten einen Makel anzuheften. Zutreffend M i t t e r m a i e r , Engl., schott. usw. Strafverfahren S. 480 f. 2 Vgl. auch RG 2. Str.-S. E. Bd. 1 S. 63 f. Dagegen verlangte Preufsen 1852 Art. 91 besondere Bejahung der Qualifikationen („Ja, mit allen in der Frage enthaltenen Umständen"; vgl. Z a c k e , Fragestellung S. 141, 142); ebenso Oldenb. 1857 Art. 335 § 1; Hess.-Darmst. 1865 Art. 375 Z. 2—4? Brem. 1870 § 504 Abs. 2. 3 Das Erfordern der ausdrücklichen Versicherung soll garantieren, dafs die gesetzentsprechende Mehrheit wirklich erreicht war. I n gleichem Sinne: Preufs. 1852 § 113, Kurh. 1848 § 325, Hess.-Darmst. 1848 Art. 173 Abs. 3, Thür. 1850 Art. 291 Abs. 2, Frankf. 1856 Art. 250 Abs. 2, Kurh. 1863 § 163 Abs. 5, Hess.-Darmst. 1865 Art. 372 Abs. 2, Preufs. 1867 § 336, Sachs. 1868 § 81 Abs. 2, Württ. 1868 Art. 380, Hamb. 1869 § 218 Abs. 2. Für Preufe., Hess.-Darmst., Hamb, ergab sich diese Notwendigkeit schon aus der Tatsache, dafs, wenn die Schuld usw. nur mit sieben gegen fünf Stimmen bejaht war, der Gerichtshof zu entscheiden hatte (vgl. unten § 66 sub V I I I 4). So auch Österr. § 329 Abs. 2. Dagegen unterblieb jede Angabe des Stimmenverhältnisses nach Bay. 1848 Art. 193 Abs. 2 (dazu W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 366), Hann. 1850 § 189 Abs. 13 u. 1859 § 195 Abs. 13, Bad. 1851 § 99 u. 1864 §§ 285 u. 286, Oldenb. 1857 Art. 338, Brem. 1870 § 509. Code art. 347 (Ges. v. 9. Juni 1853) verlangt Konstatierung der erforderlichen (einfachen) Mehrheit, vgl. oben S. 392 Anm. 10, bei Meidung der Nichtigkeit (in diesem Sinne zahlreiche Entsch. des Kass.-Hofs).

§ 47. Der Inhalt des Wahrspruchs.

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fache Delikt. Mehrfache Abstimmung bringt auch mit sich die Mehrheitsfrage und die Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion, dagegen nicht die kombinierte Einheitsfrage. Die zusammengesetzte Frage wird in der Abstimmung getrennt. Die Mehrheitsfrage betrifft ideal konkurrierende Delikte, die nur gesondert festgestellt werden können. Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion wird gestellt, wenn zwischen Begehung und Aburteilung ein Wechsel der Gesetze stattgefunden hat oder die Strafbarkeit einer Tat sowohl nach ausländischem als nach inländischem Rechte zu prüfen ist. In beiden Fällen haben die Geschworenen zwei Subsumtionsaufgaben zu erledigen , die entsprechend der zeitlichen, örtlichen Trennung der mafsgebenden Gesetze streng auseinander zu halten sind. Die kombinierte Einheitsfrage hingegen bezweckt die Feststellung eines aus den Erfordernissen zweier konkurrierender Strafgesetze zusammengesetzten Tatbestandes. Nicht eine Mehrheit von Gesetzestatbeständen in mehreren Fragegliedern, sondern ein kombinierter Tatbestand in einheitlicher Frage steht zur Untersuchung. Die Geschworenen haben nicht sukzessive über zwei, sondern auf einmal über einen Tatbestand abzustimmen. Mit der Verneinung eines besonderen Begriffsmoments aber ist die Anwendbarkeit des entsprechenden Gesetzes verneint, während mit einem gemeinsamen Merkmal beide Gesetze ausgeschlossen werden, Die zusammengesetzte Frage, wie sie bei fortgesetztem Delikt und bei künstlicher Verbrechenseinheit nötig werden kann, läfst sich nicht in einheitlicher Abstimmung erledigen. Es werden so viele Feststellungen nötig, als nach der Frage der Tatbestand repetiert haben soll. Ist mit einem Einzelakt in der Befragung eine Qualifikation verbunden, so folgt aus der Verneinung der bezüglichen Gliedfrage zunächst nur, dafs insoweit qualifiziertes Delikt nicht angenommen wird. Daher mufs noch über den Einzelakt ohne die Qualifikation abgestimmt werden. Werden alle Fragarten und alle relevanten Nuancen der Schuldbeurteilung in Rechnung gezogen, so kann die teilweise Bejahung, teilweise Verneinung in folgenden Gestalten auftreten: Verneinung eines Fragegliedes bei Mehrheitsfrage, kumulativer Einheitsfrage und bei Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion; eines erfragten Einzelaktes bei zusammengesetzter Frage ; eines von der Hauptfrage mit umfafsten Qualifikations- oder Privilegierungsgrundes; der besonderen Begriffsmomente eines Strafgesetzes bei kombinierter Einheitsfrage; eines gesetzlichen Merkmals, durch

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Der Inhalt des Wahrspruchs.

dessen Verneinung einfaches an Stelle zusammengesetzten Delikts (Diebstahl statt Raubes)4 tritt oder das erfragte Delikt in ein andersartiges (Mord in Totschlag; nicht ebenso im Verhältnis des qualifizierten oder privilegierten Verbrechens zum einfachen) sich wandelt; eines konkreten Moments, immer unter Bejahung der Frage im Übrigen. Läfst die Verneinung eines abstrakten gesetzlichen Merkmals (z. B. der Absicht rechtswidriger Zueignung) einen strafbaren Tatbestand (Diebstahl usw.) nicht mehr zurück, so wird sie richtig in Form der Fragverneinung überhaupt ausgesprochen; doch ergibt Bejahung unter Verneinung des einzelnen Moments nicht einen inneren Widerspruch 5. I I . Besondere Erwägung erheischt die Verneinung konkreter Momente. Mit Unrecht wird zuweilen grundsätzlich bestritten, dafs die Geschworenen zur Verneinung solcher Merkmale befugt seien6. Der Wortlaut des Gesetzes, § 305 Abs. 2, aber macht in dieser Beziehung keine Ausnahme. Die Verneinung eines unentbehrlichen Identitätsmerkmals würde freilich eine lückenhafte, unbrauchbare Feststellung ergeben. Allein eine scharfe Grenze zwischen eigentlicher Individualisierung und darüber hinausgehender blofser Konkretisierung existiert nicht. Das richterliche Ermessen hat im Einzelfalle darüber zu entscheiden, inwieweit zur Identitätsfeststellung die Angabe konkreter Momente notwendig oder doch angemessen ist. So wird gegenüber einem gewerbsmäfsigen Taschendieb, der bei jeder sich darbietenden Gelegenheit sein Metier aus4 Voraussetzung ist natürlich, dafs nicht der Kaubfrage die Realkonkurrenzfragen (auf Diebstahl und Nötigung) hinzugefügt waren, was sich — nach früherer Ausführung, oben S. 121 — durchaus empfiehlt. 5 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10, 40; 13 S. 575; RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 95 f.; 3. Str.-S. R. I I I S. 817 f.; 1. Str.-S. E. Bd. 10 S. 315 f. Ebenso G l a s e r , „Berichtigung des Wahrspruchs" in v. Holtz. Rechtslex. I S. 302; L ö w e - H e l l w e g zu § 305 Bern. 4; T h i l o das. Bern. 2; K e l l e r das. Bern. 5; R o s e n f e l d S. 385; v. L i l i e η t h a i in Birkmeyers Enzyklopädie §33 VI. Α. A. S t e n g l e i n , Ger.-Saal Bd. 34 S. 189, Bd. 44 S. 416f.; v. K r i e s , Lehrbuch S. 630; D a l c k e , Fragestellung S. 130; B e n n e c k e - B e l i n g , Lehrbuch S. 569. Schwankend die Rechtsprechung des österr. Kass.-Hofs: 29. Apr. 1881 Entsch. Bd. 4 S. 95 f. (kein Widerspruch); 27. Juni 1878 Bd. 2 S. 508f., 19. Dez. 1879 Bd. 3 S. 58 f. u. 9. Juli 1881 Bd. 4 S. 169 f. (Widerspruch). 6 So v. K r i e s , Lehrbuch S. 624. Für die richtige Ansicht bereits P l a n c k , Systemat. Darstellung S. 401; ebenso die frühere preufsische Praxis, vgl. ζ. B. Ob.-Trib. bei G o l t d . Bd. 4 S. 486 f.

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übt, das Datum der Tat zumeist genauer bestimmt werden müssen, als bei einem offenbar vereinzelt dastehenden sonst gleichen Diebstahle, doch kann auch im ersteren Fall die Feststellung eines anderweiten konkreten Umstandes, der Person des Bestohlenen, des entwendeten Sachindividuums usw. als Äquivalent speziellerer Zeitangabe dienen. Verneinung von Ort oder Zeit, in der mehr oder weniger weitgehenden Bestimmtheit, in der die Frage sie anführt, macht allerdings, da zeitliche und örtliche Charakterisierung zum Begriffe der Handlung gehört, Verurteilung unmöglich. Dagegen wäre ganz falsch, der Verneinung auch aller anderen konkreten Merkmale ausnahmslos die gleiche Wirkung beizulegen. Vielmehr kann nur an der Hand des Einzelfalls das Gericht ermessen, ob die Verneinung einen Identitätszweifel ergibt 7 . Nicht selten wird zur genaueren Bestimmung der Tat in der Frage ein Moment mit herangezogen, dessen Verneinung durch die Geschworenen die Identität der beiderseits gemeinten Tat unberührt läfst. Die Behauptung, die Geschworenen dürften konkrete Merkmale nicht verneinen, ist nur eine falsche Konsequenz aus dem unzweifelhaft richtigen Satze, dafs nur eine individuell bestimmte Tat Gegenstand des Urteils sein kann. Zur Widerlegung der gegnerischen Ansicht dient noch besonders die zusammengesetzte Einheitsfrage: die Einzelakte, deren Aufnahme in die Frage den Schein der Realkonkurrenz beseitigen will, sind im Grunde Konkretisierungsmomente; soll auch i h r e Verneinung unzulässig sein, obwohl sogar einzeln draüber abgestimmt wird? Und wenn Verneinung hier ausnahmsweise gestattet wird, könnte sie dann bei den Einzelakten des eigentlichen Kollektivdelikts, die l e d i g l i c h zur Konkretisierung angeführt sind, ausgeschlossen sein? Zweifellos steht den Geschworenen, wenn sie konkrete Momente anders auffassen, als das Gericht in der Frage getan hat, ein Änderungsantrag frei. Diese Befugnis kann noch nach Beginn der Beratung, die vielleicht erst den Anlafs dazu ergeben hat, und auch noch im Berichtigungsverfahren geübt werden. Das Gericht wird sich hierbei den Anschauungen der Geschworenen, deren Schuldauffassung ja die mafsgebende ist, möglichst zu akkommodieren haben, soweit nicht die Identität der Tat in Frage steht. Ab7

H. M e y e r hei Goltd. Bd. 10 S. 384 will entscheiden lassen, ob das verneinte tatsächliche Moment in der Anklage enthalten war — dann unzulässig — oder diese ergänzend nach den Verhandlungsergebnissen hinzugefügt worden war — dann zulässig. Allein bei der weitgehenden Anerkennung von Anklagebesserungen im § 263 StPO ist diese Auffassung nicht haltbar. B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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urteilung einer anderen als der inkriminierten Tat darf natürlich nicht zugelassen werden, aber eine begrifflich scharfe Grenze existiert nicht. Stellt sich heraus, dafs die Auffassungen der Geschworenen unter einander differieren, so wird dem fraglichen Moment (der Orts-, Zeitangabe usw.), soweit es unbeschadet der Tatidentität geschehen kann, eine möglichst weite, den verschiedenen Nuancen der Beurteilung Rechnung tragende Fassung zu geben sein. I I I . Die Geschworenen sind stets von den Fragen abhängig und dürfen keinerlei Feststellungen ungefragt treffen. Das gilt gleichmäfsig für abstrakte Deliktsmerkmale und konkrete Tatmomente. Bei korrektem Verfahren der Geschworenen können nur Einschränkungen eines Ja durch teilweise Verneinungen, aber nicht positive Zusätze zu einem Ja oder Nein vorkommen 8. Werden dennoch solche Zusätze gemacht , so sind drei Fälle zu unterscheiden : 1. Der Zusatz ergibt verglichen mit den gesetzlichen Deliktsmerkmalen, die im Verdikt festgestellt sind, dessen Undeutlichkeit oder einen inneren Widerspruch. Die Geschworenen bejahen z. B. die Diebstahlsfrage unter positiver Feststellung gewinnsüchtiger Absicht, ohne die Absicht rechtswidriger Zueignung zu verneinen, oder sie bejahen die Totschlagsfrage mit dem Hinzufügen, dafs der Täter in Notwehr gehandelt habe, die Frage aus § 176 N. 3 StGB mit dem Zusätze, dafs der Angeklagte die X für 15jährig gehalten habe usw.9. 8 Frühere Strafprozefsordnungen ermächtigten öfters die Geschworenen zu solchen Zusätzen: Thür. 1850 Art. 291 Abs. 4; Oldenb. 1857 Art. 335 §§ 2 u. 3; Württemb. 1868 Art. 377; Sachs. 1868 § 80; Hamburg 1869 § 217 Abs. 2; Bremen 1870 §§ 505, 506. Vgl. dazu Z a c h a r i a e , Handbuch I I S. 532 (billigend); v. B a r , Recht und Beweis S. 167, 266 ablehnend, nur die Befugnis der Geschworenen, selbständig einen Milderungsgrund anzunehmen oder weitere Konkreta hinzuzufügen, sei am Platze. In der Justizkommiss, beantragte v. S c h w a r z e die Aufnahme der sächsischen Bestimmung, was mit Recht abgelehnt wurde, Prot. 1. Les. S. 471, 472. 9 Unrichtig österr. Kass.-Hof v. 31. März 1875 Bd. 1 S. 281 f. Der Wahrspruch: „ja, jedoch ohne dafs der Angeklagte wufste, dafs die M. noch nicht 14 Jahre alt war", litt an innerem Widerspruch, da bei Annahme dieses Irrtums die Schuldfrage nicht bejaht werden durfte; verkehrt die Argumentation des Kass.-Hofs, dafs die Geschworenen das Vorliegen eines solchen Irrtums gar nicht hätten prüfen dürfen, weil keine besondere Frage darauf nach § 319 StPO gestellt war. E i n ähnlicher Fehler in E. v. 20. Dez. 1879 Bd. 3 S. 128 f.

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Im ersteren Falle kann der Zusatz sowohl bedeuten, dafs neben der begrifflich erforderten Absicht rechtswidriger Zueignung gewinnsüchtige Absicht, als dafs nur die letztere vorgelegen habe. Das Verdikt ist möglicher Weise sich widersprechend, da ohne die Annahme rechtswidriger Zueignungsabsicht nicht Diebstahl bejaht werden durfte, jedenfalls aber undeutlich. Bejahung der Schuld trotz Annahme der Notwehr oder schuldausschliefsenden Irrtums enthält immer einen Widerspruch. In beiden Fällen ist daher unter entsprechender Bedeutung der Geschworenen das Berichtigungsverfahren einzuleiten. 2. Der Zusatz läfst erkennen, dafs die Geschworenen eine nicht erfragte Tatbestandsform oder noch eine weitere Tat oder mildernde Umstände annehmen. Die spontane Feststellung eines Qualifikations-, Privilegierungsgrundes oder einer solchen Tatbeschaffenheit, die das Material für eine Hilfsfrage liefern würde, kann als solche nicht akzeptiert werden 10 , ist aber Anlafs zu entsprechender Fragenergänzung 11. Freilich liefse sich einwenden, die wirkliche A n t w o r t der Geschworenen werde nicht durch den unerfragten Zusatz berichtigungsbedürftig und mit der Verkündung eines der Berichtigung nicht ausgesetzten Spruchs ende die Befugnis der Fragenänderung 12. Allein die Feststellung ohne Frage drückt deutlich den Wunsch weiterer Befragung aus und für die Anträge der Geschworenen zur Fragestellung ist eine Form nicht vorgeschrieben 18. Wird Unrichtig auch Y a r g h a , Verteidigung S. 819, 820, der Widerspruch verneint und Freisprechung für geboten erachtet. Dabei ist verkannt, dafs die G e s c h w o r e n e n die Richter der Schuld sind und ein Schuldausschliefsungsgrund von ihnen nicht widerspruchsfrei festgestellt ist, wenn sie trotzdem die Schuld bejaht haben. I n V a r g h a s Sinn allerdings ältere Entscheidungen des franz. Kass.-Hofs, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 350c. nr. 56, 57. 10 Vgl. dazu v. B a r , Recht und Beweis S. 264 f.; franz. Kass.-Hof v. 8. Dez. 1881 bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 76. 11 Anders allerdings die franz. Praxis. Sie betrachtet eine solche Antwort als berichtigungsbedürftige déclaration irrégulière. 12 Vgl. oben S. 337. 13 Zutreffend L ö w e - H e l l w e g zu § 305 Bern. 5. Ähnlich G e y e r , Lehrbuch S. 761 und S t e n g l e i n zu § 305 Bern. 7 (jedoch mit der unhaltbaren Einschränkung, das Gericht habe sich auf eine Ergründung der Willensmeinung der Geschworenen nicht einzulassen; das ist ja gerade n o t w e n d i g , wenn in dem Zusätze ein Wunsch der Geschworenen auf weitere Befragung erblickt wird und über Inhalt und A r t der gewünschten Fragenergänzung Zweifel bleiben!). Übereinstimmend österr. Kass.-Hof v. 12. Okt. 1883 E. Bd. 6 S. 152f.; damit freilich nicht im Einklang E. v. 25. Mai 1889 Bd. 11 S. 107 f.

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aber g l e i c h z e i t i g geantwortet und weitere Befragung beantragt, so kann nicht die Befugnis zur letzteren durch die Antwort — ihre Korrektheit vorausgesetzt — präkludiert sein. Die ungeschickte Form des Ansuchens fällt — zumal es von Geschworenen ausgeht — nicht ins Gewicht. Das Gericht hat daher den Zusatz als Antrag zu behandeln und mufs die Hilfs- oder Nebenfrage, soweit nicht Rechtsgründe entgegenstehen, noch jetzt stellen 14 . Doch wird vielfach zunächst der Sinn des Antrags, namentlich wenn er eine Hilfsfrage ergeben würde, durch Befragung der Geschworenen näher zu eruieren sein. Mit der neuen Frage (Hilfsfrage, Nebenfrage) oder der Fragänderung (Aufnahme eines Qualifikations-, Privilegierungsgrundes) erneuert sich die Befragung im Ganzen und die Geschworenen sind bei ihrem neuen Verdikt an keinen Teil des früheren Spruchs gebunden. Der in der Antwort steckende Antrag auf Fragänderung beseitigt bei dem untrennbaren Zusammenhang der einzelnen Schuldfeststellungen unter einander und bei der Unzulässigkeit von Teilverdikten formell den ganzen schon erstatteten Spruch. Es ist daher den Geschworenen, weil die erteilten Antworten ihre Kraft verloren haben, ein neuer Fragebogen zu behändigen. Die Geschworenen haben zu allen Fragen neu zu beraten, können aber, soweit nicht dadurch ein Widerspruch entsteht, die früheren Antworten wiederholen. Der alte Fragebogen ist nicht zu vernichten, sondern wegen seiner wesentlichen Bedeutung für den prozessualen Hergang dem Protokolle zu adhibieren 1δ . Der eine, Dagegen wollen K e l l e r zu § 305 Bern. 4, U l l m a n n S. 523, v. K r i e s S. 625, D a l c k e zu § 309 Bern. 3 und Fragestellung S. 131 die Zusätze für nicht geschrieben erachten, sofern nicht eine sachliche Undeutlichkeit oder ein Widerspruch daraus erhelle. Noch weiter geht H. M e y e r in v. Holtzend. Handbuch I I S. 199: Zusätze, die nicht lediglich k o n k r e t e Tatumstände beträfen, seien wirkungslos; in dem ausgenommenen Falle habe das Gericht den von den Geschworenen festgestellten Umstand zugrunde zu legen. Und B e n n e c k e - B e l i n g S. 563 erklären positive Zusätze schlechthin für unbeachtlich. 14 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 34 S. 413 f.: die Geschworenen hatten auf die Frage aus § 267 StGB unter Konstatierung des im § 270 enthaltenen Delikts geantwortet. 15 Die gleiche Behandlung des Fragebogens tritt ein, wenn ein Geschworenenspruch durch Protest von Geschworenen entkräftet ist und daher vom Gerichte zurückgewiesen wird. Vgl. unten § 51 sub I V 1. W i r d hingegen im Spruchberichtigungsverfahren eine Frage noch geändert oder hinzugefügt, so genügt die Änderung des ursprünglichen Bogens. Vgl. unten § 56 I I 8. Die mangelfreien Antworten verlieren hier nicht von

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wie der andere Spruch ist vom Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen, § 308 Abs. 2. Zu der Verhandlung über die Fragänderung ist der Angeklagte zuzuziehen, es genügt nicht die Anwesenheit des Verteidigers. Verlesuog und Prüfung der neuen oder geänderten Frage usw. kann nur in Gegenwart des Angeklagten geschehen16. Eine Frage nach mildernden Umständen dagegen haben die Geschworenen nicht zu beantragen, § 297 StPO 1 7 , und das Recht des Gerichts, sie von amtswegen zu stellen, erlischt mit der Kundgebung eines nicht berichtigungsbedürftigen Verdikts 1 8 . Noch viel weniger steht es den Geschworenen zu, Befragung wegen einer weiteren Tat zu begehren, die nicht mit Gegenstand des Eröffnungsbeschlusses ist. In beiden Fällen mufs daher der Zusatz ohne Folge bleiben. Er darf aber nicht einfach ignoriert werden. Vielmehr ist Gerichtsbeschlufs dahin zu erlassen, dafs der bezügliche Passus des selbst ihre Kraft, sondern können nur mit den fehlerhaften zugleich von den Geschworenen geändert werden, § 311 Abs. 1. Im Falle des Textes hingegen behalten die erteilten Antworten nur sub conditione, für den Fall der Verwerfung des in der Beantwortung implicite gestellten Antrags auf anderweite Befragung, ihre Bedeutung. Wiederum anders ist die Prozefslage, wenn den Geschworenen ein neuer Fragebogen erteilt wird, weil der alte durch Zwischenfälle bei der Geschworenenberatung (Beschädigung des Bogens, Obmannswechsel, Änderung des Urteilerbestandes usw.) unbrauchbar geworden ist. Der frühere Bogen wird vernichtet. Vgl. oben § 45 sub V I I und I X . Tritt endlich nach Beginn der Geschworenenberatung noch eine Änderung der Fragen ein — vgl. oben S. 337 —, so ist ein neuer Fragebogen auszuhändigen, wenn einzelne Antworten schon niedergeschrieben waren, andernfalls genügt die Änderung des ursprünglichen Bogens. Der Obmann ist zu befragen, ob jene Voraussetzung vorliegt: dann nicht Rückgabe des Bogens, sondern dessen Vernichtung durch die Geschworenen. Hiernach vollzieht sich erforderliche Neuberatung der Geschworenen je nach Verschiedenheit der Voraussetzungen an der Hand eines neuen Fragebogens unter Übergabe des alten zu den Akten oder unter dessen Vernichtung oder auf Grund geänderten Fragebogens. 16 Vgl. auch oben S. 339. 17 S. auch Reichstagsverhandlungen Sten.-Ber. S. 525. 18 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 33 S. 139 f. Die französischen Geschworenen treffen über mildernde Umstände zwar ungefragte, aber provozierte Feststellung. Das Schweigen des Wahrspruchs darüber wirkt als verneinende „déclaration muette". Der Präsident hat sie über ihr Recht zur Annahme mildernder Umstände zu belehren. Aber es entsteht natürlich nicht Nichtigkeit, wenn ohne diesen Hinweis mildernde Umstände zugebilligt wurden. Vgl. H é l i e , Prat, crim. I nr. 860.

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Verdikts als unberechtigter Zusatz zu verwerfen sei. Damit ist die gleiche Form der Ablehnung gewählt, wie sie bei einem Antrag auf Fragenergänzung geboten gewesen wäre. Die Verkündung an den Angeklagten, § 313, bezieht sich nur auf den so reduzierten Spruch. Ganz ebenso ist zu verfahren, wenn einem Antrage auf qualifizierende, privilegierende Nebenfrage oder auf Hilfsfrage Rechtsgründe entgegenstehen würden. Die Geschworenen haben hier in ihrem Verdikte den Erfolg des Änderungsantrags gewissermafsen antezipiert; mit dieser Voraussetzung fällt der Zusatz. Freilich ist nicht undenkbar, clafs die zulässigen Bestandteile der Antwort durch das ungehörige Hinzufügen subjektiv mitbestimmt worden sind. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dafs den Geschworenen nun nach Streichung des Zusatzes noch einmal die ursprünglichen, von ihnen an sich mangelfrei beantworteten Fragen vorgelegt werden müfsten. 3. Eine dritte Klasse von Zusätzen bezieht sich auf blofs konkrete Merkmale. Die Geschworenen fügen einen neuen Tatumstand hinzu oder substituieren einem erfragten konkreten Moment ein anderes. Eine ungefragte Feststellung ist nicht zuzulassen. Das Gericht hat also zu beschliefsen, ob die Frage entsprechend geändert werden soll. Wird in dem Hinzufügen in den Fällen unter 2 ein Antrag erblickt, so kann es hier nicht anders sein. Die Bescheidung des Antrags aber unterliegt der freien Prüfung des Gerichts, es müfste denn nach dem Inhalte des Zusatzes ein Hilfsfragebegehren anzunehmen sein, in welchem Falle die Ablehnung auf Rechtsgründe beschränkt bleibt. a) Die nachträgliche Aufnahme eines w e i t e r e n Tatumstandes in die Frage wird nur dann am Platze sein, wenn sie wirklich im Interesse genügender Individualisierung liegt. Andernfalls tut das Gericht besser, von der weitern Konkretisierung abzusehen und das Verdikt unter Streichung des Zusatzes zu akzeptieren. Denn es läfst sich nie mit Sicherheit voraussehen, wie ein neuer Spruch ausfallen wird. Dieses Verfahren ist namentlich dann richtig, wenn das neue Moment nur für die Strafzumessung in Betracht käme. b) Haben die Geschworenen ein erfragtes Moment durch ein anderes e r s e t z t , so ist vor allem zu prüfen, ob dadurch die Identität der Tat berührt wird. a) Wenn ja, so widerspricht die Antwort, weil auf eine

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individuell andere Tat gerichtet, cler Frage, und es ist die Berichtigung des Spruchs geboten. ß) Aber auch im anderen Falle darf es bei der gegebenen Antwort nicht bewenden, denn sie enthält immer statt des allein möglichen Ja oder Nein eine den Geschworenen nicht zustehende Korrektur der Frage. Die Entscheidung des Gerichts kann in dreifachem Sinne ergehen: es wird die Frage entsprechend geändert oder die alte Frage erneuert oder der Zusatz gestrichen. aa) Der erstere Modus ist am Platze, wenn es sich um ein notwendiges Individualisierungsmoment handelt, das (wie Ort und Zeit) wohl anders substantiiert werden kann, einfache Verneinung aber nicht verträgt. Blofse Streichung wäre hier unmöglich. An Stelle der ursprünglichen wird die von den Geschworenen gewünschte oder eine allgemeinere diese mit einschliefsende Angabe zu wählen sein 19 . bb) Ist ein substituiertes konkretes Merkmal unter den gesetzlichen Begriff (der Waffe, des Giftes, des bewohnten Gebäudes, des verschlossenen Briefs usw.) nicht subsumierbar, so würde ein auf das Verclikt gegründetes Urteil falsche Gesetzesanwendung ergeben. Die Annahme des Verdikts ist also ausgeschlossen. Möglicher Weise liefert das von den Geschworenen angeführte Merkmal in Verbindung mit dem sonstigen Spruchinhalte die Voraussetzungen für eine Hilfsfrage (z. B. auf schwere Körperverletzung an Stelle des Vergiftungstatbestandes gemäfs § 229 Abs. 2 StGB). Oder es wird mit seiner Feststellung eine Qualifikation abfällig oder Strafgesetzanwendung überhaupt unmöglich. Im ersteren Fall ist die Hilfsfrage zu stellen, im letzteren die Befragung zu erneuern unter dem Bedeuten der Geschworenen, dafs sie bei Festhaltung ihrer tatsächlichen Ansicht die Qualifikation oder die Frage überhaupt zu verneinen haben, aber nicht zu einem Ja mit dem gemachten positiven Zusatz befugt seien. Fragenänderung ist ferner in dem Falle unerläfslich, dafs die Geschworenen auf die Frage, ob der Angeklagte in Gemeinschaft mit dem — nicht mitangeklagten — X delinquiert habe, antworten sollten, es sei in Gemeinschaft nicht mit X , sondern mit Y geschehen. Vielleicht ergibt diese Antwort einen Zweifel an 19

Ein Beispiel in Goltd. Arch. Bd. 43 S. 260 (4. Str.-S.): die Geschworenen bejahten mit dem Zusätze, die Tat sei nicht am 15., sondern am 22. November 1894 geschehen. K o r r e k t , wie das RG anzunehmen scheint, ist eine solche Antwort nicht. Vgl. auch Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 12 25.

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der Identität der Tat, dann hätte schon nach a Berichtigung des Spruchs einzutreten. Steht dieses Bedenken nicht entgegen, so würde doch der Spruch durch die Streichung des substituierten Moments, der gemeinsamen Begehung mit Y, unvollständig werden. Denn das Gericht darf am Spruche nichts ändern, nicht in ihn statt des speziellen Umstandes die generelle Formel, Begehung in Gemeinschaft „mit einem Andern", einsetzen. Sonach bleibt nur übrig Fragerneuerung unter entsprechender Generalisierung (oder etwa nun unter Nennung des Y statt des X). Ähnlich liegt es, wenn die Geschworenen den als Täter oder Mittäter mitangeklagten X freisprechen, dagegen überzeugt sind, dafs Y , der als Anstifter oder Mittäter betreffs des X angeklagt war, einen Dritten angestiftet, mit einem Dritten zusammen delinquiert habe. Sie müssen dann antworten, Y habe „einen Anderen" angestiftet usw. Die entsprechende Fragänderung ist nach Verneinung der Schuld des X unbedenklich und liefert ein der Schuldauffassung der Geschworenen entsprechendes Verdikt 2 0 . Wiederum darf nicht die Identität der Tat betreffs des Y zweifelhaft geworden sein. cc) Bei einem blofsen und für die Subsumtion nicht wesentlichen Konkretisierungsmerkmal entfällt Fragerneuerung, wenn die Geschworenen mit der Konstatierung des anderweiten Umstandes die Verneinung des erfragten Moments verbunden hatten. Denn die Tat ist auch ohne diesen Umstand genügend bestimmt. Mangels solcher Negativfeststellung ist die Frage nicht vollständig beantwortet worden, das Gericht also befugt, die Frage zu erneuern, wobei zumeist eine Änderung im Sinne der Geschworenen angemessen sein wird. Eine Verpflichtung zur Fragerneuerung besteht jedoch nicht, da die Individualität der Tat auch ohne das betreffende Moment feststeht. Bei wiederholter Befragung sind die Geschworenen zu bedeuten, dafs nur Bejahung oder Verneinung des erfragten Umstandes ihnen freistehe. Sieht das Gericht von erneuter Befragung ab, so ist cler von den Geschworenen gemachte Zusatz zu streichen. Das geschieht auch hier durch Gerichtsbeschlufs. Fragänderung bedingt Zuziehung des Angeklagten; Prüfung und Feststellung der Frage erfordert seine Gegenwart. Wiederum erneuert sich mit der einen Frage die Befragung 20 Die Textausführung ergänzt die früheren Feststellungen, S. 129,130, über die Zulässigkeit der Fragfassung „ i n Gemeinschaft mit einem Andern" usw.

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im Ganzen und die Geschworenen erhalten die Freiheit der Beurteilung in vollem Umfange zurück. Fragerneuerung ist besonders aus diesem Grunde immer mifslich. Reicht blofse Streichung aus, so verdient sie den \ r orzug vor wiederholter Befragung. Zusätze, die nicht feststellen, sondern den Spruch nur erläutern oder begründen wollen, haben nur insofern Bedeutung, als sie vielleicht auf eine Undeutlichkeit oder einen Widerspruch in der Antwort hinweisen, Eventualitäten, auf die in der Lehre vom Berichtigungsverfahren zurückzukommen ist. Im Übrigen müssen sie, da Begründung unzulässig ist, als unwirksam angesehen werden. IV. Die Zulassung eines Verdikts mit unberechtigtem Zusätze begründet die Revision, soweit das Urteil auf dem Verstöfse beruht. Das ist stets der Fall, wenn das Hinzufügen eine Hilfs- oder Nebenfrage vorausgesetzt hätte und ihm entsprechend geurteilt worden ist (Fall 2). In der Antwort der Geschworenen auf die Mordfrage: „Ja, doch hat der Angeklagte den Tod durch Fahrlässigkeit verursacht", liegt der Antrag auf Hilfsfrage wegen fahrlässiger Tötung; verurteilt das Gericht alsbald wegen Fahrlässigkeit, so wird eine nicht erfragte Tatgestaltung zur Urteilsgrundlage gemacht. In noch stärkerem Mafse läge der gleiche Fehler vor, wenn nur auf eine weitere Hauptfrage hin die Feststellung zulässig gewesen wäre und das Gericht dennoch clem Zusätze entsprechend verurteilt haben sollte. Dafs Annahme eines undeutlichen oder sich widersprechenden Verdikts — mangelhaft eben wegen des Zusatzes — einen Revisionsgrund ergibt, bedarf kaum der Bemerkung (Fall 1). Hatten die Geschworenen ein konkretes Merkmal substituiert (Fälle sub 3 b), so ist das auf solchem Verdikt beruhende Urteil immer aufzuheben, wenn mit dem Tatmoment die Tatidentität sich geändert hat oder das substituierte Moment unter den gesetzlichen Tatumstand nicht subsumtionsfähig war. Denn Aburteilung einer anderen als der im Eröffnungsbeschlufs bezeichneten Tat darf nicht zugelassen werden und ein falsche Subsumtion ergebendes Verdikt rechtfertigt nicht die Anwendung des Strafgesetzes. Dagegen ist eine weder die Identität der Tat, noch die rechtliche Beurteilung berührende Substitution unschädlich, da die Konkretisierung im Ermessen des Gerichts steht und dieses wohl inkorrekt, aber nicht gesetzwidrig verfährt, wenn es die Vertauschung eines erfragten

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mit einem nicht erfragten konkreten Moment durch die Geschworenen hinnimmt 2 1 . Aus dem letzteren Grunde kann das blofse vom Gericht zugelassene Hinzufügen eines weiteren, mit dem gesetzlichen Tatbestand verträglichen Konkretisierungsmoments, Fall 3 a, niemals Revision wirken. Sollte immerhin der Zusatz für die Strafzumessung erheblich sein, so entzieht sich doch diese Operation jeder Nachprüfung und es ist daher die Annahme des Verdikts mit dem Tatumstande rechtlich nicht zu beanstanden, wenn auch das Gericht es füglich vermeiden sollte, ohne Not Strafzumessungsgründe durch die Geschworenen feststellen zu lassen. Revision wegen fälschlicher Ablehnung der zusätzlich beantragten Frage oder Fragänderung ist gegeben, wenn der Zusatz zu Unrecht, also in einem Falle, wo nur Rechtsgründe zur Abweisung berechtigten und diese fehlten, verworfen worden ist, sei's alsbald durch besonderen Beschlufs, sei's inkorrekter Weise erst in den Urteilsgründen. V. Eine Form für teilweise Verneinung ist im Gesetze nicht vorgeschrieben 22. Passend und üblich ist, den verneinten Umstand für nicht erwiesen zu erklären 2 8 , doch kann er auch direkt verneint werden. Über den Umfang der teilweisen Verneinung, die von ihr betroffenen Tatmomente, darf kein Zweifel bleiben. Andernfalls wäre der Spruch sachlich undeutlich. VI. Die Befugnis teilweiser Verneinung besteht keineswegs nur unter der Voraussetzung getrennter Abstimmung über Fragebestandteile (vgl. oben sub I). Auch soweit einheitlich abgestimmt werden mufs (über den ganzen zur Frage gestellten Tatbestand oder Tatumstand) steht jedem Geschworenen frei, sein bejahendes \ 7 otum durch Verneinung eines oder mehrerer erfragter Umstände zu beschränken. Nur bei der Frage nach mildernden Umständen, die immer generell, niemals unter Sonderung von Fragmomenten gestellt wird, ist dies ausgeschlossen. Dagegen tragen die sonstigen Nebenfragen (nach Qualifikations-, Privilegierungs-, Strafaufhebungsgründen, nach der erforderlichen Einsicht) und die Haupt-(Hilfs-) 21

Vgl. auch preufs. Oh.-Trib. bei O p p e n h o f f 17 S. 739. In gleichem Sinne österr. Kass.-Hof v. 8. Okt. 1883 E. Bd. 6 S. 156. 22 Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 35 S. 70 f. Österr. § 328 fordert Instruktionen — vgl. die Präjudizien bei C r a m e r Bern. 10 f. — die Antwort: „Ja, aber nicht mit diesen oder jenen Umständen". 23 Die preußische Formel: 1852 Art. 91 Abs. 3, 1867 § 334 Abs. 3.

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Fragen, wenn der Tatbestand oder Tatumstand auch noch so knapp gefafst ist, zusammengesetzte Natur und machen Verneinung einzelner Fragmomente möglich. 1. Wird ein abstrakter Fragbestandteil, dessen Feststellung dem Angeklagten zum Nachteil gereichen würde, weil er zu den Momenten des einfachen oder qualifizierten Delikts gehört, von mehr als vier Geschworenen verneint, so gilt die Verneinung. Ist umgekehrt die Verneinung dem Angeklagten ungünstig, weil der Umstand zu den Momenten eines Strafaufhebungs- odèr Privilegierungsgrundes gehört, so kann sie nur mit mehr als sieben Stimmen erfolgen. Jedes gesetzliche Deliktsmoment, jeder Qualifikationsgrund und das Einsichtserfordernis im Ganzen und in ihren einzelnen gesetzlichen Bestandteilen erfordern mehr als sieben bejahende Stimmen. Privilegierungs- und Strafaufhebungsgründe sind im Ganzen und im Einzelnen nur mit mehr als sieben Stimmen zu verneinen. 2. Werden mehrere abstrakte Fragbestandteile, deren Bejahung dem Angeklagten ungünstig wäre, je von mehr als vier, sei's denselben, sei's verschiedenen Geschworenen verneint, so sind bei Bejahung der Frage beide Umstände zu verneinen. Betragen die Nein nur für beide Momente zusammen mehr als vier, so darf jedenfalls nicht die Frage uneingeschränkt bejaht usw. werden, da mindestens fünf Geschworene wesentliche Teile der Frage verneinen. Läfst die Verneinung eines der beiden Momente (z. B. der Überlegung bei Mordfrage) einen strafbaren Tatbestand zurück (Totschlag), die des anderen (des Vorsatzes usw.) entweder überhaupt oder doch der gestellten Frage gegenüber nicht, so sind die dem Angeklagten günstigeren für sich allein nicht ausreichenden verneinenden Vota der zweiten Art den ihm weniger günstigen Verneinungen des ersten Moments hinzu zu zählen und es gilt bei insgesamt mehr als vier Stimmen dieses für verneint, während die Frage im Übrigen zu bejahen ist. Zur Bestätigung dient, dafs unter den gleichen Voraussetzungen das gleiche Ergebnis zu Tage tritt, wenn die Dissentienten die weitergehende Frage im Ganzen verneinen und dann über den in ihr enthaltenen geringeren Deliktstatbestand abgestimmt wird: auf die Verneinung der Mordfrage (fünf contra) folgt Bejahung der Totschlagsfrage (höchstens vier contra; wer nur Überlegung verneint, bejaht den Vorsatz). Fällt hingegen mit jedem der verneinten Umstände die Strafbarkeit im Hinblick auf die gestellte Frage, so kann zwar keiner

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von ihnen speziell — mangels hinreichender Majorität — als verneint gelten, wohl aber ist bei zusammen mehr als vier verneinenden Stimmen die Frage im Ganzen zu verneinen 24 . 3. Sind mehrere abstrakte Fragmomente, deren Bejahung dem Angeklagten günstig wäre, je oder insgesamt von mehr als sieben Geschworenen verneint] worden, so ist damit der Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrund, (z. B. Löschen des Brandes, § 310 StGB), weil nur höchstens vier Geschworene seine sämtlichen Momente annehmet, als verneint anzusehen. 4. Bejahung der Schuldfrage unter Verneinung eines unentbehrlichen I n d i v i d u a l i s i e r u n g s m o m e n t s (z. B. der Orts-. Zeitangabe) setzt bei korrektem Verhalten der Geschworenen voraus, dafs diese eine andere S u b s t a n t i i e r un g des Umstandes (z. B. 15. statt 1. Juni, Hamburg statt Altona) für geboten halten. Denn Verneinung überhaupt im Hinblick auf ein solches Moment bedeutet Verneinung des individuellen Faktums der Schuldfrage, nötigt also zu glattem Nein. Die Begehung der individuellen Anklagetat kann nur mit Zweidrittelmehrheit festgestellt werden. Folglich ist die beschränkte Bejahung — unter Ablehnung eines Individualisierungsmoments — immer dann geboten, wenn mindestens fünf Geschworene für andere Substantiierung sich entscheiden. Verteilen sich die fünf usw. dissentierenden Stimmen auf mehrere Tatmomente, so fehlt es auch in diesem Falle für die Tat im Ganzen an der nötigen Zweidrittelmehrheit. In dem verneinenden Teil der Antwort sind die mehreren Umstände zusammenzufassen, z. B. dahin: es ist nicht erwiesen, dafs die Tat am 1. Juni zu X begangen worden ist. Denn dafs d i e s nicht der Fall war, nehmen ja fünf usw. Geschworene an. Zur Verneinung eines reinen K o n k r e t i s i e r u n g s m o m e n t s durch die Geschworenen scheint hingegen Stimmenmehrheit erforderlich zu sein. Genügt nicht, dafs für die individuelle Tat der Schuldfrage eine Zweidrittelmehrheit sich ergeben hat? Mufs nicht unter dieser Voraussetzung die weitergehende Konkretisierung in der Frage von den Geschworenen einfach beibehalten werden, wenn nicht die Mehrheit eine andere Anschauung gewonnen hat? Allein es kann den Geschworenen unmöglich zustehen, ihrerseits eine Scheidung von Individualisierung und Konkretisierung vorzunehmen. Für die Bejahung aller Schuldfragbestandteile gilt 24

Vgl. auch Z a c k e , Fragestellung S. 132.

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das gesetzliche Erfordernis der Zweidrittelmehrheit. Vom Gerichte hängt es ab, in welchem Mafse konkreter Stoff in die Frage mit aufgenommen wird. Vom Standpunkte der Geschworenen sind alle diese Momente „Umstände, die zur Unterscheidung der Tat erforderlich sind", § 293. Ein Übermafs in dieser Hinsicht ist leicht schädlich, da es die Gefahr ungerechtfertigter Schuldverneinung ergibt. Den Geschworenen steht frei, bei Überladung der Frage mit konkreten Merkmalen auf entsprechende Beschränkung anzutragen, § 291 StPO. Dagegen hat das Gericht als der die Tatindividualisierung mafsgebend bestimmende Faktor bei Verneinung eines konkreten Moments im Wahrspruche allerdings zu prüfen, ob die Tat nicht auch ohnedies als genügend bestimmt gelten kann, und in diesem Falle das Verdikt als Grundlage der Verurteilung zu akzeptieren. Niemals aber kann, wie schon hier zu konstatieren ist, die Bejahung unter Verneinung eines konkreten Umstandes zur Freisprechung führen. Denn eine solche Antwort ist eben nur dann am Platze, wenn die Geschworenen die individuelle Tat der Frage als erwiesen ansehen und nur betreffs des verneinten Moments eine andere S u b s t a n t i i e r u n g für geboten halten. Erscheint also dem Gericht die Beibehaltung des Moments zur Unterscheidung unentbehrlich, so mufs es die tatsächliche Auffassung der Geschworenen zu ergründen suchen und danach anderweit substantiieren. Das Verdikt leidet unter dieser Voraussetzung vom Standpunkte des Gerichts aus an innerem Widerspruch. Denn aus der blofsen Verneinung des Umstandes geht nicht hervor, dafs sie nur erfolgt ist, weil eine andere positive Bestimmung desselben für geboten erachtet wurde, und wird, wie nicht anders möglich, dieses unausgesprochene Motiv bei Seite gelassen, so ist das Verdikt sich widersprechend, weil die Tat bejaht worden ist trotz Verneinung eines Individualisierungsmoments 25. Die Geschworenen hätten vor Abgabe des Verdikts Änderung der Substantiierung beantragen sollen. Ein inkorrekter, aber nicht rechtlich unzulässiger Weg zu dem gleichen Ziele ist anderweite positive Bestimmung des Moments in Form eines Verdiktszusatzes. Denn dieses Hinzufügen wirkt als Antrag auf Fragänderung und hebt damit das schon abgegebene Verdikt auf. In der früher zurückgewiesenen Ansicht, dafs den Ge25

Verkannt von H. M e y e r I I S. 198, der in solchem Falle Freisprechung für geboten erachtet.

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schworenen Verneinung konkreter Umstände nicht zustehe 26 , steckt also insofern ein richtiger Gedanke, als Bejahung unter Verneinung eines e i g e n t l i c h e n I d e n t i t ä t s m e r k m a l s , falls nicht eine andere positive Angabe hinzugefügt wird, ein sich widersprechendes Verdikt liefert. 5. Die Antwort „ja, doch ist nicht erwiesen" usw., ist, s o w e i t das Ja reicht, eine dem Angeklagten „nachteilige Entscheidung". Daher bedarf es insofern jedenfalls der Angabe des Stimmenverhältnisses durch den Zusatz „mit mehr als sieben Stimmen", § 307 Abs. 2 StPO. Ist die Verneinung dem Angeklagten nicht nachteilig, bezieht sie sich auf einen Qualifikationsgrund usw., so lautet der Spruch : „Ja, mit mehr als sieben Stimmen, doch ist nicht erwiesen" usw. 27 . Dafs die Stimmenangabe zwischen das Ja und die Einschränkung tritt, ergibt keineswegs einen Widerspruch des Verdikts, indem ein v o l l e s mit der nötigen Stimmenzahl abgegebenes Ja eine nachträgliche teilweise Einschränkung nicht zuliefse. Die Bejahung und die teilweise Verneinung bilden eben ein untrennbares Ganzes. Würde die Stimmenangabe dem verneinten Umstand nachfolgen, so läge darin die Versicherung, dafs auch der Qualifikationsgrund mit mehr als sieben Stimmen verneint worden sei, während doch fünf Nein dafür genügt hätten. Bleibt in Folge der teilweisen Verneinung ein strafbarer Tatbestand überhaupt nicht zurück, so fällt die Angabe des Stimmenverhältnisses weg 2 8 . Das „Ja" ist nur der Form nach eingeschränkt, materiell eine verschärfte Entscheidung, wenn ein dem Angeklagten günstiges Moment, ein in die Frage aufgenommener Privilegierungsgrund verneint wird. In solchem Falle ist zu antworten: ja, doch ist nicht erwiesen, dafs usw., mit mehr als sieben Stimmen. Diese Formel bezeugt, dafs für das Ja und das Nein je die nötige Stimmenzahl vorhanden war, und liefert einen markanten Gegensatz zu dem Ja mit materieller Beschränkung (Ablehnung eines Qualifikationsgrundes usw.). Dafs über den Privilegierungsgrund gesondert abgestimmt worden ist, bedarf nicht der Versicherung, doch wäre natürlich die Fassung „ja, mit mehr als sieben Stimmen, 26

Vgl. oben sub II. Vgl. z. B. RG Entsch. Bd. 2 S. 96 f., 361 f., Bd. 7 S. 195, R. V I I S. 26, R. X S. 349 f. 28 Vgl. hierzu RG 1. Str.-S. E. Bd. 10 S. 315 f. 27

§ 47. Der Inhalt des Wahrspruchs.

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doch ist nicht erwiesen, dafs usw., mit mehr als sieben Stimmen", nicht zu beanstanden. VII. Zusätze der Geschworenen wirken wie Fraganträge, aber sie sind Feststellungen, Die erforderliche Stimmenzahl bestimmt sich daher zunächst aus dem Gesichtspunkte der Feststellung. Der unberechtigte Zusatz kann in dieser Hinsicht nicht anders behandelt werden als die berechtigte, erfragte Feststellung. Hiernach bedarf es der Zweidrittelmehrheit, soweit zusätzlich eine dem Angeklagten ungünstige Schuldfeststellung (einer Qualifikation, eines Tatbestandes, der Hilfsfrage erfordert hätte usw.) gegeben wird. Zusatz mildernder Umstände würde mindestens sechs, eines Privilegierungsgrundes mehr als vier Stimmen voraussetzen. Das Hinzufügen eines konkreten Moments erfordert Zweidrittelmehrheit, mag die Verneinung eines entsprechenden Fragmerkmals damit verbunden sein oder nicht. Dagegen würde ein Fragantrag, der, wie es beim Verdiktszusatze der Fall ist, als Akt des Kollegiums, nicht einzelner Geschworener, auftritt, an sich immer mit absoluter Majorität zu beschliefsen sein. So scheint ein Widerspruch zu entstehen, indem Zusätze, die vielleicht nur von der Minorität oder der Hälfte der Geschworenen ausgingen, als Majoritätsanträge behandelt werden. Allein der Schein verschwindet durch die Erwägung, dafs der nicht erfragte, von einer geringeren Geschworenenzahl beschlossene Zusatz Aufnahme in das Verdikt doch nur finden kann, wenn die Mehrheit sich hiermit — nicht mit dem Inhalte der Feststellung als solcher — ausdrücklich oder stillschweigend einverstanden erklärt hat. Dafs auf die Fragen geantwortet werden soll, brauchen die Geschworenen nicht zu beschliefsen — das müssen sie ja —? wohl aber setzt die Hinzufügung ungefragter Feststellungen einen Willensakt des Kollegiums voraus. Freilich können Fraganträge auch von einzelnen Geschworenen ausgehen, aber Bestandteile eines Kollegialbeschlusses doch nur im Willen des Kollegiums gründen. Das mit Zusätzen versehene Verdikt ist nicht Verbindung von kollegialen Feststellungen und Einzelanträgen. Eine Schädigung der Minorität kann aus dieser Rechtslage nicht erwachsen. Es steht ja bis zur Kundgebung des Verdikts jedem einzelnen Geschworenen frei, Fraganträge zu stellen. Dafs der Zusatz die zur F e s t s t e l l u n g erforderliche Mehrheit erhalten hat, braucht an sich im W^ahrspruche nicht gesagt zu werden, denn nur für A n t w o r t e n bestimmter Art ist im § 307 die Angabe des Stimmenverhältnisses vorgeschrieben und das

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Der Inhalt des Wahrspruchs.

Vorhandensein der für einen F r a g an t r a g des Geschworenenkollegiums nötigen einfachen Mehrheit folgt aus der Aufnahme des Zusatzes in den Spruch. Als F e s t s t e l l u n g aber — im Gegensatze zu einem Fragantrag — dürfte vom Gerichte der Zusatz unbedingt nur angenommen werden —, inwieweit dies angängig ist, s. oben S. 409, 410 —, wenn das nötige Stimmenverhältnis von den Geschworenen angegeben wäre. Nach alledem ergeben sich für die Abstimmungen der Geschworenen gar manche technische Schwierigkeiten, die selbst rechtsgelehrten Richtern zu schaffen machen würden. Wer möchte im Ernste behaupten, dafs die Geschworenen ohne juristische Mitwirkung ihnen stets gewachsen seien? V I I I . Der Wahrspruch zur Schuldfrage ist nach StPO immer Generalverdikt. Die Geschworenen haben einen Deliktstatbestand im ganzen zu bejahen, zu verneinen oder mit Einschränkungen zu bejahen. Sie können nicht die Schuldfrage in eine Reihe einzelner Anklagetatsachen auflösen und diese in gesonderten Abstimmungen erledigen. Ein Spezialverdikt, wie es in Anknüpfung an das englische Recht einzelne deutsche Prozefsordnungen aufgenommen haben, ist dem Reichsrechte unbekannt. Das Wesen des englischen Spezialverdikts liegt darin, dafs die Geschworenen, statt die ganze Anklage mit den Worten „schuldig" oder „nichtschnldig" zu bejahen oder abzulehnen, auf die einzelnen Beschuldigungstatsachen antworten und die Findung des Resultates dem Richter überlassen 29. In den deutschen Prozefsordnungen mit Spezialverdikt (Braunschweig 1849 und 1858 § 140, Thüringen 1850 Art. 292) nahm das Institut insofern eine veränderte Gestalt an, als nicht unmittelbar auf die Anklage, sondern auf Fragen des Richters hin zu entscheiden war. Diese Fragen wurden daher aufgelöst. Vgl. Braunschweig § 140 Abs. 2: „Können sich die Geschworenen über die Schuldfrage nicht einigen, so sind sie berechtigt, den Tatbestand des in Frage stehenden Verbrechens in dessen einzelne Bestandteile von dem Gerichtshofe auflösen zu 29

Vgl. über die englischen Spezialverdikte A r c h b o l d , Pleading and evidence usw. p. 177 f.; H a r r i s , Principles of the crim. law p. 457; G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 162 f. (die Veranlassungen dazu S. 164f.: Hauptfall eine den Geschworenen nicht einleuchtende Rechtsbelehrung des Vorsitzenden, mit der sie sich nicht in Widerspruch setzen wollen ; die technischen Schwierigkeiten der Spezialverdikte S. 166 f.). Die Einrichtung ist wenig in Übung ( G l a s e r S. 290: kriminalistische Rarität).

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Der Inhalt des Wahrspruchs.

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lassen und über die hiernach gebildete Reihe von Einzelfragen spezielle Wahrsprüche abzugeben"30. Abweichend Thüringen Art. 292 Abs. 2: „Die Geschworenen können bei einer ihnen vorgelegten Frage die Frage über die Tat an sich und darüber, ob diese Tat von der Eigenschaft sei, welche das in Frage stehende Gesetz zu dem Begriffe des Verbrechens erfordert, trennen, und wenn sie die Frage über die Tat an sich bejahen, die andere Frage durch einfache Stimmenmehrheit dem Gerichtshofe zur Entscheidung überlassen. Die Geschworenen haben in diesem Falle das, was sie bejahen, bestimmt anzugeben und das, was sie dem Gerichtshofe zur Entscheidung überlassen, mit der Bemerkung zu bezeichnen, dafs ihnen unbekannt sei, ob der Angeklagte rücksichtlich desselben schuldig sei oder nicht." Einer solchen Fragenspaltung stehen, wie sie immer im einzelnen durchgeführt wird 3 1 , zwei prinzipielle Einwände entgegen : die Unmöglichkeit einer Unterscheidung von reiner Tatsache und juristischer Qualifikation 32 und die Notwendigkeit einheitlicher Abstimmung über den ganzen Deliktstatbestand. Der Modus des braunschweigschen Gesetzes insbesondere würde bei Zulassung von Mehrheitsbeschlüssen 33 zu den einzelnen Fragepunkten Verurteilung ermöglichen, obwohl vielleicht nicht ein einziger Geschworener die sämtlichen Merkmale des Delikts annähme. Zudem erfüllen die so ergehenden Spezialverdikte nicht zusammen die Funktion eines Generalverdikts, vielmehr bleibt eine klaffende Lücke, indem der juristische Nexus, der die Teile des Deliktstatbestandes zum Ganzen eint, nicht festgestellt wird, weder von den Geschworenen, noch etwa durch Annahme des Verdikts von den Richtern. Bejahung der einzelnen Schuldfragbestandteile besonders ist nicht Bejahung der Schuld, das Verbrechen in allen seinen tatbestandlichen Momenten aber doch nichts anderes als die Verwirklichung eines schuldhaften Willens 3 4 . Das Gericht 30 Vgl. dazu D e g e n e r , Gröfsere Justizorganisationsgesetze für Braunschweig Bd. I I S. 83 f. 31 Über die bestrittene Auslegung des braunschweigischen Gesetzes vgl. H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 154 f. 82 Sehr richtig bemerkt denn auch B i n d i n g , Drei Grundfragen der Organisation des Strafgerichts S. 38, dafs die in den englischen Spezialverdikten festgestellten Tatsachen keineswegs der juristischen Qualifikation entbehrten. 33 Das braunschweigische Gesetz selbst forderte in § 142 Abs. 3 für jedes Verdikt Stimmeneinhelligkeit. 34 Wenn die Jury im Anschlufs an die von ihr bejahten objektiven Fakta

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 47. Der Inhalt des Wahrspruchs.

hat nicht diese durch das Verdikt unerledigte Feststellung seinerseits zu treffen, vielmehr nur über die Subsumtion unter das Gesetz zu entscheiden. Das ganze Verfahren läuft also unverkennbar auf eine Schuldfiktion hinaus 35 . Nach dem Thüringischen Gesetz finden jedenfalls getrennte Abstimmungen statt über die „Tat an sich" und die Tat in ihrer Beziehung zum Strafgesetz, während vielmehr einheitlich zu prüfen ist, ob dem Angeklagten eine Tat im Sinne des Gesetzes zur Last fällt. Die erstere Feststellung geht von den Geschworenen, die letztere vom Gericht aus: es ist also möglich, dafs Tat- und Rechtsfrage sukzessive von den beiden Kollegien bejaht werden, während Verneinung beider Fragen erfolgt wäre, wenn die Richter über die Tat-, die Geschworenen über die Rechtsfrage hätten entscheiden müssen. Gerecht aber kann eine Verurteilung nur sein, wenn die Urteiler in gesetzentsprechender Majorität einig sind über die sämtlichen Voraussetzungen der Schuld. Unklar bleibt, ob die Geschworenen ihre Feststellung über „die Tat an sich" auf Grund einer oder mehrerer Abstimmungen treffen sollten; es ist nur gesagt, sie haben „das, was sie bejahen", bestimmt anzugeben. Da aber eine Begrenzung der „Tat an sich" gar nicht existiert, so ist auch nicht einzusehen, wie eine einheitliche Frage danach gestellt werden könnte. Die Geschworenen sind z. B. im Zweifel, ob eine gewisse Wegnahme nach ihren objektiven und subjektiven Momenten einen „animus furandi" festgestellt hat, so ist damit keineswegs, wie die englische Judikatur ganz unbefangen annimmt (Zitate bei H a r r i s a. a. 0 ) , ein Diebstahlsdolus festgestellt worden. Denn, es ist trotz des „animus furandi" Schuld im Rechtssinne nicht konstatiert. 35 Die dem Spezialverdikt folgende Verurteilung durch das Gericht besagt nur, dafs die Einzelfeststellungen der Geschworenen zusammen die Gesetzesanwendung ermöglichten — was in Wahrheit n i e m a l s zutrifft—, stellt aber nicht ihrerseits die dem angewandten Verbrechensbegriff entsprechende Willensschuld fest. Nach G l a s e r , Anklage usw. S. 170 unterscheidet sich das Spezialverdikt vom Generalverdikt nur dadurch, dafs der Richter die Rechtsfrage nach, statt vor dem Ausspruch der Jury, dafs er sie unmittelbar, anstatt wie sonst, mittelbar entscheidet. Wo bleibt also die Feststellung der die einzelnen Tatmomente verbindenden Willensschuld? Sie fällt einfach aus. H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 39 scheint diesen Mangel richtig gefühlt zu haben, meint aber, wenn die Geschworenen nicht das Nichtschuldig aussprächen, sondern die Tatsachen, die das indictment aufführe, bejahten und es dem Richter überliefsen, ob er danach den Angeklagten schuldig sprechen und verurteilen wolle, so „ m ü s s e " angenommen werden, dafs ihr Wahrspruch die ganze Schuldfrage erledige mit Ausnahme bestimmter Punkte. I n dem „Mufs" steckt eben die Fiktion.

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den gesetzlichen Tatbestand des Diebstahls erfüllt. Nun ist vollständig unmöglich, von den einzelnen gesetzlichen Diebstahlsmerkmalen jedesmal die Eigenschaften abzuziehen, „welche das in Frage stehende Gesetz zu dem Begriif des Verbrechens erfordert" (Art. 292 Abs. 2 Thür.), und so aus dem gesetzlichen Diebstahlsbegriff ein einheitliches äufseres Faktum auszuscheiden, das unter Hinzunahme der juristischen Qualifikationen Diebstahl wäre. Die „Tat an sich" ist notwendig ein Torso, ein Ausschnitt aus den Begriffsmomenten des Delikts, wobei es von den Geschworenen abhängt, wieviel ausgeschnitten wird und ob die ausgeschnittenen Stücke mehr oder weniger unjuristisch gefafst werden 36 . Der Rest wird dann dem Gericht zur Erledigung zugeschoben (das z. B. feststellen soll, ob sich die Sache in fremdem Gewahrsam, in fremdem Eigentum befunden habe, ob Wegnahme, um die Sache in bestimmter Weise zu verwenden, rechtswidrige Zueignung gewesen sei, ob eine bestimmte Manipulation mit der Sache eine Wegnahme im Sinne des Gesetzes ergeben habe usw. usw.). Der Ausspruch der Geschworenen konnte somit nichts anderes sein als das Produkt einer Reihe von Sonderabstimmuugen über Tatmomente. So war möglich Bejahung der „Tat an sich" durch das Geschworenenkollegium trotz verschiedenartigster Zusammensetzung der Majorität für Feststellung der einzelnen Tatbestandteile. Die unklare, widerspruchsvolle Idee des Spezialverdikts 37 konnte nur in einer unentwickelten Jurisprudenz entstehen, für Deutschland ist sie ganz un verwertbar 38 . 86 Nach Art. 287 Abs. 4 konnte bereits bei der Befragung der Geschworenen die Tat an sich getrennt werden von der Tatqualifikation, welche das Gesetz zum Begriffe des Verbrechens erfordert. Durchführbar ist eine solche Operation natürlich für das Gericht ebensowenig als für die Geschworenen. Aber es wurde so doch den Geschworenen eine — freilich willkürliche — Begrenzung der „Tat an sich" durch das Gericht geliefert und einheitliche Abstimmung insofern ermöglicht. 37 Vgl. die sehr auseinandergehenden Definitionen in der Denkschrift über das Geschw.-Gericht, Anl. 5 zu den Mot. des E. von StPO. Das in sich Unklare läfst sich nicht präzis bestimmen. 38 Für Einführung der Spezialverdikte in Deutschland waren eingetreten : B i e n e r , Engl. Geschw.-Ger. I S. 384 f., I I S. 184 f.; D e r s . , Arch, des K r i m Rechts N . F . 1849 S.88f.; K ö s t l i n , Geschworenengericht S. 211 ; v. S t e m a n n in Goltd. Arch. Bd. 3 S. 346, 347; dagegen v. K r a e w e l , Arch, des Krim.Rechts N. F. 1855 S. 320 f. (aus dem wunderlichen Grunde, dafs die laienhafte Auffassung des Strafgesetzes mafsgebend sei, die Jury daher stets die Rechtsfrage ganz zu entscheiden habe).

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§48.

§ 48.

Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

D i e F o r m des Wa h r s p r u c h s .

Die

Kundgebung.

Der Spruch der Geschworenen ist s c h r i f t l i c h e , verlesungsbedürftige Antwort auf verlesene s c h r i f t l i c h e Fragen des Gerichts 1 . I. Die Verlesung, §§ 290, 291 StPO, kündigt die Fragen nur an, stellt noch nicht die Fragen. Der relevante Befragungsakt liegt in der Übergabe des Fragebogens. Sollten die schriftlich fixierten von den verlesenen und bezw. festgestellten Fragen abweichen, so wäre es Recht der Geschworenen und, da sie als Urteiler Ungültigkeiten des Verdikts nach Möglichkeit zu verhüten haben, zugleich ihre Pflicht, auf diesen Mangel aufmerksam zu machen. Es würde dann den Geschworenen nach Konstatierung des Versehens ein neuer oder — wenn blofse Korrektur genügte und die frühere Fragengestalt dabei erkennbar bliebe — der entsprechend geänderte Fragebogen zur Beantwortung behändigt. Das Protokoll hätte über den \ 7 organg Auskunft zu geben. Die Konkordanz der schriftlich gestellten und der verlesenen usw. Fragen zu wahren, ist Amtspflicht des Vorsitzenden, der den Fragebogen zu unterzeichnen hat, § 301. Ein Gerichtsbeschlufs, der den Vorsitzenden nötigen könnte, die Fragen in anderer Gestalt, als er für die richtige hält, zu unterzeichnen, ist nicht denkbar. Unzweifelhaft aber würde eine Abweichung des Fragebogens von der für ihn mafsgebenden Fragengestaltung, sofern es sich nicht um reine Äufserlichkeiten handelte, die den Inhalt und die wesentliche Form der Fragen ganz unberührt liefsen, das Urteil der Revision aussetzen. Immer mufs das Protokoll (oder eine Anlage dazu) den genauen Wortlaut der verlesenen Fragen ergeben, damit ihre Übereinstimmung mit dem Fragebogen in der Revisionsinstanz kontrolliert werden kann 2 . 1 Die englischen Geschworenen antworten mündlich auf die Anklage. Der Spruch wird vom Gerichtshof nach Bedarf, eventuell nach Aufklärung von Zweifelspunkten und Befragung der Geschworenen („Ist dies Euer Wahrspruch?"), redigiert und zu Protokoll genommen. Vgl. G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 149 f. Frankreich (Art. 341 f.), die früheren deutschen Gesetze und Österr. §§ 325 Abs. 2, 329 verlangen schriftliche Beantwortung schriftlicher Fragen, des den Geschworenen behändigten Fragebogens. 2 Die Konkordanz der verlesenen und der den Geschworenen schriftlich

§ 48.

Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

II. Wie die Befragung, so ist auch die Antwort in ihrer schliefslichen mafsgebenden Gestalt eine s c h r i f t l i c h e . Der Spruch kommt zustande, indem über die einzelnen Fragen abgestimmt, das Ergebnis vom Obmann festgestellt, neben jeder Frage die Antwort niedergeschrieben und am Schlüsse die Unterschrift des Obmanns hinzugefügt wird 3 . Dann schliefst sich die K u n d g e b u n g durch den Obmann an, mit ihr wird der Spruch zur prozessualen Tatsache. Die Kundgebung geschieht im Sitzungszimmer in Gegenwart aller Personen, die bei der Hauptverhandlung zugegen sein müssen4, mit Ausnahme des Angeklagten (§§ 301, 313 StPO). Das Gesetz schreibt für diesen Akt eine besonders, ja übertrieben feierliche Form vor 5 : der Obmann spricht die Worte übergebenen Fragen zu bezeugen, ist nicht Sache des Gerichtsschreibers. Es wird ihm nicht vor der Behändigung an den Obmann erst der Fragebogen zur Vergleichung mit den verlesenen Fragen vorgelegt. Unrichtig ist, wie das preufsische Formular bei V i e r h a u s - W e i z s ä c k e r S. 96 Anm. 6 zu billigen scheint, die dem Protokoll in Anlage beigefügten, als verlesen bezeugten Fragen durch Unterzeichnung seitens des Vorsitzenden und Behändigung an den Obmann in den Fragebogen zu verwandeln. Das Protokoll wird so unvollständig. Die Rückgabe des identischen Schriftstücks seitens des Obmanns zu bestätigen, ist der Gerichtsschreiber aufserstande. Das preufsische Formular verlangt auch eine solche Versicherung von ihm nicht. So fehlt es an der protokollarischen Fixierung der verlesenen Fragen ! 3 Mitunterschrift weiterer Geschworenen verlangten Kurh. 1848 § 325 Abs. 3, 1863 § 163 Abs. 5, Hann. 1850 § 189 a. E., 1859 § 195, Bad. 1851 § 99 Abs. 2, 1864 § 286, Württ. 1849 Art. 165 Abs. 3, 1868 Art. 379 Abs. 1, Sachs. 1868 § 81. Der Unterschrift aller Geschworenen bedurfte es nach Braunschw. 1849 § 142 Abs. 4 und Waldeck 1850 § 118 (zur Konstatierung der erforderten Stimmeneinhelligkeit der Geschworenen). 4 Einschliefslich der Ergänzungsgeschworenen, auch wenn sie an dem kundzugebenden Spruche nicht mitgewirkt haben. Die Geschworenenbank wäre sonst bei der Kundgebung nicht vorschriftsmäfsig besetzt, § 377 Z. 1 StPO. Abweichend H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 205, 201. Anders natürlich, wenn der Vorsitzende vor der Kundgebung die Ergänzungsgeschworenen als nicht mehr benötigt entlassen haben sollte. 5 Nach dem Vorbilde des code d'instr. art. 348, wo die Beteuerung noch förmlicher ist (le chef du jury se lèvera, et la main placée sur son coeur, i l dira: Sur mon honneur et ma conscience, devant Dieu et devant les hommes, la déclaration du jury est usw.). Die früheren deutschen Prozefsordnungen folgten meist dem code, so Bayern 1848 Art. 194, Kurhess. 1848 § 329, Hess.-Darmst. 1848 Art. 181, 1865 Art. 382, Württ. 1849 Art. 167, 1868 Art. 383, Thür. 1850 Art. 293, Hann. 1850 § 191 u. 1859 § 197, Preufs. 1852 Art. 96 u. 1867 § 338, Oldenb. 1857 Art. 341 § 1, Sachs. 1868 § 84, Brem. 1870 § 513.

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Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

„auf Ehre und Gewissen bezeuge ich als den Spruch der Geschworenen" und verliest die gestellten Fragen mit den darauf abgegebenen Antworten, § 308 StPO 6 . Im Grunde ist aber die Verpflichtung des Obmanns, den Spruch so wie er von den Geschworenen beschlossen worden ist, getreu zu Papier zu bringen und genau nach der Niederschrift zu verlesen, eine so selbstverständliche, dafs die vorgeschriebene Beteuerung wie eine hohle Phrase klingt. Oder soll dadurch dem Spruche selbst ein ganz besonderes Ansehen gegeben werden? Andererseits wird auch durch die feierlichste Bekräftigung die Möglichkeit von Differenzen zwischen dem beschlossenen, dem geschriebenen und dem verlesenen Spruch nicht ausgeschlossen. Zweifellos ist nach der Absicht des Gesetzes die Beteuerung unentbehrlicher Bestandteil der Kundgebung, diese also im Rechtssinne nicht erfolgt, wenn die Beteuerung unterblieb 7 . Nur der gesetzmäfsig bekräftigte Spruch ist taugliche Urteilsgrundlage. 1. Das Gericht kann von sich aus nur kontrollieren die genaue Verlesung des geschriebenen und unterschriebenen Spruchs. Unmittelbar nach der Verlesung wird der Spruch vom Obmann dem Vorsitzenden überreicht. Sollte eine Antwort positiv falsch, lückenBaden 1851 § 100, 1874 § 287 hingegen liefs den Obmann als den Sprecher und Vertreter des Geschworenenkollegs versichern, dafs die Geschworenen nach Pflicht und Gewissen die Fragen beantwortet hätten. So auch Österr. § 330. Eine dritte Gruppe wurde gebildet durch Braunschw. 1849 § 146 und Kurh. 1863 § 164. Der Obmann hatte eidlich zu bezeugen den von ihm zu verlesenden Spruch und zugleich das pflichtmäfsige Verhalten der Geschworenen bei seiner Erteilung. Frankfurt 1856 Art. 251 und Hamb. 1869 § 219 endlich hatten sehr mit Recht von jeder derartigen Versicherung Abstand genommen. Der gespreizte Biedermannston solcher Beteuerungen, besonders nach dem französischen Formular, kann natürlichem Rechtsempfinden nur zuwider sein. 6 Von einer Kundgebung des Spruchs durch einen „Substituten" des Obmanns — von diesem oder von den Geschworenen bestimmt—, so M a y e r zu § 330 österr. StPO Bern. 40, 59, 60, kann gar nicht die Rede sein. Die franz. Praxis läfst allerdings eine solche Vertretung zu, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 343 nr. 10, aber in Konsequenz der Tatsache, dafs den Geschworenen überhaupt freisteht, ihren gesetzlichen Obmann, d. h. den Erstausgelosten, durch einen anderen zu ersetzen, art. 342 Abs. 2 c. 7 Vgl. RG 3. Str.-S. R. I I S. 661 f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 308 Bern. 3. A. A. Ob.-App.-Ger. Berlin bei O p p e n h o f f 11, 414 und 467; v. K r i e s S. 625; P u c h e l t zu § 308 Bern. 2. I n Frankreich ist die Beteuerung nicht bei Strafe der Nichtigkeit vorgeschrieben, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 348 Ν. 7.

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Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

haft 8 oder gar nicht vorgelesen worden sein, so hätte der Vorsitzende alsbald berichtigende Verlesung herbeizuführen. Entbehrlich ist eine solche nur, wenn der Obmann sich zweifellos lediglich versprochen oder einen ganz offenbaren Schreibfehler des Spruchs bei der Verlesung berichtigt hat 9 . Im letzteren Falle aber empfiehlt sich stets, dem Obmann die Berichtigung der Niederschrift aufzugeben. Auch die berichtigende Verlesung ist Sache des Obmanns, nicht etwa durch den Vorsitzenden selbst oder in seinem Auftrage durch den Gerichtsschreiber zu bewirken. Selbstverständlich kann der Obmann auch unaufgefordert einen Fehler, wenn er darauf aufmerksam wird oder von den Mitgeschworenen auf ihn hingewiesen wird, alsbald verbessern, sich auch zu diesem Zwecke den bereits von ihm überreichten Fragebogen zurückerbitten. Geschieht die Berichtigung in continenti, so ist zweifellos nicht notwendig eine Neuverlesung des ganzen Spruchs. Wird der Mangel entdeckt während eines Berichtigungsverfahrens aus s a c h l i c h e m Grunde, so genügt nicht Neuverlesung des Spruches nach der Korrektur, da auch der ursprüngliche Spruch in allen seinen Teilen der Verlesung bedarf. Ebenso ist berichtigende Verkündung dann geboten, wenn sich der Spruch als f o r m e l l 1 0 mangelhaft erwies und nun anläfslich deshalb eingeleiteten Berichtigungsverfahrens auch der Verlesungsfehler offenbar wird. Es ist kein Grund abzusehen, weshalb wegen eines Fehlers der Verlesung das ganze Verdikt neu verlesen werden müfste. In dem völlig analogen Falle, dafs ein Teil des Urteilstenors bei der Publikation ausgelassen oder falsch verlesen sein sollte, reicht ebenfalls ein Verkündungsnachtrag aus 11 . In den Entscheidungen des Reichsgerichts 12 findet sich die Anschauung, dafs die Kundgebung des Spruches nicht geteilt 8

Dafs zur Antwort auch die beigefügte Angabe des Stimmenverhältnisses gehört, ist zweifellos. Verfehlt V o i t u s zu § 308 Bern. 3. 9 Vgl. auch O e t k e r a. a. 0. S. 623. 10 Die formelle Berichtigung führt nicht zu einer Neuverlesung. 11 Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 624. In der Entsch. des 2. Str.-S. Bd. 15 S. 271 f. ist in einer Meineidssache für genügend erachtet worden, dafs der Passus des Urteilstenors, der die Unfähigkeit des Angeklagten zur eidlichen Vernehmung als Zeuge usw. aussprach, nachträglich publiziert wurde. Ein irgend stichhaltiger Grund, den Wahrspruch, das Urteil des anderen Richterkollegiums, in dieser Hinsicht anders zu behandeln, ist nicht erfindlich. 12 1. Str.-S. E. Bd. 12 S. 374; 4. Str.-S. E. Bd. 27 S. 411 f.

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§ 48.

Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

werden könne, weil sie ein mit besonderer Feierlichkeit bekleideter Akt sei, der, wenn begonnen, in den Formen des § 308 StPO verlaufen müsse. Allein die vom Obmann verlangte Beteuerung kann nicht einen inneren Unterschied begründen zwischen Kundgebung des Verdikts und Verkündigung des Urteils. Auch der Gerichtsvorsitzende bezeugt, ohne es besonders zu sagen, auf seine Amtspflicht, dafs das von ihm verkündete Urteil in dieser Gestalt beschlossen worden sei. Soll diese Versicherung geringeren Wert haben als die dem Obmann vorgeschriebene Redewendung ? Soweit der Vorsitzende zu berichtigender Verkündung in der Lage ist, mufs es auch der Obmann sein. Nur verlangt von diesem das Gesetz, dafs er auch den Kundgebungsnachtrag wieder ausdrücklich „auf seine Ehre und sein Gewissen" nehme. Ein solcher Nachtrag ist bis zur Verkündung des Spruchs an den Angeklagten, § 313 StPO, unbedenklich zulässig und ausreichend. Höchst unwahrscheinlich, immerhin bei einer grofsen Zahl von Fragen nicht gerade undenkbar ist, dafs der Mangel der Verlesung oder die fälschliche Verlesung eines Spruchteils durch den Obmann erst nach der Verkündung, der korrekten und vollständigen Verkündung des ganzen geschriebenen Spruchs an den Angeklagten zutage tritt. Jetzt noch einen formellen Kundgebungsnachtrag in Abwesenheit des Angeklagten und dann die Verkündung des entsprechenden, bereits mitverkündeten Spruchteils an den wiedereingeführten Angeklagten zu veranlassen, wäre pedantisch und der Autorität des Gerichts nicht angemessen. Unerläfslich aber ist, dafs der Obmann die schon erfolgte Verkündung des betreffenden Passus auch seinerseits noch nachträglich sanktioniert. Die abweichende Kundgebung kann doch auch darauf beruht haben, dafs die Niederschrift insofern dem wirklich gefafsten Beschlüsse der Geschworenen nicht entsprach und nur ihre Berichtigung versäumt wurde. Der Vorsitzende hat den Obmann zu befragen, ob er bezeugen könne, dafs der betreffende, unter Beifügung der Frage vom Vorsitzenden zu verlesende Spruchteil, so wie verkündet, von den Geschworenen beschlossen worden sei. Mit der Antwort : „ja, auf Ehre und Gewissen" ist dann der leidige Zwischenfall erledigt." Irreparabel wird der Kundgebungsfehler mit der Verkündung des Urteils. Denn der frühere Obmann ist jetzt Privatperson geworden, wie die anderen Geschworenen auch, und kann nicht mehr zu nachträglicher Sanktionierung des mitverkündeten, nicht

§ 48. Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

kundgegebenen Spruch teils herangezogen werden. Um einen Nachtrag zum Gerichtsurteil, wie in den Fällen lückenhafter Urteilspublikation 1 3 , handelt es sich nicht. Vielmehr stände nur in Frage die nachträgliche Heilung eines dem schon verkündeten Urteil anhaftenden Mangels. Ist eine Differenz geblieben zwischen Kundgebung und Niederschrift, so bietet weder die mündliche, noch die schriftliche Antwort eine Urteilsgrundlage 14 . Rechtliche Existenz hat nur die verlesene schriftliche Antwort. Nur auf ihr kann das weitere Verfahren sich aufbauen. Ein trotz der Abweichung ergangenes Urteil wäre infolge des Spruchmangels und soweit dieser bestände nichtig. Die Differenz aber mufs aus dem Protokoll sich ergeben. Andernfalls bewiese der Kundgebungsvermerk des Protokolls in Verbindung mit der Unterzeichnung des Spruchs durch die Protokollbeamten die Verlesung nach Mafsgabe der Niederschrift. Eine wesentlich verschiedene Frage ist, ob die Kundgebung abgebrochen werden darf, wenn während derselben der Obmann eine materielle Unvollständigkeit oder einen sonstigen Fehler des beschlossenen und niedergeschriebenen Spruches entdeckt, oder ob in diesem Falle nur noch Einleitung des Berichtigungsverfahrens durch das Gericht erübrigt. So lag der vom Reichsgericht (vgl. S. 423) entschiedene Tatbestand, während durch die zu weit gefafste Begründung des Urteils allerdings auch blofse Publikationsnachträge ausgeschlossen sein würden. Nun ist in früherer Ausführung 15 genau bestimmt worden, inwiefern mit dem Beginne der Kundgebung des Spruches die Befugnis der Geschworenen, ihre Entscheidungen noch zu ändern, ausgeschlossen wird. War also die Kundgebung noch nicht soweit gediehen, dafs diese Praeklusion bereits eingetreten war, so kann der Obmann die Publikation noch abbrechen und neue Beratung der Geschworenen herbeiführen. Einen prozessualen Verstofs ergibt totale Neuverlesung an Stelle partieller natürlich nicht. Sie ist nur, zumal bei einem sehr langen Verdikt eine unnütze Umständlichkeit. 13

Vgl. darüber unten § 67 I I . Gut F r e u d e n s t e i n in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 378. In demselben Sinne Entsch. des österr. Kass.-Hofs v. 28. Okt. 1882 Bd. δ S. 251 f. 15 Vgl. oben S. 394. Die Präklusion ist vorhanden, sobald eine in sich abgeschlossene Entscheidung betreffs einer Straftat eines Angeklagten verlesen ist. 14

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§ 48.

Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

Der Obmann ist ohne Zweifel verpflichtet, den geschriebenen und unterschriebenen Spruch auch ganz zu verlesen, vorausgesetzt, dafs er genau den wirklichen Beschlüssen der Geschworenen entspricht. Der einzig berechtigte Grund, die Verlesung zu weigern, ist Nichtübereinstimmung der Niederschrift mit den gefafsten Beschlüssen 1 6 . In diesem Falle aber ist die Berichtigung der Niederschrift geboten17. Folglich ist der Obmann dem Gericht gegenüber gehalten, die Berichtigung entweder der Kundgebung oder der Niederschrift zu bewirken, und ist in Ordnungsstrafe zu nehmen (§§ 56, 96 GVG), wenn weder das eine noch das andere geschieht. Erklärt der Obmann, dafs er Zweifel habe an der Richtigkeit der Niederschrift, sich des Beratungs- usw. -Vorganges nicht mehr genau entsinne, so ergibt die Nichtverlesung des betreffenden Spruchteils natürlich nicht Renitenz, wohl aber liegt das Eingeständnis des Obmanns vor, dafs das Verdikt noch nicht publikationsreif sei, weil er die gefertigte Spruchurkunde nicht als authentische Wiedergabe der Geschworenenbeschlüsse anzuerkennen und in der Form des § 308 StPO zu bezeugen vermöge. Es mufs sich daher die Beratung der Geschworenen erneuern und es ist demnächst die Kundgebung ganz zu wiederholen. Mit der erneuten Beschlufsfassung der Geschworenen ist res intégra gegeben, die schon bewirkte Kundgebung ausgelöscht und Änderung des Spruchs in allen seinen Teilen den Geschworenen frei gestellt. Eine völlig andere Rechtslage wiederum entsteht, wenn gegen den schon kundgegebenen Spruch seitens eines Geschworenen protestiert, eine Differenz des verlesenen von dem gefafsten Beschlüsse behauptet wird. Auf die Bedeutung und die Folgen einer solchen Erklärung wird bei der Lehre von der V e r d i k t s p r ü f u n g einzugehen sein. Das Gericht kann nur einen Spruch annehmen, der genau so kundgegeben wie niedergeschrieben worden ist. Sollte also der Obmann die berichtigende Kundgebung (bezw. die Korrektur der Niederschrift) weigern, so wäre unter Strafverhängung wegen der bewiesenen Renitenz der Spruch im Ganzen zurückzuweisen. Die 16 I n dem bemerkenswerten Falle Entsch. Bd. 7 S. 434 f. scheint der Obmann in der Tat eine nicht beschlossene Entscheidung mit vorgelesen zu haben. Der Zweifel ist nicht aufgeklärt worden. 17 Keineswegs ist ein sachliches Berichtigungsverfahren einzuleiten, wie leider RG 3. Str.-S. E. Bd. 37 S. 248 f. mit ganz unhaltbarer Begründung angenommen hat.

§ 48. Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

Geschworenen hätten im Beratungszimmer einen neuen Spruch zu finden (Erneuerung des Fragebogens, der Obmannswahl, der Beratuug und Abstimmung usw.). Ebensowenig, wie Auslassung eines nicht gestrichenen Spruchteils ist Verlesung eines gestrichenen Passus hinzunehmen, vielmehr entweder die Verlesung oder die Niederschrift vom Obmann zu berichtigen. Einklammerung eines Spruchteils mufs immer als Streichung gelten, wenn das Eingeklammerte sachlich die Bedeutung einer Parenthese nicht haben kann. Ein „Ja" oder „Nein" in Klammern steht einem durchstrichenen Ja usw. gleich. Die Mitverlesung ohne Berichtigung der Niederschrift ist also keinesfalls zuzulassen. Und wenn auch die Auffassung als Parenthese möglich ist (Einklammerung der Angabe des Stimmenverhältnisses z. B). 1 8 , so fragt sich doch, ob dies wirklich die Meinung war. Hat indes der Obmann einen solchen Passus mitverlesen, ohne dafs seitens eines Geschworenen widersprochen wurde, so darf angenommen werden, dafs das Eingeklammerte als Teil des beschlossenen Spruchs und somit als Parenthese dokumentiert ist. Durch diese Erwägung ist der Anschein einer Differenz von Kundgebung und Niederschrift beseitigt. Empfehlenswert aber ist unter allen Umständen , dafs der Vorsitzende den Punkt auch formell aufser Zweifel stellt 1 9 . Die Bekundung der Verlesung des Spruchs durch die Protokollbeamten ist, soweit nicht das Protokoll Gegenteiliges ergibt, auf gestrichene Worte und solche eingeklammerte Stellen, die materiell nicht parenthetisch verstanden werden können, nicht mit zu beziehen. Dagegen kann eine anderweite Einklammerung bei der Auslegung des Protokolls nicht der Streichung gleichgeachtet werden. Es sollte aber, um solche Deutungen zu erübrigen, das Protokoll immer den Punkt ausdrücklich klarstellen. Die Übereinstimmung des niedergeschriebenen und kundgegebenen mit dem wirklich gefafsten Beschlufs der Geschworenen entzieht sich der Offizialprüfung durch das Gericht. Die Konkordanz wird verbürgt durch die Erklärung des Obmanns und mufs so lange unterstellt werden, als nicht Geschworene mit der Behauptung des Gegenteils auftreten 20 . 18 19 20

Vgl. den Fall in Jur.-Zeitung 1903 S. 526 (RG Fer.-S.). Vgl. unten § 52 sub I I I . Vgl. darüber unten § 51 sub I V l a .

§ 48.

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Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

2. Die Kundgebung geschieht durch Verlesung der Antworten i m A n s c h l u f s an die g e s t e l l t e n F r a g e n , § 308 Abs. 1 StPO 2 1 . Der Vorsitzende hat daher auch die korrekte und vollständige Verlesung der beantworteten Fragen durch den Obmann zu überwachen. Fragen, die nicht beantwortet wurden, mit zu verlesen und dabei zu konstatieren, dafs sie durch die abgegebenen Antworten sich erledigt hätten 2 2 , wäre überflüssig. Die Mitverlesung der Fragen ist gewifs insofern unentbehrlich, als kein Zweifel darüber bleiben darf, auf welche der gestellten Fragen sich die verlesenen Antworten beziehen sollten. Die Antwort hört auf, eine solche zu sein, wenn sie von der Frage losgelöst wird. Und das Gesetz verlangt, dafs die Beziehung der Antwort auf die Frage sich aus der Verlesung ergebe, es genügt nicht, wenn sie aus dem Fragebogen gefolgert werden kann. Würde der Obmann einfach ein „Ja" oder hintereinander mehrere „Ja" usw. verlesen, so hätte er nicht Antworten auf die gestellten Fragen verlesen, sondern Worte, und es dem Gericht überlassen, sie sich durch Lesen des Fragebogens zu Antworten zu vervollständigen. Sonach wäre der Spruch in Wahrheit n i c h t verlesen. Es stände rechtlich ebenso, als wenn der Obmann den ausgefüllten Fragebogen ohne j e d e Verlesung dem Gericht überreicht hätte. Dem nicht kundgegebenen Spruch fehlt die rechtliche Existenz. Die Verlesung bleibt auch dann wesentlich unvollständig, wenn der Obmann dem „Ja" usw. nur die Worte „zu Frage 1" usw. vorausgeschickt 23 hat. Denn welches die Frage 1 usw. wäre, ergäbe sich wiederum erst aus dem Fragebogen. Dagegen kann eine vom Wortlaute der Vorlage abweichende Verlesung einer Frage, wobei aber deren Identität unberührt blieb, nicht der Nichtverlesung gleichgeachtet werden 24 , wiewohl es sich 21

Die früheren deutschen Prozefsordnungen verlangten zumeist ausdrücklich die Mitverlesung der Fragen: Braunschw. 1849 § 145 Abs. 2, Thür. 1850 Art. 293 Abs. 4, Oldenb. 1857 Art. 341 § 1, Hann. 1859 § 197 Abs. 3, Bad. 1864 § 287 Abs. 3, Hess.-Darmst. 1865 Art. 382 Abs. 3, Preufs. 1867 § 338 Abs. 3, Sachs. 1868 § 84, Hamb. 1869 § 219 Abs. 2, Brem. 1870 § 513. Ebenso Österr. § 330 Abs. 3. Dagegen sprechen code art. 348, Bay. 1848 Art. 194 Abs. 2, Preufs. 1852 § 112, Frankf. 1856 Art. 251, Kurh. 1863 § 164 Abs. 2, Württ. 1868 Art. 383 Abs. 1 einfach von Spruchverlesung. 22 So M a y e r zu § 330 österr. StPO Bern. 57. 23 Vgl. Entsch. des österr. Kass.-Hofs v. 20. Nov. 1874 Bd. 1 146 f. 24 Die Kommentare (z.B. L ö w e - H e l l w e g § 308 Bern. 2) erklären wort-

§ 48. Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

stets empfiehlt, den Obmann zu wortgetreuer Fragverlesung anzuhalten. Die Verlesung hat sich trotz der Differenz auf die gestellte Frage bezogen. Es wurde z. B. nur der Stand, Vorname eines Angeklagten weggelassen, ein zweifellos synonymer Ausdruck substituiert, bei mehreren wesentlich gleichlautenden Fragen nur die erste vollständig verlesen, von den folgenden nur deren besonderer Inhalt mit dem Zusätze „weiter wie in Frage 1" u. dgl. Solche Abweichungen ergeben nicht Nichtigkeit des Urteils wegen falscher Verdiktskundgebung. Die Differenz ist immer wesentlich, wenn die Frage, deren Beantwortung der Obmann mündlich konstatiert hat, nicht identisch ist mit jener, die im Fragebogen enthalten ist. Der Obmann hat z. B. abstrakte Fragbestandteile, bei der Mordfrage das Moment der Überlegung, bei der Diebstahlsfrage die Absicht rechtswidriger Zueignung usw., oder wesentliche Individualisierungsmomente weggelassen. Die Niederschrift der Antwort auf dem Fragebogen neben der betreffenden Frage mit der Unterschrift des Obmanns bekundet allerdings, dafs auf diese Frage geantwortet worden sei. Aber mündlich bezeugte der Obmann die Beantwortung einer andern Frage. Dieser Widerspruch bedarf der Aufklärung. Die Beantwortung der gestellten Frage ist nicht kundgegeben. Die Frage, deren Beantwortung kundgegeben ist, war nicht gestellt. Das Gericht ist aufser stände, unter Annahme eines blofsen Verlesungsfehlers über die Differenz zur Tagesordnung überzugehen, den Beschlufs der Geschworenen ohne weiteres auf die Frage des Bogens zu beziehen. Der Obmann ist zu bedeuten, dafs er die Frage nach Mafsgabe des Fragebogens zu verlesen habe. Kann er deren Beantwortung durch die Geschworenen nicht bezeugen, so desavouiert er damit die auf dem Fragebogen enthaltene Niederschrift des Geschworenenbeschlusses. Dem Spruche fehlt also die Publikationsfähigkeit und es mufs neue Beratung und Abstimmung der Geschworenen an der Hand des Fragebogens stattfinden. Die berichtigende Verlesung der Frage unter Wiederanschlufs der Antwort geschieht, wenn sie nicht vom Vorsitzenden in continent! herbeigeführt wurde, durch Kundgebungsnachtrag. Es gelten getreue Verlesung für notwendig. Gerade gegenteilig die frühere preufsische Praxis: unterlassene Fragenverlesung ergebe nicht Nichtigkeit, Z a c k e , Fragstellung S. 145; Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 16, 25. So auch die französische Praxis, S i r e y et M a 1 e p e y r e zu art. 348 nr. 10.

§ 48.

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Die Kundgebung.

dafür die gleichen Grundsätze, wie bei einem nur durch fehlerhafte Antwortsverlesung bedingten Nachtrag. Die Versicherung „auf Ehre und Gewissen" darf dabei nicht fehlen. 3. Sollte der Obmann bei der Kundgebung mehrere Fragen in einer Antwort zusammengefafst haben, während der geschriebene Spruch sie gesondert hat, so müfste getrennte Verlesung gefordert werden. Ist auch die geschriebene Antwort kollektiv, so haben die Geschworenen, weil sie getrennt votieren mufsten, in der Tat ihrer Entscheidungspflicht zu keiner der betreffenden Fragen genügt. Der Spruch ist daher, wenn andere Fragen distinkt beantwortet wurden, als unvollständig zu erachten und das Berichtigungsverfahren geboten. Mangels dieser Voraussetzung fehlt es überhaupt an einem Spruch im Rechtssinne und es ist die Entscheidungspflicht der Geschworenen im ganzen noch unerfüllt. I I I . Die Kundgebung des Spruchs braucht nicht in der Weise protokolliert zu werden, dafs auch die vorgeschriebene Beteuerungsformel aufgenommen und dafs ausdrücklich im Protokolle gesagt wird, der Obmann habe die gestellten Fragen mit den darauf abgegebenen Antworten verlesen. Verlesung ohne die Beteuerung wäre nicht Kundgebung im Sinne des Gesetzes. Wenn also das Protokoll die Kundgebung bezeugt und nicht etwa angibt, dafs die Beteuerung unterblieben sei, so bezeugt es auch mit der Beweiskraft des § 274 StPO die stattgehabte Beteuerung 25. Das Gesetz verlangt im § 308 Abs. 2, dafs der verlesene Spruch, der dem Protokoll als Anlage beigefügt wird, vom Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber unterzeichnet werde 26 . Die Protokollbeamten bezeugen damit, dafs der ganze geschriebene und vom Obmann unterschriebene Spruch auch verlesen worden sei. Die getreue Verlesung des Spruchs ist unter die Kontrolle auch des Gerichtsschreibers gestellt; er darf nur den seiner Erinnerung nach ganz und richtig verlesenen Spruch unterzeichnen. 25

Vgl. RG 2. Str.-S. R. I I I S. 842. Code art. 349 Abs. 2 und die Mehrzahl der deutschen Prozefsgesetze schreiben die Unterzeichnung des kundgegebenen Spruchs durch den Präsidenten und den Gerichtsschreiber ohne Rücksicht auf Berichtigungsbedürftigkeit vor (Hamb. 1869 § 219 Abs. 3 liefs die Unterschrift des Vorsitzenden, Bad. 1864 § 287 Abs. 3 die des Gerichtsschreibers genügen). Ebenso Österr. § 331 Abs. 2. Hingegen sollte nach Frankf. 1856 Art. 254, Kurh. 1863 § 164 Abs. 5, Württ. 1868 Art. 383 Abs. 2, Sachs. 1868 § 88 die Unterzeichnung erst nach etwaiger Berichtigung geschehen, ohne jedoch diese zu präkludieren (wie Kurh. ausdrücklich hervorhob). 26

§ 48. Die Form des Wahrspruchs.

Die Kundgebung.

Über einen Kundgebungsnachtrag hat das Protokoll genauen Aufschlufs zu geben. Die Unterschriften der Protokollbeamten unter dem Spruch bestätigen einfach die volle Verlesung, ohne dafs der Unterschied von ungeteilter und durch Nachtrag ergänzter Kundgebung dabei hervortritt. Das Protokoll nimmt im Kundgebungsvermerk auf den beigefügten Geschworenenspruch Bezug und die Unterzeichnung des Spruchs durch die Protokollbeamten hat daher — im Interesse der formellen Rechtssicherheit — zugleich die Bedeutung, die Identität der tatsächlichen Protokollanlage und des in Bezug genommenen Schriftstückes zu bezeugen27. Durch die Unterzeichnung des Spruchs wird die Verlesung der gestellten Fragen mit den darauf abgegebenen Antworten konstatiert und daher die entsprechende Spezialisierung der „Kundgebung" im Protokoll erübrigt. Andererseits würde eine Protokollangabe der letztern Art bei fehlender Unterzeichnung des Spruchs nicht genügen, da die Authentizität der Anlage nicht feststände. Die unterschriebene Protokollanlage in Verbindung mit dem Kundgebungsvermerk des Protokolls liefert den vollen, nur durch den Nachweis der Fälschung zu entkräftenden Beweis der Verlesung des geschriebenen Spruchs. Der Spruch aber ist verlesen, wenn die Antworten verlesen wurden auf die ebenfalls verlesenen, mit den geschriebenen identischen Fragen. Eine die Identität nicht tangierende Abweichung von der geschriebenen Frage hindert nicht die Protokollbeamten, die Verlesung des Spruchs zu bezeugen. Nur eine formalistische Auslegung des Erfordernisses der Fragenverlesung könnte dies beanstanden. Das Gesetz setzt voraus, dafs die Unterzeichnung des Spruchs alsbald erfolge, aber es wäre deren Verspätung nicht Nichtigkeitsgrund 2 8 . IV. Der schriftliche Spruch verliert die Bedeutung einer 27 Das Protokoll braucht nicht zu sagen, dafs der Spruch vom Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber unterzeichnet worden sei, so preufs. Formular bei V i e r h a u s - W e i z s ä c k e r S. 95. Ist es von Wert, dafs sich die Protokollbeamten durch die eine Unterschrift — unter dem Protokoll — zur anderen — unter der Protokollanlage — bekennen? 28 Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 308 Bern. 4; S t e n g l e i n das. Bern. 3; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 206 Anm. 3·, K l e i n f e i l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 73; M i t t e r b a c h e r zu § 330 österr. StPO Bern. 2. A. A . D a l c k e zu § 308 Bern. 2 (Unterzeichnung müsse vor der Verkündung des Verdikts an den Angeklagten geschehen), ebenso Fragestellung S. 139 (Reminiszenz der früheren preufs. Praxis, Z a c k e , Fragstellung S. 145).

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§ 49.

Die rechtliche Bedeutung des Wahrspruchs.

Protokollanlage nicht dadurch, dafs er demnächst dem niedergeschriebenen Urteile angefügt wird (§ 316). Die zum Protokoll genommene, von den Protokollbeamten unterschriebene Spruchurkunde ist fortan die relevante Erscheinungsform des Verdikts. Der kundgegebene Spruch der Geschworenen ist in und mit ihr noviert, aus der mündlichen in die schriftliche Form übergeführt. Die für das Urteil mafsgebende Antwort der Geschworenen ist ebenso schriftlich, wie es die für den Spruch relevante Befragung gewesen ist. Die schwurgerichtliche Prozedur ergibt schriftliche Antworten des einen Richterkollegiums auf schriftliche Fragen des andern. Da der Angeklagte bei der Kundgebung des Spruchs nicht zugegen war, so mufs ihm demnächst, nachdem er in das Sitzungszimmer wieder eingeführt ist, der Spruch noch durch Verlesung verkündigt werden, § 313. Der „Spruch" bedeutet hier die Spruchurkunde, deren Übereinstimmung mit dem „kundgegebenen", d. h. vom Obmann verlesenen Spruch durch die Unterschriften der Protokollbeamten bezeugt ist. C.

§ 49. D i e r e c h t l i c h e B e d e u t u n g des W a h r s p r u c h s . Nur eine ganz äufserliche Betrachtung kann sich an der Konstatierung genügen lassen, dafs der Spruch die Antwort der Geschworenen auf die Schuld- (und Strafneben-)Fragen des Gerichts ist und dafs diese Antwort, wenn nicht berichtigungsbedürftig, dem Urteil zugrunde gelegt werden mufs. Der juristische Gehalt des Verdikts wird durch diese Beschreibung nicht getroffen. Wenn das Wesen des einheitlichen Strafsachurteils im Entscheid der Schuld- und Straffrage liegt, so können Verurteilung und Freisprechung im schwurgerichtlichen Verfahren nicht nur als Straffràgentscheide Urteilscharakter haben, sondern es mufs auch dem präjudizierenden Schuldentscheid die gleiche Bedeutung beigelegt werden 1. Während im einheitlichen Urteil der eine Entscheid dem andern nur logisch vorausgeht, findet im Schwurgerichtsverfahren auch zeitliche Folge statt. Zugleich ist die Autorschaft für beide Entscheidungen insofern verschieden, als sie je von 1 Die Urteilsnatur des Verdikts war wegen ihres untrennbaren Zusammenhangs mit dem Wesen der Fragestellung bereits in dieser Verbindung zu konstatieren (vgl. oben S. 367). Aber es bedarf des weiteren Ausbaus der dort gegebenen Charakterisierung.

§ 49. Die rechtliche Bedeutung des Wahrspruchs.

einem der beiden Richterkollegien gefunden werden. Da jedoch das eine wie das andere Kolleg nur als Repräsentant des Rechtspflegeorgans „Schwurgericht" entscheidet, so ist von diesem Standpunkte aus dasselbe Gericht Urheber des Wahrspruchs und des Urteils. Die Fragen des Gerichts haben in ihrer Gesamtheit, da sie einen Relevanzentscheid enthalten und die Klage fixieren, die Bedeutung eines Zwischenurteils. Und zwar als definitiv festgestellte Fragen. Änderung und Ergänzung der Fragen im Laufe der Verhandlung ist nicht und kann nicht sein Änderung schon erlassenen Zwischenurteils. Die Anordnung einer Berichtigung des abgegebenen Verdikts ohne Fragenänderung gibt zuweilen eine authentische Interpretation des Fragzwischenurteils, indem Sinn und Tragweite von Fragen durch Ablehnung bestimmter Antworten nähere Feststellung erfahren. Entsprechend enthalten die Antworten zusammen e i n e Entscheidung, in der Schuld-, vielleicht auch, soweit Strafnebenfragen gestellt sind, für einen Teil der Straffrage. Auch bei Verbindung von Strafsachen ist die Entscheidung f o r m e l l einheitlich. Freilich wirkt das Verdikt nur vorbehaltlich einer Nachprüfung seitens des Gerichts. Ist der Spruch in der Form nicht vorschriftsmäfsig oder in der Sache undeutlich, unvollständig oder sich widersprechend, so sind die Geschworenen zur Berichtigung nach Anordnung des Gerichts verpflichtet (§ 309). Der Spruch unterliegt ferner der Aufhebung, wenn das Gericht einstimmig der Ansicht ist, dafs sich die Geschworenen in der Hauptsache zum Nachteil des Angeklagten geirrt hätten (§ 317). Soweit aber Bedenken in der einen oder andern Beziehung nicht vorliegen, ist das Verdikt verbindlich. Hätte das Gericht eine unbeschränkte Prüfungsbefugnis, die sich nicht nur auf die Korrektheit der Antworten gegenüber den Fragen, sondern auch auf ihre materielle Begründetheit gegenüber den Verhandlungsergebnissen, also auf die ganze Beweis- und Subsumtionsfrage, erstreckte, so möchte vielleicht im Verdikt bis zur Annahme durch das Gericht ein blofser Entscheidungsentwurf gesehen werden, obwohl selbst in diesem Falle das Verdikt als relevanter und unentbehrlicher Prozefsakt noch wesentlich verschieden bliebe von einer blofsen internen Vorarbeit für das Urteil. Die engbegrenzte Nachprüfung aber, die das Gericht allein zu üben befugt ist, kann nicht Gegengrund sein gegen die dezisive Eigenschaft des Spruchs B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

Gl a s e r - O e t k e r , Strafprozefs

III.

28

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§ 49.

Die rechtliche Bedeutung des Wahrspruchs.

als solchen. Abgesehen von den seltenen Fällen, in denen die Voraussetzungen einer Verwerfung nach § 317 vorliegen, wird die Schuldfrage im korrekten Verdikt bindend von den Geschworenen entschieden. Das Gericht mufs ein solches Verdikt gelten lassen, und eben dieser Notwendigkeit halber kann nicht erst in der Annahme des Spruches der Grund seiner entscheidenden Bedeutung gefunden werden. Das nicht berichtigungsbedürftige, unverwerfliche Verdikt ist präjudiziell für das Sach-Endurteil. Es wird sukzessive in den beiden Entscheidungen über den erhobenen Strafanspruch erkannt, erst im Verdikt über den strafbedingenden Tatbestand, dann auf dieser Basis im Urteil über die Frage der Bestrafung selbst. Und so springt eine zivilprozessuale Analogie in die Augen: Das Verdikt entspricht dem Zwischenurteil, das nach § 304 ZPO zugelassen wird, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist 2 . Freilich bestehen in den Voraussetzungen einige Verschiedenheiten : mit dem Schuldigverdikt ist nicht notwendig der Anspruchsgrund voll bejaht, da möglicherweise ein vom Gericht zu beurteilender Strafaufhebungsgrund (Verjährung usw.) noch in Betracht kommt 3 — immerhin eine seltene Ausnahme —; ferner greift das Verdikt, wenn es über mildernde Umstände mit befindet, in die Frage nach dem „Betrag", d. i. nach dem Mafse der Strafbarkeit ein — eine Anomalie, die zu beseitigen wäre — ; endlich hat bei verneinendem Verdikt das Gericht noch ausdrücklich freizusprechen, wohingegen die Verneinung des Anspruchsgrundes nach § 304 bereits den Prozefs beendigt. Die materielle Gleichartigkeit der beiden Entscheidungen wird durch diese Abweichungen nicht beeinträchtigt. Die letzterwähnte Differenz nötigt jedoch, das Verdikt unter allen Umständen — ob schuldbejahend oder schuldverneinend — für ein Zwischenurteil zu erklären, während das anspruchsverneinende Zivilurteil nicht Zwischen-, sondern Endurteil ist 4 . So wird — bei Hinzunahme der Fragestellung — im schwur8

Auf die Parallele Schuldfrage — Frage der Strafbarkeit und Frage nach der Existenz und dem Umfang des Zivilanspruchs hat bereits W a c h , Krit. Yierteljahrsschr. Bd. 15 S. 99 hingewiesen. 3 Ermöglicht das Verdikt, weil gesetzliche Tatbestandsmomente verneint sind, die Verurteilung nicht, so ist es materiell nicht Schuldigverdikt, nicht Bejahung des Anspruchsgrundes. 4 In England ist das Nichtschuldig der Geschworenen in der Tat Endurteil, es ergeht keine weitere Entscheidung des Richters. Vgl. G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 235, Schwurgerichtl. Erörterungen S. 5, Handb. I S. 141.

§ 49.

Die rechtliche Bedeutung des Wahrspruchs.

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gerichtlichen Verfahren die Aufgabe des Sachurteils durch zwei Zwischenurteile und ein Endurteil erledigt: einen klagfixierenden Relevanzentscheid des Gerichts, die Fragestellung ; eine Entscheidung der Geschworenen über den Grund des Strafanspruchs, das Verd i k t 5 ; das verurteilende oder freisprechende Endurteil des Gerichts. Das zweite Urteil ist vom ersten, das dritte vom zweiten abhängig. Das Verdikt setzt die Bedingung, unter der das Gericht zu verurteilen oder freizusprechen hat, ist aber auch selbst Urteil, also bedingendes Urteil. Die Einleitung des Berichtigungsverfahrens und eine Verdiktsaufhebung nach § 317 durch das Gericht sind so lange möglich, als nicht die Verkündung des Urteils stattgefunden hat. Mit diesem Momente tritt, mag das Endurteil Sach- oder Einstellungsurteil sein, das Verdikt definitiv in die Rolle eines Urteils und zwar eines Zwischenurteils. Nichterlafs der Berichtigungsanordnung bis zum Endurteil deklariert gewissermafsen das Verdikt formell als Zwischenurteil. Das Sachendurteil (soweit es nicht etwa wegen Verjährung freispricht) ergänzt das Verdikt materiell, indem es die Rechtsfolge der in diesem getroffenen Entscheidung bestimmt. Das vom Gericht zurückgewiesene Verdikt dagegen verliert eben hierdurch den Urteilscharakter und kann ihn nur wieder gewinnen durch Mifsbilligung der Berichtigungsanordnung in der höhern Instanz. Gegen den Gebrauch der Kassationsbefugnis nach § 317 gibt es kein Rechtsmittel. Wird im Falle der Verdiktsberichtigung Revision nicht oder erfolglos eingelegt, so bewendet es bei dem Fortfalle der Urteilsqualität selbst dann, wenn die Berichtigung materiell zu Unrecht angeordnet war. Das Verdikt ist also Urteil unter der Bedingung, dafs es nicht vom Gerichte verworfen wird, U r t e i l u n t e r a u f l ö s e n d e r B e d i n g u n g ; die Verwerfungsgründe sind vom Gesetz fixiert. Der Nichteintritt 5

Das Verdikt erklären für ein Zwischenurteil S c h a n z e , Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 4 S. 461; B e n n e c k e - B e l i n g S. 314, 567. Für Urteilsnatur des Verdikts ohne nähere Bestimmung v. B a r , Recht und Beweis S. 303. B i n d i n g , 'Grundrifs § 86 sieht im Verdikt den ersten Teil des Sachendurteils. Ähnlich G l a s e r , Berichtigung des Wahrspruchs in v. Holtz. Rechtslex. I S. 300. Eine insofern durchaus zutreffende Auffassung, als im Sachendurteil das Verdikt reproduziert wird. Aber es bleibt die Frage offen, wie dieses abgesehen von seiner Aufnahme im Urteil zu charakterisieren sei. Eine selbständige Würdigung des Verdikts als solchen ist unentbehrlich. Vielleicht ergeht ja trotz des Verdikts nicht Sachendurteil, sondern blofses Einstellungsurteil. Vgl. unten § 65. 28*

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§ 50. Prüfung, Bericht., Auiheb. des Wahrspruchs.

Allgemeines.

dieser Bedingung steht fest mit der Verkündung des Sachendurteils. Falsch wäre, eine a u f s c h i e b e n d e Bedingung zu konstruieren: das Verdikt gewinnt nicht seine Kraft durch die Billigung, sondern verliert sie durch die Mifsbilligung seitens des Gerichts 6 . Der Verwerfung des Verdikts zum Zwecke der Berichtigung haftet insofern wieder eine auflösende Bedingung an, als die Revisionsinstanz diese Anordnung für ungerechtfertigt erkennen kann unter Wiederherstellung des Verdikts. Resolvierung der eingetretenen Resolutivbedingung hat die gleiche Wirkung wie deren Nichteintritt. Drittes Kapitel. Prüfung, Berichtigung, Aufhebung des Wahrspruchs 1. § 50. A l l g e m e i n e s . Unbeschränkte Entscheidungsgewalt kann nur ein solches Gericht haben, das ganz oder zum Teil aus Berufsrichtern besteht und in diesen seinen Mitgliedern in dem Mafse über Rechtskenntnis, richterliche Erfahrung und Übung verfügt, dafs formell und materiell genügende Beurteilung gesichert erscheint. 6

Die weitere Entwickelung dieser Auffassung wird alsbald in der Lehre von der Yerdiktsprüfung gegeben. 1 B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze S. 207—212; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung S. 593 f.; D e r s e l b e , Wirksamkeit der Schwurgerichte S. 190 f., 462 f.; P l a n c k , System. Darstellung §146; Z a c h a r i a e , Handb. I I S. 547 f.; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 368 f.; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 310 f.; S c h w a r z e , Sächs. Strafproz.-Ges. I I 2 S. 78 f.; v. H y e G l u n e k , Schwurgericht S. 26 f., 50 f.; S c h w a r z e , Schwurgericht S. 56 f. ; G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen (2. Aufl.) S. 117 f.; v . B a r , Recht und Beweis S. 279 f.; Z a c k e , Fragestellung u. Wahrsprüche S. 149 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 205 f.; G e y e r S. 765 f.; G l a s e r , Berichtigung des Wahrspruchs in v. Holtz. Rechtslex. I S. 300 f. ; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt (2. Aufl.) S. 139 f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 671 f.; D e r s e l b e , Deutsch. Strafproz. S. 525 f.; v. K r i e s S. 626 f.; B i r k m e y e r S. 643 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 564 f.; R o s e n f e l d S. 386 f.; L ö w e - H e l l w e g zu §§ 309-312 StPO; — S c h l i n k , Ger.-Saal I I I 2 S. 226 f.; v. K r a e w e l , Arch, des Krim.-Rechts N. F. 1855 S. 325f.; v. T i p p e i s k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 6 S. 763 f.; G o l t d a m m e r in seinem Arch. Bd. 7 S. 351 f.; R e h m , Zeitschr. für Gesetzgebung usw. in Bayern Bd. 6 Beil.-Heft S. 42f.; W a l t h e r , Blätt. f. Rechtsanwendung in Bayern Bd. 21 S. 193f.; F r e u d e n s t e i n in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 369f.; B i s c h o f f das. Bd. 46 S. 1 f.; S t e n g l e i n im Ger.-Saal Bd. 34 S. 183 f. Literatur speziell über Aufhebung des Wahrspruchs s. unten vor § 58.

§ 50. Prüfung, Bericht., A u h e b . des Wahrspruchs.

Allgemeines.

Überlieferung der Schuldfrage an das Geschworenenkollegium unter Ausschliefsung der Berufsrichter ist der gewagteste Schritt gewesen, den die neuere Prozefsgesetzgebung getan hat. Wer von mystischen Vorstellungen frei an eine ganz besondere Weisheit und Erleuchtung der zwölf ausgelosten Geschworenen nicht glaubt, die mangelhafte juristische Qualifikation dieser Urteiler erkennt, mufs auch der Überzeugung sein, dafs in den „Wahlsprüchen oft schwere Irrtümer und Mifsgriffe sich bergen, durch den Mangel einer Begründung prüfenden Blicken entzogen. Nicht selten aber sind Fehler des Verdikts auch äufserlich erkennbar, indem es der gesetzlich vorgeschriebenen Form ermangelt oder den Willen der Geschworenen nur undeutlich oder widerspruchsvoll zum Ausdrucke bringt oder einen Teil ihrer Urteilsaufgabe unerledigt läfst. In diesen Fällen ist eine Berichtigung des Verdikts noch möglich ohne Beeinträchtigung der den Geschworenen zugewiesenen Kompetenz und daher unerläfslich. Die Richterbank fordert die Geschworenen auf, dem gerügten Mangel abzuhelfen. Eine Anweisung, wie die gestellten Fragen inhaltlich zu beantworten seien, wird nicht gegeben, die Geschworenen bleiben die Herren der Schuldfrage. Aber sie müssen es sich gefallen lassen, dafs ein koordiniertes Kollegium ihnen die formelle Verbesserung, die Ergänzung, die Beseitigung von Unklarheiten und Widersprüchen des Verdikts aufgibt 2 . Denkbar ist übrigens, dafs der ungenügende Spruch in 2 In England ist ein förmliches Berichtigungsverfahren durch den ungehinderten Verkehr zwischen Richter und Jury erübrigt. Der Wahrspruch wird mündlich abgegeben und erst zu Protokoll genommen, wenn etwaige Bedenken, Unklarheiten durch Befragung der Geschworenen gehoben sind und danach der Spruch eventuell von diesen geändert worden ist. Die Geschworenen werden dann noch besonders befragt, ob der niedergeschriebene, ihnen vorgelesene Spruch ihrer Willensmeinung entspreche. Vgl. M i t t e r m a i e r , Engl., schott., nordamer. Strafverfahren S.490f.; G l a s e r , Anklage, Wahrspruch usw. S. 150 f., 384 f.; D e r s . , „Berichtigung des Wahrspruchs" S. 300; A r c h b o l d , Pleading and evidence p. 178, 179. Die kontinentalen Gesetze kennen einen solchen freien Gedankenaustausch zwischen den beiden Gerichtsorganen nicht, und es kompliziert sich auch insofern die Wahrspruchsprüfung, als die Geschworenen nicht auf die Anklage, sondern auf Urteilsfragen zu antworten haben. Daher mufste ein besonderes Moniturverfahren anerkannt werden. Die deutschen Gesetze treffen darüber eingehende Bestimmungen. Der code d'instr. hingegen schweigt. Die französische Praxis aber hat bei dem unabweislichen Bedürfnis, Korrekturen zu ermöglichen, und anknüpfend an den code vom 3. Brumaire IV art. 414 in einer sehr reichen Kasuistik ein detailliertes Berichtigungsverfahren ausgebildet; H é l i e , Traité de l'Instr. crim. I X p. 202 f. (§§ 691—698); T r é b u t i e n , Cours

438

§ 50. Prüfung, Bericht., Auiheb. des Wahrspruchs.

Allgemeines.

der Beschaffenheit der Fragen — mit oder ohne Schuld des Gerichts — gründet oder doch dadurch mitveranlafst ist. Daher kann, soweit nicht blofs Formfehler zu berichtigen sind, durch Änderung oder Ergänzung der Fragen auf besseres Verdikt hingewirkt werden. Vgl. §§ 309-311 StPO. Ohne Zweifel wird durch die Berichtigung des Spruchs die Autorität der Urteiler geschädigt. Zudem ist die Abhilfe eine unvollkommene, da Mifsverständnisse der Fragen durch die Geschworenen in den knappen, nicht begründeten Antworten leicht nicht zu tage treten und auch die Antworten vom Gericht mifsverstanden werden können. Die vielfachen Revisionen und Urteilsaufhebungen wegen fälschlicher Berichtigung oder Nichtberichtigung des Spruchs ergeben eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege. Zuziehung eines Berufsrichters zu den Geschworenen, Feststellung der Fragen auf Grund gemeinsamer Beratung der Richter und Geschworenen, Begründung der Antworten dürften geeignet sein, die Anlässe zur Spruchberichtigung sehr erheblich zu reduzieren 3. Ob eine so eingreifende Reform des Gerichts und des Verfahrens zu erzielen wäre, dafs die völlige Beseitigung des Berichtigungsverfahrens in Frage käme, mag dahingestellt sein. In einer Hinsicht ist die richterliche Prüfung noch erheblich erweitert. Der Mangel vollen Vertrauens des Gesetzgebers zu der Zuverlässigkeit der Wahrsprüche kommt zum Ausdruck in der Befugnis des Gerichts, auf Grund einstimmigen Beschlusses ein Verdikt zu kassieren, weil die Geschworenen sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt hätten, und die Sache vor das Schwurgericht der nächsten Session zu verweisen. §317 StPO 4 . Der Gesetzgeber glaubt bei der Urteilsfindung durch élémentaire de droit crim. I I p. 520 f.; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 350c nr. 36—159. Die Spruchfehler werden eingeteilt in déclarations irrégulières, worunter bestimmte sachliche Mängel (réponses collectives, d. i. auf mehrere Fragen zugleich; Antworten ohne die vorgeschriebene Erwähnung der Majorität oder unter Angabe der genauen Stimmenzahl) und Formverstöfse (Antworten an falsche Stelle geschrieben usw.) begriffen sind, déclarations contradictoires und décl. incomplètes ou obscures (die letzteren Gruppen wesentlich den reichsrechtlichen Kategorien entsprechend). Vgl. H é l i e , Prat. crim. I η. 877 f.; G a r r a u d , Précis de droit crim. (8. ed.) p. 827 fg. 3 Vgl. O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 68 S. 92, 93, 105, 106. 4 Die Motive des Entwurfs, der ein solches Yerweisungsrecht nicht gelten liefe, wenden — an sich ganz mit Recht — die Beeinträchtigung des Ansehens der Jury dagegen ein, S. 186 f. Aber der Gesetzgeber befindet sich der be-

§

. Die

r

des Wahrspruchs.

Geschworene dieser besonderen Garantie des materiellen Rechtes zu bedürfen. Unbegründete Freisprechung wird schweigend hingenommen. Aber die Unschuld sollte auf diesem Wege Schutz finden gegen etwaigen Fehlspruch der gesetzlich berufenen, in der Beweisbeurteilung und der Rechtsanwendung nicht geschulten Richter. Und auch der Schuldige steht bei fälschlicher Annahme schwererer Schuld für das unverdiente Plus einem unschuldig Verurteilten gleich. Die Kassierung des Spruchs aus diesem Grunde ist jedoch nur einmal möglich, und es ist nicht ausgeschlossen, dafs die neue Jury wieder ebenso oder noch härter urteilt. Mit dem Schutze des Angeklagten verbindet sich Rücksichtnahme auf das Gericht, dem die Gewissenspein erspart bleiben soll, strafen zu müssen auf Grund eines für ungerecht erachteten Spruchs. Das Bedenkliche des Auskunftsmittels, das eine der gewollten gegensätzliche Wirkung haben kann, ist freilich nicht zu verkennen. Die Aufgabe der Gesetzgebung mufs sein, durch anderweite Zusammensetzung der Jury — Zuziehung von Berufsrichtern — die Fehlerquelle möglichst zu beseitigen. Dann wird zur Verdiktskassierung Grund kaum jemals gegeben sein, und es wäre die Aufhebung des Instituts, das in der Tat ein unbefriedigendes Kompromifs bedeutet zwischen der Urteilsfindung lediglich durch Nichtberufsrichter und den Postulaten der Gerechtigkeit, zu erwägen. A. § 51.

Die P r ü f u n g des W T a h r s p r u c h s .

Der Geschworenenbank ist übertragen Urteilsgewalt vorbehaltlich einer beschränkten Nachprüfung ihres Spruchs seitens der Richterbank. Mit · dieser Modifikation ist das Verdikt Ausdruck mafsgebenden Richter will ens, nicht blofs Dekretsentwurf, der erst vom mafsgebenden Willen eines anderen Richterkollegiums seine Billigung erwartet. Falsch wäre in einer „Zulassung" durch die Richterbank den Grund der bindenden Kraft des Verdikts zu finden. Die „Zulassung" im technischen Sinne des Prozefsrechts bezieht sich auf Anträge, die eine bestimmte prozessuale Aktion des Gestehenden Schwurgerichtsorganisation gegenüber in einer Zwangslage und hat von zwei Übeln das kleinere zu wählen.

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§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

richts begehren, sei's dafs die Zulässigkeit vom Gericht besonders auszusprechen ist, sei's dafs entsprechendes gerichtliches Handeln genügt Die Geschworenen beantragen nicht, auf Grund ihres verneinenden Verdikts freizusprechen, auf Grund ihres bejahenden Spruchs die Strafe zu bestimmen. Das geschieht seitens der Parteien in Erhebung und Abwehr des Strafanspruchs. Die Geschworenen beantragen auch nicht beim Gericht, ihren Wahrspruch für genügend zu erachten. Sie erfüllen nur mit dessen Abgabe ihre durch die Urteilsfragen des Gerichts bestimmte Entscheidungspflicht. Ein Antrag, Berichtigung, weil nicht veranlafst, nicht eintreten zu lassen, wäre ebenso zwecklos, wie gegenteiliges Begehren in sich verkehrt. Die Prüfung seitens der Richter, ob der Wahrspruch von relevanten Mängeln frei ist oder nicht, ob er so wie abgegeben dem eigenen Urteil als Grundlage dienen kann oder nicht, kommt verneinendenfalls in Anordnung der Berichtigung oder in Kassierung des Spruchs, also in einem formulierten Dekrete, zum Ausdruck. Ein günstiges Ergebnis der alsbald vorgenommenen Prüfung braucht zunächst nicht ausgesprochen zu werden und wird zunächst nicht ausgesprochen. Aber durch Urteilserlafs auf Grund des Verdikts, also wieder durch formuliertes Dekret, wird schliefslich und endgültig die Mangelfreiheit des Spruchs konstatiert. Unhaltbar wäre die Konstruktion, die Annahme des Verdikts geschehe durch ein bis zum Urteil widerrufliches latentes Dekret, das sich äufsere in Vornahme der weiter gebotenen Prozefsschritte nach Kundgebung des Spruchs. Vielmehr wird der Spruch akzeptiert durch das Urteil, dem natürlich die ferner erforderliche Prozefsaktion vorauszugehen hat. Die Annahme des Verdikts im Sachendurteil ist die notwendige Konsequenz seiner erkannten Mangelfreiheit. Sie ist nicht Bestätigung. Dem bestätigungsbedürftigen Rechtsakt, wie z. B. dem militärgerichtlichen Urteil, wird die Kraft, eine bestimmte Wirkung zu üben, von einem höheren Willen gegeben, mag dieser in der Bestätigungsfrage frei oder durch Rechtssätze gebunden sein. Das militärgerichtliche Urteil wird erst mit der Bestätigung, auch wenn deren Erteilung Pflicht sein sollte, verbindlich. Die Verdiktsannahme ohne Anordnung von Berichtigung usw. ist — cum grano salis — vergleichbar der Aufrechterhaltung eines Urteils unter Verwerfung eingelegten Rechtsmittels oder nach einer

§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

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Offizialprüfung, wie sie im früheren Recht bei Todes- usw. -Urteilen zuweilen vorgeschrieben war 1 . Durch Abweisung eines Rechtsmittels wird nicht das Urteil „bestätigt" — wie ungenau wohl gesagt wird —, sondern nur ein Hemmnis seiner Wirksamkeit beseitigt. Das ist besonders klar beim nichtdevolutiven Rechtsmittel. Wie könnte das Gericht sein eigenes Urteil „bestätigen" V Auch gebotene Offizialprüfung konstatiert, wenn sie dem Urteile günstig verläuft, nur, dafs dieses der Aufhebung oder Abänderung nicht unterliege und in seiner vollen Wirksamkeit anzuerkennen sei. Aufrechterhaltung eines Urteils in der von ihm intendierten Wirkung und eine dem Urteil die volle Kraft erst verleihende Bestätigung sind grundverschieden. Die Nachprüfung des Wahrspruchs geht nicht aus von einem übergeordneten Gericht, sondern von dem Gericht selbst, in dessen Namen die nachzuprüfende Entscheidung erlassen wurde. Die volle Urteilsgewalt ist im Besitze des Schwurgerichts, als dessen Repräsentanten die beiden Richterkollegien im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Recht sprechen. Das Verdikt ist Schuldausspruch des Schwurgerichts, der von einem Organ dieses nämlichen Gerichts, der Richterbank, und Namens dieses Gerichts von Amtswegen nachzuprüfen ist. Die prozessualen Handlungen der Richterbank, insbesondere die Prüfung, Anordnung der Berichtigung, Ablehnung, Aufhebung, Annahme des Verdikts, sind sämtlich Handlungen des Schwurgerichts. Das Schwurgericht bestätigt nicht sein eigenes Urteil, sondern hält es aufrecht, berichtigt oder kassiert es. Die Urteilsgewalt im Schwurgerichte wird geübt in Form eines von ihm durch den Mund der Geschworenen gesprochenen Zwischenurteils (dem in der Fragstellung ein anderes Zwischenurteil schon vorangegangen ist) und eines ebenfalls von ihm nach Offizialprüfung unci eventuell Berichtigung des Zwischenurteils auf dessen Grundlage durch den Mund der Richter gesprochenen Endurteils. I. Von der P r ü f u n g des S p r u c h s selbst und seiner Be1

Vgl. Österr. 1803 I §§ 433 f.; Bay. 1813 I I Art. 366, Schwurgerichtsges. v. 10. Nov. 1848 Art. 233; Württ. StPO 1843 Art. 373. In der Form des „notwendigen" Rechtsmittels der Revision bestand die Einrichtung zuletzt noch in Mecklenburg ( B o e h l a u , Meckl. Krim.-Proz. S. 193). Davon wesentlich verschieden die Einsendung von Urteilen an gerichtsherrliche Aufsichtsbehörden zwecks oberhoheitlicher „Bestätigung", preufs. KrimO §§ 508, 512 usw.

§ 51.

442

Die Prüfung des Wahrspruchs.

richtigung ist wohl zu unterscheiden die P r ü f u n g s e i n e r V e r l e s u n g und ihre Berichtigung 2 . Das Urteil wäre schlechthin nichtig, wenn das Gericht in ihm einen andern als den geschriebenen Spruch oder den geschriebenen Spruch trotz ganz oder teilweise mangelnder oder abweichender Verlesung zu gründe gelegt haben sollte. Rechtliche Existenz hat nur der verlesene geschriebene Spruch. Die Verlesungsprüfung soll feststellen die Kongruenz des geschriebenen mit dem kundgegebenen Spruch. Diese Überwachung ist zunächst Sache des Vorsitzenden, der auch die Verlesung auf der Spruchurkunde zu bezeugen hat. Aber es versteht sich, dafs auch das Gericht Kontrolle zu üben befugt ist, da nur der verlesene Spruch ihm eine Urteilsgrundlage gibt. Differieren die Ansichten der Richter über die Frage der Verlesung, so ist Neuverlesung des betreffenden Spruchteils — in Form des Verlesungsnachtrags — zu beschliefsen. Jedem Richter mufs die Überzeugung der vollen und korrekten Verlesung verschafft werden. Aber das Erfordernis der Verlesung darf nicht formalistisch verstanden werden. Wenn der Obmann sich offenbar nur versprochen hat, so ist trotzdem die Kundgebung als genügend, der Spruch als richtig verlesen anzusehen8. Ebensowenig schadet ein offensichtlicher Schreibfehler des Spruchs; selbst dann nicht, wenn aus Versehen auch entsprechend verlesen wäre. Der Vorsitzende kann dem Obmann die Verbesserung, des Schreibfehlers aufgeben, aber auch von dem nicht berichtigten Schreibfehler hat sich das Gericht bei der Verkündung des Spruchs an den Angeklagten und bei Fällung des Urteils zu emanzipieren 4 . Die Berichtigungsanordnung fällt nicht unter § 309, geht nicht vom Gericht aus, sondern vom Vorsitzenden, und es kann der 2

I n der Entsch. des RG 3. Str.-S. E. Bd. 37 S. 248 f. ist die Anordnung sachlicher Spruchberichtigung gebilligt worden, obwohl nur eine Antwort· der Geschworenen unrichtig niedergeschrieben war und der Obmann diesen Fehler bei der Kundgebung selbst konstatiert hatte, ohne dafs seitens der anderen Geschworenen widersprochen worden war. Es hätte dem Obmann die Berichtigung der Niederschrift aufgegeben werden müssen! Über den Inhalt des beschlossenen Spruchs bestand kein Zweifel und ein sachlicher Mangel haftete diesem Spruche nicht an. Wie durfte den Geschworenen die Möglichkeit eröffnet werden, einen völlig anderen Spruch zu fällen (§ 311 StPO)? 3 Ygl. oben § 48 sub I I 1. 4 Eventuell mag in den Urteilsgründen der Schreibfehler besonders konstatiert werden.

