Das Unrecht des § 153 Abs. 1 AO: Die steuerliche Berichtigungspflicht im Lichte des Steuerstrafrechts und der Selbstbelastungsfreiheit [1 ed.] 9783428587001, 9783428187003

Nach einer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2009 soll sich eine steuerliche Berichtigungspflicht nach

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German Pages 372 [373] Year 2022

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Das Unrecht des § 153 Abs. 1 AO: Die steuerliche Berichtigungspflicht im Lichte des Steuerstrafrechts und der Selbstbelastungsfreiheit [1 ed.]
 9783428587001, 9783428187003

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Schriften zum Strafrecht Band 401

Das Unrecht des § 153 Abs. 1 AO Die steuerliche Berichtigungspflicht im Lichte des Steuerstrafrechts und der Selbstbelastungsfreiheit

Von

Julia Klier

Duncker & Humblot · Berlin

JULIA KLIER

Das Unrecht des § 153 Abs. 1 AO

Schriften zum Strafrecht Band 401

Das Unrecht des § 153 Abs. 1 AO Die steuerliche Berichtigungspflicht im Lichte des Steuerstrafrechts und der Selbstbelastungsfreiheit

Von

Julia Klier

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18700-3 (Print) ISBN 978-3-428-58700-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis März 2022 berücksichtigt. Zum Abschluss meiner Promotion möchte ich die Gelegenheit nutzen und einigen Personen danken, die zur Entstehung dieser Arbeit in großem Maße beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. ­ artin Asholt. Er hat diese Arbeit sowohl durch die Gewährung umfassender M wissenschaftlicher Freiheit als auch durch gewinnbringende Diskussionen und wertvolle Denkanstöße erheblich gefördert. Die Zeit als Studentische Hilfskraft und später Wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl möchte ich keinesfalls missen. Herzlich bedanken möchte ich mich außerdem bei Herrn Professor Dr. Rainer Wernsmann für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens, die in dieser Form keine Selbstverständlichkeit ist, und bei Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Werner Beulke für die Übernahme des Vorsitzes in der Prüfungskommission. Zum Gelingen dieser Arbeit haben ferner beigetragen mein Kollege Herr Yannick Schneider, der fortwährend für ergiebige Diskussionen zur Verfügung stand, Herr Dr. Florian Berger, der mir stets hilfreiche Tipps gab, und Frau Veronika Fischböck, die die Mühen des Korrekturlesens auf sich genommen hat und mir stets aufmunternd zur Seite stand. Auch ihnen gilt mein besonderer Dank. Danken möchte ich außerdem meinen Eltern und meiner Schwester für den familiären Rückhalt und den immerwährenden Zuspruch. Von ganzem Herzen danke ich abschließend meinem Mann für seine immense Unterstützung, ohne die diese Arbeit in der vorliegenden Form nicht zustande gekommen wäre. Passau, im Juni 2022

Julia Klier

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

15

Kapitel 1

Steuerrechtlicher Teil 

20

A. Historische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Schutzzweck/Normcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand des § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verpflichtete Person  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewillkürte Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerlich relevante Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ressortfremde Adressaten der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO  . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kausalität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nachträgliches Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedingter Vorsatz im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung (BGH-Beschluss 2009, AEAO) . . . . . . . . . . bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut/Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nemo-tenetur-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Relevanz: § 153 AO als konstitutive oder deklaratorische Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) § 153 AO als lex specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vor Ablauf der Festsetzungsfrist §§ 169 ff. AO . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 26 26 26 29 31 31 34 37 42 43 45 45 48 49 50 51 52 53 59 61 62 64 66 67 67 68

8 Inhaltsverzeichnis a) Beginn der Festsetzungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Dauer der Festsetzungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Ablaufhemmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) § 171 Abs. 7 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) § 171 Abs. 9 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 8. Kenntnis der Finanzbehörde als Ausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Umfang der entstehenden Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Differenzierung zwischen Anzeige- und Berichtigungspflicht . . . 77 b) Frist: Unverzüglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Adressierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Örtlich zuständiges Finanzamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 bb) Ressortfremder Grundlagenbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 d) Form der Anzeige- und Berichtigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . 83 e) Umfang der Pflicht bei unaufklärbarem Sachverhalt . . . . . . . . . . 84 2. Steuerliche Folgen bei Pflichterfüllung für den Erklärungspflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Drittwirkung: Strafbefreiende Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO . 85 a) Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Personale Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Gefahr der Umgehung des § 371 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . 89 d) Nachzahlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 e) Nichtabgabe von Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verpflichtete Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtrechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) §§ 34, 35 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachträgliches Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertung von Kenntnis des Rechtsvorgängers . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigene Pflicht des Rechtsvorgängers nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Steuerhinterziehung des Rechtsvorgängers . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung von Vorwissen des Gesamtrechtsnachfolgers . . . . . . . aa) Bloßes Vorwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittäterschaft oder Tatbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anforderungen an das nachträgliche Erkennen durch den Gesamtrechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Festsetzungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mögliche Steuerhinterziehung durch Erblasser . . . . . . . . . . .

92 93 93 93 94 95 96 96 97 100 100 101 102 102 102 102

Inhaltsverzeichnis9 bb) Mögliche Steuerhinterziehung durch Erben . . . . . . . . . . . . . . b) Verjährungshemmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 171 Abs. 5 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 171 Abs. 7 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 171 Abs. 9 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) § 171 Abs. 12 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 105 106 108 109 109

Kapitel 2

Strafrechtlicher Teil 

114

A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Grundlegendes zu § 370 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Strafbarkeit eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO  . . . . . . . 116 1. Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . 117 a) Asymmetrische Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Bedingter Vorsatz im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 d) Systemfremde Garantenstellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Vor bereits erfolgter Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Nach bereits erfolgter Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Erfolg nach § 370 Abs. 1 AO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Anknüpfung an das Festsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 132 (1) Erfolgseintritt bei aktivem Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) Erfolgseintritt bei Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Ausreichen einer nicht-rechtzeitigen Festsetzung . . . . . . . . . 135 cc) Deliktsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (1) Konkretes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Abstraktes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Erfolg bei Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO . . . . . . . . . . . . 138 aa) Erfolg vor bereits erfolgter Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Erfolg nach bereits erfolgter Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 140 (1) Ursprüngliche, unrichtige Steuerfestsetzung . . . . . . . . . . 140 (a) Umqualifizierung in ein Dauerdelikt . . . . . . . . . . . . 141 (b) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (c) Dolus subsequens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides . . . . . . . . . 146 (a) Unbestimmtheit des Zeitpunkts des Erfolgseintritts . 148

10 Inhaltsverzeichnis (b) Bedingter Vorsatz im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (c) Eigenständiges Erfolgsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (3) Zeitlich anwachsendes Erfolgsunrecht  . . . . . . . . . . . . . . 155 (a) Parallelen zur Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . . . 156 (b) Steuerverkürzung „auf Zeit“ und „auf Dauer“ . . . . . 159 (aa) Objektive Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (bb) Subjektive Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (4) Erfolg im Beitreibungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (5) Bereits ergangene Festsetzung als Steuervorteil . . . . . . . 165 (6) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (7) Vergleich mit der wiederholten Zueignung bei Unterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (a) Bösgläubig erlangte Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (b) Gutgläubig erlangte Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Verhältnis zur straflosen Selbstbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Kenntnis der Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Strafbarkeit eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . 175 1. Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Systemfremde Garantenstellung für das Handeln eines Dritten? . 176 aa) § 138 StGB, Nichtanzeige geplanter Straftaten . . . . . . . . . . . 177 bb) Strafbarkeit des Erben bei rechtswidrig erlangten Sachen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (1) Aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (a) Hehlerei § 259 Abs. 1 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (b) Unterschlagung § 246 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . 180 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 cc) Strafbarkeit des Erben bei rechtswidrig erlangtem Geld des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 dd) §§ 324a ff. StGB, Umweltstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Unterscheidung nach dem Festsetzungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . 187 b) Anknüpfung an das Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Verfolgungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 B. Das Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Blankettmerkmale oder normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . 193

Inhaltsverzeichnis11 II. Vorsatzanforderungen nach herrschender Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorsatz bezüglich der Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überschießende Innentendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 153 Abs. 1 S. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 153 Abs. 1 S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 197 199 202 202 203 203

C. Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Kapitel 3

Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich 

205

A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte . . . 2. Fair-trial-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtfertigungsbedingung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Geltungs- und Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbstbelastung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz vor Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltung außerhalb des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschuldnerbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207 208 209 210 211 211 212 212 213 214 215 215 215 216 218 221 222 225 227

B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren . . . . . . . . . . I. Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veranlagungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bußgeld- und Strafsachenstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahren bei § 153 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 228 229 230 231 232 236 236

C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Verhältnis des § 153 Abs. 1 AO zur strafbefreienden Selbstanzeige § 371 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

12 Inhaltsverzeichnis II. Grundsätzliches zur Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Legitimation und Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Rechtsfolge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 III. Unterschiede zwischen den Erklärungen nach § 371 AO und § 153 AO . 253 1. Freiwilligkeit der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Kongruenz mit ausstehenden Berichtigungserklärungen  . . . . . . . 255 b) Verhältnis der Selbstanzeige zu § 393 Abs. 1 S. 2 AO . . . . . . . . . 255 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Umfang der Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Ausschluss von Teilselbstanzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Missglückte Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Spannungsverhältnis zwischen dem Vollständigkeitserfordernis der Selbstanzeige und dem Unverzüglichkeitserfordernis des § 153 AO . 261 4. Vortatverhalten und die Relevanz von Compliance . . . . . . . . . . . . . . 262 5. Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 6. Zuständiger Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 7. Berichtigungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 8. Höhe des nachzuzahlenden Betrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 9. Nachentrichtungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 10. Grenze von 25.000 Euro gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO . . . . . . 268 11. Außerstrafrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 12. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 IV. Einordnung des § 398a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.4.2011 . . . . . . . . . . . . . 271 b) AO-Änderungsgesetz vom 22.12.2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Tarifermittlung (Hinterziehungsbetrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Bemessungsgrundlage des Zuschlags (Hinterzogene Steuer) . . . . 278 d) Vollständige Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 e) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4. Verhältnis des Zuschlags zu Nemo-tenetur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Ausreichen der Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Einordnung des Zuschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Inhaltsverzeichnis13 aa) Abgrenzung zur Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Freiwilligkeit trotz Umdeutung?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

286 287 288 289

D. Schutzinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I. Nicht-Steuerstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Steuergeheimnis § 30 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 2. Verwendungsverbot § 393 Abs. 2 S. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Fernwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) Verhältnis zur Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Verfassungsmäßigkeit der Ausnahme des § 393 Abs. 2 S. 2 AO . 296 II. Steuerstraftaten: Zwangsmittelverbot nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO  . . . . . . 297 1. Vorrang der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Zeitlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Betroffene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Der Begriff des Zwangsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 aa) Schätzung nach § 162 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 bb) Strafbewehrung der steuerrechtlichen Pflichten . . . . . . . . . . . 302 (1) Schutzinstitute des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . 303 (a) Suspendierung der Strafbewehrung . . . . . . . . . . . . . 303 (aa) Zeitlicher Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (bb) Verhältnis zur Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . 305 (b) Außergesetzliches Verwertungsverbot  . . . . . . . . . . . 306 (aa) Fernwirkung des Verwertungsverbots . . . . . . . 307 (bb) Nachkonstitutionelles Gesetz . . . . . . . . . . . . . . 311 (cc) Verhältnis des Verwertungsverbots zur Selbstanzeige  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (2) Eigener Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 4. Belehrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 III. Nachfolgende Veranlagungszeiträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Verwendungsverbot (BGH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 2. Recht zu passivem Verhalten (Sahan, Reiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 3. Teilweise Suspendierung der Erklärungspflichten (Stetter) . . . . . . . . 322 4. Kombinierter Ansatz (Joecks) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 5. Omissio libera in causa (Böse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 6. Eigener Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 E. Nemo-tenetur-Grundsatz und leichtfertige Steuerverkürzungnach § 378 AO . 327

14 Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung und Würdigung  I. Das Dilemma und seine Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anknüpfung an die ursprünglichen steuerlichen Erklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Möglichkeit einer Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch die Verletzung des § 153 AO . . . . . . . . . . aa) Erfassung „bloß formaler Pflichten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der nemo-tenetur-Grundsatz: Steht das Straf-/Verfassungsrecht einer strafrechtlichen Rezeption der Pflichten des § 153 AO entgegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Selbstanzeigemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) § 371 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 398a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärebene beim Beweistransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatbestandliche Voraussetzungen der Pflicht im Einzelnen . . . . . 2. Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nach der Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vor der Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektiver Tatbestand und Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abschließende Würdigung bzw. Änderungsbedarf de lege ferenda . . . . .

330 330 331 331 331 332 332 333 333 334 335 336 338 338 339 339 340 341 341 342

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

Einleitung Seit einigen Jahren werden aufgedeckte Steuerhinterziehungen in viel größerem Maße angeprangert als noch ein paar Jahrzehnte zuvor und auch die Forderung nach härteren Strafen wird immer größer.1 Die Relevanz der Berichtigungsvorschrift des § 153 Abs. 1 AO hat in diesem Zuge in den letzten Jahren ebenfalls stark zugenommen, da Verstöße gegen § 153 Abs. 1 AO vermehrt als Steuerhinterziehungen qualifiziert werden.2 Dabei besteht vor allem in Bezug auf § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 AO die große Gefahr, dass nicht vorwerfbares Verhalten kriminalisiert wird.3 § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO verpflichtet den Steuerpflichtigen, eine von oder für ihn abgegebene unrichtige oder unvollständige Erklärung, die zu einer Steuerverkürzung führen kann oder eine solche bereits herbeigeführt hat, zu berichtigen, soweit der Fehler nachträglich erkannt wird. Nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO trifft diese Verpflichtung u. a. ebenso den Gesamtrechtsnachfolger. Auf den ersten Blick scheint der steuerrechtliche Pflichtenumfang dadurch klar umrissen. Es leuchtet ein, dass derjenige, der nachträglich erkennt, einen rechtswidrigen Steuervorteil erhalten zu haben, diesen nicht behalten darf. § 153 Abs. 1 AO kommt in der Praxis auch eine hohe Relevanz zu: Dass nachträglich ein Fehler in einer bereits gegenüber der Finanzbehörde abgegebenen Erklärung entdeckt wird, kann jedermann passieren.4 Dabei wird jedoch die über das Steuerrecht hinausgehende „praktische Brisanz dieser scheinbar ‚harmlos‘ wirkenden Norm“5 häufig verkannt. Der Norm kommt DStR 2015, 1691; Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (477). wird auch daran deutlich, dass der Anwendungserlass zur Abgabenordnung seit 2016 erstmals Ausführungen zu § 153 Abs. 1 AO enthält; siehe auch: Neuling, DStR 2016, 1652, der den „rasanten Bedeutungszuwachs“ der Norm deutlich hervorhebt; vgl. ferner: Gehrmann, PStR 2010, 41. Die Einordnung als Steuerhinterziehung erfolgt augenscheinlich allerdings oftmals nur i. R. d. steuerrechtlichen Verfahrens, um so die zehnjährige Verjährungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO anwenden zu können, wobei zum Teil auf eine explizite Subsumtion des zugrunde liegenden Sachverhalts unter die Norm des § 370 AO verzichtet wird; vgl. hierzu FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, 22288. 3  Vgl.: Neuling, DStR 2015, 558 (560). 4  Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1694); vgl. dazu die Beispiele von Helmrich, DStR 2009, 2132, der sowohl den regulär einkommensteuerpflichtigen Bürger als auch den Erben und den GmbH-Geschäftsführer anführt. 5  Jesse, BB 2011, 1431 (1431); vgl. auch: Geberth/Welling, DB 2015, 1742; Gehrmann, PStR 2010, 41; Steinhauff, AO-StB 2011, 269. 1  Aichberger/Schwartz, 2  Dies

16 Einleitung

auch in Bezug auf das Steuerstrafrecht und den nemo-tenetur-Grundsatz eine enorme Bedeutung zu. Zum einen wird der Steuerpflichtige durch die Berichtigungsvorschrift regelmäßig verpflichtet, die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes einer Steuerhinterziehung zu offenbaren und läuft dadurch Gefahr, sich selbst zu belasten. Ferner entsteht nach aktueller Rechtsprechung eine Berichtigungspflicht auch, wenn dem nachträglichen Erkennen eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung voranging.6 Die Mehrheit der Literatur verneint dagegen eine Pflichtentstehung in diesen Fällen mit Verweis auf den nemo-teneturGrundsatz.7 Insoweit ist die Frage aufzuwerfen, wie die steuerrechtliche Mitwirkungspflicht in Bezug auf die Selbstbelastungsfreiheit zu beurteilen ist. Vor allem seit der Verschärfung der Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige, u. a. durch die Abschaffung der Teilselbstanzeige, kann nicht mehr jede Berichtigungserklärung ohne weiteres in eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO umgedeutet werden.8 Kann dem Steuerpflichtigen also tatsächlich zugemutet werden, durch die Erfüllung seiner Berichtigungspflicht ggf. selbst die Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung zu schaffen? Und konträr dazu: Wäre es fair, wenn nur derjenige, der vorsätzlich eine Steuer hinterzogen hat, von einer Berichtigungspflicht freigestellt würde und der „ehrliche“ Steuerpflichtige, dem die ursprüngliche Fehlerhaftigkeit nicht strafrechtlich vorgeworfen werden kann, nicht? Damit würde der Steuerstraftäter bessergestellt, was sich ggf. nicht mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vereinbaren ließe. Gäbe es also als Ausgleich eine Möglichkeit, die Erfüllung der Berichtigungspflicht durchzusetzen und zugleich die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen zu schützen? Können Primär- und Sekundärordnung streng voneinander getrennt werden? Wie ließe sich ein etwaiges Verwertungsverbot mit der Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde in Einklang bringen? Diese Fragen gilt es zu klären. Gatzen hält insoweit zutreffend fest, „dass es an einer ‚harmonischen‘ Abstimmung zwischen der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 153 AO und der strafrechtlichen Vorschrift des § 370 AO fehlt“.9 Zum anderen wird eine Nichtvornahme der Berichtigung von der herrschenden Meinung als Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO eingeordnet. Im Kontext zu den vorherigen Ausführungen bedeutet dies, dass auch ein passives Verhalten, aus Angst davor selbst die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens zu provozieren, nicht ohne Konsequenzen bliebe. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft jedoch nur das pflichtwidrige 6  BGH

v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; dazu vertieft: S. 49 ff. S. 50 ff. 8  Vgl. hierzu: Joecks, PStR 2015, 235 (236). 9  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (22). 7  Siehe:

Einleitung17

In-Unkenntnis-Lassen der Finanzbehörde – wobei fraglich ist, ob jede steuerrechtliche Mitwirkungspflicht eine Pflichtwidrigkeit begründen kann und wie diese im Verhältnis zu einer Selbstbelastungsgefahr zu rechtfertigen wäre. Eine solche könnte ggf. die Zumutbarkeit einer Pflichterfüllung und damit eine Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließen. Darüber hinaus fordert § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht nur ein pflichtwidriges Verhalten, sondern auch die Herbeiführung einer Steuerverkürzung oder eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils als tauglichen Taterfolg. Dieser Punkt wird jedoch in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO häufig vernachlässigt bzw. gar nicht angesprochen.10 Meist wird einem Verstoß gegen die Berichtigungspflicht eine Strafbarkeit zugeschrieben, ohne dass eine Auseinandersetzung mit der Frage erfolgt, worin der tatbestandliche Erfolg dieser Tat zu sehen wäre. Dabei entsteht der Eindruck, dass die pauschale Bejahung der Strafbewehrung des § 153 Abs. 1 AO auf einer funktionalen Betrachtung fußt. Ginge die Berichtigungspflicht nicht mit einer Strafbewehrung einher, bestünde kaum ein Anreiz dieser nachzukommen und ihr Zweck könnte nicht erreicht werden. In den Fällen, in denen die fehlerhafte Erklärung bereits eine Steuerverkürzung herbeigeführt hat, ist allerdings fraglich, ob der Nichtvornahme einer Berichtigung dieser oder ein anderer, eigenständiger Erfolg zugeschrieben werden kann. Insoweit gilt es zu analysieren, welche Anforderungen an den Taterfolg gestellt werden und ob ein bereits eingetretener Erfolg wiederholt oder vertieft werden kann. Die aufgeführten Unklarheiten und Missstände gilt es in der vorliegenden Arbeit aufzuarbeiten. Hierzu soll in einem ersten steuerrechtlichen Kapitel der primärrechtliche Pflichtenkreis, der sich aus § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 AO ergibt, dargestellt werden. Dabei wird ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, inwieweit strafrechtliche Grundsätze, wie die Selbstbelastungsfreiheit, auf das steuerrechtliche Primärrecht durchschlagen können. In einem zweiten Kapitel wird die Frage behandelt, in welchen Fällen eine Missachtung der Berichtigungspflicht strafrechtliche Folgen für den Verpflichteten mit sich bringen kann. Speziell mit Blick auf Gesamtrechtsnachfolger wird thematisiert, ob es diesen zumutbar ist, etwaige Verfehlungen des Rechtsvorgängers aufdecken und ggf. selbst aus dem eigenen Vermögen dafür haften zu müssen. Ferner ist fraglich, inwiefern eine Verfehlung des Rechtsvorgängers tatsächlich zu einer Strafbarkeit des Rechtsnachfolgers führen kann. In einem abschließenden dritten Kapitel wird ausführlich dargestellt, inwieweit der Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich zwischen Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren eine Wirkung zukommt, wann überhaupt die Gefahr einer Selbstbelastung im Besteuerungsverfahren vorliegt und inwieweit die Abgabenordnung hiervor einen ausreichenden Schutz ge10  Siehe:

S. 138 ff.

18 Einleitung

währleistet. Problematisch ist dabei vor allem die „Durchlässigkeit“ zwischen beiden Verfahren, da die Finanzbehörde sowohl für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen als auch zum Teil für die Strafverfolgung von Steuerstraftaten zuständig ist. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO erfolgte bisher von Deibel, wobei der Fokus der Arbeit auf das Steuerrecht gerichtet war und die herausgearbeiteten steuerstrafrechtlichen Konsequenzen in dieser Arbeit in Frage gestellt werden.11 Außerdem hat sich noch Möller 1996 vertieft mit den strafrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 AO auseinandergesetzt und dabei im Kern – entgegen der aktuellen Rechtsprechung – die Möglichkeit der Wiederholung bzw. Vertiefung eines Taterfolgs durch eine Nichtberichtigung verneint.12 Seines Erachtens ist ein Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO damit in den meisten Fällen nicht strafbar. Seine Thesen sollen in dieser Arbeit in Teilen wieder aufgegriffen werden. Seit Erscheinen dieser Arbeit haben sich sowohl in Bezug auf den Wandel der Rechtsprechung zur Auslegung des „nachträglichen Erkennens“ i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO als auch aufgrund der Reform der Selbstanzeige zusätzliche Fragen ergeben, die einer Klärung bedürfen. Vor den Verschärfungen der Selbstanzeige konnte eine Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO meist mit dieser gleichgesetzt werden, sodass mit der ordnungsgemäßen Erfüllung der Berichtigungspflicht nur selten strafrechtliche Kon­ sequenzen einhergehen konnten. Nachdem die Selbstanzeige durch weitreichende Änderungen in den Jahren 2011 und 2015 allerdings an Handhab­ barkeit eingebüßt hat, läuft eine berichtigungspflichtige Person mittlerweile Gefahr, die Pflicht des § 153 Abs. 1 AO ordnungsgemäß zu erfüllen und zugleich die Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung zu liefern. Zur Relevanz des nemo-tenetur-Grundsatzes im Grenzbereich von Besteuerungsund Steuerstrafverfahren ist bereits eine Vielzahl an Arbeiten erschienen.13 11  Siehe:

Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO. Berichtigungspflicht. 13  Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen; Berthold, Der Zwang zur Selbstbezichtigung aus § 370 Abs. 1 AO und der Grundsatz des nemo tenetur; Besson, Das Steuergeheimnis und das Nemo-tenetur-Prinzip im (steuer-)strafrechtlichen Ermittlungsverfahren; Bruder, Beweisverwertungsverbote im Steuerrecht und Steuerstrafrecht; Dettmers, Zur Selbstbelastungsproblematik bei der Umsatzsteuerverkürzung; Doege, Die Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes in nicht von Strafverfolgungsorganen geführten Befragungen; Hahner, Beweisverwertungsverbote im Besteuerungsverfahren; Hüttinger, Beweisverbote im Steuer- und Steuerstraf­ verfahren; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht; Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten; Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich zwischen Besteuerungsverfahren und Strafverfahren; Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung; Schaefer, Der Nemo-Tenetur-Grundsatz im Steuer12  Möller,

Einleitung19

Faktisch ist das „Nemo-Tenetur-Dilemma“, wie es Salditt treffend bezeichnet, aber immer noch ungelöst.14 Es werden zwar von Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Schutzinstitute entwickelt – jedoch besteht insoweit in der Praxis keinerlei Rechtssicherheit. Insgesamt fehlt es an aktuellen, tiefergehenden Auseinandersetzungen mit der Frage, in welchen Fällen ein Verstoß gegen die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO bejaht werden kann und inwieweit diese Fälle ferner unter den Straftatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO subsumiert werden können und als strafwürdiges Unrecht zu sanktionieren sind. Vor allem im Bereich der Gesamtrechtsnachfolge und der Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO erscheint die derzeit herrschende Meinung auf den ersten Blick fraglich. Die Anzeige- und Berichtigungserklärung des § 153 Abs. 1 AO ist in Rechtsprechung und Literatur im Vergleich zur Selbstanzeige bisher eher vernachlässigt worden – und das, obwohl die sich aus der Norm ergebenden strafrechtlichen Risiken beachtlich sind. Ziel dieser Arbeit ist es, die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 AO sowohl aus steuer- als auch aus strafrechtlicher Sicht umfassend zu beleuchten und in den Kontext der Selbstbelastungsfreiheit zu setzen.15 Insoweit gilt es zu versuchen, die primärrechtliche und die sekundärrechtliche Seite der Norm einem angemessenen Ausgleich zuzuführen und Missstände in den aktuellen Entwicklungen rund um das Steuerstrafrecht, die § 153 Abs. 1 AO tangieren, aufzuzeigen.

strafverfahren; Stetter, Die Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung wegen einer Steuerstraftat durch Erfüllung steuerrechtlicher Erklärungspflichten; Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren; Witte, Gibt es eine Steuerhinterziehung hinter einer vollendeten Steuerhinterziehung? u. a. 14  Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (293). 15  § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO sowie § 153 Abs. 2 und Abs. 3 AO werden außen vorgelassen.

Kapitel 1

Steuerrechtlicher Teil Das deutsche Steuerrecht basiert auf den Mitwirkungspflichten der steuerpflichtigen Bürgerinnen und Bürger. § 153 Abs. 1 AO statuiert in diesem Rahmen eine besondere Berichtigungspflicht, nach der unrichtige respektive unvollständige Erklärungen nachträglich richtigzustellen sind. Dabei bestehen bezüglich der Auslegung der Norm einige Unklarheiten.1 Insbesondere ist umstritten, inwieweit aufgrund der Relevanz der Norm für das Delikt der Steuerhinterziehung strafrechtliche Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden können und müssen. Im nachfolgenden Teil erfolgt daher eine Absteckung des sich aus § 153 Abs. 1 AO ergebenden steuerrechtlichen Pflichtenkreises. Dabei erfolgen vorab einige grundlegende Ausführungen zur Historie und zum Zweck des § 153 Abs. 1 AO. Im darauffolgenden ersten Punkt wird geklärt, wann den Steuerpflichtigen2 selbst eine Berichtigungspflicht aus § 153 Abs. 1 S. 1 AO trifft. In einem zweiten Punkt wird erörtert, in welchen Fällen Gesamtrechtsnachfolger bzw. nach §§ 34 und 35 AO für den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnde Personen nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AO zu einer Berichtigung verpflichtet sind.

A. Historische Herleitung Bereits vor einer Kodifikation der Berichtigungspflicht hatte der Große Senat des Reichsfinanzhofes 1934 in einem Gutachten klargestellt, dass derjenige, der fahrlässig oder ohne Verschulden eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben hat, sie unverzüglich und ohne besondere Aufforderung berichtigen oder ergänzen müsse, sobald er die Mängel erkenne.3 Anlass für dieses Gutachten war eine Anfrage des Finanzministers, der geklärt wissen wollte, ob ein Steuerpflichtiger, der aus „Saumseligkeit“ eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben und diesen Fehler nach1  Vgl.

Beyer, NZWiSt 2016, 234. dieser Arbeit werden mit der Verwendung des Begriffs „Steuerpflichtiger“ weibliche, männliche und diverse Steuerpflichtige gleichermaßen erfasst. Die einheitliche Verwendung des Begriffs des „Steuerpflichtigen“ ergibt sich aus der Dogmatik der Abgabenordnung und der besseren Lesbarkeit. 3  Gutachten des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24. 2  In



A. Historische Herleitung21

träglich bemerkt hatte, zur Korrektur der Unrichtigkeit verpflichtet sei und ob eine etwaige Pflicht auch Rechtsnachfolger und Konkursverwalter treffen könne. Der Reichsfinanzhof gab neben der Bejahung einer solchen Pflicht an, dass keine Erfüllung der Steuererklärungspflichten eintritt, wenn der Steuerpflichtige eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgibt. Hierdurch wird im Gutachten auch deutlich, dass es nicht zwingend einer neuen Regelung bedurfte, sondern sich dieses Ergebnis bereits aus einer richtigen Auslegung und Anwendung der Vorschriften der Reichsabgabenordnung ergab.4 Dennoch erfolgte eine Kodifikation dieser Grundsätze in § 165e RAO durch das Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen im Jahre 1936.5 Dabei wurde die Norm im Bereich der allgemeinen Pflichten des Steuerpflichtigen verortet. Die Verpflichtung des Gesamtrechtsnachfolgers zur Berichtigung fand sich bereits vorher ausdrücklich in § 117 RAO.6 Dabei war in einer ursprünglichen Fassung des § 117 RAO der Gesamtrechtsnachfolger von einer Berichtigungspflicht nicht umfasst – lediglich „Testamentsvollstrecker, Pfleger, Liquidatoren, Verwalter und Erbschaftsbesitzer, welche nicht zugleich Rechtsnachfolger der Steuerpflichtigen“ waren, sollte eine Berichtigungspflicht treffen. Dieser Umstand ist allerdings auf einen Fehler bei der Gesetzesverkündigung zurückzuführen: Im Reichsgesetzblatt wurde eine Fassung veröffentlicht, die von der Weimarer Nationalversammlung abge4  Gutachten

des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24 (26).

5  RGBl. 1936 I 961 (969).  § 165e RAO a. F.: Wenn ein Steuerpflichtiger

nachträglich, aber vor dem Ablauf der Steuerverjährungsfrist erkennt, dass eine Steuererklärung oder eine andere Erklärung, die er einer Finanzbehörde abgegeben hat, unrichtig oder unvollständig ist, und dass die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit zu einer Verkürzung von Steuereinnahmen führen kann, so ist er (ohne dass es einer besonderen Aufforderung bedarf) verpflichtet, dies unverzüglich der zuständigen Finanzbehörde anzuzeigen. 6  § 117 RAO a. F. (v. 22.5.1931): (1)  Wenn nach dem Tode oder Wegfall eines Steuerpflichtigen die Testamentsvollstrecker, Pfleger, Liquidatoren, Verwalter und Erbschaftsbesitzer, welche nicht zugleich Rechtsnachfolger des Steuerpflichtigen sind, erkennen, daß Erklärungen, die der Steuerpflichtige zur Festsetzung oder Veranlagung von Steuern abgegeben hat, unrichtig oder unvollständig sind, oder daß er pflichtwidrig unterlassen hat, solche Erklärungen abzugeben, so haben sie dies binnen Monatsfrist dem Finanzamt anzuzeigen; andernfalls haften sie persönlich für die vorenthaltenen Steuerbeträge. (2) Das gleiche gilt für die Erwerber von Unternehmen, auf deren Betrieb eine Steuerpflicht gegründet ist, sowie für Sondernachfolger in Grund- oder Betriebsvermögen. (3) Dasselbe gilt sinngemäß bei einem Wechsel in der Person des gesetzlichen Vertreters, Betriebsleiters oder Bevollmächtigten sowie dann, wenn eine gesetzliche Vertretung angeordnet wird.

22

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

lehnt wurde.7 Gemäß der eigentlich beschlossenen Fassung hätten Rechtsnachfolger umfasst sein sollen. Grund für den abweichenden Antrag war die Kritik, dass Gesamtrechtsnachfolger durch die Berichtigungspflicht zur Denunziation der eigenen Angehörigen verpflichtet würden.8 Im Gutachten des Reichsfinanzhofs wird allerdings ausgeführt, dass es einer ausdrücklichen Statuierung einer Berichtigungspflicht des Gesamtrechtsnachfolgers gar nicht bedurfte – eine solche ergab sich bereits aus den allgemeinen Vorschriften zur Gesamtrechtsnachfolge, wonach der Gesamtrechtsnachfolger für Nachlassverbindlichkeiten haftete und somit auch die für den Rechtsvorgänger weitergeltenden steuerlichen Pflichten auf diesen übergingen.9 Zum 1. Januar 1977 trat die Reichsabgabenordnung gemäß Art. 96 Nr. 1 EGAO vom 14.12.1976 außer Kraft und die heutige Abgabenordnung wurde eingeführt.10 Die Neufassung der obigen Pflichten in § 153 Abs. 1 AO entspricht dabei weitestgehend der Altfassung in § 165e Abs. 1 RAO.11 Inhaltlich wurde die Vorschrift jedoch erweitert: Die Verpflichtung des Rechtsnachfolgers in § 153 Abs. 1 S. 2 AO, die vorher in § 117 RAO verortet war, wurde aufgenommen.12 Außerdem wurde klargestellt, dass eine Berichtigungspflicht auch dann besteht, wenn eine Steuerverkürzung bereits eingetreten ist.13 § 153 Abs. 2 AO enthält eine verallgemeinerte Darstellung von § 165e Abs. 3 und Abs. 4 RAO.14 Wie auch später in der Abgabenordnung des Jahres 1977 war in dem vorangegangenen Entwurf keine inhaltliche Änderung der Regelung zur Reichsabgabenordnung beabsichtigt.15 Seit ihrer 7  Dazu ausführlich: Gutachten des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24 (27); zur Verkündung des urspr. § 97 RAO, der später in § 117 RAO verortet wurde: RGBl. 1919, 1993 (2015). 8  Ausschussbericht der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Drucksache Nr. 1460, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 326, S. 1386 (1395) zu § 97 RAO. 9  Gutachten des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24 (27) mit Verweis auf § 97 Abs. 2 RAO (den späteren § 117 RAO), wonach die Vorschriften für den Steuerpflichtigen sinngemäß für die gelten, „die nach den Steuergesetzen neben den Steuerpflichtigen oder an deren Stelle persönlich für die Steuer haften“. Die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Steuern ergab sich hierzu aus § 115 Abs. 3 RAO. 10  BGBl. I 1976, S. 3341 (3380). 11  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1; Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 259. Der Gesetzgeber hatte zunächst in einem Entwurf der Abgabenordnung aus dem Jahre 1974 die Vorschrift des heutigen § 153 AO in § 98 verortet, siehe: BT-Drs. IV/1982, S. 129 zu § 98; BT-Drs. 7/79. 12  Siehe Kap. 1 Fn. 6; Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1. 13  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1. 14  Ibidem; auf § 153 Abs. 2 AO soll dabei im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft eingegangen werden. 15  BT-Drs. 7/4292, S. 10 ff.



B. Schutzzweck/Normcharakter23

Einführung im Jahre 1977 ist die Vorschrift inhaltlich unverändert geblieben.16

B. Schutzzweck/Normcharakter Grundsätzlich gilt im Steuerrecht gemäß § 88 Abs. 1 AO der Untersuchungsgrundsatz – sprich: Die Finanzbehörde ermittelt den steuerlich relevanten Sachverhalt von Amts wegen. Dabei statuiert § 88 Abs. 1 AO selbst jedoch keine eigenständigen Eingriffsbefugnisse, sodass die Möglichkeiten der Finanzbehörden zu weitergehenden Sachverhaltsaufklärungen oftmals stark beschränkt sind, wenn Steuerpflichtige oder Dritte ihre Mitwirkung verweigern.17 Ob ein Steuerpflichtiger bei der Ermittlung seiner Besteuerungsgrundlagen mitwirkt oder nicht, steht jedoch nicht in dessen Ermessen. Er ist gesetzlich dazu verpflichtet. Die Abgabenordnung setzt dafür entsprechende Mitwirkungspflichten der Beteiligten fest.18 Unter diesen steuerlichen Mitwirkungspflichten versteht man „alle einem Steuerpflichtigen oder einem Dritten durch ein Steuergesetz auferlegten verfahrensmäßigen Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten, die der Ermittlung und Durchsetzung der Steuerleistungspflicht dienen“.19 Ein Auskunftsverweigerungsrecht kommt den Beteiligten (§ 78 AO) im Besteuerungsverfahren grundsätzlich nicht zu.20 Den Finanzbehörden ist es oftmals gar nicht möglich, auf andere Art und Weise an die für eine sachgerechte Besteuerung erforderlichen Informationen zu kommen. Das deutsche Steuerrecht basiert damit hauptsächlich auf der Erfüllung dieser Mitwirkungspflichten durch die Steuerpflichtigen.21

in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 3. StuW 1987, 35 (38 f.); Barske, DStZ 1958, 25 bezeichnet die Mitwirkungspflichten gar als „unerläßliche Voraussetzung“ für eine ordnungsgemäße Besteuerung. 18  Vgl. §§ 90, 149 f. AO; die Mitwirkungspflichten haben dabei eine „Hilfseigenschaft“ i. R. d. Untersuchungsgrundsatzes der Finanzbehörden; dazu auch: Barske, DStZ 1958, 25 (25); Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 4, der auf die sehr weiten Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen hinweist; sowie: Wittmann, StuW 1987, 35 (44) m. w. N. 19  Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 10. 20  Die Auskunftsverweigerungsrechte im Besteuerungsverfahren nach §§ 101  ff. AO kommen ausdrücklich nur Personen zu, die nicht zugleich Beteiligte sind; vgl. auch: Rogall, in: FS Rieß, S. 951 (955). 21  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 174; Herrmann, DStJG Bd. 38 (2015), 249 (251); Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 6 f.; vgl. auch: Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 2–4, der ausführt, dass es solcher Mitwirkungspflichten bedürfe, wenn den Behörden keine anderweitige Kenntnisnahme relevanter Informationen möglich sei. Der Steuerpflichtige sei insoweit das 16  Schindler, 17  Wittmann,

24

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO ergänzt die steuerlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten nach §§ 149, 150 AO und das Vollständigkeits- und Wahrheitsgebot des § 90 Abs. 1 S. 2 AO.22 Die Norm dient damit „der gleichmäßigen und gerechten Besteuerung in entscheidender Weise“.23 Die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung i. S. d. § 85 AO soll gewährleistet werden, indem der Gesetzgeber die Wahrheitspflicht des § 150 Abs. 2 AO und § 90 Abs. 1 S. 2 AO auch nach einer bereits erfolgten Erklärungsabgabe fortbestehen lässt.24 Dem Steuerpflichtigen wird eine gesetzliche Garantenpflicht auferlegt, die durch das vorangegangene, Fehler verursachende Tun gerechtfertigt sein soll.25 Die Vorschrift soll damit den Finanzbehörden Kenntnis von Besteuerungsgrundlagen verschaffen, die diesen bis dahin noch nicht bekannt waren.26 Dies hat den Hintergrund, dass der Staat im Besteuerungsverfahren mangels anderweitiger zur Verfügung stehender Informa­ tionsquellen auf die Mitwirkung der Steuerbürger angewiesen ist und eine Steuerstraftat respektive auch eine strafrechtlich irrelevante Unrichtigkeit einer vergleichsweise geringen Entdeckungsgefahr unterliegt; die steuerlich erheblichen Vorgänge vollziehen sich hauptsächlich in der Herrschafts- und Wissenssphäre des Steuerbürgers.27 Besonders im Anwendungsbereich des § 153 AO besteht kaum eine Chance, Steuerverkürzung aufzudecken, wenn Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten beispielsweise weder im Rahmen der Veranlagung noch im Rahmen einer etwaigen Betriebsprüfung zu Tage wichtigste „Erforschungsmittel“; ebenso: Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 17. 22  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1a; Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 1; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 1; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 1; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (12); Jesse, BB 2011, 1431 (1431); J. Müller, DStZ 2005, 25 (25); Wenzig, DStZ 1986, 375 (378). 23  Barske, DStZ 1958, 25 (26); vgl. auch Hornig, PStR 2019, 291 (293), der den Sinn und Zweck des § 153 Abs. 1 AO mit zivilrechtlichen Schadensverhinderungsund Schadenminderungspflichten, für denjenigen, der durch sein Verhalten die Gefahr eines Steuerschadens schafft, vergleicht. 24  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1a; vgl. auch: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 27, die allerdings zusätzlich anmerkt, dass die Wahrheitspflicht des § 153 Abs. 1 S. 1 AO nicht nur Steuererklärungen betrifft, sondern alle steuerlich relevanten Erklärungen. 25  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1a; Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (499); Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 125. 26  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 1; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 1; Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 52; Harms, Stbg 2015, 12; Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (483). 27  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 7 f.; Harms, Stbg 2015, 12; Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (124); Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (483); Wenzig, DStZ 1986, 375 (379).



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO25

getreten sind. Trotz der mittlerweile weitreichenden technischen Möglichkeiten und diverser Doppelbesteuerungsabkommen, die auch einen Informa­ tionsaustausch ermöglichen, würde es die personellen Ressourcen weit übersteigen, jeden Steuerpflichtigen genauestens zu durchleuchten.28 Auch ist es wohl ein weniger einschneidender Eingriff für den Steuerpflichtigen, wenn er gezwungen wird die steuerlich relevanten Sachverhalte seiner Lebensführung offenzulegen, als wenn von Seiten des Staates sein kompletter privater Lebensbereich untersucht und erst anschließend die steuerlich relevanten Bereiche herausgefiltert würden.29 Hartung betrachtete die Vorgängernorm des § 153 AO bereits als „Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, nach dem, wer durch sein Tun die Gefahr, einen anderen zu schädigen, herausbeschworen hat, verpflichtet ist, das ihm Mögliche zu tun, um den Schaden abzuwenden“.30 § 153 Abs. 1 AO liegt damit die Prämisse zugrunde, eine möglichst weitgehende Sicherung des Steueranspruchs zu erreichen.31

C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO verpflichtet den Steuerpflichtigen, der nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dazu, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO statuiert dieselbe Verpflichtung für denjenigen, der vor Ablauf der Festsetzungsfrist nachträglich erkennt, dass eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen Höhe entrichtet worden ist. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf den sich aus § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ergebenden Pflichtenkreis.

28  Vgl.

dazu: Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 62. Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 7, die der Norm damit auch einen gewissen Schutzcharakter zuschreibt. 30  Hartung, JZ 1960, 95 (98). 31  Kalbhenn, DStZ 1957, 202 (203). 29  Vgl.

26

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

I. Tatbestand des § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO 1. Verpflichtete Person a) Steuerpflichtiger § 153 Abs. 1 S. 1 AO verpflichtet den Steuerpflichtigen zu einer Berichtigung. Nach der Legaldefinition in § 33 Abs. 1 AO ist Steuerpflichtiger jeder, der eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzuführen oder abzuführen hat, wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat. „In Betracht kommen hiernach alle natürlichen und juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts sowie sonstige nicht rechtsfähige Gebilde (vgl. z. B. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG) und Personengesellschaften, soweit sie nach den Einzelsteuergesetzen steuerrechtsfähig sind.“32 Der Steuerpflichtige ist dabei nicht nur für die von ihm, sondern auch für die für ihn abgegebenen Erklärungen verantwortlich.33 Nach § 33 Abs. 2 AO ist kein Steuerpflichtiger, wer in fremden Steuersachen Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen zu gestatten hat. Strittig ist, ob die Berichtigungspflicht i. S. d. § 153 Abs. 1 AO nur steuererklärungspflichtige Personen oder tatsächlich alle Steuerpflichtigen i. S. d. § 33 Abs. 1 AO treffen soll. Müller vertritt die Ansicht, dass nur Erklärungspflichtige erfasst sein sollen.34 Dies begründet er mit der Systematik des Gesetzes: § 153 AO sei im Unterabschnitt Steuererklärungen aufgeführt und ergänze außerdem lediglich die Steuererklärungspflichten des § 149 AO. Der Wortlaut des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO erfasst allerdings ausdrücklich alle Steuerpflichtigen nach § 33 AO und lässt damit keinen Raum für eine einschränkende Auslegung. Der Wortlaut der Norm ist auch konform mit der übrigen Systematik der Abgabenordnung: Die Wahrheitspflicht i. S. d. § 90 Abs. 1 S. 2, § 150 Abs. 2 S. 1 AO umfasst ebenfalls alle Beteiligten nach § 78 AO und nicht ausschließlich die Personen, die zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind. Damit ist die weitreichende Verpflichtung in § 153 Abs. 1 AO überzeugender.35 Es ist ferner nicht ersichtlich, wieso diese BerichtiBB 2011, 1431 (1431). Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 2. 34  J. Müller, DStZ 2005, 25 (26); ebenso: Haselmann, in: Koenig, § 153 AO, Rn. 7. 35  Vgl. dazu im Ganzen: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 2; Seer, in: Tipke/ Kruse, § 153 AO, Rn. 2; ebenso: Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 8; 32  Jesse, 33  Vgl.:



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO27

gungsregelung nicht auch für Personen gelten soll, die freiwillig eine Steuererklärung abgegeben haben und dazu nicht verpflichtet waren.36 § 153 Abs. 1 AO beschränkt sich damit im Ergebnis nicht nur auf steuererklärungspflichtige Personen. Deibel macht allerdings zusätzlich deutlich, dass der Begriff „Steuerpflichtiger“ in der Abgabenordnung nicht immer einheitlich verwendet wird. So bezieht sich beispielsweise auch § 393 Abs. 1 AO auf den „Steuerpflichtigen“, wobei aus dem Kontext der Norm deutlich hervorgeht, dass alle Beteiligten i. S. d. § 78 AO erfasst sind.37 Unter Heranziehung der systematischen Stellung des § 153 Abs. 1 AO in der Abgabenordnung, der norminternen Struktur und des Regelzusammenhangs mit anderen Vorschriften der Abgabenordnungen kommt sie grundsätzlich ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Ausgangspunkt für die Bestimmung des Steuerpflichtigen in § 153 Abs. 1 S. 1 AO die Legaldefinitionen in § 33 Abs. 1 und Abs. 2 AO sind. § 33 Abs. 1 AO führt in diesem Rahmen aber lediglich beispielhaft auf, wer Steuerpflichtiger sein kann – die genaue Ausgestaltung des Begriffs sei normspezifisch vorzunehmen.38 Im Falle des § 153 Abs. 1 S. 1 AO bedeute dies, dass der Begriff „Steuerpflichtiger“ richtigerweise denjenigen umfasse, „der Adressat desjenigen Verwaltungsaktes ist bzw. sein wird, mit dem das steuerliche Verwaltungsverfahren in dessen Zusammenhang die tatbestandlich erfasste ‚Erklärung‘ abgegeben wurde, abgeschlossen worden ist oder werden wird“.39 Aus der Zielsetzung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO ergebe sich, dass im Vordergrund der Adressierung der Norm eher die Abgabe einer steuerlich relevanten Erklärung und weniger die Legaldefinition des § 33 AO steht. Es sei damit ein eingeschränktes Verständnis des § 33 AO heranzuziehen, wonach nur der Steuerpflichtige von § 153 Abs. 1 AO erfasst ist, der zugleich Beteiligter i. S. d. § 78 AO ist.40 Relevant wird diese Abgrenzung beispielsweise im Rahmen der Lohnsteueranmeldungen. Dabei ist der Arbeitgeber Steueranmeldungs- und Steuerentrichtungspflichtiger nach § 41a Abs. 1 S. 1 EStG, während der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 S. 1 EStG grundsätzlich Steuerschuldner ist.41 Beide sind die Lohnsteuer betreffend Steuerpflichtige i. S. d. Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 47; Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 47, 56; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 56. 36  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 26, insoweit zur Antragsveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 1 EStG. 37  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 19 m. w. N. 38  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 17. 39  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 56; ausführlich zur Herleitung: S. 11–56. 40  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 37. 41  Anders beim pauschalisierten Lohnsteuerabzugsverfahren nach § 40 Abs. 3 S. 2 EStG.

28

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

§ 33 AO. Adressat der Berichtigungsvorschrift des § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist richtigerweise laut Deibel aber nur der Arbeitgeber als Beteiligter i. S. d. § 78 Nr. 2 AO – nicht aber derjenige, für den die Steuer entrichtet wurde.42 Regelmäßig muss allerdings keine derartige Unterscheidung vorgenommen werden und die Bestimmung des Steuerpflichtigen i. S. d. § 153 Abs. 1 AO ist unproblematisch. Nicht zu den Verpflichteten zählen nach ganz herrschender Meinung Ehegatten und Lebenspartner.43 Diese sind zwar im Rahmen einer Zusammenveranlagung gemäß § 25 Abs. 3 S. 2 EStG im Bereich der Einkommensteuer gemeinsam zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet und müssen diese auch zur Bestätigung von deren Richtigkeit gemäß § 150 Abs. 2 AO gemeinsam unterschreiben – sie sind aber nicht jeweils für den gesamten Inhalt der Erklärung verantwortlich. Jeder Ehegatte trägt lediglich die Verantwortung für die ihn betreffenden Angaben.44 Bezüglich der Angaben des Ehepartners ist der andere Ehegatte kein Steuerpflichtiger i. S. d. § 33 Abs. 1 i.V. m. § 153 Abs. 1 S. 1 AO, sondern wird vielmehr in einer fremden Steuersache tätig.45 Eine andere Bewertung würde der Intention des § 101 Abs. 1 S. 1 AO und dem Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG widersprechen.46 Nach § 101 Abs. 1 S. 1 AO steht Angehörigen eines Beteiligten, wie beispielsweise dem Ehegatten47, ein Auskunftsverweigerungsrecht zu – dies würde bei zusammenveranlagten Ehegatten leerlaufen, wenn beide Ehegatten auch bezüglich der jeweiligen steuerlichen Verhältnisse des anderen als Beteiligte gelten würden.48 Ehegatten können folglich nicht dazu verpflichtet werden, gegenseitige Kontrollen bezüglich der Korrektheit der steuerlichen Angaben vorzunehmen.49 Sind Personenmehrheiten als Steuerpflichtige betroffen und hat eine Person im Vorhinein vorsätzlich eine unrichtige Erklärung abgegeben, kann die Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 37. v. 16.4.2002 – IX R 40/00, BStBl. II 2002, 501 (502); AEAO Nr. 4 zu § 153; zustimmend: Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 9; Erdbrügger/ Jehke, BB 2016, 2455 (2456); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (13); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 106; Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 113; Heuel, wistra 2015, 338 (340 f.); Jesse, BB 2011, 1431 (1431); Wegner, SteuK 2016, 289 (291). 44  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 6 m. w. N.; vgl. auch: Rau, in: FS Streck, S. 533 (535). 45  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 48; J. Müller, StBp 2005, 195 (196). 46  Jesse, BB 2011, 1431 (1431  f.); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 57 f. 47  Gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Ehegatten Angehörige. 48  Jesse, BB 2011, 1431 (1432); J. Müller, DStZ 2005, 25 (26). 49  J. Müller, StBp 2005, 195 (196). 42  Deibel,

43  BFH



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO29

Berichtigungspflicht der anderen betroffenen Beteiligten entfallen, wenn sie sich dadurch selbst eines Steuervergehens bezichtigen müssten.50 Inwieweit die Gefahr einer Selbstbezichtigung zum Ausschluss einer steuerlichen Erklärungspflicht führt, wird ausführlich im dritten Kapitel dieser Arbeit thematisiert.51 Unter Satz 1 können auch – in § 153 Abs. 1 S. 2 AO eigentlich gesondert erfasste – Gesamtrechtsnachfolger fallen – jedenfalls soweit sie bereits selbst unrichtige oder unvollständige Erklärungen in ihrer Funktion als Gesamtrechtsnachfolger abgegeben haben, deren Unrichtigkeit im Nachhinein erst erkannt wird.52 Exemplarisch angeführt werden können dabei Erbschaftssteuererklärungen, Anzeigen nach § 30 ErbStG oder noch offene Steuererklärungen der Vorjahre des Erblassers. § 153 Abs. 1 S. 2 AO hat insoweit nur eine Auffangfunktion hinsichtlich der vom Rechtsvorgänger selbst abgegebenen Erklärungen. b) Gewillkürte Vertreter Lange Zeit war umstritten, ob rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter, wie Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte, oder gewillkürte Vertreter, wie Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Buchhalter und Angestellte eines Unternehmens, durch § 153 Abs. 1 S. 1 AO verpflichtet werden können.53 Dafür würde sprechen, dass die Garantenpflicht aus vorangegangenem gefährlichen Tun entstehen soll und dem Steuerberater wegen seiner meist größeren Fachkenntnis eine gewisse Fürsorgepflicht zugeschrieben werden kann.54 Teilweise wurde vertreten, dass den Steuerberater nur eine Berichtigungspflicht trifft, wenn er die Steuererklärung des Steuerpflichtigen eigenhändig unterschrieben hat nach § 150 Abs. 3 S. 1 AO.55 Nach mittlerweile ganz herrschender Meinung ergibt sich jedoch in diesen Fällen keine Berichtigungspflicht. § 153 Abs. 1 AO statuiert sehr deutlich, dass lediglich derjenige, für den die Erklärung abgegeben wurde, berichtigungs50  Halaczinsky/Füllsack, 51  S. 205 ff.

BB 2011, 2389 (2343).

52  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 49; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (13); Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2842); J. Müller, DStZ 2005, 25 (27); Samson, wistra 1990, 245 (248); a. A. wohl: Milatz/Wegmann, wistra 2015, 417 (419), die in diesen Fällen auch auf § 153 Abs. 1 S. 2 AO abstellen. 53  Vgl. hierzu: Brenner, BB 1987, 1856; Möller, Berichtigungspflicht, S. 61–107. 54  Vgl. Brenner, DRiZ 1981, 412 (414); ders., BB 1987, 1856 (1857). 55  Dies ablehnend: Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 12; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 67; dazu auch: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn.  4 m. w. N.

30

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

pflichtig ist.56 Zum Vergleich: Anders als in § 153 Abs. 1 S. 1 AO werden von § 378 Abs. 1 AO explizit Personen erfasst, die bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen falsche Angaben machen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass entsprechende Bevollmächtigte nach dem Willen des Gesetzgebers von der Pflicht des § 153 Abs. 1 AO gerade nicht umfasst sein sollen.57 Dies wurde auch im Jahre 2016 durch Nr. 4 des Anwendungserlasses zu § 153 AO klargestellt. Die Aufzählung der verpflichteten Personen in § 153 AO soll abschließend sein; dem Steuerberater kommt damit keine Garantenstellung aus § 153 AO zu.58 Ein Steuerberater hat nach herrschender Meinung nicht einmal das Recht, gegen den Willen des Betroffenen eine Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO einzureichen – ein solches Vorgehen würde eine Berufspflichtverletzung darstellen.59 Der Steuerberater hat somit aufgrund seiner Verschwiegenheitspflicht gemäß § 57 Abs. 1 StBerG, die ebenfalls gegenüber der Finanzverwaltung gilt, auch ansonsten keine Möglichkeit die Finanzverwaltung über den Fehler zu informieren.60 Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen sich Bevollmächtigte selbst nach §§ 370, 378 AO wegen unrichtiger Angaben strafrechtlich verantworten müssen.61 Ein Steuerberater kann aber gleichwohl verpflichtet sein, im Innenverhältnis auf eine Berichtigung durch den Steuerpflichtigen hinzuwirken und den Steuerpflichtigen auf seine Pflicht aus § 153 AO hinzuweisen, wenn er erkennt, dass für den Steuerpflichtigen eine unrichtige Erklärung abgegeben wurde und sich daraus für diesen die Gefahr einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 AO ergibt.62 Verweigert der Steuerpflichtige eine Berichtigung, müsste der Steuerberater das Mandat niederlegen, wenn sich der Fehler in weiteren Steuererklärungen fortsetzen würde und er sich 56  BGH v. 20.12.1995 – 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563 (565); Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 4; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 12; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 4; Achenbach, Stbg 1996, 299 (302); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (14); Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 90 f.; Jesse, BB 2011, 1431 (1433); Lohmeyer, StB 1990, 192 (192); Schuhmann, wistra 1994, 45 (46); Steinhauff, AO-StB 2011, 269; Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 29. 57  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 4; J. Müller, StBp 2005, 195 (197). 58  J. Müller, StBp 2005, 195 (197). 59  Jesse, BB 2011, 1431 (1432); Lohmeyer, StB 1990, 192 (193); J. Müller, DStZ 2005, 25 (28). 60  J. Müller, StBp 2005, 195 (197); ders., DStZ 2005, 25 (28); ebenso: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 53 mit Verweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht für steuerberatende Berufe nach § 102 Abs. 1 Nr. 3b AO und das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO. 61  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 5. 62  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 5; Jesse, BB 2011, 1431 (1432); Lohmeyer, StB 1990, 192 (192 f.); J. Müller, StBp 2005, 195 (197).



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO31

nicht als Mittäter oder Teilnehmer strafbar machen möchte.63 Es stellt sich dabei die Frage, ob dem Steuerberater aufgrund einer von ihm verschuldeten falschen Erklärung eine Garantenpflicht nach § 13 StGB zugeschrieben werden kann. Wäre dies der Fall, würde sich aus § 153 Abs. 1 AO zwar nicht unmittelbar, durch die drohende Unterlassungsstrafbarkeit aber mittelbar die Pflicht ergeben, auf eine Berichtigung hinzuwirken. Gegen eine abschließende Regelung der Garantenstellung in § 153 Abs. 1 AO würde ­ sprechen, dass der Berichtigungspflicht primär eine verwaltungsrechtliche Funktion zukommt.64 § 153 AO statuiert eine steuerrechtliche Mitwirkungspflicht und bildet nicht zwingend alle strafrechtlichen Garantenstellungen ab. Dennoch wäre es widersprüchlich, wenn das Steuerstrafrecht als Sekundärordnung höhere Anforderungen an ein rechtmäßiges Verhalten stellen würde als das Steuerrecht als Primärordnung. Eine Garantenstellung darf damit nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht über die Pflichtenstellung des § 153 AO hinausgehen; § 153 AO ist insoweit lex specialis zu § 13 StGB.65 Aus § 13 StGB als allgemeineren Norm lässt sich damit keine Garantenstellung ableiten – andernfalls würde die eindeutige Regelung des § 153 Abs. 1 AO umgangen.66 Der Steuerberater kann folglich jedenfalls keine Garantenpflicht aus Ingerenz zur Berichtung haben. Angehörige der rechtsberatenden Berufe können damit nur gemäß § 153 Abs. 1 AO verpflichtet werden, wenn sie eine Position nach §§ 34, 35 AO innehaben – aus einem regulären Mandantschaftsverhältnis kann sich eine derartige Pflicht jedoch nicht ergeben.67 2. Steuerlich relevante Erklärung a) Allgemeines Die Berichtigungspflicht bezieht sich auf vergangene, abgegebene Erklärungen. Abgegeben ist eine Erklärung grundsätzlich, wenn diese derart in den Machtbereich der zuständigen Finanzbehörde gelangt, dass sie bei einem

StBp 2005, 195 (197); a. A.: A. Müller, AO-StB 2002, 58 (59). in: HHSp, § 153 AO, Rn. 5. 65  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 5; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 5; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (15); Harms, Stgb 2005, m. w. N.; vgl. hierzu auch: Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenstellung im Strafrecht?, S. 125, 131, die deutlich macht, dass im Rahmen des Strafrechts nichts bestraft werden darf, das nach Primärrecht zulässig ist. 66  Achenbach, Stbg 1996, 299 (303); J. Müller, DStZ 2005, 25 (27). 67  Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 27; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (15); Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2843). 63  J. Müller,

64  Heuermann,

32

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

gewöhnlichen Arbeitsablauf zur Kenntnis genommen werden kann.68 Dabei ist es unerheblich, ob der Steuerpflichtige die Erklärung selbst abgegeben hat oder ob sie von einer anderen Person für ihn abgegeben wurde.69 Für den Steuerpflichtigen wurde eine Erklärung abgegeben, wenn sie sich auf dessen Steuerangelegenheiten bezieht – eine Autorisierung des Dritten ist nicht erforderlich, d. h. der Steuerpflichtige hat auch Erklärungen zu korrigieren, die jemand Drittes aus eigenem Antrieb für ihn abgibt.70 Der Erklärungsbegriff des § 153 Abs. 1 AO ist nach herrschender Meinung weit zu verstehen, sodass darunter nicht nur Steuererklärungen, sondern vielmehr alle Äußerungen, die Auswirkungen auf Festsetzung, Erhebung oder Vollstreckung von Steuern haben können, zu fassen sind.71 Die Notwendigkeit einer Steuererheblichkeit ergibt sich aus der norminternen Formulierung, nach der sich aus der Erklärung eine Verkürzung der Steuern bereits ergeben haben oder jedenfalls die Gefahr einer solchen bestehen muss. Dies wird noch einmal dadurch bestätigt, dass die Berichtigungspflicht auf noch nicht festsetzungsverjährte Zeiträume beschränkt ist72 – Zweck des § 153 Abs. 1 AO ist, dass die negative Auswirkung einer Unrichtigkeit auf die Steuerfestsetzung korrigiert wird. Eine Steuererklärung ist dabei – verkürzt gesagt – nur eine „formalisierte Auskunft“73 über steuerlich erhebliche Tatsachen, sodass formlosen Erklärungen ein identischer Aussagegehalt zukommen kann. Aus teleologischer Sicht ist somit dem Wortlaut entsprechend jede Erklärung mit steuerlicher Relevanz als von § 153 Abs. 1 S. 1 AO erfasst anzusehen. Indiz für diese Auslegung ist die Gesetzgebungsgeschichte der Norm: In § 165e RAO war ausdrücklich noch eine Verpflichtung für sonstige Erklärungen neben derjenigen für Steuererklärungen vorgesehen. In der Reichsabgabenordnung war die entsprechende Vorschrift ferner – und wohl passender – noch im Bereich der allgemeinen Pflichten des Steuerpflichtigen verortet.74 in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 16. StB 1990, 192. 70  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 7. 71  AEAO zu § 153, Nr. 3; Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1a, 7; Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 2; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 14; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (15); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 91; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 35; Hoff, Handlungsunrecht, S. 94 f.; ausführlich zur Herleitung dieses Ergebnisses: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 57–110; Lohmeyer, StB 1990, 192 (193); Steinhauff, AO-StB 2015, 337 (338); Wegner, SteuK 2016, 289 (290); a. A. dagegen: Haselmann, in: Koenig, § 153 AO, Rn. 6 f.; J. Müller, DStZ 2005, 25 (28); ders., StBp 2005, 195 (195); Kottke, DStR 1996, 1350. Nach der abweichenden Meinung bedürfte es jeweils einer Steuererklärung, siehe: Schlotter, Ubg 2014, 22 (24). 72  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 111. 73  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 53. 74  Siehe S. 20 ff. 68  Schindler,

69  Lohmeyer,



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO33

Nachdem eine inhaltliche Änderung der Norm in der Reform nicht beabsichtigt war,75 ist die entsprechende Auslegung beizubehalten. Heute ist die Vorschrift im Abschnitt „Steuererklärungen“ verortet und dort – wie oft angemerkt – eigentlich fehlplatziert.76 Der maßgeblichen Erklärung muss auch tatsächlich eine steuerliche Erheblichkeit innewohnen.77 Steuerliche Erheblichkeit bei Tatsachen ist gegeben, wenn diese „zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestandes herangezogen werden müssen, also Grund und Höhe des Steueranspruchs oder Steuervorteils beeinflussen“.78 Eine unrichtige Erklärung, die keinerlei Auswirkung auf die festgesetzte oder künftig festzusetzende Steuer haben kann, kann damit keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO nach sich ziehen.79 Unter Erklärungen i. S. d. § 153 AO fallen dabei auch Anträge auf Herabsetzung von Steuervorauszahlungen bzw. allgemein Angaben zur Festsetzung von Steuervorauszahlungen.80 Dadurch kann der Steuerpflichtige sowohl Steuern verkürzen, als auch einen ungerechtfertigten Zins- oder Liquiditätsvorteil erlangen.81 Ferner sollen Feststellungserklärungen unter den Anwendungsbereich der Norm gefasst werden, die jedenfalls mittelbar zu einer Steuerverkürzung führen können.82 Allerdings ergibt sich keine Berichtigungspflicht, wenn die Angaben im Zeitpunkt der Abgabe des Antrags korrekt waren und sich erst danach Umstände ergeben, die zu einer höheren Steuer führen würden.83 Anträge auf Stundung nach § 222 AO oder auf Erlass einer Steuerschuld nach § 227 AO führen dagegen nur zu einem von 75  BT-Drs.

7/4292, 10 ff. in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 1, 10; a. A.: Madauß, NZWiSt 2016, 343 (344); J. Müller, StBp 2005, 195 (197). 77  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 9; deutlich wird dies vor allem in Urteilen zur Anzeigepflicht von Erben bei nachträglichem Auffinden von Nachlassgegenständen: BFH v. 16.4.2002 – IX R 40/00, BStBl. II 2002, 501 (502); FG Düsseldorf v. 26.3.1999 – 18 K 2662-95 AO, DStRE 2000, 211. 78  Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 8. 79  Die steuerliche Relevanz muss sich nicht auf denselben Veranlagungszeitraum beziehen, für den die Erklärung abgegeben wurde; ausreichend sind bspw. auch Erklärungen, die erhöhte Verlustvorträge herbeiführen, die in der Zukunft zu Steuerverkürzungen führen könnten. 80  AEAO zu § 153, Nr. 3; Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 3; Balmes/Ambroziak, AO-StB 2010, 19 (19 f.). 81  Balmes/Ambroziak, AO-StB 2010, 19 (20). 82  So: Madauß, NZWiSt 2021, 335 (339 f.), wonach § 153 Abs. 1 S. 1 AO zwar keine nicht gerechtfertigten Steuervorteile nennt, jedoch auch Feststellungserklärungen mittelbar Auswirkungen auf die Steuerfestsetzungen haben. 83  Balmes/Ambroziak, AO-StB 2010, 19 (20); Beneke, BB 2016, 2327 (2330); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (16); Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (454); Neuling, DStR 2016, 1652 (1655). 76  Seer,

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

§ 153 AO nicht erfassten „ungerechtfertigten Steuervorteil“ und nicht zu einer verkürzten Steuer.84 Soweit hierbei Unrichtigkeiten bestehen, ergibt sich damit jedenfalls keine Berichtigungspflicht aus § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Wurde von dem oder für den Steuerpflichtigen keine Erklärung abgegeben, findet der Wortlaut des § 153 Abs. 1 S. 1 AO keine Anwendung. Teilweise wurde vertreten, dass in diesen Fällen erst recht eine Berichtigungspflicht greifen müsse, um eine Besserstellung desjenigen, der die Abgabe einer Erklärung vollständig unterlassen hat, zu verhindern.85 In diesen Fällen besteht jedoch die ursprüngliche Erklärungspflicht nach §§ 149, 150 AO i. V. m. den Einzelsteuergesetzen fort, auch wenn bereits ein Schätzungsbescheid nach § 162 AO ergangen ist.86 Somit kommt es nicht zur befürchteten Besserstellung und es gibt keine Regelungslücke, die durch eine erweiterte Auslegung aufgefüllt werden müsste.87 b) Ressortfremde Adressaten der Erklärung Umstritten ist, ob die Abgabe der Erklärung direkt gegenüber der Finanzbehörde erfolgt sein muss oder ob es ausreicht, wenn gegenüber einer anderen Stelle steuerlich relevante Informationen erklärt wurden, die Bindungswirkung für die Steuerfestsetzung entfalten. Deibel spricht sich für die zweite Ansicht aus.88 Ihres Erachtens ergibt sich aus der Zielsetzung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, dass auch unrichtige oder unvollständige Erklärungen, die an andere Behörden gerichtet sind, vom Anwendungsbereich umfasst sein müssen, soweit sie Bindungswirkung für die Steuerfestsetzung entfalten und der Finanzbehörde kein eigenständiger Beurteilungsspielraum mehr zusteht.89 in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 10; Jesse, BB 2011, 1431 (1435). Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274 (274); Brenner, DRiZ 1981, 412 (413). 86  Vgl. dazu die Gesetzgebungsmaterialien zur Gesamtreform der Abgabenordnung: BT-Drs. VI/1982, S. 129, wonach eine Berichtigungspflicht in den Fällen der Nichtabgabe nicht besonders erwähnt wird, „weil dann die Erklärungspflicht ohnehin fortbesteht“; außerdem: Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 3; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 8; Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 33; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 70 f.; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (15); Jesse, BB 2011, 1431 (1436); Lohmeyer, StB 1990, 192 (192); Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (784). 87  Ausführlicher: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 114–116; ebenso: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 32 f.; Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 98; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 69 f. 88  Dazu: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 116–118. 89  Als Beispiel für eine entsprechende Erklärung mit Bindungswirkung wird von Deibel die Regelung des § 7h Abs. 2 S. 1 EStG angeführt; vgl. Fn. 510 mit Verweis 84  Seer,

85  OLG



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO35

Eine solche Bindungswirkung ergibt sich bei Grundlagenbescheiden, die auch von anderen Behörden erlassen werden können (sogenannte ressortfremde Grundlagenbescheide).90 Dass auch diese Erklärungen erfasst sein sollen, geht aus der historischen Entwicklung der Norm hervor. Insoweit wurde der Anwendungsbereich der Norm erweitert: In der Vorgängerregelung § 165e Abs. 1 RAO waren ausschließlich gegenüber Finanzbehörden abgegebene Erklärungen erfasst.91 Nach Wulf ist eine unrichtige oder unvollständige Erklärung gegenüber einer anderen Behörde dagegen nicht zur Begründung einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO ausreichend, wenn nach der Erklärung gegenüber einer anderen Behörde weitere Zwischenakte erforderlich sind, um steuerliche Auswirkungen herbeizuführen.92 Wulf sieht in der Erklärung steuerlich relevanter Tatsachen gegenüber einer anderen Behörde eine bloße „Vorbereitungshandlung“, die selbst noch nicht unmittelbar zu einer Steuerverkürzung führt. Legt der Steuerpflichtige Bescheinigungen, die aus einer Interaktion mit sonstigen Stellen hervorgegangen und unrichtig bzw. unvollauf BFH v. 21.8.2001 – IX R 20/99, BStBl. II 2003, 910 und BFH v. 22.9.2005 – IX R 13/04, BStBl. II 2007, 373. Nach § 7h Abs. 2 S. 1 EStG kann eine erhöhte Absetzung bei Gebäuden in Sanierungsgebieten und in städtebaulichen Entwicklungsbereichen nur in Anspruch genommen werden, wenn der Steuerpflichtige eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde vorlegt. Lt. der Entscheidung des BFH handelt es sich bei der Bescheinigung der Gemeinde um einen für die Finanzverwaltung bindenden Grundlagenbescheid i. S. d. § 171 Abs. 10 AO. Dabei ist anzumerken, dass in der Einreichung der Bescheinigung bei der zuständigen Finanzbehörde eine Erklärung i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO zu sehen ist, sodass die Frage, ob die Einreichung notwendiger Unterlagen bei der Gemeinde ebenfalls unter den Begriff der Erklärung i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO fällt, in Bezug auf diese Norm obsolet ist. 90  Grundlagenbescheide sind in § 171 Abs. 10 S. 1 AO legaldefiniert. Diese können sowohl von Finanzbehörden als auch von Behörden außerhalb der Finanzverwaltung erlassen werden; siehe: Banniza, in: HHSp, § 171 AO, Rn. 206. Vgl. dazu auch die beispielhaften Ausführungen von: Klose, AO-StB 2012, 308 (308). Demnach zählen zu den ressortfremden Grundlagenbescheiden etwa Erbscheine, Feststellungen des Versorgungsamtes für den Nachweis einer Körperbehinderung sowie Bescheinigungen nach § 7h Abs. 2 und § 7i Abs. 2 EStG. Nicht dazu gehören sog. Bescheinigungen, denen allenfalls eine faktische Bindungswirkung zukommt (bspw. Kapital­ ertragsteuer-, Spendenbescheinigungen), so: Gebhardt, AO-StB 2021, 32 (33). 91  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 116; vgl. dazu auch Kap. 1 Fn. 5. 92  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 188–190; exemplarisch für einen Zwischenschritt kann die Vorlage von Bescheinigungen bei der Finanzbehörde angeführt werden. Vgl. dazu explizit Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 188, der insoweit die Erweiterung des Adressatenkreises in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf „andere Behörden“ als überflüssig bezeichnet. Kausal für eine Steuerverkürzung sei seines Erachtens lediglich die Einreichung von Unterlagen bei der Finanzbehörde.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

ständig sind, der Finanzbehörde vor, so liegt erst darin eine Erklärung i. S. d. § 153 Abs. 1 AO. Beiden Ansichten ist im Grundsatz zuzustimmen. Ausschlaggebend kann jedoch nicht allein die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids sein, sondern in erster Linie, ob Entscheidungen anderer Behörden von der Finanzverwaltung von Amts wegen, ohne weiteres Zutun des Steuerpflichtigen, berücksichtigt werden oder ob ein Grundlagenbescheid steuerlich erst Berücksichtigung findet, wenn der Steuerpflichtige ihn gesondert der Finanzbehörde vorlegt. Ergeht eine Bescheinigung nur „zur Vorlage beim Finanzamt“ und findet trotz Bindungswirkung keine automatische Weiterleitung an die Finanzbehörde statt, hinge die Frage, ob die ressortfremde Entscheidung steuerliche Berücksichtigung findet, noch vom Entschluss des Steuerpflichtigen ab.93 Erteilt eine Gemeinde an einen Steuerpflichtigen eine Bescheinigung i. S. d. § 7h Abs. 2 S. 1 EStG, die bei Vorlage bei der Finanzbehörde zu einer erhöhten Absetzung berechtigt, so hängt die steuerliche Berücksichtigung von der Einreichung des Steuerpflichtigen bei der Finanzbehörde ab. Die Gemeinde leitet eine entsprechende Bescheinigung nicht automatisch weiter, obwohl diese für die Finanzbehörde bindend ist.94 Diese Bindungswirkung ist aber faktisch wirkungslos, wenn die zuständige Finanzbehörde keine Kenntnis von dem Grundlagenbescheid erlangt. Erst mit der Einreichung einer entsprechenden Bescheinigung bei der zuständigen Finanzbehörde erlangt diese Kenntnis von dem Grundlagenbescheid und dieser kann erst in diesem Zeitpunkt eine steuerliche Wirkung entfalten. Entscheidet sich der Steuerpflichtige dagegen dafür, die erlangte Bescheinigung steuerlich nicht geltend zu machen, droht auch keine Steuerverkürzung und der Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist nicht eröffnet. Maßgeblich muss die Handlung sein, mit der die steuerrechtlichen Rechtsfolgen unmittelbar ausgelöst werden respektive werden können. Geschieht dies bereits durch eine Erklärung gegenüber einer anderen Behörde, so kann auch in Bezug darauf die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 S. 1 AO greifen. Nur so wird dem Zusatz in § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO „und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist“ ausreichend Rechnung getragen. Hat ein Steuerpflichtiger einen unrichtigen Grundlagenbescheid erwirkt, sich dann aber dazu entschlossen, diesen nicht bei der Finanzbehörde einzureichen, besteht insoweit keine Gefahr einer Steuerverkürzung, der mit Hilfe einer Berichtigungsvorschrift entgegengewirkt werden müsste. Zusammengefasst können somit nur in den Fällen un93  Dazu, dass Finanzbehörden regelmäßig nur über den Steuerpflichtigen Kenntnis von ressortfremden Bescheiden erlangen: von Wedelstädt, AO-StB 2014, 150 (154). 94  Siehe Kap. 1 Fn. 89.



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richtige Erklärungen gegenüber ressortfremden Behörden vom Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 S. 1 AO umfasst sein, in denen diese Erklärungen unmittelbar steuerliche Rechtsfolgen auslösen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Grundlagenbescheid automatisch an die zuständige Finanzbehörde weitergeleitet wird. 3. Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit Eine Erklärung ist dann unrichtig oder unvollständig, wenn objektiv unzutreffende oder lückenhafte Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht wurden.95 Zu den im Rahmen von § 153 AO maßgeblichen Tat­ sachen zählen dabei beispielsweise Zustände, Sachverhalte, Geschehnisse, Herrschaftsverhältnisse, Gesellschaftsverhältnisse und Rechtstatsachen, wie z. B. Eigentumsverhältnisse.96 Unrichtig ist eine Erklärung, wenn gemachte Angaben nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.97 Unvollständig ist eine Erklärung dagegen, wenn ein steuerlich relevanter Sachverhalt nur teilweise dargelegt wurde, die gemachten Angaben aber in der Sache zutreffend sind und der Eindruck erweckt wird, dass die Erklärung vollständig ist.98 Die Begriffe Unrichtigkeit und Unvollständigkeit sind dabei zum Teil durchaus deckungsgleich – die im Erklärungsvordruck einzutragende Information wurde sowohl bei Unrichtigkeit als auch bei Unvollständigkeit schlicht nicht korrekt angegeben.99 Eine genauere Abgrenzung zwischen den beiden Tatbestandsmerkmalen muss aufgrund ihrer Gleichrangigkeit nicht erfolgen.100 95  Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 17; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 11; Madauß, NZWiSt 2016, 343 (344); Schlotter, Ubg 2014, 22 (24); Schuhmann, wistra 1994, 45 (46); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (92 f.); die Maßgeblichkeit der Tatsachenangaben wird nach Wulf, in: FS Streck, 627 (628) bereits darin deutlich, dass § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als taugliche Tathandlung nur das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen umfasst. 96  J. Müller, DStZ 2005, 25 (28); ders., StBp 2005, 195 (197). 97  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 112. 98  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 112 f.; vgl. auch Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (16). 99  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 8; Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 33; vgl. auch J. Müller, DStZ 2005, 25 (28); Wulf, Stbg 2010, 295 (296); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 68 f.; Helmrich differenziert danach, dass bei Unrichtigkeit die Verhältnisse falsch dargestellt werden und bei Unvollständigkeit einfach Angaben weggelassen werden [DStR 2009, 2132 (2133)]. Ebenfalls a. A.: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 112, die beiden Begrifflichkeiten einen eigenständigen Regelungsgehalt zukommen lässt, nachdem bei einer unvollständigen Erklärung die gemachten Angaben zutreffend sein können. 100  Jesse, BB 2011, 1431 (1436).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Allerdings werden in Erklärungsvordrucke nicht nur Tatsachen eingetragen, sondern meist bereits das Ergebnis einer rechtlichen Beurteilung durch den Steuerpflichtigen, sodass die Tatsachen lediglich konkludent erklärt werden.101 Leiten sich diese Erklärungen des Steuerpflichtigen aus einer rechtlich nicht vertretbaren oder schlicht falschen Rechtsanwendung ab, die für das Finanzamt nicht erkennbar ist, so zählen Fragen der Rechtsanwendung in den Begriff der Fehlerhaftigkeit i. S. d. § 153 Abs. 1 AO.102 Eine unvollständige Erklärung liegt beispielsweise vor, wenn der Steuerpflichtige irrtümlich davon ausgeht, dass ein Sachverhalt steuerlich nicht relevant ist und daher in seiner Steuererklärung gar nicht erklärt werden braucht.103 Nicht abschließend geklärt ist dabei, inwieweit einer von der Auffassung der Finanzverwaltung abweichenden aber vertretbaren rechtlichen Bewertung im Rahmen von § 153 Abs. 1 AO Relevanz zukommen kann. Nach vorherrschender Ansicht sind diese Konstellationen vom Merkmal der „Unrichtigkeit“ grundsätzlich nicht erfasst.104 Die dogmatische Auslegung einer Norm habe keine Gesetzeskraft und enthalte damit keine „objektive Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit“, sondern vielmehr ein eher subjektives Verständnis der Norm im Rahmen der geltenden Auslegungskriterien.105 Die in der Abgabenordnung statuierten Mitwirkungspflichten zielten auch lediglich darauf ab, dass der Finanzverwaltung die für die steuerrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts relevanten Informationen zur Verfügung gestellt werden.106 Die Verantwortung für die Rechtsanwendung liege bei der Finanzbehörde.107 Nach anderer Ansicht lasse sich aus der differenzierenden Verwendung der Begriffe „unrichtig“ und „unvollständig“ ableiten, dass eine fehlerhafte Subsumtion bzw. eine fehlerhafte rechtliche Würdigung vom Tatbestand des § 153 AO erfasst sein solle.108 Der Steuerpflichtige muss – nach Vertretern beider Ansichten – jedoch alle für ihn hinreichend erkennbar für die Finanzbehörde relevanten Tatsachen offenlegen, die für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen von Relevanz sein könnten und für eine abweichende Subsumtion erforderUbg 2014, 22 (26); Wulf, in: FS Streck, S. 627 (636). AO-StB 2004, 439 (440); J. Müller, StBp 2005, 195 (197). 103  Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2840). 104  Brenner, DRiZ 1981, 412 (413); Geuenich, NWB 2016, 2560 (2562); Schlotter, Ubg 2014, 22 (24); Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 10, 18. 105  Vgl. Beyer, AO-StB 2019, 122 (123). 106  Schlotter, Ubg 2014, 22 (24). 107  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 8; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 17; Brenner, DRiZ 1981, 412 (413); Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1266). 108  Tormöhlen, AO-StB 2010, 141 (142); Lohmeyer, StB 1990, 192 (192); vgl. auch: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 8, der auch falsche rechtliche Wertungen unter die inhaltliche Unrichtigkeit fasst. 101  Schlotter,

102  A. Müller,



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO39

lich wären.109 Dabei müsse allerdings z. B. nicht jeder Bilanzierungsvorgang einzeln erläutert werden – zur Praktikabilität wird in der Praxis die Einschränkung vorgenommen, dass nur solche Geschäftsfälle offengelegt werden müssen, bei denen von allen gängigen Rechtsauffassungen abgewichen wird.110 Der Steuerpflichtige hat folglich alle Tatsachen darzulegen, die nach dem typisierten Empfängerhorizont der Finanzbehörden relevant sind111 und darf keine aus Sicht der Finanzbehörde für eine korrekte Beurteilung der Rechtslage möglicherweise erforderlichen Informationen verschweigen. Dabei ist zwingende Voraussetzung, dass für die Allgemeinheit erkennbar ist, welche Informationen relevant sind, z. B. dadurch, dass die Relevanz der Informationen aus dem Bundessteuerblatt oder einem Anwendungserlass ersichtlich ist.112 Auch wenn der fachlich nicht beratene Steuerpflichtige oftmals nicht über Kenntnisse der geltenden Rechtsauffassungen verfügt, hat er dennoch alle in den Steuervordrucken abgefragten Informationen preiszugeben.113 Dabei muss die Finanzbehörde die jeweiligen Erklärungsvordrucke auch dahingehend gestalten, dass die benötigten Informationen vom Steuerpflichtigen abgefragt werden.114 Die Unrichtigkeit kann sich ferner aus den freiwillig der Erklärung beigefügten Belegen ergeben, denen eine steuerliche Relevanz zukommt.115 Der Steuerpflichtige müsse also seine (ggf. abweichende) rechtliche Würdigung unter vollständiger Offenlegung des Sachverhalts kundtun.116 Solange er dieser Pflicht nachkommt, könne ihn keine Berichtigungspflicht nach § 153 AO treffen, da die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts im Verantwortungsbereich der Finanzbehörde liegt.117 Auch Gatzen stellt für die Beurteilung der Unrichtigkeit einer Erklärung darauf ab, 109  BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203 (204); Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 17; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 11; Schlotter, Ubg 2014, 22 (24); Möller, Berichtigungspflicht, S. 126; Wulf, in: FS Streck, S. 627 (637); sich für eine weite Offenbarungspflicht auch für Informationen aussprechend, deren rechtliche Relevanz zweifelhaft ist: Jesse, BB, 2011, 1431 (1436); kritisch zu dieser Hinweispflicht auf abweichende Rechtsauffassungen, bei einer eindeutigen Linie der Finanzverwaltung, im Ergebnis jedoch zustimmend: Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 10–15; a. A.: Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1261–1266), wonach eine umfassende Offenbarungspflicht nur bestehe, wenn der Steuerpflichtige von allen denkbaren Auffassungen abweicht. 110  Harms, Stbg 2012, 12. 111  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 11; Beyer, AO-StB 2019, 122 (122 f.). 112  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 11. 113  Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 17. 114  Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1263). 115  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 8. 116  BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203 (204). 117  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 8; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 17; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 11.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

ob die Tatsachenmitteilung rechtliche Fehlanwendungen enthält und ob die zugrunde gelegte rechtliche Fehlbeurteilung für die Finanzbehörde erkennbar ist oder nicht. Wird eine unrichtige rechtliche Bewertung hinter Tatsachenangaben „versteckt“, kann sich daraus folglich eine Unrichtigkeit i. S. d. § 153 Abs. 1 AO ergeben.118 Dieser Ansicht wird jedoch auch Kritik entgegengesetzt: Demnach führe eine Verpflichtung zur umfassenden Offenlegung aller steuerlich eventuell relevanten Umstände zu einer zu weit gehenden Haftung von Steuerberatern und sei unpraktikabel.119 Auch das Gesetz kenne eine derartige Offenlegungspflicht nicht – nach § 150 AO sind Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Muster und nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben. Daraus könne keine Pflicht zur vollständigen Offenlegung jeglicher Sachverhalte, deren steuerliche Auslegung zweifelhaft ist, oder zur Angabe alternativer Zahlen, abgeleitet werden.120 Auch Erklärungsvordrucke lassen grundsätzlich keinen Raum für Sachverhaltsschilderungen und sind nicht für die Angaben von alternativen Zahlen ausgelegt; eine umfängliche Darstellung jeder möglichen Zweifelsfrage würde auch mit Datenmengen einhergehen, deren Prüfung für die Finanzbehörden schlicht nicht zu bewältigen wären.121 Meilicke sieht in dieser hauptsächlich von der Rechtsprechung vertretenen Weite der Pflichtenstellung eine unzulässige Statuierung einer Mitwirkungspflicht über den Gesetzeswortlaut hinaus.122 Er verneint damit eine derartige Offenlegungspflicht. Vor allem bei komplexen Sachverhalten sei die steuerliche Behandlung oftmals unklar, sodass insoweit der Finanzbehörde auch eine Nachforschungspflicht zukomme und für den Steuerpflichtigen strafrechtliche Konsequenzen grundsätzlich auszuschließen seien.123 Begründet wird diese Ansicht von Weigell auch damit, dass sogar die Ansichten von Finanzbehörden und der Finanzgerichtsbarkeit voneinander abweichen können.124 Dabei kann dem Steuerpflichtigen nicht vorgeworfen werden, sich in seiner Steuererklärung auf die Seite der Gerichtsbarkeit geschlagen zu haben und die Ansicht der Verwaltung außenvorgelassen zu haben. Im Ergebnis ist festzustellen, dass Transparenz eine essentielle Bedeutung bei der Abgabe von steuerlich relevanten Erklärungen zukommt, da eine in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (16). BB 1984, 1885 (1885 f.). 120  Meilicke, BB 1984, 1885 (1886); Schlotter, Ubg 2014, 22 (26). 121  Meilicke, BB 1984, 1885 (1888); Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 13; Wulf, in: FS Streck, S. 627 (634). 122  Meilicke, BB 1984, 1885 (1888). 123  Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 15. 124  Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 16–18; deutlich wird dies an – im Steuerrecht gängigen – Nichtanwendungserlassen der Finanzbehörden, nach denen ihren Auffassungen widersprechende Rechtsprechungen in der Verwaltungspraxis nicht über den Einzelfall hinaus angewendet werden sollen. 118  Gatzen,

119  Meilicke,



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eindeutige Trennung zwischen Tatsachenvortrag und rechtlicher Würdigung zum Teil schwer möglich ist und beides im Besteuerungsverfahren „miteinander verwoben“ sein kann.125 Dabei ist richtigerweise zu differenzieren, ob eine Ansicht gänzlich unvertretbar ist oder nicht. Eine unvertretbare und damit gleichermaßen falsche Subsumtion eines Sachverhalts126 unter eine Norm begründet die Fehlerhaftigkeit einer Erklärung. Bestehen konkurrierende und gleichermaßen vertretbare Ansichten, lässt sich aus der Entscheidung für eine Ansicht grundsätzlich keine Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit ableiten. Ein steuerlich relevanter Sachverhalt sollte aber so weit preisgegeben werden, dass der Finanzbehörde eine abweichende Subsumtion unter die nach ständiger Verwaltungspraxis vorherrschende Meinung möglich ist. Gibt es keine klare Positionierung der Finanzverwaltung zu einer Streitfrage, müssen dagegen die für eine abweichende Ansicht relevanten Tatsachen nicht gesondert vorgetragen werden.127 Eine Bilanz ist zwar kein Bestandteil einer Steuererklärung128 – dennoch werden ihre Ergebnisse, wie beispielsweise der Jahresüberschuss oder nicht abziehbare Betriebsausgaben, in Steuererklärungen übernommen. Bei einer unrichtigen Bilanz liegt demnach auch eine unrichtige Steuererklärung vor, bei der ein nachträgliches Erkennen des Fehlers zu einer Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO führt.129 Hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen wurde der subjektive Fehlerbegriff 2013 durch ein Leiturteil des Bundesfinanzhofs aufgegeben; es ist folglich der objektive Fehlerbegriff zu beachten.130 D. h. eine Bilanz ist dann unrichtig, wenn der Aufstellung eine objektiv unzutreffende Rechtsauffassung zugrunde gelegt wurde; unabhängig davon, ob diese im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vertretbar erschien oder nicht.

125  Madauß, NZWiSt 2016, 343 (345); vgl. auch: Schlotter, Ubg 2014, 22 (26); Wulf, in: FS Streck, S. 627 (636). 126  Insoweit ist eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Gänzlich unvertretbar ist eine Auslegung dabei nur, wenn sie sich nach den gängigen Auslegungskriterien weder mit dem Wortlaut des Gesetzes, der Systematik, der Historie oder der Intention des Gesetzgebers vereinbaren lässt. 127  So auch: Wulf, in: FS Streck, S. 627 (644). 128  Die Steuerbilanz ist vielmehr eine der Steuererklärung beizufügende Anlage nach § 60 EStDV. 129  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 8; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 12; ähnlich: Schlotter, Ubg 2014, 22 (23), wonach § 4 Abs. 2 S. 1 AO als spe­ zielleres Wahlrecht des Betroffenen zu werten wäre, sich eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO aber ergeben kann, wenn sich die Unrichtigkeit einer Steuererklärung aus einer Bilanz ergibt. 130  BFH v. 31.1.2013 – 1 GrS 1/10, BStBl. II 2013, 317.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Beurteilungszeitraum für die objektive Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit einer Erklärung ist der Zeitpunkt ihrer Abgabe.131 Eine spätere Änderung der Rechtsprechung kann somit zwangsläufig nicht dazu führen, dass eine Erklärung rückwirkend unrichtig wird.132 Maßgeblich ist lediglich, ob die Ansicht im Zeitpunkt der Abgabe so vertretbar war. 4. Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO Der Steuerpflichtige ist gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO nur berichtigungspflichtig, wenn er nachträglich erkennt, dass es zu einer Steuerverkürzung kommen kann oder bereits gekommen ist. Die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO greift also nur ein, wenn das zu schützende Rechtsgut gefährdet wird.133 Eine Steuerverkürzung muss zumindest in Zukunft möglich erscheinen – maßgeblich ist die Eignung der Fehlerhaftigkeit, eine Verkürzung herbeizuführen.134 Die Legaldefinition einer Steuerverkürzung findet sich in § 370 Abs. 4 S. 1 AO.135 Demnach sind Steuern dann verkürzt, „wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden“. Dies gilt auch, wenn die Steuer vorläufig gemäß § 165 AO oder unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO festgesetzt wird. Das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO gilt für § 153 Abs. 1 AO ebenfalls – d. h. die Berichtigungspflicht gilt auch, wenn zugleich ein weiterer Fehler unterlaufen ist, der bei einer Berichtigung im Ergebnis ausgleichend zu einer Steuererstattung führen würde.136 § 153 Abs. 1 AO bezieht sich dabei ausdrücklich nur auf die erste Alternative des § 370 Abs. 1 AO, sodass nicht gerechtfertigte Steuervorteile gemäß § 370 Abs. 1 Alt. 2 AO vom Anwendungsbereich der Norm nicht umfasst sind. Anzudenken wäre allenfalls eine Analogie. Der Norm kommt allerdings 131  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 9; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 19; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 12; Wulf, in: FS Samson, S. 619 (623). 132  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 11 f.; Beyer, AO-StB 2019, 122 (122 f.) m. w. N.; Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1266); Stefan Schäfer, PStR 2021, 40 (42); Schlotter, Ubg 2014, 22 (24 f.). 133  Jesse, BB 2011, 1431 (1437). 134  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 13b; Brenner, DStZ 1981, 412; Lohmeyer, StB 1990, 192 (193); Wegner, SteuK 2016, 289 (290); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 71. 135  Gilt ebenso für § 153 Abs. 1 AO, vgl.: Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (17); Samson, wistra 1990, 245 (246). 136  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (17); so auch: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 35 f., der dafür auch das Erfordernis der strafrechtlichen Gleichbehandlung der Fälle nicht abgegebener und fehlerhaft abgegebener Erklärungen anführt.



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strafrechtliche Relevanz zu, sodass einige Stimmen in der Literatur kritisieren, dass eine weite Auslegung eine strafbarkeitsbegründende Analogie darstellen würde und damit gemäß Art. 103 Abs. 2 GG unzulässig wäre.137 Dabei ist zu hinterfragen, ob dieser strafrechtliche Grundsatz ohne Weiteres auf eine steuerrechtliche Regelung übertragen werden kann. Der Wortlaut ist jedoch auch ohne Heranziehung strafrechtlicher Grundsätze eindeutig: Es soll nur Steuerausfällen in Form von Steuerverkürzungen vorgebeugt werden und damit andere ungerechtfertigte Steuervorteile nicht umfasst sein. Eine Analogie scheitert ferner bereits an der Planwidrigkeit einer Regelungslücke.138 Zulauf führt dazu an, dass § 153 Abs. 1 AO sich auf die Festsetzungsfrist bezieht, selbige aber beispielsweise nicht auf die Stundung, welche einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil begründen kann, anwendbar ist. Auch aus systematischer Sicht sind nicht gerechtfertigte Steuervorteile damit vom Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 AO ausgenommen.139 Damit sind Erklärungen in einem Stundungs- oder Erlassverfahren, die zu nicht gerechtfertigten Steuervorteilen führen, nicht von § 153 Abs. 1 AO erfasst.140 Stundung und Erlass stellen allerdings Steuervergünstigungen i. S. d. § 153 Abs. 2 AO dar und sind damit nach Absatz 2 von der Berichtigungspflicht erfasst – allerdings nur, wenn die Voraussetzungen nachträglich entfallen sind, nicht jedoch, wenn sie von Anfang an nicht vorgelegen haben. Oftmals mündet ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil jedoch mittelbar in eine Steuerverkürzung, sodass jedenfalls insoweit eine Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO entsteht.141 5. Kausalität § 153 Abs. 1 AO fordert, dass es durch die unrichtige oder unvollständige Erklärung zu einer Steuerverkürzung kommen kann oder bereits gekommen 137  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 14; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (17); Neuling, DStR 2016, 1652 (1655 f.); Samson, wistra 1990, 245 (246); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 75; a. A.: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 41; Hoff, Handlungsunrecht, S. 95. 138  Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 74 f., mit Verweis auf die Gesetzesbegründung der Norm (BT-Drs. VI/1982, S. 129). Darin wird ebenfalls ausdrücklich nur auf eine Steuerverkürzung Bezug genommen. 139  Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 74. 140  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 10; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 21; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 10 – de lege ferenda sollten nach Seer allerdings auch nicht gerechtfertigte Steuervorteile von einer Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO erfasst sein, siehe: Rn. 14. 141  Madauß, NZWiSt 2016, 343 (344) mit dem Beispiel eines Festsetzungsbescheides als ungerechtfertigten Steuervorteil, der bindend für eine weitere Steuerfestsetzung ist und damit mittelbar in eine Steuerverkürzung mündet.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

ist, d. h. die fehlerhafte Erklärung müsste kausal für ein mögliches Steuer­ defizit des Staates sein. Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist für einen Erfolg alles kausal, was nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Form entfällt. Zu beachten ist dabei, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens bereits genügt, um eine Berichtigungspflicht auszulösen.142 Es reicht, wenn in der vorgelagerten Bearbeitungsphase einer Erklärung eine Steuerverkürzung objektiv möglich erscheint – auf die Wahrscheinlichkeit einer solchen kommt es nicht an.143 Die Erklärung des Steuerpflichtigen ist ursächlich für die Steuerverkürzung, wenn die Rechtsfolgen der Erklärung nicht vom Ermessen des zuständigen Finanzbeamten abhängig sind. Für Ermessensentscheidungen nach § 5 AO sind zusätzlich andere Faktoren als nur die Erklärung des Steuerpflichtigen entscheidungsbeeinflussend, sodass eine Ursächlichkeit der Erklärung für die Steuerverkürzung nicht ohne Weiteres bejaht werden kann.144 Nach dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht folglich keine Anzeige- und Berichtigungspflicht, wenn eine Steuerverkürzung – unabhängig von einer ggf. falschen Erklärung des Steuerpflichtigen – durch einen Fehler des Finanzamts eintritt.145 Umstritten ist die Behandlung einer sogenannten überholenden Kausalität. Diese liegt vor, wenn der Finanzbehörde – neben einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung des Steuerpflichtigen – Irrtümer oder Fehler unterlaufen, die ihr selbst zuzuschreiben sind. Nach einer Sicht in der Literatur könne keine Berichtigungspflicht bejaht werden, wenn die unrichtige oder nicht rechtzeitige Steuerverkürzung zumindest auch auf einem Fehler der Finanzbehörde beruht, da die Erklärung des Steuerpflichtigen dann schon nicht kausal für die (hypothetische) Steuerverkürzung sei.146 Jesse setzt dem entgegen, dass es nach dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO bereits ausreicht, wenn eine Steuerverkürzung eintreten „kann“. Eine bloße Gefährdung des Steueraufkommens ist damit – wie oben bereits festgestellt – ausreichend. 142  Vgl. den Wortlaut des § 153 Abs. 1 S. 1 AO: „dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist“ (Hervorhebung durch Verfasserin) – es ist also ausreichend, wenn die Steuerverkürzung lediglich droht; vgl. auch Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (17). 143  Jesse, BB 2011, 1431 (1437); Helmrich, DStR 2009, 2132 (2133); Schuhmann, wistra 1994, 45 (46). 144  Vgl. Jesse, BB 2011, 1431 (1435). 145  BFH v. 4.12.2012 – VIII R 50/10, BStBl. II 2014, 222, Rn. 33–35; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (18); Kalbhenn, DStZ 1957, 202; A. Müller, AO-StB 2004, 439 (440); J. Müller, DStZ 2005, 25 (29); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (93). 146  Haselmann, in: Koenig, § 153 AO, Rn. 9; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 20; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (16); Lohmeyer, StB 1990, 192 (194).



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Der Steuerpflichtige hat somit aufgrund seines vorangegangenen fehlerhaften Handelns eine Garantenstellung inne, die unabhängig eines etwaigen zusätzlichen Verschuldens der Finanzbehörde besteht.147 Jesse geht daher davon aus, dass Kausalität besteht, wenn die fehlerhafte Angabe bei pflichtgemäßem Alternativerhalten der Finanzbehörde selbständig zu einer Steuerverkürzung geführt hätte.148 Als Argument für diese Ansicht führt er auch deren Praktikabilität an: Mangels Kenntnis von der behördeninternen Entscheidungsfindung wird der Steuerpflichtige regelmäßig nicht in der Lage sein, die genaue Ursache der Steuerverkürzung festzustellen. In der Praxis ist richtigerweise nach der Art des Fehlers der Finanzbehörde und danach zu unterscheiden, ob eine Steuerfestsetzung bereits ergangen ist und die fehlerhafte Angabe unverändert steuerwirksam übernommen oder im Rahmen der Veranlagung bereits korrigiert wurde. Besteht der Fehler der Finanzbehörde darin, die fehlerhafte Erklärung nicht genauer zu prüfen, so schließt dies eine Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO nicht aus. Hat die Finanzbehörde dagegen unabhängig von der Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Erklärung Steuern zu niedrig festgesetzt, so besteht in Bezug auf diesen Fehler keine Berichtigungspflicht des Steuerpflichtigen – insoweit fehlt es an der Kausalität der fehlerhaften Erklärung für diesen Fehlbetrag.149 6. Nachträgliches Erkennen a) Grundsätzliches Der Steuerpflichtige muss „nachträglich erkennen“, dass eine unrichtige oder unvollständige Erklärung zu einer Steuerverkürzung geführt hat oder noch führen kann. Das Erkennen hat folglich zwei Anknüpfungspunkte: Der Steuerpflichtige muss sowohl die Unrichtigkeit seiner ursprünglichen Erklärung als auch die sich daraus jedenfalls möglicherweise ergebende Steuerverkürzung erkannt haben.150 Die Nachträglichkeit bezieht sich auf den Zeitpunkt der Erklärungsabgabe – das Erkennen muss dieser zeitlich nachfolgen.151 Die genauen Anforderungen an das „nachträgliche Erkennen“ sind in der Literatur umstritten. Der Anwendungserlass zu § 153 AO sollte einige Zweifelsfragen zu den subjektiven Voraussetzungen der Berichtigungspflicht beBB 2011, 1431 (1437). BB 2011, 1431 (1437 f.). 149  Vgl. auch Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 75, wonach § 153 Abs. 1 S. 1 AO keine generelle Erfolgsabwendungspflicht auferlegt. 150  Vgl. Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (456). 151  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 119. 147  Jesse, 148  Jesse,

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antworten: In Nr. 2.4 wurde klargestellt, dass bloßes Erkennen-Müssen oder Erkennen-Können der Unrichtigkeit noch nicht zu einer Anzeigepflicht führt, sondern vielmehr positives Wissen erforderlich ist.152 Für das „Erkennen“ ist notwendig, dass der Erklärungspflichtige die Tatsachengrundlage des Fehlers vollständig erfasst und daraus – jedenfalls im Wege einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – den Schluss auf eine (mögliche) Steuerverkürzung zieht.153 Diese Auslegung lässt sich auch auf ein grundsätzliches Verständnis des Wortlauts stützen und auch der herrschenden Meinung zufolge ist aus der Voraussetzung „nachträgliches Erkennen“ abzuleiten, dass der betroffene Erklärungspflichtige den Fehler bzw. die damit einhergehende Steuerverkürzung vorher nicht gekannt haben durfte. Im Umkehrschluss muss der Steuerpflichtige also im Zeitpunkt der Abgabe der ursprünglich falschen Erklärung noch gutgläubig gewesen sein.154 Dennoch hat das Oberlandesgericht Hamburg vertreten, dass – wenn schon schuldlos und fahrlässig Handelnden – erst Recht Steuerpflichtigen, die schuldhaft eine unrichtige Steuererklärung abgegeben haben, eine Berichtigungspflicht zukommen muss.155 Diese Ansicht wurde aber mit Verweis auf den eindeutigen Wortlaut sowohl von der Rechtsprechung156 als auch von der Literatur157 abgelehnt. Dem Aussagekern dieser Sicht ist allerdings zuzustimmen – nur ergibt sich die Berichtigungspflicht von Steuerstraftätern nach herrschender Meinung noch aus den allgemeinen Erklärungspflichten, die durch unrichtige Angaben nicht erloschen sind.158 Aus § 153 Abs. 1 AO können außerdem weder Nachforschungs- noch Nachprüfungspflichten abgeleitet werden.159 Demnach ergibt sich auch bei 152  Ebenso: Brenner, DRiZ 1981, 412 (412); Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (501); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (18); Kalbhenn, DStZ 1957, 202 (203); A. Müller, AO-StB 2004, 439 (440); Schuhmann, wistra 1994, 45 (48); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 76. 153  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 13b; Brenner, DStZ 1981, 412; Lohmeyer, StB 1990, 192 (193); Wegner, SteuK 2016, 289 (290); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 72. 154  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (18); Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 35; A. Müller, AO-StB 2004, 439 (440); Neuling, DStR 2015, 558 (561); Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 29; Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 20. 155  OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274. 156  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1985); BFH v. 7.3.2007 – I B 99/06, BFH/NV 2007, 1801. 157  Möller, Berichtigungspflicht, S. 138; J. Müller, DStZ 2005, 25 (29 f.); Schuhmann, wistra 1994, 47 (48). 158  Siehe dazu ausführlicher: S. 61 ff. 159  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 35; Gebhardt, AO-StB 2021, 32 (33); Helmrich, DStR 2009, 2132 (2132); Jesse, BB 2011, 1431 (1438) m. w. N.;



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einem lediglich leichtfertigen Nichterkennen keine Berichtigungspflicht: Für die Entstehung einer Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO ist positive Kenntnis erforderlich, die bei Leichtfertigkeit respektive bei einem bloßen ErkennenKönnen gerade fehlt.160 Was die Steuerverkürzung betrifft, so ist es ausreichend, wenn der Steuerpflichtige erkennt, dass es durch die unrichtige Erklärung zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Aus der Formulierung „kommen kann“ wird von einer Sicht abgeleitet, dass das Erkennen einer möglichen Steuerverkürzung ausreiche – die Steuerverkürzung müsse nicht für sicher oder wahrscheinlich gehalten werden.161 Dies ist dahingehend zu konkretisieren, dass damit lediglich eine zeitliche Komponente erfasst werden soll.162 Die steuerliche Relevanz der Unrichtigkeit respektive Unvollständigkeit muss dennoch positiv erkannt werden. Dass im Wortlaut der Norm von einem „kommen kann“ und nicht von einem „kommen wird“ die Rede ist, hat den Grund, dass sich eine unrichtige Erklärung in einer Steuerfestsetzung nur unter der Prämisse steuerverkürzend niederschlägt, dass die Finanzbehörde die unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen in die Veranlagung übernimmt. Soweit noch kein endgültiger Steuerbescheid ergangen ist, muss der Steuerpflichtige also positiv erkennen, dass eine Steuerverkürzung eintreten wird, wenn der Fehler im Rahmen der Veranlagung unentdeckt bleibt.163 Hält er die steuerliche Relevanz lediglich für möglich, liegt kein Erkennen i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO vor. Ebendies gilt auch, wenn bereits ein Steuerbescheid ergangen ist – der Steuerpflichtige muss positiv erkennen, dass sich die Unrichtigkeit darin in Form einer Steuerverkürzung niedergeschlagen hat. Der Zeitpunkt des Erkennens einer Unrichtigkeit und der Zeitpunkt des Erkennens einer Steuerverkürzung können auseinanderfallen.164 Beides muss jedoch nach Abgabe der maßgeblichen Erklärung erfolgen.165 Die Berichtigungspflicht entsteht erst, wenn beide Voraussetzungen kumuliert vorliegen. J. Müller, StBp 2005, 195 (199); Wegner, SteuK 2016, 289 (290), der anmerkt, dass Unwissenheit in diesem Fall vor Strafe schützen kann. 160  J. Müller, DStZ 2005, 25 (30). 161  Vgl. FG Berlin v. 27.1.1999 – 2 K 2138/97, juris; Hornig, PStR 2019, 291 (293); vgl. auch: Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 10. 162  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 120. 163  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 121; vgl. ebenso Deibel, Fn. 530, wonach richtigerweise auf die objektive Möglichkeit einer Steuerverkürzung und nicht auf eine subjektive, von Seiten des Steuerpflichtgen für möglich gehaltene Steuerverkürzung abzustellen ist. 164  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 8; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 35; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (18). 165  J. Müller, StBp 2005, 195 (198).

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Eine andere Ansicht zu den Anforderungen des nachträglichen Erkennens vertritt dagegen Wulf, der für ein „Erkennen“ i. S. d. § 153 Abs. 1 AO auf die Anforderungen an den Eventualvorsatz abstellt.166 Beim Eventualvorsatz – der bereits ein „Erkennen“ i. S. d. § 16 StGB darstellt – ist ein billigendes Inkaufnehmen der Tatbestandsvoraussetzungen ausreichend. Seiner Ansicht nach entstehe damit die Anzeigepflicht des § 153 AO, sobald der Steuerpflichtige es konkret für möglich hält, dass die abgegebene Erklärung un­ richtig oder unvollständig war.167 Durch diese Auslegung wird der Anwendungsbereich des § 153 AO möglichst weit gehalten und es soll Rechtsun­ sicherheit durch die unzumutbare Differenzierung zwischen sicherem Wissen und Eventualvorsatz vermieden werden.168 Diese Ansicht ist jedoch mit dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO schwer zu vereinbaren, der fordert, dass der Steuerpflichtige „nachträglich erkennt“, dass die abgegebene Erklärung unrichtig bzw. unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Es ist damit zwar ausreichend, wenn der Steuerpflichtige die (künftige) Verkürzung von Steuern für „möglich hält“ und damit billigend in Kauf nimmt. Bezüglich der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit ist dagegen im Umkehrschluss ein positives Erkennen erforderlich. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass ein bloßes nachträgliches billigendes Inkaufnehmen einer Unrichtigkeit ausreicht, wäre dies auch entsprechend formuliert worden. Die Ansicht von Wulf ist daher im Ergebnis abzulehnen. Das „nachträgliche Erkennen“ ist als subjektives Merkmal und damit innere Tatsache in der Praxis oftmals nur schwer nachweisbar; meist werden äußere Umstände als Indizien herangezogen, die auf das subjektive Wissen des Erklärungspflichtigen schließen sollen.169 b) Bedingter Vorsatz im Vorfeld Wie die Konstruktion eines bedingten Vorsatzes im Vorfeld gefolgt von einem nachträglichen positiven Erkennen im Lichte dieser Vorschrift zu bewerten ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten und nicht abschließend geklärt. Bedingter Vorsatz ist grundsätzlich gegeben, wenn der Täter „den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, daß er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten in: FS Samson, S. 619 (624, 633); ders., PStR 2009, 190 (191 f.). in: FS Samson, S. 619 (624); ders., PStR 2009, 190 (192). 168  Wulf, PStR 2009, 190 (191 f.). 169  Geberth/Welling, DB 2015, 1742; Geuenich, NWB 2016, 2560 (2563 f.); Jesse, BB 2011, 1431 (1438); Wegner, SteuK 2016, 289 (290). 166  Wulf, 167  Wulf,



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Zieles Willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein“.170 Im Unterschied dazu ist bewusste Fahrlässigkeit gegeben, „wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten“.171 Dabei steht in Frage, ob ein billigendes Inkaufnehmen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit im Rahmen der Abgabe einer Erklärung und einer daraus ggf. folgenden Steuerverkürzung ein nachträgliches positives Erkennen der Umstände ausschließt. Sollte dies nicht der Fall sein, so müsste der Steuerpflichtige eine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO vornehmen, obwohl er bereits zuvor mit Eventualvorsatz eine Steuerhinterziehung begangen hat. Mit der Berichtigung würde der Steuerpflichtige damit gegenüber der Finanzbehörde eine begangene Straftat offenbaren und sich so selbst belasten. Hier kollidieren die Selbstbelastungsfreiheit und die steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten. Auf die Kollision der steuerlichen Mitwirkungspflichten und des § 153 Abs. 1 AO im Speziellen mit dem nemo-tenetur-Grundsatz wird im letzten Teil der Arbeit vertieft eingegangen. Im Folgenden soll lediglich ein kursorischer Überblick über die von Rechtsprechung und Literatur zu dieser Thematik vertretenen Ansichten gegeben werden. aa) Rechtsprechung (BGH-Beschluss 2009, AEAO) Laut AEAO Nr. 5.2 zu § 153 und einem Beschluss des Bundesgerichts­ hofes ist bei einem nachträglichen „positiven Erkennen“, das über ein vorhergehendes lediglich billigendes Inkaufnehmen hinausgeht, eine Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO einzureichen. Diese wäre allerdings ggf. gleichzeitig als Selbstanzeige i. S. d. § 371 AO zu qualifizieren. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Beschluss in einem obiter dictum statuiert, dass die nachträgliche Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO auch dann greife, wenn der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit seiner ursprüng­lichen Erklärung zwar bereits billigend in Kauf genommen hatte, aber noch nicht positiv kannte (dolus eventualis).172 Diese „Unkenntnis“ lasse Raum für ein positives Erkennen i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO. Der Steuerpflichtige würde sich in dieser Konstellation aus Sicht des Bundesgerichtshofs zweimal strafbar machen: Das erste Mal nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO bei der bedingt vorsätzlichen Abgabe einer falschen Erklärung und das zweite Mal nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn vorsätzlich die Abgabe einer 170  BGH

v. 4.11.1988 – 1 StR 262/88, NJW 1989, 781 (783) m. w. N.

171  Ibidem.

172  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; vertiefend zu den Anforderungen an den Eventualvorsatz: S. 196.

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Anzeige- bzw. Berichtigungserklärung nach § 153 AO unterlassen wird. Diese Entscheidung führte zu einer beinahe „kopernikastischen Wende“173 in der Auslegung des § 153 Abs. 1 AO. Die darin vorgenommene rechtliche Bewertung wurde vom Bundesministerium der Finanzen in den seit dem 23. Juli 2016 geltenden Anwendungserlass zu § 153 AO übernommen. Zwar handelt es sich bei Anwendungserlassen lediglich um Verwaltungsanweisungen, denen ausschließlich formale Bindung für die Finanzverwaltung, jedoch keine abstrakt-generelle Gültigkeit zukommt.174 Dennoch kommt dem Anwendungserlass in der praktischen Anwendung des § 153 Abs. 1 AO durch die Finanzbehörde eine maßgebliche Bedeutung zu. bb) Literatur Diese Auslegung hat sowohl in der Praxis, der Literatur, als auch der Rechtsprechung viele Fragen offengelassen und ist vielfach auf Kritik gestoßen. Allen voran stellt sich die Frage, inwieweit eine derartige „Pflicht zur Selbstanzeige“175 mit dem nemo-tenetur-Grundsatz zu vereinbaren ist. In der Literatur wurde in der Zeit vor dem Beschluss des 1. Strafsenats und auch danach noch ein „nachträgliches Erkennen“ nach einer vorsätzlich begangenen Steuerhinterziehung ohne größeren Begründungsaufwand verneint.176 Die Korrekturmöglichkeiten nach § 378 Abs. 3 AO bzw. § 371 AO wurden in diesen Fällen als vorrangige Institute für leichtfertiges bzw. vorsätzliches Vorverhalten gesehen, sodass die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO bereits auf der Primärebene des Steuerrechts ausgeschlossen wurde.177 Auch im Anschluss an den Beschluss wurde selbiger stark kriti-

wistra 2010, 5 (5). dazu: Beneke, BB 2016, 2327 (2327); Neuling, DStR 2016, 1652 (1653). 175  Zur Begrifflichkeit: Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166 (169); Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (187); Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 36; Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (485); Schuhmann, wistra 1994, 45 (48); ebenso: Hornig, PStR 2019, 291 (291); Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 218. 176  Vgl. Haselmann, in: Koenig, § 153 AO, Rn. 12; Berger, BB 1951, 303 (304); Brenner, DRiZ 1981, 412 (412 f.); Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 36; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (20); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 103; Möller, Berichtigungspflicht, S. 138 f.; Füllsack/Bürger, in: Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 660; Kopacek, BB 1962, 875 (875 f.); Kottke, DStR 1996, 1350; Lohmeyer, StB 1990, 192 (194); Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 38–40; Schott/Krug, PStR 2019, 220 (224); Webel, PStR 2012, 218 (218); Weidemann, wistra 2010, 5 (7); von Witten, NJW 1960, 567 (569); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 76 f. 177  Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2455). 173  Weidemann, 174  Vgl.