§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

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Schreibfehler sehr wohl alsbald im Sitzungszimmer vom Obmann verbessert werden 5. Das Berichtigungsverfahren wegen Formfehlers nach § 309 will sicherstellen die Beobachtung der Vorschriften des § 307 über die Form des geschriebenen Spruchs, ist nicht veranlafst bei blofsem Schreibfehler. Dafs der Vorsitzende selbst den Schreibfehler in der Urkunde nicht korrigieren darf, versteht sich. Bei der Frage, ob ein blofser Schreibfehler vorliegt, hat das Gericht zu bedenken, dais der Spruch von einem andern Autor herrührt. Ist der Schreibfehler nicht ganz zweifellos, so empfiehlt es sich, die Geschworenen zu befragen. Wird dann der Schreibfehler nicht allseitig anerkannt, ergibt sich eine Differenz über den Inhalt des Beschlusses, so ist die Situation die gleiche, wie wenn ein Geschworener die Kundgebung des Obmanns als inhaltlich unrichtig anficht. Die übereinstimmende Konstatierung als Schreibversehen mag Anlafs sein, dem Obmann die Berichtigung aufzugeben. Sind hingegen die Geschworenen über die Richtigkeit der Niederschrift einverstanden, so kann eventuell — unter den Voraussetzungen des § 309 — sachliche Berichtigung in Frage kommen. Die Verbesserung des Schreibfehlers durch den Obmann bedingt nicht eine Neukundgebung des Spruchs. Möglich ist die Korrektur bis zur Verkündung des Urteils 6 ; nachher nicht mehr, da es eine Verhandlung, in der die Berichtigung geschehen könnte, nicht mehr gibt und der Obmann blosse Privatperson geworden ist. Bis dahin kann denn auch eine Befragung der Geschworenen über etwaigen Schreibfehler stattfinden. I I . Die Prüfung des Spruches in formeller und materieller Hinsicht ist, wie die Verlesungsprüfung, zur Vermeidung unnötiger Prozefsschritte — im Falle s p ä t e r e r Berichtigung — alsbald nach dessen Kundgebung vorzunehmen. Die Richter können sich zu diesem Zweck ins Beratungszimmer zurückziehen. Die Befugnis, Berichtigung anzuordnen oder den Spruch zu kassieren, endet erst mit der Verkündung des Urteils 7 , §§ 309 Abs. 2, 317 5

Unrichtig L ö w e - H e l l we g zu § 809 Bern. 7. Zutreffend K e l l e r zu § 308 Bern. 3. Vgl. auch preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 13 S. 196. 6 Vgl. auch preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10 S. 397. 7 So auch Preufs. 1852 Art. 97, 1867 § 339. Dagegen liefs Baden 1851 § 100 und 1864 § 288 die Berichtigung nur bis zur „Wiedereinführung" des Angeklagten zu. ' W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 372, erachtet die Verkündung des Wahr-

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§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

Abs. 1. Vielleicht ergibt gerade die Urteilsberatung erst den Mangel 8 . Bis dahin bleibt ein dem Wahrspruch günstiges Prüfungsergebnis provisorisch. Stets kann abermalige Beratung wegen eines bereits verneinten Mangels herbeigeführt werden. Daher ist, soweit die Offizialprüfung Mangelfreiheit ergeben hat, diese niemals positiv zu konstatieren. Eine besondere Prüfung gemäfs § 317 ist natürlich nur dann am Platze, wenn nach den Umständen des Falles die Voraussetzungen der Aufhebung überhaupt in Frage stehen. I I I . Die Offizialprüfung des Spruches kann nach jeder in Betracht kommenden Richtung sowohl von dem Vorsitzenden als von den beisitzenden Richtern veranlafst werden. Auch stehen dem Staatsanwalt und dem Verteidiger, sowie dem ins Sitzungszimmer wieder eingetretenen Angeklagten (§ 313) Anträge auf Spruchberichtigung frei. Die f o r m e l l e Berichtigung freilich wird kaum je von den Parteien beantragt werden, da die entsprechenden Mängel ganz überwiegend nur aus der Spruchurkunde erkennbar sind und der verlesene Spruch den Parteien nicht zur Einsichtnahme vorgelegt wird. Auf einen Parteiantrag ist ausdrücklich zu entscheiden, auch dann, wenn der gerügte Mangel verneint wird. Das Dekret ist aber, mag es dem Antrage stattgeben oder nicht, für das Gericht nicht bindend. Dafs die Unterlassung eines Parteiantrages die Revision gegen das Urteil aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Spruches nicht hindert, versteht sich bei dem Offizialcharakter der Prüfung von selbst9. Als unzulässig wäre abzuweisen, nicht materiell zu bescheiden der Antrag , gemäfs § 317 den Spruch zu kassieren. Denn diese Aufhebung ist nach gesetzlicher Vorschrift nur von Amtswegen spruchs an den Angeklagten für präklusiv (in Bay. 1848 ist keine Bestimmung darüber enthalten). Richtig G l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. I S. 303; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 673. I n gleichem Sinne Entscheidungen des Kass.-Hofs v. 22. Sept. 1876 Bd. 2 S. 129 f., v. 8. Okt. 1880 Bd. 3 S. 313 f., v. 2. Mai 1881 Bd. 4 S. 105 f., v. 17. Sept. 1881 Bd. 4 S. 186 f., v. 18. Mai 1893 Bd. 14 S. 99 f., v. 7. März 1896 Bd. 15 S. 332 f. Ebenso die französ. Rechtsprechung, H é l i e , Traité I X § 697 Y ; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 350 nr. 149. Vgl. noch v. B a r , Recht und Beweis S. 279 f. 8 E i n Beispiel in RG Entsch. Bd. 13 S. 233 (1. Str.-S.). 9 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g § 309 Bern. 6a.

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

zulässig. Immerhin kann der Antrag Veranlassung werden, die Frage ex officio zu prüfen. Über den Berichtigungsantrag einer Partei ist der Gegner zu hören. Aber auch im Falle der Offizialprüfung ist vor der Anordnung sachlicher Berichtigung die Anhörung der Parteien geboten (vgl. § 33 StPO) 10 . Fällt doch mit dieser Verfügung die Verbindungskraft des ganzen Spruches für die Geschworenen, während jede Partei den Anspruch hat, dafs der ihr günstige, von sachlichem Mangel in Wahrheit nicht betroffene Spruch dem Urteile zu Grunde gelegt werde. IV. Die richterliche Spruchprüfung kann auch durch Äufserungen der Geschworenen angeregt werden. Lassen solche einen Mangel des Verdikts, Undeutlichkeit, Widerspruch, Unvollständigkeit erkennen, so führen sie zum Berichtigungsverfahren. Aber es gibt beachtliche Erklärungen der Geschworenen noch anderen Inhalts und mit anderer Rechtswirkung 11 . Und die Grenze zwischen erheblichen und unerheblichen Äufserungen ist schärfer zu ziehen, als zur Zeit geschieht. 1. Die Geschworenenerklärung kann U n g ü l t i g k e i t des kundgegebenen Spruchs, wohl zu unterscheiden von dessen blofser Berichtigungsbedürftigkeit, ergeben. Ein besonderer Fall, in dem die Ungültigkeit aus dem Spruche selbst erhellt, wird passend in 10

L ö w e - H e l l w e g zu § 309 Bern. 6a erklärt die Anhörung nur für zulässig. Ebenso B i s c h o f f in Goltd. Arch. Bd. 46 S. 15. In gleichem Sinne die französ. Praxis (Nachweisungen bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 350 nr. 146 f.). Richtig U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 672. Die Nichtanhörung kann freilich nicht einen Revisionsgrund ergeben. Entscheidend ist, ob die Berichtigung geboten war oder nicht. Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 14 S. 302. 11 In den Darstellungen F r e u d e n s t e i n s bei Goltd. Bd. 33 S. 395, L ö w e - H e l l w e g s zu § 309 Bern. 11, D a l c k e s Fragestellung S. 140 fliefsen die verschiedenartigsten Geschworenenerklärungen ineinander: dafs die Kundgebung von den wirklich gefafsten Beschlüssen abgewichen sei, dafs bei der Abstimmung unrichtig verfahren sei, dafs der Beschlufs einen anderen als den in den Plädoyers zur Straffrage (und daher mutmafslich auch vom Gericht) angenommenen Sinn habe, dafs der Beschlufs auf einem Mifsverständnis der Frage beruhe usw. Wenn nach Verlesung des Spruchs Geschworene noch diesen betreifende Mitteilungen machen wollen, so ist stets Anhörung geboten; das Gericht kann der beabsichtigten Erklärung nicht im voraus die Erheblichkeit absprechen. Richtig preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 13 S. 279 f.; österr. Kass.-Hof E. Bd. 10 S. 103 f.

446

§ 51.

Die Prüfung des Wahlspruchs.

diesem Zusammenhange mit besprochen (unter lb). Diese Nichtigkeit hat absolute Wirkung und ist daher einer Heilung durch die Rechtskraft des Urteils an sich entzogen, wobei aber — Fall l a — zu beachten ist, dafs die mafsgebende, die Nichtigkeit aufdeckende Geschworenenerklärung begrifflich nur bis zum Urteilserlasse möglich ist. a) Sollte je vorkommen, dafs der Vorsitzende eines Richterkollegiums einen nicht gefafsten Beschlufs oder einen anderen als den festgestellten Beschlufsinhalt publizierte oder einen gefafsten Beschlufs nicht mit publizierte, so wäre es Recht und Pflicht jedes Mitrichters, gegen das rechtswidrige Vorgehen des Vorsitzenden alsbald in der Sitzung zu protestieren, Rücknahme, Berichtigung, Vervollständigung der Verkündung zu fordern. Die Verkündung wirkt als W i l l e n s erklärung, nicht als Erklärung eines in Wahrheit nicht gefafsten Willens, das Gericht ist nicht gebunden durch fälschliche Verkündung des Vorsitzenden 12. Im Verhältnisse von Nichtberufsrichtern, denen präzise Feststellung und Bekanntgabe von Beschlüssen ungewohnte Aufgaben sind, können entsprechende Abweichungen kaum als besonders unwahrscheinlich erachtet werden. Behauptet ein Geschworener eine Differenz des kundgegebenen von dem festgestellten Spruch, so ist diese auf die Geschworenenpflicht hin abgegebene Erklärung keineswegs unbeachtlich, da nur gefafste Beschlüsse, sie aber ganz und korrekt zu verkünden sind, die Kundgebung nicht den Beschlufs ersetzt usw. 18 . Eine solche Abweichung würde vorliegen, wenn ein Abstimmungsergebnis oder Beschlufsinhalt anders festgestellt, in 12 K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 301, meint, der Beschlufs könne nicht vom Vorsitzenden allein, sondern nur von sämtlichen Mitgliedern des Gerichts übereinstimmend — durch ihr Schweigen zu der Verkündung des Vorsitzenden — bezeugt werden. Danach wäre der einzelne Richter in der Lage, durch seinen Widerspruch die wirksame Beschlufs(Urteils-)Verkündung zu verhindern. Auch der ganz unberechtigte Protest legte das Gericht lahm. Wenn nun auch bei der Pflichttreue unserer Richter ein solches Vorgehen nicht zu besorgen ist — bei Geschworenen könnte es schon eher gelegentlich vorkommen —, so lehrt doch diese Konsequenz, dafs K l e i n f e l l e r s Praemisse nicht zutreffend sein kann. Der Vorsitzende verkündet in der Tat als Organ des Gerichts, in dessen Repräsentanz, aber die Verkündung ersetzt natürlich nicht den Beschlufs. Der unberechtigte Protest eines Richters ist wirkungslos, der berechtigte enthüllt die bestehende Diskrepanz von Wille und Erklärung. 53 G l a s e r , Anklage usw. S. 160, berichtet entsprechende Vorgänge aus der englischen Praxis.

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

anderem Sinne die Kundgebung des Obmanns erfolgt wäre oder die Verlesung einen Teil des beschlossenen Spruches nicht mit umfafst hätte. Geschworene sind freilich, wie die Berufsrichter auch, verpflichtet über die Hergänge bei der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu beobachten, § 200 GVG, aber keineswegs müssen sie oder dürfen sie auch nur die festgestellten Beschlüsse und Abstimmungsergebnisse, wenn diese falsch publiziert sein sollten, verschweigen. Der Protest des Geschworenen besagt entweder: Das Kundgegebene war nicht (überhaupt nicht oder nicht in der angegebenen Art) beschlossen; oder: Beschlossenes ist nicht (d. h. überhaupt nicht) kundgegeben worden. Mit der Differenz ist ein Fehler der Niederschrift oder nur der Kundgebung behauptet. Eine Abweichung der Kundgebung von der Niederschrift ersieht das Gericht aus der Spruchurkunde. Desavouiert der Obmann die Kundgebung, so hat er anders zu verlesen. Wird die Niederschrift desavouiert, so bedarf diese der Berichtigung 1 4 . Empfehlenswert ist, wenn nicht ein offenbares Versehen in der Niederschrift zu Tage tritt, auch die übrigen Geschworeneu zu befragen, damit nicht etwa im Widerspruch mit den gefafsten Beschlüssen korrigiert wird. So wäre z. B. gewifs bedenklich, die Verbesserung eines Ja in ein Nein usw. ohne weiteres zuzulassen. Näheres Eingehen auf das durch den Kundgebungsfehler ver.anlafste Verfahren erübrigt sich, da es früher bereits erörtert wurde 1 5 und an dieser Stelle nur der gegensätzlichen Anführung bedarf. Der Protest gilt dem geschriebenen und verlesenen Spruche, wenn Niederschrift und Kundgebung sich decken und der Obmann bei der Niederschrift beharrt. Das Gericht hat in dieser mifslichen Situation sämtliche Geschworene zu befragen. Angemessen erscheint, diese zunächst in das Beratungszimmer zurückzuschicken, um Streit unter ihnen möglichst aus dem Gerichtssaal zu entfernen und vielleicht noch eine Verständigung, 14 Ein Beispiel bei O p p e n h o f f 10 S. 197: der geschriebene und verlesene Spruch lautete „Schuldig mit sieben gegen fünf Stimmen", während in «der Tat gerade umgekehrt abgestimmt worden war. 15 Vgl. oben § 48 sub II.

§ 51.

448

Die Prüfung des Wahrspruchs.

Rückziehung oder allseitige Anerkennung des Protestes, durch zwanglose Aussprache zu erzielen. Bleibt der Dissens bestehen, so ist das Gericht vor eine Gewissensentscheidung gestellt. Gewinnt es die Überzeugung, dafs die Bemängelung unbegründet sei, so mufs es den Wahrspruch, so wie verlesen, annehmen, andernfalls ihn verwerfen. Die Entschliefsung erfolgt auf die Gefahr, dafs ein gültiger Wahrspruch um seine Wirkung kommt, nach einem ungültigen erkannt wird. Der Protest ist keineswegs notwendig dadurch entkräftet, dafs so viele Geschworene das Zustandekommen des angefochtenen Beschlusses versichern, als zu dessen Fassung erforderlich gewesen wären. Aber wenn nicht mindestens eine solche Geschworenenzahl für diesen Beschlufs eintritt, wird das Gericht schwerlich den Protest für unbegründet erachten. In dubio ist der Spruch abzulehnen. Anders, wenn die Fassung eines w e i t e r e n Beschlusses behauptet worden ist. Das Gericht wird sich in diesem Falle einer protestierenden Minderheit nicht leicht anschliefsen, in dubio eher zur Verwerfung des Protestes geneigt sein. Indessen sind derartige Erwägungen nicht zwingend, die individuelle Sachlage kann anderen Entscheid bedingen. Nachdrücklich ist zu betonen, dafs der Widerspruch eines Einzelnen niemals zur Verwerfung des Spruches n ö t i g t . Ein solcher Zwang wäre nur denkbar, wenn die Feststellung der Geschworenenbeschlüsse Einstimmigkeit erforderte. Und selbst diese könnte trotz des nachträglichen Protestes vorgelegen haben. Welche bequeme Handhabe zur Obstruktion böte auch die unterstellte Ansicht! Ein gewissenloser Geschworener vermöchte durch fortgesetzte Proteste die Aburteilung zu verhindern. Tritt der Protestfall in einem Richterkollegium ein, so kann nicht von diesem selbst darüber entschieden werden. Das ergäbe einen circulus vitiosus, denn es ist ja nicht streitig, wie geurteilt werden soll, sondern wie geurteilt worden ist. Das — problematische — Urteil ist verkündet und, wenn es beschlossen war, auch verbindlich. Wohl kann die betroffene Partei das Urteil als Scheinurteil, als Erklärung ohne Willen, anfechten. Dann ist in der Rechtsmittelinstanz über die Begründetheit des Protestes, durch Einziehung dienstlicher Erklärungen der Richter 16 usw., zu entscheiden. 16

Über

die

Zulässigkeit

solcher

Beweiserhebung

an sich vgl. RG

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

Dem streitenden Geschworenenkollegium gegenüber befindet sich die Richterbank in einer ähnlichen Lage wie ein Rechtsmittelgericht. Erachtet das Gericht den Protest für begründet, so hat es, auch wenn nur ein einzelner Spruchmangel oder eine Spruchlücke in Betracht kam, den Spruch im Ganzen abzulehnen. Teilweise Verwerfung oder das Erfordern bloiser Vervollständigung unter Aufrechterhaltung des verlesenen Spruchinhalts wäre unmöglich. Der Zusammenhang des ganzen Verdikts darf nicht zerrissen werden und eine stückweise Erledigung der Geschworenenaufgabe ist unzulässig. Isolierte Beantwortung oder Neubeantwortung einzelner Fragen könnte ein wesentlich anderes Ergebnis haben als ihre Erledigung im Rahmen der Fragengesamtheit. Analog bestimmt § 311, dafs die Geschworenen, wenn sachliche Mängel des Spruches von ihnen zu berichtigen sind, bei ihrer erneuten Beratung an keinen Teil des früheren Spruches gebunden seien. Die S p r u c h a b l e h n u n g ist keineswegs Anordnung der S p r u c h b e r i c h t i g u n g . Die Zurückweisung erfolgte, weil das Verdikt vom Gericht als gültig nicht angesehen werden konnte, indem die Behauptung totaler oder partieller Abweichung des kundgegebenen Verdikts von den festgestellten Beschlüssen nach Ansicht des Gerichts nicht entkräftet ist, ein Fehler des Teils ins besondere bei der Einheit des Spruches auf das Ganze zurückwirkt (utile per inutile vitiatur!). Ein dergestalt problematisches ist etwas ganz anderes als ein berichtigungsbedürftiges, in der Sache undeutliches, sich widersprechendes, unvollständiges Verdikt 1 7 . Es 3. Str.-S. E. Bd. 17 S. 288 f. u. öfter, auch S t e i n , Privat. Wissen des Richters S. 105. 17 Vgl. auch B e n n e c k e - B e l i n g S. 565, 566. In der Entsch. des österr. Kass.-Hofs v. 3. Nov. 1894 Bd. 15 S. 106 f. wird zwar der im Text besprochene Vorgang vom Falle der Verdikts berichtigung richtig unterschieden, aber unter Hinweis auf § 331 Abs. 4 StPO angenommen, dafs jedesmal, wenn von Geschworenen eine Abweichung des kundgegebenen von dem beschlossenen Spruche behauptet werde, die Rücksendung der Geschworenen zu neuer Beratung zu erfolgen habe. Aber es kommt darauf an, ob dem Gerichte der Protest beachtlich erscheint. Es kann nicht dem einzelnen Geschworenen die Macht zustehen, einen gültig gefafsten Beschlufs durch seinen blanken Widerspruch zu entkräften! L ö f f l e r , Unheilbare Nichtigkeit im österr. Strafverfahren S. 30 f. nimmt unheilbare Nichtigkeit an, wenn der kundgegebene Spruch von den Geschworenen nicht beschlossen gewesen sei und das Gericht darauf hin geurteilt habe. An sich richtig, nur verkennt L ö f f l e r , dafs sich diese NichtigB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

29

450

§ 51.

Die Prüfung des Wahrspruchs.

kann freilich auch ein solcher Mangel koinzidieren, er verliert aber mit Verwerfung des Spruches seine Bedeutung; doch mag es sich empfehlen, durch ergänzende Belehrung der Geschworenen einer Wiederholung des Fehlers vorzubeugen. Eine Verwechselung wäre nur etwa möglich zwischen einem als lückenhaft zurückgewiesenen und einem unvollständigen Verdikt. Aber die Auslassung eines festgestellten Beschlusses braucht keineswegs eine materielle Unvollständigkeit des Spruches ergeben zu haben, vielleicht ist umgekehrt dadurch ein Widerspruch entfernt worden. Die Zurückweisung des Spruchs wird durch formulierten Beschlufs ausgesprochen. Ebenso die Abweisung erhobenen Protestes. Der gesamte Vorgang mit den Erklärungen der Geschworenen ist zu protokollieren. Ergibt sich bei Spruchablehnung zugleich Anlafs zur Änderung oder Ergänzung der Fragen, so mufs der Angeklagte zur Verhandlung zugezogen werden. Das folgt aus seinem Recht auf Beteiligung bei Aufstellung der Fragen und aus der Analogie des § 306 Abs. 2. Es könnte der Zweifel entstehen, ob nicht der Angeklagte auch über Annahme oder Zurückweisung des Verdikts zu hören wäre, da das Gesetz seine Fernhaltung von der Verhandluug bis zur Verkündung des Wahrspruchs an ihn doch nur eines etwaigen Βerichti gungsVerfahrens halber verordnet hätte. Allein die Absicht des Gesetzes geht weiter. Es sollen, um nicht die Autorität des Spruches in den Augen des Angeklagten abzuschwächen, die Prüfungsverhandlungen, in welcher Richtung sie sich immer bewegen mögen, einerlei ob es sich um die Rechtsgültigkeit des Spruches oder um dessen Berichtigung handelt, der Kenntnis des Angeklagten entzogen werden, soweit nicht intendierte Fragenänderung seine Zuziehung bedingt. Übrigens ist ja der Verteidiger für ihn zugegen. Der vom Obmann verlesene Spruch ist trotz seiner Zurückweisung vom Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen, § 308 Abs. 2. Denn dieses Erfordernis ist offenbar aufgestellt als Zeugnis nicht für die Rechtsgültigkeit des Spruches, sondern für die Identität der zu den Akten genommenen und der verlesenen Spruchurkunde. Die Zurückweisung des Spruches stellt res intégra her. Die keit nur durch Geschworenenerklärung vor der Urteilsverkündung manifestieren kann, s. unten Anm. 19.

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

Geschworenen haben, wie wenn noch gar kein Verdikt vorangegangen wäre, ihren Spruch zu fassen und zu verkünden. Die alten Beschlüsse sind ausgelöscht. Die Bindung des Geschworenenkollegiums hat aufgehört und dem Einzelnen ist die volle Freiheit der Abstimmung zurückgegeben. Im sachlichen Berichtigungsverfahren hingegen k ö n n e n nur die Geschworenen auch von den nicht bemängelten Antworten wieder abgehen (unten § 56 I I 6). Anspruch auf neue Beratung freilich hat auch im letzteren Falle jeder einzelne Geschworene, nicht ist ein Kollegialbeschlufs die Voraussetzung. Die alte Spruchurkunde ist zu den Akten zu nehmen. Die Geschworenen erhalten einen neuen vom Vorsitzenden unterzeichneten Fragebogen. Zum Zwecke sachlicher Berichtigung hingegen wird die verlesene Spruchurkunde den Geschworenen z u r ü c k g e g e b e n , § 312. Die Funktion des Obmanns ist nicht eo ipso erloschen, aber die Geschworenen sind zur Neuwahl befugt. Abgewiesen wird der Spruch, nicht die vollzogene Obmannswahl, die das Gericht nichts angeht. Wie aber die Kundgebung, der Akt, durch den der Obmann dem Gericht gegenüber in Funktion getreten ist, ihre Bedeutung verloren hat, so ist auch die mit ihr konkludent erfolgte Anzeige von der Obmannswahl für das Gericht nicht ferner beachtlich. Demnach steht der Ersetzung des Obmanns ein Hindernis so wenig im Wege als seiner Beibehaltung. Ihn den Geschworenen ferner aufzuzwingen, wäre grundverkehrt, denn unter seiner Leitung, wenn auch nicht notwendig durch seine Schuld, hat sich die Differenz ergeben. Dagegen kann die Spruch b e r i c h t i g u n g nicht unter Wechsel des Obmanns erfolgen. Die Anordnung formeller Berichtigung verlangt, dafs dieser Obmann, der kundgegeben hat, nachträglich den Vorschriften des § 307 genüge. Und bei sachlicher Berichtigung mufs die neue Kundgebung von dem alten Obmann ausgehen. Das Gesetz fordert, dafs e i n Geschworener sich voll und ganz für den Spruch verbürge. Die geänderten Spruchteile bilden mit den gebliebenen eine Einheit, für die e i n Obmann einzutreten hat. Wird der Spruch auch in mangelfreien Teilen geändert, so hat dieses Dementi nur als Zeugnis des alten Obmanns, der den früheren Spruchinhalt publiziert hatte, die volle vom Gesetz gewollte Beweiskraft. Da erst in und mit dem Urteil das Verdikt angenommen wird, so ist es auch bis zum Urteilserlafs noch auf Protest eines Ge29*

§ 51.

452

Die Prüfung des Wahrspruchs.

schworenen hin ablehnbar 18 . Wie bis dahin noch die Berichtigung möglich ist, § 309 Abs. 2, so kann auch bis zu demselben Zeitpunkte noch der Spruch verworfen werden. Die Yerkündung des Spruches an den Angeklagten (die zudem im Falle des § 230 Abs. 2 StPO wegfällt) ist nicht präklusiv. Im Interesse der materiellen Gerechtigkeit darf Präklusion nicht eher angenommen werden, als bis der Urteilserlafs jeder sachlichen Erörterung das Ziel gesetzt hat 1 9 . b) Ein weiterer Grund der Verdiktsablehnung würde sein, wenn aus dem Spruche sich ergäbe, dafs nicht alle Geschworene daran teil genommen hätten („ja, mit acht gegen zwei Stimmen" usw. 20 . Und zwar müfste auch in diesem Falle, wenn der Mangel nur bei bestimmten Antworten hervorgetreten wäre, doch stets der Spruch im Ganzen verworfen werden. 2. Dem u n g ü l t i g e n Verdikt steht keineswegs gleich das r e c h t s w i d r i g z u s t a n d e g e k o m m e n e Verdikt. a) Wenn ein Geschworener, ohne eine Abweichung der kundgegebenen von den festgestellten Beschlüssen zu behaupten, rügt, 18

G e y e r S. 760 will die Behauptung irrtümlicher Niederschrift des Wahrspruchs durch den Obmann nur bis zur Unterzeichnung des Spruchs zulassen. Ebenso v. S c h w a r z e zu § 304 Bern. 8. Richtig in dieser Hinsicht K e l l e r zu § 309 Bern. 10; M i t t e r b a c h e r zu § 330 österr. StPO Bern. 14. Durchweg aber macht sich die Verwechselung von Spruchablehnung und Berichtigungsverfügung fühlbar. 19 I n dem merkwürdigen Falle RG R. V I S. 800 f. ist erst am Tage nach der Urteilsverkündung in einer „Sitzung" der Gerichtspersonen, Geschworenen und Parteivertreter die Entkräftung des Spruchs versucht worden. Das Gericht hat, obwohl die Geschworenen einstimmig die Differenz des kundgegebenen von dem beschlossenen Spruch bezeugten, mit Recht dem Protest keine Folge mehr gegeben und das Reichsgericht die Revision gegen die (materiell ganz ungerechte) Verurteilung verwerfen müssen. L ö f f l e r a. a. 0. S. 30 f. will noch im Rechtsmittelverfahren den Beweis zulassen, dafs der Obmann den Spruch falsch kundgegeben habe durch Vernehmung der Geschworenen usw. Allein nach der Urteilsverkündung sind die Geschworenen Privatpersonen und ganz aufserstande, amtliche durch den Geschworeneneid gedeckte Erklärungen, die allein zur Entkräftung der Kundgebung des Obmanns dienen könnten, abzugeben. Sie haben durch Schweigen in der Verhandlung ihre Richterpflicht verletzt, daran ist nachträglich nichts mehr zu ändern. Die „unheilbare Nichtigkeit", auf die sich L ö f f l e r beruft, ist nicht konstatierbar, folglich müssen Spruch und Urteil als rechtsbeständig gelten. Richtig S c h o e t e n s a c k , Ger.-Saal Bd. 68 S. 468. 20 Vgl. oben § 46 sub VI. E i n Beispiel in Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 7 S. 229 f. (nicht richtig behandelt).

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

dafs einzelne Geschworene sich an der Abstimmung über die eine oder andere Frage nicht beteiligt hätten (etwa weil sie bei einer früheren Abstimmung in der Minorität geblieben seien 21 ), während das Verdikt selbst hierüber nichts sagt, dafs eine Abstimmung auf falscher Grundlage stattgefunden habe, indem eine verkehrte Vorfrage formuliert und darüber vorab votiert worden sei oder eine einheitlich zu beantwortende Frage fälschlich in Unterfragen aufgelöst oder umgekehrt eine getrennte Abstimmungen erfordernde Frage, z. B. eine den Privilegierungsgrund einbegreifende Hauptfrage, einheitlich zur Abstimmung gebracht worden sei usw., dafs die Abstimmung in Wahrheit ein anderes als das festgestellte Ergebnis gehabt habe usw., so ist einer derartigen Bemängelung Folge nicht zu geben. Denn alle diese Ausstellungen beziehen sich auf interna corporis, die das Geschworenenkollegium ganz ebenso wie ein Gericht unter Ausschlufs jeder Nachprüfung selbst zu erledigen hat 2 2 . Zweifellos mufs auf die Beratung und Abstimmung der Geschworenen § 196 GVG entsprechend angewendet werden. Während es zunächst Sache des Obmanns ist, die Beratung zu leiten, die Fragen zu stellen und die Stimmen zu sammeln, kann bei einer Meinungsverschiedenheit über den Gegenstand, die Fassung und die Reihenfolge der Fragen — soweit nicht schon der Fragebogen diese Punkte erledigt — oder über das Ergebnis der Abstimmung stets Kollegialbeschlufs herbeigeführt werden. Ein solcher ist dann auch unbedingt mafsgebend. Ebenso andernfalls das nicht angefochtene Vorgehen des Obmanns, die A r t , wie er die Abstimmung bewirkt hat, das Ergebnis, das er für sie festgestellt hat. Das Gericht kann mit diesen Fragen nicht befafst werden, es mufs sich an die Resultate halten, so wie sie unbestritten festgestellt sind 28 . Schon die Anhörung solcher Bemängelungen wäre abzulehnen, da § 200 GVG den Geschworenen zum Schweigen über Beratungsund Abstimmungsvorgänge verpflichtet. In einer speziellen Beziehung jedoch ist ein Fehler der Verdiktsentstehung für das Gericht beachtlich und zwar von Amtswegen, ohne dafs eine Anregung seitens der Geschworenen abzuwarten wäre. Der Vorsitzende hatte versäumt, durch Fortsetzung 21

Das Genauere darüber oben § 46 sub II. Verkannt von v. K r i e s S. 622. Vgl. auch S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 344 f. nr. 11. 23 Vgl. oben § 46 sub I I I , IV, VI. 22

§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

454

der Losung nach Feststellung des Geschworenenpersonals (durch Erschöpfung der Ablehnungsrechte) die Abstimmungsfolge für die Geschworenen zu bestimmen24. Wird das Gericht auf diesen Mangel noch rechtzeitig — vor Erlafs des Urteils — aufmerksam, so ist das Verdikt zu verwerfen, der fehlende oder ungültig vorgenommene Losungsabschnitt nachzuholen und ein neues Verdikt zu erfordern. b) Auch die Obmannswahl ist internum corporis. Das Gericht hat niemals die Art ihres Zustandekommens zu prüfen. Dafs der als Obmann Auftretende diese Eigenschaft wirklich gesetzmäfsig erlangt hat, wird dem Gerichte verbürgt durch das konkludente Schweigen der übrigen Geschworenen zu der Aktion des „Obmanns". Bestreitet ein Geschworener dem „Obmann" diese Qualität, so sind die übrigen Geschworenen zu befragen, ob der Handelnde ihr Obmann sei, nicht hat das Gericht in eine Untersuchung des Wahlvorganges einzutreten. Bezeugt die Mehrheit der Geschworenen die Obmannsqualität, so hat dieses ausdrückliche Anerkenntnis die gleiche Bedeutung wie sonst das konkludente Schweigen aller Anderen. Es k a n n allerdings in der Erklärung der Mehrheit die Ratihabition ungültig erfolgter Wahl oder der pro electo gestio des überhaupt nicht Gewählten liegen. Aber weil die Obmannsbestellung ein internum ist, so gilt dem Gerichte die Erklärung immer nur als Zeugnis. In die Mehrheit ist der als Obmann Auftretende einzurechnen. Wird solches Mehrheitszeugnis nicht abgegeben, so liegt ein gerichtsseitig nicht zu entscheidender Streit der Geschworenen vor, ob sie bereits konstituiert sind oder nicht, ihrer gesetzlichen Urteilspflicht jetzt bereits genügen können oder nicht. Das Gericht hat daher die Geschworenen als nicht konstituiert zu erachten und ihnen Obmannswahl aufzugeben. Der Spruch verliert seine Kraft. Die Geschworenen erhalten einen neuen Fragebogen. Der alte ist dem Protokolle beizufügen, denn zu der Aktion des Pseudo-Obmanns, also zu dem aktenmäfsig festzustellenden Vorgang, gehört auch die durch ihn bewirkte Niederschrift der Antworten. Es ist nicht ausgeschlossen, dafs der Vorgang sich wiederholt. Gewinnt das Gericht die Überzeugung, dafs Obmannswahl unter Anerkennung der Geschworenenmehrheit nicht zustande kommen wird, so ist die Jury aufzulösen und die Verhandlung abzubrechen. 24

Vgl. oben S. 74.

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

In demselben Augenblicke verlieren die internen Vorgänge ihre sekrete Qualität. Denn die Hauptverhandlung ist fortgefallen, in der sie zu sekretieren wären. Die Geschworenen haben sich dem Gericht wegen Justizverweigerung zu verantworten, §§ 56, 96 GVG. Weigerung der Auskunft über die Wahlhergänge würde bereits Strafbarkeit begründen. Ob nach Klarstellung des Sachverhalts Strafe am Platze ist, hängt davon ab, ob das Gericht ein Verschulden der Geschworenen (aller oder eines Teiles derselben) annimmt. Die Verhandlung ist, sobald angängig, in toto zu erneuern unter Neubildung der Jury. 3. Eine ganz andere Prozefslage wiederum ergäbe sich, wenn etwa jetzt noch aus der Erklärung eines Geschworenen ein in seiner Person vorhandener (absoluter oder relativer) Unfähigkeitsgrund erhellte. Damit stände fest, dafs ein auf Grund des Spruchs gefälltes Urteil, wie es immer lauten möchte, wegen fehlender Urteilsvoraussetzung nichtig sein würde (§§ 377 N. 1 u. 2, 379 StPO). Es wäre daher nicht etwa das Verdikt zurückzuweisen, sondern die Verhandlung abzubrechen 25. Ein Gericht ist weder verpflichtet, noch überhaupt befugt, ein Urteil zu fällen, dessen Nichtigkeit infolge mangelnder Urteilsvoraussetzung (Prozefsvoraussetzung usw.) im Voraus feststände. Sobald angängig, möglichst noch in der laufenden Session, hätte dann unter Neubildung der Bank eine völlig neue Hauptverhandlung stattzufinden. 4. Unbeachtlich für die Frage der Verdiktsberichtigung ist eine Erklärung, die auf falsche Beantwortung der Beweis- oder Subsumtionsfrage hinweist, weil daraus nicht eine Undeutlichkeit, Unvollständigkeit oder ein Widerspruch des Verdikts mit sich selbst folgt und die ganze Schuldfrage — vorbehaltlich einer Aufhebung des Verdikts nach § 317 — den Geschworenen gebührt 26 . Gewifs ist's sehr bedauerlich, wenn sich nach Kundgebung des Verdikts herausstellt, dafs ein Geschworener, ein Richter der Schuld, Zeugenaussagen oder strafgesetzliche Momente usw. mifsverstanden hatte, aber der Richter über die Straffrage kann hier nicht berichtigend eingreifen. Mit der Schuldfrage ist den Geschworenen die Beweis- und Subsumtionsfrage gestellt und die Richterbank mufs die Antwort gelten lassen, wenn ihr nicht ein Mangel gemäfs 25 26

Vgl. O e t k e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 214. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 28 S. 242 f.

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§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

§ 309 anhaftet oder die Kassation des Spruchs nach § 317 geboten erscheint. 5. Die Prüfung gilt dem Spruch nicht lediglich als solchem, losgelöst von dem Willen seiner Urheber, sondern als Ausdruck dieses Willens. Es sind daher anderweite Kundgebungen über das subjektiv Gewollte, durch den Mund aller oder einiger Geschworenen wohl zu beachten und keineswegs unter Bezugnahme auf das „objektiv" Erklärte abzuweisen27. Das Gericht kann aus einer solchen Äufserung die Überzeugung gewinnen, dafs der Spruch als undeutlich, sich widersprechend, unvollständig der Berichtigung bedürfe 28 . Die Geschworenenerklärung kommt immer nur insoweit in Betracht, als sie einen Verdiktsmangel indiziert. Weitergehende Mitteilungen über Vorgänge der Beratung, Abstimmung wären indiskret und vom Gericht zurückzuweisen. Dafs eine Frage mifsverstanden worden ist, kann für die Spruchprüfung erheblich sein, niemals aber, wie die einzelnen Geschworenen dabei abgestimmt haben usw. Zunächst mag unterstellt werden, dafs eine übereinstimmende Äufserung aller Geschworenen vorliegt. Eine Undeutlichkeit schuldverneinenden Verdikts erhellt z. B., wenn die Geschworenen fälschlich angenommen haben, dafs die Verneinung bestimmter Fragmomente, z. B. der Gewalt bei Raubfrage, der Überlegung bei Mordfrage, Verneinung der ganzen Frage begründe. Die Erheblichkeit einer nur teilweisen Verneinung ist ihnen nicht zum Bewufstsein gekommen. Von diesem Standpunkte aus brauchte von ihnen der weitere Fraginhalt nicht mehr erwogen zu werden. Das einfache Nein kann sein die Verneinung auch der letzteren Fragmerkmale oder nur die Konsequenz aus der Verneinung der anderen. Es ist daher u n d e u t l i c h e Wiedergabe des Geschworenenwillens. Diese Unklarheit kann nicht gehoben werden durch Angaben der einzelnen Geschworenen über die Bedeutung ihrer Abstimmung. Das wäre Verletzung des an die Spitze gestellten Prinzips. Undeutlich ist das Verdikt ferner dann, wenn aus den Mit27 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g zu § 309 Bern. 11 und die hier Zitierten. Es werden aber die verschiedenen Fälle relevanter Erklärung nicht scharf gesondert. 28 Einige frühere Gesetze erwähnten ausdrücklich Geschworenenerklärungen als Anzeichen für Spruchmängel: Preufs. 1867 § 339 Abs. 1, Württ. 1868 Art. 384 Abs. 1 (in mifsverständlicher Fassung).

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

teilungen der Geschworenen erhellt, dafs sie über die Voraussetzungen für Beantwortung einer Hilfsfrage, auf die sich der Spruch in der Tat erstreckt hat, im Unklaren gewesen sind 2 9 . Das Verhältnis ihrer Antworten zu einander ist dann zweifelhaft. Ein Widerspruch tritt zu Tage, wenn z. B. die Geschworenen nach ihrer erläuternden Angabe einem Individualisierungsmoment der Frage eine andere Bedeutung beigelegt haben als das Gericht, ein Fremdwort („Chronometer" usw.) mifsverstanden, das Wort „Taschenuhr" nicht mit bezogen haben auf eine im Armband getragene Uhr usw. und deshalb die Frage verneint haben, während sie sonst vielleicht bejaht worden wäre. Viel richtiger hätten natürlich in solchem Fall die Geschworenen auf Abänderung, Klarstellung der Frage hingewirkt, aber undenkbar ist keineswegs, dafs sie verneinen unter mündlicher Konstatierung ihres Fragverständnisses und nun abwarten, was gerichtsseitig weiter geschehen wird. Hier gilt die Antwort einer Frage, die, so wie die Geschworenen sie auffafsten, gar nicht gestellt worden war. Nicht das Gefragte, sondern etwas Nichtgefragtes ist verneint worden. Der Sinn der Antwort w i d e r s p r i c h t dem Sinn der Frage und sonach der Spruch, der aus Frage und Antwort besteht, s i c h s e l b s t . Mifsverständnis g e s e t z l i c h e r Tatbestandsmomente der Frage hingegen wäre Mifsverständnis des Gesetzes, dessen Auslegung mit der Frage den Geschworenen überlassen ist, und somit nicht Grund der Spruchberichtigung 30. Die so dokumentierten Mängel, Undeutlichkeit und Widerspruch, werden häufig zugleich eine Unvollständigkeit des Verdikts nach sich gezogen haben. Es ist z. B. eine Nebenfrage unerledigt geblieben, die bei präziser Beantwortung der Hauptfrage nicht ausgelassen werden durfte: die totale Verneinung statt der teilweisen Bejahung hat die Geschworenen veranlafst, die Einsichtsnebenfrage nicht zu beantworten; die Verneinung statt der Bejahung im Falle 2 wurde Grund, eine qualifizierende oder privilegierende Nebenfrage zu ignorieren usw. Liegt zunächst nur die Äufserung eines einzelnen Geschworenen vor, so hat das Gericht auch die anderen zu befragen. Die Erklärungen sind zu protokollieren. 29

Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 7 S. 434 f. Anders unter Umständen, wenn im Spruche eine N e g a t i v f e s t s t e l l u n g getroffen ist, die Mifsverständnis eines gesetzlichen Fragmoments ausdrückt. Von diesem besonderen Falle kann erst später gehandelt werden. Vgl. § 54 sub I 3bα. 80

§ 51.

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Die Prüfung des Wahrspruchs.

Wirksam ist die Äufserung, die auf Eid und Pflicht hin abgegeben wurde, insofern stets, als sie vom Standpunkte dieses Geschworenen einen durch Irrtum, Mifsverständnis bedingten Verdiktsmangel, eine Undeutlichkeit, einen Widerspruch, ergibt. Und diese Tatsache nötigt zum Berichtigungsverfahren, auch wenn bei den anderen Geschworenen der Irrtum nicht vorhanden war. Wie ohne den unausgetragenen Dissens der Spruch ausgefallen wäre, ob in demselben oder in anderem Sinne, ist das Gericht zu ermessen aufser Stande. Die Einzelvota dürfen ihm nicht bekannt gegeben werden. Es bleibt auch dahingestellt, wie jener Geschworene ohne sein Mifsverständnis abgestimmt hätte. Und doch kann gerade seine Stimme den Ausschlag gegeben haben. Sonach fehlt dem Verdikt, mag es auf Schuldig oder Nichtschuldig lauten, die sichere Grundlage und es ist wegen möglicher Kausalität des Irrtums für den Spruchinhalt die Berichtigung anzuordnen. Die Geschworenenerklärung ist solange zulässig und beachtlich, als ein Berichtigungsverfahren noch möglich ist, also bis zur Verkündung des Urteils 3 1 . Von mündlichen Erklärungen als Materialien nur für die Spruchprüfung sind zu unterscheiden Verdiktszusätze, die vom Gericht einfach hingenommen zu Urteilsbestandteilen werden würden. Sie können ungefragte Feststellungen oder blofse Sprucherläuterungen und -Begründungen enthalten. Unzulässig sind sie in jedem Falle. Von den feststellenden Zusätzen ist eingehend gehandelt worden (S. 402 fg.). Dabei hat sich ergeben, dafs solche Hinzufügungen unter Umständen einen Verdiktsmangel, eine Undeutlichkeit, einen Widerspruch begründen (S. 402,403). Insofern stehen sie in Beziehung zu relevanten mündlichen Geschworenen-Äufserungen. Noch näher berühren sich mit den letztern nur motivierende usw., auf Mifsverständnis der Frage, auf Doppelsinn der Schuldverneinung usw. hinweisende Angaben des Spruches. So kann die beispielsweise oben angeführte Deutung von „Taschenuhr" ebensowohl im Spruche selbst als mündlich zum Ausdruck kommen. Verdiktsberichtigung ist in dem einen, wie in dem andern Falle geboten. Immer ist 81

Zutreffend v. S c h w a r z e zu § 304 Bern. 8; G e y e r S. 760. Charakteristisch der von Z a c k e , Fragstellung S. 147, berichtete F a l l : Anzeige der Geschworenen noch unmittelbar vor der Verkündung des schon beschlossenen Urteils. Die franz. Praxis läfst die Erklärung nur zu bis zur Verkündung (des Verdikts an den Angeklagten, Kass.-Hof 2. Sept. 1869 bei S i r e y , Recueil 70. 1. 279.

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

der Sprucbzusatz eine Gesamterklärung der Geschworenen, die richterliche Prüfung insofern einfacher als bei mündlicher Einzeläufserung. 6. Für den Gebrauch der Kassationsbefugnis nach § 317 entscheidet nicht, ob das Gericht die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, die präsumtiv den Geschworenenspruch bestimmt haben, für irrig hält, vielmehr ob ihm der I n h a l t des Spruches nach der eigenen Auffassung der Beweis- und Rechtslage als irrig erscheint. Daher ist nicht denkbar, dafs lediglich auf Äusserungen von Geschworenen über die Motive der Schuldigsprechung hin die Aufhebung des Verdikts erfolgte. Immerhin können solche Erklärungen, die z. B. völliges Mifsverständnis einer Zeugenaussage, falsche Auslegung des angewandten Strafgesetzes ergeben, i n d i r e k t bedeutsam sein, indem sie Zweifel der Richter zerstreuen, den Irrtum der Geschworenen in helles Licht setzen. V. Während die Verkündung des Spruchs an den Angeklagten nicht präklusiv ist für das Recht, die Berichtigung anzuordnen, die Aufhebung auszusprechen, wenn auch das Gesetz bei der Mifslichkeit späterer Korrektur allseitige Prüfung vor dieser Verkündung erwartet, so wird dagegen mit der Verkündung des Urteils das Verdikt endgültig der Einwirkung des Gerichts entzogen. Ein auf das Verdikt gegründetes Sachurteil enthält dessen bindende Annahme, konstatiert, dafs der Spruch als mangelfrei der Berichtigung nicht unterliege und auch einer Aufhebung aus § 317 nicht ausgesetzt sei. Ein blofses Einstellungsurteil hat diesen Charakter nicht, doch auch mit seinem Erlasse endet die Möglichkeit der Berichtigung und der Aufhebung des Verdikts. Die nicht ganz adäquate Ausdrucksweise in § 309 Abs. 2 erklärt sich aus der Nichtberücksichtigung des Einstellungsurteils an dieser Stelle. Die Worte „auf Grund des Spruchs" zu „Urteil" wären besser ferngeblieben. Im § 317 ist denn auch allgemein die Urteilsverkündung als das präklusive Moment bezeichnet. Aber das Gericht hat sich im Sachurteil auch nicht in höherem Mafse an das Verdikt gebunden, als es durch sein eigenes Urteil gebunden ist. Die Tatsache der Urteilsverkündung dispensiert nicht von der Entscheidungspflicht betreffs eines vergessenen Anspruchs. Ist das Urteil in dieser Hinsicht lückenhaft, während das Verdikt an demselben Mangel laboriert, so kommt's zu nachträglicher Vervollständigung des Verdikts und Urteils. Das so indizierte Verfahren ist keineswegs „ Berichtigungsverfahren" im Sinne des Gesetzes.

§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

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Die Notwendigkeit der Vervollständigung besteht gleichmäfsig, mag nur in der Beantwortung der Fragen oder bereits in diesen der Anspruch vergessen worden sein. Denn der Anspruch i s t erhoben und verlangt urteilsmäfsige Erledigung. Als Beispiel kann dienen, dafs bei einer grofsen Zahl realkonkurrierender Delikte, die sämtlich Gegenstand der Anklage und der Verhandlung waren, eines übersehen wurde. War nur die Beantwortung der bezüglichen Frage unterblieben, so hätte allerdings zweifellos das Gericht B e r i c h t i g u n g des Spruchs wegen sachlicher Unvollständigkeit anordnen können und sollen. Und dafs dies nicht geschehen ist, setzt das einmal erlassene Urteil der Revision aus. Betreffs des ûbergangènen Anspruchs liegt freilich eine Entscheidung überhaupt nicht vor, aber bei Anordnung der Berichtigung hätten auch betreffs der weitern Ansprüche die Geschworenen wieder die Freiheit der Beurteilung gehabt (§ 311), andere Entscheidung also fällen können. Der Spruch und mit ihm das Urteil ist daher nicht gesetzmäfsig. Ob ein Berichtigungsverfahren auch dann einzutreten hat, wenn das Gericht die Befragung versäumt hat und nach Abgabe des Verdikts auf das Versehen aufmerksam wird, mufs an dieser Stelle ungeprüft bleiben 32 . Wie dem sein mag, das Bedürfnis der Urteilsvervollständigung bei nicht berichtigtem Spruch besteht auch in diesem Falle. Die nicht gestellte oder doch nicht beantwortete Frage ist der wieder konstituierten Jury in Fortsetzung der nur teilweise abgeschlossenen Gesamtprozedur noch vorzulegen und die Verhandlung insoweit wieder aufzunehmen (Verlesung und eventuell Feststellung der Frage, §§ 290, 291, Plädoyers der Parteien, Rechtsbelehrung, Kundgebung, Prüfung, Verkündung des Spruchs usw.). Dieses Ergänzungsverfahren ist nicht nur in continenti, sondern innerhalb der Frist des § 228 StPO noch möglich, aber natürlich nur, wenn die Wiederheranziehung der gleichen Geschworenen gelingt. Andernfalls müfste sich das ganze Verfahren einschliefslich der Beweisaufnahme betreffs des noch abzuurteilenden Delikts vor einer neu zu bildenden Jury erneuern 33 . Gegen anderweite Unvollständigkeiten des Verdikts (versäumte Beantwortung einer Nebenfrage usw.) gibt es, wenn einmal das Urteil gefällt und verkündet ist, kein Mittel mehr, wie entsprechend 32 33

Vgl. unten § 54 I 2 g. Vgl. O e t k e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 245.

§

. Die

r u n g des Wahrspruchs.

Unklarheiten, Widersprüche des Verdikts notwendig auf das trotzdem gegebene Urteil übergehen. Sonach ist, wenn von Nichtbeachtung eines Anspruchs in Verdikt und Urteil abgesehen wird, die Urteilsberatung die letzte Gelegenheit zur Prüfung des Spruchs. Wenn nachträglich, nach der Urteilsverkündung noch durch Erklärungen von Geschworenen sich herausstellt, dafs sie die Fragen mifsverstanden hatten oder dafs ihre Antworten in anderem Sinne gemeint waren, als das Gericht sie aufgefafst hat, so ist, möchten auch bei rechtzeitigem Hervortreten der Irrung die Voraussetzungen zur Berichtigung zweifellos bestanden haben, eine solche jetzt nicht mehr möglich 34 . Die Unabänderlichkeit des Urteils für das Gericht, die entsprechende positive Bestimmung des Gesetzes (§ 309 Abs. 2), der definitive Verhandlungsschlufs, der die bisherigen Geschworenen nun als blofse Privatleute erscheinen läfst, die zu prozessualen Erklärungen aufser stände sind, stehen entgegen. Kaum der Bemerkung endlich bedarf, dafs nach der Urteilsverkündung eine Kassation des Spruchs ganz unmöglich sein würde. B.

Die Voravissetzungen der

Spruchberichtigung.

Zur Anordnung einer Berichtigung wird erfordert, dafs der festgestellte und verlesene Spruch in sich, in seiner Form oder seinem Inhalte, nicht nur nach Entstehungsweise oder materiellen Grundlagen fehlerhaft sei. Von dem berichtigungsbedürftigen Spruch ist zu unterscheiden der falsch verlesene, der ungültige (durch Protest entkräftete), der rechtswidrig zu stände gekommene und der nur irrige, durch Tat- oder Rechtsirrtum, falsche Beweiswürdigung oder falsche Gesetzesauslegung bestimmte Spruch. Die Berichtigung wird den Geschworenen vom Gerichte aufgegeben. Bei blofsen Formmängeln ist sachliche Änderung ausgeschlossen. Dagegen stellt die Anordnung sachlicher Berichtigung res intégra dergestalt her, dafs die Geschworenen an keinen Teil ihres früheren Spruches mehr gebunden sind 1 . Die Niederschrift des neuen Spruchs ist so zu bewirken, dafs der frühere erkennbar bleibt. 34

Beispiele bei v. T i p p eis k i r c h in Goltd. Arch. Bd. 6 S. 764 f.; v. H y e G l u n e k , Schwurgericht S. 34 f. Vollends unbeachtlich wären Äufserungen, die auf einen Irrtum über die Rechtsfolgen des Spruches (Art der Bestrafung, Strafgesetzanwendung überhaupt) hinwiesen. 1 Die Beseitigung dieses Unterschiedes zwischen formellen und sachlichen Mängeln bezielte ein Antrag R e i c h e n s p e r g e r , d e r — wunderlicherweise — von der Reichsjustizkommission in erster Lesung angenommen wurde, S. 479 f.

462

§ 51. Die Prüfung des Wahrspruchs.

Das Berichtigungsverfahren des Gesetzes ist nicht veranlafst, ja nicht einmal zulässig bei einem blofsen und zweifellosen Schreibfehler in einer den Geschworenen vorgelegten und von diesen mit beantworteten Frage (z. B. „18. Mai" statt „18. März"). Die Geschworenen können in ihrer Antwort und auch noch mündlich bei Abgabe des Spruchs auf den Schreibfehler hinweisen. Vielleicht auch wird das Gericht von sich aus oder durch die Parteien auf das Versehen aufmerksam. Wenn nach der Sachlage das Versehen offenbar war und auch die Geschworenen in ihrer Entscheidung nicht beirren konnte, so genügt völlig, bei Verkündung des Spruchs oder des Urteils den Fehler zu konstatieren und zu berichtigen. Auch in der Urteilsurkunde kann noch die Korrektur vorgenommen werden. Ein Berichtigungsverfahren könnte zu sachlich abweichendem Spruch führen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen solcher Änderung fehlen, und bliebe unschädlich nur, wenn diese Folge nicht eintreten würde, der neue Spruch mit dem alten sich deckte2. Ist hingegen mit der Möglichkeit zu rechnen, dafs der Spruch der Geschworenen der f a l s c h e n Fassung galt, so müssen diese — unter Protokollierung ihrer Erklärung — zu einer Deklaration der Antwort veranlafst werden 3. Erfolgt diese im Sinne der richtiggestellten Frage, so ist der Zwischenfall erledigt. Stellt sich hingegen ein Mifsverständnis bei den Geschworenen oder auch nur bei einigen derselben heraus, so widerspricht von deren Standpunkt aus die Antwort der wahren Bedeutuug der Frage und es ist das Berichtigungsverfahren unvermeidlich. I n zweiter Lesung stellte man auf M i q u e l s Antrag den Entwurf wieder her, Prot. S. 1001. Gegen die Scheidung auch die unhaltbaren Ausführungen F r e u d e n s t e i n s in Goltd. Arch. Bd. 35 S. 375 f. Dais die franz. Jurisprudenz eine präzise Scheidung von formellen und materiellen Mängeln nicht herausgearbeitet hat, vielmehr unter „déclarations irrégulières" bestimmte Fehler der einen und anderen Art zusammenfafst und sie, sowie die décl. contradictoires, incomplètes, obscures wesentlich gleich behandelt (vgl. oben S. 437 Anm. 2), ist, beim Schweigen des code, entschuldbar, aber es kann doch diese Unvollkommenheit nicht uns zum Muster dienen ! Übrigens zeigt sich in der Kontroverse H é l i e , Prat. I nr. 886 — G a r r a u d , Précis de droit crim. nr. 562 (volle Freiheit der Jury in allen Fällen der Berichtigung; ihr Gebundensein an den Inhalt der ersten Antwort bei nur formeller Inkorrektheit), das deutliche Streben, den Gegenstand bestimmt zu erfassen. 2 Vgl. RG 3. Str.-S. R. I I S. 679 f. 3 So auch RG a. a. 0.

§ 52.

Formfehler.

463

Die Voraussetzungen der Berichtigung sind nach dem Gesetz : vorschriftswidrige Form; sachliche Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, innerer Widerspruch des Verdikts. Die Mängel zerfallen also in formelle und sachliche4. Neben Berichtigungen durch die Geschworenen gibt es, was durchgängig übersehen wird, auch solche seitens des Gerichts, bestehend in Ausscheidungen von Spruchteilen. Eine solche Korrektur kann mit Formberichtigung durch die Geschworenen dergestalt in Konkurrenz treten, dafs der Zweck auf dem einen wie auf dem andern Wege erreichbar ist. So bilden die F o r m m ä n g e l den Übergang zu den A u s s c h e i d u n g e n , während zweckmäfsig erst nach diesen die s a c h l i c h e n F e h l e r des Spruchs erörtert werden. § 52. F o r m f e h l e r . Sie ergeben sich aus Nichtbeachtung der gesetzlichen Formvorschriften. Der Spruch ist nach § 307 Abs. 1 vom Obmann neben den Fragen niederzuschreiben und von ihm zu unterzeichnen. I. Fehlt die Unterschrift des Obmanns, so fehlt die Bekundung, dafs der schriftliche Spruch mit dem festgestellten übereinstimme. Der Mangel der Unterschrift des Vorsitzenden unter den Fragen ergibt nicht einen Spruchfehler. Die Übereinstimmung der geschriebenen mit den verlesenen (festgestellten) Fragen erhellt aus der Vergleichung von Protokoll und Fragebogen. Und durch die Unterzeichnung des Spruchs seitens des Vorsitzenden bekennt sich dieser auch zu den geschriebenen Fragen. Zwar wird hierdurch direkt nur die Verlesung des Spruchs bezeugt, aber es ist 4

Von den früheren deutschen Prozefsgesetzen stimmen in Angabe der Berichtigungsgründe mit StPO überein: Preufs. 1852 Art. 97, 1867 § 339; Hannov. 1850 § 192, 1859 § 198; Kurh. 1848 § 330, 1863 § 164 Abs. 3; Nass. 1849 Art. 183; Oldenb. 1857 Art. 342; Bad. 1864 § 288; Hess.-Darmst. 1865 Art. 383; Württ. 1868 Art. 384; Sachs. 1868 § 85 Abs. 1; Hamb. 1869 § 220; Brem. 1870 § 515. Braunschw. 1849 § 147 nennt neben Formwidrigkeit Dunkelheit und Widerspruch. Formelle Fehler sind nicht erwähnt in Bay. 1848 Art. 196 („unvollständig oder sich widersprechend"); Darmst. 1848 Art. 186; Württ. 1849 Art. 169; Thür. 1850 Art. 294; Bad. 1851 § 100 Abs. 4; Frankf. 1856 Art. 252. Auch Österr. § 331 führt nur die materiellen Spruchmängel (Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, innerer Widerspruch) an; vgl. dazu U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 671 f.

464

§ 52.

Formfehler.

eben zu verlesen der Spruch, der auf dem vom Vorsitzenden den Geschworenen übergebenen Fragebogen enthalten ist. Übrigens kann die Unterschrift unter den Fragen stets, auch nach Beendigung der Verhandlung noch nachgeholt werden 1 . Sind einzelne Antworten vom Obmann unterschrieben, andere nicht, so können die letztern nicht als authentisch gelten 2 . Aber es ist einmalige Unterschrift unter der letzten Antwort auf alle vorangegangenen mit zu beziehen3. Die Unterschrift mufs dergestalt unter die Antworten gesetzt sein, dafs ihre Beziehung auf den ganzen Spruch unzweideutig erkennbar ist 4 . Zur Unterzeichnung genügt der Zuname des Obmanns, wenn schon danach die Identität feststeht. Sind mehrere Geschworene gleichen Zunamens beteiligt, so mufs der Vorname, eventuell auch Stand oder Gewerbe angegeben sein. Der Beisatz „als Obmann" ist überflüssig 5. Denn die ObmannsEigenschaft ergibt sich aus der Tatsache, dafs der betreffende Geschworene bei Kundgebung des Spruches als Obmann fungiert. Auch das Protokoll braucht nicht die Person des Obmanns zu nennen. Die eigenhändige Niederschrift des Spruchs durch den Obmann ist Instruktionen vorgeschrieben 6, schlechthin wesentlich ist nur die eigenhändige Unterschrift. Es schadet daher — gehörige 1 A . A . K l e i n f e l l e r , Funktionen des Vorsitzenden S. 74; RG 2. Str.-S. E. Bd. 35 S. 467 f. : die Unterzeichnung der Fragen müsse in Gegenwart des Angeklagten geschehen, der ein Interesse daran habe, diesen A k t kontrollieren zu können. Allein die Unterzeichnung des S p r u c h s durch den Vorsitzenden geschieht j a stets in Abwesenheit des Angeklagten (§ 308). Und verlesen werden die Fragen so gut wie der Spruch. Wenn RG sich ferner darauf beruft, dafs die Unterzeichnung der Fragen durch den Vorsitzenden ein in Gegenwart des Angeklagten zu bewirkender Hauptverhandlungsakt sei, so ist zu fragen, ob Nichtigkeit anzunehmen wäre, wenn der Vorsitzende den Fragebogen schon unterschrieben in die Sitzung mitgebracht und ihn, nachdem die Verhandlung über die Fragen keinerlei Änderung ergeben, den Geschworenen behändigt hätte? Der Formalismus der Prozedur darf nicht ohne Not noch gesteigert werden. Richtig franz. Kass.-Hof bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 337 nr. 227. 2 Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 8 S. 10 f. 8 RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 201 ; R. I I S. 674. 4 Es schadet also nicht, wenn sie nicht gerade senkrecht unter den Antworten steht (3. Str.-S. R. I X S. 566, 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 43 S. 381). 5 Preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 10, 714 und 16, 284f.; RG 4. Str.-S. E. Bd. 26 S. 214. A. A. v. K r i e s S. 624. 6 Richtig V o i t u s zu § 307 Bern. 1; K e l l e r zu § 307 Bern. 4. A. A. D a l c k e zu § 307 Bern. 1; S t e n g l e i n das. Bern. 1.

§ 52.

Formfehler.

465

Unterzeichnung vorausgesetzt — auch nicht, wenn die Antworten nicht dieselbe Hand zeigen. II. Der Bezug einer Antwort auf eine bestimmte Frage wird dem Gesetz durch das räumliche Nebeneinander beider garantiert. Daher Berichtigung, wenn eine Antwort unter oder über die Frage oder etwa alle Antworten zusammen neben oder unter die letzte der beantworteten Fragen gesetzt wären. Gegenüber einer in Gliedfragen zerlegten Frage — Mehrheitsfrage, kumulative Einheitsfrage, Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion, zusammengesetzte Einheitsfrage — genügt, wie bei der Kundgebung, so auch bei der Niederschrift des Spruches zur Bejahung und Verneinung der Frage im Ganzen, also sämtlicher Fragglieder, e i n Ja, e i n Nein der Geschworenen. Zweckmäfsig ist, dieses eine Ja usw. mit der Gesamtfrage äufserlich so zu verbinden, dafs seine Relation auf alle Fragglieder erhellt Aber sollte dies auch unterblieben sein, so müfste doch die Antwort, wenn sie nur, wie vorgeschrieben, neben die Gesamtfrage gesetzt ist, auf alle Fragglieder bezogen werden 7. Es kann nicht verlangt werden ein mehrfaches Ja im geschriebenen Spruche, während für die Kundgebung zweifellos e i n Ja nach Verlesung der Gesamtfrage genügt. Doch wird der Vorsitzende für befugt zu erachten sein, vom Obmann zu erfordern, dafs der Bezug eines Ja oder Nein auf alle Glieder einer Gesamtfrage — durch einen Verbindungshaken — äufserlich erkennbar gemacht werde, obwohl eine rechtliche N o t w e n d i g k e i t für eine solche Markierung nicht besteht. I I I . Unbeglaubigte Ausstreichungen und Einschaltungen bedingen nicht notwendig Berichtigung der betreffenden Antworten 8 . Aber es kann der Vorsitzende die Beglaubigung der Streichung usw. vom Obmann verlangen, oder, wenn ein eingeklammerter Spruchteil mit verlesen wurde, neue Niederschrift der Antwort unter Weglassung der Klammern. Denselben Wert aber hat eine ausdrückliche Angabe des Protokolls über Mitverlesung des eingeklammerten Passus, über Auslassung der gestrichenen oder eingeklammerten Stelle bei der Kundgebung zusammen mit der Tatsache, dafs keiner 7

So auch RG 1. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 50 S. 277. Übereinstimmend die treffend begründete Entsch. des 1. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 49 S. 263. Vgl. auch § 419 ZPO, wonach der Einflufs solcher Korrekturen auf die Beweiskraft einer Urkunde nach freier Überzeugung des Gerichts zu beurteilen ist. 8

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

30

466

§ 52.

Formfehler.

der Geschworenen eine Abweichung von den festgestellten Beschlüssen behauptet hat. Nur in Ermangelung besonderer Konstatierung im Protokoll würde die früher entwickelte Auslegungsregel entscheiden, wonach gestrichene Worte und solche eingeklammerte Stellen, die materiell nicht parenthetisch verstanden werden können, als nicht verlesen (von der Bekundung der Verlesung nicht mit umfafst), anderweite Parenthesen als verlesen zu gelten haben9. Aber es sollte füglich einer derartigen mifslichen Interpretation niemals bedürfen. Weist der Spruch eine gestrichene und unterpunktierte Stelle auf, so mufs — beim Schweigen des Protokolls — angenommen werden, dafs sie mit verlesen worden sei. Aber es ist gewifs durchaus zu empfehlen, dem Obmann neue Niederschrift aufzugeben. Frühere Prozefsordnungen erklärten öfters unbeglaubigte Streichungen, Einklammerungen, Einschaltungen im Spruche für unzulässig 10 . Ebenso Österr. § 329 Abs. 3. Das ist im Reichsrechte nicht geschehen und daher die Anordnung formeller Berichtigung zwar zulässig, aber nicht geboten. Da der gleiche Zweck auch durch Protokollierung erreichbar ist, so kann die Beglaubigung durch den Obmann im Spruche nicht für wesentlich erachtet werden 11 . Die Entbehrlichkeit der Beglaubigung durch den Obmann ist besonders dann klar, wenn eine ganze Antwort ausgestrichen oder eingeklammert und die anderweite Antwort auf die gleiche Frage darunter (und noch neben die Frage) gesetzt ist. Die Beglaubigung der letztern Antwort durch den Obmann liefert hier zugleich die Beglaubigung der Streichung, da doch die Geschworenen nicht zwei Antworten auf dieselbe Frage haben geben können. Zumal, wenn noch die Erklärung des Obmanns hinzukommt, dafs durch 9 Vgl. oben S. 427. Dort ist auch dargelegt, dafs eine Differenz zwischen Verlesung und Niederschrift nicht bleiben darf, wie solche vorliegen würde bei Mitverlesung gestrichener usw. Stellen. 10 Hess.-Darmst. 1848 Art. 183, 1865 Art. 379, Hess.-Homb. 1850 Art. 146, Frankf. 1856 Art. 249, Oldenb. 1857 Art. 337, Bad. 1864 § 286 Abs. 2, Sachs. 1868 § 81 Abs. 3, Württ. 1868 Art. 379 Abs. 2, Brem. 1870 § 508. Ähnlich die franz. Praxis ( S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 349 nr. 18 f.), der code schweigt. 11 A. A. L ö w e - H e 11 w e g zu § 307 Bern. 2 a ·, D a 1 c k e, Fragestellung S. 138. Der franz. Kass.-Hof hat mehrfach entschieden, dafs die fehlende Beglaubigung ersetzt werde durch die Angabe des Protokolls über Mitverlesung eingeschalteter Worte, so 16. Aug. 1873 D a l l o z , Recueil 73. 1. 448.

§ 52.

Formfehler.

467

die Einklammerung oder Streichung die Antwort als irrtümlich niedergeschrieben habe bezeichnet werden sollen 12 . IV. Das Gesetz schreibt für die Antwort der Geschworenen die Form „Ja" oder „Nein" — unter Zulassung teilweiser Bejahung, teilweiser Verneinung —, für die Angabe des Stimmenverhältnisses, soweit es deren bedarf, die Form „mit mehr als 7 Stimmen", „mit mehr als 6 Stimmen" vor, §§ 305, 307 Abs. 2. Ein anderer Wortlaut, der zweifellos denselben Sinn hat, z.B. „Schuldig", „Nichtschuldig", „mit über 7 Stimmen" ist immerhin formell nicht korrekt. Zu weit aber ginge die Annahme, dafs der Gesetzgeber nur beim Gebrauch der vorgeschriebenen Formeln den entsprechenden Sinn der Antwort als feststehend erachte. Die Formenstrenge des schwurgerichtlichen Verfahrens noch zu übertreiben, ist wahrlich nicht veranlafst. „Schuldig" statt „Ja" ist nicht eine sachlich undeutliche Antwort, die unter Freigabe der Spruchänderung im ganzen von den Geschworenen zu berichtigen wäre 18 . Das Gericht kann jedoch verlangen, dafs die gesetzliche Form gewahrt werde, und daher entsprechende formelle Berichtigung anordnen. Es ergibt sich somit ein Gegensatz von o b l i g a t o r i s c h e r und f a k u l t a t i v e r Berichtigungsverfügung. Die unerläfsliche formelle Berichtigung will die Authentizität des geschriebenen Spruchs — durch die Unterschrift des Obmanns — oder seine Beziehung zu den gestellten Fragen — durch Niederschrift der Antworten neben den Fragen — sicherstellen. Ein nicht berichtigter Formfehler dieser Art macht das Verdikt unwirksam 14 . Gehörige Verlesung durch den Obmann kann nicht heilende Kraft haben, da in der Folge das Verdikt allein durch den geschriebenen Spruch repräsentiert wird. Schrift ohne Unterschrift garantiert dem Gesetze nicht die Urheberschaft. Das genaue Verhältnis der Fragen und Antworten mufs aus dem geschriebenen Spruche erhellen, andernfalls bliebe die Bekundung der Verlesung im Protokoll und unter dem Spruche undeutlich. 12

Vgl. RG 2. Str.-S. hei Goltd. Bd. 43 S. 382. Vgl. Z a c k e , Fragstellung S. 139 und die dort angegebenen Entscheidungen; D a l c k e , Fragestellung S. 126; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 344 f. nr. 29. u A. A. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 15 S. 576 f. im Hinblick auf die Unterschrift des Obmanns. Es genüge, dafs das Sitzungsprotokoll die Spruchverlesung ergebe. Das Protokoll beweist aber doch nicht die Übereinstimmung des verlesenen Spruchs mit dem Beschlufs der Geschworenen. 30* 13

§ 52.

468

Formfehler.

Eine formelle Berichtigung hingegen, die zu fordern das Gericht nur befugt, nicht genötigt ist, kann unterbleiben, ohne die Geltung des Verdikts aufzuheben. Mangel der Beglaubigung einer Streichung usw. schadet nicht, wenn der Umfang der Verlesung aus dem Protokoll hervorgeht. Und formell inkorrekte, sachlich aber genügende Spruchfassung ist taugliche Urteilsgrundlage. VI. Unter keinen Umständen darf das Gericht, wenn eine formell nicht korrekte Antwort verlesen wird, unter Sistierung der weitern Kundgebung alsbaldige Berichtigung anordnen. Denn das Erfordern formeller Berichtigung berechtigt nicht die Geschworenen, ihren Spruch sachlich zu ändern, § 310 StPO., und die Einhaltung dieser Schranke ist vom Gericht zu überwachen. Das Gericht würde sich aber der Kontrolle berauben, wenn es vor Verlesung des ganzen Spruchs und dessen Überreichung durch den Obmann die formelle Berichtigung verfügte. Dafs n o t w e n d i g e formelle Berichtigung erst nach der Verlesung Raum hat, versteht sich, da das Gericht erst aus der Spruchurkunde den Mangel der Obmanns-Unterschrift, die Niederschrift der Antworten an falscher Stelle ersieht. V I I . Nach § 307 Abs. 2 ist das Stimmenverhältnis, soweit es überhaupt der Konstatierung bedarf, nur in der Form auszudrücken, dafs das Vorhandensein der gesetzlich erforderten Mehrheit bezeugt wird. Angabe der genauen Stimmenzahl (mit allen, mit 10 gegen 2 Stimmen usw.) ist daher ein formeller Fehler. Ebenso die Konstatierung, dafs die gesetzlich erforderliche Mindestzahl überschritten sei („mit mehr als 8 Stimmen" usw.) 15 . Da aber eine solche Antwort das Stimmenverhältnis zugleich in gesetzentsprechender Weise kenntlich macht, so ist eine Berichtigung durch die Geschworenen nicht notwendig 16 , vielmehr reicht es aus, wenn der Vorsitzende bei der Verkündung an den Angeklagten die Angabe verbessert. Vorgängiger Gerichtsbeschlufs ist nicht veranlafst — 15

Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 32 S. 372 f. Zweifellos ergibt die Angabe nicht einen Nichtigkeitsgrund, L ö w e H e l l w e g zu § 307 Bern. 5; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 303; v. S c h w a r z e das. Bern. 7; T h i l o Bern. 7; v. B o m h a r d - K o l l e r Bern. 2; D a l c k e , Fragestellung S. 129. Vgl. dazu RG Fer.-S. E. Bd. 11 S. 42 f.; 1. Str.-S. bei Goltd. Bd. 47 S. 297; österr. Kass.-Hof v. 27. März 1885 E. Bd. 8 S. 27 f. Anders das franz. Recht, die Antwort ist berichtigungsbedürftige déclaration irrégulière; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 347 nr. 19, zu art. 350 nr. 41. Denn art. 347 c verbietet die genaue Angabe der Stimmenzahl bei Strafe der Nichtigkeit. 16

§ 53.

Ausscheidungen durch das Gericht.

469

kann doch über die Notwendigkeit der Korrektur kein Zweifel sein —, aber natürlich nicht unzulässig und einem überkorrekten Vorsitzenden vielleicht Bedürfnis. Die Abweichung der Verkündung vom Spruche ist im Protokoll ersichtlich zu machen. Die Reduktion der Angabe auf den gesetzentsprechenden Inhalt ist der Sache nach eine A u s s c h e i d u n g aus dem S p r u c h , d. h. Entfernung eines vom Gesetz nicht gewollten oder gar mifsbilligten Spruchteils. Während in unserem Falle die Ausscheidung auch im Wege des formellen BerichtigungsVerfahrens erreicht werden köunte 17 , gibt es anderweiten unzulässigen Spruchinhalt, dessen Entfernung lediglich Sache des Gerichts ist. Zusammenhängende Erörterung der Ausscheidung durch das Gericht ist geboten und es empfiehlt sich, wie oben schon bemerkt wurde, diese Spruchreinigung der sachlichen Spruchberichtigung voranzustellen. § 53. A u s s c h e i d u n g e n d u r c h das G e r i c h t . Dem Spruch werden zuweilen Zusätze beigegeben, die — durch die gesetzliche Urteilspfiicht der Geschworenen nicht gedeckt — überflüssig oder direkt gesetzwidrig sind 1 . Haben die Geschworenen durch den Obmann das genaue Stimmenverhältnis kundgegeben, so ist, wie dargelegt, wenigstens bei der Verkündung an den Angeklagten die Ausscheidung vorzunehmen. Eine Korrektur des schriftlichen Spruchs durch die Geschworenen würde insofern sachlich ohne Wert sein, als die 17 Das bestreiten mit Unrecht F r e u d e n s t e i n in Goltd. Bd. 33 S. 383; D a l c k e , Fragestellung S. 129. 1 Eine wesentlich andere Bewandtnis hat es mit den Zusätzen, die öfters von den englischen Geschworenen zu ihrem Verdikt gemacht werden. Die Absicht dabei ist vielfach, einen noch gebliebenen Zweifel zur Kenntnis des Richters zu bringen, um so im Wege einer freien Aussprache mit diesem volle Klarheit herbeizuführen. Davon abgesehen aber haben die Geschworenen das Recht zu verlangen, dafs ihr Spruch mit einem die Bejahung oder Verneinung eines einzelnen Tatumstandes enthaltenden Zusatz protokolliert werde. Der Richter hat dann zu erwägen, ob auf einen so gefafsten Wahrspruch hin geurteilt werden kann (eventuell wird vom Richter die an den Ausspruch sich knüpfende Rechtsfrage dem Appellhof vorbehalten; A r c h b o l d , Pleading and evidence p. 197 f.). Unverkennbar enthalten Zusätze der letzteren A r t ein Stück Begründung. Vgl. die interessante Kasuistik bei G l a s e r , Anklage usw. S. 383 f. Bei Freisprechung wegen Geisteskrankheit m u f s dieser Grund im Verdikt angegeben werden, die Regierung erhält dadurch das Recht, den Freigesprochenen auf unbestimmte Zeit zu verwahren (46 u. 47 Vict. c. 38 s. 1 and 2); H a r r i s , Principles p. 460.

470

§ 53.

Ausscheidungen durch das Gericht.

frühere Angabe doch erkennbar bleiben müfste, § 312 StPO, die Spruchurkunde insofern nach wie vor mit ihr behaftet wäre. Völlig überflüssig und bei der Verkündung ebenfalls wegzulassen ist Mitteilung des Stimmenverhältnisses bei einer dem Angeklagten nicht nachteiligen Entscheidung2. Von ungefragten Feststellungen der Geschworenen ist früher eingehend gehandelt worden. Sie wirken entweder als beachtliche Fraganträge oder sie ergeben einen sachlichen Mangel des Spruchs und bedingen daher das Berichtigungsverfahren oder sie sind Überschreitungen der Geschworenenkompetenz, Schuldfeststellungen ohne Anklage, im Widerspruch mit dem Gesetz (Annahme eines Qualifikations-, Privilegierungsgrundes ohne gesetzliche Grundlage), ungefragte Bejahung mildernder Umstäude, Konkretisierungen der Tat über die Frage hinaus. Die in der letztern Alternative zusammen gefafsten unter sich wesentlich verschiedenen Zusätze geben Anlafs zu gerichtlichem Ausscheidungsbeschlufs 3 . Dem Angeklagten darf nicht verkündet werden, dafs er einer weitern als der angeklagten Tat schuldig gesprochen sei, dafs eine im Gesetz nicht vorgesehene Qualifikation usw. vorliege, dafs mildernde Umstände angenommen worden seien, obwohl danach nicht gefragt worden war usw. Es darf auch nicht ein derartiges Verdikt in unberichtigter Gestalt zum Bestandteil des schriftlichen Urteils gemacht werden, vielmehr ist der gerichtliche Ausscheidungsbeschlufs auf die Spruchurkunde zu übertragen. Nicht in gleichem Mafse ist Ausscheidungsbeschlufs indiziert, wenn die Geschworene^ nur Konkretisierungsmomente hinzugefügt haben. Und in k e i n e m Falle ist der Beschlufs in dem Sinne wesentlich, dafs sein Unterbleiben die Revision begründen könnte. Revisibel wäre das Urteil, soweit es auf der unzulässigen Feststellung einer weitern Tat, von mildernden Umständen usw. beruhte, und in einen so groben Fehler wird wohl kaum je das Gericht verfallen 4 . Damit ist die Frage bereits beantwortet, ob Ausscheidung durch den Vorsitzenden bei der Ver2 Unrichtig preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 17 S. 528 (Berichtigung sei am Platze). Richtig hingegen daselbst 13 S. 349. I n j e d e m Falle bedurfte es der Ausscheidung der Stimmenangabe nach denjenigen Prozefsgesetzen, die eine solche Konstatierung überhaupt ausschlossen (vgl. oben S. 398 Anm. 3). 8 Vgl. auch oben S. 405 fg. 4 Konkretisierungsmomente vollends könnten nur etwa als Strafzumessungsgründe Einflufs üben und diese Operation ist an sich irrevisibel. Vgl. auch oben S. 409.

§ 53.

Ausscheidungen durch das Gericht.

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kündung ohne vorgängigen gerichtlichen Ausscheidungsbeschlufs einen Anfechtungsgrund ergäbe. Dafs erläuternde und motivierende Zusätze einen sachlichen Spruchfehler anzeigen können und dann zum Berichtigungsverfahren führen, steht fest (vgl. oben S. 458). Es fragt sich nun, wie ohne diese Voraussetzung solche Hinzufügungen zu behandeln sind. Um möglichst deutlich zu sein, setzen die Geschworenen ihrem „Ja a hinzu: „Der Angeklagte ist schuldig" 5 oder gar den ganzen erfragten Tatbestand u. dgl. Oder es werden dem Gesetz zuwider Gründe der Schuldannahme angegeben. Der erstere Fehler ist harmlos. Das Gericht mag nach Befinden den überflüssigen Zusatz streichen oder stehen lassen. Gründe des Wahrspruchs aber dürfen dem Angeklagten nicht mitverkündet werden und sind in der Spruchurkunde zu reprobieren. Die Ausscheidung — durch Beschlufs, auch auf der Urkunde — ist Amtspflicht des Gerichts, das die einmal ausgesprochene Begründung freilich nicht mehr ungeschehen machen, aber sie doch durch Irrelevanz-Erklärung entkräften kann. Eine Prozefspflicht hingegen, deren Nichterfüllung einen Revisionsgrund lieferte, steht nicht in Frage. Das Verdikt als Urteilsgrundlage wird durch die unzulässigen Gründe nicht beeinflufst, somit auch das Urteil nicht. Ein in der Begründung enthaltener Rechtsirrtum kann nicht als kausal erachtet werden. Und absoluter Revisionsgrund ist nach § 377 Z. 7 StPO wohl das Fehlen vorgeschriebener, nicht aber das Vorliegen verbotener Begründung. Sonach würde die widerspruchslose Zulassung der Verdiktsgründe, ihre Herübernahme in die Urteilsurkunde mit der nicht bereinigten Spruchurkunde nicht anders wirken, als wenn ein Gericht in seinen Urteilsgründen unerhebliche Rechtsausführungen, ungehörige Gesetzeskritik brächte, sich auf das politische Gebiet verirrte usw. Sicher ist der Vorsitzende befugt und nach Umständen veranlafst, unzulässigen oder ungehörigen Spruchinhalt alsbald nach der Verlesung zu rügen, wobei gerichtlicher Ausscheidungsbeschlufs vorbehalten bleibt, aber er darf nicht weitere Verlesung inhibieren. Denn der Obmann h a t zu verlesen, was die Geschworenen als Beschlufs festgestellt haben; der Vorsitzende kann nicht wissen, welche Bedeutung weitere Gründe der Geschworenen haben könnten, ob sie nicht als Fraganträge wirken, sachliche Fehler des Spruchs enthüllen würden ; ein Zurückschicken der Geschworenen zur Ver5

Vgl. auch V. K r i e s S. 625.

§ 54.

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Sachliche Mängel.

besserung des Verdikts ist nur im Berichtigungsverfahren aus gesetzlichem Grunde n a c h Verlesung des Spruchs, nie als vorbeugende Mafsregel zulässig. So bleibt denkbar, dafs ein wenig angemessener Verdiktsinhalt zur Verlesung kommt, mit nur nachträglicher Réprimandé des Vorsitzenden und des Gerichts. Die Geschworenen sind eben ein Staatsorgan, dem man, auch wenn es seine Aufgaben und Pflichten verkennt, da wo es zu sprechen hat, nicht den Mund verbieten kann. Es gibt auch überflüssige Feststellungen der Geschworenen, die nicht Spruchzusätze sind. Sie beantworten, ohne sich in Widerspruch mit andern Antworten zu verwickeln, eine Frage, die sich durch den sonstigen Spruchinhalt erledigt hatte 6 . Als Beispiel dient Verneinung der qualifizierenden Nebenfrage nach Verneinung der Hauptfrage. Zu einer Ausscheidung kommt es in solchem Falle nicht. § 54.

Sachliche

Mängel.

Weit wichtiger und häufiger als die Formfehler sind die s a c h l i c h e n M ä n g e l des Spruches. Sie bestehen in Undeutlichkeit , Unvollständigkeit, innerem Widerspruch der Schuldfeststellungen. Ein nur überflüssiger Inhalt macht nicht den Spruch berichtigungsbedürftig. Somit führt auch nicht zur Berichtigung die Inkorrektheit einer überflüssigen Antwort 1 , es müfste denn durch dieses Hinzufügen eine andere Antwort unklar geworden sein. I. Die Erörterung der sachlichen Mängel wird zweckmäfsig zunächst auf den a b s t r a k t e n Fraginhalt, die gesetzlichen Fragmomente beschränkt. 1. Der Spruch ist undeutlich, wenn nach der Fassung der Antworten oder auch der Fragen die Wrillensmeinung der Geschworenen nicht klar erkennbar oder der an sich anzunehmende Sinn einer Antwort durch begleitende Erklärungen desavouiert ist. Würde z. B. auf die Mordfrage geantwortet: ja, doch ist Überlegung nicht erwiesen, so wäre nicht mit der nötigen Bestimmtheit zum Ausdrucke gebracht, dafs Überlegung b e i der A u s f ü h r u n g gefehlt habe. Da eine Auslegung dunkler oder doch nicht ganz klarer Sprüche durch die Richter aus der Seele 6 1

Ygl. unten § 54 I 3 c. H é l i e , Prat. crim. I Nr. 877.

§ 54.

Sachliche Mängel.

der Geschworenen heraus höchst bedenklich sein würde 2 , so ist volle Deutlichkeit zu fordern 8 . Auch Bejahung und Verneinung einer und derselben Frage unter Angabe der für jede Alternative abgegebenen Stimmen („ja mit sieben, nein mit fünf Stimmen") ist ein unklarer Spruch 4 . Die blofse Mitteilung eines Abstimmungsergebnisses ist nicht Entscheidung. Von relevanten Erläuterungen, die in Wahrheit die Antwort doppelsinnig machen, war früher die Rede 5 . Die Undeutlichkeit der Antwort kann durch undeutliche Frage verschuldet sein : ein leider keineswegs seltenes Vorkommnis 6 ! Während A und Β als Mittäter (eines Totschlags ζ. B.) angeklagt sind, lauten die Fragen, ob A mit einem Anderen, Β mit einem Anderen delinquiert habe. Verurteilung beider als Mittäter auf bejahenden Spruch hin wäre dann Verurteilung gemäfs undeutlichem Verdikt, hervorgerufen durch undeutliche Frage. Denn der Andere könnte ja für jeden ein Anderer gewesen sein! Realkonkurrenzfragen bei mehr als zwei Delikten werden ganz regelmäfsig undeutlich gefafst, indem bei Delikt 2, 3 usw. gefragt wird, ob der Angeklagte „durch eine weitere selbstständige Handlung" die Tat begangen habe, also unklar gelassen wird, ob die Selbstständigkeit gemeint ist im Hinblick auf das unmittelbar vorangestellte oder 2 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 17 S. 772; RG 4. St.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 50 S. 116. 3 Ein weiteres Beispiel undeutlichen Verdikts („Meineid: j a mit mehr als sieben Stimmen; wissentlich geleistet: „nein") in RG Entsch. Bd. 2 S. 361 f. und ganz ähnlich in R. X S. 349 f. Vgl. weiter Goltd. 50 S. 116; österr. Kass.Hof v. 28. Febr. 1880 Entsch. Bd. 3 S. 141 f.; v. 9. Febr. 1885 Bd. 7 S. 318f., v. 4. Apr. 1889 Bd. 11 S. 38 f. 4 Vgl. RG E. Bd. 9 S. 108. 5 Vgl. oben S. 456. « Mit Unrecht hat RG 3. Str.-S. R. V I I S. 26 f. undeutliche Frage gesehen in der Fassung: „Ist der Angeklagte schuldig, als Schuldner, welcher seine Zahlungen eingestellt hat" usw. Allerdings bleibt bei dieser Formulierung, wenn nicht der sonstige Fraginhalt Auskunft gibt, das zeitliche Verhältnis von Zahlungseinstellung und Bankbruchhandlung zweifelhaft. Allein es ist wohl möglich, dafs dieser Zweifel durch die Untersuchung nicht gehoben werden konnte; dadurch wird keineswegs die Verurteilung gehindert. Über die Bankeruttfrage in dieser Fassung vgl. oben S. 308 (verdeckte Alternativfrage). Dagegen würde in der Frage „als Schuldner, welcher hatte" die Priorität der Zahlungseinstellung vor der Bankbruchhandlung behauptet sein. I n dem vom RG entschiedenen Falle war die A n t w o r t der Geschworenen undeutlich, weil sie nicht ergab, ob die Priorität der Zahlungseinstellung oder diese selbst verneint sein sollte.

§ 54.

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Sachliche Mängel.

alle vorgängigen Delikte 7 . Man trägt aber gar kein Bedenken, durch ein entsprechendes bejahendes Verdikt Realkonkurrenz aller erfragten Delikte unter einander als festgestellt anzusehen. Die Antwort ist auch dann unklar, wenn die Fragvoraussetzung, das Verhältnis der Hilfs- usw. -Frage zur Hauptfrage, unklar angegeben war 8 . 2. Der Spruch ist unvollständig, wenn eine Antwort die Frage nicht erschöpft oder in der Frage gesetzliche Merkmale fehlen oder die Frage so gestellt ist, dafs eine bestimmte Art der Antwort ein unvollständiges Verdikt liefern mufste ; wenn nicht alle Fragen beantwortet sind, die zu beantworten waren, oder nicht alle Fragen gestellt sind, deren es zur Erledigung des Eröffnungsbeschlusses bedurfte; wenn das Stimmenverhältnis dem Gesetze zuwider nicht angegeben ist. a) Die Geschworenen haben bei Teilbejahung und Teilverneinung bestimmte Fragenbestandteile unerledigt gelassen, z. B. auf die Mordfrage geantwortet: „Ja, der Angeklagte ist schuldig, den X getötet zu haben, doch ist nicht erwiesen, dafs er die Tat mit Überlegung ausgeführt hat" und somit über den Vorsatz nichts ausgesagt9. Das Gericht hat die Raubfrage einfach- auf „Gewalt" 7

Vgl. oben S. 134. Ein Beispiel in E. Bd. 7 S. 434 f. (die Hilfsfrage war mit „eventuell" an die Hauptfrage angeknüpft). 9 Ein solcher Spruch ist nicht sich widersprechend. Denn das „Ja" wird durch die positive Angahe, der Angeklagte habe den X „getötet", authentisch interpretiert und kann daher nicht auf die nichterwähnten Tatmomente (Vorsatz) mitbezogen werden, in welchem Falle allerdings in der dem Ja unmittelbar folgenden beschränkteren Feststellung (Tötung ohne Vorsatzangabe) ein Widerspruch läge. Würde hingegen die Antwort lauten: „Nein, der Angeklagte hat zwar den X getötet, doch ist nicht erwiesen, dafs er die Tat mit Überlegung ausgeführt hat", so wäre sie allerdings widerspruchsvoll. Denn die Verneinung lediglich der Überlegung war Grund nicht zur Verneinung, sondern nur zu beschränkter Bejahung der Frage. Das Nein ist hier ein durch die getroffene negative Feststellung nicht gedecktes Schlufsergebnis. Der Widerspruch wird nicht dadurch gehoben, dafs die dem Nein folgende positive Feststellung für sich allein zur Bejahung nicht führen konnte. Noch klarer läge der Widerspruch zutage bei der Antwort: „Nein, es ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte die Tat mit Überlegung ausgeführt hat". Ein ferneres Beispiel einer Unvollständigkeit im Sinne des Textes in RG Entsch. Bd. 7 S. 194 f. Sehr interessante Fälle von Unvollständigkeit bei O p p e n h o f f 13, 582f. und 16, 110 f. Die Geschworenen verneinten die Kausalität einer Verletzung für den Tod des Verletzten nicht schlechthin, sondern nur, „dafs die Ver8

§ 54.

Sachliche Mängel.

statt auf „Gewalt gegen die Person" gestellt: das entsprechende Verdikt ist unvollständig wegen Unvollständigkeit der Frage 10 . Unvollständige Beantwortung der Hauptfrage ergibt auch dann unvollständigen Spruch, wenn eine strafaufhebende Nebenfrage von den Geschworenen bejaht worden ist, denn nur auf der Grundlage voll beantworteter Hauptfrage besteht die Nebenfrage 11. b) Eine Unvollständigkeit kann der Hauptfrage, kann der Hilfsfrage anhaften. Die Wirkung ist die gleiche. Gesetzwidrig gefafste Hilfsfrage nimmt den Geschworenen die Möglichkeit, entsprechendes Verschulden dem Gesetz gemäfs festzustellen. Die Verbindung von Haupt- und Hilfsfrage ist aber bestimmt, die Geschworenen zu vollgenügender Bejahung des einen oder anderen Tatbestandes zu befähigen (falls nicht die Verneinung beider am Platze ist). Der Fehler der Hilfsfrage kann daher nicht als saniert gelten durch glatte Bejahung der vorangestellten Hauptfrage, obwohl nun äufserlich betrachtet der Spruch an Unvollständigkeit nicht leidet. Es kann keinen sachlichen Unterschied begründen, ob die Hilfsfrage den ersten Platz hatte und unter ihrer Verneinung die Hauptfrage bejaht usw. worden ist oder die Hauptfrage voranstand und wegen ihrer Bejahung die Hilfsfrage nicht mehr zu beantworten war. Die Nichtantwort ist im letzteren Falle letzung u n b e d i n g t den Tod zur Folge gehabt habe," „dafs der Tod durch die Mifshandlung a l l e i n eingetreten sei". Damit war die Kausalität im Zweifel gelassen. Die Geschworenen mufsten aus ihren tatsächlichen Annahmen die relevante Schlufsfolgerung ziehen. Die ausweichende Antwort war unvollständige Antwort. I n dem Falle Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 8 S. 289 f. hatten die Geschworenen auf die Totschlagsfrage geantwortet: „fünf Stimmen j a , sieben Stimmen mit Ausschlufs der feindseligen Absicht"; es blieb daher zweifelhaft, ob diese sieben Stimmen den übrigen Inhalt der Frage bejaht oder verneint hatten. 10 Vgl. auch die Fälle bei Goltd. Bd. 41 S. 124 f. (RG 4. Str.-S.), Entsch. Bd. 13 S. 229 f. (1. Str.-S.) Unrichtig F r y d m a n n , Verteidigung S. 361: das Moniturverfahren sei unzulässig und Freisprechung geboten, wenn nicht die Antwort der Geschworenen an sich unvollständig gewesen sei, sondern in der an sie gestellten Frage ein gesetzliches Merkmal gefehlt habe. Ebenso M a y e r zu § 331 österr. StPO Bern. 93. Dagegen preufs. Ob-Trib. bei O p p e n h o f f 14 S. 298 f. Der franz. Kass.-Hof hat wiederholt verneint, dafs unvollständige Frage durch eine das Fehlende ergänzende Antwort geheilt werden könne, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 346 nr. 25, zu art. 350 nr. 51. 11 Vgl. preufe. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 14, 367 f.

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Sachliche Mängel.

materiell ein Nein. Spruchberichtigung unter Korrektur der Hilfsfrage ist in dem einen, wie dem anderen Falle geboten. c) Die Frage ist niemals erschöpft trotz Feststellung aller gesetzlichen Deliktsmerkmale, wenn nicht auch auf den vorgeschriebenen Frageingang „ist der Angeklagte s c h u l d i g ? " mit Ja geantwortet wurde. Andernfalls läge ein S c h u l d i g verdikt (ein Generalverdikt) nicht vor, vielmehr nur ein dem Gesetz unbekanntes Spezialverdikt. d) Ein eigenartiger, bisher ganz übersehener Fall der Verdiktsunvollständigkeit ergibt sich, wenn die Totschlagsfrage unter Verneinung der Negative, dafs die Tat ohne Überlegung ausgeführt worden sei, bejaht worden ist. Diese Teilverneinung steht, wie jede andere, den Geschworenen frei, § 305 Abs. 2 StPO. Aber es kann natürlich nicht durch teilweise Verneinung der Totschlagsfrage ein schwereres als das erfragte Delikt, nämlich Mord festgestellt werden. Die Negative — Mangel der Überlegung — ist Tatbestandsmerkmal des Totschlags, nicht Privilegierungsgrund und gilt nur, wenn sich mindestens acht Stimmen dafür erklärt haben, während ein Privilegierungsgrund umgekehrt nur mit mindestens acht Stimmen verneint werden könnte. Die Totschlagsfrage stellt die Geschworenen nur vor die Entscheidung Totschlag — Nichttotschlag, mit der Mordfrage ist auch die Alternative Mord — Totschlag aufgeworfen. Die Wahl zwischen Mord und Totschlag aber ist zu Gunsten des Letzteren schon dann vollzogen, wenn fünf Geschworene den Mangel der Überlegung annehmen. Daraus folgt mit voller Sicherheit, dafs Totschlag nicht nur dann gelten kann, wenn mindestens acht Geschworene den Überlegungsmangel bejaht haben, Mord nicht daraus abgeleitet werden kann, dafs sich nicht acht Stimmen zum mindesten auf Überlegungsmangel vereinigt haben und daher diese Negative der Totschlagsfrage verneint werden mufste. Der Spruch: „ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte die Tötung nicht mit Überlegung ausgeführt hat", ist also u n v o l l s t ä n d i g e s Verdikt. Es ist damit zwar der Totschlag zunächst verneint, aber das dem Totschlag und Mord gemeinsame Gattungsdelikt der vorsätzlichen Tötung bejaht ohne Feststellung von Mord. Da die vorsätzliche Tötung entweder Mord oder Totschlag sein mufs, so sind die Geschworenen in Einleitung des Berichtigungsverfahrens vor diese Alternative zu stellen, indem ihnen nunmehr die Mordfrage, in der notwendig die Totschlagsfrage mit enthalten ist, vorgelegt wird. Dem Eröffnungsbeschlufs entsprechend war nach Totschlag gefragt worden, die Mordfrage

§ 54. Sachliche Mängel.

ersetzt diese Hauptfrage, ist qualifizierte Hilfsfrage. Es ergibt sich so in Ergänzung der früher bestimmten Hilfsfrag-Voraussetzungen ein vierter Anlafs zu solcher Befragung: anders nicht zu behebende Verdiktsunvollständigkeit 12 . In der Verneinung des Überlegungsmangels einen Antrag der Geschworenen auf Vorlegung der Mordfrage zu finden, wie wenn die Geschworenen durch unerfragten Verdiktszusatz ein Fragverlangen bekundet hätten, wäre willkürlich. Es liegt in der Tat eine selbstständige weitere Hilfsfragvoraussetzung vor. Die nun gestellte Mordfrage wird glatt bejaht, wenn mindestens acht Geschworene Überlegung annehmen, wird andernfalls unter Verneinung der Überlegung bejaht, womit dann Totschlag in voll genügender Weise festgestellt ist. Dafs ursprünglich der Überlegungsmangel verneint, nachher bejaht wurde, hat nur auf den ersten Blick etwas Auffallendes: die Geschworenen befinden sich eben gegenüber allein gestellter Totschlagsfrage in ganz anderer Situation, als wenn sie mit der Mord-, Totschlagsfrage befafst sind. Die Negation des Überlegungsmangels im ersteren Falle kann unmöglich als positive Feststellung der Überlegung wirken. Bemerkenswert ist der ganze Vorgang noch insofern, als er zeigt, wie unter Umständen eine Verdiktsunvollständigkeit entstehen kann ohne Schuld des Gerichts, das sich streng an den Eröffnungsbeschlufs gehalten hat, und ohne Schuld der Geschworenen, die korrekt geantwortet haben und nicht veranlafst waren, die Stellung der Mordfrage zu beantragen, wenn bei ihrer Abstimmung zur Totschlagsfrage der Mangel einer für die Mordannahme ausreichenden Mehrheit sich ergeben hatte. e) Unvollständigkeit der Antwort kann auch verschuldet sein durch ein P l u s von Fragmomenten. Das Gericht hat im Widerspruch mit dem Gesetz oder doch mit der Fassung des Gesetzes weitere Tatbestandsmerkmale in die Frage aufgenommen. Wird eine solche Frage einfach bejaht, so ist damit der Fehler geheilt, das Delikt nach seinen gesetzlichen Momenten jedenfalls festgestellt. Bejahung unter Verneinung der fälschlich mit erfragten Momente ist zu akzeptieren, wenn der Zusatz auch materiell überflüssig, durch den Deliktsbegriff, nicht nur durch die gesetzliche Fassung erübrigt war. Entspricht hingegen der verneinte Zusatz, z. B. der Vorsatz, dem Deliktsbegriff, während ihn nur das Gesetz nicht mit aufgenommen hat, so ist das Verdikt jedenfalls undeutlich, denn es steht dahin, ob die Geschworenen die Frage überhaupt bejaht 12

Vgl. oben S. 182.

§ 54.

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Sachliche Mängel.

haben würden, wenn ihnen nicht durch die Frage die Verneinung des betreffenden Umstandes frei gegeben worden wäre. Eine glatte Verneinung endlich ist, welchen Charakter die zusätzlichen Momente immerhin haben mögen, nicht die Verneinung des gesetzlichen, sondern eines dem Gesetz gegenüber erweiterten Tatbestandes. Das Verdikt leistet nicht, was es soll, gibt nicht Aufschlufs über die Existenz oder Nichtexistenz des zutreffend gefafsten gesetzlichen Tatbestandes. Ein einzelner Fall entsprechenden Verdiktsmangels infolge falscher Fragfassung ist bei der Lehre von den Alternativfragen erwähnt worden: das Gericht hat die Glieder einer gesetzlichen Alternative, z. B. das Verheimlichen und Beiseiteschaffen von Vermögensstücken bei § 239 Z. 1 KO, in der Frage kopulativ verbunden und es ist diese Frage verneint worden 13 . f. Eingeschränkte Bejahung der Hauptfrage, mit der Hilfsfrage verbunden ist, kommt, wenn unentbehrliche Deliktsmomente verneint wurden und infolgedessen ein strafbarer Tatbestand nicht mehr zurückblieb, tatsächlich dem Nein gleich, dispensiert also nicht von der Beantwortung der Hilfsfrage. Aber leicht kann ein solcher Irrtum bei den Geschworenen entstehen! Ein ähnlicher Fall: Die Geschworenen halten die Anstifterfrage mit Verneinung der Täterfrage für erledigt 1 4 ; sie glauben durch Verneinung der für X gestellten Frage auf gemeinsame Begehung mit Y auch die Schuld des letztern bereits ausgeschlossen zu haben usw. Immer fehlt es hier für eine Frage ganz oder teilweise an der Antwort. g. Die Unvollständigkeit des Verdikts fällt dem Gerichte zur Last, wenn eine Frage nicht gestellt worden ist, die nach dem Eröffnungsbeschlufs gestellt werden mufste. Das Gericht hat einen in diesem Beschlüsse angenommenen Qualifikations- oder Privilegierungsgrund beiseite gesetzt, weil er nach der Verhandlung abfällig geworden sei (worüber doch die Geschworenen zu entscheiden haben!), hat statt Haupt- und Hilfsfrage lediglich e i n e , der Tatgestaltung nach Mafsgabe der Verhandlung entsprechende Frage gestellt, hat vergessen, nach der Einsicht des jugendlichen Angeklagten zu fragen 15 , hat bei einer grofsen Zahl realkonkurrierender Delikte eines übersehen usw. In allen diesen Fällen 13 u 15

Vgl. oben S. 297. Beispiel: Entsch. des österr. Kass.-Hofs N. F. Bd. 2 S. 174 f. Ein Beispiel in R. V I I I S. 286 f.

§ 54.

Sachliche Mängel.

mufs unter Nachbringung der fehlenden Frage das unvollständige Verdikt ergänzt werden. Dabei versteht sich, dafs in der Substitution von Haupt- und Hilfsfrage für eine Hauptfrage eine Rücknahme der letztern liegt, so dafs die darauf schon erteilte Antwort in sich zusammenfällt, nicht nur von den Geschworenen gemäfs § 311 geändert werden kann; die Geschworenen müssen vor die Entscheidung zwischen Haupt- und Hilfsfrage gestellt werden. Dagegen wird durch nachträgliche Nebenfrage und durch eine weitere Hauptfrage die erfolgte Beantwortung der Hauptfrage, der weitern Hauptfragen nicht aufgehoben, es steht nur den Geschworenen deren Änderungfrei. Die vergessene Nebenfrage wegen Qualifikations-usw.-Grundes ist jedoch erübrigt, wenn die zugehörige Hauptfrage verneint wurde 16 . Denn in diesem Falle ist trotz der Unvollständigkeit der Befragung das Verdikt vollständig, mit dem Delikt sind die Qualifikationen usw. verneint. Die nachträgliche Nebenfrage wäre für sich allein bedeutungslos; die Zulässigkeit der Abänderung schon gegebener Antworten wird durch neue Frage begründet, kann aber nicht diese begründen. War der Antrag eines Prozefsbeteiligten auf Hilfs- oder Nebenfrage gemäfs den Verhandlungsergebnissen zu Unrecht verworfen worden, so ist vom Standpunkte des Gerichts aus das Verdikt nicht unvollständig, das Urteil aber wegen Ablehnung der Frage der Revision ausgesetzt. Ein den Eröffnungsbeschlufs erledigendes Verdikt ist nicht deshalb sachlich unvollständig, weil das Gericht nach der Verhandlung Anlafs gehabt hätte, eine Hilfsfrage oder Nebenfrage (wegen Qualifikations-, Privilegierungsgrundes, mildernder Umstände) zu stellen 17 . Von dieser Befugnis mufste früher Gebrauch gemacht werden. Auf eine besondere Prozefsgestaltung ist früher hingewiesen worden 18 : das Gericht kommt erst bei der Urteilsberatung zur Rückfallsannahme und es wird nun die Frage nach mildernden Umständen, die vielleicht früher abgelehnt worden war, erheblich; die Nachbringung dieser Frage mufs, auch ohne Antrag, dem Gericht in jedem Falle freistehen, weil die entsprechende Schuldgestaltung, die Rückfallsqualifikation, ausnahmsweise nicht 16

Ein analoger Fall in E. Bd. 19 S. 96 f. (4 Str.-S.). Vgl. RG Fer.-S. R. V I I S. 497 f. Gegenteilig die Rechtsprechung des österr. Kass.-Hofs: 17. Sept. 1881 E. Bd. 4 S. 186 f., 31. Aug. 1885 Bd. 8 S. 125 f., 7. März 1896 Bd. 15 S. 332 f. 18 Vgl. oben S. 223, 224. 17

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Sachliche Mängel.

durch Geschworenenspruch zu entscheiden ist, sondern erst im Urteile des Gerichts festgestellt wird; der Mangel der Frage begründet nicht sachliche Unvollständigkeit, aber, soweit die Frage nunmehr indiziert erscheint, doch Ergänzungsbedürftigkeit des Verdikts; die Geschworenen bleiben an ihren Spruch gebunden und werden nur über die mildernden Umstände noch zusätzlich befragt. h. Zum Inhalt, nicht nur zur Form der Antwort gehört bei allen Schuldentscheidungen, die dem Angeklagten nachteilig sind (§ 262 StPO) und bei Verneinung mildernder Umstände die Angabe des Stimmenverhältnisses (in der durch § 307 Abs. 2 bestimmten Form) A 9 . Die ausdrückliche Konstatierung soll das wirkliche Vorhandensein der erforderlichen Majorität garantieren 20. Bejahung ohne diese Mehrheit wäre in der Tat ein sich widersprechendes Verdikt, der Fehler bliebe aber latent bei Nichtangabe der Stimmenzahl. Die Berichtigung kann daher nicht nur dazu führen, dafs die vermifste Angabe nachgeholt wird, sondern auch die Verwandelung des Ja in ein Nein bewirken. 3. Das Verdikt ist sich widersprechend, wenn eine Antwort für sich einen Widerspruch ergibt oder der Frage gegenüber oder im Hinblick auf eine andere Antwort, und ferner, wenn eine beantwortete Frage ihrerseits an innerem Widerspruch leidet. Eine erschöpfende Kasuistik aller denkbaren Widerspruchsfälle läfst sich nicht geben. Es mufs genügen, durch Beispiele — teils eigener Bildung, teils der Rechtsprechung des Reichsgerichts entnommen — die widersprechenden Antworten genauer zu bestimmen 19

Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 309 Bern. 4; G e y e r S. 766; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 207; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 674, Deutsch. Strafproz. S. 526; R o s e n f e l d S. 387; P u c h e l t zu §§ 309—312 Bern. 7; S t e n g l e i n zu § 309 Bern. 2; D a l c k e das. Bern. 5; M a y e r zu § 331 österr. StPO Bern. 79. Ebenso RG 3. Str.-S. E. Bd. 4 S. 122, R. V S. 66; 1. Str.-S. E. Bd. 21 S. 70; 2. Str.-S. E. Bd. 23 S. 402. A. A. G l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. I S. 304; F r e u d e n s t e i n bei Goltd. Bd. 33 S. 376; B e n n e c k e - B e l i n g S. 565; Y o i t u s zu § 309 Bern. 2; M e v e s S. 181; v. B o m h a r d - K o l l e r zu § 310 Bern. 1; M i t t e r b a c h e r zu § 331 österr. StPO Bern. 3. 20 Ist im Falle teilweiser Bejahung der Hauptfrage die Feststellung dem Angeklagten in der Tat nicht nachteilig, indem ein strafbarer Tatbestand nicht restiert, so kann in Nichtangabe des Stimmenverhältnisses eine Unvollständigkeit nicht gesehen werden. Ob die Geschworenen das teilweise Ja für nachteilig erachtet haben, entscheidet nicht, vielmehr, ob es wirklich nachteilig ist. Vgl. den Fall RG E. Bd. 10 S. 315 f. (1. Str.-S.); auch T h i l o zu § 307 Bern. 6.

§ 54.

Sachliche Mängel.

und nach Bedarf von nur überflüssigen Verdiktszusätzen zu unterscheiden. a. Ein Widerspruch liegt in einer Antwort, die ganz oder in bestimmten Teilen die Frage zugleich bejaht und verneint. Die Geschworenen nehmen z. B. statt Kindsmords fahrlässige Tötung an und antworten nun auf die Kindsmordsfrage, statt sie einfach zu verneinen: „Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs die Angeklagte ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich getötet h a t " 2 1 ; der Nachdruck soll dabei auf „vorsätzlich" liegen. Sie hätten Hilfsfrage auf fahrlässige Tötung begehren sollen und mögen das nun im Berichtigungsverfahren nachholen (§ 311 Abs. 2), wenn das Gericht nicht schon von Amtswegen die Frage stellt. Keineswegs ist ein solcher Widerspruch auch zu finden in Bejahung der Hauptfrage unter Verneinung wesentlicher Tatmomente. Eine Antwort dieses Inhalts ist den Geschworenen in § 305 Abs. 2 ausdrücklich gestattet. Restiert trotz der teilweisen Verneinung ein strafbarer Tatbestand, so ist dieser einwandfrei festgestellt. Andernfalls hätten die Geschworenen die Frage im ganzen verneinen köunen. Aber es ist kein Widerspruch, dafs sie in Form einer beschränkten Bejahung gewisse zur Verurteilung nicht hinreichende Tatmomente festgestellt haben 22 . Dagegen ist nicht zuzulassen ein Nein unter Bejahung von Fragmomenten. Es wird z. B. auf die Mordfrage geantwortet: „Nein, doch hat der Angeklagte den X vorsätzlich getötet". Diese Fassung enthält eine Schuldbejahung auch nicht teilweise, nur die Feststellung bestimmter e i n z e l n e r Tatumstände, während ein Ja mit folgender teilweiser Verneinung eine abgeschwächte Schuldbejahung ausspricht. Das eingeschränkte Nein ist mifsverständlicher Ausdruck für ein eingeschränktes Ja, bringt in keinem Falle, mögen mehr oder weniger Tatmomente bejaht sein, die Schuldauffassung der Geschworenen zu brauchbarem Ausdruck und ist daher als u n d e u t l i c h e s Verdikt zurückzuweisen. Es wird öfters zugleich ein s i c h w i d e r s p r e c h e n d e s Verdikt sein, wenn nämlich die Geschworenen in der Tat — was aus der Antwort niemals 21 Ganz ähnlich der Tatbestand in Entsch. Bd. 34 S. 413 f. Vgl. ferner 1. Str.-S. R. V I I I S. 254 u. S. 600. Weitere Beispiele von Bejahung und Verneinung zugleich: Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 1 S. 223 f., Bd. 7 S. 321 f., 15 S. 120 f.; Entsch. des franz. Kass.-Hofs bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 350 nr. 67 f. 22 Vgl. oben S. 400 Anm. 5.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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hervorgeht — ein r e l e v a n t e s V e r s c h u l d e n angenommen und trotzdem die Schuld verneint haben 23 . Widerspruchsvoll ist die Antwort ferner dann, weun das angegebene Stimmenverhältnis zu gegenteiligem Entscheid hätte führen müssen (Bejahung einer Schuldfrage, Verneinung eines Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrundes mit 7 oder „mit mehr als 6 Stimmen", wobei die gerichtliche Verdiktsprüfung von der Siebenzahl auszugehen hat, Verneinung der mildernden Umstände mit 6 Stimmen usw.) 24 . Die Übereinstimmung einer Antwort mit dem Beweisergebnis entzieht sich — vorbehaltlich einer Kassierung des Spruchs aus § 317 — der Nachprüfung des Gerichts. Falsche Beweiswürdigung ergibt nicht ein sich widersprechendes Verdikt 2 5 . Der innere Widerspruch in der Antwort kann auf einem Widerspruch der Frage beruhen. Ein Beispiel ist früher angeführt worden 26 : Das Gericht hat zwei gesetzliche Alternativglieder, die nebeneinander nicht bestehen können, kopulativ erfragt, z. B. die Kindsmordsfrage auf Tötung des unehelichen Kindes „in und gleich nach der Geburt" gestellt und die Geschworenen haben bejaht. b. Der Spruch ist sich widersprechend, wenn er nach seinem Inhalte auf falschem Fragverständnis beruht. Frage und Antwort gehen auseinander, die Antwort trifft eine Frage, die in dieser Gestalt nicht vorlag, von den Geschworenen nur unterstellt wurde. Der Irrtum der Geschworenen kann sich auf ein einzelnes Fragglied, kann sich auf das Verhältnis der Fragbestandteile zueinander beziehen (bei alternativer Frage). a. In ersterer Hinsicht steht, da die konkreten Fragmomente zunächst aufser Betracht zu bleiben haben, nur zur Erörterung Mifsverständnis eines erfragten gesetzlichen Tatumstandes. Hinter dem einfachen „Ja" oder „Nein" des Wahrspruchs kann stets eine falsche Gesetzesauslegung sich bergen, vielleicht auch 23 Von vornherein widersprechend ist das Verdikt, wenn noch hinzugesetzt wurde, es sei die Überlegung nicht erwiesen. Es mufs dann angenommen werden, dafs nur aus dem letzteren Grunde, also nicht wegen Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten, Notwehr usw. die Schuld verneint worden ist, und das ist ein Widerspruch. Vgl. oben S. 474 Anm. 9. 24 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 4 S. 278; 3. Str.-S. R. I V S. 315; 4. Str.-S. E . Bd. 14 S. 298 f. 28 Vgl. auch RG 3. Str.-S. E. Bd. 6 S. 318 f. 26 Vgl. oben S. 297.

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durch begleitende Erklärungen von Geschworenen zu tage treten· Aus diesem Grunde ist aber die Antwort nicht der Frage, nicht sich, sondern n u r dem Gesetz widersprechend. Den Geschworenen ist überlassen, das Gesetz auszulegen, es kann aber nicht angenommen werden ein Spruch, der Mifsverständnis eines erfragten gesetzlichen Tatumstandes d u r c h p o s i t i v e o d e r n e g a t i v e F e s t s t e l l u n g als k a u s a l f ü r d i e S c h u l d b e u r t e i l u n g zum A u s d r u c k e b r i n g t 2 7 . Ein derartiges Verdikt widerspricht durch seinen Inhalt, i n f o l g e A u f n a h m e j e n e r F e s t s t e l l u n g , der Frage, die von den Geschworenen anders verstanden worden ist, als sie verstanden werden mufste. Beispiel 28 : Die Geschworenen antworten auf die Diebstahlsfrage „nein, der Angeklagte hat nicht in gewinnsüchtiger Absicht gehandelt". Da unmöglich unterstellt werden kann, die Geschworenen hätten sich über das erkannte Gesetz bewufst hinweggesetzt, weil es ihnen im konkreten Fall ungerecht erschienen wäre, so mufs angenommen werden, entweder dafs sie neben der Absicht rechtswidriger Zueignung noch eine gewinnsüchtige Absicht für erforderlich gehalten, oder dafs sie, was weit wahrscheinlicher, diese mit jener identifiziert, einem Fragmoment also einen falschen Sinn untergelegt haben. Unter der letztern Voraussetzung widerspricht die Antwort der Frage, die Geschworenen haben einen nicht erfragten Umstand verneint, in der Meinung, er sei ein Fragmoment; undeutlich ist die Antwort in jedem Falle 2 9 . Aber er27

Die Texterörterung modifiziert in einem Punkte den früher gelehrten Satz, dafs Mifsverständnis gesetzlicher Tatbestandsmomente seitens der Geschworenen nicht Spruchberichtigung begründe (vgl. oben S. 457). Es war nicht angängig, in jenem Zusammenhange dem besonderen Fall des Textes mit Rechnung zu tragen. Nur ein Hinweis auf spätere Ausführung konnte gegeben werden. 28 Ergiebiger als die deutsche für den Widerspruchsfall des Textes ist die österreichische Praxis, weil in Österreich häufig die den gesetzlichen Tatumständen entsprechenden tatsächlichen Verhältnisse in die Fragen mit aufgenommen werden und sonach die Verneinung des abstrakten Moments unter Bejahung des konkreten ein Mifsverständnis des ersteren klar ergeben kann. Vgl. die Entsch. des Kass.-Hofs v. 22. Jan. 1881 Samml. Bd. 4 S. 12 f. (die Geschworenen bejahten, dafs dem Angeklagten „als gerichtlich bestellten Sequester" ein Betrag anvertraut worden sei, verneinten Anvertrautsein „infolge besonderen obrigkeitlichen Auftrags"), v. 26. Nov. 1885 Bd. 8 S. 210, v. 30. Jan. 1901 N. F. Bd. 3 S. 122f. (das Anvertrautsein von städtischen Geldern an den Angeklagten „als Kassierer der Stadtgemeinde" wurde bejaht, das Anvertrautsein „vermöge eines öffentlichen Amtes" verneint). 29 Vgl. auch oben S. 403. 31*

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heblich ist diese Undeutlichkeit gerade, weil sie die Möglichkeit eines Fragmifsverständnisses einschliefst. Grund der Berichtigungsverfügung ist also die nach der Spruchfassung als möglich indizierte falsche Auffassung eines Fragmoments infolge falscher Gesetzesauslegung, nicht die letztere als solche. Dafs anderweiter Rechtsirrtum, auch wenn er im Wahrspruch selbst ausgedrückt ist, die Berichtigung nicht begründet, mag an folgendem Beispiel demonstriert werden. In einem Falle, wo nach herrschender Ansicht das Gesetz Erfolgshaftung eintreten läfst, antworten die Geschworenen auf die bezügliche Frage (ob durch die Körperverletzung usw. der Tod des Verletzten verursacht worden): „nein, der Angeklagte hat den Tod des Verletzten nicht voraussehen können". Dieser Wahrspruch ist nicht berichtigungsbedürftig, nur ist bei der Verkündung an den Angeklagten der angegebene Grund wegzulassen. Über die Voraussetzungen der Erfolgszurechnung haben die Geschworenen ohne Intervention des Gerichts zu entscheiden. ß. Enthält einen Widerspruch zur Frage auch die Bejahung einer Alternativfrage unter Verneinung eines Fragegliedes? Für diese Annahme möchte geltend gemacht werden, das Gericht wolle bei solcher Befragung die Alternative nicht gelöst sehen, vielmehr nur wissen, ob der eine oder andere Umstand oder keiner von beiden gegeben sei, es dürften nicht von den Geschworenen Fragen auf jeden Tatumstand besonders fingiert werden. Allein indem das Gericht sich mit alternativer Feststellung (von Gewalt oder Drohung z. B.) begnügt, wird zwar gesonderte Verneinung jedes Fragegliedes, aber nicht die Bejahung des einen unter Verneinung des andern ausgeschlossen30. Die Geschworenen mögen über jedes Frageglied besonders abstimmen, und wenn eines die genügende Mehrheit findet, dieses feststellen, nur setzt die Verneinung der Frage voraus, dafs auch unter Beibehaltung der Alternative eine Mehrheit für „Ja" sich nicht ergeben hat. Eine Feststellung ist nicht deshalb berichtigungsbedürftig, weil sie bestimmter lautet, als verlangt war. Ein Widerspruch zur Frage entsteht hingegen durch teilweise Verneinung eines Alternativgliedes unter Bejahung der Frage im übrigen. Denn damit ist eine nicht erfragte Alternative fest80

Anders O e t k e r in Gött. Gel.-Anz. 1898 S. 627. Im Sinne des Textes auch franz. Kass.-Hof v. 17. Okt. 1895 bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 344 f. nr. 23.

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gestellt. Lehrreich ist der Fall RG(1. Str.S.)Entsch. Bd. 11 S. 103 fg : Die Frage ging auf räuberische Erpressung gemäfs § 255 StGB mit der zulässigen Alternative „durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben". Die Geschworenen bejahten mit der Einschränkung, dafs Leib oder Leben nicht in Gefahr gewesen81. Nach Gewalt gegen eine Person oder Drohungen schlechthin aber waren sie nicht gefragt. Sie hätten, weil sie die erfragte Alternative nicht feststellen konnten und ebensowenig zur glatten Bejahung lediglich eines Alternativgliedes imstande waren, die Frage im ganzen verneinen müssen. Der abgegebene Spruch ist alternative Bejahung einfacher und räuberischer Erpressung, zur Anwendung des Strafgesetzes also schlechthin ungeeignet. Die Geschworenen hätten Hilfsfrage auf einfache Erpressung beantragen sollen. Diese Frage war ihnen in Einleitung des Berichtigungsverfahrens nunmehr unter Wiederholung der Hauptfrage auf räuberische Erpressung vorzulegen. Bejahen endlich die Geschworenen eine Alternativfrage (z. B. auf Verheimlichen oder Beiseiteschaffen von Vermögensstücken in den Bankeruttfällen, auf Tötung des unehelichen Kindes in oder gleich nach der Geburt) kumulativ 32 , also unter Feststellung beider Begehungsmodi zugleich, so entscheidet für die Frage des Widerspruchs, ob die beiden Tätigkeiten nebeneinander gedacht werden können, was beim ersten Beispiele zutrifft, beim zweiten ausgeschlossen ist. c. Am leichtesten verfallen Geschworene in den Fehler, sich in einen Widerspruch mit einer ihrer andern Antworten zu verwickeln. Ein s o l c h e r Widerspruch kann nur aus den Antworten selbst entnommen werden. Begleitende Geschworenenerklärungen können ergeben, dafs Antworten undeutlich sind oder den Fragen widersprechen. Für einen Widerspruch der Antworten untereinander sind nur diese selbst mafsgebend. Es mufs die eine Antwort mit der andern logisch unvereinbar sein. 31 Zutreffende Würdigung des Tatbestandes bei O s t e r n , Alternativität der strafprozessualen Willenserklärungen S. 36 f., 119. Unrichtig D a l c k e , Fragestellung S. 39 Anm. 29, der annimmt, mit der „Gewalt gegen die Person" sei von den Geschworenen räuberische Erpressung genügend festgestellt worden, während doch nur alternativ diese Gewalt oder Drohungen o h n e Lebens- usw. -gefahr bejaht worden waren. 32 Vgl. den interessanten Fall bei O p p e n h o f f 13 S. 12 f.

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Da die Beweisfrage zur Entscheidung der Geschworenen steht, dem Gericht entzogen ist, so vermag dieses auch nicht einen Widerspruch des Verdikts aus dem Grunde der Beweiswürdigung festzustellen, zu rügen, dafs die Geschworenen bei ganz derselben Beweislage die Schuld des X angenommen, die des Y verneint, zu einem Anklagepunkte den X schuldig, zu einem andern ihn nicht schuldig gesprochen haben 08 . Ebensowenig ist ein Widerspruch im Verdikt selbst vorhanden, wenn nach der Sachlage anzunehmen steht, dafs die Geschworenen dieselbe Auslegungsfrage verschiedenen Angeklagten gegenüber in verschiedenem Sinne beantwortet haben. Sollte in einer Antwort ein relevantes Fragmifsverständnis (b) zum Ausdruck gekommen sein, so würde diese der Frage widersprechen und der Berichtigung bedürfen. Nur der offenbare, nicht der latent gebliebene Widerspruch bedingt Berichtigung. Ein Widerspruch ist nicht schon deshalb vorhanden, weil eine Frage beantwortet wurde, die durch eine vorgängige andere Antwort sich erledigt hatte, während die Antworten selbst miteinander vereinbar sind. Das b l o f s e Zuwiderhandeln gegen die im Frageneingang bemerkten Fragvoraussetzungen, ohne dafs ein Widerstreit zwischen den Antworten besteht, nötigt nicht zur Berichtigung. Überflüssige Antwort widerspricht nicht der Feststellung, durch die sie sich erübrigt hat. Widerspruchsgrund ist entweder, dafs die Geschworenen — mit einer grofsen Zahl von Anklagepunkten befafst — bei der spätem Antwort sich die frühere nicht mehr gegenwärtig hielten, oder dafs sie das Verhältnis ihrer Antworten zueinander nicht zu erkennen vermochten. Wiederum kann die Schuld auch auf Seite des Gerichts liegen, indem Fragen gestellt sind, die nicht ohne Widerspruch zugleich bejaht werden können, während Bejahung der einen, Verneinung der andern ein annehmbares Verdikt ergäbe 84. Besonders folgende Widerspruchsfälle verdienen Erwähnung: α. Verneinung der Nebenfrage nach qualifizierenden, privilegierenden, strafaufhebenden Tatumständen neben Verneinung der Hauptfrage ist nicht widersprechend, sondern überflüssig. Die Negativen bestehen nebeneinander. Hat A nicht gestohlen, so hat er auch nicht mittelst Einbruchs gestohlen; hat er nicht Brand 33 34

Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 6 S. 318 f. So der Sachverhalt in R. V I I S. 497 f.

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gestiftet, so hat er auch nicht von ihm gestifteten Brand wieder gelöscht; hat er nicht Überschwemmung gestiftet, so war auch nicht bei der nicht begangenen Tat seine Absicht auf Schutz seines Eigentums gerichtet usw. Es möchte eingewandt werden, die Verneinung mindestens der privilegierenden und der strafausschliefsenden Nebenfrage deute doch auf eine Schuldannahme der Geschworenen hin, die hierdurch in einer gewissen Richtung von ihnen näher bestimmt werde. Diese Möglichkeit ist nicht zu bestreiten, aber unerheblich. Durch Anordnung einer Berichtigung allein würde die vermeintliche Schuldannahme gewifs nicht eruiert werden. Dazu könnte nur etwa die Stellung einer Hilfsfrage führen. Es darf aber nicht ein nicht vorhandener Widerspruch — und bei der glatten Verneinung der Schuldfragen ist ein solcher in der Tat nicht gegeben — lediglich deshalb konstruiert werden, um die Nachbringung einer Hilfsfrage zu ermöglichen. ß. Bejahung der gleichen Nebenfragen dagegen nach Verneinung der Hauptfrage enthält einen Widerspruch 85 . Denn Qualifikationen usw. sind Tatumstände, ihre Annahme setzt also die positive Feststellung einer Tat voraus, bei der sie vorgelegen haben könnten. Bei der glatten Verneinung der Hauptfrage aber fehlt es an einem solchen Substrat. Die Negative und die Affirmative schliefsen einander aus. y) Ein Widerspruch ist auch vorhanden, wenn trotz Verneinung der Hauptfrage noch mildernde Umstände bejaht oder verneint wurden 86 . Denn da sie reine Strafzumessungsgründe sind, so können sie überhaupt nur in Frage kommen nach Bejahung der Schuld. Qualifikations-, Privilegierungs-, Strafaufhebungsgründe treten als vom Gesetz besonders vorgesehene Umstände zu den Tatbestandsmerkmalen des einfachen Delikts hinzu, so dafs nur ihre Bejahung, nicht auch ihre Verneinung mit der Verneinung der Hauptfrage in Widerspruch steht, während mildernde Umstände unfixierte, nur nach richterlichem Ermessen wirksame, das Strafmafs bestimmende Modalitäten eines dem Strafgesetz unterstellten Tatbestandes sind. Dieser Fehler der Geschworenen mag allerdings öfters in Annahme einer Deliktsschuld unter einem anderen nicht erfragten Gesichtspunkt gründen, so dafs anläfslich der Berichtigung nach Verständigung mit den Geschworenen noch eine Hilfsfrage gestellt wird. 36 86

Franz. Kass.-Hof 5. Jan. 1900, D a l l o z , Recueil 1900. 1. 117. Vgl. bereits Z a c k e , Fragstellung S. 157.

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d) Bei teilweiser Bejahung der Hauptfrage ergibt Bejahung oder Verneinung von Nebenfragen niemals einen Widerspruch. Gewifs dann nicht, wenn ein strafbarer Tatbestand restierte. Mögen für die so reduzierte Tat die Schärfungs-, Milderungs-, Strafaufhebungsgründe, mildernden Umstände gesetzlich wirksam sein oder nicht, ihre Feststellung oder Verneinung hat jedenfalls nichts Widersprechendes. Sind sie irrelevant, so gilt: superflua non nocent. Beispiele: Die Raubfrage wurde unter Verneinung der Gewalt bejaht, so dafs Diebstahl restierte 37 , und damit die Bejahung der Nebenfrage nach mildernden Umständen verbunden, obwohl diese bei Diebstahl nicht in Betracht kommen ; Bejahung der Hauptfrage auf Raub mit Waffen unter Verneinung der Qualifikation, Bejahung der Nebenfrage aus § 250 N. 2 StGB 8 8 oder — vielleicht auch zugleich — der Nebenfrage auf mildernde Umstände, beides k o r r e k t 8 9 , Bejahung der Hauptfrage auf qualifizierten Diebstahl unter Verneinung der Qualifikation, Bejahung der Nebenfrage auf mildernde Umstände, obwohl bei einfachem Diebstahl nicht anerkannt usw. Liefs die teilweise Verneinung einen strafbaren Tatbestand nicht zurück, so kann doch immerhin die festgestellte Tat derart sein, dafs bei ihr Umstände denkbar sind, die im Falle der Strafbarkeit qualifizierend, privilegierend, strafaufhebend wirken würden, weshalb deren Bejahung oder Verneinung zwar überflüssig, aber nicht widersinnig ist. Einige Beispiele: es wird die Diebstahlsfrage unter Verneinung der Absicht rechtswidriger Zueignung bejaht und zugleich Wegnahme mittels Einbruchs bejaht oder verneint; es wird auf die Totschlagsfrage hin der Vorsatz verneint 40 , im Übrigen bejaht und zur Nebenfrage Ascendentenqualität des Getöteten bejaht oder verneint; die Frage nach vorsätzlicher Brandstiftung wird bejaht, 37

Realkonkurrenzfragen auf Diebstahl und Nötigung — hilfsweise — waren also nicht gestellt. 38 Über die Zulässigkeit solcher Befragung (Aufnahme einer Qualifikation in die Hauptfrage, einer anderen in eine Nebenfrage) s. oben S. 140. 39 Es müfste denn die Nebenfrage nach mildernden Umständen nur für den F a l l des qualifizierten (nicht auch des einfachen) Delikts gestellt sein. Ihre Bejahung wäre dann überflüssig, nicht widersprechend. Ganz analog der Fall in Goltd. Bd. 49 S. 278 (3. Str.-S.). 40 Die Geschworenen können dabei an fahrlässige Tötung, Körperverletzung mit tödlichem Erfolge usw. gedacht haben.

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wieder unter Verneinung des Vorsatzes 41 , und die Nebenfrage wegen rechtzeitigen Löschens bejaht oder verneint usw. Wurde endlich in Verbindung mit teilweiser Bejahung der Hauptfrage die Nebenfrage nach mildernden Umständen bejaht oder verneint 42 , obwohl in Wahrheit eine strafbare Tat nicht übrig geblieben war, so haben doch die Geschworenen in dem Tatreste ein Verschulden noch angenommen und sich nicht in Widerspruch verwickelt, indem sie unter Voraussetzung der Strafbarkeit nach Befinden des Gerichts über mildernde Umstände sich aussprachen 48. Bejahung der Hauptfrage unter Verneinung der obligatorischen Einsichtsnebenfrage (bei Jugend, Taubstummheit) hat zwar die Wirkung eines Nichtschuldig, ist aber f o r m e l l einer teilweisen Bejahung der Hauptfrage analog, so dafs die verbundene Bejahung mildernder Umstände nicht als widersprechend zu erachten i s t 4 4 . Bei dem bejahten Tatbestand an sich könnten sehr wohl mildernde Umstände vorkommen; weshalb soll ein unschädlich gebliebener Rechtsirrtum der Geschworenen (über die Bedeutung der Einsichtsverneinung) zur Abweisung des Verdikts führen? Ebenso ist zu entscheiden, wenn zugleich ein Strafaufhebungsgrund und mildernde Umstände angenommen wurden 45 . Andererseits kann nicht die Nichtbeantwortung der Nebenfrage nach mildernden Umständen, möchte auch subjektiv, vom Standpunkte der Geschworenen aus, eine Feststellung darüber veranlafst gewesen sein, die Korrektur des Spruches begründen, wenn die teilweise Bejahung der Hauptfrage einem vollen Nein gleichkam 41 Die Geschworenen nahmen Fahrlässigkeit, vielleicht auch blofsen Kasus an. 42 Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 100; 1. Str.-S. E. Bd. 10 S. 317. Zustimmend L ö w e - H e l l w e g zu § 309 Bern. 5. 43 A. A. S t e n g l e i n , Gerichtssaal Bd. 44 S. 413 f.; D a l c k e , Fragestellung S. 131, 251. Richtig schon Z a c k e , Fragstellung S. 152; preufs. Ob.Trib. bei O p p e n h o f f 16 S. 714; auch F r e u d e n s t e i n bei Goltd. Bd. 33 S. 389. 44 Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 27 S. 392 f. Dagegen B e n n e c k e - B e l i n g S. 565 Anm. 10. 45 Vgl. K e l l e r zu § 309 Bern. 4. Allerdings stehen die beiden Ja (zur Hauptfrage und strafaufhebenden Nebenfrage) in der Wirkung gleich der Verneinung der Hauptfrage wegen (nicht besonders erfragten) Strafaufhebungsgrundes. Aber es ist doch infolge der Fragentrennung von den Geschworenen ein Tatbestand festgestellt, der mildernde Umstände zulassen würde; verkannt ist die Tragweite des Strafaufhebungsgrundes. Vgl. auch RG 4. Str.-S. bei Goltd. Arch. Bd. 52 S. 251 (wo freilich fälschlich in Rücktritt vom Versuch ein blofser Strafaufhebungsgrund gefunden wird).

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und daher objektiv die Nebenfrage sich erledigt hatte 4 6 . Das Unterbleiben überflüssiger Feststellung ergibt nicht eine Spruchlücke. ε) Volle Bejahung der Hauptfrage und zugleich der Frage nach mildernden Umständen, obwohl diese nur bei teilweiser Verneinung der Hauptfrage (ζ. B. der auf Mord gerichteten Frage nach Ausscheidung der Überlegung) in Betracht kommen und nur unter dieser Beschränkung erfragt worden sind, ergibt einen Widerspruch 47 . Spontane Feststellung mildernder Umstände durch die Geschworenen gegenüber einem von ihnen angenommenen Tatbestand, der solche nicht zuläfst, wäre als Überschreitung ihrer Zuständigkeit an sich unwirksam, es müfste denn durch begleitende Äufserungen der Geschworenen zweifelhaft geworden sein, ob die Bejahung der Hauptfrage, so wie erfolgt, ihrer wahren Willensmeinung wirklich entspricht 48 . Indem aber die Geschworenen unter Mifsverständnis der Nebenfragvoraussetzung und somit der Nebenfrage selbst ein Delikt, dem mildernde Umstäude fremd sind, und doch mildernde Umstände festgestellt haben, ist der innere Widerspruch ihrer Antworten unverkennbar. Reduktion des erfragten Tatbestandes durch Teilverneinung auf ein mildernde Umstände nicht zulassendes Faktum wird nicht desavouiert in der nachfolgenden Annahme mildernder Umstände (Fall d). Vollbejahung der Hauptfrage hingegen ist, wenn zugleich mildernde Umstände bejaht wurden, obwohl sie nur für den Fall der Teilverneinung, nur für einen entsprechend reduzierten Tatbestand in Betracht kamen, nicht widerspruchsfreie Feststellung des vollen Deliktstatbestandes. ζ) Als Fehlerquelle wirkt zuweilen auch die Verkennung des Verhältnisses von Haupt- und Hilfsfrage. Dafs beide Fragen zugleich uneingeschränkt bejaht werden, kann wohl nur vorkommen, wenn das Gericht versäumt hat, die Hilfsfrage von Verneinung der Hauptfrage ausdrücklich abhängig zu machen. Leichter werden sich Widersprüche in der Gestalt ergeben, dafs die Hauptfrage teilweise bejaht und in einer hiermit unverträglichen Weise auch die Hilfsfrage ganz oder teilweise bejaht wird. Da Haupt- und Hilfsfrage auf idem factum, die Tat des Eröffnungsbeschlusses, gehen, so ist Widerspruch stets vorhanden, wenn die beiden Antworten 46 47 48

Α. A. RG 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 48 S. 306. So auch RG 4. Str.S. E. Bd. 35 S. 283. Vgl. oben S. 456 fg.

§ 54.

Sachliche M ä g e l .

der Geschworenen verschiedene real konkurrierende Fakta ergeben würden. In gesteigertem Mafse bei Feststellung von Tatbeständen, die schon an sich nicht nebeneinander bestehen können (Totschlag, Körperverletzung mit tödlichem Erfolg betreffs derselben Person). Die Geschworenen bejahen z. B. die Hauptfrage wegen Raubes unter Verneinung der Gewalt und dann uneingeschränkt die Hilfsfrage auf Erpressung: das ist Feststellung realer Konkurrenz, während nur nach verschiedenen Gestaltungen einer Handlung gefragt worden ist. Auf die Strafbarkeit der festgestellten Fakta kommt es nicht an, sondern nur darauf, dafs sie verschiedene Handlungen ergeben würden. Beispielsweise ist widerspruchsvoll die Bejahung der Hauptfrage wegen Totschlages unter Verneinung des Vorsatzes und die Bejahung der Hilfsfrage auf Körperverletzung mit tödlichem Erfolg unter Verneinung des letzteren. Denn danach erscheint der Angeklagte als Urheber sowohl des Todes in Annahme von casus oder culpa als einer Körperverletzung ohne Todesfolge: also Realkonkurrenz der beiden Tatbestände, wo doch nur e i n e Handlung in Frage kam. Bei Verneinung auch des Körperverletzungsvorsatzes konkurrierten zwei möglicher Weise straflose Handlungen; es versteht sich aber, dafs der Angeklagte nicht freizusprechen wäre, vielmehr die Berichtigung des fehlerhaften Spruchs veranlafst werden müfste. Anders, wenn die teilweise Bejahung der Hauptfrage gegenüber der gleichzeitigen Bejahung der Hilfsfrage sachlich eine volle Verneinung bedeutet: Hauptfrage wegen Totschlags wird bejaht unter Verneinung des Vorsatzes, Hilfsfrage auf fahrlässige Tötung oder auf Körperverletzung mit Todesfolge voll bejaht usw. Bejahten gar die Geschworenen die Mordfrage unter Verneinung der Überlegung (indem sie vergessen oder für überflüssig gehalten haben, auch den Vorsatz auszuschliefsen) und daneben die Hilfsfrage nach fahrlässiger Tötung, so wäre zugleich vorsätzliche und fahrlässige Tötung von ihnen festgestellt. η) Bisher wurde unterstellt, dafs die mehreren Antworten denselben Beschuldigten betreffen. Ein Widerspruch ist aber bei innerem Zusammenhang der Fragen auch möglich zwischen Antworten, die sich auf verschiedene Beschuldigte beziehen49. Die Schuld kann auch hier an der Befragung liegen. Widerspruch entsteht stets, wenn im Hinblick auf denselben Tatbestand für die 49

Vgl. auch v. B a r , Recht und Beweis S. 281 f.

§ 54. Sachliche Mängel.

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mehreren Angeklagten Tätigkeiten festgestellt werden, die nebeneinander nicht gedacht werden können. Beispiele: X und Y werden — infolge verkehrter Fragestellung — der Anstiftung des Ζ schuldig befunden durch getrennte Anstiftungsakte ohne Feststellung von Mittäterschaft (korrekter : Quasi-Mittäterschaft) bei der Anstiftung 5 0 ; bei X wird wissentlicher Meineid, bei Y Verleitung des X zum objektiv falschen Eide angenommen51, die Geschworenen bejahen die auf Mittäterschaft des X und Y an der Tötung des Ζ gerichteten Fragen unter Verneinung der Gemeinsamkeit, statuieren also mehrere Alleintäterschaften bei einem Verbrechen mit unteilbarem Erfolg usw. Dagegen ist keineswegs notwendig ein Widerspruch die Feststellung, dafs X in gemeinsamer Ausführung mit Y ein Delikt begangen habe und die Verneinung der Schuldfrage für Y 5 2 ; denn durch den ersteren Ausspruch ist zwar die Beteiligung, nicht aber die schuldhafte Beteiligung des Y bejaht. Entsprechend ist mit Verneinung der Täterfrage Bejahung der Anstifter-, Gehilfenfrage 60

Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 13 S. 121 f. Anders (von anderer materieller Rechtsauffassung aus) 2. Str.-S. R. V I I I S. 288 f. 61 Hat X wissentlich falsch geschworen, so kann Y, dessen Wille auf Verleitung zum objektiv falschen Eide ging, nicht wegen vollendeter, sondern nur wegen versuchter Verleitung gemäfs § 160 StGB bestraft werden. Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 11 S. 418 f. 52 Unrichtig RG 4. Str.-S. E. Bd. 20 S. 188 f. und 2. Str.-S. E. Bd. 28 S. 340 f. (der Widerspruch des Verdikts lag hier nicht darin, dafs für den Angeklagten X die Schuldfrage wegen gemeinsam mit Y begangener Körperverletzung bejaht, für den Angeklagten Y die gleiche Frage verneint wurde, vielmehr in der gleichzeitigen Bejahung der für Y gestellten Hilfsfrage auf Beteiligung an einem von mehreren gemachten Angriff, durch welchen der Tod eines Menschen verursacht worden sei). Widerspruch nehmen an H. M e y e r in v. Holtz. H a n d b . I I S. 208; v. K r i e s S. 629. Widerspruch verneinen V o i t u s zu § 309 Bern. 3 (aus freilich unstichhaltigen Gründen); B e n n e c k e - B e l i n g S. 565. Vgl. auch oben S. 128. In dem Falle bei O p p e n h ο f f 15 S. 489 f. war für X angenommen Giftmord in Gemeinschaft mit Y, für letzteren das Verbrechen der Vergiftung mit Todesfolge nach § 229 Abs. 2 StGB. Das Ob.-Trib. hat Widerspruch verneint und mit Recht, denn die Gemeinschaftsannahme als solche enthält nur die Feststellung, dafs die für den Tod kausale Handlung gemeinsam begangen wurde, wobei der eine in dolo, der andere in culpa gewesen sein kann. Vgl. noch O p p e n h o f f 15 S. 305 f. (kein Widerspruch, wenn im Falle sog. notwendiger Teilnahme der eine für schuldig, der andere für nichtschuldig erklärt wird). Aus der Rechtsprechung des österr. Kass.-Hofs: E. Bd. 4 S. 258, Bd. 7 S. 263 (Widerspruch verneint).

§ 54. Sachliche Mängel.

vereinbar. HaftuDg wegen Anstiftung, Beihilfe ist möglich, wenn der Täter ohne Wissen des Anstifters, Gehilfen zurechnungsunfähig usw. war 5 3 . Ein Widerspruch liegt ferner nicht darin, dafs ein Mittäter unter Annahme, der andere unter Ausschlufs erschwerenden Umstandes schuldig befunden wurde 54 , da die Haftung sehr wohl eine in diesem Sinne verschiedene sein kann. Verneinung der Schuldfrage für den angeblich Begünstigten und Bejahung derselben für den Begünstiger ist im Falle der persönlichen Begünstigung stets widersprechend. Sachliche Begünstigung bleibt strafbar, auch wenn ein eigentlicher Straf- (nicht Schuld-)Ausschliefsungsgrund beim Täter vorliegt 5 5 . In diesem Falle k ö n n t e also die Feststellung widerspruchsfrei sein. Nicht selten besteht die Schwierigkeit, dafs, jenachdem die eine oder andere Schuldauffassung der Geschworenen unterstellt wird, die mehreren Antworten einen Widerspruch enthalten oder nicht. Hat nun das Gericht stets von derjenigeu Annahme auszugehen, die den Widerspruch beseitigt 56 ? Dafür liefse sich geltend machen, dafs die Schuldfrage zur Kognition lediglich der Geschworenen stehe. Allein um eine Nachprüfung zwecks Korrektur des Schuldentscheids handelt es sich ja nicht, nur um eine Ermittelung an der Hand des konkreten Sachverhalts, ob das Verdikt an Widerspruch leide oder nicht, Eine Rechtspräsumtion des Nichtwiderspruchs besteht nicht und mit der Pflicht zur Verdiktsprüfung hat das Gericht auch das Recht, die für diesen Zweck unerläfslichen tatsächlichen Erwägungen anzustellen. Wurde die Diebstahlsfrage verneint, die Schuld des Begünstigers aber angenommen, so ist abstrakt denkbar, dafs die Geschworenen den Dieb für einen Verwandten aufsteigender Linie des Bestohlenen gehalten und wegen dieses Strafausschliefsungsgrundes (§ 247 Abs. 2 StGB) verneint haben ; unter dieser Voraussetzung wäre das Verdikt widerspruchsfrei (§ 247 Abs. 3). Vielleicht hätten sie gar den Dieb und die 53 A. A. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 48 S. 125. Dagegen österr. Kass.Hof v. 9. Okt. 1885 E. Bd. 8 S. 156 f. 54 Beispiel: preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 18 S. 543. A. A. franz. Kass.-Hof 23. Mai, 26. Juni 1879, 24. Juni 1887, 20. Juli 1877 u. öfter bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 350 nr. 103 f. 55 Vgl. B i n d i n g , Lehrbuch I I 2 S. 646, 647, 666; Normen I I S. 570; O l s h a u s e n - Z w e i g e r t zu § 257 Bern. 32. 66 So v. L i l i e n t h a i in Birkmeyers Enzyklopädie § 33 sub V I 4 und G a l l i im Ger.-Saal Bd. 67 S. 374.

§ 54. Sachliche Mängel.

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bestohlene ledige X für verheiratet (§ 247 Abs. 2) gehalten ! Wenn von einem solchen strafausschliefsenden Verhältnis notorisch gar nicht die Rede ist, so kann auch gewifs nicht das Gericht sich dessen Annahme durch die Geschworenen zurechtphantasieren, um den Widerspruch des Verdikts zu beseitigen. Es ist doch nicht die Aufgabe, das Verdikt um jeden Preis zu halten, auch wenn damit den Geschworenen sinnloser Unverstand zugetraut würde. Gewifs hat das Gericht, das an sich nur mit der Straffrage befafst ist, nicht leichthin, blofs weil ihm die eine Schuldauffassung plausibeler erscheint als die andere, im Sinne des Widerspruchs sich zu entscheiden57. Ist aber nach der Überzeugung des Gerichts eine den Widerspruch beseitigende Schuldannahme der Geschworenen nach der gegebenen Prozefslage als völlig ausgeschlossen zu erachten, so mufs der Widerspruch festgestellt und die Berichtigung des Verdikts verfügt werden 58 . In dubio ist das Verdikt aufrecht zu halten. Unmöglich ist nicht, freilich sehr unwahrscheinlich, dafs demnächst das Revisionsgericht eine vom ersten Richter abgelehnte Schuldauffassung dennoch den Geschworenen imputiert und deshalb die Berichtigungsanordnung mifsbilligt. Nachdrücklich zu betonen ist, dafs über die Frage des Widerspruchs entschieden wird vom Standpunkte der im Verdikt ausgedrückten oder präsumtiv von den Geschworenen vertretenen Schuldauffassung, nicht nach der Schuldannahme des Gerichts. Das Verdikt ist nicht deshalb berichtigungsbedürftig, weil nach der Ansicht des Gerichts die im Spruch unzweideutig bekundete gegensätzliche Schuldauffassung im Hinblick auf Mitangeklagte den Beweisergebnissen widerspricht 59 . 57

Zu weitgehend K e l l e r § 309 Bern. 4. Die Formulierung L ö w e - H e l l w e g ' s zu § 309 Bern. 5, die Frage des Widerspruchs sei „auf Grund der konkreten Sachlage" zu beantworten, ist nicht bestimmt genug. Treffend RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 48 S. 127, E. Bd. 37 S. 417 f. (die blofse abstrakte Möglichkeit, dafs die Geschworenen ein die persönliche Straflosigkeit des Täters bedingendes Verhältnis angenommen haben könnten, ist nicht ausschlaggebend für die Frage, ob der die Schuldfrage betreffs des Täters verneinende, betreffs des Gehülfen bejahende Spruch an einem inneren Widerspruch leide). 59 Als Beispiel diene der von O p p e n h e i m , Rechtsbeugungsverbrechen S. 192, 193, besprochene Fall Oehlke. Die Berliner Geschworenen hatten (März 1885) den Angeklagten Oehlke für schuldig erklärt, je ein Duell mit den Mitangeklagten M. und ν. Ζ. ausgefochten zu haben, während die Schuld68

§ 55.

Sachliche Mängel.

Fortsetzung.

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4. Der Grund des Widerspruchs kann endlich auch an der Frage liegen. Das trifft zu für die k o m p l e x e Frage, indem sie rechtlich getrennte Fakta als einheitliches Feststellungsobjekt behandelt. Daher unterliegt ein mit solchen Fragen und entsprechenden Antworten behafteter Spruch der Berichtigung unter Scheidung der Fragen. Der Mangel kann nicht als geheilt gelten durch distinkte Beantwortung, da die Gewähr fehlt, dafs nicht doch die Geschworenen die Fakta bei der Abstimmung vereinigt hatten 6 0 . § 55.

Fortsetzung.

I I . Die zweite Hauptgruppe der Spruchmängel bezieht sich auf k o n k r e t e M o m e n t e der Frage. Werden derartige Merkmale bei Bejahung der Frage im übrigen verneint, so kann sich auch daraus eine Undeutlichkeit, eine Unvollständigkeit, ein Widerspruch ergeben. Von positiven Verdiktszusätzen konkreter Art ist früher zur Genüge gehandelt worden 1 . 1. Der Spruch ist unvollständig, wenn ein zur Feststellung der Identität der Tat unerläfsliches Moment (Zeit, Ort) verneint wurde. Formell zwar ist hier auf jedes einzelne Glied der Frage geantwortet, materiell aber die Antwort nicht erschöpfend, weil sie weder Verurteilung, noch Freisprechung ermöglicht. Abhilfe ist zu suchen durch eine anderweite, den Anschauungen der Geschworenen entsprechende S u b s t a n t i i e r u n g des Umstandes („in der Zeit vom 1. bis 15. November" statt „am 10. November", „in X oder der Umgegend von X" statt „in X" usw.) 2 . 2. In anderen Fällen macht die Verneinung eines konkreten Merkmals wahrscheinlich oder gewifs, dafs die Antwort der Geschworenen sich auf eine nicht erfragte Tat bezieht, die Antwort also der Frage widerspricht. Wenn z. B. die Geschworenen auf fragen für die letzteren verneint worden waren. Hätte sich das Verfahren nur auf M. und v. Z. bezogen, so konnte gewifs nicht in der Verneinung der Schuldfragen für sie trotz gegenteiliger Beweislage ein sich widersprechendes Verdikt gefunden werden. Kam nun hinzu Bejahung der Schuld des Oe. im Einklang mit dem Beweisergebnis, so ist klar, dafs der Widerspruch die Schuldauffassung, nicht die aus ihr im Verdikte gezogenen Folgerungen traf. Gewifs ist's eine starke Zumutung, dafs solche Verdikte hingenommen werden müssen. Abhilfe kann nur bieten das Erfordern der Verdiktsbegründung. Vgl. auch oben S. 486 Anm. 3. 60 A. A. franz. Kass.-Hof v. 27. Mai 1886, D a l l o z , Recueil 86. 1. 425. 1 Vgl. oben S. 406 fg. 2 Vgl. oben S. 400 fg.

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§ 55. Sachliche Mängel.' Fortsetzung.

die Diebstahlsfrage antworten: „Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte eine goldene Taschenuhr weggenommen hat," so haben sie, obwohl andere Erklärungsweisen nicht gerade ausgeschlossen wären, doch höchstwahrscheinlich einen anderen Diebstahlsfall im Auge als das Gericht. Vielleicht auch ergibt sich auf diesem Wege blofser Zweifel über die Identität. Dann ist der Spruch jedenfalls undeutlich. Lautet z. B. in der Verhandlung gegen einen gewerbsmäfsigen Paletotdieb die Frage dahin: „Ist der Angeklagte schuldig, im Januar 1904 in der Garderobe des Kasinos zu X dem Rentier Müller einen Paletot, eine fremde bewegliche Sache, in der Absicht weggenommen zu haben, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen?" und die Geschworenen antworten: „Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs die Wegnahme gegenüber dem Rentier Müller erfolgte," so ist, wiewohl auch hier die Differenz andere Gründe haben könnte (Annahme des Gewahrsams oder des Eigentums des S c h u l z e an dem nämlichen Paletot usw.), doch die Möglichkeit vorhanden, dafs mit Frage und Antwort verschiedene Diebstahlsfälle gemeint sind. Im Berichtigungsverfahren wird der Vorsitzende die Geschworenen zu belehren haben, dafs sie nicht befugt seien, der individuellen Tat der Frage eine andere zu substituieren, und sie zugleich veranlassen, die ihnen vorschwebende Tatgestaltung in Form eines Antrags auf anderweite Fragfassung bestimmt anzugeben. Dann mufs sich zeigen, ob die Identität der Tat wirklich betroffen ist. Wenn nicht, wird auf den Antrag der Geschworenen hin die Frage so gefafst werden müssen, dafs ihnen die Bejahung ermöglicht ist. Andernfalls sind die Geschworenen bestimmt zu bedeuten, dafs bei Nichtannahme der individuellen Anklagetat von ihnen die Frage ganz zu verneinen, nicht wegen gleichzeitiger Annahme einer individuell anderen Tat beschränkt zu bejahen sei. Falsch wäre, wenn das Gericht, ohne der Differenz auf den Grund zu gehen, das fragliche Moment — sofern nicht das Bedürfnis der Individualisierung seine Beibehaltung notwendig erforderte — einfach aus der Frage striche und sie in dieser Gestalt den Geschworenen erneut vorlegte. Das hiefse den Vogel Straufs kopieren! Soll latenter Widerspruch eingetauscht werden für den ausdrücklichen, wie er nach dem ersten Spruch sich als wahrscheinlich oder möglich ergeben hat? Es könnte so freilich ein der Berichtigung nicht ausgesetztes Verdikt und damit eine

§ 55. Sachliche Mängel.

Fortsetzung.

tragfähige Urteilsgrundlage erlangt werden, aber die materielle Wahrheit käme zu kurz. 3. Die konkreten Fragmomente stehen nicht, wie die Gesetzestatbestände, zur Auslegung der Geschworenen. Entnimmt das Gericht aus der Antwort, dafs es in konkreten Fragbestandteilen mifsverstanden worden sei, so unterliegt der Spruch der Berichtigung. Mafsgebend ist in dieser Hinsicht allein der Sinn, den das Gericht mit der Frage verknüpft hat. Vielfach freilich — bei einfachem Ja, Nein ohne erläuternde Erklärungen — wird solcher Widerspruch latent bleiben. Antworten jedoch, um ein früheres Beispiel zu rekapitulieren, die Geschworenen befragt wegen Diebstahls einer Armbanduhr, die als „Taschenuhr" bezeichnet ist: „ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte eine Taschenuhr weggenommen hat," so wird im Berichtigungsverfahren der Irrtum sich aufklären und nach Bedarf durch anderweite Fragfassung ein konformes Verdikt zu erzielen sein. 4. Wiederholt ist zu betonen, dafs es eine völlig scharfe Grenzlinie zwischen solchen konkreten Momenten, die ohne Beeinträchtigung der Identität der Tat verneint werden können, und solchen, bei denen dies nicht zutrifft, nicht gibt. Das Mafs der im Einzelfall erforderlichen Individualisierung läfst sich eben nicht abstrakt bestimmen. 5. Widersprechend ist das Verdikt auch dann, wenn Hauptfragen für mehrere Angeklagte (Mittäterfragen, Täter- und Anstifterfrage usw.) im Hinblick auf dasselbe historische Vorkommnis mit der Abweichung bejaht worden sind, dafs ein konkretes Moment, worüber seiner Natur nach Feststellung für die Mitangeklagten nur einheitlich ergehen konnte, das eine Mal bejaht, das andere Mal verneint wurde, und hier ohne Rücksicht darauf, ob der Tatumstand zur Individualisierung notwendig war oder nicht. Die Geschworenen bejahen z. B. die Frage nach gemeinsam an Ζ „in der Kaiserstrafse zu W" begangener Körperverletzung für den Angeklagten X schlechthin, für den Angeklagten Y mit der Mafsgabe, dafs die Tat „zwar zu W, aber nicht in der Kaiserstrafse" begangen worden sei. Das Gericht mufs versuchen, den Grund des Widerspruchs zu eruieren und durch Belehrung der Geschworenen, eventuell unter Änderung der Fragenfassung, ein besseres Verdikt zu erzielen. 6. Der Fall des Widerspruchs ist auch dann gegeben, wenn die Geschworenen die Frage v e r n e i n t haben unter gleichzeitiger Verneinung nicht oder doch nicht in dieser Gestalt erfragter konB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

32

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kreter Momente. Ein solcher Spruch ist Verneinung einer andern als der gestellten Frage. Ein Beispiel führt v. Bar Recht und Beweis S. 168 an: Die Geschworenen waren gefragt nach Tötung „durch einen Messerstich — ohne nähere Spezialisierung — und antworteten „nein, der Angeklagte ist nicht schuldig, den X durch einen Messerstich i n den K o p f getötet zu haben". Bei diesem Verdikt kann der wirklich gestellten Frage gegenüber Annahme der Nichtschuld oder der Schuld vorgelegen haben, indem die Verneinung dem Messerstich überhaupt oder doch dem tötenden Messerstich oder nur dem Messerstich gerade in den Kopf galt. Eine Spezialisierung der Frage auf Messerstich in den Kopf ist gewifs nicht zu empfehlen, viel eher die Streichung des Messerstichs überhaupt. Die Geschworenen sind zu belehren, dafs sie die Frage so wie gestellt, nicht mit einer in sie hineingelegten Beschränkung zu beantworten haben. I I I . Besonderer Berücksichtigung bei Erwägung der Spruchmängel bedürfen schliefslich solche Fragmomente, die gesetzliche Tatbestandsmerkmale wiedergeben, aber zugleich individualisierende Bedeutung haben. 1. Wenn Subjekt, Objekt, Tätigkeit usw. im Gesetze zwar generell bestimmt, gewisse häufig vorkommende Formen aber noch speziell genannt sind, so kann die Frage au Stelle des Genus eine hervorgehobene Spezies anführen, z. B. bei § 239 StGB statt auf „Beraubung des Gebrauchs der persönlichen Freiheit" auf „Einsperrung" gerichtet werden 3. Die speziellere Befragung trägt dann zur Individualisierung der Tat bei. Die erfragte Spezies repräsentiert das Genus. Ihre Bejahung stellt notwendig auch das Genus fest. Ihre Verneinung aber trifft entweder nur sie, nur die Spezies, oder zugleich mit ihr das Genus. Antworten die Geschworenen auf die Frage nach „Einsperrung" : „Ja, doch ist nicht erwiesen, dafs der Angeklagte den X eingesperrt hat", so liegt nur der Anschein eines Widerspruchs vor. Wenn die Geschworenen den Angeklagten der Freiheitsberaubung schuldig finden, dürfen sie nicht die Schuld verneinen, weil sie nicht „Einsperrung" annehmen. Sie sind mit der Spezies nach dem Genus gefragt und können sehr wohl die Spezies lediglich als solche verneinen. Der Spruch ist auch nicht undeutlich. Verneinung auch des 8 Vgl. zum folgenden O e t k e r , Gesetzl. Merkmale in Haupt- und Nebenfrage, Ger.-Saal Bd. 64 S. 125 f.

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Sachliche Mängel.

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Genus hätte zur Verneinung der ganzen Frage geführt. Es mufs angenommen werden, dafs die Geschworenen nur die Spezies verneinen wollten 4 , und dafür haben sie die zutreffende Form gewählt. Wohl aber ist der Spruch unvollständig ohne ihre, ohne des Gerichtes Schuld5. Die gesetzlich zulässige Einstellung der Spezies in die Frage bringt die Konsequenz mit sich, dafs bei Verneinung nur der Spezies der Spruch im Hinblick auf das Genus unvollständig bleibt trotz Beantwortung aller Frageglieder. Die Geschworenen hätten Substituierung einer andern Spezies oder generelle Befragung beantragen können, die gestellte Frage aber haben sie korrekt, wenn auch unvollständig, beantwortet. Die Abhilfe liegt in Fragänderung nach Verständigung mit den Geschworenen. 2. Andere Beurteilung erfordert der Fall, dafs ein im Gesetz genanntes und der Frage inseriertes Begehungsmittel n u r der Konkretisierung dient, indem das Gesetz nicht ein bestimmtes Genus von Mitteln („gefährliche Werkzeuge", § 117 Abs. 2 StGB) unter Hervorhebung einer Spezies („Schiefsgewehr, Äxte", daselbst) erfordert, sondern jedes denkbare Mittel genügen läfst und nur rein exemplifizierend eiuzelne aufführt (Anstiftung „durch Geschenke oder Versprechen oder d u r c h a n d e r e Mittel"). Die Frage braucht hier ein Mittel überhaupt nicht zu nennen; geschieht dies aber und es wird bejaht unter Verneinung des Mittels, so ist der Spruch nicht unvollständige Wiedergabe des gesetzlichen Tatbestandes. Eine Berichtigung könnte nur insofern verfügt werden, als das Gericht — was kaum anzunehmen — die Anführung eines Mittels zur Individualisierung der Einzeltat für unerläfslich halten sollte. Dann wäre nach einer den Intentionen der Geschworenen entsprechenden, eventuell alternativen Fragfassung zu suchen. 3. In den Tatbestand der Strafgesetze sind öfters generelle Deliktskategorien aufgenommen, denen in der Frage die entsprechenden Deliktsspezies substituiert werden müssen (§§ 126, Î39, 111, 214, 257 usw. StGB; statt „strafbarer Handlung" im § 111 ist die im Einzelfall mafsgebende Deliktsart zu nennen usw.)6. Bejahen die Geschworenen unter Verneinung der erfragten Spezies, so ist 4

Begleitende Erklärungen können allerdings einen Zweifel daran ergehen. Dann ist der Spruch undeutlich. 6 Ein anderer Fall „schuldloser" Unvollständigkeit ist oben S. 477 erörtert worden. 6 Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 119 f. 32*

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der Spruch nicht berichtigungsbedürftig, vielmehr einem reinen Nein gleich zu achten. Das Strafgesetz hat hier lediglich eine gröfsere Zahl von Spezies unter einer Gesamtbezeichnung zusammengefafst, das Nennen der Spezies individualisiert nicht. Nahmen die Geschworenen eine andere Spezies an, so mufsten sie entsprechenden Fragänderungsantrag stellen. Das konnte noch durch positiven Verdiktszusatz geschehen. Nach Abgabe des Verdikts aber ist es zu spät. 4. War hingegen die generelle Kategorie in der Frage beizubehalten (§§ 106, 107, 157 N. 1, 164, 240, 241, 259 StGB; Hehlerei an Sachen, die mittels „strafbarer Handlung" erlangt sind, § 259 usw.), es ist jedoch speziell (unter Anführung von „Diebstahl", „Unterschlagung" usw.) gefragt worden, und die Geschworenen bejahen nun unter Verneinung der Spezies, so entsteht infolge des Befragungsfehlers eine ähnliche Rechtslage wie sub 1. Glatte Bejahung der Frage ist unbedenklich zu akzeptieren. Die beschränkte Bejahung aber verneint die Spezies nur als solche, nicht als Repräsentantin des Genus, ist also ungenügend. Es bedarf der Fragänderung durch Einstellen des Genus. Das Gericht ist durch die erhaltene Antwort auf den Fragfehler, der bei einer bestimmten Schuldauffassung der Geschworenen zu unvollständigem Spruch führen mufste, hingewiesen worden. IV. Der letzterwähnte Fall bestätigt ein in früheren Ausführungen schon angewendetes7, ausdrücklicher Konstatierung noch bedürftiges, für die Beseitigung von Spruchmängeln wichtiges Prinzip : Dem Gerichte steht Berichtigungsanordnung auch dann zu, wenn die Antwort der gestellten Frage gegenüber vollkommen korrekt ist, aber infolge eines durch den Spruch aufgedeckten oder anderweit vom Gerichte noch erkannten Fragfehlers materiell undeutlich, unvollständig ist. Eine Nötigung, in solchem Falle auf Grund des Spruchs zu urteilen, obwohl im voraus feststände, dafs das Urteil wegen falscher Fragestellung der Revision ausgesetzt wäre, kann nicht bestehen. Beschränkte Bejahung der zu Unrecht spezialisierten Frage, Fall I I I 4, ergibt ein unvollständiges, volle Verneinung ein undeutliches Verdikt. Denn es kann diese Verneinung sowohl in Annahme der Nichtschuld als in Annahme der Schuld auf Grund einer andern Spezies beruhen. Unter der letztern Voraussetzung hätten allerdings die Geschworenen unter Verneinung der Spezies 7

Vgl. oben S. 473 fg.

§ 56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

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bejahen können, aber es kann nicht von ihnen verlangt werden, dafs sie diese Form finden und so ihrerseits den Befragungsfehler korrigieren. Vom Standpunkte des Gerichts aber ist, sobald es sich der falschen Fraggestaltung bewufst geworden ist, der Spruch zweideutig. Anders, wenn die Frage ein konkretes Moment enthält, das unter den gesetzlichen Tatbestand nicht subsumiert werden kann. Nehmen die Geschworenen das konkrete Moment an und lehnen sie die Subsumtion ab, so k a n n bei ihnen eine Schuldauffassung bestehen, die bei entsprechender Hilfsfrage ein bejahendes Verdikt geliefert hätte. Eine Hilfsfrage aber ist, wenn nicht die Geschworenen durch Verdiktszusatz sie beantragt haben, nicht mehr nachzubringen. Daher erscheint gleichgültig, ob die Geschworenen einfach verneinen oder unter Ablehnung des gesetzlichen Tatumstandes bejahen. Nicht sowohl der Subsumtionsfehler des Gerichts als der Mangel einer Hilfsfrage hat die Schuldverneinung veranlafst. Bejahen in gleichem Falle die Geschworenen, machen sie also den Subsumtionsfehler mit, so hat das Gericht, wenn es seinen Irrtum noch rechtzeitig erkennt, trotz des bejahenden Verdikts freizusprechen. Verurteilendes Erkenntnis würde wegen des Subsumtionsirrtums materiell nichtig sein. C. D i e

Spruchberichtigung.

§ 56. Der B e r i c h t i g u n g s b e s c h l u f s u n d das Berichtigungsverfahren. I. Die Berichtigung wird angeordnet durch ein vom Vorsitzenden auszusprechendes formuliertes Dekret des Gerichts. Der Mangel des Wahrspruchs ist bestimmt zu konstatieren. Die Geschworenen dürfen nicht im Zweifel bleiben, inwiefern ein formeller Fehler vorliegt, worin die Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, der Widerspruch vom Gericht gefunden wird 1 . In dieser Darlegung liegt die Begründung der Anordnung. Der gerügte Fehler wird vielfach zu einer ergänzenden Rechtsbelehrung Anlafs geben2. Im Falle sachlichen Mangels ist angemessen, die Geschworenen ausdrücklich darauf hinzuweiseo, dafs sie bei ihrer erneuten Be1

Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 6 S. 318 f. Ebenso die franz. Praxis ( S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 350 η. 144). 2 Vgl. unten § 63 I I I 1.

56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

ratung an keinen Teil ihres früheren Spruchs gebunden seien (§ 311 Abs. I ) 8 . Unterlassung würde aber nicht Revision begründen, zumal nicht vorgeschrieben ist, die Geschworenen über Beratungs- und Abstimmungsgrundsätze überhaupt zu belehren. Anders, wenn die Geschworenen entgegen dem § 311 bei dem anderweiten Inhalt ihres Verdikts festgehalten worden wären 4 . Der Beschlufs ist dergestalt zu protokollieren, dafs der gerügte Mangel bestimmt erhellt. Die Berichtigungsanordnung ergeht seitens des einen Richterkollegiums an das andere. Insofern besteht eine gewisse Analogie mit dem Dekrete eines Rechtsmittelgerichts, das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die untere Instanz zurückverweist. Der Beschlufs spricht bei formellem Mangel aus, dafs über den betreffenden Punkt formell anders (neben der geschriebenen Frage, mit Unterschrift des Obmanns usw.) abzuurteilen sei. Im Falle materiellen Fehlers wird vorgeschrieben, in bestimmter Richtung über Verhandlungsergebnisse wiederholt abzuurteilen, und zugleich erlaubt, das Verdikt auch in jeder anderen Hinsicht materiell abzuändern. Die Fragenstellung, das latente Zwischenurteil, erfährt durch die Berichtigungsanordnung insofern eine auslegende Ergänzung, als bestimmte Antworten wegen ungenügender Fragenerledigung abgelehnt werden 5. Trotz der Berichtigungsanordnung ist der verlesene Spruch vom Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen 6. Aber es würde nicht schaden, wenn die Unterzeichnung erst nach der Berichtigung und nur unter dem berichtigten Spruch erfolgte, denn sie wäre doch auf den ursprünglichen Spruch, der nach § 312 StPO erkennbar bleiben mufs, mit zu beziehen. Über die Frage der Berichtigung ist erst nach Verlesung des ganzen Spruches zu entscheiden7. Denn sollte sachliche Korrektur zu Unrecht verfügt worden sein, so hätte die betroffene Partei 8

Vgl. auch RG 4. Str.-S. E. Bd. 26 S. 89 f. (in der Begründung nicht einwandfrei). 4 Ein Beispiel hierfür in RG R. V I S. 348. 5 Vgl. oben S. 433. 6 Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 309 Bern. 8. A. A. V o i t u s zu § 308 Bern. 4; T h i l o zu § 308 Bern. 4; D a l c k e , Fragestellung S. 138; R i n t e l e n S. 241. 7 Ein Beispiel von Verlesungsunterbrechung durch Berichtigungsverfügung in RG Entsch. Bd. 27 S. 411 f.

§ 56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

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den Anspruch auf Aufhebung des Urteils unter Aufrechterhaltung des ursprünglichen Verdikts, ein Recht, das nicht realisierbar wäre, soweit es an der Spruchverlesung gefehlt hätte. Nicht verlesene Spruchteile sind nicht Prozefstatsachen, und bei materieller Spruchberichtigung kann der Spruch im ganzen, also auch in den noch nicht verlesenen Teilen, von den Geschworenen geändert werden. Es entsteht nun die Frage, ob Revision deshalb ergriffen werden kann, weil die weitere Verlesung inhibiert worden sei 8 . Wurde die Berichtigung mit Recht verfügt, so waren die Geschworenen an keinen Teil des Spruches mehr gebunden, und es ist daher das nach der Berichtigung kundgegebene Verdikt allein mafsgebend. Im anderen Falle läfst sich freilich an der Tatsache, dafs Teile des alten Spruches unverlesen geblieben sind, nichts ändern, sie entziehen sich der Restituierung seitens des Revisionsgerichts, aber die Partei ist beschwert durch die Behinderung der Geschworenen an der Abgabe ihres (des ursprünglichen) Verdikts und dringt unter diesem Gesichtspunkte mit der Revision durch. Berichtigungsverfügung nach Teilverlesung ist auch deshalb verkehrt, weil leicht in dem nichtverlesenen Teil ein weiterer Fehler enthalten sein kann, der nach Kundgebung des berichtigten Spruchs abermals zur Korrektur führt. Dafs auch die formelle Berichtigung erst nach Verlesung des ganzen Spruchs zu verfügen ist, wurde früher schon dargelegt 9 . War in der Berichtigungsverfügung ein weiterer Mangel übersehen, der auch dem berichtigten Spruche noch anhaftet, so mufs erneut die Berichtigung angeordnet werden. I I . Mit dem Berichtigungsbeschlufs ist häufig Änderung der Fragen, mit dem berichtigenden Ausspruch der Geschworenen Änderung an sich mangelfreier Antworten verbunden. 1. Der Berichtigungsbeschlufs kann zugleich Selbstkorrektur des Gerichts sein. Es hat sich ergeben, dafs ein sachlicher Mangel auf einen Fehler der Frage, eine Undeutlichkeit, Unvollständigkeit (Auslassung eines gesetzlichen Merkmals usw.), einen Widerspruch darin (zwei Anstifterfragen ohne Erwähnung der Mittäterschaft bei der Anstiftung usw.) zurückführt, und es wird daher der Fragebogen entsprechend geändert. 8 Im Falle der Anm. 7 war die Revision gestützt auf den Mangel der Neuverlesung des früher schon kundgegebenen Spruchteils nach Berichtigung des Spruchs im Übrigen. Der 4. S. hat dem Rechtsmittel stattgegeben, vgl. dagegen oben S. 423 fg. und unten § 57 V. 9 Vgl. oben S. 468.

56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

Der Beschlufs enthält l e d i g l i c h Selbstkorrektur des Gerichts, wenn das Verdikt an sich völlig einwandfrei ist, aber infolge Auslassung eines der konkurrierenden Delikte in der Befragung den Eröffnungsbeschlufs nicht erschöpft. Dagegen wird durch Nachbringung der Frage nach mildernden Umständen im Falle nachträglicher Annahme der Rückfallsqualifikation seitens des Gerichts der Spruch nur ergänzt, nicht ein Berichtigungsverfahren eingeleitet, so dafs der sonstige Spruchinhalt — sofern er nicht seinerseits berichtigungsbedürftig ist — bei Bestand bleibt 1 0 . 2. Auch ohne die Voraussetzung eines Befragungsfehlers kann sich aus der Erörterung der Spruchmängel mit den Geschworenen und den Prozefsbeteiligten Anlafs zur Änderung oder Ergänzung der Fragen ergeben 11 . Um der Schuldauffassung der Geschworenen zu völlig entsprechendem, unbehinderten und unzweideutigen Ausdruck zu verhelfen, ist z. B. der konkrete Fraginhalt zu ändern, eine Alternative zu beseitigen oder aufzunehmen, eine Hilfsfrage hinzuzufügen, eine Qualifikation oder Privilegierung aus der Hauptfrage in eine Nebenfrage zu verweisen usw. Die Befugnis des Gerichtes zur Fragänderung ist in der Tat unentbehrlich und wird in der österreichischen StPO § 331, wie in der deutschen § 311 anerkannt 12 . Aber auch die Geschworenen und die Prozefsbeteiligten haben erneut die Befugnis der Einwendung und des Antrags im Hinblick auf die Fragenstellung (§ 291). Ja, es kommt auch von Neuem in Anwendung die Vorschrift des § 296, dafs Anträge auf Hilfs- oder Nebenfragen nur aus Rechtsgründeu abgelehnt werden können. Es wäre somit an sich konsequent gewesen, die Zuziehung des Angeklagten alsbald nach Verkündung eines materiellen Berichtigungsbeschlusses vorzuschreiben. Das Gesetz hat jedoch für ausreichend gehalten, ihn zuzuziehen, falls Anlafs zur Änderung oder Ergänzung der Fragen durch Einwendung oder Antrag oder nach amtlicher Prüfung des Gerichts sich wirklich ergibt 1 3 , und bis dahin die Anwesenheit des Verteidigers genügen zu lassen, § 311 Abs. 2. Mitangeklagte sind auch dann an der Verhandlung zu beteiligen, wenn die Änderung die für sie gestellten Fragen intakt lassen 10

Vgl. oben S. 222 fg. Vgl. 3. Str.-S. E. Bd. 2 S. 361 f.; österr. Kass.-Hof v. 22. Sept. 1876 Samml. Bd. 2 S. 129 f. 12 Ebenso Preufs. 1867 § 339 Abs. 4; Sachs. 1868 § 86. 18 RG 1. Str.-S. R. I V S. 581 f. 11

§ 56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungs verfahren.

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würde 1 4 , da formell die Prozedur einheitlich bleiben mufs und materiell, vom Standpunkte der Geschworenen aus, die in anderer Hinsicht geänderte Befragung auch die Schuldfeststellungen für jene berühren kann. Bei Beginn der Geschworenenberatung ist der Angeklagte wieder aus dem Sitzungszimmer zu entfernen, § 301 Satz 3. Bei nur formellen Mängeln sind solche Anträge und Verhandlungen ausgeschlossen. 3. Sind die Fragen geändert worden, so mufs den Parteien erneut zur Schuldfrage das Wort gegeben werden. Und bei dem Zusammenhang der Schuldfeststellungen unter einander läfst sich nicht verhindern, dafs auch zu nicht geänderten Fragen und nicht berichtigungsbedürftigen Antworten neu plädiert wird, zumal die Geschworenen an keinen Teil ihres früheren Spruches gebunden sind. Ebenso erneuert sich bei Fragänderungen die Rechtsbelehrung 15. 4. Dafs die Anordnung sachlicher Berichtigung, auch wenn nur eine Antwort ungenügend war. den Geschworenen die Freiheit der Beurteilung in vollem Umfange zurückgibt, ist nur zu billigen 1 6 . 14

Vgl. RG 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 40 S. 169 f. Vgl. unten § 63 sub I I I 5. 16 Anders z. T. die früheren Gesetze, Kurh. 1848 § 330 Abs. 2 u. 1863 § 164 Abs. 3; Nassau 1849 Art. 183 Abs. 3; Braunschw. 1849 § 147; Württ. 1849 Art. 169 Abs. 3, 1868 Art. 384 Abs. 2; Sachs. 1868 § 85 Abs. 2. Vgl. auch P l a n c k S. 431; Z a c k e , Fragstellung S. 157 f. Das geltende Recht beruht auf Preufs. 1867 § 339. Eine gute Begründung gibt F r e u d e n s t e i n in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 399. Nach Österr. § 331 sind die Geschworenen nur zur Abänderung der beanstandeten Antworten und zur Beantwortung der neu oder in geänderter Fassung vorgelegten Fragen befugt. Doch ist anerkannt, dafs Zusatzfragen gemäfs § 319 StPO mit der Hauptfrage ein untrennbares Ganzes bilden, Kass.Hof v. 4. Juni 1883 E. Bd. 6 S. 121 f., v. 10. Febr. 1892 Bd. 13 S. 8 f.; dafs, wenn die Geschworenen über die Tragweite und das gegenseitige Verhältnis der Fragen geirrt haben, der gesamte Fragenkomplex der neuerlichen Beratung und Abstimmung zu überweisen ist, 22. Nov. 1886 E. Bd. 9 S. 185 f., 17. März 1900 E. N. F. Bd. 2 S. 174 f. ; dafs einander widersprechende Antworten von der Berichtigungsverfügung gleichmäfsig betroffen werden, 20. Aug. 1875 E. Bd. 1 S. 365 f., 3. Mai 1884 Bd. 7 S. 91 f. Die franz. Jurisprudenz ist zu folgenden Ergebnissen gelangt: Ein Spruchfehler betreffs circ. aggravantes, excuses légales, des discernement ergreift auch die Antwort zur Hauptfrage; das Berichtigungsverfahren gibt den Geschworenen Freiheit der Entscheidung betreffs aller Anklagepunkte gegen denselben Angeklagten^ aber es erstreckt sich nicht auf Antworten, die den Mitangeklagten betreffen und ihrerseits fehlerfrei sind. So die Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 350 nr. 58, 59, 60, 63, 64. 15

56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

Wenn ein Widerspruch sowohl der Frage als einer anderen Antwort gegenüber besteht, wenn mit Undeutlichkeit oder Widerspruch in einer Antwort sich Unvollständigkeit des Spruchs in Hinblick auf eine andere Frage verknüpft, wenn an Stelle einer fehlerhaft beantworteten Hauptfrage die Alternative von Hauptund Hilfsfrage tritt, versteht sich die Erneuerung des GeschworenenEntscheids über die eine Frage hinaus schon von selbst. Und wie leicht können sich mit offensichtlichen oder durch erläuternde Erklärungen der Geschworenen erkennbar gewordenen Spruchmängeln latente Fehler in anderer Hinsicht verbinden! Das Verhältnis der einzelnen Schuldfeststellungen zu einander im Bewufstsein der Geschworenen läfst sich, zumal bei dem Mangel einer Begründung des Spruchs, gerichtsseitig nicht ermessen. Dagegen berechtigt nicht zur Berichtigungsanordnung die Fehlerhaftigkeit einer ü b e r f l ü s s i g e n Feststellung. Nur ein Spruchfehler, der das Urteil affizieren würde, ist Anlafs zu dieser Verfügung, mit der nach dem Gesetz die weittragende Folge der Suspendierung des ganzen Spruchs sich verknüpft. Das Gericht hat die Antworten der Geschworenen nicht nur isoliert, sondern auch in ihrem Verhältnis zu einander zu erwägen, und es ist die Berichtigung einer Antwort erübrigt, wenn diese selbst nicht veranlafst war. Durch fehlerfreie Verneinung der Hauptfrage ist freisprechendes Urteil begründet, verbundene Verneinung einer qualifizierenden Nebenfrage kann, mag sie korrekt oder inkorrekt erfolgt sein, das Urteil nicht berühren. Ebenso ist nicht mit Grundlage des Urteils die Feststellung wegen mildernder Umstände neben teilweiser Verneinung der Hauptfrage mit der Wirkung eines vollen Nein 1 7 . Die Berichtigung darf immer nur verfügt werden, um Fehler vom Urteile fern zu halten. Den Geschworenen, den Richtern der Schuld, mufs es im Berichtigungsverfahren immer frei stehen, den Zusammenhang ihrer Schuldfeststellungen zu erwägen und mit der einen Antwort auch die andere, an sich mangelfreie, zu ändern. Das gilt auch bei Straffällen, die von einander unabhängig sind, und zu Gunsten und zu Ungunsten des Angeklagten, den die inkorrekte Antwort betraf, und aller Mitangeklagten 18 . 5. Der Mitangeklagte (bezw. der Verteidiger) darf Be17

Unrichtig RG 2. Str.-S. bei Goltd. 48, 306. Vgl. RG 2. Str.-S. R. I X S. 287 f.; 4. Str.-S. R. X S. 349 f., E. Bd. 20 S. 188 f., E. Bd. 24 S. 302 f., Bd. 27 S. 411 f. Unrichtig V o i t u s zu § 311 (will dén § 317 Abs. 2 analog anwenden). 18

§ 56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

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richtigungsanträge stellen auch betreffs solcher Antworten, die an sich nur den Komplizen berühren, da im Berichtigungsverfahren alle Antworten geändert werden können. Es steht daher einem solchen Antrage um so weniger Legitimationsmangel entgegen, als ja nur amtliche Kognition dadurch angeregt wird. Mit dem Berichtigungsantrage hat der Mitangeklagte auch das Recht, eine zur Berichtigung e r f o r d e r l i c h e Fragenänderung zu beantragen, während im Übrigen, also betreffs zu diesem Zweck nicht gebotener Änderungen der früher gelehrte Satz 19 gilt, dafs der Mitangeklagte nicht Antragsbefugnis hat im Hinblick auf Fragen, die nur den Komplizen betreffen. 6. Jeder Geschworene kann (nach Anordnung sachlicher Berichtigung) betreffs jeder Frage erneute Beratung und Beschlufsfassung fordern. Es steht ihm frei, das früher abgegebene Votum zurückzuziehen und dadurch den gefafsten Beschlufs zu beseitigen. Nicht steht die Aufhebung eines Beschlusses nur dem Kollegium der Geschworenen zu. Immer aber hängt die wiederholte Beschlufsfassung betreffs mangelfreier Spruchteile von der Geschworeneninitiative ab. Eine gesetzliche Nötigung dazu besteht nicht. Es können die alten Beschlüsse, soweit sie von der Berichtigungsanordnung nicht betroffen sind, einfach beibehalten werden. 7. Über Änderung und Ergänzung der Fragen beschliefst, wie über die Notwendigkeit der Berichtigung, das Gericht. Die so festgestellten Fragen sind zu verlesen, § 291 Abs. 2 2 ü . Wiederaufnahme der Beweisverhandlung ist zulässig, nicht nur betreffs der Frage, die inkorrekte Beantwortung fand, sondern wenn die Sachlage es erfordert, auch im weiteren Umfang. Da der Spruch, das Urteil der Geschworenen nunmehr widerruflich ist, so hat auch Neubildung von Urteilsgrundlagen kein Bedenken. Beweisanträge der Parteien, die jetzt noch gestellt werden, können nicht als verspätet abgelehnt werden (§ 245 Abs. I ) 2 1 , auch nicht, wenn sie eine Unterbrechung der Hauptverhandlung über die Grenzen des § 228 hinaus bedingen und daher das ganze Verfahren sich erneuern müfste. 8. Im Falle der Fragenänderung ist nicht ausgeschlossen, die ursprünglich niedergeschriebene Frage durch Zusätze und Streichungen entsprechend umzugestalten, wobei die Änderung 19 20 21

Vgl. oben S. 335. Vgl. näher oben S. 330. Vgl. auch RG 2. Str.-S. E. Bd. 28 S. 340 f.

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durch den \rorsitzenden zu beurkunden i s t 2 2 . Die Verlesung der geänderten Frage mufs sich aus dem Protokoll ergeben. Doch empfiehlt sich, die Frage im Ganzen neu auf den Fragebogen zu setzen und anzugeben, dafs sie an Stelle der früheren Frage trete. 9. Sollte dem Gesetz zuwider zur Verhandlung über Änderung oder Ergänzung von Fragen der Angeklagte nicht zugezogen worden sein, so müfste seine Anhörung noch nachträglich — vor Abgabe des neuen Spruchs — erfolgen in Gegenwart aller Prozefsbeteiligten, auch der Geschworenen, die zu diesem Zwecke noch aus dem Beratungszimmer zurückgerufen werden könnten 23 . Der Angeklagte hätte dann auch noch das Recht, Fragenänderung zu beantragen. Mit Kundgebung des berichtigten Verdikts aber wird die Versäumnis irreparabel. Denn einen Grund, den neuen Spruch abermals berichtigen zu lassen, gibt sie nicht ab, so wenig als ein analoger Verstofs im Verfahren vor dem ersten \ 7 erdikt. 10. Ob Änderungen der Fragen sachlich sind oder nur deren Formulierung betreffen, begründet im Verfahren keinerlei Unterschied. 11. Nicht als Fragenänderung zu erachten ist die Berichtigung eines offenbaren Schreibfehlers im Fragebogen vor der Kundgebung des Spruches auf Anregung der Geschworenen hin. Eine solche Korrektur steht dem Vorsitzenden ohne alle Förmlichkeiten zu, hat zum „Berichtigungsverfahren" keine Beziehung und erfordert nicht die Anwesenheit des Angeklagten 24 . 12. War der Spruch unvollständig infolge Auslassung einer Hauptfrage — bei Realkonkurrenz von Delikten —, so schliefsen sich an die Verlesung und Prüfung dieser weiteren Hauptfrage (oder des weiteren Fragenkomplexes, Haupt-, Hilfs-, Nebenfrage, falls der vergessene Anklagepunkt zu solcher Befragung Anlafs gibt) ergänzende Plädoyers zur Schuldfrage an. Anders ist die Prozefslage, wenn nachträglich nach mildernden Umständen für rückfälliges Delikt gefragt wird. Hier kommt es im Rahmen der Gesamtprozedur zur Erwirkung eines Teilverdikts lediglich über diese Frage. Das Verfahren bezielt nicht Spruchberichtigung, sondern eigentlich Spruchergänzung. Das Teil verdikt ist trotz seiner Unselbstständigkeit formell wie ein Vollverdikt zu 22 23 24

Vgl. RG 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 41 S. 124 f. Vgl. RG 3. Str.-S. R. I V S. 86 f. RG Fer.-S. bei Goltd. Bd. 43 S. 255.

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behandeln. Fragestellung, Plädoyers, Rechtsbelehrung usw. erfolgen ad hoc, in Beschränkung auf die mildernden Umstände 25 . I I I . Die Anordnung der Berichtigung, aus formellem, wie aus materiellem Grund, ist nicht bindend und kann daher, wenn das Gericht die Verfügung nachträglich für ungerechtfertigt erkennt, bis zur Kundgebung des berichtigten Spruchs wieder zurückgenommen werden 26 . Es verlieren in diesem Falle die bei der Verhandlung über die Berichtigung beschlossenen Änderungen und Ergänzungen des Fragebogens ihre Bedeutung. Das gilt auch von Hilfs- und Nebenfragen, die auf Antrag von Prozefsbeteiligten noch hinzugefügt wurden. Denn auch für diese Antragsbefugnis ist Voraussetzung, dafs der Berichtigungsbeschlufs bei Bestand bleibt. Ja, es wird der Widerruf selbst dadurch nicht ausgeschlossen, dafs weitere Beweiserhebungen stattgefunden hatten. Auch die Rücknahme geschieht durch formuliertes Dekret. Nach Kundgebung des neuen „berichtigten" Verdikts kann nur noch in Frage kommen, ob dieses der Berichtigung bedarf. Die nachträgliche Erkenntnis des Gerichts, dafs die Berichtigungsverfügung nicht veranlafst war, ist nicht Grund der Zurückweisung des Spruchs 27 . Wohl kann die Berichtigungsverfügung noch zurückgenommen werden, wenn die Geschworenen bei dem ersten Spruche beharren und das Gericht ihn nunmehr als nicht berichtigungsbedürftig erkennt. IV. Die sachliche Berichtigung kann nur von denselben Geschworenen ausgehen, die das erste Verdikt gegeben hatten. Auch ein Ergänzungsgeschworener, der an diesem unbeteiligt war, ist zur Mitwirkung bei der Berichtigung aufser stände 28 . Denn die berichtigte Antwort ist, wie die ursprüngliche, integrierender Teil des Gesamtverdikts, das nicht von zwei verschieden komponierten Geschworenenkollegien je zum Teile erlassen werden kann. Die Urheber des ersten Spruchs — und nur sie — haben aus dem Zusammenhange ihrer Schuldauffassungen heraus zu prüfen, wie 25

Vgl. oben S. 224. So auch franz. Kass.-Hof v. 21. Febr. 1895, D a l l o z , Recueil 99. 5. 219. 27 Richtig T h i l o zu § 311 Bern. 3. A. A. D a l c k e , Fragestellung S. 142: da der Revisionsrichter den zweiten Spruch zu verwerfen habe, so müsse es auch der erste Richter vor Abgabe seines Urteils noch können; das ist unschlüssig, kann etwa der erste Richter sein Urteil noch ändern, weil der Revisionsrichter dazu in der Lage ist? Ebenso M i t t e r b a c h e r zu § 331 österr. StPO. Zutreffend H é l i e , Traité I X § 698 I I I . 28 Α. Α. anscheinend Η. M e y e r in ν. Holtz. Handb. I I S. 205. 26

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zu berichtigen und ob nicht eine weitere Änderung des Verdikts, das ja im ganzen seine Verbindungskraft verloren hat, am Platze sei. Auch ein Wechsel des Obmanns bei sachlicher Berichtigung ist ausgeschlossen29. Ist ein Geschworener an weiterer Funktion verhindert, so ist Fortführung der Verhandlung nach Wegfall des Hinderungsgrundes zum Zweck der Berichtigung und des Urteilserlasses nur innerhalb der Frist des § 228 möglich. Nachher bleibt nur Erneuerung der ganzen Verhandlung unter Neubildung der Geschworenenbank übrig. Die formelle Berichtigung bezieht sich stets auf Fehler des Obmanns. Er hat den festgestellten Spruch nicht so schriftlich fixiert, wie das Gesetz es fordert, ihn nicht unterschrieben, nicht an die richtige Stelle des Fragebogens gesetzt, nicht die vorgeschriebenen Worte („Ja", „Nein" usw.) gebraucht usw. Daher kann die Berichtigung nur von ihm ausgehen und setzt eine Beschlufsfassung der Geschworenen nicht voraus. Es schadet nicht, wenn mittlerweile ein Ergänzungsgeschworener eingetreten ist. Aber bei Behinderung des Obmanns würden, wenn nicht das Gericht noch den Berichtigungsbeschlufs als in Wahrheit nicht veranlafst zurücknimmt oder die Berichtigung nur fakultativ angeordnet ist, die gleichen Konsequenzen eintreten, wie sie im Falle sachlichen Mangels durch die Behinderung eines Geschworenen bedingt werden. V. Blieb ein s a c h l i c h e r Fehler unberichtigt, infolge Nichterlasses oder Widerrufs der Berichtigungsanordnung, so unterliegt das Urteil der Revision 30 . Die Revisionsbeschränkung nach § 379 StPO (Anfechtung seitens der Staatsanwaltschaft im Falle des Nichtschuldigverdikts nur ausnahmsweise zulässig) ist bei fehlerhaftem Spruche zweifellos unanwendbar 31. Der Spruchfehler teilt sich notwendig dem auf ihm beruhenden Urteil mit. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: 1. Die Feststellung der Geschworenen genügt infolge des Spruchmangels nicht den Voraussetzungen des vom Gericht angewendeten Strafgesetzes. Dann ist dieses Strafgesetz durch Anwendung ver29

Vgl. oben S. 451. So ausdrücklich Österr. § 344 Z. 9. Ein Äquivalent förmlicher Berichtigung liegt nicht in einer den dunkeln Spruch klarstellenden formlosen Erläuterung durch die Geschworenen; ein Fall derart in Entsch. des österr. Kass.-Hofs Bd. 13 S. 62 f. 31 Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 2 S. 98, 3. Str.-S. R. I I I S. 316 usw. 30

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letzt, die Nichtigkeit des Urteils also eine m a t e r i e l l e . Und sonach kommt das Rechtsmittel unter den Voraussetzungen des § 397 StPO den Mitangeklagten zu statten. Die Hinnahme dieser die Anwendung des Strafgesetzes nicht rechtfertigenden Feststellung ergibt allerdings einen Prozefsverstofs, eine Verletzung des § 309, die Anwendung selbst aber ist materiellrechtlich verfehlt. Die prozessuale Nichtigkeit ist gewissermafsen durch die materielle absorbiert, sie kann nicht als solche geltend gemacht werden. Mit der Rüge des Prozefsverstofses, dafs nicht berichtigt worden sei, ist notwendig zugleich der materielle Urteilsfehler gerügt. Beispiele : Das Gericht hat verurteilt, obwohl der Wahrspruch ein gesetzliches Deliktsmerkmal übergangen, die Einsicht des Jugendlichen nicht festgestellt hat; es wurde Mittäterschaft angenommen, während für jeden Angeklagten gemeinsame Ausführung „mit einem anderen" festgestellt war; X und Y wurden wegen Anstiftung des Ζ verurteilt trotz Annahme getrennter Anstiftungsakte ; X ist wegen wissentlichen Meineids, Y wegen Verleitung des X zum objektiv falschen Eide verurteilt worden auf entsprechendes \ T erdikt hin. Die Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, der innere Widerspruch des Verdikts ist dem Gericht entgangen und wegen dieses Übersehens das Strafgesetz fälschlich für anwendbar erachtet worden. 2. Wenn infolge des Spruchfehlers die Feststellung der Geschworenen inhaltlich nicht qualifizierbar war oder eine bestimmte von ihnen zu treffende Feststellung überhaupt fehlte und dennoch auf Grund solchen Verdikts geurteilt worden ist — verurteilend oder freisprechend —, so leidet das Urteil an p r o z e s s u a l e r Nichtigkeit 82 . Die Geschworenen haben Haupt- und Hilfsfrage bejaht, eine Hauptfrage zugleich bejaht und verneint, die Hauptfrage verneint und eine qualifizierende Nebenfrage bejaht. Bei dem innern Widerspruch dieser Antworten läfst sich ein Feststellungsinhalt, der die Anwendung des Strafgesetzes oder die Freisprechung tragen könnte, überhaupt nicht bestimmen. Das Urteil schwebt in der Luft. 32 RG Fer.-S. bei Goltd. Bd. 48 S. 257 hat angenommen, dafs in solchem Falle zugleich prozessuale u n d materielle Nichtigkeit vorliege. Das ist aber in dieser Form nicht möglich. Wie sollte es dann übrigens mit § 397 StPO gehalten werden?

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Ähnlich ist's bei Freisprechung auf Grund undeutlichen schuldverneinenden Spruchs 83 . Blieb ein erfragter Tatbestand oder Tatumstand oder die Frage nach mildernden Umständen im Verdikt unerledigt, so fehlt einem dennoch über die bezügliche inkriminierte Tat erlassenen Urteil ganz oder teilweise die Basis. Die Geschworenen haben z. B. die Anstifterfrage nach Verneinung der Täterfrage unbeantwortet gelassen und es ist daraufhin Freisprechung erfolgt. Oder trotz fehlender Feststellung über eine erfragte Qualifikation hat das Gericht geurteilt unter Nichtannahme derselben; diese Negative ist völlig willkürlich. Vgl. auch § 266 Abs. 2 und 3 StPO. Besonders klar ist die nur prozessuale Nichtigkeit des Urteils, wenn im Spruch oder bereits in der Befragung ein selbständiger Anklagepunkt, eines der realkonkurrierenden Delikte, vergessen war und nun das Urteil ebenfalls unter Auslassung dieses Deliktes ergangen ist. Materiell, in ihrem positiven Inhalt, kann hier die getroffene Entscheidung durchaus zutreffend sein, aber es hätte auf Grund des unvollständigen Verdikts das Urteil nicht erlassen werden dürfen und konnte bei Anordnung der Spruchergänzung, womit den Geschworenen anderweite Aburteilung auch der schon erledigten Punkte freigegeben worden wäre, einen anderen Inhalt gewinnen. Fehlte endlich im Spruch die Angabe des Stimmenverhältnisses, so liefs sich sein Inhalt nicht qualifizieren. Es konnte nicht Bejahung des fraglichen Anklagepunktes, nicht Verneinung der mildernden Umstände angenommen werden usw. In allen diesen Fällen der prozessualen Nichtigkeit kommt der Erfolg des Rechtsmittels nur dem revidierenden Mitangeklagten zu gute. VI. Zweifelhafter erscheint, ob auch wegen unterlassener f o r m e l l e r Berichtigung Revision erhoben werden kann. Verliert bei Mangel der Unterschrift des Obmanns usw. das Verdikt, die Urteilsgrundlage, die Authentizität? Ist die Partei durch Verurteilung, Freisprechung beschwert, weil auf Grund nicht authentischen Wahrspruchs entschieden worden sei? Es liegt der Einwand nahe, das Urteil fufse nicht sowohl auf dem geschriebenen, als auf dem kundgegebenen, verlesenen Spruche, und das Protokoll, in Verbindung mit der Unterzeichnung des Spruchs durch den Vorsitzenden und den Gerichtsschreiber, 33

Vgl. oben S. 456.

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ergebe, dafs die Antworten, so wie sie der schriftliche Spruch enthalte, und ohne Beanstandung seitens der Geschworenen vom Obmann verlesen worden seien. Vom Standpunkte dieser Argumentation aus hätte die gesetzliche Vorschrift über die Beseitigung von Formfehlern für das Gericht nur instruktionelle Bedeutung. Allerdings wird durch die Unterschriften der Protokollbeamten unter dem „verlesenen", zu den Akten genommenen Spruch die Identität der kundgegebenen und der geschriebenen Antworten bezeugt. Das Gesetz verlangt aber zur gröfsern Sicherheit ferner noch, dafs die Identität der geschriebenen und der von den Geschworenen festgestellten Antworten durch die Unterschrift des Obmanns unter dem Spruch formell versichert werde; es genügt nicht die vorgeschriebene mündliche Beteuerung und der Nichtwiderspruch der anderen Geschworenen. Der vom Obmann, dem Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber unterschriebene Spruch ist die relevante Erscheinungsform des Verdikts. Und so fufst das Urteil allerdings auf dem geschriebenen Spruch und auf einem nicht-authentischen Spruch, wenn die Unterschrift des Obmanns fehlt. Daher ist Nachholung dieser Unterschrift unerläfslich 84 und das kann nur im Laufe der Verhandlung geschehen, da nach deren Beendigung der Obmann wieder Privatperson sein und daher zu einer amtlichen Versicherung — unter dem Spruch — nicht fähig sein würde. Man kann das Übermafs von Formalitäten beim Erlasse des Geschworenenspruchs bedauern, mufs aber aus der gesetzlichen Regelung ehrlich die Konsequenzen ziehen. Wurde auf Grund nicht unterschriebenen Spruches verurteilt, so fehlt es an einer authentischen Feststellung der Deliktsmerkmale und sonach an der vorgeschriebenen Begründung, §§ 266, 316. Das Urteil ist prozessualisch nichtig 3 5 , § 397 StPO nicht anwendbar. Und ebenso ist's bei Freisprechung. Die Annahme der Nichtschuld durch die Geschworenen steht nicht fest. Sonach ist das Urteil wiederum nicht begründet. Der Kundgebungsvermerk des Protokolls und die Unterzeichnung des Spruchs konstatieren durch die Protokollbeamten, dafs die Fragen und Antworten, so wie der Fragebogen sie enthält, 34 A. A. P u c h e l t zu § 307 Bern. 2: die im Protokoll bezeugte Kundgebung des Spruchs durch den Obmann saniere den Unterschriftsmangel. Ähnlich die Argumentation des preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 15 S. 576f. 85 Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 8 S. 10 f.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l as e r - Ο e t k e r , Strafprozefs I I I .

33

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verlesen worden seien. Ist also das Verhältnis der Fragen und Antworten auf diesem Schriftstücke unklar, indem die Antworten nicht neben die bezüglichen Fragen gesetzt sind, so teilt sich diese Unklarheit auch dem Protokoll usw. mit. Und sie geht, indem der geschriebene Spruch Bestandteil des Urteils wird, § 316, auch auf das letztere über. Da das Urteil in seinen Gründen nur auf den geschriebenen Spruch, nicht aufserdem auf das Protokoll Bezug nimmt, so würde der Mangel auch nicht dadurch beseitigt sein, dafs etwa das Protokoll den ganzen vom Obmann kundgegebenen Spruch mit Fragen und Antworten wortgetreu aufgenommen hätte (was auch kaum jemals der Fall sein wird). Daher krankt, soweit der Mangel reicht, auch in dieser Hinsicht das Urteil an prozessualer Nichtigkeit. Hingegen ist Revision nicht gegeben, weil eine nur fakultative Berichtigungsverfügung (betreffend Beglaubigung einer Streichung durch den Obmann, den Gebrauch der vorgeschriebenen Worte bei zweifellosem Sinne des Spruchs) nicht erlassen wurde. VII. Das Gesetz verlangt, dafs sich die Geschworenen zur Vornahme der Berichtigung in das Beratungszimmer zurückbegeben, § 309 Abs. 1. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dafs das zu diesem Zweck völlig geräumte Sitzungszimmer als Beratungszimmer dient. Nichtbeachtung dieser Vorschrift begründet Revision, wenn infolgedessen die Selbständigkeit der Beratung der Geschworenen gefährdet erschien. Also nie bei nur formellem Mangel, weil hier keinerlei weitere Beschlufsfassung stattfindet 36 . Die Berichtigung eines blofsen Schreibversehens durch den Obmann kann zweifellos sofort im Sitzungszimmer geschehen. V I I L Der Obmann ist verpflichtet, den formellen, das Geschworenenkollegium, den materiellen Mangel abzustellen. Das Gericht hat sich selbstverständlich auf die Darlegung des Mangels zu beschränken und nicht bei materiellem Fehler den 86 A. A. P u c h e l t zu §§ 309—312 Bern. 4; anscheinend auch L ö w e H e l l w e g zu § 309 Bern. 7; S t e n g l e i n zu § 307 Bern. 1; G e y e r S. 766; v. K r i e s S. 627; F r e u d e n s t e i n in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 379. Richtig D a l c k e zu § 309 Bern. 4; Z a c k e S. 166. Da die österr. StPO § 331 das Moniturverfahren auf formelle Mängel nicht ausgedehnt hat, so versteht sich, dafs diese alsbald im Sitzungssaale vom Obmann berichtigt werden können, M i t t e r b a c h e r zu § 329 Bern. 3. Die franz. Praxis verlangt Berichtigung auch der formellen Mängel im Beratungszimmer, S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 350 nr. 139.

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Inhalt der neuen Antwort vorzuschreiben, wofür allein die Schuldauffassung der Geschworenen mafsgebend ist. Sollte der Obmann die Berichtigung verweigern, so hätte ihn das Gericht wegen Renitenz zu Ordnungsstrafe gemäfs §§ 56, 96 GVG zu verurteilen. Aber es bleibt zu bedenken, dafs ihm die Verantwortlichkeit für die formelle Korrektheit des Spruchs nicht vom Gerichte abgenommen werden und er daher nicht verpflichtet sein kann, in Befolgung fälschlicher Anweisung das Gesetz zu verletzen, einen Formfehler zu machen. In solchem Falle wäre seine Weigerung berechtigt und die Strafe auf seine Beschwerde hin aufzuheben. Anders, wenn der Spruch zwar dem Gesetze entspricht, aber eine zulässige Änderung, z. B. Unterzeichnung jeder einzelnen Antwort, vom Obmann verlangt sein sollte : hier hätte er sich dem Gerichtsbeschlufs zu fügen. Ebenso in den früher besprochenen Fällen der fakultativen Berichtigungsverfügung. Das Unterbleiben der Änderung hindert die Urteilsfällung auf Grund des nichtberichtigten Spruchs, wenn diesem die Authentizität oder die Erkennbarkeit fehlt 3 7 . Bei Ablehnung sachlicher Berichtigung tritt diese schlimme Folge immer ein. Die Haupt Verhandlung ist abzubrechen und es mufs neue Verhandlung vor neuen Geschworenen, wenn möglich noch in dieser, sonst in der nächsten Session stattfinden 88 . Das 37

Vgl. S. 513, 514. Die Ansichten gehen auseinander. Im Sinne des Textes G l a s e r , Berichtigung des Wahrspruchs S. 305; M a y e r zu § 331 österr. StPO Bern. 181; L ö w e - H e l l w e g zu § 309 Bern. 10; G e y e r S. 767; v. K r i e s S. 631; T h i l o zu § 309 Bern. 7; D a l c k e zu § 309 Bern. 11; K e l l e r das. Bern. 9; S t e n g l e i n das. Bern. 10. G l a s e r a. a. O. will eine Ausnahme dann eintreten lassen, wenn die Zurücksendung der Geschworenen lediglich zur Beseitigung von Zweifeln erfolgt und das Gericht durch das Beharren der Geschworenen bei ihrer Antwort genügend beruhigt sei. Das ist aber nur in dem Sinne richtig, dafe die Berichtigungsverfügung bis zur Spruchberichtigung, also auch, wenn die Geschworenen diese ablehnen, noch zurückgenommen werden kann (vgl. oben S. 509). Nach Z a c h a r i a e I I S. 555 Anm. 22; Z a c k e , Fragestellung S. 165; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 209 soll das Urteil auf Grund des mangelhaften Spruches erlassen werden. Das ist öfters, z. B. bei Bejahung von Haupt- und Hilfsfrage, bei Bejahung und Verneinung einer und derselben Frage, direkt unmöglich und stets falsch, da die Nichtigkeit des Urteils im voraus feststände. F r e u d e n s t e i n in Goltd. Bd. 33 S. 394 und B i s c h o f f das. Bd. 46 S. 16 verlangen Freisprechung, obwohl das verkehrte Verdikt dafür so wenig eine 33* 38

56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

Gericht kann weder auf Grund des fehlerhaften Spruchs entscheiden, dessen Annahme von ihm abgelehnt werden mufste, noch selbst berichtigen. W e i g e r u n g der B e r i c h t i g u n g schützt nicht das dennoch erlassene Urteil vor Revision, wenn a u f M a n g e l d e r B e r i c h t i g u n g s V e r f ü g u n g das Rechtsmittel hätte gestützt werden können. Durch die Berichtigungsanordnung ist der Spruch im ganzen suspendiert. Daher wäre nicht möglich, unter Aufhebung der Konnexität über die Straftaten und Angeklagten zu urteilen, betreffs deren korrekt beantwortete Schuldfragen vorliegen, und nur insoweit die Verhandlung abzubrechen, als das Vitium des Spruchs wirkt. Wie nicht mit Erlafs der Berichtigungsverfügung Urteil auf Grund der nicht berichtigungsbedürftigen Spruchteile verbunden werden kann, so legitimiert auch nicht die Nichtbefolgung der Berichtigungsverfügung (oder etwa deren Rücknahme wegen Nichtbefolgung) zu solchem Urteil. Die Geschworenen haben mit der Pflicht teilweiser Spruchberichtigung die Befugnis zur vollen Spruchänderung: der Nichtgebrauch dieses Rechts kann nur durch Erfüllung jener Pflicht zur Feststellung kommen. Die renitenten Geschworenen sind aus §§ 56, 96 GVG strafb a r 8 9 . Aber woher weifs das Gericht, welche Geschworene sich der Änderung widersetzt haben? Nun kann gewifs weder von einem delictum universitatis — des Geschworenenkollegs — noch von Schuldpräsumtion, noch von Haftung Dritter die Rede sein. Die Weigerung aller oder einzelner Geschworenen, auf Schuldfragen Grundlage bietet als für Verurteilung. Die Geschworenen hätten es dann in der Hand, die Freisprechung zu erzwingen, ohne die Schuld zu verneinen. P u c h e l t zu §§ 309—312 Bern. 4 will die Geschworenen so lange im Beratungszimmer einschliefsen, bis sie sich zur Berichtigung bequemen (also Reminiszenz an die Erzwingung der Einstimmigkeit nach englischem Brauche !). Natürlich muis dann auch das Gericht so lange vereinigt bleiben und es fragt sich, wer es am längsten aushält. 39 So die herrschende Ansicht, aber ohne Angabe, wie die Schuldigen ermittelt werden sollen. Gegen Bestrafung K e l l e r zu § 309 Bern. 9: § 200 GVG stehe der Ermittelung der Schuldigen entgegen. F r e u d e n s t e i n bei Goltd. Bd. 33 S. 393 (ähnlich B i s c h o f f das. Bd. 46 S. 16) verwirft jeden Zwang, weil die Jury dem Gericht koordiniert und daher nicht verpflichtet sei, der Berichtigungsverfügung zu folgen. Allein die Pflicht der Geschworenen, dem Gerichte zu antworten, ist doch wohl zweifellos. Das Gericht darf gewifs nicht einen positiven Antwortsinhalt verlangen, hat aber mafsgebend zu prüfen, ob durch die erteilten Antworten die Fragen wirklich erledigt sind.

§ 56. Der Berichtigungsbeschlufs und das Berichtigungsverfahren.

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zu antworten, gegebene Antworten nach gerichtlicher Anweisung zu verbessern, ergibt eine Justizverweigerung des Geschworenenkollegs. Sollte je ein Richterkollegium die Entscheidung versagen, so wäre ohne Zweifel jedes Mitglied verpflichtet, auf Erfordern der vorgesetzten Behörde den Grund der Justizverweigerung anzugeben, die renitenten Richter namhaft zu machen. Die gleiche Pflicht besteht für die Geschworenen dem Gericht gegenüber, da dieses nach § 96 GVG über die Erfüllung ihrer Obliegenheiten zu wachen hat. Sonach hat, wenn Berichtigung abgelehnt wird, das Gericht den Obmann und die übrigen Geschworenen zu befragen, welche von ihnen sich der Änderung widersetzt haben. Erfolgt Antwort nicht, so sind alle Geschworenen strafbar, weil sie sich eben hierdurch ihrer Obliegenheit entzogen haben (§ 56). Andernfalls sind nur die Urheber der Nichtberichtigung strafbar. Die Verschwiegenheitspflicht der Geschworenen (§ 200 GVGX reicht nicht weiter als die entsprechende Richterpflicht und erfährt daher notwendig eine Ausnahme, wenn das Kollegium von der zuständigen Stelle aufgefordert wird, sich wegen Justizverweigerung zu verantworten. Strafbare Renitenz liegt auch dann vor, wenn die nicht befolgte Berichtigungsanordnung zu Unrecht ergangen war, der gerügte Fehler in der Tat nicht bestand. Das Geschworenenkollegium ist betreffs der materiellen Korrektheit des Spruchs von den Weisungen des Gerichts abhängig. Ein Konflikt der beiden Kollegien würde die Rechtspflege unmöglich machen. Mit dem Rechte und der Pflicht der Spruchprüfung hat das Gericht den Anspruch auf Spruchberichtigung gegenüber den Geschworenen. Daher kann nicht die Beschwerdeinstanz in eine materielle Spruchprüfung eintreten und unter Annahme der Fehlerfreiheit des Verdikts die erkannte Ordnungsstrafe aufheben 40. Wohl wäre denkbar, dafs nach Ablehnung der Spruchberichtigung das Gericht die Berichtigungsverfügung noch als unrichtig befände und zurücknähme ; in diesem Falle könnte trotz des formellen Ungehorsams der Geschworenen Bestrafung nicht eintreten, da durch den Widerruf der Anordnung die U n z u l ä s s i g k e i t der Berichtigung des Spruchs vom Gericht konstatiert wäre. 40

So S t e n g l e i n zu § 309 Bern. 10.

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§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

§ 57. R e v i s i o n w e g e n S p r u c h b e r i c h t i g u n g . Der b e r i c h t i g t e Spruch. I. War s a c h l i c h e Berichtigung zu Unrecht angeordnet, so beruht das Urteil auf dem fälschlich erwirkten neuen Spruch und somit auf Verletzung der Normen über die Berichtigung. Das Urteil ist daher auf Revision hin als prozessualisch nichtig aufzuheben1. Natürlich nur im Umfange der erfolgten Anfechtung; also mit Beschränkung auf eine Straftat oder einen Angeklagten, wenn nur insofern Revision vorliegt. Dem Mitangeklagten kommt das Rechtsmittel nicht zu statten, weil die Rechtsverletzung prozessualen Charakters ist (§ 397). 1. G l a s e r 2 betont, dafs die Stellung des überprüfenden Revisionsgerichts eine andere sei als die des Schwurgerichtshofs. Zur Reprobierung des Berichtigungsverfahrens reiche keineswegs immer aus, dafs der erste Spruch nicht solche Gebrechen aufweise, die es auch dem Revisionsgericht zur Pflicht machen müfsten, ihn zu vernichten. Habe der Schwurgerichtshof bona fide von seinem Recht, sich Beruhigung über die wahre Meinung der Geschworenen zu verschaffen, Gebrauch gemacht, so genüge dies, seinen Vorgang vor Vernichtung zu schützen. Das ist insofern gewifs zutreffend, als der Revisionsrichter bei der Prüfung, ob durch b e g l e i t e n d e G e s c h w o r e n e n - E r k l ä r u n g e n ein Spruchmangel indiziert war, in dubio die Berichtigungsverfügung aufrechtzuerhalten hat. Denn trotz genauer Protokollierung der Erklärungen liegen die Grundlagen der Prüfung für den Revisionsrichter ungünstiger als für die erste Instanz. Das Gesamtbild, das diese aus den Erklärungen im Zusammenhalt mit den sonstigen Verhandlungen gewinnen mufste, läfst sich nicht reproduzieren. Der Revisionsrichter wird daher in solchem Falle nur vernichten, wenn er die Überzeugung gewinnt, dafs die bezüglichen Erklärungen den ersten Richter zur Annahme einer Undeutlichkeit usw. des Spruchs nicht führen durften. Bei 1

RG 3. Str.-S. E. Bd. 2 S. 361 f. und Bd. 6 S. 317 f., 4. Str.-S. E. Bd. 14 S. 298 f., 1. Str.-S. E. Bd. 33 S. 285 f. Verfehlt Z a c h a r i a e I I S. 552: die Anordnung der Berichtigung sei Ermessenssache und daher Revision ausgeschlossen. Nach Österr. § 344 Z. 5 ergibt die fälschliche Einleitung des Berichtigungsverfahrens einen Nichtigkeitsgrund nur, wenn der Beschwerdeführer dieser Anordnung widersprochen hatte, vgl. Kass.-Hof v. 13. Okt. 1877 E. Bd. 2 S. 334f., v. 2. Mai 1881 Bd. 4 S. 105 f. 2 Berichtigung des Wahrspruchs S. 305, 306.

§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

Mängeln, die ohne solche Begleiterklärungen aus dem Spruche selbst entnommen wurden, sind die PrüfungsVoraussetzungen für beide Gerichte ganz regelmäfsig die nämlichen. Eine Ausnahme besteht, wenn ohne Zurückgehen auf die präsumtive Schuldauffassung der Geschworenen nicht zu entscheiden war, ob die eine Antwort der anderen widerspricht oder nicht 3 . Hier war ohne Zweifel zur Prüfung dieser Voraussetzung der erste Richter weit besser in der Lage, und es wird daher das Revisionsgericht ihm insofern nicht leicht entgegentreten. 2. Die Revisionsschranke des § 379 StPO, wonach der Staatsanwaltschaft im Falle einer Nichtschuldig-Erklärung des Angeklagten im Spruche die Anfechtung des Urteils nur ausnahmsweise zusteht, kommt nicht in Betracht, da ein gesetzmäfsiger Spruch vorausgesetzt ist, wie er bei unstatthafter Anwendung des Berichtigungsverfahrens nicht vorliegt 4 . 3. Mit der Aufhebung des Urteils verbindet sich die Aufhebung des neuen Spruches, und zwar insoweit, als er durch die Gesetzesverletzung betroffen wird, wegen deren die Aufhebung des Urteils erfolgt, § 393 Abs. 2. Der Spruch ist aber in allen denjenigen Antworten von dem prozessualen Fehler berührt, die sich auf die Straftat (die Straftaten) und den Angeklagten (die Angeklagten) beziehen, betreffs deren Revision vorliegt 5 . Insoweit wäre teilweise Aufhebung des Spruches unmöglich. Es geht nicht an, beispielsweise eine dem revidierenden Angeklagten günstige Antwort auf eine Neben- oder Hilfsfrage bestehen zu lassen und nur die ihm ungünstige Feststellung zur Hauptfrage aufzuheben usw. Der erste Spruch hatte z. B. Diebstahl mit Waffen, der zweite hat Raub angenommen unter Verneinung der Qualifikation. Die Schuldfeststellung für eine Tat kann nur einheitlich sein. Und mit dem Schuldausspruch fällt notwendig die Entscheidung über mildernde Umstände. 4. Die Aufhebung des neuen Spruchs restituiert den alten, zu Unrecht berichtigten 6 . Fragen, die anläfslich des Berichtigungsverfahrens neu gestellt worden sind, verlieren ihre Bedeutung mit Kassierung der Berichtigungsverfügung. 3

Vgl. oben S. 493 fg. RG 3. Str.-S. E. Bd. 6 S. 317 f.; 4. Str.-S. E. Bd. 14 S. 298 f. δ So auch RG 2. Str.-S. E. Bd. 23 S. 402. 6 Das Verbot der reform, in pejus, § 398 Abs. 2, ist erst bei der Lehre von der Revision zu besprechen. Dort wird auch genauer auf den Umfang der Spruchaufhebung einzugehen sein. 4

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§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung.

Der berichtigte Spruch.

Es konnten freilich die Geschworenen, die nach Anordnung der sachlichen Berichtigung an keinen Teil des frühern Spruchs mehr gebunden waren, den neuen Spruch auf Grund anderweiter Beweiswürdigung, geänderter Rechtsauffassung geben. Ja, es ist denkbar, dafs ihm ergänzende Beweisaufnahmen vorangegangen sind. So entsteht der Zweifel, ob nicht in jedem Falle durch den zweiten Spruch und in dessen Umfange der erste zurückgenommen ist, als beachtliches Dekret nicht mehr existiert und sonach seine Aufrechterhaltung unter Kassierung des zweiten Verdikts unmöglich wäre? Und es ist nicht zu leugnen, dafs die Restituierung des ersten Spruchs die mifslichsten Konsequenzen haben kann. Wurde z. B. anläfslich des Berichtigungsverfahrens noch ein Zeuge vernommen , dessen Aussage zu gunsten des Angeklagten derart in's Gewicht fiel, dafs die Geschworenen die früher bejahte Hauptfrage verneint haben, so stellt die Kassierung des zweiten Spruchs auf Revision des Staatsanwalts hin das als ungerecht nunmehr zurückgenommene Schuldig wieder her. Sollen etwa demnächst die Richter, an die zurückverwiesen wird, oder soll gar das Revisionsgericht von der Befugnis des § 317 Gebrauch machen? Aber das ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Entscheid des § 317 nicht auf Grund der Akten gefällt werden kann 7 . Trotz dieser Bedenken ist Aufrechterhaltung des ersten Spruchs zutreffend 8. Der neue Spruch hat jenen nur unter der Voraus7

Vgl. unten § 58 II. Für Aufrechterhaltung des ersten Spruchs: W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 370; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 310 f.; Z a c k e , Fragestellung S.164; G l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. I S. 310; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 208; D a l c k e , Fragestellung S. 141 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 594; L ö w e H e l l w e g zu § 312 Bern. 1; S t e n g l e i n zu § 309 Bern. 8. Ebenso die konstante Praxis des Reichsgerichts, vgl. z. B. 3. Str.-S. E. Bd. 2 S. 361 f. ; 4. Str.-S. E. Bd. 20 S. 190; 3. Str.-S. E. Bd. 27 S. 392 f.; 1. Str.-S. E. Bd. 33 S. 285 f. Gegen Aufrechterhaltung T h i l o zu § 311 Bern. 4: der erste Spruch sei durch das Berichtigungsverfahren rechtlich und durch den anderweiten Spruch tatsächlich beseitigt, zudem dem Angeklagten nicht zur Kenntnis gekommen, so dafs dieser Einwendungen und Anträge nicht habe geltend machen können. Allein der Verteidiger war doch bei der Kundgebung zugegen und mufste mit etwaigen Ausführungen gehört werden. Zudem ist im Revisionsverfahren zu Bemängelungen des ersten Spruchs ausreichende Gelegenheit. v. B a r , Recht und Beweis S. 289, wollte Aufrechterhaltung des ersten Verdikts nur unter der Voraussetzung, dafs es dem Angeklagten günstiger wäre als das zweite, andernfalls hätte es bei dem letzteren zu bewenden. H. M e y e r a. a. 0. meint, es müsse, wenn das Zurückgehen auf den ersten Wahrspruch auf Beschwerde des Staatsanwalts erfolgt sei, zunächst 8

§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

Setzung ersetzt, dafs er selbst bei Bestand bleibt. Mit Aufhebung des spätem Spruchs als grundlos erwirkt lebt der frühere wieder auf. Die Prozefsbeteiligten haben den Anspruch, dafs auf Grund eines in Wahrheit nicht berichtigungsbedürftigen Spruchs das Urteil auch wirklich gesprochen werde. Das materielle Recht kann freilich auch in dieser Hinsicht durch den Formalismus der bestehenden schwurgerichtlichen Prozedur schwer geschädigt werden. 5. Die Anordnung sachlicher Berichtigung aus nicht zutreffendem Grunde, während in anderer Hinsicht ein sachlicher Mangel in der Tat bestand, kann niemals zur Restituierung des alten fehlerhaften Spruches, dessen Berichtigung in der Tat geboten war, führen 9 . Ist in solchem Falle der neue Spruch fehlerfrei ausgefallen — was wohl denkbar, indem durch die neuen Antworten der fälschlich angenommene Fehler bedeutungslos geworden, der wirklich vorhandene beseitigt sein kann —, so scheint Abweisung der Revision am Platze zu sein. Denn die Berichtigungsverfügung war an sich veranlafst und gab den Geschworenen die Änderung des Spruches in allen Teilen frei. Allein es war doch den Geschworenen die Berichtigung einer Entscheidung in einem Punkte aufgegeben, in dem sie in Wahrheit beibehalten werden durfte, und dieses Verlangen kann für den Inhalt des neuen Spruches kausal geworden sein. Blieb der wirkliche Spruchfehler unberichtigt, so hat sich der Irrtum des Gerichts erst recht für den Inhalt des neuen Spruchs kausal erwiesen. Daher ist in beiden Fällen das Urteil mit dem neuen und dem alten Spruche aufzuheben; die Berichtigung des letztern war geboten und ist infolge irrig begründeter Berichtigungsverfügung nicht oder doch nicht rechtsgültig erreicht worden. 6. Die Aufhebung des Urteils mit beiden Sprüchen bedingt immer Zurückverweisung an das Schwurgericht. Aufhebung des Urteils und nur des zweiten Verdikts führt zur Zurückverweisung in die untere Instanz stets dann, wenn es einer weitern Verhandlung bedarf. Eine solche ist jedenfalls erübrigt bei glatter Verneinung der Haupt-(Hilfs-)Frage im ersten Verdikt. Aber auch bei teilweiser Bejahung mit der Wirkung eines Nein wäre die Zurückverweisung zwecklos. Die erste Instanz noch die Verkündigung desselben an den Angeklagten nach § 313 nachgeholt werden. Allein das Verdikt ist schon durch die Kundgebung prozessuale Tatsache geworden und das Revisionsgericht kann nicht seinerseits ein Stück schwurgerichtlicher Hauptverhandlung nachholen. Vgl. auch unten § 61 I. 9 Instruktiv R. V I I S. 597 f. (RG Fer.-S.).

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hätte allerdings in diesem Falle vor Urteilserlafs die Parteien mit ihren Ausführungen und Anträgen zur Schuldfrage hören müssen, § 314 Abs. 2. Allein das Resultat, die Freisprechung, stand doch von vornherein fest. Und so ist diese auch für das Revisionsgericht sofort liquid. Auch dann entscheidet das Reichsgericht in der Sache selbst, wenn auf Grund des ersten Spruchs eine absolut bestimmte Strafe, z. B. die Todesstrafe 10, oder auf Einstellung (Feststellung eines Antragsdelikts bei fehlendem Antrag) zu erkennen ist. Der Wortlaut des § 394 StPO läfst sich freilich für die eigene Entscheidungsbefugnis des Revisionsgerichts nicht anführen. Denn die Aufhebung des Urteils erfolgt wegen fehlerhaften Verfahrens, nicht „wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteile zugrunde liegenden Feststellungen". Nicht die Gesetzesanwendung vom Standpunkte des zweiten Spruches aus, sondern dessen Herbeiführung verletzte das Gesetz. Aber die Analogie zu § 394 springt in die Augen. Die Stellung des Revisionsgerichts zum ersten Spruche ist ganz dieselbe, wie im Falle des § 394 zu den Feststellungen des Unterrichters, auf welche das Strafgesetz unrichtig angewendet worden war 1 1 . Es ist daher weiter in Analogie dieses Gesetzes das Revisionsgericht auch für ermächtigt zu halten, in Übereinstimmung mit dem Antrage der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe auszusprechen und so die Zurückverweisung zu ersparen. Das Bedenkliche dieser Ausnahmebefugnis ist gewifs nicht zu verkennen. Aber Zurückverweisung lediglich zur Straf bestimmun g unter Aufrechterhaltung des Schuldentscheides wäre nicht ein kleineres Übel. Dabei ist zu beachten, dafs mildernde Umstände anomaler Weise zur Kognition der G e s c h w o r e n e n stehen, das Revisionsgericht also nicht über das alte Verdikt hinaus bei Ermittelung der Mindeststrafe mildernde Umstände annehmen kann 1 2 . In allen anderen Fällen mufs zurückverwiesen werden und es 10 Die Todesstrafe ist deshalb nicht weniger absolut bestimmt, weil Ehrverlust mit ihr verbunden werden k a n n . Das Revisionsgericht, das nach § 394 Abs. 1 auf die Todesstrafe erkennen kann, hat eben deshalb auch die Befugnis, über die Nebenstrafe des Ehrverlustes zu befinden. 11 Die Anwendung des § 394 entspricht der Praxis des Reichsgerichts,, vgl. z. B. 4. Str.-S. E. Bd. 20 S. 188 f., 3. Str.-S. E. Bd. 27 S. 394. Dafür auch G e y e r S. 768; L ö w e - H e l l w e g zu § 312 Bern. 1. 12 Im nicht-schwurgerichtlichen Verfahren kann das Revisionsgericht auch seinerseits mildernde Umstände feststellen und auf die entsprechende Mindeststrafe erkennen. Vgl. B i n d i n g , Grundrifs § 123 sub V I I .

§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

erneuert sich, da andere Richter zu entscheiden haben und der Zeitraum des § 228 längst verstrichen ist, auch die Beweisaufnahme, ohne welche eine Strafbemessung unmöglich wäre. Wie mifslich aber eine Beweiserhebung ist, die nur für die Straffrage in Betracht kommt und doch die Grundlagen der Schuldbeurteilung ändern kann, liegt auf der Hand. Es könnte sogar eintreten, dafs die Richter aus dieser Beweiserhebung die Überzeugung schöpften, die Geschworenen hätten sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt. Eine Verweisung aber nach § 317 an ein anderes Schwurgericht wäre trotzdem unmöglich, schon weil der alte Spruch vom Revisionsgericht aufrechterhalten ist. 7. Schwierigkeit bereitet die Frage, an welches Gericht — unter Aufrechterhaltung des ersten Wahrspruchs — zurückzuverweisen ist 1 8 . Nach dem Wortlaut des Gesetzes, § 394 Abs. 2, an das Schwurgericht, denn dessen Urteil ist aufgehoben. Ein Schwurgericht aber kann nach Reichsrecht nur unter Zuziehung von Geschworenen zur Sache entscheiden14. Urteile, gefällt von einem Schwurgericht ohne Assistenz von Geschworenen, gibt es nicht. Zum „Schwurgericht" gehören, wie § 81 GVG deutlich sagt, auch die Geschworenen. Das Urteil ist nicht Urteil lediglich der richterlichen Mitglieder, sondern des Schwurgerichts. Die Richterbank formiert das Urteil des Schwurgerichts, also der beiden zum Gericht vereinigten Kollegien, aus dem Schuldentscheid der Geschworenen und dem eigenen Strafentscheid und verkündet es im Namen b e i d e r Kollegien. Die Anwesenheit der Geschworenen bei der Verkündung ist unerläfslich (vgl. auch § 225 StPO). Die Geschworenen haben das Recht der Anteilnahme an der Beweiserhebung (durch Befragung der Beweispersonen, § 239 Abs. 2) und zwar in der ganzen Verhandlung, also auch bei einem Beweisakte erst nach Abgabe des Verdikts. Das konkrete frühere Geschworenenkollegium existiert nicht mehr. Folglich müfsten die 13 Der gleiche Zweifel besteht für alle anderen Fälle der Zurückverweisung unter Aufrechterhaltung des Spruchs, wegen eines bei der Verhandlung über die Straffrage vorgekommenen Prozefsverstofses usw. 14 A. A . L ö w e - H e l l w e g zu § 394 Bern. 6b ; RG 2. Str.-S. R. V I I I S. 760, 4. Str.-S. E. Bd. 21 S. 388 f. : es soll ohne Bildung einer Geschworenenbank vom „Schwurgericht" auf Grund des ersten Wahrspruchs geurteilt werden. Dagegen B e n n e c k e - B e l i n g S. 596. Einstellungsurteile (ohne vorgängige Befragung der Jury) interessieren hier nicht. Vgl. darüber und über das von StPO nicht aufgenommene sog. Autoverdikt (Richterurteil ohne Geschworene auf Geständnis des Angeklagten hin) unten § 65 sub I V und § 66 sub II.

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Geschworenenfunktionen — Assistenz bei der Beweisaufnahme (mit Fragerecht) und bei der Urteilsverkündung — einem anderen Geschworenenkollegium übertragen werden. In der Strafkammer ist bei der Beweiserhebung zur Schuld- und Straffrage das Gericht mit fünf im Voraus bestimmten (§§ 61 fg. GVG) Mitgliedern besetzt; sollten im Schwurgericht, also bei schwereren Verbrechensfällen, für Beweiserhebung zwecks Strafbestimmung drei ad hoc berufene (§ 83 GVG) Richter genügen ohne die zwölf Geschworenen, obwohl doch das Gesetz in deren Fragerecht ohne Zweifel eine der Garantien des schwurgerichtlichen \7erfahrens erblickt? Andererseits aber hat auch die Bildung einer Geschworenenbank ohne Entscheidungsbefugnis ihre grofsen Bedenken. Unter den Geschworenen versteht das Gesetz eidlich verpflichtete U r t e i l er. Die Geschworenen sind „zur Entscheidung der Schuldfrage berufen", § 81 GVG, sie werden „in Gegenwart der Angeklagten, über welche sie richten sollen", beeidigt, § 288 StPO. Ihre Funktionen im weiteren Verlauf der Verhandlung sind nur Residuen der im Verdikt geübten Urteilsbefugnis und des zu diesem Zweck gegebenen Informationsrechts. Eine Jury von Nichturteilsgeschworenen, die wie Urteiler vereidigt würden, obwohl sie gar nicht in die Lage kämen, „ihre Stimme abzugeben", § 288 StPO, müfste wie eine Farce wirken. Sie wären im Grunde trotz des bestehenden Fragrechts wesentlich Solennitätszeugen. Eine solche ganz anomale Verwendung der Jury kann nicht vom Gesetze gewollt sein. So bleibt, um einerseits ein voll besetztes und voll qualifiziertes Gericht zu haben, andererseits die Heranziehung von Scheingeschworenen zu vermeiden, nur ein Ausweg: die Verweisung an die Strafkammer 15 . Freilich scheint deren sachliche Unzuständig15 Vgl. O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65 S. 453 und neues tens L o t z e Recht Jahrg. X S. 43 fg. (schlägt vor, die Strafkammer nur mit 3 Richtern zu besetzen). So nun auch das Reichsgericht. Vgl. 2. Str.-S. E. Bd. 36 S. 195. Auffälligerweise fehlt aber jede Begründung. I n früheren Prozefsgesetzen ist die Frage zuweilen ausdrücklich entschieden (für alle Fälle der Zurückverweisung unter Aufrechterhaltung des Spruchs), was sich auch für StPO empfehlen dürfte. Nach Hann. 1850 § 219 und 1859 § 227 Abs. 2 war, wenn nicht das Revisionsgericht die Sache an sich nahm, an die Berufungskammer eines Obergerichts zu verweisen. Verweisung an den Assisenhof zur Entscheidung ohne Zuziehung von Geschworenen bestimmten Hess.-Darmst. 1848 Art. 280, Nass. 1849. I n gleichem Sinne W a l t h e r S. 444 zu Bay. 1848 Art. 248 Z. 2; S c h w a r z e zu Sachs. 1868 Art. 99. Das Hess.-Homb. Ges. v. 21. März 1851 Nichtigkeitsbeschw. gegen

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keit (§§ 73 fg., 80 GVG) ein unübersteigliches Hindernis zu bilden. Allein die Funktion des Schwurgerichts selbst fällt weg, weil dessen Konstituierung — mit Geschworenen und erst recht ohne solche — gesetzlich unzulässig ist. Und die Strafkammer wird in dieser Verwendung nicht kraft eigener, sondern kraft schwurgerichtlicher Zuständigkeit, also vertretungsweise, tätig. Beim Landgericht mufs die Sache jedenfalls bleiben; nach Ausscheidung aber des einen landgerichtlichen Strafspruchgerichts, des Schwurgerichts, restiert nur das andere, die Strafkammer. „Das Gericht, dessen Urteil aufgehoben ist", § 394 Abs. 2 StPO, wird repräsentiert durch ein andersartiges Spruchgericht derselben Gerichtsbehörde, wenn ein dem ersterkennenden Gericht gleichartiges Spruchgericht aus gesetzlichen Gründen nicht rekonstituiert werden kann. Unterstützend kann auf § 82 GVG verwiesen werden, wonach die Strafkammer auch in anderer Beziehung für das Schwurgericht vikariiert, wenn eine Entscheidung aufserhalb der Sitzungsperiode erforderlich wird. Mit einer Entscheidung, die alsbald von der unteren Instanz getroffen werden kann und nicht durch Geschworene gefällt wird, bis zum Wiederzusammentreten der Schwurgerichte zu warten, wäre eine Prozefsverschleppung, die dem Gesetze nicht zugetraut werden darf. Wenn im Wiederaufnahmeverfahren gegenüber einem schwurgerichtlichen Urteil unter dem zur Entscheidung berufenen „Gericht, dessen Urteil mit dem Antrag angefochten wird", § 407 Abs. 1, zweifellos die stellvertretende Strafkammer zu verstehen ist, so erscheint unbedenklich, in Anwendung des § 394 Abs. 2 bei Zurückverweisung unter Aufrechterhaltung des Verdikts „das Gericht, dessen Urteil aufgehoben ist", ebenfalls auf die Strafkammer in Vertretung des Schwurgerichts zu beziehen. II. Unmotivierte f o r m e l l e Berichtigung begründet Revision nicht, es müfste denn auf diesem Wege der Spruch seine Authentizität oder Erkennbarkeit verloren, die sogenannte Korrektur also den relevanten Fehler erst gebracht haben. Blofs überflüssige formelle Änderungen dagegen, z. B. das Verlangen spezieller Unterzeichnung jeder einzelnen Antwort, können nicht den Rechtsbestand des Urteils berühren; dieses fufst auf dem Spruch, der vorher und nachher inhaltlich derselbe war, nicht auf den getroffenen formellen Änderungen. Erkenntnisse der Assisenhöfe betr. Art. 5 liefs bei Aufrechterhaltung Spruchs stets das Rechtsmittelgericht entscheiden.

des

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Wohl besteht Revisionsrecht, wenn ein sachliches Berichtigungsverfahren angeordnet wurde (unter Bedeutung der Geschworenen, dafs die Yerbindungskraft des alten Spruches für sie erloschen sei; durch Nachbringung, Änderung von Fragen usw.) und zu einem inhaltlich abweichenden Spruch führte 1 6 oder doch eine solche Änderung zugelassen wurde, obwohl nur formelle Korrektur eintreten durfte. Mit dem Urteil sind beide Sprüche aufzuheben : der neue, weil er zu Unrecht erwirkt, der alte, weil er mit einem formellen Fehler belastet ist. Im umgekehrten Falle, bei formeller Berichtigung an Stelle sachlicher, — das Gericht hat z. B. mangelnde Angabe des Stimmenverhältnisses oder Schuldbejahung trotz Fehlens der erforderlichen Majorität 1 7 für vom Obmann zu verbessernde formelle Fehler erachtet — ist der Spruchmangel in der Tat unberichtigt geblieben und deshalb und wegen Festhaltens der Geschworenen an dem Inhalte des frühern Spruchs (entgegen § 311) die Revision begründet 18 . Nicht könnte Revision dann ergriffen werden, wenn das Gericht infolge nachträglicher Erkenntnis seines Irrtums sich bei der getroffenen Scheinkorrektur nicht beruhigt und nun noch die materielle Berichtigung herbeigeführt hätte 1 9 . I I I . Sollte der neue Spruch wiederum einen Form- oder Sachfehler enthalten, so wäre abermals Berichtigung anzuordnen. Es kann sich an materielle Berichtigung eine formelle anschliefsen — wegen Formmangels des neuen Spruchs — oder eine weitere materielle, dagegen nicht umgekehrt durch formelle Berichtigung eine materielle bedingt werden, da Zurückweisung einer im formellen Berichtigungsverfahren zu Unrecht getroffenen materiellen Änderung nicht selbst materielle Berichtigung wäre 20 . IV. Der berichtigte Spruch ist in der Weise niederzuschreiben, 16 Revision z. B. dann nicht, wenn wegen mangelnder Unterschrift des Obmanns fälschlich ein neuer Spruch verlangt und genau ebenso wie der frühere ergangen wäre. 17 Vgl. RG 3. Str.-S. R. I V S. 315. 18 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 46 S. 329 f. 19 Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 31 S. '425 f. (in der Begründung nicht ganz einwandfrei). 20 Inkorrekt F r e u d e n s t e i n in Goltd. Bd. 33 S. 397; L ö w e - H e l l w e g zu § 310 Bern. 2; B e n n e c k e - B e l i n g S. 566: es sei zur Beseitigung der unzulässigen Änderung von neuem nach § 309 zu verfahren. Vielmehr wird die materielle Änderung durch einfache Ablehnung des neuen Spruchs beseitigt, und es ist zugleich wiederholt die formelle Berichtigung des alten Spruchs zu fordern.

§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

dafs der frühere erkennbar bleibt, § 312 21 . Denn sonst würde unter Umständen das Revisionsgericht gar nicht nachprüfen können, ob sachliche Berichtigung mit Recht angeordnet worden war, oder doch nicht in der Lage sein, der Revision Folge zu geben, weil sich der erste Spruch nicht restituieren liefse. Soweit die Partei wegen prozessualer Unerkennbarkeit des alten Spruchs ein durch falsche Berichtigungsverfügung erlittenes Gravamen nicht zu erweisen vermag, ist ihr eben nicht zu helfen. Das Protokoll allein ermöglicht Restituierung des alten Spruchs nur in den seltenen Fällen wortgetreuer Aufnahme des kundgegebenen Verdikts. Aber vielleicht lassen sich die unerkennbar gewordenen Teile des alten Spruchs aus der im Protokoll bezeugten Berichtigungsverfügung wiederherstellen 22. Denkbar auch (freilich unwahrscheinlich), dafs durch Einholung dienstlicher Erklärungen des Vorsitzenden, Gerichtsschreibers, der Beisitzer usw. geholfen werden kann. Auch Zeugenvernehmung des früheren Obmanns usw. wäre nicht ausgeschlossen. Die Aufgabe ist ja nicht, Ersatz zu schaffen für einen nicht geschehenen Prozefsakt, was natürlich ganz unzulässig wäre, sondern eine verdunkelte Prozefstatsache — ein Stück des geschriebenen und verlesenen Spruchs — wieder ans Licht zu bringen. Schon zur Wahrung der Parteiinteressen ist genaue Befolgung des § 312 geboten und vom Gerichte zu kontrollieren. Läfst sich der alte Spruch noch teilweise erkennen oder restituieren und zwar im Bereiche eines selbstständigen Anklagepunktes (oder mehrerer), also zu einer Hauptfrage mit zugehörigen Hilfs- und Nebenfragen, so ist in dieser Beschränkung der Revision stattzugeben, im Übrigen dieselbe zu verwerfen. Anders ist die Rechtslage, wenn ein Teil des alten Spruches unverlesen geblieben war, indem der Vorsitzende wegen eines vermeintlichen Spruchmangels die weitere Kundgebung inhibiert hatte. Hier liefert im Falle fälschlicher Berichtigungsverfügung die Verhinderung der Spruchverlesung einen Revisionsgrund 23. Für den neuen Spruch gelten an sich die gleichen Formalien 21 In gleichem Sinne Preufs. 1852 Art. 97 Abs. 2, 1867 § 339 Abs. 5; Oldenb. 1857 Art. 342 Abs. 2; Kurh. 1863 § 164 Abs. 4; Bad. 1864 § 288; Hess.-Darmst. 1865 Art. 383 Abs. 3; Württ. 1868 Art. 384 Abs. 4; Sachs. 1868 § 87; Brem. 1870 § 515 Abs. 2. 22 Vgl. die Fälle in RG E. Bd. 4 S. 122 (3. Str.-S.), R. V I I I S. 383 (3. Str.-S.), Goltd. Bd. 39 S. 56 (2. Str.-S.). 23 Vgl. oben S. 503.

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§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

wie für den ersten: der Obmann hat ihn neben den Fragen niederzuschreiben und zu unterzeichnen, § 307 Abs. 1. Wäre hiergegen gefehlt, so bedürfte der neue Spruch der formellen Berichtigung. Doch genügt zur Unterzeichnung des neuen Spruchs, wenn er über die früher abgegebene Unterschrift des Obmanns gesetzt und so durch dieselbe mit gedeckt ist* 4 . Weiter ist Formerfordernis des neuen Spruchs, dafs er die Erkennbarkeit des ersten nicht beeinträchtigt. Daher sind Änderungen der zuerst erteilten Antworten nicht durch Änderungen ihrer Niederschrift in Form von Streichungen oder Zusätzen, sondern durch vollständige Niederschrift der Antworten in ihrer geänderten Fassung als berichtigter Spruch zu bewirken 25 . Andernfalls bliebe — soweit nicht das Protokoll die Sachlage ergäbe — der Bezug der Korrekturen bereits auf den alten oder erst auf den neuen Spruch zweifelhaft; vielleicht auch wären infolge der Durch Streichung Worte schlechthin unleserlich. Das Gericht hätte daher formelle Berichtigung des neuen Spruchs anzuordnen und der Obmann die bezüglichen Antworten — selbstverständlich ohne jede sachliche Änderung — neu und vollständig niederzuschreiben und zugleich die alten Antworten — nicht durch Korrektur der Korrektur, sondern durch neue Niederschrift — in ihrer ursprünglichen Fassung zu restituieren. Unerläfslich übrigens wäre diese Berichtigungsverfügung insofern nicht, als auch durch protokollarische Bekundung der Sachverhalt klar gestellt werden könnte. Revision aber wegen Versäumung dieser Berichtigung — wenn auch das Protokoll nicht Ersatz lieferte — würde nicht möglich sein. Denn der neue Spruch, auf dem das Urteil beruht, ist erkennbar. Die Partei kann Revision einlegen, weil der alte Spruch zu Unrecht berichtigt worden sei, nicht aber, weil ihr durch dessen Unerkennbarkeit die Möglichkeit genommen sei, mit dieser Revisionsbeschwerde durchzudringen. Revision wegen Vereitelung der Revision ist undenkbar. V. Die Kundgebung des Verdikts mufs immer in dem Sinne 24 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 11, 311; RG 3. Str.-S. R. V I I S. 26 f. und V I I I S. 385, 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 39 S. 56 und Bd. 43 S. 382. 26 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g zu § 312 Bern. 2. So ausdrücklich Preufs. 1852 Art. 97 Abs. 2, Preufs. 1867 § 339 Abs. 5. Inkorrekt ist z. B. auch, einem Ja des ersten Spruches die ursprünglich versäumte Angabe des Stimmenverhältnisses („mit mehr als sieben Stimmen") hinzuzufügen, statt die neue Antwort vollständig niederzuschreiben (RG 3. Str.-S. E. Bd. 4 S. 122).

§ 57. Revision wegen Spruchberichtigung. Der berichtigte Spruch.

eine einheitliche sein, als nicht stückweise dessen Teile publiziert werden können. Aber es bedarf keineswegs bei sachlicher Berichtigung — die sich ja mehrfach wiederholen kann — jedesmal der Verlesung des ganzen Spruchs durch den Obmann 26 . Die unverändert gebliebenen Spruchteile sind stillschweigend in Bezug genommen, wenn der Obmann nur die Nova verliest. Die Geschworenen können über den Rahmen der Berichtigungsverfügung hinaus den Spruch in jedem Teile ändern. Weshalb aber sollen sie, wenn sie es nicht getan haben, diese Negative positiv versichern und zwar in der Form, dafs sie nun alle ihre früheren unverändert gebliebenen Antworten von neuem verlesen? Das Gericht hatte beim zwanzigsten Angeklagten zum zehnten diesen betreffenden Anklagepunkt eine Nebenfrage oder die Jury deren Beantwortung vergessen, müfste dann wirklich der Spruch in toto wiederum kundgegeben werden? Vielmehr ist Neuverlesung nur geboten betreffs derjenigen Spruchteile, die von der Berichtigungsverfügung betroffen oder aufserdem noch geändert sind, und betreffs solcher, ohne deren Hinzunahme die berichtigten nicht verständlich sein würden. Mit der Antwort auf die Hilfsfrage, Nebenfrage ist immer der Entscheid zur zugehörigen Hauptfrage zu verbinden, dagegen brauchen nicht mit verlesen zu werden die Feststellungen zu anderen Nebenfragen, Hauptfragen. Mit der Antwort wird immer die Frage verlesen. Unentbehrlich ist die vorgeschriebene Beteuerung des Obmanns, § 308. Der berichtigte Spruch ist wie der ursprüngliche von den Protokollbeamten zu unterzeichnen. Die Verlesung beider bedarf dieser Beurkundung, es genügt nicht der Kundgebungsvermerk des Protokolls. Jedoch mufs einmalige Unterzeichnung, durch die räumlich der ganze neue Spruch mitgedeckt ist, auf beide Sprüche bezogen werden. Es kommt unter dieser Voraussetzung auch nicht darauf an, ob die Unterschriften vor oder nach der Berichtigung abgegeben wurden. War es vorher geschehen und es ist dann der neue Spruch über diese Unterschriften gesetzt worden, so ist die Sachlage ähnlich wie bei der Ausfüllung eines Blanketts. Belassen es in solchem Falle die Protokollbeamten bei ihren schon abgegebenen Unterschriften, so bezeugen sie dadurch die Verlesung 26 A. A. L ö w e - H e l l w e g zu § 312 Bd. 46 S. 19. Auch RG 4. Str.-S. E. Bd. Reichsgericht bei lückenhafter Verlesung gebungsnachträge für unzureichend und oben S. 423 f.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4, I I I :

Bern. 3; B i s c h o f f in Goltd. Arch. 27 S. 411 f. Entsprechend hält das des ursprünglichen Spruchs Kundfordert totale Neuverlesung. Vgl.

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

34

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

530

auch des neuen Spruchs 27 . Nochmalige Unterzeichnung wäre eine zwecklose Formalität. Formelle Änderung, die immer lediglich dem Obmann zufällt^ führt nicht zu neuer Verlesung des Spruchs. Daher erfolgt auch nicht abermalige Unterzeichnung durch die Gerichtspersonen. D . D i e A u f h e b u n g des S p r u c h s 1 .

§ 58. V o l l m a c h t

und A u f t r a g zur

Spruchaufhebung.

In Übereinstimmung mit dem französischen Recht (code art. 352) und den deutschen Schwurgerichtsgesetzen hat § 317 StPO dem Gerichte die Vollmacht erteilt, unter bestimmten Voraussetzungen ein schuldbejahendes Verdikt als ungerecht zu deklarieren, es aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung vor das Schwurgericht der nächsten Sitzungsperiode zu verweisen 2. Der materiellen 27

L ö w e - H e l l weg zu § 312 Bern. 4 halten einmalige Unterzeichnung nach geschehener Berichtigung für genügend, fordern aber, wenn jene schon vor der neuen Beratung der Geschworenen erfolgt sei, wiederholte Unterzeichnung des berichtigten Spruchs. Allein kann einmaliger Unterzeichnung angesehen werden, ob sie vor oder nach der Berichtigung geschehen ist? 1 v. S t e m a n n , Jury in Strafsachen S. 381 f.; K ö s t l i n , Geschworenengericht S. 210; B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze S. 207—212; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung S. 603 f.; S c h w a r z e in Weiske's Rechtslexik. Bd. 10 S. l l l f . ; P l a n c k , System. Darstellung § 146; Z a c h a r i a e , Handb. I I S. 553 f.; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 373 f.; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 296 f.; S c h w a r z e , Sächs. Strafproz.-Ges. I I 2 S. 84f.; v. B a r , Recht und Beweis S. 294 f., 335 f.; D e r s e l b e im Ger.-Saal Bd. 19 S. 464 f.; Z a c k e , Fragestellung und Wahrsprüche S. 170 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 213 f.; G e y e r S. 768 f.; D a l c k e , Fragestellung und Verdikt (2. Aufl.) S. 160 f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 675 f.; D e r s e l b e , Deutsch. Strafproz. S. 528f.; v. K r i e s S. 631 f.; B i r k m e y e r S. 647; B e n n e c k e - B e l i n g S. 567f.; R o s e n f e l d S. 374; L ö w e - H e l l w e g zu §317 StPO; — A b e g g , Arch, des Krim.-Rechts N. F. 1851 S. 327 f. ; A r n ο I d das. 1854 S. 242 f.; v. K r a e w e l das. 1855 S. 334 f ; H a a g e r , Magaz. f. bad. Rechtspflege Bd. 2 S. 413f.; D e r s e l b e , Arch, des Krim.-Rechts 1857 S. 449f.; G o l t d a m m e r in seinem Arch. Bd. 14 S. 264 f.; R u h s t r a t , Ger.-Saal Bd. 31 S. 361 f.; F r e u d e n s t e i n , Magaz. f. deutsch. Recht Bd. 1 S. 123 f.; M a y e r , Streiflichter auf den gegenwärtigen Strafprozefs 1886 S. 128 fg.; W i n k l e r ; Das Recht Jahrg. 7 S. 304. 2 Für diese Institution besonders Z a c h a r i a e I I S . 553 ; B i r k m e y e r S . 647. Dagegen v. S t e m a n n , Jury in Strafsachen S. 381 f.; D e r s e l b e , Ger.-Saal Bd. 26 S. 355 ; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung S.603f. ; K ö s t l i n , Geschw.-Gericht S. 210 ; ν. K r a e w e 1, Arch, des Krim.-Rechts 1855 S. 335 ; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 214 Anm. 8; D a l c k e zu § 317 Bern. 1; M a y e r , Streiflichter S. 128 f. ; gegen die Verweisung in der bestehenden Gestalt auch v . B a r , Recht und Beweis S. 340 (der Vorschlag v. B a r s das. S. 341 f., einen

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

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Gerechtigkeit zuliebe wird insoweit das Prinzip der Kompetenzverteilung im Schwurgericht durchbrochen. Der Beschlufs ergeht nach § 317 ohne Begründung 8. m o t i v i e r t e n Beschlufs des Richterkollegiums über die Schuldfrage mit der Konsequenz der Verweisung oder Freisprechung zuzulassen, §§ 22 f. des beigefügten Gesetzentwurfs, hängt mit der von ihm befürworteten Wiedereinführung von Beweisregeln, über deren Einhaltung die Richter zu wachen hätten, zusammen); in Verbindung mit positiven Reformvorschlägen bekämpft die Einrichtung H e i n z e , Geschworenengericht S. 192 (der Ersatz wird gefunden in Anteilnahme eines Richters an der Beratung der Geschworenen — ohne Stimmrecht —, Bildung der Jury nach Gruppen, in dem Verlangen der Übereinstimmung der Geschworenen bei Zulassung nur einer dissentierenden Stimme). Vgl. auch oben S. 488, 439. Neuerdings hat W i n k 1er, Recht a. a. 0. vorgeschlagen, den § 317 auch zu erstrecken auf Fehlsprüche zu g u n s t e n des Angeklagten. Allein damit würde die Verantwortlichkeit der Geschworenen, insbesondere für freisprechendes Verdikt, erheblich verringert und die Gefahr vielfacher Wiederholung der schwurgerichtlichen Verhandlungen unter Verdunkelung der Beweislage geschaffen. Der Entwurf der StPO hatte die Verweisungsbefugnis nicht aufgenommen. Die Auktorität der Jury leide darunter — kein durchschlagendes Argument! — ; das öfters aufgestellte Erfordern einer Übereinstimmung von Richterbank und Jury zum Schuldspruche führe nicht zu blofser Verweisung, sondern zur Freisprechung durch die Richter bei ungerecht erscheinendem Verdikt. So Mot. S. 186 f. Die letztere Konsequenz ist sachlich zutreffend und die bekämpfte Prämisse ( G n e i s t , Vier Fragen S. 182) in der Tat mit dem Wesen der schwurgerichtlichen Jurisdiktion unvereinbar. Eine andere Frage aber ist, ob nicht zum Schutze gegen ungerechten Schuldspruch trotz mancher Bedenken das Kassationsrecht beizubehalten sei. Sie dürfte vom Standpunkte der bestehenden Schwurgerichtsinstitution aus zu bejahen sein, obwohl die Bekundung gegensätzlicher Schuldauffassung durch die zwei Richterkollegien mifslich ist, die ungerechte Schuldverneinung unangefochten bleibt und die Verweisung noch zu einer Verschärfung des Schuldspruchs führen kann. Immerhin bietet sich im VerWeisungsrechte die Möglichkeit, ungerechte Beschwerung vom Angeklagten noch abzuwenden, und es ist zu hoffen, dafs dieses Ziel zumeist auch erreicht und so zugleich dem Gerichte erspart wird, im Widerspruche mit der eigenen Überzeugung verurteilen zu müssen. Die Einfügung des § 317 beruht auf den Kommissionsbeschlüssen (Anträge S t r u c k m a n n und E y s o l d t - K l o t z - H e r z ) , vgl. Prot. 1. Les. S. 481f., 2. Les. S. 1001 f., Sten.-Ber. S. 525 f. Der Gebrauch des Verweisungsrechts ist begreiflich ein seltener, vgl. die Nachweisungen bei D a l c k e , Fragestellung S. 161. Die Befugnis des englischen Richters, ein seiner charge widersprechendes verurteilendes Verdikt abzulehnen und eineij anderen Spruch zu fordern, führt nicht zur Verweisung. Die Jury hat sich zu fügen und fügt sich tatsächlich stets. Vgl. G l a s e r , Ankl., Wahrspr., Rechtsmitt. im engl. Schwurgerichtsverf. S. 374 f., insbes. S. 382. 3 Der code enthält ein Begründungsverbot nicht. 34*

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Der Angeklagte soll nicht leiden unter einem Irrtum der Geschworenen zu seinem Nachteil „in der Hauptsache". Das Gericht hat daher den Auftrag, im Falle eines solchen Irrtums das Verdikt zu kassieren. Aber eine Nachprüfung, ob mit Recht das Gericht die Überzeugung der Ungerechtigkeit des Verdikts in diesem Sinne gewann, ist ausgeschlossen. Sie wäre in der Beweisfrage ganz unmöglich, da ein nachprüfendes Gericht der für das Verdikt mafsgebenden Verhandlung nicht beigewohnt hätte und zudem der Spruch unmotiviert ist. Kaum anders aber stände es um die Prüfung, ob das Gericht eine falsche Subsumtion durch die Geschworenen zutreffend angenommen hätte, indem der Spruch den Subsumtionsfehler nur in den seltensten Fällen zum Ausdruck bringen wird. Das Gesetz läfst endlich, da es von jeder Begründung des Kassationsbeschlusses absieht, deutlich erkennen, dafs es auch die weitere Frage, ob eine für fehlerhaft erachtete Entscheidung die „Hauptsache" betrifft oder nicht, der Nachprüfung entziehen will. Es ist so im § 317 dem Gericht eine über den Rahmen des Auftrags hinausgehende Vollmacht mit der Wirkung erteilt worden, dafs jede durch die Vollmacht gedeckte Verdiktsaufhebung als rechtsbeständig und für die neue Verhandlung bindend erscheint, auch wenn die Grenzen des Auftrags dabei überschritten sein sollten. Die V o l l m a c h t geht dahin: auf Grund einstimmigen Beschlusses aufzuheben ein in der Verhandlung ergangenes, der Berichtigung nicht bedürftiges, die Verurteilung des Angeklagten bedingendes, nach Ansicht des Gerichts ungerechtes Verdikt in allen denjenigen Feststellungen, welche sich auf die vermeintlich ungerecht beurteilte und eventuell auf eine mit ihr ideell konkurrierende Handlung dieses Angeklagten beziehen. Zur näheren Darlegung und zum Beweise der so gegebenen Charakterisierung dient die Erörterung ihrer einzelnen Momente. Damit ist zu verbinden die Bestimmung des A u f t r a g s , der erheblich enger begrenzt ist als die Vollmacht, und die Klarstellung des zwischen ihnen bestehenden Verhältnisses. I. Die Aufhebung kann nur einstimmig beschlossen werden 4. Das Gesetz sagt: „Ist das Gericht einstimmig der Ansicht, dafs 4 Majoritätsbeschlufs genügt nach dem franz. Ges. v. 9. Juni 1853 (während code Art. 352 in ursprünglicher Fassung Einstimmigkeit erforderte) und nach Württ. 1868 Art. 387. Alle anderen deutschen Gesetze verlangten Einstimmigkeit. Auch Österr. § 332 fordert einstimmigen Beschlufs.