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siert.178 Die Ansicht der Literatur lässt sich an diversen Gesichtspunkten festmachen: (1) Wortlaut/Gesetzessystematik Stellt man auf den natürlichen Wortsinn des Wortes „erkennen“ ab, so kann – wie bereits dargestellt – nur etwas erkannt werden, das vorher noch unbekannt war. Wird etwas lediglich billigend in Kauf genommen, so fehlt es zu diesem Zeitpunkt an einer positiven Kenntnis. Mit dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO an sich ist die Sicht des Bundesgerichtshofs damit vereinbar.179 Ein nachträgliches Erkennen wird von der Gegenmeinung in den in Rede stehenden Fällen aber meist mit einem Verweis auf den Begriff des „Kennens“ i. S. d. § 16 StGB und der Begründung abgelehnt, dass kein nachträgliches Erkennen vorliegen könne, wenn im Vorfeld bereits Vorsatz in Form von dolus eventualis gegeben ist.180 Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung seien die Begriffe des „Kennens der Tatumstände“ gemäß § 370 Abs. 1 AO i. V. m. § 16 Abs. 1 StGB und des „Erkennens“ gemäß § 153 Abs. 1 AO einheitlich auszulegen. Und nachdem eine Kenntnis i. S. d. § 16 Abs. 1 StGB bereits bei einem billigenden Inkaufnehmen des tatbestand­ lichen Erfolgs vorliegt, könne auch ein nachträgliches positives Erkennen nicht zu einer nachträglichen, erneuten „Kenntnis“ i. S. d. Gesetzes führen.181 Es erscheine inkonsequent, wenn ein bloßes Für-Möglich-Halten zur Bejahung eines „Kennens“ i. S. d. § 16 StGB ausreicht, im Steuerrecht dem Steuerpflichtigen diese vorherige Kenntnis jedoch wieder abgesprochen wird.182 Hätte der Gesetzgeber derartige Fälle auch von § 153 Abs. 1 AO erfasst haben wollen, hätte er sich mutmaßlich einer anderen Wortwahl bedient und

178  Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 263; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 337; Geuenich, NWB 2016, 2560 (2563 f.); Webel, PStR 2012, 218 (220 f.); Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 25; anders: Bülte, BB 2010, 607 (609). 179  So auch: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 122 f.; ebenso: Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 103, die allerdings zu dem Ergebnis kommt, dass der Wortlaut der Norm für die Auslegung nicht entscheidend ist. 180  Berger, BB 1951, 303 (304); Höll/Hinghaus, PStR 2010, 45 (46); A. Müller, AO-StB 2004, 439 (440); i. E. ebenso: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 137; vgl. auch: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 77. 181  Höll/Hinghaus, PStR 2010, 45 (46); Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 214; Wulf, in: FS Samson, S. 619 (624); ders., PStR 2009, 190 (191). 182  Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166 (167); Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 125.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

das Erkennen nicht auf ein „nachträgliches Erkennen“ eingeschränkt.183 Es wirkt widersprüchlich, dem Steuerpflichtigen erst vorzuwerfen, dass er die Steuerverkürzung i. R. v. § 370 Abs. 1 AO i. V. m. § 16 Abs. 1 StGB „erkannt“ und damit vorsätzlich gehandelt hat, um ihm dann erneut vorzuwerfen, dass er noch einmal (nachträglich) Kenntnis von seinem Fehler erlangt hat.184 Allerdings bedient sich der Gesetzgeber des Öfteren derselben Wortwahl, um unterschiedliche Sachverhalte zu regeln.185 Zudem hat die Figur des Eventualvorsatzes im Gesetz keinen Niederschlag gefunden, sodass dem Gesetzgeber schwer vorgehalten werden kann, diesen auch explizit bei der Konzeption des § 153 AO ein- bzw. ausgeschlossen zu haben. Außerdem gibt es im Steuerrecht als Primärrechtsordnung die Kategorie eines „Eventualvorsatzes“ respektive überhaupt des Vorsatzes nicht – dabei handelt es sich um ein strafrechtliches Institut, das nicht ohne näheren Begründungsbedarf auf das Steuerrecht anwendbar ist.186 Dass der Gesetzgeber nicht § 16 StGB als Vorbild bei der Konzeption des § 153 AO hatte, lässt sich auch schon daraus schließen, dass § 153 AO nicht als strafrechtliche, sondern als steuerrecht­ liche Norm besondere Pflichten statuiert. Allein der Wortlaut des Gesetzes widerspricht dem Beschluss des Bundesgerichtshofs damit nicht. Das Wortlautargument der Literatur ist insoweit nicht zwingend. (2) Historie Deibel leitet aus der Historie der Norm ab, dass die Berichtigungspflicht nicht im Anschluss an ein bedingt vorsätzliches Handeln i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO greifen soll.187 Das Gutachten des Reichsfinanzhofes, das den Anstoß zur Implementierung des heutigen § 153 Abs. 1 AO gab, beschäftigt sich ausdrücklich „nur mit Fällen, in denen die Steuererklärung fahrlässig oder ohne Verschulden unvollständig oder unrichtig abgegeben ist, nicht aber mit den Fällen in denen das vorsätzlich geschehen ist“.188 Nachdem die Konzeption der Vorgängernorm des § 153 Abs. 1 AO sich an diesem Gutachten orientierte, sei mangels anderweitiger Anhaltspunkte naheliegend, dass § 165e DStR 2009, 2132 (2134). PStR 2010, 45 (46). 185  Exemplarisch für unterschiedliche Interpretationen sogar innerhalb des Strafrechts anzuführen, sind die unterschiedliche Auslegung eines „gefährlichen Werkzeugs“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB und § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Alt. 2 StGB oder die unterschiedliche Auslegung des Datenbegriffs in § 202a Abs. 2 StGB und § 269 Abs. 1 StGB. 186  Bülte, BB 2010, 607 (609). 187  Dazu: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 124 f., jeweils mit Nachweisen. 188  Gutachten des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24 (26). 183  Helmrich,

184  Höll/Hinghaus,



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO53

Abs. 1 RAO die Fälle des bedingten Vorsatzes nicht erfassen sollte. Dies könne ebenso auf die Folgenorm übertragen werden. Nach Deibel wird die Historie der Norm jedoch selten als Argument angeführt, da schon nach Inkrafttreten des § 165e RAO umstritten war, ob die Fälle des Eventualvorsatzes auch umfasst sein sollen. Die Beschränkung des Gutachtens auf die Fälle, in denen die ursprüngliche Erklärung fahrlässig oder ohne Verschulden fehlerhaft abgegeben wurde, kann allerdings auch explizit auf den engen Rahmen der Fragestellung, auf die im Gutachten einzugehen war, zurückgeführt werden. Zugleich wird aus dem Gutachten deutlich, dass in allen Fällen, in denen eine Pflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde, selbige weiter fortbesteht. Auch die Historie der Norm stellt kein zwingendes Argument für die Ansicht der Literatur dar. (3) Nemo-tenetur-Grundsatz Als ausschlaggebender Grund für die Reduktion des § 153 Abs. 1 S. 1 AO auf die Fälle eines nachträglichen Erkennens wird angeführt, dass sich der Steuerpflichtige dadurch nicht selbst einer zuvor begangenen Steuerhinterziehung bezichtigen müsse und so die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen geschützt werde.189 Diese Wertung entspricht auch einem Beschluss des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 2007. Darin heißt es, dass die Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO nur bei einem nachträglichen Erkennen und nicht bei vorheriger positiver Kenntnis entsteht, da in solchen Fällen ohnehin schon eine Steuerhinterziehung gegeben sei „und dem Täter insoweit eine Selbstbezichtigungspflicht auch für das Steuerverfahren nicht zugemutet werden soll“.190 Dieser Sinn würde mit der heute herrschenden Auslegung außer Acht gelassen. Bei bedingtem Vorsatz im Vorfeld hat der Steuerpflichtige durch die Abgabe der unrichtigen Erklärung regelmäßig bereits eine Steuerhinterziehung verwirklicht und würde sich durch die Erfüllung des § 153 Abs. 1 AO selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen müssen, wodurch der vermeintliche Sinn der Reduktion auf das nachträgliche Erkennen umgangen würde.191 Dabei ist – wie Wulf zutreffend bemerkt – zu beachten, dass für eine potentielle Belastung bezüglich einer vollendeten Vortat der Taterfolg bereits eingetreten sein muss; d. h. bei Veranlagungssteuern muss

189  Samson, wistra 1990, 245 (246); ebenso: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 39; Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 103; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 35 f.; Kalbhenn, DStZ 1957, 202 (203); Kopacek, BB 1962, 875 (875 f.); A. Müller, AO-StB 2004, 439 (440); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 77. 190  BFH v. 7.3.2007 – I B 99/06; BFH/NV 2007, 1801. 191  Samson, wistra 1990, 245 (246).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

beispielsweise der Festsetzungsbescheid bereits ergangen sein.192 Solange die Verhinderung des tatbestandlichen Erfolges dagegen noch möglich ist, liegt demnach noch kein abgeschlossenes vorwerfbares Unrecht vor, das das Verbot eines Selbstbelastungszwanges erfordert – eine Berichtigung würde lediglich einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch darstellen. In den übrigen Fällen würde sich eine „Pflicht zur Selbstanzeige“ ergeben. Dabei sind die für das Steuerverfahren zuständigen Beamten teilweise auch im Strafverfahren tätig, sodass sich Kompetenzbereiche überschneiden und die Gefahr entsteht, dass die im Rahmen einer Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO offenbarten Informationen direkt Eingang in ein Strafverfahren finden.193 Mit dieser Argumentation wurde die ursprüngliche Auslegung auch nie in Frage gestellt und so wird auch heute noch vertreten, dass bei Eventualvorsatz im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe kein nachträgliches Erkennen des Fehlers möglich ist. Die Problematik der Kollision von steuerlichen Mitwirkungspflichten und strafrechtlichen Verweigerungsrechten soll an diesem Punkt nur kurz angeschnitten werden. Inwieweit die Selbstbelastungsfreiheit in den genannten Fällen tatsächlich tangiert ist, wird im dritten Kapitel dieser Arbeit ausführlich herausgearbeitet. Vorweg stellt sich aber die grundlegende Frage, ob die Betroffenheit des nemo-tenetur-Grundsatzes als strafrechtliches Prinzip überhaupt Auswirkungen auf eine steuerrechtliche Pflichtenstellung haben kann oder ob nicht vielmehr ein Interessenausgleich auf der Sekundärebene anzustreben ist.194 Zur Auslegung der im Steuerrecht angesiedelten Norm des § 153 AO werden häufig strafrechtliche Grundsätze – wie hier der nemotenetur-Grundsatz – herangezogen, ohne dies näher zu begründen.195 Auch Wulf kritisiert, dass meist gar nicht in Erwägung gezogen wird, vermeintliche Konflikte mit dem nemo-tenetur-Grundsatz auf der Ebene des Strafrechts zu lösen – beispielsweise durch eine Aussetzung der Sanktionierung oder einem Verwertungsverbot.196 Der Konflikt mit dem nemo-tenetur-Grundsatz würde nach der oben dargelegten Auslegung vielmehr bereits auf der Primärebene Handeln und Unterlassen, S. 80. zum Verhältnis von Steuer- und Strafverfahren und der Verteilung von Zuständigkeiten siehe S. 227 ff.; ebenso: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 39. 194  Dass § 153 Abs. 1 S. 1 AO die steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten ergänzt und damit auch dem Steuerrecht als Primärordnung zuzurechnen ist, wurde auf S. 23 f. herausgearbeitet. Anders: Schuhmann, wistra 1994, 45 (48), der § 153 AO eine lediglich steuerstrafrechtliche und keine steuerverwaltungsrechtliche Funktion zuschreibt. 195  Vgl. Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 39 f.; Kranenberg, AO-StB 2011, 344; Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (65 f.). 196  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 79. 192  Wulf,

193  Genaueres



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO55

des Steuerrechts gelöst.197 Zur Beantwortung der Frage, wie sich die beiden Rechtsordnungen zueinander verhalten, gilt es vorab das Steuerrecht und Steuerstrafrecht zu charakterisieren. Das Besteuerungsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren.198 Es dient Fiskalzwecken und soll die gleichmäßige Festsetzung des Steueraufkommens und damit Steuergleichheit respektive Steuergerechtigkeit und einen ordnungsgemäßen Staatsbetrieb sichern199 – der unehrliche Steuerbürger darf dabei nicht bevorzugt behandelt werden.200 Das Strafrecht soll grundsätzlich Unrecht bestrafen und damit dem Strafbedürfnis des Staates Genüge tun.201 Das Steuerstrafrecht im engeren Sinne soll vor allem die gleichmäßige Verwirklichung der Steueransprüche des Staates sichern und damit das Besteuerungssystem schützen.202 Im Grundsatz liegen dem Steuer- und dem Strafrecht damit zwar unterschiedliche Zielrichtungen203 – jedoch eine ähnliche Zielsetzung zugrunde. Auch durch die Strafandrohung des Steuerstrafrechts soll das Steueraufkommen gesichert werden. Betrachtet man aber die Struktur der Abgabenordnung, so ist der steuer­ liche Pflichtenkreis getrennt von den strafrechtlichen Konsequenzen zu betrachten. Die Abgabenordnung ist nicht darauf ausgelegt, dass der nemotenetur-Grundsatz Anwendung auf die steuerrechtlichen Regelungen findet. Wäre dies der Fall wären einige steuerrechtliche Normen überflüssig und würden für sich genommen jeder Sinnhaftigkeit entbehren. Dass die Gefahr einer Selbstbelastung unabhängig vom Bestehen steuerrechtlicher Mitwirkungspflichten zu beurteilen ist, ergibt sich bereits ausdrücklich aus § 393 Abs. 1 S. 2 AO. § 393 Abs. 1 AO regelt das Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren. Nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO ist die Durchsetzung von Mitwirkungspflichten mit Zwangsmitteln gegenüber dem Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer 197  Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (456); vgl. ebenso: Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 25, der damit die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO in diesen Fällen verneint. 198  § 86 S. 1 AO. 199  Dies ergibt sich bereits aus § 85 S. 1 AO; vgl. insoweit auch: Drüen, in: Tipke/ Kruse, § 393 AO, Rn. 16; Teske, wistra 1988, 207 (207, 211); zusätzlich verfolgt es mittlerweile vermehrt auch Lenkungszwecke und wird damit zur Verfolgung von politischen Zielen und zur Vermeidung von unerwünschtem Verhalten genutzt, siehe: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 144; Wernsmann, Beihefter zu DStR 34, 2019, 101 (101). 200  Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 16; Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (471). 201  Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 17 f.; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 99. 202  Teske, wistra 1988, 207 (207). 203  Schmoeckel, StuW 1/2014, 67 (73).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Im Umkehrschluss lässt sich aber daraus ablesen, dass die Mitwirkungspflichten in diesen Fällen dennoch weiterbestehen.204 Daude schließt aus dem Zwangsmittelverbot allerdings für die Auslegung des § 153 Abs. 1 AO, dass die Berichtigungspflicht wohl nicht besteht, wenn dem nachträglichen Erkennen eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vorangegangen ist.205 Dies lässt sich allerdings mit der Regelungsintention des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nur bedingt in Einklang bringen. Diese Regelung findet ihren Ursprung zum einen in den Grundsätzen der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit und zum anderen in der Selbstbelastungsfreiheit der Steuerbürger.206 Müsste der unehrliche Steuerpflichtige seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten wegen der Gefahr sich selbst belasten zu müssen, nicht mehr nachkommen und könnte diese Weigerung der Mitwirkung im Besteuerungsverfahren auch nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden, so würde der Steuerstraftäter dem ehrlichen Steuerpflichtigen gegenüber ungerechterweise bevorzugt.207 Das Fortbestehen der Mitwirkungspflichten bezweckt zudem die Offenhaltung der Möglichkeit einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 AO.208 Diese ist nach § 162 Abs. 2 S. 1 AO in erster Linie einschlägig, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt.209 Im Bereich des Besteue204  Dazu: Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 42; Tormöhlen, in: HHSp, § 393 AO, Rn. 40; Bülte, BB 2010, 607 (609); Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 47; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 171; Nossen, in: Wannemacher, Rn. 3963; Rogall, in: FS Rieß, S. 951 (956). 205  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 38. 206  Dazu, dass § 393 AO stark vom nemo-tenetur-Grundsatz geprägt ist: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (466). 207  Vgl. dazu: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (471); ders., in: FS Rieß, S. 951 (953), wonach die Notwendigkeit eines gesicherten Steueraufkommens rechtfertigt, dass trotz Selbstbelastungsgefahr steuerliche Pflichten grundsätzlich weiterbestehen. 208  BT-Drs. 7/4292, S. 46; vgl. dazu auch: Besson, Steuergeheimnis und nemotenetur, S. 107, wonach auch aus § 393 Abs. 1 AO deutlich wird, dass die Auswirkungen eines Strafverfahrens auf eine ordnungsgemäße Besteuerung möglichst gering gehalten werden sollen. 209  Tormöhlen führt jedoch aus, dass eine Schätzung immer möglich ist, wenn die Finanzbehörde – unabhängig davon aus welchen Gründen – die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann, vgl. § 162 Abs. 1 AO. Eine Schätzung wäre damit auch zulässig, wenn man die Mitwirkungspflichten suspendieren würde, sobald der Steuerpflichtige Gefahr läuft, sich selbst zu belasten. Mit der jetzigen Regelung unterstellt man dem Steuerpflichtigen, der sich, nachdem ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde (§ 393 Abs. 1 S. 3 AO), im Besteuerungsverfahren nicht mehr äußern möchte, dass dieser unehrlich war. Damit wird der betroffene Steuerpflichtige sogar schlechter gestellt; siehe: Tormöhlen, in: HHSp, § 393 AO, Rn. 41; ders., in: FS Korn, S. 779 (783); ebenso: Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der AO, S. 111 f.; zustimmend: Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 40; vgl. auch: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 139 f.



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO57

rungsverfahrens kann dem Steuerpflichtigen eine Nichtmitwirkung damit zwar vorgeworfen werden – wie diese Nichtmitwirkung strafrechtlich zu beurteilen ist, ist jedoch eine andere Frage. Der nemo-tenetur-Grundsatz soll lediglich verhindern, dass der Betroffene sich in einem Strafverfahren selbst belastet – als genuin strafrechtliches Institut kann er nicht auch pauschal herangezogen werden, um Mitwirkungsrechte in anderen Rechtsgebieten auszuschließen.210 In den Fällen des § 393 Abs. 1 S. 2 AO wird dem nemotenetur-Grundsatz also damit Rechnung getragen, dass die ursprüngliche, steuerrechtliche Pflicht zwar formal fortbesteht – nicht aber zwangsweise durchgesetzt werden kann. § 393 Abs. 1 S. 2 AO regelt damit die hier in Rede stehende Problematik: Hat der Steuerpflichtige bedingt vorsätzlich eine Steuerhinterziehung begangen und erkennt er die Unrichtigkeit der Erklärung nachträglich, so ist er gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 AO grundsätzlich verpflichtet, seinen Fehler gegenüber dem Finanzamt zu berichtigen und damit ggf. seine ursprüngliche Steuerstraftat zu offenbaren. Die Erfüllung der Pflicht des § 153 Abs. 1 AO kann seitens der Finanzbehörde dann zwar nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden – sie besteht aber dennoch, wenn auch ggf. nicht mehr als strafbare Pflicht. Unabhängig davon, hat die Finanzbehörde in den Fällen des § 153 Abs. 1 AO meist keine Kenntnis von der Unrichtigkeit und wäre damit nicht in der Lage, Zwangsgelder zu erheben – andernfalls wären entsprechende Ermittlungen angestellt worden. Auch ist das Bestehen der Berichtigungspflicht bei Kenntnis der Finanzbehörde des Fehlers bereits umstritten.211 Exemplarisch dafür, dass der nemo-tenetur-Grundsatz im Bereich des Steuerrechts grundsätzlich keinen Einfluss auf die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen entfaltet, kann außerdem § 40 AO angeführt werden.212 Nach dieser Vorschrift sind auch rechtswidrig erlangte Erträge zu versteuern und damit in den einzureichenden Steuererklärungen anzugeben. Dem zugrunde liegt der im Steuerrecht geltende Grundsatz der Wertneutralität.213 Der Steuerpflichtige ist damit trotz Selbstbelastung sogar ausdrücklich zu einer Mitwirkung verpflichtet. Diese Informationen könnten – soweit keine Steuerstraftaten vorliegen – sogar durch Zwangsmittel eingefordert werden, dürfen jedoch wiederum nach § 393 Abs. 2 S. 1 AO nicht in einem Strafverfahren verwendet werden.214 Von diesem Verwendungsverbot kann jedoch eine Ausnahme gemacht werden, soweit ein zwingendes öffentliches Inte­

Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 267. siehe S. 74 ff. 212  Vgl. dazu auch: Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 85. 213  Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (467). 214  Vgl. dazu auch: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (467). 210  Reiß,

211  Hierzu

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

resse besteht.215 Ergänzend zu § 40 AO ist § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 S. 1, 3 EStG als weiteres Beispiel anzuführen. Nach dieser Norm ist der Betriebsausgabenabzug von Schmiergeldern versagt, die sich aus den Zahlungen ergebenden Einnahmen sind dagegen zu versteuern und sollte der Steuerpflichtige derartige Tatsachen in seiner Steuererklärung angeben, so hat die Finanzbehörde bei Kenntniserlangung von verdachtsbegründenden Tatsachen die Staatsanwaltschaft oder die jeweilige Verwaltungsbehörde zu informieren. Das stellt eine deutliche Verschärfung für Korruptionsdelikte dar, denn grundsätzlich stand ein Transfer von strafbarkeitsbegründenden Tatsachen vom Besteuerungs- in ein Strafverfahren immer unter der Prämisse des zwingenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung.216 Weitere Offenbarungen von eigentlich dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen sind in § 31a AO für den Zweck der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch sowie in § 31b AO zur Geldwäschebekämpfung und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung vorgesehen.217 Die genannten Ausnahmevorschriften betreffen allerdings ausnahmslos die Offenbarung von Nicht-Steuerstraftaten, sodass auf die Kritik zu den aufgeführten Normen im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft eingegangen wird. Dennoch wird aus den genannten Normen deutlich, dass die Gefahr einer Selbstbelastung keinen Einfluss auf steuerliche Mitwirkungspflichten hat. Die Entscheidung, dass Primär- und Sekundärordnung gesondert zu betrachten sind, hat der Gesetzgeber damit klar getroffen. Ein Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip ist damit grundsätzlich erst im Rahmen des Strafrechts, auf der Sekundärebene, zu klären.218 Soweit im Bereich des Strafrechts respektive des Strafverfahrensrechts allerdings kein angemessener Ausgleich zwischen der Berichtigungspflicht des Steuerpflichtigen und dessen Selbstbelastungsfreiheit gefunden werden kann, kann der nemo-teneturGrundsatz ausnahmsweise doch im Rahmen der Zumutbarkeit auf eine pri215  § 393 Abs. 2 S. 2 AO; die Verfassungsmäßigkeit dieser Ausnahmeregelung wird jedoch von Teilen der Literatur stark bezweifelt – siehe S. 296 f.; vgl. auch: Tormöhlen, in: HHSp, § 393 AO, Rn. 180 m. w. N.; Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 234 f. 216  Vgl.: §§ 30 Abs. 4 Nr. 5, 393 Abs. 2 S. 1 AO; dazu auch: Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (453); insoweit musste die Vorschrift in der Literatur viel Kritik einstecken, siehe: Heerspink, wistra 2001, 441 (441); Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (454); Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (459). 217  Genaueres zur Verfassungsmäßigkeit dieser „Durchlässigkeit“ auf S. 290 ff. 218  Im Ergebnis ebenso: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 13; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 25; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 20; Hüttinger, Beweisverbote im Steuer- und Steuerstrafverfahren, S. 120, 133 f.; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 267; vgl. auch: Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 65 f.; vgl. zur Trennung von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren ferner: Eidam, wistra 2006, 11 (12); a. A. dagegen: Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 177.



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märrechtliche Pflichtenstellung durchschlagen.219 Denn die steuerlichen Mitwirkungspflichten sind verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen und damit am Grundsatz der Zumutbarkeit sowie am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Soweit der Steuerpflichtige sich durch die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten auf der Primärebene der Gefahr einer Selbstbelastung auf der Sekundärebene aussetzen müsste, liegt ein Eingriff in den unantastbaren Kernbereich der Privatsphäre vor, der nicht gerechtfertigt werden kann. Diese Informationen sind dem „der Wahrheitserforschung zugänglichen Bereich“ entzogen.220 Für die Beantwortung der essentiellen Frage, ob es dem Steuerpflichtigen nach in Betracht ziehen aller denkbaren Ausgleichsmöglichkeiten letztendlich zugemutet werden kann, durch seine Erklärung eine bereits begangene Steuerstraftat aufzudecken, sei auf das dritte Kapitel dieser Arbeit verwiesen.221 (4) Verjährung Eine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist nur vorzunehmen, soweit ein Erkennen vor Ablauf der Festsetzungsfrist vorliegt. Sowohl auf die Festsetzungs- als auch auf die Verfolgungsverjährung wird in einem späteren Teil der Arbeit vertieft eingegangen.222 Im Rahmen der Konstellation des bedingten Vorsatzes im Vorfeld muss zum ersten Verständnis ein kurzer Vorgriff auf die beiden Verjährungsformen und ihr Zusammenspiel vorgenommen werden, da die Gefahr einer Ausuferung der Verjährung häufig als Argument gegen das Entstehen einer Berichtigungspflicht genommen wird. Vorab ist festzustellen, dass eine Steuerhinterziehung durch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO auch Auswirkungen auf die Dauer der Fest219  Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 111; vgl. ebenfalls: Gombert, Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, S. 38; Kuhn, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 80, nachdem die Zumutbarkeit der Erklärung in diesen Fällen entfallen kann, wenn keine anderen Schutzinstitute, wie bspw. das Steuergeheimnis nach § 30 AO greifen; dazu auch: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, Fn. 551, die herausarbeitet, dass das nemo-tenetur-Prinzip als Ausdruck der Verfassung in Form einer verfassungskonformen Auslegung auch Niederschlag im Primärrecht finden kann; ebenso: Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 146 f., u. a. mit Verweis auf § 151 AO, wo für die Form der Erklärungsabgabe auch auf die Zumutbarkeit abgestellt wird; vgl. ebenfalls: Böse, StV 2014, 270, wonach die verwaltungsrechtliche Einordnung einer Pflicht nicht den verfassungsrechtlichen Schutz der Aussagefreiheit entfallen lässt; Radtke, GA 2020, 470 (470) stellt allgemeiner auf die Verhältnismäßigkeit ab; ebenso: Wittmann, StuW 1987, 35 (42). 220  Hierzu: Reuß, Grenzen der steuerlichen Mitwirkungspflichten, S. 111. 221  S. 205 ff. 222  Zur Festsetzungsverjährung: S. 68  ff.; zur Verfolgungsverjährung: S. 71 ff. sowie S. 106 und S. 188.

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setzungsverjährung hat und damit den Berichtigungszeitraum des § 153 Abs. 1 AO ausdehnen kann. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geht – wie oben bereits dargelegt – sogar von zwei Steuerhinterziehungen aus, wenn der Steuerpflichtige bedingt vorsätzlich eine unrichtige Steuer­ erklärung abgibt, seinen Fehler nachträglich positiv erkennt und dann keine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO vornimmt. Auch wenn eine einheitliche prozessuale Tat angenommen wird, so soll entsprechend einem ­Urteil vom 17.3.2009 Beginn der Verfolgungsverjährung der Zeitpunkt sein, in dem die letzte Tathandlung vollendet wurde.223 Sowohl Wulf als auch Tormöhlen kritisieren in dieser Konstellation die Entstehung eines verjährungsrechtlichen perpetuum mobile: Gemäß § 153 Abs. 1 AO gilt die Berichtigungspflicht nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist224, der Ablauf sel­ biger ist jedoch gemäß § 171 Abs. 7 AO bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung gehemmt.225 Bei der Verfolgungsverjährung besteht aber das Problem, dass die sich aus § 153 AO ergebende Handlungspflicht des Steuerpflichtigen eine Kaskade an Steuerhinterziehungen durch Unterlassen auslösen könnte und diese eben wieder an die Festsetzungsfrist gekoppelt ist. Radermacher vertritt daher die Ansicht, dass die Strafverfolgungsverjährung „nicht mit der letzten vom ‚Gesamtvorsatz‘ umfassten Tat, sondern im Zeitpunkt der Bekanntgabe eines erstmaligen Steuerbescheides eines Veranlagungszeitraumes gesondert“ beginnt.226 Die Befürchtung eines verjährungsrechtlichen perpetuum mobile kann jedoch mit Blick auf die ständige Rechtsprechung entkräftet werden: Grundsätzlich stellt die Rechtsprechung bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen auf den hypothetischen Zeitpunkt ab, an dem der Steuerbescheid bei pflichtgemäßem Verhalten des Steuerpflichtigen ergangen wäre.227 Nachdem jedenfalls die Anzeigepflicht des § 153 Abs. 1 AO an eine Frist – nämlich die Unverzüglichkeit – geknüpft ist, kann ab der Kenntnisnahme des Steuerpflichtigen von seinem Fehler ein gewisser Zeitraum ausgemacht werden, in dem die Tat beendet ist. Es gäbe somit durch einen Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO nicht unzählige nachfolgende Steuerhinterziehungen, sondern lediglich eine einzige 223  BGH

v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979 (1982). nächster Punkt. 225  Tormöhlen, AO-StB 2010, 141 (143); Wulf, in: FS Samson, S. 619 (630); ders., PStR 2009, 190 (194); ebenso: Asholt, wistra 2019, 386 (391); Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 183; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 37; Heuel, wistra 2015, 338 (338); Höll/Hinghaus, PStR 2010, 45 (46); Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 138; Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (69); Stahl, Selbstanzeige, Rn. 34. 226  Radermacher, StBW 2014, 956 (959). 227  BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, NJW 2002, 762 (764); BGH v. 28.10.1998 – 5 StR 500/98, wistra 1999, 385; BayObLG v. 9.11.2000 – 4 StRR 126/00, wistra 2001, 194. 224  Siehe



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Weitere. Dennoch ergeben sich hier Wertungswidersprüche: Wieso sollte jemand, der mit dolus eventualis eine Steuerhinterziehung begangen hat und seinen Fehler erst nachträglich positiv erkennt, länger bestraft werden können als eine Person, die bereits im Vorfeld eine Steuerhinterziehung mit dolus directus ersten oder zweiten Grades begangen hat?228 Solch unterschiedliche Behandlungen sind an keiner anderen Stelle des Kernstrafrechts vorgesehen und stellen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Vorsatzarten dar.229 Richtigerweise verursacht die Nichtvornahme einer Berichtigung nach einer bereits verursachten Steuerverkürzung bereits keinen eigenständigen Taterfolg, wie im zweiten Kapitel ausführlich herausgearbeitet wird, sodass eine zweite Strafbarkeit zu verneinen und eine Anwendung des § 171 Abs. 7 AO damit ausgeschlossen wäre,230 selbst wenn sich eine Berichtigungspflicht ergäbe. Auch die Gefahr eines verjährungsrechtlichen perpetuum mobile ist damit kein zwingendes Argument für die Ansicht der Literatur. cc) Relevanz: § 153 AO als konstitutive oder deklaratorische Norm? In der Gesamtschau haben beide Ansichten jeweils einleuchtende Argumente, die sich auch nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass dem strafrechtlichen nemo-tenetur-Grundsatz nach der Systematik der Abgabenordnung keine unmittelbare Wirkung auf steuerliche Mitwirkungspflichten zukommen soll, sondern insofern ein Ausgleich auf strafrechtlicher Ebene erfolgen muss. Aber selbst wenn der nemo-teneturGrundsatz keinen direkten Einfluss auf steuerliche Mitwirkungspflichten hat, so ist nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bei der Konzeption der Berichtigungsvorschrift nur die Fälle vor Augen hatte, in denen eine unrichtige oder unvollständige Erklärung in Unkenntnis des entsprechenden Fehlers und damit unvorsätzlich abgegeben wurde. Teilweise wird dem Problem eine lediglich geringe praktische Bedeutung zugeschrieben, da in dubio pro reo von einer im Vorfeld mit dolus directus begangenen Steuerhinterziehung auszugehen wäre, sodass kein Raum für ein nachträgliches Erkennen verbliebe.231 Der strafrechtliche Zweifelssatz ist jedoch im Rahmen des Besteuerungsverfahrens nur in den Fällen anwendbar, in denen das Vorliegen einer 228  Vgl. auch: Pelz, in: Leitner/Rosenau, § 370 AO, Rn. 96; Geuenich, NWB 2016, 2560 (2564). 229  Böse, JA 1999, 342 (346); Bülte, BB 2010, 607 (612); Roxin, JZ 1998, 211 (212); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 77; vgl. auch: Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 103. 230  Siehe ausführlich: S. 138 ff. 231  Ransiek/Hüls, NStZ 2011, 678 (679).

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Steuerhinterziehung Tatbestandsmerkmal ist.232 Eine pauschale Anwendung auf steuerrechtliche Vorschriften muss verneint werden. Nun stellt sich in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob der Diskussion um den bedingten Vorsatz im Vorfeld im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO tatsächlich eine derart hohe Relevanz zukommt, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob derjenige, der in seiner Steuerklärung vorsätzlich falsche Angaben macht, seiner ursprünglichen Erklärungspflicht Genüge tut. Ist dies nicht der Fall und besteht die Erklärungspflicht in diesen Fällen nach § 149 Abs. 1 AO i. V. m. den Einzelsteuergesetzen weiter, so wäre derjenige Steuerpflichtige auch bereits nach den allgemeinen Mitwirkungspflichten zu einer Richtigstellung verpflichtet. Ob zusätzlich noch § 153 AO einschlägig ist, würde insofern faktisch keinen Unterschied machen. § 153 Abs. 1 S. 1 AO hätte insoweit nur eine deklaratorische Wirkung, sodass die hier aufgeworfene Frage, ob man eine vorsätzliche Steuerhinterziehung nachträglich im Besteuerungsverfahren offenlegen muss, sogar allgemeingültiger gestellt werden müsste und nicht nur auf die Vorschrift des § 153 Abs. 1 AO begrenzt werden könnte. Insoweit wäre zu fragen, ob der nemo-tenetur-Grundsatz auch das Fortbestehen der allgemeinen Mitwirkungspflichten ausschließt oder ggf. nur das nachträgliche Erkennen des § 153 Abs. 1 AO modifiziert. Zunächst etwas Grundlegendes vorweg: Man könnte auch in den Fällen, in denen im Vorfeld mit dolus directus gehandelt wurde, andenken, dass das Selbstbelastungsverbot gegen eine Berichtigungspflicht spricht. Dass eine begangene Steuerhinterziehung aber nicht jegliche Mitwirkungspflicht ausschließt bzw. befriedigt, zeigt sich – wie bereits dargestellt233 – am Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO. Nun ließe sich daraus bereits ableiten, dass die ursprüngliche Erklärungspflicht fortbesteht. Ob allerdings von § 393 Abs. 1 AO die originäre Mitwirkungspflicht umfasst ist oder ob eine gesonderte Berichtigungspflicht greifen muss, lässt die Norm offen. Aus § 393 Abs. 1 AO lässt sich somit kein zwingendes Argument für den deklaratorischen oder konstitutiven Charakter des § 153 Abs. 1 AO ableiten. (1) Historie Betrachtet man abermals den historischen Werdegang der Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO, liegt es nahe, dass der Norm lediglich ein deklaratorischer Charakter zukommen soll und sich eine Pflicht zur Korrektur 232  BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364; BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84, BStBl. II 1989, 216. 233  S. 53 ff.



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bereits aus den allgemeinen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nach §§ 149, 150 AO ergibt. Im Gutachten des Reichsfinanzhofes wurde klargestellt, dass ein Steuerpflichtiger verpflichtet ist, eine Steuererklärung fristgemäß, vollständig und richtig abzugeben und soweit ein Versäumnis vorliegt, die Verpflichtung in diesem Umfang uneingeschränkt bestehen bleibt. Wurde eine Steuererklärung beispielsweise fristgemäß, aber unvollständig eingereicht, so verbleibt eine Verpflichtung zur vollständigen Abgabe.234 Dennoch sah der Gesetzgeber anschließend die Notwendigkeit, diese Berichtigungspflicht auch zu kodifizieren, woraus geschlossen werden könnte, dass eine solche sich nicht bereits aus den einfachen Mitwirkungspflichten ergab und § 153 Abs. 1 AO damit als konstitutive Norm einzuordnen sei. Das Entstehen der Pflicht wird auch explizit an das nachträgliche Erkennen geknüpft, sodass dies laut Deibel für die Neuentstehung einer Pflicht statt für einen bloßen Verweis auf eine bestehende Pflicht sprechen könnte.235 Auch in den Gesetzgebungsmaterialien zur Reform der Abgabenordnung heißt es ausdrücklich, dass die Berichtigungspflicht nur dann bestehe, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit nach Abgabe der Erklärung erkennt.236 Daraus lässt sich zwar entnehmen, dass der Gesetzgeber in § 153 Abs. 1 AO keine bloße „Modifizierung der ursprünglichen Erklärungspflicht“ sah – ob sich allerdings in den Fällen des ursprünglichen Erkennens nicht auch aus den originären Mitwirkungspflichten eine Berichtigungspflicht ergibt, wird nicht positiv geklärt.237 Wahrscheinlicher ist es, dass diese Klarstellung lediglich darauf abzielte, einen Widerspruch zu vermeiden. Es wäre paradox, die Berichtigungspflicht explizit auch für die Fälle, in denen vorsätzlich eine falsche Erklärung abgegeben wurde, zu statuieren und diese Pflicht im nächsten Schritt im Falle einer Selbstbelastungsgefahr zu „entkernen“ und ihr ihre Durchsetzbarkeit durch ein Zwangsmittelverbot abzusprechen.238 Hätte man die Fälle der vorsätzlichen Unrichtigkeiten in § 153 AO aufgenommen, wäre dies zwar dogmatisch nachvollziehbar gewesen, hätte allerdings keinen Mehrwert für den Fiskus gebracht und in der Praxis wohl eher zu Irritationen geführt. Aus dem Wortlaut der Norm kann damit nicht geschlossen werden, dass die Mitwirkungspflichten bei Nichterfüllung erlöschen sollten. Der his234  Gutachten des RFH v. 4.12.1933 – Gr. S. D 7/33, RStBl. 1934, 24 (25 f.); darin heißt es auch: „Wenn jemand gar keine Steuererklärung abgibt und deshalb auch keine Steuerfestsetzung erfolgt, dauert die Verpflichtung bis zur Verjährung des Steueranspruchs weiter; folglich kann auch eine Steuererklärung, die zur Folge hat, daß nur ein Bruchteil der geschuldeten Steuer festgesetzt wird, nicht bewirken, daß die Verpflichtung zur Abgabe einer richtigen Steuererklärung erlischt.“ 235  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 336. 236  BT-Drs. IV/1982, S. 129. 237  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 337 f. 238  Vgl. § 393 Abs. 1 S. 2 AO.

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torische Werdegang spricht damit für eine Einordnung des § 153 Abs. 1 AO als deklaratorische Norm. (2) Systematik Um den Charakter der Norm zu bestimmen, ist es erforderlich, zu prüfen, welche Qualität eine Erklärung haben muss, um die Pflichten der §§ 149, 150 AO zu erfüllen. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass eine unrichtige oder unvollständige Erklärung dazu führt, dass der Erklärungspflichtige seiner grundsätzlichen Erklärungspflicht nach §§ 149, 150 AO nicht nachgekommen ist und diese weiterbesteht.239 Die Mitwirkungspflichten dienen – wie bereits kurz erläutert240 – dem Zweck, den Finanzbehörden Kenntnis von den Besteuerungsgrundlagen zur verschaffen und eine gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen. Dieser Zweck wäre nicht erreicht, wenn jede beliebige Erklärung – sei sie auch unvollständig oder unrichtig – zur Erfüllung der Mitwirkungspflichten führen würde. Es wäre widersprüchlich, wenn eine Pflicht zum Erlöschen gebracht werden könnte, indem die pflichtgemäße Handlung gerade nicht vorgenommen wird.241 Auch aus dem bloßen Ablauf der Abgabefrist kann sich kein Erlöschen der Pflicht ergeben. Die Erklärungsfristen umgrenzen nicht den Umfang der Pflichten, sondern den Zeitraum für deren ordnungsgemäße Erfüllung.242 Außerdem schreibt § 150 Abs. 2 AO vor, dass Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben sind. Wurden unrichtige Angaben gemacht, ist die Steuererklärung schlicht nicht wahrheitsgemäß. Ausnahmsweise können aber nicht wahrheitsgemäße Erklärungen zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht ausreichen, wenn diese nach bestem Wissen und Gewissen abgegeben wurden. Der Steuerpflichtige muss also einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab einhalten.243 Damit wird dem Grundsatz Genüge getan, dass den Bürgern von Seiten des Staates keine unerfüllbaren Pflichten auferlegt werden können. Nachdem keine Pflicht besteht, sich bei der Erstellung einer Steuererklärung 239  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 12; Bülte, BB 2010, 607 (608 f.); Möller, Berichtigungspflicht, S. 35; Radermacher, StBW 2014, 956 (957); Reiß, in: FS Samson, S. 571 (574); Wulf, PStR 2009, 190 (193); ders., in: FS Samson, S. 619 (635); dies in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO verkennend: Flore, in: Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 175. 240  Siehe S. 23. 241  Wulf, PStR 2009, 190 (193). 242  Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 62 f., wonach das Interesse des Fiskus an vollständigen und korrekten Erklärungen auch nach Ablauf der Erklärungsfristen gleichbleibt; zustimmend: Schmitz, wistra 1993, 248 (248). 243  Heuermann, in: HHSp, § 150 AO, Rn. 18; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 150 AO, Rn. 31; Wendt, in: FS Ritter, S. 637 (642).



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eines Steuerberaters zu bedienen,244 kann die Mitwirkungspflicht nur an der individuellen Leistbarkeit des Steuerpflichtigen gemessen werden. Konnte der Steuerpflichtige in subjektiver Hinsicht seinen Fehler nicht vermeiden, so hat er alles in seiner Macht Stehende getan und damit seiner Erklärungspflicht genügt.245 §§ 149, 150 AO als grundlegende Erklärungspflichten wurden in einem solchen Fall damit erfüllt, sodass eine Berichtigungspflicht aus diesen Normen nicht mehr hergeleitet werden kann. Diese Sichtweise attestiert der Vorschrift des § 153 AO in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige seine unrichtige Erklärung nicht nach bestem Wissen und Gewissen abgegeben hatte, einen deklaratorischen Charakter.246 Eine Berichtigungspflicht ließe sich in diesen Fällen – trotz bereits abgegebener Erklärung – noch aus den allgemeinen Mitwirkungsvorschriften ableiten. § 153 Abs. 1 AO hätte insoweit nur eine klarstellende Funktion. Konnte der Steuerpflichtige aber trotz sorgfältiger Prüfung keine richtige Erklärung abgeben und hat er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, so erlischt ausnahmsweise auch durch eine unrichtige Erklärung seine allgemeine Mitwirkungspflicht und eine Berichtigungspflicht entsteht erst durch ein nachträgliches Erkennen neu gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Insoweit kommt der Norm ein konstitutiver Charakter zu.247 Kann einem Steuerpflichtigen bei der Abgabe einer unrichtigen Steuer­ erklärung bedingter Vorsatz vorgeworfen werden, hat er zwar nicht positiv von der Steuerverkürzung gewusst, sie aber doch billigend in Kauf genommen. Dafür muss der Steuerpflichtige die grundsätzliche Gefahr erkannt haben und damit kann kein Handeln nach bestem Wissen und Gewissen mehr vorliegen. Spätestens sobald das Verhalten strafrechtliche Relevanz erlangt, ist diese Grenze überschritten. Hat der Steuerpflichtige also bedingt vorsätzlich eine unrichtige Erklärung abgegeben, so ist seine grundsätzliche Erklä244  Vgl.

Wendt, in: FS Ritter, S. 637 (642 f.). Wendt, in: FS Ritter, S. 637 (648), ist maßgeblich, ob sich die Steuerbürger in zumutbarem Maße um die zur Erfüllung ihrer Erklärungspflichten nötigen Kenntnisse bemüht haben. 246  Möller, Berichtigungspflicht, S. 36 f.; vgl. auch: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 12, der klarstellt, dass § 153 AO nicht auf eine Beschränkung der Korrekturpflichten abzielt – fehlt es an einem nachträglichen Erkennen, kann dennoch nach anderen Vorschriften eine Berichtigungspflichten bestehen. § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist insoweit nicht lex specialis. Im Ganzen ebenso: Wegner, DStZ 1986, 375 (378); Wulf, in: FS Samson, S. 619 (621); ders., Handeln und Unterlassen, S. 78. 247  Vgl. auch: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1a (ohne Begründung); Möller, Berichtigungspflicht, S. 21 ff.; Wulf, PStR 2009, 190 (193 f.); a. A.: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 345 f. nach der die Formulierung „nach bestem Wissen und Gewissen“ lediglich die Funktion einer Ermahnung haben solle und damit die Erfüllung der Erklärungspflicht ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen sei. 245  Nach

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

rungspflicht insoweit nicht erloschen, als in vorwerfbarer Art und Weise unrichtige Angaben gemacht wurden. Der verbliebenen Pflicht kann durch eine Berichtigungserklärung Genüge getan werden. Ob sich die Berichtigungspflicht in diesen Fällen zusätzlich auch noch auf § 153 Abs. 1 AO stützen kann, ist im Ergebnis nebensächlich. Auch wenn § 153 AO in diesen Fällen nicht als einschlägig erachtet würde, wäre der Steuerpflichtige nach der Primärordnung dennoch dazu verpflichtet, unrichtige Angaben zu berichtigen. Dass diese, sich aus den grundsätzlichen Mitwirkungspflichten herleitende Berichtigungspflicht faktisch kaum zur Durchsetzung bisher verdeckter Steueransprüche führen wird, liegt allerdings auf der Hand. Möchte jemand durch eine falsche Steuererklärung Steuern hinterziehen und fallen die falschen Angaben weder im Rahmen des Veranlagungsverfahrens noch im Rahmen einer etwaigen Betriebsprüfung auf, kann denklogisch kein Finanzbeamter bzw. keine Finanzbeamtin zur Berichtigung auffordern. Eine Durchsetzung dieser Auskunftspflicht mit Zwangsmitteln wäre auch nicht erlaubt. Probleme bei der Durchsetzbarkeit einer Pflicht können jedoch auf ihr Bestehen keine Auswirkung haben. (3) § 153 AO als lex specialis Letztlich könnte man noch andenken, dass § 153 Abs. 1 S. 1 AO lex specialis zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten ist. Für die Bejahung einer Mitwirkungspflicht stellt die Norm höhere Hürden auf als §§ 149, 150 AO, sodass es eine Umgehung des § 153 Abs. 1 AO darstellen könnte, wenn über die Voraussetzungen der Norm hinaus eine Berichtigungspflicht aus den subsidiären Vorschriften der §§ 149 ff. AO abgeleitet würde. Diese Ansicht lässt sich jedoch mit der Zielsetzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht vereinbaren. Aus steuerrechtlicher Sicht gibt es keinen Grund dafür, Steuerpflichtige, die in vorwerfbarer Art und Weise falsche Angaben gemacht haben, vor solchen zu privilegieren, die dies unbewusst getan haben. § 153 Abs. 1 AO soll damit wohl ausschließlich eine klarstellende respektive eine ergänzende Funktion zukommen.248 Der Norm kommt auch danach kein Vorrang vor den allgemeinen Vorschriften zu und so lässt sich auch bereits aus einer Verletzung der allgemeinen Mitwirkungspflichten eine Berichtigungspflicht ableiten. Stellt man für die Berichtigungspflicht aber auf § 153 Abs. 1 AO ab, ergibt sich auf den ersten Blick ein entscheidender Vorteil für den Fiskus: Die Nichterfüllung des § 153 Abs. 1 AO wird nach herrschender Meinung als eigenständige Steuerhinterziehung durch Unterlassen betrachtet, wodurch ggf. das Eintreten der Festsetzungsverjährung hinausgeschoben werden 248  Im

Ergebnis ebenso: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 12.



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kann249 und auch eine Strafverfolgung länger möglich wäre. Dem historischen Gesetzgeber kann damit unterstellt werden, durch die Regelung einer Berichtigungspflicht nach nachträglicher Kenntnisnahme eines Fehlers die Schließung von Strafbarkeitslücken und zugleich die Herstellung von Rechtsklarheit bezweckt zu haben. Hat der Steuerpflichtige unvorsätzlich unrichtige Angaben gemacht und dadurch eine Steuerverkürzung herbeigeführt, ist er zunächst straflos. Erkennt er jedoch nachträglich seinen Fehler und wäre auch in der Lage die Steuerverkürzung zu beseitigen, so liegt in diesen Fällen eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nahe. Eine derartige Tat hat aber erst durch die Statuierung der Pflicht in § 153 Abs. 1 AO bzw. in deren Vorgängernormen einen zeitlichen Anknüpfungspunkt erhalten. Durch die Festlegung der Unverzüglichkeitsfrist für eine Anzeige nach dem nachträg­ lichen Erkennen besteht in der Praxis ein Anknüpfungspunkt dafür, wann die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten wird und ab wann eine Verfolgungsverjährung zu laufen beginnt. Eine Norm, die allgemeine Mitwirkungspflichten ausschließt, ist allerdings in § 153 Abs. 1 S. 1 AO nicht zu sehen. (4) Zwischenfazit § 153 Abs. 1 AO ist damit eine weitestgehend deklaratorische Norm. Einer vorangegangenen Steuerhinterziehung folgt im Grundsatz immer eine steuerliche Berichtigungspflicht nach, sodass dem Streit, ob in den Fällen einer vorangegangen bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung eine gesonderte Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO entsteht, aus rein steuerrecht­ licher Sicht kaum praktische Relevanz zukommt. dd) Fazit Im Ergebnis kann die mögliche Entstehung einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO im Nachgang an eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung bejaht werden. Zwar sprechen gute Argumente gegen die Bejahung einer Berichtigungspflicht nach § 153 AO, wenn bereits im Vorfeld mit Eventualvorsatz eine Steuerhinterziehung begangen wurde – allerdings sind die meisten dieser Argumente strafrechtlicher bzw. strafprozessrechtlicher Natur. Strafrechtliche Grundsätze können jedoch nicht ohne Weiteres auf das Steuerrecht angewandt werden. Auf der Primärebene ist eine Berichtigungspflicht damit – im Einklang mit der Rechtsprechung – zu bejahen. Inwieweit allerdings die Nichtvornahme einer Berichtigung tatsächlich eine zweite Steuerhinterziehung verwirklicht und ob ein Verstoß gegen den nemo-tenetur249  Vgl. die Verjährungshemmung nach § 171 Abs. 9 AO. Ob § 171 Abs. 7 AO auch anwendbar ist, ist umstritten; ausführlich hierzu auf S. 71 ff.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Grundsatz auf der Sekundärebene umgangen werden kann, wird im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit vertieft behandelt.250 7. Vor Ablauf der Festsetzungsfrist §§ 169 ff. AO § 153 Abs. 1 S. 1 AO verpflichtet den Steuerpflichtigen nur bei einem nachträglichen Erkennen eines Fehlers vor Ablauf der Festsetzungsverjährung zu einer Richtigstellung. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 AO eine Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nicht mehr möglich. Durch eine Berichtigungserklärung nach diesem Zeitpunkt könnten folglich entgangene Steuern nicht mehr festgesetzt und beigetrieben werden, sodass eine Berichtigung nach Ablauf der Festsetzungsfrist jeder Sinnhaftigkeit entbehren und die Erklärung leerlaufen würde.251 Aus dem Übermaßverbot ergibt sich außerdem, dass keine Berichtigungspflicht besteht, wenn eine Änderung eines Bescheids aus anderen Gründen nicht mehr zulässig ist.252 a) Beginn der Festsetzungsfrist Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend davon – und eigentlich der Regelfall – beginnt die Frist, wenn eine Pflichtveranlagung vorliegt, gemäß § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres in dem die Erklärung eingereicht wird – spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Jahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Ausgenommen von dieser Regelung sind gemäß § 170 Abs. 2 S. 2 AO Verbrauchsteuern wie die Umsatzsteuer; hier beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres der Entstehung. Die Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 AO stellt keine zu erstattende Anzeige im Sinne des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO dar und bewirkt daher keine Anlaufhemmung.253 Bei der Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer besteht die Besonderheit, dass die Festsetzungsfrist bei einem Erwerb von Todes wegen nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO nicht vor Ablauf des Kalenderjahres anläuft, in dem der Erwerber Kenntnis vom Erwerb erlangt hat. Bei einem Erwerb durch Schenkung beginnt die Frist gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO nicht vor Ablauf des Kalenderjahres in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der 250  Siehe

S. 113 ff. und S. 205 ff. Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (19). 252  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 19. 253  BFH v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595 (596); BFH v. 22.1.1997 – II B 40/96, BStBl. II 1997, 266. 251  Vgl.:



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO69

Schenkung Kenntnis erlangt hat. Diese Regelung zögert den Zeitpunkt der Verjährung im Zweifel erheblich hinaus. Halaczinsky und Füllsack führen zur Verdeutlichung ihrer Kritik den Fall an, dass ein Kind zur Geburt ein Schwarzgeldkonto von seinem Vater geschenkt bekommt und erst nach Eintritt der Volljährigkeit davon erfährt – die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO entsteht damit sofort, die Verjährung beginnt jedoch erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Vater verstirbt.254 b) Dauer der Festsetzungsfrist Die Festsetzungsfrist beträgt für Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ein Jahr und für die übrigen Steuerarten gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Soweit Steuern hinterzogen wurden, beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre und soweit sie leichtfertig verkürzt wurden fünf Jahre gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO. Anknüpfungspunkt für eine Verlängerung der regulären Festsetzungsverjährungsfrist kann nach herrschender Meinung sowohl eine Steuerhinterziehung durch die ursprüngliche, falsche Erklärung als auch eine Missachtung von § 153 Abs. 1 AO sein. Auch eine unterlassene Berichtigungserklärung kann nach ständiger Rechtsprechung, soweit sie als Steuerhinterziehung gewertet wird, die Festsetzungsfrist nachträglich auf zehn Jahre verlängern.255 Es ist jedoch davon auszugehen, dass hierfür ein Erkennen innerhalb der regulären Festsetzungsfrist erforderlich ist. Erkennt ein Steuerpflichtiger nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist, dass Steuern verkürzt wurden, kann eine Nichtberichtigung zu diesem Zeitpunkt nicht nachträglich die Festsetzungsfrist verlängern und ihn somit – bildlich gesprochen – nicht nachträglich zurück in eine Strafbarkeit zerren. Ob eine Verlängerung der Festsetzungsverjährungsfrist angezeigt ist, wird im Besteuerungsverfahren von der zuständigen Finanzbehörde selbständig entschieden und nicht etwa vor einem Strafgericht.256 D. h. die Finanzbehörde muss anhand der bekannten und ermittelten Umstände selbst beurteilen, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt oder nicht. Dabei muss bei Annahme einer Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 Abs. 1 AO das Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsmerkmale mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, wobei der strafverfahrensrechtliche Grundsatz in dubio pro reo auch im Steuerverfahren als Beweislastregel heBB 2011, 2839 (2842). München v. 6.9.2006 – 1 K 55/06, DStRE 2007, 1054 (1057); der BGH hat i. R. d. Revision offengelassen, ob die Festsetzungsfrist tatsächlich nachträglich verlängert werden konnte [BGH v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595 (596)]. 256  Banniza, in: HHSp, § 169 AO, Rn. 67. 254  Halaczinsky/Füllsack, 255  FG

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ranzuziehen ist.257 Ein bloßer Verdacht ist nicht ausreichend, um eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung zu begründen. Eine Unaufklärbarkeit eines Sachverhalts geht somit in Fällen, in denen eine Steuerhinterziehung Tatbestandsvoraussetzung ist, zu Lasten der Finanzbehörde.258 Insoweit gilt damit eine andere Beweislast als im regulären Besteuerungsverfahren, in welchem der Finanzbehörde die objektive Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen zukommt und dem Steuerpflichtigen die Beweislast für alle steuermindernden Tatsachen.259 Die verlängerte Festsetzungsfrist wird jedoch ebenfalls angewendet, wenn im Bereich des Strafverfahrens über das Institut der Selbstanzeige Straffreiheit erlangt wurde.260 Auch soweit im Steuerstrafverfahren andere Institute als Ausgleich für eine im Besteuerungsverfahren erzwungene Selbstbelastung zum Tragen kommen, können diese auf die verlängerte Festsetzungsfrist keine Auswirkung haben.261 Wie bereits dargestellt und im dritten Kapitel dieser Arbeit vertieft herausgearbeitet, sind im Grenzbereich zwischen Steuer- und Strafverfahren mehrere Szenarien denkbar, in denen die Selbstbelastungsfreiheit betroffen ist. In diesem Zusammenhang sprechen sich sowohl Rechtsprechung als auch Literatur in diversen Fällen für ein Verwertungsverbot im Strafverfahren aus, wenn im Bereich des Besteuerungsverfahrens strafrechtlich belastende Informationen offenbart werden müssen. Ein solches gilt allerdings ebenfalls nur im Strafverfahren – für das Besteuerungsverfahren kann die Bejahung einer verlängerten Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung auf die entsprechenden Informationen gestützt werden. § 393 Abs. 1 S. 1 AO stellt klar, dass beide Verfahren eigenständig zu behandeln sind und jeweils die entsprechenden Verfahrensgrundsätze Anwendung finden. Der nemo-tenetur-Grundsatz findet insoweit nur Anwendung im Strafverfahren und nicht im Besteue­ rungsverfahren.

257  BFH v. 19.12.2007 – X R 34/07, BFH/NV 2008, 597; BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, ZEV 2008, 94 (96); BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364 (365); Banniza, in: HHSp, § 169 AO, Rn. 70; Halaczinsky, ErbStB 2007, 229 (230); Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2048 f., 2052); vgl. zur Beweislast der Finanzbehörde auch: Geuenich, NWB 2016, 2560 (2563). 258  Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2052). 259  Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2048). 260  BFH v. 8.7.2009 – VIII R 5/07, BStBl. II 2010, 583; BFH v. 26.2.2008 – VIII R 1/07, BStBl. II 2008, 659; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 169 AO, Rn. 13. 261  Vertiefende Ausführungen zur Selbstanzeige als Schutzinstitut: S. 238 ff., sowie zu Schutzinstituten in Bezug auf Nicht-Steuerstraftaten: S. 290 ff. und in Bezug auf Steuerstraftaten: S. 297 ff.



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO71

c) Ablaufhemmung aa) § 171 Abs. 7 AO Gemäß § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsverjährung nicht, bevor die Verfolgung einer etwaigen, in Zusammenhang mit dem Steueranspruch begangenen Steuerstraftat nicht verjährt ist. § 171 Abs. 7 AO bezweckt die Vermeidung einer Inkongruenz zwischen steuerlicher Festsetzungsverjährung und strafrechtlicher Verfolgungsverjährung.262 Im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO bestehen mit der ursprünglichen, fehlerhaften Erklärung und einer möglichen Missachtung der Berichtigungsvorschrift – wie bereits dargestellt – zwei mögliche Anknüpfungspunkte für Steuerstraftaten. Wurde mit der Abgabe der unrichtigen Erklärung bereits eine Steuerhinterziehung verwirklicht, so ist die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO für die insoweit laufende Verfolgungsverjährung unproblematisch zu bejahen. Doch auch bei bedingtem Vorsatz im Vorfeld wurde von Seiten der Finanzverwaltung vertreten, die Festsetzungsverjährungshemmung des § 171 Abs. 7 AO auf eine durch eine Nichtberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO verwirklichte Steuerhinterziehung anzuwenden.263 Dies kann ggf. zu einer erheblichen Ausdehnung der Festsetzungsverjährung, weit über den gesetzlich regelmäßig vorgesehenen Rahmen hinaus, führen. Wäre eine etwaige Strafbarkeit durch die bedingt vorsätzliche Abgabe einer unrichtigen Erklärung beinahe verjährt und würde der Steuerpflichtige nachträglich positiv den Fehler erkennen und sich passiv verhalten, so träte eine neue – ggf. 15-jährige264 – Verfolgungsverjährung in Kraft. Die Festsetzungsverjährung würde sich nach § 171 Abs. 7 AO um weitere 15 Jahre verlängern – durch die Einführung des § 376 Abs. 3 AO kann die Verfolgungsverjährung sogar auf das Zweieinhalbfache und damit auf bis zu 37,5 Jahre ausgedehnt werden. Damit wäre eine immense Ausdehnung der Festsetzungsverjährung auf bis zu 47,5 Jahre möglich.265 Diese Ausdehnung ist mit Blick auf den Zweck der

262  BT-Drs. VI/1982, S. 152; Radermacher, StBW 2014, 956 (959); ders., StBW 2015, 27 (33). 263  So: Fromm, DStR 2014, 1747 (1748). 264  Mit dem Jahressteuergesetz v. 29.12.2020 (JStG 2020), BGBl. I 2020, 3096 (3128) wurde die Verfolgungsverjährungsfrist für besonders schwere Fälle von zehn auf 15 Jahre angehoben; vgl. hierzu die Empfehlung des Finanzausschusses: BT-Drs. 19/25160. 265  Insgesamt kritisch hierzu: Staudinger, wistra 2021, 307 (307 f.), da u. a. dadurch „sichtlich versucht [wird], fehlende Ressourcen durch längere Zeit zu kompensieren“.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Verjährung – u. a. der Eintritt von Rechtssicherheit266 – kritisch zu betrachten. Dargestellt wird die Berechnung dieser Ausdehnung an folgendem Beispielsfall: A gibt im Jahr 2020 seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 ab, nimmt dabei billigend in Kauf, dass diese Fehler enthält und führt dadurch eine Steuerverkürzung i. H. v. 51.000 Euro herbei. Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt bei einer Pflichtveranlagung mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung abgegeben wurde (2020) und beträgt im vorliegenden Fall zehn Jahre, da eine Steuerhinterziehung vorliegt. Sie würde also mit Ablauf des Jahres 2030 enden. Da allerdings die bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung einen besonders schweren Fall darstellt, beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 376 AO 15 Jahre267 und nach § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsverjährung nicht vor deren Ablauf. Daraus folgt, dass die Festsetzungsverjährung erst im Jahr 2035 enden würde. A erkennt im Laufe des Jahres 2035 vor Ablauf dieser Festsetzungsverjährung positiv, dass seine Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2019 tatsächlich Fehler enthielt und er dadurch Steuern verkürzt hat. Damit entsteht aus Sicht der Rechtsprechung eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO. A kommt seiner Pflicht nicht nach und begeht dadurch nach herrschender Meinung eine zweite Steuerhinterziehung, die im Zeitpunkt der hypothetischen Bekanntgabe eines Änderungsbescheides als beendet gilt.268 Unterstellt, der hypothetische Änderungsbescheid wäre im Dezember 2035 bekannt gegeben worden, beginnt die Verfolgungsverjährung mit Ablauf des jeweiligen Tages zu laufen. Die Verfolgungsverjährungsfrist beträgt abermals gemäß § 376 Abs. 1 AO 15 Jahre und würde im Dezember 2050 enden. Die Festsetzungsverjährung würde in einem solchen Fall bei Anwendung des § 171 Abs. 7 AO bis zum Ablauf der Verfolgungsverjährung gehemmt und würde damit ebenfalls erst im Dezember 2050 enden. Würde man die Regelung des § 376 Abs. 3 AO auf beide Verfolgungsverjährungen anwenden, könnten die jeweiligen Fristen unter Umständen jeweils auf das Zweieinhalbfache und damit jeweils auf 37,5 Jahre ausgedehnt werden – damit würde sich eine Verfolgungsverjährung und über § 171 Abs. 7 AO auch eine Festsetzungsverjährung für einen faktisch deckungsgleichen Steuerbetrag von 75 Jahren ergeben.269 Ein Umstand, der so nicht hinnehmbar wäre. 266  Vgl.: Asholt, Verjährung im Strafrecht, S. 85 zur Rechtssicherheit als Zweck der Verjährung im öffentlichen Recht. 267  Weil der Hinterziehungsbetrag den Betrag von 50.000 Euro übersteigt, liegt ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vor; zur Betragsgrenze von 50.000 Euro: BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, BGHSt 61, 28. 268  Zu Unwägbarkeiten bei der Bestimmung dieses Zeitpunkts: S. 148 f. 269  Dass in der Praxis wohl selten entsprechende Unterbrechungen der Verjährungen nach § 393 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 78c StGB eintreten werden, ohne dass der



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO73

§ 171 Abs. 7 AO könnte im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 S. 1 AO ebenso Auswirkungen auf Fälle haben, in denen die Abgabe der fehlerhaften Erklärung im Vorfeld strafrechtlich nicht vorwerfbar war. Wandelt man das obenstehende Beispiel dementsprechend ab, würde die Festsetzungsfrist der Einkommensteuer 2019 mit Ablauf des Jahres 2024 enden. Erkennt A im Laufe des Jahres 2024 seinen Fehler und berichtigt diesen nicht, verlängert sich die Festsetzungsfrist nachträglich auf zehn Jahre und würde grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2030 enden. Die Verfolgungsjährung würde – ginge man von einem hypothetischen Änderungsbescheid im Dezember 2024 und ebenfalls einem besonders schweren Fall aus – im Dezember 2039 enden. Für die Festsetzungsverjährung griffe die Verjährungshemmung des § 171 Abs. 7 AO und das Ende der Festsetzungsverjährung würde bis zum Dezember 2039 gehemmt. Auch in diesen Fällen könnte die Festsetzungsverjährung durch die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO um viele Jahre hinausgeschoben werden. Im Ergebnis kann der Streit nach hier vertretener Ansicht dahinstehen, da es – wie im zweiten Kapitel dieser Arbeit ausführlich herausgearbeitet – bei einer Missachtung der Pflicht aus § 153 Abs. 1 AO, nachdem eine zu niedrige Steuerfestsetzung bereits ergangen war, mangels tauglichen Taterfolgs nicht mehr zu einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 1 AO kommt, an die die Verjährungshemmung nach § 171 Abs. 7 AO anknüpfen könnte.270 Doch auch soweit nach abweichender Ansicht eine eigenständige Steuerhinterziehung bejaht wird, führt die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO in Bezug auf diese Tat in der Literatur regelmäßig zu Kritik.271 Widerlegt wurde die Ansicht der Rechtsprechung von Fromm damit, dass § 171 Abs. 7 AO ausdrücklich darauf abstellt, dass die Festsetzungsverjährung nicht endet, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat verjährt ist.272 Mit der Verwendung des bestimmten Artikels „der“ verweise der Gesetzgeber explizit auf die Steuerhinterziehung, durch die die Steuerverkürzung erstmals eingetreten ist. Außerdem sei nicht ersichtlich, warum gegenüber einem Täter, der im Vorfeld nur mit bedingtem Vorsatz handelte, die Möglichkeit einer Steuerfest­ setzung deutlich länger bestehen sollte als gegenüber einem Täter, der von Anfang an mit Absicht bzw. Wissentlichkeit handelte. Dieser Kritikpunkt gewinnt vor allem an Gewicht, nachdem bereits herausgearbeitet wurde, dass Steuerpflichtige die Unrichtigkeit schon vorher nachträglich erkennen bzw. dass die Tat aufgedeckt würde, sei insoweit dahingestellt. 270  Siehe S. 140 ff. 271  Vgl. auch: Otte, PStR 2020, 5 (6). 272  Dazu: Fromm, DStR 2014, 1747 (1750); ebenso: Külz/Tottmann, PStR 2013, 165 (166).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

auch diese Täter nach den grundsätzlichen Steuererklärungspflichten weiterhin zu einer Berichtigung verpflichtet wären.273 Im Ergebnis müsste eine Anwendbarkeit des § 171 Abs. 7 AO in Bezug auf Verstöße gegen § 153 Abs. 1 AO folglich auch nach der vorzugswürdigen, abweichenden Ansicht verneint werden. Die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO würde – wie sich aus den obigen Beispielen ergibt – sowohl aus steuerrechtlicher als auch aus strafrechtlicher Sicht zu nicht mehr sachgerechten Ergebnissen führen. bb) § 171 Abs. 9 AO § 171 Abs. 9 AO regelt für die Fälle einer Anzeige gemäß § 153 Abs. 1 AO eine Verjährungshemmung bis zum Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige beim zuständigen Finanzamt. Dabei ist zu betonen, dass maßgeblich für die Hemmung dabei nicht der Eingang der Berichtigung selbst ist, sondern – falls diese gesondert eingereicht wird – der Anzeige. Dabei ist es nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs unerheblich, ob die eingereichte Berichtigungserklärung wirksam war oder nicht.274 Zu beachten ist, dass für die Pflicht zur Berichtigung nach Abgabe einer Anzeige nach herrschender Meinung keine bestimmte Frist besteht. Wird also eine Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO abgegeben und folgt darauf über ein Jahr keine Berichtigung, könnte dies zum Ablauf der Festsetzungsfrist führen, wenn die zuständige Finanzbehörde keine weitergehenden Maßnahmen trifft. Auf eine Anzeige folgende Ermittlungen stellen keine Ermittlungen i.  S. d. § 171 Abs. 5 AO dar, sodass die Finanzbehörde durch ein entsprechendes Tätigwerden keine über § 171 Abs. 9 AO hinausgehende Verjährungshemmung bewirken kann.275 8. Kenntnis der Finanzbehörde als Ausschlussgrund Eine Berichtigung in Form einer Selbstanzeige kann nicht mehr zu Straffreiheit führen, wenn der Finanzbehörde der Sachverhalt bereits bekannt war. Insoweit ist der Fiskus auf die Mitwirkung des Steuerstraftäters nicht mehr angewiesen, sodass es keiner In-Aussicht-Stellung von Straffreiheit mehr bedarf, um die Festsetzung der bisherigen Steuerverkürzung sicherzustellen. § 153 Abs. 1 AO sieht entsprechende Hinderungsgründe wie in § 371 Abs. 2 S. 1 AO oder § 378 Abs. 3 S. 2 AO jedenfalls nicht ausdrücklich vor.276 Den273  Vgl.

S. 64 ff. v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595 (597). 275  BFH v. 8.7.2009 – VIII R 5/07, BStBl. II 2010, 583 (585); Drüen, in: Tipke/ Kruse, § 171 AO, Rn. 84. 276  Vgl. dazu auch Beneke, BB 2016, 2327 (2330). 274  BGH



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO75

noch ist strittig, ob eine Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO auch besteht, wenn die Finanzbehörde bereits Kenntnis von dem Fehler hat. Laut J. Müller ist der Grund für das nachträgliche Erkennen der fehlerhaften Festsetzung für das Vorliegen der Pflicht nach § 153 AO ohne Bedeutung.277 Das heißt, dass auch eine Berichtigungspflicht entstehe, wenn der Steuerpflichtige beispielsweise durch eine Außenprüfung des Finanzamts Kenntnis von der fehlerhaften Steuerfestsetzung erlangt hat. Dies wird zum einen auf den Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO gestützt, der keine ausdrücklichen Einschränkungen vorsieht. Zum anderen wird ein Umkehrschluss daraus gezogen, dass § 371 Abs. 2 S. 1 AO und § 378 Abs. 3 S. 2 AO derartige Einschränkungen schon enthalten, sodass sich diese Ansicht auch mit der Gesetzessystematik begründen lässt.278 Eine Gleichsetzung der Berichtigung nach § 153 AO mit einer Selbstanzeige nach § 371 AO, wie in AEAO zu § 153, Nr. 5.2 vorgesehen, wäre in einem solchen Fall insoweit nicht möglich. Jedenfalls, wenn die Finanzbehörde zwischen dem nachträglichen Erkennen durch den Steuerpflichtigen und dessen rechtzeitiger Abgabe einer Anzeige- und Berichtigungserklärung selbst eine Korrektur der unrichtigen Festsetzung vornimmt, entfällt die Berichtigungspflicht aufgrund der nachträglichen entfallenen Steuerverkürzung laut Jesse wieder.279 Der Anwendungserlass zu § 153 AO erklärt in Nr. 3 a. E. eine Berichtigungserklärung ebenfalls für entbehrlich, wenn die Fehler im Rahmen einer Betriebsprüfung bereits festgestellt wurden. § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ist damit teleologisch zu reduzieren.280 Begründen lässt sich dies mit dem Sinn und Zweck des § 153 AO: Die Vorschrift soll den Finanzbehörden helfen, sich Kenntnis von Besteuerungsgrundlagen zu verschaffen, die bislang unbekannt waren.281 Wenn die Kenntnis der Finanzbehörden bereits gegeben ist, wäre eine Anzeige bzw. Berichtigung nur noch pro forma und ist damit denklogisch entbehrlich.282 Bedarf es zur vollständigen Erforschung eines Sachverhalts der weiteren Mitwirkung des Steuerpflichtigen, ergibt sich für diesen eine Mitwirkungspflicht, z. B. im Rahmen einer Außenprüfung, unter anderem bereits aus § 200 Abs. 1 S. 1 AO. Erlangt ein Bearbeiter Kenntnis von verkürzten Steuern, so kann er den Steuerpflichtigen 277  J. Müller, DStZ 2005, 25 (29); im Ergebnis ebenso: Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 21. 278  Dazu: J. Müller, DStZ 2005, 25 (29). 279  Jesse, BB 2011, 1431 (1438). 280  Ebenso: Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 37, der darin v. a. eine Möglichkeit der Entkriminalisierung sieht; ders., DStJG Bd. 38 (2015), 219 (242); Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 16; Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 27. 281  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 13a; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 22; Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (499); Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 52. 282  Vgl. Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (457); Drüen, DStJG Bd. 38 (2015), 219 (242).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

auffordern, entsprechende Unterlagen beizubringen; dieser wäre daraufhin gemäß § 149 Abs. 1 S. 2 AO verpflichtet, dieser Aufforderung nachzukommen. Für die Durchsetzung einer Mitwirkungspflicht bedarf es also keines Rückgriffs auf § 153 AO. Die Vorschriften zur Außenprüfung, §§  193 ff. AO, sind hier insoweit lex specialis. Kottke begründet diese Sichtweise auch mit dem Wortlaut der Norm: Ein nachträgliches Erkennen i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO liege demnach nicht vor, wenn ein Steuerbeamter – beispielsweise ein Betriebsprüfer – die Unrichtigkeit erkennt und dem Steuerpflichtigen diese Feststellung lediglich mitteilt.283 Der Betriebsprüfer veranlasst jedoch grundsätzlich im Nachgang an seine Prüfung lediglich eine Änderung der Bescheide der Steuerjahre, die in der Prüfungsanordnung aufgeführt sind.284 Im Umkehrschluss könnte daraus geschlossen werden, dass für die Zeiträume, die nicht von der Prüfungsanordnung umfasst sind, weiterhin eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO bestehe – auch in den Fällen in denen der zuständige Betriebsprüfer aus seinen Feststellungen auf eine Steuerverkürzung für die übrigen Zeiträume schließen könnte.285 Allerdings ist nach § 4 Abs. 3 S. 2 BpO im Rahmen der Betriebsprüfung eine Ausweitung des Prüfungszeitraums möglich, wenn deutlich wird, dass aufgedeckte Sachverhalte auch für nicht vom Prüfungszeitraum erfasste Veranlagungszeiträume zu erheblichen Änderungen der ursprünglichen Steuerfestsetzungen führen würden. Konsequenterweise ist damit dem Anwendungserlass entsprechend eine teleologische Reduktion des Pflichtenkreises des § 153 Abs. 1 S. 1 AO vorzunehmen, wenn Betriebsprüfer aus ihren Ermittlungen Schlüsse auch für den Prüfungszeitraum vorgehende oder nachfolgende Besteuerungszeiträume ziehen oder ziehen können.

II. Rechtsfolgen Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO vor, so trifft den Steuerpflichtigen – zusammengefasst – die Pflicht, den Fehler beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt anzuzeigen und zu berichtigen.

DStR 1996, 1350 (1350). §§ 194 Abs. 1 S. 2, 196 AO. 285  So: Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2456). 283  Kottke, 284  Vgl.



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO77

1. Umfang der entstehenden Pflicht a) Differenzierung zwischen Anzeige- und Berichtigungspflicht Aus dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO ergibt sich eine Zweiteilung der aus der Norm resultierenden Pflicht: Der Verpflichtete muss den Fehler sowohl anzeigen als auch berichtigen. Wird einzig eine Berichtigungserklärung abgegeben, ist die Anzeige konkludent in der Berichtigung enthalten und wird von ihr konsumiert.286 Die Erklärung muss dabei so umfangreich sein, dass die Finanzbehörde in die Lage versetzt wird, die Steuer in korrekter Höhe festzusetzen, ohne dass diese zu einem eigenen Ermittlungsverfahren gezwungen wird.287 Nachdem für die Berichtigung nach herrschender Meinung keine Frist vorgesehen ist,288 ist auch eine „gestufte Berichtigung“ möglich; d. h. eine unvollständige Berichtigungserklärung kann später noch ergänzt werden.289 b) Frist: Unverzüglich Nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist der Steuerpflichtige bei Erfüllung der Voraus­setzungen verpflichtet, die erkannte Fehlerhaftigkeit unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Die geforderte Unverzüglichkeit gilt dem Wortlaut nach somit lediglich für die Anzeige der unrichtigen oder unvollständigen Erklärung und nicht für deren Berichtigung.290 Eine andere Ansicht vertritt fast ausschließlich das Bundesministein: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 23. NZWiSt 2015, 453 (458); A. Müller, AO-StB 2004, 439 (441); Helmrich, DStR 2009, 2132 (2134); Steiner, ErbStB 2008, 152 (153). 288  Siehe nächster Punkt. 289  Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 25. 290  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 20; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 27; Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 49; Cordes/StürzlFriedlein, wistra 2020, 498 (505); Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 55; Helmrich, DStR 2009, 2132 (2134); Heuel, wistra 2015, 289 (291); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 23, 25; Neuling, DStR 2016, 1652 (1658); Radermacher, StBW 2014, 956 (957); Schott/Krug, PStR 2019, 220 (225); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (90); Stahl, Selbstanzeige, Rn. 32; Steiner, ErbStB 2008, 152 (153); Steinhauff, AO-StB 2015, 337 (338); Vogelberg, in: Simon/Vogelberg, S. 23; Webel, PStR 2012, 218 (219); Wegner, SteuK 2016, 289 (291); Weigell, in: Kuhn/Weigell/ Görlich, Rn. 28; Wulf, Stbg 2010, 295 (296); ders., PStR 2009, 190 (191); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 89; vgl. auch: Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (20 f.), die als Argument die Vorschrift des § 171 Abs. 9 AO anführt, wonach nur durch die Anzeige die Festsetzungsverjährung für ein Jahr gehemmt wird. Dadurch steht der Finanzbehörde ausreichend Zeit für eine berichtigte Steuerfestsetzung zur Verfügung und sie ist auf eine unverzügliche Berichtigung nicht angewiesen. 286  Seer,

287  Krug/Skoupil,

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rium für Finanzen in AEAO Nr. 5.1 zu § 153, wonach die Unverzüglichkeitsfrist sowohl für die Anzeige als auch für die Berichtigungserklärung gilt.291 Dies lässt sich jedoch mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbaren und ferner besteht keine praktische Notwendigkeit für eine entsprechende Auslegung. Wulf schreibt der Regelung die Funktion zu, den Finanzbehörden einen gewissen Entscheidungsspielraum und eine situationsangepasste Reaktion zu ermöglichen.292 Die Finanzbehörde hat durch die Anzeige die Möglichkeit, auf die Abgabe der Berichtigungserklärung hinzuwirken, ggf. eine entsprechende Frist nach § 149 Abs. 1 S. 2 AO zu setzen und notfalls selbst ermittelnd tätig zu werden. Brenner spricht der Finanzbehörde sogar eine Pflicht zu, eine derartige Frist für die Berichtigung zu setzen und will dem Steuerpflichtigen bei einem Versäumen dieser gesetzten Frist einen Verstoß gegen § 153 AO vorwerfen.293 Die Kritik Samsons, der anmerkt, dass es aufgrund der fehlenden zeitlichen Begrenzung für die Berichtigung schwierig wird, in einem Strafverfahren eine Verletzung der Berichtigungspflicht darzustellen, kann damit entkräftet werden. Jedenfalls aus einer Missachtung der Nachfragen der Finanzbehörde ergibt sich ggf. eine strafrechtliche Verantwortlichkeit. Eine Anwendung der Unverzüglichkeitsfrist auf die Berichtigungserklärung hätte daher keine entscheidenden Vorteile für die Finanzverwaltung.294 Dadurch würde sich der Steuerpflichtige vielmehr in der Situation befinden, möglichst schnell eine – aufgrund Zeitdrucks ggf. unvollständige – Berichtigungserklärung abzugeben.295 Auch insoweit würde die Anwendung der Unverzüglichkeitsfrist für die Berichtigung keinen Mehrwert in Bezug auf den Sinn und Zweck des § 153 Abs. 1 AO bringen. Der herrschenden Meinung ist damit der Vorzug zu geben: Die Unverzüglichkeitsfrist gilt ausschließlich für die Anzeige. Die Pflicht des Steuerpflichtigen wird also faktisch auf eine alleinige Anzeigepflicht reduziert296 – für die Erlangung der Berichtigungserklärung wird die zeitliche Verantwortung der Finanzbehörde übertragen. Unverzüglich ist in § 121 BGB legaldefiniert und versteht sich als „ohne schuldhaftes Zögern“.297 Wie viel Zeit sich der Erklärungspflichtige mit sei291  Ferner: FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, S. 22288, Rn. 32. 292  Wulf, in: FS Samson, S. 619 (622, 625); vgl. dazu auch: Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (503). 293  Brenner, DRiZ 1981, 412 (413). 294  Wulf, wistra 2016, 337 (340). 295  Beyer, NZWiSt 2016, 234 (237). 296  Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 50; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 55 f.; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (21). 297  Bezüglich der entsprechenden Anwendbarkeit der Legaldefinition auf § 153 AO: Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2456); Gehrmann, PStR 2010, 41; Helmrich,



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ner Anzeige konkret lassen darf, hängt vom Einzelfall ab.298 Als grober Richtwert wird oftmals eine Frist von zwei Wochen genannt,299 die jedoch je nach Komplexität des Sachverhalts und der Rechtslage auch wesentlich länger sein kann. Dem Steuerpflichtigen ist dabei ein angemessener Zeitraum zuzugestehen, um Rechtsrat bezüglich komplizierter Fallgestaltungen ein­ zuholen und sich seiner Vorgehensweise klar zu werden.300 Fristbeginn ist der Zeitpunkt des nachträglichen Erkennens des Fehlers und der zumindest möglich erscheinenden Steuerverkürzung, wodurch die Pflichtenstellung des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO erst ausgelöst wird.301 Problematisch zu bestimmen ist der Zeitpunkt des nachträglichen Erkennens beispielsweise bei Unternehmen, in denen interne Untersuchungen – sogenannte Internal Investigations – durchgeführt werden. Auch hier gilt der Grundsatz, dass eine Berichtigungspflicht so lange nicht entstehen kann, wie der Steuerpflichtige – bzw. bei juristischen Personen die verantwortliche natürliche Person – die tatsächliche Möglichkeit einer Steuerverkürzung nicht positiv erkannt hat. Unklar ist aber die Verortung des Erkennens in dem Zeitraum zwischen dem Verdacht eines Fehlers, der häufig den Anstoß für die Veranlassung interner Ermittlungen gibt, und dem Abschluss der Internal Investigations. Das positive Erkennen eines Fehlers und damit die Pflicht zur Anzeige wird zeitlich regelmäßig wohl irgendwann zwischendurch eintreten und damit schon bevor sich der Steuerpflichtige endgültig in die Lage versetzt hat, eine umfassende Berichtigung vorzunehmen.302 In der Praxis sollte man sich an dem Zeitpunkt orientieren, ab dem auch die Finanzbehörde nach den objektiven Umständen

DStR 2009, 2132 (2134); Heuel, wistra 2015, 289 (291); Lohmeyer, StB 1990, 192 (192); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (93); vgl. auch: Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 28. 298  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 15; Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (503); Geuenich, NWB 2016, 2560 (2565); Jehke/Dreher, DStR 2012, 2467 (2470); Joecks, PStR 2015, 235 (237); Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (458); Wulf, SAM 2014, 132 (134). 299  Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (504); Jesse, BB 2011, 1431 (1439) m. w. N.; Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 20 geht ebenfalls grundsätzlich von einer Frist von zwei Wochen aus, die jedoch ggf. auch nur einen Tag betragen könne, wenn ein simpler Sachverhalt zugrunde liegt; abweichend: Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (67) mit drei Monaten und Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (93) mit einem Monat in Anlehnung an die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 2 AO; Hornig, PStR 2019, 291 (292 f.) mit sechs Monaten und Verweis auf die Rechtsprechung zur Unverzüglichkeit i. R. v. § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 1 ErbStG. 300  Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (458). 301  Jehke/Dreher, DStR 2012, 2467 (2467); Jesse, BB 2011, 1431 (1439); Pelz, DStR 2014, 449 (454), wonach bloße Verdachtsmomente der Finanzbehörde noch nicht mitzuteilen seien. 302  Vgl. dazu in Bezug auf eine Erbenkonstellation: Joecks, PStR 2015, 235 (237).

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von einer positiven Kenntnis des Steuerpflichtigen ausgehen wird303 – eine exakte Bestimmung dieses Zeitpunkts wird jedoch in den seltensten Fällen möglich sein. Im Idealfall wird das Erkennen daher nicht vor Abschluss etwaiger Internal Investigations beim Betroffenen angenommen.304 Auch hier ist jedoch wieder umstritten, ob der Steuerpflichtige Kenntnis von der exakten betragsmäßigen Auswirkung erlangt haben muss oder ob nicht die Berichtigungspflicht bereits bei der positiven Kenntnis eines Fehlers eintritt.305 Denkbar ist daher auch, dass für den Beginn der Unverzüglichkeitsfrist auf das Erkennen eines Fehlers und damit ggf. die Inauftraggabe der Internal Investigations abgestellt wird. Dann würde sich aber, sollte man AEAO Nr. 5.1 zu § 153 AO folgen und unverzüglich die Berichtigungserklärung fordern, eine logistische Unmöglichkeit einstellen. Auch deshalb ist diese Ansicht abzulehnen. Bei einem Verstreichen-Lassen der Frist setzt sich der Steuerpflichtige dem Vorwurf der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aus,306 sodass hier einer klaren Rechtslage eine besonders hohe Relevanz zukäme. Der Übergang zwischen Verdacht und positiver Kenntnis ist teilweise fließend und in der Praxis oftmals schwierig zu bestimmen. Die Unverzüglichkeitsfrist ist damit zwar je nach Einzelfall zu bestimmen, sollte von Seiten der Finanzbehörden aber insoweit eher großzügig ausgelegt werden, als dass für den Fristbeginn erst auf die positive Kenntnis des gesamten Sachverhalts – nach Vornahme der für notwendig erachteten Ermittlungen – abzustellen ist.307 c) Adressierung aa) Örtlich zuständiges Finanzamt Die Erklärungen sind grundsätzlich gegenüber dem örtlich zuständigen Finanzamt abzugeben. Nach herrschender Meinung führt ein Fehler bei der Adressierung der Erklärung aufgrund der Verpflichtung der Finanzbehörden zur gegenseitigen Information nicht zu ihrer Unwirksamkeit, sondern lediglich dazu, dass die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 9 AO erst mit Eingang der Erklärung beim zuständigen Finanzamt beginnt.308 Eine Verzögerung NZWiSt 2015, 453 (457). NZWiSt 2015, 453 (457); Pelz, DStR 2014, 449 (454). 305  Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (94). 306  K.-H. Günther, AO-StB 2016, 192. 307  Vgl. Heuel, wistra 2015, 289 (291), v. a. soweit die Anzeige- respektive Berichtigungserklärung zugleich den Anforderungen an eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO genügen muss. 308  BFH v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595 (596); Seer, in: Tipke/ Kruse, § 153 AO, Rn. 23. 303  Krug/Skoupil, 304  Krug/Skoupil,



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geht damit zu Lasten des Steuerpflichtigen. Die Unverzüglichkeitsfrist ist jedoch auch dann gewahrt, wenn die Erklärung zunächst an ein falsches Finanzamt übersandt und erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung an das zuständige Finanzamt weitergeleitet wird.309 bb) Ressortfremder Grundlagenbescheid Dass auch fehlerhafte Erklärungen, die in ressortfremde Grundlagenbescheide münden, eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO auslösen können, wurde bereits herausgearbeitet.310 Wurde ein von einer anderen Behörde erlassener Grundlagenbescheid bei der Finanzbehörde eingereicht re­ spektive an diese weitergeleitet und erkennt der Steuerpflichtige nachträglich dessen Unrichtigkeit, stellt sich weiterhin die Frage, an welche Behörde eine Berichtigungserklärung zu adressieren ist. Die für die Entstehung der Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO maßgebliche Erklärungsabgabe kann je nach Konstellation sowohl in der Einreichung des fehlerhaften Grundlagenbescheids bei der Finanzbehörde als auch in Fällen des automatischen Informationsaustausches in der Erklärung gegenüber einer ressortfremden Behörde gesehen werden. Allerdings entfaltet der Grundlagenbescheid eine Bindungswirkung, sodass eine bloße Berichtigung gegenüber der Finanzbehörde diese in keinem der Fälle in die Lage versetzt, durch einen geänderten Folgebescheid die verkürzten Steuern festzusetzen. Die Finanzbehörde ist vielmehr auf eine Korrektur des Grundlagenbescheides durch die andere Behörde angewiesen. Sie dürfte trotz Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundlagenbescheids nicht von den ursprünglichen, wirksamen Feststellungen der ressortfremden Behörde abweichen.311 Nach überwiegender Ansicht könne § 153 Abs. 1 S. 1 AO dennoch nur zu einer Berichtigung gegenüber einer Finanzbehörde – nicht aber gegenüber einer anderen Behörde – verpflichten.312 In der Abgabenordnung seien lediglich steuerrechtliche Rechte und Pflichten gegenüber den Finanzbehörden, nicht aber gegenüber anderen Verwaltungsbehörden, geregelt. Für die Änderung der ressortfremden Grundlagenbescheide seien auch nicht die Vorschriften der Abgabenordnung, sondern die Regelungen der Verwaltungsverfah-

309  BFH

v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595 (597). S. 34 ff. 311  § 351 Abs. 2 AO, vgl. dazu auch die Berichtigungsvorschrift des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sowie BFH v. 17.12.1996 – IX R 91/94, BStBl. II 1997, S. 398; von Wedelstädt, AO-StB 2014, 150 (153). 312  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 257; Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 189. 310  Hierzu

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rensgesetze und der Verwaltungsgerichtsordnung einschlägig.313 Ferner spreche die ursprüngliche Formulierung des § 165e RAO, wonach eine Berichtigung nur gegenüber der zuständigen Finanzbehörde vorzunehmen war, für diese Auslegung.314 Dies ist grundsätzlich auch interessengerecht: Aus Sicht von Rechtsprechung und Literatur hat die Finanzbehörde das Recht und die Pflicht, selbst bei der Ausgangsbehörde auf eine Änderung des Grundlagenbescheides hinzuwirken.315 Dieser Informationsweitergabe an eine ressortfremde Behörde steht auch das Steuergeheimnis nicht entgegen. Räumt der Steuerpflichtige im Rahmen einer Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO ein, gegenüber einer anderen Behörde unrichtige Angaben gemacht zu haben, so handelt es sich dabei zwar um schutzwürdige Informationen i. S. d. § 30 Abs. 1 AO. Allerdings lässt § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO als Ausnahme einen Informationsaustausch zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen zu, um eine richtige Besteuerung sicherzustellen.316 Demnach ist grundsätzlich ein zweckgebundener Austausch innerhalb der mit den Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren befassten Stellen sowie ein behördeninterner Informationsaustausch zulässig.317 Ausnahmsweise ist auch die Offenbarung von Informationen an eine andere Behörde zulässig, wenn die Finanzbehörde im Rahmen eines Grundlagenbescheids an deren Entscheidungen gebunden ist.318 Auch Wulf sieht in diesen Fällen einzig die Finanzbehörde als richtigen Adressaten an.319 Müsste der Steuerpflichtige gegenüber einer anderen Behörde eine Berichtigungserklärung abgeben, könnte ein Verstoß nicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft werden. Davon sei nur ein pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen „einer Finanzbehörde“ und – anders als in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO – nicht auch ein Verhalten gegenüber einer „anderen Behörde“ erfasst. Es würde sich damit eine Strafbarkeitslücke ergeben. Mit dieser Begründung würde man die steuerrechtliche Norm allerdings an strafrechtlichen Grundsätzen messen, sodass darin kein tragfähiges Argument gesehen werden kann. 313  Klose, AO-StB 2011, 308 (309); vgl. dabei auch die Ausführungen zu weiteren Unterschieden zwischen ressortfremden Grundlagenbescheiden und solchen, die den Regelungen der AO unterliegen. 314  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 257. 315  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 257, Fn. 1150 mit Verweis auf BFH v. 17.12.1996 – IX R 91/94, BStBl. II 1997, 398 und BFH v. 4.5.2004 – XI R 38/01, BStBl. II 2005, 171, worin jeweils eine derartige Pflicht der Finanzbehörde angenommen wird, wenn das Finanzamt den Grundlagenbescheid für unzutreffend erachtet. Die Änderung des Grundlagenbescheids habe über § 48 VwVfG zu erfolgen. 316  Alber, in: HHSp, § 30 AO, Rn. 149. 317  Alber, in: HHSp, § 30 AO, Rn. 151, 154. 318  BVerwG v. 29.4.1968 – VIII C 61.64, BStBl. II 1969, 304; zustimmend: Albers, in: HHSp, § 30 AO, Rn. 155; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 30 AO, Rn. 67. 319  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 189.



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Der herrschenden Meinung ist grundsätzlich dennoch zuzustimmen: In den Fällen ressortfremder Grundlagenbescheide ist eine Berichtigungserklärung an die Finanzbehörde zu richten. Allerdings muss richtigerweise auch eine Berichtigung gegenüber einer anderen Behörde zur Erfüllung der Pflicht aus § 153 Abs. 1 AO führen, soweit dadurch vom Steuerpflichtigen bewusst eine Kausalreihe in Gang gesetzt wird, die die Festsetzung der verkürzten Steuern ermöglicht. § 153 Abs. 1 S. 1 AO verpflichtet zu einer „erforderlichen Richtigstellung“, sodass jedenfalls der Wortlaut der Norm nicht ausschließt, dass auch eine an die für den Erlass des Grundlagenbescheids zuständige Behörde gerichtete Berichtigungserklärung der Pflicht Genüge tut. Entscheidend wäre, dass die zuständige Finanzbehörde im Nachgang Kenntnis von der Berichtigung erlangt.320 Erfolgt ein automatischer Informationsaustausch zwischen der Finanzbehörde und einer anderen Behörde, reicht es damit aus, wenn der Steuerpflichtige lediglich gegenüber einer der Behörden eine Richtigstellung vornimmt. Insoweit läge eine mittelbare an die Finanzbehörde gerichtete Berichtigung vor. Dazu ist anzuführen, dass andere Behörden, soweit ihnen in Einzelsteuergesetzen eine Befugnis zum Erlass von Grundlagenbescheiden zugeschrieben wird, bereits in gewisser Weise in das Besteuerungsverfahren eingebunden wurden, sodass auch einer Berichtigung ihnen gegenüber eine steuerliche Relevanz zukommen kann, die der Zwecksetzung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO – der Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung – ausreichend Rechnung trägt. Zusammengefasst verpflichtet § 153 Abs. 1 S. 1 AO damit im Grundsatz zu einer Berichtigung gegenüber der Finanzbehörde – als Ausnahme genügt jedoch auch eine Berichtigung gegenüber einer ressortfremden Behörde, solange diese im Wege eines automatischen Informationsaustausches mittelbar zur Kenntnis der Finanzbehörde gelangt. d) Form der Anzeige- und Berichtigungserklärung Das Gesetz sieht weder für die Anzeige noch für die Berichtigungserklärung nach § 153 AO eine besondere Form vor. Die Erklärung kann damit sowohl mündlich, schriftlich als auch fernmündlich erfolgen. Inhaltlich reicht es aus, wenn sich aus der Erklärung die Fehlerhaftigkeit der bisherigen Erklärung und deren Richtigstellung ergibt; eine Bezugnahme auf § 153 Abs. 1 AO ist insoweit nicht erforderlich.321 Auch eine Pflicht zur Abgabe einer neuen Steuererklärung kann sich aus § 153 AO nicht ergeben.322 Die Pflicht 320  Vgl. von Wedelstädt, AO-StB 2014, 150 (154), wonach Finanzbehörden erst durch den Steuerpflichtigen Kenntnis von geänderten Grundlagenbescheiden erlangen. 321  Jesse, BB 2011, 1431 (1439); Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (459); vgl. auch: Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (500). 322  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1985).

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ist im Ganzen erfüllt, wenn eine vollständige Berichtigung vorgenommen wurde.323 e) Umfang der Pflicht bei unaufklärbarem Sachverhalt Auf den Umfang der Pflicht aus § 153 Abs. 1 S. 1 AO, wenn eine wahrheitsgetreue berichtigende Erklärung mangels ausreichender Sachverhaltskenntnis nachträglich nicht mehr möglich ist, soll im Rahmen der Arbeit nicht vertieft eingegangen werden. Dennoch soll das Problem kursorisch angesprochen und dabei – vorab – ein Unterschied zur Selbstanzeige aufgezeigt werden. Bei dieser sollen Schätzungen nicht möglich sein. Dies wird darauf gestützt, dass die Möglichkeit einer Selbstanzeige lediglich eine „Rechtswohltat“, d. h. ein Entgegenkommen des Gesetzgebers nachdem bereits vorsätzlich Steuern hinterzogen wurden, und keine Verpflichtung für den Steuerpflichtigen darstelle.324 Damit findet die grundsätzliche Prämisse, dass der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen nichts „Unmögliches“ auferlegen darf, für § 371 AO – anders als für § 153 AO – keine Anwendung. Im Rahmen des § 153 AO muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit verbleiben, seiner Pflicht angemessen nachzukommen – eine Schätzung muss folglich zulässiges Instrument im Rahmen der Nacherklärung sein, soweit trotz aller möglichen Anstrengung keine anderweitige Feststellung der korrekten Besteuerungsgrundlagen mehr möglich ist.325 Eine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO hat nach „bestem Wissen und Gewissen“ zu erfolgen.326 2. Steuerliche Folgen bei Pflichterfüllung für den Erklärungspflichtigen § 153 Abs. 1 AO verpflichtet zwar den Steuerpflichtigen oder Dritte zur Berichtigung unrichtiger Angaben – die Vorschrift enthält jedoch selbst keine Berechtigung für die Finanzbehörden zur Änderung unrichtiger Steuerfestsetzungen. Unrichtige Festsetzungen werden in Fällen des § 153 Abs. 1 AO daher grundsätzlich nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a AO geändert. Diese Änderungsvorschrift ermöglicht der Finanzbehörde eine nachträgliche, höhere Steuerfestsetzung, soweit der Steuerpflichtige dieser zustimmt. Dabei wird die Berichtigungserklärung des Steuerpflichtigen als konkludente ZuBB 2011, 1431 (1439). DStR 2009, 2132 (2135). 325  Helmrich, DStR 2009, 2132 (2135); A. Müller, AO-StB 2004, 439 (441), wonach eine Abweichung von 6 % von den tatsächlichen bzw. von der Finanzbehörde ermittelten Zahlen weitestgehend als unschädlich gilt. 326  Helmrich, DStR 2009, 2132 (2135). 323  Jesse,

324  Helmrich,



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stimmung zur Änderung der Steuerbescheide i. S. d. § 172 Abs. 1 AO gesehen.327 Wenn die Zustimmung ausdrücklich versagt wird, kann die Änderungs­ vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO greifen. Diese Vorschrift erlaubt der Finanz­behörde eine Änderung von Steuerbescheiden, wenn ihr nachträglich neue Tatsachen bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Neue Tatsachen sind allerdings nicht gegeben, wenn die Finanzbehörde im Vorfeld bereits Kenntnis von der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit und der damit einhergehenden möglichen Steuerverkürzung hatte, sodass in diesen Fällen – unabhängig davon, ob eine Berichtigungspflicht entsteht328 – keine Änderung einer zu niedrigen Steuerfestsetzung möglich ist.329 Sind die Voraussetzungen des § 233a AO gegeben, können zusätzlich zur Steuernachzahlung Zinsen nach § 233a Abs. 1 S. 1 AO entstehen und bei einer bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung im Vorfeld Hinterziehungs­ zinsen nach § 235 AO. Auf die Hinterziehungszinsen werden nach § 235 Abs. 4 AO die Zinsen nach § 233a AO angerechnet – diese werden nicht aufaddiert. Ansonsten fallen grundsätzlich keinerlei Strafzahlungen an. 3. Drittwirkung: Strafbefreiende Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO Im Folgenden wird die Frage behandelt, ob eine Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO durch den Steuerpflichtigen auch Auswirkungen auf Dritte haben kann. Geregelt ist diese Konstellation in § 371 Abs. 4 AO, der die Rechtsfolgen einer Erklärungsabgabe nach § 153 Abs. 1 AO durch eine Person bei Personenmehrheiten behandelt. Gemäß § 371 Abs. 4 AO wird – wenn die in § 153 Abs. 1 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß erstattet wird – ein Dritter, der es versäumt hat, die in § 153 Abs. 1 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben, strafrechtlich nicht verfolgt, soweit ihm nicht bereits zuvor die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde. Aus dem Fragment „strafrechtlich nicht verfolgt“ lässt sich ableiten, dass es sich bei der Norm um keinen Strafaufhebungsgrund, sondern um ein Prozess- bzw. Strafverfolgungshindernis handelt.330 Damit diese Prozesshindernis greift, ist gemäß dem Wortlaut eine bloße An327  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 26; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 16; J. Müller, DStZ 2005, 25 (30). 328  Vgl. S. 74 ff. 329  Breitenbach, DStR 2016, 2033 (2035). 330  Joecks, in: JJR, § 371 AO, Rn. 401; Binnewies/Görlich, AG 2021, 439 (439); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (24); Jesse, BB 2011, 1431 (1440); vgl. auch: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 15.

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zeige ausreichend; einer Berichtigung bedarf es hierfür noch nicht.331 An dieser Regelung wird allerdings kritisiert, dass dadurch die Voraussetzungen der Selbstanzeige umgangen werden können: Während bei dieser unrichtige Angaben umfassend offengelegt und berichtigt werden müssen, könnte der Dritte bei einer Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO abwarten, was die Finanzbehörde von Amts wegen ermittelt und wäre durch die bloße Anzeige schon einer Strafverfolgung entgangen.332 Diese Vorschrift gilt gemäß § 378 Abs. 3 S. 3 AO für Fälle der leichtfertigen Steuerverkürzung entsprechend. a) Zweck der Norm Grundgedanke dieser Norm ist es, zu vermeiden, dass jemand von seiner Pflichterfüllung abgehalten wird, weil er befürchtet, dass durch seine Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO eine ihm nahestehende Personen der Strafverfolgung ausgesetzt würde.333 Eine solche, sich aus dem Interessenkonflikt ergebende Bürde, würde eine Pflichterfüllung moralisch nahezu unzumutbar machen,334 wie sich auch aus zahlreichen Zeugnisverweigerungsrechten ableiten lässt.335 Die Regelung verfolgt damit den Zweck die „psychische Bedrängnis des Anzeigeverpflichteten“ entfallen zu lassen und dadurch Steuereinnahmen zu erzielen.336 Im Fokus der Regelung steht also eigentlich das fiskalische Interesse, d. h. die Generierung zusätzlicher Steuereinnahmen.337 Dies zeigt sich deutlich an der Nachzahlungspflicht des § 371 Abs. 4 S. 2 i. V. m. Abs. 3 AO.338

331  Binnewies/Görlich, AG 2021, 439 (439); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (26); vgl. dazu ebenfalls die jeweils ausführliche Herleitung von: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 85–91; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 60–66; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S 92–95. 332  Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 138, ohne aber in Frage zu stellen, ob die Anzeige ausreicht, um die Rechtsfolge des § 371 Abs. 4 AO auszulösen; vgl. zu den Manipulationsmöglichkeiten ebenfalls: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 97 f. 333  BT-Drs. VI/1982, S. 195; Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 17 f.; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 13–18; Jesse, BB 2011, 1431 (1440); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 49–53. 334  Joecks, in: JJR, § 371 AO, Rn. 401; Samson, wistra 1990, 245 (250); vgl. auch zur Vorgängerregelung: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 16. 335  Vgl. dazu §§ 52 ff. StPO und §§ 101 ff. AO. 336  Samson, wistra 1990, 245 (250). 337  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 62; Samson, wistra 1990, 245 (250 f.); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 52. 338  Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 18, 91.



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO87

b) Personale Reichweite Die Reichweite dieser Vorschrift ist nicht abschließend geklärt. Es ist umstritten, ob die Straffreiheit nur denjenigen Dritten trifft, der selbst seiner Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO nicht nachgekommen ist oder ob auch derjenige Dritte geschützt wird, der zuvor vorsätzlich eine unrichtige Ursprungserklärung abgegeben und sich damit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbar gemacht hat.339 Teilweise wird vertreten, dass nur die Steuerhinterziehung nicht verfolgt werden soll, die der andere dadurch begangen hat, dass er seinerseits die ihn aus § 153 Abs. 1 AO treffende Pflicht verletzt hat340 und teilweise, dass auch eine etwaige durch die unrichtige Ursprungserklärung verwirklichte Steuerhinterziehung vom Strafverfolgungshindernis erfasst sein soll. Die herrschende Meinung bejaht eine weite Auslegung des § 370 Abs. 4 AO und schließt sich damit der letztgenannten Ansicht an.341 Als Argument hierfür wird angeführt, dass § 371 Abs. 4 AO ausdrücklich von den in § 153 AO bezeichneten Erklärungen spricht – worunter gerade auch die Ursprungserklärung falle.342 Auch der Zweck der Regelung – von bisher unbekannten Besteuerungsgrundlagen Kenntnis zu erlangen, weil der Verpflichtete nicht fürchten muss, einen Dritten einer Strafverfolgung auszusetzen – spreche dafür, beide Fälle zu erfassen.343 Die gegenteilige Ansicht – dass nur derjenige, der den Fehler selbst erst nachträglich erkannt hat, geschützt werden soll – wird allerdings ebenfalls aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 4 AO abgeleitet. Dass darin von mehreren Erklärungen die Rede ist, wird damit begründet, dass die Pflicht des § 153 Abs. 1 AO zweigeteilt sei und sowohl eine Anzeige als auch eine Berichtigungserklärung umfasse.344 Beide Auslegungsvarianten leuchten grundsätzlich ein, sodass sich aus dem Wortlaut allein nicht auf eine bestimmte Auslegung schließen lässt – mit „Erklärungen“ könnten sowohl Anzeige und Berichtigung als auch die Ursprungserklärung und die Erklärungen nach § 153 Abs. 1 AO gemeint sein.345 339  Vgl. zur Skizzierung des Streits ebenfalls: Binnewies/Görlich, AG 2021, 439 (440 f.); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (27 ff.). 340  OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (560); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 128. 341  Joecks, in: JJR, § 371 AO, Rn. 409; Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 84; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 77–90; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (28, 31); Samson, wistra 1990, 245 (246, 249 f.). 342  Samson, wistra 1990, 245 (250); ebenso: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 80, die insoweit auch deutlich macht, dass von den „in § 153 bezeichneten“ und nicht von den „von § 153 verlangten“ Erklärungen die Rede ist. 343  Samson, wistra 1990, 245 (251); zustimmend: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 84. 344  Samson, wistra 1990, 245 (249). 345  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (29).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Die restriktive Auslegung wird ferner damit begründet, dass diejenigen, die bereits durch die ursprüngliche Erklärung eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen haben, von § 371 Abs. 4 AO gerade nicht erfasst sein sollen, da es unbillig erscheine, dass sich eine Person ohne eigenes Zutun einer Strafbarkeit entziehen könne.346 Dabei ist auch auf den nächsten Punkt vorzugreifen: § 371 Abs. 4 AO stellt geringere Voraussetzungen auf als § 371 Abs. 1 AO. Dies wird häufig als Argument für eine restriktive Auslegung angeführt: Wenn sich beim Steuerpflichtigen selbst durch eine Selbstanzeige keine Straffreiheit mehr erzielen lässt, warum sollte der Gesetzgeber dann die Erlangung von Straffreiheit für einen Dritten noch für nötig erachtet haben?347 Dieses Argument überzeugt in diesem Zusammenhang allerdings nicht. Der Dritte, der nach der restriktiven Auslegung von § 371 Abs. 4 AO erfasst ist, weil er § 153 Abs. 1 AO missachtet hat, macht sich nach herrschender Meinung ebenfalls wegen einer Steuerhinterziehung strafbar und wäre damit, um straffrei zu werden, eigentlich ebenfalls an die Voraussetzungen nach § 371 Abs. 1 AO gebunden.348 Soweit für diesen Täter die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO greifen und von § 371 Abs. 4 AO umgangen würden, besteht dieselbe Problematik. Manipulationsmöglichkeiten ergeben sich folglich sowohl nach der extensiven als auch nach der restriktiven Auslegung des Begriffs des Dritten. Auch daraus ergibt sich somit kein zwingendes Argument für die restriktive Auslegung des „Dritten“. Das Argument, dass in beiden Varianten dieselbe Interessenlage vorliegt, lässt sich vielmehr für eine extensive Auslegung anführen: Es hat jeweils eine dritte Person eine Steuerhinterziehung begangen, die ggf. belastet werden müsste, wenn die Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO erfüllt wird. Für den Verpflichteten ist auch eventuell gar nicht nachvollziehbar, wie der Fehler zustande kam und ob der Dritte schuldlos oder vorsätzlich gehandelt hat. Der Zweck der Vorschrift – trotz der Gefahr einen Dritten mit der eigenen Berichtigungserklärung zu belasten, diese zumutbar zu machen – wird also nur erfüllt, wenn beide Personengruppen erfasst sind.349 Im Ergebnis sind damit von § 371 346  Jäger, in: Klein, § 371 AO, Rn. 242 m.  w. N.; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 128. 347  OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (560); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (30 f.); Jesse, BB 2011, 1431 (1440); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 128. 348  Abweichend: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 128, die meint, dass der Steuerpflichtige, der § 153 Abs. 1 AO missachtet hat, sich immer darauf berufen könnte, die Unrichtigkeit der Erklärung erst kürzlich erkannt zu haben und sich erst noch über den Sachverhalt informieren zu müssen, womit er an die Voraussetzung des § 371 Abs. 1 AO noch nicht gebunden wäre. Die Möglichkeit einer pauschalen Schutzbehauptung kann aber in dieser Problematik kein tragfähiges Argument darstellen, sodass der Ansicht nicht gefolgt wird. 349  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 88 f.



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO89

Abs. 4 AO sowohl diejenigen geschützt, die ursprünglich eine unrichtige Erklärung abgegeben haben als auch diejenigen, die es versäumt haben, eine Berichtigungserklärung nach § 153 AO abzugeben. c) Gefahr der Umgehung des § 371 Abs. 1 AO Die weite Auslegung bietet dem ursprünglichen Steuerhinterzieher praktische Möglichkeiten sich der Strafverfolgung zu entziehen.350 An die Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO werden – wie bereits angesprochen – geringere Anforderungen gestellt als an die Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO. So ist beispielsweise der zehnjährige Berichtigungszeitraum des § 371 Abs. 1 AO nicht zu beachten und § 371 Abs. 4 AO erfordert nur die rechtzeitige Abgabe der Anzeige – die Berichtigungserklärung ist nicht explizit erwähnt, sodass hier nach dem Wortlaut der Vorschrift eine Teilselbstanzeige noch möglich sein soll.351 Ausschlussgrund bei § 371 Abs. 4 AO ist ausschließlich die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens. Nur wenn ein solches bereits eingeleitet ist, kann über § 371 Abs. 4 AO eine Sanktion nicht mehr vermieden werden. Mit § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a, c, d und e AO vergleichbare Ausschlussgründe sind nicht vorgesehen – eine Freistellung von Strafe ist folglich beispielsweise immer noch möglich, wenn bereits eine Prüfungsanordnung zur Außenprüfung ergangen ist. Diese Regelung ermöglicht einen großen Handlungsspielraum und damit ggf. auch die Umgehung der Ausschlussgründe nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a, c, d und e AO.352 Samson führt als Beispiel für ein solches Umgehungskonstrukt einen Fall an, in dem zwei Geschäftsführer nach begonnener Betriebsprüfung die Aufdeckung ihrer eigenen Steuerhinterziehungen befürchten und darum einen dritten Geschäftsführer einstellen und davon in Kenntnis setzen. Dieser ist damit nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet, die nach § 371 Abs. 4 AO auch für die übrigen beiden Geschäftsführer Wirkung entfaltet und diese können so den Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a AO umgehen.353 Zulauf vermeidet diese Umgehung des § 371 Abs. 1 AO, indem die Fremdanzeige dem Dritten als Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO zugerechnet werden soll. Die Fremdanzeige eines beauftragten Dritten stelle nach dieser Ansicht ein Handeln in verdeckter Stellver350  So: OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (560); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (30); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 139. 351  Dazu, dass eine Anzeige ausreicht, siehe S. 85 f.; Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 61–66; Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 474, 479 f. 352  Samson, wistra 1990, 245 (249, 251). 353  Samson, wistra 1990, 245 (249); Weigell/Görlich, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 34; ebenso kritisch: Jesse, BB 2011, 1431 (1440).

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tretung dar und § 166 Abs. 2 BGB finde Anwendung. Greifen Ausschlussgründe des § 371 Abs. 1 AO könne der Dritte somit dennoch strafrechtlich verfolgt werden.354 Dies lässt sich mit dem Zweck der Norm allerdings nicht vereinbaren – der nach § 153 Abs. 1 AO Verpflichtete liefe wieder Gefahr, eine dritte Person einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen, was eine Pflichterfüllung unzumutbar macht und wodurch die Generierung bisher unbekannter Steuereinnahmen vereitelt würde. Es wäre praktisch schwer abzugrenzen, wann ein Missbrauch vorliegt und wann eine zulässige Inanspruchnahme der Regelung. Dass es so einigen Steuerstraftätern ermöglicht wird, sich einer Strafverfolgung zu entziehen, ist ebenfalls kein zwingender Grund für eine enge Auslegung – der Gesetzgeber hätte in § 371 Abs. 4 AO ebenso gut auf die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO verweisen können, sodass es dem Steuerstraftäter nicht vorgeworfen werden darf, wenn diese Gesetzeslücke ausgenutzt wird.355 Es ist nicht ersichtlich, dass § 371 Abs. 4 AO lediglich „subsidiäres Anhängsel“ der Selbstanzeige ist und keine eigene Regelungswirkung haben soll.356 Hier bestünde vielmehr Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, wenn ein Gleichlauf zwischen § 371 Abs. 1 AO und § 371 Abs. 4 AO erzeugt werden soll. d) Nachzahlungspflicht Problematisch ist auch, dass nach § 371 Abs. 4 S. 2 AO der Absatz 3 des § 371 AO ebenfalls anzuwenden ist. Das heißt, der Dritte müsste, um Straffreiheit zu erlangen, den ihm zum Vorteil gereichten Hinterziehungsbetrag nachzahlen. Diese Regelung ist zwar nur billig und gerecht – lässt aber den Zweck der Norm weitgehend unerfüllt.357 Ist der Dritte finanziell gerade nicht in der Lage, die Steuern nachzuzahlen, greift auch kein Strafverfol-

Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 148–150. Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 119; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (31); Samson, wistra 1990, 245 (251); zustimmend: Joecks, in: JJR, § 371 AO, Rn. 412; im Ergebnis ebenso: Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 130 f. 356  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 101; a. A.: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 149, wonach sich eine Nachrangigkeit aus der örtlichen Nachordnung in Abs. 4 und der inhaltlichen Verbindung über den Verweis des § 393 Abs. 4 S. 2 AO auf Abs. 3 ergebe. Dem kann aufgrund der eigenständigen Formulierung des Abs. 4 allerdings nicht zugestimmt werden. 357  Samson, wistra 1990, 245 (250) – dies gilt, soweit auf die Wahrung der Selbstbelastungsfreiheit als Zweck abgestellt wird; a. A.: Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 229, der von einem strafrechtlichen Zweck des § 371 AO ausgeht und die Nachzahlungspflicht als Ausfluss des Wiedergutmachungsgedanken ansieht. 354  Zulauf,

355  Daude,



C. § 153 Abs. 1 S. 1 AO91

gungshindernis. Samson betont mit Blick auf diese Rechtslage sogar den Zynismus dieser Regelung, indem er schreibt: „Das Gegenmotiv, kein Denunziant werden zu wollen, wird nur dort durch Gewährung eines Verfolgungshindernisses bekämpft, wo genügend Mittel zur Nachzahlung der Steuer vorhanden sind, es sich also fiskalisch lohnt, auf den Strafanspruch praktisch zu verzichten.“358

Wenn man bedenkt, dass im Strafrecht die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 52, 53 StPO auch ohne staatlichen Nutzen greifen, stellt § 371 Abs. 4 AO damit eine durchaus kritikwürdige Regelung dar. Die Zeugnisverweigerungsrechte der Strafprozessordnung bezwecken es, im Falle des § 52 StPO den Zeugen vor einer Zwangslage zu bewahren und den Familienfrieden zu schützen359 und im Falle des § 53 StPO das Vertrauensverhältnis und die Funktionsfähigkeit diverser Berufe zu wahren.360 Auch für den Fall, dass sich der Zeuge selbst belasten würde, gibt es in § 55 StPO ein Auskunfts­ verweigerungsrecht. Allerdings sind strafprozessuale Grundsätze nicht direkt auf steuerliche Regelungen anwendbar361 – mittelbar ergibt sich jedoch eine Unzumutbarkeit der Pflichterfüllung, wenn man einen Dritten durch die Pflichterfüllung einer Strafverfolgung zuführen müsste. Mit Blick auf die fiskalische Zwecksetzung der Regelung wäre vorrangig ein Verwertungsverbot für die so gegebenen Informationen anzudenken. Inwieweit ein solches ausreichend Schutz gewährt, wird auf S. 306 ff. ausführlich diskutiert. e) Nichtabgabe von Erklärungen Weitestgehend unstrittig ist, dass bei Nichtabgabe von Erklärungen, die ursprünglichen Pflichten des §§ 149, 150 AO weiterbestehen und keine eigene Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO entsteht, wenn Betroffene nachträglich die versäumte Abgabe bemerken. In derartigen Fällen kann eine Anzeige grundsätzlich keine begünstigende Wirkung zugunsten eines Dritten entfalten, sodass der Dritte nach einer Nichtabgabe einer Steuererklärung schlechter stehen würde als nach Abgabe einer unvollständigen oder unrichtigen Steuererklärung.362 Nach herrschender Meinung wird § 371 Abs. 4 AO in diesen Fällen analog angewandt – es darf keinen Unterschied machen, ob die dritte Person, die der Betroffene belasten würde, indem er seiner Berichtigungspflicht nachkommt, eine Steuerhinterziehung durch Tun oder durch

wistra 1990, 245 (250). in: MüKo-StPO, § 52, Rn. 1. 360  Percic, in: MüKo-StPO, § 53, Rn. 1. 361  Siehe S. 54 ff. 362  Samson, wistra 1990, 245 (246). 358  Samson, 359  Percic,

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Unterlassen verwirklicht hat.363 Selbiges ist laut Daude mit Blick auf den Sinn und Zweck der Norm anzunehmen, wenn der Dritte seine Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO zunächst verletzt und anschließend eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO abgibt. Diese Selbstanzeige soll demnach auch strafbefreiende Wirkung für andere Personen entfalten können.364 Zulauf verneint die analoge Anwendung und verweist auf den ausreichenden Schutz der Dritten durch die Möglichkeit einer Selbstanzeige.365 Mangels tiefergehender Relevanz für das hier behandelte Thema, soll auf diese Problematik nicht vertieft eingegangen werden. f) Fazit Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine Pflichterfüllung nach § 153 Abs. 1 AO trotz der Gefahr, eine weitere Person belasten zu müssen, jedenfalls solange zumutbar ist, wie die andere Person über den Anwendungsbereich des § 371 Abs. 4 AO einer Strafverfolgung entgehen kann. Dabei ist es unerheblich, ob die dritte Person die ursprüngliche Erklärung vorsätzlich falsch oder gar nicht abgegeben hat und damit schon nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbar war oder ob sie lediglich selbst die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO missachtet hat. Dass diese Norm in der Praxis dazu genutzt werden kann, die Ausschlussgründe der strafbefreienden Selbstanzeige zu umgehen, ändert nichts an diesem Ergebnis, sondern fordert vielmehr den Gesetzgeber auf zu handeln.

D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO Die sich aus § 153 Abs. 1 S. 1 AO ergebende Verpflichtung trifft gemäß § 153 Abs. 1 S. 2 AO ebenso den Gesamtrechtsnachfolger366 eines Steuerpflichtigen und die nach §§ 34 und 35 AO für den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnden Personen. Durch die Formulierung „auch“ wird die systematische Verknüpfung zur Pflicht aus Satz 1 deutlich – wobei aus inhaltlicher Sicht durchaus Unterschiede bestehen.367 Die nachfol363  Daude,

(251).

Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 71–74; Samson, wistra 1990, 245

Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 74–76. Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 102. 366  In dieser Arbeit werden mit der Verwendung des Begriffs „Gesamtrechtsnachfolger“ weibliche, männliche und diverse Gesamtrechtsnachfolger gleichermaßen erfasst. Die einheitliche Verwendung des Begriffs des „Gesamtrechtsnachfolger“ ergibt sich aus der Dogmatik der Abgabenordnung und der besseren Lesbarkeit. 367  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 10. 364  Daude, 365  Zulauf,



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO93

genden Ausführungen behandeln lediglich diese Besonderheiten – inwieweit eine unrichtige oder unvollständige Erklärung vorliegt, welche kausal für eine bereits eingetretene oder noch möglich erscheinende Steuerverkürzung war bzw. sein könnte, ergibt sich aus den obenstehenden Ausführungen zu § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO.

I. Tatbestand 1. Verpflichtete Person a) Gesamtrechtsnachfolger Die Gesamtrechtsnachfolge im Steuerschuldverhältnis ist in § 45 Abs. 1 AO geregelt. Wann eine Gesamtrechtsnachfolge vorliegt, ergibt sich gemäß Ziffer 1 des AEAO zu § 45 aus dem Zivilrecht. Darunter zu fassen sind beispielsweise Fälle der Erbfolge, der Anwachsung des Anteils am Gesellschaftsvermögen bei Ausscheiden eines Gesellschafters nach § 738 Abs. 1 S. 1 BGB, der Verschmelzung von Gesellschaften nach §§ 1, 2 UmwG und der Vermögensübertragung im Wege der Vollübertragung nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 174 ff. UmwG. Einzelrechtsnachfolgende wie Beschenkte oder Vermächtnisnehmer nach § 1939 BGB, bei denen das Vermögen nicht oder nicht als Ganzes übertragen wird, zählen nicht zu den Verpflichteten i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 2 AO.368 Maßgeblich ist dabei, dass die Übertragung des gesamten Vermögens aufgrund von Gesetz erfolgen muss.369 Der Gesamtrechtsnachfolger tritt materiell und verfahrensrechtlich in die Stellung des Rechtsvorgängers ein, soweit es sich nicht um höchstpersönliche Rechte handelt, die unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpft sind.370 Exemplarisch für die Gesamtrechtsnachfolge in § 153 Abs. 1 S. 2 AO werden im Folgenden problematische Konstellationen am Beispiel einer steuerkontaminierten Erbschaft erläutert. Die Ausführungen hierzu können weitestgehend auf andere Arten der Gesamtrechtsnachfolge übertragen werden. Im Erbfall gehen gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 AO alle Forderungen und Schulden aus einem Steuerschuldverhältnis vom Erblasser auf seinen Gesamtrechtsnachfolger über. Bei Miterben gemäß § 2032 BGB, die im Erbfall eine Erbengemeinschaft bilden, bleibt jeder selbst als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet.371

368  Helmrich, DStR 2009, 2132 (2133); Kamps, ErbStB 2003, 163 (164); J. Müller, DStZ 2005, 25 (26). 369  J. Müller, DStZ 2005, 25 (26). 370  BFH v. 13.1.2010 – V R 24/07, ZEV 2010, 381 (382) m. w. N. 371  Halaczinsky, DStR 2006, 828 (829); Heuel, wistra 2015, 338 (341).

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b) §§ 34, 35 AO § 153 Abs. 1 S. 2 AO umfasst außerdem die nach §§ 34, 35 AO für den Steuerpflichtigen oder den Gesamtrechtsnachfolger handelnden Personen. Zur zweiten Variante des § 153 Abs. 1 S. 2 AO wird vertreten, dass dieser lediglich klarstellende Funktion zukommt und die für den Steuerpflichtigen oder Gesamtrechtsnachfolger handelnden Personen sich bereits über die Vorschriften §§ 34, 35 AO die Pflichten nach §§ 153 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 AO zu eigen machen.372 § 34 AO umfasst dabei die gesetzlichen Vertreter und Vermögensverwalter. Zu den gesetzlichen Vertretern zählen beispielsweise Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) nach § 35 Abs. 1 GmbHG,373 Eltern für ihre ehelichen Kinder gemäß § 1629 BGB oder Betreuer nach § 1902 BGB, sowie der Vorstand eines Vereins nach § 26 Abs. 1 S. 2 BGB oder einer Aktiengesellschaft nach § 78 Abs. 1 AktG. Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen, wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) oder eine Kommanditgesellschaft (KG),374 ohne Geschäftsführer sind, haben alle Mitglieder respektive alle Gesellschafter gemäß § 34 Abs. 2 S. 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Insolvenzverwalter i. S. d. § 22 Abs. 1 InsO und Testamentsvollstrecker fallen unter den Begriff der Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO.375 Dabei statuiert § 153 Abs. 1 S. 2 AO auch eine Verantwortlichkeit für unrichtige Erklärungen vor Beginn ihrer „Amtszeit“.376 Steuerberater können den obigen Ausführungen entsprechend als gewillkürte Vertreter auch nicht unter §§ 34, 35 AO gefasst werden.377 Verfügungsberechtigt i. S. d. § 35 AO ist jede „Person, die aufgrund ihrer Stellung in der Lage ist, rechtlich und wirtschaftlich über Mittel zu verfügen, die einem anderen zuzurechnen sind, und als Verfügungsberechtigter auftritt“.378 Eine Beschränkung des „Dürfens“ im Innenverhältnis ist insoweit unbeachtlich.379 Unter Verfügungsberechtigte i. S. d. § 35 AO sind also beispielsweise faktische Geschäftsführer zu fassen, die nach außen auftreten 372  Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 10; Boelsen, Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO 1977, S. 23. 373  Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 3. 374  Jesse, BB 2011, 1431 (1434). 375  Ibidem. 376  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 50 f.; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 61, 63; lt. Zulauf, S. 62, sind auch vorläufige Insolvenzverwalter von dieser Pflicht umfasst. 377  Vgl. S. 29 ff.; ebenso: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 51–53; Zu­ lauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 66–68. 378  Jesse, BB 2011, 1431 (1434). 379  Ibidem.



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und den Anschein einer Berechtigung erwecken.380 Außerdem dazu zählen Erwerber eines Einzelunternehmens, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder einer Aktiengesellschaft (AG).381 Grundsätzlich erlischt eine Pflicht mit der Aufgabe eines unter § 34 oder § 35 AO fallenden Amtes – nach § 36 AO besteht sie jedoch fort, soweit sie den Zeitraum betrifft, in dem die Vertretungs- oder Verfügungsmacht bestanden hat und soweit der Verpflichtete sie erfüllen kann. Hat der Vertreter bereits vor Amtsbeendigung die steuerlich relevante Unrichtigkeit einer ursprünglichen Erklärung erkannt, muss er der Berichtigungspflicht nach § 153 AO auch nachkommen, wenn er sein Amt bereits niedergelegt hat.382 Erkennt er den Fehler jedoch erst nachträglich – d. h. nachdem er sein Amt bereits niedergelegt hat – entsteht keine Berichtigungspflicht. Neu eintretende Geschäftsführer sind bei einer nachträglichen Erkenntnis ebenso für die Berichtigung von unrichtigen Erklärungen verantwortlich, die vor ihrer Amtszeit eingetreten sind.383 So können ganze Geschäftsführergenerationen bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist der Verpflichtung des § 153 Abs. 1 AO unterfallen. 2. Nachträgliches Erkennen In § 153 Abs. 1 S. 2 AO heißt es lediglich, dass die Verpflichtung aus Satz 1 u. a. auch den Gesamtrechtsnachfolger trifft – weitere Voraussetzungen werden nicht aufgestellt. Nun stellt sich die Frage, wie das nachträgliche Erkennen einer Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit in Bezug auf den Gesamtrechtsnachfolger auszulegen ist. Zunächst bezieht sich § 153 Abs. 1 S. 2 AO vollständig auf eine bereits vom Rechtsvorgänger abgegebene Erklärung.384 Der Gesamtrechtsnachfolger wird also verpflichtet, unrichtige Erkläin: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 3. BB 2011, 1431 (1433). 382  Vgl. auch Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 3. 383  Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (454); Wulf, Stbg 2010, 295 (298); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 60. 384  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 3; vgl. auch: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 131, die noch einmal deutlich macht, dass § 153 Abs. 1 S. 2 AO nur einschlägig ist, wenn überhaupt eine Erklärung vom Rechtsvorgänger abgegeben wurde; war dies nicht der Fall, erlösche die ursprüngliche Erklärungspflicht zunächst und entstehe in der Person des Gesamtrechtsnachfolgers neu. Dabei ist jedoch umstritten, ob die Erklärungspflicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht oder zunächst durch Tod erlischt und neu entsteht; nach § 45 Abs. 1 S. 1 AO gehen nur Forderungen und Schulden durch den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge über; vgl. insoweit zum Streit: Drüen, in: Tipke/Kruse, § 45 AO, Rn. 2 – in dieser Arbeit wird mangels tiefergehender Relevanz für die behandelte Problematik von einem Übergehen der steuerlichen Pflichten gesprochen. 380  Seer,

381  Jesse,

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

rungen einer anderen Person zu berichtigen. Soweit der Erblasser die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt hat, können keine primären Erklärungspflichten mehr auf den Erben übergehen und § 153 Abs. 1 S. 2 AO ist insoweit eine konstitutive Regelung.385 Soweit dies nicht der Fall war, bestanden die allgemeinen Mitwirkungspflichten des Rechtsvorgängers in Form einer Berichtigungspflicht fort und gingen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erblasser über – insoweit ist § 153 Abs. 1 S. 2 AO als deklaratorische Norm einzuordnen.386 Hat der Rechtsnachfolger bereits selbst in seiner Funktion als Gesamtrechtsnachfolger eine unrichtige Erklärung abgegeben, so ergibt sich seine Berichtigungspflicht bei einem nachträglichen Erkennen bereits aus § 153 Abs. 1 S. 1 AO, sodass kein Rückgriff auf § 153 Abs. 1 S. 2 AO erforderlich ist.387 Wie wirkt es sich aber auf die Berichtigungspflicht aus, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten vorsätzlich Steuern hinterzogen hatte? Entsteht auch eine Berichtigungspflicht, wenn der Erbe bereits vor dem Tod des Erblassers von dessen Steuerhinterziehung wusste oder schließt dies ein „nachträgliches Erkennen“ aus? Wie wäre eine Mitwirkung des Erben als Mittäter oder Beteiligter an der ursprünglichen Steuerhinterziehung zu bewerten? Inwieweit sind die obigen Ausführungen damit auf den Gesamtrechtsnachfolger übertragbar? Auf die Beantwortung dieser Fragen wird im Folgenden eingegangen. a) Bewertung von Kenntnis des Rechtsvorgängers Es sind zwei Fälle von Vorkenntnis des Rechtsvorgängers zu unterscheiden: Entweder dieser hat die Unrichtigkeit seiner Erklärung noch vor seinem Tod aber nach Abgabe der maßgeblichen Erklärung erkannt und unterlag damit selbst zu seinen Lebzeiten einer Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 AO oder dieser hat vorsätzlich Falschangaben gemacht und damit bereits durch die ursprüngliche Erklärungsabgabe eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht. aa) Eigene Pflicht des Rechtsvorgängers nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO Dass § 153 Abs. 1 S. 2 AO explizit den oder die Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen zur nachträglichen Korrektur eines steuerlich rele­ vanten Fehlers verpflichtet, zeigt, dass § 153 Abs. 1 S. 1 AO eine höchstpersönliche Pflicht statuiert, die „in einer Person entsteht“ und nicht durch das 385  Vgl. 386  Vgl.