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

die Geschworenen sich geirrt haben, so verweist es durch Beschlufs" usw. Die Aufhebung geschieht in Form der Verweisung „zur neuen Verhandlung vor das Schwurgericht der nächsten Sitzungsperiode". Es braucht nicht beides, Aufhebung und Verweisung, ausgesprochen zu werden 5. Noch weniger wäre über beides gesondert zu beschliefsen. Die Verweisung ist die notwendige Konsequenz der Aufhebung und würde zu finden sein auch in einem Beschlufs, der nur die Aufhebung ausspräche. Denn einfach liegen bleiben könnte die Sache doch nicht. Das Gericht hätte in solchem Falle nur in vorschriftswidriger Form, nämlich nicht durch Erklärung der Verweisung, d. i. durch Aussprechen der Aufhebungsfolge, aufgehoben. Die Aufhebung ihrerseits ist nicht, wie nach dem gesetzlichen Wortlaute angenommen werden müfste, eine Mafsregel, die infolge eines bestimmten Abstimmungsergebnisses zur Irrtumsfrage besonders zu beschliefsen ist, sondern der alleinige Gegenstand der richterlichen Abstimmung. Es ist nicht über relevanten Irrtum als solchen 4 noch weniger über verschiedene im konkreten Fall denkbare Gestaltungen derartigen Irrtums besonders, und dann etwa noch über die Frage der Aufhebung zu votieren. Vielmehr wird nur die eine Frage gestellt: Soll aufgehoben werden, weil die Geschworenen sich in der Hauptsache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben? Bejahung kann seitens der verschiedenen Richter aus verschiedenen Gründen erfolgen : der erste findet vielleicht in Bejahung der Hauptfrage, der zweite in Annahme einer Qualifikation, der dritte in Verneinung eines Privilegierungs- oder Strafaufhebungsgrundes den erheblichen Irrtum 6 . Abstimmung nach Gründen würde unter Umständen die Aufhebung verhindern, auch wenn alle Richter sie für gerechtfertigt hielten, und wäre um so verkehrter, als der Beschlufs selbst nach § 317 nicht zu begründen ist 7 . Ein Richter, der trotz Annahme relevanten Irrtums mit Nein votierte, handelte pflichtwidrig. In offenen Widerspruch 5

Vgl. auch V o i t u s zu § 317 Bern. 6 a. E. Vgl. auch Mot. zu E. I I I der StPO S. 186, wo mit Unrecht in der Möglichkeit solcher Differenzen ein Gegengrund gegen das Verweisungsrecht erblickt wird. Entscheidend kann nur sein, ob die Mafsregel an sich zu mifsbilligen ist oder nicht. Dagegen ist ein richterlicher Beschlufs nicht schon deshalb falsch, weil bei einer Abstimmung „nach Gründen" die nötige Mehrheit sich nicht ergeben würde. Es darf eben so nicht abgestimmt werden. 7 Übereinstimmend L ö w e - H e l l w e g zu § 317 Bern. 2. 6

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mit dem Gesetz aber würde er treten, wenn er nach allseitiger Bejahung der Irrtumsfrage als solcher die ferner gestellte Frage der Aufhebung verneinte. Sollte nun diese etwa per majora bejaht werden? In Wahrheit kann eine solche Komplikation gar nicht eintreten, weil nur eine Abstimmung — über Aufhebung gemäfs § 317 — stattfindet. Es ist angemessen, aber nicht geboten, dafs der verkündende Vorsitzende die Einstimmigkeit ausdrücklich konstatiert. Die Verkündung eines nur einstimmig zu fassenden Beschlusses enthält sachlich die Bezeugung dieses Erfordernisses. Das Gericht versichert ja in sonstigen Fällen nie das Vorhandensein der für seine Entscheidung vorgeschriebenen Majorität. Die ganz besondere Machtvollkommenheit, die es nach § 317 ausübt, rechtfertigt eine Ausnahme, vermag aber nicht die Angabe zu einem Gültigkeitserfordernis des Beschlusses zu machen. I I . Die Gerechtigkeit des Verdikts kann nur nach den Ergebnissen der Verhandlung vom Gericht geprüft werden. Mögliches Objekt der Aufhebung ist nur ein in der Verhandlung ergangenes Verdikt. Wurde vom Revisionsgericht zurückverwiesen unter A u f r e c h t e r h a l t u n g des Verdikts, so ist durch diesen Ausspruch und durch das Fehlen der Prüfungsgrundlage das Verdikt der Aufhebung entzogen8. Die neue Verhandlung betrifft nur die Straffrage. Die Schuldbeurteilung steht definitiv fest und kann durch die Ergebnisse einer neuen Beweisaufnahme mit rechtlicher Wirkung nicht erschüttert werden. I I I . Die Aufhebung tritt an Stelle des Urteils auf Grund des Spruchs und setzt daher voraus, dafs ein solches möglich gewesen wäre. Das ist bei berichtigungsbedürftigem Verdikt nicht der Fall. Die Aufhebung kann nur ein mangelfreies Verdikt betreffen 9. Dem formell mangelhaften Spruch fehlt die Authentizität des Ursprungs, wenn ' es an genügender Unterschrift fehlt, der Be8

Vgl. auch RG 2. Str.-S. R. V I I S. 757. So ausdrücklich Preufsen 1867 § 341 Abs. I : „Wenn der Gerichtshof einstimmig der Ansicht ist, dafs die Geschworenen, o b g l e i c h i h r A u s s p r u c h r e g e l r e c h t u n d e r s c h ö p f e n d i s t , sich in der Sache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben" usw. Formelle Mängel erwähnt code art. 352: „si la cour est convaincue, que les jurés, t o u t en o b s e r v a n t les f o r m e s , se sont trompés au fond". Im Sinne von Preufsen der Antrag S t r u c k m a n n zu § 317: „Ist däs Gericht einstimmig der Ansicht, dafs die Geschworenen, o b g l e i c h d e r e n S p r u c h an e i n e m d e r M ä n g e l des § 266 A b s . 1 n i c h t l e i d e t , sich geirrt haben" usw., Komm. Prot. 1. Les. S. 481. 9

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

Ziehung auf die richterlichen Fragen, wenn die Antworten an falsche Stelle gesetzt sind 10 . Die Aufhebung bezieht sich nicht auf den mündlich kundgegebenen Spruch als solchen, d. i. auf die ursprüngliche Erscheinungsform des Spruches, sondern auf den Spruch schlechthin, der zunächst mündlich kundgegeben in der Folge repräsentiert wird durch die Spruchurkunde, würde also, wenn diese mangelhaft wäre, einem nicht authentischen Spruche gelten. Leidet der Spruch an einem sachlichen Mangel, so sind die Geschworenen, wenn ihnen Berichtigung aufgegeben ist, bei ihrer erneuten Beratung an keinen Teil des früheren Spruchs gebunden. Das Berichtigungsverfahren kann daher auch die Folge haben, eine vom Gericht für ungerecht gehaltene Entscheidung zu beseitigen. Somit ist erst an der Hand des berichtigten Spruchs zu prüfen, ob Veranlassung zur Aufhebung vorliegt. Das Gericht hat niemals die Wahl, Berichtigung zu fordern oder zu kassieren. Die Aufhebung will ungerechte Verurteilung verhüten; auf Grund eines undeutlichen, unvollständigen, sich widersprechenden Verdikts aber ist Verurteilung überhaupt unmöglich. Nur ein durchführbarer Spruch kann als ungerecht erscheinen. Das ist bei Undeutlichkeit und innerem Widerspruch des Verdikts wohl ohne weiteres klar. Ebenso, wenn die Angabe des Stimmenverhältnisses fehlt usw. Zweifel könnten nur etwa erhoben werden in anderen Fällen der Unvollständigkeit : die Geschworenen haben z. B. die Hauptfrage nach Ansicht des Gerichts zu Unrecht bejaht und eine Nebenfrage nach qualifizierendem, privilegierendem usw. Umstand unbeantwortet gelassen; hier scheint doch schon der unvollständige Spruch ungerecht zu sein. Allein diese Ungerechtigkeit steht eben definitiv erst fest, wenn sie in einem vollständigen Verdikte wiederholt worden ist. IV. Weil die Aufhebung des Spruchs die Stelle des Urteils einnimmt, so ist sie auch bis zur Verkündung des Urteils zulässig. Das Bedürfnis der Aufhebung kann gerade bei der Urteilsberatung erhellen. Daher war unrichtig, dafs frühere Gesetze die Mafsregel nur bis zur Verkündung des Spruchs an den Angeklagten zuliefsen 11 . 10 Dagegen wäre eine der Aufhebung vorgängige f a k u l t a t i v e Berichtigungsverfügung (vgl. oben S. 467 fg.) zwecklos. 11 So Braunschweig 1849 § 146; Preufsen 1852 Art. 99 Abs. 2; Baden 1864 § 293; Oldenb. 1857 Art. 343 § 2; Brem. 1870 § 517. In dem gleichen Sinne waren auszulegen Hannov. 1850 § 193 u. 1859 § 199; Thür. 1850 Art. 295; Frankf. 1856 Art. 253; Hamb. 1869 § 222: diese Gesetze handeln von der

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§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufheung.

V. Das Verdikt mufs Verurteilung des Angeklagten bedingen und dem Gericht ungerecht erscheinen. 1. Sicher ist, dafs nicht kassiert werden darf, wenn ein Urteil gleichen Inhalts vom Angeklagten oder für den Angeklagten mangels gravamens nicht angefochten werden könnte. Daher ist nicht aufzuheben ein Spruch, der die Hauptfrage mit solchen Einschränkungen bejaht, dafs ein strafbarer Tatbestand nicht mehr restiert. Ebenso nicht ein Spruch, der zwar die Hauptfrage bejaht, aber zugleich die Einsichtsnebenfrage verneint. Freisprechung eines jugendlichen Angeklagten wegen Einsichtsmangels ist in der Tat Freisprechung wegen fehlender Schuldvoraussetzung; ein gravamen könnte nur sein die Anordnung von Zwangserziehung im U r t e i l (§§ 56 Abs. 2 StGB, 268 und 340 StPO). Aber es wäre nicht richtig, auch positiv zu folgern, dafs ein Anfechtungsgrund, der für den Angeklagten einem Urteil gegenüber bestehen würde, immer zugleich Grund der Verdiktsaufhebung sei. Hat ein Richterkollegium die Schuldfrage bejaht, die Straffrage aber wegen tätiger Reue oder Retorsion verneint, so ist in Hinblick auf die Schuldfeststellung ein Anfechtungsinteresse des Angeklagten vorhanden 12 . Aufhebung des Verdikts in gleichem Falle aber wäre hochbedenklich. Es ist ein anderes, dem höhern Gericht im Rechtsmittelzuge die Aufhebung eines entsprechenden Urteils unter Ausschlufs der reformatio in pejus zu gestatten, ein anderes, im Widerspruch mit der Kompetenzverteilung zwischen Gericht und Geschworenenbank dem koordinierten Richterkollegium die aufserordentliche Vollmacht zur Verdiktskassierung zu geben auf die Gefahr hin, dafs der neue Spruch die Rechtslage des AnVerweisungshefugnis nach Abgabe des Spruchs vor dessen Verkündung an den Angeklagten, ohne die Zulässigkeit späterer Verweisung zu erwähnen. Verweisung bis zur Urteilsverkündigung gestatteten Bayern 1848 Art. 212. Kurhess. 1848 § 836, 1863 § 166; Hess.-Darmst. 1865 Art. 385; Preufsen 1867 § 341; Sachsen 1868 § 89; Württ. 1868 Art. 387 Abs. 2. Für Österr. §§ 332, 333 läfst M a y e r , zu § 332 Bern. 12 f., die Mafsregel nur bis zur Verkündung des Spruchs an den Angeklagten zu (wegen der Folge von Verweisungsbefugnis und Verkündung im Gesetz); die herrschende Meinung hingegen bis zum Urteilserlafs. Code art. 352 Abs. 2 gestattet Verweisung „immédiatement après que la déclaration du jury aura été prononcée publiquement". Die Praxis aber nimmt an, dafs auch noch nach den Verhandlungen über die Straffrage die Verweisung beschlossen werden könne, H é l i e , Traité I X § 704; H é l i e , Prat, crim. I nr. 894. 12 B i n d i n g , Grundrifs § 121 V I und die dort Zitierten.

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

geklagten noch verschlimmert , z. B. die Hauptfrage wiederum bejaht, die strafaufhebende Nebenfrage aber verneint. Daher kann auch nicht kassiert werden ein bejahender Spruch, falls wegen Verjährung vom Gericht freizusprechen wäre 1 3 . Sollte ein Richterkollegiunr bei verjährter Tat freisprechen unter Bejahung der Schuld in den Urteilsgründen, so erschiene diese Feststellung zum mindesten höchst inkorrekt, da mit Annahme der Verjährungsvoraussetzungen die Prüfung der Schuld sich erledigt, und es könnte in Frage kommen, ob nicht die Schuldbejahung dem Angeklagten ein Anfechtungsinteresse liefere. Aber selbst die Zulässigkeit der Anfechtung würde nichts beweisen für die Möglichkeit der Verdiktsaufhebung. Zweck der Kassierung kann nur sein, den Angeklagten zu schützen vor unverdienter Strafe, nicht auch von ihm abzuwenden eine blofse zu Bestrafung nicht führende Schuldfeststellung, mit der etwa Kostenverurteilung verbunden wäre (§ 500 StPO). Bei einer Aufhebung über diese Grenzen hinaus — also trotz gebotener Freisprechung oder Straffreierklärung — würde nicht nur der Auftrag, sondern die Vollmacht fehlen. 2. Der Spruch mufs ferner vom Gerichte — einstimmig — für ungerecht erachtet worden sein. Aus welchem Grunde und ob von allen Richtern aus demselben Grunde, ist gleichgültig 14 . Falsche Beurteilung der Beweis- wie der Subsumtionsfrage kann Ungerechtigkeit ergeben. Subsumtionsfehler auszuschliefsen 15, würde dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes widerstreiten und bei dem Mangel einer Begründung des Verdikts nicht durchführbar sein. Blofse Zweifel genügen nicht 1 6 . Das Gericht mufs die bestimmte Ansicht gewonnen haben, dafs der Spruch ungerecht sei. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn eine der Schuldfeststellung gegenteilige Überzeugung (der Nichtschuld, der geringeren Schuld) feststeht 17 , sondern schon, wenn diese Annahme nach der Überzeugung der Richter nicht begründet i s t 1 8 , indem der Beweis (der 13

Vgl. oben S. 354. Falsch F r e u d e n s t e i n , Magaz. f. deutsch. Recht I S. 144. 14 S c h w a r z e zu § 317 Bern. 1. 15 So S t e n g l e i n zu § 317 Bern. 1; D a l c k e , Fragestellung S. 161. Dagegen L ö w e - H e l l w e g Bern. 2; S c h w a r z e zu § 317 Bern. 1; G e y e r S. 769; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 214; v. K r i e s S. 633; B e n n e c k e B e l i n g S. 567; v. B o m h a r d - K o l l e r Bern. 1; K e l l e r Bern. 6. 16 Vgl. auch H. M e y e r Handb I I S. 215. 17 So P u c h e l t zu § 317 Bern. 2; D a l c k e Bern. 6; S t e n g l e i n Bern. 1. 18 So auch L ö w e - H e l l w e g Bern. 2; G e y e r S.769; H. M e y e r I I S. 215.

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§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

Schuld, der gröfseren Schuld) vermifst, ferner wenn die Subsumtion unter das Gesetz verneint wird; gegenüber der Verneinung eines Privilegierungs- oder Strafaufhebungsgrundes ist die Voraussetzung gegeben mit der Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein des fraglichen Umstandes. Die Verkündung des Beschlusses mufs ausdrücklich oder konkludent die Annahme ungerechter Beschwerung des Angeklagten als Aufhebungsgrund erkennen lassen. Andernfalls würde nicht der spezifische Beschlufs des §'317 vorliegen. Da eine Begründung der so geäufserten 'Ansicht selbst unstatthaft ist, so kann eine Nachprüfung, ob in den Erwägungen des Gerichts wirklich eine zur Anwendung des Paragraphen ermächtigende Überzeugung der Ungerechtigkeit des Spruchs zu finden war, regelmäfsig nicht stattfinden. Nur wenn dem Gesetz zuwider Gründe angeführt sein sollten, wäre denkbar, dafs der Mangel dieser Überzeugung erhellte (indem z. B. vom Gericht eine Beweislage nur für zweifelhaft, das Vorhandensein eines Privilegierungs-usw.-Grundes nur für wahrscheinlich erachtet wurde). 3. Während die V ο 11 m a c h t zur Aufhebung immer vorliegt, wenn ein Verdikt für ungerecht befunden wird, das zur Verurteilung führen würde, ist weit beschränkter der A u f t r a g dazu· Diesen hat das Gericht nur unter der Voraussetzung, dafs die Geschworenen sich „in der Hauptsache" zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben. Es ist aber hiermit bei der Unmöglichkeit einer Nachprüfung mangels Begründung des Beschlusses ein nur instruktionelles Erfordernis aufgestellt. Über die Bedeutung der „Hauptsache" besteht Meinungsverschiedenheit 1 9 . Wesentlich übereinstimmend auch R u h s t r a t , Ger.-Saal Bd. 31 S. 361 f. (doch mit der nicht glücklichen Formulierung, die Richter müfsten sich einstimmig überzeugt halten, dafs die objektiven Beweisgrundlagen nicht blofs ihnen, sondern jedem anderen unbefangenen Richter zu schwach erscheinen würden, S. 368). 19 Das Erfordern eines Irrtums „ i n der Hauptsache" rührt aus dem code art. 352 (Überzeugung des Gerichts, „que les jurés se sont trompés au fond") her und wurde in dieser Form übernommen von Bayern 1848 Art. 212, Baden 1864 § 293, Österr. § 332. I n anderen Gesetzen ist schlechthin von einem Irrtum der Geschworenen die Rede, so Preufsen 1852 Art. 99, Preufs. 1867 § 341. Irrige Schuldigerklärung ist Voraussetzung nach Frankf. 1856 Art. 253; Oldenburg 1857 Art. 343 § 1; Hannover 1859 § 199; Hess. Darmst. 1865 Art. 385 und Brem. 1870 § 516, während Braunschw. § 146 und Kurh. 1863 § 166 dabei die positive Unschuldsüberzeugung des Gerichts verlangen.

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a. Sicher falsch wäre, Hauptsache mit Hauptfrage gleich zu stellen und jeden Irrtum für nebensächlich zu erklären, der sich auf eine Nebenfrage bezöge20. Denn im Hinblick auf Qualifikationsund Privilegierungsgründe ist eine abstrakte Scheidung von Hauptund Nebenfrage überhaupt nicht vorhanden; sie können Gegenstand einer Nebenfrage sein, aber auch in die Hauptfrage aufgenommen werden. Auch wäre es ein rein formaler Unterschied, wenn der Irrtum der Geschworenen bei solchen Tatmomenten, die zur Annahme eines del. sui generis (Raub, Tötung des Einwilligenden usw.) führen, wirksam wäre, hingegen bedeutungslos, falls der Tatumstand eine Spezies des Grunddelikts (räuberische Erpressung, Aszendententötung usw.) ergäbe 21 . Und die Nebenfrage nach einem Strafaufhebungsgrund ist gewifs nichts Nebensächliches, da von ihrer Beantwortung Freisprechung oder Verurteilung des Angeklagten abhängt; auch führt in Ermangelung besonderer Nebenfrage die Annahme des Strafaufhebungsgrundes zur Verneinung der Hauptfrage. b. An den letztern Erwägungen würde auch scheitern die Identifizierung von Hauptsache und Schuldfrage, wobei dann als Nebensache zu denken wäre der Teil der Straffrage, der ausnahmsweise nicht dem Gericht, sondern den Geschworenen überwiesen ist. Wenn irgend etwas, so ist sicher nicht nebensächlich die Frage, ob ein Strafanspruch besteht oder nicht. c. Da die Geschworenen auch über mildernde Umstände, also über Strafzumessungsgründe, zu erkennen haben, so liegt nahe, in dieser Entscheidung eine Nebensache zu finden. Denn eine Frage, die nur das Strafmafs berührt, tritt zurück hinter der Prüfung, ob überhaupt Strafe und eventuell nach welchem Gesetz Irrtum über erschwerende Umstände schliefsen ausdrücklich aus Thüring. 1850 Art. 295, Hamb. 1869 § 222. Sachsen 1868 § 89 stellt der Hauptsache gleich andere auf die rechtliche Beurteilung wesentlichen Einflufs äufsernde Punkte, Württ. 1868 Art. 387 Momente, die auf die Strafgröfse von erheblichem Einflufs sind. ao So im wesentlichen H. M e y e r I I S. 215; T h i l o zu § 317 Bern. 3; K e l l e r Bern. 3; sehr bestimmt S t e n g l e i n Bern. 1; D a l c k e , Fragestellung S. 162 (sieht jedoch auch in irriger Verneinung strafaufhebender Nebenfrage einen Nachteil in der Hauptsache). Vgl. dagegen auch Kommiss.-Ber. S. 81. In der franz. Praxis ist anerkannt, dafs fälschliche Annahme von circ. aggravantes die Verweisung rechtfertigt, Kass.-Hof v. 3. März 1848, S i r e y , Recueil 49. 1. 219. 21 So H. M e y e r I I S. 215.

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sie verwirkt ist. Es würde dann ein Nachteil in der „Hauptsache" immer voraussetzen, dafs die fragliche Entscheidung die tatbestandliche Gestaltung des Falles beträfe, ihn unter ein bestimmtes Strafgesetz subsumierte oder einen Qualifikationsgrund bejahte, einen Privilegierungs-, Strafaufhebungsgrund verneinte 22 . Damit ist insofern das Richtige getroffen, als die Frage der mildernden Umstände in der Tat nicht zur Hauptsache gehört 28 . Bei anderweiten Entscheidungen aber kann nur nach den Umständen des Einzelfalles bemessen werden, ob daraus dem Angeklagten ein Nachteil in der Hauptsache wirklich erwachsen ist. Zuzugeben ist, dafs ungerechtfertigte Verneinung der mildernden Umstände den Angeklagten erheblich belasten kann , indem ihn z. B. Zuchthausstrafe statt des Gefängnisses trifft usw. Allein es geht nicht an, diesen Nachteil im Wege des § 317 von ihm abzuwenden. Nachprüfung einer reinen — und hier zugleich unmotivierten Ermessensentscheidung, wie es der Ausspruch über mildernde Umstände ist, hat immer etwas Mifsliches, und hochbedenklich wäre die Aufhebung eines Verdikts wegen Versagung mildernder Umstände auf die Gefahr hin, dafs der neue, abermaliger Kassierung entzogene Spruch den Schuldentscheid noch verschärfte. Die Auslöschung einer schwurgerichtlichen Verhandlung mit allen dem Angeklagten zur Sache günstigen und ungünstigen Beweisergebnissen und Feststellungen ist eine Mafsregel von solcher Tragweite, dafs sie lediglich des Strafmafses halber nicht getroffen werden darf. Die Folgen entziehen sich der Vorausberechnung. Es fehlt — schon wegen der Vergänglichkeit der Beweismittel — die Gewähr dafür, dafs die neue Verhandlung das Tatbild in einer der materiellen Rechtslage genügenden Weise wird rekonstruieren können. Zudem steht es beim Gericht, die dem Angeklagten zugefügte Beschwerung durch niedrige Strafbestimmung innerhalb des mafsgebenden Rahmens zu mildern. Und schliefslich mufs nach dem Wortlaut des Gesetzes angenommen 22

So L ö w e - H e l l w e g Bern. 3; G e y e r S. 770; v. K r i e s S. 633; v. B o m h a r d - K o l l e r Bern. 2; B e n n e c k e - B e l i n g S. 567; R o s e n f e l d S. 374. 28 A. A. v. B a r , Recht und Beweis S. 298; F r e u d e n s t e i n , Magaz. I S. 139 f. Aber wird j e d e Feststellung der Geschworenen zum Nachteil des Angeklagten einbegriffen, so ist der Gegensatz zur „Hauptsache", wie sie doch in § 317 gefordert wird, unerfindlich. Wenn das preufs. Ob.-Trib. bei Goltd. Bd. 9 S. 549 die Verweisung auch bei Verneinung mildernder Umstände für zulässig erachtet hat, so erklärt sich das aus dem Mangel einer Beschränkung auf die „Hauptsache" in Art. 99 Preufs. 1852.

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

werden, dafs der Gesetzgeber, wenn auch positiv die „Hauptsache" nur nach richterlichem Ermessen sich feststellen läfst, doch einen abstrakt bestimmten Gegensatz dazu vor Augen hatte, der nur in der Entscheidung über mildernde Umstände gefunden werden kann. d. Ein Nachteil für den Angeklagten liegt in einer irrigen den Tatbestand betreffenden Entscheidung der Geschworenen, wenn durch den Irrtum Strafe überhaupt oder höhere Strafe bedingt wird. Im erstem Fall ist immer ein Nachteil in der Hauptsache vorhanden. Bei Idealkonkurrenz wird die Strafe durch jedes der ideell konkurrierenden Delikte bedingt, denn sie gilt ihnen allen 2 4 . Es kann kassiert werden, wenn nach Ansicht des Gerichts ein ideell konkurrierendes Delikt zu unrecht bejaht worden i s t 2 5 , einerlei, nach welchem der zusammentreffenden Strafgesetze die Strafe zu bemessen ist, aber nur, wenn das fälschlich angenommene Delikt isoliert betrachtet eine Strafe bedingen würde, die neben der Strafe des anderen mit Recht bejahten ins Gewicht fällt 2 6 . Das ist im Verhältnis geringfügiger Übertretung zu schwerem Verbrechen, erheblichem Vergehen nicht der Fall. Verweisung bei solcher Sachlage wäre nicht zu verantworten. Die Voraussetzung „erhebliche Beeinflussung des Strafmafses durch die irrigerweise angenommene Konkurrenz" würde nicht alle Fälle decken, denn es kann die mafsgebende Strafe absolut bestimmt sein. Ein Irrtum der zweiten Art, ein strafsteigernder, nicht strafbedingender Irrtum ergibt einen „Nachteil in der Hauptsache", wenn eine w e s e n t l i c h e Strafdifferenz zu ungunsten des Angeklagten daraus resultiert. Kommt das Gericht zu der Annahme, dafs auch bei zutreffender Entscheidung die Strafe nicht erheblich geringer hätte ausfallen müssen, so ist nicht zu verweisen. Denn ein zweischneidiges Mittel bleibt die Anordnung stets. Sie bedeutet vielleicht nur Eintauschung eines gröfseren Übels — noch härterer Beurteilung, unverdienter voller Freisprechung — für ein geringeres. So mufs eine nicht zu arge Ungerechtigkeit vom Gericht hingenommen werden. Die Nötigung, auf solcher Grundlage das Strafendurteil zu fällen, gehört zu den Fehlern der Schwurgerichtsinstitution in ihrer hergebrachten Gestalt. Um die Konsequenzen zu ziehen: Bejahung der Hauptfrage 24

Vgl. B i n d i n g , Grundrifs des Strafrechts § 110 I I I . RG Fer.-S. E. Bd. 31 S. 241 f. (in der Begründpng nicht unbedenklich). 26 Zu weitgehend RG a. a. 0. K o h l r a u s c h , Proz. Behandlung der Idealkonkurrenz S. 47, fordert fälschlich Verweisung in jedem Falle. 25

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§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

hat hauptsächliche Bedeutung, wenn nicht eine annähernd äquivalente Hilfsfrage nach Ansicht des Gerichts zu bejahen wäre 2 7 ; in gleichem Mafse fällt ins Gewicht die Verneinung strafaufhebender Nebenfrage; die Nebenfrage wegen strafschärfenden oder strafmildernden Umstandes kann je nach der konkreten Gestaltung Haupt- oder Nebensache sein (Nebensache z. B., wenn die Bejahung der Qualifikation, die Verneinung des Privilegierungsgrundes nach Ansicht des Gerichts die Strafe nicht erheblich zu beeinflussen vermag; wenn andere Qualifikationen mit Recht bejaht worden sind und daher die fälschliche Annahme einer weitern für die Strafe relativ unerheblich bleibt 2 8 ; wenn neben fälschlich bejahter Qualifikation ein Privilegierungsgrund steht oder fälschliche Verneinung einer Privilegierung durch die Bejahung einer anderen abgeschwächt ist usw.). Erachtet das Gericht im Falle kombinierter Einheitsfrage (bei Gesetzeskonkurrenz) oder zusammengesetzter Einheitsfrage (bei fortgesetztem Delikt) die Bejahung eines Gesetzestatbestandes oder eines Tataktes für unrichtig, so führt wiederum nur wesentliche Strafmehrung infolge des Irrtums zur Verweisung. e. Aber wiederholt ist zu betonen, dafs die Annahme eines hauptsächlichen Nachteils durch das verweisende Gericht endgültig wirkt. Von einer Ablehnung der neuen Verhandlung wegen nur nebensächlichen Nachteils könnte freilich ohnehin nicht die Rede sein, da ja sonst die Strafsache unerledigt bliebe. Aber es wäre auch verkehrt, der neuen Verhandlung etwa verschiedene Bedeutung beizulegen, jenachdem vom neuen Gericht hauptsächliche oder nebensächliche Beschwerung des Angeklagten durch den alten Spruch angenommen würde. Diese Frage soll gar nicht aufgeworfen werden, wie der Gesetzgeber durch das Verbot der Begründung des Verweisungsbeschlusses klar erkennen läfst. Denn nur an der Hand von Aufhebungsgründen wäre eine Nachprüfung denkbar. Es ist weiter zu folgern, dafs die Rechtslage auch dann die gleiche bliebe, wenn dem Beschlufs fälschlich Motive beigegeben sein sollten. Möchte in diesem Falle immerhin eine falsche Auslegung der „Hauptsache", z. B. durch Einbeziehung der mildernden Umstände, erhellen, so entspräche es doch sicher nicht der Absicht des Gesetzgebers, die neue Verhandlung deshalb nicht als solche nach § 317, sondern wie eine erstmalige zu betrachten, so dafs abermalige Verweisung möglich würde, Das verweisende Gericht 27 28

Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 17 S. 33. Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g Bern. 3b.

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

hätte nur dokumentiert, dafs es ohne Auftrag, nicht, dafs es ohne Vollmacht vorgegangen wäre; efe hätte getan, was es tun konnte, aber nicht durfte. VI. Mit dem einen ungerechten Ausspruch fallen notwendig alle Feststellungen, die sich auf dieselbe Straftat desselben Angeklagten beziehen. Denn die Verhandlung kann insofern nur einheitlich sein und nicht durch nur teilweise Erneuerung in zwei Stücke zerrissen werden. Getrennte Aburteilung über die Tat und ihre Qualifikationen usw., über Einzelakte fortgesetzten Delikts, über die Tat als Subsumtionsobjekt für das eine und das andere von konkurrierenden Strafgesetzen, über die Strafbarkeit an sich und einen Strafaufhebungsgrund wäre ganz undenkbar. Es ginge weder an, auf Grund des aufrechterhaltenen Spruchinhalts ein „Teil"-Urteil zu fällen, noch das neue Gericht an den Spruch insoweit zu binden und nur im Übrigen ein neues Verdikt zu erfordern. Der Spruch wird in allen seinen zusammengehörigen Teilen aufgehoben, auch wenn nur eine Nebenfrage ungerecht entschieden worden ist. Betrifft dagegen das Verfahren mehrere selbständige strafbare Handlungen oder mehrere Angeklagte, so erfolgt die Verweisung nur in Ansehung derjenigen Handlung oder Person, in Bezug auf welche die Geschworenen sich nach Ansicht des Gerichts geirrt haben, § 317 Abs. 2 2 9 . Denn blofse Konnexität ist ohne weiteres lösbar, während unmotiviert, ja ungerecht wäre die Mitaufhebung solcher selbständigen Verdiktsbestandteile, die von der Ungerechtigkeit ander weiter Feststellung nicht mit betroffen sind. Bedauerlich freilich, aber nicht zu ändern ist, dafs durch die Teilaufhebung ein Gegensatz zwischen den Schuldfeststellungen für mehrere in Wahrheit gleich schuldige Mitangeklagte entstehen oder verschärft werden kann. Handelt es sich um Komplizen (Mittäter, Anstifter, Gehilfen) 30 , so darf, wenn ein bejahendes Verdikt für den einen aufrechterhalten, für den anderen aufgehoben worden war, die neue Schuldfrage nicht lauten: „hat A in Gemeinschaft mit einem Anderen" 29 Vgl. auch Kurh. 1848 § 336 Abs. 3, 1863 § 166 Abs. 2; Thüring. 1850 Art. 295 Abs. 2; Preufs. 1852 Art. 99 § 3; Hann. 1859 § 199 Abs. 2; Oldenb. 1857 Art. 343 § 4; Hess.-Darmst. 1865 Art. 385 Abs. 5; Preufs. 1867 § 342 Abs. 1; Württ. 1868 Art. 387 Abs. 5; Sachs. 1868 § 89 Abs. 2; Hamb. 1869 § 222 Abs. 2; Brem. 1870 § 519. Ebenso Österr. § 332. 30 Unrichtig hierüber v. B a r , Recht und Beweis S. 297.

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

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usw., sondern: „hat A in Gemeinschaft mit B" usw.; denn in Frage steht, ob A mit dem schon verurteilten Β gemeinsam delinquiert hat. Wäre dagegen in der früheren Verhandlung Β für nicht schuldig erkannt und ein Schul dig-Verdikt gegen A aufgehoben worden, so könnte je nach den Ergebnissen der neuen Verhandlung ein verschiedener Fraginhalt in Betracht kommen: „hat A in Gemeinschaft mit einem Anderen" usw. — wenn die Beteiligung, nicht nur die schuldhafte Beteiligung des Β für widerlegt zu erachten ist — oder „hat er in Gemeinschaft mit B" usw. — wenn nach wie vor dessen Beteiligung, ja vielleicht im Widerspruch mit dem früheren rechtskräftigen Urteil, das dem A gegenüber nicht wirksam ist, dessen schuldhafte Beteiligung angenommen wird — oder auch einfach „hat A delinquiert" — wenn nunmehr Alleintäterschaft des A indiziert ist. Denkbar wäre endlich, dafs sich in der Zwischenzeit die Mitschuld eines Anderen ergeben hätte, so dafs sich das neue Verfahren auf iihn mit erstreckte und die Schuldfrage nun lautete: Hat A in Gemeinschaft mit C delinquiert? Da im Falle realer Konkurrenz die Verweisung sich auf diejenige Handlung beschränkt, die vom Irrtum der Geschworenen betroffen ist, betreffs des anderen oder der anderen Delikte aber auf Grund des Spruches geurteilt wird 8 1 , so mufs demnächst, wenn auch der neue Spruch auf Schuldig lautet und durch die mehreren Delikte mehrere zeitige Freiheitsstrafen verwirkt sind, im Urteil den Vorschriften über die Bestrafung real konkurrierender Delikte Rechnung getragen werden, vorausgesetzt, dafs nicht etwa die im früheren Urteil erkannte Strafe bereits verbüfst oder erlassen ist, § 79 StGB. Das zweite Urteil spricht entweder aus — bei §§ 75 Abs. 1, 77, StGB — die Strafe wegen der vom ersten Urteil nicht ergriffenen Straftat gesondert oder eine Gesamtstrafe, wobei der Richter die bereits rechtskräftig erkannte erste Strafe, so wie erkannt, zum Element seiner Entscheidung zu machen hat. Obgleich die Verweisung zu einer Trennung der verbundenen Strafsachen führt, so bleibt doch ein bei dem fraglichen Schwurgericht begründetes forum connexitatis bestehen. Das „Schwurgericht der nächsten Sitzungsperiode", dem allein überwiesen werden kann, ist zwar ein neues Schwurgericht, aber als Rechtspflegeorgan mit dem verweisenden Spruchgericht identisch 32 . Die 31

Vgl. österr. Kass.-Hof v. 29. Juli 1891 Entsch. Bd. 12 S. 299 f. Von der G e r i c h t s b e h ö r d e (dem Landgericht usw.), bei der die k o n k r e t e n S p r u c h g e r i c h t e (die Schwurgerichte usw.) gebildet werden, und diesen letzteren selbst mufs in Ergänzung von L a b a n d s Feststellungen 82

§ 58. Vollmacht und Auftrag zur Spruchaufhebung.

Sache geht über von einem Spruchgericht auf das andere, während doch beide das gleiche Rechtspflegeorgan, den gleichen Gerichtskörper „Schwurgericht beim Landgericht X" repräsentieren. Es erfolgt nicht Gerichtswechsel und somit nicht ZuständigkeitsWechsel. Überweisung vor ein anderes Schwurgericht oder gar vor ein niederes Gericht 33 , wenn ein solches für die abgetrennte Strafsache an sich zuständig sein sollte, wäre völlig rechtswidrig. Es hätte trotzdem nur das nämliche Schwurgericht in der nächsten Session Entscheidungsbefugnis ; das Gericht, dem fälschlich überwiesen wäre — ohne Vollmacht —, müfste die Sache an jenes Gericht abgeben. Der Überweisungsbeschlufs bewirkt zwar Trennung, ist aber nicht Trennungsbeschlufs im Sinne des § 4 StPO (noch weniger gemäfs § 13 daselbst). Idealkonkurrenz ist zwar auch Handlungskonkurrenz und so wäre prinzipiell richtig, die Verweisung wiederum auf diejenige Handlung zu beschränken, in Bezug auf welche geirrt wurde. Allein das Gesetz nimmt bei Idealkonkurrenz fälschlich nur eine Handlung an und beschränkt die teilweise Vernichtung des Verdikts auf den Fall mehrerer selbständigen strafbaren Handlungen. Daher ist die ideell konkurrierende Handlung stets mit zu verweisen 34. Übrigens wäre getrennte Aburteilung keineswegs an sich undurchführbar, auch nicht, wenn sie in dem Sinne geschähe, dafs sukzessive beide Delikte festgestellt würden: es hätte in diesem letzteren Falle das erste Urteil die Strafe für das von ihm betroffene Delikt auszusprechen, das zweite Urteil bei gleichartiger Idealkonkurrenz die Strafe des ersten Urteils auf das weitere Delikt mitzubeziehen, und ebenso bei ungleichartiger Konkurrenz dann zu verfahren, wenn auf das weitere Delikt die leichtere Strafart zuträfe, dagegen unter Anrechnung der früheren Strafe auf etwaigen Strafrest zu erkennen, falls das weitere Delikt mit schwererer Strafart bedroht wäre 35 . (Reichsstaatsrecht I I I S. 403 ff.) geschieden werden das in wechselnder Besetzung dauernd tätige R e c h t s p f l e g e o r g a n , die ideale Einheit der sich ablösenden Spruchgerichte, der G e r i e h t s k ö r p e r „Schwurgericht" usw. Vgl. O e t k e r , Arch. f. Strafrecht Bd. 49 S. 94 und oben S. 49. 83 Anders Preufs. 1867 § 342 (mit § 57), wonach Verweisung vor die Strafkammer oder das Polizeigericht zulässig war. 84 So auch RG Fer.-S. E. Bd. 31 S. 244. Vgl. ferner K o h l r a u s c h , Prozess. Behandlung der Idealkonkurrenz S. 47 und K ö h l e r , Grenzlinien zwisch. Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz S. 154. 85 Vgl. dazu O e t k e r , Gött. Gel.-Anz. 1898 S. 630. B i n d i n g , Handbnch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

35

§ 59. Spruchaufhebung ohne Vollmacht.

546

§ 59.

Spruchaufhebung

ohne V o l l m a c h t .

Eine eigentümliche Rechtslage entsteht, wenn clie Vollmacht zur Aufhebung ganz oder teilweise gefehlt hat, in derselben Sache zum zweiten Male kassiert worden ist, trotz Aufrechterhaltung des Wahrspruchs seitens des Revisionsgerichts die Verweisung erfolgt ist, der Beschlufs nach Bekundung des Vorsitzenden mit Majorität gefafst worden ist, das Verdikt der Berichtigung bedurft hätte, die Kassierung geschehen ist, obwohl — wiederum nach Bekundung des Vorsitzenden — nicht die Überzeugung der Ungerechtigkeit des Spruches bestand, sondern nur dessen Gerechtigkeit dem Gerichte zweifelhaft erschien, der Spruch dem Angeklagten nicht in relevanter Weise nachteilig war, d. h. seine Verurteilung nicht bedingte, die Aufhebung dem Gesetz zuwider auf andere Straftaten oder Angeklagte mit bezogen worden ist. Nur der letztere Fall ist bisher besprochen worden, obwohl zunächst die Folgen des Vollmachtsmangels überhaupt feststehen müssen, ehe Vollmachtsüberschreitung in einer einzelnen Beziehung richtig gewürdigt werden kann. I. Ein Gerichtsbeschlufs ohne Vollmacht zu seinem Erlafs ist nichtig. Ein nichtiges Dekret kann und mufs an sich auch von dein Gerichte, das dekretiert hat, wieder aufgehoben werden. Würde ein entsprechender Beschlufs, wenn gültig, die Verhandlung beendigen, so kann ihm im Falle der Ungültigkeit nur die Bedeutung zukommen, die Verhandlung zu unterbrechen. Demnach hätte das Gericht unter Rücknahme des ungültigen Verweisungsbeschlusses die unterbrochene Hauptverhandlung spätestens am vierten Tage nach der Unterbrechung fortzusetzen, vorausgesetzt, dafs es gelänge, die Geschworenen sämtlich wieder heranzuziehen, § 228 StPO. Sollte dies unmöglich sein oder die Ungültigkeit dem Gerichte erst später bewufst werden, so bliebe nur übrig, mit dem Verfahren von neuem zu beginnen unter Neubildung der Geschworenenbank, §§ 228, 287 StPO. In derselben Session könnte die neue Verhandlung dann nur stattfinden, wenn vor dem Beginne der Schlufssitzung der Mangel offenbar würde und die weitere Terminsbestimmung erfolgte x . 1

Neue Sachen dürfen nach Auslosung der letzten Jury nicht mehr auf die Terminsliste der Session gesetzt werden. Eine Sache, in der völlig neu verhandelt werden mufs, ist eine „neue". Vgl. O e t k e r in Goltd. Arch. Bd. 50 S. 246.

§ 59. Spruchaufhebung ohne Vollmacht.

I I . Wäre nun etwa für die neue Verhandlung das frühere zu Unrecht aufgehobene Verdikt mafsgebend? Dann würde sich aber das Verfahren entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des § 228 nur zum Teil erneuern. Weiterverhandeln auf Grund des alten Verdikts heifst die Verhandlung fortsetzen, nicht erneuern und Fortsetzung ist nur innerhalb der Frist des § 228 gestattet. Dafs die Vorschriften dieses Gesetzes auch anzuwenden sind auf eine im schwurgerichtlichen Verfahren nach Abgabe des Verdikts eintretende Unterbrechung, kann nicht zweifelhaft sein. Das Verdikt ist Zwischenurteil und wird als solches bedeutungslos durch eine ihm folgende Unterbrechung über die Grenzen des § 228 hinaus. Die W i r k u n g eines Schuldentscheids erlangt es erst durch seine Annahme im Urteil. Es darf daher nicht der Urteilscharakter des Verdikts für seine Aufrechterhaltung im Falle der Unterbrechung geltend gemacht werden. Wird unterstellt, dafs wegen Verhinderung eines Richters nach dem Verdikt die Verhandlung abgebrochen würde, so dauert für die neue Verhandlung, die vielleicht erst in der nächsten Session stattfindet, gewifs nicht das alte Verdikt fort. Von einem Rechte der Parteien auf Urteilsfällung gemäfs dem Verdikte kann nur unter der Voraussetzung die Rede sein, dafs die Prozefslage ein solches Urteil gestattet. Ob mit oder ohne Schuld des Gerichts die Unterbrechung eingetreten ist — eine später als unrichtig erkannte Verdiktsaufhebung könnte als schuldhaft erachtet werden — , begründet dabei keinen Unterschied. Noch weitere Gründe ständen der Aufrechterhaltung des Verdikts entgegen: Eine Beweiserhebung lediglich zur Straffrage ist immer hochbedenklich. Sie kann gegenteilige Resultate liefern als die frühere Beweiserhebung, auf Grund deren das Verdikt ergangen war. Das Gericht würde dann vielleicht genötigt, im Anschlufs an eine Beweisaufnahme, die eine andere Schuldfeststellung bedingt hätte, die Strafe zu bestimmen. Die Unentbehrlichkeit der neuen Beweiserhebung aber ist zweifellos, da die frühere Beweisaufnahme infolge der Erneuerung des Verfahrens ausgelöscht ist, vielfach auch das Richterpersonal gewechselt haben wird. Dem Gerichte müssen doch die Grundlagen der Strafbemessung geliefert werden. Aufhebung eines schwurgerichtlichen Urteils unter Aufrechterhaltung des Verdikts führt zwar auch zu einer neuen Beweiserhebung lediglich der Straffrage halber, bietet aber keine Analogie, da hier durch das Urteil des Revisionsgerichts der neuen Haupt35*

§ 5.

548

S p r u c h a u f h e b g ohne Vollmacht.

Verhandlung Umfang und Ziel gegeben wird, während im Falle der Unterbrechung das Gesetz, § 228, Erneuerung des ganzen Verfahrens fordert. Es ist ein Unterschied, eine leidige Konsequenz im Anschlufs an gesetzliche Vorschrift, § 393 StPO, notgedrungen in Kauf zu nehmen oder sie contra legem, gegen § 228, zu ziehen. Die Verhandlung verliefe bis zu den Plädoyers nach den Regeln des nichtschwurgerichtlichen Verfahrens, von da an wie eine schwurgerichtliche Verhandlung zur Straffrage. Ohne Zweifel wären die allgemeinen Vorschriften über die Hauptverhandlung zu wahren, § 242 fg. Zu Beginn müfste aufserdem, etwa in Verbindung mit Verlesung des Eröffnungsbeschlusses, vom Vorsitzenden konstatiert werden, dafs aus der alten Verhandlung das zu Unrecht kassierte Verdikt, das zu verlesen wäre, aufrechterhalten bleibe. Das Ganze ergäbe ein dem Gesetz völlig unbekanntes mixtum, compositum ! Durch Aufhebung ohne Vollmacht erlischt nicht das Recht, Berichtigung des Verdikts anzuordnen. Wird eine unterbrochene Verhandlung fortgesetzt — innerhalb der Frist des § 228 — und es erweist sich das fortbestehende Verdikt als berichtigungsbedürftig, so ist ganz zweifellos in diesem Sinne zu verfügen. Würde aber das fälschlich aufgehobene Verdikt in einer neuen Verhandlung vom Gericht aufrechterhalten, so wäre ja die Möglichkeit der Berichtigung abgeschnitten, denn von neuen Geschworenen könnte sie doch nicht ausgehen ! Die totale Verkehrtheit dieses Ergebnisses erhellt besonders klar, wenn die Aufhebung gerade deshalb ungültig war, weil das Verdikt vielmehr berichtigt werden mufste! I I I . Das Schwurgericht, das ohne Vollmacht verweist, läfst seine Urteilspflicht unerfüllt. Holt es nicht selbst noch das Versäumte nach, so sukzediert in die Pflicht das Schwurgericht der nächsten Session, das nur auf Grund völlig neuer Verhandlung entscheiden kann. Übrigens repräsentieren beide Spruchgerichte dasselbe Rechtspflegeorgan 2. Das eine wie das andere ist zuständiges, zum Urteilen verpflichtetes Gericht. Ablehnung der Sache seitens des neuen „Gerichts" wäre Justizverweigerung, Rückverweisung an das frühere „Gericht" schon deshalb ganz unmöglich, weil dieses längst nicht mehr existiert. IV. Vollmachtlose und daher nichtige Verweisung hat nicht 2

Vgl. oben S. 545.

§ 59. Spruchaufhebung ohne Vollmacht.

die im § 317 bestimmte Bedeutung, sondern nur die Wirkung, dafs das neue Schwurgericht sich der Sache anzunehmen hat. Für Vollmachtsüberschreitung kann nichts anderes gelten als bei totalem Vollmachtsmangel. Hat das Gericht den Spruch, obwohl es ihn nur teilweise als ungerecht deklariert hat, doch ganz, mit Wirkung für realkonkurrierende Delikte, weitere Angeklagte kassiert, so mufs das neue Schwurgericht notwendig im Ganzen neu verhandeln 8. Die Verweisung hat aber nur, soweit sie rechtsbeständig erfolgt ist, den im § 317 bestimmten Charakter. Falsch ist die Fragstellung, ob das neue Gericht an den unrichtigen Beschlufs gebunden sei oder die Verhandlung dem § 317 Abs. 2 entsprechend zu beschränken, im Übrigen auf Grund des alten Spruchs zu entscheiden habe. Weder das Eine noch das Andere ist der Fall. Das Gericht hat auch, soweit der Beschlufs falsch ist, Verhandlungs- und Entscheidungspflicht, kann aber dabei nicht das alte Verdikt aufrechterhalten, das in Konsequenz des § 228 hinfällig geworden ist; die Pflicht, auf Grund des neuen Spruchs unbedingt das Urteil zu erlassen, § 317 Abs. 4, gilt aber nur im Umfange der zulässigen Verweisung, während zum anderen Teil das Verdikt als erstmaliges zu betrachten ist und erneut kassiert werden kann. Das Verweisungsrecht ist nicht konsumiert durch eine Verweisung ohne Recht, ohne Vollmacht und kann daher insoweit geübt werden, als zu Unrecht verwiesen worden ist. Eine nur teilweise Beibehaltung des alten Spruchs würde auch ganz besonders mifslich sein, da die neue Verhandlung die früheren Schuldannahmen sämtlich widerlegen könnte und nun zum Teil auf Grund des neuen abweichenden Beweisergebnisses, zum Teil unter dessen Ignorierung geurteilt werden müfste. Da über alle Anklagepunkte ungetrennt neu verhandelt wird, so wird das Verbot der Anteilnahme der früheren Geschworenen, § 317 Abs. 3, indirekt auch insofern wirksam, als der frühere Spruch zu Unrecht kassiert worden ist. 3 A. A. RG 2. Str.-S. R. V I I S. 30 f. Die Verweisung war auf ein (realkonkurrierendes) Delikt erstreckt worden, das die Geschworenen verneint hatten! Das RG meint, das Gericht habe schon in der ersten Hauptverhandlung insoweit den Spruch dem Angeklagten verkünden und diesen freisprechen müssen, dies sei jetzt nachzuholen. Aber § 228? Und soll die Verkündung usw. auch dann nachgeholt werden, wenn das Gericht den früheren Spruch für berichtigungsbedürftig erachtet? Wenn nicht, wie könnte Berichtigung erwirkt werden?

550

§ 60. Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtauihebung.

§ 60.

A u f h e b u n g und n e u e r S p r u c h . Nichtaufhebung.

R e v i s i o n wegen

Die Verweisung gemäfs § 317 bedarf noch in mehrfacher Hinsicht, nach Bedingungen und Folgen, der näheren Bestimmung. I. Das Gesetz erklärt einen Verweisungsantrag für unzulässig, die Verweisung soll nur von Amtswegen erfolgen, § 317 Abs. 1. Nicht zu bezweifeln aber ist, dafs das Gericht, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, auch wirklich verweisen mufs, mag immerhin die Frage des „hauptsächlichen Nachteils" vielfach eine Ermessenserwägung von ihm fordern 1 . Das Gesetz verneint einen Anspruch der Parteien auf Beschlufsfassung über die Verweisung, nicht aber die Verweisungspflicht des Gerichts bei Vorhandensein der gesetzlichen Vorbedingungen. Ein Verweisungsantrag wäre daher als unzulässig abzuweisen, doch würde auch einfache Ignorierung nicht eine Parteibeschwerde ergeben 2. Immerhin kann unzulässiger Antrag den Anlafs liefern zu Offizialprüfung durch das Gericht 8 . Jeder Richter ist jeder Zeit, noch bei Beratung des Urteils, befugt, Beschlufsfassung über die Frage der Aufhebung herbeizuführen. Erst mit Beginn der Urteilsverkündung endet das Verweisungsrecht. Nur sehr selten wird das Gericht veranlafst sein, seiner Beschlufsfassung über die Verweisung noch eine Beweiserhebung vorangehen zu lassen. Aber es ist denkbar, dafs das Gericht jetzt noch auf ein Beweismoment aufmerksam wird, das für die Frage der Verdiktsaufhebung den Ausschlag geben kann. Dann ist im Interesse der Gerechtigkeit der Beweis noch zu erheben. Die Befugnis dazu kann dem Gerichte trotz Schweigens der Prozefsordnung, die einen solchen aufserordentlichen Fall nicht zu berücksichtigen brauchte, nicht bestritten werden. I I . Der Verweisungsbeschlufs ist mit dem Rechtsmittel der Beschwerde nicht anfechtbar 4. Das ergibt sich mit voller Sicher1

Um einen r e i n e n Ermessensentscheid, wie die Mot. S. 187 anzunehmen scheinen, handelt es sich keineswegs. Sehr richtig Braunschw. § 146: „Ist das Gericht einstimmig der Ansicht usw., so m u f s es den Spruch verwerfen". 2 Vgl. auch T h i l o zu § 317 Bern. 7. 3 RG Fer.-S. E. Bd. 31 S. 243. 4 Ebenso nach Österr. § 332 (vgl. die Präjudizien bei v. C r a m e r Bern. 4 u. 5). D a l c k e zu § 317 Bern. 7 will dem Angeklagten und zu dessen Gunsten dem Staatsanwalt Beschwerde geben, wenn behauptet werde, dafs schon nach

§ 60. Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtauhebung.

heit aus § 347 StPO. Das Beschwerderecht der StPO pafst auch nicht auf einen Beschlufs, der nach Ablauf der Frist des § 228 irreparabel wird. Grund der Beschwerde wäre doch, dafs nicht auf Grund des Verdikts vom Gericht geurteilt wurde. Und diese Möglichkeit endet, sobald Fortsetzung der Verhandlung unmöglich geworden ist. Selbst wenn ohne Vollmacht verwiesen worden ist, kann prozessuale Beschwerde nicht ergriffen werden. Sollte das neue Schwurgericht die ihm überwiesene Sache unerledigt lassen, so läge darin Verzögerung und bei förmlicher Ablehnung Verweigerung der Justiz, die mit den entsprechenden Mitteln, Aufsichtsbeschwerde usw., zu bekämpfen wäre. Da vollmachtlose Verweisung an sich bereits vom verweisenden Schwurgericht repariert werden mufs — durch ' Fortsetzung der Verhandlung innerhalb der Frist des § 228, nach deren Ablauf durch neue Verhandlung 5 —, so ist denkbar, wird aber bei der meist kurzen Dauer der Schwurgerichtssessionen selten praktisch werden, dafs schon die Erfüllung dieser Pflicht durch Aufsichtsbeschwerde erzwungen wird. I I I . An rechtsgültige Verweisung knüpft das Gesetz zwei Folgesätze an : An der neuen Verhandlung darf kein Geschworener teilnehmen, welcher bei dem früheren Spruche mitgewirkt h a t 6 ; auf Grund des neuen Spruchs ist stets das Urteil zu erlassen (§ 317 Abs. 3 und 4). 1. Die Fernhaltung der früheren Urteilsgeschworenen soll einer Wiederholung des Fehlers vorbeugen und volle Unbefangenheit der neuen Jury garantieren. Es ist damit ein neuer Ausschliefsungsgrund in Ergänzung der §§ 22, 32 StPO aufgestellt. Die Vorschriften des § 279 über das Ausscheiden ausgeschlossener Geschworener sind anwendbar. Hätte ein solcher Geschworener dennoch mitgewirkt, so wäre das Urteil revisibel. Ein früherer dem Inhalte des Verdikts die Freisprechung habe erfolgen müssen; eine solche Beschwerde richte sich nicht gegen die Anordnung der Kassation selbst, vielmehr gegen die irrtümliche Auffassung des Verdikts. Allein eine blofse Auffassung ist doch niemals beschwerdefähig, Objekt der Beschwerde wäre allerdings die Verweisung. Und diese entzieht sich der Beschwerde aus den im Text entwickelten Gründen. R Vgl. oben S. 547. 6 Bad. 1864 § 293 bestimmt ferner, dafs keiner der früheren Richter in der neuen Verhandlung den Vorsitz führen dürfe. Ebenso Österr. § 332. Noch weiter geht Sachs. 1868 § 89 Abs. 3: keiner der früheren Richter und Geschworenen darf an der zweiten Verhandlung teilnehmen.

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§ 60. Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtauhebung.

Ergänzungsgeschworener, der an der Entscheidung nicht teilgenommen hat, ist nicht ausgeschlossen7. Analoge Anwendung des Ausschliefsungsgrundes auf den Fall ungültiger Verweisung — durch Majoritätsbeschlufs usw. — würde unmotiviert sein. Es kann in diesem Falle die Verhandlung nur als unterbrochen gelten nach Fällung des Verdikts ; weshalb sollte daher für die neue Verhandlung die Teilnahme der alten Geschworenen unzulässig sein? Durch die unbefugte Kassierung ist ein relevanter Fehler des Verdikts, gegen dessen Wiederkehr Sorge zu tragen wäre, doch nicht konstatiert. War in zu weitem Umfange verwiesen, so fehlt zwar für das Plus die Vollmacht und es würde daher insofern der Ausschliefsungsgrund an sich nicht in Betracht kommen; infolge der Konnexität der Strafsachen aber gewinnt er mittelbar auch für die fälschlich verwiesene Bedeutung. 2. Die Verweisung ist nur einmal zulässig. Auf Grund des neuen Spruchs mufs das Urteil auch dann erlassen werden, wenn er für den Angeklagten noch ungünstiger ausgefallen ist als der frühere 8 . Schon diese Konsequenz mahnt zu vorsichtigem Gebrauche des Verweisungsrechts. Sollte trotzdem ein zweites Mal kassiert werden, so machte sich das Gericht durch die vollmachtlose Verweisung der Justizverzögerung schuldig. Es wäre daher im Aufsichtswege eine möglichst schleunige, definitive Erledigung der Sache zu veranlassen. Zu diesem Zwecke könnte, wenn eine Abhilfe in der laufenden Session nicht mehr erreichbar ist, eventuell die neue Session früher als sonst üblich anberaumt, ja äufserstenfalls eine besondere Session ad hoc bestimmt werden. Die Verzögerung ist gerade deshalb besonders mifslich, weil das Schwurgericht nur periodisch zusammentritt. Die Beschränkung gilt jedoch bei Verweisung über die gesetzliche Grenze hinaus (betreffs weiterer selbständiger Anklagepunkte, § 317 Abs. 2) nur im Umfange der gesetzentsprechenden Verweisung. Daher besteht insofern, als fälschlich verwiesen worden 7 Vgl. auch L ö w e - H e l l w e g Bern. 7; S t e n g l e i n Bern. 6. Zweifelnd D a l c k e Bern. 4. 8 Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 38 S. 94 f. Abweichend nur Sachs. 1868 § 89 Abs. 4: es kann zwar nicht ein zweites Mal verwiesen werden, das Gericht hat aber, wenn es einstimmig der Ansicht ist, dafs auch der zweite Wahrspruch zu Ungunsten des Angeklagten unrichtig sei, so zu urteilen, als ob die betreifende Frage zugunsten des Angeklagten beantwortet sei.

§ 60. Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtauhebung.

war, das Recht neuer Verweisung. Die Nichterfüllung der Urteilspflicht kann hier nicht andere Folgen haben als sonst auch. Mufs das Gericht den Spruch betreffs der fälschlich mit überwiesenen Straffälle usw. kassieren, so tritt, da im übrigen das Urteil erlassen wird, Trennung der bisher verbundenen Strafsachen ein. Die Tatsache, dafs einmal zu Unrecht kassiert worden ist, kann, wenn nun ein neuer, dem Gericht ungerecht erscheinender Spruch vorliegt, unmöglich der Aufhebung entgegenstehen. Hingegen ist durch eine rechtsgültige Verweisung die Vollmacht zur Verweisung konsumiert, so dafs, wenn dem Gesetz zuwider abermals verwiesen sein sollte, der in der dritten Verhandlung ergangene Spruch nicht wegen Rechtsungültigkeit der zweiten Verweisung wie ein Erst-Wahrspruch, der nach § 317 wiederum kassiert werden könnte, zu betrachten ist. 3. De lege ferenda wird vielfach ein Verbot der reformatio in pejus gefordert, wie es frühere Landesgesetze in der Tat aufgestellt hatten 9 . Dafs durch die Möglichkeit einer Verschlimmerung 9

I n diesem Sinne ist von der preufsischen Praxis ausgelegt worden Art. 99 Abs. 4 der Novelle vom 3. Mai 1852: „Nach dem Ausspruche des neuen Schwurgerichts, auch wenn derselbe mit dem früheren Ausspruche übereinstimmt, mufs der Gerichtshof das Urteil sprechen." Das Gesetz rechnet also nicht, wenigstens nicht ausdrücklich, mit der Möglichkeit, dafs ein verschärfendes Verdikt ergehen könnte. Man nahm daher an, dafs die Straftat nur insoweit, als sie zum Nachteil des Angeklagten entschieden sei, an das neue Schwurgericht verwiesen werden dürfte. Vgl. G o l t d a m m e r in seinem Arch. Bd. 14 S. 264 f.; Z a c k e , Fragstellung und Wahrspräche usw. S. 170 f. Ebenso die französische Praxis zu art. 352 code, H é l i e , Traité I X § 704; H é l i e , Prat. crim. I nr. 894. Auch der österr. Kass.-Hof hat entschieden, dafs erschwerende Umstände, die im suspendierten Wahrspruch verneint worden waren, von der neuen Befragung auszunehmen seien, E. v. 30. April 1883 Samml. Bd. 6 S. 96 f. Ebenso M i t t e r b a c h e r zu § 332 Bern. 6; R u l f , Österr. Strafproz. S. 176. Preufsen 1867 § 341 Abs. 2 verbot ausdrücklich dem neuen Schwurgericht die in der ersten Verhandlung gestellten Fragen, soweit sie zugunsten des Angeklagten erledigt worden seien, wiederholt vorzulegen. Ähnlich Kurhess. 1848 § 336 Abs. 4 (in 1863 § 166 nicht wiederholt); Bad. 1864 § 293 Abs. 4; Württ. 1868 Art. 387 Abs. 3. Dasselbe bezielte der von S t r u c k m an η zu § 317 gestellte Antrag, Komm.-Prot. 1. Lesung S. 481. Dagegen wollten E y s o l d t - K l o t z - H e r z ungetrennte Überweisung an das neue Schwurgericht, Prot. 1. Les. S. 482, und in diesem Sinne wurde beschlossen. E y s o l d t meinte, die Möglichkeit einer reformatio in pejus bei völliger Kassation des Geschworenenspruchs sei praktisch bedeutungslos, Prot. S. 484. Vgl. jedoch RG Entsch. Bd. 33 S. 94 f. Sachs. 1868 § 89 Abs. 4 liefs zwar betreffs der in Frage stehenden strafbaren Handlung totale Verweisung eintreten, bestimmte aber, der Gerichtshof

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§

Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtauhebung.

der Rechtslage eines Angeklagten das Verweisungsrecht stark vinkuliert wird, ist zuzugeben. Aber auch die grofsen Bedenken, die ein solches Verbot haben würde, sind zu erwägen. Ist schon im Rechtsmittelverfahren eine derart beschränkte Schuldbeurteilung mifslich, indem leicht der Richter genötigt wird, gegen seine Überzeugung zu entscheiden, so könnten in einer schwurgerichtlichen Verhandlung leicht die schlimmsten Verwirrungen und ganz ungerechtfertigte Freisprechungen die Folge sein. Sollten die der neuen Beweislage entsprechenden Fragen auch insofern gestellt werden, als sie zu einer ref. in pejus führen würden und die Geschworenen zugleich zu ihrer Verneinung angewiesen werden ? Ein solches Verfahren aber dürfte nicht nur dem Laienverstand unbegreiflich sein. Also wäre doch schon von der entsprechenden Befragung abzusehen10. Es würden also die Geschworenen beispielsweise dahin zu belehren sein, dafs sie, auch wenn nach den Ergebnissen der Verhandlung Raub anzunehmen wäre, doch die Frage der Erpressung zu bejahen hätten. Wie sollte nun von ihnen abgestimmt werden ? Erst über die gar nicht gestellte Frage des Raubes und nach deren Verneinung über Erpressung, wobei diejenigen Votanten, die bei der ersten Abstimmung Raub annahmen, verpflichtet wären, für Erpressung zu stimmen, während Bejahung der Raubfrage — mit der nötigen Mehrheit — ohne weiteres als Bejahung der Erpressungsfrage wirkte? Wäre auf eine solche Abstimmungsweise bei Geschworenen auch nur mit einiger Sicherheit zu rechnen? Oder sollten in einmaliger Abstimmung alle Geschworenen, die entweder Raub oder Erpressung annähmen, die Erpressungsfrage bejahen? Das könnte aber nur dazu führen, dafs weder die Momente des Raubes, noch die der habe sein Erkenntnis auf denjenigen der beiden Wahrsprüche zu gründen, welcher in seiner Gesamtheit für den Angeklagten der günstigere sei, es müfste denn der Gerichtshof einstimmig der Ansicht sein, dafs auch der zweite Wahrspruch zu Ungunsten des Angeklagten unrichtig sei, in welchem Falle die betreffende Frage als zugunsten des Angeklagten beantwortet gelten solle. Für Ausschlufs der reform, in pejus — de lege ferenda! — v. B a r , Recht und Beweis S. 294 f.-, H. M e y e r I I S. 217; L ö w e - H e l l w e g Bern. 9. 10 Ganz gewifs aber hätte nicht das verweisende Schwurgericht mit Teilaufhebung (soweit das Verdikt dem Angeklagten ungünstig) eine teilweise Freisprechung (betreffs der von den Geschworenen verneinten Qualifikationen usw.) zu verbinden, wie Z a c k e a. a. 0. S. 172 meint. Über einheitlichen Strafanspruch können nicht Teilurteile gefällt werden. Welche Verwirrung müfste auch entstehen, wenn das Teilurteil mit Revision angefochten, über den anderen Teil neu in erster Instanz verhandelt würde!

§ 60. Aufhebung und neuer Spruch. Revision wegen Nichtauhebung.

Erpressung gehörig erwogen würden und nach einem tumultuarischen Gesamteindrucke votiert würde. Und am nächsten läge wohl immer, dafs die Geschworenen mit der Erpressung auch die darauf gerichtete Frage verneinten und der Angeklagte dann freigesprochen werden müfste, auch wenn er des Raubes schuldig wäre. Hiernach kann Klagbesserung in der neuen Verhandlung so wenig zu ungunsten als zu gunsten des Angeklagten ausgeschlossen werden. IV. Nichtverweisung begründet Revision gegen das Urteil, wenn die Unterlassung auf einem vom Gerichte deklarierten Rechtsirrtum beruhte n , in den Urteilsgründen z. B. ausgeführt ist, dafs die Bejahung eines Qualifikationsgrundes durch die Geschworenen zwar sehr bedenklich erscheine, zu einer Verweisung aber nicht habe führen können, weil es sich dabei begrifflich nicht um die „Hauptsache" handele. Keineswegs braucht zugleich festzustehen, dafs andernfalls das Gericht die Verweisungsvoraussetzungen einstimmig angenommen haben würde. Für das Erfordernis des Kausalzusammenhanges zwischen Rechtsirrtum und Urteilsinhalt gilt hier das gleiche wie bei sonstigem Prozefsverstofse. Es genügt, dafs ein solcher Nexus dem Revisionsgericht wahrscheinlich ist; ja es ist schon dann zu kassieren, wenn die Gründe pro den Gründen contra gleichstehen12. Hat hingegen das Gericht irgendwelche Gründe der Nichtkassierung nicht angegeben, so kann auch Revision keinen Effekt haben. Ebenso entfällt die Revision, wenn das Gericht Nachteil in der Hauptsache um deswillen verneint hat, weil durch den Irrtum eine e r h e b l i c h e Strafdifferenz zu ungunsten des Angeklagten nicht bedingt sei. Denn eine Ermessenserwägung kann nicht Revisionsgrund sein. Aufhebung aus dem Grunde der Nichtverweisung ist nicht auf das Urteil zu beschränken, so dafs nun in der neuen Verhandlung vor dem Schwurgericht zu prüfen wäre, ob die Kassierung des früher ergangenen Spruches zu erfolgen hätte. Denn Prüfung auf Grund einer anderen als der dem Spruch vorangegangenen Verhandlung wäre in sich verkehrt. Und wie könnte ein vom Revisionsgericht bei der Zurückverweisung aufrecht erhaltener 11

Ein Beispiel in RG Entsch. Bd. 31 S. 241 f. Vgl. auch Bd. 17 S. 31 f. Instruktiv österr. Kass.-Hof v. 12. Febr. 1876 Entsch. Bd. 2 S. 11 f. 12 Vgl. O e t k e r , Gerichtssaal Bd. 65 S. 451.

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§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

Spruch vom Untergericht überhaupt kassiert werden? Vielmehr ist mit dem Urteil der Wahrspruch aufzuheben und die Erneuerung der ganzen schwurgerichtlichen Verhandlung geboten13. Der Wahrspruch ist durch die für die Aufhebung des Urteils mafsgebende Gesetzesverletzung mitbetroffen, § 393 Abs. 2 StPO, weil diese eben in seiner Nichtaufhebung seitens der untern Instanz liegt. Revision gegen das Urteil der neuen Verhandlung wegen früher rechtsirrtümlich erfolgter Verweisung 14 ist undenkbar. Angenommen, selbst diese Voraussetzung läge zweifelsfrei vor, so ist doch nicht das neue Urteil deshalb falsch, weil früher zu unrecht verwiesen worden ist. Dieser Fehler ist irreparabel. Würde das Urteil aufgehoben, so litte ja das nun zu erwirkende Urteil wieder an demselben Nichtigkeitsgrunde: dafs in der ersten Verhandlung fälschlich kassiert worden wäre. Denn es könnte nicht das Revisionsgericht das Urteil mit* dem neuen Spruch unter Aufrechterhaltung des alten aufheben. An den alten Spruch hat sich ein Urteil nicht angeschlossen. Aufhebung eines schwurgerichtlichen Urteils unter Beibehaltung des Spruchs enthält die Anweisung, auf Grund dieses Spruchs e r n e u t zu erkennen. Die Pflicht, auf Grund eines Spruchs überhaupt, e r s t m a l i g , zu erkennen, kann begrifflich nicht vom Revisionsgericht auferlegt werden.

Viertes Kapitel. §61.

D i e \ 7 e r k ü n c l u n g des S p r u c h s 1 .

Bei der Kundgebung des Spruchs durch den Obmann ist der Angeklagte nicht zugegen. Vielleicht bedarf der Spruch noch der Berichtigung und erfährt aus diesem Anlafs eine Änderung zu gunsten oder zu ungunsten des Angeklagten. Um nicht das Ansehen des Spruches in den Augen des Angeklagten zu schwächen und um diesem unnütze Aufregung zu ersparen, soll das Berichtigungs13

So auch RG Fer.-S. E. Bd. 31 S. 244. So S t e n g l e i n zu § 317 Bern 4·, D a l c k e , Fragestellung S. 165. Dagegen bereits L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 298, 299. 1 P l a n c k S. 432; Z a c h a r i a e I I S. 555; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 368; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 317; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 211; G e y e r S. 768; v. K r i e s S. 626; U l l m a n n S. 525; B i r k m e y e r S. 645, 646; B e n n e c k e - B e l i n g S. 5,67; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 670, 671; ferner Z a c k e , Fragstellung S. 174; D a l c k e , Fragstellung S. 134 f. 14

§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

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verfahren möglichst seiner Wahrnehmung entzogen werden 2. Anordnung einer Berichtigung erst nach der Verkündung an den Angeklagten wird ja nur selten eintreten. Es gilt für genügend, dafs der Angeklagte von dem auf die Kundgebung hin eingeleiteten Berichtigungsverfahren nachträglich erfährt durch seinen Verteidiger, um eventuell wegen fälschlicher Berichtigungsverfügung das Urteil anzufechten, und dafs seine Interessen an diesem und in diesem Verfahren durch den Verteidiger wahrgenommen werden. Der Kundgebung des Spruchs folgt daher noch eine Verkündung an den Angeklagten 3. Österr., das ebenfalls die doppelte Bekanntgabe eintreten läfst, ohne die unterscheidenden Bezeichnungen „Kundgebung" und „Verkündung" zu gebrauchen, nennt den Spruch bis zur Publikation an den Angeklagten „Ausspruch", §§ 331, 332, dann „Wahrspruch", § 333 4 . I. Keineswegs richtet sich die Kundgebung nur an das Gericht 5 oder nur an dieses und die Staatsanwaltschaft. Sonst hätte der Angeklagte ein Recht aus dem Verdikt erst mit der nachfolgenden Publikation an ihn erworben und könnte nicht wegen zuvor fälschlich verfügten Berichtigungsverfahrens revidieren. Aufrechterhaltung des ersten, dem Angeklagten nicht verkündeten Spruches durch das Revisionsgericht unter Mifsbilligung einer zu ungunsten des Angeklagten eingetretenen Berichtigung wäre unmöglich. Denn der Verkehr zwischen den beiden Gerichtsorganen, der Richterbank und der Geschworenenbank, zur Gewinnung tauglicher Urteilsgrundlagen berührte nicht den Angeklagten. Wie sollte eine rein interne oder nur allenfalls die Staatsanwaltschaft mit angehende Gerichtsangelegenheit ein gravamen für den Angeklagten ergeben? Ohne jeden gesetzlichen Anhalt und ohne ersichtlichen inneren Grund erhielten Berichtigungen des Spruchs vor und nach der Verkündung eine völlig verschiedene Bedeutung. Gewifs ergeht die Kundgebung auch an das Gericht, das auf dem Wahrspruch weiter bauen soll und daher zunächst dessen Tragfähigkeit zu prüfen hat. Aber es gilt die Publikation zugleich den Parteien, nur ist die Partei des Angeklagten dabei lediglich durch den Verteidiger repräsentiert. Beide Teile können denn auch sofort Anträge auf Berichtigung des Spruchs stellen^ 2 3 4 6

Vgl. Mot. S. 180. Ebenso code d'instr. art. 357 und die früheren deutschen Gesetze. Vgl. S c h ü t z e in Goltd. Arch. Bd. 27 S. 183 Anm. 50. So B e n n e c k e - B e l i n g S. 564.

§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

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wozu ihnen jede Legitimation fehlte gegenüber einer Verhandlung lediglich zwischen Gericht und Jury. Und jede Partei hat sofort mit der Kundgebung clën Anspruch, dafs ein nicht berichtigungsbedürftiges Verdikt vom Gerichte auch wirklich zur Basis des Urteils genommen werde. I I . Die Publikation des Verdikts setzt sich normalerweise zusammen aus der Kundgebung u n d der Verkündung. Doch fällt die letztere ohne Ersatz fort, wenn der Angeklagte sich entfernt hat, nicht wieder erscheint und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet (§ 230 Abs. 2 StPO), sowie bei Renitenz des Angeklagten im Sinne des § 178 GVG 6 . Nicht ist in solchem Falle die Verkündung als reiner Formalakt dennoch zu bewirken 7 . Darunter könnte der Ernst der Verhandlung nur leiden. Auch greift ja nach dem Wortlaute des § 313 die Verkündung platz, „nachdem der Angeklagte in das Sitzungszimmer wieder e i n g e t r e t e n ist a . Gegenüber dem anwesenden Angeklagten aber ist allerdings die Verkündung unerläfslich. Versäumung hätte nicht die Folge, dafs nun der Spruch als gar nicht publiziert zu erachten wäre, denn in der Kundgebung ist ein für beide Teile bestimmter Publikationsakt erfolgt. Die vorgeschriebene Verkündung ist vielmehr zu denken als Surrogat für die dem Angeklagten nicht gewährte Anwesenheit bei der Kundgebung. Es ist anomal, dafs ein Hauptverhandlungsakt — und noch dazu ein so wichtiger — stattzufinden hat in Abwesenheit des Angeklagten. Der Gesetzgeber ist sich wohl bewufst, dafs hierin ein Mangel liegt, der nachträglich saniert werden mufs. Unterbleibt diese Heilung, obwohl sie geschehen könnte und müfste, so ist nun in Analogie des § 377 Z. 5 StPO ein absoluter Revisionsgrund gegeben : ein wesentlicher Hauptverhandlungsakt, die Publikation des Verdikts, hat dem Gesetz zuwider stattgefunden in Abwesenheit des Angeklagten, denn es ist der Kundgebung, bei der das Gesetz die Entfernung des An6

Übereinstimmend L ö w e - H e l l w e g zu § 313 Bern. 5; G e y e r S. 768; M e y e r I I S. 211; P u c h e l t das. Bern. 2; K a y s e r , Strafverfahren S. 252; RG 4. Str.-S. E. Bd. 35 S. 433 f. Erkrankung des Angeklagten ist nicht Grund, von der Verdiktsverkündigung an ihn abzusehen und in Abwesenheit des Angeklagten weiter zu verhandeln. Vgl. RG 4. Str.-S. E. Bd. 22 S. 247 f. In solchem Falle mufs ausgesetzt und, wenn die Frist des § 228 nicht eingehalten werden kann, neu verhandelt werden. 7 So D a l c k e , Fragestellung S. 135 (weil die Kundgebung nur „vorläufige" Publikation sei; vgl. darüber unten); B e n n e c k e - B e l i n g S. 567.

§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

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geklagten vorschrieb, nicht gefolgt die ebenfalls vorgeschriebene Verkündung an den wieder anwesenden Angeklagten. Die Publikation ist einaktig — Kundgebung absente reo — geblieben, obwohl sie zweiaktig sein mufste, durch Verkündung praesente reo zu ergänzen war 8 . Ist die Verkündung mit Recht ausgefallen, so ist sie auch definitiv ausgefallen. Erscheint der Angeklagte wieder während der Plädoyers zur Straffrage, so wird ihm nicht noch nachträglich der Spruch „verkündet". Aber es empfiehlt sich, dafs der Vorsitzende ihn von dem Inhalte des kundgegebenen Verdikts unterrichtet — im Interesse seiner Verteidigung —, obwohl das Gericht die fernere Anwesenheit des Angeklagten nicht für erforderlich erachtet hatte. Im Falle der Wiedereinführung des wegen Renitenz zeitweise e n t f e r n t e n Angeklagten ist diese Bekanntgabe gemäfs § 246 Abs. 2 StPO obligatorisch. Aber sie ist nicht die „Verkündung", ihre Unterlassung nicht absoluter, sondern nur relativer Revisionsgrund. I I I . Kundgebung und Verkündung sind, da die erstere an das Gericht und beide Parteien, jedoch für den Angeklagten an den Verteidiger, die letztere nur an den Angeklagten und zwar an ihn persönlich geht, Erklärungen an verschiedene Adressen, nicht dagegen ist jene eine provisorische, diese die definitive Erklärung 9 . In der Verkündung liegt nicht die bindende Annahme des Verdikts als Unterlage des Urteils. Auch der verkündete Spruch kann noch berichtigt werden 10 . Der Angeklagte erwirbt nicht mit der Verkündung ein weiteres Recht aus dem Verdikt, als ihm die Kundgebung verschaffen konnte. Die Kundgebung wirkt a l l e r d i n g s in dem Sinne sofort definitiv, dafs spontane Änderungen des Spruchs seitens der Geschworenen mit ihr ausgeschlossen s i n d n . Und für das Gericht ist das nicht korrekturbedürftige Verdikt ebenfalls sofort mit der Kundgebung verbindlich, das berichtigungsbedürftige auch mit der Verkündung nicht. Die Tatsache, dafs Berichtigungen des verkündeten Verdikts selten sind, 8 Die konstante franz. Rechtsprechung sieht in der Unterlassung Nichtigkeit, vgl. die Nachweisungen bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 357 Bern. 8. Nach österr. Recht wäre gegenüber dem Schweigen des § 344 StPO Nichtigkeitsbeschwerde nicht begründet, M a y e r zu § 333 Bern. 14. 9 So D a l c k e , Fragstellung S. 132. 10 So auch die österr. Praxis, Kass.-Hof v. 8. Okt. 1880 E. Bd. 3 S. 313 f., v. 17. Sept. 1881 Bd. 4 S. 186 f., v. 7. März 1896 Bd. 15 S. 332 f. 11 Vgl. oben S. 393 fg.

§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

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berechtigt doch nicht, der Verkündung rechtlichen Definitivcharakter beizulegen. IV. Der Spruch für sich allein ohne die zugehörigen Fragen ist ein formell unselbständiges Schuldurteil. Im Wesen der „Antwort" liegt stets stillschweigende Bezugnahme auf die Frage. Dieser Hinweis wird im schriftlichen Spruch dadurch ausgedrückt, dafs die Antwort neben die Frage gesetzt wird. Auch die Kundgebung enthält ausdrückliche Bezugnahme auf die Fragen. Weil aber die Fragen formell nicht zum Spruch gehören, so wird keineswegs durch jede Abweichung der Fragenverlesung vom Wortlaute des Fragebogens ein Mangel der Kundgebung begründet. Vielmehr genügt nach früherer Ausführung, wenn die Identität der geschriebenen und der mündlich mit kundgegebenen Fragen zweifellos ist 1 2 . Die Kundgebung soll dem Gerichte die Überzeugung geben, dafs die in den Antworten zu gründe gelegten Fragen sich vollinhaltlich decken mit den wirklich gestellten. Abweichungen, die für diese Kongruenz nicht in Betracht kommen, sind unschädlich. Bei der Verkündung ist im Gegensatz zur Kundgebung die Mitverlesung der Fragen vom Gesetze nicht besonders verlangt, § 313 13 . Es ist daher nach dem Zwecke der Verkündung zu bemessen, inwieweit es der Mitverlesung bedarf. Die Verkündung soll dem Angeklagten mitteilen, wie der Schuldspruch ausgefallen ist, Es mufs ihm deutlich gemacht werden, auf welche Fragen sich die Antworten beziehen. Ein dreimaliges „Ja" usw. ohne jeden Hinweis auf die Fragen genügt nicht. In welcher Form aber die Fragenangabe erfolgt, ob durch Verlesung der Fragziifern, durch kurze Mitteilung des Fraginhalts (Mord-, Raub-usw.Frage) usw. 14 , steht im Ermessen des die Verkündung anordnenden oder selbst ausführenden Vorsitzenden. Ein Doppelsinn von „Spruch" in dem Gesetze, wonach bald nur die Antworten, bald auch die Fragen mitgemeint seien, besteht nicht. „Spruch" bedeutet niemals die Antworten samt den Fragen, vielmehr immer nur die Antworten, aber natürlich die Antworten a u f die Fragen. Das gilt auch für § 308: die Kund12

Vgl. oben S. 428 fg. Vgl. Mot. S. 183. Ebenso L ö w e - H e l l w e g § 313 Bern. 2; v. B o m h a r d - K o l l e r Bern. 1; D a l c k e das. Bern. 2; v. S c h w a r z e das. Bern. 1. A. A. S t e n g l e i n zu § 313 Bern. 1. 14 Vgl. auch D a l c k e , Fragestellung S. 135. 13

das.

§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

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gebung des „Spruchs" geschieht unter Mitverlesung der Fragen; diese gehören nicht deshalb formell mit zum Spruch, der vielmehr, wie sehr bezeichnend § 307 sagt, n e b e n den Fragen niedergeschrieben wird. λ7. Die Verkündung geschieht nach § 313 durch „Verlesung" der Spruchurkunde; aber da der Akt nur dem Angeklagten gilt, so bedarf es, wenn dieser des Deutschen nicht mächtig ist, nicht neben der Verdolmetschung noch der Verlesung in deutscher Sprache 15. Der Dolmetscher ist anzuweisen, die Fragen mit zu übertragen, da es nicht seinem Ermessen anheimgestellt werden kann, inwieweit er sie erkennbar machen will. Die Verlesung wird durch den Gerichtsschreiber auf Anweisung des Vorsitzenden oder auch durch den letzteren selbst bewirkt 1 6 . Ist ein Mitangeklagter bei der Verlesung nicht anwesend, so müssen dennoch die Antworten vollständig, auch soweit sie nur ihn angehen, verlesen werden. Schon, weil der anwesende Angeklagte auch insofern — betreffs des Ausgebliebenen — Berichtigungsanträge stellen kann, die vom Gericht angenommen auch ihm die Chance einer Spruchänderung erwirken würden 17 . Die korrekte und vollständige Verlesung der Antworten wird vom Vorsitzenden kontrolliert. Eventuell ist Berichtigung usw. herbeizuführen, wozu ein Verlesungsnachtrag genügt und wiederholte Verlesung anderer Antworten nur insoweit nötig ist, als das Verständnis der korrekturbedürftigen, ausgelassenen Antwort es erfordert 18 . Auch die Mitrichter und die Parteien können auf Verlesungsmängel aufmerksam machen. Ein nicht geheilter Verlesungsdefekt könnte an sich die Revision begründen. Das Recht des Angeklagten, zur Straffrage neben dem Verteidiger sich zu äufsern, das garantiert ist durch die vorgeschriebene Befragung über etwa noch selbst geltend zu 15

Vgl. L ö w e - H e l l w e g zu § 313 Bern. 3. StPO § 313 bestimmt nichts über die Person des Verlesenden. Ebenso nicht Thür. 1850 Art. 296: Kurh. 1863 § 164 Abs. 5; Sachs. 1868 § 90; Hamb. 1869 § 223. Code art. 357 und die meisten früheren deutschen Gesetze (Bay. 1848 Art. 197; Braunschw. 1849 § 148; Preufs. 1852 Art. 100, 1867 § 343; Frankf. 1856 Art. 256; Oldenb. 1857 Art. 344; Hann. 1859 § 200; Baden 1864 § 289; Hess.-Darmst. 1865 Art. 386; Württ. 1868 Art. 388; Brem. 1870 § 520) nennen den Gerichtsschreiber. Ebenso Österr. § 333 (zweifellos jedoch würde auch Verlesung durch den Vorsitzenden selbst rechtsbeständig sein; ebenso Z a c k e , Fragstellung S. 174, für Preufs. 1852 Art. 100). 17 Vgl. oben S. 507. 18 Analog die Frage des Kundgebungsnachtrags, oben S. 423. 16

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

36

§ 61. Die Verkündung des Spruchs.

562

fachende Verteidigungsbehelfe, hat Bedeutung nur, wenn der Angeklagte über Art und Mafs des festgestellten Verschuldens im klaren ist. Wurde ihm ein Schuldausspruch überhaupt nicht oder unvollständig oder positiv falsch mitgeteilt, so liegt darin eine Behinderung in seiner Selbstverteidigung. Er soll nicht lediglich auf den Verteidiger angewiesen sein. Der gleiche Effekt wäre auch denkbar, wenn die Verständlichkeit der Antworten aufgehoben oder beeinträchtigt wurde durch ungenügenden Hinweis auf die Fragen. Indessen haben, wie sich alsbald zeigen wird, diese Eventualitäten praktische Bedeutung nicht. VI. Der protokollarische Vermerk der stattgehabten Verkündung beweist, wenn nicht entsprechende Einschränkung hinzugefügt ist, dafs Verlesung (Verdolmetschung) aller Antworten korrekt und lückenlos stattgefunden hat. Sobald der Vorsitzende, die Mitrichter auf einen Verkündungsmangel aufmerksam werden, ist Herbeiführung der Korrektur die unausbleibliche Folge. Einschränkende Protokollangabe käme also nur in dem höchst unwahrscheinlichen Falle in Betracht, dafs erst nach Urteilserlafs der Fehler bemerkt worden wäre. Das Protokoll bezeugt, dafs Antworten, d. h. Antworten auf Fragen, verlesen wurden, dafs also bei jeder verlesenen Antwort für die Protokollbeamten ersichtlich gemacht war, auf welche Frage sie sich bezog. Den Parteien hätte frei gestanden, eine anderweite substantiiertere Bezugnahme auf die Fragen zu erbitten. Indem das Protokoll von solchem Begehren nichts sagt, steht fest, dafs sich die Parteien bei dem geschehenen Hinweis beruhigt haben. Sonach ist spätere Bemängelung ausgeschlossen. Sollte das Gericht entsprechendes Ansuchen abgelehnt haben (§ 237 Abs. 2 StPO), so wäre auf Grund des Protokolls dem Revisionsrichter Nachprüfung des Vorgangs und seiner etwaigen Bedeutung für die Verteidigung ermöglicht. Indessen dürfte ein solcher Antrag kaum je gestellt, wenn gestellt aber — im Hinblick auf etwaige Revision — wohl nie verworfen werden 19 . V I L Mängel der Kundgebung werden nicht geheilt durch korrekte Verkündung. Die Tatsache, dafs der Obmann den Spruch anders publiziert hat, als er geschrieben ist, kann nicht einfach durch eine vom \7orsitzenden verfügte Verlesung an den An19

T h i l o zu § 313 Bern. 2 nimmt sogar an, dafs der Antrag für das Gericht formell verbindlich sei.

§ 62. Die Parteivorträge zur Schuldfrage.

geklagten neutralisiert werden. Die Kundgebung ist nicht ein vertretbarer Akt und hat unter feierlicher Versicherung zu erfolgen. Das blofse Schweigen des Obmanns zur Verkündung hat nicht die Bedeutung wirksamer Selbstkorrektur. Das gilt auch, wenn der Obmann die Fragen nicht mit verlesen oder sie abweichend vom Fragebogen kundgegeben hatte und nun die Verkündung auf die Fragen vollinhaltlich erstreckt wurde 20 . Insofern aber ist ein Kundgebungsnachtrag durch die Verkündung erübrigt, als der Obmann einen von ihm nicht mitverlesenen oder unrichtig mitgeteilten, dem Angeklagten aber zutreffend mitverkündeten Spruchteil auf die Befragung des Vorsitzenden hin unter der vorgeschriebenen Beteuerung ausdrücklich autorisiert hat 2 1 .

Fünftes Kapitel. Die Parteivorträge zur Schuldfrage und die Rechtsbelehrung. § 62.

Die Parteivorträge zur Schuldfrage 1.

Nach Feststellung der Fragen folgt das eigentliche Kontradiktorium. Die Sachführung der Parteivertreter während der Be20 Der Obmann hat zu bezeugen, dafs die Antworten den Fragen des Bogens gelten. Ohne dieses Zeugnis ist der Spruch nicht publikationsfähig. Vgl. oben S. 428 fg. Die österr. Praxis hält für genügend, dafs dem Angeklagten bei Verlesung des Spruchs die Fragen mit bekannt gegeben wurden. Vgl. U l l m a n n , Österr. Strafprozefsrecht S. 670 Anm. 1; Kass.-Hof v. 20. Nov. 1874 E. Bd. 1 S. 146 f. Es ist eben nach § 344 österr. StPO ein Mangel der Verdiktskundgebung Nichtigkeitsgrund dann nicht, wenn die Möglichkeit eines nachteiligen Einflusses für den Angeklagten ausgeschlossen war. Nach deutschem Recht liegt, soweit der Wahrspruch nicht zu rechtlicher Existenz gekommen ist, absolute Nichtigkeit vor. 21 Vgl. oben S. 424. 1 B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze S. 184f.; S c h w a r z e , Artikel „Schwurgericht" in Weiskes Rechtslex. Bd. 10 S. 113 f.; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung u. Rechtsübung S. 430 f., insb. S. 456 f., 503 f.; P l a n c k , System. Darstellung §§ 134, 135; Z a c h a r i a e , Handb. I I § 132; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. §82; L ö w e , Preufs.Strafproz. S.313f.; S c h w a r z e zu §68 sächs.Schwurgerichtsges. 1868 und zu Art. 296 sächs. StPO 1868; F u c h s in v. Holtz. Handb. I I S. 79f.; H . M e y e r das. S. 183 f.; G e y e r § 221; G l a s e r , Artikel „Hauptverhandlung" in v. Holtz. Rechtslex. I I S. 272 f.; D e r s e l b e , Handb. I I S. 521 f. ; ν. K r i e s S. 541 f.; U l l m a n n §§ 109, 110; B i r k m e y e r S. 634 f., 638 f.; B e n n e c k e B e l i n g S. 530f., 559; R o s e n f e l d S. 314f., 372; L ö w e - H e l l w e g zu §§ 257, 36*

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weisaufnahme wird ergänzt durch ihre Sachausführungen auf Grund der Beweisaufnahme in Rede und Gegenrede 2. Die Struktur des 299 StPO; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 555f., 559 f.; S u n d e l i n , Ger.-Saal Jahrg. 10 S. 401 f.; D e r s e l b e in Holtz. Strafrechtszeitung Jahrg. 3 S. 468f.; F r y d m a n n , Verteidigung S. 298 f., 352 f.; V a r g h a , Verteidigung S. 626 f.; O r t l o f f , Gerichtl. Redekunst (1886) S. 181 f.; K ö h l e r , Verteidigung, Ger.-Saal Bd. 53 S. 161 f., 320 f., insbes. S. 248f.; S ü f s , Stellung der Parteien im mod. Strafproz. (1898) S. 361 f., 379 f., 392 f., 400 f. 2 Wesentlich anders die Anlage der englischen Hauptverhandlung. Es gibt nicht ein gesondertes Stadium des Plädierens. Der Ankläger legt bei Beginn der Verhandlung dar, durch welche Mittel er den Klagbeweis zu erbringen gedenkt, worauf alsbald die Erhebung der Beweise — im Kreuzverhör — folgt. I n gleicher Weise verläuft das sich anschliefsende Verteidigungsverfahren. Beweisdeduktionen und Gegendeduktionen (nach Bedarf auch Rechtsdeduktionen) sind mit der Beweiserhebung selbst verknüpft. Vgl. G l a s e r , Engl., schott. Strafverfahren S. 125 f.; M i t t e r m a i e r , Engl., schott., nordamerik. Strafverfahren S. 406f.; A r c h b o l d , Plead, and evid. in crim. cas. (19. ed.) p. 171 f.; S t e p h e n , New comm. (14. ed.) I V p. 374 f.; H a r r i s , Princ. of the crim. law 10. ed.) p. 401 f. Also recht eigentlich Prinzip der B e w e i s v e r b i n d u n g . Diese Gestaltung hat die nützliche Folge, dafs die Anwälte ihre Hauptaufgabe in der Beweiserbringung sehen und nicht zu Künsten der Überredung greifen. Aber es bleibt doch ein Mangel, dafs nicht dem Beweisverfahren eine zusammenhängende Darlegung und Diskutierung des Ergebnisses vom Parteistandpunkte aus nachfolgt. Im kontinentalen Schwurgerichtsverfahren sind solche Vorträge schon deshalb unentbehrlich, weil ein formelles, durch die richterliche Direktion den Geschworenen nach Lage des Einzelfalles zu vermittelndes Beweisrecht nicht besteht und diese nicht auf die Anklage, sondern auf formulierte Schuldfragen zu antworten haben. Der code d'instr. art. 335 schlofs an wesentlich dem Präsidenten überlassen Beweiserhebung deduzierende Reden und Gegenreden der Parteien an. Die früheren deutschen Gesetze und Österr. 1850 § 321, 1873 §§ 255, 324 folgten sämtlich dem französischen Muster, indem sie Vorträge der Parteien nach der Beweiserhebung vor der Verdiktsabgabe anordneten. Zuweilen wurden diese Ausführungen in hergebrachter Verkehrtheit auf die „Tatfrage" bezogen, Preufe. 1852 Art. 79 Abs. 1, Oldenb. 1857 Art. 319 und noch Brem. 1870 § 474. Höchst ungenau verwiesen einige Gesetze für den Inhalt der Plädoyers auf das nicht-schwurgerichtliche Verfahren, obwohl doch in diesem die Scheidung von Schuld- und Straffrage nicht besteht; so Hann. 1850 § 187, 1859 § 193, Bad. 1851 § 91, 1864 § 274 Abs. 1. Besser Bay. 1848 Art. 170, dem Kurh. 1848 §§ 313—315, 1863 § 157, Württ. 1849 Art. 152, Hess.-Darmst. 1848 Art. 162, Frankf. 1856 Art. 226 usw. folgten. Präzis Thür. 1850 Art. 284: die Ausführungen haben sich nur auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung, soweit sie dem Ausspruche der Geschworenen zu unterstellen sind, zu erstrecken; ebenso Hess.-Darmst. 1865 Art. 358, Württ. 1868 Art. 359 Abs. 3, Hamb. 1869 § 209; Österr. 1873 § 324. Bemerkenswert Braunschw. 1849 §§ 136, 137, wonach die Vorträge auch dem Zwecke der Fragenaufstellung durch die Parteien dienten.

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schwurgerichtlichen Prozesses scheidet die Parteivorträge in solche zur Schuldfrage nach der Beweiserhebung vor dem Verdikt und solche zur Straffrage zwischen Verdikt und Urteil. I. Da Geschworene wie rechtsgelehrte Richter zu entscheiden haben lediglich nach Mafsgabe der Beweisergebnisse und des Gesetzes, so bestehen auch die Vorträge zur Schuldfrage bestimmungsgemäfs nur in Beweisdeduktionen und Rechtsdeduktionen. Jeder anderweite Inhalt, ein Appell an das Gefühl 3 , statt an den Verstand der Geschworenen, die Inanspruchnahme der Affekte des Zornes oder des Mitleidens, die Aufforderung, zu richten nicht nach dem Gesetz, sondern nach „höherer Gerechtigkeit" 4 oder politischen Erwägungen, Gnade zu üben statt Recht zu sprechen, ist unzulässig und sollte immer vom Vorsitzenden inhibiert werden 5 . An den deduzierenden Parteivorträgen nach der Beweisaufnahme ist unbedingt festzuhalten. Übereinstimmend G l a s e r I I S. 522 Anm. 39. Ihre Versagung wäre Weigerung gebotenen Gehörs. Gewifs soll der Schwerpunkt der Verhandlung liegen in der Beweiserhebung selbst, nicht im folgenden Plädoyer. Einer Überschätzung der Parteireden durch die Urteiler ist vorzubeugen durch eindrucksvolle Gestaltung des Beweisverfahrens und durch Mitwirkung eines Berufsrichters am Spruche. Viel zu weit geht aber der Vorschlag, die Plädoyers zugunsten des englischen Modus überhaupt zu beseitigen, so S u n d e l i n , Ger.Saal Jahrg. 10 S. 410 f. Eine andere, hier nicht zu erörternde, weil mit der Konstruktion der Parteirechte in der Hauptverhandlung untrennbar zusammenhängende Frage ist, ob den Parteien noch aufserdem, vor der Beweiserhebung, zu gestatten wäre, die von ihnen beabsichtigten Beweisführungen darzulegen, so S ü f s , Stellung der Parteien S. 416 f. Ganz verfehlt ist V a r g h a s Behauptung S. 727, dem Verteidiger stehe gemäfs § 245 österr. StPO, § 242 RStPO — wo die Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgeschrieben ist — zu, einen einleitenden Rechtfertigungsvortrag zu halten. Eine solche einseitige Anhörung der Verteidigung wäre genau so verkehrt, wie der im code art. 315 nur dem Staatsanwalt gestattete Initiativvortrag. 3 Trefflich der österr. Just.-Minist.-Erlafs v. 25. Nov. 1873 an die Staatsanwälte über ihre an Geschworene zu richtenden Vorträge. „Das einzige Gefühl, welches anzurufen die Staatsanwälte nicht müde werden dürfen, ist das Pflichtgefühl der Geschworenen." 4 Verfehlt V a r g h a , Verteidigung S. 509: der Verteidiger könne auf Freisprechung wegen der „edlen Gesinnung" des überwiesenen Angeklagten plädieren; sehr bedenklich die Ausführungen das. S. 768 f. über die Billigkeit im Strafrecht, zu deren Gewährleistung der Geschworenenspruch berufen sei. 5 In zu enge Grenzen will V a r g h a S. 628 f. die Unterbrechungsbefugnis des Vorsitzenden schliefsen. Zu den schweren Mängeln des französischen Prozesses gehört die Machtlosigkeit des Präsidenten gegenüber dem Staatsanwalt. Vgl. die Darstellung Hé I i es, Traité V I I I p. 829 f.

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Die schlechten Künste französischer Assisenreden gehören nicht in den deutschen Gerichtssaal 6. Der loyale Parteivertreter spricht zu Geschworenen i n h a l t l i c h nicht anders als zu beamteten Richtern. Die F o r m aber hat wesentlich zu berücksichtigen die Rechtsunkunde der Urteiler und die ihnen fehlende Übung in der Beweiswürdigung. Damit der Vortrag so fafslich wie möglich sei, läfst sich gröfsere Ausführlichkeit, als sie in einer Strafkammerverhandlung am Platze wäre, öfters nicht vermeiden. Um den wesentlichen Punkten volle Beachtung zu sichern, kann deren wiederholte Betonung von Nutzen sein. Mit a b s t r a k t e n Rechtserörterungen ist den Geschworenen nicht gedient. Staatsanwalt und Verteidiger haben, wie sonst auch, die Aufgabe, unter steter Einhaltung der Grenze, die zwischen zulässiger Deutung und Verdrehung liegt, den Beweistatsachen und den Gesetzen die denkbar günstigste Auslegung für die eigene Partei zu geben7. Ein Verteidiger, der bestrebt ist, durch tendenziöse Gruppierung der Beweismomente, durch Auslassungen und Entstellungen Yerwirrung in den Köpfen der Geschworenen zu stiften, um so Freisprechung zu erzielen, eine Maxime, die besonders bei komplizierten, mehrtägigen Beweiserhebungen Erfolg haben kann, versündigt sich am Rechte und an der Würde seines Berufs. Der Staatsanwalt wird eine so erzeugte Konfusion nicht immer zu heben imstande sein, zumal der Verteidiger das letzte Wort hat. Und der Vorsitzende kann in dieser Beziehung nichts tun, da er auf Rechtsbelehrung beschränkt ist. Mit der Heranziehung eines RichterGeschworenen hingegen wäre zn derartigen Versuchen, im Trüben zu fischen, jeder Anreiz genommen. 6

Die ruhige Sachlichkeit der englischen Verhandlungen bildet einen wohltuenden Gegensatz zu der oft leidenschaftlichen, phrasenhaften, auf ungehörige Effekte berechneten, in Gefühlsargumentationen sich bewegenden französischen Rhetorik. S t e m a n n , Jury S. 344 fg. ; S u n d e 1 i η im Ger.-Saal Jahrg. 10 S. 408 f. ; G n e i s t , Vier Fragen S. 124 f.; F r y d m a n n , Verteidigung S. 358; O r t l o f f , Gerichtl. Redekunst S. 109 f. Die Ermahnung des Präsidenten an den Verteidiger bei Beginn der Verhandlung, qu'il ne peut rien dire contre sa conscience ou contre le respect dû aux lois et qu'il doit s'exprimer avec décence et modération, code art. 311 (imitiert in Hess.-Darmst. 1848 Art. 133, Thür. 1850 Art. 234 Abs. 2 u. 281, Österr. 1850 §§ 268, 317) — selbst ungehörig, zumal sie nur dem Verteidiger zuteil wird — hält ungehörigen Inhalt von den Vorträgen keineswegs fern. 7 Vgl. auch P l a n c k , System. Darstellung S. 386.

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Auch unrichtige positive Angaben über Beweisergebnisse berechtigen den Vorsitzenden nicht, den Vortrag zu unterbrechen, alsbald oder nach dessen Beendigung die Korrektur zu geben8. Denn er hat die Befugnis der Beweisfeststellung so wenig in negativer als in positiver Hinsicht. Die Berichtigung kann nur vom Gegner ausgehen. Anders, wenn die Partei Tatsachen heranzieht, die gar nicht Gegenstand der Verhandlung, der Beweiserhebung gewesen sind, z. B. die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anficht mit Hinweis auf Vorkommnisse, die in der Verhandlung nicht berührt worden sind, oder geltend macht, dafs man dem Angeklagten die Tat nicht zutrauen könne im Hinblick auf ein früheres Verhalten, über das Beweis nicht erhoben worden ist usw. In solchem Falle ist Unterbrechung und Zurückführung des Redners auf den Verhandlungsinhalt allerdings am Platze 9 . Ebenso, wenn völlig unerhebliche Dinge tatsächlicher oder rechtlicher Art in den Vortrag eingeflochten werden 10 . Doch ist zu bedenken, dafs die Sachdienlichkeit einer Ausführung nicht immer schon aus den ersten Sätzen erhellt 1 1 . Eine völlig scharfe Grenze zwischen dem Hereinziehen eines Novum und der Hinzufügung zu wirklich gemachter Aussage besteht nicht. Die Partei legt vielleicht das Novum einem Zeugen in den Mund. In diesem Falle kann der Vorsitzende nicht einschreiten. Immerhin ist eine derartige Entstellung dem kontrol- 1 lierenden Gegner und aufmerksamen Geschworenen gegenüber ein zweischneidiges Mittel, dessen Gebrauch meist schon die Klugheit widerraten wird. Und Anführungen, die nicht in diese Form gekleidet sind, die sicher jenseits der Grenze liegen, sind vom Vorsitzenden abzuschneiden. 8

Unzutreffend P l a n c k S. 387. Nicht weitgehend genug G l a s e r I I S. 533. 10 Vgl. auch RG 2. Str.-S. R. V I I I S. 271. Entsprechende franz. Entscheidungen (nur im Hinblick auf die Verteidigung, Anm. 5) bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 335 nr. 55, 63. 11 Vorsichtiger Gebrauch des Unterbrechungsrechtes ist daher allerdings geboten. Vgl. in dieser Hinsicht die beachtenswerten Ausführungen V a r g h a s S. 731 f. Einen gewissen Anreiz zu übertriebenen und voreiligen Korrekturen gibt die „diskretionäre Gewalt", die auch aus diesem Grunde zu verwerfen ist. Schon der richtig verstanden zutreffende Satz, der Vorsitzende habe für Fernhaltung solcher Erörterungen zu sorgen, welche die Hauptverhandlung ohne Nutzen für die Aufklärung der Sache verzögern würden — Österr. § 232 Abs. 2 —, kann, wie hier, im G e s e t z ausgesprochen Schaden stiften. 9

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Ganz besonders ist Korrektur durch den Verhandlungsleiter geboten, wenn eine Partei unzulässige Beweisergänzung durch Vorlesen von Schriftstücken usw. unternimmt. Passivität des Vorsitzenden in dieser Hinsicht kann Urteilsnichtigkeit ergeben. Dagegen ist Nichtrüge anderweiten ungehörigen Vorbringens zwar Verletzung der Amtspflicht, aber nicht einer den Parteien gegenüber bestehenden Prozefspflicht des Vorsitzenden. Dem Versuche der Beweisergänzung ist alsbald entgegenzutreten durch Unterbrechen des Vortrags, da die einmal geschehene Verlesung durch nachträgliche Bedeutung der Geschworenen nicht notwendig paralysiert wird. Ein Revisionsgrund aber liegt nicht deshalb vor, weil der Vorsitzende den Vortrag nicht unterbrochen hat, sondern erst dann, wenn in der Rechtsbelehrung die Unzulässigkeit und Unbeachtlichkeit der Beweisergänzung nicht konstatiert worden i s t 1 2 . Rechtsgelehrten Richtern gegenüber wäre in gleichem Falle ein solcher Hinweis nicht notwendig, sein Unterbleiben nicht Revisionsgrund 13 , die Rüge nur durch die Ordnung des Verfahrens, die Sachleitungsaufgabe des Vorsitzenden geboten. Dagegen könnte das Schuldurteil von Geschworenen allerdings auf dem Prozefsverstofse beruhen 14 . Es mufs ihnen daher die Unverwertbarkeit des so eingeführten Beweismoments zum Bewufstsein gebracht werden. Ist das aber geschehen, ist die Rechtsbelehrung auf diesen Punkt erstreckt worden, so mufs nun der Verstofs rechtlich als geheilt gelten, sollte er immerhin dennoch tatsächlich auf die Schuldüberzeugung der Geschworenen gewirkt haben, denn das Gesetz unterstellt, dafs die von ihm zum Urteil berufenen Geschworenen in der Lage sind, der Rechtsweisung des Vorsitzenden nachzukommen. Eine Verlesung im Vortrage ist dann nicht unzulässig, wenn es sich um schon in der Verhandlung verlesene Schriftstücke, um verlesene inkriminierte Schriften usw. handelt und der Redner nun bestimmte Stellen im Wortlaute anführt, um an sie seine Deduktionen anzuschliefsen 15. 12

Vgl. dazu unten § 64 unter V 1. Vgl. unten § 64 Y 1. 14 Anders anscheinend RG 1. Str.-S. E. Bd. 32 S. 241. 15 Das Yorlesen von Zeitungsartikeln hingegen, auf welche die Beweisaufnahme sich nicht bezog, zum Zwecke beweismäfsiger Konstatierung von Tatsachen ist unstatthaft. Ygl. auch L ö w e - H e l l w e g zu § 257 Bern. 6. Unrichtig in dieser Hinsicht RG 1. Str.-S. R. Y S. 552. Ein schwerer Fehler des französischen Verfahrens ist, dafs den Parteien, besonders dem Staatsanwalt, Verlesungen in weitestem Umfang erlaubt werden, 13

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Kaum der Erwähnung bedarf, dafs Bezugnahmen auf juristische Werke unter Verlesung einzelner Stellen daraus frei stehen. Die sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden, die Ordnungsstrafgewalt des Gerichts sind in diesem Zusammenhange nur zu konstatieren. II. Die Vorträge betreffen die Schuld-, nicht die Straffrage. Oder genauer: sie beziehen sich auf die zur Kognition der Geschworenen verstellten Tatmomente, wozu auch gewisse Bestandteile der Straffrage gehören 16 . In diesen letzteren Beziehungen ist es selbstverständlich Recht und Pflicht der Parteien, schon jetzt zur Straffrage zu sprechen. Aber auch im Übrigen ist ein Verbot, in den Vorträgen zur Schuldfrage die Straffrage mit zu berühren, als solches nicht ausgesprochen. Es kommen nur in Betracht die allgemeinen Gesichtspunkte, aus denen Parteiausführungen der Rüge und Unterbrechung seitens des Vorsitzenden unterliegen. Hiernach sind zu inhibieren solche Bemerkungen zur Straffrage, welche den Charakter der Abschweifung haben oder der Vorwegnahme von Darlegungen, zu denen erst nach gelöster, bejahter Schuldfrage Anlafs ist, oder die eine ungehörige Beeinflussung der Geschworenen anstreben 17. Es ist beispielsweise nicht zu dulden, wenn der Verteidiger in eine Kritik des gesetzlichen Strafmafses eingeht, generell oder mit besonderer Bezugnahme auf die Eigenart des Falles, um so ein Motiv der Schuldverneinung, die Nichtanwendung des „ungerechten" Strafgesetzes zu erzielen. Dagegen mufs der Verteidigung unbenommen sein, die Bedeutung der Alternativen Haupt-, Hilfsfrage, Annahme, Nichtannahme mildernder Umstände, Bejahung, Verneinuug strafauch wenn die Schriftstücke gar nicht Gegenstand der Verhandlung waren. Belege für diese Praxis bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 335 nr. 8, 10, 23, 25, 45. Ein Seitenstück zu den Verlesungen kraft des pouvoir discrétionnaire, oben S. 96! 16 Vgl. oben S. 564 Anm. 2. Richtig Thür. Art. 284: die Ausführungen haben sich auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung, soweit sie dem Ausspruch der Geschworenen zu unterstellen sind, zu beschränken. 17 Diese Gesichtspunkte sind nicht gewürdigt in der Entsch. des 4. Str.-S. Bd. 16 S. 365 f., wonach dem Verteidiger Ausführungen jeder A r t zur Straffrage freistehen würden. Nach anderer Richtung zu weitgehend F r y d m a n n , Verteidigung S.339-, S ü f s , Stellung der Parteien S. 382; B e n n e c k e - B e l i n g S. 559, die jedes Eingehen auf die Straffrage reprobieren.

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erhöhender, strafmildernder Nebenfrage, unter Mitbezugnahme auf die verschiedene Schwere der Bestrafung zu erläutern, da in dieser Hinsicht für die Geschworenen, wie für andere Urteiler das Prinzip „in dubio mitius" gilt und die Beweislage als eine entsprechend zweifelhafte von ihnen erachtet werden kann, jedenfalls der Vortragende auf eine solche Annahme hinwirken darf 1 8 . Genauere Darlegung des Strafmafses wäre freilich hierzu nicht erforderlich und daher nach Befinden vom Vorsitzenden als unerheblich zu inhibieren 19 . Unverkennbar enthält die Schwere der drohenden Strafe die besonders dringende Aufforderung zu sorgsamster Prüfung der Beweisfrage, zur getreuen Erfüllung dieser an sich bestehenden Richterpflicht. Es liegt im Bereiche zulässiger Verteidigung, in der gegebenen Beweiskritik diesen Zusammenhang mit zur Geltung zu bringen. Durchaus ungehörig aber wäre, aus der Strafhöhe an sich einen Freisprechungsgrund herzuleiten. Wiederum ist zu konstatieren, dafs durch geschickte Einkleidung ein Vorbringen in den Grenzen des formell Zulässigen gehalten werden kann, das materiell darüber hinausgeht. Aber es wäre ebenso verkehrt, im Hinblick auf diese leidige Möglichkeit auch das sicher Unzulässige der Beanstandung zu entziehen, als dem Verteidiger jede Äufserung über die Straffolgen zu verbieten. Volle Abhilfe gegen unberechtigte Einwirkungen dieser Art bietet 18

Insofern ist die Anweisung an die Geschworenen, code art. 342 und entsprechende deutsche Gesetze (oben S. 28), die gesetzlichen Folgen ihres Wahrspruchs ganz aufser Acht zu lassen, cum grano salis zu verstehen. 19 Verfehlt die französische Auffassung, dafs mit Einführung der mildernden Umstände der Verteidigung die volle Freiheit zur Erörterung der Strafsanktion vor der Jury erwachsen sei. So T r é b u t i e n , Cours élément, d e d r o i t c r i m . i l η. 608; H é l i e , Traité V I I I p. 835 f.; H é l i e , Prat. crim. I n. 801; S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 335 n. 40. Denn, um das Prinzip in dubio mitius geltend zu machen, bedarf es nicht der B e z i f f e r u n g der Strafdifferenz. Dafs die Bestrafung bei Annahme mildernder Umstände leichter ausfällt, wird den Geschworenen kaum je zweifelhaft sein, aber der Verteidiger mag immerhin dieses Selbstverständliche noch besonders betonen. Es zeigt sich auch hier, wie sehr das System der mildernden Umstände geeignet ist, die Grenzen von Schuld- und Straffrage zu verwirren. Mit dem Inhalte der Geschworeneninstruktion, code art. 342, ist jene Ansicht ganz unvereinbar. I n noch höherem Mafse trifft dies freilich zu für die von der Staatsanwaltschaft in Anspruch genommene und von den Gerichten ihr zuerkannte Befugnis, im Plädoyer den Geschworenen darzulegen „les conséquences légales de leur déclaration" ( H é l i e , Traité V I I I p. 830). Insofern liegt in der erwähnten Gestattung an die Verteidiger eine gewisse Ausgleichung.

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nur die Gesetzesreform: Zuziehung eines Richter-Geschworenen, gemeinsame Entscheidung der Straffrage durch Richter und Geschworene. I I I . Das Protokoll hat Aufschlufs zu geben über entsprechende Unterbrechung des Vortrags und dabei den vom Vorsitzenden angeführten Grund mit aufzunehmen. Vollständige Niederschreibung und Verlesung der betroffenen Äufserung kann empfehlenswert sein, § 273 Abs. 3 StPO; ein Antrag auf Feststellung des Vorganges selbst, d. i. der Unterbrechung samt ihrer Begründung, in der Form des § 273 Abs. 3 darf nicht abgelehnt werden. Der Partei mufs unbenommen sein, auf die Behinderung in dem fraglichen Vorbringen die Revision zu stützen. Wurde die Anordnung des Vorsitzenden als unzulässig beanstandet, so ist der ergangene Gerichtsbeschlufs mit Gründen in das Protokoll aufzunehmen, § 237 Abs. 2 StPO. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn der Vorsitzende erst nach Beendigung des Vortrags gerügt hat. Wurde hingegen nur in der Rechtsbelehrung die Ausführung gerügt, so unterbleibt die Protokollierung in Konsequenz der Unanfechtbarkeit der Belehrung (§ 300 Abs. 2 StPO), es müfste denn unzulässige Beweisergänzung im Vortrage das Rügeobjekt gewesen sein: dann Aufnahme in das Protokoll, um einer Revision wegen versäumter Rüge zu begegnen. IV. Die Vorträge sollen Schlufs vorträge zur Schuldfrage sein. Hat nach den Vorträgen vor Abgabe des Wahrspruchs, also nicht in der Verhandlung nur zur Straffrage, noch ein Beweisakt stattgefunden, auf Antrag oder nach Offizialanordnung, so müssen beide Teile erneut zum Wort verstattet werden 20 . Auch die Ablehnung eines im Plädoyer gestellten Beweisantrages bedingt, dafs beiden Teilen zu etwaigen weiteren Ausführungen noch Gelegenheit zu geben i s t 2 1 . Denn nicht mit einem Beschlufs des Gerichts zur Beweisfrage, sondern mit der Anhörung der Parteien hat die Verhandlung zu schliefsen. Die Erwartung weiterer Beweiserhebung kann den Vortrag inhaltlich bestimmt haben. Und die Anhörung mufs sich nach dem Grundsatz „audiatur et altera pars" immer auch auf die Gegenpartei erstrecken. Die Reihenfolge auch für die ergänzende Worterteilung be20

Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 6 S. 254 f.; 3. Str.-S. R. 6 S. 248. Übereinstimmend die franz. Praxis, S i r e y et M a l e p e y r e art. 335 η.80. 21 Vgl. RG 3. Str.-S. R. V I I S. 519; 4. Str.-S. E. Bd. 26 S. 32. Ferner 4. Str.-S. E. Bd. 20 S. 380 f.

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stimmt sich nach der Regel des § 257 : erst Staatsanwaltschaft, dann Verteidigung usw. V. Die Vorträge verlieren den Charakter der Schlufsvorträge auch durch nachträgliche Änderung der Fragestellung. Die Fragen geben dem Plädoyer Ziel und Richtung. Daher ist in diesem Falle wiederholte Anhörung beider Teile unerläfslich 22 . VI. Mehrere Verteidiger desselben Angeklagten haben sich über die Reihenfolge ihrer Vorträge zu verständigen. Sie brauchen aber nicht sämtlich zu sprechen 23. Es kann sich der eine auf die Beteiligung an der Beweiserhebung beschränken, der andere plädieren, der eine die erste Verteidigungsrede, der andere die Replik übernehmen. Sollte je vorkommen, dafs jeder der Verteidiger zuerst zu sprechen begehrte, so hätte der Angeklagte zu bestimmen; nur, wenn dieser die Entscheidung ablehnte, ginge sie auf den Vorsitzenden als den Leiter der Verhandlung über. Auch Anteilnahme mehrerer staatsanwaltschaftlicher Beamter am Plädoyer ist zulässig. V I I . Die notwendige Verteidigung in schwurgerichtlicher Sache ist so wenig, wie je sonst die Beiziehung eines Verteidigers, bestimmt, den Angeklagten mundtot zu machen. Das Gesetz verlangt, dafs der Angeklagte, nachdem der Verteidiger für ihn gesprochen hat, befragt werde, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe, § 257 Abs. 3 StPO 24 . Diese Befragung hat nach Beendigung der Ausführungen des Verteidigers (der Verteidiger), nicht so oft als der Verteidiger (ein Verteidiger) gesprochen hat, zu geschehen. Den Angeklagten vor dem Verteidiger zu hören, wäre aus doppeltem Grunde unrichtig: weil durch ungeschickte Ausführungen des Angeklagten dem Verteidiger tatsächlich ein Präjudiz geschaffen werden könnte und weil jenem die Stellungnahme frei bleiben mufs zum Vortrage seines Rechtsbeistandes, der im Verteidigungssystem von ihm unabhängig i s t 2 5 . 22

Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 24 S. 102 f. S. auch oben S. 505. Sie dürfen es aber. Vgl. zutreffend V o i t u s , Kontrov. I S. 79 f., gegen v. S c h w a r z e zu § 146 StPO Bern. 3. 24 In Frankreich beruht diese Befragung nur auf der Praxis, nicht auf dem Gesetz. Vgl. die Entsch. bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 335 nr. 64. 25 Unzutreffend RG 3. Str.-S. R. V I I S. 191 f., wonach der Angeklagte einen Anspruch auf das letzte Wort gegenüber dem eigenen Verteidiger nicht habe. Ebenso K ö h l e r , Verteidigung, Ger.-Saal Bd. 53 S. 257. 28

§ 62. Die Parteivorträge zur Schuldfrage.

Das Urteil ist der Revision ausgesetzt, wenn das hiernach gebotene Gehör dem Angeklagten nicht gewährt worden war. V I I I . Ist der Angeklagte der Gerichtssprache nicht mächtig oder taub, so müssen ihm aus den Schlufsvorträgen mindestens die Anträge der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers verdolmetscht werden, § 258 StPO. IX. Das Gesetz sieht in den Schuldfeststellungen der Geschworenen immer ein einheitliches Ganzes, auch dann, wenn die Verhandlung mehrere Straftaten desselben Angeklagten umfafst oder mehrere Angeklagte daran beteiligt sind. Diese Anschauung, die besonders charakteristisch hervortritt im Falle der Spruchberichtigung aus sachlichem Grunde, indem hier die Geschworenen, auch wenn der Mangel nur einen Anklagepunkt berührt, die Freiheit der Schuldbeurteilung in allen Teilen zurückerhalten (§ 311 StPO) 2 6 , führt zur Einheitlichkeit auch der Fragestellung 27 und der Rechtsbelehrung. Es ist zulässig, die festgestellten Fragen nachträglich in bestimmten Beziehungen zu ergänzen oder abzuändern; es ist nicht zulässig eine Mehrheit von Fragestellungen je nach der Verhandlung eines Anklagepunktes — der Anklage gegen einen Teilnehmer, der Anklage wegen eines von realkonkurrierenden Delikten 2 8 . Es können auf Wunsch der Geschworenen Belehrungsnachträge erstattet werden, es darf nicht die Belehrung für die verschiedenen Anklagepunkte gesondert, je nach der Verhandlung über den einen oder anderen, erfolgen. Denn die verbundenen Anklagen sollen verbunden, in ihrem \ 7 erhältnisse zu einander, in der Fragestellung und der Verhandlung über diese und in der Rechtsbelehrung, wie demnächst bei der Beratung der Geschworenen, erwogen werden. Trennung der Beweisaufnahme nach den einzelnen Anklagepunkten kann angeordnet werden, § 237 StPO, aber es haben dann genieinsame Fragestellung und gemeinsame Rechtsbelehrung zu folgen. Auch für die Parteivorträge zur Schuldfrage kann der Verhandlungsleiter entsprechende Trennung bestimmen, wobei Rekurs an das Gericht frei steht, wie denn Beteiligung einer Angeklagtenmehrheit mit Verteidigermehrheit von selbst die Trennung ergibt 2 9 . Wenn eine 26

Vgl. oben S. 505 fg. Vgl. oben S. 343. 28 A. A. anscheinend preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 20 S. 26. 29 Für die Reihenfolge der Vorträge bei einer Angeklagtenmehrheit kann nur das richterliche Ermessen im Einzelfalle entscheiden. H é l i e , Prat. crim. I η. 799 (doch läfst man, wenn nicht ein Interessenkonflikt besteht, in der Regel 27

574

§ 6.

Die Rechtsbelehrung.

solche Anordnung der inneren, aus dem Wesen der Sache folgenden Gliederung des Vortragsstoffes entspricht und sonst auf Einhaltung dieser Anordnung nicht mit Sicherheit zu rechnen wäre, ist sie wohl am Platze. Es kann sich auch unter Trennung im Übrigen die zusammenfassende Behandlung einzelner Anklagepunkte, wenn ihnen die Beweiserhebung gemeinsam war, empfehlen. Jedenfalls darf aber durch die Trennung der Vortragende nicht behindert werden, angriffs- oder verteidigungsweise für einen Anklagepunkt die Beweisergebnisse betreffs anderer mit geltend zu machen, die Tatsache z. B. zu betonen, dafs der Aussage des Zeugen X , der zu den Punkten a und b vernommen war, in ersterer Hinsicht glaubwürdige Gegenzeugnisse entgegengetreten seien, weshalb auch die Aussage zu b Glauben nicht verdiene. Interessenkollision zwischen Mitangeklagten, angeblichen Mittätern z. B., bringt öfters mit sich, dafs der eine Verteidiger die Beweisdeduktion des anderen anzufechten genötigt ist. Behinderung entsprechender Darlegungen durch den Vorsitzenden wegen der verfügten Trennung würde die Revision begründen. § 63. D i e

Rechtsbelehrung1.

I. Im Schwurgericht ist die Schuldfrage Urteilern anvertraut, bei denen Einsicht und guter Wille vorausgesetzt wird, denen aber Vereinbarung der Verteidiger entscheiden). Ohne Wert die Vorschrift früherer Gesetze, dafs mit dem Hauptangeklagten der Anfang zu machen sei, so Hess.Darmst. 1848 Art. 162, Hess.-Homb. 1850 Art. 123 Abs. 2. Über die Folge der Beteiligung am Kreuzverhör in England vgl. H a r r i s , Princ. p. 403 (in order of seniority at the bar; or if the judge thinks desirable in the order of the names of the prisoners on the indictment). 1 B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze S. 186f.; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung und Rechtsübung S. 509 f., 554 f.; S c h w a r z e , „Schwurgericht" in Weiskes Rechtslex. X S. 108 f.; P l a n c k , System. Darstell. § 136; Z a c h a r i a e I § 50, I I S. 373 f.; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. S. 332 f.; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 314 f.; S c h w a r z e , Sächs. Strafprozefsges. 112 S. 64f.; G l a s e r , „Résumé" in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 455 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 183f.; G e y e r § 221; v. K r i e s S. 619f.; U l l m a n n S. 481 f.; B i r k m e y e r S. 639f.; B e n n e c k e - B e l i n g § 126; R o s e n f e l d S. 372, 373; L ö w e - H e l l w e g zu §§ 300, 306 StPO; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S 561 f . ; — v . B a r . Recht und Beweis S. 320 f., 350 f.; H e i n z e , E i n deutsch. Geschw.-Gericht S. 149 f.; S c h w a r z e , Reform des Schwurgerichts S. 70 f.; G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen 2. Aufl. S. 43f.; G n e i s t , Vier Fragen zur deutsch. StPO S. 160f.; H e i n z e , Strafproz. Erörterungen S. 89 f. ; V a r g h a , Verteidigung S. 815 f.; F r e u d e n s t e i n , Résumé u. Rechtsbelehrung (1883); M a y e r , Streiflichter auf den gegenwärt. Strafprozefs, 1886, S. 155f.; D a l c k e , Fragestellung 2. Aufl. S. 111 f.; B i n d i n g , Entwurf eines Gesetzes betr. Änderungen des GVG u.

§ 6.

Die Rechtsbelehrung.

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die S c h u l u n g fehlt in der Würdigung der Beweise und der Feststellung der Beweisergebnisse, in der Auslegung der Gesetze und der Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter das Gesetz, in der korrekten Bildung kollegialer Beschlüsse durch richtige Fragestellung und Abstimmung. Die Prozefsgesetze mufsten daher auf möglichste Ausgleichung dieser Mängel Bedacht nehmen. Als Mittel dazu dienten und dienen die Fragestellung an die Geschworenen und der Schlufsvortrag des Vorsitzenden. Allein ausreichend sind diese Behelfe in keiner Weise. Der Fehler der Institution, der Mangel berufsrichterlicher Mitwirkung am Spruch, kann durch sie wohl abgeschwächt, aber nicht beseitigt werden. Und die Belehrung durch den Vorsitzenden wird, erstreckt auf die konkrete Beweislage, leicht zu einem Heilmittel, das kaum weniger schlimm ist als die Krankheit. Mit der Fragestellung durch das Gericht ist keineswegs der Kreis der im Einzelfalle von den Geschworenen zu beantwortenden Fragen abschliefsend bestimmt, denn bei jeder einzelnen der gestellten Fragen können sich Unterfragen ergeben, über die gesondert zu votieren ist. So ζ. Β., wenn ein Privilegierungsgrund in die Frage aufgenommen ist, indem für die Abstimmung über ihn und über die Haupttat verschiedene Majoritätserfordernisse gelten. Wird ferner die auf qualifiziertes Delikt gerichtete Frage verneint, so darf nicht versäumt werden, noch über das einfache Delikt abzustimmen, da die Verneinung der ersteren Frage auch bei dessen Annahme erfolgt sein kann. Die Frage nach mildernden Umständen kann nach teilweiser Verneinung der Hauptfrage eine doppelte Abstimmung nötig machen: Kommen bei dem übrig gebliebenen Tatbestand mildernde Umstände noch in Betracht? Liegen solche vor? Besteht bei den Geschworenen ein Zweifel über die der StPO (1895) S. 17 f.; K a l a u vom H o f e , Vorsitz im Schwurgericht (1901) S. 112 f.; — Arch, des Krim.-Rechts N. F. Jahrg. 1854 S. 435, v. K r a e w e l ; Jahrg. 1855 S. 314f., D e r s e l b e ; — Ger.-Saal Jahrg. I Bd. 1 S. 17f., M i t t e r m a i e r ; das. S. 351 f., S c h l i n k ; I I I Bd. 2 S. 164 f., S c h ä f f e r ; I V Bd. 2 S. 277 f., A r n o l d ; V Bd. 1 S. 364f., v. K r a e w e l ; V Bd. 2 S. 259f, R e i c h m a n n ; Bd. 16 Beil.-Heft S. 70 f., H e i n z e ; Bd. 18 S. 197 f., H e r r m a n n ; das. S. 374 f., R u b o ; Bd. 19 S. 364 f., S c h w a r z e ; Bd. 26 S. 561 f., v. S t e m a n n ; — Goltd. Arch. Bd. 1 S. 165 f., 335 f., G o l t d a m m e r ; Bd. 3 S. 343f., v. S t e m a n n ; das. S. 467 f., v. T i p p e i s k i r c h ; Bd. 10 S. 101 f., G o l t d a m m e r ; Bd. 27 S. 157f., S c h ü t z e ; Bd. 33 S. 81 f., 34 S. 43 f., 36 S. 212 f., F a c i l i d e s ; Bd. 40 S. 1 f., B i s c h o f f ; — 13. deutsch. Jurist.-Tag I S. 29 f., W a h l b e r g ; 161 f., S t o c k e i ; I I S. 179f., T h o m s e n ; 14. Jur.-Tag I 2 S. 158f., U l l m a n n ; S. 127 f., L a m m ; I I S. 120f., G n e i s t ; I 2 S. 145 f., T e i c h m a n n .

§ 6.

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Die Rechtsbelehrung.

Auslegung des Strafgesetzes, der auch die Subsumtion unter die Schuldfrage zweifelhaft macht, so ist präjudizierende Abstimmung darüber unerläfslich usw. usw. Dafs die Geschworenen bei ihren Abstimmungen nach richtigen Grundsätzen verfahren, darf keineswegs ohne Weiteres erwartet werden. Die Erteilung einer entsprechenden Belehrung kann wohl am Platze sein. Das gleiche Bedürfnis besteht zweifellos für alle einschlägigen materiellen Rechtsfragen, den Sinn des Strafgesetzes und seiner einzelnen Tatbestandsmomente, für zivil rechtliche 2 oder öffentlichrechtliche Begriffe, die im Strafgesetze erwähnt oder doch für sein Verständnis erheblich sind, die Bedeutung einer allgemeinen strafrechtlichen Kategorie, mag sie im Gesetze definiert sein oder nicht, so des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit, der Mittäterschaft, Beihilfe, Anstiftung, des Versuchs usw. Auch eine Unterstützung der Geschworenen bei Lösung der Beweisfrage ist insofern unbedenklich und nützlich, als ihnen die Grundsätze des Beweisrechts vielfach nicht geläufig sein werden und daher deren Mitteilung und Erläuterung willkommen sein mufs. Eine Belehrung über das Wesen der historischen Gewifsheit, also den Wahrscheinlichkeitsgrad, der erreicht sein mufs, damit eine Tatsache als bewiesen gelten kann, über das Prinzip der freien Beweiswürdigung, über gesetzliche Beweiserfordernisse und ausnahmsweise aufgestellte und konkret erhebliche Beweisregeln, über die Grundsätze des Indizienbeweises u. dgl. mag vielfach angemessen sein. Wird aber auch die Anwendung dieser Regeln auf den Einzelfall den Geschworenen demonstriert, ihnen also gesagt, dafs der Beweis bestimmter Tatsachen erbracht oder nicht erbracht sei, so ist das nicht mehr U n t e r s t ü t z u n g , sondern die E r l e d i g u n g einer den Geschworenen gesetzlich zugewiesenen Aufgabe. Sollte eine solche Belehrung bindend sein, so würden die Geschworenen zu blofsen Automaten, die nachzusprechen hätten, was ihnen vorgesagt wäre. Aber auch eine nicht bindende Darlegung müfste die Unbefangenheit der Geschworenen zerstören und würde, da sie von auktoritativer Seite ausginge, immer mit der Tendenz auftreten, entscheidenden Einflufs auf das Verdikt zu üben. Und in jedem Falle drängte sich die Frage auf, weshalb nicht lieber der Lehrer statt des Schülers, dem es doch an Folgsamkeit, vielleicht auch au Verständnis für die erteilten Lehren fehlen könnte, den Spruch abgäbe? Müfste nicht ein Gericht, das so 2

Vgl. dazu B i s c h o f f in Goltd. Arch. Β. 40 S. 3.

§ 6.