(340).

Jesse, BB 2011, 1431 (1433); sowie die vorangegangene Fn. dazu die Ausführungen auf S. 67 f.; ebenso: Heuel, wistra 2015, 338

387  Siehe

dazu S. 29.



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO97

In­ stitut der Gesamtrechtsnachfolge auf die Rechtsnachfolger übertragen wird.388 Auch wenn die Pflicht also bereits in der Person des Rechtsvorgängers entstanden ist, geht sie nicht automatisch auf den Rechtsnachfolger über – es bedarf vielmehr eines Rückgriffs auf § 153 Abs. 1 S. 2 AO.389 Somit kann auch ein nachträgliches Erkennen des Rechtsvorgängers dem ­ Rechtsnachfolger nicht zugerechnet werden. Dass der Rechtsvorgänger den Fehler bereits vorher erkannt hatte, schließt eine für den Rechtsnachfolger entstehende Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO nicht aus.390 Die Höchstpersönlichkeit wird jedoch dadurch wieder relativiert, dass – wie bereits festgestellt391 – meist auch die ursprünglichen Erklärungspflichten des Rechtsvorgängers fortbestehen und im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergehen. bb) Steuerhinterziehung des Rechtsvorgängers Nach vorwiegend vertretener Ansicht ist es für das Entstehen einer Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO für den Erben unerheblich, wenn der Erblasser vor seinem Tod eine vorsätzliche Steuerhinterziehung verwirklicht hat.392 Bruschke vertritt – ohne dies näher zu begründen – die Ansicht, dass keine Berichtigungspflicht entstehen kann, wenn bereits der Erblasser eine strafbare Steuerhinterziehung begangen hat.393 Diese Ansicht ließe sich beispielsweise auf das Zeugnisverweigerungsrecht des Ehegatten gemäß § 385 Abs. 1 AO, § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO stützen: Bei zusammenveranlagten Ehegatten ist der Partner grundsätzlich nicht für die Einkünfte des Gatten bzw. der Gattin verantwortlich und muss demnach nachträglich erkannte Fehler auch nicht korrigieren – außer es würde eine Gesamtrechtsnachfolge eintreten.394 Im Übrigen ist ein Auskunftsverweigerungsrecht Angehöriger der Abgabenordnung nicht unbekannt und explizit in § 101 Abs. 1 S. 1, § 15 AO statuiert. Die Vorschriften der §§ 101 ff. AO tragen dem Grundsatz Rechnung, dass 388  Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 3; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (13); J. Müller, StBp 2005, 195 (196); Radermacher, StBW 2014, 993 (994). 389  Jesse, BB 2011, 1431 (1433); Helmrich, DStR 2009, 2132 (2134). 390  Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2841). 391  S. 67  f.; vgl. insoweit auch die auf S. 22 dargestellten Ausführungen des Reichs­finanzhofes. 392  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 7; Jesse, BB 2011, 1431 (1433). 393  Bruschke, DStZ 2011, 208 (209). 394  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 5 f.; insoweit differenzierend: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 112; vgl. auch die Ansicht Möllers, nach der es gegen Pietätsgründe verstoße, wenn der Gesamtrechtsnachfolger gezwungen wäre, seinen Rechtsvorgänger zu denunzieren und dessen Steuerstraftaten zu offenbaren (Möller, Berichtigungspflicht, S. 58); ebenso: Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (63, 68).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

keine Wahrheitserforschung um jeden Preis stattfinden darf. Dabei soll ein Konflikt der Angehörigen „zwischen Familientreue und Wahrheitspflicht“ vermieden werden.395 Nach der Wertung des Gesetzgebers, die in diesen Normen statuiert wurde, kann es Angehörigen also nicht zugemutet werden, sich in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren gegen nahestehende Personen zu wenden. Den Normen kommt damit eine Befriedungsfunktion zu. Dabei stellt sich die Frage, ob die Befriedungsfunktion des Zeugnisverweigerungsrechts über den Tod hinaus weitergelten sollte. Wenn nicht, würde das Interesse des Fiskus an einem vollständigen Steueraufkommen praktisch über die Pietät und einen postmortalen Familienschutz gestellt.396 Die Tatsache, dass eine entsprechende Regelung eine Pflicht zur Denunziation der eigenen Angehörigen enthalte, wurde bereits bei erstmaliger Kodifizierung des § 97 RAO, des späteren § 117 RAO, kritisiert – wobei diese Kritik den Erlass einer entsprechenden Norm nicht verhindert hatte.397 Es stellt sich damit die grundlegende Frage, ob es beispielsweise einer Ehefrau nach dem Tod ihres zwischenzeitlich vermögenslos gewordenen Gatten zumutbar ist, dessen Vergehen zu Lebzeiten offenzulegen und sich ggf. für die Nachzahlung „fremder“ Steuerschulden hoch zu verschulden.398 Ebendiese Frage wird auch bei Angehörigen relevant: Kann aus einem Schweigerecht plötzlich eine Pflicht zur Offenbarung werden? Hier könnte aufgrund einer Unzumutbarkeit der Pflichterfüllung eine teleologische Reduktion der Norm erforderlich sein. Jedoch verneint die Rechtsprechung sogar die Anwendung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Angehörige nach § 52 StPO, wenn bei einer Mehrfachtäter-Konstellation in einem Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten, der angehörige Beschuldigte verstorben ist.399 Begründet wird dies damit, dass durch den Tod des Angehörigen eine Verknüpfung zu dem Mitbeschuldigten nicht mehr besteht. Dogmatisch ist einer teleologischen Reduktion auch entgegenzuhalten, dass die Erben durch die Gesamtrechtsnachfolge selbst zu Beteiligten i. S. d. § 78 AO werden und den Beteiligten schon von Gesetzes wegen kein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht.400 Durch den Tod werde laut Zulauf der Sinn des § 101 AO, die Wahrung des ehelichen in: Tipke/Kruse, Vorbemerkung zu §§ 101–106 AO, Rn. 1 f. Selbstanzeige, Rn. 531; vgl. auch: Zulauf, Die strafbefreiende Fremd­ anzeige, S. 59. 397  Vgl. dazu: Gutachten des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24 (26 f.). 398  Vgl. Durst, PStR 2011, 257 (257); auch Halaczinsky deutet durch die Formulierung, dass der Rechtsnachfolger in den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO „sogar den Rechtsvorgänger beim Finanzamt anschwärzen müsse“, an, dass die Regelung nicht unerheblich in das Verhältnis zwischen Erblasser und Erbe eingreift [DStR 2005, 828 (835)]. 399  BGH v. 13.2.1992 – 4 StR 638/91, NJW 1992, 1118. 400  Vgl. auch Nr. 1 zu AEAO § 101; ebenso: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 46. 395  Seer,

396  Stahl,



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO99

Vertrauensverhältnisses, nicht mehr unterlaufen und die Gefahr der Denun­ ziation bestehe nicht mehr.401 Grundsätzlich besteht zwar auch ein Interesse daran, das Andenken an einen verstorbenen Ehegatten oder Angehörigen nicht durch die Offenbarung einer von diesem begangenen Straftat zu verunglimpfen, dennoch lässt sich dies mit Blick auf das grundlegende gesetzliche Konstrukt der Gesamtrechtsnachfolge im Zusammenhang mit steuerlichen Mitwirkungspflichten und § 153 Abs. 1 S. 2 AO kaum vermeiden. De facto wäre es aus steuerrechtlicher Sicht vielmehr sogar unbillig, wenn derjenige, dessen Rechtsvorgänger eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen hat – sei es durch aktives Tun oder durch Unterlassen – keine Steuern nacherklären müsste und derjenige, dessen Rechtsvorgänger nur versehentlich unrichtige Angaben gemacht hat, schon zu einer Berichtigung verpflichtet wäre. Es sind keine überzeugenden Gründe ersichtlich, die für eine Besserstellung des erstgenannten Erben sprechen. Eine solche ließe sich auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbaren. Dass kein Gesamtrechtsnachfolger für die steuerlichen Pflichten des Erb­ lassers einstehen muss, weil dadurch ggf. der Rechtsvorgänger denunziert werden könnte, lässt sich dagegen mit dem Konzept der Gesamtrechtsnachfolge, den Grundsätzen der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit sowie dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 S. 2 AO kaum vertreten. Es ist damit nach hier vertretener Ansicht unerheblich, ob der Rechtsvorgänger die Steuerhinterziehung versehentlich, leichtfertig oder sogar vorsätzlich herbeigeführt hat: Der Gesamtrechtsnachfolger ist in allen Konstellationen zu einer Richtigstellung gegenüber der zuständigen Finanzbehörde verpflichtet und muss als Konsequenz daraus für die Steuerschulden seines Rechtsvorgängers geradestehen. Inkonsequent erscheint es Sommer/Kauffmann, dass für den Gesamtrechtsnachfolger keine Berichtigungspflicht entsteht, wenn der Rechtsvorgänger eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen hat.402 In diesen Fällen fehlt es für § 153 Abs. 1 AO an einer ursprünglichen Erklärung des Rechtsvorgängers, deren Unrichtigkeit der Erbe überhaupt erkennen könnte. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass der Erbe anderweitig zu einer Richtigstellung gegenüber dem Finanzamt verpflichtet ist. Der Rechtsvorgänger hat mangels Erklärungsabgabe seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt, diese bestehen – wie bereits dargestellt403 – weiter und gehen auch im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben über. Im Ergebnis ist es damit unerheblich, ob der Rechtsvorgänger durch aktives Tun oder durch Unterlassen 401  Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 59; vgl. auch: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 130. 402  Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (68). 403  Vgl. S. 67 f.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

eine Steuerhinterziehung begangen hat. Der Gesamtrechtsnachfolger ist in beiden Fällen zu einer Richtigstellung verpflichtet. b) Bewertung von Vorwissen des Gesamtrechtsnachfolgers Umstrittener ist es, wie ein Vorwissen oder sogar eine vorhergehende Tatbeteiligung des Gesamtrechtsnachfolgers bei der Entstehung der Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO zu bewerten ist. aa) Bloßes Vorwissen Nach herrschender Meinung ist es für das Entstehen der Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO ohne Einfluss, wenn der Gesamtrechtsnachfolger bereits vor Eintritt in die Stellung als Rechtsnachfolger von der Unrichtigkeit der vom Rechtsvorgänger abgegebenen Erklärung wusste.404 Zwar liegt in einem solchen Fall beim Rechtsvorgänger jedenfalls auf den ersten Blick kein nachträgliches Erkennen vor – allerdings kann der Erbe in seiner Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger erst mit Eintritt des Erbfalls und damit nachträglich von den unrichtigen oder unvollständigen Angaben und der sich daraus ergebenden Steuerverkürzung erfahren.405 Hatte der Gesamtrechtsnachfolger Kenntnis von einer noch nicht festsetzungsverjährten Steuerhinterziehung bzw. eventuell sogar von einer fehlerhaften Erklärung seines Rechtsvorgängers, die diesem selbst unbekannt war, so ist mit dem Eintritt in die Stellung als Gesamtrechtsnachfolger ein nachträgliches Erkennen i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 2 AO zu bejahen. Dabei wird jedoch kritisiert, dass die Bejahung eines nachträglichen Erkennens in diesen Fällen konstruiert wirke und der an der Vortat Beteiligte dadurch besser stünde.406 Aufgrund dessen, dass die fortbestehenden allgemeinen Mitwirkungspflichten jedoch sowieso auch übergehen, kommt der Kritik wohl kaum praktische Relevanz zu.

404  BFH v. 29.8.2017 – VIII R 32/15, DStR 2018, 297 (300); Seer, in: Tipke/ Kruse, § 153 AO, Rn. 3; Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (500); a. A.: Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (65); Steiner, ErbStB 2008, 152 (153). 405  BFH v. 29.8.2017 – VIII R 32/15, DStR 2018, 297 (300); Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 13c; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 17; Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 133; anders: Fromm, DStR 2014, 1747 (1749), der auf das konkrete positive Erkennen des Erblassers in seiner Person und nicht in seiner Funktion abstellt. 406  Heuel, wistra 2015, 338 (340).



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO101

bb) Mittäterschaft oder Tatbeteiligung Bei Fällen, in denen der Erbe bereits vor dem Tod des Erblassers als Mittäter oder Teilnehmer strafbar war, entsteht nach herrschender Meinung keine Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO.407 Für den Erben besteht lediglich die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO bzw. § 398a AO bezüglich der betreffenden Steuerstraftaten. Beispielhaft für eine solche Konstellation kann ein Ehegatte angeführt werden, der bereits an einer Steuerhinterziehung des Erblassers mitgewirkt hat und damit Beteiligter oder sogar Mittäter war. Müsste dieser eine Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO abgeben, so würde er nicht nur seinen Rechtsvorgänger, sondern auch sich selbst belasten.408 Entsprechend den obigen Ausführungen ist allerdings zu beachten, dass die Abgabe einer unrichtigen Erklärung durch den Erblasser im Regelfall nicht zum Erlöschen seiner Mitwirkungspflichten führte,409 sodass diese auf die Erben übergehen und für diese dadurch dennoch eine Berichtigungspflicht besteht – wenn auch nicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO, sondern nach den allgemeinen Vorschriften zu den Mitwirkungspflichten. Die steuerlich nicht erloschene Erklärungspflicht geht damit mit dem Tod des Erblassers auf seinen Gesamtrechtsnachfolger über, auch wenn dieser bereits zuvor Mittäter oder Teilnehmer war.410 Insoweit besteht eine Inkongruenz zur herrschenden Meinung in Bezug auf § 153 Abs. 1 S. 1 AO, wonach zu unterscheiden ist, ob die vorangegangene Steuerhinterziehung bedingt vorsätzlich oder mit dolus directus begangen wurde. Bei ersterem entsteht für den Steuerpflichtigen nach herrschender Meinung eine Berichtigungspflicht unabhängig von einer Selbstbelastungsgefahr. Ferner wird nach herrschender Meinung auf das nachträgliche Erkennen „in der Person des Gesamtrechtsnachfolgers“ abgestellt – auch demnach dürfte vorangegangene Kenntnis für die Entstehung einer Pflicht keine Rolle spielen.411 407  FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, 22288; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 17; Durst, PStR 2011, 257 (258); Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 133; Helmrich, DStR 2009, 2132 (2134); Jesse, BB 2011, 1431 (1433); J. Müller, DStZ 2005, 25 (27); Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2016, 63 (65); Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (468); Steiner, ErbStB 2009, 152 (153); Wegner, SteuK 2016, 289 (291); Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 21. 408  Rolletschke, wistra 2020, 173 (176). 409  Vgl. S. 64. 410  Wulf, in: FS Samson, S. 619 (635). 411  Vgl.: Heuel, wistra 2015, 338 (339), wonach auch der an der Vortat beteiligte Gesamtrechtsnachfolger nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO berichtigungspflichtig ist, wenn ihm hinsichtlich der Beteiligung bzw. Mittäterschaft bedingter Vorsatz vorgeworfen werden kann.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

c) Anforderungen an das nachträgliche Erkennen durch den Gesamtrechtsnachfolger Erforderlich ist ein positives Erkennen der Unrichtigkeit einer Erklärung und die Erkenntnis, dass es durch diese bereits zu einer Verkürzung von Steuern gekommen ist oder noch kommen kann. Insoweit bestehen keine Unterschiede zu den Anforderungen an das Erkennen durch den Steuerpflichtigen i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Die alleinige Kenntniserlangung von der Existenz eines Auslandskontos reicht beispielsweise noch nicht zur Bejahung eines Erkennens einer möglichen Steuerverkürzung i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 2 AO – hinzukommen muss ein Abgleich mit den Steuererklärungen des Rechtsvorgängers.412 Wulf stellt für ein Erkennen des Gesamtrechtsnachfolgers auf eine bedingte Kenntnis im Sinne eines Eventualvorsatzes ab.413 Diese Sicht geht nach hier vertretener Ansicht allerdings zu weit. Es ist ferner nicht ersichtlich, warum an das Erkennen durch den Gesamtrechtsnachfolger andere Anforderungen zu stellen sein sollen als an das Erkennen durch den Steuerpflichtigen selbst. 3. Festsetzungsverjährung Die Berichtigungspflicht entsteht nur für Veranlagungszeiträume, deren Festsetzungsverjährung im Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtsnachfolge noch nicht abgelaufen ist. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn der Festsetzungsverjährung nach § 170 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ist regelmäßig – hier am Beispiel der Einkommensteuer – die Erklärungsabgabe durch den Erblasser als Rechtsvorgänger. Dabei beginnt für den Rechtsnachfolger keine gesonderte Frist zu laufen.414 a) Frist Bei der Dauer der Verjährungsfrist ist jedoch zu differenzieren: aa) Mögliche Steuerhinterziehung durch Erblasser Hat der Erblasser durch eine unrichtige oder unvollständige Erklärung eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen, so hat er durch diese Steuerver412  BGH

v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133. Stbg 2010, 295 (297). 414  Radermacher, StBW 2014, 956 (957 f.); a. A.: Stahl, Selbstanzeige, Rn. 540, nach dem eine erneute Festsetzungsfrist zu laufen beginnt. 413  Wulf,



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO103

fehlung eine verlängerte Festsetzungsfrist i. S. d. § 169 Abs. 2 S. 2 AO aus­ gelöst. Diese verlängerte Festsetzungsfrist gilt nach herrschender Meinung auch für den Gesamtrechtsnachfolger.415 Dies wird bereits in § 169 Abs. 2 S. 3 AO deutlich, wonach die verlängerte Festsetzungsfrist auch gilt, „wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient“. Eine Ausnahme soll gemäß § 169 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 AO gelten, wenn der Steuerschuldner nachweist, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass die Steuerhinterziehung auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat. Bei Prüfung dieses Exkulpationsbeweises ist in erster Linie auf die Person des Rechtsvorgängers abzustellen – der Erbe kann die Einwendungen nur geltend machen, soweit sie auch der Erblasser schon hätte geltend machen können.416 Eine eigene Exkulpationsmöglichkeit erwächst dem Erben nicht; d. h. dass der Erbe grundsätzlich, wenn der Erblasser eine Steuerhinterziehung begangen hat, innerhalb einer zehnjährigen Festsetzungsfrist verpflichtet ist, die Erklärungen zu berichtigen. Streck kritisiert an der Geltung der verlängerten Festsetzungsfrist für die Erben, dass eine Straftat einer verstorbenen Person festgestellt werde, ohne dass diese sich im Rahmen eines rechtlichen Gehörs noch gegen den strafrechtlichen Vorwurf wehren könnte.417 Aus Sicht der Rechtsprechung ist dies allerdings unproblematisch: Rechtliches Gehör sei nur den Verfahrensbeteiligten und damit den Erben als Gesamtrechtsnachfolger zu gewähren. Zudem stelle die Verlängerung der Festsetzungsverjährung keine Strafmaßnahme dar.418 Allerdings sind an den Nachweis einer Steuerhinterziehung und der Geltung der verlängerten Festsetzungsfrist entsprechende Anforderungen zu stellen. Die Beweislast für die verlängerte Festsetzungsfrist liegt bei der Finanz­behörde.419 Der Vorsatz des Erblassers muss sich aus nachweisbaren 415  BFH v. 13.2.2008 – IX R 61/07, BFH/NV 2008, 1485; FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, 22288, Rn. 27; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 169 AO, Rn. 24; Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 14; Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 19; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (20); Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2841 f.); Jesse, BB 2011, 1431 (1438 f.); Joecks, PStR 2015, 235 (236); Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2048); Kamps, ErbStB 2003, 163 (164); Radermacher, StBW 2014, 956 (958); Rolletschke, wistra 2020, 173 (174); Sievert/ Littich, PStR 2019, 227 (228). 416  Banniza, in: HHSp, § 169 AO, Rn. 64; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 169 AO, Rn. 24; Jesse, BB 2011, 1431 (1438 f.). 417  Streck/Rainer, StuW 1979, 267 (268–271). 418  BFH v. 27.8.1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9 m. w. N.; zustimmend: Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2048). 419  Vgl. S. 69; Kamps, ErbStB 2003, 163 (164); Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2049); Streck, DStR 1994, 1723 (1725).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

äußeren Umständen ergeben.420 Fehlt es an solchen Umständen, so ist in dubio pro reo von der regulären Festsetzungsfrist auszugehen, auch wenn damit Steueransprüche gegen den Rechtsnachfolger nicht mehr durchgesetzt werden können. In der Literatur wird aber auch vermehrt die Ansicht vertreten, dass der Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich von einer regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 1 AO von vier Jahren ausgehen dürfe.421 Begründet wird dies damit, dass es dem Gesamtrechtsnachfolger in der Regel nicht zumutbar sei, zu beurteilen, ob der Rechtsvorgänger vorsätzlich oder gar leichtfertig gehandelt hat.422 Außerdem ergeben sich aus § 153 Abs. 1 S. 2 AO keine Nachforschungspflichten für den Gesamtrechtsnachfolger.423 Eine fundamentale Beurteilung des subjektiven Tatbestandes des Vorgängers wäre allerdings erforderlich, um zu prüfen, ob eine fünf- bzw. zehnjährige Verjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO greift. Auch nach Ansicht von Streck ist für die Bestimmung der Verjährungsfrist maßgeblich, ob der Nachfolger erkannt hat, dass sein Rechtsvorgänger Steuern hinterzogen hat.424 Bei dieser Ansicht handelt es sich aber um einen Zirkelschluss: Nur weil der Erbe in dem Fall, dass er von einem Versehen seines Rechtsvorgängers ausgeht, seine Pflicht zur Berichtigung eines zehn- und nicht lediglich vierjährigen Zeitraums nicht erkennt, heißt dies nicht, dass er nicht zur Berichtigung des zehnjährigen Zeitraums verpflichtet sein kann. Maßgebend für das Entstehen der Berichtigungspflicht ist lediglich das Erkennen der Fehlerhaftigkeit einer ursprünglichen Erklärung und einer daraus ggf. resultierenden Steuerverkürzung. Wird verkannt, dass der entsprechende Veranlagungszeitraum noch nicht festsetzungsverjährt ist, entsteht die Pflicht dennoch. Wird jedoch nur der Zeitraum innerhalb der regulären Festsetzungsverjährung berichtigt, da die Einschlägigkeit der verlängerten Festsetzungsverjährung nicht erkannt wurde, hat dies allerdings für den Gesamtrechtsnachfolger keine nachteiligen 420  BFH

v. 27.8.1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9 (12). PStR 2011, 257 (258); Eich, ErbStB 2003, 160 (161); Groß, ErbStB 2004, 190 (192); Halaczinsky, DStR 2006, 828 (831); Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469); a. A.: Kamps, ErbStB 2003, 163 (164); für die Praxis skeptisch hierzu: Sauren, ZEV 2002, 223 (226), der anmerkt, dass selbst wenn der Ansicht der Literatur zuzustimmen wäre, dies die Finanzbehörden ferner nicht davon abhielte, mit Hinweis auf die vorangegangene Steuerhinterziehung des Rechtsvorgängers und die eindeutige Sachlage die zehnjährige Verjährungsfrist im Rahmen der Berichtigungserklärung anzusetzen. 422  Eich, ErbStB 2003, 160 (161); Groß, ErbStB 2004, 190 (192 f.); Streck/Rainer, StuW 1979, 267 (267). 423  Halaczinsky, DStR 2006, 828 (831); Heuel, wistra 2015, 338 (338); Stahl, Selbstanzeige, Rn. 533; Steiner, ErbStB 2008, 152 (153). 424  Streck, DStR 1994, 1723 (1725); ebenfalls auf das Erkennen stellen ab: Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 11; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (20). 421  Durst,



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO105

Konsequenzen. Mangels Vorsatzes bezüglich einer Steuerverkürzung nicht festsetzungsverjährter Zeiträume kann sich der Erbe nicht gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 2 AO strafbar machen. Wurde das vorsätzliche Handeln und damit die Straftat des Rechtsvorgängers nicht erkannt, liegt insoweit ein Tatsachenirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB vor. Steuerrechtlich wird die Finanzbehörde eine Prüfung des Sachverhalts und auch eine Änderung der entsprechenden Steuerfestsetzungen vornehmen, die ggf. nicht von der Berichtigungserklärung umfasst waren. Der erstgenannten Ansicht ist somit der Vorzug zu geben. Hat der Rechtsvorgänger eine Steuerhinterziehung begangen, muss der Erbe die verlängerte Festsetzungsfrist gegen sich gelten lassen – unabhängig davon, ob dies erkannt wurde oder nicht. bb) Mögliche Steuerhinterziehung durch Erben Nach herrschender Meinung stellt die vorsätzliche Nichtberichtigung durch den Erben eine Steuerhinterziehung dar. Inwieweit diese These haltbar ist, wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit untersucht.425 Wird die herrschende Meinung zugrunde gelegt, so könnte durch die vorsätzliche Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 2 AO durch den Erben die Festsetzungsverjährungsfrist nachträglich ebenfalls auf zehn Jahre verlängert werden – wenn die verlängerte Frist nicht bereits aufgrund eines Handelns oder Unterlassens des Erblassers einschlägig war. Der Erbe würde dadurch auch nicht schlechter gestellt als der Erblasser, für den sich die Festsetzungsfrist bei einer vorsätzlichen Missachtung der Berichtigungspflicht ebenfalls nachträglich verlängert hätte. b) Verjährungshemmungen aa) § 171 Abs. 5 AO § 171 Abs. 5 AO statuiert eine Verjährungshemmung für die Fälle, in denen die Steuerfahndung vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit den Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen begonnen hat. Solange die als Folge der Ermittlungen ergangenen Änderungsbescheide nicht unanfechtbar geworden sind, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab. Diese steuerliche Verjährungshemmung greift grundsätzlich auch für den Gesamtrechtsnachfolger, wenn strafrechtliche Ermittlungen bezüglich einer unterlassenen Berichtigung von Unrichtigkeiten des Erblassers vorgenommen werden.426 ­Dabei ist nur die Aufnahme von Ermittlungen maßgeblich – nicht aber, ob letztlich eine Steuerhinterziehung bejaht werden kann. 425  Siehe

S. 113 ff. StBW 2015, 27 (28).

426  Radermacher,

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

bb) § 171 Abs. 7 AO § 171 Abs. 7 AO hemmt den Ablauf der Festsetzungsverjährung bis zum Ablauf der Strafverfolgungsverjährung. Eine gegenüber dem Erblasser als ursprünglichen Steuerhinterzieher vormals bestehende Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO endet mit dessen Tod – ein „Wiederaufleben“ dieser folglich mit Todeseintritt festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträume ist nicht möglich.427 Dennoch steht auch bei noch nicht verjährten Veranlagungszeiträumen in Frage, ob die ggf. durch eine Nichtberichtigung des Gesamtrechtsnachfolgers begangene Steuerhinterziehung zu einer gesonderten Verjährungshemmung nach § 171 Abs. 7 AO führen kann. Die herrschende Meinung bejaht in diesen Fällen die Verwirklichung einer Straftat. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO greift für den Rechtsnachfolger nach einer Ansicht jedoch nicht.428 Dies wird damit begründet, dass der Wortlaut des § 171 Abs. 7 AO auf die Straftat abzielt, durch die die Steuern verkürzt wurden, sodass die Nachfolgetat des Gesamtrechtsnachfolgers keine taug­ liche Tat i. S. d. Norm darstellt.429 Durch den Erbfall soll die Position des Erblassers lediglich „fortgesetzt“ werden – es soll jedoch keine Besserstellung des Fiskus erfolgen.430 Die Finanzverwaltung schreibt dennoch in einigen Fällen einer Unterlassungsstrafbarkeit des Gesamtrechtsnachfolgers eine verjährungshemmende Wirkung gemäß § 171 Abs. 7 AO zu.431 Auch das Finanzgericht München hat § 171 Abs. 7 AO im Falle einer Gesamtrechtsnachfolgekonstellation angewandt.432 Im maßgeblichen Fall erbten zwei Töchter und die Witwe des Erblassers im Jahr 2007 ein ausländisches Depot, dessen Erträge vom Erblasser in den Einkommensteuererklärungen der dem Erbfall vorangegangenen 427  Külz/Tottmann, PStR 2013, 165 (166); Radermacher, StBW 2014, 956 (959 f.); vgl. dazu die zwingende Verfahrenseinstellung bei Tod des Beschuldigten nach § 206a StPO. 428  Fromm, DStR 2014, 1747 (1750), mit Hinweis darauf, dass die Finanzverwaltung dies durchaus bereits gegenteilig beurteilt und die Nichtberichtigung durch den Gesamtrechtsnachfolger als verjährungshemmend qualifiziert hat; die verjährungshemmende Wirkung einer Straftat des Gesamtrechtsnachfolgers ebenfalls verneinend: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 144 f.; Külz/Tottmann, PStR 2013, 165 (166); Radermacher, StBW 2014, 956 (960). 429  Fromm, DStR 2014, 1747 (1750); zustimmend: Radermacher, StBW 2014, 956 (960). 430  Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 145; Heuel, wistra 2015, 289 (294); Külz/Tottmann, PStR 2013, 165 (166). 431  Vgl. Radermacher, StBW 2014, 956 (960). 432  Dazu: FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, 22288 – zur Anwendung des § 171 Abs. 7 AO: Rn. 7; zustimmend: Rolletschke, wistra 2020, 173 (174).



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO107

Veranlagungszeiträumen verschwiegen wurden. Dies war den Erbinnen auch bekannt, sodass mit Eintritt des Erbfalles eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO entstand, der zunächst nicht nachgekommen wurde. Im Jahr 2014 wurden dann Selbstanzeigen für die – aus Sicht der Erbinnen noch nicht festsetzungsverjährten – Jahre 2002 bis 2012 abgegeben. Im Jahr 2015 wurden von der Bußgeld- und Strafsachenstelle dann Ermittlungen für die Veranlagungszeiträume 1995 bis 2005 eingeleitet, für die nach gegenteiliger Auffassung der zuständigen Beamten noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war. Die Festsetzungsverjährung berechnet sich dabei beispielhaft für das Veranlagungsjahr 1995 aus Sicht der Finanzverwaltung wie folgt: Die Einkommensteuererklärung 1995 wurde am 10.03.1997 abgegeben, sodass insoweit die Festsetzungsverjährung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1997 zu laufen begann. Nachdem der Erblasser die Steuer hinterzogen hatte, betrug die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 Var. 1 AO zehn Jahre, sodass grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2007 Festsetzungsverjährung eingetreten wäre. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle hat die Nichtberichtigung nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO durch die Erbinnen allerdings als Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO eingeordnet und § 171 Abs. 7 AO für einschlägig erachtet. Der Ablauf der Festsetzungsverjährung wäre nach dieser Ansicht damit gehemmt, solange die Verfolgungsverjährung der Steuerstraftat noch nicht eingetreten ist. Da eine besonders schwere Steuerhinterziehung vorliegen würde, betrüge die Verfolgungsverjährung nach § 376 Abs. 1 AO zehn Jahre, sodass die Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1995 bis ins Jahr 2017 gehemmt würde.433 Das Finanzgericht München begründete die Anwendung der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO in den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO damit, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 171 Abs. 7 AO einen Gleichlauf zwischen Steuerrecht und Strafrecht schaffen wollte. Dieser wäre nicht mehr gegeben, wenn die Gesamtrechtsnachfolger noch wegen Steuerhinterziehung strafrechtlich belangt werden könnten, während die hinterzogenen Steuern im Besteuerungsverfahren nicht mehr festgesetzt werden könnten.434 Bei diesem Argument handelt es sich jedoch um einen Zirkelschluss – nur, weil der Gesetzgeber einen Gleichlauf angestrebt hat, bedeutet dies nicht, dass sowohl Festsetzungs- als auch Verfolgungsverjährung jeweils unverhältnismäßig lange ausgedehnt werden dürfen, nur um diesen Gleichlauf zu gewährleisten. Dadurch werden die primär von den jeweiligen Verjährungsfris433  Wie bereits dargestellt, wurde die Verfolgungsverjährung für besonders schwere Fälle im Dezember 2020 auf 15 Jahre ausgeweitet (JStG 2020, BStBl. I 2020, 3096); siehe § 376 Abs. 1 AO. 434  FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, 22288, Rn. 43; derzeit Revision anhängig (Az. des BFH: VIII R 26/19).

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

ten angestrebten Ziele, wie in erster Linie Rechtssicherheit und Rechts­ frieden,435 vollkommen vernachlässigt. Durch die Sicht des Finanzgerichts München würde der Fiskus durch den Eintritt des Erbfalls besser und der Erbe schlechter gestellt als der Erblasser – Sinn und Zweck der Gesamtrechtsnachfolge ist aber vielmehr, dass die Position des Gegners – hier des Fiskus – nicht verschlechtert wird; eine Besserstellung wird gerade nicht bezweckt.436 Die Gesamtrechtsnachfolger sollten lediglich in die Position der Rechtsvorgänger eintreten. Würden mehrere Erbanfälle in Folge, jeweils vor Ablauf der Festsetzungsverjährung eintreten, sind Konstellationen denkbar, in denen ein Steueranspruch faktisch unverjährbar wäre. Richtigerweise fehlt es für eine Anwendbarkeit des § 171 Abs. 7 AO im vorliegenden Fall allerdings bereits an einer Straftat durch die Erbinnen. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Erfolgsdelikt, sodass durch die Nichtberichtigung kausal eine Steuerverkürzung oder ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil verursacht worden sein müsste. Ist die Steuerverkürzung allerdings bereits beim Rechtsvorgänger eingetreten, ist das bloße Nichtergehen eines Berichtigungsbescheids kein eigenständiges Erfolgsunrecht. Es tritt durch das Unterlassen der Berichtigung keine nachteilige Veränderung des status quo ein. Das Finanzgericht München schreibt einem Verstoß gegen § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AO eine Strafbarkeit zu, ohne dass eine Auseinandersetzung mit einem möglichen tatbestandlichen Erfolg erkennbar wird.437 Einer Strafbarkeit der Erbinnen fehlt es damit an einem tauglichen Taterfolg, wie im zweiten Kapitel dieser Arbeit vertieft herausgearbeitet wird.438 Bereits daran scheitert eine Anwendung des § 171 Abs. 7 AO. cc) § 171 Abs. 9 AO § 171 Abs. 9 AO hemmt den Ablauf der Festsetzungsverjährung, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsverjährung eine Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO erstattet, für ein Jahr nach Eingang der Anzeige. Der Wortlaut der Norm stellt nur auf die Fälle ab, in denen der Steuerpflichtige eine derartige Anzeige abgibt – der Gesamtrechtsnachfolger oder sonstige gemäß § 153 Abs. 1 AO Verpflichtete sind nicht gesondert aufgeführt. Ob die Vor435  Asholt, Verjährung im Strafrecht, S. 85 zur Rechtssicherheit als Zweck der Verjährung im öffentlichen Recht; zur Anführung dieses Arguments im Strafrecht: S. 105 f. 436  Külz/Tottmann, PStR 2013, 165 (166). 437  FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, 22288, Rn. 10; ebenso: Rolletschke, wistra 2020, 173 (174 f.), der die zweimalige Verkürzung der Steuer auch nur am jeweiligen tatbestandlichen Verhalten des Erblassers und der Erbinnen festmacht. 438  Vgl. S. 138 ff.



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO109

schrift allerdings auf Gesamtrechtsnachfolger anzuwenden ist, wird in der Literatur kaum diskutiert.439 Unter Zugrundelegung des Normzwecks wird jedoch unterstellt, dass auch die nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO explizit Verpflichteten von § 171 Abs. 9 AO erfasst sind.440 Hat der Gesamtrechtsnachfolger also die Unrichtigkeit angezeigt, hat die Finanzbehörde ein Jahr Zeit, die Berichtigungserklärung einzufordern und die korrekte Steuer festzusetzen.441 dd) § 171 Abs. 12 AO Nach § 171 Abs. 12 AO endet die Festsetzungsfrist, wenn sich die Steuer gegen einen Nachlass richtet, nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem die Erbschaft von dem Erben angenommen, das Insolvenz­ verfahren über den Nachlass eröffnet wird oder von dem an die Steuer gegen einen Vertreter festgesetzt werden kann. Im Falle einer Erbschaft ist diese Verlängerung der Festsetzungsfrist bei der Prüfung der Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO immer zu beachten.

II. Rechtsfolgen In den Fällen einer steuerkontaminierten Erbschaft ist der Erbe nach dem Ableben des Rechtsvorgängers zum einen zur Abgabe einer korrekten Erbschaftsteuererklärung sowie korrekter noch ausstehender Steuererklärungen des Erblassers verpflichtet. Auch in den eigenen, künftigen Steuerklärungen sind beispielsweise Kapitaleinkünfte aus einem bisher den Finanzbehörden unbekannten Schwarzgeldkonto anzugeben. Zum anderen ist der Erbe für vergangene Zeiträume über § 153 Abs. 1 S. 2 AO zur Richtigstellung von unrichtigen Erklärungen des Erblassers verpflichtet.442 Kommt der Gesamtrechtsnachfolger oder ein sonstiger Verpflichteter seiner Pflicht aus § 153 Abs. 1 S. 2 AO nach, ergeht ihm gegenüber ein Änderungsbescheid. Für die 439  Dies ebenfalls nicht ansprechend: Banniza, in: HHSp, § 171 AO, Rn. 184–191; Rüsken, in: Klein, § 171 AO, Rn. 93. 440  Drüen, in: Tipke/Kruse, § 171 AO, Rn. 84; so auch: Radermacher, StBW 2015, 27 (28 f.). 441  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (20). 442  Lt. Schaub, ZEV 2011, 624 (625), kann dem Erben eines schwarzgeldbehafteten Vermögens nur zu einer Selbstanzeige geraten werden. Dem kann jedoch insoweit nur für die Fälle zugestimmt werden, in denen der Erbe auch bereits selbst eine Steuerstraftat begangen hat. Ist Schwarzgeld lediglich übergegangen, ohne dass der Erbe sich darüber hinaus tatbestandsmäßig verhalten hätte, bedarf es keines persönlichen Strafaufhebungsgrundes. Grundlegend ist den Erben dennoch zu einer Berichtigung zu raten; die Voraussetzungen des § 371 AO müssen dabei aber nicht erfüllt werden.

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Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

Änderungsvorschrift ergeben sich keine Unterschiede zu den obigen Ausführungen.443 Dabei entfaltet eine Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO auch nach § 371 Abs. 4 AO Wirkung für die Miterben.444 Die folgenden Erörterungen zu den Rechtsfolgen der Pflichterfüllung orientieren sich am Beispiel des Erben und einer im Raum stehenden Einkommensteuernachzahlung. Der Erbe wird aus dem Änderungsbescheid verpflichtet die hinterzogenen Steuern nachzuzahlen, wodurch im Rahmen der Erbschaft rechtswidrig übertragene Vermögensvorteile wieder entzogen werden.445 Problematisch erscheint, dass der Berichtigungsbescheid gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger ergeht und dieser zur Nachzahlung der hinterzogenen Steuern nebst Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und Zinsen nach § 233a AO verpflichtet ist.446 Dabei ist es unerheblich, ob sich der Nachzahlungsbetrag in der Erbmasse niedergeschlagen hat oder nicht, sodass es auch möglich ist, dass der Gesamtrechtsnachfolger die Nachzahlung ganz oder teilweise aus seinem eigenen Vermögen leisten muss, ohne vorher die steuerliche Belastung ohne weiteres überblicken zu können.447 Damit können sich Konstellationen ergeben, in denen es dem Steuerpflichtigen mangels entsprechender Liquidität nicht möglich wäre, die entsprechenden Steuerschulden nachzuzahlen. Wenngleich dies für die Erfüllung der Pflicht aus § 153 Abs. 1 AO nicht erforderlich ist, ergeben sich dennoch Verbindlichkeiten für den Steuerpflichtigen, zu deren Tilgung er verpflichtet ist. Damit muss zumindest kurz die Frage aufgeworfen werden, ob eine Zuzahlungspflicht aus dem eigenen Vermögen legitim ist, wenn sich die Steuerersparnis nicht mehr unmittelbar im Erbe niedergeschlagen hat. Einerseits sind steuerliche Verbindlichkeiten unabhängig von ihrer Festsetzung bereits als Abzugsposten in einer Erbmasse enthalten.448 Die Einkommensteuer beispielsweise entsteht nach § 38 AO i. V. m. § 36 Abs. 1 EStG mit 443  Siehe S. 84 ff.; damit ist auch hier § 172 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AO bzw. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einschlägig. 444  Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (468); Steiner, ErbStB 2008, 152 (153). 445  Streck/Rainer, StuW 1979, 267 (267). 446  Dabei werden allerdings gem. § 235 Abs. 4 AO Zinsen nach § 233a AO auf die Hinterziehungszinsen angerechnet. 447  Vgl. zur Zuzahlungspflicht aus „weißem“ Vermögen: Durst, PStR 2011, 257 (257); Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 146; Kamps, ErbStB 2003, 163 (164); Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (65); Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (467 f.); Wulf, Stbg 2010, 295 (298). 448  Kamps, ErbStB 2003, 163 (165 f.); nach Hartmann, ErbStB 2007, 170 (171) erst, wenn die Steuerschulden die Erben tatsächlich wirtschaftlich belasten. Nach der Rechtsprechung des BFH stellen hinterzogene Steuern vor Aufdeckung des verschwiegenen Sachverhalts keine wirtschaftliche Belastung dar (BFH v. 8.12.1993 – II R 118/89, BStBl. II 1994, 216); aus Sicht der Finanzverwaltung ist dies schon ab dem Zeitpunkt der Steuerentstehung der Fall.



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO111

Ablauf eines Veranlagungszeitraums. Im Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtsnachfolge entstand die Einkommensteuer eines Erblassers damit ipso iure bereits zu dessen Lebzeiten in korrekter Höhe und war im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 S. 2 AO lediglich wegen unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben ganz oder teilweise noch nicht festgesetzt.449 Hinter­ zogene Steuern des Rechtsvorgängers stellen außerdem erbschaftssteuerlich abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG dar, die gemäß § 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG die der Berechnung der Erbschaftssteuer zugrundeliegende Bemessungsgrundlage vermindern.450 Andererseits handelt es sich bei der Einkommensteuer um eine Personensteuer und grundsätzlich gilt das Leistungsfähigkeitsprinzip.451 Dabei soll § 153 Abs. 1 S. 2 AO selbstverständlich eine Besteuerung der Leistungsfähigkeit des Erblassers im entsprechenden, vorangegangenen Veranlagungszeitraum ermöglichen. Anlass zu Überlegungen gibt allerdings die Hand­ habung von Verlustvorträgen des Rechtsvorgängers. Der beim Erblasser ­entstandene Verlustvortrag nach § 10d Abs. 1 EStG kann vom Gesamtrechtsnachfolger nach neuer Rechtsprechung nicht in dessen eigene Veranlagung übernommen werden – er ist damit nicht „vererbbar“. Begründet wird dies damit, dass „nur derjenige Steuerpflichtige Aufwendungen und Verluste steuermindernd geltend machen könne, der sie getragen habe“.452 Das Bundesministerium für Finanzen untermauert diese Ansicht mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Demnach stellt die Einkommensteuer als Personensteuer lediglich auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen ab, die nicht über den Tod des Erblassers hinaus fortwirken könne und damit auch nicht übertragbar sei.453 Der Bundesfinanzhof hat sich in seiner Entscheidung dieser Ansicht angeschlossen und dabei noch einmal klargestellt, dass die Einkommensteuer als Personensteuer auf dem Prinzip der Individualbesteuerung beruhe und damit die persönliche Steuerpflicht mit dem Tod ende.454 Die Verlustfeststellung gelte dabei als Ausdruck personenbezogener negativer Leistungsfähigkeit und sei kein verkehrsfähiges Wirtschaftsgut, sodass auch die Erbenhaftung gemäß § 1967 Abs. 1 BGB i. V. m. § 45 AO kein anderes Ergebnis rechtfertige.455 Diese Außerachtlassung des Verlustvortrags lässt sich nach abweichender Ansicht allerdings schwer rechtfertigen, sodass in der Literatur beispiels449  Vgl. Hartmann, ErbStB 2007, 170 (170); Kamps, ErbStB 2003, 163 (164 f.); vgl. für den Entstehungszeitpunkt bei der Einkommensteuer: § 36 Abs. 1 EStG. 450  Eich, ErbStB 2003, 160 (162) m. w. N. 451  Kirchhof, StuW 1985, 319 (319 f.); Wulf, wistra 2006, 89. 452  BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, DStR 2008, 545 (545); ebenso: BMF v. 11.7.2002, BStBl. I 2002, S. 667. 453  BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, DStR 2008, 545 (546). 454  BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, DStR 2008, 545 (548). 455  Ibidem.

112

Kap. 1: Steuerrechtlicher Teil

weise vorgeschlagen wird, einen unbegrenzten Verlustrücktrag für den Erblasser zuzulassen und dessen Festsetzung nachträglich zu ändern.456 Nun drängt sich auf den ersten Blick umgekehrt der Gedanke auf, dass in den Fällen, in denen sich die erhöhte finanzielle Leistungsfähigkeit des Erblassers im in Rede stehenden Veranlagungszeitraums nicht mehr im Erbe niederschlägt, ebenfalls nur eine nicht übertragbare, individuelle Steuerschuld vorliegen könnte. Diesem Schluss steht jedoch entgegen, dass für die Einkommensteuer das Prinzip der Abschnittsbesteuerung gilt – d. h. jeweils nur die Leistungsfähigkeit eines entsprechenden Veranlagungszeitraums besteuert wird.457 Die interperiodische Verlustverrechnung dient damit als Ausgleich zwischen dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung.458 Ferner ist die steuerliche Auswirkung eines Verlustvortrags im Zeitpunkt seines Entstehens noch nicht absehbar, sodass sich der Verlustvortrag selbst – anders als ein Erstattungsanspruch – nicht als Forderung im Vermögen des Rechtsvorgängers niederschlägt. Auch daraus lässt sich damit kein Argument für die Einschränkung der Übertragbarkeit von Steuerschulden gewinnen. Außerdem ist der Gesamtrechtsnachfolger in seiner Entscheidung, ob er die Gesamtrechtsnachfolge antreten will, frei und könnte die Erbschaft ebenso nach §§ 1942 ff. BGB ausschlagen.459 Entscheidet sich der Erbe jedoch dafür, die Erbschaft anzunehmen, so haftet er auch für Verbindlichkeiten aus dem Nachlass nach § 1967 Abs. 1 BGB. Dem Institut der Gesamtrechtsnachfolge ist die Wertung immanent, dass jemand, der sich dazu entschließt, Vorteile aus der einseitigen Übertragung von fremdem Vermögen zu ziehen, im Gegenzug auch mit den aus diesen Vorteilen erwachsenden Nachteilen belastet sein muss. Dabei ist es unerheblich, ob der Erbe den Vorteil, aus dem die Schulden erwachsen sind, erlangt hat oder nicht. Schulden gemäß § 1967 BGB haben bereits zu Lebzeiten des Erblassers dessen Vermögen gemindert – dies soll auch gelten, wenn die Verbindlichkeiten vor dem Erbfall noch nicht fest begründet waren, sondern wenn sie nach dem Tod des Erblassers aus einer übertragenen vermögensrechtlichen Beziehung herrühren.460 Eine Anfechtung der Annahme einer Erbschaft ist in den Fällen nicht möglich, in denen das Vorhandensein von Schwarzgeld bzw. SteuerBeihefter zu DStR 34/2009, 101 (104). Abs. 1 EStG; dazu: Vogel, in: Brandis/Heuermann, § 10d EStG, Rn. 21. 458  Vogel, in: Brandis/Heuermann, § 10d EStG, Rn. 7, 21. 459  Dies zur Legitimität des § 153 Abs. 1 S. 2 AO anführend auch: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 59; ebenso: Burandt/Jensen, NWB 2012, 1433 (1433); Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 146; Kamps, ErbStB 2003, 163 (164). 460  Küpper, in: MüKo-BGB, § 1967, Rn. 9. 456  Wernsmann, 457  § 25



D. § 153 Abs. 1 S. 2 AO113

schulden lediglich die Erbmasse mindert.461 Übersteigen jedoch die Verbindlichkeiten die Erbmasse, besteht einerseits die Möglichkeit einer Nachlass­ insolvenz nach § 1975 BGB und andererseits die Möglichkeit einer Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB. Beides führt dazu, dass der Erbe nicht verpflichtet ist, für Schulden seines Rechtsvorgängers mit seinem privaten Vermögen zu haften. Es bestünde damit keine Zuzahlungspflicht mehr. Dafür verliert der Erbe jedoch die vollständige Erbmasse, die dafür genutzt wird, Schulden zu tilgen. Insgesamt ist es damit dem Institut der Gesamtrechtsnachfolge immanent, dass der Erbe für die ausstehende Steuer des Rechtsvorgängers einzustehen hat. Dass die Haftung nicht davon abhängt, ob eine Steuer im Zeitpunkt des Erbeintritts bereits festgesetzt war oder nicht, ergibt sich ebenfalls aus den allgemeinen steuerlichen Vorschriften. Im Ergebnis ist eine Festsetzung der Steuern des Erblassers gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolgers damit legitim und konsequent – auch in den Fällen, in denen die Steuerverbindlichkeiten das Erbe übersteigen und die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO damit eine erhebliche Belastung für die Erben darstellt.

461  Schaub,

ZEV 2011, 624 (625).

Kapitel 2

Strafrechtlicher Teil Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Nichtvornahme einer Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO als ­Steuerhinterziehung strafbar ist – respektive und ggf. davon abweichend von Rechtsprechung oder Literatur als strafbar angesehen wird. Damit eine Strafbarkeit bejaht werden kann, muss sowohl das Erfolgs- als auch das Handlungsunrecht bejaht werden.1 Im ersten Schritt wird damit geprüft, ob durch die Nichtberichtigung einer unrichtigen Erklärung der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen erfüllt und damit strafwürdiges Unrecht verwirklicht wird. In einem zweiten Schritt werden kursorisch die Anforderungen an das Handlungsunrecht diskutiert und damit die Frage geklärt, ob und inwieweit die entstandene Pflicht vom Verpflichteten nachvollzogen werden muss, um eine vorsätzliche Steuerhinterziehung bejahen zu können.

A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO Die Fälle der Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Berichtigungserklärung stellen unproblematisch eine eigenständige Steuerhinterziehung durch aktives Tun dar, soweit daraufhin eine neue, eigenständige verkürzte Steuerfestsetzung ergeht.2 Darauf wird daher im Folgenden nicht vertieft eingegangen. Umstritten sind die Fälle, in denen sich der Steuerpflichtige nach Entstehung der Berichtigungspflicht lediglich passiv verhält. Eine Missachtung der Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO könnte als Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar sein. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft denjenigen, der durch das pflichtwidrige In-Unkenntnis-Lassen einer Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen Steuern verkürzt oder einen anderen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt. JuS 1978, 8 (13); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 29. v. 17. 3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1985); Külz/Tottmann, PStR 2013, 165 (166); vgl. zur Thematik auch: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 156, wonach die aktive Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung nach Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen eine eigenständige Straftat verwirkliche. Auch soweit die Selbstbelastungsfreiheit betroffen wäre, rechtfertige diese nicht die Begehung von neuem Unrecht, sondern lediglich passives Verhalten. 1  H.-.L. Günther, 2  BGH



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO115

I. Grundlegendes zu § 370 Abs. 1 AO Die Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1 AO bildet den Kern des Steuerstrafrechts. Bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich grundsätzlich um ein unechtes Unterlassungsdelikt, das nicht nur das Unterlassen einer bestimmten Handlung bestrafen soll, sondern insbesondere, dass dadurch ein tatbestandlicher Erfolg nicht verhindert wurde.3 Die Steuerhinterziehung als Teil des Steuerstrafrechts ist in die Abgabenordnung und nicht in das allgemeine Strafgesetzbuch eingebettet. Das ist grundsätzlich charakteristisch für das Nebenstrafrecht4 und unproblematisch; allerdings sind im Gesetzgebungsverfahren der Finanzausschuss und das Finanzministerium zuständig, sodass zum Teil kritisiert wird, dass auch die Normen des Steuerstrafrechts eine „typisch steuerrechtliche Handschrift“ tragen.5 Geschütztes Rechtsgut des § 370 Abs. 1 AO ist nach herrschender Meinung das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen aller einzelnen Steuerarten6 und damit das öffentliche Vermögen.7

3  Schmitz, wistra 1993, 248 (249 f.); maßgeblich für die Einordnung als unechtes Unterlassungsdelikt ist, dass nicht die Nichterfüllung einer erfolgsunabhängigen Handlungspflicht von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfasst ist und Täter nicht jedermann sein kann; vgl. dazu im Allgemeinen: Kühl, JuS 2007, 497 (498); Satzger, JURA 2011, 432. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO könnte dabei in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO auch als echtes Unterlassungsdelikt mit Erfolgsbeschränkung gesehen werden. Die Vorschrift enthält in erster Linie das erfolgsunabhängige Gebot an den Steuerbürger steuerliche Mitwirkungspflichten zu erfüllen – die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO ist auch zu erfüllen, wenn dadurch ein ursprünglicher Erfolg beseitigt, aber durch die Nichtberichtigung kein neuer Erfolg verursacht wird. Lediglich die Bestrafung ist an den Eintritt einer Steuerverkürzung oder eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils gekoppelt; vgl. dazu: Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 26 (die Steuerhinterziehung wird allerdings nicht explizit erwähnt). Insoweit werden echte/unechte Unterlassungsdelikte nicht immer einheitlich definiert. 4  Unter dem Nebenstrafrecht versteht man nicht im StGB sondern in Nebengesetzen geregelte Straftatbestände, vgl. Raik, in: Weber Rechtswörterbuch unter „Strafrecht“. 5  Hellmann, DStJG Bd. 38 (2015), 53 (55). 6  BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, NStZ 1989, 273 (273); Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 29; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 53; Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 6; Goetzeler, Die rationalen Grundlagen des Steuerstrafrechts, S. 43; Moormann, Verwirklichungsstufen der Steuerhinterziehung, S. 25 f.; Suhr, Rechtsgut, S. 177; grds. auch Hellmann, DStJG Bd. 28 (2015), 53 (57), jedoch mit Verweis auf die „Unschärfe“ dieser Formel. 7  Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 144 m. w. N.; Jäger, in: Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht, S. 29 (33); Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 95.

116

Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

II. Strafbarkeit eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO Im Folgenden wird vertieft geprüft, in welchen Fällen sich eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auf eine Nichtvornahme der sich aus § 153 Abs. 1 AO ergebenden Pflicht stützen kann. Dabei werden zunächst Ansichten aus Rechtsprechung und Literatur dargestellt. Anschließend werden eigene Argumente zu den unterschiedlichen Tatbestandsvarianten, sowie Parallelen und Unterschiede zu Vermögensdelikten des Kernstrafrechts aufgezeigt und abschließend die Problematiken einer Lösung zugeführt. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt das „Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen“ als taugliche Tathandlung fest, während § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO das „in Unkenntnis lassen der Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen“ als Tathandlung pönalisiert. Dabei haben beide Begehungsvarianten denselben Kern: Der Täter wird dafür bestraft, dass er es unterlässt, rechtzeitig korrekte Angaben zu machen und damit die Finanzbehörde nicht in die Lage versetzt, Steuern in korrekter Höhe zu erheben.8 Grundsätzlich wird in der Literatur und Rechtsprechung vertreten, dass ein Verstoß gegen eine sich aus § 153 Abs. 1 AO ergebende Rechtspflicht als Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar ist.9 Aufgrund dieser pauschalen Bejahung einer Strafbarkeit, ohne dass die Herbeiführung eines Taterfolgs geprüft würde, wirft Fromm der Finanzverwaltung vor, oftmals eine Strafbarkeit zu konstruieren und den Steuerpflichtigen so von der „Brücke in die Steuerehrlichkeit“ stoßen zu wollen.10 Auch Drüen und Neuling zeigen die Gefahr einer „Überkriminalisierung“ im Zusammenhang mit einer Berichtigungspflicht nach § 153

ZStW Bd. 94 (1982), 888 (897). Nr. 2.5 und Nr. 5.3 zu § 153; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1985); Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 18; Jäger, in: Klein, § 370 AO, Rn. 63; Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 266; Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 3; Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 130; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 335; Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (499); Fromm, DStR 2014, 1747 (1748); K.-H. Günther, AO-StB 2016, 192; Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 124; Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 24; Kuhn, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 77; Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 214; Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1266); Stefan Schäfer, PStR 2021, 40 (41); Schott/Krug, PStR 2019, 220 (224); Schuster, JZ 2015, 27 (32); Sievert/Littich, PStR 2019, 227 (228); Steinhauff, AO-StB 2011, 269; Vogelberg, in: Simon/Vogelberg, S. 23; Wegner, SteuK 2016, 289 (291 f.); Wulf, Stbg 2010, 295 (298); vgl. auch kritisch dazu: Hoff, Handlungsunrecht, S. 95; ebenso für die Vorgängervorschrift §  165e AO a. F.: Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 28 m. w. N. 10  Fromm, DStR 2014, 1747 (1748). 8  Behrendt, 9  AEAO



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO117

Abs. 1 AO auf.11 Vor allem in unternehmerischen Sphären sind Berichtigungen gemäß § 153 AO an der Tagesordnung, ohne dass die ursprüngliche Abgabe einer falschen Erklärung strafrechtlich vorwerfbar wäre – Berichtigungen nach § 153 AO sind vielmehr „zwangsläufige Konsequenz des unternehmerischen Organismus“.12 Dennoch kommt es laut Neuling immer häufiger zu Kriminalisierungen in diesem Bereich, wenn beispielsweise eine Berichtigung nicht unverzüglich vorgenommen wird. Vor allem in den Fällen, in denen unklar ist, ob der Entstehung einer Berichtigungspflicht bereits eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung voranging, ist auf den ersten Blick keine rechtspolitische Notwendigkeit erkennbar, die Nichtberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO erneut unter Strafe zu stellen.13 Dabei wird oftmals übersehen, dass das Strafrecht als Sekundärordnung nicht zwangsläufig jeden Verstoß gegen eine Primärrechtsordnung – hier das Steuerrecht – erfassen soll. Zur Rechtfertigung einer Strafandrohung für einen außerstrafrechtlichen Pflichtverstoß braucht es vielmehr einer gesonderten Betrachtung der Strafwürdigkeit eines Handelns oder Unterlassens.14 Rechtsunsicherheiten im Rahmen der Auslegung, die im Rahmen des Steuerrechts noch hinnehmbar sind, können im Rahmen der Strafbewehrung nicht mehr geduldet werden, was sich aus der Wertung des Art. 103 Abs. 2 GG entnehmen lässt.15 Bei entsprechenden Unklarheiten ist folglich ein angemessener Ausgleich zu finden. 1. Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Der Täter muss zur Verwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben. Eine Strafbarkeit kann sich folglich nur ergeben, wenn der Täter eine Rechtspflicht zum Handeln und damit eine Garantenstellung innehatte.16 Dabei ist weder gesetzlich festgelegt noch in der Praxis im Einzelnen geklärt, welche Mitwirkungspflichten eine Garantenstellung i. S. d. § 370 DStJG Bd. 38 (2015), 219 (241); Neuling, DStR 2015, 558 (560). DStR 2015, 558 (560). 13  Wulf, PStR 2009, 190 (196). 14  Bülte, BB 2010, 607 (607). 15  Vgl. auch Bilsdorfer, DStR 2015, 1660 (1664). 16  Siehe Wortlaut der Norm: „pflichtwidrig“; vgl.: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 193; A. Müller, AO-StB 2002, 58 (58 f.); abweichend davon: Abramowski, Strafbefreiende Selbstanzeige, S. 170, wonach ein In-Unkenntnis-Lassen Täuschungscharakter haben müsste, was nicht der Fall wäre, wenn die Verweigerung der Mitwirkung ausdrücklich zu erkennen gegeben würde. Dies lässt sich mit dem Wortlaut der Norm jedoch nicht vereinbaren. 11  Drüen,

12  Neuling,

118

Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Abs. 1 Nr. 2 AO begründen können und wieweit diese im Einzelfall reicht.17 Grundsätzlich ergibt sich aus dem Kontext der Norm, dass alle Erklärungsund Mitwirkungspflichten der Abgabenordnung sowie der Einzelsteuergesetze zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals heranzuziehen sind.18 § 153 Abs. 1 AO betreffend ist grundsätzlich unstrittig, dass sich aus der Handlungserwartung der Primärrechtsordnung19 eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ergibt.20 Die Berichtigungsvorschrift statuiert nach herrschender Meinung eine strafrechtlich erhebliche Garantenpflicht und füllt damit das Blankettmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aus. a) Asymmetrische Akzessorietät Allgemein ist dennoch die Frage aufzuwerfen, ob das Strafrecht streng akzessorisch zum Steuerrecht ist und jeder Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO zugleich eine Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründen kann. Das Steuerrecht ist nach herrschender Meinung als Primärebene grundsätzlich unabhängig vom Strafrecht als Sekundärebene zu betrachten, sodass nicht jeder Verstoß gegen steuerrechtliche Normen zwingend in eine Strafbarkeit mündet.21 Auch im allgemeinen Strafrecht ist weitestgehend unstrittig, dass nicht jede außerstrafrechtliche Pflichtverletzung im Rahmen einer Primärordnung zugleich eine Strafbarkeit nach sich ziehen muss.22 Eine Ak17  Schindler, in: Beermann/Gosch, § 153 AO, Rn. 5; Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 193; Wulf, in: FS Samson, S. 619 (624). 18  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 154. 19  Insoweit klarstellend: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (574) – § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist demnach primär eine steuerverfahrensrechtliche Verwaltungsvorschrift. 20  Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 198; A. Müller, AO-StB 2002, 58 (61); vgl. auch: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 125. 21  BGH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, wistra 1983, 202; Bülte, BB 2010, 607 (608, 610); Seer, StB 1987, 128 (128); Teske, wistra 1988, 207 (207); Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 79, wonach dies u. a. aus § 393 Abs. 1 S. 1 AO abgeleitet wird; a. A.: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 125 m. w. N. 22  LG Düsseldorf v. 22.7.2004 – XIV 5/03, NJW 2004, 3275 (3276); Bülte, BB 2010, 607 (608, 610); Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 473; Dan­ necker, Steuerhinterziehung, S. 142; Dierlamm, StraFo 2005, 397 (397 f.); Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 208; Kaiser, Widerspruch und harte Behandlung, S. 116 (bei einem bloßen Verstoß gegen die Primärrechtsordnung spricht dieser von „lediglich bürgerlichem Unrecht“); Theile, ZIS 2011, 616 (628); vgl. auch Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflicht im Strafrecht?, S. 125–131, die sich dafür ausspricht, eine zivilrechtliche Pflichtenstellung nur ins Strafrecht zu übertragen, wenn die Handlungspflicht an individuelles Verhalten anknüpfe; vgl. zu weiteren Restriktionsbestrebungen bzgl. strafrechtsbegründender Wirkung von primärrecht­ lichen Pflichtverletzungen bei der Einwilligungsdogmatik im Rahmen ärztlicher Aufklärungspflichten: Greco, GA 2019, 684 (690 f.) und zu Korruptionsvorwürfen beim



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO119

zessorietät, die primärrechtliche Wertungen unmodifiziert in das Strafrecht als Sekundärordnung übernehmen würde, könnte vielmehr zu ungewollten Kriminalisierungen führen.23 Außerdem sind für Verstöße gegen Primärnormen in den jeweiligen Rechtsordnungen grundsätzlich bereits Rechtsfolgen vorgesehen, sodass nicht zwingend jede Konsequenz eines Verstoßes im Strafrecht zu suchen ist. Dabei gelten im Bereich des Strafrechts zum Teil auch andere Auslegungsansätze als in den Primärordnungen – für Strafnormen gilt generell eine restriktive Auslegung, während in Primärordnungen auch Analogien zulässig sind.24 Umgekehrt kann nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ein Verhalten, das nach der Primärrechtsordnung erlaubt ist, nicht mit strafrechtlichen Sanktionen belegt werden.25 Eine primärrechtliche Pflichtenstellung kann somit – muss aber nicht – in das Strafrecht übernommen werden, während eine strafrechtliche Pflichtenstellung nicht über die primärrechtliche hinausgehen darf. Der strafrechtliche Pflichtenbegriff ist damit regelmäßig enger als eine primärrechtliche Pflichtenstellung. § 153 Abs. 1 AO umschreibt somit abschließend ein Vorverhalten des Steuerpflichtigen, das eine Garantenstellung begründen kann – § 13 StGB kann insoweit nicht als Auffangnorm herangezogen werden, um eine Pflichtwidrigkeit zu begründen.26 Eine Garantenstellung kann nicht über den in § 153 Abs. 1 S. 1 AO umschriebenen Pflichtenkreis hinausgehen. Dennoch bleibt die Frage, ob diese Pflichtenstellung uneingeschränkt in das Steuerstrafrecht übernommen werden kann oder ob Restriktionen vorzunehmen sind. Exemplarisch für divergierende Pflichtenstellungen und starke Restrik­ tionsbestrebungen bezüglich der strafbarkeitsbegründenden Wirkung von Verstoß gegen Regeln des Hochschulrechts bei Drittmitteleinwerbung, kurz umrissen, in: Greco, GA 2019, 684 (693). 23  Greco, GA 2019, 684 (704), der eine derartige Akzessorietät als „passive Akzessorietät“ bezeichnet; sowie: Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 437; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflicht im Strafrecht?, S. 131 f.; Neumann, in: Strafrecht und Gesellschaft, S. 257 (270); vgl. auch: Kubiciel, NStZ 2005, 353 (355 f.), wonach bei der Untreue nach § 266 StGB der Tendenz vorzubeugen sei, jedem beliebigen Verstoß gegen die Primärrechtsordnung unabhängig vom Schutzzweck der Strafnorm eine strafbarkeitsbegründende Wirkung zu verschaffen. 24  Vgl. Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflicht im Strafrecht?, S. 126 f. 25  Vgl. S. 31. 26  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 115; vgl. auch die Ausführung zur Pflichtenstellung des Steuerberaters auf S. 29 f. Würde man diesem über den Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO hinaus eine Garantenstellung aus Ingerenz gem. § 13 StGB zuschreiben, so würde dies den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO umgehen und damit i. E. gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen.

120

Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

primärrechtlichen Pflichtverletzungen kann das Delikt der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB angeführt werden, bei dem es ebenfalls das Tatbestandsmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ auszufüllen gilt.27 Die Notwendigkeit einer Restriktion ergibt sich hierbei zum einen daraus, dass primärrechtliche Pflichtenstellungen häufig nicht klar umrissen sind28 und zum anderen aus der strukturellen Unbestimmtheit des Tatbestandes der Untreue – wobei umstritten ist, inwieweit außerstrafrechtliche Pflichtverletzungen unverändert übernommen werden können und dürfen.29 In diesem Zusammenhang wurde von Lüderssen die Begrifflichkeit der „asymmetrischen Zivilrechtsakzesso­ rietät“ geprägt.30 Für die Prüfung, ob der Tatbestand der Untreue erfüllt ist, soll zunächst auf einer ersten Stufe eine Verletzung einer zivilrechtlichen Pflicht festgestellt und auf einer zweiten Stufe geprüft werden, ob auch eine „gravierende Pflichtverletzung“ vorliegt.31 Diesbezüglich gibt es jedoch auch 27  Dazu sowie zum Folgenden: Jahn/Ziemann, in: Leitner/Rosenau, § 266 StGB, Rn.  9, 29 ff.; Dierlamm, StraFo 2005, 397; Kubiciel, NStZ 2005, 353. 28  Dazu ausführlich: Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 25, 63, wonach vor allem im Bereich von Unternehmen der Grat zwischen unternehmerischer Freiheit und pflichtwidriger Eingehung von Risiken schmal ist; die individuelle Ausfüllung des Pflichtenbegriffs im Beispiel eines Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft hängt demnach u. a. ab von Art und Größe des Unternehmens, der Konjunkturlage und der besonderen, übertragenen Aufgaben. Eine derartige Flexibilität ist auch notwendig, um die unternehmerische Freiheit zu gewährleisten. Das Eingehen von Risiken ist charakteristisch für eine unternehmerische Tätigkeit, sodass den Vorständen einer Aktiengesellschaft ein weiter Ermessensspielraum i. R. d. Lenkung eines Unternehmens einzuräumen ist. Dieser Ermessensspielraum kann jedoch auch nicht unbegrenzt gelten; der Vorstand ist dennoch verpflichtet, bei unternehmerischen Entscheidungen Risiken und Chancen abzuwägen. Die Grenzen hierbei sind jedoch fließend und je nach Einzelfall zu setzen. 29  Kubiciel, NStZ 2005, 353 (354). 30  Lüderssen, in: FS Lampe, S. 727 (729); ders., in: FS Eser, S. 163 (170); zustimmend: Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 473; Matt, NJW 2005, 389 (390); Theile, ZIS 2011, 616 (626). 31  Dieses Kriterium wird auch von der Rechtsprechung angewendet: BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, NJW 2002, 1585 (1587); BGH v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, NJW 2010, 3458 (3461); BGH v. 13.4.2011 – 1 StR 94/10, NStZ 2011, 403 (404); LG Hamburg v. 9.7.2014 – 608 KLs 12/11, BeckRS 2015, 9104; zustimmend: Dierlamm, StraFo 2005, 397 (397, 404); abweichend: BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, NJW 2006, 522 (526). Als Kriterien für die Bejahung strafwürdigen Verhaltens gelten dabei bspw. eine fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, Unangemessenheit einer Handlung im Hinblick auf Ertrags- und Vermögenslage, fehlende innerbetriebliche Transparenz und das Vorliegen sachwidriger Motive; vgl. BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 115/01, NJW 2002, 1585 (1587). Kubiciel stellt für die Gravität einer Pflichtwidrigkeit i. R. d. § 266 StGB darauf ab, ob sich eine Entscheidung noch auf die Verfolgung von Gesellschaftszwecken zurückführen lässt oder ob sie als „nicht im Sinne des Vermögens­ inhabers“ angesehen werden muss, siehe: Kubiciel, NStZ 2005, 353 (360).



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO121

Gegenstimmen in der Literatur: Schünemann schreibt dem Kriterium der „gravierenden Pflichtverletzung“ einen Widerspruch zum grundsätzlich sehr weit gefassten unternehmerischen Spielraum zu.32 Seiner Ansicht nach handelt es sich bei dem von Rechtsprechung und Literatur aufgestellten Kri­ terium der „Gravität“ in Wahrheit lediglich um eine Konkretisierung des Ermes­ sensspielraums der vermögensbetreuungspflichtigen Täter und eine Voraus­setzung des Vermögensschadens bei Risikogeschäften – folglich eine Konkretisierung der objektiven Zurechnung.33 Schünemann lehnt damit im Ergebnis eine Akzessorietät zum Zivilrecht im Ganzen ab.34 Auch Greco kritisiert die inhaltliche Unbestimmtheit dieser angeblichen Konkretisierung.35 Darüber, dass nicht jede primärrechtliche Pflichtverletzung automatisch strafwürdig ist, besteht allerdings sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur Einigkeit. Vergleichbar dazu war im Gutachten des Reichsfinanzhofs, das zur Implementierung des § 165e RAO – der Vorgängernorm des § 153 Abs. 1 AO – führte, für die steuerliche Pflicht eine Erheblichkeitsschwelle vorgesehen. Eine Berichtigung musste demnach nicht vorgenommen werden, wenn „der Fehler wegen seiner Geringfügigkeit offenbar völlig bedeutungslos [war]“.36 Eine derartige Einschränkung ergibt sich aus der geltenden Gesetzesfassung nicht – wobei auch hier angedacht werden kann, das Merkmal der Pflichtwidrigkeit zu verneinen, wenn die steuerliche Auswirkung der Unrichtigkeit sich nur auf Kleinstbeträge bezieht. Herangezogen werden könnte § 1 Kleinbetragsverordnung (KBV), wonach Steuerfestsetzungen nur geändert werden, wenn sich eine Abweichung von über 10 Euro ergibt. Im Übrigen wird einer lediglich minimalen Rechtsgutsverletzung bereits durch die Möglichkeit des Absehens von Strafverfolgung wegen Geringfügigkeit nach § 398 AO Rechnung getragen. Insoweit ist folglich über einen Änderungsbetrag von 10 Euro hinaus keine Einschränkung beim Transfer der Handlungserwartung ins Strafrecht vorzunehmen. Darüber hinaus sind strafrechtliche Grundsätze der Auslegung der ausfüllenden Norm zugrunde zu legen, sodass sich im Einzelfall Abweichungen von der steuerrechtlichen Einstandspflicht ergeben können. Die grundsätz­ liche Möglichkeit einer Korrektur ergibt sich bereits aus den Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 AO. Durch die nachträgliche Kenntnisnahme entsteht die Pflicht und gleichzeitig wird der Steuerpflichtige damit auch in die Lage versetzt eine Berichtigung vorzunehmen. Inwieweit sich aus einer Kollision ZIS 2012, 183 (192); ders., NStZ 2005, 473 (476). ZIS 2012, 183 (191); ders., NStZ 2005, 473 (476). 34  Schünemann, ZIS 2012, 183 (194). 35  Greco, GA 2019, 684 (699, 704). 36  Gutachten des RFH v. 4.12.1933, RStBl. 1934, 24 (24). 32  Schünemann, 33  Schünemann,

122

Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

mit der Selbstbelastungsfreiheit eine Unzumutbarkeit ergeben kann, wird im dritten Kapitel dieser Arbeit noch vertieft dargestellt.37 b) Bedingter Vorsatz im Vorfeld Im ersten Kapitel wurde bereits geklärt, dass sich eine primärrechtliche Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO im Grundsatz auch dann ergibt, wenn dem nachträglichen Erkennen bereits eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung vorausgegangen ist und die Pflicht zur Berichtigung daher im Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen steht. Der Selbstbelastungsfreiheit ist grundsätzlich auf der Sekundärebene Rechnung zu tragen und diese ist lediglich für die Bestimmung der steuerrechtlichen Pflichtenstellung in Form einer verfassungskonformen Auslegung heranzuziehen, wenn im Strafverfahrensrecht kein angemessener Ausgleich zu finden ist. In welchen Fällen tatsächlich die Gefahr einer Selbstbelastung gegeben und § 393 Abs. 1 S. 2 AO einschlägig ist, wird vertieft im dritten Kapitel dieser Arbeit diskutiert.38 Dabei soll die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO und ggf. auch eine Erklärung nach § 398a AO bereits eine Selbstbelastung ausschließen. Generell gilt nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO: Im Besteuerungsverfahren sind Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat zu belasten. Nun stellt sich jedoch die Frage, ob eine nur zur Aufrechterhaltung der steuerrechtlichen Schätzungsmöglichkeit fortbestehende Pflicht39 – deren Erfüllung nicht erzwingbar ist – geeignet ist, eine strafrechtliche Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu begründen. Die formale, primärrechtliche Pflichtenstellung kann dabei nach dem Grundsatz der asymmetrischen Pflichtakzessorietät jedenfalls nicht ohne weitere Prüfung in das Strafrecht übernommen werden. Das Zwangsmittelverbot enthält die gesetzgeberische Wertung, dass eine Pflicht, bei deren Erfüllung ein Steuerpflichtiger sich selbst belasten müsste, unzumutbar ist. Soweit eine formell bestehende Pflicht nicht mehr mit Zwang durchgesetzt werden kann, besteht sie aus materieller Sicht nicht mehr – es handelt sich nur noch um eine Obliegenheit.40 Die Terminologie eines „Weiterbestehens der Mitwirkungspflichten“ ist damit eher dogmatischer Natur – denn einer Pflicht, die mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, ist ein anderer 37  Siehe

S. 314 ff. ab S. 297; das Zwangsmittelverbot ist dabei bspw. nicht einschlägig, wenn eine strafbefreiende Selbstanzeige möglich ist. 39  Dazu S. 56 sowie Kap. 1 Fn. 209. 40  Zum lediglich dogmatischen Fortbestehen der Pflicht: Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (452); Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 171; Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 40. 38  Siehe



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO123

Wert zuzumessen als einer, die nicht zwangsweise durchsetzbar ist. Das Zwangsmittelverbot geht somit auch mit einer inhaltlichen Veränderung der betreffenden Mitwirkungspflicht einher: Die Pflicht existiert aus materieller Sicht nicht mehr.41 Kann ein Steuerpflichtiger nicht mit Zwangsmitteln dazu gezwungen werden, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, so ist die Finanzbehörde entweder darauf angewiesen, dass die Pflicht freiwillig erfüllt wird oder dass sie selbst die Steuerstraftat aufdeckt. Wenn die Erfüllung einer Pflicht allerdings freiwillig und nicht verbindlich ist, kann es sich nicht mehr um eine Pflicht im materiellen Sinne handeln. Es könnte zwar angedacht werden, dass durch die Strafandrohung wieder eine Durchsetzbarkeit gegeben wäre – darin würde jedoch ein Fehlschluss liegen. Das Steuerstrafrecht soll das Steuerrecht als Primärordnung schützen und nicht regelnd in diese eingreifen. Es wäre paradox, wenn der Steuerpflichtige aufgrund der Anwendung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht durch Verwaltungszwang, jedoch durch eine Strafandrohung angehalten werden könnte, seinen steuerlichen Pflichten nachzukommen.42 Insofern würde es sich widersprechen, wenn der Gesetzgeber durch das Zwangsmittelverbot einerseits deutlich macht, dass in den Fällen einer Selbstbelastungsgefahr die Durchsetzung von Mitwirkungspflichten mit Zwangsmitteln für den Betroffenen nicht zumutbar ist – andererseits die Nichterfüllung der formell weiterbestehenden Mitwirkungspflicht aber unter den Begriff der „Pflichtwidrigkeit“ i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO subsumiert würde und sich der Betroffene dadurch zu einer Mitwirkung gezwungen sähe, um einer Strafbarkeit zu entgehen. Kommt der Steuerpflichtige einer unzumutbaren Handlungspflicht nicht nach, kann dies richtigerweise keine Strafbarkeit nach sich ziehen. Die Zumutbarkeit begrenzt die rechtliche Gebotenheit von Handlungspflichten.43 In der Literatur werden 41  Vgl. S. 56; sowie Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (452); Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 40; vgl. auch: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 86. 42  Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166 (169); Aselmann, NStZ 2003, 71 (72–74); Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 59; Böse, wistra 2003, 47 (47); Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 215 f.; Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (366); Rogall, NStZ 2006, 41 (42); Seer, StB 1987, 128 (130); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 103; vgl. dazu auch: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 57, der die Problematik jedoch dadurch als gelöst ansieht, dass die Rechtsprechung sobald ein Strafverfahren eingeleitet wurde, eine Suspendierung der Strafbewehrung der Pflichten in Bezug auf den betroffenen Veranlagungszeitraum und die betroffene Steuerart annimmt; siehe dazu: S. 303 ff. 43  OLG Hamm v. 12.2.1959 – 2 Ss 156/158, JZ 1960, 95 (97); Bosch, in: Schönke/ Schröder, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. StGB, Rn. 155; Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 71, 157 ff.; Gosch, Strafbarkeit trotz finanziellen Unvermögens, S. 5 f., 26 f.; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 89; zur Anerkennung der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als besonderen Entschuldigungsgrund bei Unterlassungsdelikten und damit im Ergebnis zu einer Straflosigkeit gelangend: Torka, Nachtatverhal-

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Forderungen laut, in derartigen Fällen im Rahmen der Unterlassensstrafbarkeit ein Hauptaugenmerk der Prüfung auf die Zumutbarkeit normgetreuen Verhaltens zu legen und § 370 AO mit Blick auf die Konfliktlage restriktiv auszulegen.44 Dabei wird im Strafrecht nach herrschender Meinung die Prüfung der Zumutbarkeit einer unterlassenen Handlung in der Schuld verortet.45 In den diskutierten Konstellationen schließt jedoch die Unzumutbarkeit bereits die materielle steuerrechtliche Handlungspflicht aus – es ist damit zwingend an das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit anzuknüpfen. Für die Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO muss im Ergebnis die – in den Fällen des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht bestehende – materielle und nicht die formale Pflichtenstellung maßgeblich sein. Das Zwangsmittelverbot geht somit mit einem Strafbarkeitsausschluss in Bezug auf dieselbe unterlassene Handlung einher.46 Essentiell ist dabei, dass das Zwangsmittelverbot keine Anwendung findet, wenn durch ein Unterlassen einer Mitwirkung neues Unrecht verwirklicht wird – entscheidend für die Strafbarkeit einer unterlassenen Berichtigung nach vorangegangener, bedingt vorsätzlicher Steuerhinterziehung ist damit, ob durch die Nichtberichtigung ein neuer, eigenständiger tatbestandlicher Erfolg eintritt – was nach hier vertretener Ansicht selten der Fall ist.47

ten und Nemo tenetur, S. 166; auch laut AEAO Nr. 5.2 zu § 153 bestehe die Pflicht nach § 153 AO nur insoweit, als dem Steuerpflichtigen die Befolgung seiner Pflicht unter Beachtung des nemo-tenetur-Grundsatzes zumutbar ist, er also durch die Berichtigungserklärung nicht an seiner eigenen Verurteilung mitwirken müsste. 44  Vgl. dazu OLG Hamburg v. 7.5.1996 – 2 StO 1/96, wistra 1996, 239 (240); Aselmann, NStZ 2003, 71 (75); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 102 f.; Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (780), der insoweit von der „verfassungsrechtlichen Theorie“ spricht, da nach dieser Ansicht § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verfassungskonform ausgelegt werden müsse; vgl. auch Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 82, der in den Fällen einer Selbstbelastungsgefahr die Pflichtwidrigkeit des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund Unzumutbarkeit verneint. 45  Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 506 – bei den Ausführungen wird aber verkannt, dass durchaus Fälle denkbar sind, in denen die Abgabe einer wahrheitsgemäßen Erklärung unzumutbar ist; vgl. zur Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund, wenn die tatbestandliche Handlung kausal für eine „Eigen-Überführung“ des Täters wäre: Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, S. 193 f.; a. A.: Fischer, StGB, § 13, Rn. 81, wonach es widersprüchlich wäre, im Tatbestand eine Handlungspflicht erst zu bejahen und diese in der Schuld wieder auszuschließen. 46  I. E. fordert auch Berthold (Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 106–125, 131 f.) eine zwingende Straflosigkeit; diese soll jedoch durch eine Ergänzung des § 370 Abs. 1 AO um einen persönlichen Strafausschließungsgrund herbeigeführt werden, nachdem sich nicht strafbar macht, wer sich durch eine Erklärung der konkreten Gefahr einer Strafverfolgung bezüglich einer vorangegangenen Steuerhinterziehung aussetzen würde – soweit nicht die Möglichkeit einer Selbstanzeige bestünde. 47  Siehe die ausführlichen Erläuterungen auf S. 138 ff.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO125

Konträr dazu ergibt sich laut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Zumutbarkeit der Berichtigungspflicht und eine daraus folgende Strafbewehrung dieser jedoch daraus, dass in den genannten Fällen soweit belastende Informationen offenbart werden müssen, ein Verwertungsverbot anzunehmen sei.48 Dass sich diese Ansicht jedoch mit dem vom Gesetzgeber etablierten Schutzsystem im Falle einer Selbstbelastung und den in der Abgabenordnung niedergelegten Wertungen nicht vereinbaren lässt, wird ab S. 314 ff. ausführlich dargestellt. c) Zwischenfazit Bis hierhin ist festzustellen, dass nach den Grundsätzen der asymmetrischen Akzessorietät nicht jeder Verstoß gegen die steuerliche Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO automatisch eine strafrechtliche Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründen kann. Insoweit ist zwischen dem Steuerrecht und dem Strafrecht zu trennen. In einem zweiten Schritt wurde herausgearbeitet, dass sich jedenfalls im Anwendungsbereich des Zwangsmittelverbots nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO keine derartige Pflichtwidrigkeit ergeben kann. Kann eine steuerliche Pflicht nicht mehr mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, so handelt es sich nur noch um eine „entkernte“, lediglich formale Pflicht. Bereits dem Steuerrecht ist dabei die Wertung immanent, dass die erzwungene Erfüllung der Pflicht nicht mehr zumutbar ist. Insoweit kann diese „entkernte“ Pflicht auch für das Strafrecht keine Garantenstellung begründen. Anders wird dies jedoch von der herrschenden Meinung gesehen. d) Systemfremde Garantenstellung Die herrschende Meinung ist ferner mit Blick auf einen möglichen Taterfolg darauf zu untersuchen, ob sie eine systemfremde Garantenstellung konstruiert, die nicht mit dem grundsätzlichen Verständnis einer strafrechtlichen Garantenstellung zu vereinbaren ist. Die Ursache der Entstehung der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO stammt zwar aus der Sphäre des Verpflichteten – sei es, weil dieser selbst eine fehlerhafte Erklärung abgegeben hat oder weil diese für ihn abgegeben wurde. Eine solche strafrechtliche Einstandspflicht bei einem gefahrverursachenden Vorverhalten entspricht grundsätzlich allgemeinen Wertungen des Kernstrafrechts nach § 13 StGB und ist vergleichbar mit einer Garantenstellung aus Ingerenz, die – verkürzt gesagt – denjenigen, der durch ein gefährliches Vorverhalten eine Gefahr geschaffen hat, zwingt, die Realisierung dieser Gefahr zu verhindern.49 Der 48  BGH 49  Vgl.

v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1987). Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 StGB, Rn. 2.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Berichtigungspflicht ist allerdings nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO auch nachzukommen, wenn eine Steuerverkürzung bereits eingetreten ist und demnach unmittelbar nicht mehr verhindert werden kann. Insoweit wird ggf. eine Pflicht zur Rückgängigmachung eines Erfolgs konstruiert, die sich ansonsten im Kernstrafrecht nicht findet. In den folgenden Ausführungen wird zum einen danach unterschieden, ob eine Steuerverkürzung bereits eingetreten ist oder nicht, und zum anderen danach, ob die Abgabe der unrichtigen Erklärung vorsätzlich erfolgte oder nicht. aa) Vor bereits erfolgter Festsetzung Wurde die ursprüngliche Erklärung schuldlos oder fahrlässig fehlerhaft abgegeben, so ist die entstehende Erfolgsverhinderungspflicht deckungsgleich mit dem Kernstrafrecht. Sollte der zu verhindernde Erfolg allerdings gerade durch vorsätzliches Verhalten herbeigeführt werden, ist umstritten, ob eine allgemeine Garantenstellung aus Ingerenz nach § 13 StGB vorliegt. Es mutet nach einer Ansicht paradox an, den Täter aufgrund einer Begehungstat zu bestrafen und ihm zugleich im Rahmen einer Unterlassungstat vorzuwerfen, den durch diese Begehungstat herbeigeführten Erfolg nicht verhindert zu haben. Eine Garantenstellung ist demnach nach einer Ansicht zu verneinen.50 Dafür, dass dies auch hier gelten soll, könnte die gesetzgeberische Entscheidung sprechen, den Steuerpflichtigen, der die Unrichtigkeit seiner Erklärung bereits positiv kannte, ausdrücklich nicht zur Berichtigung gemäß § 153 Abs. 1 AO zu verpflichten. Wie bereits dargestellt, zielt diese Einschränkung allerdings eher auf eine Klarstellung in Bezug auf § 393 Abs. 1 S. 2 AO ab.51 Zum Teil wird auch vertreten, dass eine Garantenstellung erst recht entstehe, wenn ein Täter vorsätzlich die Bedingungen für einen Erfolgseintritt geschaffen hat. In diesen Konstellationen müsse jemand, der vorsätzlich gehandelt hat, im selben Maße zu Erfolgsabwendung verpflichtet sein, wie jemand, der lediglich fahrlässig oder nicht vorwerfbar gehandelt hat.52 In solchen Fällen würde der Täter damit eine Strafbarkeit durch aktives Tun und eine Strafbarkeit durch Unterlassen verwirklichen – beide Verhaltensweisen wären kausal für den 50  BGH v. 24.10.1995 – 1 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 131; BGH v. 27.3.1953 – 1 StR 689/52, NJW 1953, 1070 (1071); Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 214 f.; vgl. dazu auch Hellmann, DStJG Bd. 38 (2015), 53 (64–66), nach dem es allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen widerspricht, nach einer vollendeten Strafbarkeit durch aktives Tun noch einmal eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen anzunehmen, wenn der strafrechtliche Erfolg nicht beseitigt wird. 51  Vgl. S. 66 f. 52  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 128; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 1197.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO127

Erfolgseintritt. Die Unterlassungstat würde allerdings in diesen Fällen hinter der vorsätzlichen Tat zurücktreten. Nachdem das Unterlassen einer Erfolgsabwendung im Zeitraum zwischen der strafrechtlich relevanten Handlung und dem Erfolgseintritt einem vorsätzlichen Begehungsdelikt immanent ist, könne dem Unterlassen kein eigenständiger Unrechtsgehalt beigemessen werden. Es erfolgt damit in diesen Konstellationen lediglich eine Bestrafung aufgrund des vorsätzlichen, vollendeten Begehungsdelikts. Diese Ansicht zielt v. a. auf die Vermeidung von Strafbarkeitslücken: Es ist eine Teil­ nehmerstrafbarkeit an der Unterlassungstat möglich. Nach dieser Ansicht ist es somit nicht systemfremd, dass § 153 Abs. 1 S. 1 AO aus strafrechtlicher Sicht eine Pflicht statuiert, nach der eine Steuerverkürzung zu verhindern ist, für die bedingt vorsätzlich die Bedingung gesetzt wurde. Soweit die ursprüngliche Erklärungsabgabe bedingt vorsätzlich falsch erfolgte und im Zeitpunkt der Entstehung der Berichtigungspflicht noch keine Steuerfestsetzung erfolgt ist, steht grundsätzlich auch eine Versuchsstrafbarkeit im Raum, sodass eine Anwendung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO anzudenken wäre. Die Abgabe einer unrichtigen Erklärung stellt bei Veranlagungssteuern jedenfalls schon ein unmittelbares Ansetzen zu einer Steuerhinterziehung dar.53 Denkbar ist, dass eine diesbezügliche Selbstbelastung zu einer Unzumutbarkeit der Berichtigung führt. Allerdings führt die Berichtigungserklärung vor Erfolgseintritt automatisch zu einem strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB und ist damit zumutbar. Der Täter setzt sich nicht der Gefahr aus, sich einer Strafverfolgung zuzuführen. Die Freiwilligkeit des Rücktritts wird auch nicht durch das Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung beseitigt – der Steuerpflichtige gibt dennoch eine autonome Erklärung ab.54 Es ergibt sich damit in diesen Situationen grundsätzlich keine unzumutbare Zwangslage für den Steuerpflichtigen und ein Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit besteht nicht. Vor bereits erfolgter Steuerfestsetzung ist eine entsprechende Garantenstellung mit der Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen jedenfalls zu vereinbaren. bb) Nach bereits erfolgter Festsetzung In Fällen, in denen bereits eine verkürzte Steuerfestsetzung eingetreten ist, ergibt sich durch die Bejahung einer Garantenstellung aus § 153 Abs. 1 AO auf den ersten Blick ein Widerspruch zur übrigen Unterlassungsdogmatik des Kernstrafrechts. Bülte vertritt die Ansicht, dass dem Steuerpflichtigen – nachdem er sich durch die Herbeiführung eines tatbestandlichen Erfolges bereits strafbar gemacht hat – gerade keine Garantenstellung mehr zukomwistra 2001, 287 (287). Handeln und Unterlassen, S. 80 f.

53  Rolletschke, 54  Wulf,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

men soll.55 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Eine Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten statuiert lediglich eine Erfolgsabwendungsund gerade keine Erfolgsbeseitigungspflicht.56 Es wird lediglich die vorsätzliche Nichtverhinderung eines drohenden Erfolges, für den der Täter bereits zuvor die Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen hat, als strafwürdiger Erfolg betrachtet.57 Grunst leitet daraus, dass § 153 Abs. 1 AO auch bereits eingetretene Steuerfestsetzungen erfasst, ab, dass die Strafbarkeit keine Ingerenzkonstruktion darstelle, sondern dass die Vorschrift gerade auch die Belassung eines Vorteils verhindern soll.58 Dem ist mit Blick auf den Sinn und Zweck der Berichtigungsvorschrift zuzustimmen – allerdings kann § 153 Abs. 1 AO nur zur Ausfüllung des Merkmals der „Pflichtwidrigkeit“ herangezogen werden und aus dem Zweck der Primärvorschrift nicht darauf geschlossen werden, dass die Belassung einer zu niedrigen Steuerfestsetzung einen strafwürdigen Erfolg i. S. d. § 370 Abs. 1 AO darstellt. Wurden Rechtsgüter einer anderen Person verletzt, so ergeben sich bei Erfolgsdelikten zwar regelmäßig Ausgleichsansprüche aus dem Primärrecht – werden aber beispielsweise zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nicht erfüllt, ergibt sich daraus keine eigenständige Strafbarkeit.59 Etwas anderes könnte sich lediglich ergeben, wenn durch das weitere Unterlassen einer Handlung ein neues, eigenständiges Rechtsgut gefährdet oder verletzt wird. Exemplarisch anzuführen ist dabei die Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 StGB, wodurch zivilrechtliche Entschädigungsansprüche der Unfallgegner geschützt werden sollen.60 Durch das Entfernen vom Unfallort wird allerdings keine ggf. im Rahmen des Unfalls begangene Tat, wie z. B. eine Körperverletzung oder Sachbeschädigung, wiederholt oder vertieft. Inwieweit die Missachtung 55  Vgl.

dazu: Bülte, BB 2010, 607 (612). Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 283; Kühl, JuS 2007, 497 (497); vgl. auch: Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 80, der lediglich in den Fällen eine strafrechtliche Vorwerfbarkeit einer unterlassenen Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO bejaht, in denen der Taterfolg noch nicht eingetreten ist und dem Steuerpflichtigen noch die Möglichkeit offensteht, den Erfolgseintritt zu verhindern. 57  Vgl. zur Garantenstellung aus Ingerenz: Schneider, in: MüKo-StGB, § 212, Rn. 23, wobei diese allerdings umstritten ist, wenn das gefährliche Vorverhalten nicht pflichtwidrig war. 58  Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 94. 59  Dazu, dass § 153 Abs. 1 AO u. a. dieselbe Zweckrichtung wie zivilrechtliche Schadensverhinderungs- und Schadensverminderungspflichten verfolgt: Hornig, PStR 2019, 291 (293). 60  Dazu ausführlich: Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 54–59; vgl. ebenso: Brüning, ZJS 2/2008, 148 (148), wonach die Norm auch mit Blick auf den nemo-tenetur-Grundsatz als verfassungsgemäß anzusehen sei, da die Ermöglichung der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche keiner Zuführung zur Strafverfolgung gleichstehe; kritisch: Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 87. 56  Vgl.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO129

des § 153 Abs. 1 AO einen eigenständigen Erfolg herbeiführen kann, wird im nächsten Punkt herausgearbeitet. e) Fazit Im Ergebnis ist festzustellen, dass nicht jede sich aus § 153 Abs. 1 S. 1 AO ergebende Pflichtenstellung eine Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründet. Insoweit besteht eine asymmetrische Pflichtenakzessorietät. Soweit eine Berichtigungspflicht mit einem Selbstbelastungszwang einhergeht und das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO einschlägig ist, fehlt es einer Pflichtwidrigkeit am Bestehen einer materiellen Pflicht. Die im Steuerrecht zur Ermöglichung einer Schätzung formell fortbestehenden Mitwirkungspflichten können nicht zu einer strafrechtlichen Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führen, da die Regelung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO deutlich macht, dass eine Mitwirkung in den Fällen einer Selbstbelastung dem Betroffenen nicht mehr zumutbar ist und gerade nicht mehr erzwingbar sein soll. Zur weiteren Begründung dieser extensiven Auslegung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO wird auf S. 314 ff. verwiesen. In welchen Fällen tatsächlich die Gefahr einer Selbstbelastung und damit eine Unzumutbarkeit gegeben ist, wird ebenfalls im dritten Kapitel dieser Arbeit vertieft dargestellt. Ferner ist zu beachten, dass § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht einschlägig ist, wenn durch das Unterlassen ein neues Unrecht eintreten würde. Dieser Punkt ist auch im Übrigen für die Beantwortung der Frage nach der Strafbarkeit einer unterlassenen Berichtigung nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO entscheidend. Die Steuerhinterziehung ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet, sodass die Garantenpflicht in der Unterlassungsvariante eine Erfolgsabwendungs- und keine Erfolgsbeseitigungspflicht darstellt. Soweit es gilt, einen tatbestandlichen Erfolg zu verhindern, ist einer Garantenstellung bei einer vorangegangenen vorsätzlichen Gefahrverursachung nichts entgegenzusetzen. Entsteht die Pflicht allerdings erst, wenn bereits eine zu niedrige Steuerfestsetzung ergangen ist, ist entscheidend, ob auch nach bereits erfolgter Steuerfestsetzung durch das Unterlassen einer Berichtigung noch ein eigenständiger tatbestandlicher Erfolg eintreten kann. 2. Taterfolg Im Folgenden wird darauf eingegangen, worin der Taterfolg bei einem Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO liegen kann und welche Anforderungen an den Taterfolg einer Steuerhinterziehung im Allgemeinen gestellt werden. In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage, worin der strafrechtlich relevante Erfolg des Nichtberichtigens nach § 153 Abs. 1 AO liegt, häufig ver-

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

nachlässigt. Es erfolgt oftmals eine pauschale Bejahung einer Strafbarkeit, ohne überhaupt zu thematisieren, worin der Taterfolg einer Missachtung der Berichtigungspflicht überhaupt liegen könnte.61 Die Ausführungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung lassen darauf schließen, dass jeder vorsätzliche Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO zugleich als Straftat gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu werten sei. Dem eindeutigen Wortlaut des § 370 Abs. 1 a. E. AO zufolge muss allerdings auch ein Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO zu einem Taterfolg in Form einer Steuerverkürzung oder eines anderen nicht gerechtfertigten Steuervorteils führen – eine Bestrafung als Steuerhinterziehung kann sich nicht allein auf die Missachtung einer steuerlichen Mitwirkungspflicht stützen.62 Es ist damit im Folgenden herauszuarbeiten, worin der zu bestrafende Erfolg in den entsprechenden Fallkonstellationen liegen soll. Dabei wird danach unterschieden, ob im Zeitpunkt der Entstehung der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO bereits eine Steuerfestsetzung ergangen ist oder nicht. Soweit dies bereits der Fall war, wird relevant, ob ein bereits eingetretener Erfolg wiederholt oder vertieft werden kann.63 Zugrunde gelegt werden soll den folgenden Ausführungen der Fall einer unrichtigen bzw. unvollständigen Einkommensteuerjahreserklärung, deren Unrichtigkeit nachträglich positiv erkannt, einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO aber nicht nachgekommen wird. Bei einem Erfolgsdelikt muss der durch eine strafbare Tat verursachte Sozialschaden auf der Normverletzung beruhen. Zur Bejahung eines solchen Beruhens ist „ein funktionaler Zusammenhang zwischen der verbotenen Handlung und dem Schadenseintritt“ erforderlich.64 Damit ist im Rahmen der Prüfung des Taterfolgs zugleich auf die Kausalität einzugehen, die als Bindeglied zwischen dem Verhalten des Täters – sei es nun ein Handeln oder 61  FG München v. 6.9.2006 – 1 K 55/06, DStRE 2007, 1054 (1057); hierzu ebenfalls kritisch: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 131; Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (21); Witte, Steuerhinterziehung, S. 34; von Witten, NJW 1960, 567 (568); vgl. auch: Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (67). 62  Vgl. dazu den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO: „(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer […] die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder […] und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.“ (Hervorhebung durch Verfasserin). Ausdrücklich auf das Erfolgserfordernis auch bei Steuerhinterziehungen durch Unterlassen hinweisend: Schmitz, wistra 1993, 248 (254). 63  Die Möglichkeit einer wiederholten Begehung einer Steuerhinterziehung grds. bejahend: Rolletschke, wistra 2002, 332; Ch. Schneider, wistra 2001, 408. 64  Schünemann, ZIS 2016, 654 (664).



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO131

Unterlassen – und dem eingetretenen tatbestandlichen Erfolg fungiert.65 Dass es sich bei einer Nichtvornahme einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO jedenfalls um ein Unterlassen handelt, ist unstrittig. Auch dass es zu irgendeinem Zeitpunkt bereits zu einer Steuerverkürzung kam oder eine solche noch möglich erscheinen muss, ist Teil der Voraussetzungen der steuerrechtlichen Berichtigungsvorschrift. Maßgeblich für eine Strafbarkeit ist jedoch, ob die Nichtvornahme der Berichtigung auch kausal für den Eintritt einer Steuerverkürzung war. Aus diesem Grund wird die Kausalität im Folgenden bereits bei der Prüfung eines tauglichen Taterfolges miteinbezogen. Ob Kausalität gegeben ist, wird bei Unterlassungsdelikten danach festgestellt, ob bei einem Hinzudenken der unterlassenen Handlung der tatbestandliche Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre (hypothetische bzw. Quasi-Kausalität).66 a) Erfolg nach § 370 Abs. 1 AO Zunächst erfolgt ein kursorischer Überblick darüber, welche grundlegenden Charakteristika der Taterfolg der Steuerhinterziehung aufweisen muss – vertiefende Ausführungen erfolgen lediglich, soweit diese im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO relevant werden. § 370 Abs. 1 Hs. 2 AO statuiert, dass der Steuerpflichtige durch sein Unterlassen Steuern verkürzt oder einen nicht gerechtfertigten Steuervorteile erlangt haben muss. Die Steuerhinterziehung ist folglich nach vorherrschender Ansicht ein Erfolgsdelikt67 – die exakte Deliktsnatur ist allerdings umstritten. Die beiden Erfolgsvarianten sind in § 370 Abs. 4 AO legaldefiniert. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf Steuerverkürzungen als Taterfolg, da die Entstehung der Berichtigungspflicht an den (drohenden) Eintritt einer Steuerverkürzung gekoppelt ist und diese auch gerade durch die Berichtigungserklärung verhindert bzw. vermieden werden soll. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile werden daher außenvorgelassen.

65  Vgl. Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 25, 45, der sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie im Bereich der Steuerhinterziehung Handeln und Unterlassen voneinander abzugrenzen sind und dabei die Kausalität als tauglichstes Unterscheidungskriterium herausgearbeitet hat. Dieses Abgrenzungskriterium kann auch auf die hier vorliegende Problematik des § 153 Abs. 1 AO übertragen werden. 66  Satzger, JURA 2011, 432 (433); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 1172. 67  Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 5; Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 6; Ibold, wistra 2019, 313 (314 f.); Moormann, Verwirklichungsstufen der Steuerhinterziehung, S. 28 f.; Schmitz, wistra 1993, 248 (249); Schuster, JZ 2015, 27 (28).

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

aa) Anknüpfung an das Festsetzungsverfahren Nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO sind Steuern „namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden“. Der Zusatz „namentlich“ macht deutlich, dass die Aufzählung nicht abschließend ist.68 Dennoch wird durch die restliche Formulierung deutlich, dass für den Erfolg grundsätzlich an das Festsetzungsverfahren angeknüpft wird – und damit in der Regel weder die Entstehung der Steuer noch deren Fälligkeit oder das Beitreibungsverfahren für den tatbestandlichen Erfolg relevant sind.69 Durch die offene Formulierung ist nach einer Ansicht dennoch eine Weiterentwicklung des Erfolgsbegriffs möglich, sodass beispielsweise erfundene steuerrechtliche Vorgänge, die zur Erstattung nicht gezahlter Steuern führen, ebenfalls unter den Erfolgsbegriff subsumiert werden können.70 Was die Anknüpfung an das Festsetzungsverfahren und das Ausreichen einer lediglich nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung als Taterfolg für das Schutzgut der Strafnorm und den strafwürdigen Erfolg bedeuten, hat Suhr genauer beleuchtet und dabei einen Vergleich zwischen der „Vermögenslage“ des Staates vor und nach der Steuerfestsetzung vorgenommen.71 Dabei ist festzustellen: Die Steuer entsteht gemäß § 38 AO unabhängig von ihrer Festsetzung – die Festsetzung dient lediglich dazu, dem Staat einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen. Zu einem direkten Vermögenzuwachs führt sie allerdings nicht. Der Anspruch gegen den Steuerpflichtigen besteht gemäß § 38 AO unabhängig von der bisher vorgenommenen zu niedrigen Festsetzung weiter, sodass sich das Vermögen des Staates indes durch eine zu niedrige Festsetzung nicht vermindert. Ganz im Gegenteil: Dadurch, dass nun zumindest ein Teil wirtschaftlich vollziehbar ist, verbessert sich die Lage des Staates vielmehr. Dennoch liegt in diesen Fällen ein Taterfolg i. S. d. § 370 Abs. 1, Abs. 4 AO vor. Für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Erfolges ist also auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise und einen Vergleich zwischen hypothetischer und tatsächlicher Vermögenslage abzustellen.72 Bei einem Unterlassen i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist für die hypothetische Vermögenslage Steuerhinterziehung, S. 42. in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 79; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn.  276 f.; a. A. Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 391, der daraus ableitet, dass ebenso in anderen Verfahrensstadien Steuerverkürzungen herbeigeführt werden können. 70  Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 276; zu einer Erstattung nicht gezahlter Steuern kommt es bspw. bei der Geltendmachung von Vorsteuern, die vom Rechnungsaussteller nicht an die Finanzbehörde abgeführt wurden. 71  Suhr, Rechtsgut, S. 66 ff.; vgl. zu den Überlegungen auch: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 144. 72  Ebenso: Ibold, wistra 2019, 313 (314 f.), die auf einen „Soll-Ist-Vergleich“ abstellt. 68  Witte,

69  Krumm,



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO133

auf die Steuer abzustellen, die sich ergeben würde, wenn man die pflichtwidrig unterlassene steuerliche Erklärung durch eine richtige und vollständige Erklärung über alle relevanten steuerlich erheblichen Tatsachen ersetzen würde.73 Im Falle einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ergibt sich damit aus einem Vergleich der tatsächlichen Lage – einer teilweisen Steuerfestsetzung – und der hypothetischen Lage – einer vollständigen Steuerfestsetzung – ein wirtschaftlicher Vermögensnachteil in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung.74 Der Erfolg liegt dabei nicht im positiven Festsetzungsakt, sondern vielmehr im Nichtergehen der korrekten Steuerfestsetzung. Hierbei wird berücksichtigt, dass die Finanzbehörde mit der Steuerfestsetzung grundsätzlich „die letzte, maßgebliche Entscheidung über die Besteuerung des Sachverhalts“ trifft.75 Anders als bei anderen Delikten des Kernstrafrechts ist statt dem Grundsatz der Gesamtsaldierung mit einem „Vorher-NachherVergleich“ vielmehr ein „Soll-Ist-Vergleich“ vorzunehmen.76 Maßgeblich für den Erfolgseintritt nach § 370 Abs. 1 AO ist also nicht, ob die Steuer im Ergebnis korrekt entrichtet wurde, sondern allein ob die gesetzlich geschuldete Steuer rechtzeitig und vollständig festgesetzt wurde oder nicht. Weder stellt die Nichtzahlung einer richtig festgesetzten Steuer einen tatbestand­ lichen Erfolg dar, noch ändert die nachträgliche Bezahlung einer nicht festgesetzten Steuer zwangsläufig etwas daran, dass ein strafrechtlicher Erfolg bereits eingetreten ist.77 Insoweit besteht Einigkeit, auch wenn Steuerverkürzungen im Beitreibungsverfahren in Einzelfällen grundsätzlich anerkannt werden.78

wistra 2019, 313 (316). Rechtsgut, S. 70–73. 75  Suhr, Rechtsgut, S. 73. 76  Ibold, wistra 2019, 313 (315); Kuhlen, Grundfragen, S. 6. Aus diesem Soll-IstVergleich ergibt sich auch, dass unmittelbar mit der verletzten Pflicht in Zusammenhang stehende steuermindernde Umstände kompensiert werden können; vgl. dazu den Wortlaut des § 370 Abs. 4 S. 1 und S. 3 AO. Das in S. 3 statuierte Kompensationsverbot greift demnach nur für Ermäßigungen „aus anderen Gründen“ als denen, die zur Steuerverkürzung geführt haben (BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, wistra 2019, 109); zustimmend: Ibold, wistra 2019, 313 (317 f.), die § 370 Abs. 4 S. 1 AO insoweit nur einen deklaratorischen Charakter zuschreibt; vgl. auch: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (576); Wulf, wistra 2001, 41 (44). 77  Vgl. Schuster, JZ 2015, 27 (28); ausnahmsweise kann die nachträgliche Berichtigung und Entrichtung der Fehlbeträge im Rahmen einer Selbstanzeige bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 371 AO zu Straffreiheit führen. 78  Siehe hierzu vertieft: S. 164 f. 73  Ibold, 74  Suhr,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

(1) Erfolgseintritt bei aktivem Tun Für den Erfolgseintritt bei Abgabe einer Steuererklärung, die eine zu niedrige Steuerfestsetzung zur Folge hat, ist auf den Zeitpunkt des Ergehens dieser unrichtigen Steuerfestsetzung – respektive die Bekanntgabe des entsprechenden Steuerbescheids – abzustellen.79 Sind Fälligkeitssteuern, wie die Umsatzsteuer im Rahmen von Umsatzsteuervoranmeldungen oder -jahreserklärungen, betroffen, steht die Einreichung der Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich und mit der Einreichung wäre somit die Tat sowohl vollendet als auch beendet – jedenfalls soweit keine Erstattung beantragt wurde oder eine abweichende Festsetzung ergeht.80 Soweit eine Erstattung beantragt wird, tritt Vollendung erst mit Zustimmung der Finanzbehörde ein und soweit eine abweichende Festsetzung ergeht, ist für den Erfolgseintritt wie bei den Veranlagungssteuern auf die Bekanntgabe des entsprechenden Steuerbescheides abzustellen.81 (2) Erfolgseintritt bei Unterlassen Die ständige Rechtsprechung nimmt bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen bei Veranlagungssteuern eine Steuerverkürzung an, sobald das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeit für den betreffenden Veranlagungszeitraum der betreffenden Steuerart im Wesentlichen abgeschlossen hat. Dies wird regelmäßig angenommen, wenn 95 % der Veranlagungsarbeiten erledigt sind und damit bei pflichtgemäßen Verhalten des Steuerpflichtigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine (hypothetische) korrekte Steuerfestsetzung ergangen wäre.82 Werden Steueranmeldungen 79  Zur Steuerverkürzung bei Veranlagungssteuern: Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 303, 305; für die Bekanntgabe eines Steuerbescheids gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO eine Drei-Tages-Fiktion, die nach Rechtsprechung des BGH auch für den Eintritt des strafrechtlichen Taterfolgs gilt; vgl. BGH v. 7.8.2014 – 1 StR 198/14, NZWiSt 2016, 63; a. A.: Rolletschke, wistra 2001, 287 (287), nach dem in dubio pro reo die Bekanntgabefiktion im Strafrecht keine Rolle spielen dürfe. 80  Vgl. zur Wirkung der Steueranmeldung § 168 AO; dazu auch: Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 312. 81  Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 312; Kuhlen, Grundfragen, S. 7. 82  BGH v. 26.10.2016 – 1 StR 172/16, NZWiSt 2017, 68 (69); BGH v. 14.3.2016 – 1 StR 337/15, NZWiSt 2016, 470 (473 f.); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, NJW 2002, 762; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 309; Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (788); zustimmend: Moormann, Verwirklichungsstufen der Steuerhinterziehung, S. 164; vertieft zum allgemeinen Veranlagungsschluss: Ebner, Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 266–298; a. A.: Schmitz, wistra 1993, 248 (250 f.), wonach für die Vollendung in dubio pro reo auf den vollständigen Abschluss der Veranlagungs­ arbeiten zuzüglich der Bekanntgabe des Steuerbescheids abzustellen sei.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO135

nicht abgegeben, tritt der Erfolg mit Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist ein.83 Ab diesem Zeitpunkt ist eine Steuerverkürzung gegeben. bb) Ausreichen einer nicht-rechtzeitigen Festsetzung Zur Verwirklichung einer Steuerhinterziehung ist es ausreichend, wenn Steuern verspätet festgesetzt werden – es bedarf keiner endgültigen Nichtfestsetzung. Sowohl Schmitz als auch Suhr stellen dazu fest, dass eine Verurteilung wegen einer endgültigen Nichtfestsetzung der Steuer faktisch nicht möglich ist und alle verfolgbaren Steuerverkürzungen Steuerverkürzungen „auf Zeit“ darstellen.84 Wird ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet, geht dies grundsätzlich mit einer Nachfestsetzung der Steuerfehlbeträge einher, sodass jede bisherige Nichtfestsetzung zu einer bloßen „nicht rechtzeitigen“ Festsetzung transferiert wird. Demnach liegt in jeder verfolgbaren Steuerhinterziehung der Erfolg bei objektiver Betrachtung in einer nicht-rechtzeitigen Festsetzung – und wohl nie in einer endgültigen Nichtfestsetzung. Dies ist wie folgt zu begründen: Die Festsetzungsfrist einer Steuer liegt bei einer Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO bei zehn Jahren und endet gemäß § 171 Abs. 7 AO nicht, solange die Strafverfolgung dieser Tat nicht verjährt ist. Wird die hinterzogene Steuer also von den Finanzbehörden entdeckt und ist die Verfolgung der Tat noch nicht verjährt, kann die Steuer nachträglich noch festgesetzt werden. Der Erfolg im Zeitpunkt der Tatentdeckung besteht also aus objektiver Sicht nicht darin, dass die Steuer nicht festgesetzt wurde, sondern immer darin, dass sie bisher noch nicht festgesetzt wurde. cc) Deliktsnatur Umstritten ist auch die Deliktsnatur des § 370 Abs. 1 AO. Wie bereits angesprochen, fordert § 370 Abs. 1 AO zwar ausdrücklich den Eintritt einer Steuerverkürzung oder eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils als tatbestandlichen Erfolg – im Ergebnis muss allerdings nicht immer zwingend das Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 33 setzt dagegen den Begriff einer „Steuerverkürzung“ mit dem einer „strafbaren Handlung“ gleich und bejaht damit auch nach mittlerweile nicht mehr vertretener Ansicht ein Dauerdelikt bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen. Solange der Steuerpflichtige es unterlässt einer Handlungspflicht nachzukommen, mache er sich nach dieser Ansicht wegen einer Steuerhinterziehung strafbar. 83  Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 312; Kuhlen, Grundfragen, S. 8. 84  Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 98 f.; Suhr, Rechtsgut, S. 81, sowie im Folgenden; ebenso: Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 318; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 494.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Steueraufkommen als geschütztes Rechtsgut geschädigt werden. Daraus ergibt sich die Frage um die Reichweite des Rechtsgüterschutzes. (1) Konkretes Gefährdungsdelikt Aus der Anknüpfung an das Festsetzungsverfahren und dem Ausreichen einer lediglich nicht-rechtzeitigen Festsetzung leitet die Mehrheit in der Literatur ab, dass es sich bei § 370 Abs. 1 AO um ein Erfolgsdelikt in Form eines konkreten Gefährdungsdelikts handelt.85 Werden Steuern „nicht rechtzeitig“ festgesetzt, so wird die Tat irgendwann entdeckt oder offenbart und es erfolgt nachträglich eine vollständige Festsetzung; die vollständige Steuerschuld wird regelmäßig nachträglich vereinnahmt und der Zinsnachteil des Staates durch die Zahlung von Zinsen gemäß § 233a AO bzw. von Hinterziehungszinsen nach § 235 AO ausgeglichen. Es liegt dennoch – trotz Kompensation der eingetretenen Nachteile für den Staat – eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung vor. Zur Bejahung des Tatbestandes des § 370 Abs. 1 AO bedarf es damit keiner irreversiblen Rechtsgutsbeeinträchtigung. Dies zeigt sich ebenso bei Hinterziehungen im Rahmen von vorläufigen Steuerfestsetzungen oder solchen unter Vorbehalt der Nachprüfung, wie bei Steueranmeldungen. Suhr sieht im Falle einer nicht-rechtzeitigen Festsetzung im tatbestandlichen Erfolg einen Fall der schadensgleichen Vermögensgefährdung.86 Durch die Anknüpfung des Taterfolgs an das Festsetzungsverfahren wird der Erfolg auf den Zeitpunkt der bloßen Gefährdung des Steueraufkommens von der endgültigen „Nichtbezahlung“ vorverlagert.87 Ein tatsächlicher Ausfall der Steuereinnahmen liegt eigentlich erst in dem Zeitpunkt vor, in dem die Steuern faktisch entrichtet sein müssten, aber nicht entrichtet wurden – und nicht bereits in dem Zeitpunkt in dem die Steuern nicht oder falsch festgesetzt wurden. Es ist zwischen dem Taterfolg in Form einer Steuerverkürzung und 85  BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, NJW 2009, 381 (384); BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979 (1983); Bülte, ZStW Bd. 122 (2010), 550 (580); Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 180; Reiß, in: FS Samson, S. 571 (577); anders: Beckemper, die zwar § 370 Abs. 1 AO als Verletzungsdelikt einordnet, jedoch unter Heranziehung der Wertung des § 263 Abs. 1 StGB und Verweis auf den strukturgleichen Aufbau eine schadensgleichen Vermögensgefährdung als Verletzung genügen lässt [NStZ 2002, 518 (520)]. 86  Suhr, Rechtsgut, S. 179 hat vorweg herausgearbeitet, dass für den Erfolg des § 370 AO grds. dieselben Grundsätze wie für sonstige Vermögensdelikte des Kernstrafrechts anzuwenden sind, siehe S. 72 ff., 157; der Steuerhinterziehung ebenfalls eine konzeptionelle Betrugsähnlichkeit zuschreibend: Ibold, wistra 2019, 313 (314 f.); ebenfalls eine schadensgleiche Vermögensgefährdung bejahend: Beckemper, NStZ 2002, 518 (520), die daraus jedoch ableitet, dass es sich bei § 370 Abs. 1 AO um ein Verletzungsdelikt handele. 87  Suhr, Rechtsgut, S. 52, 58; Jäger, DStJG Bd. 38 (2015), S. 29 (43).