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alle wesentlichen Elemente seines Urteils, in der materiellen Rechtsfrage und in der Beweisfrage, von fremder Hand empfinge, jeden Kredit verlieren? Dem Schlufsvortrag des Vorsitzenden darf daher keinesfalls die Aufgabe gestellt werden, die Kraft der vorgebrachten Beweise zu bestimmen und so die konkrete Beweisfrage zu lösen. Aber schon ein sog. unparteiisches Résumé der Verhandlungen, wie es die deutschen Prozefsordnungen öfters gefordert haben 3 , ist zu verwerfen 4. Der Präsident soll nach diesen Gesetzesvorschriften in der Weise resümieren, dafs er die wesentlichen Ergebnisse der Verhandlung in einer gedrängten Darstellung zusammenfafst und in möglichster Kürze die Beweise für und wider den Angeklagten hervorhebt, ohne jedoch seine eigene Ansicht kund zu geben. Allein es sprechen gegen eine solche Unterstützung der Geschworenen zwei entscheidende Einwendungen: das Résumé kann nicht „unparteiisch" sein und widerspricht dem Prinzip der Unmittelbarkeit des Verfahrens. Gewifs hat ein Richter, dessen Beruf ja das unparteiische Urteilen ist, auch die Befähigung, über eine Verhandlung dergestalt unparteiisch zu berichten, dafs er ihre Ergebnisse lediglich nach 3 Nach dem code d'instr. crim. art. 336 (nachgebildet dem Ges. v. 16. Sept. 1791 art. 19 Tit. V I I und dem code ν. 3. brum. I V art. 382; abgeschafft durch Ges. v. 19. Juni 1881) ist Aufgabe des Résumé: remarquer aux jurés les principales preuves pour ou contre l'accusé. Ein Verbot. die eigene Ansicht durchblicken zu lassen, ist nicht ausgesprochen (doch wurde das Gesetz — in der Theorie — so ausgelegt, H é l i e , Traité V I I I p. 844). Daran anschliefsend: Hessen-Darmstadt 1848 Art. 163, Preufs. 1852 Art. 79 (sehr bedenklich weite Fassung: „der Vorsitzende hat die gesamte Lage der Sache auseinanderzusetzen und überhaupt alle diejenigen Bemerkungen zu machen, welche ihm zur Herbeiführung eines sachgemäfsen Ausspruchs der Geschworenen als geeignet erscheinen"), ebenso Preufs. 1867 § 329. Die meisten deutschen Gesetze untersagen dem Vorsitzenden die Äufserung der eigenen Ansicht. So Kurhess. 1848 § 315 und 1863 § 158 (gedrängte Darstellung der ganzen Verhandlung und Entwickelung des Beweisergebnisses „ohne die geringste Andeutung seiner persönlichen Ansicht"), Württ. 1849 Art. 153, Thüring. 1850 Art. 285, Frankf. 1856 Art. 229, Oldenburg 1857 Art. 320, Hannov. 1859 § 193, Hess.-Darmst. 1865 Art. 359 usw. So auch Österr. § 325. 4 Für das Résumé G o l t d a m m e r im Arch. Bd. I S. 339 f.; v. T i p p e i s k i r c h das. Bd. I I I S. 467 f.; H é l i e , Traité V I I I § 658; ν. B a r , Recht und Beweis S. 354 f. Dagegen P l a n c k , System. Darst. S. 387 f.; S c h w a r z e in Weiskes Rechtslex. X S. 110; R u b o , Ger.-Saal Bd. 18 S. 374 f.; S c h ü t z e in Goltd. Arch. Bd. 27 S. 175; G e y e r S. 339, 757; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 185, 186 und die neuere Literatur.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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Die Rechtsbelehrung.

seiner pflichtmäfsigen Überzeugung und ohne jede Rücksichtnahme auf die Parteiinteressen wiedergibt. Aber um eine Unparteilichkeit in diesem Sinne, die von jedem Richter ohne Weiteres zu erwarten ist, handelt es sich gar nicht. Vielmehr soll der Vorsitzende referieren, ohne die eigene Ansicht über den Wert der Beweise, wie er als Richter sie haben würde, zum Ausdrucke zu bringen. Es wird ein in dem Sinne unparteiischer Bericht von ihm erwartet, dafs, um nicht die wahren Richter zu beeinflussen, seine eigene richterliche Überzeugung nicht hervortreten darf. Und das heifst Unmögliches von ihm fordern 5. Denn das Ausscheiden der unwesentlichen und das Betonen der wesentlichen Verhandlungstatsachen setzt eine bestimmte Relevanzansicht voraus und das Gruppieren der Beweise in Belastungs- und Entlastungsbeweise ist nicht denkbar ohne Würdigung des Inhalts und der Tragweite der Beweismomente. Der Präsident gibt in seinem Résumé stets zu erkennen, welche Beweistatsachen er für erheblich erachtet gegenüber dem Beweisthema und in welchen er direkt oder indirekt eine Bestätigung der Anklage oder ein Bedenken gegen deren Begründetheit erblickt. Fast in jedem Strafprozesse spielt eine sehr erhebliche Rolle der Indizienbeweis: die Zeugen deponieren sehr häufig nicht direkt über Tatsachen des thema probandum, sondern über indizierende und kontraindizierende Tatsachen und nicht anders ist's mit den stummen Aussagen der sachlichen Beweismittel; der Richter hat also, um die Ergebnisse der einzelnen Beweisakte zu konstatieren und die Beweise in belastende und entlastende zu sondern, nicht blofs seine Wahrnehmungen bei der Beweiserhebung wiederzugeben, sondern die mannigfachsten Schlufsfolgerungen daran anzuknüpfen. Ja schon die Bestimmung des Aussageninhalts setzt häufig eine Auslegung, eine Deutung voraus, sowohl bei der viva vox der Beweisperson als noch mehr bei der mortua vox des Beweisgegenstandes. So nimmt zweifellos der resümierende Richter an der Wertung der Beweise nach den verschiedensten Richtungen hin weitgehenden Anteil. Freilich soll er nicht über die Glaubwürdigkeit der Beweismittel sich aussprechen, nicht Beweise und Gegenbeweise gegeneinander abschätzen und noch weniger das Endergebnis der Beweisführung im Sinne des Gelungenseins oder Mifslungenseins des Schuldbeweises feststellen. Aber selbst diese Grenzen werden sich nicht immer scharf einhalten lassen. Dafs Aussagen, die dem 5

Vgl. P l a n c k S. 388; B i r k m e y e r S. 640.

§ 63. Die Rechtsbelehrung.

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Richter voll glaubwürdig erscheinen, im Résumé besonders akzentuiert werden, dafs Angaben, die er für bedenklich oder direkt unwahr erachtet, mit kritischer, warnender Einkleidung versehen werden, liegt in der Konsequenz des richterlichen Berufes, dessen Gewöhnungen völlig zu verleugnen der Richter auch beim besten Willen aufserstande ist. Am wenigsten kann eine solche Zurückhaltung vom Vorsitzenden Richter erwartet werden, dessen Aufgabe es war, auf Grund genauer Aktenkenntnis die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung so zu gestalten, dafs die Urteiler ein der materiellen Sachlage entsprechendes Tatbild empfingen 6. Und die Auffassung der einzelnen Beweise i s t nicht nur für die Gesamtauffassung der Beweislage bestimmend, sondern w i r d in Wechselwirkung durch diese mit bestimmt: die Art des Beweisreferats läfst daher öfters die richterliche Beweisüberzeugung klar genug erkennen, wie sehr auch der Vortrag sie zu verbergen sich bemühte. Mag immerhin das Résumé die Geschworenen nicht „binden", so soll es doch zweifellos sorgsam von ihnen beachtet werden. Denn welchen Zweck hätte es sonst? Die Geschworenen sind angewiesen , ihre eigenen Erinnerungen und Eindrücke mit einem Referat über die Beweiserhebung aus berufenem Munde zu vergleichen und eventuell, wenn sie bei Widerspruch beider dem Berichte mehr vertrauen, danach zu korrigieren. So wird zur Basis ihres Spruchs neben der Verhandlung selbst ein Bericht über die Verhandlung. Und da sie diesen bestimmt zu erwarten haben und auf seine Zuverlässigkeit zu bauen geneigt sein werden, so liegt's nahe, dafs sie den Verhandlungen nicht mit dem Mafse angespannter Aufmerksamkeit folgen, das sie ohne die fremde Unterstützung, nur auf sich gestellt, anwenden würden. Sie schöpfen nicht, wie es der Grundsatz der Unmittelbarkeit doch erforderte, allein aus den Verhandlungen, vielleicht überhaupt nicht mehr daraus, sondern zugleich oder ausschliefslich aus dem Verhandlungsresumé, also nicht aus erster, sondern aus zweiter Hand. Mündlicher Prozefs und Schwurgerichtsprozefs mit Résumé sind, wie oft sie auch neben einander gefordert und in den Gesetzen eingeführt wurden, in Wahrheit völlig unvereinbar. Das Referentenwesen des schriftlichen Prozesses ist mit Einführung des Résumé in veränderter Gestalt in das scheinbar mündliche Schwurgerichtsverfahren aufgenommen worden. 6 Vgl. dazu auch S c h w a r z e , Schwurgericht S. 78; H e i n z e , Ein deutsch. Geschworenengericht S. 156. 37 *

§ 6.

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Die Rechtsbelehrung.

An dieser Mifsbildung hat die übliche Nachahmung und Anpreisung englischer Einrichtungen ohne Zweifel wesentlichen Anteil gehabt. Dabei ist nicht beachtet worden, dafs die Stellung der englischen Geschworenen zum Richter ein Analogon nicht bieten kann, weil diese anders als ihre deutschen Kollegen an ein formelles Beweisrecht, an ein System von Beweisregeln gebunden sind, über die ihnen im Einzelfall vom Richter rechtliche Belehrung zu erteilen ist 7 . Daher wird in England, obwohl die Anwendung der vorgetragenen Regeln den Geschworenen zu überlassen i s t 8 , doch wesentlich durch den Schlufsvortrag die Lösung der Beweisfrage gegeben. Wenn aber zudem das dominierende Ansehen des englischen Richters häufig in der schliefslichen hypothetischen oder kategorischen Anweisung an die Geschworenen, ein bestimmtes Verdikt zu fällen, sich äufsert 9 , so mufs solche Justiz auf Kommando deutschem Empfinden ganz unerträglich erscheinen. Die deutsche Prozefsordnung verdient vollsten Beifall, dafs sie clie unglückliche Idee eines unparteiischen Résumé aufgegeben und im § 300 den Präsidialschlufsvortrag als reine Rechtsbelehrung konstruiert hat 1 0 . Der Vorsitzende soll, ohne in eine Würdigung 7

Vgl. M i t t e r m a i e r , Engl., schott. usw. Strafverfahren S. 431 f. und besonders die Darstellung G l a s e r s , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel im engl. Schwurgerichtsverfahren S. 331 f. 8 „Evidence to be left to the jury". Dazu v. B a r , Recht und Beweis S. 320 f. 9 Vgl. die Beispiele bei G l a s e r a. a. 0. S. 345, 347 f. Besonders bezeichnend S. 354 (Belehrung in einem Mordprozefs): „Wenn ich Ihnen eine andere Anweisung gäbe oder Sie einen anderen Ausspruch fällten" (als „Mord"), „so würde ich oder würden Sie eine schwere Pflichtverletzung begehen". Lehrreich auch G l a s e r , Ger.-Saal Bd. 16 S. 370 f. 10 Nach dem Vorgänge von Bayern 1848 Art. 171, Braunschw. (nach Ges. v. 4. Mai 1858) § 138 (Vortrag nicht obligatorisch, nach Ermessen des Präsidenten oder auf Antrag der Geschworenen zu erstatten), Sachsen 1868 § 69. Rechtsbelehrung neben Résumé sahen vor Preufs. Ges. v. 3. Mai 1852 Art. 79 („nötigenfalls"), ebenso Preufs. 1867 § 329, Thüring. 1850 Art. 285 (Hinweis auf ges. Vorschriften, die bei Beurteilung der „Tatfrage" „etwa" (sie!) in Betracht kommen), Frankfurt 1856 Art. 229, Oldenb. 1857 Art. 320, Hannover 1859 § 193 („soweit erforderlich"), Baden 1864 § 276, Hessen 1865 Art. 359, Hamburg 1869 § 212, Bremen 1870 § 495. Ebenso Österr. § 325. Der französische Prozefs hat die Rechtsbelehrung nicht aufgenommen infolge der irrigen Anschauung, dafs die Jury nur mit „Tatfragen" befafst sei. Immerhin sind bestimmte Unterweisungen der Geschworenen vorgeschrieben, die zweifellos die Funktion einer Teilrechtsbelehrung erfüllen. Der Präsident hat nach Schlufs der Debatten die Geschworenen hinzuweisen auf ihr Recht, mildernde Umstände anzunehmen, auf ihre Pflicht zu geheimer Abstimmung,

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der Beweise einzugehen11, die Geschworenen über die rechtlichen Gesichtspunkte belehren, welche sie bei Lösung der ihnen gestellten Aufgabe in Betracht zu ziehen haben. Leider wird nicht selten das ganz klare Gesetz durch fehlerhafte willkürliche Praxis beeinträchtigt, ja illusorisch gemacht. Den Vorwand dafür liefert hat das Majoritätserfordernis klarzustellen, art. 341, die Funktionen der Ge^ schworenen auseinanderzusetzen, art. 336. Zur Belehrung der Geschworenen dient ferner die Instruktion über die freie Beweiswürdigung, über die Pflicht, den Spruch ohne Rücksicht auf die strafgesetzlichen Folgen zu fällen, die ihnen vom Obmann im Beratungszimmer vorzulesen ist und dort angeschlagen sein soll, art. 342. Auch das Gesetz vom 13. Mai 1836 über die geheime Abstimmung mufs dort angeheftet sein. Die Praxis ergänzt diese Belehrungsquellen noch sehr wesentlich und in unkontrollierbarer Weise, indem sie dem Präsidenten erlaubt, sich auf Wunsch der Geschworenen in das Beratungszimmer zu begeben, um ihnen Aufschlüsse zu erteilen. Vgl. unten S. 591 Anm. 3. Ja, auch Darlegungen einzelner Gesetzesbestimmungen durch den Präsidenten in der Verhandlung nach Verlesung der Fragen sind von der Praxis zugelassen worden, Kass.-Hof v. 24. Febr. 1882 bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 336 η. 4. Aufserdem wird aus dem pouvoir discrétionnaire (art. 270) gefolgert, dafs der Präsident jedem Rechtsirrtum des Verteidigers (nicht auch des Staatsanwalts!), der auf das Verdikt einwirken könne, entgegenzutreten befugt sei, S i r e y et M a l e p e y r e art 270 Bern. 11. Über und gegen den Versuch des Novellenentwurfs von 1895, das Resume wieder einzuführen, B i n d i n g , Der Entwurf eines Ges. betr. Änderungen der StPO S. 17, 18. H e i n z e , Geschworenengericht S. 149 f., verwirft Resume und Rechtsbelehrung zugunsten richterlicher Beteiligung an den Beratungen der Geschworenen. Allein die beigebrachten Gründe rechtfertigen nur den Wegfall des Résumé. Richterliche Beratung ohne Mitentscheidung ist eine innere Unwahrheit. Beschränkt auf das jus in thesi wäre sie eben nur Rechtsbelehrung im Beratungszimmer. Erstreckt sie sich auf die Beweis- und Subsumtionsfrage, so gewinnt sie materiell den Charakter der Entscheidung, weist aber den Geschworenen die Verantwortlichkeit zu. So geraten beide Teile in schiefe Stellung. Der Richter hat sein Votum nicht durch Mitentscheid zu vertreten. Den Geschworenen fehlt, wenn sie den auktoritativen Ratschlag akzeptieren, das Bewufstsein der vollen Verantwortlichkeit. Lassen sie aber den Ratschlag unbefolgt, so ist der vom Mitentscheid ausgeschlossene Richter in eine des Richteramtes unwürdige Situation gebracht. W i r d den Geschworenen ein richterlicher „Berater" beigegeben, so mufs er auch Stimmrecht haben, mit anderen Worten selbst Geschworener, „Richter-Geschworener" sein. I n diesem Sinne O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65 S. 331 f., Bd. 68 S. 96 f. Die Zuziehung des „Richter-Geschworenen" ist dann keineswegs Grund, die Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden aufzugeben, vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 106. 11 Im Entwurf § 257 fehlte die Negative und auch durch die Mot. S. 178, 179 war die Konstatierung tatsächlicher Ergebnisse nicht bestimmt ausgeschlossen. Die Aufnahme des Passus beruhte auf den Anträgen R e i c h e n s ρ e r g e r und E y s o l d t , H e r z , K l o t z , Prot. d. J.-Komm. S. 465 f.

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der in § 300 weiter folgende Passus: die Belehrung des Vorsitzenden darf von keiner Seite einer Erörterung unterzogen werden. Aber die Unanfechtbarkeit eines Prozefsaktes ist doch gerade die dringendste Aufforderung zu streng gesetzmäfsigem Vorgehen und gewifs nicht ein Freibrief für Gesetzesverletzungen. Trotzdem werden zuweilen die Schlufsvorträge in einer Weise gehalten, als ob das Verbot, in die Würdigung der Beweise einzugehen, gar nicht existierte 12 . Und die Literatur verfällt in den Fehler, der Unanfechtbarkeit des Schlufsvortrags eine viel zu weite Ausdehnung zu geben. I I . Subjekt der Belehrung ist der Vorsitzende 18. Er übt dabei eigene Befugnis aus, fungiert nicht als Organ des Kollegiums. Der Inhalt der Belehrung steht in seinem pflichtmäfsigen Ermessen. Ein Kollegialbeschlufs würde ihn nicht binden und ist daher von ihm weder einzuholen, noch überhaupt zuzulassen. Antrag eines Prozefsbeteiligten auf solche Beschlufsfassung wäre vom Vorsitzenden, nicht vom Kollegium als unzulässig 12 Vgl. H a m m , 22. Jur.-Tag I V S. 457: „Ich kenne wenige Schwurgerichtsvorsitzende, die nicht merken lassen, wohin sie wollen, dafs die Geschworenen kommen." Für Österr., das im § 325 das Resume beibehalten hat mit dem Verbote, die eigene Ansicht kundzugeben, wird konstatiert, dafs nicht selten die Vorsitzenden sich im Interesse der öffentlichen Ordnung verpflichtet halten, „im Résumé ihr eigenes Urteil nicht zurückzuhalten und es als eine persönliche Ehrensache ansehen, im Wahrspruche der Geschworenen die Bestätigung für ihre Vorentscheidung zu erlangen," vgl. v. C r a m e r zu § 325. Ein Gegenstück — freilich lange nicht so bedenklich — war die Praxis der rheinischen Assisenpräsidenten, im Résumé entgegen art. 336 code eine Rechtsbelehrung zu geben, vgl. R e i c h e n s p e r g e r , Prot, der R.-Just.-Komm. S. 466. 18 Lehren ist etwas Individuelles. E i n Kollegium kann wohl Rechtsfragen entscheiden, aber ein bestimmtes Auditorium erfolgreich juristisch zu unterweisen, vermag nur ein einzelner. B ä h r ' s Antrag, Prot, der Just.-Komm. S. 464, wonach die Belehrung vom Gericht festgestellt und vom Vorsitzenden verlesen werden sollte, wurde mit vollem Rechte verworfen. H e r r m a n n , Ger.-Saal Bd. 18 S. 207 f., will den Geschworenen ein Fragerecht an den Gerichtshof beigelegt wissen, mittels dessen sie nach Mafsgabe des hei ihrer Beratung sich ergebenden Bedürfnisses den Gerichtshof zu einem Ausspruche über die ihnen zum Abschlüsse des Verdikts erforderlichen Rechtssätze veranlassen können. Allein eine solche rein abstrakte Rechtsdarlegung würde für den konkreten Belehrungszweck ungeeignet sein. Und der Erfolg der vorgängigen, auch von H e r r m a n n postulierten Rechtsbelehrung des Vorsitzenden wäre ganz in Frage gestellt, wenn die Geschworenen nachträglich auf solche kollegiale Rechtsfeststellungen provozieren könnten.

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Die Rechtsbelehrung.

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abzulehnen. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Weigerung, einen Gerichtsbeschlufs herbeizuführen, selbst als Dekret erschiene, jedenfalls wäre sie nur ein solches des Vorsitzenden. Während dieser die Fragen nur zu entwerfen hat vorbehaltlich eines Gerichtsbeschlusses, ist die Belehrung ausschliefslich seine Sache. Es liegt auch in der Belehrung nicht eine „auf die Sachleitung bezügliche Anordnung4*', die gemäfs § 237 StPO als unzulässig beanstandet werden könnte. Zudem ergibt sich die Unanwendbarkeit des § 237 aufs Klarste aus dem Verbote, die erfolgte Belehrung irgendwelcher Erörterung zu unterziehen. Und welchen Eindruck müfste es machen, wenn sukzessive zwei Belehrungen, erst entsprechend der Rechtsansicht des Vorsitzenden, dann gemäfs der Majoritätsauffassung, vorgetragen würden 14 . Da die zweite Belehrung so wenig formell bindend wäre als die erste, so könnten die Geschworenen dennoch der reprobierten Darlegung des Vorsitzenden folgen. Kollegialbeschlufs kann nicht im voraus zur inhaltlichen Fixierung, geschweige denn nachträglich zur Entkräftuug der bereits erfolgten Belehrung erwirkt werden. Eine andere Frage ist, ob der Vortrag lediglich die Ansicht des Vorsitzenden ohne Rücksicht auf abweichende Meinungen der beisitzenden Richter zum Ausdruck zu bringen hat. Das ist gewifs nicht die Absicht des Gesetzes, da doch das Kollegium gebunden ist an das Verdikt, das dann vielleicht auf einer den Beisitzern unrichtig erscheinenden Rechtsbelehrung beruhen könnte. Der Vorsitzende wird vielmehr bei zweifelhafter Rechtslage loyalerweise immer die Meinungen seiner Kollegen festzustellen haben in einer zwanglosen Aussprache, die vielleicht zur Einigung führt, andernfalls eine Kontroverse unter den Richtern ergibt, deren Bestand auf den Inhalt der Belehrung nicht ohne Einflufs bleiben darf. Von einer Abstimmung aber über Rechtsfragen, an deren Ergebnis der Vorsitzende gebunden wäre, ist niemals die Rede. Daher darf auch nicht von der Rechtsbelehrung gefordert werden, sie solle die Ansicht des Gerichts, nicht des Vorsitzenden, wiedergeben 1 5 . Eine Ignorierung abweichender Ansichten der Beisitzer wäre 14

Der Antrag R e i c l i e n s p e r g e r , Prot. S. 465, bei Einwendung einer Partei gegen die Rechtsbelehrung gerichtliche Entscheidung zuzulassen, teilte das Schicksal des Βährsehen. Wie R e i c h e n s p e r g e r W a h l b e r g , 13. Jur.Tag I S. 33, 34. 16 Insofern nicht zutreffend L ö w e - H e l l w e g zu § 300 Bern. 4 b ; ähnlich F a c i l i d e s in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 88. Vgl. dagegen auch D a l c k e zu § 300 Bern. 4.

§ 6.

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Die Rechtsbelehrung.

um so verkehrter, als die Fragstellung, an deren Hand die Belehrung erteilt wird, ein Akt des Gerichts ist und vielfach auf Gerichtsbeschlufs beruht 16 . Das Kollegium hat z. B. von Amtswegen eine Hilfsfrage beschlossen; welchen Eindruck müfste es machen, wenn der — überstimmte — Vorsitzende die Subsumtionsauffassung, die in der Hilfsfrage zum Ausdruck gekommen ist, als schlechthin verfehlt bezeichnen würde? Es mufs in diesem und in allen anderen Zweifelsfällen der Vortrag die mehreren Rechtsansichten loyal wiedergeben, wobei es dem Vortragenden unbenommen ist, seinerseits der einen oder andern Meinung sich anzuschliefsen 17. Dafs die Differenz gerade im Schofse des Kollegiums besteht, bleibt, auch wenn die Sachlage darauf hinweist, besser unausgesprochen 18. Es genügt, dafs den Geschworenen die streitenden Ansichten selbst bekannt werden. I I I . Die Rechtsbelehrung will den Geschworenen erleichtern die rechtlich zutreffende Beantwortung der Fragen auf Grund der Beweisergebnisse und nach Anhörung der Parteivorträge. Sie findet daher ihren Platz zwischen den Plädoyers zur Schuldfrage und dem Verdikt. 1. Von der Rechtsbelehrung im technischen Sinne ist wohl zu unterscheiden die Bedeutung der Geschworenen, dafs und inwiefern ihr Spruch mangelhaft sei und der Korrektur bedürfe. Die Konstatierung eines bereits gemachten Fehlers ist an sich der gerade Gegensatz zu einer Belehrung, die Fehlern vorbeugen will. Aber es kann sich und wird sich häufig mit dem Verlangen der Berichtigung des Spruchs eine ergänzende Belehrung zur Verhütungabermaliger Fehler verbinden, wobei zweckmäfsig auch auf die Norm des § 311, die den Geschworenen bei sachlichen Spruchmängeln die Freiheit der Entscheidung in vollem Mafse zurückgibt, hingewiesen wird 1 9 . Zwischen dem einen und anderen Akte mufs scharf gesondert werden 20 . Die Berichtigungsanordnung geht vom Gericht aus, die Belehrung vom Vorsitzenden. Die erstere 16

Darauf weisen auch L ö w e - H e l l w e g Bern. 4b hin. Eine Verpflichtung zu solcher Parteinahme besteht nicht. Vgl. Bericht der Just.-Komm. S. 79. A . A. H. M e y e r I I S. 187; G l a s e r in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 459; P u c h e l t zu § 300 Bern. 2; K e l l e r das. Bern. 4; D a l c k e , Fragestellung S. 114. 18 So auch L ö w e - H e l l w e g Bern. 4b. 19 RG 3. Str.-S. R. I V S. 403. 20 Nicht korrekt v. K r i e s S. 620. 17

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ist anfechtbar, die letztere nicht. Nur die erstere darf und mufs zugleich protokolliert werden. 2. Eine a n t i z i p i e r t e R e c h t s b e l e h r u n g , schon während der Beweiserhebung oder im Anschlufs an die Fragstellung, oder gar in Unterbrechung der Parteivorträge, hätte, auch wenn sie scheinbar erschöpfend wäre, nie die Gewähr der Vollständigkeit, da im erstem Fall die fernem Beweisakte und jedenfalls die Ausführungen der Parteien dabei nicht oder doch nicht voll berücksichtigt werden könnten. Auch würde sie in den Augen der Geschworenen, die nach dem Gesetz eine weitere und mafsgebende Belehrung zu erwarten hätten, nur provisorische Bedeutung haben und daher vielleicht nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit gehört und mit der nötigen Gründlichkeit erwogen werden. Ganz besonders wäre die Erreichung des Zwecks der Belehrung dann in Frage gestellt, wenn sie bruchstückweise erfolgte und den Geschworenen selbst überlassen bliebe, aus den Teilen ein Ganzes zu bilden. Es mufs daher antizipierte Belehrung als ungenügend erachtet 21 und, wenn nicht noch demnächst an der richtigen Stelle die Nachholung des vorgeschriebenen Belehrungsaktes erfolgt ist, die Rechtslage so angesehen werden, als sei die Belehrung versäumt worden. Dagegen führt die Unanfechtbarkeit der Rechtsbelehrung zu dem Folgesatz, dafs Auslassungen im Hinblick auf früher schon gemachte belehrende Bemerkungen den Rechtsbestand der Prozefshandlung nicht aufheben. Den Geschworenen steht es frei, um Ergänzung zu bitten. Empfehlenswert sind aber solche ausdrückliche oder stillschweigende Bezugnahmen auf schon gegebene Teilbelehrungen niemals. Die Rechtsbelehrung soll ein zusammenhängendes Ganzes sein. Erläuterung der Fragen gleich bei deren Verlesung will die Prüfung durch die Prozefsbeteiligten erleichtern, fehlgehenden Änderungsanträgen vorbeugen usw. Die F u n k t i o n der Belehrung aber ist dabei unverkennbar. Und ähnlich können auch die Begründungen wirken, unter denen Änderungsanträge abgelehnt werden. Der prozessuale Begriff der Rechtsbelehrung jedoch wird Zutreffend österr. Kass.-Hof v. 20. Aug. 1875 E. Bd. 1 S. 365 f. 31 Vgl. RG 3. Str.-S. R. I V S. 151 f.; 4. Str.-S. E. Bd. 22 S. 18f.; D a l c k e , Fragestellung S. 111: ein blofser Hinweis anf antizipierte Belehrung ist ungenügend. A. A. F a ci I i de s in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 91 f., Bd. 34 S. 43 f., Bd. 36 S. 212 f.

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durch diese Äufserungen nicht erfüllt. Der Vorsitzende darf sie daher auch nicht als solche behandeln und nicht um ihretwillen den Prozefsakt der Rechtsbelehrung unterlassen. Es empfiehlt sich auch durchaus, in dem Schlufsvortrag jene früheren Bemerkungen inhaltlich zu reproduzieren. Ähnlich stände es, wenn gleich nach Verlesung des Eröffnuogsbeschlusses vor Eintritt in die Beweisaufnahme das Strafgesetz eine kurze Erläuterung erführe, um die Aufmerksamkeit der Geschworenen in der Verhandlung auf die hauptsächlich wichtigen Punkte (z. B. auf die Frage der Überlegung bei Ausführung des Tötungsvorsatzes) zu lenken 22 . Dagegen würde durch eine Reihe von Teilbelehrungen zu den einzelnen Anklagepunkten bei entsprechender Trennung der Beweisaufnahme der Begriff der Rechtsbelehrung als eines Gesamtaktes nicht erfüllt 2 8 , und es würde, wenn nicht eine Belehrung in diesem Sinne noch nachgefolgt wäre, das Urteil in Ermangelung der gesetzentsprechenden Belehrung der Revision unterliegen. 3. Durchaus zulässig dagegen sind B e l e h r u n g s n a c h t r ä g e . Sie dürfen sogar den Geschworenen, wenn diese bei ihrer Beratung das Bedürfnis weiterer Belehrung empfinden, nicht verweigert werden. So bestimmt ausdrücklich § 306. Ja, es stände auch nichts im Wege, wäre vielmehr Pflicht des Vorsitzenden, wenn er nachträglich auf einen Mangel der Belehrung, eine Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, Unrichtigkeit derselben, entweder selbst aufmerksam würde oder von den Mitrichtern darauf hingewiesen würde, die Geschworenen noch aus dem Beratungszimmer zurückzurufen und seinen Vortrag entsprechend zu berichtigen. In dem einen wie dem anderen Fall stellt die nachträgliche sachliche Belehrung für die Geschworenen dergestalt res intégra her, dafs sie an die bereits von ihnen gefafsten Beschlüsse nicht mehr gebunden sind und jeder einzelne Geschworene erneute Abstimmung fordern kann, einerlei, ob der Nachtrag eine Beziehung zu den schon erledigten 22 Vgl. dazu K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurger. u. Schöffenger. I S. 21; O e t k e r , Gerichtssaal Bd. 68 S. 106. A n der Zulässigkeit einer solchen Erläuterung ist schon nach geltendem Recht nicht zu zweifeln. Sie ist gedeckt durch die Prozefsleitungsgewalt des Vorsitzenden. Auf die Frage, inwieweit der Vorsitzende den Eröffnungsbeschlufs t a t s ä c h l i c h substantiieren darf zur Orientierung der Urteiler über die bevorstehende Beweisführung (sog. Exposition), braucht hier nicht eingegangen zu werden; vgl. G l a s e r I I S. 460 Anm. 11; L ö w e - H e l l w e g zu § 242 Bern. 5 b. 23 Vgl. auch oben S. 573.

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Fragen hat oder nicht; bei dem unberechenbaren Zusammenhang der einzelnen Schuldfeststellungen in der Seele des Geschworenen kann nicht anders entschieden werden. Derselbe Grundgedanke ist im § 311 zum Ausdruck gekommen: Ist e i n e Antwort der Geschworenen mangelhaft, so verlieren a l l e bei der erneuten Beratung ihre bindende Kraft. Nur in dem sehr unwahrscheinlichen Falle, dafs der Nachtrag sich lediglich auf die Form des Spruchs bezöge, würden die schon gefafsten Beschlüsse für die einzelnen voll wirksam bleiben (und nur durch gegenteiligen Beschlufs der Geschworenen — weil noch nicht kundgegeben — noch geändert werden können); auch hier liefert das Berichtigungsverfahren eine Analogie, indem nach § 310 formelle Mängel des Spruchs nicht sachliche Änderungen zur Folge haben dürfen. Zu einem Belehrungsnachtrag gibt die Berichtigungsanordnung häufig Anlafs. 4. Der Vorsitzende wird, wenn er auch noch so sehr bemüht ist, alle Rechtsfragen, materieller wie prozessualer A r t , die etwa bei der Beratung der Geschworenen sich ergeben könnten, zu berücksichtigen und dem Laienverständnis klarzulegen, diesen Zweck öfters nur unvollkommen erreichen. Denn es ist dem Juristen auch bei der gröfsten Lebenserfahrung nicht möglich, sich vollständig in die Gedankenwelt des Laien zu versetzen, die Laienauffassung von rechtserheblichen Tatsachen und von Gesetzen zu erraten und, soweit nötig, hypothetisch zu widerlegen, alle etwaigen Zweifel und Irrtümer von Laien über Rechtssätze und Rechtsbegriffe vorauszusehen. Und für das volle Verständnis des Rechtsvortrags fehlt auch beim intelligenten Laien nicht selten die Gewähr. Eine in Wahrheit p o p u l ä r e wissenschaftliche Darstellung kann nicht bei einem beliebigen Punkte beginnen, sondern mufs erst die Fundamente legen und dann methodisch vom Einfacheren zum Schwereren fortschreiten. Der Schwurgerichtsvorsitzende aber hat die heikle, in schwierigen Fällen immer nur annähernd lösbare Aufgabe, ein einzelnes Stück Jurisprudenz, wie es gerade der konkrete Prozefszweck erfordert, z. B. den Begriff der Urkundenfälschung, ohne die grundlegenden Entwickelungen oder doch unter Betonung nur solcher allgemeinen Gesichtspunkte, auf die es ihm in concreto besonders anzukommen scheint, Laien fafslich vorzutragen. Und Laien, deren Fassungskraft er nicht kennt! Bei den Hörern vorauszusetzen, dafs sie nach einer solchen wissenschaftlich betrachtet notwendig unmethodischen Belehrung nun in jedem Falle die Befähigung hätten zu rechtlich zutreffender

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Lösung der konkreten Urteilsaufgabe, liefe gewifs auf eine Fiktion hinaus. Eine freie Aussprache zwischen beiden Teilen, die gewifs eine Verständigung wesentlich erleichtern würde, ist bei der Anlage des Verfahrens, bei dem Ausschlufs des Belehrenden vom Mitentscheid, nicht tunlich. Es mufste daher den Geschworenen wenigstens das Recht gegeben werden, weitere Belehrung vom Vorsitzenden zu erbitten, sei's alsbald nach Beendigung des Schlufsvortrags, sei's nachdem sie bereits mit der Beratung des Spruchs begonnen haben. Es sind ihnen Zweifel geblieben über den Sinn des Gesetzes, oder sie halten einen rechtlichen Gesichtspunkt, z. B. Unzurechnungsfähigkeit des Täters, für erheblich, auf den der Vorsitzende nicht eingegangen ist. Ihrem Begehren ist zu willfahren, Ablehnung ist namentlich nicht deshalb möglich, weil die tatsächlichen Voraussetzungen zur Anwendung eines bestimmten Rechtsbegriffes, der Notwehr usw., nicht gegeben seien. Natürlich ist aber der Vorsitzende nicht verpflichtet, seinen Vortrag materiell zu ändern, z. B. bei einer von ihm als kontrovers bezeichneten Rechtsfrage sich nun für die eine oder andere Ansicht bestimmt zu entscheiden. Eine nach dem Inhalte der Bitte präsumtiv vorhandene falsche Rechtsannahme ist zu berichtigen. Der Nachtrag hat sich genau in den gesetzlichen Grenzen der Rechtsbelehrung zu halten, eine Aufklärung darüber hinaus, z. B. über Beweisergebnisse, dürfen die Geschworenen nicht erbitten 24 . Mit indiskreten Mitteilungen über Beratungs- und Abstimmungsvorgänge (§ 200 GVG) würden die Geschworenen nicht zu hören sein; sie dürfen die Fragen, über die sie Belehrung wünschen, nur abstrakt stellen ohne Erwähnung der konkreten Anlässe. Das Recht auf Belehrung ist Individualrecht jedes einzelnen Geschworenen25. Sie alle sollen durch den Vorsitzenden informiert 24 Wohl können die Geschworenen Beweisergänzungen anregen. Die Bitte um Beweisfeststellung durch den Vorsitzenden gibt vielleicht dem Gericht dazu Anlafs. Vgl. hierzu RG 2. Str.-S. E. Bd. 17 S. 231 f. (der Vorsitzende hatte auf Anfrage der Geschworenen hin in Abwesenheit des Angeklagten eine Beweisfeststellung gegeben; RG erblickte darin mit Recht nicht eine Nachtragsbelehrung, sondern eine unzulässige Beweishandlung und vernichtete das Urteil unter Bezugnahme auf § 377 N. 5 StPO); 3. Str.-S. E. Bd. 35 S. 389 f. 26 Auffälligerweise bestritten. Der Wunsch der Geschworenenmehrheit entscheide. So H . M e y e r I I S. 200; V o i t u s zu § 306 Bern. 1; v. B o m h a r d K o l l e r das. Bern. 2; D a l c k e das. Bern. 4; P u c h e l t das. Bern. 2; F r e u d e n s t e i n in Goltd. Arch. Bd. 33 S. 369.

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werden, nicht haben sie sich die Belehrung gegenseitig zu erteilen. Es kann daher trotz der auf den Normalfall zugeschnittenen Gesetzesfassung („Glauben die Geschworenen" usw.) nicht blofs die Gesamtheit oder Mehrheit, sondern jeder einzelne Geschworene weitere Belehrung erbitten, womit dann freilich die Möglichkeit gegeben ist, dafs der besonders Belehrungsbedürftige oder schwer Belehrbare die Verhandlungen aufhält. Aber viel schlimmer wäre der Zwang, urteilen zu müssen trotz ungelöster Zweifel über das anzuwendende Recht. Nicht ganz selten wird freilich die Bitte um weitere Belehrung unterbleiben, obwohl sie objektiv am Platze gewesen wäre. Die Geschworenen glauben nur den Vortrag verstanden zu haben; sie erkennen nicht das Bedenkliche einer von ihnen angenommenen Rechtsansicht. Nach alledem ist die Rechtsbelehrung nicht imstande, der Rechtsunkenntnis der Geschworenen in jedem Falle genügend abzuhelfen. Nur in der Anteilnahme eines Richters am Spruch liegt eine befriedigende Korrektur. Verkehrt aber wäre es, die Rechts belehrung ihrer zuweilen unvermeidlichen Mängel halber überhaupt abzuschaffen 25a. Ist auch ihre Leistungsfähigkeit eine beschränkte, so liefert sie immerhin wesentliche Beiträge zum sachgemäfsen Verdikt. Die Hinzuziehung eines Richter - Geschworenen wird ihren Erfolg sichern und ihre Lücken auszufüllen imstande sein. 5. Mufs nach Erstattung des Schlufsvortrags die Beweisaufnahme zur Schuldfrage erneuert werden, infolge jetzt noch gestellten beachtlichen Parteiantrags 26 oder von Amtswegen, weil Bitte der Geschworenen um weitere Belehrung, eingeleitetes Berichtigungsverfahren usw. das Bedürfnis dazu ergab, so erneuert sich mit den Parteivorträgen auch die Rechtsbelehrung 27. Während ein B e l e h r u n g s n a c h t r a g auf derselben tatRichtig L ö w e - H e l l w e g zu § 306 Bern. 1; K e l l e r das. Bern. 2. S t e n g l e i n zu § 306 Bern. 2 meint, das Geschworenenkollegium könne wohl des einzelnen halber die Bitte stellen, nicht aber könne es direkt der einzelne. A l l e r d i n g s hat der einzelne dieses Recht und der Vorsitzende mufs auf solche Bitte hin die Geschworenen zu weiterer Belehrung zurückrufen. In E. I S. 207 (1. Str.-S.) ist keineswegs das Gegenteil gesagt. 2Ba In diesem Sinne F u l d a , Zeitfragen des christl. Volkslebens Β. VIIIH.-5 S. 30 Anm. 1; M a m r o t h , Die Gefahren der neuen Novelle zu GVG u. StPO 1894 S. 13. Gegen sie auch Ο eh 1er, Schwurgerichte u. Schöffengerichte 1896 S. 79. 26 RG 3. Str.-S. E. Bd. 27 S. 188 f. 27 RG 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 44 S. 53; 2. Str.-S. E. Bd. 29 S. 263 f. 4. Str.-S. bei Goltd. Bd. 46 S. 212.

§ 6.

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sächlichen Grundlage erfolgt wie die Hauptbelehrung, diese nur ergänzt, ist e r n e u t e B e r a t u n g an der Hand der frühem und der spätem Beweisergebnisse prinzipiell ein neues, den Inhalt der alten Belehrung, soweit noch erheblich, in sich aufnehmendes Ganzes. Doch wird Wiederholung früherer, auch nach der jetzigen Sachlage mafsgebender Ausführungen meist entbehrlich sein, es müfsten denn mit dem Tatbilde die rechtlichen Gesichtspunkte sich dergestalt verschoben haben, dafs nur eine zusammenhängende, Altes und Neues verbindende Darstellung auf volles Verständnis zu rechnen hätte. Andernfalls genügt ausdrückliche oder stillschweigende Bezugnahme auf den früheren Vortrag. Ja es ist denkbar, dafs die erneute Belehrung überhaupt nur in einem Hinweise darauf besteht : wenn nämlich die ergänzende Beweisaufnahme, die beispielsweise nur in der wiederholten Verlesung eines Schriftstückes bestanden hat, Anlafs zu irgendwelchen rechtlichen Ausführungen nicht bietet und auch die weitern Parteivorträge dazu nicht auffordern 28 . Änderung der Fragen nach der Rechtsbelehrung, vor dem Spruch oder im Berichtigungsverfahren, führt ebenfalls zu Erneuerung der Parteivorträge und der Rechtsbelehrung, auch wenn weitere Beweisakte nicht stattgefunden haben. Durch die Änderung ist, mag sie auch nur eine Frage betroffen haben, nach Rechtsansicht stets der gesamte Fragenkomplex, das Thema der Geschworenenaufgabe im ganzen, beeinflufst 29. Natürlich sind Bezugnahmen auf die frühern Ausführungen zulässig. Da nach Wiederaufnahme der Beweiserhebung und nach Fragenänderung die Parteien erneut zur Schuldfrage zu hören sind, so kommen sie in die Lage, die frühere Rechtsbelehrung, auch ohne formell in eine Erörterung derselben einzugehen, materiell anzufechten 80. Schon deshalb mufs auch die Rechtsbelehrung grundsätzlich im ganzen sich erneuern 81 . Sie wäre sonst nicht mehr „Schlufs"-Vortrag und könnte ihre vom Gesetz gewollte Bedeutung nicht behalten. Dagegen liegen zwischen der Hauptbelehrung und einem Belehrungsnachtrag neue Parteivorträge nicht inmitten. Daher bedarf's nicht einer Erneuerung der gesamten Belehrung, es genügt angemessene Ergänzung. 28 29 30 31

RG E. Bd. 29 S. 264; Goltd. Bd. 46 S. 212. Vgl. oben S. 573. Vgl. auch RG 2. Str.-S. E. Bd. 29 S. 264. Unrichtig D a l c k e , Fragestellung S. 113.

§ 64. Die Rechtsbelehrung.

Fortsetzung.

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Nach alledem erhellt das Bedürfnis, den Unterschied zwischen e r n e u t e r R e c h t s b e l e h r u n g und blofsem B e l e h r u n g s n a c h t r a g e scharf festzuhalten 82. § 64. F o r t s e t z u n g . IV. Die Rechtsbelehrung in allen ihren Formen ist Bestandteil der Hauptverhandlung. Sie erfolgt in ununterbrochener Gegenwart aller zur Urteilsfindung berufenen Personen, der Staatsanwaltschaft, des Gerichtsschreibers, des Verteidigers, §§ 225, 145, 377 N. 5 StPO 1 . Auch der Angeklagte ist zugegen, abgesehen von solchen Belehrungsnachträgen, die den Geschworenen erteilt werden, nachdem sich diese schon in das Beratungszimmer zurückgezogen hatten (§ 301 ) 2 . Das Gesetz erwähnt nur Nachträge auf Wunsch der Geschworenen, aber auch wenn der Vorsitzende von sich aus die Geschworenen zu weiterer Belehrung zurückruft, bedarf s nicht der Anwesenheit des Angeklagten. Der aus dem Sitzungszimmer entfernte Angeklagte wird dahin zurückgerufen nur, wenn sich Anlafs zur Änderung oder Ergänzung der Fragen ergibt, § 306 Abs. 2. Einer jetzt noch erforderlichen ergänzenden Belehrung hat er beizuwohnen, wenn sie im Anschlufs an geschehene Fragenänderung erteilt wird. Es ist denkbar, dafs ein vorausgesetzter Anlafs zur Fragenänderung sich schliefslich erledigt, die Fragen die nämlichen bleiben, weitere Belehrung aber erteilt wird. Dann wäre korrekt, vor dieser den Angeklagten wieder abzuführen, sein Verbleiben dabei aber nicht Revisionsgrund. Der Ort der Belehrung ist das Sitzungszimmer 8. Würde der 32

H. M e y e r I I S. 202 läfst diese Scheidung vermissen. RG 1. Str.-S. R. I I I S. 535; 2. Str.-S. E. Bd. 9 S. 271 f. 2 Die Mot. S. 181 rechtfertigen den Ausschlufs des Angeklagten durch die Erwägung, dafs das Bedürfnis einer Nachtragsbelehrung das Vertrauen des Angeklagten zu den Urteilern beeinträchtigen könne. Anwesenheit des Angeklagten ist nicht Revisionsgrund, seine Fernhaltung nur instruktioneil geboten, vgl. RG 3. Str.-S. R. X S. 515. Abweichend 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 36 S. 309 f.: bei Kausalität des Verstofses für das Urteil sei zu kassieren; aber wie könnte solche Kausalität jemals feststehen? 8 Frühere Gesetze liefsen öfters die Nachtragsbelehrung nicht ölfentlich im Beratungszimmer durch den Vorsitzenden erteilen, wobei zuweilen Gegenwart der übrigen Gerichtsmitglieder gefordert wurde. So Thür. 1850 Art. 290, Preufs. 1852 Art. 94, Oldenb. 1857 Art. 339, Hannov. 1859 § 196, Hess.-Darmst. 1865 Art. 380. Auch Österr. § 327 Abs. 2 (unter Zuziehung des Protokollführers, sowie des Anklägers und des Verteidigers, wenn diese im Gerichtshause anwesend sind). Dazu U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 661. 1

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§ 64. Die Rechtsbelehrung.

Fortsetzung.

Vorgang in das Beratungszimmer verlegt, so fehlte es an einer rechtswirksamen Belehrung und es wäre zugleich das Gesetz verletzt durch einen die Selbständigkeit der Beratung gefährdenden Verkehr der Geschworenen mit einem Dritten, § 303 Abs. 1. Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten braucht nicht der Inhalt der Belehrung verdolmetscht zu werden 4. Er ist nicht an diesem Verhandlungsakte im prozessualen Sinne „beteiligt" , wenn auch seine Rechtslage dadurch erheblich berührt werden kann. Die Belehrung ist weder Dekret, noch liefert sie Prozefsstoff. Sie ist materiell ein den Geschworenen nach gesetzlicher Vorschrift vom Präsidenten erteiltes Rechtsgutachten, das nur wegen seiner besonderen Bedeutung nicht, wie andere solche Gutachten, factum internum bleibt, sondern zum Verhandlungsakt erhoben und insofern unter die Kontrolle der Parteien und zumeist auch der Öffentlichkeit gestellt ist. Diesem letztern Bedürfnisse gegenüber genügt, was die Partei des Angeklagten betrifft, dafs ja der Verteidiger das nötige Sprachverständnis besitzt. Ist doch der Angeklagte bei Belehrungsnachträgen meist nicht einmal anwesend! Es kommt hinzu, dafs die Belehrung seitens der Parteien unanfechtbar ist, § 300 Abs. 2. Auch bedürfen ja selbst aus den Vorträgen des Staatsanwalts und des Verteidigers nur die Anträge der Verdolmetschung an den Angeklagten, § 258. Weshalb für die Nachtragsbelehrung die Garantien der Hauptbelehrung fallen sollen, ist schlechterdings nicht einzusehen. Sehr mit Recht verlangten Kurh. 1848 § 326 u. 1863 § 162, Württ. 1849 Art. 164 u. 1868 Art. 381, Preufs. 1867 § 337, Baden 1864 § 283, Hamb. 1869 § 215, Bremen 1870 § 510 die Formen der Hauptbelehrung. Besonders verkehrt der französische Rechtsbrauch, wonach auf Ersuchen der Geschworenen der Präsident ihnen im Beratungszimmer und in Abwesenheit der Parteien Aufklärungen geben kann, tatsächlicher und rechtlicher Art, die sich jeder Kontrolle entziehen; vgl. die Entsch. des Kass.-Hofs v. 14. Sept. 1827, 15. Juni 1876 bei S i r e y et M a l e p e y r e zu art. 341 η. 3, 343 η. 18 (Aufforderung der Geschworenen an den Präsidenten wird präsumiert!) und dagegen H é l i e , Prat. crim. I η. 866; G a r r a u d , Précis de droit crim. n. 560. Während es in Frankreich Résumé und Rechtsbelehrung in der Verhandlung nicht gibt, scheint man geheime Beeinflussung der Geschworenen durch den Präsidenten für wünschenswert zu halten. W i n k l e r , Recht Jahrg. 7 S. 305, will auf Wunsch der Geschworenenmehrheit einen beisitzenden Richter an der Beratung teilnehmen lassen. K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurger. u. Schöffenger. I S. 22, schlägt für diese Funktion einen an der Verhandlung unbeteiligten Richter vor, dem auch die Rechtsbelehrung zu übertragen wäre. Vgl. dazu oben S. 580 Anm. 10. 4 Übereinstimmend L ö w e - H e l l w e g § 300 Bern. 7; S t e n g l e i n das. Bern. 4.

§ 64. Die Rechtsbelehrung.

Fortsetzung.

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V. Über den Inhalt der Rechtsbelehrung kann bei loyaler Auslegung des § 300 weder in positiver noch in negativer Hinsicht ein Zweifel sein. 1. Der Vorsitzende darf nicht die Tatsachen konstatieren, die durch persönliche oder sachliche Beweismittel bekundet sind, und noch weniger über die Glaubwürdigkeit der Bekundungen sich äufsern 5. Mit der Beweiswürdigung ist notwendig verboten die Feststellung der einzelnen als bewiesen zu erachtenden Tatsachen und erst recht der Endergebnisse der Beweisführung. Dagegen ist zulässig und öfters angemessen, die Anforderungen darzulegen, die an den Beweis überhaupt, den Indizienbeweis insbesondere, zu stellen sind, die rechtliche Bedeutung des Sachverständigengutachtens, des Geständnisses usw. zu erörtern, den Mangel formell verbindlicher Kraft des einen wie des anderen, die Irrelevanz etwaiger aufsergerichtlicher Wahrnehmungen von Geschworenen zu betonen, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu erläutern, etwa in Betracht kommende Beweisregeln, Rechtsvermutungen den Geschworenen mitzuteijen usw.6 Sollte ein unzulässiger Beweisakt vorgenommen, z. B. entgegen den gesetzlichen Vorschriften, § 248 f. StPO, von einer Partei in ihrem Vortrage ein Schriftstück verlesen worden sein, so wäre — trotz bereits erfolgter Rüge — wiederholter Hinweis auf den Prozefsverstofs in der Rechtsbelehrung nötig, um zu verhüten, dafs die Geschworenen das unzulässige Beweismoment zur Bildung ihrer Überzeugung mit verwerten 7. Selbstverständlich darf sich der Vorsitzende nicht in Widerspruch setzen mit Beschlüssen des Ge6

Da nach Österr. § 344 Z. 8 die „Rechtsbelehrung" anfechtbar ist, dagegen nicht das nach § 325 ebenfalls zu erstattende Résumé, so wird bei Prüfung von Nichtigkeitsbeschwerden scharfe Scheidung beider Begriffe notwendig. Vgl. Kass.-Hof v. 30. Apr. 1880 E. Bd. 3 S. 223 f., v. 22. Dez. 1884 E. Bd. 7 S. 279 f., v. 5. Dez. 1885 Bd. 8 S. 223 f. 6 Vgl. auch B i s e h o f f in Goltd. Arch. Bd. 40 S. 14 f. 7 Eine unzulässige Verlesung kann nicht stärker wirken als Vernehmung eines weigerungsberechtigten Zeugen ohne vorgängige Belehrung über sein Weigerungsrecht. Im letzteren Falle bleibt, wenn auf nachträglich erteilte Belehrung hin — nach Entdeckung des Versehens — der Zeuge seine Aussage zurückzieht und nun in den Gründen die Nichtberücksichtigung der Aussage konstatiert wird, der Rechtsbestand des Urteils intakt; im schwurgerichtlichen Verfahren liegt die Heilung in der Eröffnung an die Geschworenen, dafs sie die Aussage nicht berücksichtigen dürften. Vgl. unten Anm. 8. I n gleicher Weise mufs daher auch eine ungesetzliche Verlesung noch saniert werden können. Rüge im Anschlufs an die Verlesung genügt dazu nicht. Denn als Teil der Rechtsbelehrung wäre sie nicht zu erachten und nur eine B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I : G l a s e r - 0 e t k e r , Strafprozefs I I I .

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richts anläfslich der Beweiserhebung, z.B. über die Zulässigkeit der Beeidigung eines Zeugen. Ist ein Zeuge, wie sich später herausgestellt hat, zu unrecht — entgegen dem § 56 StPO — vereidigt worden, so ermöglicht das Normalverfahren eine Korrektur dadurch, dafs nun die Aussage nur als uneidliche im Urteil gewürdigt w i r d 8 ; im Schwurgerichtsverfahren werden daher die Geschworenen zu belehren sein, dafs die Aussage nur die Bedeutung einer uneidlichen habe. Bei Vernehmung eines Zeugen ohne Hinweis auf das Weigerungsrecht (§ 51 Abs. 2 StPO) fragt sich, ob er bei nachträglicher Belehrung darüber seine Aussage zurückzog oder sie bestehen liefs; im erstem Fall sind die Geschworenen zu bedeuten, dafs sie die Aussage nicht mit zu berücksichtigen haben9. 2. Die Rechtsbelehrung soll — soweit dieses Ziel bei Laien erreichbar ist — das Verständnis der gestellten Fragen durch klare und erschöpfende Erläuterung der mafsgebenden Gesetze, Rechtsbegriffe und Tatbestandsmomente vermitteln. Ganz besonders besteht dieses Bedürfnis gegenüber Rechtskategorien, die in den Fragen nicht oder nur Undefiniert zum Ausdruck kommen. Dabei wird an die Umstände des konkreten Falles anzuknüpfen sein, da eine rein abstrakte Erörterung für Geschworene nicht dienlich wäre und meist gerade die Subsumtionsfrage besondere Schwierigkeiten bietet 10 . Die Tatsachen dürfen aber nur hypothetisch gewürdigt werden, für den Fall, dafs sie von den Geschworenen als solche stände der Ausscheidung des Beweismoments in den Gründen eines nicht-schwurgerichtlichen Urteils gleich. Vgl. auch oben S. 568. 8 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 6 S. 155 f.; 2. Str.-S. R. V S. 122; 2. Str.-S. R. V I I S. 89 f. Dafs der Richter die Fähigkeit besitzt, bei Würdigung einer fälschlicherweise beeideten Aussage vom Eide zu abstrahieren, ist nicht zu bezweifeln. Die amtliche Erklärung — in den Gründen —, dafs dies geschehen sei, verdient unbedingt Glauben. Es genügt aber bereits, wenn ausweislich des Protokolls der Richter im Laufe der Verhandlung auf das die Unzulässigkeit der Beeidigung ergebende Verhältnis aufmerksam geworden ist. Denn die Erfüllung der nunmehr gegebenen Pflicht des Richters, die Aussage nur als uneidliche zu würdigen, mufs auch ohne besondere Versicherung unterstellt werden. Unerträglich wäre die Annahme, dafs fälschliche Beeidigung, auch wenn der Unzulässigkeitsgrund noch in der Verhandlung erkannt worden ist, einen irreparabeln Prozefsverstofs ergäbe. Dann bliebe nur Einstellung übrig, da doch nicht mit Bewufstsein ein nichtiges Urteil erlassen werden darf. 9 Vgl. RG 2. Str.-S. E. Bd. 29 S. 351 f. 10 Mot. S. 179.

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erwiesen erachtet werden sollten 11 ; jedes Eingehen auf die Beweiswertung ist zu vermeiden. Nach Umständen kann eine Erläuterung des Verhältnisses mehrerer Fragen zu einander, obwohl der Eingang der Fragen darauf bereits hinweist, sich empfehlen. Eine Belehrung der Geschworenen über ihre Pflichten, über ihre Abhängigkeit vom Gesetz, wird überall da angemessen sein, wo mit einer Neigung der Geschworenen, die gesetzlichen Schranken zu verlassen und nach dem Gefühl zu urteilen, gerechnet werden mufs: weil sie mit dem Angeklagten sympathisieren, weil sie das Gesetz an sich oder in Anwendung auf den Einzelfall mifsbilligen usw. 12 Endlich mag noch eine Anweisung über das Verhalten bei der Beratung und Abstimmung hinzugefügt werden 1 8 ; namentlich, wenn eine Frage an sich (Hauptfrage mit Privilegierungsgrund usw.) oder präsumtiv nach den Umständen des Falles (Zweifel über das Vorhandensein eines in die Hauptfrage aufgenommenen Qualifikationsgrundes usw.) mehrere Abstimmungen erfordert. Bei kontroversen 14 oder doch im Schofse des Kollegiums 11 Diese notwendige Beschränkung wird nicht immer hervorgehoben, z. B. nicht von D a l c k e zu § 300 Bern. 3. Die allgemeine Wendung, der Vorsitzende könne zu besserer Erreichung des Belehrungszwecks auf das Gebiet des Tatsächlichen zurückgreifen, ist geeignet, auch Übergriffe zu decken. 12 Vgl. oben S. 29, 30 und B i r k m eye r , Strafprozefsrecht S. 638. 13 Mot. S. 179. E i n von S c h w a r z e (Prot. S. 464 f.) gestellter Antrag wollte diese Anweisung obligatorisch machen. Ein Fall, in dem eine Belehrung über das Mehrheitserfordernis auf dem Fragebogen enthalten war, in Goltd. Arch. Bd. 50 S. 111. Wenn eine solche Anweisung lediglich die gesetzlichen Vorschriften wiedergibt, so kann sie nicht als gesetzwidrig bezeichnet werden. Sicher aber verdient mündliche Belehrung durch den Vorsitzenden den Vorzug. M a y e r zu § 325 österr. StPO Bern. 53 will entsprechende Bedeutungen zur „eigentlichen" Rechtsbelehrung rechnen. Zutreffend M i t t e r b a c h e r das. Bern. 2. 14 Einerlei, ob der Meinungsstreit in der Theorie oder in der Praxis (nur von dieser sprechen L ö w e - H e l l w e g zu § 300 Bern. 4 a , V o i t u s das. Bern. 2 usw.) besteht, aber natürlich nur unter der Voraussetzung, dafs dem Vorsitzenden eine hervorgetretene Bestreitung beachtlich erscheint. Verfehlte Einfälle vor den Geschworenen zu widerlegen, wäre selbst ein verfehlter Einfall. S t e n g l e i n zu § 300 Bern. 1 meint, der Vorsitzende könne die Darlegung der Kontroverse den Ausführungen der Parteien überlassen. Allein der Vorsitzende verletzt die Pflicht der Objektivität, wenn er eine bestrittene Meinung wie eine zweifellos feststehende vorträgt, und hat den Geschworenen 38*

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streitigen Rechtsfragen sind den Geschworenen die mehreren Auffassungen vorzulegen, sei's mit, sei's ohne Parteinahme für eine von ihnen. Auf eine erschöpfende, juristisch genügende Begründung der vorgetragenen Rechtsansichten wird — Laien gegenüber — öfters verzichtet werden müssen. Vorhandene Präjudizien mögen erwähnt werden, literarische Auseinandersetzungen dürften zumeist zwecklos sein. Über das Strafgesetz wird die Jury b e l e h r t . Nicht sind Existenz und Rechtsgültigkeit des Strafgesetzes durch B e w e i s f ü h r u n g den Geschworenen darzutun. Darüber wird vom Gericht entschieden, hypothetisch in der Fragestellung, endgültig auf den Spruch der Geschworenen hin. Diese dürfen nicht die Schuldfrage verneinen, weil sie den Bestand usw. des Strafgesetzes anzweifeln, aus dem sie substantiiert ist. Das wäre Usurpation einer nur dem Gericht zustehenden Prüfungsbefugnis. Wohl haben die Geschworenen zu entscheiden über zivilistische, öffentlich-rechtliche Vorfragen, von denen die Subsumtion unter das Strafgesetz abhängt. Dafs die Belehrung auf die entsprechenden Rechtsnormen zu erstrecken ist, wurde bereits betont 15 . Ist der B e s t a n d usw. solcher Rechtssätze zweifelhaft, worüber das Gericht zu entscheiden hat, so mufs er durch Beweiserhebung vor den Geschworenen festgestellt werden 16 . Es genügt nicht, in der die Grundlagen der rechtlichen Beurteilung seinerseits vollständig zu liefern, ohne dafs Parteideduktionen zu Hilfe genommen werden müfsten. D a l c k e , Fragestellung S. 114, hält für zweckmâfsig, dafs sich der Vorsitzende auf die eigene Ansicht beschränke, da die Kontroverse den Geschworenen doch nicht verständlich sein werde. Dabei übersieht er aber, dafs die Kontroverse ganz regelmäfsig schon durch die Parteivorträge an die Geschworenen herangetragen ist, und verkennt, wie S t e n g l e i n , die Aufgabe des Vorsitzenden, die Geschworenen zum R i c h t e n , wozu auch die Entscheidung zwischen streitenden Rechtsansichten gehört, tüchtig zu machen. Wer eine Kontroverse nicht versteht, versteht in Wahrheit auch keine der streitenden Meinungen. Der Vorsitzende darf aber nicht von der Voraussetzung der Unbelehrbarkeit der Geschworenen ausgehen und, statt zu lehren, seine Auktorität einsetzen. Nach B i s c h o f f in Goltd. Arch. Bd. 40 S. 6 soll der Vorsitzende die Ansicht des Reichsgerichts vertreten. Allein die Bedeutung dieser Entscheidungen kann nicht in schwurgerichtlichen Sachen eine p o t e n z i e r t e sein. Vgl. auch B i r k m e y e r S. 639; B e n n e c k e - B e l i n g S.560; RG 3. Str.-S. E. Bd. 13 S. 249 (Belehrung solle bei kontroversen Materien den Geschworenen den Stand der Wissenschaft und Praxis darlegen), 15 Vgl. RG 2. Str.-S. R. I X S. 231. 16 Vgl. S t e i n , Priv. Wissen des Richters S. 185.

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Rechtsbelehrung den Geschworenen mitzuteilen, dafs das Gericht durch eingezogene Informationen die Frage für sich aufser Zweifel gestellt habe 17 . Unhaltbaren Rechtsausführungen in den Plädoyers entgegenzutreten, ist Recht und Pflicht des Vorsitzenden 18 . Besonders, wenn dabei die Tendenz zutage trat, die Geschworenen irrezuleiten, z. B. durch willkürliche Ausdehnung des Notwehr- oder Notstandsbegriffs. Andererseits hat der Vorsitzende zu bedenken, dafs ein juristischer Kollege gesprochen hat und dafs eine Gesetzesauslegung nicht schon deshalb falsch ist, weil sie neu ist, der eigenen Auffassung widerspricht usw. Die Grenze zwischen noch beachtlicher und zulässiger Deutung und offenbarer Rechtsverdrehung oder zweifellosem Rechtsirrtum hat der Vorsitzende zu ziehen, wenn es zu ihrer Einhaltung dem Parteivertreter an Takt oder Einsicht gebrach. Solche Korrekturen sind unentbehrlich Laienrichtern gegenüber, die sonst leicht den Interpretationskünsten redegewandter und skrupelloser Sachführer zum Opfer fallen könnten. Tatsächliche Unrichtigkeiten in den Partei vorträgen aber (z. B. über den Inhalt der Zeugenaussagen) sind nicht zu berichtigen 1 9 . Denn damit würde der Präsident eine negative Beweisfeststellung geben, die ihm ebenso wie positive Konstatierung verboten ist. Ohnehin werden sich die Parteien auf solche falsche Angaben hin gegenseitig kontrollieren und sie nicht unwidersprochen lassen. Sollte eine Partei in ihrem Plädoyer Tatsachen vorgebracht haben, die gar nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen sind, z.B. schlechten Ruf eines Zeugen behauptet haben, ohne Antrag auf Beweisergänzung zu stellen, so wären in Ergänzung der schon geschehenen Rüge die Geschworenen in der Rechtsbelehrung zu bedeuten, dafs sie ihren Spruch lediglich auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu gründen hätten 20 , jene Angaben also nicht berücksichtigen dürften. 17 So J o h n , Komm. I I I S. 116. Dagegen auch S t e n g l e i n , Gerichtssaal Bd. 43 S. 294 f. 18 Vgl. RG 1. Str.-S. E. Bd. 28 S. 241. 19 L ö w e - H e l l w e g zu § 300 Bern.2; ν. Β o m h a r d - K o l l e r das. Bern.4; K e l l e r das. Bern. 2 stimmen dahin überein, dafs die Berichtigung nicht Sache des Schlufsvortrags sei, meinen aber, der Präsident habe alsbald oder nach Beendigung des Parteivortrags die falsche Angabe zu korrigieren. Aber worauf gründet sich diese Befugnis? Ygl. auch oben S. 567. 20 Unterlassen solcher Darlegung aber würde nicht die Revision begründen.

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Es ist zuzugeben, dafs eine scharfe Grenze zwischen falscher Wiedergabe und unzulässiger Ergänzung des Verhandlungsstoffs nicht existiert und dafs die Partei ein Novum auch in der Weise einschmuggeln kann, dafs sie in ihrem Vortrage den Zeugen fälschlich gewisse Aussagen in den Mund legt 2 1 . Daher mag sich auch in solchem Falle empfehlen, die Geschworenen darauf hinzuweisen, dafs nicht der bezügliche Parteibericht über die Beweiserhebung — auch nicht, wenn ihm der Gegner aus Versehen nicht widersprochen hätte — sondern nur diese selbst für den Spruch mafsgebend ist. Nicht aber darf in diesem Falle der Präsident die Parteiangabe als falsch, durch die Verhandlungen nicht bestätigt, bezeichnen. Dem Versuche endlich, anläfslich des Plädoyers die Beweise durch Verlesen von Schriftstücken unzulässig zu ergänzen, ist alsbald entgegenzutreten. Sollte, ehe die Rüge erfolgte, Verlesung ganz oder teilweise schon stattgefunden haben, so wäre jedenfalls in der Rechtsbelehrung die Unverwertbarkeit des unzulässigen Beweismoments nachdrücklich zu konstatieren. VI. Im Vertrauen auf eine streng gesetzmäfsige Haltung der Rechtsbelehrung verbietet das Gesetz jede Erörterung ihre& Inhalts. Zur Rechtsfrage hat nicht, wie sonst — nach der allgemeinen Vorschrift des § 257 Abs. 2 — der Angeklagte, sondern der Präsident das letzte Wort. Die Rechtsausführungen der Parteien stehen im Schwurgerichtsverfahren unter richterlicher Kontrolle. Der unmittelbare Eindruck des Präsidialvortrages auf die Geschworenen soll nicht alteriert werden durch irgendwelche weitere Parteierörterungen. Und auch im Revisionsverfahren ist — von einer alsbald zu konstatierenden Ausnahme abgesehen (vgl. unten sub 3 über revisionshindernde Rechtsbelehrung) — jede Nachprüfung der Rechtsbelehrung ausgeschlossen. Die Folgesätze sind: 1. Zwar die Tatsache, aber grundsätzlich nicht der Inhalt der Rechtsbelehrung ist zu protokollieren. Ein gegenteiliger Antrag auf Protokollierung einzelner oder aller Ausführungen des Vorsitzenden wäre als unzulässig zu verwerfen 22 . Der Beschlufs der Reichsjustizkommission, wonach solche Anträge betreffs bestimmter Sätze der Rechtsbelehrung zur Begründung späterer Revision gestattet sein sollten, scheiterte an dem Widerstande der Regierungen 2 8 . 21 22 23

Vgl. oben S. 567. Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 1 S. 87. Vgl. Mot. S. 179, Prot, der Komm. 1. Les. S. 464 f., 2. Les. S. 999 f.,

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Eine Ausnahme besteht, soweit die Rechtsbelehrung den Einflufs unzulässiger Beweisakte auf den Wahrspruch und folglich das Urteil auszuschliefsen bestimmt ist. Revisionshindernde Belehrung mufs aktenmäfsig gemacht werden. Insofern können auch die Parteien die Protokollierung beantragen. 2. Den Parteien sind irgendwelche Entgegnungen auf den Schlufsvortrag nicht gestattet. Nur zu dem Zwecke kann ihnen jetzt noch das Wort gegeben werden, um Anträge auf Änderung oder Ergänzung der Fragen oder nachträgliche Beweiserhebungen zu stellen 24 . Die Parteien können das Verbot auch nicht dadurch umgehen, dafs sie anticipando in ihren Plädoyers einer von den eigenen Darlegungen etwa abweichenden Rechtsbelehrung entgegentreten. Auch die generelle Ausführung, dafs der Rechtsbelehrung formelle Verbindungskraft nicht zukomme, würde aus dem Rahmen des Plädoyers (§ 299) heraustreten und daher vom Vorsitzenden abzuweisen sein 25 . Dagegen ist unter der unzulässigen Erörterung natürlich nicht mitverstanden eine Besprechung des Vortrags in der Presse; in dieser Hinsicht könnte nur das Verbot des Art. I I I des Reichsges. vom 5. April 1888 (betr. Berichte durch die Presse über eine Gerichtsverhandlung, bei der wegen Gefährdung der Staatssicherheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war) entgegenstehen oder etwa § 184b StGB Beschränkungen bedingen. Bei ungesetzlichem Inhalte des Vortrags ist öffentliche Rüge (an der Hand stenoKommiss.-Ber. S. 79, Prot, der Komm, wiederh. Berat. S. 5 f., Plen.-Verhandl. S. 520 f., 987 f. Man berief sich auf Sachsen 1868 § 69 Abs. 2 (die Parteien können Einwendungen gegen die Rechtsbelehrung vorbringen und, sofern der Präsident dieselben als unrichtig bezeichnet, die streitigen Punkte durch das Protokoll feststellen lassen), Österreich § 325 und § 327 Abs. 3 (jede Partei kann verlangen, dafs die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung im Protokolle ersichtlich gemacht werde). Für Protokollierung und Anfechtbarkeit der Rechtsbelehrung S c h w a r z e , Gerichtssaal Bd. 19 S. 364 f.; W a h l b e r g , 13. Jur.-Tag I S. 29 f.-, S t o c k e i das. S. 161 f. (im Sinne der sächs. Vorschrift); F r e u d e n s t e i n , Résumé und Rechtsbelehrung S. 47; v. B a r in Zeitschr. f. Strafrechtswissensch. Bd. 26 S. 230; K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte u. Schöffengerichte I S. 22; W. M i t t e r m a i e r , Zur Frage der Schwurgerichte (1905) S. 19; v. L i s z t , Reform des Strafverfahrens (1906) S. 19. 24 Vgl. preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 15 S. 76 f.; RG 3. Str.-S. E. Bd. 27 S. 188 f. 25 Vgl. auch D a l c k e , Fragestellung S. 116.

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graphischer Niederschrift usw.) unverwehrt und vielleicht für die Zukunft von präventiver Kraft. 3. Revision wegen unrichtiger oder unvollständiger Rechtsbelehrung oder wegen Verletzung des § 300 durch unzulässige Beweiswürdigung usw. ist zu verwerfen 26 . Sie scheitert schon an der Unmöglichkeit, dem Revisionsrichter den Inhalt der Belehrung nachzuweisen. Wenn das Gesetz die Protokollierung eines Verhandlungsvorkommnisses ausschliefst — entgegen dem sonst bestehenden Rechte der Prozefsbeteiligten, § 273 Abs. 3 —, so will es irgendwelchen Beweis in diesem Prozesse über die fragliche Tatsache, auch Zeugenbeweis nicht zulassen27. Es wäre ja sonst sinnlos, die alsbaldige authentische Feststellung zu versagen. Zeugenbeweis über Verhandlungsakte ist (abgesehen von der Frage der Fälschung des Protokolls) nur zulässig, wenn Protokollierung den Beteiligten gesetzwidrig abgeschlagen worden ist. Auch steht der Wortlaut des Gesetzes, § 300 Abs. 2, jeder Erörterung der Rechtsbelehrung im Prozesse, also auch in der Revisionsinstanz, entgegen 28 . Weil Belehrung der Geschworenen über Unzulässigkeit geschehener Beweisakte der Protokollierung bedarf, so kann sie auch nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 StPO). Der Mangel einer solchen Belehrung begründet nicht die Revision, die vielmehr in dem unzulässigen Beweisakte ihr Fundament findet ; die Unterlassung des Vorsitzenden äufsert sich in Nichthinclerung erfolgreicher Revision, in Nichtbeseitigung eines Nichtigkeitsgrundes. Gestattung der Revision wegen unrichtiger Rechtsbelehrung wäre selbst unter der Voraussetzung bindender Kraft des Vortrags für die Geschworenen unmöglich. Bei dem Mangel einer Be26 RG 3. Str.-S. E. Bd. 1 S. 85f.; 3. Str.-S. E. Bd. 11 S. 278. Ein eklatanter Fall aus älterer Zeit: Goltd. Arch. Bd. 2 S. 86 f. 27 Dafs Protokollierung die cond. sine qua non für Anfechtung der Rechtsbelehrung ist, kommt in der österr. Praxis klar zum Ausdruck. Die Nichtigkeitsbeschwerde wegen falscher Rechtsbelehrung, § 344 Z. 8 StPO, wird verworfen, wenn nicht, was den Parteien nach §§ 325, 327 freisteht, die Protokollierung der Belehrung erwirkt worden ist. Vgl. Kass.-Hof v. 20. Aug. 1875 E. Bd. 1 S. 365 f., v. 13. Febr. 1880 Bd. 3 S. 101 f., v. 20. Okt. 1883 Bd. 6 S. 157 f. 28 Dagegen ist keineswegs ausgeschlossen, in einem ehrengerichtlichen Verfahren gegen einen Verteidiger, einem Disziplinarverfahren gegen den Vorsitzenden — anläßlich eines durch den Inhalt des Schlufsvortrags unter ihnen entstandenen persönlichen Konflikts —, Äufserungen des Vortrags zu konstatieren und zu würdigen. Bedenklich, mindestens in der Begründung, Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 17 S. 145 f.

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gründung des Spruchs 29 liefse sich ein Kausalzusammenhang zwischen ihm und dem Verstofs nur durch willkürliche Konjekturen herstellen. Die Undurchführharkeit der Revision ist besonders klar bei Verneinung der Schuldfrage. Ob damit die Subsumtion unter das Gesetz abgelehnt oder der Beweis für ungenügend erklärt ist, bleibt ganz im Dunkeln. Wurde die Schuldfrage bejaht, so mufs unterschieden werden, ob neben den Individualisierungsmerkmalen auch die den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen entsprechenden konkreten Tatmomente in die Frage mit aufgenommen waren oder nicht. Wenn ja, ermöglicht sich die Nachprüfung der Subsumtion im Revisionswege. Und ohne jede Rücksicht auf den Inhalt der erteilten Rechtsbelehrung. Revisionsgruncl ist der aus dem Verdikt ersichtliche Rechtsirrtum, mögen die Geschworenen vom Vorsitzenden vor dem Fehler gewarnt oder zu ihm veranlafst worden sein. Fehlt aber die Angabe der konkreten Momente, so entzieht sich der Nachprüfung, ob eine bestimmte Beweisannahme oder falsche, eventuell vom Vorsitzenden anempfohlene Subsumtion die Bejahung veranlafst hat. Diese Argumentation bleibt unberührt auch bei Annahme formeller Verbindungskraft der Rechtsbelehrung 80. Schon deshalb ist nach Reichsrecht Revision auch dann nicht gegeben, wenn der Vorsitzende dem Gesetz zuwider die Belehrung für bindend erklärt haben sollte. Übrigens wäre diese Angabe selbst Rechtsbelehrung (Darlegung der rechtlichen Natur des vom Gesetz geforderten Belehrungsaktes) und daher in der Frage der Anfechtbarkeit nicht anders zu behandeln, wie die Rechtsbelehrung überhaupt 81 . Eine Sonderstellung könnte sie nicht haben. 29

S t o c k e i , 13. Jur.-Tag I S. 172 will, wenn die Rechtsbelehrung von einer Partei angefochten worden ist, den Obmann verpflichten, bei Kundgebung des Wahrspruchs zu konstatieren, ob dieser auf der Rechtsbelehrung des Vorsitzenden oder der Rechtsanschauung des Verteidigers usw. beruhe. Also ein Bruchstück von Begründung! Aber eine solche Teilmotivierung ist untunlich, nur mit dem Ganzen ist gedient. 30 Den inneren Widerspruch, an dem eine Revision wegen falscher Rechtsbelehrung leiden würde, betont auch H. M e y e r I I S. 190. Vgl. weiter v. K r i e s , Preufs. Jahrb. Bd. 75 S. 129 f. Dafs b i n d e n d e Rechtsbelehrung Zulassung der Revision ermögliche, kann G e y e r S. 759 nicht zugegeben werden. 31 Vgl. D a l c k e , Fragestellung S. 116. A. A. B e n n e c k e - B e l i n g S. 561.

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Nicht anders steht's endlich mit einer Belehrung über das bei der Beratung und Abstimmung von den Geschworenen einzuschlagende Verfahren. Denn es handelt sich hier um interna corporis. Nur das Abstimmungsergebnis t r i t t , soweit das Gesetz die Angabe des Stimmenverhältnisses im Spruch fordert, nach aufsen hervor. Da der Spruch der Gründe entbehrt, so läfst er einen Verstofs gegen die für die Abstimmung usw. mafsgebenden Rechtsregeln nicht erkennen. Nachprüfung dieser Vorgänge im Revisionswege ist ausgeschlossen. Es kann nicht Beweis darüber erhoben werden, wie sie sich vollzogen haben. Um so weniger vermöchte die blofse Möglichkeit, dafs dabei eine Verletzung des Gesetzes oder ungesetzter Rechtsregeln vorgekommen sei, die Aufhebung des Urteils zu begründen. Auch dann nicht, wenn der Vorsitzende in dieser Hinsicht eine falsche Belehrung erteilt haben sollte. Die Aufstellung des Revisionsgrundes der falschen Rechtsbelehrung, Sachsen 1868 § 69, Österreich § 344 Z. 8, führt zu der Konsequenz, dafs zutreffende oder nur durch falsche Beweiswürdigung usw. beeinflufste Verdikte infolge willkürlich angenommener Kausalität des richterlichen Verstofses für den Verdiktsinhalt wie rechtsirrige behandelt werden 82 . Nur ein nachweisbarer kausaler Rechtsirrtum der G e s c h w o r e n e n könnte doch die Aufhebung begründen! Noch verkehrter aber wäre Annahme a b s o l u t e n Revisionsgrundes. Die Aufnahme entsprechender Bestimmungen in StPO — in hartnäckigem Kampfe mit der Justizkommission und der Reichstagsmehrheit — verhindert zu haben, ist das Verdienst der verbündeten Regierungen. — Während der Amtsrichter den Schöffen Rechtsbelehrungen — nach Bedarf und Wunsch — bei der Beratung in ungehindertem Wechselverkehr gibt,'hat der gleiche Vorgang im Schwurgerichts32 Vgl. auch S c h ü t z e in Goltd. Arch. Bd. 27 S. 162, 182. Aus der Praxis des österr. Kass.-Hofs : E. v. 3. Nov. 1874, Bd. 1 S. 128 f. ; v. 20. Aug. 1875, Bd. 1 S. 365 f.; v. 28. Sept. 1892, Bd. 13 S. 130 f.; v. 16. März 1895, Bd. 15 S. 154 f.; v. 4. Febr. 1899, N. F. Bd. 1 S. 112 f. usw. Die Beschwerden haben selten Erfolg! Die Anfechtbarkeit wird mit bezogen auf antizipierte Rechtsbelehrung, vgl. Ε . v. 4. Nov. 1876, Bd. 2 S. 174 f. Nur Unrichtigkeit, nicht Unvollständigkeit ist Revisionsgrund: E. v. 20. Okt. 1883, Bd. 6 S. 157 f.; v. 25. Mai 1889, Bd. 11 S. 107 f.; v. 28. Sept. 1892, Bd. 13 S. 130 f.

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verfahren die Gestalt eines zusammenhängenden Schlufsvortrags und den Charakter eines Verhandlungsaktes, wobei aber in dem Ausschlufs der inhaltlichen Protokollierung, der Erörterung und der Anfechtung doch wieder die Natur als factum internum zum Durchbruch kommt. Die Belehrung wird so zu einem eigenartigen Doppelwesen. Dafs sie bei dem Mangel freier Verständigung beider Teile ihre Aufgabe nur unvollkommen erfüllen kann, wurde bereits hervorgehoben. In der Unanfechtbarkeit der Rechtsbelehrung liegt, soweit sie sich in ihren gesetzlichen Grenzen hält, wirklich Rechtsweisung ist, nicht eine Versagung des rechtlichen Gehörs, eine Rechtsverweigerung den Parteien gegenüber. Diesen stehen Rechtsdeduktionen in ihren Vorträgen in vollem Umfange frei. Es kann aber nicht einen Anspruch der Parteien geben, nach Erstattung ihrer Sachausführungen noch einen weiteren Einflufs zu üben auf die Bildung der rechtlichen Urteilsgrundlagen im Schoofse des Gerichts, auch dann nicht, wenn ausnahmsweise, wie im schwurgerichtlichen Verfahren, ein vorbereitender Beitrag zur Findung des Schuldurteils den Urteilern vom Vorsitzenden des koordinierten Richterkollegiums in Gestalt eines Verhandlungsaktes zu leisten ist. 4. Indem das. Gesetz Anfechtung der Rechtsbelehrung versagt, erklärt es aber keineswegs alle Ausführungen des Präsidenten, die dieser anläfslich des vom Gesetz geforderten Schlufsvortrags und unter dem Anschein, die Belehrungspflicht zu erfüllen, etwa vorbringt, für unanfechtbar. Er hat doch nicht die Vollmacht in seinem Schlufsvortrage, um den ihm gerecht erscheinenden Spruch zu erwirken, das Gesetz nach allen Richtungen hin zu verletzen ! Nachdem einmal die Beweisaufnahme geschlossen war (§ 257 StPO), kann sie jetzt nur durch Gerichtsbeschlufs und gewifs nicht in der Weise wiedereröffnet werden, dafs der Präsident in seinem Schlufsworte den Geschworenen weitere Beweismomente vorträgt. Solche Anführungen würden in den Schlufsvortrag aufgenommen mit der Tendenz wirken, Materialien des Verdikts zu liefern, während doch der Präsident dem gleichen Versuche einer Partei nachdrücklich entgegen zu treten verpflichtet wäre. Beweisergänzungen im Schlufsvortrag ständen nicht unter den gesetzlichen Garantien der Beweisaufnahme, die Parteien wären mundtot, von einer Beteiligung am Beweisakte durch Anträge und Erklärungen abgeschnitten und zu einer Diskutierung der Beweisergebnisse nicht in der Lage. Und eine solche Verletzung prozes-

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sualer Grundprinzipien sollte folgenlos bleiben? Zumal, wenn die Ergänzung auch materiell unzulässig wäre, in einer Verlesung von Leumundszeugnissen, ärztlichen Attesten usw. entgegen § 255 StPO bestände? Sollte der Präsident in dieser Art aus der Rolle fallen, so wäre sein Vortrag insofern zweifellos nicht mehr Rechtsbelehrung 38 . Die Parteien könnten die Protokollierung fordern, bei Weigerung in der höheren Instanz Zeugenbeweis antreten, auf die Gesetzesverletzung Revision gründen usw. Ja es müfste ihnen schon vom Schwurgericht selbst gestattet werden, die Beweisergänzung einer Erörterung zu unterwerfen und weitere Beweisanträge daran zu knüpfen 84 . Dagegen mufs aus dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes geschlossen werden, dafs dem Schlufsvortrag der Begriff und die Unanfechtbarkeit einer Rechtsbelehrung nicht durch eingeflochtene Beweisfeststellungen und Beweiswürdigungen verloren gehen. Der Gesetzgeber verläfst sich in dieser Hinsicht allein auf die Pflichttreue des Vorsitzenden. Und es ist zu hoffen, dafs dieser Appell mehr und mehr beherzigt wird und nicht eines an sich löblichen Zweckes halber — um die Geschworenen vor falschem Spruch zu bewahren — in einem Verfahren, das für schwere Schuld die Sühne bringen soll, der Präsident selbst das Beispiel der Gesetzwidrigkeit gibt. 5. Für einen Belehrungsnachtrag gelten durchweg die Grundsätze der Hauptbelehrung 35 . VII. Die deutsche Rechtsbelehrung hat weder in ihren zulässigen, noch etwa gar in unzulässigen Bestandteilen bindende Kraft für die Geschworenen. Es ist in deren Gewissen gestellt, 33

O e t k e r in Gött. Gel.-Anz. 1898 S. 627; übereinstimmend B e n n e c k e B e l i n g S. 561. Unrichtig preufs. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 14 S. 350; richtig hingegen 15 S. 45. Übereinstimmend H é l i e , Traité V I I I p. 846 und die von ihm angeführten Entsch. des Kass.-Hofs. 34 Ähnliches in früheren Gesetzen zuweilen ausdrücklich bestimmt: Kurhessen 1848 § 316, 1863 § 158, Württemb. 1849 Art. 153, 1868 Art. 362, Hannover 1850 § 187, 1859 § 193, Oldenburg 1857 Art. 321 usw. 35 Wunderlicherweise bestritten. Nach V o i t u s zu § 306 Bern. 2, dem sich D a l c k e zu § 306 Bern. 5 anschliefst, soll es den Beteiligten zustehen, den Belehrungsnachtrag als dem Sinn der Fragen widersprechend zu bemängeln und gerichtliche Entscheidung über die Meinungsverschiedenheit zu verlangen. Aus welchem Grunde? Richtig L ö w e - H e l l w e g zu § 306 Bern. 4, K e l l e r das. Bern. 4.

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Fortsetzung.

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inwiefern sie der Rechtsauffassung des Präsidenten oder gegenteiligen Deduktionen der Parteien oder der eigenen Rechtsüberzeugung folgen wollen 36 . Sicher aber wird eine erschöpfende und klare, eindringliche und nicht aufdringliche, streng in den gesetzlichen Grenzen gehaltene, von Einseitigkeit und Befangenheit freie Rechtsbelehrung auf verständige und pflichttreue Geschworene ihres Eindruckes nicht verfehlen. Ungehörige Beweiswürdigungen hingegen könnten unter Umständen Mifstrauen auch gegen die Rechtsausführungen des Präsidenten wecken. Die englischen Geschworenen gelten als verpflichtet, nach der Rechtsbelehrung zu urteilen 8 7 . Damit ist ihnen eine zum Wesen des Richteramts unentbehrliche Entscheidungsbefugnis entzogen 8 8 . Aber die Jury war ja ursprünglich Beweismittel und ist erst ganz allmählich und bei ihrer Abhängigkeit vom Schlufsvortrage des Richters nie vollständig mit richterlicher Gewalt bekleidet worden. Diese geschichtliche Tatsache, das traditionelle Ansehen der englischen Richter, der Zustand des englischen Rechts überhaupt, des englischen Beweisrechts insbesondere, die ihm völlig fehlende Gemeinkundigkeit, die grofse Zahl von mafsgebenden Beweisregeln, die in Doktrin und Praxis ausgebildet und den Geschworenen im Einzelfalle aufzuweisen sind, erklären die formelle Verbindlichkeit der richterlichen Direktion. Nachahmung im kontinentalen Rechte wäre mangels dieser Voraussetzungen ein Mifsgriff. Vollends das deutsche Rechtsbewufstsein könnte Richter nicht ertragen, denen auf Grund mafsgebender Belehrung anbefohlen würde, in bestimmtem Sinne zu entscheiden89. 86 Vgl. auch H. M e y e r bei v. Holtz. I I S. 188-, RG 1. Str.-S. E. Bd. 28 S. 245. A. A. de lege lata anscheinend J o h n , Komm. I I I S. 116. Für Österreich nehmen U l l m a n n , Österr. Strafprozefs S. 562; M a y e r zu § 325 Bern. 60; M i t t e r b a c h e r das. Bern. 6 (diese mehr im Sinn moralischer Verpflichtung) bindende Kraft an; im Gesetze ausgesprochen ist sie nicht. Vgl. darüber und dagegen S c h ü t z e in Goltd. Arch. Bd. 27 S. 166 f. (weitere Literatur das. S. 166 Anm. 19). 37 Der Richter kann Annahme gegenteiligen Verdikts verweigern, wenn er die Jury zur Freisprechung angewiesen hatte. Die Jury hat dann wiederholt zu beraten. Die Eventualität d a u e r n d e n Konflikts zwischen Richter und Jury ist tatsächlich unpraktisch. Vgl. G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 381, 382. 38 Nur durch Abgabe eines Spezialverdikts ist die Jury in der Lage, von der Rechtsbelehrung sich zu emanzipieren. 39 Für Anerkennung bindender Kraft der Rechtsbelehrung: G l a s e r , Schwurgerichtl. Erörterungen (2. Aufl.) S. 43 f.; W a h l b e r g , 13. Jur.-Tag I

606

§ 64. Die Rechtsbelehrung.

Fortsetzung.

Nach englischer Auffassung ist auch Anfechtung der Rechtsbelehrung mit Rechtsmitteln zulässig 40 . V I I I . Fehlen der Rechtsbelehrung gehört nicht zu den absoluten Revisionsgründen (§ 377). Doch mufs eine solche Unterlassung regelmäfsig zur Aufhebung des Urteils führen, da das Gesetz bei den Geschworenen die Fähigkeit, ohne Belehrung richtig zu entscheiden, nicht vorapssetzt. Anders vielleicht in ganz einfachen Fällen: wenn z. B. ein Geständnis des Angeklagten vorlag und die Subsumtion unter das angewandte Gesetz nach Lage der Sache 29 f.; T h o m s e n das. I I S. 179 f.; U l l m a n n , 14. Jur.-Tag I 2 158 f.; G n e i s t , Vier Fragen zur deutsch. StPO S. 160 f., 14. Jur.-Tag I I S. 120 f. Dagegen : H e i n z e , Strafproz. Erörterungen S. 99 f. : T e i c h m a η η , 14. Jur.Tag I 2 S. 145 f.; S c h ü t z e in Goltd. Arch. Bd. 27 S. 157 f.; K a h l in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte u. Schöffenger. I S. 22. L a m m , 14. Jur.-Tag I 2 S. 127 f., erklärt die Befolgung der Rechtsbelehrung für eine Gewissenspflicht der Geschworenen, hält aber gesetzliche Bindung für nicht durchführbar. Im Zusammenhang mit einer durchgreifendeu Reform des Schwurgerichts, insbesondere mit Leitung der Geschworenenberatung durch einen Richter hat H e i n z e , Geschworenengericht S. 170, befürwortet, die Geschworenen an die ihnen im Beratungszimmer erteilte Belehrung, soweit sie das jus in thesi betrifft, zu binden, nicht auch betreffs der Subsumtionsfrage. Vgl. über H e i n z es Vorschläge oben S. 580 Anm. 10. 40 Der Rechtsbehelf ist aber nicht Nichtigkeitsbeschwerde, sondern motion for a new trial. Das nordamerikanische Recht gewährt diese Anfechtung in weiterem Mafse als das englische (das sie bei felonies ausschliefst usw.). Vgl. G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 438 f., 459 f.; A r c h b o l d , Plead, and evid. (19. ed.) p. 194f.; S t e p h e n , New Comm. (14. ed,) I V p. 383f.; W h a r t o n , A Treatise on the crim. law (2. ed.) p. 883; B i s h o p , New Criminal procedure (4. ed.) I §§ 1273 f. Ob die Jury in ihrem Wahrspruche wirklich der Rechtsbelehrung gefolgt oder aus anderen Gründen zu demselben Ergebnis gekommen ist, steht mit Sicherheit niemals fest. Vgl. oben S. 601. Man hilft sich daher mit Präsumtionen. „Hat der Vorsitzende eine Anweisung erteilt, welche auf einer unrichtigen Auffassung der Rechtslage beruht, so wird angenommen, dafs die Jury sich dieselbe angeeignet habe und dafs also der Wahrspruch auf einem Rechtsirrtum beruhe. Dasselbe wird wohl auch dann schon geschehen, wenn der Vorsitzende auch nur unterlassen hat, den mafsgebenden rechtlichen Gesichtspunkt darzulegen, und es also wahrscheinlich wird, dafs die Geschworenen ihn bei der Prüfung des Beweisergebnisses nicht berücksichtigt haben." G l a s e r S. 484. Übertragung solcher Anschauungen auf die deutschen Verhältnisse mufs schlechthin abgelehnt werden. Der Rechtsbehelf steht nur dem Verurteilten zu. A n einem klar gedachten Anfechtungsprinzip fehlt es, daher die gröfsten Unsicherheiten in der Anwendung. Auch verdict against law — im Widerspruch mit der Rechtsbelehrung — begründet motion for a new trial; G l a s e r S. 439, 465, 484 f.

§ 65. Bedingungen des Sachendurteils.

007

nicht zweifelhaft sein konnte 41 . Doch sollte sich auch dann das Gericht nicht von seiner Belehrungspflicht dispensieren ; eine kurze Erläuterung des mafsgebenden Gesetzes kann sicher niemals schaden. Die Konstatierung, dafs es an Stoff für eine Rechtsbelehrung fehle, wie sie eventuell von L ö w e - H e l l w e g verlangt w i r d 4 2 , ist im Grunde immer unrichtig, kann niemals den vorgeschriebenen Verhandlungsakt ersetzen und würde für den Revisionsrichter bedeutungslos sein. Am Platze wäre eine derartige Erklärung nur, wenn nachträgliche Beweiserhebung Anlafs zu w e i t e r e r Belehrung nicht geliefert hätte und daher der Hinweis auf den frühern Vortrag genügte.

Sechstes Kapitel. Das Urteil 1 . § 65. B e d i n g u n g e n des S a c h e n d u r t e i l s . Der Wahrspruch als Urteilsfragment heischt Ergänzung. Er kann sie nicht finden in einem zweiten Halburteil. Zwei unverbundene Hälften geben nicht ein Ganzes. Es bedarf eines den Wahrspruch als integrierenden Bestandteil in sich aufnehmenden Gesamturteils. Der erhobene Strafanspruch wird erledigt durch das von der Richterbank aus dem Schuldentscheid der Geschworenen 41 I n der Entsch. Bd. 29 S. 263 f. hat der 2. Str.-S. richtig ausgesprochen, dafs Unterlassen erneuter Belehrung nach Erneuerung der Beweisaufnahme zur Aufhebung des Urteils nur führe, wenn dieses darauf beruhe. Dies gilt für die Belehrung überhaupt, ihr Fehlen ist nicht absoluter Revisionsgrund. 42 L ö w e - H e l l w e g zu § 300 Bern. 3. 1 B r a u e r , Schwurgerichtsgesetze S. 162 f., 212f.; D e r s e l b e , Ger.-Saal Bd. 12 S. 541 f.; M i t t e r m a i e r , Gesetzgebung u. Rechtsübung S. 444f., 606f.; S c h w a r z e in Weiskes Rechtslex. X S. 60f., 106f.; P l a n c k , System. Darstell. §§ 123, 147—149; Z a c h a r i a e I S. 277 f., I I § 161; W a l t h e r , Bayer. Strafproz. §§ 99—104; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 317 f.; S c h w a r z e zu §§ 34 f., 91 f. Sächs. Schwurgerichtsges. 1868; G l a s e r , „Urteil" in v.Holtz.Rechtslex. I I I S. 982 f.; D e r s e l b e , Handb. I I S. 542 f.; H. M e y e r in v. Holtz. Handb. I I S. 116 f., 211 f.; G e y e r § 225; v. K r i e s S. 631 f.; U l l m a n n § 121; B i r k m e y e r S. 646 f., 673; B e n n e c k e - B e l i n g § 128; R o s e n f e l d § 9 5 ; L ö w e H e l l w e g zu §§314—316 StPO; U l l m a n n , Österr. Strafproz. § 144; D a l c k e , Fragestellung 2. Aufl. S. 157 f.; F r y d m a n n , Verteidigung S. 352 f., 359f., 365 f. An einer zusammenfassenden Monographie fehlt es. Literatur über einzelne Lehren im Verlaufe der folgenden Darstellung.

§ 65. Bedingungen des Sachendurteils.

608

und dem eigenen Strafentscheid formierte und im Namen beider Kollegien, des Schwurgerichts, verkündete Sachendurteil. Wie jedes andere, ist auch dieses Sachurteil geknüpft an die Existenz der Prozefs- und der Urteilsvoraussetzungen. I. Die P r o z e f s Voraussetzungen als die Bedingungen für die Rechtsgültigkeit des Prozesses überhaupt sind begrifflich für alle Formen des Verfahrens (des akkusatorischen Strafprozesses) die nämlichen. I I . Dagegen sind besondere U r t e i l s Voraussetzungen für besonders gestaltete Prozedurarten sehr wohl denkbar. Und in der Tat besteht im rechtsgültigen Wahrspruch eine spezielle und sehr bedeutsame Voraussetzung des schwurgerichtlichen Sachurteils. Da das Verdikt Urteil — Zwischenurteil — auch seinerseits ist, so gelten auch insofern die Urteilsvoraussetzungen. Man kann sie in der speziellen Beziehung auf das Verdikt die Verdiktsvoraussetzungen nennen. Es sind: 2 gehörige Besetzung des erkennenden Gerichts (der Richter- und der Geschworenenbank, § 377 Z. 1—3 StPO), Anwesenheit aller Personen bei der Hauptverhandlung, deren Anwesenheit das Gesetz fordert (§ 377 Z. 5), Einhaltung der \7orschriften über die Öffentlichkeit (§ 377 Z. 6), Anhörung des Angeklagten nach näherer Vorschrift des Gesetzes, Einheit der Verhandlung (d. h. Einhaltung der Frist des § 228 im Falle der Verhandlungsunterbrechung) 3. Als spezielle Verdiktsvoraussetzungen kommen die Urteilsvoraussetzungen natürlich nur für das Prozefsstadium bis zur Verdiktsabgabe in Betracht. Als Voraussetzungen des G e r i c h t s u r t e i l s , des Endurteils, ergreifen sie die ganze Verhandlung. I I I . Die gehörige Kundgebung und Verkündung, die wesentliche Form, der gesetzentsprechende Inhalt ergeben den Begriff des Verdikts im Rechtssinne, sind nicht dessen Voraussetzungen, wohl aber zusammen eine dem schwurgerichtlichen Verfahren eigentümliche Voraussetzung des Sachendurteils. Ein solches darf nur erlassen werden auf Grund rechtsgültig publizierten, nicht abzulehnenden, der Berichtigung nicht ausgesetzten Verdikts. Sachendurteil an der Hand eines nicht oder mangelhaft bekannt gegebenen, eines durch Geschworenen-Protest entkräfteten 4 , eines mit 2

Vgl. B i n d i n g , Grundrifs des Strafproz. § 123. Diese Voraussetzung dürfte dem Katalog B i n d i n g s zufügen sein. 4 Vgl. oben S. 446 f. 3

noch

hinzu-

§ 65. Bedingungen des Sachendurteils.

formellen oder materiellen 5 Fehlern behafteten Spruchs wäre nichtig. Über den Gebrauch der Kassationsvollmacht bestimmt das Gericht unter Ausschlufs materieller Nachprüfung, es darf daher nicht noch weiter erfordert werden, dafs der Spruch der Aufhebung nicht ausgesetzt sei. Das in diesem Sinne rechtsgültige Verdikt verpflichtet das Gericht zum Sachurteil, falls nicht der Mangel einer anderweiten Urteilsvoraussetzung oder einer Prozefsvoraussetzung entgegensteht, IV. Bei fehlender Prozefsvoraussetzung ist das Verfahren, da es im ganzen ungültig ist und auch in einer neuen Hauptverhandlung zu gültigem Sachurteil nicht führen könnte, durch Einstellungsurteil zu beendigen6. Die Einholung des Wahrspruchs in solchem Falle war ein Prozedurfehler 7. Das Gericht hätte schon vor dem Verdikt einstellen sollen. Nach englischem (in der Hamburg. StPO modifiziert nachgebildetem) Rechte ist der Angeklagte in der Lage, durch spezielle Einreden (pleas) oder durch Bestreiten der Klage vom Rechtsstandpunkte aus (demurrer) auf den Abbruch des Verfahrens hinzuwirken. Die prozessuale Behandlung dieser Bemängelungen, wobei es sich freilich nicht nur um fehlende Prozefsvoraussetzungen handelt, ist technisch verfehlt 8 . 6 Vgl. hierzu S. 511, wo dargelegt ist, dafs mit dem prozessualen Verstofs der Nichtberichtigung des Verdikts, also des Urteilens trotz fehlender Urteilsvoraussetzung, öfters zugleich materielle Urteilsnichtigkeit sich verbindet. 6 Zu tadeln ist, dafs nach Österr. § 317 in Verbindung mit § 259 Z. 1 und 2 „Freisprechung" auch einzutreten hat wegen fehlenden Klagerechts, während doch Einstellung am Platze wäre. 7 Sehr richtig Österr. § 317 : die Fragestellung entfällt, wenn die Verfolgung aus Gründen des Prozeßrechts ausgeschlossen ist. Der österr. Kass.-Hof hat wiederholt ausgesprochen, dafs die nach § 317 gebotene Entscheidung des Gerichts auch dann zu ergehen hat, wenn die Schuldfrage den Geschworenen gestellt und von ihnen bejaht worden war. So E. vom 25. Mai 1883 Samml. Bd. 6 S. 125 f., v. 10. Juni 1887 Bd. 10 S. 36 f. G l a s e r , Handb. I S. 265 Anm. 7 scheint anzunehmen, dafs dem deutschen Richter wegen Nichtaufnahme einer dem § 317 Österr. entsprechenden Bestimmung das Recht nicht zustehe, den Angeklagten noch vor dem Wahrspruch aus prozessualem Grunde aufser Verfolgung zu setzen. Dem ist nicht beizustimmen. 8 Vgl die Darstellung G l a s e r s , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 114 f.; S t e p h e n , New Comm. I V p. 352 f.; H a r r i s , Princ. of the crim. law p. 381 f. Betreffs Hamburg § 206 s. Anlage 5 zu den Mot. (Rechtsfindung im Geschworenengericht) S. 193, 194. Das hamburgische Gesetz vermengt, wie sein Vorbild, Prozefsvoraussetzungsmangel (Fehlen des Strafantrags usw.) mit Tatsachen, welche die Nichtexistenz oder die Aufhebung des materiellen Straf-

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

39

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§ 65. Bedingungen des Sachendurteils.

V. Die Gründe der Nichtbefragung der Geschworenen sind durchaus nicht immer zugleich Einstellungsgründe. Über die Frage der Verjährung, über die Straflosigkeit des Inzests im Falle des §173 Abs. 4 StGB infolge jugendlichen Alters befindet das Gericht und hat daher bei Annahme dieser Momente ohne Befragung der Geschworenen sofort freizusprechen. Das Urteil ergeht auch dann auf Freisprechung, freilich unter abweichender Begründung 9, wenn fälschlicherweise ein Verdikt eingeholt und im Sinne der Schuldbejahung ergangen wäre. Andererseits kann gerade erst aus dem Verdikte die Notwendigkeit der Einstellung resultieren. Die Geschworenen haben durch teilweise Verneinung der Hauptfrage oder durch Verneinung einer qualifizierenden Nebenfrage ein Delikt festgestellt, dessen Aburteilung durch Antragsmangel ausgeschlossen ist. Hier hat erst das Verdikt den Prozefsvoraussetzungsmangel ergeben. Die Gründe der Einstellung sind nicht auch notwendig Gründe der Nichtbefragung, und es gibt Gründe der Nichtbefragung, die nicht Einstellungsgründe sind! VI. Das Fehlen einer Urteilsvoraussetzung bedingt den Abbruch der Verhandlung, wenn nicht sofort, in continenti, das Hindernis gehoben werden kann. Der Prozefs als solcher ist gültig, es kann nur nicht auf Grund dieser vom Mangel affizierten Hauptverhandlung Sachurteil gefällt werden. Dem Fehlen von vornherein steht gleich der Wegfall anfänglich gegebener und der Nichteintritt einer solchen Urteilsvoraussetzung, die erst im Laufe der Verhandlung erbracht werden kann. Wird ein Richter zu fernerer Funktion unfähig, ohne dafs ein Ergänzungsrichter zur Verfügung steht, so mufs die Verhandlung sich erneuern, wie entsprechend mangelhafte B i l d u n g des erkennenden Gerichts den Abbruch notwendig macht. Das rechtsgültige Verdikt als Urteilsvoraussetzung soll durch die Verhandlung geliefert werden. Ist Grund des Verdiktsmangels das Fehlen einer allgemeinen Urteilsvoraussetzung, z. B. die jetzt erst bemerkte Unfähigkeit eines Geschworenen, so mufs die Verhandlung abgebrochen werden; nur eine völlig neue Verhandlung kann zum Ziele führen. Ein spezifischer Verdiktsmangel hingegen, ungenügende Kundgebung, formelle, sachliche Inkorrektheit usw., läfst die Verhandlung im übrigen unberührt anspruchs ergeben (Fehlen eines anwendbaren Strafgesetzes, Verjährung) und läfst in beiden Fällen Freisprechung durch das Gericht eintreten. 9 Vgl. unten § 66 sub I X 2 c.

§ 65. Bedingungen des Sachendurteils.

611

und ist in deren Fortführung durch Neukundgebung, Kundgebungsnachtrag, im Wege des Berichtigungsverfahrens usw. abzustellen. VII. Mit dem Erlasse des Sachendurteils ist — vorbehaltlich der Nachprüfung in der Revisionsinstanz — der Urteilscharakter des Verdikts, der Mangel eines ihm anhaftenden Verwerfungsgrundes, endgültig festgestellt. Das vom Gericht abgelehnte (auf Protest eines Geschworenen hin) oder für berichtigungsbedürftig erklärte Verdikt verliert eben hierdurch — wiederum unter Vorbehalt der Entscheidung des Revisionsgerichts — die Urteilsnatur. Das Nichtbestehen eines \7erwerfungsgrundes und damit der Charakter eines g ü l t i g e n Urteils bleibt problematisch und das Verdikt kommt jedenfalls nicht zu der angestrebten Urteilswirkung, wenn statt eines Sachurteils ein Einstellungsurteil ihm nachfolgt. Auch in diesem Falle kann die Entscheidung des Revisionsgerichts zu anderem Ergebnis führen. Das Einstellungsurteil ist aufzuheben und die Sache unter Aufrechterhaltung des Verdikts an die untere Instanz zurückzuverweisen, wenn Prozefsvoraussetzungsmangel zu Unrecht angenommen war und das Verdikt für rechtsbeständig, insbesondere für nicht berichtigungsbedürftig erkannt wird. Ein formell oder materiell ungenügendes Verdikt hingegen mufs mit dem Einstellungsurteil aufgehoben werden, so dafs die Verhandlung in der untern Instanz sich im ganzen erneuert. Der erste Richter hatte, weil er die Voraussetzungen eines Einstellungsurteils annahm, nicht Anlafs, das Verdikt erst noch berichtigen zu lassen; Nachholung ist unmöglich, also mufs ein neues Verdikt ergehen. Der Wortlaut des § 393 StPO darf nicht irreführen : die Verdiktsfeststellungen liegen freilich dem Einstellungsurteil „nicht zu gründe", sie sind ihm nur vorangegangen; die Gesetzesfassung berücksichtigt nicht den nur im schwurgerichtlichen Verfahren gegebenen Fall des Schuld-Zwischenurteils. Das Revisionsgericht kann andererseits in die Lage kommen, reformierend auf Einstellung zu erkennen, wobei dann das Verdikt in demselben Sinne seine Bedeutung verliert, als ob bereits die erste Instanz eingestellt hätte. Die früher dargelegte Analogie zwischen dem Verdikt und dem zivilprozessualen Zwischenurteil über den Anspruchsgrund ist — von anderen dort schon erwähnten Differenzen abgesehen10 — auch insofern keine völlige, als das letztere Urteil selbständig an10

Vgl. oben S. 434. 39*

§ 65. Bedingungen des Sachendurteils.

612

fechtbar (und daher auch selbständig rechtskraftsfähig) ist (§ 304 ZPO). Das Verdikt hingegen gilt formell nur als dem Urteil vorgängige Feststellung und wird anders als das entsprechende Zivilzwischenurteil in die Schicksale des Endurteils in der höhern Instanz vielfach mit verwickelt. V I I I . Mängel des Verfahrens, die nicht im Fehlen einer Prozefs- oder Urteilsvoraussetzung bestehen, also prozessuale Verstöfse im Laufe der Hauptverhandlung, berechtigen nicht, dem Verdikte das ergänzende Sachurteil zu versagen, mag der Fehler vor dem Verdikte liegen oder erst nachher gemacht worden sein. Denn im Verdikte ist bereits geurteilt worden und bei dieser einen Urteilshälfte kann es nicht bleiben n . Dem nicht ablehnbaren und nicht berichtigungsbedürftigem Verdikt mufs, sofern nicht eine Prozefs- oder Urteils Voraussetzung fehlt, das Sachurteil folgen. Ein Gericht, das ohne Rücksicht auf einen noch rechtzeitig erkannten und noch heilbaren Prozefsfehler urteilen würde, fügte damit dem ersten Verstöfse einen weit schwereren neuen hinzu. Vielmehr ist vor dem Urteile durch Wiederholung des Prozefsaktes 12 , nachträgliche Beeidigung eines Zeugen usw., Ausscheiduug einer unzulässigen Beweishandlung aus den Urteilsgrundlagen (eine Denkoperation, die in den Urteilsgründen besonders zu konstatieren 11

Nach der franz. Praxis ist das Gericht, auch wenn Verdikt noch nicht ergangen ist, nicht befugt, wegen eines nicht mehr zu reparierenden Nichtigkeitsgrundes die Verhandlung abzubrechen. Vgl. das vielbesprochene Urteil des Kass.-Hofs v. 28. Febr. 1833, S i r e y , Recueil 33, 1, 414; H é l i e , Traité V I I I p. 806 f.; T r é b u t i e n , Cours élém. de dr. crim. I I n. 584. Dagegen mit Recht G l a s e r I I S. 536 f., insbesondere Anm. 65. Bei Wegfall eines Geschworenen im Laufe der Verhandlung wird auch in Frankreich Abbruch, d. h. im Sinne des code (art. 331, 354, 406) renvoi de l'affaire à la prochaine session, zugelassen, vgl. die Präjudizien bei S i r e y et M a l e p e y r e art. 406 η. 20 u. 21. Das englische Recht bestimmt für eine Reihe von Fällen, zu denen auch Mangel gewisser Prozefs- und Urteilsvoraussetzungen (Geisteskrankheit des Angeklagten, falsche Bildung der Jury usw.) gehört — ohne dafs freilich diese Kategorien als solche erfafst wären —, Entlassung der Jury ohne Wahrspruch ; G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 141 f. 12 Ein Beispiel aus der schwurgerichtlichen Praxis — öffentliche Neuvornahme von Verhandlungsakten, die versehentlich nicht-öffentlich geschehen waren — in RG E. Bd. 35 S. 353 f. Vgl. ferner E. Bd. 38 S. 216 f.: in schwurgerichtlicher Sache waren versehentlich in Abwesenheit des Verteidigers dem Angeklagten einige Fragen vorgelegt worden; mit Recht hat der 1. Str.-S. ausgesprochen, es hätte der Wiederholung des Verhandlungsaktes in rechtsgültiger Form bedurft (ob nicht diese Voraussetzung im konkreten Falle durch das Verfahren des Vorsitzenden erfüllt war, kann dahingestellt bleiben).

§ 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch.

ist) usw.. Abhilfe zu suchen 13 . Nach Abgabe des Geschworenenurteils kommt eine solche Aktion jedenfalls dann noch in Betracht, wenn der Verstofs auch den Gerichtsentscheid zur Straffrage belasten würde. Vielleicht läfst sich der Mangel noch mit rückwirkender Kraft für das Verdikt heilen, so durch nachträgliche Beeidigung eines Zeugen, auf dessen Aussage das Verdikt präsumtiv mit beruht. Öfters aber wird der Fehler, obwohl die von ihm affizierte Prozefshandlung an sich für Schuld- und Straffrage erheblich ist, im Hinblick auf das Verdikt bereits irreparabel sein. Der Einflufs, den ein unzulässiger Beweisakt auf das Verdikt geübt haben kann, läfst sich schlechterdings nicht mehr paralysieren. Und bestimmte Prozefsakte werden nur zur Vorbereitung des Schuldentscheids vorgenommen, liefern dem Strafentscheid keine Materialien: hier ist Abhilfe nicht mehr denkbar; wurden z.B. in einem sachlichen Berichtigungsverfahren die Geschworenen bedeutet, dafs Änderungen der korrekten Antworten unzulässig seien, so kann, wenn das neue Verdikt nicht abermals der Berichtigung unterliegt, an dem einmal geschehenen Prozefsverstois nichts mehr geändert werden. Da das Gericht sich mit den Geschworenen in die Urteilsaufgabe teilt, so kann es in die Lage kommen, auf Grund eines als ungültig erkannten Verdikts auch seinerseits ungültig urteilen zu müssen ; ein Grund mehr zu peinlich genauer Beobachtung der Prozefsvorschriften in einem Verfahren, das nach seiner ganzen Anlage schon an sich erhebliche Nichtigkeitsgefahr einschliefst! § 66. Das V e r h ä l t n i s des U r t e i l s zum W a h r s p r u c h . L Das Richterkollegium setzt im Sachurteil die vom Geschworenenkollegium begonnene Arbeit fort, nimmt den Wahrspruch als wesentlichen, unentbehrlichen Bestandteil in das Urteil auf und zieht durch Verurteilung des Angeklagten zu bestimmter Strafe oder durch dessen Freisprechung die Konsequenz. Das Urteil ergeht über den im Wahrspruch nach der Schuldseite hin abgeurteilten Strafanspruch. Verurteilung und Freisprechung beziehen sich auf die in der Fragestellung fixierte, von der Fragbeantwortung ergriffene Klage. Ein Rückgriff auf den Eröffnungsbeschlufs über den Wahrspruch hinaus, z. B. durch Freisprechung von einem nicht mit erfragten oder von den Geschworenen 13

Vgl. oben S. 598.

§ 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch.

nicht mit beantworteten Anklagepunkt (von einem vergessenen realkonkurrierenden Delikt, von der Anklage der Anstiftung usw., die im Wahrspruch wegen Verneinung der Schuld des Angestifteten usw. unerledigt geblieben war usw.), steht dem Gerichte niemals zu. Der Wahrspruch ist keineswegs nur Teil der Entscheiduogsgründe, wie eine oberflächliche Betrachtungsweise aus § 316 S. 1 StPO vielleicht folgern möchte, sondern Teil der Entscheidung. Die Verurteilung, die Freisprechung enthalten Schuldbejahung, Schuldverneinung nach Mafsgabe des Verdikts, wobei zu beachten ist, dafs anscheinende Schuldbejahung in Wahrheit Schuldverneinung sein und trotz der Schuld Straflosigkeit des Angeklagten feststehen kann. Das Verdikt w i r k t als Entscheidung nur, sofern es im Urteil reproduziert wird. In demselben Augenblick aber verliert es seine Selbständigkeit. Nach formeller, materieller Rechtskraft des Verdikts als solchen zu fragen 1, wäre durchaus mifsverständlich. Als Urteilsbestandteil hingegen partizipiert das Verdikt selbstverständlich an der Rechtskraft. Urteil im Sinne der Rechtskrafts- und der Rechtsmittellehre der StPO ist nur die in die Urteilsform gewiesene Entscheidung. Fälschliche Abweisung des erstergangenen Verdikts als nicht reproduktionsfähig und Aufnahme des zu Unrecht erforderten berichtigenden Verdikts ist Revisionsgrund. Das reproduzierte Verdikt ist durch das Urteil juristisch konsumiert und daher nicht mehr berichtigungsfähig und nicht mehr nach § 317 kassierbar. Das Verdikt ist zugleich Voraussetzung und wesentlicher Inhalt des Sachurteils. I I . Es gibt nach deutschem Rechte, abgesehen vom Fall liquiden, zur Kognition des Gerichts stehenden Strafausschliefsungsgrundes, nicht schwurgerichtliches Sachurteil ohne Verdikt. Das sog. Auto-Verdikt ist von der StPO nicht aufgenommen worden. Der englische Richter urteilt auf glaubwürdig erscheinendes Geständnis des Angeklagten hin ohne Geschworene2, aber er braucht das Geständnis, wenn er ihm mifstraut, nicht anzunehmen, kann dessen Protokollierung verweigern. Immerhin ist 1

So K ü s s n e r in Goltd. Arch. Bd. 3 S. 205. B i e n e r , Engl. Geschworenengericht I S. 355; M i t t e r m a i e r , Engl., schott., nordamerik. Strafverfahren S. 352f.; S t e p h e n , New Comm. I V p. 349. 2

§ 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch.

eine solche summarische Geständniswürdigung von sehr problematischem Werte 3 , die Gleichstellung von Geständnis und Verdikt verfehlt, weil ersteres nur auf Tatsachen sich bezieht, dieses den gesetzlichen Deliktstatbestand feststellt 4 und daher diese englische Spezialität entschieden zu verwerfen 5. 8 In welchem Umfange es nach R e i c h s r e c h t neben dem Geständnis noch einer Beweisaufnahme bedarf, steht hier nicht zur Untersuchung. Die Besonderheit des schwurgerichtlichen Verfahrens kommt in dieser Hinsicht nur insofern in Betracht, als das Gericht zu bedenken hat, dafs über die Glaubwürdigkeit des Geständnisses die G e s c h w o r e n e n entscheiden. 4 Vgl. H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 235 f.; v. A r n o l d , Gerichtssaal V I I Bd. 1 S. 265 f. S. auch H e i n z e , Ein deutsches Geschworenengericht S. 109 f. und Strafproz. Erörterungen S. 83 (H. will einen Verzicht des geständigen Angeklagten auf Geschworenenspruch zulassen und zwar schon vor der Hauptverhandlung; wie es gehalten werden soll, wenn dann in der Hauptverhandlung der Angeklagte leugnet, wird nicht gesagt). 5 Wunderlich K ö s t l i n s , Wendepunkt des deutsch. Strafverfahrens S.33f., zustimmende Deduktion: die Geschworenen vertreten durch ihren Wahrspruch das Gewissen des Angeklagten, ein glaubwürdiges Geständnis macht also den Ausspruch des Volksgewissens überflüssig. Als ob der Prozefs statt Wahrheitsermittelung „Gewissensaussprüche" anstrebte und eine „Gewissensvertretung" überhaupt möglich wäre! Einige deutsche Prozefsordnungen folgten dem englischen Vorbild: Württ. 1849 Art. 90 (nicht auch Württ. 1868); eingehend Frankf. 1856 Art. 262 f. (bei vollem Geständnis schriftliches Verfahren: Aburteilung auf Grund der Akten unter Zulassung von Protokollverlesungen, Art. 263); Kob.-Gotha 1857 Art. 282; Preufs. 1852 Art. 75; Preufs. 1867 §§ 345 f.; Hamb. 1869 § 205. Das Gegenteil bestimmte ausdrücklich Braunschw. 1849 § 134. Sachs. 1868 §§ 34 f. suchte das Verfahren insofern zu verbessern, als bereits die Anklagekammer auf glaubhaftes Geständnis hin den Angeklagten statt vor das Geschworenengericht vor das Bezirksgericht zur Aburteilung verweisen konnte; im Falle nachträglichen Geständniswiderrufs war dann eventuell die Verweisung wieder aufzuheben, die Zuständigkeit des Geschworenengerichts wieder herzustellen, § 37. Ähnlich Bremen 1870 §§ 530 f. Einen Übergang zu dieser Rechtsbildung enthielt bereits Preufs. 1867 § 347 (bei Geständnis vor der Hauptverhandlung Verhandlung zunächst ohne Jury, jedoch unter Vorbehalt der Zuziehung von Geschworenen — unter Erneuerung der Verhandlung — wenn der Gerichtshof dies noch für erforderlich erkennen sollte), vgl. ferner §§ 446 f. das. In der Richtung des sächs. Ges. bewegte sich § 80 b des Entw. zur Abänderung von GVG und StPO von 1885. Gegen diese letztere, von S c h w a r z e , Ger.-Saal Bd. 38 S. 65f., verteidigte Regelung spricht neben anderen Gründen (Unzulänglichkeit des Geständnisses gegenüber Tatbestandsmomenten, die sich der Kenntnis und Beurteilung des Angeklagten entziehen, wie z. B. Kausalität der Verletzung für den eingetretenen Tod; erhebliche prozessuale Weiterungen und zahlreiche Zweifelsfragen infolge der projektierten Verfahrensgestaltung) entscheidend die Tatsache, dafs die

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III. Es gibt nach deutschem Rechte (abgesehen wieder von liquidem Strafaufhebungsgründe usw.) nicht schwurgerichtliches Sachurteil ohne Verdiktsreproduktion. Wiederum differiert das englische Recht. Haben die Geschworenen „Nichtschuldig" gesprochen, so wird vom Richter lediglich die Entlassung des Angeklagten verfügt 6 . Das „Nichtschuldig" ist freisprechendes Endurteil. Denn die Jury hat nicht Schuldfragen des Richters verneint, sondern die Anklage verworfen. Dem Schuldigverdikt folgt in England nicht noch eine Schuldigsprechung, sondern nur die Strafbestimmung 7. Formell fehlt also auch diesem Urteile der Bezug auf das Verdikt. Materiell aber enthält auch die englische Verurteilung Schuldbejahung gemäfs dem Verdikt, denn die Annahme des „Schuldig" vollzieht sich erst im Endausspruch des Richters. Die Voraussetzungen und Formen der Ablehnung eines solchen Verdiktes sind andere als nach deutschem Recht, aber die Ablehnungsbefugnis besteht8. IV. Verdikt und Sachurteil gehören durchaus in der Regel einer und derselben Hauptverhandlung an. Nur bei Zurückverweisung in die untere Instanz unter Aufrechterhaltung des Verdikts fufst das Sachurteil auf dem Schuldausspruch einer früheren Verhandlung. V. Das Sachurteil als Werk der beiden Richterkollegien ist „Urteil des Kgl. usw. Schwurgerichts", Urteil der Geschworenen so gut als der Richter. Doch werden, weil das Gesamturteil von den Richtern formiert wird, in dessen Eingang nur diese, nicht auch die Geschworenen genannt. Bei der Urteilsverkündung müssen — sofern nicht das Verdikt von früherer Verhandlung her beibehalten ist nach Anweisung des Revisionsgerichts — die s ä m t l i c h e n Urteiler, Geschworene wie Richter, zugegen sein. In dem Ausnahmefall der Verhandlung vor der Strafkammer auf Grund früheren Verdikts sind nur die Richter Prüfung des Geständnisses durch die Anklagekammer eine flagrante Verletzung des Mündlichkeitsprinzips enthält. Vgl. zu diesen Fragen G l a s e r I S. 605 Anm. 6 und die dort gegebene Literaturzusammenstellung; dazu noch M a y e r , Geschworenengerichte und Schöffengerichte S. 196 f.; D e r s e l b e , Streiflichter auf den gegenwärt. Strafprozefs S. 114 f. 6 A r c h b o l d , Plead, and evid. p. 179; S t e p h e n , New Comm. I V p.384; G l a s e r , Schwürgerichtl. Erörterungen S. 5. 7 S t e p h e n a. a. 0. p. 391. 8 Vgl. dazu oben S. 437 Anm. 2.

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dabei anwesend, die Verhandlung verläuft ohne Heranziehung von Geschworenen. Der Entscheid der Strafkammer im Anschlufs an früheres Verdikt hat die Bedeutung eines schwurgerichtlichen Urteils. Die Strafkammer ist stellvertretendes Organ der schwurgerichtlichen Rechtspflege und erkennt „Namens des Egl. Schwurgerichts". VI. Das Sachurteil wird nach StPO gefällt von der Richterbank — auf der Grundlage des Verdikts —, niemals vom Vorsitzenden allein. Anders nach französischem Recht und den meisten frühern deutschen Prozefsordnungen im Falle eines auf Nichtschuldig lautenden Wahrspruchs 9. Da die Prüfung der Haltbarkeit eines solchen Spruchs wie immer Sache des Kollegiums ist — es kann dem Spruche ein formeller Mangel, Fehlen der Unterschrift des Obmanns z. B., anhaften, es kann Vervollständigung geboten sein, indem z. B. die Geschworenen wegen Verneinung der Schuld des Angestifteten die Anstifterfrage unerledigt gelassen haben usw. —, so hat füglich auch die Annahme des Spruchs und die Freisprechung, in der sie zum Ausdruck kommt, vom Kollegium auszugehen. Bei dem Präsidentenentscheid nach französischem Muster ist die mögliche Berichtigungsbedürftigkeit des Spruchs nicht genügend berücksichtigt. Der Spruchprüfung seitens des Kollegiums darf nur durch Kollegial-, nicht durch Präsidentenurteil ein Ziel gesetzt werden. VII. Das Gericht ist an nichtberichtigungsbedürftiges Verdikt insofern gebunden, als nicht etwa auszuscheidende Bestandteile darin enthalten sind. Ungefragte Feststellungen, beigefügte Gründe usw. 10 liefern nicht Urteilsmaterialien. Sie sind unverbindlicher Verdiktsinhalt. Auch der Mangel eines Ausscheidungsbeschlusses macht sie nicht zu relevanten Teilen des Urteils. Es müfste denn das Gericht in völliger Verkennung der Rechtslage 9

Code art. 358; Kurh. 1848 § 334 (anders Kurh. 1863 § 165: G e r i c h t ; dieses Gesetz sagt nur, „es werde sofort die Freisprechung verkündigt", was auf das Gericht bezogen werden mufs, da entsprechende Befugnis des Präsidenten der ausdrücklichen Anerkennung bedurft hätte); Hess.-Darmst. 1848 Art. 189 (anders 1865 Art. 387: G e r i c h t ) ; Württ. 1849 Art. 173 (anders 1868 Art. 389: G e r i c h t ) ; Hann. 1850 § 195 und 1859 § 201; Braunschw. 1849 § 150; Thür. 1850 Art. 297; Bad. 1851 § 101 u. 1864 § 290; Frankf. 1856 Art. 257; Oldenb. 1857 Art. 344; Hamb. 1869 § 224. Das G e r i c h t hat zu urteilen nach Bay. 1848 Art. 198; Preufs. 1849 § 118; Preufs. 1867 § 344; Kurh. 1863; Hess.-Darmst. 1865; Württ. 1868; Sachs. 1868 § 91; Bremen 1870 § 521. Ebenso bestimmt Österr. § 334. 10 Vgl. oben S. 470 f.

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auf eine ungefragte Antwort die eigene Entscheidung mit basiert haben. Dann wäre das Urteil im Revisionswege aufzuheben. Eine Ergänzung des Schuldentscheids der Geschworenen durch eigene tatsächliche Feststellungen des Gerichts über Momente der Schuldfrage ist völlig unzulässig11. Das Gericht soll, auch bei eigener abweichender Schuldauffassung, nach Kräften bemüht sein, alle Konsequenzen des Spruchs zu ziehen. Das Urteil ergeht, soweit der Schuldentscheid reicht, auf die Verantwortung der Geschworenen hin. Freilich ist's dem Gerichte zuweilen kaum möglich oder direkt unmöglich, einer von ihm nicht geteilten Schuldannahme dem Geiste des Verdikts entsprechend in der Strafzumessung gerecht zu werden. Es wird in solchen Fällen unwillkürlich die eigene Schuldüberzeugung das Strafmafs in der Richtung der Strenge oder Milde beeinflussen. Das Urteil leidet dann trotz äufserer Harmonie seiner Teile an innerem Widerspruch. Haben sich die Fragen und Antworten aus Rücksichten der Tatindividualisierung auf Momente erstreckt, die als Strafzumessungsgründe erheblich sind, so hat sie nun auch das Gericht loyalerweise bei seiner Strafermittelung als Rechnungselemente mit einzustellen. Aber wie alle Strafzumessung entzieht sich auch die gehörige Mitverwertung der entsprechenden Verdiktsfeststellungen der Kontrolle. Gerade wegen der Präjudizialität für das Urteil sollte das Gericht bei der Aufnahme von Strafzumessungsgründen in die Fragen nicht weiter gehen, als der Individualisierungszweck es erheischt. Dafs die Bejahung mildernder Umstände nur durch Änderung des Strafrahmens wirkt, wegen der völligen Unbestimmtheit der „Umstände" aber positive Strafzumessungsgründe nicht an die Hand gibt, wurde früher bereits zur Genüge betont. V I I I . Aus dem s c h u l d b e j a h e n d e n Verdikt erwächst dem Gerichte zunächst die Aufgabe, die festgestellten Tatsachen auf ihre Beziehung zum Strafgesetz zu prüfen, mit andern Worten die S u b s u m t i o n s f r a g e endgültig zu entscheiden. Die übliche Entgegensetzung von S c h u l d - und S t r a f frage ist unvollständig. Das Gericht hat nicht nur, wie ungenau gesagt wird, die S t r a f frage zu lösen. Denn der WTeg von der Schuld zur Strafe führt durch das Strafgesetz. Ehe nicht dessen 11 Vgl. den Fall bei O p p e n h o f f 12 S. 294: das Gericht war zur Freisprechung gelangt, indem es den Schuldspruch durch Feststellung einer weiteren Tatsache ergänzte und damit desavouierte.

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Anwendbarkeit an sich feststeht, also die Subsumtion vollzogen ist, kann nicht das Gericht über etwa noch in Betracht kommenden Straffortfall und über die Art und das Mafs der verwirkten Strafe befinden. Es ist in zwiefacher Hinsicht ein Doppelsinn von „Schuldfrage" im Gesetze zu konstatieren. Die „Schuldfrage" gemäfs § 262 StPO, die zu ungunsten des Angeklagten nur mit Zweidrittelmehrheit entschieden werden kann, begreift in sich die Subsumtionsfrage. Das ist insofern ganz zweifellos, als die Schuldfragen an die Geschworenen hypothetisch die Subsumtion unter das Strafgesetz bereits enthalten. Es trifft aber ganz ebenso zu für die dem Gericht noch obliegende abschliefsende Subsumtionstätigkeit. In dieser Beziehung wird die Rechtslage in der schwurgerichtlichen Literatur noch vielfach verkannt, obwohl B i n d i n g , Grundrifs § 89, mit aller wünschenswerten Bestimmtheit die Dreiteilung von Schuldfrage, Subsumtionsfrage, Straffrage längst durchgeführt h a t 1 2 . Am auffälligsten wohl von K r i e s 1 3 . Dem Gerichte stehe nach Bejahung der Schuldfrage seitens der Geschworenen keinerlei Prüfung mehr darüber zu, ob in den von den Geschworenen festgestellten Tatsachen eine strafbare Handlung zu finden sei; es liege daher ein Widerspruch vor, wenn die Geschworenen die Schuldfrage unter Verneinung eines konstitutiven Tatbestandsmerkmals bejaht hätten. In Wahrheit ist die Subsumtion seitens der Geschworenen nur eine provisorische, der Nachprüfung durch das Gericht bedürftige, und es mufs öfters noch eine selbständige, den Spruch ergänzende Subsumtion hinzukommen. Das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit für die gerichtliche Subsumtion14 ist allerdings durchaus in der Regel bedeutungslos, da sie bei der Zusammensetzung des Gerichts mit der einfachen Mehrheit zusammenfällt. Wurde aber unter Aufrechterhaltung des Spruchs an die Strafkammer zurückverwiesen, so ist das Requisit auch praktisch: es bedarf für die Subsumtion zu ungunsten des Angeklagten der Zweidrittelmehrheit; sind zwei Richter gegen die Anwendbarkeit des Strafgesetzes, so kann die Tat nicht darunter gezogen werden. 12

Vgl. auch oben S. 10 f. Lehrbuch S. 629. Vgl. dagegen U l l m a n n S. 530; B i r k m e y e r S. 654. 14 Das Erfordernis wird bestritten von v. S c h w a r z e zu § 262 Bern. 1. Vgl. dagegen B i n d i n g a. a. Ο. V I I I ; L ö w e - H e l l w e g zu § 262 Bern. 2a V o i t u s , Kontroversen I I S. 445 f. 18

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Die „Schuldfrage" gemäfs § 81 GVG, der Anteil der Geschworenen an der Rechtsfindung, schliefst öfters — worüber alsbald Genaueres — gewisse für die Subsumtion wesentliche Er» wägungen nicht mit ein und ist insofern der engere Begriff gegenüber der „Schuldfrage" des § 262 StPO. Dafs „Schuldfrage" im Gesetze auch insofern doppelsinnig ist, als der eigentlichen Schuldfrage im Hinblick auf die Abstimmung (das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit) und die Geschworenenkompetenz gewisse zur Straffrage gehörige Momente (§§ 262 Abs. 2, 295 Abs. 2 StPO) hinzugefügt werden, unter gleichzeitiger Verweisung des Rückfalls zur „Straffrage" (§ 262 Abs. 3), wurde an anderer Stelle schon ausgeführt 15 . Sache des Gerichts ist es, die von den Geschworenen bejahten Tatsachen mit den strafgesetzlichen Tatbeständen zu vergleichen, eine Prüfung, die besonders in den Fällen teilweiser Bejahung und in den Verhältnissen der Ideal- und Gesetzeskonkurrenz bedeutsam ist. Ein negatives Ergebnis, die Unanwendbarkeit des Strafgesetzes , führt zur Freisprechung 16 , es müfste denn eine Unvollständigkeit der Fragsubstantiierung (Auslassung eines gesetzlichen Merkmals usw.) oder eine unvollständige Beantwortung richtig gestellter Fragen erhellen und daher noch das Berichtigungsverfahren einzuleiten sein. Selten wird der Fall sein, aber er ist nicht zu übersehen, dafs die miterfragten und von den Geschworenen bejahten konkreten Tatumstände den gesetzlichen Deliktsmomenten nicht subsumierbar sind und das Gericht jetzt noch auf diese Unmöglichkeit aufmerksam 15

Vgl. oben S. 14. So ausdrücklich code art. 364; Bay. 1848 Art. 202 — dazu M i t t e r m a i e r , Ger.-Saal Jahrg. I V 2 S. 232 f. — ; Hess.-Darmst. 1848 Art. 194 u. 1865 Art. 390; Hess.-Homb. 1850 Art. 157; Württ. 1849 Art. 178 u. 1868 Art. 391; Preufe. 1849 § 125 — dazu A h e g g , Ger.-Saal Jahrg. I I 1 S. 459 f. — ; Frankf. 1856 Art. 259; Oldenb. 1857 Art. 348; Hann. 1859 § 201·, Kurh. 1863 § 165 Abs. 2; Bad! 1864 § 292 Abs. 2; Sachs. 1868 § 92; Brem. 1870 § 526. Auch Hamb. 1869 ist insofern hierher zu rechnen, als die Freisprechung wegen Straflosigkeit der inkriminierten Tat nach § 206 (in Verbindung mit § 138) entweder alsbald, ohne Einholung eines Geschworenenspruchs, oder noch nach dessen Abgabe erfolgt. Auch Österr. § 337 spricht aus, dafs der Gerichtshof auf Freisprechung zu erkennen habe, wenn die Tat, welche der Angeklagte nach dem Ausspruche der Geschworenen begangen habe, vom Gesetze nicht mit Strafe bedroht sei. Dazu U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 678; M a y e r zu § 337 Bern. 4. 16

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wird. Dann ist freizusprechen, denn die von den Geschworenen festgestellte konkrete Tat ist nicht eine „ Straf "-Tat 1 7 . Selbständige Subsumtionsaufgaben erwachsen dem Gericht namentlich in drei Beziehungen18 : 1. Im Strafgesetz ist analoge Anwendung sanktioniert; vgl. z.B. § 302 und 302b StGB: „unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder u n t e r ä h n l i c h e n V e r s i c h e r u n g e n oder B e t e u e r u n g e n " . Wurde von den Geschworenen auf Befragen eine im Gesetz nicht benannte Tatbestandsform festgestellt, so hat das Gericht zu beurteilen, ob sie eine „ähnliche" ist, ob der Analogieschlufs Raum hat, die Strafgesetzanwendung indiziert ist. 2. Während der Tatbestand des Gesetzes als einzelnes Moment eine allgemeine Kategorie deliktischen Tuns aufgenommen, z. B. die Nichtanzeige eines „gemeingefährlichen Verbrechens" mit Strafe bedroht hat (§ 139 StGB), wurden die Geschworenen zutreffend nach dem im Einzelfall mafsgebenden Speziesdelikt (Brandstiftung z. B.) befragt. Ob die so festgestellte Verbrechensart dem gesetzlichen Genus subsumiert werden kann, steht zur abschliefsenden Prüfung des Gerichts. 3. Wenn ein Blankettgesetz für den Tatbestand des Delikts l e d i g l i c h auf die Norm verweist (vgl. z.B. § 145 StGB: „wer die vom Kaiser zur Verhütung des Zusammenstofsens der Schiffe auf See erlassenen Verordnungen übertritt"), so kann auch die Frage nur aus der N o r m substantiiert werden. Es wird daher von den Geschworenen die Anwendbarkeit des S t r a f g e s e t z e s nicht festgestellt, und es ist erst Sache des Gerichts, diese Subsumtion zu vollziehen. 4. Frühere Gesetze haben zuweilen das Gericht an der Prüfung der Schuldfrage nicht nur, soweit sie in Wahrheit Subsumtionsfrage ist, sondern in vollem Mafse dann beteiligt, wenn die Geschworenen nur mit einfacher Mehrheit die Schuld bejaht hatten 19 . 17

Vgl. H. M e y e r , Tat- und Rechtsfrage S. 224f.; G l a s e r , Fragestellung S. 891; S t a h l in Goltd. Arch. Bd. 24 S. 186 f., 191. Aus der österr. Praxis: Kass.-Hof v. 24. Mai 1880 E. Bd. 3 S. 227 f. Unklar Z a c h a r i a e I I S. 558 f. 18 Vgl. zum folgenden O e t k e r im Ger.-Saal Bd. 64 S. 118, 119, 122, 157. 19 Code art. 351 : „Si l'accusé n'est déclaré coupable du fait prinzipal qu'à une simple majorité, les juges délibéreront entre eux sur le même point; et si l'avis de la minorité des jurés est adopté par la majorité des juges, de telle sorte qu'en réunissant le nombre des voix, ce nombre excède celui de la majorité des jurés et de la minorité des juges, l'avis favorable à l'accusé

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Es devolvierte insofern auf das Gericht eine Geschworenenaufgabe. Die Richter gaben nicht einen motivierten Schuldentscheid, sondern ein Oberverdikt ab ohne Anführung von Gründen. 5. Endlich ist zu erinnern an die im altern Recht vielfach vorgeschriebene Ausscheidung juristischer Elemente aus der Schuldfrage und deren Ersetzung durch die entsprechenden tatsächlichen Momente 20 , womit die Subsumtionsprüfung insofern von vornherein dem Gerichte überwiesen war. — Eine mehrfache Subsumtionsprüfung liegt den Geschworenen und endgültig dem Gerichte ob, wenn zwischen der Begehung und Aburteilung des Delikts die Strafgesetze sich geändert haben und wenn bei ausländischer Begehung die Strafbarkeit nach beiden Rechten, dem inländischen und dem ausländischen, erfordert ist. IX. Die Eigentümlichkeit der Schwurgerichtsurteile liegt nicht in ihrem Inhalt, der ganz wie bei anderen Urteilen in Freisprechung, Verurteilung, Einstellung des Verfahrens besteht, sondern in ihrer Abhängigkeit vom Schuldentscheide der Geschworenen. Die Beziehung zum Verdikt ist für die drei Urteilsarten gesondert zu prüfen. 1. Glatte Verneinung der Hauptfrage und Bejahung dieser Frage in Verbindung mit Bejahung einer strafaufhebenden Nebenprévaudra" (aufgehoben durch Ges. v. 4. März 1831); Hess.-Darmst. 1848 Art. 185: bei Bejahung der Haupttat, Verneinung strafaufhebender Nebenfrage mit sieben gegen fünf gilt die Schuld erst als feststehend, wenn die Mehrzahl der Richter der Mehrzahl der Geschworenen beitritt. Ebenso Hess.-Homb. 1850 Art. 148; detaillierter Hess.-Darmst. 1865 Art. 384; Preufs. 1852 Art. 98: „Wenn die dem Angeklagten nachteilige Beantwortung einer Frage nur mit einer Mehrheit vqji sieben gegen fünf Stimmen beschlossen ist, so tritt der Gerichtshof selbst in Beratung und entscheidet ohne Angabe von Gründen über den von den Geschworenen mit nur sieben gegen fünf festgestellten Punkt." Ähnlich Preufs. 1867 § 340; Hamb. 1869 § 221. Diese Einrichtung enthielt einen inneren Widerspruch, indem sie den Richtern den Schuldentscheid aushilflich zurückgab, der ihnen zunächst zugunsten der vermeintlich besser urteilenden Geschworenen entzogen war, führte zu Abschwächung der Geschworenenverantwortlichkeit, weil diese leicht die Entscheidung dem Gericht zuschieben konnten, zu bedenklichen Schuldsprüchen gegen dissentierende Minoritäten b e i d e r Kategorien (nach dem code unter Umständen sogar gegen die Minorität der Geschworenen und die Majorität der Richter) und ergab bei dem herrschenden Fragensystem grofse technische Schwierigkeiten (vgl. besonders G o l t d a m m e r , Archiv Bd. 12 S. 257 f.). 20 Vgl. oben S. 8 f.

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frage oder mit Verneinung der Einsichtsnebenfrage führen stets zur Freisprechung 21. Eingeschränkte Bejahung der Hauptfrage hat das gleiche Ergebnis, wenn infolge der Teilverneinung ein strafbarer Tatbestand nicht mehr restierte. Der Mangel einer Begründung des Verdikts erweist sich sehr mifslich im Hinblick auf die Pflicht des Gerichts, im Falle der Freisprechung des „Verhafteten" gleichzeitig mit diesem Urteile über die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung wegen unschuldig erlittener Untersuchungshaft durch besonderen Beschlufs Bestimmung zu treffen, § 4 R. Ges. v. 14. Juli 1904. Denn die Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 1 des Gesetzes, dafs das Verfahren die Unschuld des Freigesprochenen ergeben oder doch dargetan hat, dafs gegen ihn ein begründeter Verdacht nicht vorliegt, erhellt nicht aus dem Geschworenenspruche. Ebenso kommt nicht zur Feststellung, ob etwa der Angeklagte die Tat „in einem die freie Willensbestimmung ausschliefsenden Trunkenheitszustande" begangen hat, § 2 Abs. 2. Es bleibt daher dem Gerichte nur übrig, in diesen Beziehungen die Schuldfrage selbständig zu prüfen. Das Gericht verfährt sicher inkorrekt, wenn es sich anläfslich dieses Beschlusses mit der Feststellung des Verdiktes in Widerspruch setzt, trotz Verneinung der Schuldfrage den Angeklagten als überführt erachtet 22 . Vielmehr ist die Schuldfrage nur in den Grenzen der verdiktsmäfsigen Feststellung nachzuprüfen. Aber die präsumtiven Gründe des Spruchs zu desavouieren, begründeten Verdacht anzunehmen, obwohl die Geschworenen mutmafslich vom Gegenteil überzeugt waren, Begehung in sinnloser Trunkenheit als festgestellt zu erachten, während nach Ansicht der Geschworenen die Begehung nicht erwiesen war, ist das Gericht nicht nur berechtigt, sondern wegen der ihm obliegenden selbständigen Entscheidungspflicht im Falle abweichender Schuldbeurteilung sogar verpflichtet 28 . So enthüllt sich auch in diesem Punkte die rechtliche Möglichkeit eines Konflikts der beiden koordinierten Gerichte, und die Notwendigkeit der Verdiktsbegründung wird über allen Zweifel k l a r 2 4 . 21 „Acquittement", code art. 358 (durch den Präsidenten) bei glatter Verneinung der Hauptfrage. 22 Vgl. L a n d s b e r g , Deutsche Jur.-Zeit. Bd. X I S. 593. 23 Insofern unrichtig L a n d s b e r g a , a. 0. Dagegen Ο ρ ρ 1 e r a. a. 0. S. 698 ; S c h u p p e r t , Jurist. Woch.-Schrift 35. Jahrg. S. 218. 24 Vgl. K a h l in Mittermaier -Liepmann, Schwurgerichte und Schöffengerichte I S. 25.

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2. Ausnahmsweise kann aber auch trotz voller Schuldbejahung Freisprechung 25 oder doch Straffreierklärung geboten sein. a. Kommt nach dem Verhandlungsergebnisse im Gegensatz zur Annahme des Eröffnungsbeschlusses ein strafausschliefsendes Verhältnis (Ehegatten-, Angehörigen-usw.-Qualität, §§ 247 Abs. 2, 257 Abs. 2, 370 N. 5 StGB) in Betracht, das zur Kognition der Geschworenen steht, so ist durchaus zulässig und im Interesse ausdrücklicher Feststellung in Zweifelsfällen auch geboten, die tatsächliche Voraussetzung (Verwandtschaft usw.) in die Schuldfrage mit aufzunehmen. Durch die Bejahung der so gefafsten Frage ist mit der Schuld die Straflosigkeit festgestellt. Die Folge ist Freisprechung, Würde das tatsächliche Moment in der Frage nicht erwähnt, so hätten die Geschworenen, von dessen Existenz überzeugt, die Frage zu verneinen, und der Grund der Freisprechuug bliebe unaufgeklärt. b. Der Strafausschliefsungsgrund der Retorsion berechtigt, weil er nur nach richterlichem Ermessen wirksam ist, nicht die Geschworenen zur Verneinung der Schuldfrage. Wohl mufs, damit das Gericht die Straffreiheit bewilligen kann, die tatsächliche Voraussetzung dazu — durch Beantwortung bezüglicher Nebenfrage — von den Geschworenen festgestellt sein. Die Straffreierklärung geschieht dann trotz Schuldbejahung. c. Der Strafaufhebungsgrund der Verjährung ist der Entscheidung des Gerichts reserviert. Normalerweise darf es bei Annahme der Verjährung seitens des Gerichts zu einer Befragung der Geschworenen — mit Haupt- oder Hilfsfrage — überhaupt nicht kommen. Feststehende Verjährung bedingt alsbaldige Freisprechung ohne vorgängige Schuldprüfung. Aber es kann durch teilweise Verneinung der Hauptfrage oder durch Verneinung einer qualifizierenden Nebenfrage ein schon verjährtes Delikt zurückgeblieben sein. Und vielleicht hat das Gericht erst nach schuldbejahendem Verdikt die Überzeugung eingetretener Verjährung erlangt. Die einmal getroffene Schuldfeststellung ist vom Gerichte zu akzeptieren. Die Freisprechung geschieht daher nicht wie sonst, weil ein e t w a i g e r Strafanspruch, dessen Existenz mit der Schuldfrage dahingestellt bleibt, jedenfalls durch Verjährung erloschen sein würde, sondern unbedingt wegen Verjährung des verdikts25

„Absolution", code art. 364 (durch den Gerichtshof). So auch in den sub 1 neben Verneinung der Hauptfrage genannten Fällen. Dazu H é l i e , Prat. I η. 889.

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mäfsig konstatierten Delikts. Schuldfrage wegen verjährten Delikts ist nicht etwa p r o z e s s u a l unzulässig, in welchem Falle das Gericht an den Schuldausspruch nicht gebunden wäre, vielmehr m a t e r i e l l erübrigt. Sind einmal die Geschworenen zu einer solchen Feststellung vom Gerichte veranlafst worden, so mufs sie nun auch respektiert werden. Bei Prüfung der Verjährungsfrage ist das Gericht abhängig von der im Schuldspruch der Geschworenen fraggemäfs angenommenen Begehungszeit, und darf nicht eine allgemeinere Zeitangabe des Spruchs seinerseits spezialisieren 26 . Von der „Straffrage", also von der gerichtlichen Zuständigkeit umfafste Strafaufhebungsgründe sind noch speziell betreffs des inländischen Strafanspruchs aus ausländischem Delikt gemäfs § 4 Z. 3, 5 StGB Strafvollzug, Straferlafs im Auslande, Verjährung der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach ausländischem Recht. d. Verbürgung der Gegenseitigkeit ist i n den Fällen der §§ 102, 103 StGB vom Gericht festzustellende Strafbarkeitsbedingung. Daher hat eventuell Freisprechung trotz Schuldbejahung seitens der Geschworenen zu erfolgen. Korrekt aber ist's, in solchem Falle ohne Befragung der Geschworenen wegen Fehlens der Strafbarkeitsbedingung alsbald freizusprechen. Das schuldbejahende, einen Deliktstatbestand nach dessen gesetzlichen Merkmalen ergebende Verdikt führt (abgesehen von fehlender Prozefsvoraussetzung, vgl. darüber sub 4) zur Strafverhängung, sofern nicht das Fehlen einer vom Gericht zu prüfenden Strafbarkeitsbedingung oder das Vorhandensein eines der gerichtlichen Kognition unterstellten Strafaufhebungsgrundes entgegen steht oder das Gericht nach gesetzlicher Gestattung dem Delikte Straflosigkeit bewilligt. 3. Das v e r u r t e i l e n d e Erkenntnis hat die Strafe streng auf der Grundlage des Verdikts zu bestimmen. Das Gericht mufs das im Verdikt gegebene Tatbild durch die eigenen Beweiswahrnehmungen über Strafzumessungsgründe ergänzen 2 7 , darf aber nicht Annahmen der Geschworenen desavouieren 28 und nicht 26 Vgl. RG 4. Str.-S.E. Bd. 15 S. 107 f. 27 Vgl. auch RG 3. Str.-S. bei Goltd. Bd. 43 S. 253. 28 Um einen besonderen Fall aus der Praxis des Reichsgerichts hervorzuheben: das Gericht setzt sich in Widerspruch zum Verdikt, wenn es alternative Feststellung der Geschworenen in kumulative umdeutet und nun auf B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§ 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch.

seinerseits Feststellungen treffen, die den Geschworenen vorbehalten sind 29 . Nichts hindert formell das Gericht, auf qualifiziertes Delikt die diesem gedrohte Mindeststrafe, auf nichtqualifiziertes die dafür bestimmte Höchststrafe zu setzen, möchte auch diese Strafbestimmung nur aus abweichender Schuldauffassung des Gerichts zu erklären sein; der Glaube an die Existenz des bejahten, an die Nichtexistenz des verneinten Schärfungsgrundes kann nicht vom Gesetze erzwungen, nur darf nie der Unglaube im Urteile ausg e d r ü c k t werden. Auch der konkrete Verdiktsinhalt ist zu respektieren; das Gericht hat die Macht, solche Tatmomente bei der Strafzumessung, obwohl sie an sich dafür erheblich wären, zu ignorieren, aber nicht das Recht, sie in der Begründung dieser Operation zu verneinen. Qualifikationsgründe, die von den Geschworenen verneint oder nach denen diese nicht gefragt wurden, mögen subjektiv den Strafansatz mit bestimmen, ihre Feststellung aber in den Urteilsgründen wäre unzulässig80. Das gilt auch für Qualifikationen, die den erfragten und bejahten gleichwertig sind (Einbruch — Mitführen von Waffen beim Diebstahl usw.), und erst recht natürlich dann, wenn das allein erfragte äquivalente Moment verneint worden war; a l l e Qualifikationen, die für das Urteil benutzt werden sollen, müssen auch in die Fragen aufgenommen werden. Eine Besonderheit besteht, wenn neben einer Qualifikation für ein bestimmtes Grunddelikt ein Privilegierungsgrund in Betracht kam, der in Gestalt eines delictum sui generis für mehrere Grunddelikte wirkt: Feststellung beider Tatgestaltungen zugleich im Verdikte ist unmöglich; die Geschworenen werden vielmehr mit Hauptfrage nach der einen (Einbruchsdiebstahl z. B.), mit Hilfsfrage nach der andern (Mundraub z. B.) gefragt 3 1 ; die Bejahung der Hauptfrage, der Hilfsfrage kann hier ebensowohl in Verneinung der anderweiten Tatgestaltung, als in Annahme ihrer Irrelevanz für die Subsumtion gründen, dem Verdikte ist nicht anzusehen, ob die Geschworenen die tatbestaiidlichen Vorausdieser Grundlage die Strafe bemifst. Vgl. 2. Str.-S. E. Bd. 36 S. 194, wo mit Recht das Urteil aufgehoben wurde. 29 Österr. Kass.-Hof v. 20/8. 1874, Plen.-Beschl. u. Entsch. Bd. 1 S. 86f.; -v. 1. Juli 1876, das. Bd. 2 S. 99 f.; v. 30. Okt. 1885, das. Bd. 8 S. 181 f. Ebenso H é l i e , Prat. I η. 892. 30 E i n Fall der A r t in Goltd. Arch. Bd. 52 S. 390. 31 Vgl. oben S, 170 f.

§ 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch.

Setzungen des Mundraubs usw. ausgeschlossen oder nur angenommen haben, dafs auch bei deren Vorhandensein die Tat Einbruchsdiebstahl bleibe. Gerade deshalb kann dem Gerichte nicht versagt sein, das anderweite Moment, dessen gleichzeitige Feststellung durch die Geschworenen jedenfalls unmöglich war, als Strafzumessungsgrund mit zu benutzen. Es darf nur nicht der Qualifikationsgrund als solcher vom Gerichte festgestellt werden. Gewifs unterliegt ein Urteil der Revision, wenn Relevanz oder Irrelevanz eines Qualifikations- oder Privilegierungsgrundes für die Schuldbeurteilung fälschlich angenommen worden ist. Aber die Benutzung der gleichen tatsächlichen Momente als Strafzumessungsgründe gegenüber unmotiviertem Schuldentscheid kann keinen Revisionsgrund ergeben. Denn sollten sie auch in Wahrheit für die Subsumtion erheblich sein, so konnte ihnen doch mangels verdiktsmäfsiger Feststellung dieser Einflufs nicht zu teil werden. Subsumtion der entsprechenden konkreten Tatsachen unter das gesetzliche Qualifikations-usw.-Moment in den Gründen auszusprechen, wäre freilich ein Fehler. An diesem Punkte zeigt sich wieder besonders klar die Mifslichkeit unmotivierten Schuldentscheids, auf dem ein anderer Richter fortbauen soll! Die verdiktsmäfsig und die urteilsmäfsig erfafste Tat dürfen äufserlich nur konzentrische, nicht sich schneidende Kreise sein. Und die Loyalität des Gerichts mufs dafür sorgen, dafs, soweit irgend möglich, auch die innere Harmonie gewahrt bleibt, die Tat für den Zweck der Strafzumessung wirklich nur weiter, nicht anders substantiiert wird. Nur e i η Qualifikationsgrund steht zur Erwägung des Gerichts : der Rückfall. Und in einem Falle bedarf es, um die Rückfallsqualifikation zur Wirkung zu bringen, einer v o r b e r e i t e n d e n N e b e n f r a g e an die Geschworenen. Die Strafe der Sachenhehlerei im Rückfalle richtet sich nach der Art des Delikts, das den Gegenstand der Hehlerei bildet, § 261 Abs. 1 u. 2 StGB, während die Hehlereifrage dieses Delikt nicht spezialisiert, vielmehr allgemein von „strafbarer Handlung" spricht 82 . Daher ist in Verbindung mit dieser Hauptfrage vorbereitende Nebenfrage auf das Speziesdelikt gemäfs Abs. 1 des § 261 unerläfslich, durch deren Beantwortung die Strafalternative des Gesetzes gelöst wird 3 3 . 32

Vgl. oben S. 500. Vgl. O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 64 S. 198, 199. Die vorbereitende Nebenfrage — ein ganz vereinzeltes Vorkommnis — 40* 33

§ 66. Das Verhältnis des Urteils zum Wahrspruch.

Die Schuldfeststellung des Urteils ist für die L a n d e s p o l i z e i b e h ö r d e mafsgebend, wenn auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht oder von korrektioneller Nachhaft erkannt ist. Die Polizeibehörde braucht ihre Befugnis nicht auszuüben, darf aber die Mafsregel nicht ablehnen wegen einer von den Annahmen des Urteils abweichenden Schuldauffassung. Mit dieser Urteilspräjudizialität kann sich in den Fällen des § 362 Abs. 3 und 4 StGB noch eine Verdiktspräjudizialität insofern verbinden, als die Landespolizeibehörde bei der Prüfung des Alters, der Ausländerqualität die bezüglichen Verdiktsannahmen zugrunde zu legen hat. Die Schuldfrage braucht von der Ausländereigenschaft nichts zu sagen und im Falle der Jugend des Angeklagten genügt die Vorlegung der Einsichtsnebenfrage. Hat aber das Gericht zur Individualisierung entsprechende Momente erfragt resp. spezialisiert erfragt, so bindet nun auch der Geschworenenspruch, wie das Gericht, so die Landespolizeibehörde 84. 4. E i n s t e l l u n g s u r t e i l mufs ergehen und kann nur ergehen bei Prozefsvoraussetzungsmangel. Der meisterwähnte Fall ist Feststellung eines Antragsdelikts durch die Geschworenen, während es am Antrage fehlt. Dabei braucht nicht ein Versehen des Gerichts vorzuliegen, denn das Antragsdelikt kann sich infolge teilweiser Verneinung der Hauptfrage oder der Verneinung qualifizierender Nebenfrage ergeben haben. Auf ein Antragsdelikt als solches bei nicht gestelltem Antrage darf eine Hilfsfrage nicht gerichtet werden. Hauptfrage auf ein Antragsdelikt in gleichem Falle (ohne angeschlossene Nebenfrage wegen einer die Tat in ein Offizialdelikt wandelnden Qualifikation) bleibt schon deshalb aufser Betracht, weil entsprechender Eröffnungsbeschlufs ganz unzulässig wäre. Sollte dennoch die erwähnte Hilfsfrage gestellt worden und es unter Verneinung der Hauptfrage zu ihrer Beantwortung gekommen sein, so behielte das Gericht trotz dieser Feststellung freie Hand, freizusprechen, obwohl die Geschworenen das Antragsdelikt bejaht, und einzustellen, obwohl sie es verneint hätten 85 . Denn eine p r o z e s s u a l unwar im Zusammenhang mit der Rückfallsfeststellung erst an dieser Stelle zu erwähnen. Anwendung der vorbereitenden Nebenfrage bei Zweifel über Taubstummheit oder jugendliches Alter des Angeklagten ist S. 204 f. zurückgewiesen worden. 34 Vgl. auch § 284 Abs. 2 StGB. 85 Vgl. oben S. 358.

§ 67. \ r erfahren zwischen Wahrspruch und Urteil. Der Urteilsakt.

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z u l ä s s i g e Frage bindet das Gericht nicht. Die Hauptfrage ist verneint : also Freisprechung, wenn das Gericht das eventuell nach den Verhandlungsergebnissen anzunehmende Antragsdelikt nicht als gegeben ansieht, sonst Einstellung. Entsprechend kann auf eine klagändernde und auf eine solche Hilfsfrage hin, die in die Zuständigkeit des Reichsgerichts eingreift, niemals Sachurteil ergehen 36 . Es stände entgegen der Mangel der Klage, der Mangel eigener Gerichtsgewalt. Das Urteil hat sich auf die erhobene Klage und nur auf sie zu erstrecken, die Beantwortung der unzulässigen Hilfsfrage mufs ignoriert werden. Verneinung der Hauptfrage führt, wenn das Gericht einen Tatbestand reichsgerichtlicher Kompetenz annimmt, zur Verweisung an dieses Gericht (§ 270 StPO), wie immer auf die fälschlich gestellte Hilfsfrage geantwortet sein mag 87 . Durch korrekte Antwort auf prozessual zulässige Frage hingegen wird das Gericht gebunden, auch wenn die Verneinung eines abstrakten oder konkreten Moments, z. B. des Gebrauchs einer Waffe bei der Frage aus § 223 a StGB, der Ehefrauenqualität, der Amtseigenschaft in den Fällen der §§ 195, 196 StGB, Einstellung wegen fehlenden Antrags oder Antragsrechts bedingt und das Gericht seinerseits die Verneinung für unrichtig erachten sollte 38 . § 67. V e r f a h r e n z w i s c h e n W a h r s p r u c h u n d U r t e i l , i n s b e s o n d e r e die P a r t e i v o r t r ä g e z u r S t r a f f r a g e . Der U r t e i l s a k t . I. Dem korrekt befundenen Verdikt folgt zumeist alsbald der Urteilserlass. Doch kann es für die Lösung der Straffrage der Gewinnung noch weitern Prozefsstoffs bedürfen. Dem Gerichte ist unverwehrt, zu diesem Zwecke die Beweisaufnahme zu erneuern. Bei Zurückverweisung unter Aufrechterhaltung des Verdikts mufs, da ein neues Gericht mit der Sache befafst und die frühere Verhandlung rechtlich und tatsächlich ausgelöscht ist, Beweisaufnahme in weitem Mafse stattfinden 1 . Die Beweisverhandlung vor dem Verdikt bezog sich ungetrennt auf die Schuld- und Straffrage. Beweisanträgen der Parteien auch zur Straffrage in deren vollem Umfange war freier Raum gegeben. 86 87 38 1

Vgl. oben S. 350, 353. Vgl. auch T r a u t , Ger.-Saal Bd. 59 S. 214 f. Vgl. oben S. 350. Vgl. preufe. Ob.-Trib. bei O p p e n h o f f 17 S. 481 f.

67.

erfahren zwischen Wahrspruch und Urteil. Der Urteilsakt.

Beweiserhebung nach dem Verdikt lediglich zur Straffrage ist eine extraordinäre Mafsnahme nach dem Ermessen des Gerichts, die Parteien haben sie nicht zu beanspruchen. Auf Beweisanträge der Parteien ist daher jetzt nur noch einzugehen, soweit das Gericht sie betreffs der Straffrage als positiv bedeutsam erachtet 2 . Nicht gilt umgekehrt, wie in der Verhandlung vor dem Verdikt, dafs Beweisanträge — ihre prozessuale Zulässigkeit unterstellt — nur abgelehnt werden dürfen, weil die Beweisführung aller Voraussicht nach resultatlos verlaufen würde 8 . Es kann unmöglich die Absicht des Gesetzes gewesen sein, den Parteien das Recht auf Beweiserhebung, das sie vor dem Verdikt zur Genüge geltend machen konnten, nach dem Verdikt betreffs der Straffrage noch einmal zu geben, im Widerspruch mit der natürlichen Ordnung des Verfahrens. Eine Beweisaufnahme, von der das Gericht eine Änderung des schon gewonnenen Tatbildes zu erwarten nicht Anlafs hat, ist abzuweisen — durch Gerichtsbeschlufs, unter dieser Begründung 4. Revision entfällt, weil das Gericht ganz nach Ermessen entscheidet. Anderer Beurteilung unterliegen Beweisanträge in neuer Verhandlung auf Grund alten Verdikts. Hier gilt für die Beweisaufnahme zur Straffrage, die prozefsordnungsmäfsig stattzufinden hat, das Recht der Gesamtbeweisaufnahme, § 243 fg. StPO 5 . Aber es sind natürlich alle solchen Beweise ausgeschlossen, die nicht das für das Strafmafs bestimmende Schuldmafs, sondern die Frage der Schuld selbst betreffen würden. Das Anerbieten eines Alibibeweises z. B. wäre absolut unerheblich. Soweit das Gericht zwischen Wahrspruch und Urteil Beweis noch erhebt, ist auch eine Aussetzung der Verhandlung nicht ausgeschlossen. Aber nur in der Frist des § 228, da andernfalls das Verdikt in sich zusammenfiele, auf dessen Grundlage die Strafe zu bestimmen ist. Weitergehende Aussetzung wäre nicht nur unlogisch, sondern grobe Pflichtwidrigkeit, nämlich Justiz Verweigerung. Dafs erst recht nicht die Parteien durch verschleppende Beweisanträge das Verdikt noch in die Luft sprengen können, versteht sich. 2

Zu weitgehend D a l c k e , Fragestellung S. 136; S t e n g l e i n § 313 Bern. 2: Beweisanträge seien überhaupt unzulässig. 3 Vgl. unten § 73, wo auch die durch Beweismittelsistierung bedingte Änderung der Rechtslage, § 244 Abs. 1 StPO, zu besprechen ist. 4 Der Beweisantrag darf aber nicht einfach ignoriert werden, wie es in dem Falle RG Entsch. Bd. 21 S. 243 f. geschehen war. 5 Vgl. auch insofern unten § 73.

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Die Schranke gilt nicht für eine neue Verhandlung an der Hand des alten Verdikts. Denn möchte immerhin diese Verhandlung in toto zu erneuern sein, das Verdikt bestände ja doch fort. Einheit der Verhandlung gemäfs § 228 StPO ist Urteilsvoraussetzung. Das Gericht hat die Pflicht, für den Bestand dieser Voraussetzung zu sorgen, soweit es auf Grund der begonnenen Verhandlung zu urteilen verbunden ist. Ohne Schuld des Gerichts wird das Verdikt vereitelt, wenn eine anderweite Urteilsvoraussetzung wegfällt, z. B. ein Richter zu fernerer Funktion unfähig wird. II. Anberaumung eines Verkündungstermins statt sofortiger Urteilsverkündung scheint nach § 315 StPO schlechthin unzulässig zu sein6. Indessen erfolgt die Verkündung des Urteils „am Schlüsse der Verhandlung", § 315, doch auch dann, wenn in dieser eine das Zeitmafs des § 228 nicht übersteigende Unterbrechung eingetreten war 7 . Völlig ausgeschlossen hingegen ist die einwöchige Publikationsfrist des § 267. Und bedenklich bleibt Aussetzung der Verkündung insofern stets, als letztere die Anwesenheit aller Geschworenen erfordert. Ob es gelingen wird, sie sämtlich wieder heranzuziehen, ist doch fraglich. Sicher aber, dafs keine Nichtigkeit vorliegt, wenn dies zutraf und die Frist des § 228 gewahrt wurde. Praktischen Wert hat die Zulässigkeit späterer Verkündung nur in Ausnahmefällen. So bei Unvollständigkeit der beschlossenen Entscheidung: das Gericht hat bei einer grofsen Zahl realkonkurrierender Delikte eines bei der Aburteilung übersehen, obwohl es vom Verdikte mit umfafst war. Im Strafkammerverfahren würde für die ergänzende Verkündung die Frist des § 267 gelten. Für die schwurgerichtliche Verhandlung normiert § 228. Der Versuch, auf diesem Wege noch zu helfen, darf nicht unterbleiben. Gelingt die Wiederberufung der Jury nicht, so mufs über den vergessenen Anklagepunkt neu verhandelt werden 8 . Das Gericht trägt die Schuld der Verdiktsvereitelung. 6 So in der Tat T h i l o zu § 315 Bern. 4; v. B o m h a r d - K o l J e r das. Bern. 1; D a l c k e zu § 315; S t e n g l e i n das.; G e y e r S. 768; R o s e n f e l d S. 374. 7 So wohl auch P u c h e l t zu §§ 314—316 Bern. 5. Kurh. 1848 § 335 und Braunschw. 1849 § 151 gestatteten Aussetzung bis zum folgenden Tage. Übereinstimmend damit die französische Praxis, H é l i e , Prat. I η. 916. 8 Vgl. O e t k e r im Arch. f. Strafrecht Bd. 50 S. 245.

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Spontane Aussetzung (zur besseren Vorbereitung schwierigen rechtlichen Entscheids usw.) ist ein sehr gewagtes, dringend zu widerratendes Experiment. Das Bedenken fällt weg in einer neuen Verhandlung auf Grund alten Verdikts ohne Geschworene. Übrigens gilt auch in diesem Falle nur das Aussetzungsrecht des § 228, nicht die Publikationsfrist des § 267. Denn die Verhandlung, obwohl vor die Strafkammer gewiesen, folgt den Regeln des schwurgerichtlichen Prozesses. War auch die Befragung der Geschworenen wegen eines Anklagepunktes versäumt worden, so mufs das Gericht versuchen, die Jury in der Frist des § 228 zu rekonstituieren und so zu ergänzendem Verdikt und Urteil zu kommen. Dem alten Urteil haftet wegen der Unvollständigkeit des zugehörigen Verdikts ein nicht mehr zu beseitigender Revisionsgrund an 9 . Das Ergänzungsurteil gilt als selbständige Entscheidung 10 und wird von dem Vitium des anderen Urteils nicht mit berührt. Lückenhafte Publikation des festgestellten Urteils (durch Auslassung einer Nebenstrafe z. B., die vom Gerichte mit beschlossen war) kann auch nur in der Frist des § 228 durch Verkündungsnachtrag unter Assistenz der Geschworenen korrigiert werden. In einer Strafkammersache brauchte hier nicht einmal die Frist des § 267 eingehalten zu werden 11 . Die schwurgerichtliche Verhandlung aber mufs in allen ihren Teilen im Sinne des § 228 einheitlich sein. Auch die ergänzende Verhandlung vor der Strafkammer auf Grund beibehaltenen Verdikts. So kann bei Unachtsamkeit des Vorsitzenden ein Teil des beschlossenen Urteils dauernd um seine Wirkung gebracht werden. Für den vergessenen und durch Nachtragsurteil nicht mehr erledigten Anklagepunkt bleibt die schwurgerichtliche Zuständigkeit, auch wenn sie nur durch Konnexität bedingt war. I I I . Zwischen Verdikt und Urteil liegen Parteivorträge zur Straffrage 12 , richtiger zur Straf- und Subsumtionsfrage, soweit diese Fragen noch vom Gerichte zu lösen sind. 9

Vgl. oben S. 512. Vgl. O e t k e r , Gött. Gel. Anz. 1898 S. 614. 11 O e t k e r , Gött. Gel. Anz. S. 624. 12 Das englische Recht kennt ein solches Kontradiktorium nicht (wie ja auch nicht vor dem Verdikt Schlufsvorträge zur Schuldfrage gehalten werden). Aber der Angeklagte kann geltend machen, was bei der Strafausmessung zu seinen Gunsten erheblich sein könnte. Ferner steht ihm in bestimmten Fällen 10

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Mit einem glatten Nichtschuldig ist dem Urteile schon von selbst der Inhalt vorgeschrieben. Daher keine weiteren Plädoyers, wenn die Geschworenen die Hauptfrage (die Haupt- und Hilfsfrage) verneint oder zwar bejaht, zugleich aber eine strafaufhebende Nebenfrage bejaht oder die strafbedingende Einsichtsnebenfrage verneint haben 13 . Im letztern Falle sind jedoch, sofern es sich um einen jugendlichen Angeklagten handelt, die Parteien über die Mafsregeln des § 56 Abs. 2 StGB zu hören. Auch der Kostenpunkt (§ 499 StPO) und die Frage einer dem Angeklagten zuzubilligenden Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft (§ 4 R. G. v. 14. Juli 1904) können zur Anhörung der Parteien Anlafs geben14. Bejahung der Hauptfrage unter solchen Einschränkungen, dafs ein strafbarer Tatbestand nicht zurückbleibt, berechtigt nicht zu sofortiger Freisprechung. Die Parteien können beanspruchen, über die so sich ergebende Subsumtionsfrage gehört zu werden 15 . Aber eine Revision der Staatsanwaltschaft wegen nicht gewährten Gehörs wäre gebotener Freisprechung gegenüber natürlich ohne Erfolg. Verneinung einzelner selbständiger Anklagepunkte durch die Geschworenen ergibt entsprechende Beschränkung der Parteivorträge. Die bereits erledigte Schuldfrage darf nicht mehr diskutiert 1 6 , (Substantial-, nicht blofser Formdefekt der Anklageschrift usw.) der Antrag auf Aussetzung des Urteils (motion in arrest of judgment) frei. Begründet befundener Antrag führt zur Vernichtung des Verfahrens und freisprechendem Erkenntnis (doch unter Zulassung neuer Klage). Vgl. M i t t e r m a i e r , Engl., schott., nordamerik. Strafverfahren S. 495 f.; G l a s e r , Anklage, Wahrspruch, Rechtsmittel S. 428 f.; A r c h b o l d , Pleading and evidence p. 183; H a r r i s , Princ. p. 462. 13 Für den Fall der Hauptfragbejahung in Verbindung mit Bejahung straftilgender Nebenfrage erfordern Parteivorträge vor Urteilserlafs M i t t e r b a c h e r zu § 334 österr. StPO Bern. 1 und R u l f , Österr. Strafproz. (3. Aufl.) S. 176. Richtig M a y e r zu § 334 Bern. 5. 14 Vgl. F e i s e n b e r g e r , Jurist. Zeitnng X S. 901. So L ö w e - H e l l w e g § 314 Bern. 3 ; v. B o m h a r d - K o l l e r § 314 Bern. 1 ; K e l l e r das. Bern. 3. A. M. B e n n e c k e - B e l i n g S. 568; M e y e r in v. Holtz. I I S. 211 Anm. 1. Die Frage ist auch in der österr. Doktrin streitig. Im Sinne des Textes U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 677; gegenteilig M a y e r zu § 334 StPO Bern. 7. 16 So ausdrücklich code art. 363; Bay. 1848 Art. 199; Hess.-Darmst. 1848 Art. 193 u. 1865 Art. 388 Abs. 2; Württ. 1849 Art. 177 u. 1868 Art. 390 Abs. 2; Thür. 1850 Art. 298; Frankf. 1856 Art. 258; Oldenb. 1857 Art. 346; Preufs. 1849

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eine Kritik des Geschworenenspruchs, ein Antrag auf Verdiktskassierung nicht zugelassen werden. Im Bereiche der noch zu lösenden Urteilsaufgaben haben die Vorträge freien Raum. Zumeist wird nur noch die Frage der Strafbemessung erheblich sein. Doch können auch Strafaufhebungs-usw.-Gründe gerichtlicher Kognition in Betracht kommen, Gesetzanwendungszweifel bestehen. In diesem Rahmen ist neben der Beweisfrage auch der Rechtspunkt zulässiger Gegenstand des Vortrags. Das letzte Wort hat der Verteidiger. Aber es ist auch der Angeklagte zu befragen, ob er etwas weiteres zu seiner Verteidigung noch anzuführen habe, § 257 1 7 . Grundlose Behinderung einer Partei in ihrem Vorbringen setzt das Urteil der Revision aus, sofern nicht der Entscheidungsinhalt schon nach dem Gesetze unbedingt feststand (absolut bestimmte Strafe usw.), in welchem Falle es an der erforderlichen Kausalität fehlen würde 1 8 . Beteiligung eines Nebenklägers am \7erfahren mufs beiseite bleiben. Ebenso der Fall verbundenen Konfiskationsprozesses 19. Für die Beratung und Abstimmung des Gerichts gelten die allgemeinen Grundsätze. Leise Beratung alsbald im Sitzungssaale, wenn nach Lage der Sache (Verneinung der Schuldfragen usw.) ein Zweifel über den Urteilsinhalt nicht bestehen kann, ist nicht ausgeschlossen20. § 121, 1867 § 344 Abs. 2; Sachs. 1868 § 91 Abs. 3; Hamb. 1869 § 225 Abs. 2; Brem. 1870 § 524. Ebenso Österr. § 335. 17 I n Frankreich wird nach dem Vortrage des Staatsanwalts der Angeklagte befragt, ob er zu seiner Verteidigung etwas vorzubringen habe, nicht nochmals nach der Rede des Verteidigers, art. 363 code. Vgl. Entsch. des Kass.-Hofs v. 16. Juni 1836, S i r e y , Recueil 36, 1, 843, u. v. 23. Juni 1870, S i r e y 71, 1, 263. 18 Revision des Angeklagten, weil ihm versagt war, die Strafzumessungsfrage zu erörtern, wäre auch dann abzuweisen, wenn das Gericht auf die Minimalstrafe erkannt hat. In beiden Beziehungen richtig die franz. Praxis, Kass.-Hof v. 2. Dez. 1830, S i r e y , Recueil 31, 1, 173, ν. 4. Aug. 1881, D a l l o z , Ree. 82, 1, 238, ν. 2. Apr. 1896, D a l l o z 96, 1, 431. 19 Auf diese Rechtserscheinungen kann erst in der Darstellung der besonderen Verfahrensarten eingegangen werden. Vgl. über konnexen Konfiskations.prozefs einstweilen O e t k e r , Gött. Gel. Anzeigen 1898 S. 634; S c h o e t e n s a c k , Konfiskationsprozefs S. 39 f., 141 f. 20 Vgl. L ö w e - H e l l w e g § 314 Bern. 1. T h i l o zu § 315 Bern. 1 verlangt, dafs in jedem Falle der Gerichtshof sich in das Beratungszimmer zurückziehe, schon weil die Urteilsformel vor der Verkündung schriftlich abgefafst sein müsse. Das kann aber in einfachen

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Über eine Mehrheit von Strafaufhebungsgründen (Verjährung, Strafverbüfsung im Auslande usw.) ist nicht gesondert abzustimmen, vielmehr steht einheitlich zur Frage, ob der staatliche Strafanspruch (durch die eine oder andere Aufhebungstatsache) untergegangen ist oder noch existiert 21 . IV. I n h a l t und F o r m des Urteils werden durch die allgemeinen Urteilsvorschriften des Gesetzes und die sie wesentlich modifizierenden Besonderheiten der schwurgerichtlichen Rechtsfindung bestimmt. Die Urteilsformel ist ganz nach der Regel zu substantiieren. Ob die Schuld, die Nichtschuld von Geschworenen oder Berufsrichtern festgestellt wurde, kann insoweit keinen Unterschied begründen. Beim Einstellungsurteil bieten, da das Verdikt nicht zur Wirkung kommt, auch die Gründe nur dann und insofern etwas Besonderes, als eine Schuldfeststellung der Geschworenen erfolgt war, die wegen fehlenden Antrags nicht zur Verurteilung führen konnte. Diese Feststellung tritt unmotiviert auf. Das verurteilende Erkenntnis bedarf im Rahmen der ger i c h t l i c h e n Zuständigkeit in gleichem Mafse der Begründung, wie ein anderes Urteil. War in der Verhandlung ein Strafaufhebungsgrund gerichtlicher Kognition oder der Strafschärfungsgrund des Rückfalls behauptet worden, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob der Umstand für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet worden ist, § 266 Abs. 2 StPO. Die Gründe müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen, § 266 Abs. 3 S. 1 2 2 . Hängt die Strafbarkeit von VerFällen (Verdikt auf Nichtschuldig usw.) doch auch gleich im Sitzungszimmer erfolgen. Im Sinne T h i l o s manche frühere Gesetze: Bay. 1848 Art. 201; Preufs. 1849 § 122; Thür. 1850 Art. 299; Hann. 1859 § 201; Oldenb. 1857 Art. 347; Hess.-Darmst. 1865 Art. 389; Hamb. 1869 § 226; Brem. 1870 § 225. Anders code art. 369; Hess.-Darmst. 1848 Art. 198; Hess.-Homb. 1850 Art. 161; Württ. 1849 Art. 182 (Württ. 1868 enthält keine Bestimmung). Die übrigen Gesetze schweigen. Österr. § 336: „Der Gerichtshof zieht sich, wenn er es für nötig erachtet, in sein Beratungszimmer zurück." 21 Vgl. B i n d i n g , Grundrife § 89 sub V I ; v. K r i e s , Lehrbuch S. 447. A. M. H e i n e m a n n , Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 15 S. 227 f. 22 Code art. 369 verlangt ferner, dafs der Präsident bei der Verkündung den angewendeten Gesetzestext verlese. Doch zieht Unterlassung nicht Nichtigkeit nach sich, Kass.-Hof v. 18. Febr. 1841, S i r e y , Recueil 42, 190, ν. 6. Nov. 1868, S i r e y 69, 1, 96 u. öfter.

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bürgung der Gegenseitigkeit ab (§§ 102, 103 StGB), so ist dieses strafbedingende Verhältnis zu konstatieren (und Begründung seiner Annahme nach Umständen angemessen). Die Gründe sollen die Umstände anführen, welche für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind, § 266 Abs. 3 S. 1. Die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in welchen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden wurden, § 266 Abs. 1, fällt fort. Die Urteilsbegründung wird insofern durch den Wahrspruch geliefert, der neben den Individualisierungsmomenten nur die gesetzlichen Deliktsmerkmale, nicht auch die entsprechenden konkreten Tatumstände anzuführen braucht. Ebenso vertritt der Wahrspruch die gemäfs § 266 Abs. 3 vom Gericht über mildernde Umstände zu treffende Entscheidung. Das freisprechende Urteil wird, wenn es auf der Grundlage der Schuld Verneinung erging, durch den Wahrspruch begründet. Wurde die von den Geschworenen bejahte Tat für nicht strafbar erachtet, so ist der Grund (mangelnde Subsumierbarkeit, Verjährung usw.) anzugeben, § 266 Abs. 4. Ein schuldigsprechendes, aber straffreierklärendes Urteil macht den Grund der Nichtbestrafung, die Retorsion, schon durch Bezugnahme auf den Geschworenenspruch (Retorsionsnebenfrage) erkennbar, soll die Umstände anführen, welche für die Gewährung der Straflosigkeit bestimmend gewesen sind (Analogie von § 266 Abs. 3), und entspricht im Übrigen in der Begründung einem verurteilenden Erkenntnis. Die Verkündung des Urteils 2 3 geschieht durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe, soweit diese nicht durch Bezugnahme auf den Geschworenenspruch sich erledigen. Die Abfassung endlich der Urteilsurkunde richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen, § 275 StPO 2 4 . Die Namen der Geschworenen werden im Urteile nicht genannt, denn sie sind formell nicht dessen Miturheber, wenn auch ihr Werk darin reproduziert wird. Die Urschrift des Spruchs ist dem Urteile anzufügen, § 316 S. 2 2 5 . Die Unterschriften der Protokollbeamten 23

Weil art. 369 code Verkündung fordert „en présence du public et de l'accusé", nimmt die Praxis an, dafs es der Anwesenheit der Geschworenen und der Staatsanwaltschaft nicht bedürfe, S i r e y et M a l e p e y r e art. 369 nr. 22 u. 23. 24 Code art. 370 verlangt Unterzeichnung des Urteils binnen 24 Stunden nach der Verkündung, doch nur instruktionell, H é l i e , Prat. I nr. 918. 25 Daher ist auch in die Urteilsausfertigungen der Spruch (Fragen und Antworten) mit aufzunehmen. So ausdrücklich Österr. § 340 Abs. 3.

§ 67.

erfahren zwischen Wahrspruch und Urteil. Der Urteilsakt.

unter dein Spruch haben also die weitere Bedeutung, diesen als Urteilsbestandteil zu legalisieren. V. Den Richtern ist unverwehrt, ein Begnadigungsgesuch finden Verurteilten einzureichen. Auch den Geschworenen, die den Angeklagten schuldig gesprochen hatten, steht dies frei. Eine Amtshandlung ist die Begnadigungsbitte an sich weder in dem einen, noch dem anderen Falle. Die „Geschworenen" haben nach der Beendigung der Verhandlung durch Verkündung des Urteils diese Eigenschaft nur noch in der Erinnerung; den Richtern ist zwar die amtliche Funktion — abgesehen vom Eintritte eines Erlöschungsgrundes — geblieben, aber nicht die Amtspflicht begründet ihr Gesuch, sie tun, was jedem Untertanen gestattet ist, wozu sie nur besonders veranlafst sind: im Interesse des Verurteilten die Beseitigung des Konflikts zwischen formellem Recht und materieller Gerechtigkeit vom Landesherrn zu erbitten, es müfste denn gesetzlich26 oder durch Anordnung der Justizverwaltung das Gericht zur Begnadigungsbitte besonders legitimiert sein, dann gewinnt diese allerdings amtlichen Charakter. Und selbstverständlich steht amtliche Handlung in Frage, wenn auf anderweites Gnadengesuch hin das Gericht zum Bericht aufgefordert wurde. A . A . S t e n g l e i n zu §316, obwohl das Urteil ohne den Spruch zweifellos unvollständig ist. Richtig T h i l o zu § 316 Bern. 2. Die Zustellung des Urteils gemäfs §§ 381, 383, 385 StPO ist Zustellung auch des Spruchs, der einen Urteilsbestandteil bildet. Das ist um so sicherer, als die Revision gerade auf Mängel des Spruchs gestützt werden kann. Vgl. v. K r i e s S. 679; L ö w e - H e l l w e g zu § 383 Bern. 4. A. A. RG 2. Str.-S. R. V I I I S. 360; S t e n g l e i n zu § 383 Bern. 4. 26 So früher Bayern StGB 1813 I Art. 96; Hann. StGB 1840 Art. 97; Württ. StPO 1843 Art. 432, Württ. Schw.-Ger.-Ges. 1848 Art. 190, StPO 1868 Art. 393 („Ist ein Todesurteil oder ein anderes von Amtswegen zur Begnadigung zu unterstellendes Urteil gefällt, so hat der Gerichtshof darüber zu beraten, ob für die Begnadigung des Verurteilten sprechende Gründe vorhanden sind. Eine Äufserung über das Ergebnis dieser Beratung mufs unverzüglich dem Justizministerium vorgelegt werden." Hier war also in j e d e m Falle, zu welchem Resultate das Gericht auch gelangte, Bericht zu erstatten). Vgl. ferner Kurh. 1848 § 337 Abs. 1 (nicht wiederholt in 1863); Frankf. -1856 Art. 261 Abs. 1. Hess.-Darmst. 1848 Art. 204 verpflichtete den Assisenhof, im Falle eines Erkenntnisses auf Tod oder lebenslängliches Zuchthaus über solche Verhandlungstatsachen, die auf die Frage der Begnadigung von Einflufs sein könnten, ein Protokoll aufzunehmen und es an das Justizministerium einzuschicken. Diese ganz zweckmäfsige Vorschrift ist jedoch in dem Gesetz von 1865 nicht wiederholt.

erfahren zwischen Wahrspruch und Urteil. Der U r t e i l s a k t .

Zwei deutsche Prozefsordnungen haben auch Gnadenbitten des Geschworenenkollegiums sanktioniert, ihnen also amtliche Bedeutung beigelegt: Frankfurt 1856 Art. 261: „Die Geschworenen sind befugt, den schuldig erkannten Angeklagten unter Angabe der Gründe zur Begnadigung zu empfehlen". — — — „Es ist dann im Beratungszimmer ein von dem Präsidenten und Gerichtsschreiber zu unterschreibendes Protokoll aufzunehmen, welches die Staatsanwaltschaft mit Beifügung eines Berichts einzureichen hat." Ähnlich Sachs. 1868 § 94. Die Begnadigungsbitte wird so zur amtlichen Befugnis, von der die Geschworenen nach freiem Ermessen Gebrauch machen können ; die Geschworenenfunktion dauert ad hoc fort. Eine solche Einrichtung ist jedoch geeignet, das Verantwortlichkeitsgefühl der Geschworenen zu mindern, indem diese es mit Zweifeln der tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung vielleicht weniger genau nehmen auf eventuelle Korrektur in der Begnadigungsinstanz rechnend. Zudem steht das begründete Gnadengesuch in scharfem Kontrast zu dem nichtbegründeten Verdikt 2 7 . Daher hat der Frankfurter Vorgang, von Sachsen abgesehen, mit Recht Nachfolge nicht gefunden 28. Das Frankfurter Gesetz gibt die gleiche Befugnis auch den Richtern. Nur diese sind autorisiert nach den weiteren in Anm. 26 genannten Gesetzen. Aber es ist g e s e t z l i c h e Festlegung nicht veranlafst, wenn auch die bei den Geschworenen bestehenden Bedenken hier nicht in Betracht kommen. Die österr. PO § 341 verpflichtet den Schwurgerichtshof im Falle eines T o d e s u r t e i l s unmittelbar nach dessen Verkündung mit Zuziehung des Staatsanwalts in Beratung zu treten, ob der Verurteilte einer Begnadigung würdig erscheine oder nicht, und welche Strafe im Falle der Begnadigung anstatt der Todesstrafe angemessen wäre 29 . Das Protokoll hierüber ist mit den Akten, auch wenn Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen wird, dem 27

Vgl. V. B a r , Recht und Beweis S. 244. Das englische Recht gestattet, dafs die Geschworenen (einhellig) den Verurteilten der Milde der Krone (auch des Gerichts !) empfehlen. Der Richter kann sie nach den Gründen dieser Bitte befragen. Dem Verteidiger steht es nicht zu, die Geschworenen zu der Empfehlung aufzufordern. G l a s e r , Anklage usw. S. 177; H a r r i s , Principles of the crim. law S. 460. 29 Weil diese Begutachtung obligatorisch ist, so wird anzunehmen sein, dafs der Verteidiger im Plädoyer zur Straffrage — nach Verkündung des Schuldspruchs der Geschworenen — das Gericht um die Begnadigungsbitte motiviert ersuchen darf. So F r y d m a n n , Verteidigung S. 370; M a y e r zu § 341 Bern. 6. 28

§ 68. Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

Kassationshofe, von diesem nach Rechtskraft des Urteils unter Beifügung seines Gutachtens dem Justizminister vorzulegen.

Siebentes Kapitel. § (38. A b u r t e i l u n g e i n e r I n z i d e n t k l a g e § 265 StPO Κ

gemäfs

Wird der Angeklagte im Laufe der schwurgerichtlichen Hauptverhandlung noch einer anderen Tat beschuldigt, als wegen welcher das Hauptverfahren wider ihn eröffnet worden, so kann dieselbe auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Zustimmung des Angeklagten mit zum Gegenstande der Aburteilung gemacht werden, es müfste denn die Tat als ein Verbrechen sich darstellen oder zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören. So die allgemeine Bestimmung des § 265 StPO bezogen auf das schwurgerichtliche Verfahren. An dieser Anwendbarkeit zu zweifeln 2 , liegt auch nicht der geringste Grund vor. Da die Vorstadien des Prozesses in schwurgerichtlichen Sachen nichts Eigentümliches haben und die allgemeinen Verfahrensnormen in § 276 StPO auf den schwurgerichtlichen Prozefs insoweit übertragen sind, als nicht die Besonderheit dieser Prozedur zu einer Abweichung führt, so könnten Gegenargumente nur aus der Struktur der schwurgerichtlichen Hauptverhandlung entnommen werden. Und welche sollten das sein? Auch die österreichische StPO läfst im § 263 die Inzidentanklage in der Hauptverhandlung zu und dehnt sie im § 321 ausdrücklich auf das schwurgerichtliche Verfahren aus. Der Vorgang ist insofern abweichend gestaltet, als es der Zustimmung des Angeklagten nur dann bedarf, wenn derselbe bei seiner Verurteilung 1

O e t k e r , Strafprozefsbegründung und Straf k l agerhebung (aus der Würzburger Festschrift für Dernburg, 1900) S. 64 f.; G l a s e r , „Urteil" in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 994f.; D e r s e l b e , Handb. I I S. 540f., 556f.; G e y e r S. 738f.; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 617 f., 658; D e r s e l b e , Deutsch. Strafproz. S. 494f.,519f.; v . K r i e s S.573f.; B i r k m e y e r S. 114,593,629,655; Β e n n e c k e B e l i n g S, 475, 488; R o s e n f e l d § 102; F r y d m a n n , Verteidigung S. 248 f., 252 f.; V a r g h a , Verteidigung S. 595 f.; L ö w e - H e l l w e g zu § 265. 2 So V o i t u s zu § 294 Bern. 2; D a l c k e zu § 265 Anm. 4; D e r s e l b e , Fragstellung S. 87 f. (Berufung auf die ganz unbeweisende Entstehungsgeschichte). Die herrschende Meinung bejaht die Anwendbarkeit, ebenso RG 2. Str.-S. E. Bd. 4 S. 79 f.

(4

§

Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

wegen dieser Tat unter ein Strafgesetz fiele, welches strenger ist als dasjenige, welches auf die in der Anklageschrift angeführte strafbare Handlung anzuwenden wäre 8 , und als wenn in einem solchen Falle der Angeklagte die Zustimmung verweigert oder wenn die Aburteilung nicht erfolgen kann, weil clem Gerichte eine sorgfältigere Vorbereitung nötig erscheint oder dieses zur Aburteilung über die hinzugekommene strafbare Handlung nicht zuständig ist, dem Ankläger auf sein Verlangen die selbständige Verfolgung wegen der neuen Tat vorbehalten werden mufs, aufser welchem Falle wegen dieser letzteren eine Verfolgung nicht mehr stattfindet. Entsprechend bestimmt § 321, dafs in der schwurgerichtlichen Verhandlung die Fragenstellung wegen der neuen Tat unterbleibt, wenn sich eine bessere Vorbereitung der Anklage oder Verteidigung als notwendig darstellt oder der Angeklagte in zulässiger Weise seine Zustimmung verweigert (unter Vorbehalt anderweiter Verfolgung auf Antrag des Anklägers) 4. I. Der Modus des § 265 bedeutet nicht Einleitung eines neuen Hauptverfahrens durch Eröffnungsbeschlufs unter Anordnung der Prozefsverbindung, es wirkt vielmehr der dem staatsanwaltschaftlichen Antrag entsprechende, den weitern Strafanspruch zur Verhandlung zulassende Beschlufs nur seine Durchführung vorausgesetzt, wie ein Eröffnungsbeschlufs 5. Der Beschlufs steht, auch wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, ganz im Ermessen des Gerichts 6 und kann, wenn im Verlaufe der Ver3 Der Grund für diese Differenz gegenüber dem deutschen Prozefsgesetz liegt in der Regelung der Bestrafung konkurrierender Delikte in den §§ 34, 35, 267 österr. StGB, wonach das neuhinzukommende Delikt, wenn es nicht mit härterer Strafe bedroht ist als das erste, nur einen Straferhöhungsgrund ergibt. Vgl. G l a s e r , Fragestellung S. 892; F i n g e r , Österr. Strafrecht I S. 295 f. Trotzdem bleibt zu tadeln, dafs dem Angeklagten in solchem Falle durch Abstandnahme vom Zustimmungserfordernis die Vorbereitung auf die Verteidigung in der neuen Sache nicht genügend garantiert ist. Das rügt mit Recht auch V a r g h a , Verteidigung S. 596. 4 Vgl. U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 658. Der Vorbehalt kann vom Ankläger nur angemeldet werden bis zum Beginn der Beratung der G«schworenen (§ 320 StPO), vgl. Entsch. des österr. Kass.-Hofs v. 7. Apr. 1877 Bd. 2 S. 281 f. S. auch oben Anm. 2 zu S. 159. 5 Die allgemeinen an § 265 sich anschliefsenden Konstruktionsfragen (vgl. O e t k e r a. a. 0.) werden hier nur insofern erörtert, als es zum Verständnis der schwurgerichtlichen Situationen geboten erscheint. Auch die Literaturnachweisungen sind in diesem Rahmen gehalten. 6 Auch Österr. § 263 mit § 321 ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dafs

§ 68. Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

handlung die Verbindung sich als nicht zweckmäfsig erweist, wieder zurückgenommen werden. Von der letzteren Befugnis ist namentlich dann Gebrauch zu machen, wenn das in der angegliederten Sache bestehende Beweisbedürfnis nur unter Aussetzung der schwurgerichtlichen Verhandlung befriedigt werden könnte 7 . II. Die Zulassung ist in einem formulierten, den Parteien zu verkündenden Beschlufs auszusprechen, der die Tat nach Art eines Eröffnungsbeschlusses bezeichnet. Während in nicht-schwurgerichtlichen Verhandlungen der Erlafs solchen Dekretes zwar stets empfehlenswert, der tatsächliche Eintritt in die Verhandlung über den weiteren Tatbestand ohne formulierten Zulassungsbeschlufs, also die Zulassung der neuen Klage durch latentes Dekret, aber nicht unzulässig sein würde, sofern nicht nach der Sachlage eine Beschränkung der Verteidigung aus der fehlenden Formulierung resultieren könnte 8 , ist im Schwurgericht formulierter Beschlufs als Äquivalent des fehlenden Eröffhungsbeschlusses obligatorisch. Denn die Fragestellung wird durch den Eröffnungsbeschlufs bestimmt : die Hauptfrage hat diesen zu erschöpfen ; kommt eine vom Eröffnungsbeschlufs abweichende Beurteilung der inkriminierten Handlung in Betracht, so mufs mit der Hauptfrage Hilfsfrage verbunden werden usw. Der Fragengestaltung wird so nach dem Gesetze durch formulierten Klagbeschlufs Inhalt und Richtung gegeben. Es sind daher auch die mit dem neuen Klagpunkt gegebenen Fragen in gleicher Weise zu fundamentieren. Einen Revisionsgrund aber würde die Versäumnis dann nicht der Gerichtshof mangels der ausdrücklich im Gesetz genannten Versagungsgründe die neue Klage zulassen m ü f s t e . Er kann nach seinem Ermessen auch wegen entstehender prozessualer Komplikationen den Antrag abweisen. Das meint wohl auch M i t t e r b a c h e r zu § 263 Bern. 4. 7 Aussetzung — in den Grenzen des § 228 StPO — ist immer ein nicht unbedenkliches Experiment, da für die weitere Verhandlung leicht ein Behinderungsfall in der Person eines Geschworenen eintreten kann (von pflichtwidrigem Ausbleiben ganz abgesehen). Vermeidbare Aussetzung — und das trifft unter den Voraussetzungen des Textes zu — ist daher stets zu vermeiden. 8 O e t k e r a. a. 0. S. 65, 66. Der Begriff des „latenten Zulassungsdekrets" erfährt in der Lehre vom schöffengerichtlichen Verfahren (unten § 74) genaue Bestimmung. Vgl. auch Entsch. des österr. Kass.-Hofs v. 6. Febr. 1891 Bd. 12 S. 93 f., wo mit Recht ausgesprochen ist, dafs in der blofsen Nichterlassung eines besonderen, die neue Klage zulassenden Interlokuts ein Anfechtungsgrund nicht liege. B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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§

Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

liefern, wenn aus dem sonstigen Verhandlungsinhalte sich klar ergäbe, wie die neu hinzutretende Beschuldigung vom Gerichte verstanden war, welches Delikt darin gefunden, welches Strafgesetz darauf für anwendbar erachtet wurde. In dieser Beziehung kommt namentlich in Betracht, dafs die Zustimmung des Angeklagten zur alsbaldigen Verhandlung nur dann in genügender Weise erklärt ist, wenn sie sich bezog auf ein tatsächlich und rechtlich — unter Hervorhebung der gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes — bestimmt charakterisiertes Faktum 9 . Dementsprechend hat der Antrag des Staatsanwalts die neu inkriminierte, in die Verhandlung mit einzubeziehende Tat in derselben Art, wie eine Anklageschrift, zu bezeichnen. Doch würde gleichstehen, wenn der Vorsitzende die Beschuldigung solchergestalt formuliert und der Staatsanwalt in seinem Antrage sich ausdrücklich oder konkludent diese Charakterisierung angeeignet hätte. Ist also in diesen Beziehungen korrekt verfahren worden, so kann trotz fehlendem ausdrücklichen Zulassungsbeschlusse über den vom Gericht gemeinten gesetzlichen Deliktstatbestand wohl kaum ein Zweifel geblieben sein. Auch die Rücknahme des Klagzulassungsbeschlusses hat korrekter Weise stets durch formuliertes Dekret zu erfolgen. I I I . Das Protokoll mufs den Antrag des Staatsanwalts, die Zustimmung des Angeklagten, den vom Gericht ausgesprochenen Zulassungsbeschlufs bestimmt angeben. IV. Die Zustimmung des Angeklagten enthält nicht einen Verzicht auf Aussetzung für den Fall, dafs in der Verhandlung Umstände neu hervortreten sollten, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des im formulierten Zulassungsbeschlufs angeführten, im latenten Dekret gemeinten 10 , oder welche die Tat gegenüber den Annahmen des Beschlusses qualifizieren würden, § 264 Abs. 3 StPO. Dagegen mufs die Zustimmung mit bezogen werden auf die Beweisführung von Seiten des Gegners in der Verhandlung, daher besteht nicht ein Aussetzungsanspruch aus § 245 Abs. 2 StPO. Das zu verwertende Beweismaterial konnte ja dem Angeklagten gar nicht zuvor mitgeteilt werden, hat er sich also der Verhandlung unter9 Die Zustimmung mufs ausdrücklich erklärt sein. Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 66. So jetzt auch RG 2. Str.-S. bei Goltd. Bd. 47 S. 154. Ebenso zu § 263 österr. StPO M a y e r Bern. 32. 10 Auch in dieser Hinsicht zeigt sich das Bedürfnis formulierten Beschlusses zur Vermeidung sonst etwa entstehender Zweifel.

§ 68. Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

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worfen, die doch die Beweiserhebung einschliefst, so kann er nun nicht aus diesem Grunde Einwendungen erheben. V. Durchaus mifsverständlich ist die öfters vertretene und gegen die gesetzliche Regelung geltend gemachte Auffassung 11 , § 265 enthalte eine Abweichung vom Akkusationsprinzip. Denn es fehlt wohl an einem der Verhandlung über die weitere Tat vorgängigen Klageakt, aber keineswegs an der Klagführung durch den Staatsanwalt in der Verhandlung 12 . VI. Da es einen präklusiven Verhandlungsschlufs vor Urteilserlafs in Strafsachen nicht gibt, die Beweisaufnahme insbesondere auch nach Erstattung der Schlufsvorträge noch erneuert werden kann, so ist die Heranziehung einer weiteren dem Angeklagten zur Last gelegten Tat zur Verhandlung und Aburteilung so lange zulässig, als das Urteil noch nicht erlassen i s t 1 8 . Es kann auch keineswegs die Einbeziehung des neuen Klagpunktes in vorgerücktem Verhandlungsstadium bei Spruchreife der ursprünglichen Klage stets als unzweckmäfsig bezeichnet werden. Ist das Beweismaterial für die weitere Beschuldigung das nämliche, wie für die andere Klage, und noch zur Stelle, hat gar die stattgehabte Beweiserhebung den neuen Klagpunkt schon ganz oder teilweise liquide gestellt, so wird es sich empfehlen, die fernere Verhandlung noch jetzt zuzulassen. Im schwurgerichtlichen Verfahren ist jedoch das präkludierende Urteil im Wahrspruch der Geschworenen, nicht erst im Endurteil des Gerichts zu finden. Der Wahrspruch erledigt die Schuldfrage uno actu; die sämtlichen Schuldfeststellungen der Geschworenen 11

Vgl. z. B. D a l c k e zu § 265 Bern. 1; T h i l o das. Bern. 1. Der Antrag der Staatsanwaltschaft gemäfs § 265 ist allerdings noch nicht Klage, wie G l a s e r I I S. 29·, B e n n e c k e - B e l i n g S. 475 annehmen, vielmehr das Begehren, Klage erheben zu dürfen. Soweit Klage unmittelbar beim erkennenden Gericht zugelassen wird, mufs natürlich die Einleitung der Verhandlung zur Entgegennahme der Klage oder die Verstattung zur Klage in anderweit bereits schwebender Verhandlung der Klage selbst vorangehen. Das geschieht ja aber auch nur unter der Voraussetzung zu erhebender Klage, also nicht von dieser unabhängig. Auch die Tatsache, dafs nach Zulassung der zu erhebenden Klage durch formulierten, den Klaginhalt angebenden Beschlufs ein formeller Klagakt nicht mehr erforderlich ist, darf nicht beirren. Das Klagen liegt in der dem Zulassungsbeschlufs folgenden Sachführung des Staatsanwalts bis zum Urteilserlafs (Klage als factum permanens). Vgl. O e t k e r a. a. 0. S. 66, 69. 13 Vgl. Entsch. des österr. Kass.-Hofs v. 20. Febr. 1880 Bd. 3 S. 122 f., v. 9. Okt. 1885 Bd. 8 S. 156 f., v. 20. Sept. 1886 Bd. 9 S. 119 f., v. 17. Febr. 1893 Bd. 14 S. 24 f. 41* 12

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§ 68. Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

gelten als Einheit, Teilverdikte sind unzulässig. Ein Nachtragsverdikt kann nur erfordert werden, wenn das Gericht in der Befragung der Geschworenen einen Anklagepunkt vergessen und auf Grund dieses in der Tat unvollständigen Spruchs das Urteil bereits erlassen hat 1 4 . Das Verdikt ist nicht deshalb unvollständig, weil der Staatsanwalt erst nach seiner Erstattung eine neue Klage noch erhoben hat. Kommt es zum Nachtragsverdikt, so haftet dem Hauptverdikt wegen seiner vom Gericht nicht bemerkten, durch den Urteilserlafs endgültig gewordenen Unvollständigkeit ein nicht mehr zu beseitigendes Vitium an, während das Nachtragsverdikt, wenn es nicht seinerseits an einem Spruchmangel laboriert, als rechtsbeständig zu erachten i s t 1 5 . Würde hingegen dem vollständigen Verdikt ein Nachtragsverdikt noch angeschlossen nach Geltendmachung neuer Klage, so könnte zwar nicht nachträglich das alte Verdikt als unvollständig erachtet werden, wohl aber würde der neue Spruch das Prinzip der einheitlichen Schuldfeststellung verletzen. V I I . Hatte vor dem Verdikt die Verhandlung über die neue Klage stattgefunden, so ist der Spruch jedenfalls dann unvollständig, wenn die bezüglichen Fragen nicht oder nur lückenhaft beantwortet wurden. Das Gericht mufs das Moniturverfahren anordnen, darf nicht etwa jetzt noch den Zulassungsbeschlufs zurücknehmen, um so den Fehler des Spruchs zu sanieren. Das Verdikt als Gesamtentscheidung ist, auch wenn tatsächlich unvollständig, Urteil mit der Tendenz, die gesamte den Geschworenen obliegende Aufgabe zu erledigen. Die neue Klage ist durch das Verdikt ganz zweifellos dann mit ergriffen, wenn die Geschworenen darauf — wiewohl unvollständig oder sonst fehlerhaft — geantwortet haben. In diesem Falle kann also dem Geschworenenurteil gewifs nicht mehr durch Zurückziehen der bezüglichen Fragen eine seiner Grundlagen genommen werden. Aber auch wenn jede Antwort auf diese Fragen fehlte, haben die Geschworenen nicht ein Teilverdikt gegeben — das k a n n der Spruch nicht sein —, sondern ein unvollständiges, ergänzungsbedürftiges Gesamtverdikt. Insofern ist das Verdikt stets Urteil auf Grund aller zum Gegenstand der Befragung gemachten Klagen. Die nachträgliche Zurückziehung einer dieser Klagen, die materielle Erledigung im Verdikte nicht gefunden hat, ist daher selbst in dem besonderen Falle unzulässig, 14 Vgl. oben S. 459 f. (Zusätzliches Verdikt wegen mildernder Umstände bei nachträglicher Rückfallsannahme: oben S. 224). 15 Vgl. oben S. 512.

§ 68. Aburteilung einer Inzidentklage gemäfs § 265 StPO.

dafs e,s an sich dem Gerichte durch Rücknahme des Klagzulassung sbeschlusses möglich wäre, diesen Effekt zu erreichen. Wie aber, wenn die Befragung der Geschworenen über die neue Klage unterblieben war? Ist diese Unterlassung als Rücknahme des Klagzulassungsbeschlusses zu deuten, wie sie dem Gerichte vor Abgabe des Verdikts ja sicher noch freisteht? Die Frage wird durch das weitere Verhalten des Gerichts entschieden. Verfügt es die Berichtigung des Verdikts unter Nachbring ung der bezüglichen Fragen, so ist jene Annahme bündig widerlegt. Andernfalls mufs, da dem Gerichte pflichtwidrige Hinnahme unvollständigen Verdikts nicht zugetraut werden darf, Rücknahmewille, konkludent erklärt durch Nichtbefragung der Geschworenen, unterstellt werden. Allerdings hätte es, zumal bei vorgängigem ausdrücklichen Zulassungsbeschlufs, formulierten Rücknahmebeschlusses bedurft. WTenn aber das Verfahren des Gerichts einen von zwei Fehlern notwendig einschliefst, so mufs rationelle Auslegung der Prozefsakte doch immer den geringeren Verstofs annehmen. Versagung der Klagzulassung, Rücknahme des Zulassungsbeschlusses im Falle des § 265 liefert, auch wenn in inkorrekter Form erklärt, niemals einen Grund der Urteilsanfechtung. Formwidrige Rücknahme ist also in unserem Falle ganz gewifs der geringere Fehler. V I I I . Haftet dem Geschworenenspruch ein sachlicher Mangel an, so kann anläfslich des Moniturverfahrens eine Ergänzung der Fragen noch stattfinden, folglich auch die Verhandlung über neue Klage gemäfs § 265 jetzt noch in das Verfahren eingeschoben werden. Dafs der Angeklagte dabei zugezogen werden mufs (vgl. auch § 311 Abs. 2 StPO), ist selbstverständlich. Erneuerung der Schlufsvorträge. weitere Rechtsbelehrung 10 dürfen nicht versäumt werden, wenn die weitere Verhandlung sich erst nachträglich angeschlossen hatte. IX. Ergibt sich in der eingegliederten Sache Prozefsvoraussetzungsmangel und zwar vor der Verdiktsabgabe, so ist nicht insofern Einstellungsurteil zu erlassen, vielmehr der Zulassungsbeschlufs zurückzunehmen; nach dem Spruche hingegen bleibt aus diesem Grunde nur noch Einstellungsurteil übrig neben dem Sachurteil zur ursprünglichen Klage (falls nicht auch hier ein gleicher Defekt besteht). 16

Vgl. dazu oben S. 589 f.

Siebentes Buch. Das schöffengerichtliche Verfahren.

Erstes Kapitel. Funktion und Bildung des Schöffengerichts. A. § 69. D i e O r g a n i s a t i o n des S c h ö f f e n g e r i c h t s 1 . I. Das moderne deutsche Schöffengericht war in seinen Anfängen keineswegs dazu bestimmt, dem Schwurgerichte Konkurrenz zu machen, aber es hat diese Bedeutung erlangt. 1

Die Frage der Strafgerichtsbesetzung ist erst in zweiter Linie Frage des Schöffen- oder Schwurgerichts. Denn diese Kontroverse hat zur Voraussetzung, dafs über die Heranziehung nicht-beamteter Laien oder nicht-beamteter rechtsgelehrter Richter zum Strafgericht bejahend entschieden ist. Grofses Verdienst um die richtige Fragestellung hat B i n d i n g , Die drei Grundfragen der Organisation des Strafgerichts 1876. Im folgenden wird nur die Literatur nach G l a s e r , Handb. I S. 175 Anm. 10, zusammengestellt. F ü r S c h ö f f e n g e r i c h t e : J a c o b i , Rechtsschutz im deutsch. Strafverfahren 1883 S. 98 f.; F u l d a , Zeitfragen des christl. Volkslebens Bd. 8 H. 5 1883; O l s h a u s e n , Beiträge zur Reform des Strafproz. 1885 S. 35f.; Verhandl. des 18. Jur.-Tags 1886 I S. 254 f. — O l s h a u s e n — , I I S. 252 f. — S ü p f l e —, I I S. 278 f. — Κ r ο n e c k e r — ; Grenzboten Jahrg. 45, 1886, 3. Quart. S. 584 f. — M e i s e l —·, P f i z e r , Recht u. W i l l k ü r im deutsch. Strafproz., Deutsche Zeit- u. Streitfragen N. F. Η. 41/42, 1889, S. 41 f., 77 f.; Verhandl. des 22. Jur.-Tags 1892 I S. 108 f. — S t e n g l e i n — , I I S. 1 f. — F r a n k — , I V S. 438 f. — Gne i s t —, S. 451 f. — H a m m — ; v. B ü l o w , Die Reform unserer Strafrechtspflege 1893 S. 36 f.; v. K r i e s , Preufs. Jahrbüch. Bd. 75, 1894, S. 126 f.; S c h ö n e m a n n , Betrachtungen üb. die Novelle zu GVG u. StPO, 1894; G o l d e n r i n g , Bemerkungen zum Entw. eines Ges. betr. Abänderung von GVG u. StPO, 1894, S. 40; M i t t e l s t ä d t , Beiträge zur Erläuterung des deutsch. Rechts Bd. 38,1894, S. 236 ; K u le m a n n , Ger.-Saal Bd. 51 S. 83f.; A s c h r o t t , Reform des Strafverfahrens 1895 S. 48 f., 51 f.; K ö h n e , Der deutsche Strafproz. u. seine Reform 1895 S. 53 f.; C o r d e s , Reform der Schwurgerichte 2. Aufl. 1896 S. 20 f. (will auf die Schöffengerichte die Bezeichnung „Schwurgericht" übertragen); G i n s b e r g , Bemerkungen zur Reform des Strafproz. 1896; B o r n h a k , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 19, 1899, S. 77 f., 82 f.; W i t t i c h , Reform des Strafrechts u. der Strafrechtspflege 1901 S. 90f.; S t e n g l e i n , Ger.-Saal Bd. 62, 1903, S. 336f., 341 f. (freilich in wenig überzeugterWeise); G ö r r e s , Der Wahrspruch der Geschworenen u. seine psychol. Grundlagen 1903 S. 74 f.; S t e n g l e i n , Jur.Zeit. Bd. 8, 1903, S. 11; B ö h m e das. S. 362; W a c h , Jurist.-Zeit. Bd. 10, 1905,

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§ 69. Die Organisation des Schöffengerichts.

Als die hannoversche Gesetzgebung von 1850 zur Aburteilung von Polizeistrafsachen dem Berufsrichter zwei Schöffen gesellte (GVG v. 8. Nov. 1850 § 33; StPO v. dems. Tage §§ 2, 3; Anhang I S. 81 f.; L i n d e n b e r g das. S. 615f.; H a m m das. S. 797f.; G a l l i das. S. 849f.; v. B o m h a r d , Das Recht Bd. 9, 1905, S. 390f. (in mehr referierender Weise, anschliefsend an die Beschlüsse der Ref.-Komm.); L a m m a s c h , Österr. Richt.Zeit. Bd. 2, 1905, S. 297 f.; Y on s c h o t t , Zur Reform des deutsch. Strafproz. 1905; W e i d l i c h , Die engl. Strafprozefspraxis u. die deutsche Strafprozefsreform 1906 S. 72 f.; W a c h en f e i d in Aschrott, Reform des Strafprozesses 1906 S. 1 f.; M a t t h a e i , Soz. Praxis, 15. Jahrg. 1906 S. 475. F ü r S c h w u r g e r i c h t e : U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 130f. (vgl. auch U l l m a n n , 10. Jur.-Tag 1872 I S. 122 f.); J o h n , Komm, zu StPO I S. 28 f., 1884 (vgl. auch J o h n , Über Geschworenengerichte u. Schöffengerichte 1872); M a y e r , Streiflichter auf den gegenwärt. Strafproz. 1886 S. 107 f. (vgl. auch M a y e r , Geschworenengerichte u. Schöffengerichte 1872, insbes. S. 135f.); D e r s e l b e , Beiträge zur Verteidigung der Jury 1888; M u n k e l , Nation Jahrg. I I I , 1885/86 S. 703 f., 720 f.; Verhandlungen des 18. Jur.-Tags 1886 I I S. 395 f. — K ü h n e —, das. S. 402 f. — W i e s a n d t —; F r i e d m a n n , Über die Schwurgerichte 1887; S e e f e l d in Goltd. Arch. Bd. 35, 1887, S. 193 f.; Verhandlung, des 22. Jur.-Tags 1892 Bd. 4 S. 464 f. — H. S e u f f e r t (vgl. auch S e u f f e r t , Über Schwurgerichte u. Schöffengerichte 1873) — ; S a m t e r , Aus schöffengerichtl. Praxis 1894 S. 25 f. ; Ο e h l e r , Schwurgerichte u. Schöffengerichte 1896; B i r k m e y e r , Strafprozefsrecht 1898 S. 215f.; W i n k l e r , Das Recht Jahrg. 7, 1903, S. 304 f. (unter der Voraussetzung bestimmter Reformen); H e i n e , Sozialist. Monatshefte 1905 S. 938 f.; O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65, 1905, S. 325 f. (unter der Voraussetzung der Teilnahme eines Richter-Geschworenen und weiterer Umbildungen), Bd. 68,1905, S. 81 f.; S t r a n z , Jur. Zeit. Bd. 10, 1905, S. 678; W . M i t t e r m a i e r , Zur Frage der Schwurgerichte, Monatsschr. f. Krim.-Psychol. u. Strafrechtsreform 1905 (mit Reformvorschlägen); B ö c k e r , Preufs. Jahrbüch. Bd. 121, 1905, S. 124 f. (mit Reformvorschlägen), 422 f.; v. B a r in Zeitschr. f. Strafrechtswissensch. Bd. 26 1906 S. 219 f. (vgl. auch v. B a r , Zur Frage der Geschworenen- u. Schöffengerichte 1873); K a h l , Schwur- oder Schöffengerichte in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte u. Schöffengerichte Bd. I, 1906, S. 7 f. (mit eingehenden Reformvorschlägen); L i e p m a n n das. S. 35f.; H e i n e m a n n , Zeitschr. f. Strafrechtswissensch. Bd. 26 S. 541 f.; v. L i s z t , Reform des Strafverfahrens 1906 S. 12 f.; W e i n g a r t in Aschrott, Reform des Strafprozesses 1906 S.726f.(mit Reformvorschlägen); H a r t m a n n , Strafrechtspflege in Amerika, 1906, S. 144f.: A d i c k e s, Grundlinien durchgreifender Justizreform 1906 S. 104f. F ü r S c h w u r g e r i c h t e a u c h i n d e r M i t t e l s t u f e („korrektioneile Jury"): M er k e l , 9. Jur.-Tag I I Nachträge, 1871, S. 42 f.; H . S e u f f e r t , Schwurgerichte u. Schöffengerichte 1873 S. 65 f. ; W e l l m a n n , Geschworene oder Schöffen 1873 S. 139; B i r k m e y e r , Strafprozeferecht 1898 S. 227, 228; B ö c k e r a. a. O.; v. B a r , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 26 (1906) S. 233; A d i c k es, Grundlinien S. 105. (Über die korrektionelle Jury in der Schweiz — Genf u. Neuenburg — vgl. R o t h e n b u r g e r - K l e i n , Geschichte u.Kritik des Schwurgerichtsverfahrens in der Schweiz S. 140 f., 174 f.). Für eine eigenartige Kombination von Schöffen- und Schwurgericht : I s e m a n n , Grenzboten 64. Jahrg. 1905 2. Quart. S. 138 f.

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der StPO über Zuziehung von Gerichtsschöffen in Pol.-Strafsachen), war die Absicht, diesen Zweig der Rechtspflege volkstümlicher zu machen und einen kollegialen Entscheid zu ermöglichen 2. Der Gedanke, dem gleichzeitig eingeführten Schwurgericht eine rivalisierende Bildung gegenüberzustellen, lag diesem Gesetze fern 3 . Das gleiche gilt für die Gesetzgebungen von Oldenburg (StPO v. 2. Nov. 1857 Art. 8 u. Anlage I), Bremen (provis. StPO v. 30. Juli 1863; revid. StPO. v. 26. Dez. 1870 §§ 12, 20 u. Anhang I I ) , Kurhessen (GVG v. 28. Okt. 1863 § 5 u. Anh. I 4 ) und Baden (GVG v. F ü r n u r r e c h t s g e l e h r t e Beam t e n g e r i c h t e : in erster Linie B i n d i n g , Die drei Grundfragen der Organisation des Strafgerichts 1876 (vgl. auch die Ausführungen das. S. 47); D e r s e l b e , Grundrifs §50; Verhandl. des 18. Jur-Tags, 1886, I S. 137 f. — E l b e n — , I I S. 314 f. — H i l l e r — ; Grenzboten 44. Jahrg. 1885 4. Quart. S. 361 f. (Anonymus); 45. Jahrg. 1886 4. Quart. S. 201 f. (Anonymus); Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 7, 1887, S. 1 f. (Anonymus); L e le w e r im Arch. f. Krim.-Anthropol. Bd. 12 (1902) H. 1, Bd. 14 (1904) H. 1, 2; U n g e r in Hirths Annalen Jahrg. 1903 S. 535 f.; G r o f s , Handbuch für Untersuchungsrichter I S. 42 f. (4. Aufl. 1904); Be s e i e r , Ger.-Saal Bd. 68 S. 108 f.; D e l i u s , Jurist. Lit.-Blatt Bd. 17, 1905, S. 149 f.; Β e I i n g in v. HoltzendorffKohler, Enzykl. I I S. 346; De N i e m , Berufsrichter oder Laienrichter 1906; S c h u b e r t in Aschrott, Reform des Strafproz. 1906 S. 2f. Die Vertreter dieser letzteren Gruppe geben zumeist, so besonders B i n d i n g , dem Schöffengericht den relativen Vorzug vor dem Schwurgericht. Für rechtsgelehrte Gerichte unter Teilnahme nicht-bea m t e t e r J u r i s t e n : v. W e i n r i e h , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 15, 1895, S. 556 f. Für S t r a f k a m m e r n statt m i t t l e r e r Schöffengerichte: Samter, Jur.-Zeit. Bd. 8 S. 164; D e l i u s , Jur. Lit.-Bl. Bd. 17 S. 149 f.; D e l b r ü c k in Mittermaier-Liepmann, Schwurgerichte u. Schöffengerichte I S. 29 f. F ü r L a i e n g e r i c h t e i n e r s t e r und der B e r u f u n g s i n s t a n z unter B e t e i l i g u n g nur eines s t u d i e r t e n R i c h t e r s als V e r h a n d l u n g s l e i t e r und m i t Sitz und S t i m m e im K o l l e g i u m , j e d o c h u n t e r Auss c h l u f s v o m V o r s i t z e : M e y e r , Gebildete Laien als Strafrichter 1906. 2 L e o n h a r d t , Justizgesetzgebung des Königreichs Hannover Bd. 3 S. 20 2. Aufl.), Bd. 1 S. 176 f. 3 Doch war Erstreckung des Schöffenprinzips auf die Mittelstufe in Aussicht genommen. 4 Die kurhessischen Schöffen waren wie die dortigen Geschworenen auf die „Tatfrage" beschränkt, vgl. oben S. 6 Anm. 6, wirkten also nicht einmal bei der gesamten Schuldfrage mit, während sie von der Strafbemessung ganz ausgeschlossen waren. Insofern also starke Abweichung von dem hannoverschen Muster (vgl. den ständischen Bericht)! Die „Tatfrage" aber entschieden sie in Gemeinschaft mit dem Richter. Vgl. die §§ 17, 19 der Vorschriften üb. die Zuziehung von Gerichtsschöffen, Anh. I zu GVG v. 28. Okt. 1863. Die Bildung verdiente im Grunde nicht die Bezeichnung „Schöffengericht", vgl. unten sub II.

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19. Mai 1864; StPO v. 18. März 1864 §§ 304 fg. u. Beilage II), die sich dem Hannoverschen Vorgänge anschlossen5. Aber die neue Gerichtsform drängte zur Vergleichung mit dem Schwurgericht und legte, als die Mängel der bestehenden Juryorganisation mehr und mehr empfunden wurden, die Fragstellungsprobleme, deren die Doktrin trotz redlichem Bemühen nicht Herr geworden war, in steigendem Mafse die Praxis belasteten und beirrten, den Gedanken nahe, in Ersetzung der Schwurgerichte durch Schöffengerichte eine radikale, alle Schwierigkeiten beseitigende Abhilfe zu suchen. Als Wortführer dieser Bestrebungen trat besonders S c h w a r z e in seiner Schrift „Das deutsche Schwurgericht und dessen Reform" 18656 hervor. „Vater des Schöffengerichts", wie man ihn öfters genannt hat, war er gewifs nicht, wie schon der Hinweis auf das Hannoversche Gesetz zeigt. Aber die gesetzgeberischen Versuche, die Jury durch das Schöffengericht zu beseitigen, knüpfen allerdings an Schwarzes Wirksamkeit an. Die einschlägigen Gesetze Preufsens (StPO v. 25. Juni 1867 für die neuen Landesteile § 12 u. Anl. „Bestimmungen üb. d. Berufung zum Schöffenamte") und Württembergs (GVG v. 13. März 1868 Art. 4 fg., 11 fg., 36 fg. und StPO v. 17. April 1868 Art. 14,15) 7 fanden die Empfehlung des Schöffengerichts als Juryersatz bereits vor. In dieser Ausbreitung des Schöffengerichts mochten daher die Anhänger seiner generellen Einführung, wenn nicht bereits 5 Über den österr. Entw. v. 1867 § 476 — Zuziehung von Schöffen zu den Bezirksgerichten — und dessen Schicksal s. U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 129; G l a s e r , Handb. I S. 203. 6 Vorangegangen war die Abhandlung: „Das Geschworenen- und Schöffengericht" in der sächs. Gerichtszeit. 1864, Extrah. u. Nachtr. S. 121 f. Es folgten 1872 Artikel in der österr. Gerichtszeit. Nr. 36 bis 42 (gegen W a h 1 b e r g das. Nr. 1 bis 4) und 1873 „Das Schöffengericht". Vgl. auch S c h w a r z e in v. Holtz. Handb. I I S. 567 f. Auch v. H y e - G l u n e k , der prinzipiell dem rechtsgelehrten Beamtengerichte den Vorzug gab, hatte eventuell die Schöffenorganisation empfohlen, Schwurgericht 1864 S. 37, 76 f. Vorläufer S c h w a r z e s und H y e s war insbesondere Be se 1er, Volksrecht u. Juristenrecht 1843 S. 267 f. Über weitere Anregungen aus älterer Zeit vgl. S c h w a r z e , Schwurgericht S. 168, 186 f. 7 I n Württemberg war die Beteiligung von Schöffen an der Strafgerichtsbarkeit althergebrachten Rechtens. Vgl. W a e c h t e r , Württemb. Privatrecht I S. 1016 f.; Z a c h a r i a e , Schöffengericht S. 23 f. Auch in mehreren österreichischen Provinzen hatte sich die Anteilnahme von Laien au der (patrimonialen) Strafjurisdiktion bis 1848 erhalten, v. H y e , Schwurgericht S. 77 f.

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einen Erfolg, so doch einen Stützpunkt für ihre Bestrebungen finden. Besonders im Hinblick auf Württemberg, das auch in der Mittelstufe Schöffengerichte einführte. Nachdem einmal in der Literatur dem Schwurgericht das Schöffengericht e n t g e g e n gestellt war, lag nahe, im Nebeneinanderbestehen der Gerichte ein Gegeneinander, im koordinierten Schöffengericht eine juryfeindliche Organisation zu finden. Diese Auffassung mufste sich dann auch für die altern, in ihrer Entstehung gewifs „unbefangenen" gesetzlichen Bildungen geltend machen. Und in der Tat läfst sich die völlig abweichende Organisierung der Gerichte, nach dem bestehenden Schöffen- und Juryprinzip, aus einer innern Verschiedenheit der abzuurteilenden Strafsachen nimmermehr erklären; es besteht eine Dissonanz, auf deren Lösung oder doch wesentliche Abschwächung hingearbeitet werden mufs 8 . Aber der Sturz der Jury durch das Schöffengericht ist nicht der einzige Weg zu diesem Ziele! Auch durch Reform des Schwurgerichts und Annäherung des Schöffengerichts an das verbesserte Schwurgericht wäre die Brücke geschlagen! Wesentlich unter S c h w a r z e s Einflufs wurden 1868 bei der Revision der Strafprozefsgesetzgebung in Sachsen Schöffengerichte für die mittleren Straffälle und nur für diese eingeführt 9 (StPO v. 1. Okt. 1868 Art. 45 a und Ges. die Wahl der Gerichtsschöffen betr. von dems. Tage), doch in eigenartiger Gestalt, mit starker Anleihe bei den gerade von S c h w a r z e so heftig befehdeten Schwurgerichten, ja — ein der Ironie nicht entbehrender Mifsgriff — unter Herübernahme eines Hauptfehlers der bestehenden Juryform, der innern Zwiespältigkeit des Urteils durch Ausschliefsung der Nicht-Berufsrichter von der Straffrage 10 . 8

Wenn W a c h , Jur.-Zeit. Bd. 10 S. 86, die Koexistenz der gegensätzlichen Systeme auf die Dauer für unmöglich erklärt, so kann dem nur durchaus beigestimmt werden. 9 Vgl. über den Gesetzgebungsvorgang H e i n z e in Goltd. Arch. Bd. 16 S. 612 f., 673 f. und S c h w a r z e , Strafprozefsges. in Sachsen Bd. I S. V I I f., Bd. I I Heft 3 Einleitung. 10 Vgl. Ges. üb. die Gerichtsschöffen § 29. Aber auch an der Schuldfrage sind die Schöffen nach § 27 des Ges. nur insoweit beteiligt, als die Zuständigkeit der Geschworenen reicht, und diese ist nach § 66 des Schwurgerichtsges. v. 1. Okt. 1868 durch die Anordnung wesentlich beschränkt, dafs nicht allgemein bekannte oder doch in ihrer Anwendbarkeit auf den vorliegenden Rechtsfall nicht unbestrittene Rechtsbegriffe in den Fragen an die Geschworenen tatsächlich umschrieben werden sollen (vgl. oben S. 8, 9). In gleichem Umfange ist daher auch den Schöffen der Mit-

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Besondere Erwähnung verdienen noch die H a m b u r g e r Gerichtseinrichtungen, indem dort sowohl beim Niedergericht, als in zweiter Instanz beim Obergericht ständige, auf bestimmte Zeit gewählte Schöffen an der Aburteilung der Strafsachen teilnahmen (so in Anknüpfung an althergebrachte Organisationen, die Verfassung vom 28. September 1860 und das Gesetz vom 30. April 1869) n . Das Streben nach einheitlichen Grundlagen der Strafgerichtsverfassung und die Erkenntnis der Mängel des bestehenden Jurysystems, die — irrigerweise — für unheilbar erachtet wurden, führten in den ersten Entwürfen des GVG und der StPO zu dem Versuche, die Alleinherrschaft des Schöffengerichts in erster Instanz zu etablieren. Die Strafjurisdiktion sollte insofern in die Hände kleiner, mittlerer und grofser Schöffengerichte gelegt werden: kleiner bei den Amtsgerichten (Amtsrichter und zwei Schöffen), mittlerer und grofser bei den Landgerichten (drei Richter des Landgerichts und vier bzw. sechs Schöffen). Als Rechtsmittelgerichte — nach den Entwürfen nur Revisionsgerichte — waren rein rechtsgelehrte Kollegien in Aussicht genommen12. Das Projekt stiefs auf heftigen Widerstand. Die späteren Entwürfe und das Gesetz nahmen eine wesentlich andere Haltung ein. Unter Beibehaltung des Schwurgerichts für die schwersten Delikte, der Strafkammer in der Mittelstufe blieb das Schöffengericht — Amtsrichter und zwei Schöffen — nur für die Übertretungen und einen Teil der Vergehen. Neuerdings hat sich die Kommission zur Vorbereitung einer neuen deutschen Strafprozefsordnung für das Schöffensystem entschieden 1 8 . In erster und in der Berufungsinstanz sollen Schöffengerichte bestehen : an Stelle der bisherigen Scheidung von Schöffengerichten, Strafkammern, Schwurgerichten kleine, mittlere und grosse Schöffengerichte, gebildet aus dem Amtsrichter und zwei Schöffen, drei Berufsrichtern und vier Schöffen, drei Berufsrichtern und sechs Schöffen 14, unter Ausschlufs der Übertretungen und entscheid der Subsumtionsfrage entzogen. Hiernach ist die sächsische Regelung, weit entfernt originell zu sein, offenbar eine Nachbildung der kurhessischen. 11 Vgl. für Hamburg Z a c h a r i a e , Mod. Schöffengericht S. 29 f.; Denkschrift üb. die Schöffengerichte 1873 S. 8, 37 f. 12 Vgl. hierzu G l a s e r I I S. 185 f.; J o h n , Komm. S. 28 f. 13 Protok. Bd. 1 S. 383 f., Bd. 2 S. 1 f. 14 Dieselben Zahlen in dem Gutachten 0 1 s h a u s e n s für den 18. Jur.-Tag Yerhandl. I S. 274 und in den früheren Entwürfen.

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unter den Voraussetzungen des von der Kommission vorgeschlagenen abgekürzten Verfahrens auch der Vergehen, die dem Amtsrichter als Einzelrichter überwiesen werden 15 ; zur Erledigung der Berufungen sind neben den mittlem und grofsen Schöffengerichten als zweiter Instanz gegenüber einerseits den kleinen Schöffengerichten und dem Amtsrichter in Vergehenssachen, andererseits den mittleren Schöffengerichten noch besondere kleine lind grofse Schöffenberufungsgerichte, gebildet aus einem Landrichter und zwei Schöffen, drei Berufsrichtern und acht Schöffen, die ersteren übergeordnet dem Amtsrichter als Einzelrichter in Übertretungssachen , die letztern als zweite Instanz gegenüber den grofsen Schöffengerichten in Aussicht genommen16. II. Die Eigenart des Schöffengerichts gegenüber dem Schwurgericht liegt in seiner Einheitlichkeit 11 . Die Schöffen bilden nicht ein Kollegium neben dem Richter, dem Gericht, sondern mit diesem 18 . Die Geschworenenbank hingegen ist ein besonderes Kollegium, koordiniert der Richterbank, mit besonderer Urteilsaufgabe. Ein Gericht verliert die Einheitlichkeit nicht schon deshalb, wreil bestimmten Richtern die Vornahme bestimmter prozessualer 16

Vgl. dazu unten § 75. Vgl. zu den Kommissionsbeschlüssen in wesentlicher Ergänzung der Protokolle W a c h , Jur.-Zeit. Bd. 10 S. 321 f.; ferner H a m m das. S. 797 f.; G a l l i S. 849 f. (beide für Minderung der vorgeschlagenen Schöffenzahl); L i n d e n b e r g S. 622; M ü g e l das. Bd. 11 S. 1109 f.; feelius, Jur. Lit.-Bl. Bd. 17 S. 149 f. (diese für Ausschlufs der Berufung gegen Urteile der grofsen Schöffengerichte); W e i d l i c h , Engl. Strafprozefspraxis u. deutsche Strafprozefsreform S. 74f. (für Ausscheidung der mittleren Schöffengerichte und Minderung der Schöffenzahl); ähnlich W a c h e n f e l d in Aschrott, Reform des Strafproz. S. 46 f. (Verteilung aller erstinstanzlichen Sachen auf kleines und grofses Schöffengericht). L i n d e n b e r g a.a.O. S. 619 f. will das Berufungsgericht gegenüber dem Einzelrichter nur mit Rechtsgelehrten besetzen. Nach M ü g e l a. a. 0. soll stets nur ein Berufsrichter dem Schöffengericht angehören. 11 Vgl. besonders B i n d i n g , Drei Grundfragen S. 14 f., 53 f. 18 Das moderne Schöffengericht steht somit iû vollem Gegensatze zu dem alten deutschen Schöffengericht, das durch die organisatorische Trennung von Richten und Urteilen charakterisiert war. Vgl. Z a è h a r i a e , Mod. Schöffengericht S. 4f.; J o h n , Geschworenengerichte u. Schöffengerichte S. 16f.; W a h l b e r g in v. Holtz. Strafrechtszeit. Bd. 13 S. 42 f.; G l a s e r , „Schöffen" in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 587; B i r k m e y e r , Strafprozefsrecht S. 222. In dem Buche von L e u e , Das deutsche Schöffengericht 1847 ist der Name „Schöffengericht" auf die Jury übertragen. 16

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Handlungen allein überwiesen ist. Die besondern Prozefsaufgaben des Vorsitzenden heben ganz gewifs nicht die Einheit des Gerichts auf, mag dieser dabei nur in Repräsentation des Kollegiums oder als Rechtspflegeorgan neben diesem handeln. Somit würde auch durch Übertragung bestimmter distinkter Befugnis auf die Berufsrichter im Gegensatz zu den Schöffen keineswegs n o t w e n d i g Spaltung in ein Doppelgericht bedingt. Es mufs vielmehr der Einheit des Gerichts ein bestimmter Beziehungspunkt gegeben werden. Dieser kann nur sein der Urteilserlafs. Denn im Urteil erfüllt der Prozefs seine Bestimmung. Das Gericht besteht um des Urteils willen. Und zwar um des Sachurteils willen, zur Entscheidung über Bestand oder Nichtbestand erhobenen Strafanspruchs. Ein Strafprozefs, der mit blofsem Einstellungsurteil endet, hat seine Bestimmung verfehlt. Einheit des Gerichts besteht mit Einheit des Sachurteils. Ein aus Berufs- und Nicht-Berufsrichtern zusammengesetztes Gericht hört nicht dann auf, einheitliches Gericht, „Schöffengericht" zu sein, wenn die dem Urteil vorgängigen Entscheidungen lediglich von den Berufsrichtern zu fällen sind. Der Gerichtskörper „Schöffengericht" kann neben dem zum Urteil berufenen Gesamtkollegium in dem Richter oder den Richtern im eng. Sinn ein besonderes Organ zur Erfüllung anderweiter Funktionen haben. Ja es könnte auch der Erlafs des Einstellungsurteils lediglich den Berufsrichtern überwiesen sein. Es käme dann eben in letzterem Falle das Gesamtkollegium nicht zur Aktion. Mafsgebend ist die Übertragung des Sachurteils auf die Richtergesamtheit. Mit Ausschliefsung der „Schöffen" — oder der Berufsrichter — von Teilen der Sachentscheidung fällt der Begriff des Schöffengerichts. Es trug daher, wie bereits B i n d i n g treffend bemerkt hat, das sächsische „Schöffengericht" seinen Namen mit Unrecht 19 . Dagegen wäre dem Begriffe des Schöffengerichts nicht zuwider sukzessive Erledigung der Schuld- und der Straffrage in getrennten Entscheidungen je durch Richter und Schöffen gemeinsam. Die Scheidung dieser Fragen bei der Abstimmung ist für jedes Kollegium eine Notwendigkeit. Ob es sich empfiehlt, die Beantwortung der Schuldfrage in besonderem Gerichtsausspruch zu fixieren, die Diskussion der (Subsumtions- und) Straffrage unter den Parteien und die Entscheidung darüber erst nach Erlafs des Schuldurteils eintreten zu lassen, ist eine das Wesen des Schöffengerichts nicht 19

E r nennt es, Grundrifs § 50, ein „modifiziertes Schwurgericht".

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berührende Frage der prozessualen Technik. Es ist daher wohl denkbar, dafs ein Schöffengericht einen „Wahrspruch" über die Schuld erläfst 20 . Auch könnte diesem Wahrspruche eine „Fragestellung" vorausgehen, indem die Fragen, die das Gericht sich selbst zu stellen hätte, zuvor — nach Verhandlung mit den Parteien — fixiert und kundgegeben würden. Die Rätlichkeit solcher Prozefsgestaltung mufs ganz auf sich beruhen, zu betonen ist hier nur die begriffliche Möglichkeit ihrer Durchführung im schöffengerichtlichen Verfahren. Nicht die Ausscheidung eines besonderen Schuldurteils, sondern die Fernhaltung der Richter oder „Schöffen" von der Entscheidung der Schuld- oder Straffrage zerstört das Schöffengericht. Mit solcher Ausschliefsung ist immer eine Zweiheit der urteilenden Kollegien etabliert, auch dann, wenn nur das eine Urteil von einem Teile der Richter — den Berufs-, Nichtberufs-Richtern —, das andere hingegen von allen gefällt wird. Daraus folgt denn auch, dafs eine „Fragestellung" im Schöffengericht nur in Fragen der Richtergesamtheit an sich selbst bestehen könnte 21 , der Fragende mit dem Antworter identisch sein müfste. Charakteristisches Merkmal des „Schwurgerichts" ist nicht sowohl die getrennte Beantwortung der Schuld- und der Straffrage, als vielmehr die Erledigung der einen und der anderen durch verschiedene Richterkollegien 21a . In den historischen Erscheinungen der Schwurgerichts-Institution erschöpfen sich nicht die begrifflich denkbaren Verwirklichungen dieses Gerichtsprinzips. Entscheidung der Schuldfrage nur durch Geschworene, der Straffrage durch Richter und Geschworene beseitigt nicht den Begriff des Schwurgerichts. Die prozefspolitische Frage einer solchen Umbildung der Schwurgerichtsform mufs hier — bei der dogmatischen Untersuchung — zurücktreten. Ja es ist, wie ein Schöffengericht mit voraus durch Zwischenentscheid — fixierter Fragestellung, so ein Schwurgericht ohne solche begrifflich durchaus denkbar. Sogar bei Entscheidung nur der Straffrage durch Richter und Geschworene, während die Schuldfrage ausschliefslich den beamteten Richtern zufiele, wäre noch „Schwurgericht" anzunehmen. 20

Vgl. oben S. 114. Wohl könnte anerkannt sein ein Recht der Parteien dahin, dafe sich das Gericht bestimmte Fragen zur Entscheidung vorlegte. 2ΐ Λ Ich kann K a h l , Schwur- oder Schöffengerichte S. 21, nicht zugeben, dafs durch Heranziehung eines Richter-Geschworenen das Schwurgericht in ein Schöffengericht sich wandele. 21

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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Gerade in diesem Verhältnisse ist die begriffliche Klarstellung auch prozefspolitisch wertvoll, indem sie eine unbefangene, nicht an den geschichtlich gegebenen Gerichtsformen haftende Würdigung von Reformvorschlägen gewährleistet, vor einer Übertreibung der Gegensätze Schwurgericht — Schöffengericht bewahrt, eine materielle Annäherung beider Gerichte ermöglicht und so den Weg ebnet zur künftigen einheitlichen deutschen Strafgerichtsverfassung. Eine vergleichende Wertung des bestehenden deutschen Schöffengerichts und Schwurgerichts kann im Rahmen dogmatischer Darstellung nicht gegeben werden. Nur die Bemerkung sei gestattet, dafs zwar einerseits die innere Einheit des Urteils bei einheitlichem Gericht am einfachsten gesichert erscheint, aber auch im gespaltenen Gericht ein Mifsverständnisse ausschliefsender Kontakt der Kollegien durch freie Umbildung der überlieferten Gerichtsform sich erreichen läfst und an den Wahrspruch der Geschworenen gemeinsame Entscheidung der Straffrage durch Richter und Geschworene angeschlossen werden kann, dafs andererseits im Schuldspruche der Jury eine im Schöffengericht nicht bestehende Unabhängigkeit der Urteilsfindung von der Verhandlungsleitung garantiert i s t 2 2 . I I I . Die der Gerichtsbehörde — für das Geschäftsjahr — zugewiesenen Schöffen sind nach bestimmtem Turnus Mitglieder des erkennenden Gerichts, des zur Vornahme der Hauptverhandlung konstituierten Spruchkollegiums. Nach Reichsrecht beschränkt sich die Zuziehung der Schöffen auf die erstinstanzlichen Strafgerichte unterster Ordnung: die Schöffengerichte werden bei den Amtsgerichten gebildet, § 25 GVG. 1. Die Schöffen sind unständige Richter, sie amtieren im Reihedienst. Ohne Zweifel würde die — öfters postulierte — Ständigkeit der Schöffen während des Geschäftsjahres oder noch darüber hinaus 2 8 , wobei auch auf das Vorbild der Handelsrichter 22

Insofern zeigt die Jury, nicht das moderne Schöffengericht, Verwandtschaft mit der alten Schöffenorganisation. Darauf hat schon B i e n e r , Abhandlungen aus d. Gebiete der Rechtsgeschichte (1846) Stück I S. 57 hingewiesen. Vgl. auch O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 65 S. 325 f. 28 Dafür v. K r i e s , Preufs. Jahrbüch. Bd. 75 S. 136 f.; v. L i l i e n t h a l u. F r a n k , 22. Jur.-Tag Bd. 2 S. 28; S a l o m o n in Goltd. Arch. Bd. 41 S. 374 (im Prinzip); W a c h e n f e l d in Aschrott, Ref. des Strafproz. S. 39. Dagegen St e n g le i n , Ger.-Saal Bd. 62 S. 331 f.; Prot, der Ref.-Kommiss. I S. 376 f., I I S. 16. B i n d i n g , Drei Grundfragen S. 10, sieht in der Unständigkeit der Amtierung ein Begriffsmerkmal des „Schöffen". Mir scheint richtiger, nur auf

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usw. hingewiesen wird, der Qualifikation der Schöffen insofern zugute kommen, als sie ihnen wertvolle Erfahrungen und Rechtskenntnisse vermittelte, aber es läfst sich, um von anderen Gegengründen (übermäfsige, mit den Anforderungen bürgerlichen Berufs nicht verträgliche Belastung usw.) abzusehen, die rechtspolitische Forderung der Repräsentanz des Volksganzen im Strafgericht in dieser Form nicht verwirklichen. Denn die ständigen Schöffen durch Volkswahl bestimmen (unter Zuweisung einer Besoldung usw.), hiefse das politische Parteigetriebe in den Gerichtssaal tragen. Mit jedem andern Modus aber wäre der Anschein eines Gerichtsprivilegs bestimmter Stände, Personen, das Odium der Klassenjustiz untrennbar verbunden. Die Kammern für Handelssachen und andere der Sondergerichtsbarkeit dienende Gebilde können ebendeshalb nicht dem gemeinen Strafgericht zum Muster dienen. 2. Übertragung der „Schöffen"-Verfassung auf die Rechtsmittelinstanz ist begrifflich durchaus möglich. Der zum Gericht zugezogene Nicht-Berufsrichter bleibt Schöffe, auch wenn in der Berufungs-, der Revisionsinstanz zu erkennen ist, vorausgesetzt nur, dafs die Urteilsfällung durch die beiden Richterkategorien einheitlich erfolgt. Eine auf erstinstanzliche Aburteilung beschränkte funktionelle Zuständigkeit gehört nicht zum Wesen des Schöffengerichts. In der Tat wirkten nach der hamburgischen Gerichtsverfassung die Schöffen auch in höherer Instanz m i t 2 4 . Entsprechend hat auch die Kommission für die Reform des Strafprozesses Schöffen-Berufungsgerichte in Aussicht genommen25. 3. Die Schöffen haben das Richteramt nur für die Hauptverhandlung. Die in frühern oder späternaVerfahrensstadien erforderlichen Entscheidungen erläfst der Amtsrichter allein. So § 30 GVG. Wie es aber dem Begriff des Schöffen nicht widerstreitet, wenn er von Entscheidungen der Hauptverhandlung vor der Urteilsfällung ausgeschlossen wird, so könnte andererseits seine Funktion die Einheit des Sachurteils abzustellen, unter dieser Voraussetzung also auch ständig zum Gericht herangezogene Laienrichter „Schöffen" zu nennen. Jedenfalls nimmt der neuere Sprachgebrauch an „ständigen Schöffen" nicht Anstofs. 24 Über Rechtsmittel gegen Erkenntnisse des Polizeirichters entschied das Niedergericht, über Rechtsmittel gegen dessen Erkenntnisse das Obergericht, in dem einen wie dem anderen Fall mit Schöffen. Vgl. § 252 StPO v. 30. April 1869. 25 Dafür F r a n k , 22. Jur.-Tag I I S. 27; H a m m , Jur. Zeit. Bd. 8 S. 64. Dagegen S a m t e r , Jur.-Zeit. Bd. 8 S. 164; D e l i u s , Jur. Lit.-Bl. Bd. 17 S. 149 f.; De N i e m , Berufsrichter oder Laienrichter S. 28 f. 42*

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an sich auf Entscheidungen aufserhalb der Hauptverhandlung ausgedehnt werden. Prozefspolitische, nicht begriffliche Erwägungen sind dafür bestimmend. 4. Die Schöffen sind nach Reichsrecht vollberechtigte Richter, sie üben, „insoweit das Gesetz nicht Ausnahmen bestimmt", während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfange und mit gleichem Stimmrechte, wie die Amtsrichter aus und nehmen auch an denjenigen, im Laufe einer Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen teil, welche in keiner Beziehung zu der Urteilsfällung stehen. So § 30 GVG. Den Schöffen gebührt hiernach der Mitentscheid nicht nur beim Strafsachurteil, der Schuld-, Subsumtions-, Straffrage, sondern auch über den verbundenen Zivilanspruch (die Bufse) und bei allen anderweiten Dekreten, einerlei, ob dafür die Urteilsform (Einstellungsurteil) besteht oder nicht 2 6 . Der generelle Charakter der gesetzlichen Bestimmung erübrigt das Eingehen auf die einzelnen Gruppen der Entscheidungen. Da die Zuständigkeit des Schöffengerichts im § 477 StPO auf das sog. objektive Strafverfahren, den „Konfiskationsprozefs", mitbezogen ist, so haben die Schöffen insofern über einen publizistischen Anspruch des Staates mit zu befinden, der nicht Strafanspruch ist. Nach § 19 Abs. 2 des Prefsgesetzes sind sie ferner auch zum Mitentscheid über den publizistischen prefsrechtlichen Berichtigungs-Anspruch (des durch Zeitungsmitteilung Betroffenen, § 11 Prefsges.) berufen. Die Ausnahmen von dem gesetzlichen Prinzip sind geringfügig. a. Über Ausschliefsung und Ablehnung von Schöffen entscheidet der Amtsrichter allein, § 31 Abs. 2 StPO 27 . 26

Den vollen Gegensatz bildete die sächs. Gerichtsorganisation: die Schöffen waren nur mit der (verstümmelten, oben S. 653 Anm. 10) Schuldfrage befafst, von allen weiteren Entscheidungen ausgeschlossen, § 25 Schöff.-Ges. Allerdings sind ungelehrte Richter bei der Entscheidung prozessualer Fragen ganz besonders auf die Führung des juristischen Vorsitzenden angewiesen, aber ihnen den Mitentscheid zu entziehen, ist nicht rationell. Wer über den Beweis mit zu richten hat, mufs auch die Beweiserhebung mit zu bestimmen in der Lage sein. Auch nach der oldenb. StPO Art. 8 §§ 1 u. 2 gingen prozess. Entscheidungen im Laufe der Hauptverhandlung vom Richter allein aus. Die übrigen deutschen Schöffengerichtsgesetze enthielten diese Beschränkung nicht. Die Ref. -Kommiss, hat sich dem bestehenden Rechte angeschlossen, Prot. I S. 399 f. 27 Ebenso Oldenb. 1857 Anl. I Art. 20; Bad. 1864 Beil. I I § 15; Preufs. 1867 Anl. § 17; Brem. 1870 Anl. . I I § 19.

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Das folgt, soweit die Entscheidung aufserhalb der Hauptverhandlung zu geben ist, bereits aus § 30 Abs. 2 GVG. Aber auch für die Entscheidung in der Hauptverhandlung konnte nicht wohl anders verfügt werden. Denn der betroffene Schöffe wäre schon nach §§ 27 fg. StPO von der Mitprüfung removiert und mit seinem Ausscheiden das_ Kollegium gesprengt, falls nicht — höchst unzweckmäfsigerweise — ihm ein Hilfsschöffe ad hoc substituiert würde. b. Die Schöffen haben zwar, wie die beisitzenden Richter (und die Geschworenen) das Recht, Fragen an die Zeugen und Sachverständigen zu stellen, § 239 StPO 28 . Aber sie sind doch dabei — wie auch die Geschworenen — insofern mitbeteiligten Berufsrichtern gegenüber im Nachteil, als der Vorsitzende von ihnen gestellte Fragen zurückweisen darf, weil „ungeeignet oder nicht zur Sache gehörig", § 240 Abs. 2 StPO. Dagegen ist der Schöffe stets befugt, Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage, von wem sie immer gestellt ist, zu erheben mit der Wirkung gerichtlichen Entscheids, § 241 StPO 2 9 . Insofern steht er dem Beisitzer in der Strafkammer usw. durchaus gleich. c. Es darf nicht hinzugefügt werden Ausschliefsung der Schöffen von denjenigen Entscheidungen, welche die Ausübung der Sitzungspolizei betreffen, § 178 fg. GVG. Denn der volle Mitbesitz der richterlichen Gewalt, wie er im § 30 GVG dem Schöffen gewährt ist, umschliefst auch diese Befugnisse. d. Eine Besonderheit — und sicher eine nichtberechtigte — ist endlich, dafs keiner der Schöffen das Urteil mit zu unterschreiben hat, § 275 Abs. 2 StPO. Denn das Urteil ist auch ihr Werk und sie müssen daher in der Lage sein, sich — jedenfalls in der Person eines von ihnen — zu überzeugen, ob das schriftlich abgefafste Urteil sich mit dem beschlossenen nnd verkündeten deckt, und diese Übereinstimmung durch Unterschrift zu bekräftigen 3 0 . Die verkehrte Bestimmung des § 336 StGB, wonach Die Reformkommission hatte in 1. Lesung beschlossen, dais die Schöffen an der Entscheidung über Ausschliefsung oder Ablehnung von Schöffen teilnehmen sollten, nicht auch an der gleichen, einen Richter betreffenden Entscheidung, Prot. I S. 402. I n 2. Lesung wurde die Mitwirkung der Schöffen ganz beseitigt, I I S. 19. 28 Vgl. auch Oldenb. 1857 Anl. I Art. 16; Bad. 1864 § 310; Preufs. 1867 § 356 Abs. 5 mit § 237; Sächs. Schöff.-Ges. 1868 § 25 Abs. 1; Brem. StPO 1870 Anl. I I § 15. 29 Oben S. 107 Anm. 23. 30 Die gesetzliche Regelung bringt den Übelstand mit sich, dafs bei Be-

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die strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Rechtsbeugung nur den beamteten Richter trifft, kann dabei ganz aufser Betracht bleiben. hinderung des Amtsrichters an Abgabe seiner Unterschrift die Fertigung einer dem § 275 StPO entsprechenden Urteilsurkunde unmöglich wird. Wenn das Protokoll, wie zumeist, nur die Urteilsformel enthält, so fehlt es daher an einer authentischen Urteilsbegründung. Berufung ist somit stets liquide, vgl. §§ 377 Z. 7 und 369 StPO. Dem Beschwerdeführer kann nicht, wie das Gesetz es verlangt, das Urteil „mit den Gründen" zugestellt werden, § 357 Abs. 2. Aber diese Tatsache steht der Berufungsverhandlung nicht im Wege, da die Instanz schon durch die Einlegung der Berufung begründet ist. Hat die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden, so beginnt nach § 355 Abs. 2 für ihn die Berufungsfrist mit der Zustellung: indem nun unter dieser Zustellung zweifellos an sich verstanden ist Zustellung einer gemäfs § 275 gefertigten Urteilsurkunde, so erhebt sich der Zweifel, ob es in dem hier fraglichen Falle überhaupt möglich ist, die Berufungsfrist in Gang zn setzen. Allein da doch die Rechtskraft des Urteils, dessen Erlafs nach dem Protokoll feststeht, unmöglich dauernd in suspenso bleiben kann, so mufs angenommen werden, dafs mit Zustellung nur der Urteilsformel und der ihr beigefügten Bescheinigung des nunmehr amtierenden Schöffenrichters über die Behinderung seines Vorgängers die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt. Insofern bedarf meine Ausführung in den Gött. Gel.-Anz. 1898 S. 622 der Einschränkung. Bleibt das Urteil unangefochten, so ergibt sich eine Schwierigkeit nicht, denn die zur Strafvollstreckung erforderliche beglaubigte Abschrift der Urteilsformel, § 483 Abs. 1, ist j a der Gerichtsschreiber zu erteilen in der Lage. v. K u n o w s k i in Goltd. Arch. Bd. 37 S. 333 f., der übrigens den prozessualen Vorgang z. T. unrichtig beurteilt, will den ältesten Schöffen unterschreiben lassen; ebenso S t e n g l e i n § 275 Bern. 6. Gegen sie L a r e n z in Goltd. Bd. 38 S. 273 f. (auch er nimmt S. 283 fälschlich an, das in Abwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil könne wegen Mangels der schriftlichen Feststellung der Gründe nicht in Rechtskraft erwachsen). Die R.-Just.-Komm. hatte in erster Lesung beschlossen, Prot. S. 420 f. f die Unterschrift auch der Schöffen zu erfordern, in zweiter Lesung hat man davon Abstand genommen, Prot. S. 993. Es würde genügen die Unterschrift des ältesten Schöffen mit der Mafsgabe, dafs im Behinderungsfall der nächstfolgende usw. an seine Stelle tritt. I n gleicher Weise wäre für das mittlere und grofse Schöffengericht zu bestimmen. Das schwurgerichtliche Urteil bedürfte, falls den Geschworenen Mitentscheid der Straffrage eingeräumt wird, vgl. oben S. 25, der Mitunterschrift des Obmanns, eventuell eines anderen Geschworenen nach der Reihenfolge der Auslosung ( O e t k e r , Ger.-Saal Bd. 68 S. 107). Die Unterschrift aller Schöffen, Geschworenen zu erfordern, würde zu umständlich sein. Aber die Kontrolle durch einen aus ihrer Mitte mufs den beteiligten Nichtberufsrichtern eingeräumt werden. Wie das Verfahren zu gestalten, wenn sich eine Differenz der Anschauungen über die Urteilsgründe

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IV. Der Amtsrichter ist Vorsitzender im Schöffengericht mit allen Konsequenzen dieser Stellung. Entscheidungen über Dispensationsgesuche von Schöffen, über geltend geinachte Ablehnungs- und Weigerungsgründe bei Gelegenheit der einzelnen Hauptverhandlung fällt er als Organ der Justizverwaltung. Auch die Ordnungstrafgewalt gegen Schöffen, § 56 GVG, steht ihm allein zu. V. Auf der Grundlage der Gleichberechtigung der beiden Richterklassen und der Entscheidung von Schuld- und Straffrage in einem Urteilsakt verläuft das schöffengerichtliche Verfahren dem Juryprozefs gegenüber in sehr vereinfachten Formen. Richter und Schöffen bilden von vornherein ein Kollegium, ein Wahrspruch über die Schuld wird nicht erlassen, doppelte Parteivorträge über die Schuldfrage und die Straffrage finden nicht statt, die Fragestellung, wie sie im Schwurgericht vorgeschrieben ist, fällt fort, ebenso die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden, ein Berichtigungsverfahren kann nicht in Frage kommen, nach Schlufs der Beweisaufnahme und nachdem die Parteien gesprochen und ihre Anträge gestellt haben, wird über Schuld- und Straffrage in einer Beratung von den Richtern und den Schöffen entschieden und das so beschlossene Urteil den Parteien verkündigt. Eine Kritik dieser Verfahrensgestaltung liegt aufserhalb der dogmatischen Aufgabe. Aber der Zweifel drängt sich auf, ob der Verhandlung auch in gleichem Mafse die Gründlichkeit gesichert ist, als sie einfach ist, ob nicht der Mangel jeder Zäsur in der Verhandlung von Schuld- und Straffrage geeignet ist, das Partei-, insbesondere Verteidigungsinteresse zu schädigen, indem das Plädoyer mit Eventualitäten zu rechnen hat, die seine Wirkung beeinträchtigen können, ob nicht die Aufstellung von Schuldfragen unter wesentlicher Mitwirkung der Parteien der Vollständigkeit und der strengen Logik der Beurteilung dienen und dem akkusatorischen Typus entsprechen würde. VI. Dem einen Richter stehen zwei Schöffen gegenüber. Diese können freisprechen nicht nur, sondern auch verurteilen gegen die Stimme des Richters ; sie repräsentieren die nach § 262 StPO erforderliche Zweidrittelmehrheit. Eine andere Besetzung von Schöffengerichten in der untern ergibt, ist hier nicht auszuführen. Jedenfalls aber darf nicht, wie das Gesetz es tut, der Konsens einfach fingiert werden.

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Stufe kann in der Tat nach dem verfügbaren Personal von Richtern und Schöffen kaum in Frage kommen. In gleichem Sinne hat sich die Reform-Kommission entschieden, Prot. I S. 403 f. Die Möglichkeit einer Majorisierung des Richters auch zu ungunsten des Angeklagten mufs in Kauf genommen werden. Ungünstige Erfahrungen sind mit der bestehenden Besetzung nicht gemacht worden. Auch für Schöffengerichte in der Mittel- und in der höchsten Stufe wäre Mehrheit von Schöffen gegenüber den Richtern zu fordern. Der Reformkommission ist auch in dieser Hinsicht beizupflichten, Prot. I S. 403 fg. Zieht man Schöffen in der Minderheit zu, so werden sie im Durchschnitt der Fälle — von besonderer Energie und Intelligenz abgesehen — durch die Berufsrichter erdrückt werden und zu blofsen Figuranten herabsinken 31. Das kann nicht wollen, wer es mit der Beteiligung des Laienelements ernstlich nimmt, es nicht nur zur Dekoration des Beamtengerichts zu verwenden beabsichtigt. Man berufe sich nicht darauf, dafs auch bei einer Minderheit von Schöffen das Zahlenverhältnis immerhin so zu normieren sei, dafs es zur Verurteilung der Stimme mindestens eines Schöffen bedürfte. Denn ein Schöffengericht, bei dem nicht einmal dies zuträfe, wäre überhaupt nicht diskutierbar. Auch die früheren deutschen Gesetze hatten die Schöffenmehrheit, mit zwei Ausnahmen: in Württemberg waren die Strafkammern mit drei Richtern und zwei Schöffen, in schwereren Strafsachen mit vier Richtern und drei Schöffen besetzt 82 ; das Hamburger Obergericht entschied über Rechtsmittel gegen Erkenntnisse des (beim Niedergericht gebildeten) Strafgerichts in der Zahl von fünf Richtern, unter denen drei Rechtsgelehrte sein mufsten. Bei der Würdigung des Hamburger Vorganges aber kommt in Betracht, dafs bei dem angefochtenen Urteil zumeist eine Schöffenmehrheit (das „Strafgericht" bestand aus fünf Richtern, unter denen in der Regel zwei Rechtsgelehrte sein mufsten) mitgewirkt hatte, und besonders dafs die Schöffen für bestimmte 81 Für Mehrheit der Schöffen sehr entschieden W a c h , Jur. Zeit. Bd. 10 S. 91 u. 325. Gegenteilig A s c h r o t t , Reform des Strafverfahrens 1895 S.48f. und Reform des Strafproz. Generalreferat S. 58 f. ; unter Voraussetzung der Ständigkeit der Schöffen auch •. K r i e s , Preufs. Jahrb. Bd. 75 S. 138. Für Minderheit der Schöffen in der B e r u f u n g s i n s t a n z A V a c h e n f e l d in Aschrott, Reform usw. S. 58 f. 32 GVG v. 13. März 1868 Art. 12, 13, 14; StPO v. 17. A p r i l 1868 Art. 15.

§ 69. Die Organisation des Schöffengerichts.

Perioden ständig amtierten, die fortgesetzte Übung des Richteramts ihnen Rechtskenntnis vermittelte, die Sicherheit ihres Auftretens beförderte und so ihren Abstand von den rechtsgelehrten Richtern erheblich verringerte. VII. Die Schöffen stimmen vor dem Amtsrichter, nach dem Lebensalter, der Jüngste zuerst, ab 8 8 , § 199 GVG. Dagegen liefsen die frühern Gesetze regelmäfsig die Berufsrichter zuerst stimmen 34 . Im Interesse der Selbständigkeit der Schöffen verdient die reichsrechtliche Regelung den Vorzug. Sache des Berufsrichters ist's, bei der vorgängigen Beratung seine Auffassung mit einer dem Laien Verständnis möglichst einleuchtenden Begründung zum Ausdruck zu bringen. B.

D i e B i l d u n g des S c h ö f f e n g e r i c h t s 1 .