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO137

dem tatsächlich eingetretenen Steuerschaden zu unterscheiden – beides kann nicht gleichgesetzt werden.88 Auch im übrigen Kernstrafrecht sind zur Bejahung eines tatbestandlichen Erfolges nicht immer irreversible Beeinträchtigungen des geschützten Rechtsguts erforderlich.89 Die Vorverlagerung ist mit Blick darauf sachgerecht, dass ohne eine Steuerfestsetzung jegliche Durchsetzung, Verwirklichung bzw. Erfüllung des gesetzlichen Steueranspruchs nicht möglich wäre.90 (2) Abstraktes Gefährdungsdelikt Das Delikt der Steuerhinterziehung wird von einigen Stimmen in der Literatur jedenfalls teilweise mit Verweis auf das Kompensationsverbot als abstraktes Gefährdungsdelikt qualifiziert.91 Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO gilt eine Steuer auch dann als verkürzt, wenn sie aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden müssen oder wenn andere Steuervorteile in Anspruch hätten genommen werden können. Unmittelbar mit der Steuerhinterziehung zusammenhängende steuermindernde Tatsachen können dabei verrechnet werden – nur vom Verkürzungssachverhalt unabhängige (andere) steuerliche Tatsachen desselben Veranlagungszeitraums müssen außenvorgelassen werden.92 Auch wenn die Steuerverkürzung aus anderen Gründen vollständig neutralisiert würde, gilt § 370 Abs. 1 AO folglich als verwirklicht. Das Kompensationsverbot verfolgt den praktischen Zweck der Begrenzung des Prozessstoffs, sodass Strafrichter nicht gezwungen sind, einen kompletten Steuerfall aufzurollen und auch Aspekte zu prüfen, die gar nicht vorgebracht wurden.93 In diesen Fällen sei keine konkrete Gefahr gegeben und dennoch soll eine Strafbarkeit bestehen – insoweit stelle § 370 Abs. 1 AO lediglich ein abstrakin: HHSp, § 370 AO, Rn. 313. DStJG Bd. 38 (2015), 53 (68). 90  Reiß, in: FS Samson, S. 571 (578). 91  Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 59; Jesse, BB 2011, 1431 (1437); vgl. auch: Tiedemann, JZ 1975, 185 (186). 92  Aus diesem Soll-Ist-Vergleich ergibt sich auch, dass unmittelbar mit der verletzten Pflicht in Zusammenhang stehende steuermindernde Umstände kompensiert werden können; vgl. dazu den Wortlaut des § 370 Abs. 4 S. 1 und S. 3 AO. Das in S. 3 statuierte Kompensationsverbot greift demnach nur für Ermäßigungen „aus anderen Gründen“ als denen, die zur Steuerverkürzung geführt haben; BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, wistra 2019, 109; zustimmend: Ibold, wistra 2019, 313 (317 f.), die § 370 Abs. 4 S. 1 AO insoweit nur einen deklaratorischen Charakter zuschreibt. 93  Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 108, der auch anmerkt, dass es jedenfalls in der Strafzumessung berücksichtigt werden müsse, wenn sich die Steuerverkürzung aus anderen Gründen aufgehoben hätte. Über die Sinnhaftigkeit bzw. Legitimität dieser Regelung sollen mangels tiefergehender Relevanz für das in dieser Arbeit behandelte Thema jedoch keine weiteren Ausführungen erfolgen. 88  Peters,

89  Hellmann,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

tes Gefährdungsdelikt dar.94 Doch auch nach dieser Ansicht ist eine bloße Handlung, der eine bestimmte Gefährlichkeit innewohnt, nicht zur Bejahung des objektiven Tatbestandes einer Steuerhinterziehung ausreichend, sondern es bedarf – unabhängig von einem tatbestandsmäßigen Verhalten – ebenfalls einer Manifestation eines Erfolgs nach außen. Jedenfalls in Bezug auf einen Teilbetrag muss eine Steuerverkürzung eingetreten sein, die sich an einem objektiven Ereignis – sei es dem Ergehen eines zu niedrigen Steuerbescheids oder dem Abschluss der Veranlagungsarbeiten – festmachen lässt. (3) Zwischenfazit In erster Linie kann die Steuerhinterziehung durch die „Vorverlagerung“ des Erfolgs auf das Festsetzungsverfahren als Erfolgsdelikt in Form eines konkreten Gefährdungsdelikts eingeordnet werden. Auch diejenigen Vertreter in der Literatur, die § 370 Abs. 1 AO mit Verweis auf das Kompensationsverbot zum Teil als abstraktes Gefährdungsdelikt qualifizieren, degradieren die Steuerhinterziehung nicht zu einem bloßen Handlungs- bzw. echten Unterlassungsdelikt. Ein tatbestandsmäßiges Verhalten muss dennoch einen objektiv feststellbaren Erfolg herbeiführen – auch wenn durch diesen das Rechtsgut nicht irreversibel verletzt wird. b) Erfolg bei Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO Nun stellt sich die Frage, inwieweit ein Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO geeignet ist, einen tatbestandlichen Erfolg i. S. v. § 370 Abs. 1, Abs. 4 AO herbeizuführen. Möller beschäftigt sich in seiner Dissertation ausführlich mit dieser Frage und teilt die ihr zugrundeliegenden Fälle für ihre Beantwortung in zwei Teilbereiche auf: Zum einen in die Konstellationen, in denen im Zeitpunkt des nachträglichen Erkennens noch kein Steuerbescheid ergangen ist und zum anderen in die Fälle, in denen bereits eine unrichtige Steuerfestsetzung vorliegt und diese nicht korrigiert wird.95 94  Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB, § 370 AO, Rn. 13; abweichend: Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 8 m. w. N., der aus dem Zweck des Kompensationsverbots – der Entlastung für die Strafgerichte – ableitet, dass der Gesetzgeber durch die Regelung nicht vorrangig abstrakte Gefährdungen des Steueraufkommens bestrafen wollte; m. E. ist darin allerdings kein zwingendes Argument gegen die Einstufung als teilweises abstraktes Gefährdungsdelikt zu sehen – die Bestrafung einer abstrakten Gefährdung ergibt sich vielmehr aus der Prozesserleichterungsregelung. 95  Möller, Berichtigungspflicht, S. 171 ff.; ebenso: von Witten, NJW 1960, 567 (570 f.); für die Strafbarkeit zum selben Ergebnis kommend, dies allerdings damit begründend, dass die Pflicht des § 153 Abs. 1 AO nur besteht, wenn keine Selbstbelastungsgefahr gegeben ist: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 40 f. Solange



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO139

aa) Erfolg vor bereits erfolgter Festsetzung Die erste Konstellation wird an folgendem Beispiel verdeutlicht: Ein Steuerpflichtiger gibt bedingt vorsätzlich eine unrichtige Steuererklärung ab. Am nächsten Tag erkennt er seinen Fehler positiv, unterlässt es aber, diesen zu berichtigen. Daraufhin ergeht eine unrichtige Steuerfestsetzung. Für diesen Fall bejaht Möller zutreffend einen Taterfolg in Form einer unrichtigen Steuerfestsetzung und die zugehörige Kausalität der Nichtberichtigung für diesen Erfolg.96 Wäre die Berichtigungserklärung des Steuerpflichtigen vor der unrichtigen Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörden ergangen, so hätte die zuständige Veranlagungsstelle den Fehler noch korrigieren können und es wäre nicht zu einer unrichtigen bzw. unvollständigen Steuerfestsetzung gekommen. Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist damit das Unterlassen kausal für den Taterfolg – entsprechend der obigen Ausführungen zur Garantenstellung als Pflicht zur Erfolgsverhinderung.97 Der Erfolg tritt also mit Ergehen der unrichtigen Steuerfestsetzung ein. Dass das der Entstehung der Berichtigungspflicht vorangegangene Verhalten ebenfalls bereits geeignet war, § 378 Abs. 1 AO oder § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu erfüllen, steht einer Kausalität der Nichtberichtigung für den tatbestandlichen Erfolg nicht entgegen. Wurde durch die Abgabe der unrichtigen Erklärung eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 Abs. 1 AO oder bedingt vorsätzlich eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht, können bei einem einzigen Taterfolg dennoch zwei Straftaten bzw. eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit bejaht werden, welche im Rahmen der Konkurrenzen ins Verhältnis zueinander zu setzen sind.98 Um dies am obinoch keine Festsetzung ergangen sei, liege mangels Steuerverkürzung in einer Berichtigungspflicht kein Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz vor. Dass dieser Ansicht im Ergebnis nicht gefolgt werden kann, da eine steuerliche Mitwirkungspflicht unabhängig von einer Selbstbelastungsgefahr besteht, wurde im ersten Kapitel ausführlich herausgearbeitet, siehe S. 53 ff.; ähnlich: Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 80 f., der die Vorwerfbarkeit ebenfalls mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit nur bejaht, wenn die Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO noch zugleich einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nach § 24 Abs. 1 StGB darstellen kann – was nur der Fall ist, wenn noch keine Steuerfestsetzung und damit noch keine Vollendung eingetreten ist. 96  Möller, Berichtigungspflicht, S. 171; ebenso: Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (21 f.); von Witten, NJW 1960, 567 (567). 97  Vgl. die Ausführungen zur Pflichtwidrigkeit bei bedingt vorsätzlichem Verhalten im Vorfeld: S. 122 ff. 98  Ging einer Straftat eine fahrlässige Tat voraus, welche eine Garantenstellung aus Ingerenz entstehen ließ, so tritt die verwirklichte fahrlässige Tat subsidiär hinter der vorsätzlichen Tat durch Unterlassen zurück; vgl.: Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 212 StGB, Rn. 16.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

gen Beispiel zu verdeutlichen: Durch die bedingt vorsätzliche Abgabe der unrichtige Erklärung, welche kausal für den unrichtigen Steuerbescheid war, wurde bereits § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht. Ebenso wurde durch das Unterlassen der Berichtigung eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen verwirklicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Dieser ist ebenfalls der unrichtige Steuerbescheid als kausaler Taterfolg zuzurechnen, weil: Wäre berichtigt worden, wäre der Bescheid so nicht ergangen. Diese beiden Taten können nun dadurch ins Verhältnis gesetzt werden, dass das Unterlassen der Berichtigung als mitbestrafte Nachtat hinter der vorsätzlichen Falscherklärung zurücktritt.99 bb) Erfolg nach bereits erfolgter Festsetzung Der in der Praxis relevanteste Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 AO ist aber die Entstehung der Berichtigungspflicht, nachdem eine unrichtige Steuerfestsetzung bereits ergangen ist. In diesen Fällen ist dadurch bereits eine Steuerverkürzung eingetreten, sodass fraglich ist, ob der Nichtberichtigung diese oder ein eigenständiger tatbestandlicher Erfolg zugeschrieben werden kann. Beispielhaft sei folgender Fall zugrunde gelegt: Ein Steuerpflichtiger gibt bedingt vorsätzlich eine unrichtige Steuererklärung ab, woraufhin ein unrichtiger Steuerbescheid ergeht. Erst in der Folge erkennt der Steuerpflichtige seinen Fehler positiv, berichtigt diesen aber nicht. (1) Ursprüngliche, unrichtige Steuerfestsetzung Erster denkbarer Anknüpfungspunkt für den tatbestandlichen Erfolg ist die ursprüngliche, zu niedrige Steuerfestsetzung. Dabei wird zum Teil vertreten, dass es sich bei der Nichtberichtigung um eine eigenständige Tat handle, bei der die ursprüngliche, unrichtige Steuerfestsetzung als Erfolg der Nichtberichtigung heranzuziehen sei.100 Durch die Erlangung der sicheren Kenntnis als notwendiger Zwischenschritt ergebe sich eine Zäsur, sodass zwei eigenständige Taten vorliegen sollen. Auch Kopacek bejaht insoweit nach Eintritt einer Steuerverkürzung eine strafbare Steuerhinterziehung ab dem Zeitpunkt der Missachtung des § 153 Abs. 1 AO.101

99  Vgl.

dazu: Kap. 2 Fn. 141. Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 35–37; Weidemann, wistra 2010, 5 (7). 101  Kopacek, BB 1962, 875 (877). 100  Hardtke,



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO141

Bülte führt die Abgabe einer fehlerhaften Erklärung und die spätere Nichtberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO einer Gesamtbewertung zu. Der Nichtberichtigung schreibt er als bloße „Nichtwiedergutmachung“ allerdings nur ein strafwürdiges Unrecht zu, wenn der ursprüngliche Schaden schuldlos bzw. fahrlässig herbeigeführt wurde.102 Diese Unterscheidung begründet er damit, dass § 153 Abs. 1 AO eine Strafbarkeitslücke schließen und gerade Fälle erfassen soll, in denen der Vorsatz hinsichtlich der Steuerverkürzung erst im Nachhinein bejaht werden kann. § 153 Abs. 1 AO trage seines Erachtens dafür Sorge, das Koinzidenzprinzip zu wahren: Es sei ausreichend, wenn im Rahmen des Gesamtgeschehens zu irgendeinem Zeitpunkt Vorsatz gegeben ist. Damit knüpft er für den Taterfolg im Ergebnis ebenfalls an die ursprünglich zu niedrige Steuerfestsetzung an. Das Problem, wann und worin ein tatbestandlicher Erfolg i. S. d. § 370 Abs. 1 AO zu sehen ist, spricht Bülte dabei nicht explizit an – er stellt lediglich auf das tatbestandliche Unrecht und nicht den tatbestandlichen Erfolg ab. Dabei entsteht dennoch der Eindruck, dass verkannt wird, dass der Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges objektiv und unabhängig vom Vorsatz des Täters zu beurteilen ist. Die Steuerverkürzung enthält als objektives Merkmal – wie in den allgemeinen Ausführungen zum Taterfolg bereits dargestellt – keine subjektive Komponente. Indem Bülte das strafwürdige Unrecht auf den Vorsatz des Täters stützt, behandelt er zwar die Komponente des Handlungsunrechts – die des Erfolgsunrechts lässt er jedoch außen vor. Dabei besteht die Gefahr eines Zirkelschlusses: Unabhängig davon, ob der steuerrechtlichen Norm tatsächlich eine strafrechtliche Auffangfunktion zukommen soll, kann nicht ohne Prüfung eines Taterfolges eine Strafbarkeit ohne Weiteres bejaht und lediglich auf die Funktion der Norm gestützt werden. (a) Umqualifizierung in ein Dauerdelikt Der Bejahung eines Taterfolges bei einem Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO, nachdem eine unrichtige Steuerfestsetzung bereits erfolgt und eine Steuerverkürzung damit schon eingetreten ist, wird häufig entgegengehalten, dass damit eine systemwidrige Umqualifizierung der Steuerhinterziehung in ein Dauerdelikt vorgenommen würde.103 Den nachfolgenden Ausführungen ist 102  Bülte, BB 2010, 607 (610–612); im Ergebnis ebenso: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (573) und Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 145 ff., die mit dem Argument der Straflosigkeit einer Missachtung der Berichtigungspflicht, wenn dieser ein vorsätzliches Verhalten voranging, die Umqualifizierung in ein Dauerdelikt verneint, vgl. Deibel, S. 173. 103  Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 125; Weigell, in: Kuhn/ Weigell/Görlich, Rn. 23; vgl. dazu auch die Ausführungen von Kopacek, BB 1962, 875 (877), der bei bereits eingetretener zu niedriger Steuerfestsetzung ab dem Zeit-

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

damit die Beantwortung der Frage voranzustellen, ob die Steuerhinterziehung nicht als Dauerdelikt zu sehen ist. Ein Dauerdelikt würde vorliegen, wenn § 370 Abs. 1 AO die Aufrechterhaltung eines durch die Tat geschaffenen, rechtswidrigen Zustandes über einen gewissen Zeitraum unter Strafe stellte. Ein Dauerdelikt umfasst damit nicht nur das Herbeiführen eines widerrechtlichen Zustandes, sondern auch dessen Fortdauern-Lassen. Es ist mit Eintritt des Erfolgs vollendet aber erst mit dessen Aufhebung beendet.104 Der nicht oder nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung ist zwar ein „zeitlich gestrecktes Erfolgsunrecht“ immanent – allerdings sind die Zeitpunkte der Erfolgseintritte durch das Kriterium der Festsetzung exakt umrissen.105 Auch bei einem Unterlassen tritt der Erfolg mit dem von der Rechtsprechung zeitlich umgrenzten Bereich der hypothetischen Nichtfestsetzung ein und erfährt im weiteren durch ein anhaltendes Unterlassen einer richtigen Erklärung keine qualitative Änderung.106 Dass es sich bei § 370 Abs. 1 AO um ein Dauer­ delikt handelt, wird daher kaum respektive nicht ausdrücklich vertreten.107 Nach herrschender Meinung handelt es sich vielmehr um ein Zustandsdelikt.108 Allerdings werden – wie hier – zum Teil Sachverhalte unter das Delikt subsumiert, die zu einer Umqualifizierung des § 370 Abs. 1 AO in ein Dauer­ delikt führen würden. So wird nach oben dargestellter Ansicht unterstellt, der Verstoß gegen die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO würde eine punkt der Missachtung des § 153 AO (damals noch § 165e RAO) eine strafbare Steuerhinterziehung bejaht. Vgl. zur Kritik einer Umqualifizierung: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 127 m. w. N.; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 37; von Witten, NJW 1960, 567 (570). 104  Dazu: Roxin/Greco, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 105; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 47. 105  Vgl.: Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 119 f., 203, 230; Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 82 und die Ausführungen auf S. 132 ff.; ebenso: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 79, die einen Vergleich zum Diebstahl zieht, bei dem das Behalten der gestohlenen Sache und damit die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes ebenfalls nicht gesondert strafbar ist; a. A.: Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 29 f., der bei der Vorgängervorschrift des § 153 AO, § 165e RAO, eine Strafbarkeit von der Verletzung der Erklärungspflicht bis zur Verjährung des Steueranspruchs bejaht und die Steuerhinterziehung insoweit als Dauerdelikt eingeordnet hat. 106  Asholt, wistra 2019, 386 (392). 107  So: Asholt, wistra 2019, 386 (392); Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 78 f.; die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als Dauervergehen charakterisierend dagegen: HansOLG Hamburg v. 27.1.1970 – 2 Ss 191/69, MDR 1970, 441; Rombach, Dauervergehen im Steuerstrafrecht, S. 62–65 – dies wird jeweils damit begründet, dass die Erklärungspflichten der Steuerpflichtigen nicht mit Fristablauf enden, sondern weiterbestehen und damit fortlaufend dagegen verstoßen wird. 108  Hoff, Handlungsunrecht, S. 25.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO143

Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nach sich ziehen, obwohl der tatbestandliche Erfolg bereits vor dem tatbestandlichen Verhalten – dem Unterlassen einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO – eingetreten war. Dadurch würde die bloße Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes kriminalisiert und die Steuerhinterziehung in ein Dauerdelikt umqualifiziert.109 Auch von Witten sieht eine Umqualifizierung des § 370 Abs. 1 AO zu einem Dauerdelikt immer dann als gegeben an, wenn die Abgabe einer unrichtigen Erklärung und die Nichtberichtigung derselben zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden und die Tat erst mit Behebung des rechtswidrigen Zustands beendet wäre.110 Einer solchen, systemwidrigen Umqualifizierung ist aus mehreren Gründen zu widersprechen: Nach herrschender Meinung wird § 370 Abs. 1 AO als Vermögensdelikt qualifiziert, bei dem die Tat mit Eintritt des Erfolges vollendet ist, ohne dass die Aufrechterhaltung dieses Zustandes eigenständig strafwürdig sein soll.111 Dies zeigt sich auch am Fristbeginn der Strafverfolgungsverjährung.112 Gemäß § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 78a StGB beginnt diese mit Beendigung der Tat – dabei wird jeweils auf die Beendigung des einzelnen Erfolges abgestellt; so beispielsweise bei Veranlagungssteuern auf die Bekanntgabe des zu niedrigen Steuerbescheides.113 Problematisch bei einer Qualifikation als Dauerdelikt wäre, dass für die Beendigung der Tat auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes abzustellen114 und damit bei der Steuerhinterziehung der Zeitpunkt maßgeblich wäre, an dem eine korrekte Steuerfestsetzung erginge. Das wäre im Falle einer Steuerhinterziehung erst nach Entdeckung dieser Tat durch die Finanzbehörde der Fall – eine Steuerhinterziehung wäre damit faktisch „unverjährbar“.115 Jedenfalls im Zeitpunkt der Entdeckung durch die Finanzbehörde könnte eine Strafverfolgung mit diesem Argument nicht an einer Verjährung scheitern. Ein Zustand, der, mit Blick auf den Rechtsfrieden 109  Vgl. Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 127 m. w. N.; von Witten, NJW 1960, 567 (570); anders: Wulf, PStR 2009, 190 (194), der lediglich von einer „Kaskade von gewissermaßen täglich erneut begangenen Steuerhinterziehungen“ ausgeht. 110  von Witten, NJW 1960, 567 (570). 111  Ibidem. 112  Hierzu: Hoff, Handlungsunrecht, S. 25; von Witten, NJW 1963, 567 (570). 113  Vgl. Asholt, in: Hüls/Reichling, § 376 AO, Rn. 36 m. w. N. 114  Bosch, in: Schönke/Schröder, § 78a StGB, Rn. 11. 115  Vgl.: Schwedhelm, FR 2007, 937 (944), nach dem ein Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO als Steuerhinterziehung durch Unterlassen mangels Beendigung nicht verjähren kann. Schmitz bejaht bei der Steuerhinterziehung grds. ein anwachsendes Erfolgsunrecht, knüpft den Beginn der Verfolgungsverjährung jedoch an den Eintritt des Erfolgs und nicht an dessen Abschluss – der nach außen erkennbare Erfolgseintritt ist seines Erachtens damit maßgeblich für die Beendigung und den Beginn der Verfolgungsverjährung, in: Unrecht und Zeit, S. 230; ders., wistra 1993, 248 (249).

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

als großes Ziel der Verjährungsregelungen, so vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann und auch weder in Literatur noch in der Rechtsprechung so vertreten wird. Selbst Schmitz, der der Steuerhinterziehung ein zeitlich anwachsendes Erfolgsunrecht zuschreibt, stellt für die Verjährung auf den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, also das Ergehen der unrichtigen Steuerfestsetzung, ab und nicht darauf, dass das Unrecht dieses Erfolges mit Zeitablauf ansteigt.116 Zwingende Konsequenz ist demnach, mit Verweis auf die Zwecke der Verfolgungsverjährung, dass die Verjährung zu dem Zeitpunkt eintritt, in dem das Erfolgsunrecht bis dahin eigentlich am größten ist.117 Im Ergebnis handelt es sich bei der Steuerhinterziehung damit nicht um ein Dauerdelikt, sodass auch die bloße Aufrechterhaltung eines bereits eingetretenen Erfolges nicht geeignet sein kann, den Tatbestand der Norm zu erfüllen. Konkret in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO bedeutet dies, dass die durch die Nichtvornahme einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO verwirklichte Aufrechterhaltung der ursprünglichen, unrichtigen Steuerfestsetzung keinen eigenständigen Taterfolg i. S. d. § 370 AO darstellen kann. (b) Kausalität Die Ansichten zur ursprünglichen Steuerfestsetzung als tatbestandlichen Erfolg können nicht überzeugen. Unabhängig von der Umqualifizierung zum Dauerdelikt und der systemwidrigen Koppelung des Taterfolgs an den Vorsatz müsste die vorsätzliche Tatbegehung auch noch kausal für den eingetretenen Erfolg gewesen sein. Die ursprüngliche Steuerverkürzung ist in den meisten relevanten Fällen aber bereits kurz nach Abgabe der fehlerhaften Erklärung mit Bekanntgabe des Steuerbescheides eingetreten, sodass die Kausalität einer nachträglichen Nichtberichtigung für den bereits zuvor eingetretenen Erfolg schon aus denklogischen Gründen nicht bejaht werden kann. Die zu niedrige Steuerfestsetzung ist als Erfolg zeitlich bereits vorher eingetreten und kann damit schlicht nicht auf der späteren Nichtberichtigung beruhen.118 Denkt man im Rahmen der hypothetischen Kausalität bei einer Unrecht und Zeit, S. 228–230. (Zins-)Schaden des Fiskus wird umso höher, je länger ihm die korrekte Steuer vorenthalten wird – die Verjährung ist jedoch an die Festsetzung gekoppelt und tritt trotz anhaltender Vorenthaltung ein. Im Zeitpunkt der Verjährung ist die Steuer aber bis dahin am längsten vorenthalten und damit – praktisch gesehen – das nach Schmitz verwirklichte Erfolgsunrecht am größten. 118  Möller, Berichtigungspflicht, S. 173; ebenso: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 130; Hoff, Handlungsunrecht, S. 96, 106; Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (67); zur Problematik der Kausalität in den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO: Tormöhlen, AO-StGB 2010, 141 (144); ebenso: Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469). 116  Schmitz, 117  Der



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO145

Unterlassensstrafbarkeit die Berichtigung nach § 153 AO hinzu, so würde zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine berichtigte Steuerfestsetzung ergehen – die ursprünglich zu niedrige Steuerfestsetzung könnte dadurch auch theoretisch wieder gut, aber eben nicht ungeschehen gemacht werden. Ansonsten würde bei jedem Vermögensdelikt die Rückzahlung des Vermögensschadens die Tat rückgängig machen und damit die Strafbarkeit entfallen lassen. Dies ist aber gerade nicht der Fall.119 Auch die allgemeine Regelung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB greift nur, solange ein Taterfolg noch nicht eingetreten ist. Ferner kennt das deutsche Strafrecht grundsätzlich das Konstrukt der tätigen Reue, nach der eine Verhinderung schwerer Schäden, auch nachdem der Erfolg bereits eingetreten ist, noch zur Straffreiheit führen kann.120 Vergleichbar dazu ist die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht – dabei handelt es sich allerdings, ebenso wie bei der tätigen Reue, um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der nicht nachträglich die Kausalität einer Handlung für den eingetretenen Erfolg entfallen lässt. Der Nichtvornahme einer Selbstanzeige oder einer unter die tätige Reue fallenden Handlung kommt dabei neben der Ursprungstat keine eigene Strafbarkeit zu. Ein im Zeitpunkt des Unterlassens bereits eingetretener Taterfolg kann damit sowohl denklogisch als auch nach den im deutschen Strafrecht geltenden Grundsätzen nicht nachträglich durch ein hinzugedachtes fiktives Handeln entfallen. Kausal für die ursprüngliche Festsetzung als Erfolg war damit die ursprünglich falsche – aber eben ggf. nicht vorsätzlich abgegebene – Erklärung und gerade nicht das Unterlassen einer Berichtigungserklärung. Eine Bestimmung des tatbestandlichen Erfolgs über eine Gesamtbetrachtung des Geschehens scheitert damit an der Kausalität.121 (c) Dolus subsequens Um deutlich zu machen, dass die ursprüngliche Steuerfestsetzung kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Steuerhinterziehung ist, ist außerdem kurz in den Bereich des subjektiven Tatbestandes vorzugreifen: Es kann dem Steuerpflichtigen nicht strafrechtlich zur Last gelegt werden, dass er einen bereits eingetretenen Erfolg nachträglich billigt. Daraus, dass die ur119  Vgl. Hefendehl, in: MüKo-StGB, §  263, Rn. 767 zur „betrugsirrelevanten nachträglichen Schadenswiedergutmachung“; ebenso: Schuster, JZ 2015, 27 (30) und Hoff, Handlungsunrecht, S. 25, der mit diesem Argument auch die Einordnung des § 370 Abs. 1 AO als Dauerdelikt verneint. 120  Vgl. §§ 83a, 306e, 314a, 320, 330b StGB. 121  Hoff, Handlungsunrecht, S. 95; Möller, Berichtigungspflicht, S. 163; Samson, wistra 1990, 245 (247); von Witten, NJW 1963, 567 (567); vgl. auch: Achenbach, Stbg 1996, 299 (299).

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

sprüngliche Steuerverkürzung nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde, wäre auch nicht zu folgern, dass diese noch nicht den objektiven Taterfolg erfüllt hat. Otto macht dazu deutlich, dass nicht jede Steuerverkürzung als solche einen Straftatbestand erfüllt, sondern in Zusammenschau mit einem tatbestandlichen Verhalten zu bewerten ist.122 Der Taterfolg des § 370 Abs. 1 AO ist im Gesetz auf die Steuerfestsetzung konkretisiert, sodass das Ergehen einer unrichtigen Steuerfestsetzung das objektiv zu bewertende Merkmal der Steuerverkürzung ausfüllt. Erkennt der Verpflichtete erst nach dem ­Eintritt dieses Erfolgs seinen Fehler und kommt seiner Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO nicht nach, so würde er diesen Erfolg lediglich nachträglich billigen und nicht bewusst herbeiführen wollen. Ein sogenannter dolus subsequens ist als ein der Tat nachfolgender Vorsatz richtigerweise weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur anerkannt.123 Eine vorangegangene, strafrechtlich nicht vorwerfbare Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes kann nicht durch eine nachträgliche Erkenntnis zu einer vorsätzlichen Tat werden.124 Würde man für den Taterfolg des § 370 Abs. 1 AO nur auf eine „rechtswidrige Steuerverkürzung“125 abstellen, die erst eintritt, wenn zusätzlich zur objektiven Steuerverkürzung noch der Vorsatz (und ein nicht ergangener Berichtigungsbescheid) hinzutritt, so würde darin eine nach Art. 103 Abs. 2 GG unzulässige täterbelastende Analogie liegen. (d) Zwischenfazit Ein Rückgriff auf die vor Entstehung der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO eingetretene Steuerverkürzung als Taterfolg einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist damit nicht möglich. (2) Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides Soweit schon eine Steuerfestsetzung erfolgt ist, wird außerdem vertreten, dass der Taterfolg i. S. d. § 370 Abs. 1 AO bei der Nichtvornahme der Berichtigung in einem „schuldhaften Bestehenlassen“ der unrichtigen Steuerfest­ wistra 1983, 233 (234). v. 7.9.2017 – 2 StR 18/17, NStZ 2018, 27 m. Anm. Engländer, NStZ 2018, 28; Joecks, in: MüKo-StGB, § 16, Rn. 16; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 15 StGB, Rn. 9; von Witten, NJW 1960, 567 (570). 124  Vgl. OLG Hamm v. 12.2.1959 – 2 Ss 156/158, JZ 1960, 95 (97). 125  So: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 145; Witte, Steuerhinterziehung, S. 76. 122  Otto,

123  BGH



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO147

setzung,126 im „Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides“127 respektive in der „Nichtfestsetzung des fehlenden Betrages“128 liegt. Gatzen begründet diese Ansicht mit finanz- und kriminalpolitischen Erwägungen – ihres Erachtens würde es zu unsystematischen Strafbarkeitslücken führen, wenn die Strafbarkeit von der Frage abhinge, ob bereits eine Festsetzung ergangen ist und damit von einem Umstand, den der Steuerpflichtige gar nicht beeinflussen könne.129 Grunst zieht für diese Auslegung den Sinn und Zweck der Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO, der auch das Belassen eines Vorteils verhindern soll, heran130 – hier besteht allerdings die Gefahr eines Fehlschlusses: Nur weil das Primärrecht etwas verhindern möchte, kann daraus nicht contra legem eine Strafbarkeit abgeleitet werden. Ein Teil der Literatur bejaht die Verwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO in dem Zeitpunkt, in dem bei einem ordnungsgemäßen Alternativverhalten des Verpflichteten eine korrigierte Steuerfestsetzung ergangen wäre – für den Erfolgseintritt wird auf einen hypothetischen Zeitpunkt abgestellt.131 Dieser hypothetische Zeitpunkt kann jedoch nicht ohne Weite126  Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2842); ähnlich: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (573), der den Erfolg im Aufrechterhalten der unrichtigen Festsetzung sieht. 127  Grötsch, in: Wannemacher, Rn. 755; ebenso: Wulf, Stbg 2010, 295 (297), der bei der Strafbarkeit eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 AO auch auf die „NichtFestsetzung der vollständigen Steuer“ abstellt. Von einer Vollendung geht er in dem fiktiven Zeitpunkt aus, „in dem das Finanzamt bei gedacht ordnungsgemäßem Verhalten korrigierte Steuerbescheide wirksam bekannt gegeben hätte.“ [ders., wistra 2016, 337 (340)]; zustimmend: Radermacher, StBW 2014, 956 (959). 128  Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 91–96; zustimmend: Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (22). 129  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (22). 130  Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, S. 94. 131  Heuel, wistra 2015, 289 (290); Hornig, PStR, 2019, 291 (296); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (91); Wulf, wistra 2016, 337 (340); vgl. auch: Joecks, PStR 2015, 235 (238), der in Bezug auf einen Gesamtrechtsnachfolger in dem Fall einer lediglich verspäteten Berichtigungsanzeige eine versuchte Steuerhinterziehung durch Unterlassen annimmt und bei nachgeholter Anzeige einen Rücktritt davon. Dem vorweg stellt er die Frage, ob mit der unterlassenen Anzeige bereits Vollendung der Steuerhinterziehung eingetreten ist und kommt zu dem Ergebnis, dass die Finanzbehörde auch bei einer bereits eingegangen, unverzüglichen Anzeige die Berichtigungserklärung noch abwarten würde und daher noch kein hypothetischer Berichtigungsbescheid ergangen wäre – mit dieser Begründung verneint er eine Vollendung nach einer unterlassenen unverzüglichen Anzeige. Den Ausführungen zur Versuchsstrafbarkeit kann jedoch nicht gefolgt werden. Hat der Steuerpflichtige einen Fehler erkannt, aber nicht unverzüglich angezeigt, sondern erst später eine gemeinsame Anzeige- und Berichtigungserklärung abgegeben und hatte er dies auch von Anfang an vor, so kann ihm nicht unterstellt werden, dass er durch eine verspätete Anzeige Steuern verkürzen wollte. Auch bei rechtzeitiger Abgabe einer Anzeige hätte die Berichtigung in diesen Fällen nicht eher erfolgen können, sodass auch keine Steuerverkürzung auf Zeit bejaht werden könnte. Ein Tatentschluss bezüglich eines Taterfolges bei nicht rechtzei-

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

res bestimmt werden. Um diesen zu ermitteln, müsste laut Spatscheck unterstellt werden, dass die Finanzbehörde für die Berichtigungserklärung – nach Eingang einer fiktiven Anzeige – eine Frist gesetzt habe.132 Es gilt lediglich für die Anzeige die Unverzüglichkeitsfrist, sodass nur diesbezüglich eine Orientierung an der nachträglichen Kenntniserlangung des Steuerpflichtigen möglich ist.133 Durch die Anzeige allein wird die Finanzbehörde jedoch regelmäßig noch nicht in die Lage versetzt, die fehlerhafte Steuerfestsetzung zu korrigieren. Für den fiktiven Berichtigungszeitpunkt ist also darauf abzustellen, wann eine vollständige Berichtigungserklärung durch den Steuerpflichtigen ergangen wäre und welche Bearbeitungsdauer diese in Anspruch genommen hätte. Dies unterscheidet sich allerdings je nach Finanzamt und Bearbeitungsstelle. Dabei wird je nach Einzelfall mit einer Bearbeitungszeit von vier bis sechs Monaten ab Abgabe der berichtigenden Erklärung gegenüber der Finanzbehörde gerechnet.134 Grötsch setzt den Beginn der Verjährungsfrist einen Monat und eine Woche nach Kenntnisnahme der Unrichtigkeit an und rechnet dabei eine Woche für die unverzügliche Anzeige und einen Monat für die Bearbeitung durch das Finanzamt ein.135 Eine allgemeine Gültigkeit kann dieser Rechnung aber nicht zugeschrieben werden. Die Festlegung eines solchen fiktiven Zeitpunkts schafft zwar Rechtssicherheit, jedoch bildet dieser wohl nur selten die Realität, d. h. den „wahren“ hypothetischen Zeitpunkt des Erfolgseintritts, ab. (a) Unbestimmtheit des Zeitpunkts des Erfolgseintritts Die komplexe Fiktion einer hypothetischen Berichtigung mit derart vielen Unwägbarkeiten wird dieser Ansicht daher zugleich entgegengehalten.136 Diese Problematik besteht bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen allerdings regelmäßig.137 Der tatbestandliche Erfolg muss dabei immer an einem fiktiven Zeitpunkt festgemacht werden. Wie oben festgestellt, wird für den Erfolgseintritt bei nicht abgegebenen Steuererklärungen respektive nicht ergangenen Festsetzungen auf den allgemeinen Abschluss der Veranlagungstiger Anzeige ist also zu verneinen und damit folglich keine Versuchsstrafbarkeit gegeben. 132  Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (91); vgl. dazu außerdem S. 77 ff. 133  Vgl. Samson, wistra 1990, 245 (247). 134  Radermacher, StBW 2014, 956 (959), der i. R. d. Verfolgungsverjährung für die Beendigung der Tat auf den fiktiven Zeitpunkt abstellt, an dem eine berichtigte Festsetzung eigentlich ergangen wäre, wenn der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur Berichtigung nachgekommen wäre. 135  Grötsch, in: Wannemacher, Rn. 755. 136  Vgl.: Witte, Steuerhinterziehung, S. 45 f. 137  Vgl. dazu: Schmitz, wistra 1993, 248 (248).



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO149

arbeiten abgestellt. Auch diese Bestimmung eines hypothetischen Zeitpunkts wird in der Literatur kritisiert, jedoch ergibt sich damit für die Praxis zumindest ein gewisser zeitlicher Rahmen, ab dem ein Erfolg angenommen wird und damit kein Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB mehr möglich ist. Auch für die Berechnung der Festsetzungs- und Verfolgungsverjährung ist die Bestimmung dieses hypothetischen Zeitpunkts von hoher Bedeutung. Im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 AO gibt es jedoch nach herrschender Meinung keine Frist für die Berichtigung, an die man anknüpfen könnte – die Unverzüglichkeitsfrist gilt nur für die Anzeige.138 Es wäre vom Einzelfall abhängig, welche Frist die zuständige Stelle für eine Berichtigung gesetzt hätte, ob eine Fristverlängerung möglich gewesen wäre, wie lange die Bearbeitung der eingegangenen Erklärung im Einzelfall gedauert hätte und auch welchen Zeitraum die Verarbeitung im zuständigen Rechenzentrum in Anspruch genommen hätte. All diese Fragen hängen von nicht pauschal kalkulierbaren Faktoren ab, wie beispielsweise Arbeitsauslastung, Krankheitsfälle, Urlaubszeiträume sowie der individuellen Behandlung der Berichtigungserklärung als strafrechtlich relevant oder nicht. Nachdem allerdings die Nichtabgabe einer Einkommensteuererklärung unstrittig strafwürdig und unter § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu fassen ist und auch dabei der Erfolgseintritt immer an einem hypothetischen Zeitpunkt festgemacht wird, ergibt sich aus der Unbestimmtheit des Zeitpunkts des Erfolgseintritts noch kein zwingendes Argument dafür, das Nichtergehen des Berichtigungsbescheids als tauglichen Taterfolg abzulehnen. Unterstellt man eine hinreichend exakte Bestimmbarkeit des Erfolgseintritts, so könnten gegen diese Ansicht aber noch weitere Argumente sprechen. (b) Bedingter Vorsatz im Vorfeld Die Qualifizierung des Nichtergehens eines Berichtigungsbescheides als Taterfolg würde auch im Bereich der Fälle des bedingten Vorsatzes im Vorfeld zu inkonsequenten Ergebnissen führen. Würde das Nichtergehen einen 138  Anders: Grötsch, in: Wannemacher, Rn. 755, wonach der Erfolgseintritt einen Monat und eine Woche nach Kenntnis von der unrichtigen bzw. unvollständigen Erklärung anzunehmen sei. Dieser Zeitpunkt ergebe sich daraus, dass der Erfolg bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen immer zu dem Zeitpunkt eintrete, in dem die richtige Festsetzung frühestens ergangen wäre; dabei werde eine unverzügliche Anzeige i. S. d. § 153 Abs. 1 AO innerhalb einer Woche nach Kenntnisnahme unterstellt und für die Bearbeitung dieser durch die Finanzbehörde wird ein Monat angesetzt. In dubio pro reo müsste der Zeitpunkt des Erfolgseintritts allerdings spät angesetzt werden, um dem Täter möglichst lange einen Rücktritt nach § 24 StGB zu ­ ermöglichen. Außerdem ist die Pflicht zur Berichtigung gerade nicht an eine Unverzüglichkeitsfrist gebunden, sodass eine Woche als zu kurz bemessen anzusehen ist.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

eigenständigen Taterfolg darstellen, lägen zwei selbständige Steuerhinterziehungen vor. Zunächst eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung durch die Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung mit der zu niedrigen Steuerfestsetzung als tauglichen Taterfolg und anschließend eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen durch die Nichtberichtigung trotz nachträglichen Erkennens dieses Fehlers. Die erste Tat gälte mit Bekanntgabe der zu niedrigen Steuerfestsetzung als beendet und die zweite Tat erst im fiktiven Zeitpunkt des Ergehens eines hypothetischen Berichtigungsbescheides.139 Diese jeweiligen Beendigungszeitpunkte sind nach herrschender Meinung relevant für den Beginn der Verfolgungsverjährung.140 Auch, wenn man die zweite Tat als eine straflose Nachtat einordnen würde, könnte diese gesondert bestraft werden, wenn die Haupttat bereits verjährt ist.141 Die beschriebene Konstellation würde zu dem kurios anmutenden Ergebnis führen, dass eine Steuerhinterziehung, die eigentlich strafrechtlich fast verjährt wäre, 139  BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, NJW 2002, 762; BGH v. 28.10.1998 – 5 StR 500/98, wistra 1999, 385; BayObLG v. 9.11.2000 – 4 St RR 126/2000, wistra 2000, 194. 140  § 376 Abs. 1 AO, § 78 StGB; Ebner, Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 96; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 311; Quedenfeld, in: Quedenfeld/Füllsack, Rn. 295; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 18; a. A.: Asholt, wistra 2019, 386 (390), wonach auf die Vollendung abgestellt werden sollte. 141  BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, NZWiSt 2015, 290 (293); BGH v. 26.5.1993 – 5 StR 190/93, NStZ 1993, 493. Insoweit ist umstritten, ob – unter Zugrundelegung der h. M. – die Nichtanzeige gesondert i. R. e. Tatmehrheit § 53 Abs. 1 StGB zu bestrafen sei oder als mitbestrafte Nachtat straflos bleibe. Der BGH hat diese Frage offengelassen (BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984). In der Literatur wird die Nichtanzeige bzw. -berichtigung teilweise ohne weitere Begründung als straflose Nachtat qualifiziert; so: Haselmann, in: Koenig, § 153 AO, Rn. 24; Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 24; Radermacher, StBW 2014, 956 (957). Madauß führt als Argument dafür an, dass die Nichtberichtigung nur dazu diene, die Vorteile der ersten Tat zu sichern und dass das tatbestandliche Unrecht dadurch nicht noch weiter vertieft werde, siehe: NZWiSt 2016, 343 (346). Schützeberg dagegen sieht in den beiden Taten eine Tatmehrheit i. S. d. § 53 StGB. Die Gründe dafür sieht er darin, dass die Pflicht zur Abgabe von Erklärungen nach § 149 Abs. 1 S. 1 AO und die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO zwei voneinander zu unterscheidende Pflichten darstellen, deren Nichterfüllung jeweils einen eigenen Unrechtsgehalt haben. Des Weiteren wird die zweite Unterlassungstat mit einem neuen Hinterziehungsvorsatz verübt, welchem ebenfalls ein eigenständiger Unrechtsgehalt zuzurechnen sei (Schützeberg, BB 2009, 1903). Rolletschke qualifiziert im Unterschied dazu im Falle einer bedingt vorsätz­ lichen Vortat die Nichtberichtigung als Haupttat und die „Vortat“ in Form der bedingt vorsätzlichen Abgabe einer falschen Erklärung als lediglich mitbestrafte Tat. Die Nachrangigkeit der ersten Tat begründet er mit der geringeren Tatschwere des dolus eventualis (Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 146). Nachdem es nach hier vertretener Ansicht bereits an einem tauglichen Taterfolg für eine zweite Strafbarkeit fehlt, wird auf diesen Streit nicht weiter eingegangen.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO151

für den Steuerpflichtigen sanktionsrechtlich wieder in Form einer zweiten Steuerhinterziehung durch Unterlassen „aufleben“ kann, obwohl der Steuerpflichtige sich weiterhin passiv verhält.142 Damit könnte der Betroffene in diesen Fällen weit über 15 Jahre für eine herbeigeführte Steuerverkürzung strafrechtlich belangt werden.143 Das würde auch dem grundlegenden Verständnis der Befriedungsfunktion der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung zuwiderlaufen. Würde man in diesen Fällen trotz eines fehlenden eigenständigen Erfolgs eine Strafbarkeit der Nichtberichtigung bejahen, würde sich der Strafvorwurf bei einem strafrechtlich relevanten Handeln im Vorfeld darauf beschränken, dass der Steuerpflichtige sich nicht selbst der Strafverfolgung zugeführt hat. In diesen Fällen wäre die Grenze der Zumutbarkeit erreicht.144 Außerdem ist nicht ersichtlich, warum sich bei dem Steuerpflichtigen, der im Vorfeld mit dolus directus gehandelt hat und für den damit kein „nachträgliches Erkennen“ möglich ist, dessen allgemeine Mitwirkungspflicht aber dennoch fortbesteht, keine zweite Strafbarkeit ergeben soll, wenn dieser seine Fehler nicht korrigiert.145 Es gilt der „Grundsatz der tatbestandlichen Gleichbehandlung der Vorsatzformen“,146 sodass sich keine abweichende Beurteilung der Tat ergeben darf, wenn der Täter von einem billigenden Inkaufnehmen des Taterfolges zu einer absichtlichen Herbeiführung wechselt. Es ist nicht erkennbar, warum der Steuerpflichtige, der im Vorfeld mit einer weniger starken Form des Vorsatzes gehandelt hat, im Rahmen einer „verlängerten“ respektive zweiten Verfolgungsverjährung länger für die Hinterziehung eines klar umgrenzten Steuerbetrags – sei es nun in Form der ursprünglichen zu niedrigen Festsetzung oder in Form eines unterbliebenen Berichtigungsbescheids – bestraft werden sollte.147

SteuK 2016, 289 (289 f.). Fromm, DStR 2014, 1747 (1749). 144  Siehe die Ausführungen zur Pflichtwidrigkeit: S. 112 ff.; vgl. auch Wulf, PStR 2009, 190 (194), der diesen Schluss aus einem Vergleich mit einem Dieb zieht, der entweder straffrei würde, weil er die gestohlene Sache zurückgibt (wenn es eine zu § 371 Abs. 1 AO parallele Regelung gäbe) oder sich entgegen des nemo-teneturGrundsatzes einer Strafverfolgung zuführen müsste (wenn es eine § 153 Abs. 1 AO entsprechende Regelung für §§ 242 ff. StGB gäbe). 145  Vgl. zum Fortbestehen der Mitwirkungspflichten S. 51; vgl. dazu auch: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 125. 146  Böse, JA 1999, 342 (346); Bülte, BB 2010, 607 (612); Roxin, StrafR AT II, § 29, Rn. 219; ders., JZ 1998, 211 (212). 147  Vgl. Wessing/Biesgen, NJW 2010, 2689 (2691). 142  Wegner, 143  Vgl.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

(c) Eigenständiges Erfolgsunrecht Grundsätzlich stellt das Nichtergehen eines Bescheides einen tauglichen Taterfolg i. S. v. § 370 Abs. 1 AO dar – fraglich ist allerdings, ob das auch für das Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides gilt oder nur für das Nichtergehen einer erstmaligen Steuerfestsetzung.148 Die eigenständige Erfolgsqualität einer unterlassenen Berichtigung wird mangels eigenständigen Unwertgehalts einer bloßen Nichtbeseitigung eines Schadens in der Literatur mehrfach verneint.149 Ist bei einer Steuerhinterziehung der Verkürzungserfolg bereits eingetreten und das Unrecht damit vollendet, kann es durch bloßen Zeitablauf auch nicht mehr vertieft werden.150 Hellmann verneint eine „zweite Strafbarkeit“ – bzw. eine zweite Verwirklichung des Taterfolgs – mit der Begründung, dass es allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen widerspräche, nach einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun noch eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen anzunehmen.151 Als Argument für diese Ansicht ist anzuführen, dass das ungerechtfertigte „Belassen“ eines Steuervorteils in § 370 Abs. 1 Var. 2, Abs. 4 S. 2 AO gesondert unter den tatbestandlichen Erfolg gefasst wird, während ein „Belassen“ einer zu niedrigen Festsetzung in § 370 Abs. 4 S. 1 AO nicht genannt wird und daher im Umkehrschluss gar nicht erfasst sein soll.152 Insoweit soll die bloße Perpetuierung einer rechtswidrigen Lage nicht als Steuerhinterziehung durch Unterlassen bestraft werden können. Dafür spricht auch, dass strafrechtliche Normen grundsätzlich restriktiv auszulegen sind.153 Etwas kurios mutet an, dass bei Missachtung einer sich aus den allgemeinen Mitwirkungspflichten nach §§ 149, 150 AO ergebenden Richtigstellungspflicht dem Nichtergehen eines Berichtigungsbescheids weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur eine eigene Erfolgsqualität i. S. d. § 370 Abs. 1 AO zugemessen wird. Wie im ersten Kapitel bereits herausgearbeitet, 148  Vgl. Wulf, in: FS Samson, S. 619 (624); dazu auch: Möller, Berichtigungspflicht, S. 16, der herausgearbeitet hat, dass bei Einordnung des Nichtergehens eines Berichtigungsbescheids als tauglichen Taterfolg, die Steuerhinterziehung in ein Dauerdelikt umgewandelt würde. 149  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 182; Hoff, Handlungsunwert, S. 97; Schmitz, wistra 1993, 248 (249); Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (67); vgl. auch: Wulf, PStR 2009, 190 (196). 150  Schmitz, wistra 1993, 248 (249). 151  Hellmann, DStJG Bd. 38 (2015), 53 (64–66). 152  Samson, wistra 1990, 245 (247); Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (67); Tormöhlen, AO-StB 2010, 141 (144); bekräftigend: Wulf, in: FS Samson, S. 619 (624); vgl. sowohl zu § 153 Abs. 1 S. 1 als auch zu S. 2 AO: Stahl, Selbstanzeige, Rn. 34, 537. 153  Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflicht im Strafrecht?, S. 124 zur Handhabung des strafrechtlichen Anwendungsbereichs.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO153

führt ein vorsätzlicher Verstoß gegen Mitwirkungspflichten nicht zum Erlöschen dieser, sodass jede Steuerhinterziehung im Grundsatz mit einer steuerrechtlichen Berichtigungspflicht einhergeht – diese ist allerdings unstrittig nicht eigenständig strafbewehrt.154 Dem ist auch zuzustimmen, ansonsten würde einer durch die Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung verwirklichten Steuerhinterziehung eine Kaskade an erneuten Steuerhinterziehungen durch Unterlassen folgen und im Ergebnis faktisch die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes bestraft. Dass § 370 Abs. 1 AO aber gerade kein Dauerdelikt ist, wurde bereits dargestellt. Warum allerdings lediglich einem Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO eine eigenständige strafrechtliche Bedeutung zukommen soll, erschließt sich nicht. Dass die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO in einem anderen Paragrafen geregelt ist als die ursprünglich verletzte Mitwirkungspflicht, kann lediglich für die Pflichtwidrigkeit,155 nicht jedoch für den Erfolg relevant sein. Einziger Unterschied zwischen der „allgemeinen“ Korrekturpflicht aus § 150 Abs. 1, 2 AO und der speziellen Vorschrift des § 153 Abs. 1 AO in Bezug auf einen möglichen Erfolgseintritt ist, dass sich die Entstehung der Pflicht des § 153 Abs. 1 AO an einem Zeitpunkt festmachen lässt. Das nachträgliche Erkennen lässt sich meist auf ein objektiv feststellbares Ereignis zurückführen und auf dieses müsste unverzüglich eine Anzeige folgen. Es kann zwar – wie bereits vorgebracht – kein exakter Zeitpunkt für einen Erfolgseintritt festgemacht werden, es besteht allerdings zumindest ein zeitlicher Anknüpfungspunkt. Bei der allgemeinen Pflicht zur Richtigstellung fehlt es an einer derartigen zeitlichen Umgrenzung. Dies kann aber nicht ausschlaggebend dafür sein, dass in der einen Variante eine Steuerverkürzung bejaht und in der anderen eine solche verneint wird. Die fehlende Nichtberichtigung stellt nach zutreffender Ansicht von Möller schon gar keinen über die zu niedrige Steuerfestsetzung hinausgehenden Erfolg dar. Bei der Nichtberichtigung geht es nur darum, einen bereits eingetretenen Erfolg wieder rückgängig zu machen – nicht darum einen noch drohenden Erfolg zu verhindern. Die Nicht-Rückgängigmachung eines ein154  Dazu, dass die Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung nicht zum Erlöschen der Mitwirkungspflichten führt, siehe S. 64; Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 18 stellt ebenfalls dar, dass einer weiteren Missachtung der fortwirkenden allgemeinen Erklärungspflicht – im Unterschied zur Missachtung von § 153 Abs. 1 AO – keine selbstständige Bedeutung zukommt, ohne dass dies allerdings problematisiert würde. Seines Erachtens komme einem Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO strafrechtliche Relevanz zu, wobei die Abgabe der unrichtigen Erklärung und die Nichtberichtigung eine Tat im prozessualen Sinne darstellen; ebenso: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (586). 155  Es würde eine andere, ggf. als eigenständig zu betrachtende Pflicht verletzt, sodass einem Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO eine eigenständige Pflichtwidrigkeit zukommen könnte.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

getretenen Erfolges ist allerdings nicht eigenständig strafwürdig.156 Es liegt auch keine Vertiefung des bereits eingetretenen Erfolges vor, die eine abweichende Bewertung rechtfertigen würde. Zum selben Ergebnis kommt ein Vergleich mit dem Kernstrafrecht. Als Beispiel wird eine Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB angeführt: Zerstört jemand aus Unachtsamkeit eine Vase, ohne dass Vorsatz vorgeworfen werden könnte, so hat die Person sich nicht wegen einer vorsätzlichen Sachbeschädigung strafbar gemacht – erkennt diese Person nun, dass sie die Vase zerstört hat, so kann ihr auch nicht der strafrechtliche Vorwurf gemacht werden, dass sie die Vase nicht ersetzt.157 Ein angemessener Interessenausgleich ist vielmehr im Zivilrecht als Primärrechtsordnung in Form von Schadensersatz zu verorten. Ebenso verhält es sich bei den Vermögensdelikten: Das Unterlassen einer Schadensbeseitigung kann keine eigenständige Strafbarkeit begründen und gleichermaßen kann die nachträgliche Schadenswiedergutmachung einen eingetretenen Vermögensschaden nicht beseitigen.158 Auf die insoweit spezielle Diskussion um die Zweitzueignung bei der Unterschlagung, § 246 StGB, wird ab S. 167 vertieft eingegangen. (d) Zwischenfazit Faktisch ist der Unrechtsgehalt der verkürzten Festsetzung und des nicht ergangenen Berichtigungsbescheides auch deckungsgleich: Beide Taterfolge beziehen sich auf dieselbe Steuerart und denselben Veranlagungszeitraum. Die Unterscheidung in „ursprüngliche, zu niedrige Festsetzung“ und „Nichtergehen eines Berichtigungsbescheids“ erscheint damit nur als bloße Wortklauberei und Mittel, Beweisprobleme bei der Feststellung des Erfolgszeitpunkts zu umgehen und die Festsetzungs- und Verfolgungsverjährung des verkürzten Steuerbetrags weiter hinauszuzögern. Sobald der eigentliche strafrechtliche Erfolg – die verkürzte Steuerfestsetzung – bereits eingetreten ist, ist die bloße Nichtberichtigung vergleichbar mit der Nichterfüllung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche – wobei diese Nichterfüllung auch im 156  Höll/Hinghaus, PStR 2010, 45 (49); ebenso: Hoff, Handlungsunrecht, S. 97; dieser Ansicht schließt sich Bülte an – allerdings nur für die Fälle, in denen der Entstehung der Berichtigungspflicht eine bedingt vorsätzliche Steuerverkürzung vorausging: der bloße Vorwurf keine Schadensbeseitigung vorgenommen zu haben, stelle seines Erachtens insoweit kein eigenständig zu bestrafendes Tatunrecht dar, siehe: Bülte, BB 2010, 607 (612). Dass dem jedoch nicht gefolgt werden kann, da der Taterfolg objektiv zu beurteilen ist und das verwirklichte Erfolgsunrecht nicht von einem etwaigen Vorsatz des Täters abhängen kann, wurde auf S. 141 bereits dargestellt. 157  Vgl. Schröder, NJW 1966, 1001 (1002); ebenfalls kritisch mit einem Beispiel zum Betrug: Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 216 f. 158  Vgl. dazu die Ausführungen auf S. 160 und Kap. 2 Fn. 119.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO155

Kernstrafrecht nicht gesondert strafbar ist.159 Ebenso wie bei § 153 Abs. 1 AO liegt zwar primärrechtlich eine Handlungspflicht vor – die Nichteinhaltung dieser Pflicht wird aber nicht strafrechtlich verfolgt, sondern auf anderem Wege durchgesetzt. Damit ist auch – und vor allem – mit Blick auf die Fälle des bedingten Vorsatzes im Vorfeld, diese Meinung abzulehnen. Das Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides stellt keinen eigenständigen Taterfolg i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. (3) Zeitlich anwachsendes Erfolgsunrecht Eine zum Nichtergehen des Berichtigungsbescheids als Taterfolg ähnliche Ansicht mit abweichendem Begründungsansatz wird von Deibel vertreten – demnach sei der Taterfolg in „der Vereitelung einer nahe liegenden Schadensverhinderung mittels abändernder Steuerfestsetzung“160 zu sehen. Diese Ansicht fußt auf der Prämisse, dass der Steuerhinterziehung ein mit Zeit­ ablauf anwachsender und damit zeitlich quantifizierbarer Taterfolg innewohnt.161 Dies wird damit begründet, dass mit der Bekanntgabe einer unrichtigen Steuerfestsetzung der tatbestandliche Erfolg zunächst lediglich formal eintritt und das damit verwirklichte Unrecht „erst mit Zeitablauf zu einem strafrechtlich relevanten Erfolgsunwert anwächst“.162 Der Zinsschaden des Staates steigt an, je länger ihm die Steuer vorenthalten wird. Im Zeitpunkt der Vollendung des formellen Unrechts respektive der Bekanntgabe einer zu niedrigen Steuerfestsetzung wird damit nach Schmitz unabhängig von der Höhe der Steuerverkürzung lediglich „Bagatellunrecht“ verwirklicht, dessen Erfolgsunwert anwächst, je länger eine ordnungsgemäße Steuerfestsetzung ausbleibt.163 Aus dieser grundlegenden und richtigen These leitet Deibel ab, dass der tatbestandliche Erfolg eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 AO darin zu sehen ist, dass einer Pflicht zur Schadensverhinderung nicht nachgekommen und dadurch eine berichtigte Steuerfestsetzung vereitelt wurde.164 Faktisch wird damit ebenfalls auf ein Ausbleiben einer berichtigten Steuerfestsetzung abgestellt, welches als tauglicher Taterfolg bereits abgelehnt wurde. Dem Gedanken eines zeitlich anwachsenden Erfolgs gilt es aber mit Blick auf die in § 370 Abs. 4 AO vorgenommene Unterscheidung zwischen einer 159  Zur

Zweitzueignung bei § 246 StGB: S. 159 ff. Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 140. 161  Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 119 f.; zustimmend: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 138. 162  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 138. 163  Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 119 f., der insoweit für das Erfolgsunrecht auf den Zinsschaden des Fiskus abstellt. 164  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 139 f. 160  Deibel,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Steuerverkürzung „auf Dauer“ und einer „auf Zeit“ weiter nachzugehen. Dabei ist fraglich, inwieweit ein tatbestandlicher Erfolg durch Zeitablauf wiederholt oder vertieft werden kann. Bei der Hinterziehung der Umsatzsteuer eines Veranlagungszeitraums ergeben sich beispielsweise nach herrschender Meinung zwei eigenständige Taterfolge. Aus den Umsatzsteuervoranmeldungen kann eine Steuerverkürzung „auf Zeit“ hervorgehen und soweit in der Umsatzsteuerjahreserklärung keine Berichtigung vorgenommen wird, daraus eine eigenständige Steuerverkürzung „auf Dauer“. Möglicherweise lässt sich diese Wertung auch auf weitere fehlerhafte Erklärungen und ausbleibende Berichtigungen übertragen. Im Rahmen dieser Arbeit soll vertieft lediglich auf die Fälle der Einkommensteuerveranlagung eingegangen werden. Es lassen sich allerdings auch Rückschlüsse aus den Behandlungen anderer Steuerarten darauf ziehen, inwieweit Steuern ggf. auch wiederholt hinterzogen werden können und wie sich die entsprechenden Taten zueinander verhalten. (a) Parallelen zur Umsatzsteuerhinterziehung Im Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung werden zwei unterschiedliche Taterfolge in einem Veranlagungszeitraum bejaht.165 Bei der Umsatzsteuer sind grundsätzlich zunächst Vor­ anmeldungen abzugeben, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen, ohne dass es eines gesonderten Steuerbescheids bedarf. Am Ende eines Veranlagungszeitraums – dieser entspricht meist dem Kalenderjahr – ist dann noch einmal zwingend eine zusammenfassende Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben.166 Gibt der Steuerpflichtige bereits bei der Voranmeldung vorsätzlich zu hohe Vorsteuern an oder erklärt zu niedrige Umsätze, so begeht er dadurch eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. In einer Verkürzung der Umsatzsteuer im Rahmen einer Voranmeldung liegt allerdings lediglich eine Steuerverkürzung „auf Zeit“. Der Steuerpflichtige erlangt dadurch nur einen vorübergehenden Liquiditätsvorteil. Dagegen soll eine Umsatzsteuerjahreserklärung einen Veranlagungszeitraum endgültig abschließen, sodass aus ihr hervorgehende Steuerverkürzungen auf Dauer angelegt sind. Werden dieselben unrichtigen Angaben wie in den Voranmeldungen also im Rahmen der Jahreserklärung wiederholt, schlägt der bereits eingetretene Schaden einer Steuerverkürzung „auf Zeit“ in eine Steuerverkürzung „auf Dauer“ um. Aus Sicht der Rechtsprechung und eines Teils

165  Zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts i. R. d. Umsatzsteuer bei aktivem Tun und bei Unterlassen siehe S. 134 f. 166  Siehe § 18 Abs. 3, 4 UStG und § 168 S. 1 AO für Steueranmeldungen.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO157

der Literatur ergibt sich so ein „Schaden anderer Art“167 und damit eine eigenständige materielle Tat nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die jeweils verursachten Steuerverkürzungen sind damit nicht deckungsgleich, enthalten jeweils ein eigenständiges Erfolgsunrecht und können jeweils als eigenständige Tat bestraft werden.168 Damit liegen materiell zwei gesonderte Taten vor, die zueinander in Realkonkurrenz stehen. Prozessual ist allerdings nur eine Tat gegeben.169 Dem ist im Ergebnis auch zuzustimmen. Die Umsatzsteuervoranmeldung ist lediglich dafür konzipiert, dass die Umsatzsteuerschuld „vorläufig“ für einen entsprechenden Voranmeldungszeitraum festgesetzt wird.170 Dem folgt zwangsläufig immer die Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung – auch, wenn die kumulierten Angaben in den Voranmeldungen deckungsgleich mit den in der Jahreserklärung zu machenden Eintragungen sind.171 Die Wirkung einer Umsatzsteuervoranmeldung geht nicht über den Zeitpunkt der Abgabe oder Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung hinaus – ihr ist insoweit eine zeitliche Begrenzung immanent. Dadurch kann im Rahmen einer Umsatzsteuervoranmeldung immer nur eine Steuerverkürzung „auf Zeit“ verwirklicht werden.172 Werden unrichtige Angaben aktiv in eine Jahreserklärung übernommen, werden erneut unrichtige Angaben i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gemacht und durch das Umschlagen der Steuerverkürzung „auf Zeit“ in eine „auf Dauer“ ergibt sich ein neuer, eigenständiger Erfolg. Dasselbe gilt, wenn die Abgabe einer Jahreserklärung unterlassen wird – mit Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuerjahreserklärung ergibt sich ein neuer Taterfolg.173 167  BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 206/04, NJW 2005, 836; zustimmend: Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 448; a. A.: Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 328 und Reiß, in: FS Samson, S. 571 (590), wonach sich bei bloßer Wiederholung unrichtiger Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung keine neue Steuerverkürzung ergebe. 168  BGH v. 1.11.1995 – 5 StR 535/95, NStZ 1996, 136 (137); daran festhaltend: BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979 (1982); BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1985); ebenso: Böse, wistra 2003, 47 (48), der von einem „Umschlagen von einer vorläufigen in eine endgültige Steuerverkürzung“ spricht; a. A.: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 103, 155. 169  Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370, Rn. 18; Reiß, in: FS Samson, S. 571 (586). 170  So auch: Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 496; der Begriff „vorläufig“ ist dabei nicht i. S. d. § 165 AO, sondern seinem natürlichen Wortsinn nach zu verstehen. 171  Treiber, in: Sölch/Ringleb, § 18 UStG, Rn. 350. 172  A. A.: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (588), nach dessen Ansicht auch durch eine unrichtige oder unterlassene Umsatzsteuervoranmeldung eine Steuerhinterziehung auf Dauer bewirkt werden könne, wenn von vornherein vorgesehen sei, das Verhalten im Rahmen der Jahressteuererklärung zu wiederholen. 173  Vgl. S. 134.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Nun überschneidet sich das Unrecht der beiden Taten allerdings dadurch, dass die Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen und die Verpflichtung zur Abgabe der Jahreserklärung der Durchsetzung desselben Steueranspruches – der Umsatzsteuerschuld eines Veranlagungszeitraums – dienen. Aufgrund dieser Teilidentität des Unrechtsgehalts wurde bisher in der Regel eine strafprozessuale Beschränkung der Verfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO auf die Verkürzung durch die Umsatzsteuervoranmeldung oder durch die Jahreserklärung vorgenommen.174 2017 präzisierte der Bundesgerichtshof das Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldung und -jahreserklärung dahingehend, dass die Steuerverkürzung durch die Voranmeldung als notwendiges Durchgangsstadium zur Steuerverkürzung „auf Dauer“ durch die Jahreserklärung anzusehen und somit die vorangegangene Steuerverkürzung „auf Zeit“ als mitbestrafte Vortat zu qualifizieren ist.175 Die Vollstreckungsverjährung bemisst sich nach der Beendigung der Haupttat – also nach dem Zeitpunkt der Abgabe der Jahreserklärung, soweit kein gesonderter Bescheid durch die Finanzbehörde ergeht.176 Anzudenken ist, dass der Gesetzgeber mit der Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO ebenfalls eine Art „Kontrollmechanismus“, ähnlich zur Umsatzsteuerjahreserklärung, geschaffen hat, was eine Vertiefung des Unrechts erlauben könnte. Dies mag bezogen auf das Tatverhalten der Fall sein – es besteht sowohl eine Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung als auch zur Berichtigung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 AO, wodurch jeweils vorangegangenes strafrechtlich relevantes Verhalten korrigiert werden kann und soll. Allerdings ist bei der Umsatzsteuerjahreserklärung zwingend eine „erneute“, abschließende Steueranmeldung vorgesehen177 und nur dadurch ergibt sich ein Anknüpfungspunkt für einen erneuten Taterfolg nach § 370 Abs. 1 AO – sei es, weil unrichtige Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung wiederholt wurden oder weil die Abgabe der Jahreserklärung unterlassen wurde und ggf. eine Schätzung erging. Bei § 153 Abs. 1 AO fehlt es an einem vergleichbaren zwingenden zeitlichen Anknüpfungspunkt für einen eigenständigen Taterfolg. Einem Einkommensteuerbescheid kommt grundsätzlich eine abschließende Wirkung für 174  BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 206/04, NJW 2005, 836 (837); BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/07, NJW 2009, 1979 (1982). 175  BGH v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, BeckRS 2017, 122509, Rn. 50; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 592. 176  Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 53; ders., in: Rolletschke/ Kemper, § 370, Rn. 450. 177  Vgl. § 18 Abs. 3 und 4 UStG; die Abgabefrist hierzu ergibt sich aus § 149 Abs. 2 S. 1 AO, wonach Jahressteuererklärungen grds. bis zum 31.07. des nachfolgenden Kalenderjahres abzugeben sind; dabei steht eine Steueranmeldung gem. § 168 S. 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO159

einen Veranlagungszeitraum zu, womit – jedenfalls wenn man die Wertung über das Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldung und -jahreserklärung heranzieht – kein Raum mehr für ein Umschlagen von einer Steuerverkürzung „auf Zeit“ in eine Steuerverkürzung „auf Dauer“ bleibt. (b) Steuerverkürzung „auf Zeit“ und „auf Dauer“ Nun kann dem Gedanken eines zeitlich anwachsenden tatbestandlichen Erfolgs nicht allein mit Verweis auf die Handhabung in der Umsatzsteuer eine Absage erteilt werden. Die Unterscheidung zwischen vorübergehender und dauerhafter Steuerverkürzung ergibt sich bereits aus § 370 Abs. 4 S. 1 AO und findet grundsätzlich nicht nur im Bereich der Umsatzsteuer Anwendung.178 Es gebietet sich demnach, hier einen Schritt zurückzutreten und sich allgemein zu fragen, worin sich die Steuerverkürzung „auf Zeit“ und „auf Dauer“ unterscheiden und inwieweit die Unterscheidung eine Vertiefung oder Wiederholung eines eingetretenen Erfolges zulässt. Denkbar ist eine Unterscheidung nach objektiven und nach subjektiven Gesichtspunkten. (aa) Objektive Betrachtung Aus objektiver Sicht lediglich als Steuerfestsetzungen „auf Zeit“ angelegt, sind Umsatzsteuervoranmeldungen, Lohnsteueranmeldungen sowie die Festsetzung von Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuervorauszahlungen.179 Ihnen ist jeweils immanent, dass der Steueranmeldung bzw. der Festsetzung keine abschließende Wirkung bezüglich der Steuerschuld eines gesamten Veranlagungszeitraums zukommt. Wie bereits herausgearbeitet ist allerdings in jeder verfolgbaren Steuerhinterziehung aus objektiver Sicht der tatbestandliche Erfolg darin zu sehen, dass die vollständige Steuer „noch nicht“ festgesetzt wurde. Auch bei Steuer­ festsetzungen, die eigentlich „auf Dauer“ angelegt wären – wie beispielsweise dem Einkommensteuerjahresbescheid – wird im Regelfall der Tatentdeckung die zutreffende Steuerfestsetzung nachfolgen, soweit Festsetzungsund Verfolgungsverjährung noch nicht abgelaufen sind.180 Somit beinhaltet 178  Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 16, 92 ff. m. w. N.; die Strafbarkeit einer Steuerhinterziehung auf Zeit entgegen der herrschenden Meinung insgesamt verneinend: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 161–166. 179  Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 89–91; dabei ist zu beachten, dass einer Steueranmeldung regelmäßig keine Steuerfestsetzung nachfolgt, sondern die Anmeldung selbst gem. § 168 S. 1 AO bereits einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. 180  Vgl. S. 135 f.; in diesem Rahmen ist noch einmal auf die Koppelung der Festsetzungsverjährung an die Verfolgungsverjährung nach § 171 Abs. 7 AO hinzuweisen.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

jede verfolgbare Steuerhinterziehung aus objektiver Sicht immer lediglich eine Steuerverkürzung „auf Zeit“. Aus dieser rein faktischen Betrachtungsweise lässt sich damit für die Bestimmung des tatbestandlichen Erfolges nichts ableiten; hierfür ist vielmehr auf die objektive Zweckrichtung einer Erklärung abzustellen. Solange sich dabei nicht bereits aus der Konzeption einer Erklärung eine nur vorübergehende Wirkung ergibt, kann auch durch das Unterlassen einer Berichtigungserklärung keine eigenständige Steuerverkürzung im Sinne einer Vertiefung des Schadens herbeigeführt werden. Es besteht kein Raum für ein „Umschlagen“ des Erfolgs von einer Verkürzung „auf Zeit“ in eine „auf Dauer“, wenn sich die Möglichkeit des Umschlagens nicht aus der Konzeption der Erklärungspflichten ergibt. Dem Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides fehlt es auch demnach für eine Vertiefung des bisherigen Erfolgs an einem eigenständigen Erfolgsunrecht – dieses besteht lediglich in der Aufrechterhaltung des bereits eingetretenen Erfolges. (bb) Subjektive Betrachtung Nach herrschender Meinung wird die Unterscheidung zwischen Steuerverkürzung „auf Dauer“ und „auf Zeit“ allerdings nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Gesichtspunkten vorgenommen. Es wird nicht geprüft, wie lange der Täter dem Staat den Steuerbetrag tatsächlich vorenthält – sondern vielmehr, wie lange der Täter subjektiv den Steuerbetrag im Zeitpunkt der Tat vorenthalten wollte. Maßgeblich ist, ob der Täter nur einen vorübergehenden Liquiditätsvorteil anstrebte und im Zeitpunkt seines tatbestands­ mäßigen Verhaltens plante, zu einem späteren Zeitpunkt noch eine korrekte Steuerfestsetzung zu ermöglichen.181 In diesen Fällen liegt aus subjektiver Sicht lediglich eine Steuerverkürzung „auf Zeit“ vor. Dies wirkt sich nach herrschender Meinung allerdings nicht auf den verwirklichten Taterfolg aus, sondern wird lediglich auf der Ebene der Strafzumessung relevant.182 Eine nur vorübergehende Steuerhinterziehung ist dabei milder zu bestrafen. Tatbe181  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/07, NJW 2009, 1979 (1983); Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 111; Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 89; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 315; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 495; Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 213 f.; Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 93. 182  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/07, NJW 2009, 1979 (1983); Krumm, in: Tipke/ Kruse, § 370 AO, Rn. 89; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 323; Kuhn, in: Kuhn/ Weigell/Görlich, Rn. 58; Reiß, in: FS Samson, S. 571 (587 f.); Rolletschke, wistra 2001, 287 (289); nach Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 501 soll eine Berücksichtigung in der Strafzumessung nur dann erfolgen, wenn sich eine subjektive „Wiedergutmachungsabsicht“ des Täters auch in objektiven Anhaltspunkten niedergeschlagen hat; auch Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 223 macht deutlich, dass das Strafzumessungsunrecht bei einer Steuerverkürzung auf Zeit lediglich im „Verspätungsschaden des Staates“ zu sehen ist.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO161

standlich führen beide Varianten zu einer vollständigen Verwirklichung des § 370 Abs. 1 AO. Eine Steuerhinterziehung „auf Dauer“ wird auch nicht dadurch eine Steuerhinterziehung „auf Zeit“, dass sie frühzeitig entdeckt wurde. Berichtigt der Täter im Nachhinein, obwohl ursprünglich eine Steuerverkürzung „auf Dauer“ geplant war oder nimmt er die intendierte Berichtigung doch nicht vor, so ändert dies ebenfalls nichts an der ursprünglichen Einordnung der Tat; dieses Nachtatverhalten kann sich lediglich strafschärfend oder strafmildernd auswirken.183 Die Unterscheidung in Steuerhinterziehung „auf Zeit“ bzw. „auf Dauer“ soll das strafzumessungsrelevante Handlungs- oder Tatunrecht genauer umschreiben und nicht das tatbestandliche Erfolgsunrecht.184 Der Verkürzungserfolg bemisst sich nach aktueller Rechtsprechung auch bei Verkürzungen „auf Zeit“ jeweils nach dem Nominalbetrag der ­verkürzten Steuern – nicht nach den entgangenen Zinsen.185 Der Taterfolg einer Steuerhinterziehung „auf Zeit“ und der einer Steuerhinterziehung „auf Dau­er“ sind damit identisch. Die frühere Rechtsprechung und Teile der Literatur sprachen bzw. sprechen sich im Gegensatz dazu dafür aus, den Zinsschaden als Taterfolg zugrunde zu legen, da es für das Erfolgsunrecht relevant sei, ob dem Staat nur zeitweise oder dauerhaft Steuern vorenthalten werden – die Unterscheidung solle gerade Teil des Erfolgs- und nicht des Handlungsunrechts sein.186 Diese Sicht eröffnet jedoch Raum für Schutzbehauptungen, würde zu teils willkürlichen Grenzziehungen führen und ist kaum praktikabel. Der bloße Zinsschaden ist geringer als der Nominalbetrag – folglich würde sich wohl jeder Steuerpflichtige, der sich steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegenübersieht, damit verteidigen, dass er im ZeitAuch bei anderen Vermögensdelikten, wie dem Betrug, kann der nachträgliche Ausgleich eines Vermögensschadens ebenfalls strafmildernd berücksichtigt werden, ändert aber grds. nichts daran, dass ein Schaden eingetreten ist. Suhr sieht in der Steuerhinterziehung insoweit ein Delikt mit überschießender Innentendenz (Rechtsgut, S. 122–125); dieser Ansicht ist jedoch nach Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 106 f. mit Verweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 1 GG eine Absage zu erteilen: Für die Verwirklichung einer Steuerhinterziehung bedarf es keiner „Aufrechterhaltungsabsicht“. 183  Vgl.: Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 216 f. 184  Rolletschke, wistra 2002, 332 (332); a. A.: Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 99, der die Unterscheidung auf den Umfang des verwirklichten Erfolgsunrechts bezieht – wobei fraglich ist, ob eine auf Dauer angelegte Steuerverkürzung weniger strafwürdig ist, nur weil sie früher entdeckt wurde; auch stellt § 370 Abs. 4 AO eindeutig auf die Festsetzung und nicht den darauffolgenden Zeitablauf ab. 185  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/07, NJW 2009, 1979 (1983); Krumm, in: Tipke/ Kruse, § 370 AO, Rn. 89; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 322; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 502; Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 221; Reiß, in: FS Samson, S. 571 (576). 186  BGH v. 26.9.1978 – 1 StR 293/78, HFR 1979, 110; Schmitz/Wulf, in: MüKoStGB, § 370 AO, Rn. 125, 128.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

punkt seines Tatverhaltens plante, nachträglich eine richtige Steuerfestsetzung zu ermöglichen.187 Der Kurswechsel der Rechtsprechung erfolgte damit zu Recht.188 (c) Zwischenfazit Grundsätzlich gilt damit: Voranmeldungen sind bereits objektiv lediglich auf eine Steuerfestsetzung „auf Zeit“ gerichtet, sodass Steuern damit auch nur auf Zeit verkürzt werden können.189 Daraus ergibt sich, dass bei Voranmeldungen respektive Vorauszahlungen eine Steuerverkürzung vertieft werden kann, wenn eine nachfolgende Jahreserklärung unrichtig abgegeben oder deren Abgabe unterlassen wurde. Jahressteuererklärungen sollen dagegen einen Veranlagungszeitraum abschließen und sind damit aufgrund ihrer objektiven Zweckrichtung grundsätzlich auf eine Steuerfestsetzung „auf Dauer“ gerichtet – unabhängig von einem etwaigen Vorsatz des Erklärenden. Durch Jahreserklärungen kann sowohl eine dauerhafte Verkürzung als auch ausnahmsweise bei vorsätzlichen Steuerhinterziehungen lediglich eine Steuerhinterziehung „auf Zeit“ verwirklicht werden, wenn im Tatzeitpunkt eine Berichtigungsabsicht besteht. Solch eine subjektive Berichtigungs- bzw. Wiedergutmachungsabsicht kann in der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden. Die Nichtvornahme einer Berichtigung löst jedoch keinen weiteren Taterfolg aus. Wurde unvorsätzlich eine unrichtige Erklärung abgegeben und dadurch eine Steuerverkürzung herbeigeführt, liegt damit grundsätzlich eine strafrechtlich irrelevante Steuerverkürzung „auf Dauer“ vor. Deren Erfolgsunrecht erhöht sich zwar mit Zeitablauf, es tritt aber bei passivem Verhalten kein erneuter tatbestandlicher Erfolg i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO ein, sodass sich aus einer nachfolgenden Nichtberichtigung keine eigenständige Strafbarkeit ergeben kann. Für die Einkommensteuerjahreserin: HHSp, § 370 AO, Rn. 318. BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/07, NJW 2009, 1979 (1983); als Argument wurde hier ebenfalls angeführt, dass eine Korrektur in der Zukunft zwar möglich, aber ungewiss sei und damit den tatbestandsmäßigen Erfolg im Grundsatz unberührt lasse; ebenso: Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 493. 189  So auch: Vogelberg, in: Simon/Vogelberg, S. 83; Rolletschke (in: Rolletschke/ Kemper, § 370 AO, Rn. 219 m. w. N.) stellt allerdings klar, dass es bei der Steuerhinterziehung i. R. v. Voranmeldungen strafschärfend berücksichtigt wird, wenn der Täter nicht beabsichtigt, die Unrichtigkeit durch eine spätere Jahreserklärung zu berichtigen. Faktisch erfolgt also dennoch eine Bestrafung wie bei einer Steuerhinterziehung auf Dauer, sodass die subjektive Vorstellung die objektive Seite der Tat überlagert. Wie die Hinterziehung von Umsatzsteuer in Voranmeldung und Jahreserklärung allerdings im Ergebnis bestraft wird, soll hier nicht näher diskutiert werden. Ausschlaggebend ist im hier behandelten Kontext, dass durch die Jahreserklärung eine Vertiefung bzw. ein neuer Taterfolg im Grundsatz bejaht wird. 187  Peters, 188  Vgl.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO163

klärung gilt damit zusammengefasst Folgendes: Anders als bei der Umsatzsteuer sieht das Gesetz keine Art „Kontrollmechanismus“ im Sinne einer weiteren, zusammenfassenden Erklärung vor. Ein auf Grundlage einer Einkommensteuererklärung ergangener Einkommensteuerbescheid soll vielmehr einen Veranlagungszeitraum abschließen.190 Aus objektiver Sicht ist daher bei einen Veranlagungszeitraum abschließenden Festsetzungen durch lediglich passives Verhalten keine Vertiefung respektive Wiederholung des tatbestandlichen Erfolgs möglich. Der Schluss Deibels vom zeitlich anwachsenden Erfolgsunrecht auf die Bejahung eines tatbestandlichen Erfolgs ist im Ergebnis inkonsequent. Das Anwachsen des Zinsschadens ist der außertatbestandlichen Sphäre zuzuschreiben und für eine Verwirklichung der Strafnorm des § 370 Abs. 1 AO eigentlich irrelevant, wie von Deibel grundsätzlich richtig erkannt wird.191 Gibt ein Steuerpflichtiger eine unrichtige Steuererklärung ab und will damit eine dauerhafte Steuerverkürzung in Höhe von 50.000 Euro herbeiführen, so tritt der Taterfolg der Steuerverkürzung ein, sobald die unrichtige Steuerfestsetzung ergangen ist. Ob die Unrichtigkeit nun nach drei Monaten oder drei Jahren entdeckt wird und auch ob sich zwischenzeitlich Gelegenheiten zur Berichtigung ergeben hätten, macht für die Verwirklichung des Tatbestandes keinen Unterschied – auch wenn nach drei Jahren das Erfolgsunrecht bereits stärker angewachsen ist als erst nach drei Monaten. Der Gesetzeswortlaut stellt dabei beide Varianten gleich – es wird jeweils eine vollendete Steuerhinterziehung verwirklicht.192 Es liegt bereits bei Ergehen der Festsetzung eine Steuerverkürzung in Höhe von 50.000 Euro vor. Das Erfolgsunrecht ist insoweit nur in der Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustandes – der Nichtfestsetzung der vollständigen Steuer – zu sehen.193 Selbst Schmitz, auf dessen Ausführungen Deibel sich beruft, differenziert zwischen dem anwachsenden Erfolgsunrecht und dem Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, der für eine Bestrafung maßgeblich ist.194 Auch Wulf hebt hervor, dass der tatbestandliche Erfolg trotz des zeitlich gestreckten Erfolgsunrechts „nach der erstmaligen Vollendung des Delikts nicht erneut herbeige-

190  Anders als bspw. die Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen nach § 37 EStG. 191  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 139, mit Verweis auf Hoff, Handlungsunrecht, S. 116, Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 203 u. Witte, Steuerhinterziehung, S. 82, 130. 192  Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 54, 110. 193  Suhr, Rechtsgut, S. 123. 194  Vgl. Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 230, wonach für den Beginn der Verfolgungsverjährung auf den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs und nicht dessen Abschluss abzustellen sei; in wistra 1993, 248 (249) hält er auch fest, dass das Unrecht einer Steuerhinterziehung mit Eintritt der Steuerverkürzung vollendet ist und nicht mehr vertieft werden kann.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

führt werden kann“.195 Eine Vertiefung einer eingetretenen Steuerverkürzung ist damit nur im Bereich der Umsatzsteuer im Verhältnis von Voranmeldungen zu Jahreserklärung und im Bereich der Festsetzung von Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuervorauszahlungen zu den jeweiligen Jahreserklärungen möglich – in anderen Fällen lässt sich aus der bloßen Nichtvornahme einer Berichtigung kein eigenständiger Taterfolg ableiten. (4) Erfolg im Beitreibungsverfahren Auch Joecks arbeitet das Problem heraus, dass der Verkürzungserfolg in den meisten Fällen des § 153 Abs. 1 AO bereits vor Entstehung der Berichtigungspflicht eingetreten ist.196 Er erachtet eine Strafbarkeit jedoch als zwingende Konsequenz für ein solches Fehlverhalten und löst diese Fälle vom Ergebnis her. Er stellt für die Bejahung des Erfolges nicht auf einen Vergleich zwischen Soll- und Ist-Versteuerung ab, sondern denkt an, die für eine Steuerverkürzung außerhalb des Festsetzungsverfahrens geltenden Regeln heranzuziehen. Es wurde bereits festgestellt, dass es sich bei der Steuerhinterziehung grundsätzlich um ein konkretes Gefährdungsdelikt handelt. Es wäre damit anzudenken, dass der Schaden vertieft wird und § 370 Abs. 1 AO erneut verwirklicht werden könnte, wenn das geschützte Rechtsgut – die Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit des staatlichen Steueraufkommens – endgültig verletzt werde. Eine endgültige Verletzung des Steueraufkommens liegt erst vor, wenn die Steuerschuld fällig ist und nicht bezahlt wird. Die unterlassene Entrichtung der Steuerschuld stellt allerdings gerade keinen tatbestandlichen Erfolg des § 370 Abs. 1, Abs. 4 AO dar.197 Wenn ein Steuerpflichtiger seine Steuern korrekt festsetzen lässt und im Zeitpunkt der Fälligkeit nachweislich nicht mehr in der Lage ist, die Steuerschuld zu begleichen, macht er sich nicht strafbar nach § 370 Abs. 1 AO – obwohl damit das zu schützende Rechtsgut in größerem Ausmaß verletzt wird, als wenn eine Umsatzsteuervoranmeldung einige Tage zu spät abgegeben wird. Hier ist strikt zwischen einer Verletzung des von § 370 Abs. 1 AO geschützten Rechtsgutes und dem tatbestandlichen Erfolg des § 370 Abs. 1 AO zu trennen – anders als bei 195  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 81 f.; a. A.: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 138 f., die insoweit von einem „anwachsenden Erfolg“ spricht. 196  Vgl. im Ganzen hierzu: Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 266 f.; ders., PStR 2015, 235 (238). 197  Anders bspw., wenn Vermögenswerte im Vollstreckungsverfahren bewusst verschwiegen oder unrichtige Angaben gemacht wurden, vgl. Maurer, in: Wannemacher, Rn. 1395 f.; nach h. M. ist § 370 Abs. 1 AO daher kein Verletzungsdelikt, vgl. Reiß, in: FS Samson, S. 571 (577).



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO165

vielen anderen Gefährdungsdelikten wird mit der über die Gefährdung hinaus­gehenden Verletzung des Rechtsguts der Taterfolg nicht „erst recht“ erfüllt – sondern gerade nicht. Mit Ergehen der zu niedrigen Festsetzung tritt grundsätzlich sowohl Vollendung als auch Beendigung der Steuerhinterziehung ein. Eine nachträgliche Zahlung kann den Erfolgseintritt, sobald eine zu niedrige Festsetzung ergangen ist, damit auch nicht mehr verhindern.198 In bestimmten Fällen ist allerdings auch anerkannt, dass eine Steuerhinterziehung ebenso im Beitreibungsverfahren verwirklicht werden kann – dafür bedarf es jedoch, über eine bloße Nichtzahlung hinausgehend, „ein Verhalten, das eine bestimmte Erklärungsrelevanz aufweist“.199 Beispielhaft hierfür sind Anträge auf Stundung und Vollstreckungserleichterung sowie ggf. auch eine eidesstattliche Versicherung anzuführen.200 Wichtig für die Tathandlung ist dabei allerdings, dass sie an das Vollstreckungsverfahren anknüpft und nicht bereits zuvor im Festsetzungsverfahren. Unabhängig davon, ob man grundsätzlich eine Steuerverkürzung auch im Beitreibungsverfahren zulässt, soll die Berichtigungserklärung des § 153 Abs. 1 AO allerdings nur unmittelbar Rechtsfolgen im Festsetzungsverfahren herbeiführen. Sowohl ihrer Vornahme als auch ihrem Unterlassen kommt damit keinerlei Erklärungswert für das Beitreibungsverfahren zu. Der Sicht von Joecks ist somit zu widersprechen. Zwar ist das „Bedürfnis nach Strafe“ auf den ersten Blick nachvollziehbar – jedoch lässt sich eine solche nicht contra legem begründen. Nur weil etwas strafbar sein sollte, heißt dies nicht, dass es auch strafbar ist – es ist auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes zu achten. (5) Bereits ergangene Festsetzung als Steuervorteil Ransiek vertritt die Ansicht, dass sich der Taterfolg eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 AO daraus ergibt, dass eine unrichtige Steuerfestsetzung einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil darstelle und dieser durch die Nicht­ berichtigung belassen und damit i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 AO erlangt werde.201 Eine zu niedrige Steuerfestsetzung als Steuerverkürzung könnte 198  Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 53; Reiß, in: FS Samson, S. 571 (576); vgl. auch Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 114, der die bloße „Nicht-Zahlung“ ebenfalls als eindeutig nicht tatbestandsmäßig ansieht. 199  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 84; vgl. auch Maurer, in: Wannemacher, Rn.  1395 f.; lt. Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 391, wird diese Auslegung durch die Formulierung „namentlich“ in § 370 Abs. 4 S. 1 AO ermöglicht, woraus deutlich wird, dass die Aufzählung in der Legaldefinition nicht abschließend sei. 200  Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 84–87. 201  Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 336; ebenso: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 128; ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil ist nach § 370 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 AO ausdrücklich auch erlangt, wenn er zu Unrecht belassen wird.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

grundsätzlich unter den Begriff eines Steuervorteils gefasst werden202 – allerdings geht aus der Systematik von § 370 Abs. 1 und Abs. 4 AO deutlich hervor, dass nur die Erlangung eines anderen nicht gerechtfertigten Steuervorteils, der nicht zugleich eine Steuerverkürzung darstellt, ein tauglicher Taterfolg nach der zweiten Variante ist. Andernfalls würde wieder ein Dauerdelikt konstruiert.203 Die Erlangung einer Steuerverkürzung als Steuervorteil soll damit nur von Alternative 1 des § 370 Abs. 1 AO erfasst werden. Auch Peters macht deutlich, dass die zweite Taterfolgsalternative nur Steuervorteile außerhalb des Festsetzungsverfahrens umfassen soll.204 (6) Historie Die Unterscheidung danach, ob bereits eine Steuerverkürzung eingetreten ist oder nicht, lässt sich auch bereits in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift finden. In der Vorgängernorm des § 153 Abs. 1 AO – § 165e RAO – war die Berichtigungspflicht auf die Fälle beschränkt, bei denen die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung in der Zukunft zu einer Verkürzung von Steuereinnahmen führen kann.205 Die Fälle, bei denen die Fehlerhaftigkeit bereits zu einer Steuerverkürzung geführt hat, wurden erst 1977 bei der Reform der Abgabenordnung explizit in die Vorschrift aufgenommen. Es wurde im ersten Kapitel bereits herausgearbeitet, dass § 153 Abs. 1 AO eine vornehmlich deklaratorische Vorschrift darstellt – sich Berichtigungspflichten also auch aus den allgemeinen Mitwirkungspflichten ergeben. Die ursprüngliche Beschränkung der Pflicht auf das nachträgliche Erkennen vor Ergehen einer unrichtigen Steuerfestsetzung erschließt sich damit aus steuerlicher Sicht nicht. Sie würde lediglich aus einer strafrechtlichen Betrachtungsweise Sinn ergeben. Der Steuerpflichtige wurde durch die Formulierung des § 165e RAO verpflichtet, den drohenden Erfolgseintritt zu verhindern – geschah dies nicht, so beruhte die anschließend ergehende Steuerfestsetzung kausal auf der Nichtberichtigung und Strafbarkeitslücken konnten geschlossen werden. War der Erfolg allerdings bereits eingetreten, fehlte es – wie hier vertreten – für eine Strafbarkeit der Nichtvornahme einer Berichtigung an der kausalen Verursachung einer Steuerverkürzung. Naheliegend ist, dass der damalige Gesetzgeber erkannt hat, dass die Berichtigungspflicht nach erfolg202  Die Unterscheidung ist insoweit umstritten: Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 153. 203  Dass die Steuerhinterziehung gerade nicht als Dauerdelikt konzipiert ist, wurde auf S. 141 ff. herausgearbeitet. 204  Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 352; vgl. auch: Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 165. 205  Siehe S. 20 ff.; vgl. auch: Heuermann, in: HHSp, § 153 AO, Rn. 1.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO167

ter Festsetzung nicht strafbewehrt wäre, sodass eine gesonderte Statuierung dieser Pflicht ggf. für nicht erforderlich erachtet wurde. Die Historie der Norm stellt damit auch ein Indiz für die hier vertretene Auslegung dar. (7) Vergleich mit der wiederholten Zueignung bei Unterschlagung Im Folgenden wird untersucht, ob im übrigen Kernstrafrecht eine vergleichbare primärrechtliche Pflicht bekannt ist, bei der ein bereits herbeigeführter Erfolg zu einer strafbewehrten Anzeige- bzw. „Wiedergutmachungspflicht“ führt und wenn ja, wie in diesem Fall das Vorliegen eines tatbestandlichen Erfolgs begründet wird. Eine vergleichbare und ebenfalls umstrittene Konstellation stellt die „Zweitzueignung“ bzw. wiederholte Zueignung im Rahmen der Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB dar.206 Dabei wird in der Diskussion zwischen den Fällen unterschieden, in welchen jemand bereits durch eine strafbare Handlung eine Sache erlangt hat und solchen, in denen die ursprüngliche Zueignung in dem Glauben erfolgte, dazu berechtigt zu sein. (a) Bösgläubig erlangte Sache In den erstgenannten Fällen ist stark umstritten, ob eine Person, die sich ein Tatobjekt bereits durch ein Eigentums- oder Vermögensdelikt zugeeignet hat, sich dieses erneut durch einen weiteren Manifestationsakt zueignen kann. Nach der herrschenden Tatbestandslösung ist keine erneute Zueignung möglich.207 Hatte sich der Täter bereits rechtswidrig einer Sache bemächtigt, handelt es sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bei jedem nachfolgenden Akt, durch den eine Zueignung manifestiert wird, um eine „Ausnutzung der zuvor deliktisch herbeigeführten eigentümerähnlichen Herrschaft“.208 Der Täter habe sich bereits eine eigentümerähnliche Stellung angemaßt, sodass sein weiteres Verhalten lediglich zu einer Perpetuierung der rechtswidrigen Besitzlage führe, für die die Folgedelikte des §§ 259 ff. StGB vorrangig einschlägig seien.209 Erneute Zueignungen seien grundsätzlich typische Ver206  Vgl.

dazu die Ausführungen von Höll/Hinghaus, PStR 2010, 45 (47). v. 7.12.1959 – GSSt 1/59, NJW 1960, 684 (686); BGH v. 5.5.1983 – 4 StR 121/83, NJW 1983, 2827; BGH v. 13.7.1995 – 1 StR 309/95, NStZ-RR 1996, 131 (132); OLG Saarbrücken v. 16.10.1975 – Ss 55/75, NJW 1976, 65 (66); Kindhäuser, in: NK-StGB, § 246, Rn. 37; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 246 StGB, Rn. 4; Gehrmann, Systematik und Grenzen der Zueignungsdelikte, S. 119; Mitsch, ZStW Bd. 111 (1999), 65 (92); Schünemann, JuS 1968, 114 (116–119). 208  BGH v. 7.12.1959 – GSSt 1/59, NJW 1960, 684 (686). 209  Murmann, NStZ 1999, 14 (15). 207  BGH

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

wertungshandlungen ohne eigenen Unrechtsgehalt, durch die der Angriff auf das Eigentum als Rechtsgut nicht wesentlich vertieft werde.210 Die Vertreter der Konkurrenzlösung bejahen dagegen die Möglichkeit einer erneuten strafbaren Zueignung, lassen diese jedoch ggf. als mitbestrafte Nachtat zurücktreten.211 Dies wird unter anderem damit begründet, dass so Strafbarkeitslücken geschlossen werden sollen und der § 246 StGB vom Gesetzgeber zugedachten Auffangfunktion Genüge getan wird.212 Diese Auffassung würde die Belangung einer Teilnahme an späteren Zueignungshandlungen oder eine erstmalige Bestrafung, soweit die Erstzueignung (z. B. wegen Verjährung) strafrechtlich nicht verfolgbar ist, ermöglichen. Ferner sei auch eine deliktisch entzogene Sache weiter gegen Eigentumsverletzungen zu schützen.213 Diese Argumentation lässt sich auf die in diesem Abschnitt diskutierte Problematik übertragen: Es erscheint ebenfalls ungerecht, wenn jemand strafrechtlich nicht belangt werden könnte, wenn er einen Vorteil aus einer Steuerverkürzung behält, obwohl er dazu verpflichtet und in der Lage wäre, die Steuerverkürzung rückgängig zu machen. Dabei ist jedoch zu ­berücksichtigen, dass nach den Primärordnungen des Zivilrechts bzw. des Steuerrechts der ursprüngliche Täter jeweils zu einer Rückgängigmachung verpflichtet ist.214 Wie bereits herausgearbeitet, kann und soll nicht jeder primärrechtliche Fehltritt mit dem Schwert des Strafrechts bestraft werden. Die Bejahung mehrerer Zueignungen nach § 246 Abs. 1 StGB lässt sich ferner mit dem Wortlaut der Norm schwer vereinbaren. Dem Wortsinn nach ist unter einer Zueignung die Herstellung der Herrschaft über eine Sache oder die erstmalige Verfügung über sie – nicht jedoch die bloße Ausnutzung einer bereits geschaffenen Herrschaftsstellung – zu verstehen.215 Ferner könnten durch die Konkurrenzlösung Verjährungsfristen faktisch aufgehoben werden, da durch jeder erneute „Zueignung“ eine neue Verjährungsfrist in Gang ge-

NStZ 1999, 14 (17). in: Schönke/Schröder, § 246 StGB, Rn. 19; Bockelmann, JZ 1960, 621 (624); Duttge/Sotelsek, JURA 2002, 526 (532 f.); Eckstein, JA 2001, 25 (30); Schröder, JR 1960, 308; Seelmann, JuS 1985, 699 (702); Tenckhoff, JuS 1984, 775 (779). 212  Bosch, in: Schönke/Schröder, § 246 StGB, Rn. 19; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 42; Tenckhoff, JuS 1984, 775 (779); insoweit von einem „kriminalpolitischen Bedürfnis“ in Bezug auf die Anerkennung der Wiederholbarkeit der Zueignung sprechend: Bockelmann, JZ 1960, 621 (624); vgl. auch: Wessels/Hillenkamp/Schuhr, StrafR BT II, Rn. 341. 213  Bosch, in: Schönke/Schröder, § 246 StGB, Rn. 19. 214  Vgl. Lüderssen, in: FS Eser, 163 (167) dazu, dass im Zivilrecht und im öffentlichen Recht eigenständige Rechtsfolgen festgelegt sind. 215  BGH v. 7.12.1959 – GSSt 1/59, NJW 1960, 684 (686); Hohmann, in: MüKoStGB, § 246, Rn. 43; vgl. auch Schünemann, JuS 1968, 114 (117), der insoweit sogar von einer „Pervertierung“ des natürlichen Wortsinns spricht. 210  Murmann, 211  Bosch,



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO169

setzt würde.216 Die Zweitzueignung nach einer vorangegangenen Tat ist damit nach überzeugenderer Ansicht nicht strafbar nach § 246 Abs. 1 AO, sodass sich auch in diesen Fällen keine strafbewehrte Pflicht zur Wiedergutmachung ergibt. Auch für § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann das Aufzeigen einer Strafbarkeitslücke keine Abweichung vom Wortlaut der Strafnorm rechtfertigen. (b) Gutgläubig erlangte Sache Davon zu unterscheiden sind die Konstellationen, in denen eine Person eine Sache zunächst gutgläubig erlangt hat, nachträglich bösgläubig wird und daraufhin erneut ihren Herrschaftswillen nach außen betätigt. In diesen Fällen gehen sowohl die Tatbestandslösung als auch die Konkurrenzlösung von der Möglichkeit einer wiederholten Zueignung aus.217 Insoweit erscheint die Tatbestandslösung inkonsequent, die in der obigen Konstellation noch die Wiederholbarkeit einer Zueignung verneint hat.218 Raum für diese Auslegung ergibt sich jedoch daraus, dass die Zueignung i. S. d. § 246 Abs. 1 StGB sowohl objektive als auch subjektive Elemente in sich vereint.219 Nur dadurch lässt sich in diesen Fällen die Wiederholung des „Taterfolgs“ begründen. Eine Zueignung liegt subjektiv vor, wenn zumindest vorübergehend Eigenbesitz an einer Sache begründet (Aneignung) und dem Eigentümer der ihm zustehende Besitz an der Sache dauerhaft vorenthalten werden soll. Dieser Wille zur Eigentumsanmaßung muss sich objektiv im Verhalten des Täters niederschlagen (sog. Manifestation des Zueignungswillens).220 Eine „Wiederholung“ durch eine Willensmanifestation, nachdem die wahre Eigentumslage erkannt wurde, lässt sich damit auf das – später erstmalig vorliegende –

in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 43. in: Schönke/Schröder, § 246 StGB, Rn. 19; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 246, Rn. 37. 218  Dies wird in der Literatur auch kritisiert – wenn eine Zueignung nicht wiederholt werden könne, so müsse dies unabhängig davon gelten, ob das vorangegangene Handeln schuldlos war oder nicht, so: Hohmann, in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 44; Duttge/Sotelsek, JURA 2002, 526 (533); Seelmann, JuS 1985, 699 (702). 219  Kindhäuser, in: NK-StGB, § 246, Rn. 7; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 246 StGB, Rn. 4. 220  Zur Def. insgesamt: Kindhäuser, in: NK-StGB, § 246, Rn. 5 f.; Otto, Jura 1996, 393 (384); Tenckhoff, JuS 1984, 775 (779); vgl. auch: Hohmann, in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 19, der im Ergebnis jedoch die objektive Zueignungslehre vertritt (Rn. 36); a. A.: Maiwald, in: FS Schreiber, 315 (321, 329), nach dem diese Definition mit zu vielen Unsicherheiten behaftet ist und aus ihr nicht hervorgeht, dass es sich bei der Unterschlagung um ein Erfolgsdelikt handelt; insofern sei eher auf die „Schaffung einer Lage von gewisser Endgültigkeit“ abzustellen. 216  Hohmann, 217  Bosch,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

subjektive Element der Zueignung stützen.221 Diese Auslegung kann jedoch für die Steuerhinterziehung und die Wiederholung einer Steuerverkürzung nicht fruchtbar gemacht werden. Das Vorliegen einer Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 1, Abs. 4 AO ist lediglich nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Ein hinzutretendes subjektives Element – der Wille die Steuerverkürzung aufrechtzuerhalten, obwohl die Rechtswidrigkeit nachträglich erkannt wurde – kann damit für das objektive Tatbestandsmerkmal der Steuerverkürzung keinen eigenständigen objektiven Taterfolg begründen. (c) Zwischenfazit Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die Diskussion um die wiederholte Zueignung im Rahmen der Unterschlagung nicht auf das Problem der Wiederholbarkeit einer Steuerverkürzung durch passives Verhalten übertragen werden kann. Selbst wenn man der Konkurrenzlehre folgen würde, scheitert eine Übertragung der Argumente daran, dass das Merkmal der Steuerverkürzung – anders als das der Zueignung – ausschließlich objektiv bestimmt wird. Ein Vergleich mit der Unterschlagung stützt damit sogar die bereits aufgestellte These, dass eine Missachtung des § 153 Abs. 1 AO im Nachgang an eine bereits erfolgte Steuerfestsetzung keinen eigenständigen Taterfolg begründen kann. cc) Fazit Damit das bezeichnete Verhalten nach der vorzuziehenden Meinung zu einem tauglichen Taterfolg führt, ist es erforderlich, dass die zu niedrige Steuerfestsetzung erst nach Ablauf der Unverzüglichkeitsfrist des § 153 Abs. 1 AO ergeht, sodass das Unterlassen kausal für diese sein kann. Selbst wenn vor Ablauf der Frist eine bloße Anzeige und noch keine Berichtigung eingereicht würde, würde die zuständige Veranlagungsstelle mit dem Erlass eines Bescheides noch zuwarten und die unrichtige Festsetzung würde nicht ergehen. Ergeht ein Bescheid bevor der Steuerpflichtige seinen Fehler überhaupt erkennt und damit berichtigen kann, ergibt sich für das Unterlassen kein tauglicher, zurechenbarer Taterfolg. Die herrschende Meinung reduziert die Tatbestandsverwirklichung auf das In-Unkenntnis-Lassen über steuerlich erhebliche Tatsachen – und lässt dabei das Erfolgserfordernis des § 370 Abs. 1 AO weitestgehend außer Acht.

221  Vgl. dazu auch: Kindhäuser, in: NK-StGB, § 246, Rn. 37 ff., der das Problem der wiederholten Zueignung unter dem Gliederungspunkt „Subjektiver Tatbestand“ verortet.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO171

Dass das Belassen einer zu niedrigen Steuerfestsetzung trotz Änderungsmöglichkeit nicht ebenso verwerflich ist, wie die Nichtverhinderung der zu niedrigen Festsetzung soll damit aber nicht behauptet werden. Stellt man auf das „zeitlich anwachsende Erfolgsunrecht“ der Steuerhinterziehung nach Schmitz ab, ist beides gleich verwerflich – es werden dem Fiskus jeweils für die Zukunft Steuern vorenthalten. Allerdings findet sich dieses zeitlich anwachsende Unrecht im tatbestandlichen Erfolg des § 370 Abs. 1 AO, bei dem für eine Steuerverkürzung lediglich auf den Zeitpunkt der Festsetzung abzustellen ist, nicht wieder. Somit ist zwingendes Ergebnis der obigen Ausführungen, dass sich eine Strafbarkeit aus §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 153 Abs. 1 S. 1 AO nur ergeben kann, wenn die zu niedrige Steuerfestsetzung im Zeitpunkt der Entstehung der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO noch nicht ergangen ist. Ist im Zeitpunkt der Entstehung der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO bereits eine unrichtige Steuerfestsetzung ergangen, folgt auf eine Nichtberichtigung keine eigenständige Steuerverkürzung mehr und einer Strafbarkeit fehlt es an einem tatbestandlichen Erfolg. Die Bejahung einer Strafbarkeit durch Missachtung des § 153 Abs. 1 AO, nachdem eine zu niedrige Steuerfestsetzung bereits ergangen ist, wäre contra legem. Es wäre vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers de lege ferenda die Erhaltung einer Steuerverkürzung durch die Missachtung einer Berichtigungspflicht gesondert unter Strafe zu stellen. 3. Verhältnis zur straflosen Selbstbegünstigung Die Norm des § 257 StGB und der darin verkörperte allgemeine Grundsatz, dass eine Selbstbegünstigung straflos ist, stellt einigen Stimmen in der Literatur zufolge in bestimmten Fällen eine lex specialis zur Steuerhinterziehung dar. Eine Vertreterin dieser Ansicht ist Witte, die anmerkt, dass es befremdlich anmute, dass es möglich sein soll, ein und denselben Steuerbetrag eines Veranlagungszeitraums mehrmals zu verkürzen.222 Sie kommt zu dem Ergebnis, dass eine solche erneute Verkürzung nicht möglich sei und damit auch nicht gesondert bestraft werden könne. Dieses Ergebnis begründet sie auf der Ebene des Erfolgsunrechts damit, dass, sobald in Bezug auf einen Hinterziehungsbetrag bereits eine vorsätzliche Steuerhinterziehung und damit eine rechtswidrige Tat nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen wurde, jede weitere Handlung, die auf die Erhaltung eben dieser Steuerbegünstigung ­gerichtet wäre, eine grundsätzlich straflose Selbstbegünstigung darstelle.223 222  Witte, Steuerhinterziehung, S. 74; auch lt. Stahl, Selbstanzeige, Rn. 30 kann eine Verletzung von steuerrechtlichen Pflichten nicht strafbewehrt sein, wenn dem Verstoß bereits eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vorausging. 223  Witte, Steuerhinterziehung, S. 74 ff., 149 ff.; zustimmend: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 145.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Liege allerdings im Vorfeld noch keine Strafbarkeit vor, sei die Wertung des § 257 StGB nicht vorrangig, sodass noch eine Steuerhinterziehung bestraft werden könne. Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen dem Anwendungsbereich der Steuerhinterziehung und dem der Begünstigung sei das der „rechtswidrig verkürzten Steuer“224 – auf die Thematik des § 153 Abs. 1 S. 1 AO übertragen würde dies bedeuten: Wurde die ursprüngliche Erklärung unvorsätzlich falsch abgegeben, wäre die Steuer im Zeitpunkt der Missachtung der Berichtigungspflicht noch nicht rechtswidrig verkürzt und durch die Missachtung könne eine erneute Steuerhinterziehung verwirklicht werden. Wurde ursprünglich bereits bedingt vorsätzlich eine Steuerverkürzung herbeigeführt, so läge im Zeitpunkt der Missachtung der Berichtigungspflicht bereits eine rechtswidrig verkürzte Steuer vor und die Missachtung des § 153 Abs. 1 AO könne lediglich eine straflose Selbstbegünstigung darstellen – der Anwendungsbereich der Steuerhinterziehung wäre in diesem Fall nicht er­ öffnet. Dabei unterscheidet Witte richtigerweise zwischen einer steuerlichen Auskunftspflicht einerseits und deren Strafbewehrtheit andererseits.225 Um die grundlegende Frage zu klären, ob ein allgemeiner Grundsatz einer speziellen Norm vorgehen kann, ist zunächst zu beleuchten, wann eine lex specialis-Regelung vorliegt. Der lateinische Grundsatz lex specialis derogat legi generali bedeutet, dass das besondere Gesetz dem allgemeinen Gesetz vorgeht.226 Der Grundsatz, dass eine Selbstbegünstigung straflos sein soll, ist allerdings nicht ausdrücklich im Gesetz verankert, sondern wird nur daran festgemacht, dass die Begünstigung nach § 257 StGB lediglich Dritte und nicht den ursprünglichen Täter selbst mit Strafe belegt. Bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen handelt es sich hingegen um eine spezielles – im Gesetz ausdrücklich verankertes – Delikt und auch die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO ist besonders geregelt. Es erscheint daher zweifelhaft, ob ein allgemeiner Grundsatz einer speziellen Regelung im Bereich des Steuerstrafrechts vorgehen soll. Ein allgemeiner Grundsatz kann keine lex specialis darstellen. Dem Kern der Ansicht kann jedoch zugestimmt werden – allerdings nicht mit der Begründung, dass § 257 StGB lex specialis sei, sondern zum einen damit, dass eine erzwungene Handlung, die gleichzeitig eine Selbstbelastung wegen einer bereits begangenen Straftat darstellt, schon primärrechtlich unzumutbar ist.227 Zum anderen fehlt es in Bezug auf die Nichtberichtigung Steuerhinterziehung, S. 76. Steuerhinterziehung, S. 105 ff., 154 f. 226  Groh, in: Weber Rechtswörterbuch. 227  Siehe dazu die Ausführungen zur Pflichtwidrigkeit: S. 125 ff.; vgl. dazu auch die Ausführungen zu §§ 145d, 153, 164, 258 Abs. 1 und 5 StGB von: Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 103, die den Normen die ratio entnimmt, 224  Witte, 225  Witte,



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO173

nach § 153 Abs. 1 AO an einem tauglichen Taterfolg, soweit bereits eine Steuerverkürzung eingetreten ist. Der Grundsatz der Straflosigkeit einer Selbstbegünstigung, d. h. der bloßen Aufrechterhaltung eines durch eine vorsätzliche Straftat herbeigeführten Erfolgs, leitet sich u. a. aus der Selbstbelastungsfreiheit ab.228 Der nemo-tenetur-Grundsatz findet allerdings richtigerweise keine Anwendung, wenn neues Unrecht verwirklicht wird.229 Deibel, die der Ansicht von Witte folgt, hat zunächst herausgearbeitet, dass durch eine Nichtberichtigung eine Erfolgsvertiefung und damit ein über den ursprünglichen Erfolg hinausgehendes Unrecht eintrete.230 In einem nächsten Schritt verneint sie jedoch die Umqualifizierung der Steuerhinterziehung in ein Dauerdelikt mit dem Argument, dass eine zweite tatbestandliche Steuerhinterziehung in Bezug auf denselben Steueranspruch lediglich auf die Sicherung bereits erlangter Vorteile gerichtet und damit als Selbstbegünstigung nach § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO, § 257 StGB straflos sei.231 Ging die ursprüng­ liche Steuerverkürzung also bereits mit einer Strafbarkeit einher, könne die Missachtung der Berichtigungspflicht nicht erneut strafbar sein. Damit würde auch keine Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes bestraft und es läge kein Dauerdelikt vor. Soweit aber durch Zeitablauf tatsächlich ein über die erste Tat hinausgehendes Unrecht entsteht, kann dies gar nicht mehr vom Schutz der Selbstbelastungsfreiheit umfasst werden. Die Ausführungen sind in diesem Punkt somit widersprüchlich: Entweder es wird neues Unrecht dass selbstbegünstigendes Verhalten nicht strafbar ist, solange dadurch kein neues Unrecht verwirklicht wird. Dabei ist die Straflosigkeit über die Unzumutbarkeit einer unterlassenen Handlung zu begründen. 228  Vgl. dazu: Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S. 27 f., nach S. 170 liegt der Straflosigkeit der Selbstbegünstigung außerdem der Gedanke zugrunde, dass das Unrecht des bloßen Aufrechterhaltens mit der Vortatstrafe abgegolten sei; a. A.: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 189, wonach es sich bei der grundsätzlichen Straffreiheit der Selbstbegünstigung lediglich um eine einfachgesetzliche Wertentscheidung handele, die nicht vom nemo-tenetur-Grundsatz gestützt werde. 229  BGH v. 11.10.1951 – 4 StR 208/51, NJW 1952, 229 (230); BGH v. 18.10.1956 – 4 StR 166/56, BStBl. I 1957, 122 (123); BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134 (1135); BGH v. 17.9.2013 – 3 StR 259/13, NStZ-RR 2013, 372 (373); OLG Hamm v. 12.2.1959 – 2 Ss 156/58, JZ 1960, 95 (97); zustimmend: Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 40b; Jäger, in: Klein, § 393 AO, Rn. 29 f.; Joecks, in: JJR, § 393 AO, Rn. 49; Böse, wistra 2003, 47 (48); Doege, Bedeutung des nemotenetur-Grundsatzes, S. 188; Hartung, JZ 1960, 95 (98); Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (460); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 269; Rogall, nemo-tenetur, S. 158; ders., NStZ 2006, 41 (42); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 116; vgl. dazu auch, dass Taten, die der Verdeckung bereits begangener Straftaten dienen, ein erhöhtes Unrecht zugeschrieben wird (Verdeckungsabsicht als Mordmerkmal in § 211 Abs. 1 StGB). 230  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 138–140. 231  Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, S. 144–146.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

verwirklicht und damit fehlt es einer Umqualifizierung in ein Dauerdelikt bereits an der Bestrafung der bloßen Aufrechterhaltung des ursprünglichen Unrechts – oder es ergibt sich kein neues Unrecht und nur dann liegt eine straflose Selbstbegünstigung durch die bloße Aufrechterhaltung des ursprünglichen Unrechts vor. Die Herbeiführung neuen, über das ursprüngliche hinausgehenden Unrechts kann als Selbstbegünstigung dagegen nicht straflos sein und ist nicht vom Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes umfasst.232 Im Ergebnis ist Witte in dem Punkt zuzustimmen, dass ein bereits eingetretener Erfolg nicht noch einmal eintreten kann – allerdings findet sich dieses Ergebnis bereits im Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO, sodass kein Bedarf besteht, für dieses Resultat auf einen allgemeinen Grundsatz und die lex specialis-Regel zurückzugreifen.233 Richtigerweise knüpft die Annahme einer straflosen Selbstbegünstigung bereits im pflichtwidrigen Unterlassen und im Taterfolg an und setzt voraus, dass durch die Nichtberichtigung kein über den ursprünglichen Erfolg hinausgehendes Tatunrecht eintritt. 4. Kenntnis der Finanzbehörde Unterstellt, eine Berichtigungspflicht besteht auch in den Fällen, in denen die Finanzbehörde bereits Kenntnis von der Steuerverkürzung hat, so kommt dieser Kenntnis auch für die strafrechtliche Beurteilung einer unterlassenen Berichtigung Relevanz zu. So dürfte der Berichtigungspflichtige davon ausgehen, dass die Finanzbehörden, die gemäß § 85 AO zur materiell richtigen Steuerfestsetzung verpflichtet sind, auch ohne eine entsprechende Berichtigungserklärung die korrekte Steuer festsetzen, sodass eine Nichtkorrektur laut Krug/Skoupil nur als fahrlässig einzustufen wäre und strafrechtliche Folgen damit nicht einschlägig wären.234 Der Zurechnungszusammenhang zwischen der fehlenden Berichtigung und der möglichen Steuerverkürzung ist in solchen Fällen jedenfalls fragwürdig.235 Laut Madauß ist die Kausalität im Rahmen einer vermeintlichen Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu verneinen, wenn die Finanzbehörde trotz mangelnder Berichtigung Kenntnis von der fehlerhaften Steuerfestsetzung erlangt hat, diese jedoch nicht korrigiert.236 Die zu niedrige Steuerfestsetzung beruht in diesen Fällen nicht auf einer sich aus der Nichtvornahme der Berichtigung ergebenden Unkenntnis der Finanzbehörde, sodass bereits die Kausalität in Rede steht. Auch wenn Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 59. dazu die Ausführungen auf S. 170 f. 234  Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (458). 235  Breitenbach, DStR 2016, 2033 (2033). 236  Madauß, NZWiSt 2016, 343 (346); ebenso: Kuhlen, Grundfragen, S. 9; Lütt, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, S. 64. 232  Rüster, 233  Vgl.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO175

man die Kausalität noch bejahen würde, stellt sich die Frage, ob durch die Nichtvornahme der Korrektur eine eigenständige rechtlich relevante Gefahr erschaffen wird. Der Verpflichtete darf in diesen Fällen wohl bereits im Vorfeld darauf vertrauen, dass der Finanzbeamte die ihm bekannte fehlerhafte Steuerfestsetzung eigenständig korrigiert, soweit eine Änderungsnorm einschlägig ist – in einer Nichtkorrektur durch den Steuerpflichtigen kann daher kein strafwürdiges Unrecht gesehen werden.237 Spatscheck kommt zum selben Ergebnis und bezeichnet die Unkenntnis der Finanzbehörde als objektive Voraussetzung der Strafbarkeit.238 In den Fällen, in denen der Finanzbeamte trotz fehlender Berichtigungserklärung Kenntnis von dem Fehler hatte, kann der Steuerpflichtige folglich für die unterlassene Berichtigung nicht strafrechtlich belangt werden.

III. Strafbarkeit eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 S. 2 AO Eine besondere Konstellation ergibt sich, wenn die erklärende und die später berichtigungspflichtige Person nicht deckungsgleich sind. Wie bereits herausgearbeitet, trifft eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO nicht nur den Steuerpflichtigen, sondern ebenfalls dessen Gesamtrechtsnachfolger oder nach §§ 34, 35 AO besonders Verpflichtete. Im Folgenden soll die strafrechtliche Relevanz dieser Pflicht herausgearbeitet und dies anhand der Fälle einer Gesamtrechtsnachfolge in Form einer Erbschaft diskutiert werden. Nach der herrschenden Meinung macht sich der Gesamtrechtsnachfolger gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ebenfalls wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar, wenn er nachträglich erkennt, dass der Erblasser durch einen Fehler in einer steuerlich relevanten Erklärung – sei es vorsätzlich oder versehentlich – Steuern verkürzt hat und er diesen Fehler nicht korrigiert.239 Dabei ist es – wie in Kapitel 1 bereits herausgearbeitet – nach herrschender Meinung für die Entstehung der Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO unerheblich, ob der Gesamtrechtsnachfolger bereits vor dem Tod des Erblassers von den unrichtigen Angaben wusste oder erst danach davon erDStJG Bd. 38 (2015), 89 (96). Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (91) – dabei stellt er auch auf die Kausalität ab: „Schließlich muss es durch die Pflichtwidrigkeit zu einer Steuerverkürzung als Taterfolg gekommen sein.“; ebenso: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 184. 239  BFH v. 11.9.2007 – 5 StR 213/07, NStZ 2008, 411; FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, BeckRS 2019, S. 22288, Rn. 10; Flore, in: Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 197; Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 127; Heuel, wistra 2015, 289 (291); Joecks, PStR 2015, 235 (238); Radermacher, StBW 2014, 956 (958); Schaub, ZEV 2011, 624 (626); Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (63); Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469); Steiner, ErbStB 2008, 152 (153); Steinhauff, AOStB 2015, 337 (338); ders., AO-StB 2011, 269; Wegner, SteuK 2016, 289 (291 f.); Wulf, Stbg 2010, 295 (298). 237  Spatscheck, 238  Vgl.:

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

fahren hat.240 Unstrittig gilt eine Ausnahme für den Fall, dass der Gesamtrechtsnachfolger bereits vor dem Tod des Erblassers Mittäter oder Beteiligter an der Straftat war.241 In diesem Fall entsteht bereits keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO. Somit kann die dem Gesamtrechtsnachfolger bereits zuzurechnende Steuerverkürzung nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht erneut als Verwirklichung des Tatbestandes qualifiziert werden – es fehlt an einer Pflichtwidrigkeit i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 2 AO. Der Gesamtrechtsnachfolger soll strafrechtlich folglich nur für die begangene Ersttat oder die Teilnahme daran belangt werden können. In den übrigen Fällen stellt sich die fundamentale Frage, ob einem Gesamtrechtsnachfolger mittelbar die strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Handeln seines Rechtsvorgängers übertragen werden kann. Unmittelbar ist die Übertragung einer Strafbarkeit im Rahmen einer Erbfolge jedenfalls nicht möglich.242 Selbst eine gegen den Erblasser verhängte Geldstrafe dürfte nach § 459c Abs. 3 StPO nicht in den Nachlass vollstreckt werden. Daher drängt sich die Frage auf, inwieweit sich die Konstruktion einer „mittelbaren“ strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn lediglich die Folgen einer vom Rechtsvorgänger begangenen Straftat nicht beseitigt werden, mit dem übrigen Strafrecht in Einklang bringen lässt. Macht der Gesamtrechtsnachfolger in seiner Funktion aktiv neue Angaben in Form der Abgabe einer unrichtigen Berichtigungserklärung gegenüber der Finanzbehörde und führt dadurch eine Steuerverkürzung herbei, ergibt sich unstrittig eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Bei lediglich passivem Verhalten des Gesamtrechtsnachfolgers ist für eine mögliche Strafbarkeit ebenfalls – entsprechend zu den obigen Ausführungen – auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO abzustellen. 1. Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen a) Systemfremde Garantenstellung für das Handeln eines Dritten? Zunächst ist nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu prüfen, ob die Nichtberichtigung durch den Gesamtrechtsnachfolger ein pflichtwidriges In-UnkenntnisLassen der Finanzbehörde darstellt. Der Erbe ist im Grundsatz nicht unmit240  BGH v. 11.9.2007 – 5 StR 213/07, NStZ 2008, 411; Fromm, DStR 2014, 1747 (1748); Radermacher, StBW 2014, 956 (958); Wulf, in: FS Samson, S. 619 (634). 241  Fromm, DStR 2014, 1747 (1749); Wulf, in: FS Samson, S. 610 (635). 242  Grds. endet die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Erblassers mit dessen Tod und geht nicht über, vgl. Schaub, ZEV 2011, 624 (625); Streck/Rainer, StuW 1979, 267 (267); wäre ein Verstoß gegen § 153 Abs. 1 S. 2 AO allerdings immer strafbar, wird dem Erben die strafrechtliche Verantwortlichkeit für den vom Erblasser herbeigeführten Erfolg zumindest mittelbar übertragen.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO177

telbar strafrechtlich für die Steuerstraftaten des Erblassers verantwortlich – dennoch erlegt die Abgabenordnung dem Gesamtrechtsnachfolger in § 153 Abs. 1 S. 2 AO eine entsprechende Berichtigungspflicht auf.243 Ob aus dieser primärrechtlichen Pflicht jedoch auch eine strafrechtliche Garantenstellung bezüglich eines vom Rechtsvorgänger veranlassten Steuerausfalls abgeleitet werden kann, erscheint zunächst zweifelhaft. Es erscheint ungerecht, einer Person strafrechtlich etwas „zuzurechnen“ und sie für etwas verantwortlich zu machen, dessen Ursachen sie nicht gesetzt hat und auch nicht beeinflussen konnte.244 Dazu lässt sich anführen, dass ein Gesamtrechtsnachfolger freiwillig in die Stellung seines Rechtsvorgängers eintritt und darüber eine Zurechnung jedenfalls angedacht werden kann. Mit dem Antritt einer Gesamtrechtsnachfolge gehen weitreichende Pflichten einher; nach § 1967 BGB haftet der Gesamtrechtsnachfolger beispielsweise für die Schulden seines Rechtsvorgängers und müsste somit auch zivilrechtliche Prozesse in Angelegenheiten seines Rechtsvorgängers führen. Dabei handelt es sich jedoch ausschließlich um eine zivilrechtliche Haftung – der Erbe macht sich etwa nicht gesondert wegen Betruges oder Sachbeschädigung strafbar, wenn er primärrechtlichen Forderungen aufgrund vom Erblasser verursachten Schäden nicht nachkommt. Im nächsten Abschnitt soll vorab die Frage geklärt werden, ob und wenn ja, in welchen Konstellationen im übrigen Kernstrafrecht einem Gesamtrechtsnachfolger eine strafrechtliche Garantenstellung zur Rückgängigmachung eines vom Rechtsvorgänger verursachten Erfolges auferlegt ist. Auf diesem Weg wird überprüft, ob die Gleichsetzung der steuerrechtlichen Primärpflicht eines Gesamtrechtsnachfolgers mit dessen strafrechtlicher Verantwortlichkeit im deutschen Strafrecht systemfremd ist und damit versucht, die Frage zu klären, ob eine Strafbarkeit des Gesamtrechtsnachfolgers in den thematisierten Fällen tatsächlich gewollt sein kann. Insoweit gefundene Parallelen können ggf. für die Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 2 AO fruchtbar gemacht werden. aa) § 138 StGB, Nichtanzeige geplanter Straftaten Als vergleichbar anzudenken ist die Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 Abs. 1 StGB. Danach macht sich derjenige strafbar, der zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg einer Straftat noch abgewendet werden kann, glaubhaft von dem Vorhaben oder der Ausführung einer aufgeführten Katalogtat erfährt und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu erstatten. § 370 Abs. 1 AO fällt dabei nicht unter die in § 138 Abs. 1 Nr. 1–8 StGB aufgeführten Katalogtaten. Soweit auf die unStBW 2014, 956 (957). Bung, in: Strafrechtspolitik, S. 182.

243  Radermacher, 244  Vgl.:

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

richtige Erklärung des Rechtsvorgängers jedoch noch keine zu niedrige Steuerfestsetzung ergangen ist und ein Erfolg noch abgewendet werden kann, handelt es sich um zwei ähnlich gelagerte Handlungspflichten. Ein Dritter ist strafrechtlich dafür verantwortlich, einen bevorstehenden Erfolg zu verhindern. Soweit allerdings – wie wohl in den meisten Fällen – bereits gegenüber dem Erblasser eine zu niedrige Steuerfestsetzung ergangen ist, statuiert § 138 Abs. 1 StGB keine vergleichbare, nachträgliche Anzeigepflicht. Bei § 138 Abs. 1 StGB besteht nur eine Verpflichtung, bevorstehendes Unrecht anzuzeigen und damit zu verhindern. bb) Strafbarkeit des Erben bei rechtswidrig erlangten Sachen des Erblassers Im Folgenden wird untersucht, ob und in welchen Konstellationen sich ein Erbe strafbar machen kann, wenn der Erblasser eine fremde, bewegliche Sache gestohlen oder durch eine anderweitige Straftat erlangt hat. Die Grundzüge zur Konstellation des § 153 Abs. 1 S. 2 AO sind dabei vergleichbar: Der Erblasser hat sich zu Lebzeiten rechtswidrig bereichert und es stellt sich die Frage, ob von dem nach seinem Tod hinterlassenen Gegenstand strafrechtliche Gefahren für den Erben ausgehen. Auf den ersten Blick kommt man auch hier zu dem Schluss, dass man die Erben nicht für die Taten des Rechtsvorgängers belangen kann. Jedenfalls verwirklicht der Erbe nicht selbst die Tatbestände von Diebstahl oder Raub, wenn er gestohlene Sachen seines Rechtsvorgängers an sich nimmt. Bei genauerer Betrachtung erscheint eine Strafbarkeit des Gesamtrechtsnachfolgers jedoch nicht gänzlich abwegig. Dass durch eine Nichtangabe des erhaltenen Sachwertes in der Erbschaftsteuererklärung eine Steuerhinterziehung im Raume stünde, wird dabei mangels Relevanz für das behandelte Thema außen vor gelassen. Beleuchtet werden sollen nur Delikte, die durch die bloße „Übernahme“ eines Vermögenswertes verwirklicht werden. (1) Aktives Tun Zur besseren Veranschaulichung orientieren sich die Ausführungen an folgenden Beispielen: V hat eine wertvolle Halskette gestohlen. Nach seinem Tod nimmt die Tochter und Alleinerbin T die Kette an sich, um sie für sich selbst zu nutzen. Dabei handelt sie in dem Wissen, dass die Kette von ihrem Vater zu Lebzeiten gestohlen wurde und damit nicht in dessen Eigentum stand. •• Variante 1: V hat T am Sterbebett gesagt, dass sie die Kette nach seinem Ableben haben soll.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO179

•• Variante 2: T hat sich mit ihrem Vater nicht gut verstanden, sodass dieser nicht wollte, dass diese die Kette nach seinem Tod bekommt. Nun stellt sich die Frage, ob T sich durch das Nehmen der Kette strafbar gemacht hat. In Betracht kommt sowohl eine Unterschlagung nach § 246 StGB als auch Hehlerei nach § 259 StGB. (a) Hehlerei § 259 Abs. 1 StGB Der Hehlerei nach § 259 Abs. 1 StGB macht sich unter anderem schuldig, wer sich eine Sache, die ein anderer gestohlen hat, verschafft, um sich zu bereichern. Bestraft wird damit die Perpetuierung der rechtswidrigen Vermögenslage und geschützt das Vermögen des Opfers der Vortat.245 Ziel dieser Pönalisierung ist es, dass strafrechtlich bemakelte Sachen nicht verkehrsfähig werden. Subsumiert man nun den Grundfall unter den Tatbestand, so liegt ein taugliches Tatobjekt vor. Die Halskette wurde von V gestohlen – er hat die Sache damit unmittelbar aus dem Diebstahl als Vortat erlangt. Als taugliche Tathandlung bedarf es eines Sich-Verschaffens durch T. Ein Verschaffen liegt „in der bewussten und gewollten Übernahme der tatsächlichen Verfügungsgewalt zu eigenen Zwecken im Wege des abgeleiteten Erwerbs und des einverständlichen Zusammenwirkens […] mit dem Vortäter“.246 Im Zeitpunkt des „Verschaffens“ muss also auf beiden Seiten Einvernehmen bezüglich der Erlangung der eigentümerähnlichen Verfügungsgewalt durch den Erwerber bestehen.247 Dabei muss das „Verschaffen“ nicht in einer Übergabe bestehen, sondern kann sich auch faktisch aus zwei Willensakten ergeben – der Zueignung durch den Täter und der Zustimmung durch den Vortäter.248 Ob ein „kollusives“ Zusammenwirken erforderlich ist oder der natürliche Wille des Vortäters ausreicht, ist umstritten, kann aber hier dahinstehen.249 Hätte im 245  Altenhain, in: NK-StGB, § 259, Rn. 3; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 259 StGB, Rn. 1–3. 246  Wessels/Hillenkamp/Schuhr, StrafR BT II, Rn. 895. 247  Kern des Sich-Verschaffens ist ein derivatives Zusammenwirken zwischen dem Vortäter und dem Täter der Hehlerei; so: Kühl, in: Lackner/Kühl, § 259 StGB, Rn. 10; Maier, in: MüKo-StGB, § 259, Rn. 69. 248  Hecker, in: Schönke/Schröder, § 259 StGB, Rn. 17; dazu: BGH v. 21.2.1957 – 4 StR 525 u. 526/54, NJW 1957, 757, worin ein Dieb eine gestohlene Sache einer anderen Person übergeben hatte, diese erst nach der Übergabe von der strafbaren Herkunft der Sache erfuhr und entgegen dem Willen des Vortäters daraufhin eine eigentümerähnliche Verfügungsgewalt ausübte. Laut BGH fehlt es hier nicht etwa an einer Übergabe o. Ä., sondern an einem einverständlichen Zusammenwirken. 249  Für das Erfordernis eines „kollusiven“ Zusammenwirkens spricht sich aus: Rengier, StrafR BT I, § 22, Rn. 34 f.; dagegen: Wessels/Hillenkamp/Schuhr, StrafR BT II, Rn. 895.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

vorliegenden Fall V die Kette der T zu Lebzeiten geschenkt und hätte diese das Geschenk trotz Kenntnis des Diebstahls angenommen, wäre ein SichVerschaffen klar zu bejahen. In der Variante 1 hat V der T die Halskette zu Lebzeiten versprochen – im Zeitpunkt des Übergangs der Verfügungsgewalt auf T war er jedoch bereits verstorben, sodass fraglich ist, ob der Wille des V in dem Zeitpunkt noch Wirkung für ein derivatives Zusammenwirken entfalten kann. Einerseits kann man nach dem Tod einer Person nicht mehr von einer natürlichen Willensbildung sprechen. Ein einverständliches Zusammenwirken ließe sich andererseits mit dem Argument bejahen, dass V zu Lebzeiten der Übernahme der Verfügungsgewalt durch T zugestimmt hat und nicht erkennbar ist, dass sich diese Meinung bis zu seinem Tod geändert hätte. Auch bei einem Testament entfaltet der natürliche Wille einer Person nach ihrem Tod noch eine rechtliche Wirkung. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG steht dieser Ansicht nicht entgegen, da der Begriff des Sich-Verschaffens einer weiten Auslegung zugänglich ist. Im Ergebnis liegt ein einverständliches „Weiterreichen“ eines gestohlenen Gegenstandes vor, sodass die Annahme einer Hehlerei in diesem Fall gut vertretbar ist. Dass der Besitz an der Kette gesetzlich nach § 857 BGB übergeht, kann bei der Lösungsfindung keine Rolle spielen – strafrechtlich relevant ist nicht der Besitz, sondern die Anmaßung der eigentümerähnlichen Stellung, welche erst dadurch verwirklicht wird, dass T die Kette an sich nimmt und für sich selbst nutzen möchte. Darin liegt eine selbständige, vom Willen der T getragene Handlung. In der ersten Variante des obigen Falles könnte sich die Tochter damit durch das Ansichnehmen der Kette wegen Hehlerei strafbar machen. (b) Unterschlagung § 246 Abs. 1 StGB Fehlt es – wie in Variante 2 – am Einverständnis des Vortäters, ist subsidiär die Verwirklichung einer Unterschlagung denkbar. Nach § 246 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet. Dabei enthält die Norm eine Subsidiaritätsklausel, nach der eine Strafbarkeit nach § 246 Abs. 1 StGB nur gegeben ist, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist. Die Halskette stellt als fremde bewegliche Sache ein taugliches Tatobjekt des § 246 Abs. 1 StGB dar. V hat die Halskette durch einen Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB in seine Verfügungsgewalt gebracht, wodurch er kein Eigentum an der Halskette erwerben konnte. Folglich bestand bereits keine Rechtsposition, die im Rahmen einer Gesamtrechtsnachfolge auf T übergehen konnte. Auch bei Unwissenheit der T wäre durch die Erbschaft kein gutgläubiger Erwerb möglich. Die Halskette steht damit weiter im Eigentum des Bestohlenen. Durch das Nehmen der Kette, um diese dauerhaft für sich zu nutzen,



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO181

hat T auch ihren Zueignungswillens objektiv manifestiert.250 Im Beispielsfall hatte T auch keinen fälligen und einredefreien schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung der Sache, sodass die Zueignung die materielle Eigentumsordnung verletzt und damit rechtswidrig war.251 Eine Strafbarkeit der Erbin T nach § 246 Abs. 1 StGB durch das Ansichnehmen der Halskette ist damit grundsätzlich zu bejahen. Allerdings irritiert, dass die Eigentumsordnung bereits durch V verletzt wurde und sein Besitz an der Halskette nach seinem Tod zwangsläufig nach § 857 BGB auf seine Tochter überging. Geschütztes Rechtsgut ist das Eigentum252 und das wurde bereits durch V verletzt. Jedoch ist unstrittig, dass auch an gestohlenen Sachen erneut ein Vermögensdelikt begangen werden kann.253 Teilweise wird sogar vertreten, dass ein und dieselbe Person sich eine Sache mehrfach zueignen kann.254 Nehmen mehrere Personen nacheinander eine Sache an sich, um sich eine eigentümerähnliche Stellung anzumaßen, kann eine Strafbarkeit damit grundsätzlich bejaht werden. T perpetuiert durch ihre Handlung die rechtswidrige Eigentumsordnung. (c) Ergebnis In Variante 1 des Falles könnte aufgrund der Fortwirkung der Zustimmung sowohl eine Hehlerei als auch eine Unterschlagung bejaht werden. Spezieller ist in diesem Fall das einverständliche Zusammenwirken mit dem Erblasser V, sodass die Unterschlagung zurücktritt.255 Im zweiten Fall fehlt es dagegen an einem solchen, sodass lediglich die Unterschlagung bejaht werden kann. Im Vergleich zu den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO wird noch eine Parallele deutlich: Nimmt T die Halskette in Unkenntnis über deren Herkunft an sich und erfährt erst anschließend davon, dass es sich bei der Kette um Diebesgut handelt, ist sie zunächst nicht strafbar, weil im Zeitpunkt der Tathandlung kein Vorsatz vorlag256 – zur Problematik der wiederholten Zueignung kann auf S. 167 f. verwiesen werden. Nach herrschender Meinung liegt im Behalten nach Kenntniserlangung von der Fremdheit der Sache eine erneute Zueignung und somit eine strafbare Unterschlagung. Vergleichbar handhabt StrafR BT II, Rn. 322. StrafR BT II, Rn. 333. 252  Hohmann, in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 1. 253  BGH v. 11.3.1959 – 2 StR 29/59, NJW 1959, 948. 254  Vgl. zur Problematik der „wiederholten“ Zueignung die Ausführungen auf S. 167 ff. 255  Dies ergibt sich bereits aus der Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 1 a. E. StGB – beide Normen haben insoweit dieselbe Schutzrichtung; vgl. auch: Bosch, in: Schönke/Schröder, § 246 StGB, Rn. 32; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 259 StGB, Rn. 56. 256  Vgl. §§ 8 i.V. m. 16 StGB, Koinzidenz- bzw. Simultanitätsprinzip. 250  Wessels/Hillenkamp/Schuhr, 251  Wessels/Hillenkamp/Schuhr,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

es die herrschende Meinung bei einem nachträglichen Erkennen einer Steuer­ verkürzung des Erblassers. (2) Unterlassen In den obigen Fällen wurde nur geprüft, wie T sich strafbar macht, wenn sie die gestohlene Halskette aktiv an sich nimmt. Um einen Vergleich zum Unterlassen der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO ziehen zu können, ist jedoch noch herauszuarbeiten, wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn sie sich diese nicht aktiv aneignen würde. Erörtert wird die Problematik an folgendem Fall: T erbt zwar das Haus ihres Vaters und bekommt den Schlüssel dafür ausgehändigt – sie betritt es jedoch nicht und lässt es verwahrlosen. Dabei weiß sie zwar, dass sich Diebesgut in dem Haus befindet – sie hat jedoch kein Interesse daran. Grundsätzlich lassen sich sowohl eine Unterschlagung als auch eine Hehlerei durch Unterlassen begehen,257 sodass auch in diesem Fall eine Verwirklichung der beiden Delikte denkbar erscheint. Eine Zueignung nach § 246 Abs. 1 StGB ist durch Unterlassen beispielsweise möglich, wenn einer Pfändung fremder Sachen nicht widersprochen wird.258 Die bloße Nichtrückgabe einer Sache kann dafür jedoch nicht ausreichen – es müssen bestimmte Begleitumstände hinzutreten, die anzeigen, dass sich in der Nichtrückgabe gerade der Zueignungswille manifestiert.259 Der Besitz an der Kette geht im Rahmen der Erbschaft gemäß § 857 BGB auf T über – unabhängig davon, ob sie die Kette aktiv an sich nimmt oder nicht. Der gesetzliche Übergang des Besitzes stellt jedoch keine Anmaßung einer Eigentümerstellung dar – darin kann keine Zueignung i. S. v. § 246 Abs. 1 StGB gesehen werden. Im obigen Fall will T die Kette gerade nicht haben, sodass sie sich auch nicht als Eigentümerin geriert und sich die Kette damit nicht zueignet. Eine Unterschlagung liegt damit nicht vor. Anders als nach herrschender Meinung bei § 153 Abs. 1 AO wäre nur passives Verhalten des Gesamtrechtsnachfolgers im vorliegenden Fall strafrechtlich nicht relevant. Ebenso wie bei der Unterschlagung ist auch bei der Hehlerei ein Sich-Verschaffen nötig, mit dem sich der Täter nach außen als Eigentümer darstellt. So beispielsweise der Fall, wenn ein Betriebsinhaber die Verwendung gestohlener Sachen im Unternehmen be257  Bzgl. der Unterschlagung: Hohmann, in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 28; bzgl. der Hehlerei: Maier, in: MüKo-StGB, § 259, Rn. 126. 258  Kühl, in: Lackner/Kühl, § 246 StGB, Rn. 4. 259  Hohmann, in: MüKo-StGB, § 246, Rn. 28.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO183

wusst duldet.260 Auch eine Hehlerei scheitert damit an einer Anmaßung der Eigentümerstellung. Im Ergebnis ergibt sich damit in dieser dritten Kon­ stellation weder eine Strafbarkeit nach § 246 Abs. 1 StGB noch nach § 259 Abs. 1 StGB. cc) Strafbarkeit des Erben bei rechtswidrig erlangtem Geld des Erblassers Ferner stellt sich die Frage, wie Fälle strafrechtlich zu beurteilen sind, in denen sich ein Erblasser durch Betrug, Untreue oder eine andere gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat Geld angeeignet hat und der Erbe dann in Kenntnis des Vorgeschehens nach dessen Tod über diesen Geldbetrag verfügt. Auch bei einer Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 2 AO sichern sich die Erben ggf. einen monetären Vorteil – soweit die Steuerersparnis noch der­ gestalt im Vermögen vorhanden ist –, sodass insoweit Parallelen gezogen werden könnten. Dabei ist zu überlegen, ob sich Unterschiede zu den oben behandelten Sachen ergeben. Um diese Frage zu klären, ist zunächst herauszuarbeiten, wie Eigentumsverhältnisse von Geld – sei es Bargeld oder Buchgeld – zu beurteilen sind. Bargeld ist in der deutschen Rechtsordnung als Fahrniseigentum zu behandeln, sodass sich das Eigentum daran nach §§ 929 ff. BGB richtet.261 Im Unterschied zu den obigen Ausführungen zu Sachen findet bei der rechtswidrigen Aneignung von Bargeld – solange es nicht gesondert aufbewahrt wird – eine Geldvermengung und damit ein Eigentumserwerb des Täters nach § 948 BGB statt. Dieser ist immer gegeben, sobald Geldscheine oder Münzen in ein Portemonnaie, eine Kasse o. Ä. gelegt werden und nicht mehr einwandfrei identifizierbar sind. Ein Erblasser erwirbt somit zu Lebzeiten regelmäßig Eigentum an rechtswidrig erlangtem Bargeld und damit fehlt es für die meisten Sachdelikte an einer für den Erben fremden Sache. Eine dahingehende Strafbarkeit des Erben ist daher auszuschließen. Ist jedoch ein Geldschein genau identifizierbar und nimmt der Erbe diesen an sich, so gelten die obenstehenden Ausführungen.262 An Buchgeld hat man dagegen kein Eigentum, sondern lediglich einen Auszahlungsanspruch gegen die Bank. Ein Bankguthaben ist als Forderung damit keine Sache und somit kein taugliches Tatobjekt für die oben genannten „Folge­ delikte“ Hehlerei und Unterschlagung.263 Möglicherweise kommt jedoch ein anderes Delikt in Frage: Erlangt der Erbe durch den Tod des Rechtsvorgängers rechtswidrig erlangtes Bar- oder Buchgeld, ist das Delikt der Geld­ wäsche nach § 261 Abs. 1 StGB einschlägig. Taugliche Tatobjekte sind nur 260  RG

v. 8.1.1921 – II 1459/20, RGSt 55, 220. in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 14 GG, Rn. 298. 262  Siehe S. 178 ff. 263  Vgl. auch: Maier, in: MüKo-StGB, § 259, Rn. 15. 261  Papier/Shirvani,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Gegenstände, die aus einer rechtswidrigen Tat i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB herrühren. Dabei wird der Begriff der Gegenstände nach historischer, systematischer und teleologischer Auslegung auf Vermögenswerte beschränkt.264 Hierbei ist zu beachten, dass sich bei der Vermengung von „sauberen“ und bemakelten Geldbeträgen – sei es Bar- oder Giralgeld – die Bemakelung nach herrschender Meinung an dem neuen Gesamtbetrag fortsetzt, soweit der aus einer Vortat herrührende Anteil bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht völlig unerheblich ist.265 Hat der Erblasser also beispielsweise zu Lebzeiten einen nicht unerheblichen, bemakelten Betrag auf sein Bankkonto eingezahlt, so gilt das ganze Konto als bemakelt und kann insoweit Tatobjekt des § 261 StGB sein. Nach § 261 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB ist taugliche Tathandlung u. a. ein Sich-Verschaffen. Die Anforderungen an die Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmales sind dabei identisch mit dem „Verschaffen“ des § 259 StGB.266 Grundsätzlich könnte mit der obigen Argumentation damit eine Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals bejaht werden, wenn der Vortäter zu Lebzeiten einverstanden war, dass bei seinem Tod das Geld übergeht. Anders als bei gestohlenen Sachgegenständen geht bei einer Erbschaft allerdings der Auszahlungsanspruch gegen die Bank nach § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben über, ohne dass es einer willensgetragenen Handlung bedarf. Insoweit kann in lediglich passivem Verhalten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch in den Fällen des Buchgeldes wohl nur schwer ein Sich-Verschaffen gesehen werden. Weitere Tathandlungen nach § 261 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB sind allerdings ein Verwahren oder ein Verwenden für sich oder einen Dritten, wenn zum Zeitpunkt der Erlangung die Herkunft des Vermögenswertes bekannt war. Jedenfalls dies kann beim „Halten“ eines Bankkontos, um es ggf. für eine spätere Verwendung zu erhalten, und noch eindeutiger bei der Aufbewahrung von Bargeld bejaht werden.267 Ein Verwenden ist in jedem Geldgeschäft im Einverständnis mit dem Vortäter zu sehen.268 Eine Geldwäsche lässt sich damit bei der erbschaftlichen Übertragung von bemakelten Geldwerten immer bejahen, soweit der Erbe im Zeitpunkt des Erbanfalls die Herkunft des Geldes kannte. Ein Unterschied zu den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO ergibt sich jedoch daraus, dass bei der Geldwäsche ein Vermögenswert im Zeitpunkt des Erb­ in: MüKo-StGB, § 261, Rn. 35 m. w. N. „Lehre von der Totalkontamination“, siehe: BGH v. 15.8.2018 – 5 StR 100/18, NZWiSt 2019, 148 (153); Altenhain, in: NK-StGB, § 261, Rn. 76; Neuheuser, in: MüKo-StGB, § 261, Rn. 63; a. A.: Ruhmannseder, in: BeckOK-StGB, § 261, Rn. 18, als Vertreter der „Lehre von der Teilkontamination“. 266  Neuheuser, in: MüKo-StGB, § 261, Rn. 81; Rengier, StrafR BT I, § 23, Rn. 13a. 267  Ruhmannseder, in: BeckOK-StGB, § 261, Rn. 27. 268  Ruhmannseder, in: BeckOK-StGB, § 261, Rn. 28, nach Rn. 29 mit Verweis auf BT-Drs. 19/24180, S. 31 ist eine spätere Kenntnis unschädlich. 264  Neuheuser, 265  Sog.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO185

anfalls noch tatsächlich vorhanden sein muss. Bei § 153 Abs. 1 S. 2 AO reicht dagegen die bloße Kenntnis davon aus, dass in der Vergangenheit Steuern hinterzogen wurden – es ist nicht erforderlich, dass sich die Vorteile aus der Steuerhinterziehung noch in der Erbmasse befinden und dem Gesamtrechtsnachfolger übertragen werden. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, die von der herrschenden Meinung aus § 153 Abs. 1 S. 2 AO abgeleitet wird, geht also weit über diejenige hinaus, die sich bei der Übertragung von sonstigen Geldwerten im Rahmen der Erbfolge ergibt. dd) §§ 324a ff. StGB, Umweltstraftaten Eine weitere, vergleichbare Konstellation enthält das Delikt der Bodenverunreinigung nach § 324a StGB sowie die zugehörigen Handlungspflichten der Primärrechtsordnung nach § 4 BBodSchG. § 324a StGB erfasst nur denjenigen als Täter, der schädliche Stoffe in den Boden einbringt, eindringen lässt oder freisetzt. § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG verpflichtet auch den Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer schädlichen Bodenveränderung, diese wieder zu beseitigen und den Boden so zu sanieren, dass keine Gefahren mehr für die Allgemeinheit davon ausgehen können. Obwohl in der Primärordnung damit eine Handlungspflicht des Gesamtrechtsnachfolgers besteht, ist dieser strafrechtlich dagegen nicht zu belangen. § 324a StGB erfasst explizit nur den Verursacher, der den tatbestandlichen Erfolg herbeiführt. Auch in Literatur und Rechtsprechung wird nicht angezweifelt, dass ein Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich als „bloßer Zustandsstörer“ nicht unter § 324a StGB fallen soll, solange er nicht eigenständig ein tatbestandliches Handeln oder Unterlassen verwirklicht.269 Anders ist dies ggf. zu bewerten, wenn der Gesamtrechtsnachfolger dazu verpflichtet und in der Lage ist, einen noch nicht eingetretenen Erfolg noch zu verhindern.270 Das bloße NichtBeseitigen einer Verunreinigung kann jedoch nicht mit einer Verunreinigung gleichgesetzt werden. Die Strafbarkeit scheitert damit ebenso wie in den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO auch hier an einem durch den Gesamtrechtsnachfolger herbeigeführten Taterfolg. b) Fazit Zusammengefasst ergibt sich bei der Übertragung von rechtswidrig erlangten Vermögenswerten regelmäßig die Gefahr einer Strafbarkeit für den Gesamtrechtsnachfolger – jedenfalls soweit diese noch im übertragenen Vermö269  StA Hannover v. 15.5.2012 – 1342 AR 2758/11, BeckRS 2013, 6900; Alt, in: MüKo-StGB, § 324a, Rn. 45; Ransiek, in: NK-StGB, § 324a, Rn. 13. 270  Ransiek, in: NK-StGB, § 324, Rn. 20; § 330a, Rn. 5.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

gen vorhanden waren. Die Bestrafung einer Nichtberichtigung, obwohl der hinterzogene Betrag keinen Niederschlag mehr in der Erbmasse findet, ginge damit über die sonstigen strafrechtlichen Pflichtenstellungen des Gesamtrechtsnachfolgers hinaus. Das Umweltstrafrecht erfasst ebenfalls nur Erfolgsverhinderungs- nicht aber Erfolgsbeseitigungspflichten. § 153 Abs. 1 S. 2 AO fügt sich im Ergebnis damit nicht ohne Weiteres in das strafrechtliche System ein. Insoweit wirkt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Gesamtrechtsnachfolgers nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO, ohne dass dieser die erstmalige Steuerverkürzung hätte verhindern können oder ohne, dass der Steuervorteil noch tatsächlich im Nachlass vorhanden sein müsste, etwas systemfremd. Dies kann für die Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO fruchtbar gemacht werden: Dass sich ein Erbe durch bloßes Einrücken in die Gesamtrechtsnachfolge strafbar macht, kann so wohl nicht gewollt sein. Dies kann bei der Steuerhinterziehung aber in erster Linie am Taterfolg festgemacht werden, der in irgendeiner Form beim Rechtsnachfolger eintreten muss und woran es fehlt, wenn bei diesem keine Steuerverkürzung mehr entsteht. Eine bloße Pflichtwidrigkeit im Sinne eines Verstoßes gegen eine materielle steuerliche Berichtigungspflicht wird jedoch bei einer Nichtberichtigung regelmäßig zu bejahen sein. Jedenfalls das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO wirkt nicht, wenn man nur Gefahr liefe einen verstorbenen Angehörigen und nicht sich selbst zu belasten. Eine „entkernte“ Pflicht, wie häufig im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, entsteht damit im Rahmen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO nicht. 2. Taterfolg Nun ist ebenfalls zu prüfen, worin der tatbestandliche Erfolg der Normverletzung des § 153 Abs. 1 S. 2 AO liegt. Dass der fiktive Zeitpunkt eines nicht ergangenen Berichtigungsbescheides nicht geeignet sein kann, einen strafrechtlich relevanten, tatbestandlichen Erfolg zu begründen, wurde bereits dargestellt – dem Nichtergehen kommt kein eigenständiger Unrechtsgehalt zu. Streck/Rainer stellen für den Erfolg darauf ab, ob der Erbe Vorsatz bezüglich einer weiteren Verkürzung von Steuereinnahmen habe271 – dass diese subjektive Bestimmung des Erfolgseintritts abzulehnen ist, wurde bereits herausgearbeitet.272

271  Streck/Rainer, 272  Siehe

S. 141.

StuW 1979, 267 (268) und Fn. 24 m. w. N.



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO187

a) Unterscheidung nach dem Festsetzungszeitpunkt Nach der oben herausgearbeiteten, vorzuziehenden Ansicht ist somit auch im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 S. 2 AO danach zu unterscheiden, ob die Steuerfestsetzung bereits erfolgt ist oder ob diese noch aussteht. Taugliches Kriterium für die Bestimmung des zugehörigen Erfolges ist ebenfalls die Kausalität. Geht man davon aus, dass der Erblasser zu Lebzeiten bereits den Bescheid erhielt, aus dem sich die Steuerverkürzung ergibt, so ist der Hinterziehungserfolg beim Erblasser nach der hier vertretenen Ansicht damit bereits eingetreten und wird durch die Nichtberichtigung lediglich fortgeführt.273 Das Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides kann daher keinen eigenen Taterfolg darstellen, da eine unterlassene Berichtigungserklärung nicht kausal für die Steuerverkürzung sein kann, wenn bereits gegenüber dem Erblasser Steuern zu niedrig festgesetzt wurden.274 Der Erbe verstößt in diesen Fällen zwar gegen die primärrechtliche Pflicht des § 153 Abs. 1 S. 2 AO – dies kann jedoch keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Soweit die Steuerfestsetzung allerdings erst nach Entstehung der Berichtigungspflicht ergeht, beruht diese Steuerverkürzung kausal auf der Nichtberichtigung und eine Steuerhinterziehung des Gesamtrechtsnachfolgers gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt vor.275 Eine Ausnahme davon ist lediglich anzunehmen, wenn die Berichtigung die Finanzbehörde nicht mehr hinreichend schnell erreicht hätte. Entgegen der herrschenden Ansicht ergibt sich damit für den Gesamtrechtsnachfolger bei einer Nichtberichtigung, soweit eine Steuerfestsetzung bereits ergangen ist, keine Strafbarkeit bezüglich der Steuerunehrlichkeit des Erblassers. b) Anknüpfung an das Handlungsunrecht Nach der von Witte favorisierten Tatbestandslösung solle der Rechtsnachfolger – unabhängig vom Erfolgseintritt – keine eigene Steuerhinterziehung verwirklichen, solange der Rechtsvorgänger bereits eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen habe.276 Wurde die Steuerverkürzung durch den Rechtsvorgänger allerdings nicht vorsätzlich herbeigeführt und knüpft die Zweithandlung damit an einen lediglich „objektiv verkürzten Betrag“ an, werde kein rechtswidriges Unrecht perpetuiert und § 370 AO sei einschlä273  Vgl.

Durst, PStR 2011, 257 (259 f.); Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469). AO-StB 2010, 141 (144); ebenso: Eich, ErbStB 2003, 160 (162); Möller, Berichtigungspflicht, S. 172 ff.; Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469, 471); Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 115. 275  Vgl.: FG Düsseldorf v. 24.5.1989 – 4 K 397/83, EFG 1989, 491. 276  Witte, Steuerhinterziehung, S. 153 f. 274  Tormöhlen,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

gig.277 Liegt im Vorfeld mangels Vorsatz also keine Strafbarkeit vor, könne sich nach dieser Ansicht mit einer Zweithandlung eine solche ergeben, da das Unrecht dadurch erst entstehe (vgl. § 15 StGB) und nicht lediglich vertieft werde. Durch diese Sicht werden allerdings Handlungs- und Erfolgsunrecht vermischt und teilweise gleichgesetzt. Nur weil bezüglich eines herbeigeführten Erfolges kein Vorsatz vorlag, ist daraus nicht zu schließen, dass der Erfolg nicht bereits eingetreten ist. Außerdem wird unberücksichtigt gelassen, dass der eingetretene Erfolg auch kausal auf einem Handeln oder Unterlassen beruhen und diesbezüglich auch Vorsatz vorgelegen haben muss. Es ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, dass ein Strafbedürfnis bezüglich einer eingetretenen Steuerverkürzung besteht und dass dieses nach dem Tod des Erblassers auf dessen Rechtsnachfolger projiziert wird. Würde man aber aus der bloßen Rechtsnachfolge – unabhängig von einem Erfolgseintritt – eine Strafbarkeit bejahen, würde sich diese aus reinen Zweckmäßigkeitserwägungen ergeben,278 was mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Einklang gebracht werden kann. Dieser Sicht kann damit nicht gefolgt werden. Auch in der Literatur ist diese Ansicht bereits auf Kritik gestoßen. Wulf merkt ebenfalls an, dass fraglich sei, warum ein Rechtsnachfolger nur dann straffrei bleiben solle, wenn der Rechtsvorgänger vorsätzlich Steuern verkürzt hat.279 3. Verfolgungsverjährung Kritisiert wird außerdem, dass Rechtsnachfolger sich ggf. für Straftaten verantworten müssten, die beim Rechtsvorgänger längst verjährt wären.280 § 153 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO knüpfen nur an die Festsetzungs- nicht jedoch an eine etwaige Verfolgungsverjährung an. Soweit kein besonders schwerer Fall einer Steuerhinterziehung vorliegt, beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgungsverjährung fünf Jahre281 und die Festsetzungsverjährung zehn Jahre – bis die Festsetzungsverjährung eintritt, ist das Unrecht der Straftat also häufig bereits verjährt. Wird in der Nichtvornahme einer Berichtigung durch den Erben folglich eine eigenständige Steuerhinterziehung geSteuerhinterziehung, S. 171. Zweckmäßigkeitserwägungen nicht zur Begründung einer Strafbarkeit ausreichen: Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflicht im Strafrecht?, S. 126. 279  Wulf, in: FS Samson, S. 619 (627). 280  Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (69); ebenfalls kritisch: Gebhardt, FR 2008, 24. 281  Gem. § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 78a S. 1 StGB; wurde ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 6 AO verwirklicht, gilt gem. § 376 Abs. 1 AO eine Strafverfolgungsverjährungsfrist von 15 Jahren. 277  Witte, 278  Dass



A. Das Erfolgsunrecht des § 153 AO189

sehen, kann die Verfolgungsverjährung für einen Hinterziehungsbetrag weit über den gesetzlich vorgesehenen Rahmen hinaus ausdehnt werden.282 Im Bereich der Steuerhinterziehung durch den Gesamtrechtsnachfolger ist außerdem umstritten, ob der Umfang der zu berichtigenden Erklärungen in den diversen Steuerarten und Veranlagungszeiträumen zu einer einzigen Berichtigungspflicht und damit zu einer einzigen materiell-rechtlichen Tat zu kumulieren ist. Eine derartige betragsmäßige Verklammerung würde dazu führen, dass eine Steuerhinterziehung „großen Ausmaßes“ gemäß § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO auch in den Fällen angenommen werden kann, in denen diese beim Rechtsvorgänger aufgrund der gesonderten Betrachtung der einzelnen Veranlagungszeiträume und ggf. auch Steuerarten noch verneint worden wäre.283 Bei einer Steuerhinterziehung großen Ausmaßes, die einen besonders schweren Fall darstellt, beträgt die Verfolgungsverjährung fünfzehn Jahre; ein großes Ausmaß wird nach derzeitiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Anlehnung an die Betrugsstrafbarkeit ab 50.000 Euro bejaht.284 Die Einstufung als einfache oder schwere Steuerhinterziehung hat damit erheb­ liche Auswirkungen auf die Dauer der Verfolgbarkeit einer Steuerhinterziehung. Ein Teil der Literatur spricht sich – teils trotz kritischer Anmerkungen – für eine derartige Verklammerung aus.285 Radermacher sieht eine solche als zwingende Folge, nachdem das strafbewehrte Unterlassen durch eine einzige Handlung hätte vorgenommen werden können und damit nach dem prozessualen Tatbegriff eine einheitliche Tat gegeben sei.286 Auch nach Stahl/ Durst seien, soweit der Erblasser die Steuern ursprünglich schon vorsätzlich hinterzogen hatte, alle noch nicht festsetzungsverjährten Steuern und damit die Hinterziehungsbeträge der letzten zehn Jahre zu kumulieren und einer „neuen“ Verfolgungsverjährung zu unterwerfen.287 Dass der Erbe einer „neuen“ Verjährung unterworfen wird, ist dabei – unterstellt in der Nichtberichtigung liege tatsächlich eine eigenständige Tat – nicht diskussionsbedürftig: Die Nichtvornahme einer Berichtigung an sich würde auf einem eigenen Willensentschluss beruhen. Der Erbe könnte allerdings unter diesen Gesichtspunkten viel länger bestraft werden als der Erblasser, der die Steuer eigentlich hinterzogen hatte. Beim Erblasser wäre die Strafverfolgung für jeden Veranlagungszeitraum, in dem ein geringerer Betrag als 50.000 Euro hinterzogen wurde, gesondert abgelaufen und hätte – unabhängig von der

282  Siehe die Darstellung einer Entscheidung des Finanzgerichts München auf S. 106 ff.; vgl. weiter: Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (69). 283  Vgl.: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 135 f. 284  BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, wistra 2009, 107 (111). 285  Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469 f.); Radermacher, StBW 2014, 993 (993 f.). 286  Radermacher, StBW 2014, 993 (995 f.). 287  Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469).

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

Festsetzungsfrist – im besten Falle lediglich fünf Jahre betragen.288 Auch bestünde ein Unterschied zu denjenigen Gesamtrechtsnachfolgern, deren Rechtsvorgänger keine Steuererklärungen abgegeben hatten – insoweit würde das jeweilige Unterlassen der einzelnen, fortbestehenden Erklärungspflichten ebenfalls als einzelne Tat gewertet.289 Dabei ist nicht ersichtlich, wie diese erhebliche Inkongruenz der Strafbewehrungen gerechtfertigt werden könnte.290 Mangels entsprechender Liquidität können sich auch Fälle ergeben, in denen ein Gesamtrechtsnachfolger gar keine Möglichkeit mehr hat, über eine strafbefreiende Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen.291 Dies ist vor allem mit Blick auf die Betragsgrenze des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO und den Zuschlag des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO problematisch.292 In der Literatur wird vorgeschlagen, diese Diskrepanz dahingehend aufzulösen, die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Gesamtrechtsnachfolger auf Fälle zu beschränken, die beim Rechtsvorgänger strafrechtlich noch nicht verjährt waren.293 Dem Erben als Gesamtrechtsnachfolger soll strafrechtlich lediglich der Verkürzungsbetrag zur Last gelegt werden, der auch dem Gesamtrechtsvorgänger noch angelastet werden könnte, denke man sich dessen Ableben hinweg.294 Richtigerweise stellt sich diese Problematik jedoch gar nicht. Eine Strafbarkeit scheitert nach der hier vertretenen Ansicht in den Fällen, in denen vor dem Eintritt des Erbfalls eine Steuerverkürzung eingetreten war, bereits an einem tauglichen Taterfolg. Der Gesamtrechtsnachfolger führt kein Erfolgsunrecht mehr herbei, auf das sich die Verfolgungsverjährung beziehen könnte. Demnach ergibt sich eine Strafbarkeit lediglich in Fällen, in denen der Gesamtrechtsnachfolger den Erfolg selbst noch verhindern hätte können. Diese Tat ist eigenständig und unabhängig von der Handlung des Rechtsvorgängers zu beurteilen, sodass eine etwaige Verjährung einer Steuerhinterziehung des 288  Bei der Verfolgungsverjährung beträgt die Verjährungsfrist nur bei besonders schweren Fällen 15 Jahre nach § 376 Abs. 1 AO und ansonsten fünf Jahre nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Sie beginnt mit Beendigung der Tat gem. § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 78a S. 1 StGB – am Beispiel der Einkommensteuer also mit der Bekanntgabe der unrichtigen Festsetzung an den Erblasser; ebenso: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 141; insoweit ebenfalls kritisch in Bezug darauf, dass bei Fort­ führung von Hinterziehungen i. H. v. bspw. 11.000 Euro jährlich eigene aktive Taten des Gesamtrechtsnachfolger ggf. schneller verjähren als die kumulierten Taten des Rechtsvorgängers: Heuel, wistra 2015, 289 (293). 289  Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 140 f.; Heuel, wistra 2015, 289 (293). 290  Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469 f.); ebenso: Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 140; Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (65, 69); Stahl, Selbstanzeige, Rn. 541. 291  Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (65). 292  Hellmuth, Beteiligung an der Steuerhinterziehung, S. 142 f. 293  Stahl/Durst, ZEV 2008, 467 (469 f.); Jesse, BB 2011, 1431 (1442). 294  Stahl, Selbstanzeige, Rn. 541.



B. Das Handlungsunrecht191

Rechtsvorgängers keine Rolle für die Verjährung der Tat des Gesamtrechtsnachfolgers spielen kann und darf. 4. Fazit Insgesamt ergeben sich in den Gesamtrechtsnachfolge-Konstellationen kaum Unterschiede zu den Ausführungen zur Strafbarkeit einer Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO. Essentiell ist auch in den Fällen des § 153 Abs. 1 S. 2 AO, dass der Pflicht nur insoweit eine strafrechtliche Bedeutung ­zukommt, als im Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtsnachfolge die ursprüngliche, fehlerhafte Erklärung des Rechtsvorgängers noch keine Steuerverkürzung herbeigeführt hat. Nur in diesen Fällen kann der Gesamtrechtsnachfolger durch sein passives Verhalten noch kausal einen Taterfolg herbeiführen.

B. Das Handlungsunrecht Nachdem nun das Erfolgsunrecht umfassend behandelt wurde, gilt es nachfolgend zu klären, welche Anforderungen an das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung zu stellen sind. Eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO kann nur vorsätzlich begangen werden – bei einer fahrlässigen Begehungsweise ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO denkbar.295 Mangels Strafbarkeit einer fahrlässigen Steuerhinterziehung kommt der Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit im Rahmen dieses Deliktes eine erhebliche Bedeutung zu.296 Das Strafgesetzbuch enthält in § 16 Abs. 1 S. 1 StGB lediglich eine negative Definition des Vorsatzbegriffes: So handelt nicht vorsätzlich, wer bei Tatbegehung einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Positiv wird der Vorsatz im Umkehrschluss meist mit „Wissen und Wollen bezüglich der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes“ definiert.297 Für die Bejahung des Vorsatzes sind 295  Leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO; vgl.: Bussmann, Wirtschaftskriminologie, § 5, Rn. 517, wonach dadurch, dass eine fahrlässige Steuerhinterziehung nicht strafbar ist, der Unübersichtlichkeit des Steuerrechts Rechnung getragen wird. Dabei ist festzuhalten, dass ein leichtfertiges Unterlassen der Anzeige bzw. Berichtigung trotz Erkennen-Könnens einer Unrichtigkeit schon keine leichtfertige Steuerverkürzung i. S. d. § 378 AO darstellen kann, da mangels positiven Erkennens in diesen Fällen bereits keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO entsteht, die verletzt werden könnte; siehe: Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (23); J. Müller, DStZ 2005, 25 (30); a. A. wohl Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 (2839). 296  Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (118). 297  Vgl. hierzu: RG v. 24.6.1924 – IV 215/24, RGSt 58, 247 (249); BGH v. 4.11.1988 – 1 StR 262/88, NJW 1989, 781 (783 f.); Jäger, in: Klein, § 370 AO,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

damit nach herrschender Meinung sowohl ein voluntatives als auch ein kognitives Element erforderlich. Ausreichend zur Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes bei § 370 Abs. 1 AO ist auch bedingter Vorsatz. Dieser liegt vor, wenn der Eintritt eines Taterfolgs billigend in Kauf genommen wird.298 Der Staat trägt im Strafverfahren die Beweislast bezüglich des Vorsatzes – er muss damit beweisen, dass der Angeklagte mit Wissen und Wollen bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt hat.299 Der Vorsatz als innere Tatseite kann dabei oftmals durch einen Rückschluss aus objektiven Tatumständen hergeleitet werden.300 Ob tatsächlich eine Steuerverkürzung vorliegt oder wenn ja, in welcher Höhe, bedarf jedoch regelmäßig ausführlicher Prüfungen und ist ohne fundierte Kenntnisse im Steuerrecht gar nicht nachvollziehbar. Ob jemand, der eine unrichtige oder unvollständige Steuererklärung abgegeben hat, deren Mängel also überhaupt erkannte oder dadurch Steuern verkürzen wollte, lässt sich folglich aus objektiven Umständen nicht ohne weiteres feststellen. Insofern ist umstritten, welche Anforderungen aus strafrechtlicher Sicht v. a. an den steuerrechtlich nicht vorgebildeten Steuerpflichtigen gestellt werden können. Sture Anwendung der klassischen Vorsatzdefinitionen sind im Wirtschaftsstrafrecht damit oft nicht zielführend, sodass dies im Bereich der subjektiven Tatbestände oftmals einer eigenen Herangehensweise bedarf.301 Für die Bestimmung des Vorsatzes des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bezüglich des Tatbestandsmerkmals der Steuerverkürzung respektive der Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile und bezüglich des Tat­ bestandsmerkmals des pflichtwidrigen In-Unkenntnis-Lassens der Finanzbehörde zu differenzieren. Dabei werden für die jeweiligen Anforderungen meist die Begriffe des Blankettmerkmals und des normativen Tatbestandsmerkmals herangezogen, wobei nicht nur eine Einordnung in diese Kategorien, sondern auch die sich daraus ergebende Anwendung von § 16 StGB und § 17 StGB stark umstritten ist und zu Teilen sehr diffus von Literatur und Rechtsprechung gelöst wird.302 Im Folgenden werden vorab die Ansichten und Widersprüche zum subjektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Rn. 170; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 428 ff.; Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB, § 370 AO, Rn. 387; Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (118); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 313. 298  BGH v. 22.4.1955 – 5 StR 35/55, NJW 1955, 1688; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 341; speziell zur Steuerhinterziehung: BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160. 299  Neuling, DStR 2016, 1652 (1655). 300  Madauß, NZWiSt 2016, 343 (347); Puppe, ZIS 2019, 409 (409–411). 301  Wegner, wistra 2008, 347; vgl. auch Wulf, in: FS Streck, S. 627 (628), wonach dem voluntativen Element insoweit kaum Bedeutung zukomme. 302  So auch: Cornelius, Verweisungsbedingte Akzessorietät, S. 21; Wedler, NZWiSt 2015, 99 (99).



B. Das Handlungsunrecht193

herausgearbeitet und anschließend die gefundenen Ergebnisse auf § 153 Abs. 1 AO übertragen.

I. Blankettmerkmale oder normative Tatbestandsmerkmale Teils wird für die Bestimmung des Vorsatzes danach unterschieden, ob die einzelnen objektiven Tatbestandsmerkmale, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, normative Tatbestandsmerkmale oder Blankettmerkmale darstellen.303 Ein Blankettgesetz liegt grundsätzlich vor, wenn sowohl „eine wirksame Verhaltens- als auch eine rechtswirksame Sanktionsnorm vorliegen, die durch entsprechende Verweisung miteinander verknüpft sind“.304 § 370 Abs. 1 AO dürfte damit gerade keine Verhaltensnorm enthalten, sondern müsste zu ihrer Ausfüllung einer Bestimmungsnorm bedürfen.305 Eine Blankettnorm ist damit eine „unvollständige Regelung“, die selbst noch keinen Aufschluss über das zu bestrafende Verhalten gibt. Das der Strafandrohung zugrundliegende Verhaltensgebot ergibt sich erst aus der das Blankett ausfüllenden Vorschrift – beide Normen sind zusammenzulesen.306 Bei Vorsatz in Bezug auf Blankettmerkmale bedarf es lediglich einer positiven Kenntnis der Tatumstände der Verweisungsnorm; der rechtliche Schluss auf die auszufüllende Norm muss – anders als bei normativen Tatbestandsmerkmalen – nicht gezogen werden.307 Normative Tatbestandsmerkmale liegen ebenfalls vor, wenn deren Verwirklichung nur durch die Heranziehung einer bzw. mehrerer zusätzlicher Normen feststellbar ist.308 Dabei müsste die in Frage stehende Norm – hier § 370 Abs. 1 AO – aber für sich genommen bereits eine hinreichend bestimmte Beschreibung des zu bestrafenden Unrechts enthalten.309 Bei normativen Tatbestandsmerkmalen muss für den Vorsatz der rechtliche Gehalt eines Tatbestandsmerkmals jedenfalls nach einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ geistig erfasst und in den Vorsatz aufgenommen werden. Damit ist es für die Bejahung des Vorsatzes erforderlich, dass der Täter auch 303  Allgayer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 28; Hoyer, in: Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 163, 169; Jäger, in: Klein, § 370 AO, Rn. 173; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 430; Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB, § 370 AO, Rn. 393–401; vgl. auch allgemein: BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, NStZ-RR 2018, 180 (181 f.). 304  BGH v. 23.7.1992 – 4 StR 194/92, wistra 1992, 344 (345); ebenso: BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/95, NJW 1987, 3175 (3175). 305  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 32; Bülte, JuS 2015, 769 (770); Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 120. 306  Bülte, JuS 2015, 769 (770, 775). 307  Bülte, JuS 2015, 769 (773, 776); Wedler, NZWiSt 2015, 99 (100); Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 120. 308  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 21; Bülte, JuS 2015, 769 (769 f.). 309  Juchem, wistra 2014, 300 (301) m. w. N.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

den normativ-sozialen Bedeutungsgehalt des vorliegenden Sachverhalts und nicht nur das Vorliegen der entsprechenden Tatumstände geistig erfasst.310 Dass der Täter durch sein Handeln eine Straftat begeht, muss er zur Be­ jahung des Vorsatzes dagegen nicht zwingend erkannt haben.311 Bei einem normativen Tatbestandsmerkmal ist ein Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB einschlägig, wenn der Täter zwar alle Umstände kennt, aber den rechtlichen Schluss daraus nicht zieht – bei einem Blankettmerkmal ist für die Bewertung eines nicht gezogenen rechtlichen Schlusses dagegen § 17 StGB einschlägig.312 Für die Unterscheidung zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und einer Blankettnorm ist somit danach zu differenzieren, ob die Norm die Verhaltensregel schon selbst enthält oder hierfür auf eine andere Vorschrift verweist.313 Inwieweit dies bei § 370 Abs. 1 AO der Fall ist, ist stark umstritten. Zum Teil wird das Tatbestandsmerkmal der Steuerverkürzung als normatives Tatbestandsmerkmal eingeordnet,314 zum Teil die Pflichtwidrigkeit als Blankettmerkmal.315 Andere Stimmen qualifizieren nur die Pflichtwidrigkeit als normatives Tatbestandsmerkmal.316 Ferner wird § 370 Abs. 1 AO auch ins­ gesamt als normativer Tatbestand qualifiziert.317 Meist wird allerdings der Blankettcharakter des § 370 Abs. 1 AO betont.318 Wird eine Einordnung vorgenommen, werden auch nicht immer konsequent die Folgen, die sich daraus für die Bestimmung des Vorsatzes ergeben müssten, gezogen. Der 310  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 22; Juchem, wistra 2014, 300 (306); Roxin, in: FS Tiedemann, S. 375 (377); vgl. auch: Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 120 f. 311  Siehe §§ 16, 17 StGB; vgl. Kuhn, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 94. 312  Bülte, JuS 2015, 769 (773, 776); vgl. als kursorischen Überblick dazu: Hellmann, DStJG Bd. 38 (2015), 53 (62); Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (126); Wedler, NZWiSt 2015, 99 (100). 313  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 33. 314  AG Köln v. 10.1.2013 – 585 Ds 124/12, juris; Hoyer, in: Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 166; Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB, § 370 AO, Rn. 27; Juchem, wistra 2014, 300 (303 f.); Hellmann, DStJG Bd. 38 (2015), 53 (62). 315  Hoyer, in: Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 169; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 41; Wulf, wistra 2001, 41 (41); ders., Handeln und Unterlassen, S. 129. 316  Die Normen der Primärordnung sind nach dieser Ansicht kein Bestandteil der strafrechtlichen Norm; Bülte, JuS 2015, 769 (773). 317  Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 2 f.; Hellmann, DStJG Bd. 38 (2015), 53 (62); Juchem, wistra 2014, 300 (300); Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (129) m. w. N. 318  Vgl. BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, NJW 1974, 1860 (1862); BGH v. 8.1.1965 – 2 StR 49/64, NJW 1965, 981 (982); Meyer-Mews, StraFo 2018, 177 (180); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 134 f.; Weidemann, wistra 2010, 5 (5); Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 120.



B. Das Handlungsunrecht195

Bundesgerichtshof folgt zum einen der Steueranspruchslehre Welzels und zieht damit im Falle eines Irrtums § 16 StGB heran319 – zum anderen wird aber in ständiger Rechtsprechung § 370 AO als Blankettnorm bezeichnet, womit im Bereich des Vorsatzes eigentlich § 17 StGB einschlägig wäre. Kuhlen löst diesen Widerspruch dahingehend auf, dass der Terminus „Blankett“ in verschiedenen Zusammenhängen Anwendung findet und ihm dabei unterschiedliche Bedeutungen zugemessen werden.320 Sowohl die Einordnung des Tatbestandsmerkmals der Steuerverkürzung als auch des Tatbestandsmerkmals der Pflichtwidrigkeit ist nicht ohne weiteres möglich. Bei der Pflichtwidrigkeit ließe sich zum einen argumentieren, dass § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO keinen Aufschluss darüber gibt, wann eine Pflicht bestehen soll, sodass ggf. jedes Verhalten, das zu einer Steuerverkürzung führt, unter den Tatbestand zu fassen wäre.321 Damit würde sich der Norminhalt nur aus einem Zusammenlesen mit den auszufüllenden Normen ergeben und das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit könnte als Blankettmerkmal eingeordnet werden. Andererseits macht der Begriff „pflichtwidrig“ deutlich, dass die Herbeiführung einer Steuerverkürzung nur strafbar sein soll, wenn eine steuerliche Handlungspflicht bestand, sodass sich die Verhaltensregel auch bereits aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ergeben würde und eine Einordnung als normatives Tatbestandsmerkmal einschlägig wäre. In einer Gesamtschau ist diese Unterscheidung für die Bestimmung der Vorsatzerfordernisse nicht zielführend.322 Oftmals wird die Einordnung als normatives Tatbestandsmerkmal eher als Ergebnis einer Erörterung gesehen, welche Voraussetzungen an den Vorsatz gestellt werden. Dies findet seinen Grund darin, dass vor allem dem Begriff des Blanketts in der Strafrechts­ theorie unterschiedliche Bedeutungen zukommen, die Grenzen zwischen Blankett und normativen Tatbestandsmerkmal fließend und die Konsequenzen einer Einordnung nicht genau umrissen sind.323

319  Siehe

zur Steueranspruchslehre: S. 197. DStJG Bd. 38 (2015), 117 (127); vgl. dazu auch: Jäger, DStJG Bd. 38 (2015), 29 (33), wonach die unterschiedliche Terminologie darauf zurückzuführen ist, dass eine Qualifikation als Blankettnorm oder als normativer Tatbestand praktisch meist unerheblich ist und die Bezeichnung des § 370 AO als Blankettnorm nur verdeutlichen soll, dass zur Ausfüllung des Tatbestandes auf das Steuerrecht zurückgegriffen werden muss. 321  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 194. 322  Ebenso: Pelz, in: Leitner/Rosenau, § 370 AO, Rn. 175; vgl. dazu auch: Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 268, die das Merkmal der Pflichtwidrigkeit zwar als normatives Tatbestandsmerkmal einordnet, bei einem Irrtum aber dennoch § 17 StGB als einschlägig ansieht. 323  Dies lassen erkennen: Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 199; Roxin, in: FS Tiedemann, S. 375 (381). 320  Kuhlen,

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

II. Vorsatzanforderungen nach herrschender Meinung Für die Vorsatzanforderungen bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist zwischen dem Tatbestandsmerkmal der Steuerverkürzung und dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit zu differenzieren. Insgesamt ist zur Verwirk­ lichung des subjektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung bereits Even­ tualvorsatz ausreichend, d. h. es genügt, wenn der Steuerpflichtige den Eintritt der Steuerverkürzung oder die Erlangung des nicht gerechtfertigten Vorteils für möglich hält (kognitives Element) und den Erfolgseintritt jedenfalls billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element).324 Durch das Institut des Eventualvorsatzes werden in der Praxis Beweisschwierigkeiten vermieden: Anders als ein positives Wissen und Wollen, ist der Nachweis, dass die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts derart im Raume stand, dass der Handelnde mit ihm rechnen und ihn damit billigend in Kauf genommen haben musste, einfacher zu führen.325 Dabei ist das Inkaufnehmen nicht am Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts zu messen, sondern es ist vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.326 Vor allem im Wirtschaftsstrafrecht ist ein Wollen des Angeklagten bei komplexen Strukturen häufig nicht ohne Weiteres zu bejahen.327 Auch bei einem Gefährdungsschaden fordert der Bundesgerichtshof über eine bloße Kenntnis des Täters vom Schadenseintritt hinaus auch eine Billigung des möglichen Erfolgseintritts.328 Insgesamt besteht Einigkeit darüber, dass nicht jede abstrakte Vorstellung bzw. jedes potentielle Bewusstsein ausreichen soll, um eine Strafbarkeit zu begründen. Konkrete Richtlinien der notwendigen intellektuellen Konkretisierung für den Bereich des Steuerstrafrechts fehlen allerdings.329 324  Vgl.: Geberth/Welling, DB 2015, 1742; Kuhn, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 94.

325  Kuhn, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 79; vgl. auch: Tiedemann, JuS 1989, 689 (698), nach dem durch diese „im Gesetz nicht verankerte Kunstfigur“ im Strafrecht ein weiter Entscheidungsspielraum eröffnet wird. 326  BGH v. 6.4.2000 – 1 StR 280/99, NJW 2000, 2364 (2366); BGH v. 26.8.2003 – 5 StR 145/03, NJW 2004, 375 (379). 327  BGH v. 26.8.2003 – 5 StR 145/03, NJW 2004, 375 (380); Meilicke spricht sich insoweit für eine strenge Beurteilung eines bedingten Vorsatzes aus: So soll derjenige, der eine andere Rechtsauffassung als die Finanzbehörde vertritt, nicht vorsätzlich handeln. Dieser Person kann nicht vorgeworfen werden, die gesetzlich geschuldete Steuer verkürzen zu wollen; andernfalls müsste immer die für den Fiskus günstigste Auslegungsvariante zugrunde gelegt werden, siehe Meilicke, BB 1984, 1885 (1887). 328  BGH v. 26.8.2003 – 5 StR 145/03, NJW 2004, 375 (379 f.); BGH v. 25.5.2007 – 2 StR 469/06, NStZ 2007, 704 (705); BGH v. 16.4.2008 – 5 StR 615/07, NStZ-RR 2008, 239. 329  Wulf, Stbg 2012, 19 (19); vgl. dazu auch Puppe, ZIS 2019, 409 (409–411), nach der es auch für das allgemeine Strafrecht keine allgemeingültige Formel zur Bejahung des dolus eventualis gibt.



B. Das Handlungsunrecht197

1. Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung Nach der von Welzel begründeten Steueranspruchslehre kommt es für die Bejahung des Vorsatzes bei der Steuerhinterziehung darauf an, ob der Steuerpflichtige den Steueranspruch und damit jedenfalls in der Laiensphäre das Ergebnis der steuerlichen Subsumtion des maßgeblichen Sachverhalts erkannt hat.330 Zugrunde gelegt ist dieser Ansicht die Tatsache, dass § 370 AO im Rahmen des tatbestandlichen Erfolges auf den Steueranspruch und nicht die tatsächliche Steuereinnahme abstellt. Der Steuerpflichtige muss damit die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts jedenfalls in Betracht gezogen und Steuerausfälle billigend in Kauf genommen haben. Wenn der Steuerpflichtige den Steueranspruch nicht kennt bzw. über die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts irrt, so befindet er sich demnach in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB – rechnet er dagegen mit einem Bestehen eines Steueranspruchs gegen ihn, so handelt er jedenfalls mit dolus eventualis und damit vorsätzlich bezüglich dieses Tatbestandsmerkmals.331 Nach dieser Theorie ist es damit zur Bejahung des Vorsatzes nicht ausreichend, wenn der Täter lediglich die den Anspruch begründenden Umstände positiv kannte.332 Essentiell für den Vorwurf, die Grundsätze unserer Rechtsordnung verkannt zu haben, ist, dass der strafrechtliche Normappell den Betroffenen überhaupt erreichen kann.333 Hat der Steuerpflichtige die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts nicht erkannt, so ist dies nicht der Fall, denn dann kennt dieser einen zum Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO gehörenden Umstand nicht.334 Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2011 ausdrücklich offengelassen, ob der Steueranspruchslehre in den Fällen weiterhin zu folgen ist, in denen der Täter über die Reichweite der steuerlichen Normen irrt.335 Insoweit käme auch ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB in Betracht. Im Jahr 2018 ist er jedoch wieder zur Steueranspruchslehre zurückgekehrt und 330  Welzel, NJW 1953, 486; dem folgend die Rechtsprechung in der „KakaobutterEntscheidung“: BGH v. 13.11.1953 – 5 StR 342/53, NJW 1954, 241 (242); sowie: BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, Rn. 21; BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, NJW 2019, 3532, Rn. 20 f.; sowie auch Zustimmung in der Literatur: Flore, in: Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 649; Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 195, 203; Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (138); Ransiek/Hüls, NStZ 2011, 678 (681); Roxin, in: FS Tiedemann, S. 375 (378). 331  Welzel, NJW 1953, 486 (487); dem folgend: BGH v. 13.11.1953 – 5 StR 342/53, NJW 1954, 241; Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 180 f.; Kuhn, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 95; A. Müller, AO-StB 2002, 58 (61). 332  Anschaulich dargestellt: Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (119 f.). 333  Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 16, Rn. 14. 334  Nach Wulf, wistra 2001, 41 (44) ist die Steuerverkürzung damit als normatives Tatbestandsmerkmal einzuordnen. 335  BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, Rn. 23 f.

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

hat einen Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs wieder als Tatbestandsirrtum i. S. d. § 16 StGB eingeordnet.336 Maiwald sieht die Steueranspruchslehre als nicht mit den in § 17 StGB verankerten strafrechtlichen Grundsätzen vereinbar an.337 § 17 StGB regelt den Verbotsirrtum, nach dem ein Täter ohne Schuld handelt, wenn ihm die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun und wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Zur Straflosigkeit führt diese Unkenntnis damit nur, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Vermeidbar war er, soweit der Täter „seine Fähigkeit zur Erkenntnis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ungenutzt gelassen hat“.338 Der Ansicht von Maiwald nach fordert der Staat von jedem einzelnen Bürger, sich mit dem Staat „so weit zu identifizieren, dass man auch diejenigen Normen kennt, die der Staat zur Wahrnehmung seiner Ordnungsfunktion erlassen hat“.339 Nach dieser Ansicht wäre ein Irrtum über die Steuerverkürzung immer als Verbotsirrtum einzuordnen. Kuhlen hält diese Ansicht für unhaltbar – er differenziert nach reinen Verbotsirrtümern und solchen, die von einem vorsatzausschließenden Irrtum begleitet werden.340 Auch Bachmann rügt, dass Maiwald die positive Feststellung des Vorliegens von Vorsatz außenvorlasse.341 Allgayer unterscheidet weiter ausdrücklich zwischen einem Irrtum über die Besteuerungsgrundlagen, welcher einen Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB, und einem Irrtum über die steuerrechtlichen Vorschriften, welcher einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB darstelle.342 Dabei befürchten Nöcker/Hüning, dass eine Unvermeidbarkeit wohl in den seltensten Fällen vorläge, da der Steuerpflichtige immer die Möglichkeit hätte, Rechtsrat einzuholen.343 Allgayer nimmt jedoch Unvermeidbarkeit an, wenn der Steuerpflichtige das Bestehen eines Steueranspruchs nicht einmal für möglich hielt und daher keinen Anlass für Erkundigungen gehabt hätte.344 Im Ergebnis ist diese Ansicht damit deckungsgleich mit der Steueranspruchslehre.

336  BGH

v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, NStZ-RR 2018, 180 (181). Maiwald, Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, S. 42 f.; ebenso: AG Köln v. 10.1.2013 – 585 Ds 124/12, juris, welches soweit der Täter bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts nicht erkannt hat, das Vorliegen eines – in den meisten Fällen wohl vermeidbaren – Verbotsirrtums i. S. d. § 17 StGB bejaht hat. 338  Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, § 17, Rn. 40. 339  Maiwald, Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, S. 43. 340  Kuhlen, DStJG Bd. 38 (2015), 117 (122). 341  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 175 f. 342  Allgayer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 28. 343  Nöcker/Hüning, AO-StB 2012, 316 (319). 344  Allgayer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 28. 337  Hierzu:



B. Das Handlungsunrecht199

Der Steueranspruchslehre ist richtigerweise – und konform mit der herrschenden Meinung – auch weiterhin zu folgen. Der Unrechtsvorwurf des § 370 AO besteht darin, dass vorsätzlich steuerrechtliche Normen nicht befolgt werden. Der Normappell der steuerrechtlichen Normen muss den Betroffenen hierfür zumindest soweit erreicht haben, dass dieser eine Verkürzung von Steuern wenigstens billigend in Kauf nimmt. Erkennt er die steuerliche Relevanz eines Tatbestandes trotz Kenntnis der relevanten Tatsachen nicht, kann ihm nicht der Vorwurf gemacht werden, sich bewusst gegen die Rechtsordnung gestellt zu haben.345 Ein Irrtum über das Bestehen einer steuerlichen Verpflichtung ist damit als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB zu bewerten. Diese Einordnung wird auch auf das Argument gestützt, dass eine fahrlässige Steuerhinterziehung nicht strafbewehrt ist und der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck bringen wollte, dass der unbewusste Verstoß gegen eine Steuernorm kein strafwürdiges, sozialschädliches Übel enthält. Eine Einordnung eines Irrtums über die steuerliche Erheblichkeit ­eines Sachverhalts als Verbotsirrtum würde jedoch praktisch nur Beweisprobleme umgehen und damit faktisch – entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers – zu einer strafbaren fahrlässigen Steuerhinterziehung führen.346 Dass der Bürger dennoch grundsätzlich die Pflicht hat, sich über die geltenden steuerrechtlichen Normen zu informieren, wird durch § 378 AO als Ordnungswidrigkeit erfasst. Es kann weiter nicht aus der Höhe des Hinterziehungsbetrages auf das Vorliegen von Vorsatz geschlossen werden.347 Dennoch ist in der Praxis der Eindruck entstanden, dass sich der Sperrbetrag nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO zu einer Art „Aufgriffsgrenze“ entwickelt hat.348 2. Vorsatz bezüglich der Pflichtwidrigkeit Nach herrschender Ansicht ist es zur Bejahung des Vorsatzes bezüglich der Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausreichend, wenn der Täter die Tatumstände kennt, die eine Pflicht zur Erklärung begründen – der Schluss auf das Bestehen einer Pflicht müsse nicht gezogen werden.349 Die 345  Vgl.

Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, § 16, Rn. 76d–76e. Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, § 16, Rn. 76e; Wedler, NZWiSt 2015,

346  Dazu:

99 (102). 347  AEAO Nr. 2.5 S. 6 zu § 153; K.-H. Günther, AO-StB 2016, 192. 348  Neuling, DStR 2016, 1652 (1653 f.); vgl. auch: Gotzens, in: FS Streck, S. 519 (521), wonach bei hohen Steuerausfallbeträgen tendenziell eher eine strafrechtliche Relevanz von Seiten der Finanz-/Strafverfolgungsbehörden angenommen wird. 349  Jäger, in: Klein, § 370 AO, Rn. 179; Joecks, in: JJR, § 370 AO, Rn. 504; ­Hoyer, in: Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 169; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 667; Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 378; Schott, in: Hüls/

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Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

fehlende Kenntnis einer Erklärungspflicht stelle demnach als fehlerhafter rechtlicher Schluss einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB dar, sodass Straffreiheit nur bei Unvermeidbarkeit eintreten könne.350 Diese Ansicht findet ihren Ursprung in der Einordnung des Tatbestandsmerkmals der Pflichtwidrigkeit in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als Blankett. Zur Bejahung des Vorsatzes wäre es ausreichend, wenn der Täter Kenntnis von den Tatbestandsmerkmalen hatte – unabhängig davon, ob die Pönalisierung durch die Rechtsordnung erkannt wurde. Hat der Täter mit Blick auf § 153 Abs. 1 AO nachträglich die Unrichtigkeit einer abgegebenen Erklärung und die dadurch potenziell hervorgehende Steuerverkürzung erkannt, so kennt er alle Umstände des Tatbestandes des § 153 Abs. 1 AO und handelt damit nach dieser Ansicht vorsätzlich i. S. d. § 16 Abs. 1 StGB. Bachmann sieht das auch als korrekt an: Wer nachträglich erkennt, dass er eine unrichtige Erklärung abgegeben und dadurch ggf. Steuern verkürzt hat, „der sollte auch dann einen Impuls zur Richtigstellung erfahren, wenn er die Berichtigungspflicht aus § 153 AO nicht kennt“.351 Der Bundesgerichtshof schloss 1985 einen Verbotsirrtum sogar von vornherein mit der Begründung aus, dass die Berichtigungspflicht des § 153 AO allgemein bekannt ist.352 Dieses Ergebnis ist auch deckungsgleich mit den Anforderungen, die an den Vorsatz in Bezug auf eine allgemeine Garantenstellung nach § 13 StGB gestellt werden – auch dabei reicht es aus, wenn der Garant die Umstände erkennt, aus denen sich die Garantenstellung ergibt; der rechtliche Schluss muss dagegen nicht gezogen werden.353 Nach anderer Ansicht ist die Pflichtwidrigkeit an sich ausdrücklich Teil des objektiven Tatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, sodass der Täter für eine vorsätzliche Tat den subjektiv-normativen Bedeutungsgehalt eines Sachverhalts und nicht nur dessen Vorliegen erkannt haben müsse.354 Zieht ein Täter den rechtlichen Schluss aus einem Sachverhalt nicht und wird verkannt, dass ggf. eine Handlungspflicht vorliegt, so läge nach dieser Sicht ein Tatbestands­ Reichling, § 370 AO, Rn. 268; Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 195; Kaufmann, in: Schuld und Strafe, S. 126; Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453 (454); Lohmeyer, StB 1990, 192 (194); Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 157; Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (92); Wulf, wistra 2001, 41 (41); Wulf, Stbg 2012, 19. 350  Vgl.: Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 181 f. 351  Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 195. 352  BGH v. 18.12.85 – 2 StR 461/85, wistra 1986, 219; ebenso: Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 195, der von einem „allgemeinen Impuls zur Richtigstellung“ ausgeht, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich einen Fehler in seiner gegenüber der Finanzbehörde abgegebenen Erklärung entdeckt. 353  Kühl, JuS 2007, 497 (504); Satzger, JURA 2011, 432 (435); Wulf, Handeln und Unterlassen, S. 121. 354  Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 129; Peters, in: HHSp, § 370 AO, Rn. 457.



B. Das Handlungsunrecht201

irrtum nach § 16 StGB vor und die Strafbarkeit aufgrund einer vorsätzlichen Begehung wäre ausgeschlossen. Auch Brenner vertritt die Ansicht, dass derjenige, der § 153 AO nicht kenne, in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB handle und damit straflos bleibe.355 Krumm begründet das verfassungsrechtliche Erfordernis dieser Auslegung damit, dass ebenso wie bei einem Irrtum über den Steueranspruch gleichermaßen ein Irrtum über das Steuerrecht vorliege. Nachdem keine Pflicht bestehe, sich eines Steuerberaters zu bedienen, wäre es widersprüchlich, die fehlende Kenntnis des Steuerrechts zu pönalisieren. Dies ließe sich mit der Androhung von Freiheitsstrafe nicht in Einklang bringen.356 Schott macht deutlich, dass der Vorsatz in Bezug auf die Pflichtwidrigkeit immer in Relation zum Vorsatz bezüglich einer Steuerverkürzung zu beurteilen sei. Hat ein Täter die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts erkannt, so könne erwartet werden, dass dieser sich auch über die sich daraus ergebenden Handlungspflichten informiert.357 Dieser Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen. Hat der Täter bereits die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts nicht erkannt, so fehlt es bereits an einem Vorsatz bezüglich einer Steuerverkürzung; die Frage, wie der Irrtum über eine Handlungspflicht einzuordnen ist, stellt sich in diesen Fällen nicht mehr. Wenn nicht einmal erkannt wurde, dass ein Steueranspruch bestehen könnte, ist der strafrechtliche Vorwurf, sich vorsätzlich steuerrechtlich pflichtwidrig verhalten zu haben, denklogisch ausgeschlossen. Für die Entstehung einer steuerlichen Mitwirkungspflicht bedarf es grundsätzlich auch eines steuerlich relevanten Sachverhalts, sodass sich beide Tatbestandsmerkmale inhaltlich überschneiden und in Relation zueinander zu prüfen sind. Hat der Täter die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts erkannt, kann ihn der Normappell der steuerlichen Mitwirkungspflichten erreichen. Der Betroffene muss zumindest in Betracht ziehen, dass sich aus einem ihn betreffenden steuerlichen Sachverhalt, auch eine steuerrechtliche Handlungspflicht ergeben kann. Ging er nun aber davon aus, dass ihn keine Handlungspflicht trifft, ohne sich genauer zu informieren, ist ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB einschlägig. Zusammengefasst: Sobald Vorsatz bezüglich einer Steuerverkürzung bejaht wird, bewegen sich Irrtümer über die Pflichtwidrigkeit im Bereich des § 17 StGB; wurde dagegen ein möglicher Steueranspruch und daraus folgend auch eine etwaige Pflichtwidrigkeit nicht erkannt, ist § 16 StGB auch in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit anzuwenden.

DRiZ 1981, 412 (414). in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 129. 357  Schott, in: Hüls/Reichling, § 370 AO, Rn. 271. 355  Brenner, 356  Krumm,

202

Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

3. Überschießende Innentendenz Anders als bei anderen Vermögensdelikten des Kernstrafrechts ist bei der Steuerhinterziehung nach herrschender Meinung weder eine Bereicherungsnoch eine Zueignungsabsicht erforderlich.358 Einzig Suhr stellt die Steuerhinterziehung als Delikt mit überschießender Innentendenz dar, um dadurch eine Steuerhinterziehung „auf Zeit“ von einer „auf Dauer“ abzugrenzen.359 Auch wenn der Täter eine Steuerverkürzung auf Dauer herbeiführen möchte, besteht für die Finanzbehörde weiterhin die Möglichkeit, eine geänderte Steuerfestsetzung zu erlassen. Wenn eine zu niedrige Festsetzung erlassen wird, lässt sich objektiv damit nicht feststellen, ob die Steuern auf Dauer oder auf Zeit verkürzt werden sollen – es bedürfe eines Rückgriffs auf den Vorsatz des Täters. Schmitz widerspricht dem Erfordernis einer überschießenden Innentendenz allerdings zutreffend mit Verweis auf den eindeutigen Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO und den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. § 370 Abs. 1 AO würde entgegen dem Gesetzeswortlaut dadurch in ein kupiertes Erfolgsdelikt gewandelt.360 Für die Verwirklichung einer Steuer­ hinterziehung bedarf es damit keiner gesonderten „Aufrechterhaltungsab­ sicht“.361 4. Fazit in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO Bezogen auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 153 AO ist für den Vorsatz danach zu unterscheiden, ob die Berichtigungspflicht den Steuerpflichtigen selbst trifft oder einen Gesamtrechtsnachfolger.

DB 2015, 1742. Rechtsgut, S. 122–125; insoweit bestehe eine Vergleichbarkeit der Steuerhinterziehung mit dem Diebstahl, bei dem der objektive Tatbestand nur die Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustandes abbildet, der Vorsatz allerdings auch auf eine dauerhafte Enteignung des Eigentümers – also auf eine Aufrechterhaltung des Zustandes – gerichtet sein muss. Tatsächlich muss die dauerhafte Enteignung jedoch nicht eintreten. 360  Schmitz, Unrecht und Zeit, S. 106 f. 361  Anders als beim Diebstahl kommt es bei der Steuerhinterziehung auch nicht auf eine Unterscheidung zwischen einer nur vorübergehenden und einer dauerhaften Aufrechterhaltung an, sodass es keiner Differenzierung im Rahmen einer überschießenden Innentendenz bedarf. Während bei § 242 Abs. 1 StGB eine bloße Gebrauchsanmaßung grundsätzlich straflos ist, ist auch die vorübergehende Vorenthaltung von Steuern ebenso strafbar wie die dauerhafte. 358  Geberth/Welling, 359  Suhr,



B. Das Handlungsunrecht203

a) § 153 Abs. 1 S. 1 AO Ist der Steuerpflichtige selbst zur Berichtigung verpflichtet, können die oben gefundenen Regeln direkt angewandt werden. Für die Entstehung der Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO bedarf es dabei auf der steuerlichen Ebene bereits eines positiven Erkennens einer möglichen Steuerverkürzung. Irrt der Steuerpflichtige also weiter über die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts, entsteht bereits keine Berichtigungspflicht. Die Ebene des Strafrechts wird folglich gar nicht erreicht. Für § 16 StGB besteht insoweit kein Raum. Die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts muss damit zur Eröffnung des Anwendungsbereiches des § 153 AO schon einmal erkannt worden sein, sodass sich bei einem Verstoß gegen die Berichtigungsvorschrift mit der Steueranspruchslehre bereits daraus Vorsatz in Bezug auf eine Steuerverkürzung ergibt – auch wenn dem Betroffenen nicht genau klar sein sollte, worin diese besteht. Der Normappell des § 153 Abs. 1 S. 1 AO erreicht dadurch den Steuerpflichtigen jedenfalls. Der Betroffene muss in dieser Situation zumindest den Impuls erfahren, sich zu fragen, ob sich aus der von ihm möglicherweise herbeigeführten Steuerverkürzung eine Berichtigungspflicht ergibt. Informiert sich der Steuerpflichtige nun nicht, inwieweit eine Berichtigungspflicht besteht, und irrt über die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens einer Berichtigung, liegt ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB vor. Sind dem nach § 153 Abs. 1 AO Verpflichteten die Umstände, die eine Handlungspflicht begründen, und die steuerliche Relevanz eines Sachverhalts bekannt, so wurden auch die für den strafrechtlichen Vorwurf der Steuerhinterziehung maßgeblichen Punkte erkannt. Ist dem vorsätzlichen Unterlassen einer Berichtigungserklärung bereits eine vollendete Steuerhinterziehung vorangegangen, kommt laut Doege dem Unterlassen auch kein eigenständiges Handlungsunrecht zu.362 Der Vorsatz geht in diesen Fällen nicht über den Willen zur bloßen Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Lage hinaus – dem wäre zuzustimmen. Nachdem es insoweit auch bereits am Erfolgsunrecht fehlt, stellt sich die Frage nach dem Handlungsunrecht aber nicht mehr. b) § 153 Abs. 1 S. 2 AO Bei § 153 Abs. 1 S. 2 AO besteht insoweit die Besonderheit, dass der Gesamtrechtsnachfolger auf strafrechtlicher Ebene für eine vorsätzliche Steuerhinterziehung jedenfalls in der Laiensphäre nachvollzogen haben muss, dass die Steueransprüche des Rechtsvorgängers, die aufgrund einer unrichtigen Erklärung nicht vollständig festgesetzt wurden, auf ihn übergegangen sind – 362  Doege,

Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 182.

204

Kap. 2: Strafrechtlicher Teil

obwohl ggf. der betroffene Veranlagungszeitraum im Zeitpunkt des Erbfalls längst durch eine Steuerfestsetzung abgeschlossen oder die Steuerersparnis gar nicht mehr im Vermögen enthalten war. Wird der Schluss, dass der damalige Steueranspruch des Rechtsvorgängers nun einen selbst betrifft, nicht gezogen, fehlt es am Vorsatz bezüglich einer eigenen Steuerverkürzung – obwohl die Merkmale des § 153 Abs. 1 S. 2 AO aus steuerlicher Sicht ggf. erfüllt wurden und die Berichtigungspflicht entstand. Insoweit ist bei einem Irrtum über den Steueranspruch der Tatbestandsirrtum des § 16 StGB in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale „Pflichtwidrigkeit“ und „Steuerverkürzung“ einschlägig. Wurde die steuerliche Relevanz eines vergangenen Sachverhalts allerdings erkannt und auch der Schluss gezogen, dass dies die eigene Person als Gesamtrechtsnachfolger betrifft, besteht die Pflicht sich zu informieren, ob sich Handlungspflichten ergeben. Insoweit gilt das obige: Erkennt jemand, dass in seinem Verantwortungsbereich ein Steueranspruch besteht, so kann ihn der Normappell der Berichtigungsvorschrift erreichen. Irrt der Steuerpflichtige dann über das Bestehen einer Berichtigungspflicht, ist ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB einschlägig.

C. Gesamtfazit Entgegen der herrschenden Meinung stellt damit nicht jeder Verstoß gegen die Berichtigungspflichten nach § 153 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Zwar füllt eine Missachtung der Berichtigungspflicht das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit regelmäßig aus, soweit die Pflicht nicht durch das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO „entkernt“ ist – allerdings fehlt es in den Fällen, in denen vor Entstehung der Berichtigungspflicht bereits eine Steuerverkürzung eingetreten ist, an einer weiteren Steuerverkürzung. Die bloße Aufrechterhaltung der ursprünglichen Steuerverkürzung allein ist nicht geeignet, eine eigenständige Strafbarkeit zu begründen.

Kapitel 3

Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich Im Grenzbereich von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren herrscht bereits ein grundsätzlicher, systemimmanenter Konflikt zwischen der strafrechtlichen Selbstbelastungsfreiheit und den steuerlichen Mitwirkungspflichten.1 Der nemo-tenetur-Grundsatz wird im Verhältnis von Besteuerungs­ verfahren und Strafverfahren immer relevant, wenn der Steuerpflichtige in Erfüllung der ihm auferlegten steuerlichen Pflichten belastende Umstände offenbaren muss. Dabei kommt es zu einer Kollision der Interessen des Steuerpflichtigen und des Fiskus.2 Während Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren umfangreichen und meist erzwingbaren Auskunftspflichten – wie der Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO – unterliegen, gilt im Steuerstrafverfahren ein Schweigerecht, soweit die Gefahr einer Selbstbelastung besteht.3 Dem Interesse des Steuerpflichtigen, sich nicht selbst belasten zu müssen, steht im Besteuerungsverfahren das diametrale Interesse des Fiskus und der anderen Steuerbürger gegenüber. Dieses Interesse bezieht sich zum einen darauf, Steuern zu generieren, um den Staatsbetrieb zu finanzieren und damit die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens zu sichern.4 Zum anderen ist auch dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung, der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt, Genüge zu tun.5 Entsteht der Eindruck, dass Personen unterschiedlich besteuert werden und dass sich das Verheimlichen von 1  Vgl. Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1826); Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 168, 189; ders., wistra 2006, 11 (11); Hahner, Beweisverwertungsverbote im Besteuerungsverfahren, S. 29; Heerspink, AO-StB 2006, 51 (51); Jesse, DB 2013, 1803 (1807); Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 76; Nossen, in: Wannemacher, Rn. 3963; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 24; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 191; Rolletschke, Stbg 2006, 221 (221); Thoma, Legitimität des § 398a AO, S. 247; Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 26; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 209. 2  Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 126; Jesse, DB 2013, 1803 (1814). 3  Aselmann, NStZ 2003, 71 (71); Jesse, DB 2013, 1803 (1814); Rogall, in: FS Rieß, S. 951 (955); Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 5, 159; Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (279); Seer, StB 1987, 128; Streck/Spatscheck, wistra 1998, 334 (336). 4  Teske, wistra 1988, 207 (211). 5  Vgl.: Rogall, nemo-tenetur, S. 174 f.

206

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Besteuerungsgrundlagen auszahlt, sinkt die Steuermoral und die allgemeine Motivation Besteuerungsgrundlagen vollständig und korrekt zu erklären, geht zurück. Dies zu verhindern, liegt sowohl im Interesse des Staates als auch im Interesse des einzelnen Bürgers, der in unterschiedlichen Formen auf einen funktionsfähigen Staatshaushalt angewiesen ist.6 Im Strafverfahren gilt dagegen der Grundsatz, dass Beschuldigte nicht gezwungen werden können, aktiv an dem sie selbst betreffenden Strafverfahren mitzuwirken. Die Selbstbelastungsfreiheit als verfassungsrechtlich verankertes Prinzip darf dabei nicht hinter fiskalischen Interessen zurücktreten.7 Für den Staat ergeben sich in dieser Problematik zwei Optionen: Entweder wird dem Strafbedürfnis ein höherer Wert zugemessen oder einer gleichmäßigen Besteuerung. Bei ersterem müsste auf die Mitwirkung des Steuerbürgers verzichtet und dieser von der Pflicht, deren Erfüllung mit einer Selbstbelastungsgefahr einhergehen würde, faktisch freigestellt werden. Dafür wäre eine Bestrafung begangener Steuerstraftaten bei deren Aufdeckung weiter unproblematisch möglich. Würden dagegen fiskalische Interessen höher gewichtet und sollten Mitwirkungspflichten unbedingt durchsetzbar bleiben, so bedürfte es auf strafrechtlicher Ebene eines Ausgleichs. Im nachfolgenden Teil wird herausgearbeitet, inwieweit seitens des Gesetzgebers ein angemessener Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen gefunden wurde und welche Ansichten respektive ergänzende Auslegungen in Rechtsprechung und Literatur dazu vertreten werden. Bei der Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO sind – wie im ersten Kapitel dieser Arbeit bereits herausgearbeitet – mehrere Szenarien denkbar, in denen es für den Steuerpflichtigen zu einem Konflikt mit dem nemo-tenetur-Grundsatz respektive der Selbstbelastungsfreiheit kommen kann. Gibt der Steuerpflichtige eine unwirksame Anzeige- bzw. Berichtigungserklärung ab, besteht zum einen die Gefahr, dass die Finanz- oder die Strafverfolgungsbehörde im Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO eine Steuerhinterziehung sieht und zugleich hätte der Steuerpflichtige der Strafverfolgungsbehörde belastende Informationen geliefert, die zu seiner Verurteilung beitragen könnten.8 Darüber hinaus räumt der Steuerpflichtige auch mit einer wirksamen Berichtigungserklärung ein, ursprünglich eine unvollständige oder un6  Sei es in Form einer gut ausgebauten Infrastruktur, der Finanzierung der Polizei zum Schutze der Bürger oder der Zahlung von Sozialleistungen etc. 7  Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 38. 8  Dass in einem bloßen Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO regelmäßig mangels tauglichen Taterfolgs keine Steuerhinterziehung zu sehen ist, wurde im zweiten Kapitel dieser Arbeit ausführlich herausgearbeitet. Die herrschende Meinung weicht jedoch von der hier vertretenen ab, sodass auch die Konsequenzen der herrschenden Meinung in Bezug auf den nemo-tenetur-Grundsatz in diesem Teil herausgearbeitet werden sollen.



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 207

richtige Erklärung abgegeben zu haben. Auch insoweit besteht die Gefahr, dass die Finanzbehörde in der Abgabe dieser ursprünglich fehlerhaften Erklärung eine vorsätzliche Steuerstraftat sieht und der Steuerpflichtige insoweit einen Anlass für strafrechtliche Ermittlungen liefert. Hier stellt sich bereits die Frage, ob die Selbstbelastungsfreiheit auch greift, wenn tatsächlich gar keine Straftat begangen wurde, objektiv aber dieser Eindruck entstehen könnte. Die beiden genannten Varianten können auch zusammenfallen, wenn ein veranlagungszeitraumübergreifender Sachverhalt vorliegt. Geht der Steuerpflichtige von einem nicht vorwerfbaren Vorverhalten und damit einer Festsetzungsverjährung von vier Jahren aus, behandelt die Berichtigungserklärung in der Folge wohl nur die entsprechenden Zeiträume. Schätzt die Finanzbehörde dagegen das Vorverhalten als bedingt vorsätzlich ein, wird diese von einer Festsetzungsfrist von zehn Jahren ausgehen. Die Berichtigungserklärung liefert damit belastende Informationen für mehrere Steuerstraftaten: Zum einen bezüglich der ursprünglichen, unrichtigen Steuererklärungen und zum anderen wird deutlich, dass für die übrigen sechs Jahre keine Berichtigungserklärung abgegeben wurde, was nach der Rechtsprechung als erneute Steuerhinterziehung durch Unterlassen angesehen werden kann. Im Folgenden wird zunächst herausgearbeitet, wie weit der Schutz vor einem Selbstbelastungszwang reicht. Um die Relevanz des Grundsatzes für § 153 Abs. 1 AO aufzuzeigen, wird außerdem dargestellt, wie sich in der Praxis die Zuständigkeiten im Besteuerungs- und Strafverfahren zueinander verhalten, wie Verfahrensabläufe ausgestaltet sind und inwieweit dadurch die Gefahr besteht, dass im Besteuerungsverfahren gemachte Angaben in einem Steuerstrafverfahren verwertet werden. Anschließend wird auf unterschied­ liche gesetzlich verankerte, von der Rechtsprechung etablierte und von der Literatur geforderte Schutzinstitute eingegangen und thematisiert, ob diese in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO dem nemo-tenetur-Grundsatz im Besteuerungsrespektive im Steuerstrafverfahren ausreichend Rechnung tragen.

A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes „Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen.“9

Das nemo-tenetur-Prinzip manifestiert den elementaren strafrechtlichen Grundsatz, dass kein Mensch sich selbst belasten und damit zu seiner straf9  BVerfG

v. 21.4.1988 – 2 BvR 330/88, wistra 1988, 302.

208

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

rechtlichen Überführung beitragen muss.10 Dem Staat ist es durch diesen Grundsatz folglich verboten, den Bürgern Pflichten aufzuerlegen, durch deren Erfüllung die Position des Staates als Strafverfolger gestärkt wird, indem daraufhin Erklärtes mittelbar oder unmittelbar als Beweis oder anderweitig für Zwecke der Strafverfolgung eingesetzt wird.11 Nach dieser Wertung steht das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurück.12

I. Historie Die rechtshistorischen Wurzeln der Selbstbelastungsfreiheit lassen sich im jüdischen Talmud und auch im kanonischen Recht finden.13 Dort war – wenn auch in unterschiedlicher Form – bereits ein Verwertungsverbot für belastende Aussagen des Beschuldigten bekannt. Im England des 16. Jahrhunderts wurde ein Verbot des Selbstbelastungszwangs mit dem naturrecht­ lichen Gebot auf Selbsterhaltung begründet.14 Demnach wäre es unzumutbar, wenn ein Straftäter gezwungen würde, selbst zu seiner Verurteilung beizutragen. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde dieser Grundsatz 1789 in die Verfassung aufgenommen.15 In Deutschland war der nemo-teneturGrundsatz bis Mitte des 19. Jahrhunderts fast gänzlich unbekannt und wurde erst mit der Abschaffung der Aussagepflicht bei Erlass der Reichsstrafprozessordnung von 1877 etabliert.16 Bis dahin wurden sogenannte „Lügenstrafen“ verhängt, wenn der Verdächtige schwieg, leugnete oder nachweislich log, und einige Jahre zuvor wurde auch noch die Folter als legitimes Instru10  Rogall, nemo-tenetur, S. 18; Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 116. 11  Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 7; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 246; Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 116 f., der eine Situation, bei der man an seiner eigenen Überführung mitwirken sollte, als „notstandsähnlich“ bezeichnet – dem Betroffenen müsse folglich ein Recht zukommen, seine Mitwirkung zu verweigern. 12  BVerfG v. 13.1.1989 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1431). 13  Mangels tiefergehender Relevanz der historischen Herleitung des nemo-tenetur-Grundsatzes für diesen Abschnitt werden die Ausführungen kurz gehalten; für weitergehende Ausführungen sei auf Rogall, nemo-tenetur, S. 68 ff. sowie Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 31 ff. verwiesen. 14  Rogall, nemo-tenetur, S. 76 m. w. N. 15  Rogall, nemo-tenetur, S. 81 f. 16  Siehe § 136 Abs. 1 S. 2 StPO („Der Beschuldigte ist zu befragen, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle.“), Erlass der Strafprozessordnung v. 1.2.1877, RGBl. 1877, 253 (278); vgl. dazu auch: Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 118; Seebode, JA 1980, 493 (496); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 27.



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 209

ment des Inquisitionsprozesses genutzt.17 Nach damaliger Auffassung verlor ein Straftäter mit der Tat sein Persönlichkeitsrecht und aus der Pflicht des Staates, Verbrechen zu strafen, folgerte man, dass zu diesem Zweck auch der Beschuldigte als Beweismittel genutzt werden musste.18 Auch nach der Abschaffung der Aussagepflicht in der Reichsstrafprozessordnung vom 1. Februar 1871 durfte dem Schweigen des Beschuldigten jedoch noch ein nach­ teiliger Erklärungswert zugemessen werden.19 Erst nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.10.1965 wurde dem Schweigen jegliche Indizfunktion abgesprochen.20

II. Herleitung Eine ausdrückliche Normierung der Selbstbelastungsfreiheit findet sich nicht – das Selbstbelastungsverbot wird im Rahmen der Rechtsordnung lediglich als selbstverständliches Schutzinstitut betrachtet.21 Dieses schlägt sich in der Rechtsordnung allerdings in verschiedenen Normen nieder, deren Wirksamkeit die Geltung des Grundsatzes schlicht voraussetzt. Exemplarisch sind das Verbot der Aussageerpressung in § 343 StGB und das Verwertungsverbot einer durch Drohung oder Zwang erreichten Aussage nach §§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a und 163a Abs. 3 StPO anzuführen.22 Dadurch lässt sich zwar die Existenz und Geltung des Prinzips belegen – eine Begründung oder Herleitung bieten diese Normen allerdings nicht.23 Die Herleitung des nemo-tenetur-Grundsatzes als allgemeiner Rechtsgrundsatz ist umstritten.24 Hierfür werden verschiedene Rechtsgrundlagen herangezogen und unterschiedlich gewichtet. Dabei wird kritisiert, dass der Diskussion um die korrekte verfassungsrechtliche Ableitung zu viel Relevanz beigemessen werde und der Fokus des wissenschaftlichen Diskurses vorrangig auf die AusarbeiZwang zur Selbstbezichtigung, S. 3. Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 25. 19  Vgl. Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 27 f. 20  BGH v. 26.10.1965 – 5 StR 415/65, NJW 1966, 210. 21  Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1825); Dingeldey, NStZ 1984, 529 (529); Radtke, GA 2020, 470 (470); Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 157 f.; Stetter, Die Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 8. 22  Vgl. dazu Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1825); Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 4; Dingeldey, NStZ 1984, 529 (529); Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (451); K. Schäfer, in: FS Dünnebier, S. 11 (11); Stürner, NJW 1981, 1757 (1757); Verrel, NStZ 1997, 361 (365); Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 28. 23  Radtke, GA 2020, 470 (470, 472); Rogall, nemo-tenetur, S. 104 f. 24  Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 118; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 29. 17  Berthold, 18  Wolff,

210

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

tung des Prinzipiengehalts gelegt werden müsse.25 Mangels tiefergehender Relevanz der Ableitung des Grundsatzes für diese Arbeit wird auf die Pro­ blematik der Herleitung der Selbstbelastungsfreiheit nicht vertieft eingegangen, sondern lediglich ein kursorischer Überblick über die meist herange­ zogenen Grundsätze und Normen gegeben. Ein Erfordernis tiefergehender Erörterungen entfällt außerdem, zumal der grundlegende Schutzumfang in Rechtsprechung und Literatur relativ klar konturiert ist. Dabei ist vorweg festzustellen, dass sich die Ausführungen von Rechtsprechung und Literatur nie jeweils nur auf einen Ansatz beschränken, sondern die Selbstbelastungsfreiheit meist auf ein Konglomerat an Anspruchsgrundlagen gestützt wird. Der Umfang des nemo-tenetur-Grundsatzes lässt sich aus einer Zusammenschau der vertretenen Ansichten ableiten. 1. Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte In Art. 14 Abs. 3 lit. g des Internationalen Paktes über staatsbürgerliche und politische Rechte von 1966 ist explizit festgeschrieben, dass ein Angeklagter wegen einer strafbaren Handlung nicht gezwungen werden kann, gegen sich selbst auszusagen.26 Die präzise Formulierung lässt darauf schließen, dass die Vorschrift self-executing ist, sodass sich daraus subjektive Rechte des einzelnen Bürgers ableiten lassen.27 Dabei wird zum Teil kritisiert, dass die Vorschrift nicht den erforderlichen, umfassenden Schutz gewährt, der im deutschen Recht anerkannt ist – beispielsweise ist ein Zwang zur eigenhändigen Herausgabe von Beweismaterialien nicht vom Wortlaut der Norm umfasst.28

25  Rogall, StV 1996, 63 (64); Verrel, NStZ 1997, 361 (365); vgl. ebenfalls: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 31 ff., der der verfassungsrechtlichen Ableitung der Selbstbelastungsfreiheit die Frage voranstellt, welche Aufgabe das nemo-teneturPrinzip im Strafverfahren überhaupt übernehmen soll und damit zur Konkretisierung des Grundsatzes eine funktionsorientierte Betrachtung gewählt hat; vgl. auch Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten, S. 32, wonach das Ergebnis „weniger aus der Betrachtung der Verfassungsnormen entwickelt, als ihnen vielmehr untergeschoben [wird]“. 26  Der Pakt wurde 1973 von Deutschland ratifiziert – vgl. BGBl. II 1973, S. 1533 (1541). Gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG kommt ihm als völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Bundesrepublik der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu. 27  Rogall, nemo-tenetur, S. 119 f.; Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 122; Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 29. 28  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 26.



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 211

2. Fair-trial-Grundsatz Die Selbstbelastungsfreiheit wird ferner aus dem fair-trial-Grundsatz und dem daraus folgenden Gebot der Waffengleichheit abgeleitet.29 Der prozessuale Grundsatz ist in Art. 6 EMRK festgeschrieben, wurde aber auch aus dem Rechtsstaatsprinzip – teilweise in Verbindung mit den Freiheitsrechten und dem Schuldgrundsatz unter Berücksichtigung der Menschenwürde – abgeleitet.30 Wolff spricht dem Gebot des fairen Verfahrens allerdings ab, als unbestimmter Rechtsgrundsatz die Selbstbelastungsfreiheit konkretisieren zu können, sodass Art. 6 EMRK jedenfalls nicht alleine taugliche Rechtsgrundlage für das nemo-tenetur-Prinzip sein könne.31 3. Unschuldsvermutung Weiterer Anknüpfungspunkt für die Selbstbelastungsfreiheit ist die Unschuldsvermutung, die in Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 14 Abs. 2 des Internationalen Pakts über staatsbürgerliche und politische Rechte festgeschrieben ist.32 Danach gilt jede wegen einer strafbaren Handlung angeklagte Person bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Es handelt sich dabei um eine Beweislastregel. Diese Unschuldsvermutung würde jeglicher Wirksamkeit entbehren, wenn ein Angeklagter gezwungen werden könnte, belastende Informationen vorzutragen. Würde er schweigen, müsste im Gegenzug daraus ein Indiz für seine Schuld abgeleitet werden und die Vermutung der Schuldlosigkeit würde keine Wirkung entfalten. Die Unschuldsvermutung ist dabei keinesfalls deckungsgleich mit dem nemo-tenetur-Grundsatz, sodass dieser auch nicht daraus hergeleitet werden kann.33 Beide Prinzipien bedingen einander jedoch und sind damit in Korrelation zu sehen.

29  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 26; Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (469); Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (780); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 33; lt. Esser, in: LR-StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 948 f., regelt der fair-trial-Grundsatz lediglich die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den nemo-tenetur-Grundsatz im Wege einer „Gesamtprüfung der Verfahrensfairness“. 30  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 33. 31  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 34; ebenfalls kritisch: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 27. 32  Dazu: Rogall, nemo-tenetur, S. 109 f. m. w. N.; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 35. 33  Radtke, GA 2020, 470 (474); Rogall, nemo-tenetur, S. 112.

212

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

4. Rechtsstaatsprinzip Laut Reiß lässt sich das Verbot eines Selbstbelastungszwanges bereits aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ableiten.34 Bei dem nemo-tenetur-Grundsatz handele es sich um einen grundlegenden Ausdruck des deutschen Rechtsstaates, nach dem ein Beschuldigter nicht als bloßes Untersuchungsobjekt behandeln werden könne. Dabei werden auch der fair-trial-Grundsatz und die Unschuldsvermutung als vom Rechtsstaatsprinzip erfasst angesehen,35 sodass das Rechtsstaatsprinzip auch weitere Herleitungen bedingt. Wolff schreibt Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in Bezug auf den nemo-tenetur-Grundsatz eine vorrangige Bedeutung zu, was sich damit begründen lasse, dass die Grundrechte spezielle Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips seien und Rückgriff auf dieses damit nur zu nehmen sei, wenn die Grundrechte keine ausreichende Begründung zu leisten vermögen.36 5. Menschenwürde Nach herrschender Meinung lässt sich das Verbot eines Selbstbelastungszwangs auch aus dem in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Menschenwürdegrundsatz ableiten.37 Eine genaue Definition der Menschenwürde ist immer noch umstritten.38 Nach der Objektslehre, die die Menschenwürde negativ definiert, darf der Staat den Bürger nicht zum Objekt staatlichen Handelns werden lassen. Eben dies wäre allerdings der Fall, wenn der Bürger zur „effektiven Strafverfolgung in identitätsvernichtender Weise zu fremdbestimm34  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 155–157; zustimmend: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 69; Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S. 42. 35  BVerfG v. 8.10.1974 – 2 BvR 747/73, NJW 1975, 103 (104); vgl. auch Rogall, nemo-tenetur, S. 137–139, der jedoch auch kritisiert, dass sich daraus nicht mehr als eine „blankettartige Bezeichnung“ ergibt. 36  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 38. 37  BVerfG v. 8.10.1974 – 2 BvR 747/73, NJW 1975, 103 (104); BVerfG v. 22.10.1980 – 2 BvR 1172/79 u. 2 BvR 1238/79, NJW 1981, 1087; BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (Gemeinschuldnerbeschluss); BVerfG v. 21.4.1988 – 2 BvR 330/88, wistra 1988, 302; BGH v. 18.10.1993 – 2 StR 400/93, BGHSt 39, 347; Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 80; Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (364); Radtke, GA 2020, 470 (476); Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, S. 300; Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (780); Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 30; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrens­ trennung, S. 39; dies ablehnend: Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S. 49. 38  Eine ausführliche Darstellung des Streits würde den für diese Arbeit relevanten Rahmen überschreiten, sodass hierauf nicht näher eingegangen wird.



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 213

ten Verhalten“39 gezwungen werden könnte. Die Auferlegung einer Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage sei dem einzelnen Bürger nicht zumutbar, wenn damit gravierende Nachteile für diesen verbunden wären und ihn vor die Wahl zwischen einer Selbstbelastung oder einem Meineid stellen würden.40 Auch dabei wird jedoch kritisiert, dass der Begriff der Menschenwürde zu unbestimmt sei, eine Verletzung im Einzelfall geprüft werden müsse und sich damit daraus kein pauschaler, absoluter Schutz vor Selbstbelastung ableiten ließe.41 6. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Ein Aussagezwang trotz Selbstbelastungsgefahr wird weiter als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht i. S. d. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gesehen, sodass sich der Grundsatz auch aus diesem Recht ableiten lasse.42 Teilweise wird speziell auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgestellt.43 Eine Konfliktsituation, in der eine Auskunftsperson entweder gezwungen ist, sich „selbst einer begangenen Straftat zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage ggf. ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden“,44 ist für die betroffene Person nicht zumutbar. Dabei lässt sich Art. 2 Abs. 1 GG gerade auch die Freiheit entnehmen, sich passiv zu verhalten.45 Dieser Schutz könne allerdings nach einer Ansicht nicht unbeschränkt gelten, sofern man nicht jedem staatlichen Auskunftsersuchen von vorneherein seine Erfolgsaussichten absprechen wolle.46 Absolut solle nur der Kernbereich der Intimsphäre geschützt sein – in diesem Bereich komme dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein absoluter Vorrang vor den Interessen der Allgemeinheit zu. Eingriffe in den übrigen Schutzbereich seien dennoch nicht per se zulässig, sondern müssten sich an den allgemeinen Prinzipien, wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, messen lassen. Der unantastbare Kernbereich der Sphäre des Betroffenen ließe sich dabei 39  Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 124; dazu auch: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 37. 40  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 39 f. 41  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 38–40. 42  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (Gemeinschuldnerbeschluss); BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841; Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 80 f.; Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (451); Kopf/ Szalai, NJ 2010, 363 (364); Rogall, nemo-tenetur, S. 137. 43  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 49. 44  BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352. 45  Rogall, nemo-tenetur, S. 131. 46  Hierzu im Ganzen: Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 5 f.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

relativ früh bejahen – bei einer Eingrenzung dieses Bereichs wäre nicht nur die Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung einzubeziehen, sondern auch die gesellschaftlichen Konsequenzen, die sich für die betroffene Person ergäben, wie beispielsweise der Verlust des Arbeitsplatzes und damit der wirtschaftlichen Existenz.47 In Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird auch auf den Naturrechtsgedanken Bezug genommen. Demnach würde es dem naturrechtlichen Gebot der Selbsterhaltung widersprechen, den Menschen zur Verletzung der eigenen Rechtsgüter zu instrumentalisieren und damit in unzumutbarer Weise den natürlichen Selbsterhaltungstrieb des Einzelnen zu missachten, indem er gezwungen würde, aktiv an seiner Verurteilung mitzuwirken.48 Aufgrund dessen soll die Selbstbelastungsfreiheit keiner Abwägung zugänglich sein. Bosch macht allerdings deutlich, dass die Zumutbarkeit grundsätzlich einer Abwägung nach der Schwere des drohenden Nachteils und der psychischen Zwangswirkung zugänglich wäre und damit nicht charaktergebendes Kriterium der absolut geltenden Selbstbelastungsfreiheit sein könne.49 7. Allgemeine Handlungsfreiheit Ein Aussagezwang trotz Selbstbelastungsgefahr könne auch einen Eingriff in die Handlungsfreiheit i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG darstellen.50 Die Handlungsfreiheit schützt dabei unstrittig ebenso das Recht sich passiv zu verhalten.51 Dabei sieht Art. 2 Abs. 1 GG für die Rechtfertigung eines Eingriffs lediglich einen einfachen Gesetzesvorbehalt in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Für eine Abwägung bedarf es jedoch eines konkreten Schutzumfangs, der sich aus der allgemeinen Regelung nicht ableiten lässt, sodass Art. 2 Abs. 1 GG jedenfalls allein keine ausreichende Rechtsgrundlage für den nemo-tenetur-Grundsatz darstellen kann – eine Abwägung ließe sich nicht mit der absoluten Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes vereinbaren.52 Den Gerichten verbliebe ein zu großer Entscheidungsspielraum.

Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 6. nemo-tenetur, S. 145, 147; zustimmend: Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, S. 300. 49  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 33. 50  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (Gemeinschuldnerbeschluss); BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841; Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (451); Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (364). 51  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 47. 52  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 36 f.; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 196; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 30. 47  Berthold, 48  Rogall,



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 215

8. Rechtfertigungsbedingung des Strafverfahrens Rösinger versteht dagegen die Mitwirkungsfreiheit zusammengefasst als eine Rechtfertigungsvoraussetzung, die dem Staat erst die Durchführung eines Strafverfahrens und dadurch auch die Beeinträchtigung der Freiheitsrechte des Einzelnen ermöglicht.53 Durch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wird gerade in diese Rechte des Betroffenen eingegriffen – bereits durch den Vorwurf, „eine Straftat begangen zu haben, wird der Status des Beschuldigten als freie und gleiche Rechtsperson […] erschüttert“.54 Grund und Grenze der Beschuldigung finden dabei ihren Ursprung gerade in der Rechtsgemeinschaft. Der Beschuldigte wird jedoch schon durch diesen Vorwurf von der Rechtsgemeinschaft ausgegrenzt, sodass ihm zugestanden werden muss, sich von dem ihn ausgrenzenden Strafverfahren zu distanzieren. Insoweit könne das Solidaritäts- und Teilhabeprinzip der Gemeinschaft gerade keine Pflicht zur Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung begründen. Wird dem Betroffenen jedoch eine Distanzierung zugestanden, ergibt sich für den Staat dadurch das Recht der Durchführung eines Strafverfahrens und eines Eingriffs in die Rechte des Beschuldigten. 9. Fazit Aus den vorstehenden Ausführungen und den teilweise an den Herleitungen geübten Kritiken wird – wie bereits angemerkt – deutlich, dass der Schutzbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes sich nicht allein aus einer zugrundeliegenden Norm respektive einem zugrundeliegenden Grundsatz ergibt, sondern dass Rechtsprechung und Literatur vielmehr relativ genaue Vorstellungen vom Schutzumfang haben und lediglich versucht wird, diese Vorstellungen an einer Grundlage festzumachen.55 Der Versuch einer korrekten und stimmigen Herleitung des nemo-tenetur-Grundsatzes würde über den in dieser Arbeit bearbeiteten Rahmen hinausgehen, sodass die Ausführungen lediglich der Feststellung zugeführt werden, dass – unabhängig von der genauen Herleitung – die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes unumstritten ist.

III. Geltungs- und Schutzbereich Der Geltungsbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes insgesamt ist jedoch – u. a. aufgrund der mangelnden positiv-rechtlichen Ausgestaltung – nicht klar 53  Dazu

sowie zum Folgenden: Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten, S. 308 f. Die Freiheit des Beschuldigten, S. 308. 55  Vgl. dazu im Ergebnis auch: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 351. 54  Rösinger,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

konturiert.56 Im Folgenden wird zunächst herausgearbeitet, wann eine Selbstbelastung gegeben ist, ab welchem Punkt ein unzulässiger Zwang seitens des Staates vorliegt und abschließend: Inwieweit ein Schutz vor einem Selbstbelastungszwang auch außerhalb des Strafverfahrens – im Besteuerungsverfahren – greifen muss. Die Elemente der Selbstbelastung und des Zwanges sind dabei kumulativ zu betrachten.57 1. Selbstbelastung Eine Selbstbelastung im Sinne des nemo-tenetur-Grundsatzes ist immer gegeben, wenn die Offenbarung möglicherweise eine Sanktion bzw. eine Strafe nach sich ziehen würde.58 Unter den Begriff der Strafe lässt sich jede durch einen Richter ausgesprochene und auf einem Gesetz beruhende staat­ liche Sanktion einer vorwerfbaren, qualifizierenden Rechtsgutsverletzung durch den Täter fassen.59 Der nemo-tenetur-Grundsatz gilt nach herrschender Meinung auch, wenn eine Ordnungswidrigkeit offenbart werden müsste.60 Eine Sanktion knüpft an das Vorliegen einer tatbestandlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltensweise an. Sie verfolgt gerade keine Verwaltungszwecke bzw. soll keine Wiederherstellung der äußeren Güterwelt bewirken, wie beispielsweise zivilrechtliche Schadensersatzansprüche.61 Die Selbst­ belastungsfreiheit schützt ferner nicht vor der Festsetzung der korrekten Steuer – sondern ausschließlich davor, sich selbst einer Bestrafung nach § 370 Abs. 1 AO zuführen zu müssen. Eine essentielle Frage, die sich im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 S. 1 AO und nemo-tenetur stellt, ist folgende: Muss tatsächlich eine Straftat begangen worden sein oder reicht es aus, wenn die Strafverfolgungsbehörde dies aufgrund objektiver Tatsachen unterstellen könnte? Kommt der Steuerpflichtige seiner Berichtigungspflicht nach, offenbart er immer zugleich, dass ihm ursprünglich ein Fehler unterlaufen ist. Er gibt damit ggf. zu, durch eine 56  Insoweit:

Verrel, NStZ 1997, 361 (365). Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 471. 58  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 48. 59  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 51. 60  Siehe hierzu vertieft: S. 327 ff.; BVerfG v. 21.4.2010 – 2 BvR 504/08, 2 BvR 1193/08, wistra 2010, 299; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 63 m. w. N.; a. A.: Stürner, NJW 1981, 1757 (1759), da Ordnungswidrigkeiten gerade „entkriminalisiert“ seien und damit eine diesbezügliche Selbstbelastung nicht derart schwer wiege, dass ein Schutz durch den aus der Verfassung hergeleiteten nemo-­ tenetur-Grundsatz erforderlich sei. 61  Vgl. dazu: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 7 f.; ausführlich dazu, was unter Strafe zu fassen ist und was diese charakterisiert: Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 49 ff. 57  Doege,



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 217

ursprüngliche, unrichtige oder unvollständige Erklärung eine Steuerverkürzung herbeigeführt und damit den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht zu haben. Ob dieser ursprüngliche Fehler nun strafrechtlich relevant ist, hängt davon ab, ob im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe Vorsatz bezüglich der Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlag. Dieser Punkt ist in der Praxis allerdings anfällig für Rechtsunsicherheiten. Vorsatz und Versehen lassen sich oftmals nur schwer voneinander unterscheiden und die tatsächliche Sachlage muss nicht zwingend mit den Indizien übereinstimmen.62 In diesen Fällen besteht damit ebenso die Gefahr, dass die Offenbarung eine Sanktion nach sich zieht. Jedenfalls sobald ein strafrecht­ liches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, kommt das Recht zu Schweigen nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO jedem Beschuldigten zu – unabhängig davon, ob dieser die Tat tatsächlich begangen hat oder nicht. Der nemo-teneturGrundsatz schützt damit jedenfalls im Strafverfahren ausdrücklich auch unschuldige Personen. Im Übrigen gilt nach herrschender Meinung, dass der nemo-tenetur-Grundsatz immer greife, wenn der Betroffene sich dem Verdacht einer Straftat und damit der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen müsste63 – er finde jedoch keine Anwendung, wenn der Betroffene sich durch seine Einlassungen nicht selbst einer Straftat bezichtigen würde; beispielsweise, wenn ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorliegt oder die Verfolgungsverjährung bereits eingetreten ist.64 Dieser pauschalen Aussage kann allerdings nicht zugestimmt werden, da das Vorliegen solcher Strafausschließungsgründe bzw. -aufhebungsgründe erst nachweisbar sein muss und damit eine Verurteilung dennoch erst einmal im Raume steht. Im Zweifel ist damit von einem weiten Anwendungsbereich des Schweigerechts auszugehen. Auch nach Jesse muss das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung bereits greifen, wenn der objektive Tatbestand einer Strafnorm verwirklicht wurde und kein Strafverfolgungshindernis gegeben ist. Dass die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes für die Bestimmung des Schutzbereiches nicht maßgeblich sein kann, begründet er damit, dass – wie oben bereits dargestellt – ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren bereits mit weitreichenden Grundrechtseingriffen verbunden und gegen das Ermittlungsverfahren als solches auch kein Rechtsmittel einschlägig ist.65 Konträr dazu ist je62  Vgl. dazu: Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 130; Beneke, BB 2016, 2327 (2327); Beyer, NZWiSt 2016, 234 (235); Füllsack/Bürger, in: Quedenfeld/Füllsack, Rn. 661; Ludwig/Breimann/Kusch, DStR 2016, 2240 (2240); Madauß, NZWiSt 2016, 343 (347); Neuling, DStR 2015, 558 (562 f.); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (107). 63  Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 90; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 277. 64  Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 8. 65  Jesse, DB 2013, 1803 (1810), mit Verweis auf BVerfG v. 2.10.2003 – 2 BvR 660/03, NStZ 2004, 447; anders: Nossen, in: Wannemacher, Rn. 3971, nach dem der

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

doch der Zweck der steuerlichen Mitwirkungspflichten zu sehen.66 Der Fiskus ist insoweit auf die Mitwirkung der Steuerbürger angewiesen, um eine gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen. Es bestünde die Gefahr, dass Berichtigungspflichten nach § 153 Abs. 1 AO weitestgehend leerliefen, da damit immer vorangegangene Fehler und damit ggf. die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO offenbart werden müssen. Dabei ist jedoch noch deutlich darauf hinzuweisen, dass für eine Selbstbelastung eine zu niedrige Steuerfestsetzung im Zeitpunkt der Erklärungspflicht bereits ergangen sein muss. Ist dies nicht der Fall, besteht zwar die Gefahr einer Selbstbelastung bezüglich einer versuchten Steuerhinterziehung – die Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO stellt jedoch zugleich einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB dar und ist damit zumutbar. Als Argument für eine extensive Bestimmung des Schutzbereichs des nemo-tenetur-Grundsatzes ist noch anzuführen, dass ein weiter Schutz nicht zwingend einen Ausschluss der Offenbarungspflicht bedeutet. Es ist ebenso ein Schutz durch das Institut der Selbstanzeige oder durch Verwertungsverbote denkbar. Im Ergebnis unterfällt damit § 153 Abs. 1 AO dem Schutzbereich des nemotenetur-Grundsatzes, soweit bereits eine zu niedrige Steuerfestsetzung ergangen ist und damit der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO vollendet wurde. Die Notwendigkeit eines frühen Schutzes ergibt sich – insbesondere im Zusammenhang mit Erklärungen nach § 153 Abs. 1 AO – daraus, dass die Berichtigungserklärungen zu einem großen Teil an die Bußgeld- und Strafsachenstelle weitergeleitet werden, um ihre strafrechtliche Relevanz überprüfen zu lassen.67 Informationen, die hingegen eindeutig nicht geeignet sind, den Steuerpflichtiger in irgendeiner Art und Weise der Gefahr einer strafrecht­ lichen Verfolgung auszusetzen, müssen uneingeschränkt offenbart werden. 2. Schutz vor Zwang Der nemo-tenetur-Grundsatz soll vor einer erzwungenen Selbstbezichtigung schützen. Allein, dass ein Straftäter innerhalb oder außerhalb eines Strafverfahrens selbstbelastende Informationen preisgibt, tangiert damit an sich die Selbstbelastungsfreiheit noch nicht. Ein Verstoß gegen den nemotenetur-Grundsatz ist erst gegeben, wenn die Offenbarung durch ein Zwangs-

Betroffene Täter oder Teilnehmer einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit gewesen sein müsse, „derer er gezwungen würde, sich selbst zu bezichtigen“; sowie: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 86 f., die aufzeigt, dass im Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO kein Selbstbelastungszwang vorliege, wenn die ursprüngliche Erklärung schuldlos oder einfach fahrlässig fehlerhaft abgegeben wurde. 66  Vgl. dazu: Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 190. 67  Vgl. zum Verfahren bei § 153 Abs. 1 AO die Ausführungen auf S. 236 ff.



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 219

element herbeigeführt wird.68 Eine Zwangswirkung ergibt sich im Besteuerungsverfahren in der Regel bei zwangsmittel- oder strafbewehrten Auskunftspflichten.69 Essentiell für eine Wahrung der Selbstbelastungsfreiheit ist, dass der betroffenen Person selbst die Entscheidung hinsichtlich der Frage zusteht, ob sie aussagt und belastende Informationen offenbart. Kern des Grundsatzes ist damit die Abwehr finaler Zwangsausübung und die Wahrung der freien Willensentschließung sowie der Selbstbestimmtheit des Einzelnen.70 Der nemo-tenetur-Grundsatz schützt die verfahrensrechtliche Autonomie.71 Es ist somit jede unmittelbare oder mittelbare Ausübung von Druck, der auf die Herbeiführung einer Selbstbelastung gerichtet ist, untersagt.72 Dem Bürger muss es freistehen, ob er von seinem Recht zu Schweigen bzw. dem Recht, seine Mitwirkung zu verweigern, Gebrauch machen möchte oder nicht. Um zu verhindern, dass die Unkenntnis dieses Rechts den Betroffenen daran hindert, davon Gebrauch zu machen, statuiert die Strafprozessordnung Belehrungspflichten für die Ermittlungsbehörden.73 Einen „Rundumschutz gegen jede unbewusste Selbstbezichtigung“ garantiert der nemo-teneturGrundsatz allerdings nicht.74 Durch die Selbstbelastungsfreiheit wird ebenso der Zweck des Strafverfahrens – nur einen tatsächlich Schuldigen einer Strafe zuzuführen – geschützt.75 Macht die betroffene Person von ihrem Recht zu Schweigen Gebrauch, dürfen daraus auch keine negativen Schlüsse gezogen und diese gegen die

68  BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720 (2723); ebenso: Abramowski, Strafbefreiende Selbstanzeige, S. 169 f.; Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 109; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 41; wohl a. A.: Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 88 f., wonach ein Zwang zur Selbstbelastung bereits gegeben sei, „wenn eine gesetzliche normierte Pflicht zur Mitwirkung innerhalb eines Verfahrens besteh[e].“ – richtigerweise kann jedoch erst entscheidend sein, ob diese Pflicht auch seitens des Staates mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann. 69  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 474. 70  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 352; Eidam, wistra 2006, 11 (11); Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (364); Radtke, GA 2020, 470 (471); Ransiek/Winsel, GA 2015, 620 (620); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 115; Schaefer, Nemo-tenetur, S. 199; Stetter, Die Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 9. 71  Vgl.: Doege, Die Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 99. 72  Stetter, Die Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 9. 73  Vgl. bspw.: §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 und Abs. 4 S. 2 StPO und in Bezug auf das Steuerstrafverfahren die Verweisungsnorm des § 393 Abs. 1 S. 1 AO. 74  Stetter, Die Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 9. 75  Ausführlich: Ransiek/Winsel, GA 2015, 620 (636–638), wonach einem Zwang zur Aussage auch immer die Gefahr innewohnt, falsche Aussagen bzw. Eingeständnisse herbeizuführen.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Person verwendet werden.76 Insbesondere darf Schweigen nicht als Indiz für eine Täterschaft gewertet werden. Dies wird damit begründet, dass sich andernfalls ein mittelbarer Zwang zu einer Aussage ergeben würde.77 Doege stimmt dieser Begründung in Bezug auf den sich ergebenden mittelbaren Aussagezwang nur bedingt zu. Seines Erachtens wird, wenn das Schweigen als Schuldeingeständnis angesehen würde, keine Aussage erzwungen, sondern vielmehr dem Schweigen unzulässigerweise schon ein Aussagegehalt zugerechnet.78 Dass Schweigen nicht verwertet werden kann, ist allerdings unstrittig – würden negative Folgen an die Ausübung eines Rechts geknüpft, würde das Recht im Ergebnis entwertet. Passive Duldungs- und Verhaltenspflichten, wie beispielsweise die Pflicht zur Duldung einer Blutentnahme nach § 81a Abs. 1 S. 2 StPO, werden nicht als aktive Mitwirkungspflichten gewertet und sind damit nach herrschender Meinung im Lichte des nemotenetur-Grundsatzes als bedenkenlos anzusehen.79 Elementar ist ferner, dass aus dem nemo-tenetur-Prinzip nicht das Recht abgeleitet werden kann, aktiv neue Straftaten zu begehen, nur um sich nicht selbst belasten zu müssen. Der nemo-tenetur-Grundsatz berechtigt nur zum Schweigen bzw. zu einem passiven Verhalten, nicht aber zur Begehung neuen Unrechts.80 Diese Wertung wird auch darin deutlich, dass einer solchen Tat, 76  BVerfG v. 7.7.1995 – 2 BvR 326/92, NStZ 1995, 555 (555); BGH v. 26.10.1983 – 3 StR 251/83, NStZ 1984, 1829 (1830); BGH v. 29.8.1974 – 4 StR 171/74, NJW 1974, 2295 (2296); BGH v. 26.10.1965 – 4 StR 415/65, NJW 1966, 210 (210); Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 5; Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 7; Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 110. 77  BVerfG v. 7.7.1995 – 2 BvR 326/92, NStZ 1995, 555 (555). 78  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 110–112. 79  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1431); vgl. auch: Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1826); Doege, Bedeutung des nemotenetur-Grundsatzes, S. 103–105; Eidam, wistra 2004, 412 (413); Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 261 f.; Verrel, NStZ 1997, 415 (419 f.); Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 36; insoweit kritisch: Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten, S. 127–130, die darstellt, dass sich der Betroffene auch bei einer aktiven Duldungspflicht gegen sich selbst wendet und sich die dadurch entstehende Zwangslage nicht von der bei einer aktiven Mitwirkungspflicht unterscheidet. 80  BGH v. 11.10.1951 – 4 StR 208/51, NJW 1952, 229 (230); BGH v. 18.10.1956 – 4 StR 166/56, BStBl. I 1957, 122 (123); BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134 (1135); BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765); BGH v. 17.9.2013 – 3 StR 259/13, NStZ-RR 2013, 372 (373); OLG Hamm v. 12.2.1959 – 2 Ss 156/158, JZ 1960, 95 (97); Jäger, in: Klein, § 393 AO, Rn. 29 f.; Joecks, in: JJR, § 393 AO, Rn. 46; Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 84; Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 188; Hartung, JZ 1960, 95 (98); Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (460); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 269; Rogall, nemo-tenetur, S. 158; ders., NStZ 2006, 41 (42); ders., in: FS Kohlmann, S. 465 (467); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 116; Rombach, Dauerverge-



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 221

die der Verdeckung bereits begangener Straftaten dient, zum Teil ein erhöhter Unrechtsgehalt zugeschrieben wird. Erkennbar ist dies beispielsweise in der Qualifizierung der Verdeckungsabsicht als Mordmerkmal in § 211 Abs. 1 StGB.81 3. Geltung außerhalb des Strafverfahrens Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kommt das Recht zu Schweigen nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO ausdrücklich jedem Beschuldigten zu und entfaltet damit einen absoluten Schutz.82 Die Aussagefreiheit ist unabhängig von der Schwere der Tat keiner Abwägung zugänglich. Umstritten ist allerdings, inwieweit der nemo-tenetur-Grundsatz außerhalb des Strafverfahrens bei anderweitigen staatlichen Auskunftsverlangen greift, wenn der Betroffene durch die Preisgabe von Informationen Gefahr läuft, eine Straftat zu offenbaren und damit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu initiieren oder ein laufendes Ermittlungsverfahren zu fördern.83 Vorab ist dazu festzuhalten, dass die Selbstbelastungsfreiheit nur davor schützt, Informationen preisgeben zu müssen, die zur Verhängung von Sanktionen genutzt werden können. Soweit anderweitige nachteilige Folgen – wie beispielsweise die Festsetzung von Steuern – ausgelöst werden, greift der Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes gerade nicht.84 Bereits aus der Gewährung von Auskunftsverweigehen im Steuerstrafrecht, S. 35; Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 57– 59; Schuster, JZ 2015, 27 (31); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 105; Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (787); vgl. dazu weiter: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (491 f.), der in Bezug auf § 393 Abs. 2 AO deutlich macht, dass falsche Angaben nicht dem Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes unterfallen; insgesamt a. A.: Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, S. 138 f., 301. 81  Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 211 StGB, Rn. 5, wonach bei der Verdeckungsabsicht die besondere deliktische Zielsetzung eine sozialethische Verwerflichkeit der Tat begründet. 82  Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (780); vgl. zur Absolutheit des Schutzes: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 31 f. m. w. N.; Doege, Bedeutung des nemotenetur-Grundsatzes, S. 101; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 196; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 41; auch: Ransiek/Winsel, GA 2015, 620 (635), soweit es um Selbstbelastung durch Aussagen geht. 83  Vgl.: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 45; Wolff thematisiert die Frage unter dem Terminus der „Ausstrahlungswirkung des nemo tenetur Prinzips“, in: Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 99. 84  Vgl. Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 7 f., wonach ein Zwang zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren kein Zwang zur Selbstbelastung für dieses Verfahren ist; ebenso: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (468), der einen lückenlosen Schutz vor Selbstbezichtigung im einfachen Recht ablehnt; sowie: Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 49, 99.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

rungsrechten in § 103 AO und der Regelung in § 393 AO wird jedoch deutlich, dass die Selbstbelastungsfreiheit grundsätzlich auch im Besteuerungsverfahren greifen kann.85 a) Gemeinschuldnerbeschluss Das Gebot, dass der Staat einen Bürger nicht zu einer Äußerung verpflichten kann, mit der sich dieser selbst belasten würde, könne nach herrschender Meinung nicht ausnahmslos gelten: In einigen Fällen bedürfe es auch dann einer Mitwirkung des Betroffenen, wenn dieser sich dadurch selbst belasten müsste – beispielhaft werden hierfür die steuerlichen Mitwirkungspflichten genannt.86 Grundlegend für die rechtsdogmatische Diskussion zur Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes außerhalb eines Strafverfahrens – und besonders im Besteuerungsverfahren – war der sogenannte Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts.87 Darin wurde geklärt, inwieweit dem Beschwerdeführer im Konkursverfahren ein Aussageverweigerungsrecht zusteht, wenn zugleich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Konkursvergehen gegen seine Person anhängig ist. Das Gericht entschied, dass im in Rede stehenden Fall eine Auskunftspflicht des Betroffenen im Konkursverfahren zulässig war und der Betroffene in diesem Rahmen belastende Informationen offenbaren musste. Allerdings musste der Eingang der offenbarten Informationen in das Strafverfahren durch ein Verwertungsverbot unterbunden werden. Die Ausgestaltung eines entsprechenden Verwertungsverbotes wurde dabei dem Gesetzgeber überlassen.88 Im Rahmen der Entscheidung wurde jedoch auch deutlich, dass ein solcher Zwang zur Selbstbelastung außerhalb des Strafverfahrens nicht pauschal zulässig sein soll. Bei der Frage nach einem Auskunftsverweigerungsrecht außerhalb des Strafverfahrens sei je nach der „Rolle der Auskunftsperson“ und der „Zweckbestimmung der Auskunft“ zu entscheiden.89 Bei Ausnahmen von der Selbstbelastungsfreiheit sei demnach darauf zu achten, in deren Art und Umfang auch einzubeziehen, ob und inwieweit Dritte auf die Auskunft angewiesen sind und ob die Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 19 f. v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1432); BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 353; Teske, wistra 1988, 207 (208, 214), wonach das öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung die Auskunftspflicht rechtfertige; kritisch hierzu: Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 26, nachdem fiskalische Zwecke allein keine Rechtfertigung eines Verstoßes gegen das nemotenetur-Prinzip rechtfertigen. 87  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431. 88  Ein entsprechendes Verwertungsverbot ist mittlerweile in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO verortet. 89  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1431). 85  Bosch,

86  BVerfG



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 223

Auskunft aufgrund eines eigenen Willensentschlusses erfolgt oder vielmehr eine rechtliche Pflichtenstellung oder andere äußere Einflüsse ausschlaggebend sind.90 Eine Ausnahme müsse demnach gelten, sobald berechtigte Informationsbedürfnisse geschädigter Dritter betroffen sind. Dürfte der Straftäter im Konkursverfahren die Aussage verweigern und könnte er so einem Regress entgehen, würde er gegenüber dem ehrlich Handelnden ungerechterweise bevorzugt. Es seien die Interessen der Betroffenen gegeneinander abzuwägen – ein Auskunftsrecht, das der Befriedigung der Interessen eines Dritten dient, verletze allein noch nicht die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG.91 Dabei sei jedoch die Zwecksetzung der auf diesem Wege erzwungenen Aussage zu beachten: Es sollen die Interessen Dritter befriedigt und nicht der Verpflichtete einer Strafe zugeführt werden – die strafrechtliche Verwertung der erzwungenen Aussagen sei damit unzulässig; es bedürfe eines Verwertungsverbots.92 „Der bloße Umstand, daß dem Gemeinschuldner im Interesse seiner Gläubiger eine uneingeschränkte Auskunftspflicht zuzumuten ist, rechtfertigt es nicht, daß er zugleich zu seiner Verurteilung beitragen muß und daß die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergehende Möglichkeiten erlangen als in anderen Fällen der Strafverfolgung.“93

Aus einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich die Anwendbarkeit dieser Ausführungen auch für das Besteuerungsverfahren: Demnach gelte die Auferlegung der Mitwirkungspflicht trotz Gefahr einer Selbstbelastung aus den Gründen der Wahrung der Steuergerechtigkeit sowie der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens als gerechtfertigt.94 Doege konkretisiert die im Gemeinschuldnerbeschluss aufgestellten Thesen dahingehend, dass der nemo-tenetur-Grundsatz zwar im Grundsatz ausschließlich strafrechtlicher Natur sei und damit auch nur Wirkung für das Strafprozessrecht entfalte – dass es allerdings gegen den Willen des Betroffenen zu Informationstransfers zwischen dem Strafverfahren und anderen Primärverfahren – wie beispielweise dem Besteuerungsverfahren – kommen könne und damit ein Schutz erforderlich sei, soweit im Primärverfahren Preisgegebenes in ein Strafverfahren transferiert und dort zu Lasten des Be90  Ibidem.