Die Heranziehung von Nichtberufsrichtern zur Strafrechtspflege kann im Hinblick auf den bürgerlichen Beruf dieser Urteiler nicht wohl anders als in stetem Wechsel geschehen. Aber es läfst sich nicht die Personalbestimmung für jede einzelne Gerichtsverhandlung auf völlig neue Grundlage stellen, so dafs die Urteiler immer wieder unmittelbar aus der Gesamtheit der gesetzlich Befähigten berufen würden. Ein solcher Modus brächte der Justizverwaltung unerträgliche Geschäftsbelastung, während der einzelne Pflichtige vom Gerichtsdienst unvorhergesehen und leicht zur Unzeit betroffen würde, so dafs vielfache Störungen der Rechtspflege durch 33

In gleichem Sinne Beschlufs der Ref.-Komm., Prot. I I S. 19. Oldenb. 1857 Anl. I Art. 18; Bad. § 312 Abs. 2; Preufs. 1867 § 356 Abs. 4; Brem. StPO. 1870 Anl. I I § 17. Nach Württ. StPO 1868 Art. 26 Abs. 4 stimmten die rechtsgelehrten Richter mit Ausnahme des Vorsitzenden vor den nicht-rechtsgelehrten ab. Das sächs. Schöff.-Ges. 1868 § 28 Abs. 3 liefs die Abstimmung der Richter vorangehen. 1 S e u f f e r t , Erörterungen üb. die Besetzung der Schöffengerichte und Schwurgerichte in Deutschland (1879); D e r s e l b e , Ger.-Saal Bd. 32 S. 31 f.; G l a s e r , Artikel „Schöffen", „Schöffengericht", „Urliste" in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 587 f., 589 f., 980; S a l o m o n , Bildung der Schöffengerichte, Arch, f. Strafrecht Bd. 41 S. 372 f.; O e t k e r , Rechtsgrundlagen der Schöffengerichtsbildung, Arch. f. Strafrecht Bd. 49 S. 93 f., 203 f. Ferner: S c h w a r z e in v. Holtz. Handb. I I S. 579 f.; G e y e r S. 275 f.; B i n d i n g , Grundrifs §§ 40, 41; U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 130 f.; v. K r i e s S. 128 f.; B i r k m e y e r S. 238 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 51 f.; R o s e n f e l d S. 127f.; die Kommentare zu GVG und T u r n a u , Justizverfassung in Preufsen 2 Bde. 1880 f. 34

70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

Dispensationsgesuche und durch — entschuldbares oder unentschuldbares — Ausbleiben der Berufenen eintreten müfsten. Es bedarf daher periodischer Fixierung der Gerichtspflicht dergestalt, dafs für einen bestimmten Zeitabschnitt der Justiz eine bestimmte Zahl Pflichtiger zur Verfügung gestellt wird, aus der insolange die Urteiler der einzelnen Verhandlungen zu entnehmen sind. An ein generelles Konstituierungsverfahren für die Periode schliefst sich die Konkretisierung der Gerichtspflicht für die einzelnen Verhandlungen , die Besetzung der Einzelgerichte aus dem periodisch festgelegten Urteilerbestande an. Die Gerichtsbildung nach diesem Grundgedanken läfst sich im Einzelnen wieder nach sehr verschiedenen Typen verwirklichen. Als die beiden Grundrichtungen aber können betrachtet werden: Periodizität der Bildung nur für die Spruchgerichte oder auch für die Gerichtskörper. Die erstere Alternative ist im Schöffengericht, die zweite im Schwurgericht repräsentiert. Gemeinsam ist dèr schöffengerichtlichen und der schwurgerichtlichen Rechtspflege die wechselnde Zusammensetzung der Spruchgerichte. Dabei besteht jedoch die Differenz, dafs im Schwurgericht der Wechsel auf den Straffall, im Schöffengericht auf die Gerichtssitzung bezogen wird. Die Schöffen wirken an allen Strafsachen mit, die für denselben Gerichtstag angesetzt sind, nach Umständen unter Erstreckung ihrer Dienstpflicht auf einen weitern, zur Aufarbeitung dieses Pensums noch heranzuziehenden Tag (§ 50 GVG). Dagegen bleibt die Jury, welche für eine Strafsache gebildet ist, für die etwaigen weiteren an demselben Tage anstehenden Verhandlungen nur, wenn die dabei beteiligten Angeklagten und die Staatsanwaltschaft sich damit vor der Beeidigung der Geschworenen einverstanden erklärt haben (§ 286 StPO und oben S. 78 f.). In dieser wechselnden Besetzung ist der Gerichtskörper „Schöffengericht", die ideale Einheit der sich ablösenden Spruchgerichte, das in ihnen dargestellte Rechtspflegeorgan 2, permanent in Aktion. Dagegen funktioniert der Gerichtskörper „Schwurgericht" nur periodisch: es treten die „Schwurgerichte" immer nur für bestimmte Zeiträume, nach näherer Anordnung der Landesjustizverwaltung, zusammen (§ 79 GVG). Da das Gerichtsverfassungsgesetz die Personalbestimmung für die Kollegialgerichte immer auf die Dauer eines Geschäftsjahres 2

Vgl. dazu oben S. 49 Anm. 9.

§ 70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

6(37

im Voraus — in hier nicht zu erörternder Weise — geschehen läfst, so konnte nur der gleiche Zeitraum für die Überweisung einer bestimmten Schöffenzahl an die Amtsgerichte zur Erledigung der anfallenden Strafsachen in Betracht kommen. Aus der S c h ö f f e n - J a h r e s l i s t e werden das Geschäftsjahr hindurch den Spruchgerichten die Schöffen zugewiesen. Die Jahresliste ist das Mittelglied zwischen der Schöffenurliste und den zwei Schöffen des Einzelgerichts. In diesen drei Stadien bewegt sich die Gerichtsbildung. Im Gegensatz zu dem schwurgerichtlichen Modus gehört der Bildungshergang ganz, auch in seinem Schlufspunkte, der Bestimmung der beiden Urteilsschöffen, dem Gerichtsverfassungsrechte an. Die Verteilung der Jahresschöffen auf die Sitzungstage wird für das Geschäftsjahr im Voraus bewirkt, so dafs grundsätzlich jede einzelne zur \7erhandlung kommende Strafsache das zu ihrer Aburteilung bestimmte Gericht bereits fertig konstituiert vorfindet. Doch kann sich im Laufe des Geschäftsjahres das Bedürfnis weiterer Sitzungstage ergeben und für die berufenen, aber behinderten, ausbleibenden usw. Schöffen der Eintritt von Ersatzleuten erforderlich werden. Ist sonach in noch höherem Grade als beim Schwurgericht die Gerichtskonstituierung gerichtsverfassungsmäfsige Aktion, so treten doch auch hier Gerichtsverfassungs- und Strafprozefsrecht in nahe Verbindung durch die Tatsache, dafs die gesetzmäfsige Bildung des Einzelgerichts die Gültigkeit der Verhandlung und des Urteils bedingt, §§ 377 Z. 1—3, 369 Abs. 2 StPO. Es geht daher nicht an, die Lehre von der Gerichtsbildung ganz dem Gerichtsverfassungsrechte zu überlassen. Vielmehr bedarf der Konstituierungshergang, die Ausscheidung der zwei Urteilsschöffen aus der Gesamtheit der befähigten Personen — an sich ein Geschäft der Justizverwaltung —, insoweit der Darstellung, dafs seine strafprozessualen Beziehungen klar erkennbar werden. Auf die Bildung cler Urliste und der Jahresliste ist in diesem Zusammenhang und zu diesem Zwecke nur kurz einzugehen. § 70. B e s t i m m u n g der R i c h t e r u n d S c h ö f f e n f ü r Geschäftsjahr.

das

I. Vorsitzender des Schöffengerichts ist der Amtsrichter. Er vereinigt sich mit den beiden Schöffen zum Spruchgericht. Ist das Amtsgericht nur mit einem Richter besetzt, so eignet

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§ 70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

diesem für die Dauer seiner Funktion auch das Amt des Schöffenrichters. Sind bei dem Amtsgericht mehrere Richter angestellt, so hat über den Vorsitz im Schöffengericht die Landesjustizverwaltung zu, bestimmen, § 22 GVG. Über die Befähigung zur zeitweiligen Wahrnehmung auch dieses amtsrichterlichen Geschäfts entscheiden die Landesgesetze, § 10 GVG. Die Ausfüllung der hiermit gegebenen Hinweise fällt ganz dem Gerichtsverfassungsrechte anheim. I I . Die Reduktion des in der U r l i s t e befafsten Schöffenpersonals auf die zwei Schöffen des Sitzungstages geschieht durch eine W a h l — Aussonderung der J a h r e s l i s t e aus der Urliste — und eine L o s u n g — Verteilung der Gewählten auf die im Voraus für das Geschäftsjahr festgestellten Sitzungstage. Der Hergang ist also weit einfacher als beim Schwurgericht, wo zwei Wahlen — Bildung erst der Vorschlagsliste, dann der Jahresliste — und zwei Losungen — aus der Jahresliste zur Spruchliste, aus der Spruchliste zur Jury des Einzelfalles — konkurrieren. I I I . Da die U r l i s t e dem Schöffen- und Schwurgericht gemeinsam ist, so braucht insofern nur an früher Gesagtes erinnert zu werden 1. Die Unfähigkeits- und die instruktioneilen Ausschliefsungsgründe liegen gleich für Schöffen, wie für Geschworene. Nach Aufstellung der Urliste trennen sich die Wege der Gerichtsbildung. Beim Amtsgericht tritt jährlich ein Ausschufs (bestehend aus dem Amtsrichter als Vorsitzenden, einem von der Landesregierung zu bestimmenden Staatsverwaltungsbeamten und sieben Vertrauensmännern als Beisitzern) zusammen, § 40 GVG, mit differenten Aufgaben für Schwur- und Schöffengericht. Dort Vorschlag zur Jahresliste der Geschworenen und Weitergabe der die Vorgeschlagenen berührenden Reklamationen an das Landgericht; hier Entscheid über alle Einsprachen gegen die Urliste, soweit die Schöffenfunktion in Betracht kommt, und Wahl der Jahresschöffen. IV. Der Ausschufs hat zunächst die Urliste des Amtsgerichtsbezirks (bestehend aus der Gesamtheit der Teilurlisten der zum Amtsgerichtsbezirk gehörenden Gemeinden und landesgesetzlich den Gemeinden gleichstehenden Verbände, § 36 GVG) zu prüfen und nach Bedarf zu berichtigen. 1

Oben S. 44.

§ 70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

Zu Streichungen und Neuaufnahmen können Einsprachen Anlafs geben ; ohne Einsprache "ist zwar Streichung durch den Ausschufs geboten, wenn dieser von einem Unfähigkeits- oder Ausschliefsungsgrunde Kenntnis hat, Neuaufnahme von Schöffen in die Urliste aber durchaus unzulässig. Ein Urteil, an dem ein vom Ausschufs trotz fehlender Einsprache neuaufgenommener Schöffe teilgenommen hätte, wäre wegen vorschriftswidriger Gerichtsbildung nichtig. Während die einzelne rechtsungültige Hinzufügung nicht der Liste im Ganzen den Rechtsbestand nimmt, kann eine gröfsere Zahl von Verstöfsen sich allerdings zu dieser Wirkung summieren. Es gilt in dieser Hinsicht für die Schöffenurliste ganz das Gleiche, was für die Geschworenenvorschlagsliste dargelegt wurde 2 . Die Entscheidungen des Ausschusses über Einsprachen sind unanfechtbar, § 41 GVG. Diese gesetzliche Vorschrift gibt den Beschlüssen endgültige Bedeutung im Justizverwaltungsverfahren, in der gerichtskonstituierenden Prozedur. Auch kann die Negativfeststellung des Ausschusses, die Streichung eines Schöffen auf Einsprache hin, nicht vom Prozefs-Rechtsmittelrichter in Frage gezogen, das einzelne schöffengerichtliche Urteil nicht aus diesem Grunde angefochten werden. Dagegen liegt keineswegs in der Absicht des Gesetzes, die gesetzliche Befähigung " der Urteilsschöffen der Nachprüfung der Rechtsmittelinstanz wegen vorgängigen bejahenden Ausschufsentscheides zu entziehen. Es bleibt der Nachweis frei, dafs im Einzelfalle ein unfähiger Schöffe amtiert habe. Der Ausschufs stellt durch seine Reklamationsbescheide den Listenbestand mit Wirkung für den Einzelprozefs zwar negativ, nicht aber zugleich positiv fest. Auch die Streichung ex officio ist der Bemängelung im Einzelprozesse entrückt. Über die Legitimation seiner Mitglieder befindet der Ausschufs endgültig. Nicht Urteilsanfechtung unter Bekämpfung der die Liste regulierenden Ausschufsbeschlüsse aus diesem Grunde! Als einer Körperschaft, die zu öffentlichrechtlichen Funktionen berufen ist, gebührt dem Ausschusse die selbständige Legitimationsprüfung. Dagegen steht die gesetzliche Vollmacht zur Entscheidung unzweifelhaft nur dem beschlufsfähigen Ausschufs (§ 40 Abs. 5 GVG : bei Anwesenheit des Vorsitzenden, des Staatsverwaltungsbeamten und dreier Vertrauensmänner) zur Seite. Beschlufsunfähigkeit (aus dem Protokoll sich ergebend) begründet Nichtigkeit des Oben S. 4 .

70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

Ausschufsentscheids. Streichung eines Schöffen durch beschlufsunfähigen Ausschufs könnte freilich prozessualen Effekt nicht äufsern (wohl übte solchen in weitestem Mafse Beschlufsunfähigkeit des Ausschusses bei der Wahl der Schöffen zur Jahresliste, vgl. unten). Aber die Aufnahme des Schöffen in gleichem Falle auf erhobene Einsprache hin müfste als rechtsungültige ListenErgänzung erscheinen. Aus diesem Grunde könnte also auch das Einzelurteil angefochten werden, wie wenn ein unfähiger Schöffe mit gesessen hätte. An die Bereinigung der Urliste schliefst sich die Wahl der Jahresschöffen durch den Ausschufs an, §§ 42—44 GVG. Es werden zwei Jahreslisten aufgestellt: die Hauptliste für den regulären Bedarf und vom Falle der Dringlichkeit abgesehen auch zur Gewinnung der Schöffen für aufserordentliche, im Laufe des Geschäftsjahres eingelegte Sitzungen, § 48 GVG; die Hilfsliste, welche Ersatz liefert, wenn an einzelnen, ordentlichen oder aufserordentlichen Sitzungen Hauptschöffen ausfallen, § 49 GVG, und wenn die Dringlichkeit einer aufserordentlichen Sitzung die Einberufung von Hauptschöffen verbietet, § 48 Abs. 2 GVG, die ferner aushilft in dem gelegentlich eintretenden Falle, dafs die Verstärkung des Gerichts durch Ergänzungsschöffen, § 194 GVG, ratsam erscheint. Als Hilfsschöffen sind leicht erreichbare, also solche Personen zu wählen, die am Sitze des Amtsgerichts oder in dessen nächster Umgebung wohnen, § 42 Z. 2 Schlufssatz. Der Ausschufs hat die Reihenfolge festzusetzen, in welcher sie an die Stelle wegfallender Schöffen zu treten haben, § 42 Z. 2. Zu dringlicher aufserordentlicher Sitzung werden nur am Sitze des Gerichts wohnende Hilfsschöffen, „Gerichtshilfsschöffen", bestimmt (durch Auslosung seitens des Amtsrichters), § 48 Abs. 2. Auch sind bei der Einberufung der Ersatzleute für wegfallende Schöffen, wenn andernfalls eine Vertagung der Verhandlung oder eine erhebliche Verzögerung ihres Beginnes notwendig würde, die nicht am Gerichtssitze wohnenden Hilfsschöffen zu übergehen, § 49 Abs. 2. Die Zahl der für jedes Amtsgericht erforderlichen Haupt- und Hilfsschöffen wird durch die Landesjustizverwaltung bestimmt, § 43 Abs. 1; dabei ist die Zahl der Hauptschöffen so zu bemessen, dafs voraussichtlich jeder zu höchstens fünf ordentlichen Sitzungstagen im Jahre herangezogen wird, § 43 Abs. 2. Doch wäre eine Abweichung von der vorgeschriebenen Zahl, ein Plus oder Minus gewählter Schöffen, ohne Einflufs auf den Rechtsbestand der schöffengerichtlichen Verhandlungen.

§ 70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

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Sollte ein beschlufsunfähiger Ausschufs gewählt haben, so träte, da es an der Vollmacht zur Wahl gefehlt hätte, die schlimme Folge der Nichtigkeit aller Schöffen gerichtlichen Verhandlungen wegen gesetzwidriger Grundlage der Gerichtskonstituierung ein. V. Da Unfähigkeitsgründe für Schöffen nach Beendigung der Ausschufstätigkeit noch eintreten oder bekannt werden können, so mufs, wenn der Schöffe in die Jahresliste aufgenommen worden war, seine nachträgliche Streichung in dieser Liste durch den Amtsrichter erfolgen. Der Vorgang wird im § 52 GVG geregelt (Entscheidung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des beteiligten Schöffen; Ausschlufs der Beschwerde). Unbegründete Streichung gibt nicht den Parteien ein Recht der Urteilsanfechtung; wohl ist das Urteil nichtig, an dem ein unfähiger Schöffe teilgenommen hat, ohne dafs untersucht wird, ob die NichtStreichung durch den Amtsrichter diesem zum Vorwurf gereicht, auf Rechtsirrtum oder Versäumnis zurückführt. In gleicher Weise sind später hervorgetretene instruktionelle Ausschliefsungsgründe (z. B. Verlegung des Wohnsitzes eines Schöffen in einen anderen Gerichtsbezirk) noch zu berücksichtigen, nur dafs nicht die Streichung in der Jahresliste, sondern lediglich die Zurückstellung des Schöffen vom Dienste zu verfügen ist. Die Unterlassung dieser Anordnung wäre jedoch ohne prozessuale Erheblichkeit. Denn die nur instruktionelle Ausschliefsung nimmt nicht die Fähigkeit zum Richteramt. Neuaufnahme von Schöffen in die Jahresliste steht dem Amtsrichter unter keinen Umständen zu. Eine erhebliche Zahl solcher Einschiebungen würde — in Anwendung eines wiederholt betonten Prinzips — der Liste den Rechtsbestand nehmen. Und immer ist das Einzelurteil nichtig, an dem ein nicht — vom Ausschufs — gewählter Schöffe teilgenommen hat. VI. Der zweite bestimmende Konstituierungsakt, die Auslosung der gewählten Schöffen, liegt in der Hand des Amtsrichters. Wünschenswert ist, dafs die Losung aus völlig bereinigter Liste stattfinde. Aber es lassen sich spätere Ausscheidungen nicht vermeiden, wenn der Amtsrichter vor der Losung von dem Unfähigkeits- usw. -Grunde noch nicht wissen konnte. Die Losung präkludiert nicht die Listenberichtigung. Die Auslosung der Hauptschöffen geschieht für das ganze Geschäftsjahr im Voraus auf die ordentlichen Sitzungen des Schöffengerichts, die eben deshalb vorausbestimmt werden müssen. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften — Losziehung durch

70. Bestimmung der Richter und Schöffen für das Geschäftsjahr.

den Amtsrichter in öffentlicher Sitzung des Amtsgerichts, § 45 GVG — bedingt die Gültigkeit der Losung und folglich der Gerichtsbildung und des Urteils in den einzelnen Strafsachen. Auch Auslosung nicht für das Geschäftsjahr, sondern von Fall zu Fall für die einzelnen ordentlichen Sitzungstage würde ungesetzlich konstituierte Gerichte ergeben. Dagegen können Losungsversehen, Fehlen eines Narnenszettels in der Urne, mehrfache Mitauslosung desselben Schöffen, diese Folge nicht haben. Die blofse Auslassung bei der Losung hat gewifs nicht potenzierte Bedeutung gegenüber der unberechtigten Streichung des Schöffen in der Liste, die deren Gültigkeit nicht aufhebt. Und ungleiche Belastung eines Schöffen durch doppelte Berücksichtigung bei der Losung wird aufgehoben, indem dem Schöffen ein Freigabeanspruch zugebilligt wird für den Überschufs an Sitzungstagen, zu denen er herangezogen worden ist 3 . Völlig anderer Beurteilung unterliegt fehlerhafte Auslosung der Urteilsgeschworenen 4 , weil hier der Akt in die Hauptverhandlung zu der einzelnen Strafsache fällt, der Verstofs Prozefsverstofs ist, und somit Korrekturen ohne Neulosung ganz ausgeschlossen wären. Die Generalauslosung wird, wenn im Laufe des Geschäftsjahres weitere, „aufserordentliche" Sitzungen erforderlich werden, durch Spezialauslosungen, für jede solche Sitzung besonders, ergänzt. Die Form ist die nämliche: Losziehung durch den Amtsrichter in öffentlicher Sitzung, § 48 Abs. 1. Geheime Losung würde wiederum ungesetzliche Gerichtsbildung und damit Urteilsnichtigkeit ergeben. Diese Speziallosung wird in dringlichen Fällen, statt aus der Hauptschöffenliste, aus der Zahl der am Gerichtssitze wohnenden Hilfsschöffen bewirkt; die Umstände, die den Amtsrichter hierzu veranlafst haben, sind aktenkundig zu machen, § 48 Abs. 2. Über die Frage der Dringlichkeit befindet der Amtsrichter, ohne dafs Nachprüfung durch den Rechtsmittelrichter im Einzelprozesse möglich wäre, aber es mufs die Gerichtsbildung auch wirklich als schleunige behandelt worden sein, was nicht zutreffen würde bei erheblicher Zwischenzeit zwischen Auslosung und Sitzungstag. Im letzteren Falle hätte der Amtsrichter durch seine Sachbehandlung sich selbst desavouiert und es müfste die Losung als nicht dringlich und folglich als gesetzwidrig bewirkt gelten. Die so durch das Los bestimmte Reihenfolge der Amtierung 3 4

Arch. f. Strafrecht Bd. 49 S. 210 f. Vgl. oben S. 71 f.

§ 71. Besetzung des Einzelgerichts.

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kann durch Übereinkunft der beteiligten Schöffen nicht geändert werden. Es steht diesen nur frei, einen Austausch von Sitzungstagen durch übereinstimmenden Antrag beim Amtsrichter nachzusuchen, unter der Voraussetzung, dafs die in den betreffenden Sitzungen zu verhandelnden Sachen noch nicht bestimmt sind. Die Bewilligung steht im freien Ermessen des Amtsrichters, Ablehnung ist unanfechtbar. Antrag und Bewilligung sind aktenkundig zu machen. So § 47 GVG. Nach dem Grundgedanken der Schöffengerichtsbildung, Bestimmung erst der Urteiler, dann der abzuurteilenden Sachen — wovon eine Ausnahme nur eintreten kann, wenn mit den ordentlichen Gerichtstagen nicht auszureichen ist, aufserordentliche eingeschoben werden müssen — wird Schöffenaustausch unzulässig bereits mit Terminsanberaumung in den Akten, nicht erst mit Ladung der Parteien. Sobald jene Bestimmung vorliegt, besteht auch die Möglichkeit, dafs die Änderung einer einzelnen Sache halber angestrebt wird. Daher würde die Bewilligung nunmehr gesetzwidrige Gerichtsbildung zur Folge haben. § 71. B e s e t z u n g des E i n z e l g e r i c h t s . I. Die Bestimmung der Urteilsschöffen ist, wenn abgesehen wird von der Anberaumung aufserordentlicher Gerichtstage, der Endpunkt genereller auf das ganze Geschäftsjahr bezüglicher Konstituierungstätigkeit. Und selbst die Einschiebung aufserordentlicher Sitzung führt nur, wenn diese lediglich einer Sache gilt, indirekt zu einer Gerichtsbildung speziell für eine einzelne Verhandlung, während sonst auch diese Schöffenauslosung eine Reihe von Sachen, die an dem neuen Terminstag zu erledigenden, zugleich betrifft. Ist sonach einer Gerichtsbildung bestimmt für einen Einzelprozefs nur höchst ausnahmsweise Raum gegeben, so wird hingegen Umbildung eines festgestellten Einzelgerichts nicht selten Bedürfnis, indem die Heranziehung eines vorbestimmten Schöffen unausführbar wird oder doch mifslingt. Die Einwirkungen von Wahl- und Losungsfehlern auf den Rechtsbestand des Einzelgerichts und Einzelurteils sind dargelegt worden. Urteilsnichtigkeit tritt aber auch dann ein, wenn Gerichtsumbildung ohne gesetzlich anerkannten Grund und gebotene Gerichts u m bildung nicht oder nicht in der gesetzentsprechenden Weise erfolgt (unten I I I bis VIII). II. Die Vorbereitung zur Konstituierung der Spruchgerichte an den Sitzungstagen durch Benachrichtigung der Schöffen geB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

43

§ 71. Besetzung des Einzelgerichts.

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schieht nach dem Gesetz in der Weise, dafs die Hauptschöffen von ihrer Auslosung und von den Tagen, an welchen sie in Tätigkeit zu treten haben, durch den Amtsrichter unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens in Kenntnis gesetzt werden, § 46 Abs. 1 GVG, während besondere Ladungen zu den einzelnen Sitzungen nicht vorgeschrieben sind (wenn auch deren Hinzutritt gewifs zweckmäfsig erscheint); dafs mit gleichem Hinweise die im Laufe des Geschäftsjahres zu aufserordentlichen Sitzungen gezogenen Schöffen hiervon Mitteilung erhalten, § 46 Abs. 2. I I I . Substituierung anderer für die ursprünglich ausgelosten Schöffen wird bedingt durch Unfähigkeit oder Befangenheit eines solchen oder dessen Ausschliefsung gemäfs §§ 33, 34 GVG. ferner wenn der Schöffe einen Ablehnungs-, Weigerungs-, Hinderungsgrund zur Geltung bringt oder pflichtwidrig ausbleibt. Absolute Unfähigkeit eines Schöffen besteht bei Nichtbesitz und bei Verlust der gesetzlichen Befähigung zum Schöffenamte. Während ein solcher Schöffe in der Liste zu streichen ist, soll der Amtsrichter den Schöffen, in dessen Person ein instruktioneller Ausschliefsungsgrund (§§ 33, 34 GVG) sich nachträglich ergeben hat, zur Dienstleistung ferner nicht heranziehen. Relativ unfähig ist ein Schöffe, wenn ihm einer der Gründe entgegensteht, die einen Richter von der Ausübung des Richteramts gesetzlich ausschliefsen, §§ 22, 23, 31 StPO 1 . Auch erfolgreiche Ablehnung wegen Befangenheit — wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist, Mifstrauen gegen die Unparteilichkeit des Schöffen zu rechtfertigen, §§ 24, 31 StPO — removiert diesen. Das Gericht wäre ungesetzlich gebildet, wenn ein Schöffe amtieren sollte, obwohl ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch für begründet befunden war, § 377 Z. 3. Ebenso bei Einbehaltung eines Schöffen unter Verwerfung begründeten Ablehnungsgesuches, § 377 Z. 3. Der Entscheid über relative Unfähigkeit und geltend gemachte Befangenheit liegt beim Amtsrichter, § 31 Abs. 2 StPO. Steht dem Schöffen ein gesetzlicher Ablehnungsgrund — den Katalog gibt § 35 GVG — zur Seite, so kann er die Dienstleistung weigern. Dieses Recht hat er in noch weiterem Mafse wegen eines instruktionellen Ausschliefsungsgrundes im Sinne der §§ 33. 34 GVG, der nicht bereits von Amtswegen durch Ausscheidung des Schöffen berücksichtigt worden ist (§ 52 Abs. 2 GVG). 1

Vgl. betreffs der Geschworenen oben S. 56.

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Es empfiehlt sich für die letztere stärkere Berechtigung die Bezeichnung „Weigerungsgrund". Der behinderte Schöffe endlich ist auf den Weg des Dispensationsgesuchs gewiesen. IV. Die Befreiung wegen eines A b l e h n u n g s g r u n d e s darf unter den gesetzlichen Voraussetzungen, §§ 35, 53 GVG, dem Schöffen nicht verweigert werden. Das Ablehnungsrecht ist befristet und verzichtbar. Das Gesuch mufs binnen einer Woche, nachdem der Schöffe von seiner Einberufung in Kenntnis gesetzt worden war, von ihm angebracht werden ; fällt die Entstehung oder Bekanntwerdung des Ablehnungsgrundes in eine spätere Zeit, so wird die Frist von diesem Zeitpunkte an berechnet, § 53 Abs. 1 GVG. In Übernahme der Dienstleistung trotz bestehendem und dem Schöffen bekannten Ablehnungsgrunde liegt Verzicht. Der Entscheid des Amtsrichters über das Gesuch (nach Anhörung der Staatsanwaltschaft) ist unanfechtbar, § 53 Abs. 2 GVG. V. Das W e i g e r u n g s r e c h t wegen instruktioneilen Ausschliefsungsgrund es (§§ 33, 34 GVG) ist unbefristet und wird durch Verzicht des Schöffen nicht aufgehoben. Denn die Fernhaltung eines solchen Schöffen ist bereits Amtspflicht des Richters, § 52 Abs. 2. Die Verwerfung des angeführten Grundes aber durch den Richter bindet den Schöffen. Der Entscheid (nach Anhörung der Staatsanwaltschaft) ist in jedem Falle unanfechtbar, § 52 Abs. 3 u. 4. Weigerung ist auch noch zulässig, nachdem der Schöffe bereits als solcher fungiert hat, und nicht nur bei späterer Entstehung des Weigerungsrechts, sondern auch aus gleich anfangs vorhandenem Grunde. Während der Funktion hingegen, nach dem Beginn der Hauptverhandlung in der einzelnen Sache, darf im Interesse der Sachdurchführung der Schöffe den Dienst nicht aufsagen. Ein instruktioneller Ausschliefsungsgrund entsteht gemäfs § 97 GVG auch durch frühere Einberufung eines Schöffen zum Geschworenendienst2. Der Amtsrichter hat in Analogie des § 52 zu entscheiden, dafs der Schöffe zur Dienstleistung nicht heranzuziehen sei. VI. Über Dispensationsgesuche wegen H i n d e r u n g s g r u n d e s (Krankheit, Unabkömmlichkeit usw.) entscheidet der Amtsrichter 2

Vgl. oben S. 51, 52. 48*

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(ohne Anhörung der Staatsanwaltschaft) endgültig, § 54. Der Ausschlufs der Beschwerde — im Gesetze nicht ausgesprochen — ergibt sich a majori ad minus aus ihrer Versagung bei geltend gemachtem Ablehnungs- und Weigerungsgrunde. Die Entbindung des Schöffen von der Dienstleistung kann davon abhängig gemacht werden, dafs ein anderer für das Geschäftsjahr bestimmter Schöffe für ihn eintritt, § 54 Abs. 2. Diese Substitution ist aber, wie der Tausch des § 47, wegen Gleichheit des Grundes nur statthaft, so lange die in der Sitzung zu verhandelnden Sachen noch nicht bestimmt sind. Mit der Einberufung des andern Schöffen ist der Dispensierte endgültig ausgeschieden. Ein Grund obligatorischer Dispensation entsteht, wenn versehentlich derselbe Schöffe bei der Auslosung zu den Sitzungen des Geschäftsjahres doppelt berücksichtigt wird. Im übrigen ist die Dispensation stets Ermessenssache, während auf rechtlich begründete Ablehnung und Weigerung hin Freigabe erfolgen mufs. V I I . Ersatz für den Schöffenausfall in sämtlichen unter I I I bis V I besprochenen Fällen liefert die Liste der Hilfsschöffen. Auch etwaiger Bedarf an Ergänzungsschöffen wird in gleicher Weise gedeckt. In der Person des Hilfsschöffen kann ein Anlafs zur Substituierung sich wiederholen. Es gelten dabei dieselben Gründe und dieselben Verfahrensnormen wie für Hauptschöffen. Die Einberufungen der Hilfsschöffen geschehen nach der vom Ausschufs festgesetzten Reihenfolge, §§ 42 N. 2, 49 GVG. Bei Abweichung von diesem Turnus wäre das Gericht vorschriftswidrig besetzt, das Urteil nichtig. Fällt der erste Hilfsschöffe aus, so wird auf den zweiten gegriffen, im weitern Bedarfsfalle auf den dritten, nicht nachträglich auf den ersten, wenn dieser nunmehr zur Funktion in der Lage wäre. Für Eilfälle jedoch beschränkt das Gesetz — durch instruktionelle Norm an den Amtsrichter — den Hilfsdienst auf die am Gerichtssitze wohnhaften Hilfsschöffen, § 49 Abs. 2. Über die Voraussetzung — erhebliche Verzögerung des Verhandlungsbeginns oder Notwendigkeit der Vertagung bei Einberufung anderer Hilfsschöffen — entscheidet das Ermessen des Amtsrichters, unter Ausschlufs der Nachprüfung im Rechtsmittelwege. Ungesetzlich ist übrigens, bei dem instruktionellen Charakter der Vorschrift, die Gerichtsbildung auch dann nicht, wenn der Amtsrichter trotz be-

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stehender Dringlichkeit unter Verzögerung der Justiz Hilfsschöffen aufserhalb des Gerichtssitzes heranzieht. Der Turnus ist immer ein einheitlicher, ohne dafs zwischen dringlichem und nicht-dringlichem Bedarf zu unterscheiden wäre. Der nächste Normalfall nach dem Dringlichkeitsfall führt nicht zum Rückgriff auf die übergangenen Hilfsschöffen aufserhalb des Gerichtssitzes, vielmehr bleiben die Vorderleute, des Einberufenen frei bis zur Erledigung der ganzen Hilfsschöffenliste und der dann eintretenden Erneuerung des Turnus. Nur bei Einhaltung dieses Prinzips ist das Gericht vorschriftmäfsig gebildet. Die ein wöchige Frist für ein Befreiungsgesuch wegen Ablehnungsgrundes läuft dem Hilfsschöffen von seiner ersten Einberufung zu einer bestimmten Sitzung, nicht von einer etwa vorangegangenen generellen, zweckmässigen, aber nicht vorgeschriebenen Benachrichtigung von seiner Auslosung zur Hilfsschöffenliste an. Die Substituierung geht nach ganz denselben Grundsätzen vor sich, mag die Behinderung des Hauptschöffen eine dauernde (Tod, Eintritt absoluter Unfähigkeit, erfolgreiche Geltendmachung eines Ablehnungs- oder Weigerungsgrundes usw.) oder vorübergehende (Dispensation für einen Sitzungstag, relative Unfähigkeit in bestimmter Strafsache usw.) sein. Der Ersatz ist immer von Sitzung zu Sitzung erneut aus der Hilfsschöffenliste zu beschaffen. Der einberufene Hilfsschöffe tritt nicht dauernd an die Stelle des dauernd behinderten Hauptschöffen, wie gestützt auf eine verfehlte Ausführung der Motive die herrschende Meinung annimmt 3 . Es fehlt dafür nicht nur an positiven Anhaltspunkten im Gesetz, es liefern vielmehr die unzweideutigen Vorschriften der §§ 42 N. 2, 49 GVG die direkte Widerlegung 4 . Die Zuziehung des Hilfsschöffen kann sich auf einen Teil der angesetzten Strafsachen beschränken (Ausschliefsung eines Hauptschöffen in einzelner Sache kraft Gesetzes, späteres Erscheinen des Hauptschöffen usw.) V I I I . Das Gericht ist nicht nur dann gesetzwidrig gebildet mit der Folge der Urteilsnichtigkeit, wenn ein Hilfsschöffe aufser 3 So L ö w e - H e l l w e g zu § 42 Bein. 7a; B e n n e c k e - B e l i n g S. 52 Anm. 13 u. A. Vgl. dagegen O e t k e r , Arch. Bd. 49 S. 218; R o s e n f e l d S. 132. 4 Die Hilfsschöffen treten „in der vom Ausschusse festgesetzten Reihenfolge" — also nicht ein und derselbe dauernd — an die Stelle „wegfallender Schöffen", § 42 N. 2, ohne dafs nach Grund und A r t des Wegfalls irgend geschieden wird.

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der Reihe berufen wurde, sondern auch, wenn die Heranziehung ohne gesetzlichen Grund geschah. Dabei ist zu beachten, dafs Dispenserteilung der Nachprüfung entzogene Ermessenssache ist; dafs gleichen Charakter hat die Annahme des Amtsrichters, die Übergehung der Hilfsschöffen aufserhalb des Gerichtssitzes sei zur Vermeidung von Justizverzögerung am Platze; dafs endlich für die Auslosung von Gerichtshilfsschöffen zu aufserordentlicher Sitzung nicht sowohl die wirklich bestehende, als die vom Amtsrichter angenommene Dringlichkeit entscheidet. Aus den §§ 28 Abs. 1 und 377 Z. 3 StPO folgt ferner, dafs ein Urteil nicht deshalb anfechtbar ist, weil zu Unrecht auf Ablehnungsgesuch hin ein Schöffe wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschieden oder weil fälschlich relative Unfähigkeit des Schöffen angenommen worden sei. Im übrigen ist Urteilsanfechtung wegen vermeintlich grundloser Ausscheidung von Hauptschöffen oder von Hilfsschöffen, die nach dem Turnus zu berufen waren, freigegeben 5. Der Ausschlufs der Beschwerde gegen die Ausscheidung, wie er ausgesprochen ist in den §§ 52, 53 GVG (Freigabe wegen instruktionellen Ausschliefsungs- und wegen Ablehnungsgrundes), betrifft das Justizverwaltungsverfahren und präjudiziert nicht der Geltendmachung des Prozefsrechtsmittels gegen das Urteil. Die Kognition des Rechtsmittelrichters erstreckt sich nicht nur auf die Subsumtionsfrage, sondern auch auf die tatsächliche Frage, ob der angenommene, der gesetzlichen Kategorie entsprechende Grund der Ausscheidung wirklich vorlag. Die Parteien können verlangen, dafs ihnen das Gericht so gebildet werde, wie es die wirkliche Rechts- und Sachlage erfordert. IX. Das Strafrichteramt auch des Schöffen setzt eidliche Verpflichtung voraus. Doch gilt eine anderweite Beteuerungsformel dann dem Eide gleich, wenn der Schöffe einer Religionsgesellschaft angehört, der das Gesetz, d.h. die lex fori, die Abgabe einer solchen Versicherung an Stelle des Eides gestattet, § 51 Abs. 4 GVG. 5 Die Ausscheidung eines Schöffen aus der Urliste oder aus der Jahresliste vor Auslosung auf die Sitzungstage hingegen würde niemals einen Grund der Urteilsanfechtung liefern. Vgl. oben S. 669, 671. Erst nach Zuweisung der Schöffen zu den Spruchgerichten des Geschäftsjahres berührt ihre Einbehaltung im Gerichte und ihre Ersetzung durch andere die Einzelsache.

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Der Schöffeneid ist anders als der Geschworeneneid ein genereller, durch den alle richterlichen Funktionen des Schöffen während des Geschäftsjahres gedeckt werden. Zu tadeln ist wiederum die Unbestimmtheit der gesetzlichen Formel, die von den „Pflichten" des Schöffen spricht ohne jede rechtliche Charakterisierung, namentlich seine Unterwerfung unter das Gesetz nicht zum Ausdrucke bringt 6 . Der Eid setzt sich, wie bei den Geschworenen, zusammen aus der vom Vorsitzenden für den Schöffen gesprochenen Eidesnorm und der von diesem hinzugefügten Schwurformel („Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe"), § 51 Abs. 2 und 3. Diese Beeidigung erfolgt bei der ersten Dienstleistung des Schöffen, wenn auch nur als Ergänzungsschöffe, in öffentlicher Sitzung, § 51 Abs. 1. Aber sie bildet entsprechend ihrer generellen Bedeutung nicht einen Bestandteil der anschliefsenden Hauptverhandlung. Es bedarf daher nicht der Anwesenheit der Parteien. Die Öffentlichkeit aber ist unerläfslich. Über den Vorgang wird vom Gerichtsschreiber ein Protokoll aufgenommen, § 51 Abs. 6. Nach Analogie des § 274 StPO ist in dieser Urkunde das allein mögliche Beweismittel der Eidesleistung zu finden. Insbesondere bringt betreffs der Öffentlichkeit lediglich das Protokoll Beweis. Die Beeidigung ist zumeist Kollektivakt, indem die Eidesnorm vom Vorsitzenden auf die zwei (oder drei usw. — im Falle der Zuziehung von Ergänzungsschöffen) zuerst zur Funktion kommenden Schöffen zugleich bezogen wird und dann jeder einzelne die Schwurformel hinzusetzt. Doch kann natürlich die Verpflichtung auch nur einen Schöffen betreffen (wenn der andere schon früher beeidigt war). Die Aktion des nicht-beeidigten oder nicht öffentlich beeidigten Schöffen ist nichtig. Das Gericht wäre in solchem Falle nicht vorschriftsmäfsig besetzt und daher zu gültigem Urteil aufser stände. Die Beeidigung wirkt noch über das Geschäftsjahr hinaus, wenn die Sitzung, an welcher der Schöffe teilzunehmen verpflichtet ist, dieses überdauert (Fall des § 50 GVG). X. Nur die Heranziehung P f l i c h t i g e r Schöffen ergibt vorschriftsmäfsige Gerichtsbesetzung. Übernahme des Schöffenamtes lediglich kraft eigener Entschliefsung ist unzulässig. Dagegen wird die konkrete Dienst5

Vgl. oben S. 85.

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pflicht eines der Jahresliste eingereihten Schöffen auch hergestellt durch Verzicht auf Ablehnungs-, Weigerungsrecht und mit der gerichtsseitigen Annahme des Erbietens, für einen andern Schöffen an bestimmtem Sitzungstag einzutreten (§ 54 Abs. 2 GVG). Anderweite Fixierung der Dienstpflicht gegenüber dem Auslosungsergebnisse liegt in der richterlichen Genehmigung vereinbarten Schöffenaustausches, § 47 GVG. Gegenständlich wird die Dienstpflicht von Fall zu Fall begrenzt durch die in der einen Sitzung, zu welcher die Einberufung erfolgt war, zu verhandelnden Sachen. Die Sitzung kann sehr wohl mehrere Tage in Anspruch nehmen, mag der Richter diese Erstreckung von vornherein in Aussicht genommen haben oder Ihre Notwendigkeit erst während der Sitzung resultiert sein. Der Schöffe hat bis zur Beendigung der Sitzung seine Amtstätigkeit fortzusetzen, § 50 GVG, auch wenn ein neues Geschäftsjahr schon angebrochen sein sollte. Im letztern Falle ist natürlich Voraussetzung, dafs die Funktion des Schöffenrichters fortdauert 7 , mit einem Wechsel im Vorsitze wäre ja das Gericht gesprengt. Die Sitzung endet prinzipiell mit Erledigung der angesetzten Sachen, nicht mit Ablauf der für ihre Aufarbeitung veranschlagten Zeit. Fortsetzung an einem zweiten, dritten usw. Tage entgegen der Vorausberechnung des Amtsrichters ist immer statthaft und sogar geboten, wenn andernfalls eine Erneuerung begonnener Hauptverhandlung erforderlich würde. Die Schöffen haben sich in dieser Hinsicht den Anordnungen des Amtsrichters zu fügen, doch bleibt ihnen ein Dispensationsgesuch (§ 54 GVG) frei. Die Schöffenpflicht bleibt insbesondere dann bestehen, wenn Aussetzung einer Verhandlung beschlossen war (weil z. B. ein Zeuge noch zu laden ist) und die Fortsetzung innerhalb der Zeitgrenze des § 228 StPO stattfindet 8 . Nur am Aussetzungsbeschlufs selbst sind die Schöffen beteiligt (§ 30 GVG); die Bestimmung des weitern Termins steht dem Amtsrichter allein zu (§ 212 StPO), der pflichtwidrig handeln würde, wenn er es aus Rücksicht für 7

Die Landesjustizverwaltung kann verfügen, dafs der bisherige Schöffenrichter in Sachen, in welchen während des Geschäftsjahres eine Verhandlung bereits stattgefunden hat, auch nach dessen Ablauf den Vorsitz behalte. Für die landgerichtliche Rechtspflege ist entsprechende Befugnis des Landgerichtspräsidenten gesetzlich anerkannt, § 64 GVG. 8 A . A. L ö w e - H e l l w e g § 50 Bern. 1. Gegen ihn v. K r i e s S. 134; B e n n e c k e - B e l i n g S. 53 Anm. 15; O e t k e r , Arch. Bd. 40 S. 230 f.

§ 71. Besetzung des Einzelgerichts.

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die Schöffen zu vermeidlicher Verhandlungserneuerung kommen liefse. Die Fortdauer einer Sitzung wird nicht ausgeschlossen durch längere Pausen zwischen den Hauptverhandlungen der für sie angesetzten Sachen9. Eine solche Unterbrechung kann an sich auch das Maximalzeitmafs des § 228 überschreiten, das nur insoweit bindend ist, als es sich um die Fortsetzung einer und derselben Sache handelt. Doch wird gerade in der schöffengerichtlichen Rechtspflege, da sie an bestimmte ordentliche und nach Bedarf noch hinzugefügte aufserordentliche Sitzungstage gebunden ist, eine Grenze für die Verlängerung einer Sitzung durch noch nicht begonnene Hauptverhandlungen gesetzt mit dem Herankommen des nächsten ordentlichen oder aufserordentlichen Sitzungstags. Solche Sachen sind mit den Schöffen des neuen Sitzungstages aufzuarbeiten. Nach der ratio dieser besondern Sitzungsordnung, die eine möglichst gleichmäfsige Inanspruchnahme der Schöffen bezweckt, ist für die noch nicht begonnenen Verhandlungen nunmehr die Dienstpflicht auf die neuen Schöffen fixiert. Der neue Sitzungstag hat insofern vis attractiva für noch nicht erledigte Sachen. Diese Begrenzung gilt aber nicht für die schon begonnenen Sachen, wenn durch Einbehaltung der alten Schöffen Verhandlungserneuerung vermieden werden kann. Hier mufs das Interesse der Sachdurchführung den Ausschlag geben und es schadet nicht, dafs mittlerweile eine neue Sitzung mit neuen Schöffen gehalten worden ist. Das Gleiche gilt für Anberaumung eines Verkündungstermins, die nach § 267 StPO mit einwöchiger Frist zulässig ist. Die alten Schöffen haben zu diesem Termin zu erscheinen, möchte immerhin ein neuer Sitzungstag inmitten liegen. Eine Überschreitung der so bestimmten Grenzen wäre, auch wenn die Schöffen sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt hätten, ganz unzulässig und würde vorschriftswidrig gebildete Gerichte und nichtige Urteile ergeben. 9

Vgl. über den Begriff der Sitzung Arch. Bd. 49 S. 230 Anm. 99.

682

§ 72. Verhältnis zum landgerichtlichen Verfahren.

Zweites Kapitel. Das Verfahren vor dem Schöffengericht. § 72.

V e r h ä l t n i s zum l a n d g e r i c h t l i c h e n

Verfahren 1.

Das reguläre schöffengerichtliche Verfahren verläuft in seiner allgemeinen Anlage nach den Normen des landgerichtlichen Prozesses, es ist ordentliches Verfahren wie dieses. Aber es finden doch einerseits mehrfache Abweichungen vom landgerichtlichen Verfahrensgange statt und es sind andererseits unter den Voraussetzungen des § 211 StPO besondere Prozefseinleitungsformen für schöffengerichtliche Sachen anerkannt. Mit den letztern Eigentümlichkeiten sind wichtige, die Lehren von der Prozefsbegründung und der Strafklagerhebung ergreifende Konstruktionsprobleme gegeben, so dafs eingehende Erörterung unerläfslich ist. Unter den generellen Verfahrens-Modifikationen hat besondere Bedeutung die freiere Stellung des Gerichts der Hauptverhandlung bei Bemessung des Umfangs der Beweiserhebung. Auch in dieser Hinsicht bedarf es zum vollen Verständnisse des Gesetzes umsomehr einer prinzipiellen Untersuchung, als die bisherige Doktrin versäumt hat, die möglichen Ablehnungsgründe gegenüber Beweisanträgen scharf und distinkt zu erfassen. Dagegen würde erläuternde Besprechung der anderweiten Abweichungen teils zu Wiederholungen führen, indem sie bei Darstellung der allgemeinen Lehren oder des landgerichtlichen Verfahrensganges bereits berücksichtigt worden sind, teils späteren Ausführungen, insbesondere der Rechtsmittellehre, vorgreifen. Es sei daher nur konstatiert : der Wegfall der Voruntersuchung, § 176 Abs. 3 StPO 2 ; die Vereinfachung der Anklageschrift (durch Ausscheidung der Ermittelungen), § 198 Abs. 2 StPO 8 , und des Zwischenverfahrens (durch Wegfall der Anhörung des Ange1 Vgl. G l a s e r , „Schöffengericht" in v. Holtz. Rechtslex. I I I S. 589 f.; v. K r i e s § 64 I ; R o s e n f e l d § 98. Die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts ist hier nicht zu entwickeln. Vgl. G l a s e r I I S. 152f. Auf das modifizierende R.-Ges. v. 5. Juni 1905 und die neuern Reformvorschläge kann nicht eingegangen werden. 2 G l a s e r I I S. 381. 8 G l a s e r I I S. 468.

§ 72. \ r erhältnis zum landgerichtlichen Verfahren.

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schuldigten), § 199 Abs. 4 4 ; die Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der \7ernehmungen in das Hauptverhandlungsprotokoll, § 273 Abs. 2 ; die Unabhängigkeit des Amtsrichters von der Vermittelung durch die Staatsanwaltschaft bei Zustellungen und bei der Vollstreckung von Beschlüssen und Verfügungen, § 36 Abs. 2 ; die Entbehrlichkeit landgerichtlichen Entscheids, wenn der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Amtsrichter das Ablehnungsgesuch für begründet hält, § 27 Abs. 2 5 ; die Versagung eines Aussetzungsanspruches für den Angeklagten, wenn in der Verhandlung Nova hervortreten, die eine qualitative Verschärfung der Schuldbeurteilung indizieren, § 264 Abs. 5 mit 3 6 ; die Fristsetzung für Beweisanträge des Angeklagten bei Erlafs eines Verweisungsbeschlusses wegen sachlicher Unzuständigkeit, § 270 Abs. 4 7 ; die Zulässigkeit der Berufung verbunden mit der Beschränkung der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten ex capite novorum, §§ 354 f., 399 Z. 5; die Befugnis der Landesjustizverwaltung, die Strafvollstreckung den Amtsrichtern zu übertragen, § 483 Abs. 3. Beiseite bleiben solche Bestimmungen, die nicht das schöffengerichtliche Verfahren als solches, sondern nur einen Teil der schöffengerichtlichen Sachen betreffen (vgl. z. B. § 332 Abs. 2 StPO, Ausschlufs der Vermögensbeschlagnahme als Gestellungsmittel in Sachen, die zur unmittelbaren Zuständigkeit der Schöffengerichte gehören) 8. 4

Indem § 199 Abs. 4 von der Mitteilung der Anklageschrift an den Angeschuldigten i m Z w i s c h e n v e r f a h r e n absieht, wird diese Notiiikation überhaupt für entbehrlich erklärt, so dafs auch nicht nachträglich, nach Erlafs des Eröffnungsbeschlusses, die Zustellung zu geschehen hat. Vgl. L ö w e H e l l w e g zu § 214 Bern. 2 und die hier zitierten. A. A. V o i t u s Kontroversen I S. 155 f. und die hier Zitierten. Dagegen folgt aus §§ 221 Abs. 2, 245 die Pflicht der Staatsanwaltschaft, das in der Anklageschrift enthaltene Beweismittelverzeichnis dem Angeklagten rechtzeitig (im Sinne des § 245) bekannt zu geben. Vgl. v. K r i e s S. 523; L ö w e - H e l l w e g zu § 214 Bern. 2. 5 G l a s e r I I S. 121, 122, 125f. β G l a s e r I I S. 561 f. 7 G l a s e r I I S. 483. 8 Das Kontumazialstrafverfahren, §§ 231 f., 319f. StPO, obwohl es auf minder erhebliche Sachen beschränkt ist, gehört in völlig anderen systematischen Zusammenhang.

73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

§ 73. U m f a n g der B e w e i s e r h e b u n g i n der H a u p t verhandlung1. In schöffengerichtlicher Verhandlung ist das Gericht Herr der Beweisaufnahme, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein, § 244 Abs. 2 StPO. Diese Bestimmung hat im Gesetz eine falsche Stelle erhalten, indem sie der für nicht-schöffengerichtliche Sachen geltenden Vorschrift, die Beweisaufnahme auf die sämtlichen vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen, sowie auf die anderen herbeigeschafften Beweismittel — abgesehen von Verzicht beider Parteien — zu erstrecken, § 244 Abs. 1, als zweiter Absatz angeschlossen wurde. Dadurch wird der Schein erweckt, als handele es sich nur um eine Ausnahme von dieser Pflicht, während doch nach dem unzweideutigen Wortlaute des Abs. 2 dem Gerichte der Umfang der Beweisaufnahme ganz allgemein, nicht nur, soweit Abs. 1 eine Beschränkung für das Gericht mit sich bringen würde, anheimgestellt wird. Um klar zu sehen, mufs das Verhältnis der präzeptiven Bestimmung des § 244 Abs. 1 zu dem vorgängigen, die Beweisanträge in der Hauptverhandlung regelnden § 243 mit herangezogen und scharf erfafst werden. Der Zusammenhang lehrt, dafs § 244 Abs. 1 dem Gericht betreffs der Vernehmung vorgeladener Zeugen usw. eine weitergehende Pflicht auferlegen will, als aus § 243 folgen würde* Es gibt also für Beweisanträge, die nicht auf die Tatsachen des § 244 Abs. 1 sich stützen können2, Gründe der Ab1 G l a s e r , Handb. I S. 358 f., 395 f., 425 f., I I S. 538 f.; D e r s e l b e , Beiträge zur Lehre vom Beweise im Strafprozefs S. 35 f., 66 f.; v. K r i e s S. 332 f., 551 f.; U l l m a n n , Deutsch. Strafproz. S. 329 f., 461 f.; D e r s e l b e , Österr. Strafproz. S. 537f.; B i r k m e y e r S. 398f., 630f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 315f., 329 f., 525 f.; Be l i n g in Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 24 S. 474 f.; R o s e n f e l d S. 219 f., 317 f.; D i t z e n , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 10 S. 111 f.; S t e n g l e i n das. S. 475 f.; D i t z e n das. Bd. 11 S. 461 f.; M e v e s in Goltd. Arch. Bd. 40 S. 291f., 416f.; M i l t n e r , Das Recht Bd. 6 S. 568f,; Kommentare zu §§ 243 , 244 StPO von J o h n , L ö w e - H e l l w e g , S t e n g l e i n . Vgl. auch Protok. der Kommission für die Reform des Strafprozesses 1. Lesung S. 237 f., 2. Lesung S. 117 f., 144. 2 M e v e s a. a. 0. S. 300f. meint, der Gesetzgeber betrachte als Beweisanträge nur solche Anträge, welche die Herbeischaffung von Beweismitteln verlangen, während die Benutzung der herbeigeschafften, wenn nicht seitens beider Parteien darauf verzichtet werde, Offizialpflicht des Gerichts sei. Das ist Yerkennung der Rechtslage. Der Beweisantrag bezielt immer die B e w e i s e r h e b u n g , nur als vorbereitende Mafsnahme dazu vielfach zunächst

§ 73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

lehnung, wie sie hier bei § 244 Abs. 1, versagen würden. Nun sind aber weder in § 243, noch sonst im Gesetze die Versagungsgründe ausdrücklich bestimmt. Es kann daher nur der Z w e c k der Beweiserhebung darüber Aufschlufs geben3. I. Durchaus zweckwidrig wäre Beweisaufnahme betreffs rechtlich irrelevanter Tatsachen. Rechtsunerheblich ist zunächst jede Tatsache, deren Feststellung durch die Prozefslage erübrigt ist. Mufs wegen fehlender Prozefsvoraussetzung das Verfahren eingestellt, wegen fehlender Urteilsvoraussetzung die Verhandlung abgebrochen werden, so ist damit das materielle Streitverhältnis der Kognition des Gerichts entzogen und es wäre jede darauf bezügliche Beweiserhebung eine auch die Herbeischaffung des Beweismittels. Dafs im Schöffengericht der Antrag auf Erhebung sistierter Beweise Beweisantrag ist, steht aufser Zweifel. Wie könnte es im landgerichtlichen, schwurgerichtlichen Verfahren anders sein? Der auf Beweismittelsistierung gestützte Beweisantrag vor Landgericht, Schwurgericht braucht im Hinblick auf § 244 Abs. 1 nicht a u s d r ü c k l i c h gestellt zu werden. K o n k l u d e n t aber wirkt nicht einfach der Nichtverzicht, sondern dieser nur in Verbindung mit der gegebenen Prozefslage. Kann aus dieser nicht entnommen werden, welche Tatsachen bewiesen werden sollen, so ist Parteierklärung unentbehrlich. Schon begrifflich kann von einem Beweis-„Mittel" nicht gesprochen werden, wenn gar nicht erhellt, was bewiesen werden soll. Denn das „Mittel" ist nichts ohne den Zweck. Eine andere Sachbehandlung wäre vielfach auch praktisch unmöglich. Man denke an eine gröfsere Zahl von Anklagepunkten und einen sehr verwickelten Indizienbeweis: der Angeklagte hat zur Hauptverhandlung Zeugen geladen, während die zu beweisenden Tatsachen ganz im Dunkeln geblieben sind; worüber sollten denn nun die Zeugen vernommen werden? Allerdings wird, da es eines ausdrücklichen Antrags nicht bedarf, und das Gesetz den Parteiverzicht als Grund der Nichtvernehmung betrachtet, der Vorsitzende die Partei zunächst über die Beweistatsache zu befragen haben. Zu solcher Befragung ist übrigens auch der Amtsrichter veranlafst, allerdings nicht prozessualisch verpflichtet (denn für ihn gilt nicht Nichtverzicht = Antrag), wenn der Angeklagte Zeugen gestellt hat, ohne dafs man wissen kann* was Gegenstand der Vernehmung sein soll. Auf das Verhältnis des Fragerechts — bei der Vernehmung, §§ 239f. StPO — zum Rechte des Beweisantrags ( M e v e s a. a. 0.) braucht hier nicht eingegangen zu werden. Angabe der Vernehmungstatsachen auch im Falle des § 244 Abs. 1 verlangt in beachtenswerter Ausführung D i t z e n Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 10 S. 148 f., 157 f. 3 In der Literatur wird der Begriff der „Unerheblichkeit" eines Beweisantrags bei weitem nicht bestimmt genug gefafst. Nicht selten gebraucht derselbe Schriftsteller, ohne sich dessen klar bewufst zu sein, den Ausdruck bald in diesem, bald in jenem Sinne. Genaue Unterscheidung ist auch hier die Grundbedingung cler Verständigung.

73. U m f a g der Beweiserhebung i d e r

Hauptverhandlung.

unnütze Prozefsverschleppung 4. Ist der Strafaufhebungsgrund der Verjährung, der Strafausschliefsungsgrund der Jugend im Falle des Inzests (§ 173 Abs. 4 StGB) usw. bereits liquide, so ist die Existenz des Strafanspruchs widerlegt, die Freisprechung geboten, ohne dafs das Gericht die Schuldfrage noch beantworten dürfte; folglich entfällt jede darauf gerichtete Beweiserhebung (im Hinblick auf den freizusprechenden Angeklagten). Nach urteilsmäfsiger Erledigung der Schuldfrage — durch Geschworenenspruch 5 — ist jeder Beweisantrag abzulehnen, der lediglich die Schuldfrage 6 berührt. In diesem letztern Fall entspricht es der Ordnung des Verfahrens, den Beweisantrag ausdrücklich abzulehnen, doch würde seine Übergehung, da der Prozefsverstofs unter der angegebenen Voraussetzung für den Urteilsinhalt nicht kausal sein kann, die Revision nicht begründen. Völlig erübrigt ist die Abweisung in den ersterwähnten Fällen, indem das einstellende, freisprechende Urteil usw. ganz von selbst die Irrelevanz des Beweisantrags ergibt. Dagegen ist Liquidität eines Schuldausschliefsungsgrundes, z. B. der Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten, niemals geeignet, die weitere Prüfung der Schuldfrage zu erübrigen. Die Zurechnungsfähigkeit wird stets geprüft für konkrete Tat. Es gibt nicht Freisprechung, weil X infolge Geisteskrankheit usw. unfähig gewesen wäre, sich eines Deliktes der angegebenen Art schuldig zu machen, vielmehr setzt die Freisprechung in solchem Falle voraus, dafs X im Hinblick auf das konkrete inkriminierte, nach seinem objektiven Tatbestand von ihm verwirklichte Delikt der Schuld ermangelte. Nicht anders steht's, wenn ein Grund wegfallender Rechtswidrigkeit in Betracht kommt. Die Schuldfrage, also die Frage des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes, bildet zumeist für die Beweisaufnahme eine 4 Ein einzelner Anwendungsfall: die Unzuständigkeitserklärung und die Verweisung nach § 270 sind auszusprechen, sobald durch die gepflogene Verhandlung der Prozefsvoraussetzungsmangel liquide gestellt ist, unter Abstandnahme von jeder ferneren Beweiserhebung. Vgl. dazu T r a u t Ger.-Saal Bd. 59 S. 193 f., insbes. S. 200 f. (nicht durchweg zutreffend). 6 Mafsgebend ist natürlich die Kundgebung (oben S. 421 f., 557 f.), nicht erst die Verkündung des Spruchs und vorausgesetzt wird, dafs es nicht zu einem sachlichen Berichtigungsverfahren kommt. Vgl. auch M e v e s in Goltd.Arch. Bd. 40 S. 417, 418. 6 Eine Beweiserhebung ex officio wäre nicht undenkbar im Hinblick auf die dem Gericht zustehende Befugnis der Verdiktskassierung (§ 317 StPO). Es k a n n ohne Schuld der Prozelsleitung der Beweisakt in dem Verfahren voider Verdiktsabgabe unterblieben sein.

§ 73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

untrennbare Einheit. Aber es ist denkbar, dafs mit der Widerlegung eines Tatumstandes, z. B. der Beamtenqualität (des angeblichen Täters, angeblichen Angegriffenen), die Annahme der Deliktsbegehung bereits beseitigt ist, so dafs jede weitere Beweiserhebung sich erübrigt. Beweiserhebung über Strafzumessungsgründe, also über das Schuldmafs, fällt mit der Schuldprüfung fort, wenn die Straffrage jedenfalls zu verneinen ist und deshalb die Schuldfrage ausscheidet. Und steht ein Schuldausschliefsungsgrund usw. bereits fest, so hätte genauere Bestimmung des Schuldmafses, wie es sonst anzunehmen wäre, also eine rein hypothetische Operation, keinen Sinn (wäre nicht einmal durchführbar). In allen diesen Fällen ist die Beweiserhebung rechtlich unzulässig. Es steht dem Beweisantrag entgegen die R e c h t s u n e r h e b l i c h k e i t der Be weis t a t s a c h e . Dieser Verwerfungsgrund greift ganz gleichmäfsig durch in Strafkammer-, schwurgerichtlichen und schöffengerichtlichen Verhandlungen. Und es versteht sich, dafs die Beweisaufnahme nicht dadurch zulässig oder gar notwendig werden kann, dafs die Beweismittel herbeigeschafft sind (§ 244 Abs. I ) 7 . I I . Trotz Erheblichkeit der zu beweisenden Tatsachen kann die b e g e h r t e B e w e i s e r h e b u n g u n z u l ä s s i g sein, weil ihr eine in dieser Weise nicht zu entkräftende Rechtspräsumtion (Beweiskraft des Protokolls nur durch den Nachweis der Fälschung zu beseitigen, § 274 S. 2 StPO usw.) oder ein Beweisverbot (z. B. die Vernehmung eines öffentlichen Beamten entgegen seiner Diskretionspflicht usw., § 53 StPO) entgegensteht oder das Gesetz die beantragte Verlesung verbietet usw. Auch dieser rechtliche Gegengrund ist den verschiedenen Verfahrensformen gemeinsam. I I I . Neben der relativen Unerheblichkeit unter I gibt es auch a b s o l u t e I r r e l e v a n z zu b e w e i s e n d e r T a t s a c h e n . Sie liegt vor, wenn das Faktum keinerlei Beziehung hat zu dem materiellen Streitverhältnis, für die Würdigung des erhobenen Strafanspruchs schlechthin nicht in Betracht kommen kann, die Fragen der Schuld, der Strafbarkeit, des Strafmafses ganz unberührt läfst. Ist X eines vor drei Monaten in Y verübten Diebstahls an7

Vgl. auch G l a s e r I I S. 538 f. (er nimmt jedoch an, dafs die Widerlegung eines wesentlichen Tatumstandes unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 nur bei Verzicht der Parteien von der Beweiserhebung über andere Tatumstände dispensiere).

73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

geklagt, so kann verständigerweise dem Gerichte doch wohl nicht zugemutet werden, auf das weiter nicht motivierte Verlangen einer Partei hin Beweis darüber zu erheben, dafs es vor einer Woche in Ζ geregnet habe, auch dann nicht, wenn die „Zeugen" dafür von der Partei geladen und zur Stelle sind ! Wer möchte einwenden, es sei abstrakt denkbar, dafs bei einer ganz besondern Verkettung der Tatsachen das Faktum des Regenfalls vermittelt durch viele Zwischenglieder für die Frage der Diebstahlsbegehung als Indiz oder Gegenindiz bedeutsam sein könne? Das Gericht hat zu verurteilen auf historische Gewifsheit hin trotz Denkbarkeit des Gegenteils : es kann nicht verpflichtet sein, zur Beweiserhebung zu schreiten, nur weil denkbar ist, dafs eine gewisse Tatsache bei einer gar nicht voraussehbaren Beweiskonstellation als beweiserheblich erscheinen könnte. Die Phantasie hat freilich keine Grenzen, aber es ist doch wahrlich nicht die Aufgabe des Richters, bei der Beweiserhebung und Beweiswürdigung von ihren Gebilden sich leiten zu lassen. Das Gericht hat, wenn zwischen dem Beweisthema und der von der Partei im Beweisantrag bezeichneten Tatsache nach verständiger Würdigung der Verhältnisse irgend ein Zusammenhang nicht erkennbar ist, den Antrag abzulehnen8. Während die relative Irrelevanz ein rein rechtliches Fundament hat, setzt die Annahme absoluter Irrelevanz zunächst eine tatsächliche Erwägung des Richters voraus. Die Negative, dafs irgend ein für die Beweisfrage erheblicher Nexus zwischen den beiden Tatsachen nicht angenommen werden könne, ist Folgerung aus allgemeinen Regeln der menschlichen, insbesondere richterlichen Erfahrung. Hat der Richter die Vorfrage in diesem Sinne zutreffend beantwortet, so steht nun der Beweisaufnahme allerdings ein Rechtsgrund, die absolute Irrelevanz der fraglichen Tatsache, entgegen. Ob die tatsächliche Prämisse der Nachprüfung in der Revisionsinstanz unterliegt, kann erst bei der Revisionslehre untersucht werden. Die Rechtslage bleibt die gleiche, wenn die Partei die Möglichkeit eines Zusammenhanges darzulegen versucht hat, ihre Anführungen aber so unbestimmt geblieben sind, dafs eben nur 8

Auch G l a s e r , Lehre vom Beweise S. 66 f., w i l l Ablehnung der Beweisführung, wenn ein Zusammenhang zwischen ihr und der Strafsache schlechthin nicht ersichtlich sei. I n demselben Sinne RG 3. Str.-S. E. Bd. 1 S. 244; 1. Str.-S. R. I X S. 322. Ferner U l l m a n n S. 470; L ö w e - H e l l w e g zu § 244 Bern. 3. Α. A. B e n n e c k e - B e l i n g S. 526; R o s e n f e l d S. 318.

§ 73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

die abstrakte Denkbarkeit von ihr behauptet ist. Denn diese besteht ja schon ohnehin. IV. Eine Änderung in der Stellung des Richters zum Beweisantrag aber tritt ein, wenn die abstrakte Denkbarkeit zu konkreter Möglichkeit sich verdichtet. Die anderweite Beweislage oder die Substantiierung des Beweisantrags durch die Partei oder beides zusammen gibt einigen Anhalt für einen vielleicht bestehenden Zusammenhang. Die absolute Irrelevanz läfst sich nun nicht mehr behaupten. Wohl kann noch eine Abweisung des Antrags wegen p r ä s u m t i v e r F r u c h t l o s i g k e i t der B e w e i s f ü h r u n g in Betracht kommen. Diese Ablehnung würde im Umfange des § 244 Abs. 1 StPO, wenn die Beweismittel in der hier näher charakterisierten Art zur Stelle sind, sicher unzulässig sein9. Denn das Gericht soll insofern nicht nach seinem Ermessen die beantragte Beweisaufnahme im Voraus als unergiebig erachten und sich deshalb derselben weigern. Dafs zwischen den Fällen I I I und IV, zwischen der abstrakten Denkbarkeit und der konkreten Möglichkeit eine völlig scharfe Begriffsgrenze nicht läuft, wird ohne Weiteres zugegeben, ist aber durchaus nicht Grund, diese in der Natur der Sache begründete Scheidung zu verwerfen. Mit aller Bestimmtheit mufs nun gegenüber Beweisanträgen, die nicht durch Beweismittel - Sistierung — diese unbestimmtere Charakterisierung mag hier ausreichen — verstärkt sind, dem Richter eine freiere Stellung zugesprochen werden. Denn sonst fiele jeder Unterschied zwischen § 243 und § 244 Abs. 1 fort. Der Richter ist durch solche Anträge, wenn sie auf die Erhebung von Indizienbeweis gerichtet sind, nicht schon deshalb gebunden, weil die konkrete Möglichkeit des Beweiszusammenhangs gegeben i s t 1 0 . Er verstöfst nie gegen seine Prozefspflicht, wenn er die Beweise erhebt, — es müfste denn anderweit die Unzulässigkeit sich ergeben, vgl. oben sub I I — aber er ist nicht unbedingt, sondern nur auf Grund einer Ermessenserwägung dazu verpflichtet. Wenn der Mifserfolg der Beweiserhebung mit solcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dafs mit dem Gegenteil nicht ernstlich gerechnet werden kann, so braucht der Richter die Beweise nicht zu erheben. Er übt eine Prima-facie-Kognition, stellt sich eine Prognose 9 10

Vgl. auch RG 2. Str.-S. E. Bd. 1 S. 225 f.; 3. Str.-S. R. I S. 571 f. Vgl. RG 1. Str.-S. R. I S. 218 f.

B i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

des Beweisverlaufs. Prämissen sind die Beschaffenheit der zu beweisenden Tatsache, ihre Schlüssigkeit gegenüber dem thema probandum und die anderweit schon bestehende Beweislage. Auf Grund dieser summarischen Vorprüfung bewilligt oder versagt der Richter die Beweisaufnahme. Ohne Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten, wie sie die Beweiswürdigung bestimmen, ist auch bei der Fragé der Beweiserhebung nicht auszukommen, soll nicht der Prozefs durch unnützen Stoff beschwert in seinem Laufe gehemmt, verteuert werden, die Übersichtlichkeit verlieren und Unbeteiligten drückende Zeugenpflicht zwecklos auferlegt werden. Aber es versteht sich, dafs für die Ausschliefsung eines Kausalzusammenhangs im Voraus ein weit gröfseres Mafs von Wahrscheinlichkeit zu fordern ist als für die Annahme eines solchen nach Aufnahme begehrten Indizienbeweises. Dafs auch das Unwahrscheinlichste gelegentlich Ereignis werden kann, bildet vom Standpunkte gesunder Prozefspolitik aus keinen Gegengrund. V. Die Ablehnung fruchtloser Beweisführung ist nicht nur wegen Unwahrscheinlichkeit eines Tatsachenzusammenhangs, dessen Fehlen die Irrelevanz der Beweistatsache ergibt, begründet, sie hat ein viel weiteres Anwendungsgebiet. Der Indizienbeweis versagt ja nicht nur, wenn dieser Nexus wegfällt, sondern auch, wenn die angeblich indizierende Tatsache nicht bewiesen wird. Für den direkten, unmittelbar auf Tatsachen des thema probandum gerichteten Beweis kommt nur Mifserfolg der letzteren Art in Betracht. Ist mit grofser Wahrscheinlichkeit vorauszusehen, dafs die Beweisführung mifslingen wird, insbesondere wegen völliger Unglaubwürdigkeit der benannten Zeugen, so stehen der Beweiserhebung die nämlichen prozefspolitischen Gesichtspunkte entgegen, die unter den Voraussetzungen sub IV die Ablehnung des Indizienbeweises motivieren 11 . Daher ist das Gericht zur Ablehnung des Beweisantrages befugt, falls diesem nicht Beweismittelsistierung zur Seite steht. In erhöhtem Mafse ist die Verwerfung begründet, wenn das Gegenteil der zu beweisenden Tatsache notorisch ist. Die „präsumtive" Fruchtlosigkeit verstärkt sich auch dann zu gewisser Fruchtlosigkeit, wenn die Partei einen „Sachverständigen" 11

Ygl. z. B. RG 1. Str.-S. R. I V S. 633 f.; 2 Str.-S. E. Bd. 24 S. 404; 1. Str.-S. E. Bd. 31 S. 139 f. Gegenteilig D i t z e n , Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 10 S. 123 f.

§ 73. Umfang der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

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gestellt hat, dem die nötige Sachkunde zweifellos fehlt; das Gericht hat die Vernehmung abzulehnen. VI. Stärker noch als die F r u c h t l o s i g k e i t einer Beweisführung wirkt deren E n t b e h r l i c h k e i t . Hat das Gericht die Überzeugung von der Existenz einer bestimmten Tatsache bereits gewonnen, so ist weitere Zeugen- usw. -Abhör zur Erweisung des gleichen Faktums nicht nur dann überflüssig, wenn der Zeuge voraussichtlich von der Tatsache nichts weifs, sondern auch unter Annahme seiner Wissenschaft 12. Einen Anwendungsfall bildet insbesondere glaubwürdiges, durch die anderweite Beweislage bestätigtes Geständnis des Angeklagten. Der relativen Irrelevanz der Beweistatsache aus rechtlichem Grunde, Fall I, gesellt sich so eine tatsächlich motivierte Unerheblichkeit der Beweisführung. Fraglich kann nur sein, ob dieser Ablehnungsgrund auch den verstärkten (im Sinne des § 244 Abs. 1) Beweisantrag trifft. Der blofse, allgemein gefafste Gesetzeswortlaut entscheidet nicht. Ein Gegengrund aber ist die in Satz 2 des § 244 etablierte Beweismittelgemeinschaft 13. Die Beweisaufnahme kann ein dem angestrebten gegensätzliches Resultat liefern und sonach der Gegner des Antragstellers an ihr interessiert sein. Diese blofse Möglichkeit würde noch nicht eine Beweiserhebungspflicht ergeben. Indem aber das Gesetz von dieser Pflicht entbindet im Einverständnis der Parteien, wirkt der Nichtverzicht des Gegners als Verlangen und die Situation ist die gleiche, als hätte der Gegner das Beweismittel zur Widerlegung der fraglichen Tatsachenbehauptung benannt. Demnach fällt bei genauerem Zusehen die hier ventilierte Frage mit der unter IV bereits entschiedenen zusammen. Die Ablehnung erfolgte wegen Fruchtlosigkeit der vom Gegner gewollten Beweiserhebung. Der präsumtive Mifserfolg würde gestützt auf die beim Gericht infolge anderweiter Beweisführung bereits begründete Überzeugung des Gegenteils. Bei dieser Auslegung des Gesetzes ergibt sich, dafs schon nach bestehendem Recht weitere Beweiserhebung sich erübrigt, wenn das Gericht die zu beweisende Tatsache zu Gunsten des Angeklagten bereits als erwiesen ansieht und der Staatsanwalt auf die fernere Vernehmung usw. verzichtet hat. Es bedarf dann nicht noch eines Verzichts des Angeklagten. Aber es gilt nicht auch 12

RG 3. Str.-S. E. Bd. 35 S. 389 f. Vgl. auch P l a n c k , Lehrbuch des Zivilprozesses I I 1 S. 178. 13 So auch RG 3. Str.-S. R. V I S. 160. 44*

73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

der umgekehrte Satz, dafs bei Verzicht des Angeklagten weitere Beweiserhebung zu seinen Ungunsten entfalle, wenn die Belastungstatsache bereits als erwiesen angesehen wird, während der Staatsanwalt auf die fernere Vernehmung usw. nicht verzichtet hat. Denn die Beweisanträge des Angeklagten — die ausdrücklichen und die konkludenten — können nur auf den Zweck der Entlastung bezogen werden, so dafs der Angeklagte auch durch die im § 244 etablierte Beweismittelgemeinschaft nicht zum Träger des Belastungsbeweises zu werden vermag. Dagegen ist der Staatsanwalt seiner Amtspflicht entsprechend mit seinen Beweisanträgen — den ausdrücklichen und den konkludenten — immer zugleich als Träger des Entlastungsbeweises zu erachten, so dafs infolge der Beweismittelgemeinschaft des § 244 der Verzicht des Angeklagten auf eine Beweiserhebung niemals zu wirken vermag, wenn nicht der Verzicht des Staatsanwalts hinzutritt. Die beiden Teilen zugewiesenen Prozefsrollen sind bei der Interpretierung des § 244 wesentlich mit in Rechnung zu ziehen! Und so folgt, dafs der Beschlufs der Strafprozefskommission, die Ablehnung eines Beweisantrages solle zulässig sein, wenn das Gericht die Tatsachen, die bewiesen werden sollen, zu Gunsten des Angeklagten bereits für erwiesen erachte 14 , insofern, aber auch nur insofern zu beanstanden ist, als vom Verzichte des Staatsanwalts abstrahiert wird. Mit Hinzuoahme des letzteren Erfordernisses wäre lediglich das bestehende Recht zutreffend wiedergegeben 15. VII. Ein letzter Grund der Verwerfung ist die U n e r r e i c h b a r k e i t des B e w e i s m i t t e l s 1 6 . Dabei ist nicht gedacht an rechtliche Hindernisse der Beweiserhebung, von denen unter Nr. I I schon die Rede war, vielmehr an eine so unbestimmte Bezeichnung 14

Prot. I I S. 118. Entschieden mifsverständlich der Einwand der Minorität, Prot. I I S. 121, dafs hiernach das Gericht, um Zeit zu ersparen, eine Schutzbehauptung des Angeklagten ohne weiteres als wahr unterstellen könne. Es handelt sich vielmehr nur um Tatsachen, die das Gericht durch die Beweiserhebung als bereits b e w i e s e n erachtet. 16 Dagegen ist nicht ferner Grund der Ablehnung, dafs der Beweisantrag offenbar nicht ernstlich gemeint, nur zur Verschleppung gestellt worden sei. Steht dem Antrag weder Unerheblichkeit der Beweistatsache, noch präsumtive Fruchtlosigkeit der Beweisführung, noch Unerreichbarkeit des Beweismittels usw. entgegen, so wäre Ablehnung doch nur Strafe vermeintlich chikanöser Prozefsfiihrung der Partei. Dazu ist der Strafrichter nicht befugt, das Offizialprinzip verpflichtet ihn zur Beweiserhebung. A. A. RG 4. Str.-S. E. Bd. 12 S. 335 f. : 2. Str.-S. E. Bd. 13 S. 151 f.; M i l t n e r , Das Recht Bd. 6 S. 569. 15

§ 73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

des Beweismittels, insbesondere des Namens, des Aufenthaltsortes eines Zeugen, dafs das Gericht zu seiner Heranziehung nicht in der Lage ist. Die Unanwendbarkeit auf die Fälle des § 244 Abs. 1 ist selbstverständlich. Dem Offizialprinzip des Strafprozesses entsprechend darf das Gericht von der Partei nicht verlangen, dafs sie die Erreichbarkeit des Beweismittels völlig liquide stelle 1 7 , ebenso wenig aber kann dem Gerichte eine unbegrenzte amtliche Erforschung in dieser Hinsicht zugemutet werden. Mafsgebend mufs sein, ob aus dem Beweisantrage (eventuell in Verbindung mit sonstigen Erklärungen des Antragstellers ein individuell bestimmtes Beweismittel erhellt, dessen Aufenthalt angegeben ist oder doch präsumtiv ohne weitläufige Ermittelungen vom Gerichte wird gefunden werden können, nicht erst durch langwierige und leicht ergebnislose Nachforschungen gesucht werden müfste. Mangels der Individualisierung des Beweismittels fehlt es im Grunde schon am Begriffe eines Beweisantrags 18, der nicht mit der blofsen Behauptung einer Tatsache und dem Wunsche, dafs das Gericht, falls sie nicht bereits als feststehend erachtet wird, sie durch Beweiserhebung bewahrheiten möge, gegeben ist. Denn dieser Wunsch steckt unausgesprochen in jeder tatsächlichen Behauptung, deren Feststellung der Partei von Nutzen sein würde, indem das Vorbringen 17 18

Vgl. auch RG 1. Str.-S. R. I V S. 63, 4. Str.-S. R. X S. 149. Ebenso wie dies zutrifft bei Nichtangabe einer zu beweisenden Tat-

sache. Das RG betont übrigens in zahlreichen Entscheidungen mit Recht die Pflicht des Richters, der blofs mangelhaften Substantiierung eines Beweisantrags durch geeignete Befragung des Angeklagten abzuhelfen. In der Entsch. bei Goltd. Bd. 46 S. 210 hat der 4. Str.-S. angenommen, ein vom Angeklagten geladener und erschienener Zeuge müsse unbedingt vernommen werden, auch wenn der Angeklagte keinerlei Angabe über .den Gegenstand der Vernehmung gemacht habe. Allein das Gericht hat, wie auch das RG mehrfach entschieden hat (Anm. 8 zu S. 688) trotz § 244 Abs. 1 bei absoluter Irrelevanz der Beweistatsache die Vernehmung abzulehnen, mufs also jedenfalls befugt sein, durch Befragung des Angeklagten über diese Voraussetzung sich zu vergewissern. Die Ladung oder sonstige Herbeischaffung des Beweismittels seitens der Partei wirkt allerdings auch ohne ausdrückliches Vernehmungs- usw. -Begehren als Beweisantrag (zugleich als solcher der Gegenpartei), aber doch nur, wenn aus der Prozefslage sich ergibt, worüber die Vernehmung erfolgen soll. Andernfalls hat die Partei (oder Gegenpartei) die nötige Angabe zu machen. Es besteht nicht eine unbegrenzte Offizialpflicht des Gerichts zur Vernehmung abgesehen vom Verzichtsfalle. Vgl. auch oben S. 684 Anm. 2.

73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

sonst ganz zwecklos wäre. Im weiteren Sinne aber mag auch das nicht - individualisierte Beweismittel „unerreichbar" genannt werden. Die Befugnis des Gerichts zur Ablehnung des der Beweismittelindividualisierung entbehrenden „Beweisantrags" ist sicher, da ein solches Begehren Beweisantrag im Rechtssinne eben gar nicht i s t 1 9 . Das Gericht kann aus demfPseudoantrage Anlafs zu einer Offizialermittelung entnehmen, aber das „Beantragen" einer solchen ist ein Widerspruch in sich. Die präsumtive Unauffindlichkeit des Beweismittels — in dem angegebenen Sinne, also unter Aufwendung nur des Mafses von Nachforschungen, wie es verständigerWeise dem Richter zugemutet werden kann — motiviert nach den Grundsätzen gesunder Prozefspolitik die Ablehnung des Beweisantrags. Wie alle Mafsbestimmung ist auch diese eine relative und es kann naturgemäfs die Schwere der Strafsache darauf nicht ohne Einflufs bleiben. Ein Kapitalprozefs unterliegt auch in dieser Beziehung anderer Behandlung wie eine Polizeistrafsache. Damit ist nicht gesagt, dafs zweierlei Justiz geübt werde, je nach der Bedeutung der Anschuldigung. Dem Staate steht aber für die Zwecke der Rechtspflege nur eine begrenzte Zahl lebendiger Kräfte zur Verfügung und würden diese in jedem Einzelprozesse durch die Verpflichtung zu unbeschränkter Nachforschung rücksichtslos angespannt, so müfste durch diese Vergeudung von Zeit und Arbeitskraft die Justizinstitution viel gröfseren Schaden leiden, als etwa im Einzelfalle genützt würde. Gewifs gilt im Bereiche der gesamten schöffengerichtlichen Jurisdiktion das Prinzip der materiellen Wahrheit, wie in Strafkammerund Schwurgerichtssachen auch, aber ihre Gewinnung kann nur in den Grenzen angestrebt werden, die durch die Gesamtaufgaben dieses Justizzweiges gezogen sind, wozu besonders auch die Promptheit der Rechtsprechung gehört. 19

Es ist üblich geworden x dem Beweisantrag — mit Individualisierung des Beweismittels — den „Beweisermittelungsantrag" entgegenzustellen. Vgl. RG 3. Str.-S. E. Bd. 24 S. 422f.; M i l t n e r , Das Recht Bd. 6 S. 568; dagegen B e n n e c k e - B e l i n g S. 528 Anm. 15. Ein solcher Antrag sei in der Tat nur Anregung zu Erhebungen ex officio, der das Gericht völlig frei gegenüberstehe. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dafs eine völlig scharfe Grenze zwischen beiden Formen des „Antrags" nicht gezogen werden kann. Der Beweisantrag kann alternativ mehrere Personen, Sachen als die Beweismittel bezeichnen (A oder Β soll eine bestimmte Äufserung getan haben usw.). Mit wachsender Ziffer der Alternativen geht schliefslich der Beweisantrag in einen Beweisermittelungsantrag über. Aber eine bestimmte Grenzzahl existiert nicht.

§ 73. UmfaDg der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

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V I I I . Allen Strafsachen gemeinsam und bei ihnen allen in gleichem Mafse wirksam sind die Ablehnungsgründe der relativen und absoluten Irrelevanz der Beweistatsache, der Unzulässigkeit der Beweiserhebung (I bis I I I ) und der gewissen Fruchtlosigkeit der Beweisführung (sub V). Einerlei, ob es sich um einfachen oder verstärkten Beweisantrag handelt. Die absolut irrelevante Tatsache insbesondere wird nicht dadurch beachtlich, dafs das Beweismittel zur Stelle ist! Die Ablehnung wegen nur präsumtiver Fruchtlosigkeit der Beweisführung (IV u. V) versagt gegenüber dem verstärkten Beweisantrag 20 , ist im schöffengerichtlichen Verfahren, das solche 20 Nach den Beschlüssen der Kommission für die Reform des Strafprozesses soll künftig in der Hauptverhandlung vor den mittlem und grofsen Schöffengerichten, auch in der anschliefsenden Berufungsinstanz, von der Erhebung einzelner ordnungsmäfsig herbeigeschaffter Beweismittel auch dann abgesehen werden können, wenn das Gericht die Tatsachen, die dadurch bewiesen werden sollen, einstimmig für unerheblich erachtet, wobei die Gründe der Irrelevanzannahme in dem ablehnenden Beschlüsse anzugeben sind. Die präsumtive Fruchtlosigkeit der Beweisführung (oben sub V) — nur diese kann gemeint sein — mufs also gründen in dem präsumtiven Mangel eines Zusammenhangs zwischen der Beweistatsache und dem materiellen Streitverhältnis oder der anderweiten durch jene zu erweisenden, an sich beweiserheblichen Tatsache (Unglaubwürdigkeit eines Zeugen z. B.). Der Beschlufs der Kommission ist nur mit Stimmengleichheit unter Stichentscheid des Vorsitzenden gefafst worden. Vgl. Prot. I S. 237 f., I I S. 117 f. In gleichem Sinne entscheidet die MStGO § 299 Abs. 2. Durch das Erfordernis der Einstimmigkeit, einschliefslich der beteiligten Laienrichter, und die Zulässigkeit der Berufung erscheinen die Bedenken gegen diesen Beschlufs zwar gemindert, aber keineswegs beseitigt. Es ist nicht möglich, das freie Ermessen des Gerichts in der Erheblichkeitsprüfung anzuerkennen, ohne zugleich eine gewisse Gefährdung des Verteidigungsbeweises zu schaffen. Ein solcher Schritt — in schwereren und schwersten Strafsachen — ist allzu gewagt. Vgl. besonders B i n d i n g s scharfe Kritik des Entw. von 1895, der (wie die Entwürfe von 1885 und 1894) immerhin nur in Strafkammersachen entsprechend bestimmte, für schwurgerichtliche und reichsgerichtliche Verhandlungen es beim geltenden Rechte belassend, B i n d i n g , Der Entwurf usw., 1895, S. 17; ferner Κ o h n e , Der deutsche Strafprozefs und seine Reform 1895 S. 38f.; v. S l u p e c k i , Die Reform des Strafproz. 1896 S. 11 f. I n gleichem Sinne gegen den Entw. v. 1885 G e y e r , Ger.-Saal Bd. 37 S. 391 f.; gegen den Entw. von 1894 S t e n g l e i n , Wider die Berufung S. 38; M a m r o t h , Die Gefahren der neuen Novelle (1894) S. 16f.; A u e r b a c h , Zur Reform unseres Strafverfahrens (1894) S. 12 f. Zustimmend zu den Entwürfen : W o l f f in Goltd. Arch. Bd. 42 S. 113f. (in der Hauptsache); B r e t t n e r das. Bd.43 S. 25 f.; K u l e m a n n , Ger.-Saal Bd. 51 S. 103f. (die Neuerung sei freudig zu begrüfeen); G o l d e n r i n g , Bemerkungen zum Entw. eines Ges. betr. Änd. u. Ergänz, v. GVG u. StPO 1894 S. 14. Gegen den Vorschlag der Reform-

73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

Verstärkung nicht gelten läfst, in vollem Umfang begründet. Und es mufs in der Beweisprognose dem Schöffengerichte eine freiere Stellung eingeräumt werden als der Strafkammer und dem Schwurgericht 21 . Das liegt in der Absicht des Gesetzes, das sich in Abs. 2 des § 244 keineswegs darauf beschränkt hat, die vorgängige Sonderbestimmung über verstärkte Beweisanträge für schöffengerichtliche Verhandlungen aufser Kraft zu setzen, sondern in den letzteren ausdrücklich das Gericht ohne Bindung durch Beweisanträge den Umfang der Beweisaufnahme bestimmen läfst. So weit aber geht das Ermessen auch des Schöffengerichts nicht, dafs es den Antrag einfach deshalb ablehnen könnte, weil das Gericht eine gegenteilige Überzeugung bereits gewonnen habe 22 . Denn damit würde der Antrag tatsächlich ignoriert. Die Vorprüfung mufs sich vielmehr auf die von der Partei in Aussicht gestellte Bekundung mit erstrecken ; die Ablehnung geschieht ζ. Β., weil nach der Sachlage mit der Möglichkeit einer solchen Bekundung gar nicht zu rechnen ist oder weil ihr, wenn sie auch wirklich erfolgen sollte, wegen der Qualitäten der benannten Zeugen und im Hinblick auf die schon vorliegenden Beweismomente jede Glaubwürdigkeit zu versagen wäre. Für die gröfsere Freiheit des Schöffengerichts, die mindere der anderen Gerichte lassen sich natürlich wieder nicht scharfe Grenzen ziehen, so dafs ein bestimmtes Gebiet abgesteckt wäre, in dem das Ermessen der Strafkommission S t a u b , Jur. Zeit. I X S. 103, 104, 150; H e i n e m a n n , Zeitschr. f. Strafrechtsw r. Bd. 26 S. 530f., dessen Ausführung zwar über das Ziel hinausschiefst, aber einen sachlich berechtigten Kern enthält; dafür H a m m , Jur. Zeit. X S. 659, 660; v. B o m h a r d , Das Recht X S. 223. Nach Ansicht v. S p i n d l e r s in Aschrott, Reform des Strafprozesses S. 461 f. geht der Kommissionsbeschlufs lange nicht weit genug, er beruhe auf der „Politik der kleinen Mittel", es gebühre vielmehr dem Gerichte die unbeschränkte Bestimmung des Umfanges der Beweisaufnahme. Gewifs ist Promptheit der Rechtspflege erstrebenswert, prozefsverschleppende Beweiserhebung ein Übel, aber die Rücksicht auf vollgenügende Verteidigung nötigt den Gesetzgeber zum Kompromifs. Übrigens ist scharfe Erfassung der schon nach dem bestehenden Recht gegebenen Beweisablehnungsgründe geeignet, unnütze Beweiserhebung in erheblichem Mafse hintanzuhalten. Das wird in dem Streit um § 244 von beiden Teilen vielfach übersehen. Be l i n g , Zeitschr. f. Strafrechtsw. Bd. 24 S. 274 f. hat den beachtenswerten Vorschlag gemacht, die Ablehnungsgründe gesetzlich zu fixieren. Der von ihm dort aufgestellte Katalog ist freilich nicht vollständig und auch in positiver Hinsicht mehrfach zu beanstanden. 21 Bei v. K r i e s S. 556f. ist diese Unterscheidung zu vermissen. 23 Vgl. auch RG 4. Str.-S. R. V I S. 453 f., R. V I I S. 296.

§ 73. U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

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kammer usw. versagte, das des Schöffengerichts aber noch Raum hätte. Denn eben nicht qualitative, sondern quantitative Unterscheidungen stehen in Frage. Die Ablehnung wegen Entbehrlichkeit der Beweisführung (VI), die gegenüber den verstärkten Beweisanträgen vor Strafkammer und Schwurgericht bereits ausgeschlossen wurde, ergreift im Übrigen schöffengerichtliche und andere Verhandlungen gleichmäfsig. Für die Ablehnung wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels (VII) besteht der schon betonte Gradunterschied zu Gunsten des Schöffengerichts. IX. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes lehrt, dafs es auch in diesen Bestimmungen auf dem Kompromifs zweier divergierender Grundanschauungen beruht. Der Entwurf (§ 207) wollte über das Beweisbedürfnis schlechthin das richterliche Offizium entscheiden lassen und sprach daher den jetzt nur für schöffengerichtliche Verhandlungen in § 244 Abs. 2 beibehaltenen Grundsatz allgemein aus. Die R.-Just.-Kommission aber betonte das Beweisinteresse der Parteien und gab dieser Erwägung praktischen Ausdruck durch Aufnahme des jetzigen § 244 Abs. 1 2 3 . Damit war geschaffen das Institut des verstärkten, auf Beweismittelsistierung (von welcher Seite immer geschehen) gestützten, ausdrücklich oder konkludent (durch Nichtverzicht) gestellten Beweisantrags und zugleich auch anerkannt die Pflicht des Gerichts, die Beweisaufnahme zu erstrecken auf die ex officio nach Anordnung des Vorsitzenden geladenen Zeugen und Sachverständigen und herbeigeschafften sonstigen Beweismittel (§ 220 StPO), falls nicht beide Parteien auf die Beweiserhebung verzichten 24 . Es besteht gegenüber dem im - 3 Auf die Verhandlungen, die einen bedauerlichen Mangel begrifflicher Klarheit ergeben, ist hier nicht einzugehen. Vgl. darüber G l a s e r , Lehre vom Beweis S. 71, 72. 24 Auch Österr. § 246 Abs. 2 (nach § 311 auf das schwurgerichtliche, nach § 447 auf das Verfahren in Übertretungsfällen anwendbar) erkennt eine Beweismittelgemeinschaft an. Die vorgeschlagenen und erschienenen Zeugen und Sachverständigen kann der Produzent nur mit Zustimmung des Gegners fallen lassen. Vgl. G l a s e r , Beiträge zur Lehre vom Beweis S. 70; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 543. Aber es ist nicht in gleichem Umfang, wie diese gegenseitige Bindung der Parteien, auch eine Vernehmungspflicht des Gerichts bestimmt. Der Kass.-Hof hat daher wiederholt dem Gerichte die Erheblichkeitsprüfung reserviert, vgl. Entsch. v. 17. Febr. 1893 Bd. 13 S. 290 f., v. 1. Juni 1894 Bd. 14 S. 318 f. Dagegen freilich M a y e r zu § 246 Bern. 25, 28. Insbesondere ist ausgesprochen worden (in der ersteren Entsch.), dafe die

U m f a g der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung.

Sinne des § 244 S. 1 sistierten Beweismaterial die Beweiserhebungspflicht des Gerichts allgemein in dem Umfange, wie er für die verstärkten Beweis an t r ä g e dargelegt wurde 25 . Indem ferner die positive Norm des Entwurfs — Beweiserhebung ganz nach Ermessen des Gerichts — für schwurgerichtliche und landgerichtliche (Erstinstanz-) Verhandlungen überhaupt gestrichen, nicht nur durch Anerkennung der Beweiserhebungspflicht betreffs herbeigeschaffter Beweismittel durchbrochen wurde, kann auch für den nicht verstärkten, in der Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht mehr das f r e i e Ermessen des Gerichts mafsgebend sein, sondern seine Ablehnung nur insofern erfolgen, als der Zweck, die ratio der Beweiserhebung an sich, der Berücksichtigung des Antrags entgegensteht. Im Schöffengerichte aber ist das freie Ermessen ungeschmälert geblieben26. Die Konsequenzen aus dieser Rechtslage hat die vorgängige Darlegung (VIII) zu ziehen versucht. X. Die formale Behandlung der Beweisanträge richtet sich auch im Schöffengericht nach den Vorschriften des § 243 (Gerichtsbeschlufs, wenn Ablehnung erfolgen soll). Ebenso gilt das Erfordernis des Gerichtsbeschlusses, wenn die Vornahme einer Beweishandlung eine Aussetzung der Hauptverhandlung bedingt. Die Begründung ablehnenden Beschlusses mufs den Ablehnungsgrund dergestalt anführen, dafs für den Rechtsmittelrichter ersichtlich wird, ob eine bestimmte rechtliche oder nur eine Ermessenserwägung die Verwerfung motivierte. Die Begründung ergibt einen Rechtsirrtum auch dann, wenn sie zeigt, dafs der Richter die seinem Ermessen gesteckten Grenzen überschritten hat. Die Entbehrlichkeit der Beweisführung trotz mangelnden Parteikonsenses von der Beweiserhebung entbinde, was für § 244 Abs. 1 RStPO zweifellos nicht zutreffen würde (s. oben sub VI). 25 Gilt auch für den Fall eines dem Gericht glaubwürdig erscheinenden Geständnisses. Nur Verzicht der Parteien dispensiert insofern von der Beweiserhebung. I n formeller Hinsicht ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung die Pflicht des Gerichts, die Nichterhebung gesetzentsprechend sistierter Beweise abgesehen vom Verzicht der Parteien unter allen Umständen durch begründeten Beschlufs zu rechtfertigen, auch wenn die Beweismittel auf Anordnung des Vorsitzenden herbeigeschafft waren. E i n Punkt, der durchgängig übersehen wird! Materiell ist die Nichtaufnahme des Beweises immer nur gedeckt aus den oben dargelegten Gründen. 26 Die gesetzliche Unterscheidung ist durch die Zulässigkeit der Berufung gegenüber Schöffengerichtsurteilen wesentlich mit motiviert.^

§ 74. Besondere Formen der Prozefsbegründung.

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näheren Ausführungen hierüber sind der Rechtsmittellehre vorzubehalten. XI. Das Gesetz spricht allgemein von „Verhandlungen vor den Schöffengerichten". Es begründet also keinen Unterschied, ob ein Vergehen oder eine Übertretung in Frage steht, ob das Schöffengericht unmittelbar zuständig oder die Sache ihm von der Strafkammer überwiesen worden ist 2 7 . Die gleichgestellten Verhandlungen vor den Landgerichten in der Berufungsinstanz, „sofern die Verhandlung eine Übertretung betrifft oder auf erhobene Privatklage erfolgt", interessieren erst bei der Rechtsmittellehre. Der Amtsrichter als Einzelrichter, § 211 Abs. 2, wird, da Geständnis des Beschuldigten vorausgesetzt wird, nur selten Beweise zu erheben haben. Aber es gilt diese Verhandlung einer schöffengerichtlichen gleich und es wird die Befugnis des Amtsrichters zur Beweiserhebung trotz des Geständnisses gerade durch die in unserem Paragraphen bestimmte Unabhängigkeit des Richters vom Parteiverzichte aufser allen Zweifel gestellt. Insofern ist die Erwähnung des „Verzichts" nicht ohne Bedeutung, während allerdings an sich die Un Verbindlichkeit eines solchen bereits aus der Anerkennung des Offizialprinzips im § 158 Abs. 2 StPO folgen würde. Die Unabhängigkeit des Gerichts von „früheren Beschlüssen" betreffs der Beweisaufnahme brauchte nicht betont zu werden, da sie im Sinne gestellten Antrags ergangen so wenig als dieser selbst das Gericht binden können und im Übrigen ihre Abänderlichkeit schon dem Offizialprinzip entspricht 28 . Dafs das freie Ermessen des Gerichts wie dem Angeklagten, so dem Staatsanwalt gegenüber durchgreift, bedarf kaum besonderer Erwähnung. §74.

Besondere F o r m e n d e r

Prozefsbegründung 1.

Der normalen Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schöffengericht durch Eröffnungsbeschlufs nach Einreichung einer 27 Die Überweisung ändert also die Rechtslage auch insofern, als dadurch die Möglichkeit verstärkten Beweisantrags aufgehoben wird. 28 Vgl. auch RG 3. Str.-S. R. V I I I S. 150 f., 1. Str.-S. Bd. 31 S. 138 f. 1 P l a n c k , System. Darst. § 162; L ö w e , Preufs. Strafproz. S. 200 f.; G l a s e r , Unmittelbare Vorladung im franz. Strafprozesse, Kl. Schriften I S. 481 f.; D e r s e l b e , „Eröffnung des Hauptverfahrens" in v. Holtz. Rechtslex. I S. 729f.; B i n d i n g , Grundrifs §§ 103, 105, 110; J o h n , Kommentar I I S. 800f., G e y e r S. 658 f.; V o i t u , s , Kontroversen I S. 107 f.; L e w a l d , Zur Reform in

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§ 74. Besondere Formen der Prozefsbegründung.

Anklageschrift treten abweichende Formen der Prozefsbegründung zur Seite in den drei Fällen des § 211 StPO ι wenn der Beschuldigte entweder sich freiwillig stellt oder infolge einer vorläufigen Festnahme dem Gerichte vorgeführt oder nur wegen Übertretung verfolgt wird 2 . Dabei ist gleichmäfsig vorausgesetzt Erhebung ö f f e n t l i c h e r Klage. Entsprechend vereinfachtes Privatklagverfahren ist nicht anerkannt. Die Differenz hat wesentlich verschiedenen Charakter bei freiwilliger Stellung und bei Vorführung des Beschuldigten einerseits, im Falle der Verfolgung wegen Übertretung andererseits. Insofern aber treffen die anomalen Formen der Prozefseinleitung zusammen, als diese nicht durch formulierten Beschlufs, sondern unmittelbar durch Veranlassung der Hauptverhandlung geschieht. Der Eröffnungswille wird nicht ausdrücklich, sondern konkludent erklärt. Latentes Eröffnungsdekret tritt an Stelle eines formulierten 3 . Ehe der Richter in das Hauptverfahren eint r i t t , hat er zu prüfen, ob die Prozefsvoraussetzungen vorliegen und ob die speziellen Bedingungen der besonderen Prozefseinleitung gegeben sind. Auf Grund bejahender Feststellung fafst er den Eröffnungswillen, erklärt ihn aber nicht durch Erlafs eröffnenden Beschlusses, sondern durch die tatsächliche Eröffnung des Verfahrens selbst. Die Vornahme der relevanten Prozefsakte ist die schlüssige, den Richterwillen erklärende Handlung. Ein gegenteiliges Ergebnis der richterlichen Prüfung hingegen kommt in formuliertem Dekrete zum Ausdruck. Fehlt es nach Ansicht des Richters an einer Prozefsvoraussetzung oder an der Zulässigkeit der besonderen Prozefseinleitung, so verwirft er den Antrag auf Vornahme der Hauptverhandlung durch ausdrückliche, beschwerdefähige Entscheidung. Das latente, rebus ipsis et factis erklärte Eröffnungsdekret ist schöffengerichtl. Strafsachen, Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 10 S. 84f.; v. K r i e s S. 522 f.; U l l m a n n S. 115 f., 460, 493; B i r k m e y e r § 106; O e t k e r , Strafprozefsbegründung und Strafklagerhebung bei Erlafs und bei Wegfall eines Eröffnungsbeschlusses (aus der Würzburger Festschrift für Dernburg 1900) S. 24 f.; B e n n e c k e - B e l i n g S. 466; L ö w e - H e l l w e g zu § 211; L a n d a u , Ger.-Saal Bd. 56 S. 55 f.; R o s e n f e l d § 99; U l l m a n n , Österr. Strafproz. S. 687 f. 2 Den letzteren Fall hat die Reichsjust.-Komm. hinzugefügt, vgl. Prot. 1. Les. S. 329 f., 2. Les. S. 936 f. 8 Diese Konstruktion — Strafprozefsbegründung usw. S. 6 f., 26 f. — hat zu meiner Freude die Billigung B i n d i n g s gefundeD, Grundrifs § 103.

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im Gegensatze zum formulierten Eröffnungsbeschlufs widerruflich 4 . Der Eröffnungswille ist nicht in einer eigenen zu seiner Erklärung b e s t i m m t e n Prozefstatsache objektiviert, er wird nur durch die ihm entsprechende, die Hauptverhandlung einleitende und fortführende richterliche Aktion erkennbar gemacht. Willensänderung findet ein Hindernis nicht in einem Prozefsakt aufserhalb der dem Eröffnungswillen gemäfsen und ihn somit bekundenden Handlungsreihe, wie ein solcher im Normalverfahren eben in Gestalt des Eröffnungsbeschlusses vorliegt, sondern nur im Fortgange des richterlichen Handelns selbst: mit dem Urteilserlafs hat dieses sein bestimmungsgemäfses Ende gefunden, ist der Entscheidungswille des Richters zu bindendem Ausdruck gekommen, so dafs für einen Abbruch der — bereits definitiv geschlossenen — Aktion nicht mehr Raum bleiben würde. Sonach ist das latente Dekret bis zum Urteil widerruflich. Überzeugt sich der Richter im Laufe der Verhandlung, dafs die Voraussetzungen für die besondere Prozefseinleitung nicht bestehen, ζ. B. die Vorführung des Beschuldigten gesetzwidrig erfolgt war, oder sind diese wieder weggefallen, indem ζ. B. die Verfolgung nach dem Verhandlungsergebnis nicht, wie es früher schien, eine Übertretung, sondern ein Vergehen betrifft, so ist das latente Eröffnungsdekret zurückzunehmen. Das geschieht in der gleichen Form, die bei Versagung von vornherein geboten gewesen wäre: durch formulierten Beschlufs. Das Rücknahmedekret ist, wie ein Versagungsdekret, beschwerdefähig. Aber es wird sich zeigen, dafs die Beschwerde — bei den eigentümlichen Voraussetzungen der Sonderprozeduren — nur in beschränktem Mafse praktisch verwertbar ist. I. D i e z w e i e r s t e n F ä l l e des § 211. Freiwilliges Erscheinen und Vorführung des Beschuldigten infolge vorläufiger Festnahme ergeben die Zulässigkeit sofortiger Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ohne vorgängigen Klageakt und ohne vorgängige — formulierte — Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens 5. 1. Der Beschuldigte stellt sich freiwillig, wenn er mit dem ausdrücklich oder konkludent erklärten Begehren erscheint, dafs 4 Die Anfechtbarkeit mit sofortiger Beschwerde, wie sie der Rücknahme formulierten Eröffnungsbeschlusses entgegensteht ( B i n d i n g , Grundrifs § 88), kommt bei dem latenten Dekret nicht in Betracht. 5 Die analogen Einleitungsformen des österr. und des franz. Rechts sind unten sub I I in Verbindung mit dem Verfahren in Ubertretungsfällen zu besprechen.

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wider ihn die Hauptverhandlung stattfinde. Diese Erklärung ist dem Widerrufe entzogen. Die vorläufige Festnahme des Vorgeführten mufs wegen derjenigen Strafsache erfolgt sein, über die jetzt verhandelt werden soll. Aber es ist unter den allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen, § 265 StPO, zulässig, die begonnene Verhandlung auf einen weiteren Tatbestand zu erstrecken. Auch kann ein Vorgeführter, wenn statt der dem Festnahmeanlafs entsprechenden Beschuldigung eine anderweite Klage gegen ihn erhoben werden soll, seine Bereitschaft zu alsbaldiger Verhandlung darüber erklären: er ist, vorgeführt in der einen Sache, zu der anderen „freiwillig erschienen" 6. Die Vorführung darf nicht rechtswidrig sein, als verboteoe Freiheitsentziehung erscheinen, wie dies zutreffen würde bei Vorführung eines Exterritorialen, eines Reichstagsabgeordneten entgegen dem Art. 31 R.-Verf. oder wenn vorläufige Festnahme durch ein Polizeiorgan im Widerspruche mit den beschränkenden Vorschriften des § 113 StPO usw. vorangegangen wäre (§ 127 Abs. 2 StPO). Doch kann trotz Rechtswidrigkeit der Festnahme (z. B. durch einen Privaten nicht „auf frischer Tat", § 127 Abs. 1 StPO) die Vorführung des einmal Ergriffenen durch die Amtsanwaltschaft gerechtfertigt sein, sofern dieser das von dem Ergreifer usurpierte Recht der vorläufigen Festnahme in der Tat zusteht (§ 127 Abs. 2 StPO). Materielle Begründetheit der Festnahme ist natürlich nicht zu fordern. Gegen den rechtswidrig Vorgeführten darf nicht verhandelt werden, er müfste denn seine Zustimmung dazu geben, in einen „freiwillig Erscheinenden" sich verwandeln. Die Verhandlung wider seinen Willen wäre nur Fortsetzung der durch die Freiheitsentziehung gegen ihn geübten Rechtswidrigkeit. 2. Das latente Eröffnungsdekret liegt in der Zulassung der vom Amtsanwalt zu erhebenden Klage zur sofortigen Hauptverhandlung. Der juristische Vorgang wird mifsverstanden, wenn in ihm gefunden werden als erster Akt eine vom Amtsanwalt mündlich erhobene Klage, als zweiter die Prüfung der Zulässigkeit des begehrten Verfahrens durch Richter und Schöffen mit dem Resultate entweder der Abweisung des Antrags oder des tatsächlichen Ein6

Vgl. auch S t e n g l e i n zu § 211 Bern. 2. A. A . J o h n , Komm. Bd. I I S. 806 f.

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tritts in die Verhandlung 7. Vielmehr kündigt der Amtsanwalt eine demnächst zu erhebende Klage an und begehrt vorerst nur, dafs ihm durch Verhandlungseinleitung die Möglichkeit zu ihrer Anbringung und Durchführung gegeben werde. Die Klage soll beim Schöffengericht erhoben werden, während über die Eröffnung des Verfahrens der Amtsrichter allein ohne die Schöffen, wie im normalen Prozefsgange auch, zu entscheiden hat. Die Ablehnung des Antrags ist Weigerung der Eröffnung des Hauptverfahrens, nicht Einstellung eines mit mündlicher Klagerhebung bereits in Lauf gesetzten Hauptverfahrens. Es kann doch nicht die Sache des Amtsanwalts sein, seinerseits durch Klagerhebung das Hauptverfahren zu beginnen. Die Tatsache, dafs das Schöffengericht, dem der Beschuldigte sich stellt oder zu dessen Sitzung er vorgeführt wird, zwecks anderweiter Verhandlung bereits konstituiert ist, darf nicht beirren. Der Amtsrichter bekundet seinen Eröffnungswillen allerdings dadurch, dafs er im Verein mit den Schöffen zur Sache verhandelt. Aber die Willensentschliefsung eignet nur ihm, wenn auch die Willenserklärung ein gemeinsames Handeln des Richters und der Schöffen ist. Die Schöffen sind verpflichtet, an der vom Amtsrichter gewollten Verhandlung teil zu nehmen, mag ihnen auch diese Verlängerung der Sitzung unerwünscht sein. Die Eröffnung des Verfahrens wird aufserhalb der Hauptverhandlung, also vom Amtsrichter allein, § 30 Abs. 2 GVG, beschlossen, durch gemeinsames, durch schöffengerichtliches Verhandeln bekundet. Die Rücknahme des latenten Eröffnungsdekrets aber steht nicht dem Amtsrichter allein zu, er hat seinen Eröffnungswillen durch tatsächliche Einleitung schöffengerichtlicher Verhandlung erklärt, die nur durch gemeinsamen Beschlufs des Amtsrichters und der Schöffen wieder abgebrochen werden kann gemäfs der den letzteren zustehenden Anteilnahme an allen in der Hauptverhandlung zu fällenden Entscheidungen (§ 30 Abs. 1 GVG). 3. Die Klagankündigung mufs den zu verfolgenden Strafanspruch insoweit erkennbar machen, dafs der Amtsrichter die Prozefsvoraussetzungen — Zuständigkeit des Schöffengerichts usw. — und die speziellen Bedingungen des besonderen Verfahrens — Richtung der Klage auf die Sache, in der die Festnahme des Beschuldigten stattgefunden hat, zu der er freiwillig erschienen ist — zu prüfen vermag. 7

So v. K r i e s S. 524; L ö w e - H e l l w e g zu § 211 Bern. 8.

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Der Beschuldigte ist über das Begehren des Amtsanwalts zu hören. Vielleicht ergibt sich schon jetzt aus seinen Erklärungen die Unzulässigkeit des Verfahrens, z. B. die Rechtswidrigkeit der Vorführung. Die Kognition ist aber eine summarische 8. Dementsprechend ist auch die Zulassung des Begehrens nicht definitiv, für das Gericht nicht bindend. Es kann sich in der Verhandlung ein Unzulässigkeitsgrund noch ergeben, das latente Dekret der Rücknahme bedürfen. Nimmt der Amtsrichter die gesetzlichen Voraussetzungen der besonderen Prozedur als vorhanden an, so mufs er auch in die Verhandlung eintreten. Die latente Eröffnung steht nicht zu seinem Ermessen 9. Wird die Verhandlung wider den Vorgeführten abgelehnt, so mufs zugleich über dessen Verhaftung oder Freilassung vom Amtsrichter entschieden werden, § 128 StPO. Andernfalls geschieht das in Verbindung mit dem Urteil (schon vorher bei Vertagung der Verhandlung, s. unten sub 7). Das Begehren des Amtsanwalts und die Einlassung des Beschuldigten darauf sind streng genommen noch nicht Teile der Hauptverhandlung, aber selbstverständlich in dem Protokolle darüber mit zu beurkunden. 4. Versagungs- und Rücknahmebeschlufs sind, wie die Ablehnung der normalen Eröffnung, in Analogie des § 209 Abs. 2 8 „Summarisch" insofern, als die Klagzulassung erfolgt, wenn der Amtsrichter den Bestand der Prozefsvoraussetzungen und der spezifischen Bedingungen des besonderen Verfahrens nach der Sachlage für „glaubhaft" erachtet. Die Summarietät ist also im Sinne W e t z e l l s , Zivilprozefs §29, nicht B r i e g l e b s , Einleitung in die Theorie der summar. Prozesse S. 171 f., verstanden. Eine Pflicht des Klägers zur Glaubhaftmachung besteht nicht; der Richter prüft ex officio. Die Summarietät des Verfahrens beschränkt sich auf die Prozefseinleitung. Im übrigen verläuft es als Ordinarprozefs. Es mufs beanstandet werden, dafs B e n n e c k e - B e l i n g S. 466 von „summarischem Verfahren" schlechtweg sprechen. Die inkorrekte Bezeichnung wird leicht Ausgangspunkt für materiell unrichtige Folgerungen (Unzulässigkeit einer Aussetzung in den Grenzen des § 228, so S t e n g l e i n zu § 211 Bern. 6, Wegfall der Ladungsfrist im dritten Falle des § 211 — Verfolgung wegen Übertretung—, so L ö w e - H e l l w e g zu § 211 Bern. 1; J o h n , Komm. I I S. 803, 806). 9 Richtig J o h n I I S. 804; L ö w e - H e l l w e g zu § 211 Bern. 6: B i r k m e y e r S. 763. Α. A. v. K r i e s S. 525; B e n n e c k e - B e l i n g S. 467.

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StPO mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Aber es ist dieser Rechtsbehelf hier insofern ein flebile beneficium, als es kaum jemals gelingen wird, eine Entscheidung des Beschwerdegerichts zu erwirken, so lange die Voraussetzung des besonderen Verfahrens, das Vorgeführtsein vor das Schöffengericht usw., noch andauert, mit deren Wegfalle ein reformierender Entscheid des Beschwerdegerichts gegenstandslos werden würde. 5. Die Verhandlung beginnt mit dem Klagvortrage des Staatsanwalts, während im Normalverfahren der Eröffnungsbeschlufs zu verlesen wäre. Für den Inhalt der mündlichen Klagerhebung entscheidet ihr Zweck, nicht besondere gesetzliche Vorschrift (wie solche in § 198 StPO für die schriftliche Klage gegeben ist). Das Gericht soll aus dem Vortrage den Gegenstand der begehrten Verhandlung und Entscheidung entnehmen, der Beschuldigte erfahren, gegen welche Anschuldigung er sich zu verteidigen hat. Zum mindesten bedarf es der individuellen und rechtlichen Bestimmtheit des vom Kläger zu erhebenden Strafanspruchs. Es mufs dem Beschuldigten ein individualisiertes Faktum zur Last gelegt und es mufs erkennbar sein, welchen gesetzlichen Tatbestand der Kläger darin findet. Hervorhebung der gesetzlichen Merkmale der Tat und Angabe des anzuwendenden Strafgesetzes (§ 198) ist nicht absolutes Klagerfordernis, aber es darf nicht durch einen Mangel an diesen Angaben die Verteidigung des Angeschuldigten beeinträchtigt worden sein, widrigenfalls das Urteil der Aufhebung im Rechtsmittelwege unterliegen würde. Die dem Angeklagten bei Klagbesserung in der Verhandlung nach § 264 Abs. 1 fg. gewährten Schutzmittel sind auch für die besonderen Prozeduren des § 211 mit bestimmt, müfsten aber versagen, wenn aus der Klage die gesetzlichen Merkmale und das anzuwendende Strafgesetz nicht erkennbar geworden wären. Es können diese Momente auch ohne besondere Hervorhebung in der Klage nach der Sachlage dem Beschuldigten zweifelsfrei bewufst gewesen sein. Aber empfehlenswert ist stets ihre ausdrückliche Anführung durch den Kläger. Der Richter wird gut tun, auf diese Angabe hinzuwirken und mag sie eventuell — mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Klägers — selbst dem Klagvortrag hinzufügen. Dann ist kein Zweifel darüber möglich, ob in der Verhandlung eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts sich ergeben hat (§ 264 Abs. 1), ob der ursprüngliche Klaginhalt durch hervorgetretene StrafB i n d i n g , Handbuch I X . 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

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schärfungsgründe sich erweitert hat (§ 264 Abs. 2) und somit besonderer Hinweis des Angeklagten auf das Novum im Interesse seiner Verteidigung usw. geboten ist. 6. Da der Prozefs gleich mit der Hauptverhandlung begonnen hat, so bestand nicht die Möglichkeit, dafs die Parteien einander zuvor entsprechend dem § 221 StPO zu vernehmende Zeugen und Sachverständige benannten. Aber es darf nicht zu Überraschungen in der Verhandlung kommen, die eine Schädigung der Klage oder Verteidigung ergeben könnten. Die entsprechenden Schutzmafsregeln des Normalverfahrens, § 245 StPO, sind analog anwendbar. Das Gericht hat, wenn ein Zeuge usw. zur Verhandlung sistiert, eine zu beweisende Tatsache vorgebracht wird und nun der Gegner Aussetzung der Verhandlung beantragt, weil er zunächst Erkundigungen einziehen müsse, über diesen Antrag nach freiem Ermessen zu entscheiden, § 245 Abs. 4. Durch „freiwilliges Erscheinen" hat nicht der Beschuldigte auf Aussetzungsantrag verzichtet, sich jeder Wendung, die das Beweisverfahren annehmen könnte, im voraus unterworfen. Er ist wie ein Geladener, nicht schlechter als ein solcher zu behandeln. An dem Antragsrechte des Vorgeführten kann vollends nicht gezweifelt werden. 7. Aussetzung der Hauptverhandlung aus diesem oder andern Grunde (weil das Bedürfnis einer — nicht alsbald zu bewirkenden — Zeugenvernehmung sich im Termin ergeben hat) ist innerhalb der Grenzen des § 228 StPO durchaus zulässig. Es ist nicht Voraussetzung des besonderen Verfahrens, dafs es in dem einen Termin zu Ende geführt werden könne. Das Gesetz, § 211, hat nicht in diesem Sinne bestimmt und aus gutem Grunde nicht. Der Abbruch des Verfahrens aus solchem Anlasse liegt nicht im Parteiinteresse und wäre, da nun Neuprozefs notwendig würde, eine Verschleppung der Justiz. Ein Zweifel könnte nur etwa für den Fall der Vorführung erhoben werden, weil bei Vertagung der Verhandlung der Beschuldigte nicht vorgeführt bleibt. Allein das „Vorgeführtsein" bedingt nur die anomale Prozefseinleitung, nicht die Fortführung der hiernach zulässig begonnenen Verhandlung 10 . Nur mufs im Falle der Aussetzung über die Verhaftung oder Freilassung des Vorgeführten alsbald beschlossen werden. Wird der Zeitraum des § 228 überschritten, ist also Fortsetzung der Verhandlung unzulässig geworden, so ist mit der bis10

A. A. R o s e n f e l d S. 391.

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herigen Verhandlung auch die besondere Prozefseinleitung ausgelöscht. Denn diese haftet an der Verhandlung, ist nicht eine Prozefstatsache aufserhalb derselben, kann sie nicht überdauern. 8. Der Klagvortrag darf nicht über den Inhalt eines Eröffnungsbeschlusses hinausgehen. Die Gelegenheit zum P l ä d i e r e n wird dem Amtsanwalt nach Abschlufs des Beweisverfahrens gegeben. Ergebnisse etwaiger Vorermittelungen des Amtsanwalts dürfen nicht mitgeteilt werden. Die wesentlichen Momente des Vortrags sind in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen, § 211 Satz 2. Entsprach die Klage, was stets wünschenswert, allen Erfordernissen eines Eröffnungsbeschlusses, so erstreckt sich auch die Protokollierung auf alle diese Angaben, während zum mindesten die Erhebung eines bestimmten Strafanspruchs (oben sub 5) und die entsprechende protokollarische Fixierung geboten ist. 9. Klagrücknahme ist ausgeschlossen, denn die Klage wurde erhoben in einer zum Zwecke ihrer Entgegennahme latent bereits eröffneten „Untersuchung", es gilt daher die Irrevokabilität der Klage gemäfs § 154 StPO. Weil die Verhandlung eingeleitet wurde in Erwartung des Klagvortrags, so liegt eben dieser Voraussetzung halber nur scheinbar eine Ausnahme vor von dem im § 151 StPO niedergelegten Grundprinzip, dafs die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung durch die Erhebung einer Klage bedingt sei. Der Klagvortrag begründet die Rechtshängigkeit der Strafsache. Auch entsteht mit ihm für das Gericht der Kompetenzvorzug gemäfs § 12 StPO: die Klage ist in eröffneter Untersuchung vorgetragen, das Amtsgericht, das latent eröffnet und die Klage entgegengenommen hat, also zuvorgekommen einem andern ebenfalls zuständigen Amtsgericht, von dem ein Eröffnungsdekret — ein formuliertes oder latentes — noch nicht erlassen worden ist. Die Möglichkeit, dafs durch Rücknahme der Klagzulassung, des latenten Dekrets die Eröffnung der Untersuchung noch wieder resolviert werden kann, schliefst nicht aus, unter Voraussetzung der Aufrechterhaltung des Dekrets den Kompetenzvorzug daran anzuschliefsen. Ein Grund der Rücknahme des latenten Dekrets — wie seiner Weigerung von vornherein — ist insbesondere, wenn sich in der Verhandlung ergibt, dafs ein anderes zuständiges Amtsgericht durch Eröffnung seinerseits den Kompetenzvorzug des § 12 schon erlangt hatte. Wird trotz der Prävention — in Unkenntnis dieses 45*

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Umstandes usw. — die \Terhandlung durchgeführt und Urteil erlassen, so ist dieses wegen Inkompetenz anfechtbar, weil das Gericht durch die frühere anderweite Eröffnung gemäfs § 12 unzuständig geworden ist. Den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit, § 1(5 StPO, kann ein freiwillig erschienener Beschuldigter nicht erheben, da er sich durch seine Verhandlungsbereitschaft dem Spruche des Gerichts unterworfen, auf die Bemängelung der Zuständigkeit desselben verzichtet hat. Doch gilt diese Präklusion nicht für Berufung auf den Kompetenzvorzug eines andern Gerichts; ist doch das Gericht schon von Amtswegen zur Berücksichtigung dieses Unzuständigkeitsgrundes verpflichtet ! Der vorgeführte Beschuldigte hat den Unzuständigkeitseinwand spätestens bei seiner Vernehmung auf die Klage geltend zu machen. Es ist nicht zu verlangen, dafs er schon auf das Verhandlungsbegehren des Amtsanwalts hin die Rüge vorbringe, da in diesem Zeitpunkte die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hat und es noch fraglich ist, ob es dazu kommen wird. Der Verhandlungsbeginn ist die Entgegennahme des Klagvortrags, sonach bietet sich erst nach diesem Akte dem Beschuldigten die Möglichkeit, i n der V e r h a n d l u n g den Einwand zu erheben. Die Präklusion, die im Normalverfahren mit der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses eintritt, ist daher in sinngemäfser Anwendung des § 16 mit dem Schlüsse der Vernehmung des Beschuldigten auf die Klage anzunehmen11. 10. Mit dem Erlafs des latenten Eröffnungsdekrets tritt die Beschränkung des § 18 StPO in Wirksamkeit: das Gericht darf seine Unzuständigkeit nur noch auf Einwand des Angeklagten aussprechen. Eine Ausnahme besteht, sofern ein anderes Gericht gemäfs § 12 StPO Kompetenzvorzug erlangt hatte : in diesem Falle ist von Amtswegen das Eröffnungsdekret zurückzunehmen (oben sub 9). Die Folge des § 18 erst mit dem Verhandlungsschlufs anzunehmen, weil es an dem hier vorausgesetzten Eröffnungsbeschlufs fehle 12 , heifst das Verbot des § 18 tatsächlich aufheben, das latente Eröffnungsdekret völlig ignorieren. 11

So auch L ö w e - H e l l w e g zu § 16 Bern. 7; S t e n g l e i n das. Bern. l a . A . A . J o h n , Komm. I S. 269: der Einwand sei nur bis zum Beginn der Vernehmung zulässig. 12 So L ö w e - H e l l w e g zu § 18 Bern. 2c. J o h n , ' K o m m . I S. 278, läfst zutreffend den Verhandlungsbeginn entscheiden.

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11. Weitere Eigentümlichkeiten des Verfahrens bestehen nicht. Die Abweichungen vom normalen Typus schliefsen sich lediglich an den Klagakt und die Eröffnung der Verhandlung an. I I . D e r d r i t t e F a l l des § 211. Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ohne schriftlich erhobene Klage und ohne formulierte Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens tritt ferner dann ein, wenn der Beschuldigte nur wegen Übertretung verfolgt wird 1 8 . 13 Österr. § 451 läfst in bezirksgerichtlichen Sachen einen allgemeinen schriftlich oder mündlich angebrachten Antrag auf gesetzliche Bestrafung genügen. Abgesonderte Verhandlung über die Versetzung in Anklagestand findet nicht statt. W i r d dem Richter zugleich der Beschuldigte vorgeführt und gesteht derselbe die ihm zur Last gelegte Tat oder erscheinen der Ankläger und der Beschuldigte zugleich vor dem Richter und sind alle Beweismittel für die Anklage und Verteidigung zur Hand, so kann der Richter mit Zustimmung des Beschuldigten sogleich die Verhandlung vornehmen und das Urteil fällen, § 451 Abs. 2. Dafs auch im Falle der Vorführung die Zustimmung des Beschuldigten zur sofortigen Verhandlung erfordert wird, ist ein Vorzug gegenüber dem deutschen Recht. Kann in Ermangelung der Voraussetzungen des § 451 die Verhandlung nicht sogleich nach Anbringung der Anklage stattfinden, so ist der Beschuldigte zur Hauptverhandlung durch einen schriftlichen Befehl vorzuladen, welcher die wesentlichen Tatsachen der ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung und die Aufforderung enthalten mufs, zur festgesetzten Stunde zu erscheinen und die zu seiner Verteidigung dienenden Beweismittel mitzubringen oder dem Richter so zeitlich anzuzeigen, dafs sie zur Hauptverhandlung noch herbeigeschafft werden können (unter Hinweis auf eventuell eintretendes KontumazialV erfahren), § 454. Die Besonderheiten der Verhandlung selbst, §§ 455f., müssen auf sich beruhen. Während im Normalverfahren die Mitteilung der Anklageschrift an den Beschuldigten prozefsbegründend w i r k t , falls nicht auf dessen Einspruch hin das Gericht die Einstellung des Verfahrens beschliefst, §§ 207f., liegt im bezirksgerichtlichen Verfahren die Prozefsbegründung immer beim Gericht. Sie geschieht, wie in den Fällen des § 211 RStPO durch latentes Dekret: durch Eintritt in die Hauptverhandlung, § 451 Abs. 2, durch Ladung des Beschuldigten, § 454. W i r d hingegen der Antrag des Anklägers für unzulässig befunden, so weist ihn das Gericht durch formuliertes Dekret ab, vgl. Kass. Hof v. 10. Mai 1875, Plen. Beschl. u. Entsch. Bd. I S. 314f.; M i t t e r b a c h e r zu § 451; U l l m a n n , österr. Strafproz. S. 688. Es berührt eigentümlich und ist bisher nicht genügend beachtet worden, dafs so im österr. Recht die Prozefsbegründung für bezirksgerichtliche und für andere Straffälle völlig verschieden konstruiert ist: hier als Partei-, dort s richterlicher A k t !