91  BVerfG

v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1433). ebenso: BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 353; sowie: Rogall, in: FS Kohlmann, 465 (469), der andernfalls von einer „Zweckentfremdung“ ausgeht. 93  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1433); zustimmend: Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 66 f., der in diesen Fällen zum Teil von einem Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensführung ausgeht, der nicht gerechtfertigt werden könne. 94  BVerfG v. 21.4.1988 – 2 BvR 330/88, wistra 1988, 302 (302). 92  Ibidem;

224

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

troffenen verwertet werden könnte.95 Ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit ergäbe sich somit durch ein Zusammenspiel eines außerstrafrechtlichen Auskunftszwangs und der strafprozessualen Verwendung der dadurch erlangten Informationen.96 Der strafrechtliche Schutz würde vollständig ausgehöhlt, wenn die belastenden Aussagen in einem anderen Verfahren erzwungen und anschließend in das Strafverfahren eingeführt werden könnten. Eine grundsätzliche Freistellung von Offenbarungspflichten in Primärverfahren ist jedoch mit Blick auf deren – vom Strafrecht unabhängigen und abweichenden – Zwecksetzung abzulehnen.97 Inwieweit der nemo-tenetur-Grundsatz direkten Einfluss auf eine außerstrafrechtliche Pflichtenstellung hat, hat das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil nicht abschließend geklärt.98 In conclusio ist dem Urteil zu entnehmen, dass kein ausnahmsloses Gebot existiert, nachdem ein Bürger nicht gezwungen werden kann, durch eine Aussage oder sonstige Handlung eine von ihm begangene Straftat zu offenbaren. Allerdings sind primärrechtliche Aussagepflichten nicht in jedem Fall durchsetzbar – es muss ein besonderes Interesse an diesen Auskünften bestehen. In einigen Situationen ist einer Auskunft eine derartige Relevanz zuzuschreiben, dass auf diese nicht verzichtet werden kann. In diesen Fällen ist eine Interessenabwägung vorzunehmen und nur soweit das staatliche Auskunftsinteresse überwiegt, kann eine Auskunft auch verlangt werden. In einem zweiten Schritt ist bei einem entsprechenden Aussagezwang dann zu beachten, dass die offenbarten Informationen nicht für eine strafrechtliche Verurteilung herangezogen werden dürfen. Problematisch ist somit nicht zwingend die Aussagepflicht selbst, sondern vielmehr der Transfer der zu offenbarenden Informationen von einem Primärverfahren in ein Strafverfahren.99 Wäre dieser grenzenlos zulässig, so würde die durch das nemo-tenetur-Prinzip geschaffene, geschützte Position 95  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 138 f.; ebenso: Eidam, wistra 2004, 412 (413); Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 171; Radtke, GA 2020, 470 (475); K. Schäfer, in: FS Dünnebier, S. 11 (42); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 101–105; abweichend: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 181, wonach bereits die Offenbarungspflicht im Besteuerungsverfahren einen Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz darstelle und nicht erst der Transfer ins Strafverfahren – etwaige Verwertungsverbote könnten nur noch als „Heilung“ des Verstoßes gewertet werden. 96  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 244. 97  Dies wurde bereits in den Ausführungen des ersten Kapitels deutlich, vgl. S. 39 ff.; insoweit dürfe ein Steuerstraftäter nicht besser stehen als ein ehrlicher Steuerbürger. 98  Insoweit kritisch bezüglich Unsicherheiten in der Rechtspraxis: Verrel, NStZ 1997, 361 (365). 99  Dazu ausführlich: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 139; ebenso: Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 93, wonach ein Selbstbelastungszwang



A. Umfang und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes 225

des Beschuldigten faktisch ihrer Schutzwirkung beraubt. Es bedarf also einer Art „Abschottung“ der offenbarten Informationen.100 Der Selbstbelastungsfreiheit kann dabei zum einen durch ein Auskunftsverweigerungsrecht Rechnung getragen werden. Einem Informationstransfer in das Strafverfahren kann zum anderen auch durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot entgegengewirkt werden.101 Ein solches würde sich an die vom Gesetzgeber bereits in § 136a StPO und § 393 Abs. 2 AO etablierten Verwertungsverbote anlehnen – die Mitwirkung des Betroffenen auf der Primärebene kann dennoch weiterhin von staatlicher Seite erzwungen werden.102 Neben einem Verwertungsverbot kann ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG auch durch die Erlangung von Straffreiheit im Rahmen einer Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO entschärft werden.103 Auf die diversen Schutzinstitute im Grenzbereich zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren wird im Weiteren vertieft eingegangen.104 Im Ergebnis wirkt der nemo-tenetur-Grundsatz damit auch außerhalb des Strafverfahrens absolut, soweit in einem anderen Verfahren offenbarte, belastende Informationen in ein Strafverfahren transferiert würden.105 b) Vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Dass der nemo-tenetur-Grunsatz auch für parallel laufende Verfahren wirkt, sobald ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, geht aus dem Gemeinschuldnerbeschluss deutlich hervor. Darüber hinaus sich erst aus der staatlichen Nutzbarmachung der informationellen Leistung für die Strafverfolgung ergibt. 100  Eidam, wistra 2004, 412 (413). 101  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 71; zum Verwertungsverbot vgl. auch: BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352. 102  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1433). 103  Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 67. 104  Vgl. zur Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO S. 233 ff., zur Selbstanzeige nach § 398a AO S. 267 ff. und zu weiteren Schutzinstituten S. 290 ff. 105  So auch: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 101, 473; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 231 f.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 319; Radtke, GA 2020, 470 (472); Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 157, 196; Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 32; im Ergebnis auch: Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 101, 275, der jedoch nur von einer Geltung im Strafverfahren und einer Ausstrahlungswirkung für andere Verfahren spricht; vgl.: Ransiek/ Winsel, GA 2015, 620 (620), wonach sich der absolute Schutz nur auf einen Zwang zur Selbstbelastung durch Aussagen erstrecke; anders denkend: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 42 f., der daraus ableitet, dass die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes von der jeweiligen Verfahrensart abhängen solle.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

stellt sich die Frage, ob die Selbstbelastungsfreiheit auch schon greift, wenn noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, der Steuerpflichtige aber im Rahmen außerstrafrechtlicher Mitwirkungspflichten den Anstoß für ein solches liefern müsste. Der nemo-tenetur-Grundsatz soll grundsätzlich bereits die Gefahr einer Selbstbelastung verhindern und nachdem die Bejahung eines Anfangsverdachts i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO relativ geringen Anforderungen unterliegt, ist diese bereits in einem frühen Stadium gegeben.106 Der Grundsatz muss damit bereits in einem Stadium greifen, in dem noch kein Strafverfolgungsverfahren bzw. Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, der Betroffene allerdings Gefahr läuft, durch die Offenbarung von Informationen einen Anlass für die Bildung eines Anfangsverdachts zu bieten. Einziger Unterschied zwischen derjenigen Person, gegen die bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, und derjenigen, deren Tat noch unentdeckt ist, ist, dass bei ersterer der Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit bereits offenkundig ist.107 Denkbar ist lediglich, dass die Person gegen die bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, schutzbedürftiger ist – auch dies überzeugt allerdings nicht. Schutzbedürftig ist mindestens im selben Maße die Person, die gezwungen würde, die Einleitung eines Strafverfahrens herbeizuführen.108 Auch Tatsachen, die nur mittelbar Rückschlüsse auf eventuell begangene Straftaten zulassen, müssen demnach nicht offenbart werden. Entscheidend ist insoweit auch die Doppelzuständigkeit der Steuerbehörden im Besteuerungs- und im Strafverfahren, die im nachfolgenden Punkt vertieft dargestellt wird.109 Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens wäre danach zwangsläufige Folge, sobald im Besteuerungsverfahren belastende Informa­ tionen offenbart würden. Dass für die Bestimmung des Schutzbereiches die bereits erfolgte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht maßgeblich sein kann, lässt sich außerdem damit begründen, dass die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens selbst regelmäßig keiner gerichtlichen 106  Vgl. BVerfG v. 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01, NJW 2002, 1411 (1412); BVerfG v. 30.4.2003 – 2 BvR 281/03, NJW 2003, 3045 (3046); Aselmann, NStZ 2003, 71 (74); Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 9–11, 61; Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 104; Böse, StV 2014, 270 (271); Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 94 f.; Meyer-Mews, StraFo 2018, 177 (179); Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 196; zum Schutzbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes spätestens ab dem Vorliegen eines Anfangsverdachts: Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1825); grundsätzlich zur niedrigen Hürde eines Anfangsverdachts v. a. im Bereich des Steuerstrafrechts an der Grenze zwischen legaler Steuervermeidung und strafbarer Steuerhinterziehung: Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1256). 107  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 181–183, mit Verweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO. 108  So: Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 191. 109  Vgl. S. 228  ff.; dies auch als Argument für die Geltung des nemo-teneturGrundsatzes im Besteuerungsverfahren anführend: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 170 f.



B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren 227

Kontrolle unterliegt.110 Art. 19 Abs. 4 GG garantiert keinen sofortigen Rechtsschutz sondern lediglich einen Rechtsschutz „in angemessener Zeit“, sodass es aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig zumutbar sei, wenn Rechtsschutz erst nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens ersucht werden kann. Der Sicht des Bundesverfassungsgerichts kann grundsätzlich zugestimmt werden – allerdings ergeben sich bereits aus der Führung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen eine Person teils schwerwiegende Eingriffe in deren Grundrechte.111 Es ist damit nicht zumutbar, durch erzwingbare Äußerungen selbst die Einleitung eines Strafverfahrens herbeizuführen. Der nemo-tenetur-Grundsatz kann damit nicht erst im Rahmen eines Strafverfahrens greifen, sondern muss bereits zuvor seine Wirkung ­ entfalten.112 Wie bereits angesprochen, kann der absoluten Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes in diesem Bereich allerdings ebenso durch eine Unterbindung des Informationstransfers in ein Strafverfahren ausreichend Rechnung getragen werden. c) Fazit Der nemo-tenetur-Grundsatz entfaltet damit, um einen umfassenden Schutz zu gewährleisten, auch für das Besteuerungsverfahren seine Wirkung – unabhängig davon, ob bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde oder nicht.

B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren Dass die steuerlichen Offenbarungspflichten und das strafrechtliche Schweigerecht in einem diametralen Gegensatz zueinander stehen, wurde 110  BVerfG v. 2.10.2003 – 2 BvR 660/03, NStZ 2004, 447; vgl. dazu die Argumentation zur Reichweite des Zwangsmittelverbotes nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO von: Jesse, DB 2013, 1803 (1810); ebenso: Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 157. 111  Vgl.: Jesse, DB 2013, 1803 (1810). Soweit es sich um rechtswidrige Eingriffe handelt, ist natürlich der Rechtsweg eröffnet – sobald jedoch jemand einer Straftat verdächtig ist, greifen auch die weitreichenden, rechtmäßigen Ermittlungsmaßnahmen stark in den Rechtskreis der betroffenen Person ein, ohne dass sich diese dagegen wehren könnte. Die Ermittlungsmaßnahmen sind vielmehr zu dulden. 112  Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 85; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 266; a. A.: Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1830), die ein Auskunftsverweigerungsrecht bejahen, sobald ein Anfangsverdacht besteht, ohne allerdings in Betracht zu ziehen, dass der Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes bereits vorher greifen könnte.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

bereits dargestellt. Ein Zwang zur Selbstbelastung in einem Primärverfahren ist demnach lediglich in den Fällen problematisch, in denen die dadurch erlangten Informationen im Strafverfahren zu Lasten des Betroffenen verwertet werden können. Dabei stellt sich die grundlegende Frage, wie sich die beiden Verfahrensarten praktisch zueinander verhalten und inwieweit im Allgemeinen ein Informationstransfer zwischen dem steuer- und dem strafrechtlichen Bereich droht. Dazu wird herausgearbeitet, wie die Zuständigkeiten in den jeweiligen Verfahren verteilt sind und wo sich Überschneidungen ergeben. Entscheidende Norm für das Verhältnis der Verfahren zueinander ist § 393 AO. Daraus folgt der Grundsatz, dass zwar im Steuerstrafverfahren der nemo-tenetur-Grundsatz greift, im Besteuerungsverfahren aber alle Mitwirkungspflichten formell bestehen bleiben.

I. Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde Das Besteuerungsverfahren und das Strafverfahren sind als Verfahrens­ arten grundsätzlich unabhängig voneinander und gleichrangig.113 Beide Verfahren können zeitgleich und parallel nebeneinander verlaufen.114 Dass allerdings zum Teil Doppelzuständigkeiten bestehen und die Unabhängigkeit der Verfahren zueinander damit nur oberflächlicher Natur ist, wird im Folgenden im Rahmen eines kursorischen Überblicks über die Zuständigkeitsverteilung in den Finanzbehörden herausgearbeitet. 113  Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 101 f.; Hellmann, Das NebenStrafverfahrensrecht der AO, S. 93, 97; Hüttinger, Beweisverbote im Steuer- und Steuerstrafverfahren, S. 123 ff., 132; Jesse, DB 2013, 1803 (1807); Rolletschke, Stbg 2006, 221 (221); Teske, wistra 1988, 207. 114  Dies wird aus § 393 Abs. 1 S. 1 AO abgeleitet; vgl. dazu: Hilgers-Klautzsch, in: Kohlmann, § 393 AO, Rn. 31 m. w. N.; Jesse, DB 2013, 1803 (1803); Nöcker/ Hüning, AO-StB 2012, 316; Rogall, in: FS Rieß, S. 951 (953); Teske, wistra 1988, 207; Teske, Abgrenzung, S. 276 f.; lt. Streck/Spatscheck, wistra 1998, 334 (334) folgt die Unabhängigkeit auch aus den den jeweiligen Verfahren zugrundliegenden Gesetzen: Während sich die im Strafverfahren maßgebliche Strafprozessordnung mit bereits abgeschlossenen Sachverhalten beschäftigt, regelt die das Besteuerungsverfahren betreffende Abgabenordnung zukünftige Pflichten. Dabei ist zu beachten, dass jeweils unterschiedliche Verfahrensprinzipien maßgeblich sind und sich aufgrund einer unterschiedlichen Beweislastverteilung im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren eine „Polarität zwischen der Interpretationskompetenz“ der Finanzverwaltung und der Strafgerichte ergibt; dazu: Isensee, NJW 1985, 1007 (1009); vgl. auch: Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 22; Hilgers-Klautzsch, in: Kohlmann, § 393 AO, Rn. 33; Bruder, Beweisverwertungsverbote im Steuerrecht und Steuerstrafrecht, S. 115; Drüen, DStJG Bd. 38 (2015), 219 (221); Jesse, DB 2013, 1803 (1803, 1807); Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, S. 126 f.; Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 1.



B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren 229

1. Veranlagungsstelle Für die Bearbeitung beispielsweise von Einkommensteuererklärungen sind die Veranlagungsstellen zuständig. Diese sind nach dem Grundsatz der gesetzmäßigen Besteuerung verpflichtet, auf eine gleichmäßige Besteuerung hinzuwirken.115 Es gilt gemäß § 88 AO der Amtsermittlungsgrundsatz. Dabei sind die Veranlagungsstellen allerdings zur Sachverhaltsaufklärung auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen und können über §§ 90 ff., 128 ff. AO diese Mitwirkung auch zwangsweise herbeiführen. Im Rahmen von Ermittlungen im Besteuerungsverfahren gelangt der zuständige Finanzbeamte ggf. auch an Informationen, die den Verdacht einer Steuerstraftat nahelegen. Bestehen Anhaltspunkte, die eine Steuerverkürzung möglich erscheinen lassen, sind die Veranlagungsbeamten zunächst gehalten, im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zu klären, inwieweit ein steuerliches Mehrergebnis erzielt werden kann und ob dem Sachverhalt ggf. eine strafrechtliche Relevanz zukommt, bevor sie einen Steuerfall an die zuständige Bußgeldund Strafsachenstelle weiterleiten.116 So beginnen die meisten Steuerstraf­ verfahren zunächst im Rahmen einer groben Sachverhaltsaufklärung im Besteuerungsverfahren.117 Gelangen Beamte der Veranlagungsstellen durch im Besteuerungsverfahren bekannt gewordene Informationen dazu, einen An­ fangsverdacht anzunehmen, unterliegen sie auch dem Legalitätsgrundsatz nach §§ 385 Abs. 1 AO, 152 Abs. 2 StPO.118 Nach einer innerbehördlichen Zuständigkeitsverteilung sind Veranlagungsstellen zwar grundsätzlich nicht befugt selbst ein Ermittlungsverfahren einzuleiten – sie sind aber dennoch DB 2013, 1803 (1803). Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 256, 258 f. 117  Vgl. Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 249. 118  Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetz: Nach § 386 Abs. 1 S. 1 AO sind u. a. die Finanzämter i. R. d. Ermittlung von Steuerstraftaten zuständig. Gem. § 385 Abs. 1 AO gelten insoweit auch die strafrechtlichen Grundsätze. So auch: Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 5; Schuster, JZ 2015, 27 (28). Nach Tormöhlen, in: HHSp, § 386 AO, Rn. 47 stellt es einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip dar, wenn seitens der Betriebsprüfung bei Anerkennung von Mehrsteuern durch den Steuerpflichtigen versprochen wird, trotz begründeten strafrechtlichen Verdachts, diesen nicht an die BuStra weiterzuleiten. Nach Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St) 2020 v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142, Nr. 14 unterliegt die Finanzbehörde – und damit auch deren Veranlagungsstellen – über § 385 Abs. 1 AO, § 152 Abs. 1 StPO dem Legalitätsprinzip. Auch wenn die interne Aufgabenverteilung strafrechtliche Ermittlungen der BuStra und der SteuFa zuordnet, besteht auch für die übrigen Stellen eine Verpflichtung, den Verdacht einer Steuerstraftat an die BuStra zu melden. Für die Außenprüfung ist eine Pflicht zur Meldung in § 10 Abs. 1 BpO statuiert. Anders: Jesse, DB 2013, 1803 (1803), der die Geltung des Legalitätsgrundsatzes für die Veranlagungs-, Vollstreckungs- und Rechtsbehelfsstellen verneint. 115  Jesse, 116  Vgl.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

dazu verpflichtet, Verdachtsmomente an die zuständigen Stellen weiterzu­ geben. 2. Außenprüfung Ergänzend kann zur Ermittlung von steuerlichen Verhältnissen eine Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO durchgeführt werden. Sobald während einer Außenprüfung der Verdacht einer Steuerstraftat entsteht, ist nach § 10 S. 1 BpO die zuständige Stelle einzuschalten. Eine Meldung an die für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zuständige Stelle erfolgt unter Darlegung der im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erlangten Informationen und ggf. unter Weiterleitung der Steuerakten. Einer solchen Meldung gehen zwangsläufig auch Nachforschungen durch den Betriebsprüfer voraus, aus denen sich erst Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht begründen, ergeben.119 Teilweise besteht auch die Gefahr, dass ein Anfangsverdacht vorschnell bejaht und ein Sachverhalt im Zweifel an die Bußgeld- und Strafsachenstelle weitergegeben wird, um dem Vorwurf einer Strafvereitelung im Amt zu entgehen.120 Soweit den Ermittlungsmaßnahmen einer Außenprüfungsstelle bereits ein Anfangsverdacht zugrunde liegt und die Ermittlungen damit strafrechtlicher Natur sind, stellen sie zugleich die Einleitung eines Strafverfahrens nach § 397 Abs. 1 AO dar.121 Dabei gibt es allerdings keine einander zwingend ausschließenden Zuständigkeiten von Besteuerungs- und Strafverfahren im Rahmen der Außenprüfung, d. h. die Außenprüfung kann auch nur zur Feststellung, ob und inwieweit Steuern hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind, angeordnet und durchgeführt werden.122 Die Abgabenordnung sieht in § 201 Abs. 2 AO außerdem vor, dass erst im Rahmen einer Schlussbesprechung nach einer Außenprüfung der Hinweis gegeben werden kann, dass aufgrund der Prüfungsfeststellungen strafrechtliche Nachforschungen durchgeführt werden.123 Die Prüfung kann also auch trotz Anhaltspunkten für eine Steuerhinterziehung zu Ende gebracht werden. Wird so vorgegangen, unterbleibt während der Außenprüfung allerdings regelmäßig eine Belehrung des Steuerpflichtigen über ein etwaiges Recht zur Verweigerung 119  Vgl.

auch: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 127. in: FS Schaumburg, S. 1255 (1257). 121  Rolletschke, Stbg 2006, 221 (222); vgl. zur Zuständigkeit § 397 Abs. 1 AO. 122  BFH v. 29.12.2010 – IV B 46/09, BFH/NV 2011, 634; Strauß, Der Finanzbeamte im Steuerstrafverfahren, S. 53; Teske, Abgrenzung, S. 458. 123  Diesbezüglich gibt es zum Teil interne Grenzen: Bis zu einer bestimmten Höhe eines mutmaßlichen Hinterziehungsbetrags soll eine Außenprüfung zu Ende geführt werden und erst dann eine Meldung an die zuständige Bußgeld- und Strafsachenstelle erfolgen. 120  Randt,



B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren 231

seiner Mitwirkung,124 obwohl ihm dies auch ohne Einleitung des Strafverfahrens bereits zustünde.125 3. Bußgeld- und Strafsachenstelle Die Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) bzw. Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBu)126 übernimmt nach § 386 Abs. 2 und § 399 Abs. 1 AO bis zur Anklageerhebung im allgemeinen Ermittlungsverfahren die Funktion der Staatsanwaltschaft. Diese Kompetenzübertragung für Steuerstraftaten ist exzeptionell in der deutschen Strafprozessordnung – so steht der Finanzbehörde in diesen Fällen die Entscheidungsbefugnis zu, von der Verfolgung einer Steuerhinterziehung unter den Voraussetzungen des § 398 AO abzusehen oder ein Verfahren nach § 170 StPO einzustellen.127 Durch die Möglichkeit eines Antrags auf Erlass eines Strafbefehls kommt ihr gemäß §§ 400, 406 Abs. 1 AO auch ein Anklagemonopol zu. Die Zuständigkeit endet, sobald gegen einen Beschuldigten wegen der gegenständlichen Tat ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl erlassen wurde.128 Dabei ist die Bußgeld- und Strafsachenstelle auch Teil der Landesfinanzverwaltung und unterliegt nicht den Weisungen der Staatsanwaltschaft, sondern tritt gleichwertig neben sie.129 Der Staatsanwaltschaft kommt zwar gemäß § 386 Abs. 4 S. 2 AO ein Evokationsrecht zu – nachdem allerdings für die Bußgeld- und Strafsachenstelle bzw. die Steuerfahndung keine gesetzliche Verpflichtung besteht, die Staatsanwaltschaft über laufende Ermittlungsverfahren zu informieren, kommt diesem Recht verhältnismäßig wenig Gewicht zu.130 Hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren an sich gezogen oder wurde es aus anderen Gründen übertragen, reduzieren sich die Befugnisse der Bußgeld- und Strafsachenstelle nach § 402 Abs. 1 AO. Die Finanzbehörde i. S. d. § 386 Abs. 1 AO befindet sich damit in einem grundlegenden Interessenkonflikt, da sie zum einen im Rahmen des Besteuerungsverfahrens für die 124  Kritisch

hierzu: Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 270 f. Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 272 f.; siehe S. 225 ff. 126  Die Bezeichnung der Stelle variiert je nach Bundesland. 127  Jesse, DB 2013, 1803 (1804); Reiß, Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren, S. 249 f. 128  § 386 Abs. 3 AO. 129  BFH v. 25.1.1972 – VII R 109/68, BStBl. II 1972, 286. 130  Jesse, DB 2013, 1803 (1805); eine solche Unterrichtungspflicht dagegen bejahend: Strauß, Der Finanzbeamte im Steuerstrafverfahren, S. 31, mit Verweis auf AStBV (St) 2019, Nr. 22 Abs. 2, wonach eine Unterrichtung der Staatsanwaltschaft zu erfolgen hat, wenn der Fall wegen der Größenordnung oder aus anderen Gründen, namentlich wegen der Persönlichkeit oder des Sachzusammenhangs mit anderen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, von besonderer Bedeutung ist. 125  Reiß,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Durchsetzung einer gleich- und gesetzmäßigen Besteuerung zuständig ist und zum anderen im Strafverfahren „als Staatsanwaltschaft“ zur „Objekti­ vität und Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens verpflichtet ist“.131 4. Steuerfahndung Die Steuerfahndung agiert nach § 404 S. 1 AO als Hilfsorgan – ähnlich wie die Polizei nach § 163 StPO als Ermittlungsbehörde der Staatsanwaltschaft fungiert.132 Ein Konflikt ergibt sich aus der explizit im Gesetz verankerten Doppelfunktion respektive Janusköpfigkeit der Steuerfahndung: Diese ist nach § 208 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO sowohl für die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten als auch für die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen zuständig.133 Die Beamten der Steuerfahndung haben nach § 404 S. 1 AO, soweit sie in einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat tätig werden, dieselben Befugnisse wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der Strafprozessordnung. Soweit sie im Besteuerungsverfahren tätig werden, ergeben sich ihre Befugnisse nach § 393 Abs. 1 S. 1 AO aus der Abgabenordnung. Damit haben die Beamten der Steuerfahndung zwei Befugniskreise, in denen sie sich bewegen und die sich teilweise auch überlappen.134 Die zuständigen Beamten müssen bei ihrem Vorgehen also darauf achten, klar zwischen ihren beiden Befugniskreisen zu trennen135 und nach herrschender Meinung jeweils offenlegen, in welcher Funktion sie im Einzelfall handeln.136 Die Steuerfahndung ist ferner in den meisten Bundesländern als eigene Abteilung in die Finanzämter ein131  So:

Jesse, DB 2013, 1803 (1804). Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 249; Weigell, in: Kuhn/ Weigell/Görlich, Rn. 297. 133  Vgl.: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 46; Gotzens, in: FS Streck, S. 519 (521); Rogall, in: FS Rieß, S. 951 (953); Rolletschke, Stbg 2006, 221 (221); Wenzel, Das Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, S. 145 f.; insofern auch kritisch zur Aufgaben- und Befugniskumulierung in § 208 Abs. 1 AO: Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der AO, S. 236 f. 134  Dabei gehen die Rechte der Steuerfahndung im Strafverfahren sehr weit: So kann z. B. durch einen richterlichen Beschluss ein zwangsweise durchsetzbares Betretungsrecht für Wohnungen erwirkt werden; im Unterschied dazu gelten im Besteuerungsverfahren weitergehende Mitwirkungspflichten; vgl. zu den unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeiten: Herrmann, DStJG Bd. 38 (2015), 249 (263); ebenso: Hüttinger, Beweisverbote im Steuer- und Steuerstrafverfahren, S. 48 f. 135  Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, S. 127; kritisch zur Erkennbarkeit für den Betroffenen, in welchem Verfahren ermittelt wird: Bärlein/Pananis/ Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1829). 136  Teske, Abgrenzung, S. 459; ebenso: Rolletschke, Stbg 2006, 221 (221). 132  Reiß,



B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren 233

gebunden.137 Zwischen der Strafverfolgungs- und Besteuerungsstelle besteht grundsätzlich das „Prinzip des freien Informationsaustausches“ – die spezielleren Amtshilfevorschriften der §§ 111–116 AO finden erst Anwendung, wenn zwei voneinander unabhängige, selbstständige Behörden nebeneinander agieren.138 Eine ansonsten übliche Trennung zwischen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörde gibt es damit im Bereich des Steuerstrafverfahrens nicht.139 Diese Koppelung der beiden Verfahrensarten in einer Stelle wird von der Literatur zwar zum Teil kritisiert,140 dient aber zum einen „der Vermeidung eines doppelten Verwaltungsaufwands“141 und ist mangels strikter Trennbarkeit der Verfahren grundsätzlich auch sachgerecht. Beiden Verfahren liegt derselbe Sachverhalt zugrunde und die Ermittlung der Besteuerungsgrund­ lagen ist zwingende Voraussetzung zur Ausfüllung des strafrechtlichen Tatbestandsmerkmals der „Steuerverkürzung“, sodass sich die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen bereits thematisch nicht von strafrechtlichen Ermittlungen trennen lässt.142 Würde ein solcher Informationsaustausch vollständig unterbunden, so wäre eine effektive Strafverfolgung im Bereich des Steuerstrafrechts kaum möglich.143 Eine klare Trennung der Ermittlungskompetenzen würde zu einem „unwirtschaftlichen Nebeneinander“ führen.144 Durch diese Verfahrensüberlagerung ergibt sich allerdings die Gefahr, dass die Steuerfahndung sich den Mitteln des einen Verfahrens zur Verfolgung in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 262. wistra 1988, 207 (208). 139  Jesse, DB 2013, 1803 (1803); vgl. auch: Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 177. 140  Teske qualifiziert die Überschneidungen des Besteuerungs- und des Strafverfahrens als Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes, das Gewaltenteilungsprinzip sowie gegen die Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und das Anklagemonopol i. V. m. dem Gleichheitsgrundsatz. Aus diesem Grund fordert sie de lege ferenda eine vollständige organisatorische Trennung der betreffenden Zuständigkeiten und Verfahren (Teske, Abgrenzung, S. 458). Auch Jesse konstatiert, dass eine klare Grenzziehung nötig sei und eine sachgerechte Lösung nur darin liegen könne, dass die allgemeine Zuständigkeit für das Steuerstrafverfahren auf die originär zuständige Staatsanwaltschaft übertragen werde [Jesse, DB 2013, 1803 (1814)]. 141  Behrendt, ZStW Bd. 94 (1982), 888 (900); Wenzel, Das Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, S. 259. 142  Vgl.: Jesse, DB 2013, 1803 (1803); Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, S. 126; Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 92; Rüping/Kopp, NStZ 1997, 530 (532). 143  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 256 f. 144  Behrendt, ZStW Bd. 94 (1982), 888 (900 f.); Wenzel, Das Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, S. 259 f.; vgl. auch Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 249, mit Verweis auf die erhöhte Expertise der Finanzbehörde, was Verstöße gegen Steuergesetze betrifft. 137  Kuhn,

138  Teske,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

ihrer Ziele im anderen Verfahren bedient.145 Auch die Praxis zeigt, dass die Steuerfahndung sich zuweilen der jeweils günstigeren Verfahrensart bedient und diese je nach Zweckmäßigkeit auch wieder wechselt.146 Dabei ist den Beamten nicht zwingend Böswilligkeit vorzuwerfen – es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung weder möglich noch zumutbar bei der Ermittlung ein- und desselben Sachverhaltes nur jeweils das im entsprechenden Verfahren bisher schon erworbene Wissen zugrunde zu legen.147 Reiß versucht die Befürchtungen um einen Wechsel zwischen den Verfahrensarten je nach Belieben mit dem Argument zu zerstreuen, dass § 393 Abs. 1 S. 2 AO ein Zwangsmittelverbot für das Besteuerungsverfahrens vorsehe, sobald die Gefahr bestehe, dass sich der Steuerpflichtige bei Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten selbst belasten müsste148 – auch dabei ergibt sich jedoch bei Zugrundelegung der herrschenden Meinung eine Zwangslage durch die Strafbewehrung der steuerlichen Pflichten und in der Praxis wird eine Belehrung über dieses Zwangsmittelverbot auch erst vorgenommen, wenn sich bereits Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat ergeben haben. Eine klare und eindeutige Trennung der beiden Verfahrensarten ist damit grundsätzlich nicht möglich – wäre aber notwendig. So besteht auch für die Steuerfahndung das Risiko, dass erlangte Informationen einem strafrechtlichen Verwertungsverbot unterfallen, wenn zu lange im Rahmen des Besteuerungsverfahrens geprüft wird, obwohl schon ausreichend Informationen zur Bejahung eines Anfangsverdachtes gesammelt wurden.149 Ein solches Verwertungsverbot ergibt sich für das Strafverfahren, wenn bewusst Befugnisse des Besteuerungsverfahrens ausgenutzt wurden, um Beweise zu erlangen, die andernfalls nicht erreichbar gewesen wären.150 Aus Furcht vor einem entsprechenden Verwertungsverbot besteht seitens der Finanzbehörden auch die Gefahr, ein Strafverfahren zu früh einzuleiten, dem Steuerpflichtigen dadurch weitreichende Aussageverweigerungsrechte einzuräumen und damit die Möglichkeit verstreichen zu lassen, einen Sachverhalt genügend auszuermitteln.151 Damit wird die Unabhängig145  Drüen, DStJG Bd. 38 (2015), 219 (229 f.); Herrmann, DStJG Bd. 38 (2015), 249 (249, 251); Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, S. 130; Seer, StB 1987, 128; vgl. auch: Röckl, Das Steuerstrafverfahren im Spannungsfeld, S. 93; insoweit auch kritisch: Gotzens, in: FS Streck, S. 519 (531). 146  Neuling, DStR 2015, 558 (559); Rüping/Kopp, NStZ 1997, 530 (531) m. w. N.; Teske, wistra 1988, 207 (208). 147  Herrmann, DStJG Bd. 38 (2015), 249 (265); Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (366). 148  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 263; ebenso: Strauß, Der Finanzbeamte im Steuerstrafverfahren, S. 40. 149  Hierzu: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 127; Herrmann, DStJG Bd. 38 (2015), 249 (269). 150  Vgl.: Hüttinger, Beweisverbote im Steuer- und Steuerstrafverfahren, S. 133. 151  Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 127; die gegenteilige Gefahr einer zu späten Einleitung aufzeigend: Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1829).



B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren 235

keit der beiden Verfahren voneinander untergraben.152 Vor allem in den letzten Jahren wird ferner vermehrt ein aggressiveres Vorgehen der Finanzbehörden im Rahmen von Außenprüfungen wahrgenommen.153 Hinzu kommt, dass mit der Neuregelung des Selbstanzeigerechts erheblich erschwerte Korrekturmöglichkeiten bestehen154 – Steuerpflichtige sehen sich damit heutzutage viel schneller einem steuerstrafrechtlichen Vorwurf ausgesetzt. Kritik kann allerdings auch in die entgegengesetzte Richtung geübt werden: Rüster führt an, dass Angehörigen der Finanzverwaltung ein fiskalisches Denken näher liege und dadurch zu Lasten des Legalitätsprinzips die Tendenz bestehen könnte, Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu geben, sich „freizukaufen“.155 Das Problem ergibt sich allerdings wohl nicht im Bereich der Steuerfahndung, sondern eher im Bereich der Außenprüfung. Der für die Außenprüfung zuständige Beamte hat ein Interesse daran, die Außenprüfung erfolgreich abzuschließen und ist dafür in erster Linie auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen. Bei unklaren Sachverhalten besteht die Gefahr, dass von weitergehenden strafrechtlichen Ermittlungen abgesehen wird, wenn der Steuerpflichtige sich dafür einverstanden erklärt, bei Verhandlungen zugunsten des Fiskus und damit auch zugunsten des Mehrergebnisses des Prüfungsbeamten nachzugeben. Dies scheint in Sachverhalten mit sehr dünner Beweislage auf den ersten Blick auch vernünftig – dennoch ist das Legalitätsprinzip uneingeschränkt und damit auch in solchen Sachverhalten zu wahren. Insoweit galt es nur die geübte Kritik aufzuzeigen; im Ergebnis ist die Koppelung von Zuständigkeiten im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren allerdings sachgerecht, solange dieser Umstand in den beiden Rechtsordnungen berücksichtigt wird. Wird dies nicht gemacht, müssten die Zuständigkeiten der beiden Verfahren strikt getrennt werden – was jedoch mit weit mehr Nachteilen einherginge als die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Dürfte wistra 1988, 207 (208). in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 35; Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691; Drüen, DStJG Bd. 38 (2015), 219 (220); Neuling, DStR 2015, 558 (558, 560); ders., DStR 2016, 1652 (1653); vgl. auch Gotzens, in: FS Streck, S. 519 (520 f.), wonach dies auch an Entscheidungen der Rechtsprechung und Gesetzesänderungen deutlich wird. 154  Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1691). 155  Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 5; vgl. ferner: Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1257); dazu auch: Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, S. 130–132; Strauß, Der Finanzbeamte im Steuerstrafverfahren, S. 58 f., der von der „orientalischen Phase“ der Schlussbesprechung spricht; dabei wird von Seiten des Steuerpflichtigen häufig höheren Prüfungsfeststellungen zugestimmt, wenn im Gegenzug zugesichert wird, keine Informationen an die Strafsachenstelle weiterzugeben. Ein solches Vorgehen verstößt beim Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat gegen das Legalitätsprinzip, das gemäß §§ 386 Abs. 1, 399 Abs. 2 Nr. 1, 385 Abs. 1 AO, § 152 StPO auch für den Außenprüfer als Teil der Finanzbehörde gilt; siehe: Kap. 3 Fn. 118. 152  Teske,

153  Drüen,

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die für die Besteuerung zuständige Stelle keine Informationen an die Strafverfolgungsbehörde weitergeben, würden Steuerstraftaten wohl nur selten entdeckt. 5. Fazit Abschließend lässt sich festhalten: Indem mit pflicht- und wahrheitsgemäßen Erklärungen gegenüber der zuständigen Finanzbehörde steuerstrafrechtliche Verfehlungen aufgedeckt werden, werden diese Informationen aufgrund der Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde zugleich der für die Strafverfolgung zuständigen Behörde offenbart.156 Unabhängig von der Reichweite steuerlicher Mitwirkungspflichten lässt sich aufgrund der Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde ein Konflikt mit dem nemo-tenetur-Grundsatz somit nicht ohne weiteres durch die Schaffung von Geheimhaltungsverpflichtungen bereinigen. Die enge sachliche und personelle Verzahnung der Ermittlungen in den beiden Verfahrensarten lässt eine solch klare Trennung nicht zu.157

II. Verfahren bei § 153 Abs. 1 AO Um das bereits thematisierte, angespannte Verhältnis zwischen Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO angemessen beurteilen zu können, ist eine Aufarbeitung der verfahrensrechtlichen Behandlung von entsprechenden Berichtigungsanzeigen bzw. -erklärungen erforderlich. Eine Berichtigungsanzeige ist grundsätzlich an die zuständige Veranlagungsstelle zu richten, die für eine Änderung der maßgeblichen Steuerbescheide zuständig ist. Die Zuständigkeit für die Bearbeitung einer Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO liegt damit regelmäßig im Bereich des Besteuerungsverfahrens. Hier gilt im Grundsatz, dass der Steuerpflichtige auch bei Nachfragen der bearbeitenden Stelle voll mitwirkungspflichtig ist. Pro­ blematisch wird dies, wenn sich der Steuerpflichtige selbst einer Steuerstraftat bezichtigen müsste, wenn er seinen Mitwirkungspflichten nachkommt.158 Eine klare Identifikation einer Berichtigungserklärung als solche ist allerdings nicht immer ohne weiteres möglich. Sowohl eine Erklärung nach § 153 AO als auch eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO haben die Berichtigung von steuerlich relevanten Erklärungen zum Gegenstand. Eine Selbst­ 156  Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 159; Daude, Die strafbefreiende Dritt­ anzeige, S. 39; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 169. 157  Jesse, DB 2013, 1803 (1814); Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 256. 158  Vgl. Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 125.



B. Spannungsverhältnis zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren 237

anzeige ist ferner nicht zwingend als solche zu bezeichnen. Es wird in der Praxis sogar geraten, eine Selbstanzeige lediglich als „Berichtigung“ zu betiteln und sich so die Chance zu erhalten, dass die Finanzbehörde die Erklärung als Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO ansieht.159 Dadurch bestünde die Möglichkeit, dass die Berichtigung von der Veranlagungsstelle durchgeführt, nicht an die Bußgeld- und Strafsachenstelle160 weitergeleitet und so die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vermieden wird. Auch Hinterziehungszinsen nach § 235 AO oder ein Zuschlag nach § 398a Abs. 1 AO könnten so umgangen werden. Kann die zuständige Veranlagungsstelle eine Einordnung nicht zweifelsfrei vornehmen und wird eine strafrechtliche Relevanz vermutet, ist die Bußgeld- und Strafsachenstelle einzuschalten. Behördenintern besteht sogar die Weisung, alle eingehenden Selbstanzeigen (respektive Berichtigungen) an die Bußgeld- und Strafsachenstelle weiterzuleiten.161 Diese prüft die strafrechtliche Relevanz der ursprünglichen Erklärung und ob die Selbstanzeige vollständig abgegeben wurde. Seit der Abschaffung der Teilselbstanzeige kann Straffreiheit nur noch eintreten, wenn eine Berichtigung zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgt. Im Rahmen dieser Prüfung ist grundsätzlich ein Strafverfahren einzuleiten. Diese interne Vorlagepflicht ist lediglich ausgeschlossen, wenn die Berichtigung unzweifelhaft auf nachträglichen Erkenntnissen des Steuerpflichtigen beruht und dem vorangegangenen Fehler damit keine strafrechtliche Relevanz zukommt.162 Dabei ist allerdings – wie bereits angedeutet – die Grenze zu einem billigenden Inkaufnehmen einer Falsch­ erklärung und einer damit einhergehenden Steuerverkürzung fließend. Gerade strafrechtlich wenig versierte Veranlagungsbeamte werden sich im Zweifel für eine Weiterleitung der Erklärung an die Bußgeld- und Strafsachenstelle entscheiden.163 In der Praxis besteht daher bei jeder Berichtigung 159  Heinekamp, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 47 f.; vgl. auch Spatscheck, DB 2013, 1073 (1073), der ebenfalls festhält, dass sich die Selbstanzeige auf die reine Nacherklärung beschränken könne und sich der Anzeigende in diesem Rahmen nicht selbst einer Steuerhinterziehung bezichtigen müsse. 160  Je nach Bundesland wird die Stelle als BuStra oder StraBu abgekürzt. 161  Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St) 2020 v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142, Nr. 11 Abs. 1 S. 1, Nr. 132 Abs. 1; zur Pflicht der Beachtung des Legalitätsprinzips durch die BuStra: BFH v. 29.4.2008 – VIII R 5/06, BStBl. II 2008, 844 (846); Gotzens, in: FS Streck, S. 519 (522). 162  AStBV (St) 2019, Nr. 132 Abs. 1 S. 3. 163  Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 36, der darauf hinweist, dass früher häufig Meldungen an die BuStra ergingen, da von Seiten der Finanzbeamten Sorge bestand, sich selbst einem Strafvorwurf wegen Strafvereitlung im Amt nach §§ 258, 258a StGB ausgesetzt zu sehen. Einem Strafvorwurf durch Unterlassen fehle es jedoch an einer Garantenstellung durch die Finanzbeamten.

238

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

die Gefahr, dass die Finanzbehörde aus einer Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO einen Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung ableitet.164 Es sind ebenso Situationen denkbar, in denen die Entstehung einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO mit der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zeitlich zusammenfällt. Ungereimtheiten, die zu einem nachträglichen Erkennen und damit zur Erforderlichkeit einer Berichtigungsanzeige führen können, treten beispielsweise häufig erst im Rahmen einer Außenprüfung zutage. Fällt dieser Fehler ebenfalls den zuständigen Prüfungsbeamten auf und kommt so der Verdacht einer Steuerstraftat auf, ist dies der Bußgeld- und Strafsachenstelle zu melden. Bis jedoch die Meldungen durch die jeweils zuständigen Stellen erfolgen und ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wird, haben die betroffenen Steuerpflichtigen ihren steuer­ lichen Mitwirkungspflichten grundsätzlich vollumfänglich nachzukommen und damit auch nachträglich erkannte Unrichtigkeiten zu berichtigen. Im Bereich des § 153 Abs. 1 AO ergibt sich ein Konflikt mit dem nemotenetur-Grundsatz im Ergebnis damit bereits aus dem Informationsaustausch zwischen der zuständigen Veranlagungsstelle und der Bußgeld- und Straf­ sachenstelle.

C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO Als primäres Instrument zum Schutz vor Selbstbelastungen wird im Bereich des Besteuerungsverfahrens die Selbstanzeige gesehen – ein Mitwirkungszwang könnte dadurch zulässig sein. Im Steuerstrafverfahren besteht die Besonderheit, dass auch nach Beendigung einer Tat über das Institut der Selbstanzeige noch Straffreiheit erlangt und eine Strafverfolgung abgewendet werden kann. Besteht die Möglichkeit einer wirksamen, strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO, fehle es nach herrschender Meinung für den Erklärungspflichtigen an einer unzumutbaren Zwangslage, sodass die Selbstbelastungsfreiheit in diesen Konstellationen nicht betroffen sei.165 Durch die 164  Hierzu

54.

kritisch: Burwitz, NZG 2014, 494 (495); Radermacher, AO-StB 2022,

165  BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19, StRR 2019, 20 (21); BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, NStZ 2016, 34 (36); BGH v. 21.8.2012 – 1 StR 26/12, NStZ-RR 2012, 372 (373); BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1986); zustimmend: Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 160; Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 65; Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 232 f.; Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 60; a. A.: Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 39, die darauf abstellt, dass keine Pflicht zur Selbstanzeige bestehe und dadurch eine solche konstruiert würde; auch: Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 224, wonach sich eine Selbstbelastungsgefahr gerade aus einer erzwungenen Selbstanzeige ergeben könne.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO239

strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige bestehe für den Steuerpflichtigen keine Gefahr sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Inwieweit die Möglichkeit einer Selbstanzeige tatsächlich einen angemessenen Schutz vor einer strafrechtlichen Selbstbelastung bietet, gilt es noch herauszuarbeiten. Ging der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung voraus, werden im Rahmen der Rechtsprechung regelmäßig Umqualifizierungen von Berichtigungserklärungen in Selbstanzeigen vorgenommen.166 Dass § 153 Abs. 1 AO insoweit eine „Pflicht zur Selbstanzeige“ darstellt und damit die Freiheit des Betroffenen einschränkt, ist in Bezug auf die Selbstbelastungsfreiheit unproblematisch, sofern es schon am Merkmal der Selbstbelastung fehlt.167 Insoweit wäre auch der Anwendungsbereich des Zwangsmittelverbots nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht eröffnet.168 Das Erfordernis einer Umqualifizierung ergibt sich daraus, dass – anders als die Selbstanzeige – die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO „allenfalls geeignet ist, eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung zu begründen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO), nicht aber sie zu beseitigen“.169

I. Verhältnis des § 153 Abs. 1 AO zur strafbefreienden Selbstanzeige § 371 Abs. 1 AO Wie die Selbstanzeige im Verhältnis zu § 153 AO einzuordnen ist, ist stark umstritten. Nach der ursprünglichen und auch heute noch vertretenen Aus­ legung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, wonach ein nachträgliches Erkennen nicht gegeben ist, wenn im Vorfeld vorsätzlich eine fehlerhafte Erklärung abgege166  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1986 f.); vgl. ebenfalls: Carlé, AO-StB 2019, 123 (124 f.); Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (25 f.); nach Balmes/Ambroziak, AO-StB 2010, 19 (21) m. w. N. wird bspw. bei mangelnder Berichtigung eines Antrags auf Herabsetzung von Vorauszahlungen eine nachfolgende Abgabe einer korrekten Jahressteuererklärung nach h. M. als Selbstanzeige gem. § 371 AO gewertet, die zur Straffreiheit bezüglich der vorhergehenden Unterlassungstat führt. 167  Dies verneinend: Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 231, wonach der nemo-tenetur-Grundsatz immer verletzt sei, „wenn die Selbstanzeige die einzig rechtmäßige Handlungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen war“; diese nimmt Bezug auf Schaefer, Nemo-tenetur, S. 150, wonach das Zwangselement immer vorliege, wenn nur eine Handlungsmöglichkeit bestehe, da insoweit keine Entscheidungsfreiheit gegeben sei. 168  Dazu: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 237 f., wonach auch immer darauf abgestellt werden müsse, ob der Betroffene etwaige Zahlungen auch leisten könne, was den nach h. M. bestehenden Vorrang der Selbstanzeige vor dem Zwangsmittelverbot schwer handhabbar mache. 169  Wulf, Stbg 2010, 295 (295).

240

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

ben wurde, schließen sich beide Institute gegenseitig aus.170 § 153 Abs. 1 AO wird von Vertretern dieser Ansicht nur als einschlägig erachtet, wenn die ursprüngliche Erklärung unvorsätzlich falsch abgegeben wurde und § 371 Abs. 1 AO nur, wenn eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vorausging. Nachdem nun nach herrschender Meinung § 153 Abs. 1 AO auch einschlägig ist, wenn dem nachträglichen Erkennen eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung vorausging, überschneidet sich der Anwendungsbereich der beiden Normen allerdings. Eine gesetzliche Verknüpfung und Klarstellung des Verhältnisses der beiden Normen gibt es dabei lediglich in § 371 Abs. 4 AO in Bezug auf Dritte, die durch die Berichtigungserklärung belastet würden.171 Dabei ist eine Umqualifikation einer Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO in eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO vor allem in zwei Fällen relevant: Zum einen in den Konstellationen, in denen eine vorangegangene Strafbarkeit durch die Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung im Raum steht. Dabei kann bei Fällen mit bedingtem Vorsatz im Vorfeld nach herrschender Ansicht im Nachgang eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO bejaht werden. Durch die bloße Erfüllung der Berichtigungspflicht besteht grundsätzlich die Gefahr, ein Strafverfahren bezüglich einer (mutmaßlichen) ursprünglichen Steuerhinterziehung anzustoßen. Zum anderen sind auch Fälle einer „missglückten“ Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO anzudenken – beispielsweise, wenn die Unverzüglichkeitsfrist über­schritten wurde. Dann stellt ggf. – unabhängig von der Strafwürdigkeit der Ursprungserklärung – die nicht rechtzeitige Berichtigung nach herrschender Meinung selbst eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Auch bezüglich dieser Tat könnte der Steuerpflichtige durch eine Selbstanzeige Straffreiheit erlangen.172 Dabei stellt sich die Frage, ob eine verspätete Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO selbst bereits in eine Selbstanzeige nach § 371 AO umqualifiziert werden kann oder ob eine solche gesondert eingereicht werden muss.173 Bei zweitem würde sich allerdings auch das Problem ergeben, dass die missglückte Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO bereits zu einer Kenntnis der Finanzbehörde von der Steuerhinterziehung durch Unterlassen und damit ggf. zu einem Ausschlussgrund nach 170  Vgl. Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 9; Helmrich, DStR 2009, 2132 (2135 f.); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 23. 171  Vgl. zur strafbefreienden Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO die Ausführungen auf S. 73 ff. Insoweit ergibt sich für Dritte, die durch eine Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO belastet würden, ein Strafverfolgungshindernis. 172  Vgl.: Wulf, Stbg 2010, 295 (298): „Eine Pflicht zur Berichtigung verwandelt sich dann in die Option über eine Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen.“ 173  Vgl.: Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (63); zur Möglichkeit einer Selbstanzeige bei einem Verstoß gegen § 153 AO: Schwedhelm, FR 2007, 937 (944).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO241

§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO führen könnte,174 sodass darauf zu achten ist, dass die Berichtigungserklärung bereits auch selbst die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO erfüllt. Es wird häufig auch allgemein die Empfehlung ausgesprochen, eine Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO immer „selbstanzeigefest“ abzugeben.175 Vor allem nach den Verschärfungen der letzten Jahre bestehen in der Praxis allerdings große Schwierigkeiten darin, eine Selbstanzeige wirksam abzugeben.176 Vor den Verschärfungen der Selbstanzeigevorschriften hat jede Berichtigung zu Straffreiheit im entsprechenden Fall geführt, sodass dahinstehen konnte, ob eine Erklärung nach § 371 Abs. 1 AO oder eine Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO vorlag – die Problematik einer Abgrenzung stellte sich ursprünglich gar nicht.177 Wenn nun von Seiten der Berichtigungspflichtigen eine Abgrenzung vorgenommen und lediglich § 153 Abs. 1 AO für einschlägig erachtet wird, ist allerdings auch die Bezeichnung einer Berichtigungs­ erklärung nicht maßgeblich für ihre rechtliche Einordnung.178 Problematisch ist dabei, dass es sich bei der Qualifikation einer Berichtigungserklärung durch die Finanzbehörde als Selbstanzeige nach § 371 AO oder als Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 Abs. 1 AO nach herrschender Meinung mangels Außenwirkung nicht um einen Verwaltungsakt i. S. d. § 118 AO handelt, sodass kein Einspruch gegen diese Einordnung möglich ist.179 Ferner ist bedenklich, dass es in der Praxis vorkommt, dass bei größeren Korrekturbeträgen oftmals pauschal ein Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung angenommen wird und eine Berichtigungserklärung im entsprechenden Kontext bearbeitet wird.180 Auch dass gegen Steuerstraftäter verschärft vorgegangen 174  Kranenberg, AO-StB 2011, 344 (344); vgl. dazu auch: Schwartz, PStR 2011, 150 (152). 175  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 8 f.; Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (502); Hornig, PStR 2019, 291 (297); Neuling, DStR 2015, 558 (562); ders., DStR 2016, 1652 (1656); Radermacher, AO-StB 2022, 54; Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (94). Seit der Novellierung der Geldwäsche durch das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche v. 9.3.2021 (BGBl. I 2021, 327) wird in speziellen Konstellationen § 261 StGB auch in Zusammenhang mit § 153 AO relevant, sodass eine Berichtigungserklärung ggf. auch den Selbstanzeigeanforderungen des § 261 Abs. 8 StGB n. F. genügen muss, um insgesamt Straffreiheit zu garantieren – siehe hierzu vertieft: Radermacher, AO-StB 2022, 54; ders., AO-StB 2022, 91. 176  Gehm, wistra 2019, 48 (48). 177  Schuster, JZ 2015, 27 (32); Zipfel/Holzner, BB 2014, 2459 (2464). 178  Beyer, NZWiSt 2016, 234 (236); vgl. auch: Cordes/Stürzl-Friedlein, wistra 2020, 498 (502). 179  Webel, PStR 2012, 218 (221 f.). 180  Geuenich, NWB 2016, 2560 (2560); insoweit kann von einer Art „Aufgriffsgrenze“ gesprochen werden; dem halten Geberth/Welling entgegen, dass AEAO Nr. 2.5. S. 4 zu § 153 klarstelle, dass nicht jede objektive Unrichtigkeit den Verdacht

242

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

wird, macht eine klare Konturierung des Verhältnisses zwischen § 153 Abs. 1 AO und § 371 AO umso wichtiger.

II. Grundsätzliches zur Selbstanzeige Im Folgenden werden die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige konturiert, um einen Vergleich mit § 153 AO zu ermöglichen. Die Selbstanzeige wird häufig als „Fremdkörper“ im deutschen Strafrecht bezeichnet. Allerdings ist es nicht die einzige dem deutschen Strafrecht bekannte Möglichkeit zu Straffreiheit respektive zu einer Strafmilderung zu gelangen, wenn die nachteiligen Folgen einer begangenen Tat beseitigt oder verhindert werden. Zu denken ist auch an den Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB, die tätige Reue in § 306e StGB und § 320 StGB oder den Täter-Opfer-Ausgleich in § 46a StGB.181 Das Besondere an der Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige ist jedoch, dass sie einerseits noch nach Vollendung der Tat möglich ist und dass sie andererseits keine weiteren Hürden, wie beispielsweise die Freiwilligkeit im Rahmen des Rücktritts nach § 24 StGB, aufstellt.182 Die Selbstanzeige ist insoweit mit der tätigen Reue vergleichbar, als dass auch bei der Steuerhinterziehung die Strafbarkeit auf das Festsetzungsverfahren und nicht den endgültigen Schadenseintritt vorverlagert ist – die Möglichkeit einer Selbstanzeige ist damit auch Kompensation für die „massive Vorverlegung der Strafbarkeit“.183

einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahelege (DB 2015, 1742). Die bloße Festlegung dieses Satzes in einer Verwaltungsvorschrift schützt jedoch nicht vor Ermessensfehlern, sodass davon auszugehen ist, dass dennoch gelegentlich ein Verdacht vorschnell bejaht wird – dabei ist jedoch immer der Einzelfall zu betrachten. Eine generell gültige Aussage zu Behandlung derartiger Fälle in der Praxis kann daher nicht getroffen werden. Vgl. dazu auch: Radermacher, AO-StB 2022, 54 (57 f.), der aufzeigt, dass Berichtigungserklärungen oftmals allein am Verkürzungsbetrag orientiert als Selbstanzeige eingeordnet werden. 181  Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (97). 182  Al Hamwi, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, S. 66; Lenckner/ Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (124); a. A.: Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, S. 37, wonach der Steuerstraftäter i.  R.  d. Selbstanzeige gerade für ein freiwilliges Tätigwerden belohnt werden solle; auch nach Schmoeckel, StuW 2014, 67 (73) lasse sich die Voraussetzung der Freiwilligkeit der Regelung des § 371 Abs. 2 AO entnehmen, wenn man Freiwilligkeit als „die Abwesenheit von äußerem Druck“ definiere. 183  Schuster, JZ 2015, 27 (30); vgl. auch: Schmidt, Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 138 f.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO243

1. Historie Die Möglichkeit einer strafbefreienden Anzeige im Bereich des Steuerrechts besteht nicht erst seit Kurzem, sondern baut auf eine historische Entwicklung auf. Erste vergleichbare Regelungen in Deutschland sind bereits ab 1874 bekannt.184 In Baden war demnach eine Strafbefreiung vorgesehen, wenn jemand eine unterbliebene oder unrichtige Erklärung richtigstellte, bevor das Vergehen angezeigt worden war. Die Intention dahinter war – wie noch heute – die Eintreibung von Steuern. Vergleichbare Regelung gab es ebenso in Bayern und Hamburg. Auch im preußischen Einkommensteuergesetz vom 24.6.1891 war eine Strafbefreiung bei rechtzeitiger Berichtigung respektive Nachreichung vorgesehen. Auch hierbei durfte noch keine Anzeige erfolgt oder Untersuchung eingeleitet worden sein. Die preußische Regelung wurde auch in viele nachfolgende Landesgesetze übernommen. Im gesamten deutschen Reich wurde die Selbstanzeige erstmals einheitlich in § 374 der Reichsabgabenordnung im Jahre 1919 kodifiziert.185 Dabei bedurfte es zur Erreichung der Straffreiheit noch einer Freiwilligkeit der Nacherklärung. Diese Voraussetzung wurde im Rahmen einer Neufassung in § 410 RAO (1931) allerdings gestrichen und damit der Anwendungsbereich der Selbstanzeige ausgeweitet. Maßgeblich war lediglich, dass keine konkrete Entdeckungsgefahr bestand. Im Gesetz zur Änderung des § 410 Reichsabgabenordnung vom 7.12.1951186 wurde diese Regelung beibehalten. Intention des weiten Anwendungsbereiches war, die Rückkehr zur Legalität möglichst lange offenzuhalten und dadurch ein höheres Steueraufkommen zu generieren.187 1968 erfolgte eine redaktionelle Umgestaltung: Die nun in § 395 AO verortete Regelung wurde erstmals in der Überschrift als „Selbstanzeige“ bezeichnet.188 In der Abgabenordnung aus dem Jahre 1977 wurde die Selbst­ anzeige schließlich in § 371 AO verortet.189 Zusätzlich zur Selbstanzeigeregelung gab es in Deutschland in den Jahren 1990190 und 2004191 die Möglichkeit einer Steueramnestie, im Rahmen derer Steuerpflichtige unter Erfül184  Ausführlicher zur Geschichte der Selbstanzeige respektive zu den Ausführungen im nachfolgenden Absatz: Schmoeckel, StuW 2014, 67 (68–72). 185  RGBl. 1919, 1993 (2079); vgl. dazu: Kemper, DStZ 2014, 831 (834); Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (479). 186  BGBl. I 1951, 941 ff.; dem voraus ging das 2. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20.4.1949, in dem als einziger Sperrgrund die Einleitung eines Strafverfahrens vorgesehen war (WiGBl. 1949, 69). 187  Schmoeckel, StuW 2014, 67 (71). 188  Art. 1 Nr. 8 des 2. AOStrafÄndG v. 12.8.1968, BGBl. I 1968, 953. 189  Kemper, DStZ 2014, 831 (834). 190  Art. 17 des Steuerreformgesetzes 1990 v. 25.7.1988, BGBl. I 1988, 1093 (1128). 191  Strafbefreiungserklärungsgesetz v. 23.12.2003, BGBl. I 2003, 2928.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

lung weniger strenger Voraussetzungen Straffreiheit erlangen konnten. Bei der Regelung im Jahr 2004 reichte es sogar aus, lediglich 25 % der hinterzogenen Steuern an den Staat zu entrichten.192 Vor allem im letzten Jahrzehnt wurde das Institut der Selbstanzeige starken Änderungen unterzogen. Initiiert wurden diese durch ein obiter dictum aus dem Jahre 2010, in dem der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige verneinte193 und sich damit gegen eine jahrzehntelange Rechtsprechung gewandt hat. Diese Rechtsprechung wurde durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz aus dem Jahre 2011194 von der Gesetzgebung übernommen und die strafbefreiende Wirkung von Teilselbstanzeigen ausdrücklich ausgeschlossen. Diese Änderung hat die Relevanz einer Abgrenzung zu § 153 Abs. 1 AO, in dessen Anwendungsbereich Nachforschungspflichten verneint werden, drastisch erhöht.195 Einzig eine gestufte Selbstanzeige sollte weiterhin möglich sein. Bei dieser werden der zuständigen Finanzbehörde in einem ersten Schritt (großzügig) geschätzte Zahlen vorgelegt und erst in einem zweiten Schritt erfolgt eine Konkretisierung anhand der entsprechenden Unterlagen.196 Als weitere Änderung im Jahr 2011 erfolgte eine zeitliche Vorverlegung eines Ausschlussgrundes vom Zeitpunkt des körperlichen Erscheinens des Prüfers auf die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO n. F.197 Zusätzlich wurde eine betragsmäßige Begrenzung eingeführt. Eine Selbstanzeige war nur noch bis zu einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 Euro möglich. Diese große Veränderung des Rechtsinstitutes begründete der Gesetzgeber damit, dass „bloßes Taktieren und ‚Reue‘ nach dem Stand der Ermittlungen“198 nicht mit Straffreiheit belohnt werden dürfe. Dem Steuerpflichtigen soll in Form der Selbstanzeige aber dennoch weiterhin eine „Brücke in die Steuerehrlichkeit“199 angeboten werden. Als Ausgleich wurde § 398a AO eingeführt, auf den ab 192  § 1

Abs. 1 Nr. 2 StraBEG. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133, wonach die Strafbefreiung nach § 371 AO so auszulegen sei, dass eine Rückkehr zur vollständigen Steuerehrlichkeit erforderlich ist. 194  Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.4.2011, BGBl. I 2011, S. 676 ff. 195  Vgl.: Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 27; Webel, PStR 2012, 218 (222). 196  Zur Zulässigkeit in der Praxis: BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133 (1136); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1074); lt. Kemper, DStZ 2014, 831 (833 f.) ist es allerdings nicht möglich, vorab bei der Finanzbehörde nachzufragen, welche Jahre korrigiert werden müssen. Dies würde zur Kenntnis der Finanzbehörde und damit zum Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO führen. 197  Dazu: Spatscheck, DB 2013, 1073 (1075). 198  BT-Drs. 17/4182, S. 5. 199  Ibidem. 193  BGH



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO245

S. 271 vertieft eingegangen wird. Die geänderten Vorgaben haben die Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige insgesamt erheblich verschärft und damit ggf. auch die Anreize gesenkt, eine solche einzureichen.200 Der Neuregelung kam damit Kritik zu: Vor allem die Abschaffung von Teilselbstanzeigen birgt beispielsweise bei großen Unternehmen mit häufigem Mitarbeiterwechsel die Gefahr, dass Selbstanzeigen mangels möglicher Sachverhaltsaufarbeitung unvollständig abgegeben werden und damit zugleich eine begangene Straftat aufgedeckt wird.201 Beckemper kritisiert, dass durch die neuen, hohen Anforderungen an die Selbstanzeige der Umdeutung von Berichtigungsanzeigen nach § 153 AO in Selbstanzeigen das Argumenta­ tionsfundament entzogen wurde.202 Durch die Erhöhung der Wirksamkeitsanforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige wurde das Maß an Rechtssicherheit für diejenigen, die geneigt waren, Unrichtigkeiten aus vergangenen Steuererklärungen zu berichtigen, stark reduziert.203 Kritisch ist auch zu betrachten, dass die Vorschrift für den „normalen Steuerbürger“ ohne rechtliche Beratung kaum mehr handhabbar ist – nachdem das Steuerrecht aber auf die Mitwirkung der Steuerbürgerinnen und -bürger aufbaut, wäre eine klare Regelung und Rechtssicherheit zwingend.204 Im Jahr 2014 wurde durch das AO-Änderungsgesetz die betragsmäßige Grenze von 50.000 Euro auf 25.000 Euro herabgesetzt.205 Außerdem bedarf es seitdem nicht mehr nur der fristgerechten Entrichtung der hinterzogenen Steuer, sondern auch der fristgerechten Entrichtung der Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO.206 Zusätzlich wurde noch eine pauschale Mindestberichtigungsfrist von zehn Jahren festgeschrieben.207 Die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige wurde für Lohn­ steueranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen in § 371 Abs. 2a AO wieder eingeführt.208 Den zwischenzeitlich immer wieder aufkommenden in: FS Achenbach, S. 477 (482). BB 2015, 407 (407). 202  Beckemper, ZIS 2012, 221 (226); ebenfalls kritisch: Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 160. Inwieweit die Anforderungen von § 153 Abs. 1 AO und § 371 AO sich in ihren Voraussetzungen nach aktueller Rechtslage tatsächlich unterscheiden und inwieweit eine Umdeutung damit tatsächlich erschwert wird, wird auf S. 253 ff. vertieft herausgearbeitet. 203  Vgl. Schwartz, PStR 2011, 150 (151); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1073). 204  Kemper, DStZ 2014, 831 (836 f.); vgl. auch Schuster, JZ 2015, 27 (28, 32), wonach schon vor den Verschärfungen im Jahre 2014 tatsächlich nur die Hälfte aller Selbstanzeigen zu Strafbefreiungen führte. 205  BGBl. I 2014, 2415 (2416). 206  Beneke, BB 2015, 407 (408); Zinsen nach § 233a AO sind dabei nach § 235 Abs. 4 AO auf Hinterziehungszinsen anzurechnen. 207  Geuenich, NWB 2015, 30 (31). 208  Vgl. dazu: Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 13. 200  Schmitz, 201  Beneke,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Forderungen und Diskussionen zur Abschaffung einer Selbstanzeige ist man bisher nicht nachgekommen.209 2. Legitimation und Schutzgut Die Legitimation der Selbstanzeige soll nicht primärer Gegenstand dieser Arbeit sein, sodass sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf einige grundlegende Punkte beschränken und lediglich ein kursorischer Überblick über die Thematik gegeben werden soll.210 Dabei werden in erster Linie eine rein fiskalische und eine rein strafrechtliche Rechtfertigung des § 371 Abs. 1 AO diskutiert.211 Ferner wird oftmals versucht, die Legitimation der Selbstanzeige über Vergleiche mit dem Kernstrafrecht herauszuarbeiten und dabei eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG angenommen.212 Hierbei wird jedoch verkannt, dass das Steuerstrafrecht im Vergleich zum Kernstrafrecht einige Besonderheiten aufweist.213 Dem Steuerrecht kommt beispielsweise aufgrund der Vielzahl an Regelungen, Ausnahmen und Rückausnahmen eine besondere Komplexität zu.214 Den Steuerpflichtigen werden außerdem Mitwirkungspflichten auferlegt, die dazu führen, dass Steuern an den Fiskus abgeführt werden müssen – ihnen erwächst somit ein finanzieller Nachteil, für den keine unmittelbare Gegenleistung erlangt wird.215 Wohl auch dadurch gilt Steuervermeidung, d. h. die Umgehung von Steuern durch legale Konstruktionen, geradezu als „Volkssport“ und die Verkürzung von lediglich geringen Steuerbeträgen wird zum Großteil als Bagatelle angese209  Vgl. zu den Diskussionen: Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 4; zur politischen Debatte: Schmoeckel, StuW 2014, 67 (67). Schmoeckel sieht die Diskussion um die Abschaffung in einem deutlichen Kontrast zur historischen Entwicklung der Norm – dabei wurde die Möglichkeit einer Strafbefreiung regelmäßig möglichst weit gefasst, um einen Anreiz für eine Nacherklärung von Steuern zu schaffen und dadurch das Steueraufkommen zu sichern; Auslöser für große Diskussionen war die sog. „Hoeneß-Affäre“. 210  Zu weitergehenden Ausführungen siehe: Niemann, Die undolose Teilselbst­ anzeige, S. 56–70. 211  Vgl. dazu: Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper, § 371 AO, Rn. 10–15. 212  Schmoeckel, StuW 2014, 67 (72). 213  Vgl. dazu: Al Hamwi, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, S. 195; a. A.: Abramowski, Strafbefreiende Selbstanzeige, S. 240, wonach keine Gründe ersichtlich seien, das Nachtatverhalten von Steuerstraftätern anders zu beurteilen als das von anderen Straftätern. 214  Weigell, in: FS Streck, S. 609 (617), mit Verweis auf eine „Änderungsflut“ an Steuergesetzen, die teilweise bereits wieder außer Kraft gesetzt wurden, bevor sie überhaupt in Kraft getreten waren; ebenso: Bussmann, Wirtschaftskriminologie, § 5, Rn. 517. 215  Weigell, in: FS Streck, S. 609 (622).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO247

hen.216 Das Unrecht der Steuerhinterziehung ist damit nicht selbsterklärend: Anders als bei Delikten wie Mord oder Körperverletzung leuchtet es nicht jedermann sofort ein, dass „die Nichtabgabe einer Steuererklärung zu einem willkürlich festgesetzten Zeitpunkt und für scheinbar zufällig ausgewählte Vermögenszuflüsse strafbares Unrecht darstellt“.217 Teilweise werden auch die Steuergesetze als hart und ungerecht und damit wird von Einzelnen die Hinterziehung von Steuern als legitim empfunden.218 Das Fehlen eines konkreten Opfers und das Handeln gegenüber dem „anonymen Fiskus“ wirken sich ebenfalls auf das Unrechtsbewusstsein des Einzelnen aus.219 Dennoch ist das Steuerrecht als Primärordnung essentiell für das Fortbestehen eines funktionierenden Staatsapparates.220 Der Fiskus ist insoweit auch für eine ordnungsgemäße Besteuerung auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen, da die Gefahr der Aufdeckung einer Steuerstraftat relativ gering ist.221 Der Fiskus erfährt von steuerlich relevanten Sachverhalten häufig nur durch die Steuerklärung des Steuerpflichtigen. Insgesamt ist im Bereich des Steuerstrafrechts folglich ein Ausgleich zwischen dem Interesse an einem vollständigen Steueraufkommen, den steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten sowie der Selbstbelastungsfreiheit der Steuerpflichtigen und dem Strafbedürfnis des Staates zu finden. § 371 Abs. 1 AO soll dem Steuerstraftäter damit einen Anreiz zur Mitwirkung geben und 216  Vgl. dazu: Weigell, in: FS Streck, S. 609 (612, 623) m. w. N.; dazu auch bereits 1934: Goetzeler, Die rationalen Grundlagen des Steuerstrafrechts, S. 141, nachdem das Unrecht der Steuerhinterziehung nicht im Rechtsbewusstsein der Bevölkerungsschichten verankert war, sondern „die Mehrzahl des Volkes die Steuernormen als ein lästiges Joch betrachtet, dem sie sich nur ungern beugen will“; vgl. auch: Bussmann, Wirtschaftskriminologie, § 5, Rn. 514, wonach auch die Hinterziehung größerer Beträge im Vergleich zum kompletten Staatshaushalt als Bagatelle erscheine. 217  Bülte, JuS 2015, 769 (769); ebenso: Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, § 16, Rn. 76c; Weigell, in: FS Streck, S. 609 (622); vgl. dazu auch die Ausführungen von Goetzeler, Die rationalen Grundlagen des Steuerstrafrechts, S. 138 f.; sowie: Schmoeckel, StuW 2014, 67 (74 f.), der mit diesem Argument die moralischen Bedenken gegen die Möglichkeit einer Selbstanzeige entkräftet und den Unterschieden des Kernstrafrechts zum Steuerstrafrecht u. a. auch eine Legitimierung der Selbstanzeige des § 371 AO entnimmt. 218  Franzen, NK 2008, 72 (72). 219  Bussmann, Wirtschaftskriminologie, § 5, Rn. 513; Zöbeley, DStZ 1984, 198; vgl. auch: Goetzeler, Die rationalen Grundlagen des Steuerstrafrechts, S. 139–142; Weigell, in: FS Streck, S. 609 (622); Welnhofer-Zeitler, in: Wannemacher, Rn. 1422. 220  Vgl.: Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 145; siehe auch: Barske, DStZ 1958, 25 (25); sowie: Wendt, in: FS Ritter, S. 637 (647), wonach die Steuerbürgerinnen und -bürger als Solidargemeinschaft zu begreifen sind; nach Kirchhof, StuW 1985, 319 (320) können Steuern als Entgelt für staatlich erbrachte Leistungen, insbesondere den Schutz des Lebens und des Vermögens des Einzelnen, aufgefasst werden. 221  Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (127); Wulf, wistra 2006, 89 (90).

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

offenbart dabei die fiskalische Ausrichtung der Abgabenordnung.222 Das Institut der Selbstanzeige dient dem Schutz des Fiskalvermögens und damit unter anderem der Sicherung des staatlichen Steueranspruches, d. h. der rechtzeitigen und vollständigen Erhebung des Steueraufkommens.223 Der Staat soll durch dieses Institut Kenntnis von Besteuerungsgrundlagen erlangen, die ihm ansonsten unbekannt geblieben wären.224 Das Absehen von Strafe in den Fällen einer erfolgreichen Selbstanzeige erfolgt nicht aufgrund einer mangelnden Strafwürdigkeit des vorangegangenen Verhaltens, sondern in erster Linie aufgrund steuerpolitischer Zweckmäßigkeitserwägungen.225 Mit der Nachzahlungspflicht des § 371 Abs. 3 S. 1 AO tritt außerdem der zugrundeliegende strafrechtliche Wiedergutmachungsgedanke zu Tage.226 Der ehemalige rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) hat sich im Rahmen der Diskussion um die Abschaffung der Selbstanzeige mit dem Satz „Lieber volle Kassen als volle Gefängnisse.“227 für die Selbstanzeige ausgesprochen und damit m. E. die Zielsetzung der Selbstanzeige auf den Punkt gebracht. Es stehen sich nach einer begangenen Steuerhinterziehung eine steuerrechtliche Mitwirkungs- bzw. Berichtigungspflicht und das Strafbedürfnis des Staates gegenüber. Entweder es wird auf die Durchsetzung von Strafe bestanden – dann wären Berichtigungspflichten aber nach dem nemo-tenetur-Grundsatz einzuschränken – oder es wird der Notwendigkeit einer Berichtigung durch den Täter höheres Gewicht zugemessen und insoweit muss das Strafbedürfnis des Staates zurückstehen. Durch die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige stellt der Gesetzgeber insoweit das Strafbedürfnis des Staates hinter dem Fiskalinteresse zurück, erhält dadurch 222  Schmoeckel, StuW 2014, 67 (73  f.); vgl auch: Abramowski, Strafbefreiende Selbstanzeige, S. 131; Kemper, DStZ 2014, 831 (833); Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 63 f.; Wulf, wistra 2006, 89 (93); Zöbeley, DStZ 1984, 198 (198); ebenfalls die fiskalische Ausrichtung der Abgabenordnung bejahend: Joecks, in: JJR, § 393 AO, Rn. 49; Burwitz, NZG 2014, 494. 223  Beckemper, in: HHSp, § 371 AO, Rn. 15; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, § 371 AO, Rn. 3; Spatscheck, in: FS Streck, S. 581 (582); vgl. auch Zipfel/Holzner, BB 2014, 2459 (2459), die deutlich machen, dass aus fiskalpolitischen Gründen am Institut der Selbstanzeige festgehalten wird. 224  Eidam, wistra 2006, 11 (12); Fromm, DStR 2014, 1747 (1747); Lenckner/ Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (124); Reichling, wistra 2014, 495 (496); Sell, DB 42/2014, Standpunkte, 1. 225  Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (125). 226  Kemper, in: Rolletschke/Kemper, § 371 AO, Rn. 11; vgl.: Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 228–231, wonach die Selbstanzeige insgesamt nicht als fiskalpolitisches, sondern vielmehr als strafrechtliches In­ strument einzuordnen sei, dem der Wiedergutmachungsgedanke zugrunde liege. 227  https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/selbstanzeige-fuer-steuerhinterzieherlieber-volle-kassen-als-volle-gefaengnisse-1.1880943 v. 6.2.2014, zuletzt abgerufen am: 23.2.2021.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO249

jedoch die Mitwirkungspflichten und entscheidet sich damit für die zweite Variante.228 Eine Notwendigkeit dazu ergibt sich auch aus einer Art „Kosten-Nutzen-Analyse“. Wurden Steuern hinterzogen, so ist die fortbestehende steuerliche Mitwirkungspflicht aufgrund der Selbstbelastungsfreiheit, die sich im Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO niederschlägt, nicht durchsetzbar und entfaltet damit praktisch keine Wirkung. Auch die Gefahr, dass eine Steuerhinterziehung aufgedeckt wird, ist im Vergleich zu anderen Delikten vergleichsweise gering. Dies ergibt sich bereits aus dem Fehlen einer geschädigten Person bzw. eines umgrenzbaren geschädigten Personenkreises.229 Zwar wird durch eine Steuerhinterziehung die Allgemeinheit als Opfer geschädigt, deren friedliches und komfortables Zusammenleben durch Steuermittel ermöglicht wird; diese wird allerdings keinen eigenen Schaden wahrnehmen. Dem Steuerrecht ist damit ein strukturelles Vollzugsdefizit immanent.230 Es wird davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer der Steuerstraftaten weit höher ist als die Zahl der aufgedeckten Fälle.231 Wurde eine Steuerverkürzung weder im Rahmen der Veranlagung noch im Rahmen einer etwaigen Betriebsprüfung entdeckt, so besteht praktisch kaum noch eine Möglichkeit, die verkürzten Steuerbeträge zu vereinnahmen. Die Möglichkeit einer Selbstanzeige ist ein strafrechtliches Institut, das dem Steuerpflichtigen grundsätzlich eine „Brücke zur Steuerehrlichkeit“ bauen soll.232 Bestünde die Option einer strafbefreienden Selbstanzeige nicht, gäbe es keinen Anreiz für den Steuerpflichtigen sein Fehlverhalten zu offenbaren und die verkürzten Steuern vollständig nachzuzahlen.233 Besteht jedoch die Möglichkeit ei228  So auch: Al Hamwi, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, S. 196; Brauns, in: FS Kohlmann, S. 387 (411); Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 243; die Selbstanzeige als Ausgleich für umfangreiche Mitwirkungspflichten ansehend: Kemper, DStZ 2014, 831 (833). 229  Fromm, DStR 2014, 1747 (1747); Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (124); zu den Steuerzahlern als Geschädigte: Abramowski, Strafbefreiende Selbstanzeige, S. 160. 230  Burwitz, NZG 2014, 494 (495); Franzen, NK 2008, 72 (72, 75); Fromm, DStR 2014, 1747 (1747 f.); Schmidt, Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 147; Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (483). 231  Franzen, NK 2008, 72 (72); ders., NK 2008, 94 (94). Franzen weist im zweiten Aufsatz auch darauf hin, dass es zur Dunkelziffer keine verlässlichen Angaben gibt und die diversen Hochschätzungen sich auch auf unterschiedliche Anhaltspunkte (Steuerarten, Vorsatz u. a.) beziehen; vgl. zur hohen Dunkelziffer bei Steuerhinterziehungen auch: Bussmann, Wirtschaftskriminologie, § 5, Rn. 514, 516; sowie: Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (477). 232  BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133; BGH v. 24.10.1984 – 2 StR 315/84, wistra 1984, 74. 233  Schmidt, Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 41 sieht in der Selbstanzeige daher eine „Kapitulation gegenüber der Steuerhinterziehung“; vgl. auch Rau, in: FS Streck, S. 537 (557 f.), der deutlich macht, dass trotz verbesserter Ermittlungsmög-

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

ner Selbstanzeige, wird damit nach herrschender Meinung der Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen ausreichend Rechnung getragen.234 Indem dem Steuerpflichtigen für die Vorjahre die Möglichkeit einer Selbstanzeige zur Verfügung gestellt wird, kann ihm auch zugemutet werden, dass er für künftige Steuerjahre korrekte Angaben macht, mit denen er sich ggf. für die Vorjahre selbst einer Steuerverkürzung bezichtigt.235 Insoweit dient die Selbstanzeige auch der „Verhinderung der Fortsetzung des Unrechts“.236 Sie kann somit als notwendiges Korrektiv zu den steuerlichen Mitwirkungspflichten gesehen werden237 und stellt insoweit ein pragmatisches Mittel dar, das Steueraufkommen des Staates zu sichern. Eigentlich paradox ist dabei, dass die Abgabe einer Selbstanzeige immer mit der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens einhergeht, in dessen Rahmen deren Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft wird.238 Dies wäre allerdings hinzunehmen, wenn bei gewissenhafter Abgabe einer Selbstanzeige der Ausgang dieses Verfahrens sicher vorhersehbar wäre. Es dürften keine unerfüllbaren Anforderungen an den Steuerstraftäter gestellt werden und die Selbstanzeige müsste als Institut „handhabbar“ sein.239 Die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige ist insoweit eine „steuerpolitische Notwendigkeit“, die auch einen Ausgleich für die Komplexität des Steuerrechts und für die Vorverlagerung der Tatvollendung in den Bereich der Gefährdung des Steueranspruchs schaffen soll und damit eine vom Kernstrafrecht abweichende Regelung rechtfertigt.240 Das (schwer durchsetzbare) Strafbedürfnis des Staates tritt damit nach der Wertung des § 371 AO zugunsten einer gleichmäßigen Besteuerung zurück. lichkeiten Sachverhalte verbleiben werden, für deren Aufdeckung der Fiskus auf die Mitarbeit der Steuerpflichtigen angewiesen ist; dazu ebenfalls: Franzen, NK 2008, 72 (72), der festhält, dass durch diese Anonymität das Unrechtsempfinden des Täters als niedrig einzustufen ist. 234  Vgl. Sell, DB 42/2014, Standpunkte, 1. 235  Vgl. S. 319 ff.; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; dazu: Burwitz, NZG 2014, 494; Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 27; Schuster, JZ 2015, 27 (30 f.); Spatscheck, in: FS Streck, S. 581 (583). 236  Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 70, der darin den Zweck der Selbstanzeige sieht; so auch: Abramowski, Strafbefreiende Selbstanzeige, S. 164 f. unter Zugrundelegung des Grundsatzes der Bilanzkontinuität. 237  Vgl. Barske, DStZ 1958, 24 (26); Kemper, DStZ 2014, 831 (833). 238  Nossen, in: Wannemacher, Rn. 3972; vgl. zur Einleitung eines Strafverfahrens bei Abgabe einer Selbstanzeige auch: Rau, in: FS Streck, S. 533 (537); insoweit kritisch in Bezug auf eine Selbstbelastung: Jesse, DB 2013, 1803 (1811). 239  Insoweit kritisch: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 233. 240  Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (125); Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (478); vgl. auch: Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 63; Schuster, JZ 2015, 27 (30).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO251

Nach der zwischenzeitlichen Verbesserung von Ermittlungsmöglichkeiten und des nationalen und internationalen Datenaustausches verringert sich jedoch die hohe Relevanz der Selbstanzeige für eine gleichmäßige Besteuerung.241 Der Fiskus ist nicht mehr im selben Maße auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen wie noch vor einigen Jahrzehnten. Dies wird auch durch die Ausweitung der Ausschlussgründe in § 371 Abs. 2 AO deutlich. Ferner macht die Begrenzung der Selbstanzeige auf Ausfallbeträge von höchstens 25.000 Euro deutlich, dass der Bestrafung der Steuerstraftäter bei hohen Steuerausfällen mittlerweile ein höherer Wert zugemessen wird und deren Mitwirkung für die Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung eine geringere Relevanz zukommt. 3. Tatbestand a) Absatz 1 Im Folgenden werden die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige dargestellt. Um Straffreiheit gemäß § 371 AO zu erlangen, muss der Steuerstraftäter gemäß § 371 Abs. 1 S. 1 AO alle Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang aufdecken und die entsprechenden Angaben berichtigen, ergänzen oder nachholen. Die Selbstanzeige unterliegt damit dem Vollständigkeitsgebot, das gemäß § 371 Abs. 1 S. 2 AO Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre, erfordert. Der Umfang des zu berichtigenden Zeitraums wurde auf zehn Jahre ausgeweitet und damit dem Umfang der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO angepasst, wodurch ein Gleichlauf erreicht werden sollte.242 Die Verfolgungsverjährung ist dabei von der Festsetzungsverjährung abzugrenzen: Bei der Verfolgungsverjährung beträgt die Verjährungsfrist bei besonders schweren Fällen 15 Jahre nach § 376 Abs. 1 AO und ansonsten fünf Jahre nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Außerdem unterscheidet sich der jeweilige Verjährungsbeginn voneinander.243 Der Steuerpflichtige muss folglich ggf. einen umfangreicheren Zeitraum berichtigen als den, wegen dem er noch strafrechtlich verfolgt werden könnte. Dabei ist jedoch umstritten, wie sich die Frist des Zehn-Jahres-Zeitraums der Selbstanzeige genau berechnet. Es 241  Vgl. Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 24, wonach der Zweck, die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zu honorieren, vermehrt im Vordergrund stehe; nach Schmidt (Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 41) hält bisher nur ein Vollzugsdefizit das Institut der Selbstanzeige am Leben. 242  Bilsdorfer, DStR 2015, 1660 (1661); Zipfel/Holzner, BB 2014, 2459 (2461). 243  Vgl. § 78a StGB für die Verfolgungsverjährung und § 170 Abs. 1, Abs. 2 AO für die Festsetzungsverjährung.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

könnten sowohl die Veranlagungszeiträume als auch die Jahre einzubeziehen sein, in denen eine Steuerstraftat begangen wurde – sprich: die Jahre, in denen falsche oder gar keine Steuererklärungen abgegeben wurden – oder auch die Jahre, in denen die Taten beendet, also unrichtige Steuerbescheide bekannt gegeben wurden.244 In der Literatur plädieren die meisten Stimmen dafür, dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 S. 2 AO und § 8 StGB entsprechend, für die Berechnung des Zehn-Jahres-Zeitraums auf die Tathandlungen abzustellen.245 b) Absatz 2 Zu beachten sind außerdem die Ausschlussgründe gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 AO, bei deren Vorliegen auch bei einer Berichtigung, die den Anforderungen des Absatzes 1 genügt, keine Straffreiheit mehr eintreten kann. Gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a AO ist beispielsweise eine Selbstanzeige nicht mehr möglich, sobald eine Prüfungsanordnung gemäß § 196 AO für den von der Hinterziehung betroffenen Zeitraum oder sobald dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde. Auch die § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. b bis lit. e und Nr. 2 AO zielen auf eine (mögliche) Entdeckung einer Steuerstraftat ab. Die Intention dieser Ausschlussgründe ist im Schutzgut der Vorschrift zu finden. Nachdem den Steuerpflichtigen durch die Möglichkeit einer Selbstanzeige nur ein Anreiz gegeben werden soll, Besteuerungsgrundlagen zu offenbaren, die der Finanzbehörde ansonsten verborgen blieben, wäre es widersinnig, diese Möglichkeit auch in den Fällen zu geben, in denen „der Staat auch ohne Mithilfe des Täters die Möglichkeit hat, bei diesem die strafbar hinterzogenen Steuern zu erheben“.246 Sind dem Fiskus die hinterzogenen Steuern bereits respektive beinahe bekannt, so kann der Steuerpflichtige nichts mehr leisten, was es durch Straffreiheit zu honorieren gelte. Begeht ein Steuerpflichtiger eine Steuerhinterziehung, muss für ihn ein strafrechtliches Risiko verbleiben und daher die Möglichkeit ausgeschlossen werden, „darauf zu spekulieren, daß er sich auch dann noch ‚freikaufen‘ kann, wenn, bildlich gesprochen, das Damoklesschwert der Strafe bereits über ihm schwebt“.247 Eine Strafbefreiung in diesen Fällen würde ferner auf „generalpräventive Bedenken“ stoßen. Die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 244  Beyer, NWB 2015, 769 (771 f.); Geuenich, NWB 2015, 30 (31); Heuel, wistra 2015, 289 (290); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (105 f.). 245  Beyer, NWB 2015, 769 (771 f.); Geuenich, NWB 2015, 30 (31); nach Heuel, wistra 2015, 289 (290) seien dabei volle Kalenderjahre und nicht Veranlagungszeiträume umfasst. 246  Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (125). 247  Ibidem sowie zum Folgenden.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO253

Nr. 4 AO sollen dagegen den Anwendungsbereich des § 398a AO eröffnen, der auf S. 271 ff. vertieft behandelt wird. 4. Rechtsfolge Wer eine wirksame Selbstanzeige abgibt, wird gemäß § 371 Abs. 1 AO nicht bestraft. § 371 AO normiert damit einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.248 Anders als bei einem persönlichen Strafausschließungsgrund fällt damit die Strafbarkeit des tatbestandlichen Verhaltens erst nachträglich weg und ein bereits eingeleitetes Strafverfahren ist nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.249 Mit der Nacherklärung im Sinne des § 371 Abs. 1 AO soll das Handlungsunrecht der begangenen Steuerhinterziehung und mit der Nachentrichtung des verkürzten Steuerbetrags nach § 371 Abs. 3 AO das Erfolgsunrecht wiedergutgemacht werden.250 Eine korrigierte Steuererklärung ist nicht abzugeben. Durch die Selbstanzeige muss die Finanzbehörde allerdings in die Lage versetzt werden, die unrichtigen Steuerfestsetzungen umfassend zu korrigieren, ohne eigene Nachforschungen anstellen zu müssen.251 Dabei sind alle steuerrechtlich als relevant zu erachtenden und bisher verschwiegenen oder falsch dargestellten Tatsachen zu offenbaren – die rechtliche Beurteilung dieser nachgemeldeten Tatsachen obliegt dann dem Finanzamt.252

III. Unterschiede zwischen den Erklärungen nach § 371 AO und § 153 AO In der Literatur gibt es bereits seit geraumer Zeit Diskussionen um das Verhältnis von § 153 AO und § 371 AO.253 Würde jede Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO zugleich eine wirksame, strafbefreiende Selbstanzeige darstellen, ergäbe sich aus einer Berichtigungspflicht kein Selbstbelastungszwang. Somit ist zunächst die Frage aufzuwerfen, inwieweit tatsächlich pauschal eine Umqualifizierung einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO in eine Selbstanzeige vorgenommen werden kann. Teilweise wird postuliert, dass die Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO mit den Selbst248  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (23); Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 11; Schaub, ZEV 2011, 624 (625). 249  Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 12. 250  Gatzen, in: Forum Steuerrecht 2007, S. 11 (24). 251  Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (102). 252  Ibidem. 253  Vgl. Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2457); Fromm, DStR 2014, 1747 (1747); Geberth/Welling, DB 2015, 1742; Geuenich, NWB 2016, 2560; Madauß, NZWiSt 2016, 343 (343); Neuling, DStR 2015, 558 (560).

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

anzeigen nach § 371 Abs. 1 AO und § 378 Abs. 3 AO identisch sei254 und auch in der Rechtsprechung werden beide Rechtsinstitute zum Teil gleich­ gesetzt.255 Dem ist jedoch nur insoweit zuzustimmen, als dass der Anwendungsbereich beider Normen voraussetzt, dass steuerlich erhebliche Tatsachen nicht vollständig offengelegt wurden.256 Im Übrigen ist diese Aussage in Gänze nicht haltbar, wie aus der nachfolgenden Untersuchung hervorgeht. Die beiden Erklärungen sind im Ergebnis nicht deckungsgleich und unterliegen zum Teil unterschiedlichen Anforderungen. Verneint man aufgrund der pauschalen Möglichkeit des § 371 AO dennoch einen Selbstbelastungszwang und legt dem die nach herrschender Meinung bestehende Strafbewehrung des § 153 Abs. 1 AO und den sich daraus ergebenden Berichtigungszwang zugrunde, würde der Betroffene das Risiko tragen, nicht zugleich die Voraussetzungen des § 371 AO erfüllen zu können und dadurch seine Berichtigung der Verwertbarkeit im Strafverfahren preiszugeben. 1. Freiwilligkeit der Selbstanzeige Der wohl gravierendste Unterschied zwischen einer Selbstanzeige nach § 371 AO und einer Berichtigungserklärung nach § 153 AO wird darin gesehen, dass für die Abgabe der Erklärung nach § 153 Abs. 1 AO eine ausdrückliche (strafbewehrte) Handlungspflicht bestehe, während eine Selbstanzeige freiwilliger Natur sei und nur ein Angebot des Staates darstelle.257 254  J. Müller, DStZ 2005, 25 (29); ders., StBp 2005, 195 (195); anders: Wulf, Stbg 2010, 295 (295 f.), der lediglich Überschneidungen zwischen beiden Rechts­instituten bejaht, aber auch kritisiert, dass § 153 AO von steuerrechtlichen Laien teilweise als „kleine Schwester der Selbstanzeige“ angepriesen wird. Lt. Lohmeyer, StB 1990, 192 (195) schließen sich eine Selbstanzeige und eine Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO sogar „begrifflich notwendig gegenseitig aus“; a. A. dagegen: Seer, in: Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 21. 255  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1986), wonach die Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO auch bei Fällen mit bedingtem Vorsatz im Vorfeld zu keinem Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz führe, da eine Umqualifizierung der Anzeige- und Berichtigungserklärung in eine Selbstanzeige in vielen Fällen pro­ blemlos vorgenommen werden könne. 256  Beyer, NZWiSt 2016, 234 (234); Ludwig/Breimann/Kusch, DStR 2016, 2240 (2240). 257  Vgl. BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, NJW 2004, 2720 (2723); Beyer, NZWiSt 2016, 234 (234); Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 210 f.; Helmrich, DStR 2009, 2132 (2135 f.); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 23 f.; Kopacek, BB 1962, 875 (875 f.); Lohmeyer, StB 1990, 192 (194); J. Müller, StBp 2005, 195 (199); Tormöhlen, AO-StB 2010, 141 (144); Wegner, SteuK 2016, 289 (292); zur Selbstanzeige als „goldene Brücke“: Zöbeley, DStZ 1984, S. 198 (198); a. A.: Schuster, JZ 2015, 27 (28), wonach § 371 Abs. 1 AO eine Berichtigungspflicht statuiere.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO255

a) Kongruenz mit ausstehenden Berichtigungserklärungen Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass der Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO keine Handlungspflicht statuiert und die Nichtvornahme einer Selbstanzeige keine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründet, während dies bei einer Missachtung des § 153 Abs. 1 AO unstreitig der Fall ist. Nun wurde jedoch bereits festgestellt, dass auch nach einer vorangegangenen Steuerhinterziehung die ursprüngliche steuerrechtliche Erklärungspflicht fortbesteht, sodass der freiwillige Charakter der Selbstanzeige insoweit in Frage gestellt werden kann. Mit einer Selbstanzeige werden die Unrichtigkeiten und Unvollständigkeiten der noch nicht festsetzungsverjährten Steuerjahre berichtigt, wozu der Betroffene ohnehin steuerrechtlich verpflichtet wäre. Der Inhalt ausstehender Berichtigungserklärungen ist grundsätzlich deckungsgleich mit dem Umfang einer Selbstanzeige – eine Trennung der verfahrensrechtlichen Behandlung der steuerrechtlich mit Zwang durchsetzbaren Berichtigung und der strafrechtlich eigentlich freiwilligen Selbstanzeige kann daher nicht überzeugen. Sollte die ursprüngliche Berichtigung mit Zwang durchgesetzt werden können, wäre es paradox, zugleich von einer Freiwilligkeit in Bezug auf die Selbstanzeige auszugehen. b) Verhältnis der Selbstanzeige zu § 393 Abs. 1 S. 2 AO Im Folgenden ist daher die Frage aufzuwerfen, ob die fortbestehenden Mitwirkungspflichten auch im Nachgang an eine begangene Steuerstraftat mit Zwang durchgesetzt werden können oder ob das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO dem entgegensteht. Die Rechtsprechung schränkt – wie bereits dargestellt – die Reichweite des Zwangsmittelverbots insoweit ein, als dass es nicht greifen soll, wenn eine strafbefreiende Selbstanzeige möglich ist.258 In diesen Fällen habe es der Steuerpflichtige selbst in der Hand eine Strafverfolgung zu verhindern. Bestehe diese Option, könne schon nicht von einer Selbstbelastung gesprochen werden. Damit sind die originären Mitwirkungspflichten in Korrelation zur Selbstanzeige zu sehen – die zwangsweise Durchsetzung einer Mitwirkungspflicht, die mit einer Selbstbelastung einher ginge, ist an die potenzielle Erlangung von Straffreiheit über § 371 Abs. 1 AO gekoppelt. Zwingende Konsequenz dieser herrschenden Ansicht wäre damit, das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO in 258  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; BFH v. 1.2.2012 – VII B 234/11, NZWiSt 2012, 278 (279); zustimmend: Al Hamwi, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, S. 196; Rolletschke, NZWiSt 2012, 279; noch abweichend: BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, NJW 2004, 2720 (2723), wonach der Täter einer Steuerhinterziehung nicht zur Abgabe einer Selbstanzeige gezwungen werden könne; ebenfalls a. A.: Lübbersmann, PStR 2012, 135 (136).

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

diesen Fällen auf die ursprünglichen Erklärungspflichten nicht anzuwenden.259 Aus rein dogmatischer Sicht ist eine Selbstanzeige daher jedenfalls mittelbar nicht freiwilliger Natur, sondern es besteht vielmehr faktisch eine Pflicht zu ihrer Abgabe. Diese Erkenntnis entfaltet jedoch – jedenfalls in den meisten Fällen – keine praktische Wirkung. Dem bloßen Fortbestehen der ursprünglichen Erklärungspflicht wird einerseits mangels eigenständigem Taterfolg auch von der herrschenden Meinung keine Strafbewehrung unterstellt. Die mittelbare Nichtvornahme einer Selbstanzeige bleibt damit ohne weitergehende strafrechtliche Konsequenzen als die für die ursprüngliche Tat ohnehin drohenden. Ferner macht der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO deutlich, dass eine Selbstanzeige nicht mehr möglich ist, wenn die Tat bereits ganz oder zum Teil entdeckt ist. Sobald damit auf Seiten der Finanzbehörde die Erkenntnis vorliegt, dass ggf. eine Steuerstraftat begangen wurde und die Abgabe einer Berichtigungserklärung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden könnte, ist die Möglichkeit einer Selbstanzeige über § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO grundsätzlich ausgeschlossen. In Korrelation dazu läge dann auch eine Selbstbelastungsgefahr vor, § 393 Abs. 1 S. 2 AO wäre anwendbar und die Berichtigungspflicht damit lediglich formeller Natur. Materiell bestünde somit in diesen Fällen keine „Pflicht zur Selbstanzeige“, sodass der herrschenden Meinung insoweit im Ergebnis zugestimmt werden kann: Eine Selbstanzeige ist damit – jedenfalls meist – freiwilliger Natur. Entscheidet sich ein Steuerstraftäter ohne jeden äußeren Einfluss dafür, eine Selbstanzeige abzugeben, liegt keine vom Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes umfasste Zwangslage vor.260 Dass jedoch auch Fälle denkbar sind, in denen die Anforderung von belastenden Unterlagen mit Zwang durchgesetzt werden kann, ohne dass zugleich eine Selbstanzeige über § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen ist, zeigt eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 1.2.2012.261 Gegenstand des Urteils war ein Sachverhalt, in dem der Steuerfahndung bekannt wurde, dass ein Steuerpflichtiger Kunde einer Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft war. Daraufhin wurde der Steuerpflichtige zur Preisgabe näherer Informationen und zur Vorlage entsprechender Unterlagen aufgefordert. Nachdem der Steuerpflichtige dieser Aufforderung unzureichend nachkam, wurde ein Zwangsgeld angedroht. Diese Androhung wurde als rechtmäßig angesehen, da die Finanzbehörde zu diesem Zeitpunkt noch keinen konkreten Tat259  A. A.: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 210 f., wonach die Möglichkeit einer Selbstanzeige die Anwendung des Zwangsmittelverbots nicht ausschließe. 260  Vgl. dazu auch: Beckemper, ZIS 2012, 221 (226). 261  BFH v. 1.2.2012 – VII B 234/11, NZWiSt 2012, 278.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO257

verdacht hatte und insoweit noch keine Entdeckung der Tat gegeben war.262 Mangels Selbstbelastung durch die Preisgabe der geforderten Informationen, da über die Selbstanzeige nach § 371 AO Straffreiheit erlangt werden konnte, sei das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO aus Sicht des Bundesfinanzhofes nicht anwendbar. Die Verpflichtung zur Abgabe belastender Informationen an sich lässt sich mit dem nemo-tenetur-Grundsatz nicht vereinbaren; eine Vereinbarkeit ergibt sich erst, soweit die Abgabe der belastenden Informationen zugleich eine Selbstanzeige darstellen würde. Insoweit kann von einem mittelbaren Zwang zur Selbstanzeige und nicht mehr von Freiwilligkeit gesprochen werden.263 c) Zwischenfazit Die pauschale Behauptung, dass eine Selbstanzeige freiwillig sei, kann daher im Ergebnis nicht vollends überzeugen. Natürlich wird weder die „Nichtvornahme einer Selbstanzeige“ als Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft, noch wird versucht werden, die Abgabe einer Selbstanzeige direkt mit Zwangsmitteln nach §§ 328 ff. AO durchzusetzen. Allerdings sind die in einer Selbstanzeige vorzunehmenden Richtigstellungen deckungsgleich mit den Anforderungen an die ohnehin nicht ordnungsgemäß erfüllten und damit fortbestehenden steuerlichen Mitwirkungspflichten. Nachdem nach herrschender Meinung die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige eine Selbstbelastungsgefahr ausschließe und damit das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht anwendbar sei, könnten die ursprünglichen Mitwirkungspflichten und damit mittelbar auch die Selbstanzeige mit Zwang durchgesetzt werden. Einzig das Institut der Selbstanzeige ermöglicht – theo­ retisch – die zwangsweise Erlangung von eigentlich belastenden Informationen. Dies wäre mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit auch legitim: Solange vorhersehbar Straffreiheit nach § 371 Abs. 1 AO eintritt und es damit an einer Selbstbelastung fehlt, wäre die Anwendung von Zwang nicht zu beanstanden.264 In der Praxis wird eine zwangsweise Durchsetzung aufgrund des Ausschlussgrundes des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO jedoch selten erfolgen. Zumeist entscheidet sich ein Steuerstraftäter aus Angst vor Entdeckung oder Reue dafür, sich einer Selbstanzeige zu bedienen – insoweit ist faktisch ein freiwilliges Handeln gegeben. Die theoretische zwangsweise Durchsetzbarkeit der deckungsgleichen steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten ist dem 262  BFH

v. 1.2.2012 – VII B 234/11, NZWiSt 2012, 278 (279). auch: Lübbersmann, PStR 2012, 135; dies verkennend: Beckemper, ZIS 2012, 221 (226). 264  Nach den Verschärfungen der Selbstanzeige wird deren Handhabbarkeit und damit auch die Vorhersehbarkeit der Straffreiheit jedoch stark in Frage gestellt; siehe Fazit: S. 269 ff. 263  So

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Institut der Selbstanzeige unter Zugrundelegung der Sicht der Rechtsprechung dennoch in gewisser Weise immanent. 2. Umfang der Berichtigung a) Ausschluss von Teilselbstanzeigen Während § 371 Abs. 1 AO einen zehnjährigen Berichtigungszeitraum vorschreibt, sind nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO nur die Unrichtigkeiten und Unvollständigkeiten zu berichtigen, die auch tatsächlich nachträglich erkannt wurden. Nachforschungspflichten ergeben sich aus der Norm nicht.265 Aber auch bei einer Berichtigungserklärung nach § 153 AO werden ggf. von der Finanzbehörde Nachforschungen bezüglich der Vollständigkeit der Nach­ erklärung vorgenommen und für den Fall, dass diese unvollständig war, der Verdacht einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO geprüft.266 In Hinblick auf den Pflichtenkreis des § 153 Abs. 1 AO ist es jedoch unerheblich, wenn in ursprünglichen Erklärungen enthaltene, aber nicht erkannte Unrichtigkeiten von der abgegebenen Berichtigung nicht umfasst werden – anders als bei § 371 Abs. 1 AO. Bei der Selbstanzeige ist im Jahr 2011 durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige endgültig entfallen. Seither müssen gemäß § 371 Abs. 1 S. 1 AO zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang Berichtigungen vorgenommen werden, um zur Straffreiheit zu gelangen. Im ersten Entwurf zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz sollte noch statuiert werden, dass die Unwirksamkeit einer Selbstanzeige nur in den Fällen eintreten solle, in denen der Täter wusste oder bei angemessener Sachverhaltswürdigung damit rechnen musste, dass die Selbstanzeige nicht vollständig war.267 Hatte der Anzeigende nicht bewusst etwas verschleiert, hätte ihm die Möglichkeit Straffreiheit zu erlangen weiter offenstehen sollen. In die Gesetzänderung wurde diese Version allerdings nicht aufgenommen, woraus im Umkehrschluss gefolgert werden kann, dass Teilselbstanzeigen insgesamt keine strafbefreiende Wirkung zukommen soll. Wenn also vor Entstehung einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO eine Steuer mit Eventualvorsatz verkürzt wurde, sind insoweit Nachforschungen anzustellen und die Angaben umfassend nachträglich zu berichtigen. Nur dadurch kann zugleich den Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO genügt werden.

265  Siehe

S. 46. Lohmeyer, StB 1990, 192 (195). 267  BT-Drs. 17/4182, S. 5. 266  Vgl.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO259

b) Missglückte Selbstanzeige Hat ein Steuerstraftäter bei einer Finanzbehörde eine berichtigende Erklärung eingereicht, konnte dadurch aber wegen eines Verstoßes gegen das Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO keine strafbefreiende Wirkung mehr erzielt werden, so spricht man üblicherweise von einer „missglückten Selbstanzeige“. Es ist in mehreren Konstellationen denkbar, dass der Steuerpflichtige zwar eine vollständige Selbstanzeige anstrebt, ihm aber keine vollständige Nachmeldung der hinterzogenen Steuern möglich war; sei es, weil er keine vollständige Buchführung vorweisen kann oder weil er schlichtweg Geschäftsvorgänge – ggf. auch einer zeitlichen Distanz geschuldet – vergessen hat oder aber, weil er den Zehn-Jahres-Zeitraum anders als die Finanzbehörde berechnet hat. Steuerrechtlich sind die gegebenen Informationen unstreitig verwertbar und die hinterzogenen Steuern festzusetzen. Dies folgt daraus, dass mit einer Selbstanzeige zugleich die weiterbestehenden steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten erfüllt werden. Dass mit der Nach­ erklärung gleichzeitig das Ziel verfolgt wird, Straffreiheit zu erlangen und dieses Ziel verfehlt wurde, kann auf das Besteuerungsverfahren dabei keinen Einfluss haben.268 Eine missglückte Selbstanzeige kann jedoch schwerwiegende strafrecht­ liche Folgen mit sich bringen, während bei einer missglückten Anzeige nach § 153 AO, der noch keine vorsätzliche Tat voranging, immer noch eine Selbstanzeige möglich ist, um Straffreiheit in Bezug auf die durch den Verstoß gegen § 153 Abs. 1 AO verwirklichte Steuerstraftat zu erlangen.269 Bei einer fehlgeschlagenen Selbstanzeige offenbart der Steuerpflichtige belastende Informationen, die nach herrschender Meinung von der Finanzbehörde als im Rahmen eines Strafverfahrens vollständig verwertbar angesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit eine Ausdehnung des Verwendungsverbotes verneint.270 Dies wurde u. a. damit begründet, dass keine Pflicht zur Abgabe einer Selbstanzeige bestanden und der Erklärende damit freiwillig belastende Angaben gemacht hätte. Auch Beckemper führt an, dass es in den eigenen Risikobereich des Anzeigenden falle, ob die Selbstanzeige eine strafbefreiende Wirkung entfalte und inwieweit die entsprechende Erklärung verwertet werden könne.271 Dies überzeugt jedoch mit Blick auf die 268  Vgl. zur Trennung des steuerlichen Pflichtenkreises von strafrechtlichen Fragestellungen: S. 55. 269  Steinhauff, AO-StB 2015, 337; vgl. zur Selbstanzeige nach einer unterlassenen Berichtigung nach § 153 AO: Stahl, Selbstanzeige, Rn. 32. 270  BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352 (353). 271  Beckemper, ZIS 2012, 221 (221, 226 f.); vgl. auch: Otto, wistra 1983, 233 (234), wonach bei freiwilligen Erklärungen kein Raum für ein Verwertungsverbot bestehe.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

obigen Ausführungen nicht vollends.272 Werden Auskunftspflichten mit Zwang durchgesetzt, da durch die Möglichkeit einer Selbstanzeige keine Selbstbelastungsgefahr bestehe und werden daraufhin strafrechtlich relevante Informationen offenbart, die trotz Sorgfalt und Mühe des Betroffenen und entgegen seiner Überzeugung nicht den Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO genügen, erscheint es unbillig, diese Informationen im Nachgang in einem Strafverfahren gegen ihn zu verwenden. Dies ist ferner vor dem Hintergrund der Verschärfungen der Anforderungen an die Selbstanzeige kritisch zu betrachten. Oft ist es für den einzelnen Steuerpflichtigen nicht mehr möglich, zu überblicken, ob seine Selbstanzeige tatsächlich die bezweckte Wirkung entfaltet bzw. ob ggf. bereits ein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO greift. Bestehen hier Unsicherheiten, „wirkt die Vorschrift wie eine Falle, die den Täter zunächst zur Selbstbezichtigung lockt und ihn dann unerwartet der strafrechtlichen Sanktion ausliefert“.273 In der Praxis sind solch missglückte Selbstanzeigen präjudiziert für eine milde Beurteilung der Verfehlung, nachdem der betroffene Steuerpflichtige durch die Abgabe seiner Erklärung seinen guten Willen zeigt, zur Aufklärung der Rechtsgutsverletzung und damit auch zur Wiedergutmachung beizutragen. Dem kann etwa in Form einer Einstellung des Strafverfahrens gegen Geldauflage (§ 153a StPO) Rechnung getragen werden.274 Dies ist allerdings von Gesetzes wegen nicht zwingend – das Risiko einer missglückten Selbstanzeige würde der Steuerpflichtige letztlich selbst tragen.275 Es genügt damit nicht dem absoluten Schutz der Selbstbelastungsfreiheit, wenn der Betroffene lediglich auf eine milde Bestrafung hoffen dürfte. Ein ausreichender Schutz würde nur unter der Prämisse vorliegen, dass die Straffreiheit als Folge einer Berichtigung sicher vorhergesehen werden könnte. Es erscheint widersprüchlich, Betroffenen zunächst durch § 371 Abs. 1 AO Straffreiheit bei der Offen272  Vgl.

zur „Freiwilligkeit der Selbstanzeige“: S. 254 ff. wistra 2010, 286 (287) dazu, dass als Ausschlussgrund ursprünglich das Erscheinen eines Außenprüfers ausreichte, ohne dass eine zeitliche Begrenzung auf den vorgesehenen Prüfungszeitraum gesetzlich vorgesehen war. Der BGH hat diesen Ausschlussgrund weit ausgelegt und auch die Selbstanzeige für Zeiträume ausgeschlossen, die vom Außenprüfer nicht geprüft worden wären, aber in sachlichem Zusammenhang zu den umfassten Veranlagungszeiträumen standen (BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133). Mittlerweile ist der Ausschlussgrund auf den zeitlichen Umfang einer Prüfungsanordnung beschränkt. Die Kritik Wulfs Unsicherheiten bei der Auslegung von § 371 AO betreffend, hat allerdings nichts an Relevanz verloren; ebenso durch die Verschärfungen einen Verlust an Rechtssicherheit monierend: Kemper, DStZ 2014, 831 (831), wonach die Selbstanzeige durch die Verschärfungen mittlerweile selbst bei fachlicher Beratung „nur schwer handhabbar ist“; ebenso: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 242. 274  Dazu: Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 61. 275  Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 269. 273  Wulf,



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO261

barung belastender Informationen in Aussicht zu stellen – zugleich aber die Anforderungen an die Strafbefreiung derart zu verschärfen, dass der Ausgang einer Selbstanzeige in der Praxis kaum mehr sicher vorhergesagt werden kann und anschließend im Falle einer „missglückten Selbstanzeige“ die Informationen im Strafverfahren gegen den Betroffenen zu verwenden. Derjenige, der sich zur Abgabe einer Selbstanzeige entschließt, setzt sich damit in der Praxis häufig der Gefahr einer Strafverfolgung aus – womit § 393 Abs. 1 S. 2 AO neben der Möglichkeit einer Selbstanzeige und nicht nachrangig anzuwenden wäre. Die praktische Handhabung „missglückter Selbstanzeigen“ lässt sich mit der Einordnung der Selbstanzeige als Schutzinstitut für die absolut geschützte Selbstbelastungsfreiheit daher nur schwer vereinbaren. 3. Spannungsverhältnis zwischen dem Vollständigkeitserfordernis der Selbstanzeige und dem Unverzüglichkeitserfordernis des § 153 AO Des Weiteren besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Vollständigkeitserfordernis der Selbstanzeige respektive dem Ausschluss von Teilselbstanzeigen und dem Unverzüglichkeitserfordernis einer Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO. Zeitlich genügt der Steuerpflichtige seiner Pflicht gemäß § 153 Abs. 1 AO zunächst bereits, wenn die unrichtigen Angaben gegenüber der Finanzbehörde lediglich angezeigt werden. Im Anschluss kann er sich für die Aufarbeitung der Fehlbeträge Zeit lassen: Für die Berichtigungserklärung selbst bestimmt § 153 AO keine eigene Frist. Lediglich die Anzeige hat unverzüglich zu erfolgen.276 Eine Selbstanzeige nach § 371 AO ist dagegen an keine Frist gebunden. Zu beachten sind lediglich die Ausschlussgründe in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a bis e und Nr. 2 AO. Drohen allerdings keine Ausschlussgründe, kann sich der Steuerpflichtige für die Aufarbeitung einer dem Vollständigkeitsgebot genügenden Selbstanzeige so viel Zeit lassen, wie er benötigt. Dabei hat der Steuerhinterzieher nur einen Versuch für eine wirksame Selbstanzeige: Sobald die – wenn auch nicht vollständig erklärten – Steuerfehlbeträge dem Finanzamt bekannt sind, greift der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO.277 Daraus ergibt sich ein Dilemma für die betroffene Person: § 153 Abs. 1 AO erfordert eine unverzügliche Anzeige von Fehlern. Eine bloße Anzeige mit dem Inhalt, dass falsche Angaben gemacht wurden, ist allerdings nicht ausreichend, um zugleich den Anforderun276  Siehe

S. 77. SteuK 2016, 289 (292); eine geringfügige Abweichung von der tatsächlich hinterzogenen Steuer (unter 5 %) wird dabei regelmäßig hingenommen und beeinträchtigt die Wirksamkeit einer Selbstanzeige grds. nicht; ebenso: Schuster, JZ 2015, 27 (28); vgl. auch: Kemper, DStZ 2014, 831 (833 f.); Schaub, ZEV 2011, 624 (626). 277  Wegner,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

gen einer Selbstanzeige nach § 371 AO mit ihrem Vollständigkeitsgebot zu genügen.278 Der Verpflichtete bringt die Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung durch eine Anzeige vielmehr sogar zur Kenntnis der Finanzbehörde und würde damit selbst einen Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO herbeiführen. Besonders bei aufwendigen internen Ermittlungen in Konzernen (sogenannten Internal Investigations) besteht konträr dazu auch die Gefahr, dass eine Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 AO nicht mehr dem Unverzüglichkeitserfordernis entspricht und der Steuerpflichtige dann sehenden Auges in eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO „rutscht“, weil der genaue Umfang der Falschangaben noch ermittelt wird und erste Erkenntnisse ggf. nicht schnell genug weitergegeben werden, um der Unverzüglichkeitsfrist zu genügen. In solchen Konstellationen besteht auch Unsicherheit darüber, wann überhaupt noch Unverzüglichkeit gegeben ist.279 Bei großen Konzernen ist auch die 25.000 Euro-Grenze schnell überschritten, sodass es – sollte eine derartige Umdeutung möglich sein – auch zu hohen Zuschlagszahlungen gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO kommen kann. Daher ist es in der Praxis von höherer Relevanz denn je, zu unterscheiden, ob eine Selbstanzeige gemäß § 371 AO oder eine Anzeige- und Berichtigungserklärung nach § 153 AO bei der Finanzbehörde eingereicht werden muss. Laut AEAO Nr. 5.2 zu § 153 wird dem nemo-tenetur-Grundsatz dadurch Rechnung getragen, dass die ­Anzeige solange als unverzüglich gilt, „wie dem Steuerpflichtigen eine angemessene Zeit zur Aufbereitung einer Selbstanzeige nach § 371 AO zuzu­ gestehen wäre“. Insgesamt besteht hierzu in der Praxis allerdings kaum Rechtssicherheit und die Regelungen lassen sich aufgrund ihrer entgegengesetzten Anforderungen kaum miteinander vereinbaren. 4. Vortatverhalten und die Relevanz von Compliance Wie dargestellt, überschneidet sich nach heute herrschender Meinung das von den Normen vorausgesetzte Vorverhalten zum Teil. Bei einer bedingt vorsätzlichen Abgabe einer unrichtigen Erklärung im Vorfeld sind für eine nachfolgende Berichtigung sowohl § 371 Abs. 1 AO als auch § 153 Abs. 1 AO einschlägig. Dabei besteht jedoch in der Praxis das Problem, dass nachträglich beurteilt werden muss, ob die unerkannte Fehlerhaftigkeit einer Erklärung bedingt vorsätzlich oder bewusst fahrlässig verursacht wurde. Hierbei ist die theoretische Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster 278  Beneke, BB 2016, 2327 (2330); Jesse, BB 2011, 1431 (1440); Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 15; Steinhauff, AO-StB 2015, 337 (338); Wegner, SteuK 2016, 289 (292); vgl. hierzu auch: Stefan Schäfer, PStR 2021, 40 (42). 279  Steinhauff, AO-StB 2015, 337 (338).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO263

Fahrlässigkeit bereits umstritten; ebenso bereitet die praktische Abgrenzung regelmäßig Probleme. Im Anwendungserlass zu § 153 AO wurde versucht mit Compliance-Systemen ein Kriterium zu implementieren, das in der Praxis die Abgrenzung zwischen Vorsatz und fehlender Vorwerfbarkeit im Vorfeld erleichtern soll. Das Bestehen eines Tax-Compliance-Management-Systems (Tax-CMS) kann laut AEAO Nr. 2.6 zu § 153 ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen von Vorsatz oder Leichtfertigkeit spricht. Im Umkehrschluss lässt sich daraus ableiten, dass das Fehlen eines Tax-ComplianceManagement-Systems ein (widerlegbares) Indiz für das Vorliegen von dolus eventualis ist, da dadurch Steuerausfälle billigend in Kauf genommen werden. Neuling warnt jedoch davor, in der Praxis bei Fehlen eines Tax-Compliance-Management-Systems automatisch Vorsatz zu vermuten.280 Aber dennoch: Durch diese Feststellung im Anwendungserlass wird in der Praxis eine Abgrenzung zwischen einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO und § 371 AO erleichtert und versucht mehr Rechtssicherheit zu erlangen.281 ­Dabei sind „unter einem Compliance-Management-System (CMS) […] die auf der Grundlage der von den gesetzlichen Vertretern festgelegten Ziele eingeführten Grundsätze und Maßnahmen eines Unternehmens zu verstehen, die auf die Sicherstellung eines regelkonformen Verhaltens der gesetzlichen Vertreter und der Mitarbeiter des Unternehmens sowie ggf. von Dritten abzielen, d. h. auf die Einhaltung bestimmter Regeln und damit auf die Verhinderung von wesentlichen Verstößen (Regelverstöße)“.282 Compliance hat zudem die Funktion, bereits dem Vorwurf einer derartigen Straftat vorzubeugen.283 Zum einen ist diese Regelung begrüßenswert: Dem Steuerpflichtigen wird dadurch die Chance gegeben, „geeignete Kontrollmechanismen zu implementieren, um in den Genuss einer sogenannten Enthaftung vom Vorwurf des (bedingten) Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit zu kommen“.284 Sie erhöht für Unternehmen aber auch die Relevanz einer Etablierung eines ausreichenden Tax-Compliance-Systems.285 Dabei ist nicht klar umrissen, welche Anforderungen ein solches innerbetriebliches Kontrollsystem erfüllen muss, was – konträr zum eigentlichen Zweck des Anwendungserlasses – zu RechtsDStR 2016, 1652 (1657). BB 2016, 2455 (2457); vertieft zur Abgrenzung von § 153 Abs. 1 AO und § 371 Abs. 1 AO siehe S. 253 ff. 282  IDW Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax-ComplianceManagement-Systems gemäß IDW PS 980 (Stand: 31.5.2017); vgl. auch: Gotzens, in: FS Streck, S. 519 (530). 283  Neuling, DStR 2015, 558 (560). 284  Beneke, BB 2016, 2327 (2333); ebenso: Geuenich, NWB 2016, 2560 (2566 f.). 285  Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1692); Beneke, BB 2016, 2327 (2327); vgl. Kamchen, NWB 2017, 3954 kritisch dazu, dass kleinere oder mittlere Unternehmen sich die Einrichtung eines Compliance-Management-Systems oft nicht leisten können oder wollen. 280  Neuling,

281  Erdbrügger/Jehke,

264

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

unsicherheit führt.286 Aufgrund individueller Unternehmensstrukturen und -verhältnisse lässt sich kein allgemeingültiger Mindeststandard für ein TaxCompliance-Management-System entwickeln.287 So ist der Ermessensspielraum der Finanzbehörden groß genug, um ein etwaiges Compliance-System als unzureichend zu werten und dennoch einen bedingten Vorsatz im Rahmen einer Steuerhinterziehung zu bejahen.288 Auf die expliziten Anforderungen einer praktischen Ausgestaltung eines Tax-Compliance-Management-Systems soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Hat ein Experte – sei es ein Steuerberater oder die Finanzbehörde im Rahmen einer verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO – ein Compliance-System als ausreichend bewertet, so wird jedenfalls der Vorsatz hinsichtlich einer möglichen Steuerhinterziehung nicht mehr bejaht werden können.289 Auch das Vorhandensein eines Tax-Compliance-Management-Systems ist jedoch nur ein Indiz gegen eine vorsätzliche Tat und kein Freibrief für die Begehung von Straftaten.290 5. Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO § 153 AO sieht keine § 371 Abs. 2 AO entsprechenden Sperrgründe vor.291 Auch dies birgt in der Praxis Potential für Konflikte. Beispielhaft ist der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a AO anzuführen, wonach mit Ergehen einer Außenprüfungsanordnung keine Straffreiheit mehr erlangt werden kann. Dabei findet in Vorbereitung auf eine angekündigte Betriebsprüfung wohl regelmäßig eine nochmalige Durchsicht eingereichter Erklärungen statt.292 Werden bei dieser Durchsicht – auch in Rücksprache mit einem steuerlichen Berater – nun Unrichtigkeiten in der Erklärung erkannt 286  Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2457–2459); Hornig, PStR 2019, 291 (297 f.); Kowallik, DB 2015, 2774; Madauß, NZWiSt 2016, 343 (347); Neuling, DStR 2015, 558 (563); als Richtlinie wird grds. „IDW Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax-Compliance-Management-Systems gemäß IDW PS 980“ (Stand: 31.5.2017) herangezogen. Auf Initiative des Bundesministeriums der Finanzen wurden von einer IDW-Arbeitsgruppe auf Basis des bereits bestehenden IDW PS 980 in einem Praxishinweis die Anforderungen an ein Tax-Compliance-ManagementSystem ausgearbeitet, das den Anforderungen des AEAO Nr. 2.6 zu § 153 genügen soll. 287  Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2461); Geberth/Welling, DB 2015, 1742; Kowallik, DB 2015, 2774; Wegner, PStR 2014, 19; Wulf, wistra 2016, 337 (338). 288  Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2459). 289  Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2459 f.). 290  Wegner, SteuK 2016, 289 (292); ders., PStR 2014, 19. 291  Vgl. Beneke, BB 2016, 2327 (2330); Webel, PStR 2012, 218 (219). 292  Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (185); vgl. auch: Spatscheck, DB 2013, 1073 (1075) in Bezug auf § 371 Abs. 1 AO und die Vorverlagerung des Sperrgrundes nach



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO265

und damit der Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 AO eröffnet, ist eine Selbstanzeige ausgeschlossen. Eine Selbstanzeige hätte es in den Fällen des bedingten Vorsatzes im Vorfeld respektive in den Fällen, in denen anzunehmen ist, dass die Finanzbehörde von einer vorangegangenen vorsätzlichen Steuerhinterziehung ausgehen wird, aber bedurft. Bei Zugrundelegung der Sicht der Rechtsprechung bestünde damit eine strafbewehrte Pflicht zur Aufdeckung der ursprünglichen Steuerhinterziehung. 6. Zuständiger Adressat Die Selbstanzeige kann gegenüber jeder Finanzbehörde i. S. d. § 6 Abs. 2 AO abgegeben werden.293 Erklärungen nach § 153 Abs. 1 AO sind hingegen beim örtlich zuständigen Finanzamt einzureichen.294 Eine Einreichung beim unzuständigen Finanzamt erfüllt zwar auch die Pflicht nach § 153 AO – hinsichtlich der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO ist allerdings der Eingang beim zuständigen Finanzamt maßgeblich.295 7. Berichtigungszeitraum Der zu berichtigende Zeitraum richtet sich im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 S. 1 AO nach dem Ablauf der Festsetzungsverjährung. Je nachdem, wie das Vorverhalten des Berichtigungspflichtigen qualifiziert wird, gilt die reguläre Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 1 AO oder die verlängerte Festsetzungsfrist von fünf bzw. zehn Jahren nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO. Soweit mit den ursprünglichen Mängeln keine Steuerhinterziehung verwirklicht wurde, sind nur die Veranlagungszeiträume zu korrigieren, die von der regulären Festsetzungsfrist umfasst sind. Wurde ursprünglich eine Steuerhinterziehung verwirklicht, wird die verlängerte Verjährungsfrist auch in den Fällen angewandt, in denen die Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO zugleich eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO darstellen und nachträglich Straffreiheit eintreten würde.296 Die zehnjährige Festsetzungsverjährung findet in diesem Kontext außerdem noch Anwendung, wenn durch eine Verletzung der Pflicht des § 153 Abs. 1 AO eine Steuerhinterziehung verwirk§ 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO vom körperlichen Erscheinen des Prüfers auf die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung. 293  Jäger, in: Klein, § 371 AO, Rn. 60. 294  BFH v. 22.1.1997 – II B 40/96, BStBl. II 1997, 266; BFH v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595. 295  BFH v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl. II 2008, 595. 296  BFH v. 8.7.2009 – VIII R 5/07, BStBl. II 2010, 583; BFH v. 26.2.2008 – VIII R 1/07, BStBl. II 2008, 659; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 169 AO, Rn. 13.

266

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

licht wurde. In diesen Fällen besteht die Berichtigungspflicht grundsätzlich dennoch weiter – die Verjährungsfrist verlängert sich jedoch nachträglich auf zehn Jahre. Für die Selbstanzeige ist dagegen im Grundsatz die Strafverfolgungsverjährung maßgeblich. § 371 Abs. 1 S. 2 AO verlangt – wie dargestellt – eine Berichtigung aller unverjährten Steuerstraftaten, mindestens aber eine Berichtigung aller Steuerstraftaten der letzten zehn Jahre. Durch die Ausweitung auf zehn Kalenderjahre soll ein Gleichlauf mit der Festsetzungsverjährungsfrist für Steuerstraftaten nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO erreicht werden. Dabei macht es bei veranlagungszeitraumübergreifenden Sachverhalten einen großen Unterschied, ob nun Unrichtigkeiten der letzten ein bzw. vier Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder 2 AO) oder der letzten fünf bzw. zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) nacherklärt werden müssen. In der Praxis liegt der Abgrenzungsfrage die Problematik zugrunde, dass mit dem „nachträg­ lichen Erkennen“ ein subjektives Merkmal vorliegt, unter das von dem betroffenen Steuerpflichtigen bzw. seinem Steuerberater und der Finanzbehörde nicht zwingend gleich subsumiert werden muss.297 Es ist somit nur bedingt vorhersehbar, ob die Finanzbehörde die Abgabe einer unrichtigen Erklärung als vorsätzliche Steuerhinterziehung ansieht oder nicht.298 Für den Steuerpflichtigen bleibt das nicht unerhebliche Risiko der korrekten Qualifizierung seiner Tat.299 Während auf Seiten des Steuerpflichtigen von einer zunächst lediglich schuldlosen unrichtigen Erklärung ausgegangen wird, kann die Finanzbehörde alleine aufgrund des Fehlens von Compliance-Maßnahmen dolus eventualis und damit eine Strafbarkeit im Vorfeld bejahen.300 Die letzt297  Vgl. Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 130; Beneke, BB 2016, 2327 (2327); Beyer, NZWiSt 2016, 234 (235); Füllsack/Bürger, in: Quedenfeld/Füllsack, Rn. 661; Kranenberg, AO-StB 2011, 344; Ludwig/Breimann/Kusch, DStR 2016, 2240 (2240); Madauß, NZWiSt 2016, 343 (347); vgl. auch Sell, DB 42/2014, Standpunkte, 1, der ebenfalls der Abgrenzung, ob die ursprüngliche Erklärung vorsätzlich oder nicht vorwerfbar falsch abgegeben wurde, Rechtsunsicherheit und Streitpotential zuschreibt. Seines Erachtens komme dieser Problematik vornehmlich bei Abschaffung der Selbstanzeigemöglichkeit Relevanz zu, wenn bei einer vorsätzlichen Tat im Vorfeld durch die Berichtigung keine Straffreiheit mehr erlangt werden könne. 298  Vgl.: Neuling, DStR 2015, 558 (562 f.), der anmerkt, „dass die Finanzverwaltung regelmäßig automatisch und formelhaft behauptet, die objektive Steuerverkürzung sei wenigstens bedingt vorsätzlich verursacht worden“; zur in der Praxis schweren Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit: Madauß, NZWiSt 2016, 343 (347); Randt, in: FS Schaumburg, S. 1255 (1256 f.); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (107); nach Wenzel, Das Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, S. 110 sollte das Anforderungsprofil an die Beurteilung von Vorsatz in der Praxis für das Steuerstrafrecht im Unterschied zu den für eine Tötung entwickelten Abgrenzungskriterien erhöht werden. 299  Bilsdorfer, DStR 2015, 1660 (1663); Carlé, AO-StB 2019, 123 (124 f.). 300  Umkehrschluss aus AEAO Nr. 2.6 zu § 153.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO267

endliche Qualifikation wird von der Finanzbehörde bzw. den Finanzgerichten vorgenommen, sodass der Steuerpflichtige bzw. sein steuerlicher Berater im Vorfeld die Gefahren einer Umqualifikation abwägen muss – daraus ergeben sich große Unsicherheiten für die Praxis.301 Auch daher wird einer klaren Differenzierung der beiden Institute eine hohe praktische Relevanz zugeschrieben. Diese Relevanz ist ebenfalls erst mit den Verschärfungen der Selbstanzeige und v. a. mit dem Entfallen der Möglichkeit einer Teilselbstanzeige gestiegen.302 8. Höhe des nachzuzahlenden Betrags Die Höhe des Nachzahlungsbetrags variiert nicht nur danach, ob die verlängerte Festsetzungsverjährung Anwendung findet oder nicht. Bei einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO sind zur regulären Steuerlast ggf. noch Zinsen nach § 233a AO zu zahlen. Im Falle einer Selbstanzeige muss der Steuerpflichtige dagegen, um Straffreiheit zu erlangen, nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO zusätzlich zu den hinterzogenen Steuern auch noch Hinterziehungszinsen nach § 235 AO entrichten.303 Im Einzelfall kann sich daher durch die zusätzlichen Hinterziehungszinsen eine sehr viel höhere Nachzahlungssumme ergeben, als wenn die Finanzbehörde im Vorfeld keinen Vorsatz annimmt. Bei Hinterziehungszinsen von 6 % p. a.304 und einem möglichen Nachforderungszeitraum von 15 Jahren kann sich damit eine Zinsbelastung der Steuernachforderung von insgesamt bis zu 90 % ergeben.305 Hinterziehungszinsen 301  Beyer, NZWiSt 2016, 234 (235); Carlé, AO-StB 2019, 123 (124); Erdbrügger/ Jehke, BB 2016, 2455 (2455); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 26; Neuling, DStR 2015, 558 (562); nach Neuling, DStR 2016, 1652 (1655) findet zwar der Zweifelssatz in dubio pro reo Anwendung, da der Fiskus die Beweislast für das vorsätzliche Handeln im Vorfeld trägt, allerdings setzt die Anwendung des Zweifelssatzes voraus, dass Zweifel am Vorsatz bestehen. Auch insoweit kann sich somit keine Rechtssicherheit in der Praxis ergeben. 302  Vgl. BT-Drs. 18/3439, S. 7; Beyer, NZWiSt 2016, 234 (235). 303  § 233a-Zinsen und Hinterziehungszinsen summieren sich dabei nicht auf, da die Zinsen nach § 233a AO gem. § 235 Abs. 4 AO auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen sind. 304  Hierzu ist der Beschluss des BVerfG v. 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2411/17, DStR 2021, 1934) zu beachten, worin eine Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen mit jährlich 6 % ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt wurde. 305  Hunsmann, NJW 2015, 113 (117), noch mit einer Höchstgrenze von 60 %, da 2015 die Verfolgungsverjährung für besonders schwere Fälle noch 10 Jahre betrug (§ 376 Abs. 1 AO a. F.). Mit dem Jahressteuergesetz v. 29.12.2020 (JStG 2020), BGBl. I 2020, 3096 (3128), wurde die Verfolgungsverjährungsfrist für besonders schwere Fälle auf 15 Jahre angehoben. Wird die Verfolgungsverjährung durch ein Ruhen stark ausgedehnt (vgl. § 376 Abs. 3 AO), kann die Zinsbelastung sogar noch

268

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

sollen eigentlich keinen Strafcharakter haben, sondern lediglich den vom Steuerpflichtigen durch die Hinterziehung erlangten Zinsvorteil abschöpfen.306 Dabei ist jedoch die Frage aufzuwerfen, ob ihnen nicht ein Strafcharakter zukommt, wenn der Steuerpflichtige durch eine „Pflicht zur Selbstanzeige“ gezwungen ist, die für ihre Festsetzung erforderlichen Besteuerungsgrundlagen zu liefern. 9. Nachentrichtungspflicht Gemäß § 371 Abs. 3 S. 1 AO erlangt der Täter nur Straffreiheit, wenn er den Nachzahlungsbetrag innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist entrichtet. Bei § 153 AO ist die Nachzahlung zur Vermeidung einer „neuen“ Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erforderlich – es ist lediglich der erkannte Fehler gegenüber der Finanzbehörde zu berichtigen.307 Bei mangelnder Liquidität ist eine Beachtung dieses Unterschieds essentiell.308 Die Erlangung der Straffreiheit im Rahmen der Selbstanzeige ist dabei auch an die „wirtschaftliche Potenz“ des Steuerpflichtigen geknüpft.309 10. Grenze von 25.000 Euro gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO Übersteigt der im Rahmen der ersten Steuerhinterziehung hinterzogene Betrag 25.000 Euro oder handelt es sich dabei um einen besonders schweren Fall i. S. v. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis Nr. 6 AO, ist gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 4 AO keine strafbefreiende Selbstanzeige mehr möglich. Stattdessen ermöglicht § 398a Abs. 1 AO lediglich ein „Absehen von Strafe“. Auf die Rechtsfolgen und Voraussetzungen dieser Norm wird in einem späteren Teil vertieft eingegangen.310 Im Vergleich dazu unterliegt die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO keiner Höchstgrenze. Ging einer entstandenen Pflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO also eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung mit einem Hinterziehungsbetrag über 25.000 Euro voraus, ist zu beachten, dass durch eine Berichtigung diesbezüglich über § 371 Abs. 1 AO keine Straffreiheit mehr eintreten kann.

weit höher ausfallen (jedenfalls nach der derzeit geltenden Regelung; vgl. Kap. 3 Fn. 304). 306  BFH v. 27.8.1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9. 307  Vgl. dazu Webel, PStR 2012, 218 (219); Weigell, in: Kuhn/Weigell/Görlich, Rn. 25. 308  Wessing/Biesgen, NJW 2010, 2689 (2691). 309  Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (365). 310  Siehe S. 271 ff.



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO269

11. Außerstrafrechtliche Folgen Obwohl strafrechtliche Folgen durch eine wirksame Selbstanzeige umgangen werden können, besteht für andere Verwaltungsbehörden dennoch die Möglichkeit, aus der Verwirklichung des Hinterziehungstatbestandes Schlüs­se zu ziehen. Somit können sich trotz Straffreiheit negative Auswirkungen für den Steuerpflichtigen ergeben.311 Exemplarisch können dafür die Einstufung als „unzuverlässig“ und eine daraus folgende Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO, die Versagung, die Rücknahme oder der Widerruf einer Gaststättenerlaubnis nach §§ 4, 15 GastG oder sogar die Ausweisung eines Ausländers nach § 45 AuslG angeführt werden. Unabhängig von der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige im Strafverfahren können Beamte weiterhin in einem Disziplinarverfahren geahndet werden.312 Die Zulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen trotz strafbefreiender Selbstanzeige ist auf die unterschiedlichen Zwecke der beiden Verfahren zurückzuführen: Während das Strafverfahren Unrecht bestrafen soll, soll das Disziplinarverfahren das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und Ehrlichkeit des öffentlichen Dienstes schützen.313 Als Sanktionen im Disziplinarverfahren kommen beispielsweise die Kürzung von Bezügen, die Aberkennung der Pension oder sogar die Entfernung aus dem Staatsdienst in Betracht.314 Dies macht deutlich, dass im Grenzbereich zwischen § 371 Abs. 1 AO und § 153 Abs. 1 AO die Einreichung einer Berichtigung gut überlegt sein sollte – der nemotenetur-Grundsatz schützt lediglich vor einer Selbstbelastung in Bezug auf ein drohendes Strafverfahren. Die Gefahr außerstrafrechtlicher Folgen soll daher lediglich kurz aufgezeigt werden; sie ändert jedoch nichts daran, dass eine wirksame Selbstanzeige dem nemo-tenetur-Prinzip im Grundsatz Genüge tun könnte. 12. Fazit Der Versuch einer pauschalen Abgrenzung von § 153 Abs. 1 AO zu § 371 AO kommt im Ergebnis wohl einer „Quadratur des Kreises“ gleich – diese Selbstanzeige, Rn. 17, sowie im Folgenden. wistra 2019, 48 (48); Rau, in: FS Streck, S. 537 (552); Rolletschke/ Roth, Selbstanzeige, Rn. 21; vgl. auch: Brauns, in: FS Kohlmann, 387 (410 f.), der jedenfalls zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO durch die Weitergabe von Informationen für ein Disziplinarverfahren eine „VorabBewertung des disziplinarischen Gewichts“ fordert. Die Finanzbehörde müsse vorab prüfen, ob tatsächlich ein „zwingendes öffentliches Interesse“ an der Durchführung eines Disziplinarverfahrens bestehe. 313  Gehm, wistra 2019, 48 (48); Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 21. 314  Gehm, wistra 2019, 48 (48 f.). 311  Rolletschke/Roth, 312  Gehm,

270

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

kann immer nur im Einzelfall erfolgen.315 Bei einer Gesamtbetrachtung wird deutlich, dass beide Normen unterschiedliche und zum Teil konträre Anforderungen an eine Berichtigung stellen. Eine pauschale Gleichsetzung der Erklärungen nach § 153 Abs. 1 AO und § 371 Abs. 1 AO ist damit nicht möglich. Soweit allerdings im Einzelfall die Abgabe einer Berichtigungs­ erklärung in einer Form möglich ist, die auch den Anforderungen einer Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO genügt, wäre der nach § 153 Abs. 1 AO Verpflichtete nicht gezwungen sich strafrechtlich selbst zu belasten. Die zugleich als Selbstanzeige einzuordnende Berichtigung würde lediglich steuerrechtliche, aber keine strafrechtlichen Konsequenzen herbeiführen, sodass insoweit kein Selbstbelastungszwang besteht. Dass der Steuerpflichtige als Konsequenz der Selbstanzeige zur vollständigen Nachzahlung der verkürzten Steuerbeträge verpflichtet wird, stellt keine übergebührliche Belastung dar, da den ehrlichen Steuerbürger eine ebensolche finanzielle Belastung durch die Zahlung von Steuern trifft.316 Auch dass der Betroffene Hinterziehungszinsen nach § 235 AO entrichten muss, stellt keine „Strafe“ dar, sondern soll lediglich den durch die Hinterziehung erlangten Zinsvorteil abschöpfen.317 Allerdings ist die Erlangung der Straffreiheit über § 371 Abs. 1 AO streng an die „wirtschaftliche Potenz“ des Steuerpflichtigen geknüpft, sodass, auch wenn die Berichtigungserklärung die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO erfüllen sollte, dies – vor allem bei mangelnder Liquidität – kein Garant für die Erlangung von Straffreiheit ist.318 Salditt kritisiert, dass dadurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu einer Bedingung innerhalb des nemo-tenetur-Grundsatzes wird – ein Zustand der im Strafrecht unzulässig sei.319 Ferner ist kritisch zu betrachten, dass aufgrund der gestiegenen und in der Praxis oft schwer überschaubaren Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige, diese nur noch einen bedingten Schutz vor einer Selbstbelastung bieten kann – insoweit hat die Selbstanzeige als Schutzinstitut stark an Handhabbarkeit eingebüßt.320 Auch ist zu beachten, dass der Steuerpflichtige bei Vorliegen einer Berichtigungspflicht nach § 153 AO aufgrund deren – nach herrschender Meinung bestehenden – Strafbewehrung faktisch keine andere Wahl NZWiSt 2016, 234 (235). ZIS 2012, 221 (227); Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (184); Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (457); ebenso: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 58, der klarstellt, dass die Besteuerung weder ein Unwerturteil ausdrückt noch eine Sanktion darstellt. 317  Vgl. BFH v. 31.7.1996 – XI R 82/95, BStBl. II 1996, 554; BFH v. 12.10.1993 – VII R 44/93, BStBl. II 1994, 438; Loose, in: Tipke/Kruse, § 235 AO, Rn. 1. 318  Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (365); ebenso: Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 100. 319  Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (292 f.). 320  So auch: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 243. 315  Beyer,

316  Beckemper,



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO271

hat, als sich selbst zu belasten. Damit erscheint es unsachgemäß, ihm auch das Risiko einer Verwertbarkeit aufzubürden. Kann die Straffreiheit als Rechtsfolge der Berichtigung daher nicht sicher vorhergesagt werden, kann dem Betroffenen die Abgabe einer Berichtigung im Lichte des nemo-teneturGrundsatzes nicht ohne zusätzlichen Schutz, beispielsweise durch ein Verwertungsverbot, zugemutet werden. Eine Umqualifikation einer Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO in eine Selbstanzeige bietet damit jedenfalls keine abschließende Gewährleistung des nemo-tenetur-Grundsatzes im Steuer(straf)recht.

IV. Einordnung des § 398a AO Die Novellierungen der Selbstanzeige und die damit einhergehende Einführung einer betragsmäßigen Grenze sowie des § 398a AO als Ausgleichsnorm haben eine Umdeutung einer Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO in eine Selbstanzeige weiter erschwert. Es ist bisher nicht geklärt, wie sich die Vorschrift des § 398a AO zu § 153 Abs. 1 S. 1 AO verhält. So ist vor allem unklar, ob die Vorschrift trotz des enthaltenen „Strafzuschlages“ ebenso wie § 371 AO eine Selbstbelastung ausschließen und dadurch die Zumut­ barkeit einer Berichtigung herstellen soll. Wäre dies der Fall, müsste im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 AO ab einer Steuerverkürzung über 25.000 Euro immer angedacht werden, zur Sicherung einer etwaigen Straffreiheit zusätzlich zur Berichtigung einen Zuschlag von bis zu 20 % des hinterzogenen Betrages zu entrichten, was eine erhebliche Belastung darstellen würde. Um diesen grundlegenden Punkt zu klären, sind auch vorab der Hintergrund des § 398a AO sowie seine Voraussetzungen und Rechtsfolgen darzustellen und die Frage aufzuwerfen, inwiefern insoweit eine Handhabbarkeit der Norm gegeben ist. 1. Historie a) Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.4.2011 § 398a AO wurde im Jahr 2011 durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.4.2011 eingeführt.321 Beweggrund für die Einführung der Zahlung nach § 398a AO war unter anderem, dass der säumige Steuerpflichtige mit 1,0 % Säumniszuschlag höher belastet war als derjenige, der Steuern hinterzogen hatte und nur 0,5 % Hinterziehungszinsen nach §§ 235 Abs. 1 S. 1, 238 Abs. 1 S. 1 AO zahlen musste. Der Steuerpflichtige, der seine Steuern richtig und rechtzeitig festsetzen ließ, diese dann allerdings verspätet entrich321  BGBl. I

2011, S. 676 ff.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

tete, stand also schlechter als derjenige, der aufgrund seines Verhaltens eine verspätete Festsetzung oder eine Nicht-Festsetzung von Steuern herbeiführte und durch eine Selbstanzeige anschließend wieder straffrei wurde. Dies führte dazu, dass Selbstanzeigen als strategisches Instrument genutzt und erst abgegeben wurden, wenn beispielsweise belastende Daten-CDs auftauchten.322 Die Norm des § 398a AO ist damit Ausdruck des gesetzgeberischen Wunsches, bei hohen Hinterziehungsbeträgen eine strafbefreiende Selbstanzeige nicht mehr ohne weitere Hürden zuzulassen.323 Der Gesetzgeber hat durch diese Neuregelung ein zweigeteiltes Selbstanzeigensystem geschaffen.324 Die Vorschrift wurde dabei an die Einstellung gemäß § 153a StPO angelehnt.325 Der Zuschlag sollte ursprünglich als steuerliche Nebenleistung gemäß § 3 Abs. 4 AO geführt werden, die generalpräventiv zur korrekten und vollständigen Abgabe von Steuererklärungen bewegen und außerdem den durch die spätere Anzeige veranlassten Zusatzaufwand der Finanzverwaltung ausgleichen soll.326 Nachdem die Zustimmung des Bundesrates allerdings nicht zu erwarten war, wurde das Gesetz als Einspruchsgesetz behandelt, woraus sich allerdings zwangsläufig ableiten lässt, dass die Zahlung nicht als steuerliche Nebenleistung eingeordnet werden kann.327 Der 2011 eingeführte Zuschlag lässt sich damit keiner steuerlichen Kategorie zuordnen.328 Er betrug ab einem hinterzogenen Betrag von 50.000 Euro 5 % des hinterzogenen Betrags. b) AO-Änderungsgesetz vom 22.12.2014 Das AO-Änderungsgesetz vom 22.12.2014329 hat die Voraussetzung einer strafbefreienden Selbstanzeige ab dem 1.1.2015 noch weiter deutlich verschärft. Zum einen wurde der Betrag, bis zu dem eine Steuerhinterziehung ohne Zahlung eines Zuschlags nach §  398a AO straffrei blieb, von 50.000 Euro auf 25.000 Euro abgesenkt.330 Zum anderen wurde die Ausgestaltung des Zuschlags modifiziert: Der zu zahlende Prozentsatz wurde gestaffelt und erhöht. Außerdem wurden mehrere Punkte, die in der Praxis wistra 2011, 281 (282). wistra 2011, 281 (285). 324  Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (487). 325  BT-Drs. 17/5067 (neu) S. 19 f. 326  Joecks, in: JJR, § 398a AO, Rn. 4. 327  Joecks, in: JJR, § 398a AO, Rn. 4 f. 328  Joecks, in: JJR, § 398a AO, Rn. 4; vgl. auch: Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (116). 329  BGBl. I 2014, 2415 (2416). 330  Kritisch insoweit: Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 9, wonach die Grenze willkürlich erscheine. 322  Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf, 323  Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf,



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO273

stark umstritten waren, klargestellt. § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO wurde als Ausschlusstatbestand neu eingefügt.331 Die Neufassung macht deutlich, dass nicht nur der Täter, sondern jeder „an der Tat Beteiligte“ von der Norm erfasst ist.332 In Absatz 2 wurde eine Klarstellung zur Anwendung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 AO für die Bemessung des Hinterziehungsbetrages eingeführt.333 Absatz 3 regelt nun die Wiederaufnahme und der neu eingeführte Absatz 4 stellt klar, dass ein gezahlter Zuschlag nicht erstattet wird, wenn die Rechtsfolge des Absatzes 1 nicht eintritt. 2. Inhalt § 398a AO stellt eine Komplementärvorschrift zu § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und Nr. 4 AO dar334 und sieht vor, dass von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen wird, wenn der an der Tat Beteiligte aufgrund von § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 AO durch eine ansonsten wirksame Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO keine Straffreiheit erlangen kann, aber nach § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO sowohl den hinterzogenen Betrag, die Zinsen nach § 233a und § 235 AO als auch einen Geldbetrag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO innerhalb einer angemessenen Frist entrichtet. a) Eröffnung des Anwendungsbereichs Der Anwendungsbereich des § 398a AO ist eröffnet, wenn zum einen § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 AO einschlägig ist und zum anderen kein übriger Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt.335 Sind die Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a bis e oder Nr. 2 AO gegeben, ist eine Selbstanzeige endgültig ausgeschlossen. aa) § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO Der Anwendungsfall der Norm ist zum einen eröffnet, wenn die verkürzte Steuer oder der erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 Euro je Tat übersteigt und daher gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO eine 331  Dies

(357).

332  Vgl.

als „folgerichtige Erweiterung“ bezeichnend: Seer, in: FS Wessing, S. 350

Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 27. war nach alter Rechtslage stark umstritten, siehe: Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 35; die Anwendung des Kompensationsverbots vor der Klarstellung noch verneinend: Külz/Maurer, PStR 2013, 150 (150). 334  Hunsmann, PStR 2011, 288 (288). 335  Füllsack/Bürger, in: Quedenfeld/Füllsack, Rn. 617. 333  Dies

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

reguläre Selbstanzeige ausgeschlossen ist. Anders als § 153a StPO sieht § 398a AO keine Begrenzung bezüglich der Deliktsschwere vor.336 Dabei ist bereits fraglich, worin eine Tat i. S. d. Norm zu sehen ist. Regelmäßig bestimmt sich eine Steuerstraftat nach Steuerpflichtigem, Steuerart und dem Veranlagungszeitraum – dabei ist jede einzelne Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung im Grundsatz als selbstständige Tat zu qualifizieren und es findet keine Addition der Hinterziehungsbeträge der einzelnen Taten statt.337 Werden – wie in der Praxis üblich – Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung mit inhaltlich korrespondierenden, unrichtigen Angaben gemeinsam beim Finanzamt eingereicht, so können die jeweiligen Hinterziehungsbeträge ausnahmsweise zu einer einheitlichen materiellen Tat verknüpft werden.338 Eine derartige Verknüpfung der einzelnen Taten zu einem „Berichtigungsverbund“ wurde jedoch vom Finanzausschuss nicht vorgesehen – selbiger stellt auf die einzelnen Steuerarten als gesonderte Anknüpfungspunkte ab.339 Allerdings fehlt es an einer gesetzlichen Manifestation dieser Grundidee.340 In Bezug auf eine Berichtigungspflicht eines Gesamtrechtsnachfolgers nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO ist wiederum problematisch, ob die Hinterziehungsbeträge des Rechtsvorgängers kumuliert zur ­Beurteilung der Grenze von 25.000 Euro zu betrachten sind.341 Weiterhin ist unklar, ob für die Betragsgrenze auf den „nominellen Verkürzungsbetrag“ oder lediglich den „strafzumessungsrelevanten Steuerschaden“ abzustellen ist.342 Nach herrschender Meinung findet das Kompensationsverbot des

336  Vgl.

Hunsmann, PStR 2011, 288 (288). v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NJW 2005, 374; Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 34; Grötsch, wistra 2016, 341 (342); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1076). 338  BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, DStR 2016, 914 (915); BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 220/04, NStZ 2005, 516; Spatscheck, DB 2013, 1073 (1076). Dabei ist gem. Wulf, Stbg 2015, 160 (163) je nach Art der Abgabe zu unterscheiden. Bei Elster (Elektronische Steuererklärung, Steuerverwaltungsprogramm der deutschen Steuerverwaltungen) liegt im Übersendungsvorgang jeder einzelnen Steuererklärung eine eigene Tat. Bei der Abgabe in Papierform und wenn nach der Übermittlung mit Elster noch nachträglich Vordrucke per Post nachgereicht werden müssen, ist in der gemeinsamen körperlichen Einreichung der Unterlagen eine einheitliche Tat zu sehen. 339  BT-Drs. 17/5067, S. 21. 340  Grötsch, wistra 2016, 341 (342). 341  Heuel, wistra 2015, 289 (294 f.). 342  Erb/Schmitt, PStR 2011, 144 (146); Schwartz/Külz, PStR 2011, 249 (252); zur Diskussion vgl. Grötsch, wistra 2016, 341 (342) m. w. N., der sich jedoch i. E. dafür ausspricht, das Kompensationsverbot bei der Beurteilung der Grenze des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO gerade nicht anzuwenden, da sich durch die Anwendung eine nicht zweckmäßige Härte für die Betroffenen ergeben würde. 337  BGH



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO275

§ 370 Abs. 4 S. 3 AO für die Bestimmung des Schwellenwerts Anwendung.343 Dabei wird jedoch nicht zwischen einer Steuerverkürzung „auf Zeit“ und einer „auf Dauer“ unterschieden – obwohl bei einem Steuerpflichtigen, der seine Erklärung nur einige Monate verspätet abgibt, „eine geringere kriminelle Energie“ gegeben ist.344 Eine Unterscheidung ergibt sich nur für Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen, für welche unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrages vorrangig § 371 Abs. 2a AO einschlägig ist.345 Es erscheint mit Blick auf den Normzweck jedoch auch für übrige Steuererklärungen unbillig, Betroffenen, die dem Staat einen Schaden in unterschiedlicher Höhe zugefügt haben, denselben Zuschlag aufzuerlegen, um zur Straffreiheit zu gelangen. Eine Ansicht legt daher in diesen Fällen mit Verweis auf das Schuldprinzip den Zinsschaden zugrunde.346 Dies wird auch darauf gestützt, dass sich eine Bedingung für die Einstellung eines Strafverfahrens am Unrecht der Tat orientieren müsse.347 Dieser Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen, bisher liegt jedoch hierzu keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Auch insoweit besteht folglich Rechtsunsicherheit. Schmeer kritisiert im Ganzen, dass die Grenze von mittlerweile 25.000 Euro in § 371 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 AO gegen den Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.348 Selbst der Bundesgerichtshof nähme eine Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ erst bei Überschreitung einer Schwelle von 50.000 Euro an.349 Es sei nicht ersichtlich, warum eine Steuerhinterziehung mit einem Verkürzungserfolg zwischen 25.000 Euro und 50.000 Euro, die als einfache Steuerhinterziehung eingeordnet wird, keiner Selbstanzeige nach § 371 AO zugänglich sein solle – diese Grenze erscheine willkürlich.350 Auch sei bei Unternehmen, bei denen regelmäßig Geschäfte in Millionen- bzw. Milliarden-Höhe anfallen, diese Grenze wesentlich schneller erreicht, als bei Privatpersonen, denen aber ggf. auch unter einem Hinterziehungserfolg von 25.000 Euro eine wesentlich höhere kriminelle Energie zugeschrieben wer343  Schauf, in: Kohlmann, § 371 AO, Rn. 776 und § 398a AO, Rn. 28; Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 17. 344  Grötsch, wistra 2016, 341 (342); vgl. auch: Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (488). 345  Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 23; Schauf, in: Kohlmann, § 371 AO, Rn. 14; Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 6. 346  Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 37; Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 26. 347  Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (488). 348  Schmeer, Neuregelung, S. 243; ebenso kritisch: Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 13; Seer, in: FS Wessing, S. 350 (357). 349  Siehe: BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102. 350  Seer, DB 2016, 2192; ebenso: Schmidt, Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 119–123, wonach kein einleuchtender Grund für genau diese Betragsgrenze bestehe.

276

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

den könne.351 Im unternehmerischen Bereich führt diese Grenze zu einer drohenden, starken finanziellen Belastung bei Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige und damit zu einer faktischen Abschaffung derselben.352 Rolletschke/Roth sehen keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz mit der Begründung, dass die Höhe der hinterzogenen Steuer ein wichtiges Strafzumessungskriterium darstelle und die unterschiedlichen Belastungen damit verhältnismäßig seien.353 Dem ersten Punkt ist im Grundsatz zuzustimmen – jedoch ist die Höhe der hinterzogenen Steuer nur eines von mehreren Strafzumessungskriterien und gibt nicht zwingend Auskunft über das eingesetzte Maß an krimineller Energie.354 bb) § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO § 398a AO ist zum anderen auch einschlägig, wenn eine Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis Nr. 6 AO vorliegt und eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO ausgeschlossen ist. Daran wird kritisiert, dass nach § 370 Abs. 3 S. 2 AO ein benannter besonders schwerer Fall nur „in der Regel“ vorliegt, wenn die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind. Für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 398a AO ist die Bestimmung eines besonders schweren Falles jedoch keiner Beurteilung im Einzelfall zugänglich. Dies führt einerseits dazu, dass Fälle mit eigentlich geringerer Schuld nicht aus­ geschlossen werden können – andererseits können aber auch unbenannte schwere Fälle von § 398a AO nicht erfasst werden.355 b) Tarifermittlung (Hinterziehungsbetrag) Der zu zahlende Zuschlag ist nach der Höhe des Hinterziehungsbetrages gestaffelt und beträgt bei einer Höhe von unter 100.000 Euro 10 % der hinterzogenen Steuern, bei einem Hinterziehungsbetrag, der 100.000 Euro aber nicht 1.000.000 Euro übersteigt, 15 % der hinterzogenen Steuern und bei einem Hinterziehungsbetrag, der höher ist als 1.000.000 Euro, 20 % des Hinterziehungsbetrags. Als Untergrenze ist ggf. ein Betrag von 25.000 Euro in § 398a Abs. 1 Nr. 2 lit. a AO hineinzulesen. Dies ergibt sich aus dem Schwellenwert in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO, ab dem keine gültige Selbstanzeige DB 2016, 2192; ders., in: FS Wessing, S. 350 (357). DB 2015, 1742; vgl. auch Geuenich, NWB 2015, 30 (34). 353  Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 524 f., 528; vgl. dazu: BT-Drs. 18/3018, S. 14. 354  Kemper, in: Rolletschke/Kemper, § 371 AO, Rn. 9b. 355  Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 14. 351  Seer,

352  Geberth/Welling,



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO277

mehr abgegeben werden kann, wodurch der Anwendungsbereich des § 398a Abs. 1 AO erst eröffnet wird – soweit nicht ein Fall des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO vorliegt.356 Der progressive Tarif wird mit dem Schuldprinzip begründet.357 Der Terminus des Hinterziehungsbetrages wurde mit der Schaffung des § 398a AO neu etabliert.358 Mit dem AO-Änderungsgesetz wurde § 398a Abs. 2 AO eingefügt, wonach sich die Bemessung des Hinterziehungsbetrags nach den Grundsätzen des § 370 Abs. 4 AO richtet. Das Kompensationsverbot ist damit für die Bestimmung des Hinterziehungsbetrags heranzuziehen. Demnach ist es für die Bestimmung der Höhe der hinterzogenen Steuern gemäß § 370 Abs. 4 S. 3 AO unerheblich, ob sich die Steuer durch dann zu gewährende Steuervorteile oder aus anderen Gründen ermäßigt hätte.359 Eine steuerrechtlich gemäß § 177 AO zulässige Kompensation durch derartige Posten führt folglich nicht zu einer Verringerung des tatbestandlichen Steuerschadens, was die tatsächliche Belastung des Steuerpflichtigen durch den Zuschlag im Einzelfall noch gravierender ausfallen lassen kann. Für die Bestimmung des Hinterziehungsbetrages ist auf die jeweilige Steuerstraftat abzustellen, d. h. maßgeblich ist der Betrag einer Steuerart und eines Veranlagungszeitraums und nicht der im gesamten Selbstanzeigezeitraum hinterzogene Betrag.360 Dabei wurde angedacht, ob nicht vorrangig die Summe der hinterzogenen Steuern des Selbstanzeigezeitraums anstelle der einzelnen Steuerstraftaten heranzuziehen sei. Dagegen spricht jedoch, dass in den Gesetzgebungsmaterialien ausdrücklich auf die einzelnen Veranlagungszeiträume abgestellt wurde.361 Weiter verweist § 398a Abs. 2 AO explizit auf § 370 Abs. 4 AO, nach dem auch jede Steuerverkürzung materiell-rechtlich gesondert als Tat zu betrachten ist.362 Hunsmann spricht sich auch dagegen aus, tateinheitlich begangene Steuerhinterziehungen zu einem „Hinterziehungsbetrag“ zusammenzufassen.363 Im Falle einer Berichtigungspflicht ei356  Vgl.:

Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (132). 18/3018, S. 14: „Da die Höhe des Hinterziehungsbetrages einen wesentlichen Umstand für die Bemessung der Schuld des Straftäters darstellt, sollen die Anforderungen, die erfüllt werden müssen, um einer Strafverfolgung zu entgehen, sich an der Höhe des Hinterziehungsbetrages orientieren. Daher wird eine Staffelung des zu zahlenden Geldbetrags eingeführt.“; dem zustimmend: Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn.  524 f. 358  Beneke, BB 2015, 407 (409). 359  Vgl. auch: BT-Drs. 18/3018, S. 15; Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (131). 360  Grötsch, wistra 2016, 341 (343); Füllsack/Bürger, in: Quedenfeld/Füllsack, Rn. 615; Hunsmann, NJW 2015, 113 (118); ders., NZWiSt 2015, 130 (131). 361  BT-Drs. 18/3439, S. 5. 362  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (131). 363  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (132). 357  BT-Drs.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

nes Gesamtrechtsnachfolgers nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO stellt sich erneut die Frage der Verklammerung der Hinterziehungsbeträge.364 Ferner ist zu beachten, dass laut der Gesetzgebungsunterlagen nur die Hinterziehungsbeträge heranzuziehen sind, bei denen die Strafverfolgungsverjährung noch nicht eingetreten ist.365 Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgungsverjährung beträgt bei besonders schweren Fällen gemäß § 376 Abs. 1 AO 15 Jahre und in den übrigen Fällen lediglich fünf Jahre gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 AO. Dabei ist dennoch der Berichtigungszeitraum des § 371 Abs. 1 AO zu beachten.366 Dieser orientiert sich an der Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO. Es ist damit zu differenzieren: Zwar ist ein Zeitraum von zehn Jahren zu berichtigen – ggf. ist jedoch nicht auf jeden zu berichtigenden Zeitraum ein Zuschlag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO zu zahlen. Außerdem ist bei der Bestimmung des Hinterziehungsbetrags zwischen strafrechtlich relevanten und strafrechtlich irrelevanten Nachzahlungsbeträgen zu unterscheiden – d. h. danach, ob der Steuerpflichtige bereits im Vorfeld Vorsatz bezüglich einer Hinterziehung hatte. Der steuerliche Nachzahlungsbetrag und der strafrechtlich relevante Verkürzungsbetrag sind dabei nicht zwingend deckungsgleich.367 c) Bemessungsgrundlage des Zuschlags (Hinterzogene Steuer) Der Berechnung des zusätzlich zu zahlenden Betrages ist dem Wortlaut der Norm zufolge die „hinterzogene Steuer“ und nicht der „Hinterziehungsbetrag“ zugrunde zu legen. § 398a Abs. 2 AO verweist nur bezüglich des Hinterziehungsbetrages und nicht bezüglich des Betrags der hinterzogenen 364  Sommer/Kauffmann, NZWiSt 2015, 63 (64 f.); vgl. bzgl. der Bestimmung eines „großen Ausmaßes“ gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO bereits: S. 189. 365  BT-Drs. 18/3018, S. 14; Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 56; Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 24; Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 19; Geuenich, NWB 2015, 30 (35); Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (130). 366  Dies ergibt sich bereits aus der Systematik des § 398a Abs. 1 AO, wonach Straffreiheit nur wegen § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 AO nicht eingetreten sein darf. Im Umkehrschluss müssen damit die übrigen Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO – darunter auch der zehnjährige Berichtigungszeitraum – erfüllt werden. Vgl. dazu auch: Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 28; Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 2, 11; a. A.: Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (130), wonach nachdem die Zahlung des Zuschlages nach § 398a AO zu einem Absehen von Strafverfolgung führe, die Steuerverkürzungen, die im Zeitpunkt der Zahlung sowieso nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden könnten, im Rahmen von § 398a AO keine Berücksichtigung finden können. Diese Ansicht lässt sich jedoch mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbaren. 367  Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf, wistra 2011, 281 (284); Grötsch, wistra 2016, 341 (343).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO279

Steuer ausdrücklich auf das Kompensationsverbot, sodass umstritten ist, ob dieses auch für die hinterzogene Steuer Anwendung findet oder nicht. Aus der Verwendung der unterschiedlichen Begriffe wird nach herrschender Meinung gefolgert, dass das Kompensationsverbot für die Berechnung der Bemessungsgrundlage keine Anwendung findet.368 Eine andere Auslegung würde zu völlig unbilligen Ergebnissen führen.369 Unter gewissen Umständen könnten dabei Zuschlagsbeträge entstehen, die die hinterzogene Steuer stark übersteigen.370 Dennoch wird teilweise angenommen, dass das Kompensationsverbot auch für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage anzuwenden ist.371 Hunsmann begründet dies mit dem Willen des Gesetzgebers, der „in der Höhe des Hinterziehungsbetrages einen wesentlichen Umstand für die Bemessung der Schuld des Täters“372 sehe und auch anderweitig keine ausdrückliche Differenzierung der beiden Begrifflichkeiten vorgesehen habe. Damit unterstellt er dem Gesetzgeber zugleich ein untechnisches Verständnis dieses Begriffes und setzt den Begriff der hinterzogenen Steuer mit dem des Hinterziehungsbetrages gleich.373 Als weiteres Argument wird die Systematik des § 398a AO genannt, worin Absatz 2 dem Absatz 1 insgesamt als Berechnungsregel nachfolgen solle.374 Im Ergebnis können die Argumente der ersten Ansicht eher überzeugen, sodass das Kompensationsverbot für die Berechnung der Bemessungsgrundlage des Zuschlags keine Anwendung finden darf. Nachdem die rechtzeitige Zahlung des Zuschlags essentiell für den Eintritt der Rechtsfolge des § 398a AO ist, ist es als kritisch zu bewerten, dass insoweit keine Rechtssicherheit besteht. d) Vollständige Zahlung Um eine Strafverfolgung zu vermeiden, muss der an der Tat Beteiligte sowohl die hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO, die Zinsen nach § 233a AO und den Zuschlag nach § 398a Abs. 2 AO vollständig an die Staatskasse entrichten.375 Dabei ist die Vollständigkeit signi368  Grötsch, wistra 2016, 341 (343); ebenso: Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 27; Beyer, NWB 2015, 769 (776); Geuenich, NWB 2015, 29 (36); Seer, in: FS Wessing, S. 350 (365). 369  Grötsch, wistra 2016, 341 (343); Seer, in: FS Wessing, S. 350 (364 f.). 370  Herrmann, PStR 2014, 199 (200). 371  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (132 f.). 372  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (133), der ausdrücklich auf BT-Drs. 18/3018, S. 14 abstellt. 373  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (133). 374  Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 565. 375  Zinsen nach § 233a AO werden nach § 235 Abs. 4 AO auf Hinterziehungszinsen angerechnet, soweit sie denselben Veranlagungszeitraum betreffen.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

fikant – § 398a AO zwingt nur zu einer Einstellung des Verfahrens, wenn die Zahlung und nicht soweit diese erfolgt ist. Eine Teileinstellung des Verfahrens ist nicht vorgesehen und auch eine Erstattung einer Teilzahlung ist nach § 398a Abs. 4 S. 1 AO nicht möglich.376 Die hinterzogene Steuer ist dabei dem eindeutigen Wortlaut des § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO zufolge nur so weit zurückzuzahlen, als sie auch zu eigenen Gunsten hinterzogen wurde. Bedenklich ist, dass dem Wortlaut der Norm zufolge, jeder Beteiligte den Zuschlag des § 398a AO gesondert entrichten müsste.377 Dabei ist deutlich zu unterscheiden: Gemäß § 398a Abs. 1 AO muss der „an der Tat Beteiligte“ den Zuschlag zahlen, während gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO die hinterzogene Steuer sowie die Nachzahlungs- und Hinterziehungszinsen ausdrücklich nur von den Beteiligten entrichtet werden müssen, zu deren Gunsten die Steuer hinterzogen wurde.378 Schmeer kritisiert, dass Berechnungsgrundlage dabei jedes Mal die Gesamtsumme der hinterzogenen Steuern ist und dadurch im Einzelfall gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen werden könnte.379 Der Gesetzgeber habe dabei offensichtlich nicht im Blick gehabt, dass an einer Steuerhinterziehung mehrere Personen beteiligt sein können und nicht jede dieser Personen im selben Maße von der Tat profitiert. In der Summe könne sich dabei vor allem im Unternehmensbereich sogar ein Zuschlag gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO ergeben, der den Hinterziehungsbetrag weit übersteigt.380 Damit gehe in solchen Fällen der Anreiz, verschwiegene Besteuerungsgrundlagen zu offenbaren, gegen Null. Für Angestellte im Unternehmensbereich, die ggf. lediglich als Gehilfe fungierten, bestehe mangels Liquidität in gravierenden Fällen nicht einmal mehr die Möglichkeit Straffreiheit zu erlangen. Die Norm verfehlt damit ihrem Wortlaut nach die Erreichung ihres angedachten Zweckes – sowohl in strafrechtlicher als auch in fiskalischer Hinsicht.381 Grötsch plädiert daher für eine teleologische Reduktion der Norm dahingehend, dass bei mehreren Beteiligten der Zu376  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (131); a. A.: Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 55, wonach bei teilweiser Zahlung insoweit einzustellen sei. 377  Vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 24; Beckemper/Schmitz/Wegner/ Wulf, wistra 2011, 281 (287); Beneke, BB 2015, 407 (409); Beyer, NWB 2015, 769 (777); Grötsch, wistra 2016, 341 (344); Külz/Maurer, PStR 2013, 150 (151); Rol­ letschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 570; Seer, in: FS Wessing, S. 350 (362); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (116). 378  LG Aachen v. 27.8.2014 – 86 Qs 11/14, wistra 2014, 493 (494); vgl. auch: Herrmann, PStR 2014, 199 (200), woraus sich die mehrfache Entrichtungspflicht daraus ergebe, dass der Zuschlag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO nicht als steuerliche Nebenleistung nach § 3 Abs. 4 AO eingeordnet werden könne. 379  Schmeer, Neuregelung, S. 245; ebenso: Beyer, NWB 2015, 769 (777); Grötsch, wistra 2016, 341 (344). 380  Insoweit ebenfalls kritisch: Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 53. 381  Hierzu: Grötsch, wistra 2016, 341 (344).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO281

schlag eine Gesamtschuld darstellt.382 Beyer kommt im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zum gleichen Ergebnis.383 Auch Külz/Maurer ziehen eine Parallele zu § 371 Abs. 3 AO, wonach bei einer wirksamen Selbstanzeige lediglich die zu eigenen Gunsten hinterzogenen Steuern nachzuentrichten sind. Entsprechend dieser Vorschrift soll „zu eigenen Gunsten“ auch in § 398a AO hineingelesen werden, sodass nur diejenige Person betroffen sein soll, die auch selbst bereichert ist.384 Spatscheck bezieht sich auf das Gesetzgebungsverfahren der Norm: Dabei war zunächst ein (einmaliger) „Bearbeitungszuschlag“ von 5 % vorgesehen. Es sei nicht ersichtlich, dass von dieser grundlegenden Vorstellung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wieder abgerückt wurde.385 Gegen die genannten Argumente spricht jedoch der eindeutige Wortlaut der Norm.386 Nach der Novellierung im Jahre 2014 wurde der Anwendungsbereich vom „Täter“ ausdrücklich auf alle „an der Tat Beteiligten“ ausgeweitet. Diese Ausweitung würde faktisch gegenstandslos, wenn man den Wortlaut durch Rechtsfortbildung wieder einschränken würde.387 Dass sich die Bemessung des Zuschlags am Verschulden der Beteiligten orientieren soll, könne ebenfalls dafür sprechen, dass jeder Beteiligte den Zuschlag entrichten muss, um von dem Einstellungsgrund zu profitieren. Dabei müsste jedoch auch die persönliche Schuld und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit miteinbezogen werden.388 Auch insoweit ist die Rechtsunsicherheit für die Beteiligten stark zu kritisieren.

wistra 2016, 341 (346). NWB 2015, 769 (777). 384  Külz/Maurer, PStR 2013, 150 (152) nach: Erb/Schmitt, PStR 2011, 144; ebenso: Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (116). 385  Spatscheck, DB 2013, 1073 (1076) mit Verweis auf den Gesetzesentwurf in BT-Drs. 318/1/10, S. 80. 386  LG Aachen v. 27.4.2014 – 86 Qs 11/14, wistra 2014, 493 (494); Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (134); a. A.: Reichling, wistra 2014, 495 (495). 387  Hunsmann, NZWiSt 2015, 130 (134). Vgl. § 398a AO a. F.: In Fällen, in denen Straffreiheit nur deswegen nicht eintritt, weil der Hinterziehungsbetrag 50 000 Euro übersteigt (§ 371 Absatz 2 Nummer 3), wird von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen, wenn der Täter innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist  1. die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern entrichtet und 2.  einen Geldbetrag in Höhe von 5 Prozent der hinterzogenen Steuer zugunsten der Staatskasse zahlt. 388  Hierzu: Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 12. 382  Grötsch, 383  Beyer,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

e) Rechtsfolge Nach § 398a Abs. 1 AO wird von der Strafverfolgung abgesehen, wenn zusätzlich zu den Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und den Zinsen nach § 233a AO Geldzahlungen nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO in nicht unbeträchtlicher Höhe geleistet werden.389 Die Norm statuiert damit einen zwingenden Verfahrenseinstellungsgrund.390 Dieser Anspruch auf Verfahrenseinstellung stellt ein strafprozessuales Verfahrenshindernis dar.391 Anders als bei § 371 Abs. 1 AO handelt es sich damit nicht um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund, sodass die begangene Steuerhinterziehung als rechtswidrige und schuldhafte Tat bestehen bleibt.392 § 398a AO soll der Einstellungsregelung des § 153a StPO nachempfunden sein.393 Die Normen unterscheiden sich jedoch in mehreren Punkten: § 398a AO setzt einen zwingenden Zuschlag in einer bestimmten Höhe voraus, während § 153a StPO auf die Tat und die persönliche Schuld des Betroffenen abstellt.394 Außerdem soll nach § 398a Abs. 3 AO, anders als bei § 153a StPO, mangels einer § 153a Abs. 1 S. 5 StPO entsprechenden Regelung, keine Rechtskraft respektive kein Strafklageverbrauch eintreten.395 Stellt sich nach der Einstellung des Verfahrens heraus, dass die vom Täter vorgelegten Berichtigungen unvollständig oder unrichtig waren, so besteht die Möglichkeit, das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen. § 398a Abs. 3 AO sieht sogar explizit eine Wiederaufnahme vor, wenn die Finanzbehörde nachträglich erkennt, dass die im Rahmen der Selbstanzeige gemachten Angaben unrichtig oder unvollständig waren. Der fehlende Strafklageverbrauch soll trotz Doppelbestrafungsverbot möglich sein, weil der Zuschlag 389  Vgl. Zipfel/Holzner, BB 2014, 2459 (2462), wonach bei einem über zehn Jahre hinterzogenen Betrag von 40.000 Euro bis zu 24.000 Euro und damit mehr als die Hälfte des hinterzogenen Betrages zusätzlich zu zahlen sind. 390  Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 10; Joecks, in: JJR, § 398a AO, Rn. 1; Al Hamwi, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, S. 32; Hunsmann, NJW 2015, 113 (117); Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89 (115); lt. Steinhauff, AO-StB 2015, 337 (338): Verfolgungshindernis in besonderen Fällen. 391  Füllsack/Bürger, BB 2011, 1239 (1242); Hunsmann, PStR 2011, 288 (289); Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 520. 392  Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 521; vgl. auch: Seer, in: FS Wessing, S. 350 (355), wonach dadurch eine rechtsethische Missbilligung zum Ausdruck komme. 393  Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 9; Grötsch, wistra 2016, 341 (345); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1076). 394  Vgl. Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (487). 395  Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 29; Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf, wistra 2011, 281 (285); Geuenich, NWB 2015, 30 (37); Grötsch, wistra 2016, 344 (345); Hunsmann, PStR 2011, 288 (290); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1076).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO283

nach § 398a AO als „freiwillige“ Zahlung und nicht als Strafe gewertet wird.396 In der Praxis ist für die Bearbeitung einer Erklärung nach § 398a StPO die Bußgeld- und Strafsachenstelle zuständig.397 Diese verfügt nach Eingang der Erklärung über eine vorläufige Einstellung des Verfahrens. Werden die Voraus­setzungen des § 398a AO erfüllt, d. h. die Zahlungen fristgerecht geleistet, wird das eingeleitete Verfahren endgültig eingestellt. § 398a StPO sieht auch weder die Beteiligung eines Gerichts noch Rechtsschutzmöglichkeiten vor.398 Zweiteres wäre mit Blick auf die dargestellten, ungeklärten Auslegungsfragen jedoch wünschenswert und rechtsstaatlich auch notwendig.399 Der Betroffene stünde ansonsten vor der Wahl, einen ggf. überhöhten Zuschlag zu zahlen oder das Risiko einer strafrechtlichen Verurteilung auf sich zu nehmen.400 In der Praxis wird sich mit einer analogen Anwendung von § 98 Abs. 2 S. 2 StPO beholfen; gegen eine darauffolgende Gerichtsentscheidung ist wiederum eine Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO einschlägig.401 Wird das Ziel der Verfahrenseinstellung durch die Zahlung des Zuschlages nicht erreicht, so kann dieser gemäß § 398a Abs. 4 S. 1 AO nicht zurück­er­ stattet werden. Es besteht jedoch gemäß § 398a Abs. 4 S. 2 AO die Möglichkeit, dass das Gericht den gezahlten Betrag auf eine anschließend verhängte Geldstrafe anrechnet. Faktisch handelt es sich dabei um eine „gesetzliche Verfallsanordnung“.402 Dabei steht eine Anrechnung jedoch im Ermessen des Gerichts, woraus sich ebenfalls eine große Unsicherheit für die Betroffenen ergibt. Beyer spricht sich daher dafür aus, dass eine solche Anrechnung zwingend vorzunehmen sei, solange nicht besondere Gründe eine Ausnahme rechtfertigen.403 Diese Ansicht begründet er auch mit dem Gebot der Fairness im Rechtsstaat nach Art. 20 Abs. 3 GG. Kritisiert wird außerdem, dass für den Fall, dass über § 398a AO trotz Zahlung des Zuschlags keine Einstellung des Strafverfahrens erreicht werden konnte und die danach verhängte Geldstrafe niedriger ausfällt als der Zuschlag, der gezahlte Mehrbetrag „eine ohne 396  Grötsch, wistra 2016, 344 (345); Füllsack/Bürger, in: Quedenfeld/Füllsack, Rn. 628. 397  Dazu: Spatscheck, DB 2013, 1073 (1076). 398  Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (487); vgl. auch: Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 41; Heuel, wistra 2015, 289 (294). 399  Beckemper, in: HHSp, § 398a AO, Rn. 85; Grötsch, wistra 2016, 341 (345); Geuenich, NWB 2015, 30 (37). 400  Heuel, wistra 2015, 289 (295). 401  Grötsch, wistra 2016, 341 (345) m. w. N.; ferner: Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 26, insoweit jedoch auch kritisch in Rn. 27. 402  Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 594. 403  Beyer, NWB 2015, 769 (777).

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Berücksichtigung der individuellen Schuld bemessene Pau­ schalstrafe“404 darstelle. 3. Kritik Die Norm hat viele Fragen aufgeworfen und ließ in einigen Punkten sowohl Wissenschaft als auch Praxis „ratlos zurück“.405 Zum Teil wird die Norm auch als mit dem Schuld- und Gleichheitsgrundsatz unvereinbar und damit verfassungswidrig eingeordnet.406 Schmitz kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Neuregelung die Steuermoral nicht heben werde, sondern vielmehr dem Steuerstraftäter die Anreize nehme, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren, sodass diese dem Fiskus jedenfalls finanziell nicht von Nutzen sein werde.407 Die Unsicherheiten bei der Auslegung der Norm in der praktischen Rechtsanwendung aber auch deren generelle Konzeption lassen befürchten, dass durch die Verschärfungen der fiskalische Zweck der Selbstanzeigeregelung verfehlt werde – eine fehlende Rechtssicherheit hält ggf. auch den zu einer Selbstanzeige Geneigten von der Einreichung selbiger ab.408 Deutlich wird die mangelhafte Wirkung des § 398a AO auch dadurch, dass in der Praxis bei Überschreitung der Betragsgrenzen des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO oftmals eine „Flucht ins Strafverfahren“ angetreten wird.409 Dabei wird das Ziel einer Verfahrenseinstellung gegen Auflagenzahlung gemäß § 153a StPO verfolgt. Dies hat den Grund, dass die Auflagen oftmals niedriger ausfallen als die starren Zuschlagsregelungen in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO, zumal sich bislang auch nur wenige Staatsanwaltschaften an der Höhe des Zuschlags nach § 398a AO orientiert haben. Dies führt auch dazu, dass der Anwendungsbereich der Norm in der Praxis als eher gering einzuschätzen NWB 2015, 30 (37). ZIS 2012, 221 (221); Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf, wistra 2011, 281 (281); vgl. auch: Seer, in: FS Wessing, S. 350 (365). 406  Schmidt, Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 147 f.; aufgrund seiner unrechtsausgleichenden Wirkung müsse sich der Zuschlag demnach auch an strafrechtlichen Grundsätzen messen lassen. 407  Schmitz, in: FS Achenbach, S. 477 (489 f.). 408  Reichling, wistra 2014, 495 (496); Schuster, JZ 2015, 27 (32); Schwartz, PStR 2011, 150 (151); ebenfalls kritisch: Burwitz, NZG 2014, 494 (495), wonach v. a. das Vollständigkeitsgebot dazu führt, dass Selbstanzeigen in manchen Fällen in der Praxis nicht mehr handhabbar sind; so auch: Heuel, wistra 2015, 338 (341); Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige, S. 224 f.; ebenso: Wulf, wistra 2010, 286 (287), wonach die Selbstanzeige als Institut gerade davon lebt, „dass der Betroffene weiß, in welchem Umfang der Staat sich an seine garantierte Zusage der Strafbefreiung nach § 371 AO hält“. 409  Dazu und zum Folgenden: Herrmann, PStR 2014, 199 (200); Hunsmann, PStR 2011, 288 (290); Steinhauff, AO-StB 2019, 128 (129). 404  Geuenich,

405  Beckemper,



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO285

ist.410 Ein Vorteil des § 398a AO zu § 153a StPO ist allerdings im Gegenzug, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen zwingend eine Einstellung zu erfolgen hat.411 4. Verhältnis des Zuschlags zu Nemo-tenetur Um nun zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Es ist umstritten, wie die Regelung des § 398a AO im Lichte des nemo-tenetur-Grundsatzes zu bewerten ist und ob bei Anwendbarkeit der Norm eine Selbstbelastung ausgeschlossen werden kann. Insoweit ist fraglich, inwiefern trotz des Zuschlags nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO eine Umdeutung einer Berichtigungserklärung nach § 153 Abs. 1 AO in eine Erklärung i. S. d. § 398a AO vorgenommen werden kann. a) Ausreichen der Rechtsfolge Nach Jesse schließe die Norm bereits mangels Strafbefreiung eine Selbstbelastung nicht aus.412 Nach der gegenteiligen Ansicht ist es für den Ausschluss einer Zwangslage allerdings ausreichend, dass der Steuerpflichtige auch über die Zahlung des Zuschlags einem Strafverfahren entgehen könne. Da die Verfahrenseinstellung zwingende Rechtsfolge bei der Erfüllung der entsprechenden Voraussetzung ist, kann § 398a AO ebenfalls als Instrument gesehen werden, das dem nemo-tenetur-Grundsatz und dem Spannungsverhältnis zwischen dem Steuer- und dem Steuerstrafrecht Rechnung trägt.413 b) Einordnung des Zuschlags Fraglich ist allerdings, wie der Zuschlag zum einen im Kontext des Zwangsmittelverbotes des § 393 Abs. 1 S. 2 AO und zum anderen im Kontext des § 153 Abs. 1 AO zu sehen ist. Eine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO wird jedenfalls als zumutbar angesehen, soweit diese zugleich eine Selbstanzeige darstellt und insoweit Straffreiheit erlangt werden kann.414 § 398a AO ist jedoch nur einschlägig, wenn eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 AO ausgeschlossen ist, sodass bereits daraus AO-StB 2019, 128 (129). PStR 2011, 288 (289). 412  Jesse, DB 2013, 1803 (1811). 413  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 234; Thoma, Legitimität des § 398a AO, S. 241. 414  Siehe dazu auch S. 239 ff.; dies in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO grundlegend feststellend: BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984. 410  Steinhauff,

411  Hunsmann,

286

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

geschlossen werden könnte, dass eine Umdeutung nicht möglich ist.415 Dabei ist jedoch zu beachten, dass § 398a AO erst nach der Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 153 Abs. 1 AO durch den Kurswechsel der Rechtsprechung eingeführt wurde. Inwieweit eine Umqualifizierung einer Berichtigungserklärung in eine Erklärung nach § 398a AO ergo vorgenommen und inwieweit dadurch die Selbstbelastungsfreiheit gewahrt werden kann, wurde bisher von der Rechtsprechung nicht geklärt und auch die Gesetzgebungsmaterialien geben darüber keinen Aufschluss. Aufgrund der sich durch das Erfordernis einer Zuschlagszahlung von bis zu 20 % des Hinterziehungsbetrages nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO ergebenden gravierenden Ungleichheit zur Selbstanzeige ist jedenfalls die Frage aufzuwerfen, ob § 398a AO geeignet ist, mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit eine Zumutbarkeit herzustellen.416 aa) Abgrenzung zur Strafe Der Zuschlag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO soll – wie aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich hervorgeht – eine freiwillige Zahlung darstellen und keinerlei Strafcharakter haben.417 Auch Füllsack/Bürger verneinen eine Qualifikation des Zuschlags als Strafe, da ein pauschaler Strafzuschlag gegen den Grundsatz des schuldangemessenen Strafens nach § 46 StGB verstoßen würde.418 Thoma ordnet den Zuschlag nicht als Strafe ein, da einer solchen eine strafrechtliche Verurteilung vorausgehen müsse.419 Diese Aussagen enthalten jedoch jeweils einen Zirkelschluss – nur weil eine Strafe in ihrer Ausgestaltung unzulässig wäre, schließt dies nicht zwingend die Einordnung als Strafe aus. Insgesamt steht dem Betroffenen allerdings im Grundsatz frei, ob dieser durch die Zahlung des Zuschlags eine Verfahrens­ einstellung erreicht oder nicht, sodass Freiwilligkeit insoweit bejaht werden kann.420 Ein Steuerstraftäter erhält durch § 398a AO jedenfalls die Möglichkeit, sich „Straffreiheit zu erkaufen“.421 § 398a AO wird zum Teil auch als

415  So:

Jesse, DB 2013, 1803 (1811). im Ergebnis verneinend: Jesse, DB 2013, 1803 (1811). 417  BR-Drs. 851/10 (B), 2; BT-Drs. 17/5067 (neu), S. 20; zustimmend: Grötsch, wistra 2016, 341 (345); Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 523; ebenso: Schmidt, Zur Rechtsnatur des § 398a AO, S. 45 f., wonach es dem Zuschlag für die Einordnung als Strafe an der Durchsetzbarkeit fehle. 418  Füllsack/Bürger, BB 2011, 1239 (1241); ebenso: Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 523, die jedoch auch eine gegenteilige Ansicht für vertretbar halten. 419  Thoma, Legitimität des § 398a AO, S. 240. 420  Vgl.: Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 4. 421  Beyer, NWB 2015, 769 (775); Wegner, SteuK 2016, 289 (292). 416  Dies



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO287

„Selbstanzeige zweiter Klasse“ bezeichnet.422 Salditt bezeichnet den Zuschlag damit faktisch auch als „Sanktion sui generis, die Strafe ersetzen soll, indem das ordentliche Verfahren abgebrochen wird“.423 Andere Stimmen in der Literatur gehen aufgrund der faktischen Wirkung des Zuschlags weiter und bezeichnen ihn als „Strafzuschlag“.424 Dem zugrunde liegt auch seine generalpräventive Funktion: Er soll – wie bereits angesprochen425 – die Selbstanzeige verteuern und insoweit den Anreiz senken, Steuerstraftaten zu begehen und anschließend § 371 Abs. 1 AO als taktisches Mittel zu nutzen.426 Im Ergebnis kann der Zuschlag grundsätzlich, solange kein äußerer Zwang zur Berichtigung besteht, als freiwillig eingeordnet werden – betrachtet man jedoch die Anzeige nach § 398a AO als einen Behelf, um dem nemo-teneturPrinzip Rechnung zu tragen, so „setzt der Schutz künftig mehr denn je wirtschaftliche Leistungsfähigkeit voraus“.427 bb) Freiwilligkeit trotz Umdeutung? Könnte man jedoch eine „erzwungene“ Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO428 in eine Erklärung nach § 398a AO umdeuten, stünde der Berichtigungspflichtige im Ergebnis vor der Wahl, entweder eine Berichtigung vorzunehmen und zusätzlich den Strafzuschlag von bis 20 % der hinterzogenen Steuer zu entrichten oder zu berichtigen und sich einem Strafverfahren w ­ egen der vorangegangenen Tat zu stellen.429 Dabei ist fraglich, ob diese Entschei422  Rolletschke/Roth,

(109).

Selbstanzeige, Rn. 22; Spatscheck, DStJG Bd. 38 (2015), 89

423  Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (295); auch Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 3 schreibt dem Zuschlag den Charakter eines Strafsurrogats zu. 424  Beneke, BB 2015, 407 (409); Zipfel/Holzner, BB 2014, 2459 (2460); i. E. auch: Seer, in: Tipke/Kruse, § 398a AO, Rn. 3; ders., in: FS Wessing, S. 350 (359); dem Zuschlag ebenfalls einen „Strafcharakter“ zuschreibend: Spatscheck, in: FS Streck, S. 581 (595). 425  Vgl. insoweit zur Historie der Norm: S. 271 ff. 426  Schauf, in: Kohlmann, § 398a AO, Rn. 4. 427  Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (294). 428  Überträgt man die Wertung zur Selbstanzeige, wäre das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht nebenher anwendbar, sodass eine grundsätzlich zwangsweise durchsetzbare Pflicht zur Berichtigung bestünde. Die Nichtvornahme der Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO würde nach herrschender (aber entgegen der hier vertretenen) Meinung außerdem zum Vorwurf einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen zu führen. Damit ergäbe sich sowohl aus der Strafbewehrung als auch nach der theoretischen Anwendbarkeit von Zwangsmitteln eine Zwangswirkung. 429  Dies als zulässig erachtend: Thoma, Legitimität des § 398a AO, S. 241 und Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 238, wonach keine Selbstbelastung gegeben sei, wenn der Täter zur Leistung des Zuschlags im Stande wäre.

288

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

dung zumutbar ist und ob die zweite Alternative mit Blick auf den nemotenetur-Grundsatz tatsächlich eine tragbare Alternative darstellt. In Bezug auf die Selbstanzeige nach § 371 AO wurde bereits festgestellt, dass die Zahlung der hinterzogenen Steuern sowie der Zinsen dabei richtigerweise weder eine strafrechtliche Folge noch eine übergebührliche Belastung darstellen. Die zu zahlenden Steuern wären bei ordnungsgemäßem Verhalten ebenso zu zahlen gewesen und die Zinsen nach § 233a AO und § 235 AO sollen lediglich den vom Steuerstraftäter erlangten Zinsvorteil abschöpfen. Eine vergleichbare „Gegenleistung“ ist jedoch für den Zuschlag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ersichtlich – dieser soll vielmehr einen erziehenden Charakter und eine generalpräventive Wirkung entfalten. Ferner kann der Zuschlag mit einer Höhe von bis zu 20 % eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen. Im Ergebnis würde die Zahlung des Zuschlags weiterhin die einzig zumutbare Handlungsalternative des Betroffenen darstellen. Dem Berichtigungspflichtigen wäre es weder zuzumuten sich sehenden Auges in eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu begeben, noch wäre die erzwungene Offenbarung belastender Angaben im Hinblick auf den absoluten Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit zumutbar. Als einzig zumutbare Alternative bleibt daher nur noch die Erfüllung des § 398a AO. Der Berichtigungspflichtige wäre damit faktisch zur Zahlung des Zuschlags verpflichtet, womit eine Freiwilligkeit insoweit ausgeschlossen wäre. Die Geldzahlung nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO würde damit einen Strafcharakter bekommen, der so vom Gesetzgeber nicht angedacht war. Um die Freiwilligkeit der Zuschlagszahlung zu gewährleisten, muss der betroffenen Person folglich auch das Recht zugestanden werden, sich in Bezug auf eine vorangegangene Steuerhinterziehung passiv zu verhalten. cc) Konsequenzen § 398a AO bietet damit keinen ausreichenden Schutz der Selbstbelastungsfreiheit, was dazu führt, dass andere Schutzinstitute, wie das Zwangsmittelverbot oder alternativ ein Verwertungsverbot, Anwendung finden müssen. Wendet man parallel zu § 398a AO jedoch § 393 Abs. 1 S. 2 AO an, ergibt sich folgende Ungleichbehandlung: Im Anwendungsbereich des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO würde der Steuerpflichtige, der einen hohen Steuerausfall herbeigeführt hat, über das Zwangsmittelverbot einem Zwang zur Selbstbezichtigung entgehen – anders als der Täter, der eine Steuerverkürzung in Höhe von unter 25.000 Euro verursacht hat.430 Würde man alternativ annehmen, dass die Erklärung des Steuerpflichtigen nach § 153 AO zwingend abzugeben ist und nicht in eine ansonsten wirksame Selbstanzeige i. S. d. § 398a AO 430  Jesse,

DB 2013, 1803 (1811).



C. Selbstanzeige gemäß § 371 AO289

umgedeutet werden kann, dürften die offenbarten, belastenden Informationen nicht für ein Strafverfahren verwendet werden (Verwendungsverbot mit Fernwirkung). Auch ein derartiges Verwendungsverbot, bei dem die offenbarten Informationen nicht als Anknüpfungspunkt für weitere strafrechtliche Ermittlungen genutzt werden dürfen, würde wohl faktisch zu Straffreiheit führen. Insoweit bestünde die Gefahr, dass mit dolus eventualis handelnde Steuerpflichtige im Vergleich zu denjenigen begünstigt würden, die zunächst eine Steuerhinterziehung mit dolus directus ersten oder zweiten Grades begangen hatten. Nur die erstgenannten trifft eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO, die mit einem Verwendungsverbot einherginge. Die mit Eventualvorsatz Handelnden könnten dann ohne Zahlung eines Zuschlags nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO in die faktische Straflosigkeit gelangen, während die übrigen Steuerstraftäter auf die Zahlung des Zuschlags verwiesen würden. Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Vorsatzarten im Rahmen der Steuerhinterziehung ist jedoch auf den ersten Blick weder vom Gesetzgeber vorgesehen noch ersichtlich gewollt.431 Dabei ist hinzuzufügen, dass ein Verwertungsverbot im Vergleich zum Zwangsmittelverbot gesetzlich nicht verankert ist und im Ergebnis damit nicht überzeugt. Dass aus der Anwendung des Zwangsmittelverbots eine Ungleichbehandlung entsteht, ergibt sich jedoch aus der Systematik der Abgabenordnung und ist damit hinzunehmen. c) Fazit Als Schutzinstitut in Bezug auf die Selbstbelastungsfreiheit ist § 398a AO bereits aufgrund der vielen unklaren Auslegungsfragen und der sich daraus ergebenden Rechtsunsicherheit nicht geeignet. Soweit eine Selbstbelastungspflicht außerhalb des Strafverfahrens besteht, muss für den Betroffenen sicher vorhersehbar sein, dass seine Offenbarungen keine strafrechtliche Verfolgung auslösen. Dies ist in Bezug auf § 398a AO nicht der Fall.432 Auch die Zahlung des Zuschlags lässt sich schwer mit dem nemo-teneturGrundsatz vereinbaren. Der Schutz vor einem Strafverfahren müsste durch die Zahlung eines hohen Geldbetrages erkauft werden, was sich mit dem Schutzumfang der Selbstbelastungsfreiheit nicht vereinbaren lässt. Das bloße Recht sich passiv zu verhalten, würde den Betroffenen in dem Falle nicht 431  Vgl. auch Bülte, BB 2010, 607 (612 f.); Wessing/Biesgen, NJW 2010, 2689 (2691). 432  Vgl. hierzu: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 236, der insoweit Zweifel an der Erfüllbarkeit der Voraussetzungen aufwirft; scheitert der Betroffene an „weitreichenden und undurchsichtigen Voraussetzungen, lässt sich kaum ein Ausschluss des Selbstbelastungszwanges behaupten“.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

zukommen, sondern würde immer mit der Pflicht zur Zahlung des Zuschlages einhergehen. § 393 Abs. 1 S. 2 AO ist damit neben § 398a AO anzuwenden. Dass sich daraus Ungleichbehandlungen zu anderen Steuerstraftätern ergeben, ist aufgrund der gesetzlichen Systematik hinzunehmen.

D. Schutzinstitute Im Ergebnis sind § 371 AO und § 398a AO nicht bzw. nur bedingt geeignet, eine Selbstbelastungsgefahr auszuschließen. Offenbart ein Steuerpflichtiger in Erfüllung seiner Pflicht aus § 153 AO, dass er in der Vergangenheit Steuern verkürzt oder ggf. auch eine andere Straftat begangen hat, so besteht die Gefahr, dass diese Erklärung strafrechtliche Ermittlungen nach sich zieht. Der Berichtigungspflichtige müsste immer, wenn seine fehlerhafte Erklärung bereits zu einer Steuerverkürzung geführt hat, die Vollendung des objektiven Tatbestands des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO offenbaren. Ob diese vergangene Steuerverkürzung vorsätzlich oder unvorsätzlich begangen wurde, ist im Nachhinein oftmals schwer zu beurteilen, sodass der Steuerpflichtige in diesem Rahmen der Einschätzungsprärogative der Ermittlungsbehörde ausgesetzt ist.433 Der absolute Schutz der Selbstbelastungsfreiheit muss daher in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO immer greifen, wenn bereits eine Steuerverkürzung ergangen ist. Nachfolgend werden die zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit in der Abgabenordnung etablierten und von der Rechtsprechung entwickelten Schutzinstitute dargestellt. Dabei wird zwischen der Offen­ barung von Steuerstraftaten und Nicht-Steuerstraftaten unterschieden. In Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO besteht nicht nur die Gefahr, dass die vorangegangene Abgabe einer unrichtigen Erklärung als Steuerstraftat eingeordnet wird, sondern es sind auch Situationen denkbar, in denen mit der Berichtigung steuerrechtlicher Tatsachen zugleich andere Straftaten offenbart werden müssten.

I. Nicht-Steuerstraftaten 1. Steuergeheimnis § 30 AO Das Steuergeheimnis soll als Institut die weitreichenden Mitwirkungspflichten der Steuerbürger ausgleichen.434 Gemäß § 30 Abs. 1 AO sind Amtsträger dazu verpflichtet, das Steuergeheimnis zu wahren. Verletzt wird dieses nach § 30 Abs. 2 AO, wenn ein Amtsträger oder eine nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 433  Hierzu

auch: S. 217 sowie Kap. 3 Fn. 297 und Fn. 298. v. 5.5.2004 – 5 StR 139/03, NStZ-RR 2004, 242 (243); Kemper, wistra 2005, 290 (290); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 234. 434  BGH



D. Schutzinstitute291

bis 3 AO gleichgestellte Person, personenbezogene Daten eines anderen, die ihm bzw. ihr im Verwaltungsverfahren, einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen, einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder auf andere in § 30 Abs. 2 Nr. 1 lit. a bis c und Nr. 2 AO genannte Weise bekannt geworden sind, unbefugt verwertet oder offenbart. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses ist gemäß § 355 Abs. 1 StGB mit Strafe belegt. Damit sollen die Daten eines Steuerpflichtigen zum einen vor einer Offenbarung außerhalb der Finanzverwaltung und zum anderen vor einer Verwendung außerhalb des Besteuerungsverfahrens geschützt werden.435 Aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 lit. b AO bzw. § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO ergibt sich ausdrücklich, dass das Steuergeheimnis im Bereich von Steuerstraftaten keine Anwendung findet. Im Rahmen der Finanzverwaltung gilt grundsätzlich das „Prinzip des freien Informationsaustausches“, sodass das Steuergeheimnis eine Weitergabe von steuerstrafrechtlich relevanten Informationen an die Bußgeld- und Strafsachenstelle und Steuerfahndung nicht unterbindet.436 Bezichtigt sich der Steuerpflichtige also im Rahmen einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO einer vorangegangenen, bereits mit Eventualvorsatz begangenen Steuerhinterziehung, so steht § 30 AO der Verwertung der Berichtigungserklärung im Strafverfahren nicht entgegen.437 Das Steuergeheimnis gilt allerdings auch in Bezug auf übrige Straftaten nicht unbeschränkt – sowohl § 30 Abs. 4 AO, § 31 AO als auch § 31a AO und § 31b AO sehen Ausnahmen vor. Die wohl umstrittenste Ausnahme findet sich in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO: Demnach sind die Offenbarung und die Verwertung geschützter Daten zulässig, soweit für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht.438 Dies lasse sich nach einer Ansicht damit begründen, dass sich in diesen Konstellationen die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen und das Strafverfolgungsinteresse des Staates gegenüberstehen, wobei bei besonders gemeinschädlichen Straftaten das Interesse des Staates überwiege.439 Dabei sind in § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. a bis lit. c AO Beispiele

ZIS 2012, 221 (223). wistra 1988, 207 (208). 437  Vgl. Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 179, wonach es insoweit nicht die Absicht des Gesetzgebers war, den Steuerstraftäter vor Strafverfolgung zu schützen. 438  Dies ist gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. b AO bspw. der Fall, wenn Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern. 439  Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 158. 435  Beckemper, 436  Teske,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

genannt, wann ein solches Interesse namentlich vorliege.440 Besonders problematisch beim Begriff des zwingenden öffentlichen Interesses ist dennoch dessen Konturlosigkeit.441 Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung zugänglich ist, sodass im Einzelfall oft nicht vorhersehbar ist, ob die Ausnahme als einschlägig erachtet wird oder nicht. Dadurch würde ein Betroffener auch gezwungen, sich durch die Erfüllung von steuerlichen Mitwirkungspflichten zugleich der Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung auszusetzen – dies lässt sich mit der absoluten Geltung der Selbstbelastungsfreiheit jedoch nicht vereinbaren. Diese Ausnahme stößt daher aufgrund der Beschneidung des absolut geltenden Schutzbereiches der Selbstbelastungsfreiheit in der Literatur erheblich auf Kritik.442 Reiß unterstellt der Ausnahmeregelung daher zu Recht Verfassungswidrigkeit.443 Insoweit wird noch auf die anschließend darzustellende, parallele Diskussion um die ebenfalls als verfassungswidrig einzuordnende Norm des § 393 Abs. 2 S. 2 AO verwiesen. 2. Verwendungsverbot § 393 Abs. 2 S. 1 AO § 393 Abs. 2 AO statuiert ein Verwendungsverbot und würde damit einen Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz auf Verwertungsebene vermeiden.444 Dahinter steht der Gedanke, dass es eine Zweckentfremdung von im Besteuerungsverfahren preiszugebenden Informationen zur Durchführung eines Strafverfahrens zu vermeiden gilt.445 Das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 S. 1 AO gilt jedoch lediglich für Straftaten, die keine Steuerstraftaten 440  Kritisch: Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (284), wonach es sich hierbei lediglich um einen abstrakten Katalog handele, der keinen Raum für individuelle Abwägungen lasse. 441  Rüsken, in: Klein, § 30 AO, Rn. 182; Wulf, wistra 2006, 89 (90). 442  Berthold, Der Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 51, 106; Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 48 f.; Jesse, DB 2013, 1803 (1813). 443  Reiß, NJW 1977, 1436 (1437). 444  § 393 Abs. 2 AO: 1Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. 2Dies gilt nicht für Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5) besteht. BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 139/03, NStZ-RR 2004, 242 (243); Eidam, wistra 2004, 412 (412); Reiß, NJW 1977, 1436; ders., Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 203; abweichend: Jesse, DB 2013, 1803 (1812), der aus § 393 Abs. 2 S. 1 AO ein Strafverfolgungshindernis und nicht nur ein bloßes Verwertungsverbot ableitet. 445  Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (477).



D. Schutzinstitute293

darstellen. Für Steuerstraftaten greift im Unterschied dazu das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO. Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, „bei Steuerstraftaten im Moment des Aussagezwangs und bei Allgemeindelikten am Element der Verwertung“446 anzusetzen. § 393 Abs. 2 S. 1 AO ist in Korrelation zu § 30 Abs. 4 Nr. 4 lit. a AO zu sehen. Auch die Ausnahme in Bezug auf ein zwingendes öffentliches Interesse ist sowohl in § 393 Abs. 2 S. 3 als auch in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO verankert. Die Vorschriften sind insoweit deckungsgleich. § 30 AO richtet sich dabei an die Beamten des Besteuerungsverfahrens und § 393 Abs. 2 AO an die Strafverfolgungs­organe.447 Das Verwendungsverbot greift nach § 393 Abs. 2 AO immer, soweit „der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat“. Zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des Verwendungsverbots muss der Steuerpflichtige folglich die Tatsachen selbst vor Einleitung des Strafverfahrens respektive in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung seiner steuerrechtlichen Pflichten offenbart haben. Damit sind vom Verwertungsverbot weder Informationen betroffen, die auf anderem Wege zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörde gelangt sind, noch solche, die der Steuerpflichtige freiwillig in Kenntnis der Sachlage offenbart hat. Bei den „aus den Steuerakten“ bekanntgewordenen Tatsachen oder Beweismitteln ist zu differenzieren: Grundsätzlich sind darunter alle den Steuerpflich­ tigen betreffenden Akten aus dem Besteuerungsverfahren zu fassen, wozu auch die Akten der Außenprüfung gehören.448 Bei den von der Steuerfahndung angelegten Akten ist zu unterscheiden, ob die Informationen in deren Funktion im Besteuerungsverfahren oder in deren Funktion im Steuerstrafverfahren erlangt wurden.449 Umstritten ist ferner, wann ein Steuerpflichtiger im Rahmen seiner steuerlichen Pflichten handelt. Joecks geht in einem Beispielsfall davon aus, dass ein Steuerpflichtiger der Betriebsausgaben vortäuscht, seine steuerrechtlichen Pflichten gerade nicht erfüllt, sondern sie verletzt, sodass in einem solchen Fall ein Verwertungsverbot bereits keine Geltung finden kann.450 Auch bei Geldwäschedelikten, bei denen illegal generierte Umsätze und Gewinne als legale Gewinne deklariert und erklärt 446  Doege, 447  Jesse,

(477).

Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 188. DB 2013, 1803 (1812); vgl. auch Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465

DB 2013, 1803 (1812). Jesse, DB 2013, 1803 (1813), insoweit sei die „Quelle der Erkenntnisse“ maßgeblich. 450  Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (453) m. w. N.; i. E. ebenso: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (490 f.). 448  Jesse,

449  Dazu:

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

werden, besteht keine dahingehende Handlungspflicht, nicht im Rahmen des steuerlich erfassten Betriebes entstandene Umsätze zu erklären, sodass auch hier die „Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten“ nicht bejaht werden kann.451 Bei Erfüllung der Pflicht des § 153 Abs. 1 AO ist eine Erfüllung steuerlicher Pflichten jedoch unstreitig gegeben. a) Fernwirkung Es ist umstritten, wie der Begriff der „Verwendung“ exakt auszulegen ist. Die Mehrheit der Literatur sieht in § 393 Abs. 2 S. 1 AO ein einfaches Verwertungsverbot. Den Begriffen Verwendungs- und Verwertungsverbot wird dieselbe Bedeutung zugeschrieben.452 Es gibt jedoch vermehrt Stimmen, die das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO von einem einfachen Verwertungsverbot abgrenzen wollen. Dies wird aus der Terminologie „Verwendung“ abgeleitet, wonach § 393 Abs. 2 S. 1 AO ipso iure eine Fernwirkung zukommen müsse und die gegebenen Informationen damit auch nicht als Anhaltspunkt für weitergehende Ermittlungen genutzt werden dürften.453 Rogall leitet diese Auslegung des Begriffs aus den Gesetzgebungsmaterialien zur deckungsgleichen Formulierung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO her.454 Dabei wurde der ursprünglich vorgesehene Begriff der „Verwertung“ durch den Begriff „Verwendung“ ersetzt, um deutlich zu machen, „daß eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf“.455 In Bezug auf § 393 Abs. 2 AO ist entscheidend, dass das Verwendungsverbot lediglich auf Tatsachen beschränkt ist, die in einem Strafverfahren aus den Steuerakten bekannt wurden – d. h. das Verbot greift erst, wenn die für die Strafverfolgung zuständige Behörde bereits Kenntnis von den nicht zu verwertenden Tatsachen erlangt hat und insoweit bereits „bösgläubig“ geworden ist. Hieraus ergibt sich laut Rogall auch das Bedürfnis einer Fernwirkung – die Nutzung bekannter Anhaltspunkte für weitergehende Ermittlungen und damit eine mittelbare Verwertung wäre zu

451  BGH v. 14.6.1999 – 5 StR 159/99, wistra 1999, 341; zustimmend: Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (455 f.). 452  Vgl. Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (478 f.). 453  Hilgers-Klautzsch, in: Kohlmann, § 393 AO, Rn. 234 f.; Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (485); Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 322; wohl auch Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (452), der aus § 393 Abs. 2 S. 1 AO ein Verbot zur Weitergabe der Informationen ableitet. 454  Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (479) mit Verweis auf BT-Drs. 12/7302 v. 19.4.1994; zustimmend: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 185. 455  BT-Drs. 12/7302, S. 166, Nr. 62.



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naheliegend.456 Dem Verwendungsverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO muss damit im Ergebnis eine Fernwirkung zukommen. b) Verhältnis zur Selbstanzeige Aus Sicht des fünften Strafsenats457 und der Finanzverwaltung458 greift das Verwendungsverbot für Nicht-Steuerstraftaten nicht, wenn im Rahmen einer Selbstanzeige zugleich ein verwirklichtes Allgemeindelikt offenbart wird. Dies wird zum einen damit begründet, dass die Selbstanzeige freiwillig eingereicht werde und insoweit kein Schutz durch das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO erforderlich sei. Zum anderen rechtfertige es der Zweck der Selbstanzeige – die Aufdeckung verdeckter Steuerquellen – nicht, auch die Verfolgbarkeit von Allgemeindelikten einzuschränken.459 Dabei wird jedoch verkannt, dass die Offenbarung der Allgemeindelikte gerade mit der Aufdeckung neuer Steuerquellen einhergeht und sich beides im Rahmen einer Selbstanzeige nicht ohne weiteres trennen lässt.460 Eine entsprechende Auslegung widerspricht ferner dem eindeutigen Wortlaut des § 393 Abs. 2 AO. Demnach ist nur maßgeblich, dass die Angaben in Erfüllung einer steuer­rechtlichen Pflicht gemacht wurden. Wie bereits herausgearbeitet, erfüllt eine unrichtige oder unvollständige Erklärung nicht die allgemeinen Erklärungspflichten, sodass eine Selbstanzeige zwar nicht erzwungen werden kann, darin aber dennoch zugleich eine Erfüllung von fortbestehenden, steuerlichen Pflichten zu sehen ist.461 Ferner greift das Zwangsmittelverbot nach ständiger Rechtsprechung gerade nicht, wenn die Möglichkeit zur Selbstanzeige besteht, sodass sich der Betroffene auch bei Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige genau in einer der Zwangslagen befindet, die § 393 Abs. 2 AO beseitigen solle. Auch Jesse lehnt die Sicht der Rechtsprechung ab, da die Versagung des Verwendungsverbots eine Ungleichbehandlung zu den Fällen darstellen würde, in denen ein Allgemeindelikt bereits in der ursprünglichen Steuererklärung und nicht erst im Rahmen einer Selbstanzeige aufgedeckt wurde.462 § 393 Abs. 2 AO ist im Ergebnis damit auch in den Fällen anzuwenden, in denen eine wirksame Selbstanzeige abgegeben wurde. in: FS Kohlmann, S. 465 (487). v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720 (2723). 458  Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St) 2020 v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142, Nr. 150, Abs. 5. 459  Insoweit klarstellend: Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 99, wonach die Selbstanzeige nur bezüglich Steuerstraftaten eine strafbefreiende Wirkung entfalten könne. 460  Eidam, wistra 2004, 412 (413). 461  Eidam, wistra 2004, 412 (414); Radtke, GA 2020, 470 (479). 462  Hierzu: Jesse, DB 2013, 1803 (1813); a. A.: Eidam, wistra 2004, 412 (414). 456  Rogall, 457  BGH

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

c) Verfassungsmäßigkeit der Ausnahme des § 393 Abs. 2 S. 2 AO § 393 Abs. 2 S. 2 AO enthält ebenso wie § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO eine Ausnahme, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse an der Verfolgung einer Straftat besteht. Diese Ausnahme wird allerdings stark kritisiert und zum Teil als verfassungswidrig angesehen.463 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge ist diese Beschneidung jedoch aufgrund der hohen Relevanz der Schutzgüter zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt.464 Ebenso wird der steuerliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Rechtfertigung angeführt.465 Dadurch wird allerdings die absolut geschützte Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen tangiert, nachdem auch durch die insoweit parallele Regelung des Steuergeheimnisses kein Schutz erlangt wird. Besonders fragwürdig erscheint dabei, dass das öffentliche Interesse bei besonders schweren Straftaten mit hoher Strafandrohung bejaht wird – also genau bei jenen Fällen, in denen dem Beschuldigten hohe Strafen drohen und in denen damit der Wahrung des nemo-tenetur-Grundsatzes eine außerordentlich hohe Bedeutung zukäme.466 Aufgrund der Durchbrechung des Verwertungsverbotes für Straftaten, an deren Verfolgung ein besonderes öffentliches Interesse besteht, steht der Betroffene regelmäßig vor dem gesetzlich angeordneten Dilemma, dass er entweder durch eine Straftat erlangte, steuerpflichtige Einnahmen nicht angibt und sich dadurch wegen Steuerhinterziehung strafbar macht oder dass er die Einnahmen angibt und sich dann 463  Sich für eine Verfassungswidrigkeit der Regelung aussprechend: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 66; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 195–198; Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 220; Jesse, DB 2013, 1803 (1813); Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (495– 497); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 98; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 211; Wulf, wistra 2006, 89 (91); ebenso: Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 234 f., der auf S. 193 ferner feststellt, dass der Schutz des nemo-tenetur-Grundsatz nicht von dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung abhängen kann und die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO insoweit verfehlt ist. Auch Sahan vertritt die Ansicht, dass zur Garantie des nemo-teneturGrundsatzes die Ausnahme des § 393 Abs. 2 S. 2 AO aus dem Gesetz gestrichen werden sollte, um das erforderliche Maß an Rechtssicherheit für Betroffene herzustellen (Sahan, Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 158); vgl. dazu ebenfalls die Vorlage des LG Göttingen v. 11.12.2007 – 8 KLs 1/07, wistra 2008, 231, das die Ausnahme des § 393 Abs. 2 S. 2 AO für verfassungswidrig hielt. Die Vorlage wurde vom BVerfG mangels ausreichend dargelegter Entscheidungserheblichkeit als unzulässig abgewiesen (BVerfG v. 27.4.2010 – 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341). Eine materielle Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Ausnahmeregelung wurde damit nicht gefällt. 464  BVerfG v. 27.4.2010 – 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341 zu § 393 Abs. 1 AO. 465  BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NStZ 2002, 436 (437). 466  Salditt, DStJG Bd. 38 (2015), 277 (284); Samson, wistra 1988, 130 (131).



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der Strafverfolgung wegen der begangenen Straftat aussetzt.467 Der Betroffene wird in eine Zwangslage gebracht, in der für ihn ggf. nicht sicher vorhersehbar ist, ob das Verwertungsverbot greift oder nicht. Die Ausnahme­ regelung verletzt damit den nemo-tenetur-Grundsatz und ist somit mit der Verfassung nicht vereinbar.

II. Steuerstraftaten: Zwangsmittelverbot nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO Müssten durch die Erfüllung von Mitwirkungspflichten belastende Informationen bezüglich vorangegangener Steuerstraftaten offenbart werden, greift das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO. Demnach sind im Besteuerungsverfahren „Zwangsmittel (§ 328) gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten“. Mit dieser Norm wurde versucht, eine klare Trennlinie zwischen Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren zu ziehen.468 Indem die Erzwingbarkeit einer Pflicht ausgesetzt wird, wird ein Selbstbelastungszwang ausgeschlossen.469 Aus strafprozessualer Sicht liegt damit ein „faktisches Aussageverweigerungsrecht“ vor.470 wistra 1988, 130 (131). Steuerhinterziehung, S. 126; vgl. auch: Hellmann, Das NebenStrafverfahrensrecht der AO, S. 99. 469  BVerfG v. 27.4.2010 – 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341 (343) m.  w. N.; Al Hamwi, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, S. 196; Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 61; Doege, Bedeutung des nemotenetur-Grundsatzes, S. 172; Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (472), der insoweit von einer „Vollstreckungslösung“ spricht; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 210. 470  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 172; Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der AO, S. 99 f.; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 77; Nossen, in: Wannemacher, Rn. 3964; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 171; Rüster, wistra 1988, 49 (50); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 41; Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 39; dies verkennend: Streck, BB 1980, 1537 (1539), der dafür plädiert, das strafprozessuale Auskunftsverweigerungsrecht des Beschuldigten auf das Besteuerungsverfahren auszudehnen, um dadurch dessen Wirkung zu gewährleisten; insgesamt a. A.: Hahner, Beweisverwertungsverbote im Besteuerungsverfahren, S. 31, wonach sich aus der Norm kein Schweigerecht ergebe. Hierzu ist noch anzuführen, dass im Besteuerungsverfahren kein ausdrückliches Auskunftsverweigerungsrecht für den Steuerpflichtigen besteht. Die sich aus §§ 52 ff. StPO für Zeugen ergebenden Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsrechte finden zwar im Rahmen des Steuerrechts als Primärordnung in §§ 101 ff. AO ein entsprechendes Äquivalent – für einen Steuerpflichtigen, der zugleich Beschuldigter ist, ist ein Auskunftsverweigerungsrecht wie in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO in der Abgabenord467  Samson,

468  Dannecker,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

1. Vorrang der Selbstanzeige § 393 Abs. 1 S. 2 AO greift nur, wenn ein Selbstbelastungszwang gegeben ist. Eine Selbstbelastung liegt nach herrschender Meinung – wie bereits dargestellt – jedoch nicht vor, wenn die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige besteht, sodass § 393 Abs. 1 S. 2 AO grundsätzlich nachrangig zur Selbstanzeige einzuordnen ist.471 Dieser Vorrang kann jedoch nur gelten, soweit § 371 Abs. 1 AO im Einzelfall tatsächlich ausreichend Schutz gewährleistet und die Straffreiheit als sichere Folge vorhergesagt werden kann. 2. Zeitlicher Geltungsbereich Nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO ist die Anwendung von Zwangsmitteln im Besteuerungsverfahren im Falle einer Selbstbelastung ausgeschlossen. Gemäß § 393 Abs. 1 S. 3 AO gilt das Zwangsmittelverbot jedenfalls sobald und soweit gegen den Steuerpflichtigen wegen einer Steuerstraftat ein Strafverfahren eingeleitet worden ist.472 Ist noch kein Strafverfahren eingeleitet, so ist für die Geltung des Zwangsmittelverbots maßgeblich, ob die Informationen, die der Steuerpflichtige durch die Erfüllung seiner Pflichten preisgeben müsste, ausreichen, um einen Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO und dadurch die Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu begründen.473 Das Verbot ist insoweit von Amts wegen zu beachten: Sobald ein Strafverfahren eingeleitet wurde oder der Steuerpflichtige unter Hinweis auf das Zwangsmittelverbot seine Mitwirkung verweigert, dürfen keine Zwangsmittel mehr angewandt werden.474 Der fünfte Strafsenat hat sich im Gegensatz dazu dafür ausgesprochen, dass das Zwangsmittelverbot nur für die Veranlagungszeiträume gelten solle, für die bereits ein Ermittlungsverfahren wegen steuerstrafrechtlicher Verfehlungen eingeleitet wurde – für die übrigen Zeiträume solle die Mitwirkungsnung allerdings nicht vorgesehen [so auch: Rogall, ZRP 1975, 278 (279)]. Erst mit Einleitung des Steuerstrafverfahrens ist über § 385 Abs. 1 AO das sich aus der Strafprozessordnung ergebende Auskunftsverweigerungsrecht des Beschuldigten für den betroffenen Steuerpflichtigen im Strafverfahren anwendbar [Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (452)]. 471  Für tiefergehende Ausführungen zur Selbstanzeige im Kontext der Selbstbelastungsfreiheit siehe: S. 238 ff. 472  Gemäß § 397 Abs. 1 AO ist ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, „sobald die Finanzbehörde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, eine ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen“. 473  Jesse, DB 2013, 1803 (1810); Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (782). 474  Vgl. Jesse, DB 2013, 1803 (1808).



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pflicht weiterhin mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden können.475 Diese Ansicht ist allerdings mit dem Wortlaut der Norm nicht zu vereinbaren. Gemäß § 393 Abs. 1 S. 2 AO liegt die Gefahr einer Selbstbelastung zwar stets vor, soweit ein Strafverfahren eingeleitet ist – aber eben nicht nur in diesen Fällen.476 Selbst wenn nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Gemeinschuldnerbeschlusses für die Beantwortung der Frage, ob eine Offenbarungspflicht vollständig unzulässig ist oder ob lediglich der Transfer ins Strafverfahren unterbunden werden soll, danach zu differenziert ist,477 ob das Strafverfolgungsinteresse oder ein anderes Interesse überwiegt, würde dies keine Differenzierung danach erlauben, ob bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist oder nicht. Reiß arbeitet hierzu heraus, dass, wenn dem Besteuerungsinteresse ein höherer Rang als dem nemo-teneturGrundsatz zukommen sollte, dies unabhängig davon gelten müsse, ob ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist oder nicht – ungeachtet dessen blieben sowohl das Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung als auch das Interesse an der Strafverfolgung in gleichem Maße bestehen.478 Im Ergebnis ist die Geltung des Zwangsmittelverbots damit zeitlich nicht auf ein eingeleitetes Strafverfahren beschränkt. 3. Sachlicher Anwendungsbereich a) Betroffene Pflichten Zu den steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten, die ggf. nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht mehr mit Zwang durchgesetzt werden können, zählen die allgemeinen Auskunftspflichten nach §§ 90, 93 AO, die Urkundenvorlagepflichten nach § 97 AO, sowie die Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung nach § 200 AO und weitere sich aus der Abgabenordnung und den Einzelsteuergesetzen ergebende Pflichten, die eine aktive Mitwirkung des Steuerpflichtigen vorsehen. Diese sind vom Zwangsmittelverbot umfasst, soweit sich der Betroffene durch deren Erfüllung wegen einer begangenen Straftat belasten müsste. Der Umfang der Tat bestimmt sich nach dem konkreten steuerlichen Sachverhalt, der Gegenstand eines Steuerstrafverfahrens wäre – respektive bereits ist.479 Problematisch ist, dass der Wortlaut des 475  BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765); BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134 (1135). 476  Ebenso: Nossen, in: Wannemacher, Rn.  3970; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 85. 477  Siehe: S. 222 ff. 478  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 190 f. 479  Vgl.: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 173 f.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

§ 393 Abs. 1 S. 2 AO Zwangsmittel nur für den Steuerpflichtigen ausschließt und nicht auch für die übrigen Beteiligten, denen kein Auskunftsverweigerungsrecht nach §§ 101, 103 AO zukommt und die sich durch ein Unterlassen ebenso wie der Steuerpflichtige einer Steuerstraftat schuldig machen könnten. Darin wird allerdings nach überwiegender Ansicht eine planwidrige Regelungslücke gesehen und die Geltung des Zwangsmittelverbot daher zutreffend auf alle Beteiligten nach § 78 AO ausgeweitet.480 b) Der Begriff des Zwangsmittels Der Wortlaut des § 393 Abs. 1 S. 2 AO macht durch die Nennung des § 328 AO hinter dem Begriff des Zwangsmittels grundsätzlich deutlich, dass nur die in § 328 AO aufgeführten Institute – das Zwangsgeld nach § 329 AO, die Ersatzvornahme nach § 330 AO und der unmittelbarer Zwang nach § 331 AO – im Falle einer Selbstbelastungsgefahr ausgeschlossen sein sollen.481 Weitere Institute, die ebenfalls geeignet sind, Zwang auszuüben, werden im Umkehrschluss als nicht umfasst angesehen. Allerdings kann sich auch durch beispielsweise das Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2c AO, die Gefahr einer überhöhten Schätzung oder der Strafbewehrung einer Mitwirkungspflicht eine Zwangswirkung ergeben. Nach überzeugender Ansicht ist der Begriff des Zwangsmittels trotz des ausdrücklichen Verweises auf § 328 AO extensiv auszulegen482, sodass jedenfalls das Verzögerungsgeld des § 146 Abs. 2c AO und ähnliche Maßnahmen von § 393 Abs. 1 S. 2 AO umfasst sein müssen, um ein Unterlaufen des intendierten Schutzes zu vermeiden. Insoweit besteht eine planwidrige Regelungslücke: Es ließe sich nicht erklären, dass die Androhung von Zwangsgeld unzulässig, die Festsetzung von Verzögerungsgeld, das ebenso auf die Mitwirkung eines Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren gerichtet ist, aber zulässig wäre. Der Zusatz der Norm § 328 AO in Klammern ist daher als Nennung eines Beispiels aufzufassen. Wie die Schätzung und die Strafbewehrung im Verhältnis zum Zwangsmittelverbot zu bewerten sind, wird im Folgenden herausgearbeitet.

480  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 261 f.; Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (472); Teske, Abgrenzung, S. 418. 481  Vgl. Jäger, in: Klein, § 393 AO, Rn. 11; Jesse, DB 2013, 1803 (1809), der die Begrenzung allerdings als unbefriedigend bezeichnet, da auch andere Mittel eine Zwangswirkung entfalten, die geeignet sind, die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen einzuschränken. 482  Hilgers-Klautzsch, in: Kohlmann, § 393 AO, Rn. 64.



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aa) Schätzung nach § 162 AO Dadurch, dass die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen nicht suspendiert und damit die Möglichkeit einer Schätzung nach § 162 AO aufrecht­ erhalten wird, soll vermieden werden, dass straffällige Steuerpflichtige vor rechtstreuen Steuerbürgern bevorzugt werden.483 Ist ein Steuerpflichtiger berechtigt, die Mitwirkung zu verweigern, sollten ihm allerdings nach Rüping im Umkehrschluss auch keine Nachteile im Vergleich zu ehrlichen Steuerpflichtigen erwachsen.484 Dass eine Schätzung weiterhin möglich ist, wird in der Literatur daher kritisiert. Der Steuerpflichtige kann dadurch in die Konfliktsituation geraten, dass er schweigt, die Finanzbehörde daraus aber nachteilige Schlüsse zieht und der Besteuerung überhöhte Zahlen im Rahmen einer nachteiligen Schätzung zugrunde legt.485 Diese geht regelmäßig mit Sicherheitszuschlägen einher und kann damit zum Nachteil des Steuerpflichtigen ausfallen. Durch die Androhung der Schätzung kann somit auch mittelbar Druck auf den Steuerpflichtigen ausgeübt werden.486 Allerdings ist das Ziel einer Schätzung nach § 162 AO lediglich, die Realität abzubilden und eine gleichmäßige Besteuerung zu ermöglichen.487 Zwangsläufig ergibt sich aus einer Schätzung aber keine betragsgenau korrekte Berechnung der Steuerfestsetzung. Benz wirft damit richtigerweise die Frage auf, ob es dem Steuerpflichtigen zumutbar sei, möglicherweise zu viel Steuern zu zahlen, um damit vor Strafverfolgung geschützt zu werden.488 Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, dass sogenannte „Strafschätzungen“ bei denen bewusst stark überhöhte Werte angesetzt werden, um so eine Sank­ tionswirkung beim Betroffenen zu erzeugen, unzulässig sind.489 Der nemotenetur-Grundsatz zwingt weiterhin nur zu einer Entlastung von einem strafin: FS Kohlmann, S. 451 (452); dazu: BT-Drs. 7/4292, S. 46. NStZ 1997, 530 (533). 485  Seer, StB 1987, 128 (129). 486  Beckemper, ZIS 2012, 221 (223); Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 63; Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (366); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsverhältnis, S. 93; Wenzel, Das Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, S. 80–82; ebenso: Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (784 f.), der insoweit vom „Damoklesschwert der Schätzung“ spricht; zur Anwendung von Sicherheitszuschlägen vgl. ebenfalls: Gombert, Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, S. 92. 487  Gombert, Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, S. 20 f.; Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der AO, S. 115 f.; Madauß, NZWiSt 2020, 169 (170). 488  Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 64. 489  Trzaskalik, in: HHSp, § 162 AO, Rn. 39 m. w. N.; Besson, Steuergeheimnis und nemo-tenetur, S. 119; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 209; Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (783); vgl. auch: Halaczinsky, ErbStB 2007, 229 (230); dies ist lt. Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 211 auch die Prämisse für die Wahrung der Selbstbelastungsfreiheit. 483  Joecks,

484  Rüping/Kopp,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

rechtlichen – nicht aber von einem steuerrechtlichen – Mitwirkungsdruck.490 Er ist damit nicht geeignet, dem Steuerpflichtigen das Risiko einer nicht exakten Schätzung abzunehmen.491 Nachdem die Mitwirkungspflichten trotz Selbstbelastungsgefahr weiterbestehen, kann die Nichtmitwirkung von der Finanzbehörde folglich im Besteuerungsverfahren – und nur dort – auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. Im Strafverfahren darf aus der bloßen Verweigerung der Mitwirkung dagegen kein Beweis für eine Steuerverkürzung abgeleitet werden. Dadurch, dass aus dem Schweigen des Steuerpflichtigen nur für das Besteuerungsverfahren nachteilige Schlüsse gezogen werden, liegt auch kein verbotener Zwang zur Selbstbelastung vor. Die Regelung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO kann die Möglichkeit einer Schätzung nach § 162 AO damit auch bei einer extensiven Auslegung nicht ausschließen. bb) Strafbewehrung der steuerrechtlichen Pflichten Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wurde auf S. 129 bereits dargestellt, dass nach hier vertretener Ansicht § 393 Abs. 1 S. 2 AO durch den Ausschluss der Durchsetzbarkeit zu einem Ausschluss der materiellen Mitwirkungspflichten führt und die so entkernte Pflicht damit auch eine Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließt. Diese Ansicht weicht jedoch von der herrschenden Meinung ab. Dass die formelle Mitwirkungspflicht fortbesteht, bringe nach dieser strafrechtliche Konsequenzen mit sich: Sollte der Steuerpflichtige einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO nicht nachkommen, könne er sich gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar machen. Damit ergäbe sich zwar nicht durch Verwaltungszwang – jedoch durch die Androhung von Strafe ein Zwang zur Selbstbelastung.492 Auch Wulf kritisiert, dass dem Steuerpflichtigen in diesen Fällen der Strafvorwurf gemacht würde, „sich nicht selbst der Strafverfolgung zugeführt zu haben“.493 Der Verzicht auf die Anwendung von Verwaltungszwang könne damit nur dem ersten Anschein nach dem nemo-tenetur-Prinzip Genüge tun. Jedoch belässt es auch die Rechtsprechung nicht bei der Feststellung einer Strafbewehrung, sondern wirkt dieser Kon­ troverse durch die Herausbildung von über die Abgabenordnung hinausreiin: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 44. Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 64. 492  Vgl.: Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (455); Doege, Bedeutung des nemotenetur-Grundsatzes, S. 115; dazu grundsätzlich auch: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 9, wonach es eines besonderen Schutzes, ggf. durch ein Verwertungsverbot, bedarf, wenn rechtliche Nachteile einem Aussagezwang gleichkommen. 493  Wulf, PStR 2009, 190 (194). 490  Drüen, 491  Benz,



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chenden Schutzinstituten im Grenzbereich von Steuerrecht und Strafrecht entgegen. Vor Einleitung eines Strafverfahrens solle ein Verwertungsverbot greifen, wenn belastende Informationen bekannt gegeben werden müssten, und sobald ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, wird eine Suspendierung der Strafbewehrung angenommen.494 Auch wenn die Aufrechterhaltung der Strafbewehrung als legitim angesehen wird, besteht damit Einigkeit darüber, dass die Zwangswirkung einer Strafbewehrung die Selbstbelastungsfreiheit beeinträchtigt, sodass der Schutzumfang des § 393 Abs. 1 S. 2 AO insoweit lückenhaft ist.495 Nachfolgend soll zunächst die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Fällen einer Selbstbelastungsgefahr dargestellt und anschließend aufgezeigt werden, dass die herrschende Meinung zum einen in Bezug auf die absolute geschützte Selbstbelastungsfreiheit und zum anderen in Bezug auf die Systematik der Abgabenordnung nicht überzeugen kann. (1) Schutzinstitute des Bundesgerichtshofs (a) Suspendierung der Strafbewehrung Der Rechtsprechung zufolge wird die Strafbewehrung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen für die Veranlagungszeiträume suspendiert, in denen bereits eine Steuerhinterziehung verwirklicht und für die die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurde.496 Diese Suspen494  Vertiefende

Ausführungen dazu finden sich auf S. 303 ff. sowie S. 306 ff. NStZ 2003, 71 (75); Beckemper, ZIS 2012, 221 (226); Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 115; Heerspink, AO-StB 2006, 51 (51); Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (782); vgl. Nossen, in: Wannemacher, Rn. 3964, der von einer „bewusst lückenhaften“ Regelung spricht; dazu auch: Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 106–125, 131 f., der eine Ergänzung des § 370 Abs. 1 AO um einen persönlichen Strafausschließungsgrund fordert, nachdem sich nicht strafbar mache, wer sich durch eine Erklärung der konkreten Gefahr einer Strafverfolgung bezüglich einer vorangegangenen Steuerhinterziehung aussetzen würde – soweit nicht die Möglichkeit einer Selbstanzeige bestand; zur Schließung dieser Lücke ein Verwertungsverbot bejahend: Bruder, Beweisverwertungsverbote im Steuerrecht und Steuerstrafrecht, S. 114; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 493; K. Schäfer, in: FS Dünnebier, S. 11 (50); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 202.; insgesamt a. A.: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 65 f. 496  BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, NJW 2001, 3638 (3641); BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134 (1135); BGH v. 23.1.2002 – 5 StR 540/01, NJW 2002, 1733; BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19, StRR 2019, 20 (21); zustimmend: Jäger, in: Klein, § 393 AO, Rn. 28; Meyer-Mews, StraFo 2018, 177 (179); vgl. auch Behrendt, ZStW Bd. 94 (1982), 888 (902); a. A.: Barske, DStZ 1958, 25 (27 f.), nach dem auch aus der „Kollision von Pflicht und Recht nicht die Befugnis zur Nichterfüllung der Pflicht“ hergeleitet werden könne. Nach Eidam (Die strafpro495  Aselmann,

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

dierung soll gelten, solange die Erklärungspflichten dieselbe Steuerart, dasselbe Steueraufkommen und zumindest teilweise denselben Zeitraum betreffen.497 In diesem Fall könne der Steuerpflichtige zumindest für die vom Ermittlungsverfahren betroffenen Zeiträume und Steuerarten nicht mehr verpflichtet sein, eine inhaltlich richtige Steuererklärung abzugeben und damit den Hinterziehungsumfang selbst aufzudecken. Es ist davon auszugehen, dass dadurch, dass nicht die Pflicht zur Mitwirkung, sondern nur die Straf­ bewehrung der Pflicht suspendiert werde, weiterhin die Möglichkeit einer Schätzung offengehalten werden soll.498 Eine Schätzung knüpft jedoch nicht zwingend an eine Verletzung von Mitwirkungspflichten an – grundlegende Voraussetzung ist nach § 162 Abs. 1 AO vielmehr, dass der Finanzbehörde eine anderweitige Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen nicht möglich ist. Dies wäre auch der Fall, wenn die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen selbst suspendiert wären.499

zessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 230 f.) soll ein einheitlicher Schutz durch die Suspendierung der Strafbewehrung nach § 370 Abs. Nr. 1 und Nr. 2 AO erfolgen – womit sich auch ein Recht zur Lüge ergäbe. Dass in den Fällen, in denen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, die Suspendierung der Strafbewehrung der Berichtigungspflicht auch greift, wenn tatsächlich keine Straftat vorlag, wird von Biesgen/Noel verkannt. Diese kritisieren, dass durch die Erfüllung der Pflicht die Erfüllung des objektiven Tatbestandes offenbart würde und sich eine Verteidigung nur noch auf den subjektiven Tatbestand stützen könnte [vgl.: Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (187)]. Insgesamt ist die Terminologie nicht einheitlich – teilweise wird von einer Suspendierung der Pflicht (vgl. Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 159), zumeist jedoch lediglich von einer Suspendierung der Strafbewehrung gesprochen; vgl. die unterschiedliche Bezeichnung auf S. 1987 in BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984. Auch i. R. v. BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (764) und BGH v. 23.1.2002 – 5 StR 540/01, NJW 2002, 1733 (1734) ist von einer „Ausnahme von der strafbewehrten Pflicht“ die Rede. In BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, NJW 2001, 3638 (3641); ders., NJW 2002, 1733 wird ferner jeweils von der Suspendierung der Strafbewehrung ausgegangen. Im Ergebnis gibt es faktisch keinen Unterschied zwischen den Bezeichnungen: Wird die Pflicht suspendiert, so fehlt es einer Unterlassensstrafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO an einer Pflichtwidrigkeit. Wird die Strafbewehrung suspendiert, so besteht die Pflicht zwar weiter, kann allerdings aufgrund des Zwangsmittelverbots nicht durchgesetzt werden und auch im Wege einer Strafandrohung kann kein Druck mehr ausgeübt werden. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO ist in beiden Fällen weiterhin möglich, vgl. S. 301 f. 497  BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, NJW 2001, 3638 (3641); BGH v. 23.1.2002 – 5 StR 540/01, NJW 2002, 1733 (1734). 498  Vgl. hierzu: S. 56. 499  Tormöhlen, in: HHSp, § 393 AO, Rn. 41; vgl. Kap. 1 Fn. 209 und Kap. 3 Fn. 496.



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(aa) Zeitlicher Umfang Diese Suspendierung ist teilweise deckungsgleich mit der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht, nach der allerdings, auch wenn noch kein Strafverfahren eingeleitet wurde, eine Unzumutbarkeit vorliegen und damit ein pflichtwidriges Handeln nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen sein kann. Auch die Sicht der Rechtsprechung wird auf eine erweiterte Auslegung des Zwangsmittelverbots in § 393 Abs. 1 S. 2 oder S. 3 AO und insoweit auf eine Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zurückgeführt.500 Die Suspendierung der Strafbewehrung durch die Rechtsprechung soll jedoch zeitlich nicht so weit reichen wie das Zwangsmittelverbot, welches dem Gesetzeswortlaut zufolge auch bereits vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gilt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum es strafbar sein sollte, wenn der Steuerpflichtige vor Einleitung eines Steuerstrafverfahrens keine Berichtigungserklärung abgibt und warum hier keine Suspendierung der Strafbewehrung gelten soll – der Steuerpflichtige müsste sich, ebenso wie wenn bereits ein Strafverfahren eingeleitet wäre, für denselben Veranlagungszeitraum und dieselbe Steuerart selbst einer Steuerstraftat bezichtigen.501 Es wird in der Gesamtschau deutlich, dass sich die Reichweite der Suspendierung durch die Rechtsprechung ausschließlich aus profiskalischen Erwägungen ergibt. Ist ein Ermittlungsverfahren bereits eingeleitet, ist die Steuerverkürzung so gut wie aufgedeckt, sodass der Fiskus nicht mehr im selben Maße auf eine Berichtigung durch den Steuerpflichtigen angewiesen ist, wie wenn die Unrichtigkeit der Finanzbehörde noch gänzlich unbekannt ist und noch kein Strafverfahren eingeleitet wurde. (bb) Verhältnis zur Selbstanzeige Dem Ersten Strafsenat zufolge kommt die Suspendierung einer strafbewehrten Erklärungspflicht nicht in Betracht, wenn eine wirksame Selbstanzeige lediglich daran scheitert, dass die hinterzogenen Steuerbeträge mangels entsprechender Liquidität nicht nachentrichtet werden können, eine Entrichtung der Steuern aber bei pflichtgemäßer Mitwirkung möglich gewesen wä500  BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, NJW 2001, 3638 (3641); BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134 (1135); vgl. dazu auch: Böse, wistra 2003, 47 (48); Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (788); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 86; abweichend: Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 83 f., die die Suspendierung direkt aus dem nemo-tenetur-Grundsatz ableitet; sowie: Aselmann, NStZ 2003, 71 (73), wonach sich die Suspendierung aus einer einschränkenden Auslegung des § 370 Abs. 1 AO ergebe. 501  Vgl.: Schwedhelm, in: FS Streck, S. 561 (575); Streck/Spatscheck, wistra 1998, 334 (340 f.); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 85 f.