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1. Der Hauptverhandlung gemäfs § 211 sind hier vorangegangen: Begehren unmittelbarer Ladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung seitens des Amtsanwalts 14 unter Angabe des Der Antrag auf Bestrafung muis, das ist selbstverständlich, mindestens das Faktum individualisieren. Ob bereits in solcher Tatbeschreibung die gesetzlich verlangte Angabe der „wesentlichen Tatsachen" der inkriminierten Handlung zu finden ist, wird wesentlich davon abhängen, ob schon hierdurch dem Beschuldigten ausreichende Verteidigung gegen die Klage ermöglicht ist; vgl. auch Plen.-Entsch. des Kass.-Hofs v. 9. Dez. 1880, Bd. 4 S. 41 f. Der rechtlichen Qualifizierung bedarf es nicht, M a y e r zu § 451 Bern. 6. Die Erfordernisse einer Anklageschrift, § 207, gelten nicht. Über das summarische Strafverfahren nach englischem Recht vgl. A s c h r o t t , Strafensystem und Gefängniswesen in England S. 8 f. Die Absicht dabei ist, die Aburteilung geringfügigerer Strafsachen nicht abhängig zu machen von den Juryperioden. Die Zuständigkeit des Court of Summary Jurisdiction ist bei einer Anzahl von Delikten durch die Zustimmung des Angeklagten bedingt. 14 Zum Muster hat gedient — in freilich erheblicher Umbildung — die citation directe nach code d'instr. art. 145f., 182f. Vgl. dazu H é l i e , Prat, crim. I η. 259 f., 394 f.; T r é b u t i e n , Cours élément. I I η. 660 f., 697; G l a s e r , Unmittelb. Vorladung im franz. Strafproz., kl. Schrift. I S. 481 f. Sie besteht in der unmittelbaren Ladung des Beschuldigten (und der etwaigen zivilverantwortlichen Personen) zur Hauptverhandlung seitens der Staatsanwaltschaft oder der Zivilpartei oder — in bestimmten Fällen, délits forestiers usw. — der klagberechtigten Verwaltungsbehörde, zugestellt durch einen Gerichtsvollzieher. Der betreibende Teil bat also selbst zu laden, nicht nur wie nach § 211 StPO den Anspruch auf richterliche LadungsVerfügung. Demgemäfs wird der Prozefs nicht durch richterliches Dekret, sondern durch den Klagakt begründet. Die Ladung ist „introductive d'instance", befafst das Gericht mit der Sache, wirkt für dieses die „saisine". Der Modus ist zugelassen bei Übertretungen, art. 145 f., und in korrektioneilen Sachen, art. 182f. I n beiden Fällen können die Parteien auch durch freiwilliges Erscheinen vor dem Richter die Verhandlung erwirken. Ausgesprochen ist Letzteres nur für Übertretungen, in art. 147: „Les parties pourront comparaître volontairement et sur un simple avertissement, sans qu'il soit besoin de citation", gilt nach festem Gerichtsgebrauch aber auch bei Vergehen (vgl. z. B. Kass.-Hof v. 4. Okt. 1855, D a l l o z 55, 1, 454, v. 16. Juni 1881, D a l l o z 82, 1, 279, v. 1. Juni 1894, D a l l o z 94, 1, 574). Die Litispendenz knüpft sich hier an das Einleiten der Verhandlung mit den Erschienenen, nicht bereits an das Avertissement. Für Vergehen kommen noch weitere Prozefseinleitungsformen in Betracht. Code art. 182 nennt selbst die Fälle der art. 130 u. 160 — Verweisung durch den Untersuchungsrichter (bei Vergehen ist Voruntersuchung zulässig); Verweisung durch das Polizeigericht vor den Staatsanwalt, wenn sich in der Hauptverhandlung délit ergeben hat. Daneben besteht die besondere Prozedur (conduite à la barre) bei flagrant délit gemäfs dem Gesetze v. 20. Mai 1863. Die Ladung durch die Zivilpartei ergreift auch die öffentliche Klage,

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wesentlichen Klaginhalts und entsprechende Verfügung des Amtsrichters durch Anberaumung der Verhandlung und Veranlassung der Ladung des Beschuldigten. Ergibt die Prüfung des Ladungsantrags den Übertretungscharakter der abzuurteilenden Tat und steht nicht Prozefsvoraussetzungsmangel entgegen, so hat der Richter auf das Begehren einzugehen, der Entscheid steht nicht zu seinem Ermessen. vgl. Kass.-Hof v. 11. Juli 1873, D a l l o z 73, 1, 492, v. 11. Aug. 1881, D a l l o z 84, 5, 279. Die konkurrierende Form des freiwilligen Erscheinens ist wichtig für die Beurteilung von Ladungsmängeln (darüber unten Anm. 15). Auch die fehlerhafte Ladung hat die Bedeutung eines Avertissement. Ist der Beschuldigte erschienen und hat sich, ohne den Ladungsmangel zu rügen, auf die Verhandlung eingelassen, so ist er als freiwillig erschienen zu erachten, so dafs der Fehler nicht mehr in Betracht kommt, es müfste denn der Beschuldigte erst nachher davon erfahren haben. Er hat die Ungültigkeit der Ladung geltend zu machen avant tout débat, in limine litis. Analog art. 173 code de procéd. civ.: „Toute nullité d'exploit ou d'acte de procédure est couverte, si elle n'est proposée avant toute défense ou exception autre que les exceptions d'incompétence." In diesem Sinne zahlreiche Entscheidungen des Kass.-Hofs, S i r e y et M a l e p e y r e art. 183 η. 153, 156, 159, 160, 166, 168 usw. Auch eine als Zeuge, als zivilverantwortlich geladene Person kann auf Grund ihrer Einlassung („accepter les débats") zum Beschuldigten werden, vgl. S i r e y e t M a l e p e y r e art. 145 η. 15f. Während in älteren deutschen Gesetzen das untergerichtliche Strafverfahren zuweilen noch rein inquisitorisch gestaltet war — Österr. 1853 §§ 417f.; Sachs. 1855 Art. 358 f. (alternativ mit mündlicher Hauptverhandlung, Art. 364f.); Bad. 1851 §§ 25 f.; auch noch Sachs. 1868 Art. 358 f. u. Württ. 1868 Art. 401 f. gehören hierher — haben neuere Prozefsordnungen öfters die cit. directe in der Umgestaltung als Ladungsantrag an das Gericht eingeführt, Preufs. 1849 §§ 29f.; Braunschw. 1849 § 72; Thür. 1850 Art. 345; Kurh. 1863 §§ 120f.; Hann. 1859 §§ 206f.; Hess. Darmst. 1865 Art. 240, 412; Preufs. 1867 §§ 356f.; Sachs. 1868 Art. 253f.; Hamb. 1869 §§ 232f ; Brem. 1870 §§ 556f. Der Antrag und die ihm stattgebende Ladung mufsten die Straftat mindestens individualisieren und immer so genau erkennbar machen, dafs der Angeklagte seine Verteidigung vorbereiten konnte. Auch die Prozefseinleitung auf Grund freiwilligen Erscheinens der Parteien und der Modus der Vorführung des Beschuldigten fanden sich in den Prozefsgesetzen. Preufs. 1849 § 30 (Vorführung); Braunschw. 1849 § 71 (Vorführung); Kurh. 1863 § 120 Abs. 3 (ebenso); Preufs. 1867 § 357 (ebenso); Hamb. 1869 § 233 (ebenso); Brem. 1870 § 561 (Vorführung u. freiw. Erscheinen). Nur diese beiden letztern Prozeduren hatte der Entw. zur RStPO § 175 aufgenommen. Die Justizkomm, hat noch hinzugefügt das Verfahren durch unmittelbare Ladung in Übertretungssachen und ferner den Amtsrichter ermächtigt, bei Vorführung wegen Übertretung gegen den geständigen Beschuldigten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ohne Schöffen zu verhandeln (Aburteilung ohne Schöffen im Falle des Geständnisses oder sonst angenommener

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Auch bei Einreichung einer Anklageschrift k a n n sich der Richter, wenn nur Übertretung in Frage kommt, für den Modus des § 211 entscheiden, also statt Eröffnungsbeschlufs zu erlassen, ohne Prüfung des Verdachts die unmittelbare Ladung zur Hauptverhandlung beschliefsen. Das Plus, die Anklageschrift, vermag nicht unzulässig zu machen, was auf das Minus hin, auf den Ladungsantrag, am Platze ist. I n s o f e r n ist allerdings das Ermessen des Richters entscheidend. 2. Der Ladungsantrag, der schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers gestellt werden kann, sollte stets den inhaltlichen Erfordernissen einer Anklageschrift voll entsprechen, mufs zum mindesten einen individualisierten Strafanspruch aus Übertretung erkennen lassen 1 6 . Spruchreife auch nach Bad. 1864 § 305, Preufs. 1867 § 357, Brem. 1870 § 561). Vgl. Prot. 1. Les. S. 329f., 2. Les. S. 936f., 1124f. Das Nähere hierüber im § 75. 15 Für die französische cit. directe wird verlangt, dafs der Tatbestand in einer die Verteidigung des Beschuldigten ermöglichenden Weise angegeben sei. Mit dem Gegensatze von Individualisierung und Substantiierung operiert die Rechtsübung nicht, aber es ist k l a r , dafs nicht-individualisierte Klage keinesfalls genügen könnte. Für die Ladung seitens des Staatsanwalts gelten nicht Mehrerfordernisse als für die der Zivilpartei. Von der letzteren Ladung sagt art. 183: „la citation énoncera les faits et tiendra lieu de plainte." Die Ladung braucht nicht die Tat rechtlich zu qualifizieren, nicht das Strafgesetz zu nennen. Eine Ausnahme bilden die Prefsstrafsachen, indem art. 60 § 3 des Ges. v. 29. Juli 1881 die Angabe des verletzten Strafgesetzes verlangt, vgl. F a h r e g u e t t e s , Traité des infractions de la parole usw. I p. 511. Aus Begriff und Zweck der Ladung folgt, dafs Kläger und Beschuldigter, Gericht und Tag des Erscheinens angegeben sein müssen. Die Bezeichnung der Parteien mufs so deutlich sein, dafs der Beschuldigte an der Identität nicht zweifeln kann. Eine Terminsstunde braucht nicht genannt zu sein. Die Zustellungsvorschriften des code de proc. civ. art. 61 sind als solche nicht bindend, aber es müssen diejenigen Formalitäten beobachtet sein, welche verbürgen, dafs die Ladung wirklich an den Geladenen gelangt. Für die Ladung seitens der partie civile verlangt Art. 183 élection de domicile dans la ville ou siège le tribunal, eine Erklärung, infolge deren die Partei so behandelt wird, als habe sie ihr Domizil am Gerichtssitze. Fehlt es an dieser Erklärung, so ist nicht die Ladung ungültig, aber es tritt nun die Folge des art. 68 Abs. 2 gegen die Partei ein (es unterbleiben die Zustellungen, die sonst am dorn, élu für sie hätten stattfinden müssen). Die Einlassungsfristen sind in den art. 146 und 184 — verschieden für Polizei- und korrektioneile Sachen — bestimmt. Ihre Nichtwahrung macht nach art. 146 die Ladung, nach art. 184 nur das in Abwesenheit des Geladenen wider ihn gefällte Urteil ungültig. Der erschienene Beschuldigte hat in beiden Fällen den Verstofs an erster Stelle „avant toute exception ou défense" zu rügen; andernfalls tritt Heilung ein.

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Abweisung des Antrags wegen fehlender Prozefsvoraussetzung oder weil die Tat nicht Übertretung sei, geschieht wiederum durch formulierte beschwerdefähige Entscheidung. Die Beschwerde ist hier auch von praktischer Bedeutung. Das latente Eröffnungsdekret liegt in diesem Falle vor dem Hauptverhandlungsbeginn, denn es ist in Anberaumung der Verhandlung unter Ladung des Beschuldigten zu finden 16. Im Gegensatz zu dem Modus unter I wird also der Eröffnungswille des Richters allerdings bereits in einer Prozefstatsache aufserhalb der Hauptverhandlung manifestiert, aber nicht in ihr objektiviert, denn sie ist nicht zur E r k l ä r u n g des Richterwillens bestimmt, sondern dient seiner V e r w i r k l i c h u n g . Die Bekundung dieses Willens setzt sich fort in der Verhandlung selbst, in die der Richter mit den Schöffen eintritt. Keiner der konkludenten Prozefsakte mit Ausnahme des bestimmungsgemäfsen Verhandlungsschlusses, des Urteilserlasses, ist geeignet, ein Hindernis der Willensänderung zu ergeben. Das latente Dekret ist widerruflich: die nachträgliche Verwerfung des Ladungs- und Verhandlungsbegehrens geht vor der Hauptverhandlung vom Amtsrichter allein aus unter Aufhebung des Termins und Revokation der Ladung ; in der Hauptverhandlung sind an der Rücknahme des Dekrets die Schöffen beteiligt, wie bei jeder andern in derselben zu fällenden Entscheidung. Der Rücknahmebeschlufs ist beschwerdefähig, wie der Versagungsbeschlufs. Erlafs formulierten Eröffnungsbeschlusses auf blofsen Ladungsantrag hin wäre unzulässig, weil ein darauf gerichteter Antrag fehlt (und der Richter auch nicht die Unterlagen hat zur Feststellung hinreichenden Verdachts, § 201 StPO). Das gilt auch, wenn der Amtsrichter in der angegebenen Tat des Beschuldigten statt einer Übertretung ein Vergehen schöffengerichtlicher Zuständigkeit sieht. Stellt sich in der Verhandlung die Zuständigkeit der Strafkammer heraus, so darf nicht nach § 270 StPO an diese verwiesen werden, es ist vielmehr das latente Eröffnungsdekret zurückzunehmen 1 7 . Und für alle Mängel der Ladung, auch in Prefssachen, hat acceptation des débats seitens des Beschuldigten heilende Kraft. 16 L e w a i d , Zeitschr. f. Strafrechtswissensch. Bd. 10 S. 91 nimmt fälschlich an, der Staatsanwalt eröffne durch seinen Ladungsantrag das Verfahren. Unrichtig T r a u t , Ger.-Saal Bd. 57 S. 346 f. Vgl. auch unten § 75 IV.

§ 74. Besondere Formen der Prozefsbegründung.

3. Während in den beiden ersten Fällen des § 211 nur mündlich geklagt wird, kann in dem — schriftlich gestellten oder protokollierten — Ladungsantrag ein schriftlicher Klagakt gefunden werden. Im Sinne des Gesetzes aber liegt, wie der Wortlaut des § 211 klar ergibt, eine „schriftliche Klage" nicht vor; darunter ist eben nur gedacht eine förmliche Anklageschrift mit Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens. Der „wesentliche Inhalt der Anklage", d. i. die im Ladungsantrage enthaltene, den Anforderungen an eine Anklageschrift entsprechende oder doch mindestens einen bestimmten, individualisierten Strafanspruch ergebende Tatangabe ist in die Ladung des Beschuldigten aufzunehmen, § 211 Abs. 1 a. E. 4. Die im Ladungsantrag erhobene Klage kann nach der Ladung nicht mehr zurückgenommen werden. Denn mit dieser ist die Untersuchung durch latentes Dekret bereits eröffnet 18 . Es wäre auch nicht angemessen, eine Verpflichtung dés Beschuldigten zum Erscheinen im Termin zu schaffen, während dem Kläger noch der Rücktritt von der Klage freistände. An den Erlafs des latenten Dekrets, also an die Ausführung der Ladung, schliefst sich der Kompetenzvorzug des § 12 an. Die Widerruflichkeit des Dekrets steht dieser Annahme nicht entgegen. Das Dekret wäre insbesondere dann zurückzunehmen, wenn sich in der Hauptverhandlung — vor dem Verdikt — noch Prävention in der Eröffnung seitens eines andern Gerichts ergeben sollte. Die Präklusion der Unzuständigkeits-Einrede des Beschuldigten, § 16 StPO, tritt mit Verlesung der Ladung (siehe unter 5) im Termin ein 1 9 . Eine Unzuständigkeits-Erklärung kann nach Erlafs des latenten Dekrets, also nach der Ladung, nur noch auf Einwand des Angeklagten erfolgen, § 18 StPO. 5. Das Bedürfnis der Fixierung des Verhandlungsthemas beim Verhandlungsbeginn führt zur Verlesung der Ladung, in der ja der wesentliche Klaginhalt enthalten ist. Parallel geht die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses im normalen Prozefsgange. Eine Ergänzung dieser Klagkonstatierung durch den Kläger ist nur insofern zulässig — und zugleich dringend wünschenswert —, 18 B e n n e c k e - B e l i n g S. 488 nehmen fälschlich auch im dritten Falle des § 211 Eröffnung der Untersuchung erst mit dem Eintritt in die Verhandlung an 19 L ö w e - H e l l w e g zu § 16 Bern. 7; S t e n g l e i n das. Bern, l a lassen den Einwand bis zum Schlüsse der Vernehmung des Beschuldigten zu.

§ 74. Besondere Formen der Prozefsbegründung.

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als der Ladungsantrag hinter den Erfordernissen einer Anklageschrift zurückgeblieben ist, also wenn in ihm die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale oder das anzuwendende Strafgesetz nicht angeführt worden sind. 6. In der Verhandlung kommen die Vorschriften des § 264 StPO in der nämlichen Weise zur Anwendung, wie es sub I, 5 dargelegt worden ist. 7. Es gilt die einwöchige Ladungsfrist des § 216 Abs. 1 StPO und bei deren Nichteinhaltung das Recht des Angeklagten, Aussetzung der Verhandlung zu verlangen, so lange mit der Verlesung der Ladung nicht begonnen ist, § 216 Abs. 2 in analoger Anwendung. Diese Vorschriften auszuschliefsen, weil der Amtsanwalt statt Einreichung einer Anklageschrift den Ladungsantrag gestellt hat, ist nicht der geringste Grund ersichtlich 20 . Sollten sie etwa auch dann wegfallen, wenn auf Anklageschrift hin das Gericht die unmittelbare Ladung verfügt hätte ? Dann hinge es vom Gericht ab, ganz nach seinem Ermessen dem Beschuldigten die Ladungsfrist zu gewähren oder zu versagen. Entspricht nun eine solche Wahlbefugnis des G e r i c h t s gewifs nicht dem Sinne des Gesetzes, so wäre doch noch viel irrationeller, die Bewilligung der Ladungsfrist in die Hand des K l ä g e r s zu legen, ihn also entscheiden zu lassen, ob er durch Einreichung einer Anklageschrift dem Beschuldigten das Recht auf die Frist wahren oder es ihm durch das Begehren unmittelbarer Ladung entziehen wolle 21 . Damit disponierte der Kläger über das dem Beschuldigten zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu belassende Zeitmafs. Die „Geringfügigkeit" der Anschuldigung darf nicht eingewendet werden, auch die Verurteilung wegen Übertretung kann eine erhebliche Belastung des Angeklagten ergeben. Dafs bei freiwilligem Erscheinen und bei Vorführung des Beschuldigten sofortige Hauptverhandlung zugelassen ist, gründet in diesen besondern Anlässen und vermag nicht die Ladungsfrist in dem ganz anders gelagerten weitern Falle des § 211 zu beseitigen22. 20

A. A. J o h n , Komm. I I S. 803, 806; L ö w e - H e l l w e g zu § 216 Bern. 1. Auch auf § 265 StPO kann Bezug genommen werden: es wird hier Zustimmung des Angeklagten zur sofortigen Verhandlung über die weitere Beschuldigung auch dann gefordert, wenn eine Übertretung in Frage kommt. Wie wäre das denkbar ohne Bestehen einer Ladungsfrist? 22 Im österr. Rechte, § 455 StPO, ist die Ladungsfrist erheblich gekürzt gegenüber dem Normalverfahren (§ 221): auf 24 Stunden usw. Ähnlich code art. 146. Dabei kann die Verteidigung leicht zu kurz kommen. Die Rücksicht auf schleunige Aburteilung darf nicht übertrieben werden. 21

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§ 75. Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts.

8. Beide Teile haben einander rechtzeitig vor der Hauptverhandlung solche von ihnen herangezogene Zeugen und Sachverständige namhaft zu machen, auf welche die Voraussetzungen des § 221 StPO zutreffen (unmittelbare Ladung durch den Angeklagten; Ladung weiterer Beweispersonen. durch die Staatsanwaltschaft, als in der Ladung des Beschuldigten angegeben sind). Entsprechend kann im Termin beiderseits Vertagung beantragt werden wegen versäumter oder verspäteter Namhaftmachung eines solchen Zeugen usw. seitens des Gegners, § 245 StPO; auch der weitere Inhalt dieser Bestimmung ist anwendbar. 9. Die Prozefsbegründung knüpft an eine Tatsache vor der Hauptverhandlung, an die Ladung des Beschuldigten, an und wird daher nicht hinfällig mit einer die Erneuerung der Hauptverhandlung bedingenden Aussetzung (über die Frist des § 228 hinaus). 10. Das Verfahren folgt, abgesehen von der besonderen Prozefseinleitung und den damit gegebenen Konsequenzen, durchaus der Norm. § 75. Z u s t ä n d i g k e i t des A m t s r i c h t e r s Schöffengerichts.

an S t e l l e des

Indem der Gesetzgeber im § 211 die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schöffengericht vereinfacht hat, ist zugleich das Bedürfnis von ihm gefühlt und befriedigt worden, unter bestimmten Voraussetzungen den Amtsrichter allein entscheiden zu lassen. Mit der abweichenden Verfahrenseinleitung verbindet sich insofern eine abweichende Gerichtskonstituierung, die Anerkennung einer besondern amtsgerichtlichen Zuständigkeit, die Schaffung eines nur mit dem Amtsrichter besetzten Gerichts erster Instanz neben dem Schöffengericht 1. Die Vorführung des vorläufig festgenommenen Beschuldigten vor den Amtsrichter bezweckt immer — nach ihrer nächsten Bestimmung, § 128 StPO — richterlichen Entscheid über Freilassung oder Verhaftung. Ist das Schöffengericht zuständig und wird der Beschuldigte bei Gelegenheit schöffengerichtlicher Sitzung vorgeführt, so läfst sich, wenn von dem Mangel schriftlicher An1

Mit vollem Rechte nennt B i n d i n g , Grundrifs § 26, unter den ordentlichen Strafgerichten erster Instanz auch den Amtsrichter als Einzelrichter. Dagegen bestreiten L ö w e - H e l l w e g zu § 1 StPO Bern. 2 a , zu § 211 Bern. 11; S t e n g l e i n zu § 2 1 1 Bern. 4 dem Amtsrichter den Charakter eines eigenen Gerichts.

§ 75. Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts.

klage und förmlichen Eröifnungsbeschlusses abgesehen wird, zugleich die Aburteilung erreichen (es müfste denn im Laufe der Verhandlung eine deren Erneuerung bedingende Aussetzung erforderlich werden). Dem Amtsrichter ist vorgeführt, nicht „dem Schöffengericht", aber dem Amtsrichter, der sich mit den Schöffen zum Spruchgericht vereinigt hat: der Amtsrichter, der mit der Vorführung als solcher allein befafst ist, eröffnet auf Begehren des vorführenden Amtsanwalts durch latentes Dekret die Hauptverhandlung vor dem versammelten Schöffengericht. Vorführung vor den Amtsrichter aufserhalb schöffengerichtlicher Sitzung könnte zur alsbaldigen Aburteilung durch das Schöffengericht nur führen, wenn der Amtsrichter das Bedürfnis einer aufserordentlichen Schöffengerichtssitzung annehmen und wegen der vorhandenen Dringlichkeit Gerichtshilfsschöffen dazu heranziehen würde (§ 48 GVG). Eine solche Mafsnahme wäre aber nur sehr ausnahmsweise veranlafst, ganz gewifs nicht in jedem Falle der Vorführung durch den Amtsanwalt. Es mufste daher, soweit der Gesetzgeber sofortige Aburteilung wünschte, zur sicheren Erreichung dieses Zieles der Amtsrichter zur Verhandlung und Entscheidung ohne Schöffen ermächtigt werden. In diesem Sinne hat § 211 Abs. 2 bestimmt. Für den Fall freiwilliger Stellung des Beschuldigten hätte füglich in gleichem Sinne verfügt werden sollen! 2 I. Das Gesetz hat hier dem Amtsrichter als Einzelrichter ein Stück schöffengerichtlicher Zuständigkeit übertragen. Aber es ist konkurrierend das Schöffengericht zuständig geblieben. Durch Zuziehung von Schöffen gemäfs § 48 GVG würde nicht ein unzuständiges Gericht mit der Strafsache befafst, den Parteien nicht ein Grund der Urteilsanfechtung geliefert 3 . Der Amtsrichter ist an das für das Schöffengericht geltende Verfahren gebunden. Gegen die im Laufe der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidungen und Urteile des Richters finden dieselben Rechtsmittel statt, wie gegen die Entscheidungen und Urteile des Schöffengerichts, § 211 Abs. 2 Schlufssatz. II. Die Vollmacht für den Amtsrichter ist an das Zusammentreffen von vier Voraussetzungen geknüpft: Vorführung des Beschuldigten infolge vorläufiger Festnahme, Verfolgung nur wegen 2

B i n d i n g , Grundrifs § 110. So Brem. 1870 § 561 und der nicht angenommene Vorschlag des Redaktionsausschusses der R.-Just.-Komm., Prot. S. 1124 f. 3 Ebenso B i n d i n g , Grundrifs a. a. 0.

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§

Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts.

Übertretung, Geständnis des Beschuldigten, Zustimmung der Staatsanwaltschaft 4. Der Amtsrichter läfst daraufhin die Klage zur alsbaldigen Verhandlung ohne Schöffen zu. Der zulassende und der verhandelnde Richter sind identisch. Mit dieser Abweichung entspricht die Zulassung, das latente Eröffnungsdekret, ganz der früher gegebenen Charakterisierung. „Verfolgung nur wegen Übertretung" ist genauer bestimmt die A n k ü n d i g u n g des Amtsanwalts, dafs er nur wegen Übertretung anklagen werde; diese Vorbedingung erhellt aus der im Verhandlungsbegehren des Amtsanwalts gegebenen Tatcharakterisierung. „Geständnis des Beschuldigten" bedeutet präziser die Zusage des Beschuldigten, dafs er in der Verhandlung die Tat eingestehen werde. I I I . Der Amtsrichter d a r f ohne Schöffen verhandeln, er b r a u c h t es nicht. Wurde zur Schöffengerichtssitzung vorgeführt, so kann, aber mufs nicht der Richter für die Verhandlung dieser Sache die Schöffen entlassen. Im Falle anderweiter Vorführung steht es beim Amtsrichter, die zu erhebende Klage zur alsbaldigen Verhandlung ohne Schöffen oder vor dem gemäfs § 48 GVG zu konstituierenden Schöffengerichte zuzulassen oder das Begehren durch formuliertes Dekret unter Entscheidung über Freilassung oder Verhaftung des Beschuldigten abzuweisen, womit der Amtsanwalt gewiesen ist auf den Weg entweder der förmlichen Anklageschrift oder des Begehrens unmittelbarer Ladung (§ 211 Abs. 1). Verhandlung und Entscheidung ohne Schöffen trotz Fehlens der gesetzlichen Vorbedingungen ergibt Urteilsnichtigkeit wegen Unzuständigkeit, nicht wegen gesetzwidriger Bildung des Gerichts, denn das Gericht, das wirklich entschieden hat, war gesetzmäfsig konstituiert 5 . Auf Berufung hin ist das Urteil des Amtsrichters aufzuheben und die Sache an das zuständige, an das Schöffengericht zu verweisen (§ 369 Abs. 3 StPO) 6 . 4

Nicht auch des Beschuldigten, wie R e i c h en s p e r g e r beantragt hatte, Prot. 2. Lesung S. 939, 940. 6 Es zeigt sich hier die praktische Bedeutung der zutreffenden Grundauffassung, die in dem ohne Schöffen entscheidenden Amtsrichter ein Gericht erster Instanz neben dem Schöffengericht sieht. 6 Dagegen wäre nach § 369 Abs. 2 zu verfahren (vom Berufungsgericht also fakultativ zurückzuverweisen oder selbst zu entscheiden), wenn im Amtsrichter ein eigenes Gericht erster Instanz nicht erblickt würde. So in der Tat L ö w e - H e l l w e g zu § 211 Bern. 11; S t e n g l e i n das. Bern. 4.

§ 75. Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts.

IV. Die Konstituierung des Gerichts ohne Schöffen geschieht unter Voraussetzung eines bestimmten Verhandlungsergebnisses. Nimmt die Tat den Charakter eines Vergehens an oder leugnet der Angeklagte, so ist an sich das Zulassungsdekret durch formulierten Beschlufs zurückzunehmen. Denn die Zulassung geschah vor den Amtsrichter und insofern hat sie sich als unzulässig erwiesen. Aber der Richter könnte, sofern nicht nunmehr die Strafkammer zuständig erscheint, durch alsbaldige Heranziehung von Schöffen die Vorbedingung schaffen zu gültiger Verhandlung; in diesem Falle substituierte er ein anderweites latentes Eröffnungsdekret und es erübrigte sich die ausdrückliche Rücknahme des frühern. Verweisung an die Strafkammer, weil die Tat nach der Verhandlungsgestaltung zu deren Zuständigkeit gehört, § 270 StPO, darf nicht erfolgen, ebenso nicht Verweisung an das Schöffengericht, wenn ein Vergehen schöffengerichtlicher Zuständigkeit hervorgetreten ist. Denn das widerrufliche latente Eröffnungsdekret ist unter einer jetzt widerlegten Voraussetzung ergangen und mufs daher widerrufen werden. Das kann geschehen durch anderweites latentes Dekret nur bei Zuständigkeit des Schöffengerichts, indem der Amtsrichter alsbald die Schöffen sistiert. V e r w e i s u n g an das Schöffengericht wäre Eröffnung ohne schriftliche Klage, obwohl die Voraussetzung für solche Prozefseinleituug mit der Vorführung nun wegfallen würde. Dafs nicht die Sache ohne vorgängigen förmlichen Klagakt und formulierten Eröffnungsbeschlufs und die damit gegebene Garantie genauerer Vorprüfung durch Verweisung seitens des Amtsrichters an die S t r a f k a m m e r oder gar an das S c h w u r g e r i c h t gelangen kann, ist auch materiell durchaus begründet. Kann der Amtsrichter nicht auf Anklageschrift hin das Hauptverfahren vor der Strafkammer eröffnen (§ 207 Abs. 2), wie sollte er ohne solche im Wege des § 270 dazu imstande sein? 7 Das „Geständnis" des Angeklagten ist im technischen Sinne verstanden 8. Es bezieht sich auf das tatsächliche Anspruchsfundament, ist Einräumung der Anklagetatsachen ohne die Behauptung von Schuldausschliefsungsgründen. Keineswegs wird Unterwerfung unter den erhobenen Strafanspruch, das Einverständ7 Auf das formale Moment, dafs in § 270 Abs. 4 nur von einem Verweisungsbeschlüsse des „Schöffengerichts" die Rede ist, soll kein Gewicht gelegt werden. 8 Geständnis im § 211 bedeutet die „Einräumung der Täterschaft", so treffend B i r k m e y e r S. 457.

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nis mit dem Kläger auch in der Subsumtions- unci der Straffrage erfordert. Eine solche Erklärung wäre für das Gericht ganz unmafsgeblich. Auch das Geständnis ist nur als Zuständigkeitsvoraussetzung, nicht für die Beweisbeurteilung bindend, fernere Beweiserhebung trotz desselben nicht ausgeschlossen9. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist nicht widerruflich. V. Aussetzung innerhalb der Frist des § 228 ist durchaus möglich 10 . Aber es mufs natürlich auch in der weitern Verhandlung der Angeklagte geständig bleiben. VI. Zusätzlich sei kurz hingewiesen auf das von der Reformkommission in Aussicht genommene abgekürzte Verfahren vor dem Amtsrichter ohne Schöffen 11. Ein solches soll eingeleitet werden können bei allen Übertretungen ohne weitere Voraussetzungen, bei Vergehen, wenn der Beschuldigte auf frischer Tat betroffen und vorläufig festgenommen worden ist, wenn er sich zum Zwecke der Aburteilung freiwillig gestellt hat, wenn er die ihm zur Last gelegte Tat eingesteht, wenn er die Einleitung des abgekürzten Verfahrens beantragt usw. Die Schöffen scheiden im abgekürzten Verfahren stets aus. Das Verfahren soll von der Staatsanwaltschaft in der Weise eingeleitet werden, dafs sie den 9 Gegenteilig Υ ο i t us, Kontroversen I S. 108, 109. Richtig G n e i s t in der R.-Just.-Komm., Prot. 2. Lesung S. 937; G l a s e r I S. 606 Anm. 6. 10 A. A. S t e n g l e i n zu § 211 Bern. 6; R o s e n f e l d S. 391. 11 Vgl. über diese und ähnliche frühere Vorschläge O l s h a u s e n , Beiträge zur Reform des Strafproz., 1885, S. 39; L e w a l d , Zeitschr. f. Strafrechtswissensch. Bd. 10 S. 84 f.; A u e r b a c h , Zur Reform unseres Strafverfahrens 1894 S. 25 f.; M a m r o t h , Die Gefahren der neuen Novelle zu GVG u. StPO 1894 S. 9 f.; G o l d e n r i n g , Bemerkungen zu Entw. eines Ges. betr. Änderung u. Ergänz, von GVG u. StPO 1894 S. 15 f.; B i n d i n g , Der Entwurf eines Ges. betr. Ergänzung u. Änderung von GVG u. StPO, 1895, S. 14 f.; A s c h r o t t , Reform des Strafverfahrens, 1895, S. 28 f.; S t e n g l e i n , Ger.-Saal Bd. 62 S. 277 f.; H a u f s n e r , Das Recht Bd. 8 S. 157 f.; v. B o m h a r d das. Bd. 10 S. 93; H a m m , Jur. Zeit. Bd. 10 S. 708; D e l i u s , Jur. Lit.-Blatt Bd. 17 S. 157; W a c h e n f e l d in Aschrott, Reform des Strafproz. S. 42 f.; H e i n e m a n n , Rechtl. Stellung des Angeklagten, Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 26 S. 536 f. ; A s c h r o t t , Reform, Generalreferat S. 114 f.; L e v i s das. S. 546 f.; H e i ne m a η η das S. 362 f. Vgl. auch v. B a r , Reform des italien. Strafproz., Goltd. Arch. lid. 48 S. 45 f. Für Erweiterung des schöffenlosen amtsrichterlichen Verfahrens an sich — abgesehen von besonderer Gestaltung der Prozedur — W a c h , Jur. Zeit. Bd. 10 S. 322 f.; v. K u j a w a das. S. 287 f.; L i n d e n b e r g das. S. 618f.; dagegen S t e n g l e i n , Ger.-Saal Bd. 62 S. 334 f.; W a c h e n f e l d in Aschrott a. a. O. S. 40.

§ 75. Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts.

Beschuldigten ohne Einreichung einer Anklageschrift mit dem Antrag auf sofortige Aburteilung dem zuständigen Amtsrichter vorführt. Vgl. Beschlufs 161, Prot. 1. Les. S. 204f., 379f., 2. Les. 9 f., 19 f., 243 f. Die Einzelheiten des projektierten Verfahrens 12 entziehen sich in diesem Zusammenhang der Erörterung, die notwendig den Charakter kritischer Würdigung annehmen müfste 13 . Nur zwei Bemerkungen : 1. Bei Vorführung infolge vorläufiger Festnahme nach Betretung auf frischer Tat müfste Zustimmung des Beschuldigten zum abgekürzten Verfahren m. E. m i n d e s t e n s dann erfordert werden, wenn das inkriminierte Vergehen 'an sich nicht zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehört 14 . Das geltende Recht, § 211 Abs. 1, läfst die besondere Prozefseinleitung gegenüber Vorgeführten nur unter der Voraussetzung schöffengerichtlicher Zuständigkeit zu. Über diese Schranke ohne die Zustimmung des Beschuldigten hinauszugehen, ihn also auch bei Delikten, die sehr erhebliche Strafen nach sich ziehen können, der sofortigen Aburteilung wider seinen Willen zu unterwerfen, erscheint allzu bedenklich. 2. Neben der Vorführung müfsten weitere Formen der staatsanwaltschaftlichen Initiative anerkannt werden, womit dann auch Modifikationen des in Aussicht genommenen Verfahrens verbunden wären. Es geht doch nicht an, in jedem Falle, auch bei Bezichtigung nur wegen Polizeidelikts, den Beschuldigten vorführen zu lassen. Auch das Verhältnis zwischen freiwilliger Stellung und 12 Es hat dabei mehrfach das franz. Ges. v. 20. Mai 1863 (sur l'instruction des flagrants délits devant les tribunaux correctionels) zum Muster gedient. Vgl. auch die Entwürfe (zur Änderung und Ergänzung von GVG u. StPO) von 1894 u. 1895 §§ 211, 211 a u. b. 18 Die Beschlüsse der Kommission sind in wichtigen Punkten nur gegen starke Minoritäten gefafst worden und in der Tat im Interesse der Verteidigung des doch möglicher Weise nicht schuldigen oder minder schuldigen Angeklagten mehrfach zu beanstanden. 14 Die Minderheit der Komm, hatte in erster Lesung für alle Vergehen die Zustimmung des Beschuldigten verlangt, Prot. 1. Les. S. 209, vgl. weiter das. S. 211. In zweiter Lesung wurde jedoch einhellig von diesem Erfordernis abstrahiert, Prot. I I S. 244. B i n d i n g , der Entw. eines Ges. betr. Ergänz, u. Änd. v. GVG u. StPO 1895 S. 15, will beschleunigtes Verfahren bei handhafter Tat nur unter den drei Voraussetzungen zulassen, dafs der Angeklagte geständig und mit dem Verfahren einverstanden ist und dafs keine erhebliche Strafe zu erwarten steht.

B i n d i n g , Handbuch IX. 4. I I I :

G l a s e r - O e t k e r . Strafprozefs I I I .

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§ 75. Zuständigkeit des Amtsrichters an Stelle des Schöffengerichts.

Vorführung und das Geständnis als Voraussetzung des abgekürzten Verfahrens und damit der Vorführung (in letzterer Hinsicht kann nur gemeint sein ein Geständnis gegenüber der Staatsanwaltschaft oder der Polizeibehörde; wenn nun der Vorgeführte vor dem Richter leugnet, so wird damit das abgekürzte Verfahren unzulässig, während doch die Vorführung, die als Konsequenz der Zulässigkeit des Sonderverfahrens bezeichnet ist, am Platze war) bedürften noch der Präzisierung.

Register. (Die Zahlen bedeuten die Seiter.

A bedeutet Anmerkung.)

I. Alphabetisches Inhaltsverzeichnis. A b g e o r d n e t e r : Privileg nach § 11 StGB 13. Ablehnung: der Geschworenenfunktion 60, 65, 67; — von Geschw. d. d. Parteien 58, 68 f. ; — des Amtsrichters 683; — der Schöffenfunktion 674, 675; — von Schöffen d. d. Parteien 660. A b l e h n u n g s g r u n d : auf Seite eines Geschworenen 44, 48, 49, 50, 57, 64, 89; - eines Schöffen 674. A b l e h n u n g s r e c h t : der Parteien bei Bildung der Geschworenenbank 68 ff. A b o l i t i o n : 17. A b s t i m m u n g : bei Rücktritt v. Versuch 18; — tätiger Reue 18, 19, 20; — bei zusammenges. Delikt 121; — qualif. Delikt 122f.; — über reinen Privilegierungsgrund 126; — bei Mittäterschaft 127 f.; — Realkonkurrenz 133; — Idealkonkurrenz 135; über Strafausschl.-gründe 195; — bei Taubstummheit d. Angekl. 202 f.; — Jugend d. Angekl. 205f.; — vgl. ferner: 66, 174f., 387f., 398, 533, 634; — Schöffengericht 665 ; — s. auch „Stimmenverhältnis" und „Zweidrittelmehrheit". Akkusationsprinzip: u. § 265 StPO 643. A k t e n : Hinausgabe an die Geschworenen 376. A l t e r n a t i v f r a g e : ihre Gestaltung 275 f ; — Antrag auf alternative Fassung der Frage 293; — A. auf verschiedene Formen der Täterschaft und Teilnahme 298 f.; — auf Versuch und Vollendung 300, 301; — auf Vorsatz und Fahrlässigkeit 301 ; — auf Begehungsweisen von verschiedener Strafwürdigkeit 302, 303;

A l t e r n a t i v f r a g e (Fortsetzung): — auf konkrete Tatumstände 305; — A. als qualifizierte Nebenfrage 296 f.; — als qualifizierte Hilfsfrage 292f.; — als Strafnebenfrage 303, 304; — verdeckte Alternativfrage 307 f. ; scheinbare verdeckte A. 310, 311. A l t e r n a t i v g e s e t z : u. Mischgesetz 279, 280; — Fragestellung 298 A 53. A l t e r n a t i v t a t b e s t a n d : u.Mischtatbestand 279, 280 ; — Formulierung im Eröffnungsbeschlufs bezw. bei d. Fragestellung 296 f.; Plus-MinusAlternativen 302, 306. A m t s r i c h t e r : als Vorsitzender des Schöffengerichts 663; — Verhinderung an der Unterzeichnung des Urteils 662 A 30; — Zuständigkeit .. an Stelle des Schöffeng. 716 f. Ä n d e r u n g : d. Strafgesetzes zwischen Begehung und Aburteilung (Fragestellung) 155, 231; — der Fragen 330,404f., 407, 573; des Wahrspruchs 393. A n g e h ö r i g e r : 15, 624. A n g e k l a g t e r : Stellung neben dem Verteidiger 70, 572; — Zustellung der Spruchliste 53, 54, 55, 91; — Substituierung eines Ergänzungsgeschworenen 77; — Bildung der Geschworenenbank 53, 56, 70, 79; — Beeidigung der Geschw.-bank 81; — Berichtigung des Eröffnungsbeschlusses 264 A 29 ; — Befragung durch die Geschw. 107; — Hauptfragen bei Mehrzahl von Angekl. 38; — Rechtsbelehrung 591; — Spruchablehnung 450; - Berichtigungsverfahren 504, 508. Anklageschrift: in schöffenger. Sachen 682. 46*

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Register.

A n s t i f t u n g : Hauptfrage 118, 130f., 227, 255; — Hilfsfrage 172; — Reihenfolge der Fragen 322; — A. durch Mehrere 129. A n t r a g : auf Ausscheidung eines Geschw 56; — auf Aussetzung der Hauptverh. 55, 264 A 29; — auf Beweiserhebung (Begriff) 684 A 2; — auf Mitteilung einer Fragenabschrift 331 ; — A. bez. der Fragestellung 113, 265, 332, 333, 334, 504; — bez. d. Hauptfrage insbes. 339, 340, 343; — bez. Hilfsfragen 179, 339, 341, 342; — bez. Nebenfragen 34, 122, 190, 191, 339, 341, 342; — Einsichtsnebenfrage 204, 207; — mildernde U. 215,216, 341; — A. d. Staatsanw. nach § 265 StPO 640; — A . während d. Plaidoyers 571; — Α. auf Spruchberichtigung 444, 506, 507; — auf Spruchaufhebung 550. A n t r a g s d e l i k t : Einstell, mangels Antrages 610, 628; Hilfsfrage auf — 350. A n t w o r t : Niederschrift 464 f. ; — Fassung 467 (vgl. „Wahrspruch"). A n w e s e n h e i t : siehe „Präsenzerfordernis". A s z e n d e n t : 15. A u f h e b u n g : des Spruchs 100, 530 f. A u f r u f : der Sache 104. Augenschein: Hinausgabe von Augenscheinsobjekten an die Geschworenen 378. A u s f e r t i g u n g : des Urteils 636 A 25. A u s l a n d : Strafvollzug und Straferlafs im A. 17, 625; — Verjährung nach ausl. Recht 18; Auslandsdelikt 158 f., 231, 255, 625; — s. auch „England", „Frankreich", „Osterreich". A u s l o s u n g : Vorbereitung der A. 53 f., — A. d. Geschw. 43, 46, 57 f., 66 f., 90; — Nachtragsausl. 67; — Erneuerung 72; — der Schöffen 671 ; — s. auch „Zulosung". A u s s c h l i e f s u n g s g r u n d : 44, 47, 50, 52, 55, 56, 60, 81, 89; — 660, 668, 674. A u s s c h u f s : 44, 668 f. A u s s e t z u n g : d. Hauptverh. 55, 85 f., 109, 112, 245, 264 A 29, 630, 631, 683, 706. A u s s t r e i c h u n g e n : bpi der Niederschrift des Wahrspruches 465. A u t o - V e r d i k t : 614. B e e i d i g u n g : 57, 79, 81, 83f. B e g n a d i g u n g : 17. B e g n a d i g u n g s g e s u c h : 637.

B e i h i l f e : Hauptfrage auf B« 118, 130 f., 227, 255: — Hilfsfrage 129,172. B e l e i d i g u n g : 16, 197. B e r a t u n g : 106, 115, 372, 387f., 634. B e r i c h t : über Par laments Verhandlungen 16. B e r i c h t e r s t a t t e r : der Beschlufskammer von der Geschworenenfunktion ausgeschlossen 56. Berichtigung: der Jahreshauptliste d. Geschw. 47, 51; — der Spruchliste 56; — der Hilfsliste 63; — des Wahrspruchs 100, 335 A 26, 435, 438; — Zeitpunkt d. B. d. Wahrspruchs 425; — Voraussetzungen d. B. 461 f., — obligatorische u. fakultative B. 467; — Berichtigungsbeschlufs 501 f. ; — Zurücknahme des Berichtigungsbeschlusses 509; — Aufhebung des berichtigten und Wiederherstellung des ursprüngl. Spruchs in d. Revisionsinstanz 519 f. : — B. wegen Sachmängel a) Undeutlichkeit 472f.; — b) Unvollständigkeit 474 f., 476 f. ; — c) inhaltl. Widerspruch 480 f., 497f.; — d) Unvollständigkeit betreffs konkreter Fragebestandteile 495 ; — e) Widerspruch zw. Frage u. Antwort 495f.; — f) Mifsverständnis der Geschw. über konkrete Fragebestandteile 497; — g) weitere Fälle 498 f.; — B. wegen Mängeln in der Form : a) Obmannsunterschrift 463 f.; — b) Niederschrift der Antwort 465; — c) Korrekturen 465 f.; — dj Wortlaut d. Antwort 467; — e) Angabe des Stimmenverhältn. 468; — Ausscheidungen d. d. Gericht 469 f. B e r u f u n g : 662 A 30, 683, 718. B e s c h w e r d e : 48, 56, 550. B e t t l e r : Überweisung an d. Landespolizeibehôrçle 12. B e w e i s a n t r a g : Begriff 685 A 2, 693, 694; — Entscheidung über B. 104; — Inkompetenz der Geschw. 105; — B. nach Geschw.-Beratung 115; — im Plaidoyer 571; — nach Verdiktskundgabe 630 ; — in schöffengerichtlichen Sachen 683. B e w e i s e r h e b u n g : Einschränkung d. B. 116; — Trennung d. B. zur Schuld- u. Straffrage 99; — B. nach Gesellw.-Beratung 115; — nach Verdiktskundgabe 629; — im Berichtigungsverfahren 507: — vor Verdiktsauf hebung 550 ; — in schöffeng. Sachen 684 f.; — B. üb. unerhebliche Tatsachen 685 ; — m ^ l ä s s i g e B. 687; — B. üb. absolut irrelevante Tats. 687 ; — präsumtiv fruchtlose

I. Alphabetisches Inhaltsverzeichnis. B e w e i s e r h e b u n g (Fortsetzung): B. 689; — Entbehrlichkeit einer B. 691 ; — Unerreichbarkeit des Beweismittels 692. B e w e i s e r m i t t l u n g s a n t r a g : 694 A 19. B e w e i s f r a g e : als Tat- und Rechtsfrage 4, 5. B e w u f s t l o s i g k e i t : 13. B l a n k e t t s t r a f g e s e t z : 237 f., 621. B r a n d s t i f t u n g : 17, 18. B u f s e : 193. B a u e r d e l i k t : 152. Delikts ausschliefsungsgrund: 13. D o l m e t s c h er: 561. D o p p e l s u b s u m t i o n : Einheitsfrage mit D. 155 f. D r o h u n g : 12, 13. E h e g a t t e : 13, 15, 624. E h r l o s e G e s i n n u n g : Nebenfrage 185. E i d : der Schöffen 678 (s. „Beeidigung"). E i n b e r u f u n g : der Geschw. 89. E i n h e i t s f r a g e : einfache E. 246; — E. bei Kollektivdelikt 231; — kombinierte E. 143 f . 246, 399; — E. mit Doppelsubsumtion 155 f., 231, 246,399; — kumulative E. 153,231, 399; — zusammengesetzte E. 146 f., 153. 231, 246. E i n s c h a l t u n g e n : bei d. Niederschrift d. Wahrspruchs 465. E i n s i c h t : die zur Erkenntnis der Strafbark, erforderl. E. 13, 14, 200, 201; — Einsichtsnebenfrage 14, 36, 200 f., 202 f., 204 f., 207,217.333.361. E i n s p r a c h e : 46, 47, 669. E i n s t e l l u n g : des Verfahrens 100, 105, 350, 354 A 21, 609.. E i n w e n d u n g e n : gegen die entworfenen Fragen 113, 332, 504. E n g l a n d : Rückfallsdelikt 11 A 15; — Form der Fragestellung an die Geschw. 30 f., — „discretionary power" des engl. Assisenrichters 97 A 12; — Geständnis des Angekl. 115, 614: — Aushändigung des Gesetzes an die Geschw. 380 A 24; — Einstimmigkeit der Verdikte 390; — Widerruf des Verdikts 395 A 15; — teilweise Bejahung der Anklage 397 A 1; — Spezialverdikt 416; — Form d. Wahrspruchs 420 A l ; — Rechtsnatur des Verdikts 434 A 4; — Berichtigungsverfahren 437 A 2; — Zusätze zum Verdikt 469 A 1; — Aufhebung d. Wahrspruchs 531 A 2; — Plaidoyers 564 A 2, 632

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E n g l a n d (Fortsetzung): A 12; — Kreuzverhör 574 A 29; — Résumé des Vorsitzenden 580, 605, 606; — Bemängelung der Klage d. d. Angekl. 609; — Entlassung der Jury ohne Wahrspruch 612 A 11; — Verhältnis von Urteil u. Wahrspruch 616; — Begnadigungsgesuch d. Geschw. 638 A 28; — summar. Verfahren 710 A 13. E r g ä n z u n g : der Vorschlagsliste 45, der Jahresliste 48; — der Spruchliste 58; — des Eröffnungsbeschl. 107, 108 ; — der entworfenen Fragen 113; — der festgestellten Fragen 573; — der Rechtsbelehrung 115; — der Geschworenenzahl durch Zulosung 62. E r g ä n z u n g s g e s c h w o r e n e r : Zuziehung 75, 83, 91 ; — 387, 421 A 4, 509, 510, 552. E r g ä n z u n g s h a u p t f r a g e : 135,230. E r g ä n z u n g s u r t e i l : 86. E r ö f f n u n g s b e s c h l u f s : prozessuale Funktion 33f.; — Formulierung d. Hauptfragen bei alternativer Fassung d. E. 37 ; — Formul. d. Hauptfr. bei Unvollständigkeit d. E. 37, 107 ; — Verlesung, Ergänzung 107, 108; — fehlerhafter E. 181, 245; — Berichtigung d. tatsächl. Inhalts 264; — Abweichung v. E. 292 f. E r w e i t e r u n g : der Klage 40. E v e n t u a l f r a g e : 346 A 2. E x z e f s : der Notwehr 13, 16. Fahrlässigkeit: Begriffliches 9 A 9; fahrl. Falscheid 17. Feststellung: der Fragen 113, 267 f., 328 f. Fortgesetztes Verbrechen: Hauptfrage 144 f., 230; — Hilfsfrage 173; — zusammenges. Frage 230, 231. F r a g e u. F r a g e s t e l l u n g : Funktion d. Ürteilsfragen 30 f. ; — Allgemeines üb. F. 113 f., 117 f., 224 f., 328 f.; — Verlesung u. Prüfung d. F. 113, 329, 330 A 7, 343; — Ergänzung u. Abänderung d. F. 74, 113, 330, 332, 333, 334, 404f., 407, 503, 507, 573; — komplexe F. 229, 319; — Erfragung d. Deliktsbegriffe 234; — Tatbestandsmerkmale 235, 242; — Fragenformulierung und Gesetzeswortlaut 238 f. ; — notorische u. gerichtskundige Tatsachen 244; — d. abstrakte Inhalt d. Nebenfrage 247 f. ; — Individualisierungsmomente 252 f.; — Formvorschriften 267 f. ; — Gestaltung d. Fragestoffes 269 f. ; —

726

Register.

F r a g e - u. F r a g e s t e l l u n g (Fortsetzung): Antrag auf alternative Fassung 293 ; — Negativfrage 316 f., — Weglassung gesetzlicher Fragebestandteile 316; — Zahl u. Reihenfolge d. F. 319 f.; — Verhältnis d. Fragen zueinander 323f.; — Fragenabschrift 331 ; — der dezisive Gehalt der Fragestellung 363f.; zusammenges. F. 399 (vgl. auch „Hauptfrage", „Hilfsfrage" usw.). F r a g e b o g e n : Aushändigung eines neuen F. 74. F r a g e r e c h t : d. Geschw. 107; — d. Schöffen 661. F r a n k r e i c h : Rückfallsdelikt 11A15; — mild. Umstände 20 A 28, 214 A 1, 405 A 18; Form der Fragestellung 30 f. ; — pouvoir disrétionnaire des Vorsitzenden 96 f., 567 A 11; — Angeklagtenverhör d. d. Präsidenten vor d. Hauptverh. 101; — Veränderung d. rechtl. Gesichtspunktes 110 A 31; — Teilung d. Hauptfragen 117 A 2; — questions subsidiaires 161 A 2, 166 A 2; — Abstimmung 192 A 15, 389 A 7 ; — circonstances aggrav. 192 A 15; — komplexe Fragen 230 A 7; — Entwerfung u. Feststellung der Fragen 328 A 2; — Obmanns wähl 381 A 2; — Form d. Wahrspruchs 420 A l ; — Kundgebung d. Spruchs 421 A 5; — Berichtigungsverfahren 437 A 2, 505 A 16; — Mängel d. Spruchs 462 A 1 ; — Plaidoyers 564 A 2; — Rechtsbelehrung 580 A 10, 592 A 3; — Abbruch der Verhandlung wegen Nichtigkeitsgrundes, wegen Wegfalls eines Geschw. 612 A 11; — Präsidentenentscheid statt Urteil d. Richterbank 617 ; — acquittement 623 A 21 ; — absolution 624 A 25; — Urteilsverkündung 636 A 23; — citation directe 710 A 14, 712 A 15; — 634 A 27. F r e i s p r e c h u n g : wegen Verjährung 354 A 21. O a t t u n g s d e l i k t : Hauptfrage auf d. G. 118 f. G e g e n s e i t i g k e i t : Verbürgung d. G. 625. G e h i l f e : Reihenfolge d. Fragen 322. G e i s t e s t ä t i g k e i t : krankh.Störung 13. G e n e r a l i s i e r u n g : von Tatumständen in d. Frage 270 f. G e n e r a l v e r d i k t : 7, 416.

G e r i c h t s b e h ö r d e : Schwurg. als „Gerichtskörper", „G." u. „Schwurgericht" 49 A 9. G e r i c h t s k ö r p e r : Schwurg. als „G." 49 A 9. Geschäftsmäfsige D e l i k t e : Hauptfrage 152. G e s c h w o r e n e n b a n k : Kompetenz 3 f. ; — Besetzung 52 f. ; — Bildung 58 f.; — Auflösung u. Neubildung 72 f. ; — Beibehaltung f. d. folgende Sache 78 f. G e s c h w o r e n e r : Bestimmung f. d. Sitzungsperiode 42f.; — Ladung 48; — Ausschliefsung vom Dienst 50, 56; — Hinderungsgründe 48,49, 57; — Ablehnung d. Dienstes 48, 49, 57; — Beeidigung 57; — Auslosung 57; — Einberufung 89; — Mitwirkung bei d. Feststellung d. Fragen 113; — Fragenabschrift 331 ; — Fragenprüfung 332; — Frage n. mild. Umständen 360; — Literaturbenutzung 380; — Erklärungen zum Verdikt 445 f. ; — Verhinderung während d. Berichtigungsverfahrens 510; — Ergänzung d. Rechtsbelehrung auf Ersuchen 588. G e s e t z e s k o n k u r r e n z ; 6 A 5; — 139 f.; — 165; - 172; — 218; — 230. G e s i n n u n g : Nebenfrage auf „ehrlose G." 185. G e s t ä n d n i s : d. Angekl. 105, 115, 614, 615, 615 A 2, 718, 719 A 8. G e w a l t : Nötigung z. Delikt 13. G e w e r b s m ä s s i g e s D e l i k t : 152. H a u p t f r a g e : 36 f., 117 f.; — tätige Reue 20; — Inhalt d. H. 118; — § 37 StGB 118 ; — H. auf d. Gattungsdelikt 118 f ; — H. bei zusammenges. Verbr. 120 f.; — bei qualif. Delikt 122 f., 230; — § 11 Depot-Ges. 123, 124; — bei privilegiertem Delikt 125f., 230; — bei Mittäterschaft 127 f., 228 f.; — bei Anstiftung u. Beihilfe 130 f.; — bei Realkonk urrenz 133 f., 230; — bei Idealkonkurrenz 135f., 230; — bei Gesetzeskonkurrenz 139 f., 230; — bei fortg. Verbrechen 144 f., 230; — bei Kollektivdelikt 152, 231; — bei künstlicher Verbrechenseinheit 152 f. , 231; — bei Dauerdelikt 152; — bei Subsidiarität d. Strafgesetzes 153 f., 231; — bei Wechsel d. Strafgesetze u. bei Auslandsdelikt 155 f., 231; — Verhältnis z. Hilfsfrage 164 f.; — Reihenfolge d. H - u. Hilfsfragen 173 f. ; — Verhältnis z. Nebenfrage 186 f.; — abstrakte Bestandteile 227 f., — Mehr-

I.

Alphabetisches Inhaltsverzeichnis.

H a u p t f r a g e (Fortsetzung): heitsfrage bei Idealkonkurrenz 230 ; — Ergänzungshauptfrage bei Realkonkurrenz 230; — kombinierte Einheitsfrage 230; —zusammenges. Frage bei fortges. Verbrechen 230 f. ; — Einheitsfrage bei Kollektivdelikt 231; — eventuelle H. 231; — Einheitsfrage mit Doppelsubsumtion 231; — kumulative Einheitsfrage 231 ; — Einheitsfrage bei künstlicher Verbrechenseinheit 231; — Formulierung d. Deliktsbegriffe 234; — Formulierung d. Tatbestandsmerkmale 235; — H. aus einem Blankettstrafgesetz 237 f.; — Abweichung vom gesetzlichen Wortlaut 238 f. ; — Aufnähme von Qualifikations- oder Privilegierungsgründen 314; — H. auf eine Negative 316 f.; — H. mit d. Funktion einer qualif. Nebenfrage 321 ; — Hauptfrage oder Nebenfrage 321; — Verhältnis z. Schuldnebenfrage 324; — Verhältnis d. mehreren H. 324; — eventuelle H. 324; — Verhältnis^. Hilfsfrage 324; — Antrag auf Änderung d. H. 339, 343; — Antrag auf Stellung einer H. 340. H a u p t g e s c h w o r e n e r : 45, 62. H a u p t s a c h e : im Sinne des § 317 StPO 538 f. H a u p t v e r h a n d l u n g : Aufforderung an d. Geschw. z. Anzeige v. Ausschliefsungsgiünden 55 f.; — Geltendmachung v. Ablehnungs-, Weigerungs- u. Hinderungsgründen 57; — Auslosung u. Beeidigung d. Geschw. 57; — Bildung der Geschworenenbank 58f.; — Unterbrechung d. H. 75; — Zeitpunkt des Beginnes 104 (s. auch „Unterbrechung"). H i l f s f r a g e : Allgemeines 38f., 159f., 178 f. ; — Antrag auf Stellung,. Änderung, Streichung einer H. 34, 339, 341, 342; — § 11 Depot-Ges. 123f.; — H. bei qualif. u. privileg. Delikt 123, 166 f.; — H. bei Zweifel über Kindstötung, Tötung des Einwilligenden oder Mundraub statt Mord u. Totschlag, Diebstahl u. Unterschlagung 126; — qualifizierte H. 138; — Funktion d. H. 159f.; — H. auf Realkonkurrenz 164 f., 172; — Verhältnis z. Hauptfrage 164 f., 324; — Anwendungen d. H. 165 f.; — H. auf Versuch 165; — zusammenges. Verbrechen 165 f.; — H. auf fahrlässige bezw. vorsätzliche Verübung 165; auf strafbare Vorbereitung 165; — auf Mittäterschaft 171 f. ; - bei Idealkonkurrenz 172; — auf Bei-

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1

I j j ; ! !

727

H i l f s f r a g e (Fortsetzung): hilfe 172; — bei Gesetzeskonkurrenz 172; — auf Anstiftung 172; — Reihenfolge von Haupt-u. H. 173f.; — H. bei Wechsel d. Strafgesetze u. Auslandsdelikt 173; — bei Kollektivdelikt 173; — bei fortges. Delikt 173; — Verhältnis z. Nebenfrage 186 f., 324; — die abstrakten Momente d. H. 246; — Einheitsfrage u. Mehrheitsfrage 246; — qualinz. H. 292 f., 345, 476 f.; — auf eine Negative gerichtete H. 316f.; — Stellung in d. Fragenfolge 323; — Bedeutung d. § 298 StPO; — H. auf Antragsdelikt 350, 629. H i l f s g e s c h w o r e n e r : 45, 46, 61 f. H i l f s s c h ö f f e n : 670, 676. Hinderungsgrund: Geschw. 48, 49, 57,64,89 ; — Form f. Befreiungsgesuche 50; — Schöffen 674, 675. H i n w e i s : auf Veränderung d. rechtl. Gesichtspunktes 108 f. Ideal konkurrenz: Abstimmung 135; — Hauptfrage 135 f., 230; — Hilfsfragen 164, 172; — Nebenfrage auf mild. Umstände 217; — Mehrheitsfrage 230. I n d i v i d u a l i s i e r u n g : der Fragen ë 252 f. * I n t e r e s s e n : Wahrung berechtigter 13. I n z e s t : 14, 610, 686. I n z i d e n t k l a g e : 639f. I r r t u m : als Schuldausschliefsungsgrund 13; — I. über einen straferhöhenden Umstand 184; — I. d. Geschw. b. Verdikt 456 f. J a h r e s h i l f s l i s t e : 43, 59. J a h r e s l i s t e : Bildung 45; — Berichtigung 47; — Ergänzung 48; — Einschiebungen 59; — Zulosung zwecks Ergänzung der Spruchliste 89; — Schöffenjanresliste 667, 671. J u g e n d : 13, 14, 356 A 27, 361 A 42, 628 A 33, 633, 686; — Einsichtsnebenfrage 205 f, 361. K a r t e l l t r ä g e r : 17. K a s s a t i o n : d. Spruchs 459, 530f. K i n d s m o r d : 126. K l a g b e s s e r u n g : 33f; — 109 f. K l a g e r w e i t e r u n g : 40. K l a g h ä u f u n g : 40. K o l l e k t i v d e l i k t : Hauptfrage 152, 231; — Hilfsfrage 173; — Einheitsfrage 231. K o m b i n i e r t e E i n h e i t s f r a g e : 143f. K o m p l e x e F r a g e : 319.

728

Register.

K o m p l o t t : 17. K o n k r e t i s i e r u n g : d. Frage 257. K o n t r a v e n t i o n : wiederholte und gleichzeitig entdeckte 11 A 14. K o n t u m a z i a l v e r f a h r e n : 683 A 8. K ö r p e r v e r l e t z u n g : 16, 197. K u m u l a t i v e E i n h e i t s f r a g e 153. K u n d g e b u n g : d. Spruchs 394, 420f., 498 f., 557, 559, 560. KünstlicheVerbrechenseinheit: 152 f.

N e b e n f r a g e (Fortsetzung): Strafzumessungsgründe 185; — Verhältnis zu Haupt- u. Hilfsfragen 186f.; - N.aufSchuldausschliefsungsgrund 187 f., 318; — auf Zurechenbarkeit eines Tatumstandes 195; — auf Strafausschliefsungsgrund 195 f., 318 ; — Retorsionsnebenfrage 195 f., 248 f.; — N. auf Notwehrexzefs 196: — auf das Alter d. Angekl. 208; — auf Strafaufhebungsgründe 208 f., 248 ; — auf fehlenden Vorsatz b. fisI i a d u n g : d. Geschw. 48; — d. zukalischen Delikten 232; — qualigelosten Hilfsgeschw. 65. fizierte Nebenfrage 296, 321; — auf Landespolizeibehörde: Ubereine Negative gerichtete N. 316f.; weisung 12. — auf Rücktritt vom Versuch 317 ; L i s t e n b i l d u n g : 44f. — gemeinsame N. f. mehrere BeL o s e n t s c h e i d : über d. Verteilung teiligte 319 f.; — Reihenfolge mehr. d. Geschw.-Ablehnungen 69 f. Schuldnebenfragen 322 ; —Verhältnis z. Haupt-.u. Hilfsfrage 324, 327; — M a n g e l : d. Einsicht 13; — einer S'tel lung, Änderung, Streichung einer Prozefs- oder Urteilsvoraussetzung N. 339, 341, 342; — N. auf Reizung 100, 116; — in d. Fragestellung 332; b. Totschlag 357; — Bedeutung d. — des Spruchs (s. „Berichtigung"). § 296 StPO. für N. 357 f.; — § 298 Mehrheitsfrage: bei IdealkonStPO 361 ; — vorbereitende Nebenkurrenz 137, 230; — als Hilfsfrage i frage 362, 627. - S. auch: „Schuld246; — Abstimmung 399. nebenfrage" u. „Strafnebenfrage". M e h r z a h l : Zustellung d. Spruchliste N e b e n k l ä g e r : 69. an mehrere Angeklagte 54; — HauptN e b i s i n i d e m : 17. frage bei Mehrzahl v. Angekl. 38, Ν e g a t i v f r a g e n : 316 f. 117; — Hauptfrage b. M. v. strafb. N i c h t i g k e i t : des Urteils wegen Handlungen 38 ; — M. v. ErgänzungsMitwirkung eines unfähigen Geschw. geschw. 78. 45 f., 61; — wegen geheimer AusM e i n e i d : 19. ' losung 46; — N. d. Spruchliste 59; M i l d e r n d e U m s t ä n d e : 10, 12, — wegen Verstofs gegen die Vor20 f. ; — Nebenfrage auf m. U. 36, schriften üb. d. Beratung d. Geschw. 178, 214 f., 249 f., 252, 321, 323,333, 372; — wegen Mangelhaftigkeit d. 341, 360, 405, 508, 540, 570 A 15. Verdikts 511. M i s c h g e s e t z : 279 f., 298 A 53. N o r m w i d r i g k e i t : u. Strafbarkeit M i s c h t a t b e s t a n d : 279 f. 10, 13. M i t t ä t e r : Hauptfrage 118, 127 f., N ö t i g u n g : z. D e l i k t 13. 227,256 ; — Mittäterschaft als Qualif.N o t l a g e : 13. grund 125; — Hilfsfrage 171; — N o t s t a n d : 13. Zurechenbarkeit von Tatumständen N o t w e h r e x z e f s : 13, 16, 196. 195; — Nebenfragen auf mild. Umst. 217 ; — Fragenfbrmulierung 311,312. O b m a n n : Funktionen 98; — Wahl M o r d : 119. .. 74, 380 f., 451, 454; — Wechsel 510. M o r d v e r s u c h : 311. Ö f f e n t l i c h k e i t : der Auslosung 63, M u n d r a u b : 126. 67, 72, 73, 78. W a c h h a f t : korrektionelle 628. O r d n u n g s s t r a f e : gegen Geschw. N e b e n f r a g c : 34, 39 f., 119, 122, 61, 105, 381, 384,389,516; — gegen 182 f., 190 f., 247 f.; - auf Priviled. Obmann 385, 426, 515: — gegen gierungsgrund 34 f., 183 f., 230, 247, .. Schöffen 663. 321 ; — auf Qualifikationsgrund 34 f., Ö s t e r r e i c h : schwurger. Fragestellg. 183f., 230, 247, 312f., 321; — auf 6; — aufserordentliche MilaerungsEinsicht 36, 200 f., 202 f., 205 f., 225, umstände 21 ; Gewaltstellung d. Vor333; — auf mild. Utnst. 36, 214 f., sitzenden 97 ; — Angeklagtenver249 f., 252, 321, 360, 405; — auf nehmung d. d. Vorsitzenden vor der „Überlegung" 119; — N. bei zuHauptverh. 103; — Frist zwischen sammenges. Delikt 120 f.; — bei Ladung u. Termin 103 ; — Terminsqualif. u. privil. Delikt 122 f.; — auf festsetzung 104; — Beweisanträge

I. Alphabetisches Inhaltsverzeichnis.

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Ö s t e r r e i c h (Fortsetzung): Q u a l i f i k a t i o n s g r u n d (Fortsetz.): frage 286 f. ; — Haupt- oder Nebend. Geschw. 106; — Veränderung d. frage? 314, 321; — Mehrheit von rechtlichen Gesichtspunktes 113; — Deliktsbeteiligten 319; — ReihenSch lu fs vor träge 114 A 41; - Gefolge mehrerer Schuldnebenfragen ständnis 115; — kumulative Frage322; — Nebenfragen aut' mehrere stellung 118 A 3; — klagbessernde Q. 324, 325; — Abstimmung 398; — Fragen 160 A 2, 166 A 2; — ZuBerücksichtigung im Urteil 626. satzfragen 183, 192, 324, 346 A 2; Haupt— Ν ο benfragen auf Schuldaus- j Q u a l i f i z i e r t e s D e l i k t : frage 122 f., 140, 141 f.; — Hilfsschliefsungsgründe 188 A 11; — j frage 166: — Nebenfrage auf mild. Alternativfrage auf echte Notwehr Umst. 216. u. straflosen Notwehrexzefs 196 A 3; — Berichtigungsverfahren 505 A 16; — „Ausspruch" u. „Wahrspruch" R e a l k o n k u r r e n z : Hauptfrage 117, 557; — bezirksgerichtliches Ver133 f., 2:J0; — R oder fortges. Defahren 709 A 13. j liktV 149; — Hilfsfrage 164, 172; — Nebenfrage auf mild. Umst. 220; — P l a i d o y e r : 113, 114, 116, 508; - I Ergänzungshauptfrage 230; — Reiauf Grund Fragenänderung im Be- i henfolge der Fragen 321. richtigungsverfahren 505; — P. zur R e c h t s D é g r i f f é : Ersetzung in der Schuldfrage 563 f.; — Inhalt, UnterFrage 8, 9. brechung d. d. Vorsitzenden 565, R e c h t s b e l e h r u n g : 22, 28, 29, 115, 567; — Verlesung von Schriftstücken 365, 501 ; — bei Fragenändernng im 568; — Beweisantrag im P. 571; Berichtigungsverfahren 505 ; — wei— P. als „Schlufsvortrag" 571 f.; tere R. auf Wunsch d. Geschw. 573, — P. bei Mehrheit von Verteidigern 588 ; Prinzipielles 574 f. ; — Subjekt 572; — P. zur Straffrage 632 f. d. R. 582f.; — zweifelhafte RechtsPlus-Minus -Alternative 302, lage 583; — R. vor Spruchberich306. tigung 584; — Antezipierte R., TeilP o l i z e i a u f s i c h t : 628. belehrung 585 f.; — NachtragsbeΡ ras en zp f l i c h t : d. Geschwor, u. lehrung 586 f.; Ort der Belehrung Richter 60, 104. 591 f.; — Inhalt d. R. 593 f. ; — VerP r i v i l e g i e r t e s D e l i k t u. P r i v i bot einer Erörterung 598; — Auslegierungsgrund: Hauptfrage führungen, die nicht den Charakter 125 f., 141; — Hilfsfrage 166, 168; d. R. tragen 603; — keine bindende — Nebenfrage 34, 183, 247; — Kraft d. R. 604 f. Haupt- oder Nebenfrage? 314, 321; R e c h t s f r a g e : u. Tatfrage 4, 5. — Entscheidungskompetenz d. GeR e c h t s g r ü n d e : als Anlafs zur Abschwor. 10; — P. u. Strafverminlehnung beantragter Fragen 345 f. derungsgrund 19 A 26; — Fragenformulierung 141 f., 230; — Alter- R e c h t s k r a f t : Umfang d. Rechtskraftwirkung 113. nativfrage 286 ; — Reihenfolge mehrerer Schuldnebenfragen 322 ; R e c h t s w i d r i g k e i t : Gründe wegfallender R. 13. — Abstimmung 398; — BerücksichR e f o r m a t i o i n p e j u s : 553f. tigung im Urteil 626. R e i c h s a n g e h ö r i g k e i t : Frage auf P r o r o g a t i o n : 78 f. R. im Fall d. § 4 N. 3 StGB 231. P r o t o k o l l : 63, 68, 430, 431,457,502, R e i h e n f o l g e : d. Fragen 321 f. 508, 513, 527, 562, 571, 600, 642, 679, R e i z u n g : Nebenfrage auf R. 250 f., 683, 687, 704, 707. 357 f. P r o z e f s f e h l e r : Verfahren bei AufR e t o r s i o n : als Straflosigkeitsgrund deckung ν. P. 612. 13, 16, 211; — als StrafmilderungsP r o z e s s u a l e F r a g e n : 105. grund 16, 20; — R. im schwurg. Prozefsvoraussetzung: Mangel Verf. 16 f., 20, 197 f., 248f., 624, 636. einer P. 100, 116, 685; — Bedingung R e u e : tätige 18 f. d. Sachendurteils 608; — 645. R e v i s i o n u. R e v i s i o n s g r ü n d e : P r ü f u n g : der Fragen 329, 343. Zustellung der Spruchliste 54; — P u b l i k a t i o n s b e f u g n i s : 193. Verwerfung d. Antrags d. Angekl. Q ' u a l i f i k a t i o n s g r u n d : Geschwoauf Aussetzung d. Verhandlung renenkompetenz 10; — Nebenfrage wegen Mängeln in d. Bekanntgabe auf Q. 34, 183 f., 312; — Fragend. Spru hliste 55; — unterbliebene formulierung 140, 230 ; — AlternativBefragung d. Geschw. über Aus-

730

Register.

R e v i s i o n u. R e v i s i o n s g r ü n d e (Fortsetzung): schliefsungsgründe 55; — ungerechtfertigte Ausscheidung eines Geschw. 56; — Mitwirkung eines unfähigen Geschw. 56; — in der Hauptverh. geltend gemachte Ablehnungs-, Weigerungs-, Hinderungsgründe 57; — Bildung der Geschworenenbank 58; — Verstöfse gegen die gesetzl. Zulosungsvorschriften 58; — Einschiebung v. Geschw. in d. Jahreshilfsliste 59 ; — Zulosung aus der Liste d. Hauptgeschw. nach Sessionsbeginn 62, 63 ; — Einbehaltung überzähliger Hilfsgeschw. in d. Listen 65; — Freigabe überzähliger Hilfsgeschworener in falscher Reihenfolge 65 ; — Auslosung z. Geschw.-bank 66; — Irrtum einer Partei über d. Zahl d. zulässigen Geschw.-ablehnungen 69 ; — Verteilung d. Geschworenenabl'ehnung unter mehrerere Angekl. 70; — Mitwirkung eines gesetzlich ausgeschloss. Ergänzungsgeschw. 76; — Reihenfolge d. Zuziehung v. Ergänzungsgeschw. 78; — Beibehaltung d. Jury f. d. folgende Sache 80 ; — falsche Reihenfolge d. Fragen 178, 319f.; — Verletzung materieller Rechtsnormen 261 ; — komplexe Frage 319; — Nichtverlesung der Fragen 330; —Nichtmitteilung einer Fragenabschrift 331 ; — Verletzung d. § 296 StPO 346; — Zusätze zum Verdikt 409 f. ; — sachliche Spruchmängel 510; — formelle Spruchmängel 512; — Verletzung d. §309, Abs. 1, StPO 514; — Urteilserlafs trotz Berichtigungsverweigerung d. Geschw. 516; — R. wegen Spruchberichtigung 518 f.; — R. wegen Nichtaufhebung des Spruchs 555; — Verletzung des § 313 StPO 558; — falsche Spruchverlesung 561; — Nichtunterbrechung eines Parteivortrages 568; — Nichterteilung d. letzten Wortes an d. Angekl. 573; — Anwesenheit d. Angekl. bei nachträglicher Rechtsbelehrung 591 A 2; — mangelhafteRechtsbelenrung 600; — unstatthafte Ausführungen des Vorsitzenden bei Gelegenheit der Rechtsbelehrung 604; — Unterlassung d. Rechtsbelehrung 606; — R. gegen Einstellungsurteil 611; — Ablehnung eines Beweisantrages z. Straffrage 630; — Nichterteilung d. Wortes 634, 634 A18; — Ausdehnung d. Verhandlung nach § 265 StPO 641, 642; — vgl. auch 618, 627, 633.

R i c h t e r : Bestimmung f. d. Sitzungsperiode 42 f. R i c h t e r b a n k : Kompetenz 3 f. ; — Funktion bei Bildung d. Schwurg. 89; — Funktion in d. Hauptverhandlung 93 f. R ü c k f a l l : 10 f., 109, 112, 220, 221, 508, 620, 627, 635. R ü c k t r i t t : vom Versuch 18, 131, 317; — R. überzähliger Hilfsgeschw. 65.

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I

S a c h v e r s t ä n d i g e r : Befragung d. d. Geschw. 107; —Ablehnung d. d. Gericht 690. S c h ö f f e : Funktion 658f.; — Ausschliefsung u. Ablehnung 660; — Bestimmung f. d. Geschäftsjahr 667 f. ; — W a h l 670. Schöffengericht: Organisation 649; — Besetzung d. Einzelgerichts 673 f.; — Verhältnis z. landgerichtl. Verfahren 682 f.; — Umfang d. Beweiserhebung in d. Hauptverhandl. 684 f. ; — besond. Formen d. Prozefsbegründung § 211 StPO 699 f. S c h r e i b f e h l e r : 330, 442, 462, 508, 514. S c h r i f t s t ü c k e : Hinausgabe verlesener S. an d. Geschw. 377 f. Schuldausschliefsungsgrund: 10, 12 f., 22, 686. 687: — Aufnahme in d. Hauptfrage 23; — S. als Gegenstand einer Nebenfrage 187 f., 318. S c h u l d f r a g e : als Tat- u. Rechtsfrage 3 f. ; — Beteiligung d. Richterbank an d. Beantwortung d. S. 6 f. ; Kompetenz d. Geschw. 9 f., 21 f. ; — Abgrenzung von der Straffrage 10 f., 25, 618?.; — S. u. Strafausschliefsungsgründe 10; — Rückfall und S. 10; — S. und Subsumtionsfrage 10; — Parteivorträge zur S. 563 f.; — Doppelsinn d. Wortes 619. S c h u l d n e b e n f r a g e : 182, 183; — auf Qualifik.- una Privilegierungsgründe 183 f. ; — auf Strafzumessungsgründe 185; — klagbessernde Funktion d. S. 190, 191 ; — Formulierung 194; — S. auf Strafausschliefsungsgründe 195 f.; — abstrakter Inhalt d. S. 247,248 ; —Reihenfolge mehrerer S. 322; — Verhältnis zu Haupt- u. Hilfsfrage 324. S c h w e i g e p f l i c h t : d. Geschw. 383T 517. S c h w u r g e r i c h t : Zeitpunkt d. Zusammentritts i. Sinne d. § 94 GVG. 49; — Begriff 49. S i t z u n g s p o l i z e i : 661. S p e z i a l h i l f s l i s t e : 45.

I. Alphabetisches Inhaltsverzeichnis. S p e z i a l i s i e r u n g : ν. Tatumständen in d. Frage 270 f. S p e z i a l v e r d i k t : 7, 416. S p i o n a g e : 17. S p r u c h g e r i c h t : Schwurgericht als S." 49 A 9. S p r u c h l i s t e : ' 48, 46, 51, 53, 54, 55, 58, 89. S t a a t s a n w a l t : Mitteilung v. Veränderungen d. Spruchliste 54; — Antrag auf Ausscheidung v. Geschw. 56; — Substituierung eines Ergänzungsgeschw. 77 ; — Verzicht auf Neubildung d. Geschw.-bank 79. S t e l l v e r t r e t e r : des Vorsitzenden 43. S t i m m e n v e r h ä l t n i s : 11, 12, 15, 16,17; siehe „Abstimmung" u. „Zweidrittelmehrheit". S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d : 12 f.; — 17 f.; — 178; — Nebenfrage 208 f., 248 f., 323, 325; — 625; — Berücksichtigung i. Urteil 635. S t r a f a u s s c h l i e f s u n g s g r u n d : 10, 12 f., 16; — Nebenfrage 195 f., 197, 318; — 624; — Urteil ohne Verdikt 614. S t r a f b a r k e i t : 10, 13. S t r a f e r i a f s : im Ausland 17, 625. S t r a f f r a g e : und Schuldfrage 10 f., 21 f., 618 f. S t r a f l o s i g k e i t : wegen Retorsion 16. S t r a f m i l d e r u n g s g r u n d : Jugend 14. S t r a f n e b e n f r a g e : 182, 183; — a u f Strafaufhebungsgründe 208 f., 248f.; — nach mild. Umst. 214 f.; — abstrakter Inhalt d. S. 248 f.; — alternative S. 303, 304; — Stellung in d. Fragenfolge 322. S t r a f v e r f o l g u n g : Verjährung nach ausl. Recht 18. S t r a f v e r m i n d e r u n g s g r u n d : S. u. Privileg.-grund 19 A 26. S t r a f v o l l z u g : i. Ausland 17; — Verjährung nach ausl. Recht 18, 625; — S. in schöffengerichtl. Sachen 683. S t r a f z u m e s s u n g s g r u n d : Nebenfrage auf S. 185, 217; — Berücksichtigung im Strafausmafs 618; — schöffenger. Sachen 687. S u b s i d i a r i t ä t : des Strafgesetzes 153 f.; — 231. S u b s t a n z i i e r u n g : d. Tat u. Individualisierung d. Frage 256. S u b s u m t i o n s a u f g a b e n des Gerichts 621. Subsumtionsfrage: S., Schuldfrage u. Straffrage 4 f., 10 f., 619.

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I Tatbestandsmerkmale:Aufnahme j in d. Hauptfrage 235; — Verneinung j einzelner T. 400. ! T a t f r a g e n : T . u. Rechtsfrage 3f. ! T a t s a c h e n : anspruchsvernichtende 17. T a t u m s t ä n d e : Generalis!erung u. Spezialisierung von T. in d. Frage 270 f. j T a u b s t u m m h e i t : Nebenfrage auf Einsicht 36, 202 f., 361; — 331, 573, | 628 A 33. j ' T o d : d. Schuldigen 17. Ü b e r f ü h r u n g s g e g e n s t ä n d e : Aus.. händigung an die Geschw. 379. Ü b e r l e g u n g : Nebenfrage 119. U b e r w e i s u n g : an d. Landespolizeibehörde 12. U n e r h e b l i c h k e i t : einer Beweistatsache 685. U n f ä h i g k e i t : Geschworener 44, 45, 46, 47, 49, 56, 61, 63, 64, 76, 104, 455; — Schöffen 668, 671, 674. U n g ü l t i g k e i t : d. Spruchs 445 f. U n t e r b r e c h u n g : d. Hauptverhandlung: bedingt neue Geschworenenauslosung 75; — U. zwecks Fragenprüfung 332; — U. d. Plaidoyers d. d. Vorsitzenden 567. U n t e r l a s s u n g : fortgesetzte 12. U n t e r z e i c h n u n g : d. Fragen 268, 269, 343, 431, 463; — d. Spruchs 431, 450, 463 f.; 502, 512, 529, 534, 636; — d. schöffenger. Urteils 661 f. 130, I Unzurechnungsfähigkeit: 686. j ί U n z u s t ä n d i g k e i t : des Schwurgerichts 353. | j U r l i s t e : 44, 668. ! U r t e i l : Bedingungen d. Sachendurteils 607 f. ; — Verhältnis z. Wahrspruch 613 f.; — Freisprechung 622; — Einstellung 628; — Aussetzung d. Verkündung 86, 631 ; — Ergänzung 632; — Inhalt u. Form 635; — Verkündung 636; — Ausfertigung 636 A 25. U r t e i l s v o r a u s s e t z u n g : 100, 116, 608, 685. V e r ä n d e r u n g : d. rechtl. Gesichtspunktes 108 f. Verbrechenseinheit: künstliche 152 153 V e r j ä h r u n g : 14, 39, 537. 624, 686; — der Strafverfolgung 17, 18; — Hilfsfrage auf V. 353 : — Einstellung wegen V. 354 A 21; — Nebenfrage 357; — V. bei Totschlag 359; Freisprechung ohne Verdikt 610.

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Register.

V e r k ü n d u n g : d. Spruchs 116, 556f., W a l i r s i ) r u c h (Fortsetzung): d. Richterbank 439 f. ; — ungültiger 560, 562 f. V e r l e s u n g : des Eröffnungsbeschl. W. 445 f. : — rechtswidrig zustande 107; — der Fragen 109, 113, 329, gekommener W . 452f.; — irriger 343, 420; — des Spruchs 422, 442; W . 456 f.; — Berichtigung formeller — V.von Schriftstücken im Plaidoyer Mängel 463 f. ; — Niederschrift der 568. Antwort 464 f.; — Berichtigung w. V e r l o b t e : § 67 Abs. 2, Personensachlicher Mängel 472 f. ; — Niederstandsgesetz 13. schrift d. berichtigten 8 526 f.; — V e r n e i n u n g : teilweise der Fragen Kundgebung 528f.; — Aufhebung 410 f. 530 f., 546 f.; — neuer S. nach AufV e r r a t : 17. hebung 551 f.; — Verkündung d. V e r s e h e n : bei d. Zulosung v. HilfsS. 556 f.; — gesetzlicher Wortsinn geschworenen 64; — bei d. Aus560 ; — Voraussetzungen d. Gültiglosung 71 A 20. keit 608; — Verhältnis zum Urteil V e r s u c h : Rücktritt 18, 131, 317; — 613 f. (s. auch „Berichtigung"). Formulierung d. Frage 311 f. W e c h s e l d. S t r a f g e s e t z e s : 155, V e r t e i d i g e r : keine Mitteilung d. 231. Spruchliste 54; — Auslosung u. AbW e i g e r u n g : d. Geschw.-Funktion lehnung d. Geschw. 70; — Verzicht 50, 60, 61, 77. auf Neubildung d. Geschw.-bank 79 ; W e i g e r u n g s g r ü n d e : Geschw. 57, — Beeidigung d. Jury 81; — Be64; — Schöffen 674, 675. stellung im Zwischenverfahren 102; W i d e r r u f : bei fahrl. Falscheide 17: — Fragestellung 335; — Mehrheit — d. Erklärung über Annahme od. v. V. 572; — Stellung neben dem Ablehnung v. Geschw. 70; — d. ErAngekl. 572, 634. klärung über Beibehaltung d. GeVerwandtschaft: als Strafausschworenenbank 80. schliefsungsgrund 13. W i d e r s p r u c h : d. Angekl. gegen V e r z i c h t : auf Geltendmachung von Erklärungen d. Verteidigers über A blehnungs- od. Weigerungsgründen 49, 52, 60; — Auslosung d. Urteils- I Geschw.-ablehnung 70. geschworenen 66 A 11; — V. auf W i e d e r a u f n a h m e : schöffg. Sachen Neubildung d. Geschworenenbank 79. ! 683. V o r s a t z : Begriffliches 9 A 9; — Nebenfragen auf fehlenden Vorsatz Z e u g e : Befragung d. d. Geschw. 107. bei fiskalischen Delikten 232, 233. Z u l o s u n g : v. Geschw. 58, 62, 63, V o r s c h l a g s l i s t e : 44, 45, 59. 64, 73, 89. V o r s i t z e n d e r : Funktionen d. StrafZ u r e c h e n b a r k e i t : eines Tatumkammervorsitzenden in schwurger. standes 195. Sachen 43, 92; — Ernennung d. V. Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t : 686. 43; — Auslosung d. Geschw. 67; — Zusammengesetzte EinheitsFunktionen 88 f. ; — Unterbrechung f r a g e : 146 f.; — 153. d. Plaidoyers 565 ; — Zurückweisung Z u s a m m e n g e s e t z t e F r a g e : 230, v. Fragen 661. 231. Voruntersuchung: Wegfall im Zusammengesetztes Verschöffenger. Verfahren 682. b r e c h e n : 120 f. Z u s a t z : zum Verdikt 402 f.; — 458; W a f f e n : Bettel mit W . 12. — 469 f. W a h r s p r u c h : 369f.; — Berichtigung Z u s a t z f r a g e : 183, 192, 324, 346 A 2. u. Aufhebung 100; —Änderung 393; Z u s t e l l u n g : der Spruchliste 53; — — Inhalt 397 f. ; — teilweise VerZ. in schöffeng. Sachen 683. neinung konkreter Momente 400 f.; Z u s t i m m u n g : d. Angekl. z. Ver— Zusätze d. Geschw. 402f., 458, handlung über d. Inzidentklage 642. 469 f. ; — teilweise Verneinung d. Z w e i d r i t t e l m e h r h e i t : 11, 12, 14, Fragen 410 f.; — Form 420 f.; — 15, 16, 17, 20. Kundgebung 421; — rechtl. BedeuZ w i s c h e n v e r f a h r e n : Verteidigertung 432 f.; — Prüfung, Berichtigung bestellung 102; — Z. in schöffeng. u. Äufhebung 436 f. ; — Prüfung d. Sachen 682.

I I . Gesetzesregister.

II.

733

Gesetzesregister.

1. R e i c h s r e c h t . § 228: 75, 82, 85, 86, 338, 460, 507, a. Strafprozefsordnung. 510, 523, 546, 547, 548, 549, 551, 608, 631, 632, 641 A 7, 680, 681, 706, 716, > 4: 545. 720. \ 12: 707, 708, 714. § 230: 92, 452, 558. * 13: 545. § 231: 683 A 8. \ 16: 708, 714. § 237: 67, 90, 92, 93, 94, 107 A 23, 108, 5 18: 708, 714. 379, 562, 571, 573, 583. } 22: 56, 100, 551, 674. § 238: 92. i 23: 375 A 14, 674. § 239: 92, 107, 523, 661; — §§ 239 f.: i 24: 674. 685 A 2. i 27: 683; — §§ 27 f.: 661. § 240: 92, 107, 661. i 28: 678. § 241: 93. 107 A 23, 661. \ 31: 56, 660, 674. § 242: 37 , 107, 565 A 2; — §§ 242 f.: i 32: 56, 551. 548. i 33: 77, 545. § 243: 93, 98, 630, 684, 685, 689, 698. j 34: 333. § 244: 116, 630 A 3, 684, 685, 685 A 2, \ 36: 683. 687, 689φ 691, 692, 693, 696, 697, i 50: 93. 698, 698 A 24. i 51: 594. § 245: 93, 507, 642, 683 A 4, 706, 716. i 53: 687. g 246: 93, 559. , 56 : 594. § 247: 92. , 69: 93. §§ 248 f.: 593. , 77: 93. § 250: 93. t 113: 702. § 255: 604. \ 124: 91. § 257: 92, 572, 598, 603, 634, 636. (127: 702. g 258: 573, 592. , 128: 704, 716. § 259: 350. , 140: 81, 91, 102. § 261: 93. i 141: 91. ί 144: 91. § 262: 6, 10, 11, 12, 14, 15, 17, 18, 136r i 145: 81, 591. 175, 176, 188, 195, 198, 199, 205, 250, ί 147: 91. 251, 355, 390, 480, 619, 620, 663. , 151: 707. § 263: 33, 109, 113, 164, 180, 294,363. ,153: 699. § 264: 93, 108, 109, 110, 111, 112, 162, ι 154: 707. 222, 223, 264 A 29, 294, 294 A 44, ! 176: 682. 642, 705, 706, 715. I 177: 256. § 265: 40, 229, 319, 340, 341, 345, 639f., ί 196: 210. 683, 702, 715 A 21. t 198: 256, 682, 705. § 266: 198, 199, 225,261,354,512,513. , 199: 683, 683 A 4. 635, 636. 201: 713. § 267: 93, 631, 632, 681. 205: 107, 108, 256. § 268: 536. 207: 719. § 270: 353, 629, 683, 686 A 4, 713, 719, 209: 704. 719 A 7. t 211: 682, 699, 700, 717, 718, 719 A § 271: 93. 8, 721. § 273: 334, 571, 600, 683. 212: 91, 680. § 274: 85, 430, 600, 679, 687. 214: 109; — §§ 214f.: 91. 275: 661, 662 A 30. 215: 102. 276: 104, 639. 216: 109, 715. 277: 53, 91, 100. 217: 91. 278: 104. 218: 91. 279: 47, 49, 55, 56, 61, 89, 90, 91, 551. 220: 91, 697. § 280: 46, 47, 51, 53, 54, 58, 62, 63, : 221: 683 A 4, 706, 716. 64, 65, 89, 90. § 222 f.: 92. § 281: 66, 67. 225: 81, 104, 523, 591. § 282: 66, 69. 227: 85, 86, 92, 93, 106. § 283: 66, 70.

734

Register. : 66, 70. : 66, 75, 78. : 66, 79, 382, 666. : 66, 75, 546. : 81, 83, 84, 370, 524. : 104. : 93, 110, 268, 329, 330, 331, 332, , 420, 460. : 94, 268, 329, 331, 332, 333, 339, , 342, 343, 355, 361, 413, 420, 460, , 507. : 38, 118, 128, 200, 267, 323. : 6, 38, 119, 143, 146, 169, 226, , 256, 262 Α 22, 267, 271, 413. : 35, 38, 138, 157, 161 Α 2, 169, , 173, 174, 175, 176, 178, 180, 182, Α 12, 267, 292, 296, 323, 351, , 355. : 10, 16, 19 Α 25, 20,169, 169 Α 6, , 183, 185, 188,193, 198, 208, 212, , 361, 620. : 34, 38, 39, 122, 138, 179, 190, , 204, 207, 208, 212, 216, 251, 293, , 300, 306, 314, 332, 333, 341, 342, , 346, 347, 349f., 351, 355, 361, , 363, 365, 504. : 20, 182, 208, 214, 215, 222, 224, , 251, 341, 361, 390, 405. : 14, 182, 183, 201, 203, 333, 349, • 599. : 93, 115, 571, 580, 582, 592, 600. : 93, 268, 343, 372, 375, 386, 420, , 505, 591. : 94, 376, 377 Α 16, 378, 379. ί: 94, 372, 592. : 74, 98, 381. : 110, 129, 397, 400, 467, 476. : 93,98,337,339,397,450,586,591. : 98, 250, 269, 367, 386, 390, 398, , 415, 443, 451, 463, 467 468, 480, , 561. : 93 , 98 , 386, 422, 424, 426, 428, , 450, 529, 560. : 222, 433, 438, 442, 443, 452, 456, , 511, 514; - §§ 309f.: 94, 100. : 337, 438, 468, 587. : 337, 339, 343, 394, 405ÎA 15, , 442 A 2, 449, 460, 502, 504, 526, , 584, 587, 645. : 451, 470, 502, 527. : 93, 406, 421, 424, 432, 444, 558. , 561, 561 Α 16. : 351, 522. : 631. : 432, 513, 514, 614, 636. : 27, 94, 100, 349, 367, 433, 434, , 438, 443, 444, 455, 456, 459, 482, , 523, 530, 531, 532, 533, 534, 538, , 542, 543, 549, 550, 551, 552, 553, . 686 Α 6.

§ 319: 683 Α 8. § 321: 64θ.| S 325: 600 Α 27. § 327: 600 Α 27, 630. § 332: 683. § 340: 536. § 344: 563 Α 20, 600 Α 27. § 347: 551. §§ 354f.: 683. § 355: 662 Α 30. § 357: 662 Α 30. § 360 : 238. § 367: 238. § 369: 662 Α 30, 667, 718, 718 Α 6. § 375: 59. § 376: 76 Α 32. § 377: 45, 57, 58, 59, 62, 64, 66, 69, 72, 73, 76, 85, 104, 421 Α 4, 455, 471, 558, 591, 606, 608, 662 Α 30, 667, 674, 678. § 379: 72, 455, 510, 519. § 381: 637 Α 25. § 383: 637 Α 25. § 385: 637 Α 25. § 393: 519, 548, 556, 611. § 394: 522, 522 Α 10, 523, 525. 397: 511, 511 Α 32, 513, 518. 398: 519 Α 6. 399: 683. 437: 69. 477: 660. 483: 662 Α 30, 683. 499: 633. 500: 537. b. Strafgesetzbuch. § 1: 126 A 8. § 2: 155, 156, 177. § 4: 18, 155, 158, 159, 161, 173, 231, 625. § 5: 18, 159 A 4., § 11: 13. § 12: 13, 15. § 20: 185, 186. § 37: 118. § 43: 239, 240, 312 A 3, 315. § 44: 300. 8 46: 18, 208, 317. § 48: 296. § 49: 238, 241. § 50: 131. § 52: 13, 235. § 53: 13, 196. § 56: 200, 205, 206, 207, 208, 225, 536, 633. § 57: 205, 208, 215. § 58; 200, 202, 204, 205, 225. § 59: 309. § 67: 355. § 73: 177.

II. Gesetzesregister. 75: 544. 77: 544. 79: 544. § 80f.: 300. 81: 153. 239, 278 A 10: - §§ 81 f.: 278 A 11. I 82: 236, 239. ί 83: 236, 239. ί 85: 236. ι 86: 236. ί 90: 278 A 10. 92: 274, 278 A 10. 94: 215; — §§ 94f.: 310. 96: 215. 98: 239. 99: 239. t 100: 239. ι 101: 239. ι 102: 625, 636. ι 103: 625, 636. 105: 280 A 16, 283 A 20, 283 A 21, 310. 106: 273, 280, 500. 107: 273, 500. 109: 280 A 16. 110: 280 A 16, 283 A 23. 111: 245, 273, 274. 499. 113: 236, 280 A 15. 114: 236, 310. 115: 235, 236, 247. 116: 235, 313. 117: 236, 280 A 15, 290 A 40, 291 A 40, 499. 118: 234 A 13. 119: 125, 193. 121: 125. 122: 235. 123: 125, 290 A 40, 291 A 40. 124: 235. 125 : 235. 126: 273, 499. 130: 241. 130 a: 279 A 14, 280 A 15, 280 A 16, 283 A 22. 132: 280 A 16. 133: 144, 291 A 40. 138: 279 A 14. 139: 233, 234, 273, 499, 621. § 140: 279 A 14. 141: 279 A 14. 142: 279 A 14. 145: 237, 621. 145 a: 26. 146: 272,' 278 A 11, 279 A 14,280 A15. 147: 241, 280 A 15. 149: 239. 150 ! 271,' 279 A 14, 280 A 15. 154: 142, 244, 316. 155: 239. 157: 19, 19 A 26, 126, 139, 142, 169, 171, 214, 273, 317, 500.

735

158: 19, 169, 171, 209 A 3, 213, 317. 159: 280 A 14. 160: 280 A 14, 492 A 51. 163: 17, 39, 208, 210, 236, 248, 280 A 14, 317. 164: 273, 500. 166: 278 A 11. 279 A 14, 280 A 15. 167: 280 A 15. 168: 278 A 11, 280 A 15, 302 A 62. 169: 272. 170: 279 A 14. 171: 279 A 14. 173: 14, 15, 354 A 23, 610, 686. 174: 272, 278 A 10, 280 A 15. 176: 278 A 10, 280 A 15, 402. 177: 280 A 15. 181: 219, 272. 181a: 225 A 2, 259, 280 A 15, 288 A 36, 290 A 40, 291 A 40. \ 184: 279 A 14. } 184 a: 239. > 184 b: 599. } 185: 260. i 186: 193, 233, 254 A 5, 260, 290 A 40. i 187: 123, 193, 254 A 5, 260, 278 A 11, 280 A 15, 290 A 40. 291 A 40. i 190: 262 A 22. i 192: 239. ; 193: 13. i 195: 259. ? 196: 260. i 199: 16, 197, 199, 248. i 200: 193, 260. i 201: 153, 236, 279 A 14. i 202: 288 A 36, 326. , 204: 17, 208, 209, 213, 248, 304, 325. ί 205: 153, 236. , 206: 153, 325. , 207: 154, 245. ι 208: 193. : 209: 17, 208, 212 A 8, 304, 317, 326. ,210: 233. ί 211: 311. ,212: 142, 243, 250, 325. , 213: 34, 125, 139, 142, 184, 235, 249, 250, 287 A 34, 288 A 36, 325, 357. , 214: 123 A 4, 273, 274, 288 A 36, 499. , 215: 142, 236, 325. , 216: 175, 180. 218: 125, 167, 236, 276, 280 A 15. • 219: 124, 236. 220: 167, 168, 236, 285. 221: 234, 240, 280 A 15, 291 A 40. 222: 193, 288 A 36. 223 : 280 A 16. 223 a: 125, 220, 290 A 40, 629. 224: 141, 234, 287 A 33, 288 A 36, 291. 225: 141. 226: 313.

736 § § § § § § § §

Register.

227: 234, 243, 313. 229: 234, 272, 308, 407. 230: 193, 234 A 13, 260, 288 A 36. 232: 260. 233: 16, 20, 199, 200, 248. 234: 283 A 21. 235: 241, 287 A 34, 288 A 36. 239: 234, 290 A 40, 291 A 41, 316, 498. § 240: 124, 273, 316, 500. § 241: 273, 500. § 242: 222. § 243: 195, 235, 247, 272, 274, 280 A 15, 280 A 16, 287 A 31, 287 A 33, 287 A 35, 288 A 36, 290 A 40, 308, 309, 320, 325. § 244: 222. § 246: 285. § 247: 15, 260, 356, 493, 494, 624. § 249: 216, 247, 285. § 250: 139, 195, 216, 235, 287 A 35, 288 A 36, 290 A 40, 291, 309, 314. 315 320 325 § 251': 139, 195* 220, 234, 247, 290 A 40, 310, 313. § 252: 281. § 253: 197, 247. § 254: 235, 247, 288 A 36, 313. δ 255: 313 § 257 · 15, ' 144, 244, 273, 274, 280 A 16, 291 A 40, 356, 499. 624. § 258: 247. § 259: 247, 272, 273, 284, 295, 308, 500. § 260: 123, 173, 247, 290 A 40, 291 A 40. § 261: 291 A 40, 627. § 263: 221, 260. § 264: 221. g 265: 142, 235, 280 A 15. § 266: 193, 247, 280 A 15, 280 A 16, 291 A 40. § 267: 144,'235, 278, 281, 310. § 268: 235, 247, 287 A 34, 288 A 36. 269: 239, 278, 281, 310. 270: 37, 236, 281. 271: 235. 272: 288 A 36. 273: 236, 288 A 36. 274: 279 A 14, 280 A 16, 283 A 21, 302. 275: 280 A 15. 276: 280 A 15. 277: 236. 279: 236. 284: 173, 628 A 34. 285: 280 A 16, 283 A 23. 290: 243. 292: 254, 260. 293: 125, 193, 274, 290 A 40. , 294: 173, 247. 296: 290 A 40. 296 a: 243.

à 298: 285. i 299: 124. ί 301: 241, 272, 308. S 302: 280 A 15, 621. I 302 a: 156, 247. 5 302b: 242, 247, 290 A 40, 621. a 302 c: 247. 1 302 d: 173, 247, 290 A 40. i 302 e: 173. i 303: 302. 305: 302. I 306: 142, 218. j 307: 248, 274, 288 A 36, 291 A 40, 320. J 308: 236, 241, 274, 280 A 15. 309: 236, 280 A 14, 320. 310: 17,18,19 A 25, 208, 209 A 4, 412. Î 311: 239. 312: 320. \ 313: 184. j 314: 320. j 315: 234, 271, 280 A 15, 291 A 40, 291 A 41, 320. 5 316: 241, 291 A 40, 320. ? 321: 280 A 15, 291 A 40, 291 A 41, 320. } 322: 280 A 15, 291 A 40, 291 A 41, 320. i 323: 320. 291 Α 40, 320. \ 324: 280 A 15, ___ i 326: 233, 280 ^ A* 14 291 Α 40, 320. ί 327: 237, 320. ί 328: 237, 320. i 329: 233. , 331: 125. ι 332: 124. : 334: 280 Α 15. 336: 661. 339: 261. 340: 220, 288 Α 36. 343: 124. 346: 144. 347: 124. 349: 144, 288 Α 36. 350: 234. 351: 291 Α 40. 353: 280 Α 15. 353 a: 280 Α 15. 354: 124, 236, 243, 318. 356: 272, 313. 357: 271. 359: 234. 360: 237, 242, 243, 274, 279 Α 14, 280 Α 15. 361: 118 Α 4, 173, 279 Α 14, 280 Α 15, 301. 362: 12, 291 Α 40, 628. 363: 274, 279 Α 14, 280 Α 15. 364: 280 Α 15. 365: 280 Α 15. 366: 280 Α 15, 301.

I I . Gesetzesregister. § 367: 301, g 368: § 369: § 370: 356,

242, 243, 279 A 14, 280 A 15, 302 A 62. 279 A 14, 280 A 15. 243, 279 A 14, 280 A 15. 15, 242, 280 A 15, 287 A 31, 624.

c. Sonstige Reichsgesetze

(einschliefslich der Gesetze dee Norddeutschen Bundes).

12. Okt. 1867 : Ges., betr. die Erhebung einer Abgabe von Salz. § 13: 232. 8. Juli 1868 : Ges., betr. die Besteuerung des Branntweins usw. § 67: 11 A 14. I. Juli 1869: Vereinszollgesetz. §§ 134f.: 233. S 137: 232, 232 A 11, 233. § 153: 232, 232 A 10. I I . Juni 1870: Ges., betr. das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen usw. § 18: 302, 311. § 20: 302, 311. 16. April 1871: Ges., betr. die Verfassung des Deutschen Reiches. Art. 22: 13, 15. Art. 30: 13. Art. 31: 102. 8. Juni 1871: Ges., betr. die Inhaberpapiere mit Prämien.

§ 6: 26.

31. Mai 1872: Ges. wegen Erhebung der Brausteuer. § 37: 11 A 14. 7. Mai 1874: Ges. über die Presse. § 11: 660. § 19: 660. § 21: 118 A 4. 6. Februar 1875: Ges., betr. die Beurkundung des Personenstandes und der Ehescnliefsung. § 67: 13. § 68: 279 A 14. 14. März 1875: Bankgesetz. § 55: 26. 9. Jan. 1876: Ges., betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste. § 16: 302. 10. Jan. 1876: Ges., betr. den Schutz der Photographien gegen unbefugte Nachbildung. § 9: 302. 11. Jan. 1876: Ges., betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen. § 14: 302. B i n d i n g , Handbuch I X . 4, I I I :

27.

ff

737 jggg : Gerichtsverfassungsges.

δ 10: 668.

§ 22: 668.

§ § § § § § § g g g g g g g g g g g g g g g g g

25: 658. 30: 659, 660, 661, 680, 703. 31: 44. 32: 44. 33: 44, 47, 50, 60, 674, 675. 34: 44, 47, 50, 60, 674, 675. 35: 44, 49, 60, 674, 675. 36: 668. 40: 44, 668, 669. 41: 44, 669. 42: 44, 670, 676, 677, 677 A 4. 43: 670. 44: 670. 45: 672. ' 46: 674 47: 673, 676, 680. 48: 670, 672, 717, 718. 49: 670, 676, 677. 50: 666, 679, 680. 51: 678, 679. 52: 671, 674, 675, 678. 53: 49, 675, 678. 54: 676, 680. 56: 61, 105, 381, 384, 426, 455, 515, 516, 517, 663. g 64: 88. g 69 : 43. g 73: 525. g 79: 666. g 80: 525. g 81: 6, 367, 523, 524, 620. g 82: 92, 525. g 83: 43, 81, 92, 524. g 86: 45. g 87: 44. g 89: 45, 46, 47, 54; — gg 89f.: 89. g 91: 46, 50, 54, 60, 64. g 92: 46. g 93: 48, 55, 89. g 94: 46, 48, 51, 53, 54, 57, 58, 59, 60, 62, 89, 90. § 95: 87. g 96: 61, 90, 105, 381, 384, 385, 389, 426, 455, 515, 516, 517. g 97: 51, 60, 675. g 98: 45. g 177: 92. g 178: 93, 558; — gg 178 f.: 661. g 179: 93, 374 A 10. g 180: 93. g 187: 331. g 188: 331. g 194: 75, 91, 670. g 196: 92, 98, 383, 388, 390, 453. g 197: 388. g 199: 66, 389, 665.

G l a s e r - O e t k e r , Strafprozefs I I I .

47

738

Register.

27. Jan. 1877 ~ . , t ,. 17. Mai 1 8 9 8 =gencht8verfa38ungsges. (Fortsetzung) : § 200: 85, 383, 388, 390, 397, 447, 453, 517, 588. 10. Febr. 1877 __ . Ϊ Ο Ϊ 5 Γ Ί 8 9 8 : Konkursordnung. § 239: 153, 237, 274, 275, 278 A 10, 279 A 14, 280 A 15, 298 A 53, 302, 303, 308, 478; - §§ 239f.: 233 § 240*: 237, 274, 278 A 10, 279 A 14, 280 A 15, 308. § 241: 308. § 242: 235 A 15, 236 A 17. 3. Juli 1878: [Ges., betr. den Spielkartenstempel. § 16: 279 A 14. 29*. J i m i 1887: G e * ' b e t r ' d e n V e d t mit Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen. § 16: 193 A 17. 16. J u l i 1879 : Ges., betr. d. Besteuerung des Tabaks. § 34: 232. § 40: 279 A 14. 20. J u l i 1879: Ges., betr. die Statistik des Warenverkehrs des deutschen Zollgebiets mit dem Auslande. § 17: 279 A 14. 23. Juni 1880: Ges., betr. die Abwehr u. Unterdrückung von Viehseuchen. § 65: 279 A 14. § 66: 279 A 14. 3. Juli 1883: Ges., betr. die Abwehr u. Unterdrückung d. Reblauskrankheit. § 12: 279 A 14. 9. Juni 1884: Ges. gegen d. verbrech, u. gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen. § 10: 285. 26. Mai 1885: Ges., betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung. § 2: 278 A 14. 16. Juni 1895: Ges., betr. d.Besteuerung des Branntweins. Art. 26: 279 A 14. 25. Juni 1887 : Ges., betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen. § 4: 279 A 14.

e

5. Juli 1887 : Ges., betr. die Verwendung gesundheitsschädl. Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen. § 12: 279 A 14. 5. A p r i l 1888:.Ges., betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen. Art. 3: 599. 7. A p r i l 1891 : Patentgesetz. § 36: 307. 1. Juni 1891 : Ges., betr. den Schutz von Gebrauchsmustern. § 10: 307. 19. Juni 1893: Ges., betr. Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher. Art 4: 13. 3. J u l i 1893: Ges. gegen den Verrat h r militärischer Geheimnisse (Spionagegesetz). § 5: 17, 208. 28. Juli 1895 : Ges., betr. die Bestrafung des Sklavenraubes u. des Sklavenhandels. § 1: 125. 27. Mai 1896: Ges. zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes. § 13: 193 A 17. 27. Mai 1896: Zuckersteuergesetz. * § 46 : 232. § 52: 279 A 14. 5. J u l i 1896: Ges., betr. die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere (Depôtgesetz). § 11: 123, 348, 362 A 44. 10. Mai 1897: Handelsgesetzbuch. § 82: 279 A 34. § 853: 235. 15. Juni 1897 : Ges., betr. den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz u. deren Ersatzmitteln (Margarinegesetz). § 20: 193 A 17. 17. Mai 1898 : Ges. über d. Angelegen20. Mai 1898' heiten der freiwill. Gerichtsbarkeit. § 35: 92 A 5. § 72: 92 A 5. 1. Dezbr. 1898: Militärstrafgerichtsordnung. § 299: 695 A 20. 22. Juni 1899: Ges., betr. das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe.

§ 20: 12.

13. Juli 1899 : Invalidenversicherungsgesetz. § 184: 144.

I I . Gesetzesregister. 24. Mai 1901: Ges., betr. den Verkehr mit W e i n , weinhaltigen und weinähnlichen Getränken. § 19: 193 A 17. 9. Mai 1902: Schaumweinsteuergesetz. § 16: 232. 8 19: 279 A 14. § 20: 232.

739

30. März 1903 : Ges., betr. Kinderarbeit in gewerbl. Betrieben. §§ 23 f.: 279 A 14. 14. Juli 1904: Ges., betr. dieEntschäd. f. unschuldig erlitt.Untersuchungshaft. § 1: 623. § 2: 623. § 4: 623, 633.

2 . Gesetze d e r B u n d e s s t a a t e n · Baden. Gesetz vorn 5. Februar 1851, die Einführung ... des neuen Strafverfahrens und der Schwurgerichte betr. §§ 25 f.: 711 A 14. § 88: 102. § 91: 564 A 2. S 93: 96 A 10. § 94: 96 A 10. § 96: 7, 28 A 45, 85 A 56, 187 A 10. § 97: 377 A 16, 378 A 18. § 99: 389 A 7, 398 A 3, 421 A 3. § 100: 422 A 5, 463 A 4. § 101: 617 A 9.

Strafproz efsgesetz vom 10. Nov. 1848. Art. 110: 374 A 10. Art. 117: 102. Art. 118: 102. Art. 141: 96 A 10. Art. 170: 564 A 2. Art. 171: 85 A 56, 580 A 10. Art. 172: 328 A 2. Art. 173: 7, 225 A 2, 267 A 3. Art. 174: 160 A 2, 166 A 2. Art. 175: 160 A 2. Art. 176: 185 A 5. Art. 177: 192 A 15; — Art. 177f.: 10.

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

'

178: 179: 180: 181: 191: 193: 394: 196: 197: 198: 199: 201: 202: 212:

192 A 15. 328 A 2. Strafprozefsordnung vom 18. März 1864. 376 A 15. 8 230: 96 A 10. 374 A 10. 8 231: 96 A 10. 267 A 2, 397 A 1. § 274: 564 A 2. 398 A 3. 8 276: 28 A 45, 85 A 56, 328 A 2, 421 A 5, 428 A 21. 580 A 10. 463 A 4. § 277: 346 A 2. | 561 A 16. 8 278: 9, 258, 346 A 2. ! 617 A 9. 8 279: 10, 11 A 15, 17 A 20, 185, ! 633 A 16. 187, 346 A 2. ! 635 A 20. § 280: 346 A 2. j 620 A 16. 8 281: ™ 377 A 16, 378 A 18. 536 A 11, 538 A 19. 8 282: 374 A i o . i § 283: 592 A Braunschweig. 8 284: 389 A 3. 7, 397 A 1. A 8 285: 392 Strafprozefsordnung vom 22. Aug. 1849. 8 286: 267 A 10j 398 A 3. 8 71: 711 A 14. 2, 398 A 3, 421 A 3, 466 A 10. § 72: 711 A 14. 8 287: 394 A 11, 422 A 5, 428 A 21, 8 91: 114 A 41. 430 A 26. 8 92: 114 A 41. 8 288: 527 A 21. § 101: 102. 8 289: 561 A 16. 8 134: 615 A 5. 8 290: 617 A 9. 3 136: 328 A 2, 564 A 2. 8 292: 620 A 16. 8 137: 328 A 2, 564 A 2. 8 293: 535 A 11, 538 A 19, 551 A 6, 8 138: 580 A 10. 553 A 9 8 139: 328 A 2. Beil. I I 8 15: 660 A 27. 8 140: 7. 192 A 15, 267 A 2 und A 3, 346 A 2, 416. 8 141: 377 A 15. Bayern. 8 142: 390 A 9, 421 A 3. Strafgesetzbuch vom 16. Mai 1813. 8 143: 374 A 10, 390 A 9. I. Art. 96 : 637 A 26. 8 144: 394 A 11. I I . Art. 366: 441 A 1. 8 145: 428 A 21. 47 *

Register.

740

Strafprozefsordnung vom 22. Aug. 1849 (Fortsetzung) : § 146: 422 A 5, 535 A 11, 538 A 19, 550 A 1. § 147: 463 A 4, 505 A 16. 148: 561 A 16. 150: 617 A 9. 151: 631 A 7. kt. 1858: „Neue Redaktion der StPO". § 140: 416. § 144: 394 A 11.

J

Bremen· Revidierte Strafprozefsordnung vom 26. Dezember 1870. § 12: 651. § 20: 651. § 225: 635 A 20. § 474: 564 A 2. § 480: 9, 258 A 15, 267 A 3. § 481: 160 A 2, 166 A 2. g 483: 113 A 38. § 485: 113 A 38. g 486: 10, 192 A 15. § 488: 363 A 47. § 489: 206 A 10. § 491: 11 A 15, 17 A 20. § 492: 267 A 2. § 494: 323 A 1. § 495: 580 A 10. 8 499: 377 A 15. § 501: 374 A 10. § 502: 374 A 10, 382 A 6. g 504: 398 A 2. § 505: 397 A 1, 402 A 8. § 506: 402 A 8. g 508: 466 A 10. § 509: 398 A 3. Λ 510: 592 A 3. 513: 421 A 5, 428 A 21. 515: 463 A 4, 527 A 21. 516: 538 A 19. 517: 535 A 11. 519: 543 A 29. 520: 561 A 16. § 521: 617 A 9. § 524: 634 A 16.

§ 526: 620 A 16.

gg 530 f. : 615 A 5. §§ 556 f.: 711 A 14. § 561: 711 A 14, 717 A 2. Anl. I I § 17: 665 A 34. Anl. I I § 19: 660 A 27. Frankfurt am Main. Gesetz über das Verfahren in Strafsachen, vom 15. Mai 1856. Art. 207: 85 A 56, 375 A 10. Art. 226: 564 A 2.

Gesetz über das Verfahren in Strafsachen v. 15. Mai 1856 (Fortsetzung). Art. 229: 577 A 3, 580 A 10. Art. 232: 267 A 3. Art. 236: 160 A 2. Art. 237: 206 A 10. Art, 238: 11 A 15. Art. 239: 113 A 38. Art. 241: 377 A 15. Art. 244: 374 A 10. Art, 245: 28 A 45. Art. 249: 466 A 10. Art. 250: 398. Art. 251: 422 A 5, 428 A 21. Art. 252: 463 A 4. Art. 253: 535 A 11, 538 A 19. Art. 254: 430 A 26. Art. 256: 561 A 16. Art. 257: 617 A 9. Art. 258: 633 A 16. Art. 259: 620 A 16. Art. 261: 637 A 26, 638. Art. 262f.: 615 A 5. Art. 263: 615 A 5. Hamburg. Strafprozefsordnung vom 30. A p r i l 1869. § 138: 355 A 24, 620 A 16. S 205: 615 A 5. g 206: 355 A 24, 620 A 16. g 207: 105 A 14. g 209: 564 A 2. I 211: 10, 160 A 2, 169 A 7, 185 A 5, 187 A 10, 189 A 12, 192 A 15, 215 A 3, 267 A 2 und 3, 346 A 2. § 212: 580 A 10. § 213: 377 A 15. § 215: 592 A 3. § 216: 374 A 10. § 217: 397 A 1, 402 A 8. g 218: 392 A 10, 398 A 3. g 219: 422 A 5, 428 A 21. g 220: 463 A 4. § 221: 622 A 19. g 222: 535 A 11, 539 A 19, 543 A 29. § 223: 561 A 16. 8 224: 617 A 9. g 225: 634 A 16. g 226: 635 A 20, gg 232 f.: 711 A 14. I 233: 711 A 14. Hannover. Strafgesetzbuch vom 8. August 1840. Art. 97: 637 A 26. Gesetz über die Gerichtsverfassung vom 8. November 1850. g 33: 651. g 2: 651.

I.

Gesetzesregister.

Strafprozefsordnung vom 8. November 1850. § 3: 651. g 136: 96 A 10. § 175: 102. § 187: 564 A 2, 604 A 34. § 188: 8, 11 A 15, 166 A 2, 169 A 7, 185 A 5, 187 A 10, 192 A 15, 215 A 3, 267 A 3. § 189: 28 A 45, 85 A 56, 374 A 10, 377 A 15, 382 A 4, 392 A 10, 398 A 3, 421 A 3. § 191: 421 A 5. § 192: 463 A 4. § 193: 535 A 11. § 195: 617 A 9. § 219: 524 A 15. Revidierte Strafprozefsordnung vom 5. April 1859. § 143: 96 A 10. g 181: 102. § 193: 564 A 2, 577 A 3, 580 A 10, 604 A 34. § 194: 8, 10, 11 A 15, 17 A 20, 160 A 2, 166 A 2, 169 A 7, 185 A 5, 187 A 10, 192 A 15, 215 A 3 267 A 3. § 195: 28 A 45,' 85 A 56, 267 A 2, 374 A 10, 377 A 15, 382 A 4, 382 A 7, 388 A 3, 392 A 10, 398 A 3, 421 A 3. § 196: 397 A 1, 591 A 3. § 197: 421 A 5, 428 A 21. § 198: 463 A 4. § 199: 535 A 11, 538 A 19, 543 A 29 § 200: 561 A 16. § 201: 617 A 9, 620 A 16, 635 A 20. §§ 206 f.: 711 A 14. § 227: 524. Hessen-Darmstadt. Strafprozefsgesetz v. 28. Oktober 1848. Art. 22?.: 96 A 10. Art. I l l f.: 102. Art. 119 f.: 102. Art. 133: 566 A 6. Art. 162: 564 A 2, 574 A 29. Art. 163: 577 A 3. Art. 164: 7. Art. 165: 7, 187 A 10, 189 A 12, 267 A 3 Art. 167: 192 A 15, 193 A l6. Art. 168: 192 A 15, 193 A 16. Art. 169: 206 A 10. Art. 172: 11 A 15. Art. 173: 377 A 15, 398 A 3. Art. 174: 28 A 45. Art. 175: 374 A 10. Art. 180: 392 A 10.

741

Strafprozefsgesetz v. 28. Oktober 1848 (Fortsetzung). Art. 181: 421 A 5. Art. 183: 466 A 10. Art. 185: 622 A 19. Art. 186: 463 A 4. Art. 189: 617 A 9. Art. 193: 633 A 16. Art. 194: 620 A 16. Art. 196: 185 A 5. Art. 198: 635 A 20. Art. 204: 637 A 26. Art. 280: 524 A 15. Strafprozefsordnung v. 13. Sept. 1865. Art. 240: 711 A 14. Art. 297: 96 A 19. · Art. 340 f.: 102. Art. 358: 564 A. 2. Art. 359: 577 A 3, 580 A 10. Art. 362: 9, 258 A 15. Art. 363 f. : 10. Art. 364: 187 A 10, 189 A 12, 267 A 3. Art. 365: 206 A 10. Art. 366: 192 A 15, 193 A 16. Art. 367: 192 A 15, 193 A 16. Art. 368: 160 A 2. Art. 369 f.: 160 A 2. Art. 371: 11 A 15. Art. 372: 377 A 15, 398 A 3. Art. 373: 374 A 10. Art. 374: 28 A 45. Art. 375: 388 A 3, 398 A 2. Art. 378: 392 A 10. Art. 379: 466 A 10. Art. 380: 591 A 3. Art. 382: 421 A 5, 428 A 21. Art. 383: 463 A 4, 527 A 21. Art. 384: 622 A 19. Art. 385: 536 A 11, 538 A 19, 543 A 29. Art. 386: 561 A 16. Art. 387: 617 A 9. Art. 388 : 633 A 16. Art. 389: 635 A 20. Art. 390: 620 A 16. Art. 412: 711 A 14. Hessen-Hornburg. Gesetz, die Einführung von Geschworenengerichten betr., vom 15. Oktober 1850. Art. 123: 574 A 29. Art. 146: 466 A 10. Art. 148: 622 A 19. Art. 157: 620 A 16. Art. 161: 635 A 20. Gesetz vom 21. März 1851, Nichtigkeitsbeschw. gegen Erkenntnisse d. Assisenhöfe betr. Art. 5: 524 A 15.

Register.

742 Kurhessen·

Gesetz vom 31. Oktober 1848, die Umbildung des Strafverfahrens betr. § 295: 374 A 10. §§ 313 f.: 564 A 2. § 315: 577 A 3. § 316: m A 34. § 317: 6. § 318: 6, 192 A 15. § 321: 377 A 16, 378 A 18. § 324: 7 A 6. § 325: 267 A 2, 398 A 3, 421 A 3. g 326: 374 A 10, 592 A 3. § 328: 393 A 11. § 329: 421 A 5. § 330: 463 A 4, 505 A 16. § 334: 617 A 9. 335: 631 A 7. 336: 536 A 11, 543 A 29, 553 A 9. § 337: 637 A 26. Gesetz vom 28. Oktober 1863, das Strafverfahren betr. §§ 120f.: 711 A 14. § 152: 374 A 10. § 155: 105 A 14. § 157: 564 A 2. § 158: 577 A 3, 604 A 34. § 159: 6, 267 A 2. § 162: 374 A 10, 377 A 16, 378 A 18, 592 A 3. § 163: 7 A 6, 388 A 3, 394 A 11, 398 A 3, 421 A 3. § 164: 422 A 5, 428 A 21, 430 A 26, 463 A 4, 505 A 16, 527 A 21, 561 A 16. § 165: 617 A 9, 620 A 16. § 166: 536 A 11, 538 A 19, 543 A 29, 553 A 9. GVG. vom 28. Oktober 1863. § 5 u. A I : 651. Koburg-Gotha. Strafprozefsordnung vom 21. Septbr. 1857. Art. 282: 615 A 5. Nassau. Gesetz vom 14. A p r i l 1849. Art. 183: 463 A 4, 505 A 16. Oldenburg. Strafprozefsordnung vom 2. November 1857. Art. 8: 651, 660 A 26. Art. 263: 96 A 10. Art. 314: 375 A 10. Art. 319: 564 A 2. Art. 320: 577 A 3, 580 A 10. Art. 321: 604 A 34. Art. 322: 328 A 2.

Strafprozefsordnung vom 2. November 1857 (Fortsetzung): Art. 324: 9, 258 A 15, 267 A 3. Art. 325 f.: 10, 160 A 2, 166 A 2. Art, 326: 113 A 38. Art. 327: 187 A 10, 206 A 10, 214 A 1, 363 A 47. Art. 328: 185 A 5. Art. 330: 267 A 2, 323 A 1. Art. 331: 11, 17 A 20. Art. 332: 377 A 15. Art. 333: 374 A 10. Art. 334: 28 A 45, 382 A 6. Art. 335: 397 A 1, 398 A 2, 402

A 8.

Art. 337: 466 A 10. Art. 338: 398 A 3. Art. 339: 591 A 3. Art. 341: 421 A 5, 428 A 21. Art. 342: 463 A 4, 527 A 21. Art. 343: 535 A 11, 538 A 19, 543 A 29 Art. 344: 561 A 16, 617 A 19. Art. 346: 633 A 16. Art. 347: 635 A 20. Art. 348: 620 A 16. Anl. I Art. 16: 661 A 28. Anl. I Art. 18: 665 A 34. Anl. I Art. 20: 660 A 27. Preufsen. Kriminalordnung vom 11. Dezember 1805. § 508: 441 A 1. § 512: 441 A 1. Verordnung vom 3. Januar 1849 über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen. §§ 29f.: 711 A 14. g 118: 617 A 9. § 121: 633 A 17. § 122: 635 A 20. § 125: 620 A 16. Gesetz vom 3. Mai 1852, betr. die Zusätze zu der Verordnung vom 3. Jan. 1849 Art. 30: 113 A 38. Art. 68: 82 A 51. Art. 73: 85. Art. 75: 615 A 5. Art. 79: 328 A 2, 564 A 2, 577 A 3, 580 A 10. Art. 80: 192 A 15, 267 A 2, 379 A 1. Art. 81: 8, 187 A 10, 267 A 3, 318. Art. 82: 8. Art. 83: 206 A 10. Art. 84: 10, 214 A 1, 363 A 47.

I I . G-esetzesregister. Gesetz vom 3. Mai 1852 usw. (Fortsetzung): Art. 86: 113 A 38, 160 A 2. Art. 87: 328 A 2, 347 A 6. Art. 88: 377 A 15. Art. 89: 382 A 6. Art. 90: 374 A 10. Art. 91: 398 A 2. Art. 92: 352 A 10. Art. 94: 591 A 3. Art. 95: 28 A 45. Art, 96: 421 A 5, 463 Α. 4. Art. 97:443 A 7, 527 A 21, 528 A 25. Art. 98: 622 A 19. Art. 99: 535 A 11, 538 A 19, 543 A 29, 553 A 9. Art. 100: 561 A 16. Art. 112: 428 A 21. Art. 113: 398 A 3. Strafprozefsordnung vom 25. Juni 1867. § 10: 82 A 51. § 12: 652. ξ 57: 545 A 33.

743 Sachsen.

Strafprozefsordnung vom 13. August 1855. Art. 358 f.: 711 A 14. Art. 364 f.: 711 A 14. Revidierte Strafprozefsordnung 1. Oktober 1868. Art. 45 a: 653. Art. 253f.: 711 A 14. Art. 268: 102.

vom

Gesetz, das Verfahren in den vor die Geschworenen gewiesenen Untersuchungssachen betr., vom 1. Oktober

1868.

§§ 34 f.: 615 A 5. § 37: 615 A 5. 8 40: 102. 8 50; 328 A 2, 329 A 5. § 54: 258 A 16, 267 A 2, 323 A 1. 8 55: 267 A 3. § 56: 189 A 12. § 220: 102. 8 57: 105 A 13. §§ 315f.: 329 A 5. § 58: 11 A 15, 17 A 20. § 316: 267 A 2 u. A 3, 323 A 1. § 59: 185 A 5. s 317: 258 A 16. § 60: 10, 192 A 15. § 318: 9, 258 A 15. § 61: 192 A 15, 193 A 16. g 319: 187 A 10, 189 A 12. j 8 63: 346 A 2. § 320: 206 A 10. ! 8 64: 346 A 2. § 321: 10, 192 A 15, 214 A 1, 363 I 8 65: 113 A 38. A 47. J 8 66: 9, 131 A 10, 258 A 15, 653 § 322: 363 A 47. A 10. g 323: 113 A 38, 160 A 2. 8 69: 580 A 10, 602. § 325: 11 A 15, 17 A 20. § 71: 377 A 15. 329: 577 A 3, 580 A 10. § 72: 374 A 10. § 330: 377 A 15, 379 A 22. § 75: 392 A 10. § 331: 28 A 45. § 76: 388 A 3. § 332: 374 A 10. § 77: 397 A 1. § 333: 382 A 6. 8 80: 402 A 8. § 334: 397 A 1. 8 81: 398 A 3, 421 A 3, 466 A 10. * 335: 392 A 10. 8 83: 394 A 11. § 336: 398 A 3. 8 84: 421 A 5, 428 A 21. § 337: 592 A 3, 661 A 28. § 85: 463 A 4, 505 A 16. § 338: 421 A 5, 428 A 21. 8 86: 504 A 12. § 339: 443 A 7, 456 A 28, 463 A 4, § 87: 527 A 21. 504 A 12, 505 A 16, 527 A 21, § 88: 430 A 26. 528 A 25. 8 89: 536 A 11, 539 A 19, 543 A 29, 340: 622 A 19. 561 A 6, 552 A 8, 553 A 9. 341: 534 A 9, 536 A 11, 538 8 90: 561 A 16. A 19, 553 A 9. § 91: 617 A 9, 634 A 16. § 342: 543 A 29, 545 A 33. § 92: 620 A 16. 8 343: 561 A 16. § 94: 638. 8 344: 617 A 9, 634 A 17. Gesetz, die W a h l der Gerichtsschöffen 88 345 f. : 615 A 5. u. die Mitwirkung ders. . . . betr., 8 347: 615 A 5. vom 1. Oktober 1868. 8 356: 661 A 18, 665 A 34, — 8 25: 660 A 26, 661 A 28. §§ 356 f.: 711 A 14. 27: 653 A 10. § 357: 711 A 14. 28: 665 A 34. 446 f. : 615 A 5. 8 29: 653 A 10. Anl. § 17: 660 A 27. i

744

Register.

Thüringische Strafprozefsordnung (1850). Art. 234: 566 A 6. Art. 256: 10. Art. 281: 375 A 10, 566 A 6. Art. 284 : 564 A 2, 569 A 16. Art. 285: 577 A 3, 580 A 10. Art. 286: 328 A 2. Art. 287: 7, 10, 11, 185 A 5, 187 A 10, 192 A 15, 267 A 2 u. 3, 346 A 2, 419 A 36. Art. 288: 378 A 18. Art. 290: 374 A 10, 591 A 3. Art. 291: 398 A 3, 402 A 8. Art. 292: 416, 417, 419. Art. 293: 394 A 11, 421 A 5, 428 A 21. Art. 294: 463 A 4. Art. 295: 535 A 11, 539 A 19, 543 A 29 Art. 296: 561 A 16. Art. 297: 617 A 9. Art. 298: 633 A 16. Art. 299: 635 A 20. Art. 300: 17 A 20. Art. 345: 711 A 14. Waldeck. Gesetz vom 14. Juni 1850. § 109: 328 A 2. g 110: 258 A 16. § 118: 390 A 9, 421 A 3. Württemberg. Strafprozefsordnung vom 23. Juni 1843. Art. 373: 441 A 1. Art. 432: 637 A 26. Gesetz über das Verfahren in Strafsachen, welche vor die Schwurgerichtshöfe gehören, vom 14. August 1849. Art. 48f.: 96 A 10. Art. 118: 375 A 10. Art. 152: 564 A 2. Art. 153: 577 A 3, 604 A 34. Art. 154: 7, 267 A 3. Art. 157: 192 A 15, 193 A 16. Art. 158: 192 A 15, 363 A 47. Art. 160: 185 A 5. Art. 161: 376 A 15. Art. 163: 28 A 45. Art. 164: 374 A 10, 592 A 3. Art. 165: 421 A 3.

Gesetz über das Verfahren in Strafsachen usw. (Fortsetzung): Art. 167: 393 A 11, 421 A 5. Art. 169: 463 A 4, 505 A 16. Art. 173: 617 A 9. Art. 177: 633 A 16. Art. 178: 620 A 16. Art. 182: 635 A 20. Art. 190: 637 A 26. Gerichts Verfassungsgesetz ν. 13. März 1868. Art. 4 f . : 652. Art. 11 f.: 652, 664 A 32. Art. 36 f. : 652. Strafprozefsordnung vom 17. April 1868. Art. 14: 652. Art, 15: 652. Art. 26: 665 A 34. Art. 90: 615 A 5. Art. 353: 102. Art. 359: 564 A 2, — Art, 359 f.: 329 A 5. Art. 361: 328 A 2. Art. 362: 604 A 34. Art. 364: 9 A 10, 258, 258 A 16, 263 A 26, 267 A 3. Art. 365: 346 A 2. Art. 366: 187 A 10. Art. 368: 192 A 5, 346 A 2. Art. 369: 346 A 2. Art. 370: 11 A 15, 17 A 20, 105 A 13, 185 A 5. Art. 371: 267 A 2, 323 A 1. Art. 372: 376 A 15. Art. 373: 374 A 10. Art. 374: 382 A 7. Art. 375: 28 A 45. Art. 377: 392 A 10, 397 A 1, 402

A 8.

Art. Art. Art. Art. Art.

379: 380: 381: 382: 383:

Art. A Art. A Art. Art. Art. Art. Art. Art.

384: 456 A 28, 463 A 4, 505 16, 527 A 21. 387: 532 A 4, 536 A 11, 539 19, 543 A 29, 553 A 9. 388: 561 A 16. 389: 617 A 9. 390: 633 A 16. 391: 620 A 16. 393: 637 A 26. 401 f.: 711 A 14.

A 26.

421 A 398 A 592 A 393 A 421 A

3, 466 A 10. 3. 3. 11. 5, 428 A 21, 430

3 . Österreichische Gesetze. Strafgesetzbuch vom 27. Mai 1