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re.502 Dadurch soll ebenfalls eine Benachteiligung der ehrlichen Steuerbürger vermieden werden. Diese Sicht lässt sich jedoch mit dem Schutzumfang der Selbstbelastungsfreiheit nicht vereinbaren.503 Es ist mit dem absoluten Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes nicht vereinbar und unzulässig, den Schutz vor einem Selbstbelastungszwang von der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Person abhängig zu machen. Dem ist damit zu widersprechen: Die Möglichkeit einer Selbstanzeige ist zwar vorrangig vor einer Suspendierung – ist diese allerdings ausgeschlossen, liegt eine Selbstbelastungsgefahr vor und es muss die Suspendierung der Strafbewehrung zwingend greifen. (b) Außergesetzliches Verwertungsverbot Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 17.3.2009 ausgeführt, dass – soweit Fälle eines unzumutbaren Zwangs zur Selbstbelastung im Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 AO verblieben – an der Strafbewehrung der Berichtigungspflicht festgehalten werden solle. Als Ausgleich dafür sei jedoch ein außergesetzliches, strafrechtliches „Beweismittelverwertungsoder Verwendungsverbot“ anzunehmen.504 Dieses lasse sich u. a. auf den Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts505 und einen Beschluss des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2005506 stützen. Das Verwertungsverbot soll sich dogmatisch, ebenso wie die Suspendierung der Strafbewehrung, mit einer erweiterten Auslegung des Zwangsmittelverbots in § 393 Abs. 1 S. 2 AO begründen lassen.507 Es soll gerade – anders als die vorrangige Selbstanzeige – nicht zur Straffreiheit des Betroffenen führen, sondern 502  BGH

v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1987). SAM 2012, 182 (185). 504  BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; zustimmend respektive ebenso: Krumm, in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 65; Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 5; Bruder, Beweisverwertungsverbote im Steuerrecht und Steuerstrafrecht, S. 114; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 493; Rogall, NStZ 2006, 41 (43); K. Schäfer, in: FS Dünnebier, S. 11 (50); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 202. 505  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1431, 1433); hierbei hat Heußner in einem Sondervotum kritisiert, dass ein Verwertungsverbot nicht genügend Rechtssicherheit schaffe und zu wenig weit gehe. Zugleich hat er die Idee eines Offenbarungsverbots gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten vorgebracht. Ein derartiges Offenbarungsverbot würde, nachdem das Verwertungsverbot gesetzlich nicht festgelegt ist und Ausnahmen für zulässig erachtet werden, erheblich zur Rechtssicherheit beitragen. Insoweit für das Steuerstrafrecht zustimmend: Beneke, BB 2016, 2327 (2328) u. a. mit Verweis auf die komplexen Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige. 506  BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765). 507  Kohlmann, in: FS Tipke, S. 487 (506); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 109; Streck, StV 1981, 362 (364). 503  Biesgen/Noel,



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vielmehr eine Bestrafung weiterhin zulassen.508 Verbleiben Fälle von unzumutbarem Zwang, sei es mit dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht vereinbar, wenn eine Selbstbezichtigung, mit der ein Steuerpflichtiger lediglich seinen Mitwirkungspflichten nachkommt, für andere Zwecke verwendet würde als diejenigen, die die Auskunftspflicht rechtfertigen.509 Das führe dazu, dass die im Steuerrecht durch die Strafandrohung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO faktisch erzwingbaren Angaben in einem Strafverfahren nicht gegen den Steuerpflichtigen verwendet werden dürfen. Dennoch müsse eine Verwertung im Besteuerungsverfahren und damit eine zutreffende und gleichmäßige Besteuerung möglich sein.510 Damit würde den widerstreitenden Interessen von Fiskus und Steuerpflichtigen gleichermaßen Rechnung getragen. Durch ein derartiges Verwertungsverbot würde außerdem deutlich, dass es sich bei § 153 AO um ein Instrumentarium des Besteuerungsverfahrens und nicht des Straf- und Bußgeldverfahrens handelt.511 (aa) Fernwirkung des Verwertungsverbots Wie weit das Verwendungs- bzw. Verwertungsverbot allerdings im Einzelfall reichen soll, hat der Bundesgerichtshof bislang weitestgehend offengelassen.512 In einem Urteil des Fünften Strafsenats aus dem Jahr 2005 hieß es dazu: „Ergeben sich für die Ermittlungsbehörden anderweitige Verdachtsmomente (etwa aus Kontrollmitteilungen) für das Vorliegen einer Steuerstraftat, sind sie nicht gehindert, diese zu verfolgen. Allein der Rückgriff auf die wahrheitsgemäßen Angaben des Steuerpflichtigen ist ihnen verwehrt.“513

Daraus wird abgeleitet, dass die dem Verwertungsverbot unterliegenden Angaben des Betroffenen weiterhin als „Ermittlungsansatz“ herangezogen 508  Thoma, Legitimität des § 398a AO, S. 247 f., der auch anmerkt, dass das Verwertungsverbot damit sogar eher den Leitlinien des nemo-tenetur-Grundsatzes entspreche als die Selbstanzeige, da der nemo-tenetur-Grundsatz nicht die Möglichkeit einer Bestrafung ausschließen solle, sondern nur den Zwang sich selbst dieser Strafe zuzuführen. 509  BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765). 510  Rogall, NStZ 2006, 41 (43); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 109; vgl. dazu auch: Hüttinger, Beweisverbote im Steuer- und Steuerstrafverfahren, S. 129, der klarstellt, dass ein strafrechtliches Verwertungsverbot unabhängig von einer Verwertung der Informationen im Besteuerungsverfahren zu beurteilen ist. 511  A. Müller, AO-StB 2004, 439 (440). 512  BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765); BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984; zustimmend: Beckemper, ZIS 2012, 221 (222). 513  BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765); ebenso: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 41; Thoma, Legitimität des § 398a AO, S. 246.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

werden können. Ebendies wird an der Annahme eines Verwertungsverbots bemängelt. Auch wenn die gegebenen Informationen nicht direkt verwertet werden können, so lassen sich leichter neue Erkenntnisse gewinnen, wenn die Beamten der Bußgeld- und Strafsachenstelle und der Steuerfahndung wissen, nach welchen Informationen sie suchen müssen.514 Insoweit ist auch die Doppelfunktion der Finanzbehörde kritisch zu betrachten.515 Daraus ergibt sich bereits denklogisch ein Konflikt: Es ist für das menschliche Gehirn wohl kaum handhabbar im Besteuerungsverfahren Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln und diese Informationen dann im darauffolgenden Strafverfahren aufgrund eines Verwertungsverbots zu ignorieren.516 Ferner gilt das Verwertungsverbot nicht im Besteuerungsverfahren, in dessen Rahmen daher – insoweit unproblematisch – geänderte Bescheide ergehen. Diese würden jedoch über die Steuerakten wieder dem Strafverfahren beigezogen, sodass eine unvoreingenommene Entscheidung des Strafrichters beinahe unmöglich ist.517 In diesen Fällen müssten die entsprechenden Steuerakten damit im Strafverfahren außenvorbleiben. Diesbezüglich fehlt es jedoch auch an Vorgaben bzw. Leitlinien, sodass ein außergesetzliches Verwertungsverbot in der Praxis nur eine unzureichende Wirksamkeit entfalten kann und damit faktisch seinen Zweck verfehlen würde. Ein einfaches Verwertungsverbot könnte daher nur ausreichend Schutz bieten, wenn ein Steuerpflichtiger einen Sachverhalt umfassend offenbart und es nebenher keine Informationen mit selbständiger Aussagekraft gibt.518 Ergibt sich allerdings – wie wohl in den meisten Fällen – kein derart umfassender Schutz, bedürfte es zur vollständigen Vermeidung eines Selbstbelastungszwangs einer Fernwirkung.519 Auch wenn die dem Verwertungsverbot 514  Wulf, PStR 2009, 190 (195); insoweit auch kritisch i. R. d. Gemeinschuldnerbeschlusses: Richter Heußner plädierte in einem Sondervotum für ein das strafrechtliche Verwertungsverbot ergänzendes Offenbarungsverbot gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten [BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1433); siehe Kap. 3 Fn. 505]. Dabei wird am Gemeinschuldnerbeschluss kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht negativen Fernwirkungen einer erzwungenen Selbstbelastung nicht entgegengewirkt hat [so: Stürner, NJW 1981, 1757 (1758)]. 515  Vgl. auch Tormöhlen, AO-StB 2010, 141 (143). 516  Insoweit auch eine Fernwirkung eines Verwertungsverbots als „Vorspiegelung künstlicher Realität“ bezeichnend: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 189 f. 517  Wulf, PStR 2009, 190 (195). 518  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 319; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 207. 519  Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166 (169); Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 11 f.; Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (185); Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 76; Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 190, 245;



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unterliegenden Informationen selbst keinen Eingang in das Strafverfahren finden, würden die durch die Anknüpfung daran erlangten Beweismittel dennoch eine mittelbare Verwertung der eigentlich einem Verwertungsverbot unterliegenden Informationen darstellen.520 Nach Streck ergibt sich die Fernwirkung eines Verwertungsverbots bereits aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Gemeinschuldnerbeschluss. Darin wurde unter Hervorhebung der essentiellen Bedeutung der Selbstbelastungsfreiheit betont, dass aus einem Primärverfahren keine erzwungenen Auskünfte in das Strafverfahren transferiert werden dürfen – daraus sei zu schließen, dass ein derartiger Informationstransfer auch mittelbar nicht erfolgen dürfe und ein außergesetzliches Verwertungsverbot damit immer mit einer unmittelbaren Fernwirkung einhergehen müsse.521 Dadurch soll zum einen sichergestellt werden, dass dem Hinterziehenden im Besteuerungsverfahren keine Vorteile gegenüber einem ehrlichen Steuerpflichtigen erwachsen und zum anderen, dass ein Steuerstraftäter nicht schlechter steht als sonstige Strafverfolgte. Wenzel leitet eine Fernwirkung aus dem Zweck des nemo-tenetur-Grundsatzes und aus der gesetzgeberischen Entscheidung in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO ab, wonach ein Verwendungsverbot besteht, wenn im Insolvenzverfahren belastende Informationen offenbart werden müssen. Diese Statuierung einer Fernwirkung eines Beweisverwertungsverbots bei einem Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit lasse sich durch eine analoge Anwendung auch auf den Konflikt im Bereich des Steuerstrafrechts übertragen.522 Würde man aber wiederum eine solche Fernwirkung annehmen, könnte ggf. eine strafrechtliche Verfolgung des Steuerstraftäters vollständig aus­ geschlossen werden – was weder Zweck des nemo-tenetur-Grundsatzes im Allgemeinen noch des Verwertungsverbots im Speziellen wäre.523 Auch wäre das Ergebnis wohl in vielen Fällen deckungsgleich mit den Rechtsfolgen einer strafbefreienden Selbstanzeige – obwohl deren Voraussetzungen gerade Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 188 f., 233; K. Schäfer, in: FS Dünnebier, S. 11 (50); Wulf, PStR 2009, 190 (195); vgl. auch Streck, StV 1981, 362 (363). 520  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 347. 521  Dazu im Ganzen: Streck, StV 1981, 362 (363 f.); zum Gemeinschuldnerbeschluss siehe S. 222 ff.; die Ableitbarkeit der Fernwirkung aus dem Gemeinschuldnerbeschluss dagegen verneinend: Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (463); Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 93 f. 522  Dazu: Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 327–329. 523  Vgl. dazu: Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 207 und Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 346, der insoweit die Gefahr einer unverhältnismäßigen Einschränkung polizeilicher Aufklärungstätigkeit aufzeigt; ebenso: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 319; Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (486); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 87.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

nicht vorlägen.524 Die Annahme einer Fernwirkung könnte damit die Wertung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO und die Voraussetzungen des § 398a AO unterlaufen. Läge beispielsweise eine Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO mit einer vorangegangenen bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung i. H. v. über 25.000 Euro vor, könnte durch die Erfüllung der Berichtigungspflicht unter umfassender Offenlegung aller Tatsachen durch ein Verwertungsverbot mit Fernwirkung faktisch Straffreiheit herbeigeführt werden. Könnte auf diesem Wege die Zahlung des Zuschlags nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO rechtmäßig umgangen werden, stünde der ursprünglich mit Eventualvorsatz Handelnde besser als der Täter, der mit dolus directus gehandelt hat.525 Für eine derartige Besserstellung ist jedoch ebenfalls keine Rechtfertigung ersichtlich. Dadurch wird deutlich, dass sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum bedingten Vorsatz nicht widerspruchsfrei in die Systematik von Besteuerungs- und Strafverfahren einfügt.526 Zur Prüfung der Wirksamkeit einer Selbstanzeige bzw. Berichtigung und der strafrechtlichen Relevanz eines Vorgangs wird die Erklärung auch an die Bußgeld- und Strafsachenstelle weitergeleitet, sodass auch ein Weitergabeverbot praktisch nicht zweckmäßig wäre.527 Mit Blick auf die absolute Geltung der Selbstbelastungsfreiheit könnte ein ausreichender Schutz dieser nur mit einem umfassenden Verwendungsverbot erzielt werden, sodass eine Fernwirkung zwingend zu bejahen wäre. Die unterschiedlichen Ansichten zur Fernwirkung des Verwertungsverbots führen allerdings weitgehend zu Rechtsunsicherheit. Der Schutzumfang des nemo-tenetur-Grundsatzes umfasst jedoch auch bereits die Gefahr einer Verwertung. In conclusio kann ein vermeintlicher Straftäter damit, aufgrund der Unklarheit darüber, ob eine Strafverfolgungsbehörde offenbarte Informa524  Vgl. Schuster, JZ 2015, 27 (31), wonach faktisch Straffreiheit eintrete, ohne dass der Fiskus zugleich zwingend seinen Steueranspruch realisiere. Dies wäre der Fall, wenn eine Selbstanzeige an mangelnder Liquidität des Steuerstraftäters scheitere; ebenso: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 324, der insoweit von einer Selbstanzeige contra legem spricht. 525  Den ursprünglich mit dolus directus Handelnden trifft gerade keine Berichtigungspflicht i. S. d. § 153 Abs. 1 AO, sodass er nach h. M. nicht zur Berichtigung verpflichtet ist (§ 393 Abs. 1 S. 2 AO und keine eigenständige Strafbewehrung der fortbestehenden Mitwirkungspflicht). Somit könnte er auch nicht von einem Verwertungsverbot mit Fernwirkung profitieren. Um in die faktische Straffreiheit zu gelangen, müssten die Voraussetzungen des § 371 AO bzw. des § 398a AO erfüllt werden. 526  Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (185). 527  Lt. Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 204 f. würde ein Weitergabe- bzw. Offenbarungsverbot auch daran scheitern, dass dadurch die Primärordnung als nachkonstitutionelles Recht und nicht das Strafprozessrecht ergänzt würde. Diese Ansicht ist jedoch mit Verweis auf die Ausführungen von Doege (Die Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 309 ff.) abzulehnen.



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tionen – wenn auch nur mittelbar – nutzen darf, nicht gezwungen werden, diese preiszugeben und darauf zu hoffen, dass das nemo-tenetur-Prinzip gewahrt werde und das Gericht nicht gerade eine Ausnahme für einschlägig erachtet.528 (bb) Nachkonstitutionelles Gesetz Im Gemeinschuldnerbeschluss stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass es grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers ist, Gesetzeslücken zu schließen, soweit Regelungen nicht mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar sind. Diese Aufgabe kommt bei vorkonstitutionellen, überkommenen Regelungen auch der Rechtsprechung zu und diese ist gehalten, Gesetzeslücken durch eine verfassungskonforme und möglichst nah am Wortlaut gehaltene Auslegung entsprechend zu ergänzen.529 Nachkonstitutionelle Regelungen, die verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht ausreichend Rechnung tragen, wären dagegen verfassungswidrig und könnten nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ergänzt werden.530 Ob eine verfassungskonforme Auslegung bei der Abgabenordnung als nachkonstitutionellem Gesetz möglich ist, ist daher umstritten. Es sei dem Gesetzgeber schwer zu unterstellen, die Regelung des § 393 AO nicht so gewollt zu haben, wie sie formuliert ist – die Schaffung eines Verwertungsverbotes, das über § 393 Abs. 2 S. 1 AO hinausgehe, könnte damit dem ausdrücklich formulierten Willen des Gesetzgebers widersprechen.531 Nach einer Ansicht ist die Beschränkung der verfassungskonformen Rechtsfortbildung auf ausschließlich vorkonstitutionelle Gesetze nicht zwingend.532 Doege zufolge sei mit dieser Einschränkung die Wahrung der Ge528  Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (463) macht deutlich, „dass die Frage der Erklärungspflicht ebenso unsicher ist wie die des Verwendungsverbots nach wahrheitsgemäßer Erklärung“; ebenso: Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 93 f. 529  BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 (1433). 530  Vgl. Dingeldey, NStZ 1984, 529 (530). 531  Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 74; Kopf/Szalai, NJ 2010, 363 (369); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 128 f.; insoweit auch kritisch zum Urteil des BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1985: Reiß, in: FS Samson, S. 571 (575). 532  Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 34–37; Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 184; ebenso: Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 144 f., nachdem die Aussage im Gemeinschuldnerbeschluss als „Ausdruck der grundsätzlichen Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der Aufgabe des Gesetzgebers verstanden werden“ könne – im Allgemeinen aber nicht zwingend sei. Wolff verweist ferner insoweit auf den Gemeinschuldnerbeschluss, als dass durch das Verwertungsverbot nicht die Insolvenz­ ordnung als Primärordnung ergänzt werden soll, sondern vielmehr die strafprozessu-

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

waltenteilung intendiert. Solange jedoch eine planwidrige Regelungslücke bestehe und die Grenze von einer „zulässigen Rechtsfortbildung praeter legem“ zu einer „unzulässigen Rechtsfindung contra legem“ nicht überschritten werde, werde der Wille des nachkonstitutionellen Gesetzgebers nicht umgangen, sondern gerade gewahrt.533 Die Rechtsprechung greift damit nicht in den Kompetenzbereich der Legislative ein, solange sie Regelungen nicht korrigiert, sondern lediglich fortbildet. Ferner sind abschließende gesetzliche Regelungen von Verwertungsverboten dem deutschen Strafrecht im Allgemeinen nicht immanent.534 Es ist damit zu klären, ob das Fehlen eines gesetzlich verankerten Verwertungsverbots für Steuerstraftaten eine planwidrige Regelungslücke darstellt oder ob ein außergesetzliches Verwertungsverbot den Willen des Gesetz­ gebers umgeht. § 393 Abs. 2 S. 1 AO normiert ein Verwertungsverbot ausdrücklich nur für die Verfolgung der Fälle, die keine Steuerstraftat darstellen – eine Ausweitung des Verwertungsverbots könnte damit dem eindeutigen Wortlaut widersprechen.535 Die Regelung zu Nicht-Steuerstraftaten in § 393 Abs. 2 AO ist allerdings getrennt von der zu Steuerstraftaten in § 393 Abs. 1 AO zu betrachten – entscheidend ist, dass bei der Regelung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO wohl verkannt wurde, dass auch eine Strafbewehrung von Erklärungspflichten einen Zwangsmoment für den betroffenen Steuerpflichtigen herbeiführen kann. Die Konfliktsituation der Selbstbelastungsgefahr in Bezug auf Steuerstraftaten bei Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten wurde damit seitens des Gesetzgebers lediglich lückenhaft geregelt. Diese Regelungslücke ist autonom von § 393 Abs. 2 AO zu beurteilen. Auch eine Planmäßigkeit der Lücke kann nicht angenommen werden, da das Zwangsmittelverbot deutlich macht, dass eine erzwungene Mitwirkung im Falle einer Selbstbelastungsgefahr als nicht zumutbar zu qualifizieren ist. Es ist widersprüchlich, nur den sich aus der Anwendung von Verwaltungszwang ergebenden Zwangsmoment, nicht aber den sich aus einer Strafbewehrung ergebenden auszuschließen. Es kann dem Gesetzgeber daher nicht unterstellt werden, diese Regelungslücke bewusst offengelassen und nur die zweitgealen Ermittlungsbefugnisse, die gleich sind, „unabhängig davon, ob es sich um das vorkonstitutionelle Konkursverfahren oder um das nachkonstitutionelle Erhebungsverfahren handelt“. 533  Doege, Die Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 184 f. m. w. N., vgl. v. a. Fn.  1196. 534  Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (794). 535  OLG Hamburg v. 7.5.1996 – 2 StO 1/96, wistra 1996, 239 (240); Böse, wistra 2003, 47 (48); Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 70 f.; Samson, wistra 1988, 130 (132); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 111; so: Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 63; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 314.



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nannte Zwangssituation als zumutbar erachtet zu haben.536 Im Ergebnis ist die planwidrige Regelungslücke im Wege der Rechtsfortbildung durch die Gerichte zu schließen – dies muss jedoch nicht zwingend über ein Verwendungsverbot, sondern könnte ebenso durch eine Suspendierung der strafbewehrten Pflicht erfolgen. Dass die Abgabenordnung ein nachkonstitutionelles Gesetz ist, schließt die Annahme eines außergesetzlichen Verwendungsverbots allerdings im Ergebnis nicht aus. (cc) Verhältnis des Verwertungsverbots zur Selbstanzeige Das vom Bundesgerichtshof angenommene, außergesetzliche Verwertungsverbot soll nur greifen, wenn tatsächlich eine strafbewehrte Berichtigungspflicht besteht, was bei der vorrangigen und nach herrschender Meinung freiwilligen Selbstanzeige nicht der Fall wäre. Dies ist insoweit problematisch, als dass für den Betroffenen in der Praxis häufig schwer zu erkennen ist, ob die Finanzbehörde ebenfalls eine Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO anerkennt oder ob diese die ursprüngliche Abgabe einer fehlerhaften Erklärung als absichtlich oder wissentlich einordnet und damit eine „freiwillige“ Selbstanzeige einschlägig wäre. Würde der zweite Fall in der Praxis eintreten, könnten die offenbarten Informationen nach ständiger Rechtsprechung uneingeschränkt in einem Strafverfahren verwertet werden.537 Dass bereits umstritten ist, wann eine Pflicht zur Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO überhaupt entsteht, verschärft diese Zwangslage zusätzlich: Reicht der Steuerpflichtige vorsorglich eine Berichtigungserklärung ein, so besteht die Gefahr, dass die Finanzbehörde nachträglich eine Pflicht zur Berichtigung und damit auch ein Verwendungsverbot verneint und die in der Berichtigungserklärung offengelegten Informationen in einem Strafverfahren verwertet. Insoweit kann das von der Rechtsprechung angenommene Verwertungsverbot keine für einen ausreichenden Schutz des Betroffenen erforderliche Rechtssicherheit gewährleisten. (c) Zwischenfazit Der Bundesgerichtshof hält zusammengefasst vor Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens steuerliche Mitwirkungspflichten trotz Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 188. hierzu die Wertungen zu § 393 Abs. 2 AO: BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720 (2723); bestätigt durch: BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1315/04, NJW 2005, 352; zustimmend: Rogall, in: FS Kohlmann, S. 465 (475); Rolletschke/Roth, Selbstanzeige, Rn. 14. In diesem Fall lag eine wirksame Selbstanzeige vor – für eine Selbstanzeige besteht jedoch nach h. M. auch keine Handlungspflicht, sodass die freiwillig gemachten Angaben als verwertbar angesehen wurden. 536  Doege, 537  Vgl.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Selbstbelastungsgefahr aufrecht und nimmt in diesen Fällen erst in einem nächsten Schritt ein Verwertungsverbot an. Erst nach der Einleitung eines Strafverfahrens sei für die entsprechenden Veranlagungszeiträume eine Suspendierung der strafbewehrten Pflichten vorzunehmen. Dass die Erklärungspflicht vor Einleitung eines Strafverfahrens erhalten werden soll, lässt sich damit erklären, dass die Tat in diesen Fällen noch unentdeckt ist und damit kaum eine Chance für die Finanzbehörde besteht, die verkürzten Steuern nachträglich festzusetzen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit nicht selbst durch eine Berichtigungserklärung offenbart. Wurde ein Ermittlungsverfahren dagegen eingeleitet, sind Unregelmäßigkeiten bereits bekannt und die Finanzbehörde ist nicht mehr auf die Offenbarung des Steuerpflichtigen angewiesen, um die Steuerausfälle nachträglich festsetzen zu können. Die Suspendierung der Strafbewehrung würde die Mitwirkungspflichten in höherem Maße begrenzen als ein bloßes Verwertungsverbot und eine Erlangung respektive Verwertung von Informationen ebenso für das Besteuerungsverfahren und nicht nur für das Steuerstrafverfahren verhindern. Diese Vernachlässigung fiskalischer Interessen hält auch Hellmann für zu weit gehend.538 Die vom Bundesgerichtshof etablierten Schutzinstitute ergeben sich damit aus fiskalischen Erwägungen. Problematisch ist dabei, dass die Reichweite des Verwertungsverbots stark umstritten ist und damit mit einem Maß an Rechtsunsicherheit für den Betroffenen einhergeht, das mit dem nemo-tenetur-Grundsatz nicht mehr vereinbart werden kann. Könnte die Berichtigung mangels Fernwirkung des Verwertungsverbot als Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungen herangezogen werden, würde dadurch vom Betroffenen selbst die Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung geschaffen. Solange folglich nicht garantiert werden kann, dass mit einer mittels Strafbewehrung erzwungenen Berichtigungserklärung offenbarte, belastende Informationen keinen Eingang in ein mögliches Steuerstrafverfahren finden, besteht kein ausreichender Schutz in den Anwendungsfällen des § 153 Abs. 1 AO. Solange ein Verwertungsverbot keine ausreichende Konturierung durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung erfährt, ist die Ansicht der Rechtsprechung als zu wenig weitreichend abzulehnen. (2) Eigener Lösungsansatz Unterstellt, das Verwertungsverbot würde einen ausreichenden Schutz gewährleisten, wäre jedoch ebenfalls fraglich, ob sich die Annahme eines solchen in das von der Abgabenordnung vorgesehene Schutzsystem einfügt. Wie bereits herausgearbeitet, besteht in Bezug auf Nicht-Steuerstraftaten eine uneingeschränkte Offenbarungspflicht. Die Abgabe belastender Erklärungen 538  Hellmann,

JZ 2002, 617 (619).



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im Besteuerungsverfahren wird als zumutbar angesehen, der Transfer der offenbarten Informationen in ein Strafverfahren hat jedoch nach der gesetz­ lichen Wertung zu unterbleiben. Schutz wird insoweit durch das Steuergeheimnis des § 30 AO und das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO gewährt. Dies ist auch insoweit interessengerecht, als für die Verfolgung von Nicht-Steuerstraftaten keine Zuständigkeit bei den Finanzbehörden liegt – anders als bei Steuerstraftaten. Treffen steuerliche Mitwirkungspflichten und die Gefahr einer Selbstbelastung bezüglich einer vorangegangenen Steuerstraftat zusammen, enthält die Abgabenordnung einen zweistufigen Schutz: Vorrangig ist die Selbstanzeige nach § 371 AO und nachrangig das Zwangsmittelverbot nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO einschlägig. Die Selbstanzeige schließt – die Vorhersehbarkeit der Straffreiheit als Folge vorausgesetzt – bereits eine Selbstbelastung aus. Sie ist als Instrument im Ansatz vergleichbar mit einem Verwertungsverbot, bietet jedoch einen umfangreicheren Schutz, indem nicht nur die Verwertung der Informationen ausgeschlossen, sondern darüber hinaus sogar Straffreiheit erlangt wird. Dass ein bloßes Verwertungsverbot für Steuerstraftaten auch nur bedingt zielführend wäre, ergibt sich – wie bereits ausgeführt – aus der Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde respektive der sich überschneidenden Zuständigkeit in den Bereichen des Besteuerungs- und des Steuerstrafverfahrens. Eine strikte Trennung der Informationsverarbeitung ist in diesem Grenzbereich faktisch kaum möglich.539 Insgesamt hat der Gesetzgeber daher mit der Selbstanzeige ein dem Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO ähnliches und sogar weitergehendes Institut für die Selbstbelastungsgefahr bei Steuerstraftaten geschaffen. Erst nachrangig greift das Zwangsmittelverbot. Die Selbstanzeige war bis zu ihrer Verschärfung in den Jahren 2011 und 2015 ferner nur ausgeschlossen, wenn die Steuerstraftat bereits bzw. so gut wie aufgedeckt war und die Finanzbehörden nicht mehr auf die Mitwirkung des Betroffenen für eine gleichmäßige Besteuerung angewiesen waren.540 Insoweit wird deutlich, dass sich die der aktuellen Rechtsprechung zugrundeliegende Intention in ausgereifterem Maße bereits in der Abgabenordnung finden ließ. Der nachrangigen Geltung des Zwangsmittelverbots nach § 393 539  Vgl.

hierzu die Ausführungen auf S. 228 ff. § 371 Abs. 2 AO in der Fassung gültig vom 1.9.2002 bis zum 2.5.2011: (2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn 1. vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung a) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder b) dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist oder 2. die Tat im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. 540  Siehe

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Abs. 1 S. 2 AO lässt sich die Wertung entnehmen, dass sobald die Selbstanzeige nicht mehr einschlägig ist, die Mitwirkung auch nicht mehr zumutbar ist und auch nicht mehr mit Zwang durchgesetzt werden kann. Mit dieser in § 393 Abs. 1 S. 2 AO enthaltenen gesetzgeberischen Wertung lassen sich bei einer extensiven Auslegung nicht nur die in § 328 AO aufgezählten Zwangsmittel, sondern auch eine Strafbewehrung ausschließen. Hierzu werden die im zweiten Kapitel dieser Arbeit getroffenen Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst: § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft nur das pflichtwidrige Unterlassen der Inkenntnissetzung der zuständigen Finanzbehörde. Aus materieller Sicht besteht jedoch keine Pflicht, wenn diese nicht durch Zwang durchgesetzt werden kann. Im Rahmen der asymmetrischen Pflichtenakzessorietät wurde ferner dargestellt, dass eine formelle primärrechtliche Pflichtenstellung nicht ohne weitere Prüfung in das Strafrecht übernommen werden kann. Für die Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO muss damit die – in den Fällen des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht bestehende – materielle und nicht die formelle Pflichtenstellung maßgeblich sein.541 Würde durch die Strafandrohung wieder eine Durchsetzbarkeit konstruiert, würde dies den Regelungsgehalt des Zwangsmittelverbots unterlaufen und wäre damit contra legem. Der Gesetzgeber wollte für den Steuerbürger eine Entlastung schaffen und diesen davor bewahren, zu einer Selbstbelastung gezwungen zu werden. Kommt der Steuerpflichtige einer unzumutbaren Handlungspflicht nicht nach, kann dies keine Strafbarkeit nach sich ziehen. Im Grundsatz könnte die Zumutbarkeit zwar ebenso durch ein Verwertungs- bzw. Verwendungsverbot gewahrt werden542 – soweit dem Steuerpflichtigen dadurch ein angemessener Schutz gewährt werde und offenbarte Informationen keinen Eingang in ein Strafverfahren fänden, käme es nicht zu einem Verstoß gegen den nemo-teneturGrundsatz und dem Steuerpflichtigen wäre eine Offenbarung zumutbar. Dass ein bloßes Verwertungsverbot im Bereich des Steuerstrafverfahrens jedoch keinen ausreichenden Schutz gewährleistet, hat der Gesetzgeber mit den unterschiedlichen Regelungen zu Steuerstraftaten und Nicht-Steuerstraftaten deutlich gemacht. Aus § 393 Abs. 1 S. 2 AO geht deutlich hervor, dass es in Bezug auf Steuerstraftaten dem Betroffenen freigestellt werden soll, ob dieser mitwirken möchte oder nicht. Ein Verwertungsverbot würde hingegen eine Mitwirkungspflicht voraussetzen und überzeugt damit nicht. Es wäre in den Fällen, in denen die Straftat beinahe entdeckt ist, sogar eher kontraproduktiv: Die Finanzbehörde hätte sich bereits in eine Lage versetzt, in der sowohl eine Steuerfestsetzung als auch eine Strafverfolgung greifbar wären. Der Steuerstraftäter könnte nun ggf. durch eine Offenbarung des vollständigen Sachverhalts unter Berufung auf eine Strafbewehrung einer Berichti541  Im

Ergebnis ebenso: Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 471. in: Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 160.

542  Krumm,



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gungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO alle für ein Strafverfahren benötigten Informationen einem Verwendungsverbot unterwerfen und damit faktisch die Wirkung einer Selbstanzeige erzielen – auch wenn diese nach § 371 Abs. 2 AO bereits ausgeschlossen war. Im Ergebnis ergibt sich damit aus dem Zwangsmittelverbot zugleich eine Suspendierung einer etwaigen Strafbewehrung.543 In der Zusammenschau hatte der Gesetzgeber mit der Selbstanzeige und unter Zugrundelegung einer extensiven Auslegung des Begriffs „Zwangsmittel“ in § 393 Abs. 1 S. 2 AO damit einen vollumfänglichen Schutz des Steuerstraftäters vor einem Selbstbelastungszwang geschaffen – ohne dass noch Raum für ein von der Gesetzgebung konstruiertes Verwertungsverbot verbliebe.544 Durch die Novellierung der Selbstanzeige und die Einführung des § 398a AO wurden die Voraussetzungen der Selbstanzeige allerdings so weit verschärft, dass diese aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Rechtsfolge in vielen Fällen keinen ausreichenden Schutz mehr bietet. Auch inwieweit die Möglichkeit der Zahlung eines Strafzuschlags nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO ein Fortbestehen von strafbewehrten Mitwirkungspflichten rechtfertigen kann, ist fraglich. Durch die Verschärfungen der Selbstanzeige hat die oben dargestellte Systematik damit an Klarheit und Konsistenz eingebüßt. Dadurch wurden das Zwangsmittelverbot und der damit verbundene Ausschluss einer Strafbewehrung praktisch relevanter. Der Fokus hat sich in der Gesamtschau von einem fiskalischen Interesse hin zur Erhaltung der Bestrafungsmöglichkeit gewandelt. Im Ergebnis rechtfertigt eine Novellierung der Selbstanzeige allerdings keine Umgehung des in der Abgabenordnung klar angelegten Schutzkonstrukts. 4. Belehrungspflicht In Bezug auf das Zwangsmittelverbot besteht nach § 393 Abs. 1 S. 4 AO eine Belehrungspflicht. Der Steuerpflichtige ist – soweit dazu Anlass besteht – darüber zu belehren, dass er auch im Besteuerungsverfahren nicht mit 543  Ebenfalls zu diesem Schluss kommend: Dingeldey, NStZ 1984, 529 (534); Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 190; auch Wulf, wistra 2006, 89 (90) zählt die Androhung von strafrechtlichen Sanktionen – wenn auch unabhängig von § 393 Abs. 1 S. 2 AO – zu dem Begriff des Zwangsmittels. 544  Vgl. dazu: Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 103 f., nach der es keines Verwertungsverbots bedürfe, wenn dem Steuerpflichtigen der erforderliche Schutz bereits auf Ebene der strafbewehrten Erklärungspflicht zu Teil werde. Dies widerspreche auch nicht dem Gemeinschuldnerbeschluss, da dieser lediglich festhalte, dass der Selbstbelastungsfreiheit durch ein Verwertungsverbot genügt werden kann – ein weitergehender Schutz sei damit ebenso vertretbar.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Zwangsmitteln dazu gezwungen werden kann, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Eidam kritisiert dabei zu Recht, dass eine lediglich anlassbezogene Belehrung den Zweck des Zwangsmittelverbots missachtet und dieses in seiner Wirksamkeit stark beeinträchtigt.545 Damit besteht eine nicht unerhebliche Gefahr, dass Betroffene erst zu einem Zeitpunkt Kenntnis von ihren Rechten erhalten, zu dem bereits belastende Informationen offenbart wurden. Eidam plädiert daher für die Vorverlagerung der Belehrungspflicht auf alle Fälle, in denen die Finanzbehörde eine Person zu aktivem Handeln auffordert. Dieser weiten Auslegung des § 393 Abs. 1 S. 3 AO ist mit Blick auf den Sinn und Zweck der Belehrungspflicht zuzustimmen. Nur dadurch kann dem absoluten Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich zwischen Besteuerungsund Steuerstrafverfahren ausreichend Rechnung getragen werden. Unterbleibt eine Belehrung, können die erlangten Informationen laut Recht­ sprechung im Besteuerungsverfahren grundsätzlich verwertet werden546, im Strafverfahren greift allerdings ein Verwertungsverbot.547 Die Verwertung im Besteuerungsverfahren lässt sich damit rechtfertigen, dass die Mitwirkungspflichten weiter bestehen bleiben und der nemo-tenetur-Grundsatz lediglich im Bereich des Strafverfahrens seinen Schutz entfaltet. Dass im Besteuerungsverfahren mit den gegebenen Informationen Steuerfehlbeträge nachträglich festgesetzt werden, ist damit zulässig. Eine Ausnahme ist lediglich denkbar, wenn ein Steuerpflichtiger unter dem Eindruck angedrohter oder angewendeter Zwangsmittel zu konkreten Mitwirkungshandlungen im Besteuerungsverfahren veranlasst worden wäre.548 Dass sich durch ein aus dem Zwangsmittelverbot hergeleitetes Verwertungsverbot im Strafverfahren regelmäßig Vorteile für den Steuerpflichtigen ergeben, ist lediglich „unvermeidliche Nebenfolge“549, um dem nemo-tenetur-Grundsatz im Grenz­ bereich zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren ausreichend Rechnung zu tragen.

545  Dazu sowie zum Folgenden: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 212–215. 546  BFH v. 23.1.2002 – XI R 10, 11/01, BStBl. II 2002, 328; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 103 (104 f.); zustimmend: Eidam, wistra 2006, 11 (12); Hahner, Beweisverwertungsverbote im Besteuerungsverfahren, S. 32; a. A.: Rogall, in: FS Rieß, S. 951 (980), der in diesen Fällen auch im Besteuerungsverfahren ein Verwertungsverbot bejaht. 547  BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 (2725). 548  BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 103 (105). 549  Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, S. 49.



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5. Fazit Im Bereich des § 153 Abs. 1 AO kommt dem Verbot von Zwangsmitteln i. S. d. § 328 AO kaum eine Bedeutung zu. § 153 Abs. 1 AO statuiert eine Berichtigungspflicht, die ohne amtliche Aufforderung zu erfüllen ist.550 Der zuständigen Finanzbehörde fehlt es in der Regel bereits an einer Kenntnis der entstanden Pflicht, sodass die Verhängung von Zwangsmitteln schon praktisch nicht möglich wäre. Kennt die Finanzbehörde die Unrichtigkeit der Erklärung dagegen, ist bereits umstritten, ob eine Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO mangels Erreichbarkeit des Normzwecks überhaupt entsteht.551 Eine Zwangswirkung in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO ergibt sich jedoch regelmäßig aus der nach herrschender Meinung bestehenden Strafbewehrung der Pflicht, welche § 393 Abs. 1 S. 2 AO nach einer extensiven Auslegung in Zusammenschau mit der Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ebenfalls ausschließt. Damit kann eine Nichtberichtigung im Falle einer Selbstbelastungsgefahr den Tatbestand der Steuerhinterziehung mangels Zumutbarkeit nicht verwirklichen. Dadurch wird der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung getragen.

III. Nachfolgende Veranlagungszeiträume Unabhängig von den obigen Ausführungen, die lediglich die Berichtigungspflicht in Bezug auf vorangegangene Veranlagungszeiträume betreffen, ist ferner zu beachten, dass grundsätzlich auch für die nachfolgenden Veranlagungszeiträume weiterhin steuerliche Mitwirkungspflichten bestehen.552 Entsprechende Konstellationen sind auch in Zusammenhang mit § 153 Abs. 1 AO problematisch, wenn beispielsweise fortlaufende Einkünfte ursprünglich steuerlich fehlerhaft eingeordnet wurden und diese Einordnung auch für nachfolgende Veranlagungszeiträume beibehalten wird. Wird die Unrichtigkeit nachträglich i. S. d. § 153 Abs. 1 AO erkannt und ergibt sich daraus die Gefahr einer Selbstbelastung, ist nach hier vertretener Ansicht die Berichtigungspflicht an sich weder strafbewehrt noch könnte sie mit Zwang durch­ gesetzt werden. Insoweit ist die Selbstbelastungsfreiheit nicht tangiert. Bei fortdauerndem Sachverhalt sind jedoch grundsätzlich im Rahmen der Folgeerklärung richtige Angaben in Bezug auf die für § 153 Abs. 1 AO maßgeblichen Tatsachen zu machen. Damit müssten Informationen offenbart werden, die Rückschlüsse auf etwaige Steuerverkürzungen der vorangegangenen DB 2013, 1803 (1809). S. 74 ff. 552  Vgl.: Barske, DStZ 1958, 25 (26); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 107. 550  Jesse, 551  Siehe

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Veranlagungszeiträume zuließen und durch die zum Ausdruck käme, dass die unrichtigen Angaben entweder vorsätzlich gemacht wurden oder dass die Unrichtigkeit jedenfalls nachträglich erkannt wurde und damit § 153 Abs. 1 AO einschlägig gewesen wäre. Nachdem auch der zweiten Variante von der herrschenden Meinung eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zugesprochen wird, besteht insoweit ebenfalls eine Selbstbelastungsgefahr – jedenfalls soweit bezüglich der Vorjahre keine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO mehr möglich wäre, die eine Selbstbelastung ausschließen würde. Dabei ist im nachfolgenden Veranlagungszeitraum im Grundsatz sowohl die Abgabe einer falschen Erklärung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als auch das Unterlassen einer Erklärungsabgabe nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar. Der Steuerpflichtige befindet sich dadurch in der „unauflösbaren Konfliktlage“553, sich entweder durch korrekte Angaben selbst zu belasten oder eine erneute Steuerhinterziehung zu begehen. Für die Folgejahre findet nach herrschender Meinung das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO keine Anwendung, da dieses inhaltlich seine Grenze dort finde, wo es nicht mehr um bereits begangenes Unrecht gehe.554 Dass der nemo-teneturGrundsatz nicht zur Begehung neuen Unrechts berechtigt, ist zutreffend,555 sodass dem Betroffen jedenfalls nicht zugestanden werden kann, in den Folgeveranlagungszeiträumen unrichtige Erklärungen abzugeben, um die Auf­ deckung einer vorangegangenen Steuerhinterziehung zu verhindern.556 Durch die aktive Erklärung unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen würde der 553  BGH

v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, NJW 2001, 3638. v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (764); Tormöhlen, in: HHSp, § 393 AO, Rn. 26. 555  BGH v. 11.10.1951 – 4 StR 208/51, NJW 1952, 229 (230); BGH v. 18.10.1956 – 4 StR 166/56, BStBl. I 1957, 122; BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, NStZ 2001, 432 (435); BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134 (1135); BGH v. 23.1.2002 – 5 StR 540/01, NJW 2002, 1733 (1734); BGH v. 17.9.2013 – 3 StR 259/13, NStZ-RR 2013, 372 (373); OLG Hamm v. 12.2.1959 – 2 Ss 156/158, JZ 1960, 95 (97); zustimmend: Drüen, in: Tipke/Kruse, § 393 AO, Rn. 40b; Jäger, in: Klein, § 393 AO, Rn. 29; Joecks, in: JJR, § 393 AO, Rn. 49; Böse, wistra 2003, 47 (48); Dettmers, Selbstbelastungsproblematik, S. 84; Doege, Bedeutung des nemotenetur-Grundsatzes, S. 188 f.; Hartung, JZ 1960, 95 (98); Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (456, 460); Kirbach, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 269; Lübbersmann, PStR 2012, 135 (136); Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, S. 128; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 158; ders., NStZ 2006, 41 (42); Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld, S. 116; Rüping/Kopp, NStZ 1997, 530 (532); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 105, 145; Streck, StV 1981, 362 (364); Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, S. 300; vgl. dazu ferner: Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (452), wonach insgesamt aus § 393 AO deutlich hervorgeht, dass einer gleichmäßigen Besteuerung eine hohe Relevanz zugemessen wird und der Steuerstraftäter keinesfalls besser stehen soll als der ehrliche Steuerbürger; a. A. wohl: Streck/Spatscheck, wistra 1998, 341. 556  Hellmann, JZ 2002, 617 (619). 554  BGH



D. Schutzinstitute321

Fiskus aktiv getäuscht und das Handlungsunrecht des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht; ergibt sich daraus eine Steuerverkürzung wäre außerdem das Erfolgsunrecht verwirklicht. Ein Recht zur Abgabe falscher Folgeerklärungen wäre auch nicht mit dem Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen, wonach ein Steuerstraftäter nicht besserstehen soll, als andere Steuerpflichtige, die weiterhin zur Abgabe korrekter Steuererklärungen verpflichtet sind.557 Der Schutz der strafrechtlichen Selbstbelastungsfreiheit ist allerdings grundsätzlich nicht an die Grenze eines steuerlichen Veranlagungszeitraums gebunden, sodass auch sogenannte mittelbare Selbstbelastungen, die durch die Abgabe von Erklärungen in anderen Veranlagungszeiträumen eintreten, vom Schutzbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes umfasst sind.558 Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur wird daher in Bezug auf nachfolgende Besteuerungszeiträume versucht, einen angemessenen Ausgleich zwischen der Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen und dem Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung zu finden. Nachfolgend sollen einige Ansichten dargestellt und anschließend einer Würdigung zugeführt werden, wobei auch die Übertragbarkeit der oben gefundenen Systematik diskutiert wird. 1. Verwendungsverbot (BGH) Die Rechtsprechung trägt der Gefahr einer mittelbaren Selbstbelastung dadurch Rechnung, dass ein Verwendungsverbot bezüglich der vom Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärungen angenommen wird, wenn dieser durch die Abgabe korrekter Steuererklärungen lediglich seinen Mitwirkungspflichten nachkomme und sich dabei mittelbar selbst bezüglich vorangegangener Veranlagungszeiträume belaste.559 Der grundsätzlich strafbewehrten Erklärungspflicht sei dabei zwingend nachzukommen. Auch Reiß weist darauf hin, dass die Pflicht zur Mitwirkung auf Besteuerungsebene aufgrund der Gefahr einer Besserstellung des Steuerstraftäters nicht umgangen werden könne und die Sicht des Bundesgerichtshofes, dass Folgeerklärungen korrekt abgegeben 557  Joecks, in: FS Kohlmann, S. 451 (452, 457); Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 107. 558  Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 219; Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 145; insoweit auch: Salditt, NStZ 2001, 544, der das Problem aufzeigt, dass ansonsten der Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes durch die Einteilung eines einheitlichen Lebenssachverhalts in mehrere Veranlagungszeiträume beschnitten würde. 559  BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NJW 2005, 763 (765); zustimmend: Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (793, 795), der insoweit von einem „verfahrensrecht­ lichen Ansatz“ durch das Verwertungsverbot spricht; ebenso: Aselmann, NStZ 2003, 71 (75); Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 190; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 227.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

werden müssen, daher korrekt sei – auch er spricht sich für eine Lösung des Problems auf der Ebene der Verwertung der im Besteuerungsverfahren erlangten Kenntnisse bezüglich des Strafverfahrens aus.560 Auch hier besteht jedoch wieder die Problematik, dass das Verwendungsverbot weder gesetzlich normiert noch klar umrissen ist, sodass für Betroffene kaum Rechts­ sicherheit besteht. 2. Recht zu passivem Verhalten (Sahan, Reiter) Sahan vertritt die Ansicht, dass Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen grundsätzlich solange und soweit suspendiert werden sollten, wie sich die Betroffenen bei Erfüllung ihrer Pflichten selbst wegen einer vorangegangenen Tat belasten müssten561 – unabhängig davon, ob Folgejahre betroffen seien. Auch nach Reiter müsse dem Betroffenen in den genannten Fällen für die Folgejahre das Recht zustehen, sich passiv zu verhalten. Eine Strafbarkeit der Folgejahre scheide mangels „Pflichtwidrigkeit“ i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aus. Dies ergebe sich aus einer „verfassungskonformen Reduktion“ des Tatbestandsmerkmals aufgrund des nemo-tenetur-Grundsatzes.562 Insoweit hält er auch die Einordnung der Folgejahre als „neues Unrecht“ für verfehlt und die Abschnittsbesteuerung insoweit als unzulässige Beschneidung der Selbstbelastungsfreiheit.563 Doege stimmt dem im Grundsatz zu, sieht diese Aufteilung aber zugleich als unumgänglich an.564 Eine umfassende Suspendierung von Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen würde auch zu einer „ungerechtfertigten Strafbarkeitslücke bei der Behandlung von Teilneh­ mern“565 führen. Dies wäre jedoch mit Blick auf den absoluten Schutz der Selbstbelastungsfreiheit hinzunehmen. 3. Teilweise Suspendierung der Erklärungspflichten (Stetter) Stetter ist ebenfalls der Ansicht, ein Verwertungsverbot sei zu wenig weitreichend. Sie würde vorrangig die Erklärungspflichten wegen Unzumutbarkeit teilweise suspendieren.566 Die Suspendierung solle allerdings nur so weit NJW 1977, 1436 (1436). Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, S. 114, 160. 562  Dazu zusammenfassend: Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 284 f. 563  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, S. 290 f.; vgl. dazu auch: Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 219. 564  Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 189. 565  Berthold, Zwang zur Selbstbezichtigung, S. 131. 566  Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 148–156. 560  Reiß,

561  Sahan,



D. Schutzinstitute323

reichen, dass die Finanzbehörde weiterhin in der Lage sei, die Steuer vollständig festzusetzen – dies ließe sich laut Stetter dadurch erreichen, dass der Steuerpflichtige nur noch die jeweiligen Salden angeben müsse, um so Rückschlüsse auf Einzelbeträge und dadurch ggf. zuvor begangene Steuerhinterziehungen zu verhindern.567 Sobald die Gefahr einer Selbstbelastung entfalle – was regelmäßig mit Abschluss eines Steuerstrafverfahrens der Fall sei – habe der Steuerpflichtige seine Angaben nachzuholen; die Pflichten des Steuerpflichtigen sollen damit nicht dauerhaft suspendiert werden.568 Soweit allerdings durch die ungenauen Angaben dennoch Hinweise auf vorangegangene Steuerstraftaten gegeben würden und so kein ausreichender Schutz erzeugt werden könne, bejaht auch Stetter hilfsweise ein Verwendungsverbot für die entsprechenden Informationen.569 Auch in einem obiter dictum hat der Bundesgerichtshof 2004 angedacht, in derartigen Fällen geringere Anforderungen an die Erklärung zu stellen; beispielsweise seien die rechtswidrig erzielten Einnahmen nur betragsmäßig anzugeben und nicht genauer zu bezeichnen.570 Es ist dabei davon auszugehen, dass auch Salden ohne genaue Aufschlüsselung und Betitelungen durch die Berechnung von Differenzen im Vergleich zu den Vorjahren Rückschlüsse auf einzelne Beträge zulassen, sodass schon fraglich ist, inwieweit eine teilweise Suspendierung in der Praxis tatsächlich geeignet wäre, eine Selbstbelastung zu vermeiden. Problematisch ist ferner, dass der Steuerpflichtige auf Nachfragen des Finanzamts gemäß §§ 90 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 149 Abs. 1 S. 2 AO wieder auskunftspflichtig wäre. Die zuständigen Finanzbeamten sind gerade bei fragmentarischen und undurchsichtigen Angaben zu Ermittlungen angehalten.571 Würde eine Steuererklärung oder auch eine Berichtigungser567  Es solle bspw. nur der Gewinn anstatt der Einnahmen und Ausgaben angegeben werden; zugleich dürfe der Fiskus auch nicht die Vorlage etwaiger Belege verlangen, solange die Gefahr einer Selbstbelastung bestehe; vgl. Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 150 f. 568  Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 151 f., insoweit entfalle die Unzumutbarkeit nachträglich. 569  Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 156 f. mit einer Differenzierung zwischen den Begriffen Verwertungs- und Verwendungsverboten – die offenbarten Informationen dürfen damit auch nicht als Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungen verwendet werden. 570  BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 139/03, NStZ-RR 2004, 242 (243); zustimmend: BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19, StRR 2019, 20 (21); vgl. dazu auch bereits: Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich, S. 61, die auch davon ausgeht, dass die Vorlage von „neutralem Zahlenmaterial“ ausreiche, um den steuerlichen Erklärungspflichten zu genügen. 571  Tormöhlen, in: HHSp, § 393 AO, Rn. 26b; vgl. auch: Wulf, wistra 2006, 89 (94), wonach insoweit oftmals auch zu überprüfen sei, ob die Einkünfte der Umsatzoder Gewerbesteuer unterliegen.

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

klärung i. S. d. § 153 Abs. 1 AO lediglich mit der Angabe abgegeben, dass ein bestimmter Betrag an Steuer zu entrichten sei, würde diese knappe Auskunft unter Berufung auf den nemo-tenetur-Grundsatz a fortiori Ermittlungen der Finanzbehörde nach sich ziehen. Diese Einschränkung löst damit in Bezug auf § 153 Abs. 1 AO die Problematik nicht und würde in diesen Fällen im Ergebnis ebenfalls zu einer Suspendierung der Mitwirkungspflicht führen. 4. Kombinierter Ansatz (Joecks) Joecks vertritt einen kombinierten Ansatz, wonach so lange eine Unzumutbarkeit der Erklärungsabgabe und damit eine Straflosigkeit einer Nichtabgabe bestehe, wie die Frage eines Verwertungsverbots nicht abschließend geklärt ist.572 5. Omissio libera in causa (Böse) Böse schlägt vor, mit Hilfe der Rechtsfigur der omissio libera in causa eine klare Trennung zwischen aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips straflosen und strafbaren Verhaltensweisen eines Steuerpflichtigen vorzunehmen. Zugrunde gelegt wird die Prämisse, dass § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Lichte des nemo-tenetur-Grundsatzes verfassungskonform auszulegen sei und daher die strafbewehrte Erklärungspflicht wegen Unzumutbarkeit entfalle, wenn der Steuerpflichtige sich damit bezüglich einer vorangegangenen Straftat belasten müsste. Ausgangspunkt der Überlegung, die Rechtsfigur der omissio libera in causa in diesen Fällen anzuwenden, ist dabei der Umstand, dass der Täter es sich durch die Abgabe einer unrichtigen Erklärung selbst unzumutbar gemacht habe, in den Folgejahren eine korrekte Steuererklärung abzugeben, wenn diese auf die Hinterziehungsbeträge der Vorjahre schließen ließe.573 Mit der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung setze der Steuerpflichtige also die Weichen für eine Steuerverkürzung in den nachfolgenden Besteuerungszeiträumen. Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit einer Steuerhinterziehung in nachfolgenden Besteuerungszeiträumen sei die ursprüng­ liche Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung – das tatbestandsmäßige Verhalten würde folglich vorverlagert. Die ursprüngliche Abgabe führe zu diversen Erfolgen und sei als eine einzige materiell-rechtliche Tat zu qualifizieren. Dass der Steuerpflichtige die strafrechtliche Verantwortlichkeit bezüglich der nachfolgenden Zeiträume nur abwenden könne, indem er den in: FS Kohlmann, S. 451 (464). wistra 2003, 47 (49); vgl. zur wenig beachteten Relevanz der omissio libera in causa i. R. v. Unterlassungsdelikten auch: Gosch, Strafbarkeit trotz finanziellen Unvermögens, S. 5 ff. 572  Joecks, 573  Böse,



D. Schutzinstitute325

Zurechnungszusammenhang durch Abgabe einer richtigen und vollständigen Steuererklärung für die Folgejahre unterbreche, verletze laut Böse den nemotenetur-Grundsatz nicht. Das finde seinen Grund darin, dass dieser „Zwang“ auf vom Steuerpflichtigen selbst gesetzten Faktoren beruhe.574 Nach dieser Logik wäre die Gefahr einer Selbstbelastung aber durch die vorangegangene Straftat immer selbstverschuldet, sodass der nemo-tenetur-Grundsatz faktisch nie greifen könnte. Zu kritisieren ist an dieser Sicht weiterhin, dass die Verjährung damit ins Unendliche hinausgezögert werden könnte. Gemäß § 78a StGB beginnt die Verjährung mit Beendigung der Tat, d. h. erst mit Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs. Bei mehreren Erfolgen wird dabei der spätestmögliche Zeitpunkt gewählt.575 Ferner wird insgesamt die fehlende Vereinbarkeit dieser Konstruktion einer Strafbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG moniert.576 Problematisch ist außerdem ein möglicher Verstoß gegen das Koinzidenz- bzw. Simultanitätsprinzip nach § 16 Abs. 1 i. V. m. § 8 StGB, wonach der Vorsatz bei Begehung der Tat gegeben sein muss. Joecks kritisiert, dass dem Steuerstraftäter unterstellt würde, dass er sich mit der ersten unrichtigen Erklärung in eine Zwangslage versetzen wollte, nach der ihm in den Folgejahren kein gesetzestreues Verhalten in Bezug auf seine Steuererklärungen möglich sei. Eine derartige Zwangslage liege nach herrschender Meinung jedoch nur vor, wenn auch keine Selbstanzeige für die Vorjahre mehr möglich wäre. Dass der Steuerpflichtige aber auch einen der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO in seinen Vorsatz aufnimmt und damit im Zeitpunkt der strafbaren Handlung davon ausgeht, über § 371 AO keine Straffreiheit mehr erlangen zu können, wird wohl selten der Fall sein.577 Kennt der Steuerpflichtige also die künftige Unmöglichkeit einer Selbstanzeige im Zeitpunkt seiner Erklärungsabgabe nicht, so kennt er auch die Zwangslage nicht, in die er sich versetzt. Explizit bezogen auf § 153 Abs. 1 AO ist außerdem zu beachten, dass im Regelfall im Zeitpunkt der Abgabe der fehlerhaften Erklärung der Steuerpflichtige keine Kenntnis seines Fehlers hatte und damit auch keinen Vorsatz bezüglich der Schaffung einer späteren Zwangslage bilden konnte.578 Auch Bülte weist darauf hin, dass § 153 Abs. 1 S. 1 AO strafrechtlich zwar eine Auffangfunktion zukomme wistra 2003, 47 (50). als mögliche Lösung dieser Kontroverse denkt Böse einen Vorschlag von Schlüchter und Duttge [NStZ 1998, 618 (620)] an, die hinsichtlich der einzelnen Zeiträume jeweils die absolute Verjährungsfrist anwenden wollen. Im Ergebnis kann die Ansicht im Ganzen jedoch bereits nicht überzeugen. 576  Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, S. 224. 577  Joecks, in: JJR, § 393 AO, Rn. 49; ebenso: Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung, S. 116; Tormöhlen, in: FS Korn, S. 779 (793). 578  Ähnlich die Argumentation zur omissio libera in causa und einer Zwangslage aufgrund finanziellen Unvermögens: Gosch, Strafbarkeit trotz finanziellen Unvermögens, S. 261. 574  Böse,

575  Ibidem;

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Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

und damit gerade Fälle erfasst werden sollen, bei denen der Vorsatz erst nach Erfolgseintritt gegeben sei – damit aber regulär das Koinzidenzprinzip nicht gewahrt wäre.579 Der Ansicht von Böse kann im Ergebnis daher nicht gefolgt werden. 6. Eigener Lösungsansatz Dass die Wirkung eines Verwertungsverbots keine ausreichende Sicherheit gewährleistet, ist im Ergebnis auch für die Folgejahre der Fall. Insoweit ist Teilen der Literatur zuzustimmen. Vorrangig könnte auch für die nachfolgenden Veranlagungszeiträume der bereits herausgearbeitete Regelungsgehalt des Zwangsmittelverbots herangezogen werden.580 Der Wortlaut des Zwangs­ mittelverbots nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO ist an sich nicht auf einen Veranlagungszeitraum, in dem bereits eine Steuerhinterziehung begangen wurde, beschränkt – vielmehr sind Zwangsmittel im Besteuerungsverfahren gegen einen Steuerpflichtigen immer unzulässig, wenn dieser dadurch gezwungen wäre, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat zu belasten. Das Zwangsmittelverbot umfasst damit – entgegen der herrschenden Meinung – grundsätzlich auch mittelbare Selbstbelastungen. Fraglich ist allerdings, ob dem die Verwirklichung von neuem Unrecht durch passives Verhalten entgegensteht. Wie bereits dargestellt, ist die Abgabe einer unrichtigen Folgeerklärung jedenfalls nicht durch die Selbstbelastungsfreiheit geschützt.581 Auch durch ein passives Verhalten ergäbe sich eine eigenständige Steuerverkürzung für den nachfolgenden Veranlagungszeitraum und damit ein neues Erfolgsunrecht. Zur Verwirklichung des Handlungsunrechts bedürfte es jedoch eines pflichtwidrigen Verhaltens i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Soweit nicht die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige eine Zumutbarkeit herstellt, ließe sich insoweit weder überzeugend begründen, dass der nemo-tenetur-Grundsatz nicht greife, da sich neues Unrecht ergebe – noch wäre es überzeugend zu behaupten, dass neues Unrecht aufgrund des nemo-tenetur-Grundsatzes nicht entstehe. Die Verwirk­ lichung neuen Unrechts kann damit kein tragfähiges Argument darstellen. Entscheidend ist daher mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz, ob der Steuerstraftäter bessergestellt würde als der ehrliche Steuerbürger. Verweigert der Betroffene in den Folgejahren unter Berufung auf das Zwangsmittelverbot eine Mitwirkung, ergeben sich dadurch steuerrechtliche und, soweit sich daraus ein Anfangsverdacht ergäbe, auch strafrechtliche Ermittlungen, welche zu dulden wären. Darin sind ebenfalls Eingriffe in die Rechtssphäre des BB 2010, 607 (612). hierzu: S. 314 ff. 581  S. 319. 579  Bülte, 580  Siehe



E. Nemo-tenetur-Grundsatz und leichtfertige Steuerverkürzung 327

Betroffenen zu sehen – dieser wäre dadurch jedoch nicht gezwungen, selbst die Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung zu liefern. Eine Steuerfestsetzung ist ebenfalls im Wege einer Schätzung nach § 162 AO möglich. Eine Besserstellung ist insoweit nicht erkennbar, sodass die Anwendung des Zwangsmittelverbots in seiner extensiven Auslegung auch für nachfolgende Besteuerungszeiträume sachgerecht wäre. Im Ergebnis ist den Ansichten zuzustimmen, die eine Suspendierung der strafbewehrten Erklärungspflichten annehmen, soweit in den nachfolgenden Veranlagungszeiträumen eine Selbstbelastungsgefahr bestünde.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz und leichtfertige Steuerverkürzungnach § 378 AO Der nemo-tenetur-Grundsatz gilt grundsätzlich auch im Rahmen eines Bußgeldverfahrens582 und ist damit ebenso betroffen, wenn der Entstehung einer Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO die Verwirklichung einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO vorausging. Zu den Fällen der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO im Vorfeld lässt sich zusammengefasst feststellen, dass nachfolgend an eine solche unproblematisch ein nachträgliches Erkennen i. S. d. § 153 Abs. 1 S. 1 AO vorliegen kann und die steuerrechtliche Berichtigungspflicht damit grundsätzlich einschlägig ist. Wurde die Verkürzung der Steuer leichtfertig verkannt, so liegt keine Erklärung nach bestem Wissen und Gewissen vor, sodass § 153 Abs. 1 AO lediglich deklaratorisch neben eine sich aus den allgemeinen Mitwirkungspflichten ergebende Berichtigungspflicht tritt. Wird der Berichtigungspflicht nicht nachgekommen, so richtet sich die Strafbarkeit dieses Unterlassens nach den herausgearbeiteten Grundsätzen: § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nur in Betracht, wenn eine zu niedrige Steuerfestsetzung als tatbestandlicher Erfolg erst nach dem nachträglichen Erkennen der Unrichtigkeit und damit Entstehen der Berichtigungspflicht eintritt.

582  BVerfG v. 22.10.1980 – 2 BvR 1172, 1238/79, NJW 1981, 1087 (1088); BVerfG v. 21.4.2010 – 2 BvR 504/08, 2 BvR 1193/08, wistra 2010, 299; Bärlein/ Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1825); Bosch, Aspekte des nemo-teneturPrinzips, S. 33; Heerspink, AO-StB 2006, 51 (51); Kleinheisterkamp, Kreditwesen­ gesetz und Strafverfahren, S. 263 mit Verweis auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 55 Abs. 1 StPO; K. Schäfer, in: FS Dünnebier, S. 11 (48 f.); Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 63 m. w. N.; vgl. auch: Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (186 f.); Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 83–86; a. A.: Stürner, NJW 1981, 1757 (1759), da Ordnungswidrigkeiten gerade „entkriminalisiert“ seien und damit eine diesbezügliche Selbstbelastung nicht derart schwerwiege, dass ein Schutz durch den aus der Verfassung hergeleiteten nemo-tenetur-Grundsatz erforderlich sei.

328

Kap. 3: Die Selbstbelastungsfreiheit im Grenzbereich

Lag in der ursprünglichen Abgabe der unrichtigen bzw. unvollständigen Erklärung eine leichtfertige Steuerverkürzung, stellt sich auch hier die Frage, ob der Steuerpflichtige diese Ordnungswidrigkeit durch eine Berichtigungserklärung offenbaren muss. Soweit im Zeitpunkt des nachträglichen Erkennens noch keine Steuerfestsetzung ergangen ist, ist der nemo-teneturGrundsatz bei leichtfertigen Steuerverkürzungen mangels entsprechender Strafbarkeit des Versuchs – anders als bei Steuerhinterziehungen – nicht tangiert.583 Der Versuch einer leichtfertigen Steuerverkürzung ist nach § 378 AO i. V. m. §§ 377 Abs. 2 AO, 13 Abs. 2 OWiG nicht bußgeldbewehrt. Abweichend zu obigen Ausführungen regelt § 378 Abs. 3 AO eine eigenständige, von einer Geldbuße befreiende Selbstanzeige. Die mit § 153 Abs. 1 AO entstehende Konfliktlage wird abgemildert, soweit die Berichtigung zu einer Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO umgedeutet werden kann und zu einer Bußbefreiung führt.584 Eine Befreiung ist vorgesehen, soweit der Täter korrekte Angaben nachholt, bevor die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist. Insoweit ist der zeitliche Anwendungsbereich des § 378 Abs. 3 AO viel weiter als der des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO. Auch nach § 378 Abs. 3 S. 2 AO muss der Betroffene die verkürzten Steuern innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist entrichten. Ist eine Exkulpation des Betroffenen auf diesem Weg nicht möglich, sieht die Rechtsprechung speziell in diesen Fällen eine Entlastung durch die Anwendung des § 47 OWiG vor.585 Demnach liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Im Falle einer Kollision mit dem nemo-tenetur-Grundsatz kann damit von einer Verfolgung der leichtfertigen Steuerverkürzung abgesehen werden. Dabei monieren Biesgen/Noel, dass der erste Strafsenat keine dahingehende Ermessensreduzierung statuiert hat. Eine solche wäre allerdings zwingend erforderlich, um der Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen in erforderlichem Maße Rechnung zu tragen.586 § 47 OWiG vermeidet einen Informationstransfer vom Besteuerungs- ins Bußgeldverfahren gerade nicht und kann mangels Ermessensreduzierung auch im Bußgeldverfahren keinen ausreichenden Schutz gewährleisten. Teilweise wird daher auch ein außergesetzliches Verwertungsverbot in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige

583  Daude, Die strafbefreiende Drittanzeige, S. 40 f.; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 78. 584  Rätke, in: Klein, § 153 AO, Rn. 8; Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 85. 585  BVerfG v. 21.4.2010 – 2 BvR 504/08, 2 BvR 1193/08, wistra 2010, 299; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1986). 586  Biesgen/Noel, SAM 2012, 182 (186); zu diesem Vorgehen ebenfalls kritisch: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 81.



E. Nemo-tenetur-Grundsatz und leichtfertige Steuerverkürzung 329

durch seine Erklärung Anstoß für ein Bußgeldverfahren liefern würde, bejaht.587 Nach hier vertretener Ansicht ergibt sich allerdings in den meisten Fällen kein Selbstbelastungszwang mangels Verwirklichung des Tatbestandes des § 378 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 370 Abs. 1 AO bei einer Missachtung des § 153 Abs. 1 AO. Zum einen fehlt es nach einer bereits ergangenen, zu niedrigen Steuerfestsetzung an einem tatbestandlichen Erfolg i. S. d. § 370 Abs. 1 AO und zum anderen liegt kein pflichtwidriges Unterlassen vor, da im Falle einer Selbstbelastungsgefahr eine erzwungene Mitwirkung unzumutbar ist. Insoweit greift im Nachgang an eine leichtfertige Steuerverkürzung ebenfalls eine erweiterte Auslegung des Zwangsmittelverbots des § 393 Abs. 1 S. 2 AO.588 Folglich ergeben sich zu den vorangegangenen Ausführungen keine gravierenden Unterschiede.

587  So auch: Dingeldey, NStZ 1984, 529 (531); ablehnend mit Verweis darauf, dass es sich bei § 393 Abs. 2 AO um nachkonstitutionelles Recht handelt, das keiner erweiterten Auslegung zugänglich sei: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 83 – dass darin allerdings kein tragfähiger Grund liegt, wurde auf S. 311 ff. vertieft dargestellt. 588  Auch Zulauf spricht sich explizit für die Suspendierung der Strafbewehrung der Berichtigungspflicht unabhängig davon aus, ob bereits ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde oder nicht; siehe: Zulauf, Die strafbefreiende Fremdanzeige, S. 83–86.

Zusammenfassung und Würdigung I. Das Dilemma und seine Lösungsmöglichkeiten Um die aufgezeigten Unstimmigkeiten noch einmal zusammengefasst zu verdeutlichen, wird den nachfolgenden Ausführungen folgendes Szenario zugrunde gelegt: Eine Person gibt bedingt vorsätzlich eine unrichtige Steuererklärung ab, durch welche eine Steuerverkürzung verursacht wird bzw. werden kann (Moment 1). Im Nachgang an die Abgabe der unrichtigen Erklärung erkennt die Person die Unrichtigkeit positiv (Moment 2). Nun ergibt sich für diese Person folgendes Dilemma: Entweder sie kommt einer unterstellten Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO nach und aktiviert dadurch ggf. eine Strafverfolgung der durch die ursprüngliche Abgabe der unrichtigen Steuererklärung verwirklichten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Oder aber: Die Berichtigungspflicht wird ignoriert und dadurch ggf. eine weitere Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO begangen. Möchte man diese Person in Hinblick auf die Selbstbelastungsfreiheit – hierzu später vertieft – nicht in eine unmögliche Situation bringen, bestehen seitens des Staates zwei Lösungsmöglichkeiten: 1. Entweder es erfolgt eine Negation der Strafbarkeit der Nichtvornahme einer Berichtigung. Dann bliebe der status quo – die Strafbarkeit in Moment 1 – bestehen. Insoweit kann der Staat sein Strafverfolgungsinteresse aufrechterhalten. Im Gegenzug dürfte sich die betroffene Person im Moment 2 passiv verhalten, ohne dass dies strafrechtlich relevant würde. Die Person müsste lediglich weiter mit der Gefahr einer Aufdeckung der ersten Tat leben. 2. Ferner bestünde auch die Möglichkeit, dass für die Berichtigung eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt wird, die zugleich die Strafbarkeit des ersten Aktes aufhebt. Dadurch könnte die betroffene Person ihre Steuern nachträglich korrekt entrichten und würde nicht durch eine drohende Strafverfolgung davon abgehalten. Die erste Möglichkeit stellt dabei eine gewohnte, rechtsstaatliche Situation her, während die zweite Möglichkeit zu einem fiskalisch wünschenswerten Ergebnis führt.



Zusammenfassung und Würdigung331

II. Lösungen de lege lata In der Folge ist die Frage aufzuwerfen, inwiefern das geltende Recht überhaupt zu einer Strafbarkeit der Nichtvornahme einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO (Moment 2) kommt. Für die Verwirklichung des Tatbestandes § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bräuchte es insoweit ein pflichtwidriges Unterlassen und eine daraus resultierende Steuerverkürzung. 1. Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO a) Anknüpfung an die ursprünglichen steuerlichen Erklärungspflichten Natürlich erfüllt die fehlerhafte Erklärung in Moment 1 die steuerrechtliche Verpflichtung zur Abgabe einer korrekten Steuererklärung nicht, weshalb die erste Handlung ja auch in der Beschreibung des Dilemmas als strafbar bewertet wurde. Da sie nicht erfüllt wurde, besteht die ursprüngliche Pflicht zur richtigen Erklärung fort, sodass bereits die fortlaufende Nichterfüllung dieser Pflicht zum Anknüpfungspunkt einer Unterlassungsstrafbarkeit gemacht werden könnte. Diesen Schritt geht die herrschende Meinung jedoch – im Ergebnis zu Recht – nicht. In Bezug auf § 153 Abs. 1 AO ist diese unterschiedliche Bewertung von steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten jedoch inkonsequent.1

1  Hierzu: S. 64 ff. und S. 152 f. Eine Inkonsequenz ergibt sich bspw. im Bereich der Verjährung: Nach h. M. kann nach einer bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung und einem positiven Erkennen dieser durch ein Unterlassen der Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO eine erneute Steuerhinterziehung durch Unterlassen verwirklicht werden. Diese erneute Steuerverkürzung soll einer eigenständigen Verfolgungsverjährung unterliegen. Bei einer Steuerhinterziehung mit direktem Vorsatz soll eine erneute Hinterziehung durch ein Unterlassen der Nachholung der ursprünglichen Mitwirkungspflichten nicht möglich sein. Dies führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass ggf. eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung länger bestraft werden kann als eine mit direktem Vorsatz; siehe: S. 68 f. Dem ist auch schon immanent, dass durch ein Unterlassen der Berichtigung nach § 153 AO ein eigenständiger Taterfolg in Form eines fehlenden Berichtigungsbescheids herbeigeführt werden soll, während das fortlaufende Nicht-Nachholen der ursprünglichen Steuererklärungspflicht durch eine Berichtigung keinen derartigen Erfolg nach sich ziehen soll; ausführlich zum Taterfolg: S. 138 ff.

332

Zusammenfassung und Würdigung

b) Grundsätzliche Möglichkeit einer Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch die Verletzung des § 153 AO Unabhängig vom Inhalt der Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 AO im Einzelnen ist die Frage aufzuwerfen, ob § 153 Abs. 1 AO aus strafrechtlicher Sicht eine „Pflicht wie jede andere“ darstellt. aa) Erfassung „bloß formaler Pflichten“ Die steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten werden durch das in § 393 Abs. 1 S. 2 AO verankerte Zwangsmittelverbot dahingehend modifiziert, dass im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen unzulässig sind, wenn dieser dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat zu belasten. Daraus ergibt sich, dass der nemo-tenetur-Grundsatz im Steuerrecht insoweit Berücksichtigung findet, als dass die Pflichten zumindest nur noch formal existieren und nicht mehr zwangsweise durchsetzbar sind.2 Faktisch wäre im Besteuerungsverfahren insoweit also ein freiwilliges Mitwirken des Steuerpflichtigen erforderlich, sodass im Anwendungsbereich des § 393 Abs. 1 S. 2 AO keine Pflicht im herkömmlichen Sinne mehr vorliegt. Dass die steuerlichen Pflichten im Falle einer Selbstbelastungsgefahr nur „entkernt“ und nicht aufgehoben werden, findet seinen Grund – irrtümlich – in der Schätzung nach § 162 AO. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass das formale Fortbestehen einer Mitwirkungspflicht erforderlich ist, um die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zu rechtfertigen. Richtigerweise reicht es hierfür aber nach § 162 Abs. 1 AO aus, wenn Besteuerungsgrundlagen anderweitig nicht ermittelt werden können.3 Eine lediglich formale, steuerrechtliche Pflichtenstellung ist jedoch nach den Grundsätzen der asymmetrischen Akzessorietät nicht unbedingt zugleich geeignet, eine strafrechtliche Pflichtwidrigkeit zu begründen.4 Nicht jeder Verstoß gegen eine Primärrechtsordnung ist derart gravierend, dass dies zwingend eine Strafbarkeit nach sich ziehen muss. In jedem Fall ist der strafrechtliche Pflichtenkreis nicht weiter zu ziehen als der primärrechtliche. In Bezug auf § 153 Abs. 1 AO bedeutet dies, dass eine 2  S. 56 ff.; Rechtsprechung und Literatur schreiben einer Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 1 AO jedoch im Falle einer Selbstbelastungsgefahr eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu, wodurch eine nach h. M. nicht unter § 393 Abs. 1 S. 2 AO zu fassende Zwangswirkung konstruiert wird. Dem ist jedoch zu widersprechen: Der Begriff des Zwangsmittels in § 393 Abs. 1 S. 2 AO ist weit auszulegen, sodass nach dieser Wertung die Unzumutbarkeit der Mitwirkung auch eine Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließt; siehe: S. 314 ff. 3  S. 56 f. u. Kap. 1 Fn. 209. 4  S. 118 ff.



Zusammenfassung und Würdigung333

durch das Zwangsmittelverbot „entkernte“ steuerrechtliche Pflicht, deren zwangsweise Durchsetzung nach der Wertung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO nicht einmal im Besteuerungsverfahren als zumutbar angesehen wird, keine strafrechtliche Pflichtwidrigkeit begründen kann. Nur noch de jure bestehende Pflichten werden vom Strafrecht als Sekundärordnung nicht geschützt. Nach hier vertretener Ansicht würde eine Strafbarkeit durch die Nichtvornahme einer Berichtigung im Moment 2 damit im Falle einer Selbstbelastungsgefahr bereits an einer Pflichtwidrigkeit scheitern und Lösung 1 – die Negation der Strafbarkeit – wäre einschlägig. § 153 Abs. 1 S. 1 AO ist damit im Anwendungsbereich des Zwangsmittelverbots nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO gerade keine „Pflicht wie jede andere“. Nach herrschender Meinung begründet ein Verstoß gegen die Berichtigungsvorschrift jedoch sehr wohl eine Pflichtwidrigkeit, sodass eine weitere Prüfung erforderlich ist. bb) Der nemo-tenetur-Grundsatz: Steht das Straf-/Verfassungsrecht einer strafrechtlichen Rezeption der Pflichten des § 153 AO entgegen? Möglicherweise ergibt sich jedoch gar keine Gefahr einer Selbstbelastung, wenn es eine weitere belastungsfreie Option anstelle des Unterlassens im Moment 2 gibt. Dann wäre die oben angeführte Lösung 2 einschlägig und der Anwendungsbereich des Zwangsmittelverbots § 393 Abs. 1 S. 2 AO bereits nicht eröffnet. Die Selbstbelastungsfreiheit5 stünde einer strafrechtlichen Rezeption der Pflichten des § 153 AO damit nicht entgegen. (1) Selbstanzeigemöglichkeiten In der Rechtsprechung und der Literatur wird insoweit die Selbstanzeige als taugliches Mittel angeführt. Würde die Person im oben genannten Beispiel in Moment 2 durch eine Berichtigung in Hinblick auf die erste Tat zwingend straffrei, so ergäbe sich keine Gefahr einer Selbstbelastung und damit auch kein Dilemma.6 Mittlerweile ist bei der Beurteilung zwischen der originären Selbstanzeige nach § 371 AO und der „teuren Selbstanzeige“ nach § 398a AO, bei der Straffreiheit nur durch Zahlung eines Zuschlags erlangt werden kann, zu unterscheiden.7

5  Zur Herleitung dieses straf-/verfassungsrechtlichen Grundsatzes: S. 209 ff. Zur Ausgestaltung des Geltungs- und Schutzbereiches: S. 215 ff.; insbesondere außerhalb des Strafverfahrens: S. 221 ff. 6  Zum Vorrang der Selbstanzeige vor dem Zwangsmittelverbot: S. 298. 7  Zur Historie des § 371 AO: S. 243  ff. sowie zur Historie des § 398a AO: S. 271 ff.

334

Zusammenfassung und Würdigung

(a) § 371 Abs. 1 AO Die Selbstanzeige nach § 371 AO war früher ein einfaches Mittel, der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung zu tragen. Sie griff genau das oben genannte Dilemma auf und führte es der zweiten Lösungsmöglichkeit zu. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Fiskus für eine ordnungsgemäße und gleichmäßige Besteuerung auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen ist und Steuerstraftaten selbst nur schwer in Erfahrung bringt.8 Jeder Steuerstraftäter, der nachträglich eine ordnungsgemäße Besteuerung ermöglichte, wurde bezüglich dieser vorangegangenen Tat straffrei. Ein Konflikt mit § 153 AO stellte sich damit gar nicht – es war unerheblich, ob eine Berichtigungserklärung unter § 153 AO oder § 371 AO zu subsumieren war, da auch im zweiten Fall Straffreiheit für eine mögliche Vortat eingetreten wäre. Seit den Verschärfungen der Selbstanzeige stellt sich das Ganze jedoch nicht mehr so einfach dar, da Berichtigungserklärungen nach § 153 Abs. 1 AO und § 371 AO nun unterschiedlich auszugestalten sind.9 Die insoweit erfolgte Abschaffung der Teilselbstanzeige führte beispielsweise dazu, dass zugleich weitere Unrichtigkeiten bzw. Steuerhinterziehungen und nicht nur die eben entdeckte aufgedeckt werden müssen, um die Wirkung des § 371 AO herbeizuführen. Insoweit besteht ein starkes Spannungsverhältnis zwischen dem Vollstän­ digkeitserfordernis der Selbstanzeige und dem Unverzüglichkeitserfordernis des § 153 Abs. 1 AO.10 Ist ein Fehler in mehreren Veranlagungsjahren unter­ ­ laufen, unterscheidet sich ggf. auch der Berichtigungszeitraum stark. Die Festsetzungsverjährung beträgt bei der Einkommensteuer üblicherweise vier Jahre, bei etwaigen Steuerstraftaten jedoch zehn Jahre.11 Hat man den Fehler selbst als schuldlos eingeschätzt und nur vier Jahre berichtigt, kann es, wenn die Finanzbehörde den Fehler als vorsätzlich einstuft und damit zu einem zehnjährigen Berichtigungszeitraum kommt, aufgrund der Abschaffung der Teilselbstanzeige zu dem Kuriosum kommen, dass selbst für die vier Jahre keine Straffreiheit eintritt und die eigene, „freiwillige“ Berichtigungserklärung insoweit voll in einem Strafverfahren verwertet wird (Missglückte Selbstanzeige).12 Nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO ist eine Selbstanzeige nach § 371 AO auch mittlerweile ausgeschlossen, wenn die verkürzte Steuer 25.000 Euro übersteigt – insoweit ist auf § 398a AO zurückzugreifen. Auch 8  Zur

hauptsächlich fiskalpolitischen Legitimation der Selbstanzeige: S. 246 ff. den Divergenzen zwischen den Berichtigungserklärungen nach § 371 und § 153 AO: S. 253 ff. 10  S. 261 ff. 11  S. 69 ff. und S. 265. 12  S. 259 ff.; sowie dazu, dass eine Selbstanzeige zumindest im Hinblick auf das Vorliegen einer formalen Pflicht zur Berichtigung aufgrund des Fortbestehens der ursprünglichen Mitwirkungspflichten nicht freiwillig ist: S. 254 ff. 9  Zu



Zusammenfassung und Würdigung335

die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO13 und die Nachentrichtungspflicht14 finden in § 153 Abs. 1 AO kein entsprechendes Äquivalent. Eine weitere Unwägbarkeit ergibt sich daraus, dass häufig nicht klar ist, ob das Vorverhalten des Steuerpflichtigen seitens der Finanzbehörde als bedingt vorsätzlich eingeordnet wird oder nicht. Die Person im obigen Beispiel könnte selbst davon überzeugt sein, die unrichtige Erklärung versehentlich abgegeben zu haben, während die Finanzbehörde Vorsatz diesbezüglich annimmt. Auch bei einer bloßen Gefahr einer Selbstbelastung entfaltet der nemo-tenetur-Grundsatz jedoch bereits seinen Schutz.15 Kommt ein Steuerpflichtiger also in die Situation, dass er nachträglich einen Fehler in seiner Steuererklärung entdeckt, kann ihm nach der derzeitigen Rechtslage nicht mehr sicher garantiert werden, dass er durch eine simple Berichtigung dieses Fehlers einem Strafverfahren entgeht. Da mit § 371 AO praktische Unwägbarkeiten einhergehen und zu den Anforderungen an eine Berichtigungserklärung nach § 153 AO teils große Divergenzen bestehen, ist die Selbstanzeige als Institut mangels Handhabbarkeit nicht mehr geeignet, einen ausreichenden Schutz der absolut garantierten Selbstbelastungsfreiheit sicherzustellen. Anders gesehen wird dies allerdings von der herrschenden Meinung, die aus der grundsätzlichen Möglichkeit ­einer strafbefreienden Selbstanzeige die Zumutbarkeit einer Berichtigungspflicht herleitet und damit bei einem Verstoß eine Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bejaht. (b) § 398a AO Ob sich nach herrschender Meinung auch ein Ausschluss einer Selbstbelastungsgefahr aus § 398a AO ergibt, in dessen Anwendungsbereich Straflosigkeit nur durch Zahlung eines Zuschlags erreicht werden kann, ist bisher nicht abschließend geklärt. Im Ergebnis ist dies nach hier vertretener Ansicht zu verneinen, da sich die oben angeführten Kritikpunkte zu § 371 AO mit Blick auf § 398a AO nur noch weiter verstärken. Die 2011 eingeführte Norm sollte den Rufen nach Abschaffung der Selbstanzeige Rechnung tragen und eine „Besserstellung“ von Steuerstraftätern verhindern.16 § 398a AO führt dabei lediglich zu einem „Absehen von Strafverfolgung“ und dies auch nur unter der Prämisse der Zahlung eines „Strafzuschlags“ in Höhe von bis zu

13  S. 264 f. 14  S. 268.

15  S. 216 ff. 16  Zum

und S. 268.

Hintergrund und zur Intention der Norm: S. 271 ff.

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Zusammenfassung und Würdigung

20 % der hinterzogenen Steuer.17 Damit müsste der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit teuer erkauft werden und hinge auch von der Liquidität des Steuerpflichtigen ab. Fiskalpolitisch ist die Funktion des Zuschlags zwar nachvollziehbar – als Schutzinstitut, das der absolut geschützten Selbstbelastungsfreiheit Rechnung trägt, ist § 398a AO damit allerdings nicht geeignet. Der Zuschlag würde, wenn seine Zahlung als einzig zumutbare Handlungsoption einzuordnen wäre, seinen freiwilligen Charakter verlieren und dadurch einen Strafcharakter bekommen, der mit der Selbstbelastungsfreiheit nicht in Einklang gebracht werden kann.18 Ferner ist umstritten, wie sich die für die Tarifbemessung relevante „hinterzogene Steuer“ und der als Bemessungsgrundlage dienende „Hinterziehungsbetrag“ berechnen, sodass sich auch hier erhebliche Unsicherheiten für die Praxis ergeben.19 Wird ein zu niedriger Betrag entrichtet, wird schließlich nicht von der Strafverfolgung abgesehen und der aus § 398a AO erhoffte Schutz liefe ins Leere. Eine Handhabbarkeit der Norm ist damit noch weniger gegeben als bei § 371 AO, womit auch sie der Selbstbelastungsfreiheit nicht ausreichend Rechnung trägt.20 (2) U  nterscheidung zwischen Primär- und Sekundärebene beim Beweistransfer Als weitere bzw. ergänzende belastungsfreie Offenbarungsmöglichkeit wer­ den Beweisverwertungs- bzw. Beweisverwendungsverbote diskutiert. Diese Diskussion rührt daher, dass die Selbstbelastungsfreiheit unmittelbar lediglich im Strafverfahren gilt und für ein Primärverfahren nur insoweit Wirkung entfaltet, als dass jedenfalls ein Transfer von belastenden Informationen in ein Strafverfahren unterbunden werden muss, wenn die Informationen im Primärverfahren offenbart werden mussten.21 Problematisch ist hierbei bereits, dass stark umstritten ist, wie weit ein solcher Transfer unterbunden werden kann und muss – sprich, ob dem Verbot eine Fernwirkung zukommen soll (Verwertungs- oder umfassenderes Verwendungsverbot).22 Weiterhin ist ein solches Verbot in Bezug auf Steuerstraftaten gesetzlich 17  Ausführlich zum Inhalt der Norm: S. 273 ff., sowie zur Kritik in der Literatur: S. 284 f. 18  Kritisch zur Einordnung des Zuschlags als eine Art Strafe: S. 286 ff. 19  Zum Begriff des „Hinterziehungsbetrags“: S. 276 ff., sowie zur „hinterzogenen Steuer“: S. 278 f. 20  S. 285 ff. sowie S. 289. 21  Zur Diskussion um ein außergesetzliches Verwertungsverbot bei der Pflicht zur Offenbarung von Steuerstraftaten: S. 306  ff.; zur Reichweite des nemo-teneturGrundsatzes außerhalb des Strafverfahrens sowie speziell zum Gemeinschuldnerbeschluss: S. 221 ff. 22  Zur Aufbereitung der Diskussion: S. 307 ff.



Zusammenfassung und Würdigung337

nicht normiert. Dies wirft Fragen auf, da in Bezug auf Nicht-Steuerstraftaten, die bei der Erfüllung steuerrechtlicher Mitwirkungspflichten offenbart werden müssen, in § 393 Abs. 2 S. 1 AO ausdrücklich ein derartiges Verwendungsverbot vorgesehen ist.23 Dass in Bezug auf Steuerstraftaten stattdessen in § 393 Abs. 1 S. 2 AO ein Zwangsmittelverbot normiert ist, hat nach hier vertretener Ansicht den simplen Grund, dass sich bei Steuerstraftaten die Zuständigkeiten des Besteuerungsverfahrens mit denen des Steuerstrafverfahrens stark überschneiden.24 Die Bußgeld- und Strafsachenstelle und auch die Steuerfahndung sind als „Strafverfolgungsbehörde“ bei den Finanzämtern angesiedelt und auch berechtigt, Ermittlungen im Rahmen des Besteuerungsverfahrens vorzunehmen. Dass im Besteuerungsverfahren offenbarte, belastende Informationen damit im Steuerstrafverfahren völlig außer Acht gelassen werden, ist somit denklogisch schon nicht möglich. Selbst wenn sich die zuständigen Beamten bemühen, zwischen beiden Verfahren zu differenzieren, werden unterbewusst dennoch Verknüpfungen hergestellt und die offenbarten Informationen finden wohl in den meisten Fällen mittelbar Eingang in ein Steuerstrafverfahren. Ein Verbot der Weitergabe von Informationen lässt sich in diesem Bereich damit nicht umsetzen. Diese Misere hat der Gesetzgeber nach hier vertretener Ansicht erkannt und sich damit in Bezug auf Steuerstraftaten gegen ein Verwendungsverbot entschieden und mit der Normierung eines Zwangsmittelverbots klargestellt, dass insoweit eine weitere Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht zumutbar ist. Als Folge daraus kann mangels Zumutbarkeit der Vornahme einer Handlung auch kein pflichtwidriges Unterlassen i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegen.25 Von der herrschenden Meinung wird dennoch versucht, durch die Heranziehung eines Verwendungs- respektive Verwertungsverbots eine Zumutbarkeit herzustellen. Dies würde vom Narrativ her zu Lösung 2 führen. Aufgrund der sich überschneidenden Verfahren funktioniert eine solche Unterscheidung zwischen Primärund Sekundärebene beim Beweistransfer jedoch im Steuerstrafverfahren nicht und ist damit abzulehnen.

23  S. 292 ff.; auch insoweit wird eine Fernwirkung des Verwendungsverbots diskutiert: S. 294 f. Insoweit auch zum Steuergeheimnis: S. 290 ff. Kritisiert wird dabei jeweils zu Recht die Ausnahme für Fälle eines zwingenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung. 24  Allgemein zur Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde: S. 228 ff. und spe­ ziell zum Verfahren und zu Zuständigkeitsüberschneidungen bei Berichtigungen nach § 153 Abs. 1 AO: S. 236 ff. 25  Siehe S. 314 ff.

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Zusammenfassung und Würdigung

cc) Zwischenergebnis Es ist festzuhalten, dass sowohl die Selbstanzeigen nach § 371 AO und § 398a AO als auch eine Unterbindung eines Beweistransfers im Bereich des Steuerstrafrechts mit erheblichen Unsicherheiten einhergehen und keinen ausreichenden Schutz der Selbstbelastungsfreiheit gewährleisten können. Nach hier vertretener Ansicht ist damit Lösung 1 der Vorzug zu geben. Liefe ein Steuerpflichtiger Gefahr, sich bei Erfüllung seiner Pflicht aus § 153 Abs. 1 AO selbst zu belasten, kann das Unterlassen der Berichtigung keine Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründen und eine Strafbarkeit scheidet insoweit aus. Anders wird dies jedoch von der herrschenden Meinung gesehen. c) Tatbestandliche Voraussetzungen der Pflicht im Einzelnen Unterstellt man die grundsätzliche Möglichkeit einer Pflichtwidrigkeit eines Verstoßes gegen § 153 Abs. 1 AO, müssten auch die Voraussetzungen der Berichtigungsnorm im Einzelnen gegeben sein. Eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ergibt sich, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist.26 Eine ursprüngliche, unrichtige Erklärung wird damit vorausgesetzt – diese ist bereits strafbar, wenn sie vorsätzlich erfolgte.27 Steuerrechtlich ist ein positives nachträgliches Erkennen nach einem direkt vorsätzlichen Erstverstoß nach allgemeiner Meinung nicht möglich. Umstritten ist daher nur die hier zum Ausgangspunkt genommene Konstellation des bedingt vorsätzlichen Ersthandelns und eines anschließend sicheren Erkennens. Von der Rechtsprechung wird auch in diesem Fall ein nachträgliches Erkennen bejaht, da ein billigendes Inkaufnehmen gerade keine positive Kenntnis erfordert und diese damit später noch hinzutreten kann.28 Von großen Teilen der Literatur wird ein nachträgliches Erkennen dagegen mit Verweis auf den nemo-tenetur-Grundsatz und darauf, dass bereits ein „Erkennen“ i. S. d. § 16 StGB vorliegt, verneint.29 Dass die Selbstbelastungsfreiheit jedoch im Steuerrecht keine direkte Anwendung 26  Zu den Voraussetzungen von § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ausführlich in Kapitel 1: S. 25 ff.; zu den Voraussetzungen der Berichtigungspflicht bei Gesamtrechtsnachfolgern: § 153 Abs. 1 S. 2 AO: S. 92 ff.; jeweils zu den Rechtsfolgen bei § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO: S. 76 ff. und bei § 153 Abs. 1 S. 2 AO: S. 109 ff. 27  In Bezug auf eine leichtfertige Steuerverkürzung als Ordnungswidrigkeit: S. 327 ff. 28  S. 49. 29  S. 49 ff.



Zusammenfassung und Würdigung339

findet, ergibt sich bereits aus dem Gesetz. Aus dem zuvor angesprochenen Zwangsmittelverbot in § 393 Abs. 1 S. 2 AO wird deutlich, dass steuerliche Pflichten sehr wohl auch in Fällen einer Selbstbelastungsgefahr zumindest formal fortbestehen.30 Dass sich auch auf steuerrechtlicher Ebene bereits das Problem der Unwägbarkeit der Sachverhaltsfeststellung stellt, ist damit insoweit unerheblich. Egal, ob das vorherige Handeln vorsätzlich oder nicht erfolgte: Es bestünde in jedem Falle eine steuerliche Berichtigungspflicht. Das nachträgliche Erkennen ist damit unabhängig von strafrechtlichen Grundsätzen auszulegen und wird in der Rechtsprechung zu Recht auch im Nachgang an eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung bejaht. Steuerrechtlich ist damit ein Erkennen möglich. Unter Rückgriff auf den Gedanken der asymmetrischen Akzessorietät ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Erfassung des von der herrschenden Meinung für das Steuerrecht überzeugend interpretierten „nachträglichen Erkennens“ aufgrund der strafrechtlichen Begrifflichkeit im Bereich des Vorsatzes nicht rezipiert werden kann. 2. Steuerverkürzung Unterstellt, eine Nichtberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO würde ein pflichtwidriges Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO darstellen, wäre weiter die Frage aufzuwerfen, ob dadurch überhaupt eine eigenständige Steuerverkürzung herbeigeführt werden kann. Dabei ist danach zu unterscheiden, ob das nachträgliche Erkennen vor oder nach der Steuerfestsetzung aufgrund der unrichtigen Erklärung erfolgte. a) Nach der Festsetzung Ist vor Entstehung der Berichtigungspflicht bereits eine zu niedrige Steuerfestsetzung ergangen und damit eine Steuerverkürzung eingetreten, ist fraglich, ob das Unterlassen der Berichtigung überhaupt noch einen eigenständigen Taterfolg herbeiführen kann. Mit der ersten zu niedrigen Festsetzung tritt schließlich bereits ein Steuerfehlbetrag in voller Höhe ein.31 Dem Begriff der Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 1 AO ist dabei ein „Buchdenken“ immanent. Maßgeblich ist, ob Steuern rechtzeitig festgesetzt werden – nicht, ob sie rechtzeitig entrichtet werden. Ob eine korrekte Steuerfestsetzung nachträglich ermöglicht wird, ist ebenfalls nur außerhalb des Tatbestandes in 30  S. 55.

31  S. 138 ff.; § 370 AO ist insoweit ein Gefährdungs- und kein Verletzungsdelikt: S. 135 ff.; zur Unterscheidung in Steuerverkürzung „auf Zeit“ und „auf Dauer“ und dazu, dass auch bei einer nur zeitweisen Steuerverkürzung der Schaden im Nominalbetrag der verkürzten Steuer und nicht lediglich im Zinsschaden besteht: S. 162 ff.

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Zusammenfassung und Würdigung

der Strafzumessung relevant.32 Das bloße Aufrechterhalten dieser Steuerverkürzung ist dabei eigentlich unstreitig nicht eigenständig strafbar – die Steuerhinterziehung ist gerade kein Dauerdelikt.33 Meist wird in Literatur und Rechtsprechung dennoch pauschal das Nichtergehen eines Berichtigungsbescheids als eigenständiger Taterfolg qualifiziert, ohne die Eigenständigkeit dieses Erfolgs überhaupt zu thematisieren. Das Nichtergehen eines Berichtigungsbescheids ist faktisch die bloße Aufrechterhaltung der ursprünglichen Festsetzung, sodass diese Ansicht zu einer Einordnung der Steuerverkürzung als Dauerdelikt sowie zu verjährungsrechtlich fragwürdigen Ergebnissen führen würde.34 Im Ergebnis kann dies damit nicht überzeugen. Auch die ursprüngliche Steuerverkürzung kann nicht als Taterfolg zur Nichtberichtigung „gezogen werden“ – insoweit fehlt es an der Kausalität des Unterlassens für den Erfolg und es würde zusätzlich ein unzulässiger dolus subsequens konstruiert.35 Auch weitere Begründungsversuche würden die Systematik des § 370 Abs. 1 AO umgehen und contra legem Erfolge außerhalb des Festsetzungsverfahrens konstruieren.36 Der Versuch eine Strafbarkeitslücke zu schließen, wenn jemand unberechtigt erlangte Steuervorteile einfach behält, ist dabei durchaus nachvollziehbar – § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO stellt jedoch kein echtes Unterlassungsdelikt dar, sondern fordert ausdrücklich einen Taterfolg, sodass die Pönalisierung eines bloßen Verstoßes gegen eine Mitwirkungsvorschrift eine täterbelastende Analogie darstellt. Im Ergebnis kann daher, sobald bereits eine Steuerverkürzung eingetreten ist, durch das bloße Unterlassen einer Berichtigung nach vorzugswürdiger Ansicht kein neuer, eigenständiger Taterfolg herbeigeführt werden und auch hieran scheitert die Strafbarkeit einer Missachtung des § 153 Abs. 1 AO in den meisten Fällen. Auch in diesem Punkt kommt die hier vertretene Ansicht zur obigen Lösung 1, einer Straflosigkeit der Nichtberichtigung. Anders wird dies jedoch von der herrschenden Meinung gesehen. b) Vor der Festsetzung In den übrigen, praktisch weniger relevanten Fällen, dass eine unrichtige Erklärung abgegeben und die Unrichtigkeit noch vor Ergehen einer zu niedrigen Steuerfestsetzung erkannt wird, kann dagegen auf die Nichtberich­ 32  S. 162 ff. 33  S. 141 ff.

34  S. 141  ff.; insgesamt zur Verknüpfung der strafrechtlichen Verfolgungs- und der steuerrechtlichen Festsetzungsverjährung und sich daraus ergebender Probleme bei § 153 Abs. 1 S. 1 AO: S. 71 ff.; sowie bei § 153 Abs. 1 S. 2 AO: S. 106 ff. 35  S. 140 ff. 36  Im Speziellen: Erfolg im Beitreibungsverfahren: S. 164 ff.; Aufrechterhaltung als „nicht gerechtfertigter Steuervorteil“: S. 165.



Zusammenfassung und Würdigung341

tigung ein Taterfolg folgen. Mit dem nachträglichen Erkennen entsteht insoweit eine Pflicht zur Erfolgsverhinderung. Ergeht nun eine unrichtige Festsetzung, so beruht diese kausal auf der Nichtberichtigung.37 Ging der Nichtberichtigung eine bedingt vorsätzliche Tat voraus, so ist die Nichtberichtigung als mitbestrafte Nachtat einzuordnen. In diesen Konstellationen ist damit Lösung 2 einschlägig. Dies deshalb, da die Berichtigung zugleich einen strafbefreienden Rücktritt von der versuchten Steuerhinterziehung im Moment 1 darstellen würde und damit keine nachteiligen Konsequenzen für den Betroffenen hätte. 3. Subjektiver Tatbestand und Variante Bejaht man dennoch mit der herrschenden Meinung den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, ergeben sich im Grundsatz keine Probleme im subjektiven Tatbestand. Wer falsche Angaben macht, deren steuerliche Relevanz erkennt und glaubt, diese nicht korrigieren zu müssen, irrt wohl mit der herrschenden Meinung im Bereich des § 17 StGB.38 Etwas komplizierter ist dies jedoch bei einer Variante des Ausgangsfalls: Bei Personenunterschieden im Moment 1 und 2. § 153 Abs. 1 S. 2 AO statuiert insoweit explizit eine Berichtigungspflicht für Gesamtrechtsnachfolger.39 Hierbei leuchtet es eventuell nicht unmittelbar ein, dass eine Steuerhinterziehung des Groß­ vaters korrigiert werden muss, um sich nicht selbst strafbar zu machen. In diesen Konstellationen ist im Vorsatz ein Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB im Einzelfall ernsthaft in Erwägung zu ziehen.40 4. Ergebnis Der ebenfalls vertretene Vorschlag der Suspendierung der Strafbewehrung41 ist im Ergebnis zu befürworten. Allerdings ergibt sich die Straffrei37  S. 139 f.

38  S. 191 ff.

sowie speziell bezogen auf § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO: S. 203 f. zur Entstehung der steuerlichen Berichtigungspflicht: S. 93 ff., sowie zu deren Folgen: S. 109 ff.; sowie zur Strafbarkeit einer Missachtung des § 153 Abs. 1 S. 2 AO: S. 175 ff. In Bezug auf Gesamtrechtsnachfolger kann festgestellt werden, dass die Berichtigungspflicht trotz ggf. entstehender Zuzahlungspflicht aus dem eigenen Vermögen des Gesamtrechtsnachfolgers legitim ist. Die ursprüngliche Steuerverkürzung hat sich als Aktivposten im Vermögen des Rechtsvorgängers niedergeschlagen, der auf den Rechtsnachfolger übergeht. Auch treffen ursprüngliche, bisher unerfüllte steuerliche Erklärungspflichten den Gesamtrechtsnachfolger, sodass § 153 Abs. 1 S. 2 AO insofern keine außergewöhnliche Regelung darstellt. 40  S. 203. 41  S. 314 ff. 39  Insoweit

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Zusammenfassung und Würdigung

heit einer Nichtberichtigung bereits aus dem geltenden Recht selbst und bedarf keines Rückgriffs auf die Selbstbelastungsfreiheit bzw. das Verfassungsrecht.42 Ein Unterlassen der Berichtigung im Falle einer Selbstbelastungsgefahr stellt bereits kein pflichtwidriges Unterlassen i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Die Selbstanzeige ist aufgrund ihrer vielen Unwägbarkeiten kein taugliches Mittel mehr, eine Selbstbelastungsgefahr auszuräumen und aus dem in § 393 Abs. 1 S. 2 AO statuierten Zwangsmittelverbot ergibt sich bei richtiger Auslegung, dass eine Mitwirkung insoweit auch nicht mehr zumutbar ist. Verwertungsverbote bieten aufgrund sich überschneidender Zuständigkeiten ebenfalls keinen ausreichenden Schutz. Daneben ergibt sich aus der Nichtberichtigung meist kein eigenständiger, über eine bereits ergangene Steuerverkürzung hinausgehender Taterfolg. Eine Vertiefung oder Wiederholung einer im buchhalterischen Sinne vollständig eingetretenen Steuerverkürzung ist nicht möglich. Ergo verfolgt das geltende Recht damit entgegen der Rechtsprechung und herrschenden Meinung den ersten Lösungsansatz. Eine Nichtberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO ist damit meist straffrei.

III. Abschließende Würdigung bzw. Änderungsbedarf de lege ferenda Abschließend ist die Frage aufzuwerfen, ob es positiv ist, dass die erste Lösung vom geltenden Recht verfolgt wird oder ob dies modifiziert werden kann bzw. sollte? Würde man Lösung 2 präferieren, hätte dies zur Konsequenz, dass das Gesetz so gestaltet werden muss, dass im Moment 2 eine Option besteht, die Strafbarkeit aus dem Moment 1 aufzuheben und zugleich (für den Fall, dass dies nicht geschieht) das Nicht-Handeln im Moment 2 bestraft würde. Um im Moment 2 eine Strafbarkeit herstellen zu können, muss man zwei Probleme lösen: Zum einen müssen die sich aus dem nemo-tenetur-Grundsatz ergebenden Fragen geklärt werden. Zum anderen muss die Strafbarkeit trotz schon eingetretener Steuerverkürzung begründet werden. Vor allem der letzte Punkt führt dazu, dass die Steuerhinterziehung vom Erfolg entkoppelt werden muss, da – wie gezeigt – ein einmal bestehender Erfolg nicht wiederholt oder vertieft werden kann. Insoweit müsste für dieses Ziel ein unechtes Unterlassungsdelikt der bloßen Nicht-Erklärung geschaffen werden. Das würde bedeuten, dass das Strafrecht nicht allein folgenloses Lügen aus fiskalpolitischen Gründen in den Bereich des Strafbaren ziehen müsste, sondern das bloße Unterlassen der wahren Mitteilung ohne jede zusätzliche Folge erfassen müsste. Schon die Strafbarkeit bloßer Lügen dürfte das Strafrecht vor 42  S. 314 ff.



Zusammenfassung und Würdigung343

große Herausforderungen stellen. Eine allgemeine Pflicht zur Wahrheit in dieser Konstellation des Steuerrechts tut es jedenfalls. Was hingegen erreichbar ist, ist den Verstoß gegen den nemo-teneturGrundsatz auszuräumen. Eine rechtsstaatlich ausgestaltete Selbstanzeigevorschrift mit niedrigen Voraussetzungen war hier eine nicht zu beanstandende Lösung. Die Folge der Verschärfungen in diesem Bereich ist überraschend: Indem der Staat die Voraussetzungen der Selbstanzeige angehoben hat, hat er (bei richtigem Verständnis) aufgrund der sich nun ergebenden Selbstbelastungsgefahr den Druck zur Abgabe dieser Erklärung gesenkt und damit die realistische Erwartung, dass die fiskalischen Interessen erfüllt werden, verhindert. Eine nachträgliche Berichtigung ist nun kaum mehr zumutbar. Will man sich nicht, wie das geltende Recht, für die rein rechtsstaatlich orientierte Lösung 1 entscheiden, sondern für die durchaus nachvollziehbaren fiskal­ politischen Interessen, ohne dabei eine rechtsstaatlich angreifbare Lösung zu schaffen, so muss das Konzept von Lösung 2 modifiziert werden. Die Peitsche des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO ist aus den genannten Gründen gerade nicht nutzbar. Will man das fiskalpolitische Ziel erreichen, bleibt allein das Zuckerbrot der Selbstanzeige.

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356 Literaturverzeichnis Müller, Arnold: Strafbar durch Nichtstun – Steuerhinterziehung durch Unterlassen, Fallstricke infolge der „Garantenstellung“, AO-StB 2002, S. 58–62 Müller, Jürgen: Ausgewählte Fragen zur Berichtigungspflicht nach § 153 AO, DStZ 2005, S. 25–31 Müller, Jürgen: Die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO, StBp 2005, S. 195– 199 Münchener Kommentar zum Aktiengesetz: Band 2: §§ 76–117 AktG, MitbestG, DrittelbG, hrsg. v. Wulf Goette u. Mathias Habersack, 5. Auflage, München 2019 (zit.: Bearbeiter, in: MüKo-AktG) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Band 11: §§ 1922–2385 BGB, §§ 27–35 BeurkG, hrsg. v. Franz Jürgen Säcker u. a., 8. Auflage, München 2020 (zit.: Bearbeiter, in: MüKo-BGB) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: Band 1: §§ 1–37, hrsg. v. Wolfgang Joecks u. Klaus Miebach, 4. Auflage, München 2020 (zit.: Bearbeiter, in: MüKoStGB) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: Band 4: §§ 185–262, hrsg. v. Wolfgang Joecks u. Klaus Miebach, 4. Auflage, München 2021 (zit.: Bearbeiter, in: MüKoStGB) Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 5: §§ 263–297, hrsg. v. Wolfgang Joecks u. Klaus Miebach, 4. Auflage, München 2022 (zit.: Bearbeiter, in: MüKoStGB) Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 5: §§ 263–358, hrsg. v. Wolfgang Joecks u. Klaus Miebach, 3. Auflage, München 2019 (zit.: Bearbeiter, in: MüKoStGB) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: Band 7: Nebenstrafrecht II, hrsg. v. Wolfgang Joecks u. Klaus Miebach, 3. Auflage, München 2019 (zit.: Bearbeiter, in: MüKo-StGB) Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung: Band 1: §§ 1–150 StPO, hrsg. v. Christoph Knauer u. a., 1. Auflage, München 2014 (zit.: Bearbeiter, in: MüKoStPO) Murmann, Uwe: Ungelöste Probleme des § 246 StGB nach dem 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG), NStZ 1999, S. 14–17 Neuling, Christian-Alexander: Berichtigung von Steuererklärungen im Unternehmen: Anwendungserlass zu § 153 AO, DStR 2016, S. 1625–1659 Neuling, Christian-Alexander: Tax Compliance im Unternehmen: schlichte Anzeige (§ 153 AO) vs. Selbstanzeige, DStR 2015, S. 558–563 Neumann, Ulfrid: Aufgabe des Strafrechts und Strafbegründung, in: Strafrecht und Gesellschaft, Ein kritischer Kommentar zum Werk von Günther Jakobs, hrsg. v. Urs Kindhäuser u. a., Tübingen 2019, S. 257–276 (zit.: Neumann, in: Strafrecht und Gesellschaft) Niemann, Ines: Die undolose Teilselbstanzeige oder die Verbrechervernunft im Steuerstrafrecht, zugl. Diss., Hamburg 2019 (zit.: Niemann, Die undolose Teilselbstanzeige)

Literaturverzeichnis357 Nöcker, Gregor/Hüning, Ronald: Dolus eventualis im Steuerstrafrecht – in dubio contra reo? Ein Diskussionsbeitrag, AO-StB 2012, S. 316–320 Nomos-Kommentar Strafgesetzbuch, hrsg. v. Urs Kindhäuser, Ulfrid Neumann u. Hans-Ullrich Paeffgen, 5. Auflage, Baden-Baden 2017 (zit.: Bearbeiter, in: NKStGB) Otte, Dennis Frederico: Festsetzungsfrist des § 171 Abs. 7 AO: Ablaufhemmung auch bei Steuerstraftaten des Rechtsnachfolgers, PStR 2020, S. 5–6 Otto, Harro: Unterschlagung: Manifestation des Zueignungswillen oder der Zueignung?, Jura 1996, S. 383–386 Otto, Harro: Beweisverbote aus steuerrechtlicher Mitwirkungspflicht?, wistra 1983, S. 233–235 Pallmer, Kim-André: Der materielle und prozessuale Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht, zugl. Diss., Berlin 2008 (zit.: Pallmer, Begriff der „Tat“ im Steuerstrafrecht) Pelz, Christian: Aktuelle Rechtsprobleme des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG und seine Folgen, DStR 2014, S. 449–455 Puppe, Ingeborg: Der dolus eventualis und sein Beweis, ZIS 2019, S. 409–411 Quedenfeld, Dietrich/Füllsack, Markus (Bearb.): Verteidigung in Steuerstrafsachen, hrsg. v. Werner Beulke u. Alexander Ignor, 5. Auflage, Heidelberg 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Quedenfeld/Füllsack) Radermacher, Volker: Risiken und Nebenwirkungen bei steuerlichen Nachmeldungen nach § 153 AO als Folge des geänderten § 261 StGB n. F. – Teil I, Zwei Selbst­ anzeigen wegen Geldwäscheverdachts und vermeintlicher steuerlicher Vergehen erforderlich?, AO-StB 2022, S. 54–62 Radermacher, Volker: Risiken und Nebenwirkungen bei steuerlichen Nachmeldungen nach § 153 AO als Folge des geänderten § 261 StGB n. F. – Teil II, Weitere Besonderheiten der Geldwäschenorm im Zusammenhang mit steuerlichen Nachmeldungen, AO-StB 2022, S. 91–99 Radermacher, Volker: Berichtigungspflicht des Erben unter Einfluss des § 171 Abs. 5 AO (Teil 3), StBW 2015, S. 27–33 Radermacher, Volker: Berichtigungspflicht des Erben unter Einfluss des § 171 Abs. 7 AO (Teil 1), StBW 2014, S. 956–961 Radermacher, Volker: Berichtigungspflicht des Erben unter Einfluss des § 370 Abs. 3 AO und § 52 StGB (Teil 2), StBW 2014, S. 993–1000 Radtke, Henning: Selbstbelastungsfreiheit und Beweisbeschränkungen im Strafverfahren – Gedanken am Beispiel von § 393 Abs. 2 AO, GA 2020, S. 470–479 Randt, Karsten: Reichweite und Grenzen der steuerlichen Erklärungspflicht im Steuerstrafrecht, in: Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Wolfgang Spindler, Klaus Tipke u. Thomas Rödder, Köln 2009, S. 1255–1267 (zit.: Randt, in: FS Schaumburg)

358 Literaturverzeichnis Ransiek, Andreas/Hüls, Silke: Zum Eventualvorsatz bei der Steuerhinterziehung, NStZ 2011, S. 678–681 Ransiek, Andreas/Winsel, André: Die Selbstbelastung im Sinne des „nemo tenetur se ipsum accusare“-Grundsatzes, GA 2015, S. 620–638 Rau, Max: Ausgewählte Grundsatzprobleme und Grenzbereiche der Selbstanzeige, in: Festschrift für Michael Streck zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Burkhard Binnewies u. Rainer Spatscheck, Köln 2011, S. 533–559 (zit.: Rau, in: FS Streck) Reichling, Tilmann: Anmerkung zu LG Aachen, Beschl. v. 27.8.2014 – 86 Qs 11/14, wistra 2014, S. 495–496 Reiß, Wolfram: Zum „Konkurrenzverhältnis“ der Umsatzsteuerhinterziehung für Voranmeldungszeiträume und für das Kalenderjahr, in: Recht – Wirtschaft – Strafe, Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Wolfgang Joecks u. a., Heidelberg u. a. 2010, S. 571–597 (zit.: Reiß, in: FS Samson) Reiß, Wolfram: Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung des Grundsatzes von nemo tenetur se ipsum prodere im Besteuerungsverfahren, zugl. Habil., Köln 1987 Reiß, Wolfram: Zwang zur Selbstbelastung nach der neuen Abgabenordnung, NJW 1977, S. 1436–1437 Reiter, Christian Harald Maximilian: „Nemo tenetur se ipsum prodere“ und Steuererklärungspflicht, Zur Strafbarkeit der wiederholenden Hinterziehung periodischer Veranlagungs- und Fälligkeitssteuern im anhängigen Steuerstrafverfahren, zugl. Diss., München 2007 Rengier, Rudolf: Strafrecht Allgemeiner Teil, 13. Auflage, München 2021 (zit.: Rengier, StrafR AT) Rengier, Rudolf: Strafrecht Besonderer Teil I, Vermögensdelikte, 23. Auflage, München 2021 (zit.: Rengier, StrafR BT I) Reuß, Andreas: Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, dargestellt am Beispiel der erhöhten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandsbeziehungen, zugl. Diss., München 1979 Röckl, Edgar: Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld des Verfassungs- und Europarechts, Eine kritische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Wertungsdivergenzen zwischen Steuer- und Steuerstrafrecht als Verfassungsproblem, der Hinterziehung verfassungswidriger Steuern sowie der verfassungs- und europarechtlichen Grenzen der Steuerfahndung bei Banken, zugl. Diss., Berlin 2002 (zit.: Röckl, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld) Rogall, Klaus: Anmerkung zu: Verbot des Selbstbelastungszwangs im Strafverfahren – BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NStZ 2006, S. 41–44 Rogall, Klaus: Das Verwendungsverbot des § 393 II AO, in: Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Hans Joachim Hirsch, Jürgen Wolter u. Uwe Braun, Köln/Mannheim 2003, S. 465–498 (zit.: Rogall, in: FS Kohlmann) Rogall, Klaus: Verwertungsverbote im Besteuerungsverfahren, in: Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag am 4. Juni 2002, hrsg. v. Ernst-Walter Hanack u. a., Berlin 2002, S. 951–982 (zit.: Rogall, in: FS Rieß)

Literaturverzeichnis359 Rogall, Klaus: Rezension zu: Schneider, Hartmut: Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines generalpräventiv-funktionalen Schuldmodells, Berlin 1991, in: StV 1996, S. 63–68 Rogall, Klaus: Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst: ein Beitrag zur Geltung des Satzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ im Strafprozeß, zugl. Diss., Berlin 1977 (zit.: Rogall, nemo-tenetur) Rogall, Klaus: Die Mißachtung des Verbots der Selbstbelastung im geltenden und im kommenden Abgabenrecht, ZRP 1975, S. 278–281 Rolletschke, Stefan: Anmerkung zu FG München v. 26.7.2019 – 6 K 3189/17, wistra 2020, S. 173–176 Rolletschke, Stefan: Anmerkung zu BFH v. 1.2.2012 – VII B 234/11, NZWiSt 2012, S. 279 Rolletschke, Stefan: Einleitung des Steuerstrafverfahrens, Stbg 2006, S. 221–226 Rolletschke, Stefan: Die wiederholte Steuerhinterziehung – Der Fall der Nichtabgabe mit anschließender Abgabe einer unrichtigen/unvollständigen Steuererklärung, zugleich eine ergänzende Anmerkung zu Schneider, wistra 2001, 408 –, wistra 2002, S. 332–334 Rolletschke, Stefan: Die Hinterziehung von Erbschaft-/Schenkungsteuer, wistra 2001, S. 287–290 Rolletschke, Stefan/Kemper, Martin: Steuerstrafrecht, AO, UStG, ZollVG, Loseblattsammlung, Stand 04/2021, Köln (zit.: Bearbeiter, in: Rolletschke/Kemper) Rolletschke, Stefan/Roth, David: Die Selbstanzeige, München 2015 Rombach, Engelbert: Dauervergehen im Steuerstrafrecht, zugl. Diss., Köln 1968 Rösinger, Luna: Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, Über den Begründungszusammenhang von Mitwirkungsfreiheit und Strafverfahrenseingriff, zugl. Diss., Tübingen 2018 (zit.: Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten) Roxin, Claus: Über Tatbestands- und Verbotsirrtum, in: Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht: Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen, Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Ulrich Sieber u. a., Köln/München 2008, S. 375–390 (zit.: Roxin, in: FS Tiedemann) Roxin, Claus: Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 2, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, München 2003 (zit.: Roxin, StrafR AT II) Roxin, Claus: Anmerkung zu BGH v. 12.8.1997 – 1 StR 234/97, JZ 1998, S. 211–212 Roxin, Claus/Greco, Luís: Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 1, Grundlagen, Der Aufbau der Verbrechenslehre, 5. Auflage, München 2020 (zit.: Roxin/Greco, StrafR AT I) Rüping, Hinrich/Kopp, Thomas: Steuerrechtliche Mitwirkungspflichten und strafrechtlicher Schutz vor Selbstbelastung, NStZ 1997, S. 530–534 Rüster, Susanne: Der Steuerpflichtige im Grenzbereich zwischen Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, zugl. Diss., Göttingen 1989 (zit.: Rüster, Der Steuerpflichtige im Grenzbereich)

360 Literaturverzeichnis Rüster, Susanne: Rechtsstaatliche Probleme im Grenzbereich zwischen Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, wistra 1988, S. 49–56 Sahan, Oliver: Keine Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, Renaissance des „nemo tenetur“ vor dem Hintergrund des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes und der neuen BGH-Rechtsprechung, zugl. Diss., Köln u. a. 2006 Salditt, Franz: Bürger zwischen Steuerrecht und Strafverfolgung, in: Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht, 9. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e. V. Bremen, 22. und 23.  September 2014, hrsg. v. Rudolf Mellinghoff, Köln 2015, S. 277–299 [zit.: Salditt, DStJG Bd. 38 (2015)] Samson, Erich: Strafbefreiende Fremdanzeige (§ 371 Abs. 4 AO) und Berichtigungspflicht (§ 153 Abs. 1 AO), wistra 1990, S. 245–251 Samson, Erich: Steuerhinterziehung, nemo tenetur und Selbstanzeige – eine Dokumentation, wistra 1988, S. 130–136 Satzger, Helmut: Der irrende Garant – zur Abgrenzung von Tatbestands- und Gebotsirrtum beim vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikt, JURA 2011, S. 432–437 Sauren, Marcel M.: Steuer- und strafrechtliche Probleme bei verschwiegenem Vermögen – Probleme des Inhabers und der Erben, ZEV 2002, S. 223–227 Schaefer, Torsten: Der Nemo-Tenetur-Grundsatz im Steuerstrafverfahren, zugl. Diss., Marburg 2007 (zit.: Schaefer, Nemo-Tenetur) Schäfer, Karl: Einige Bemerkungen zu dem Satz „nemo tenetur se ipsum accusare“, in: Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag am 12. Juni 1982, hrsg. v. Ernst-Walter Hanack, Peter Rieß u. Günter Wendisch, Berlin u. a. 1982, S. 11–51 (zit.: K. Schäfer, in: FS Dünnebier) Schäfer, Stefan: Strafbarkeit durch unterlassene Berichtigung des Antrags auf steuerliche COVID-19-Hilfe?, PStR 2021, S. 40–43 Schaub, Bernhard: Schwarzgeld im Nachlass: Ratschläge für Erben, ZEV 2011, S. 624–627 Schlotter, Carsten: Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs und Pflichten nach § 153 AO, Ubg 2014, S. 22–26 Schlüchter, Ellen/Duttge, Gunnar: Anmerkung zu BGH v. 28.11.1997 – 3 StR 114/97, NStZ 1998, S. 618–620 Schmeer, Johanna Mareike: Die Neuregelung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 1.1.2015, zugl. Diss., Saarbrücken 2016 (zit.: Schmeer, Neuregelung) Schmidt, Jan-Philipp: Zur Rechtsnatur des § 398a AO, Kritische Analyse der Vorschrift unter Berücksichtigung der Motive des Gesetzgebers und verwandten Normen des allgemeinen Strafrechts, zugl. Diss., Saarbrücken 2018 Schmitz, Roland: Wie viel Strafe braucht der Steuerstaat?, in: Festschrift für Hans Achenbach zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Uwe Hellmann u. Christian Schröder, Heidelberg 2011, S. 477–490 (zit.: Schmitz, in: FS Achenbach) Schmitz, Roland: Unrecht und Zeit – Unrechtsquantifizierung durch zeitlich gestreckte Rechtsgutsverletzung, zugl. Habil., Baden-Baden 2001

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Literaturverzeichnis363 Staudinger, Wolfgang: Die neue Verfolgungsverjährung in Steuerstrafsachen, wistra 2021, S. 307–308 Steiner, Anton: Steuerliche Pflichten des Erben – Ein Beispielsfall, ErbStB 2008, S. 152–154 Steinhauff, Dieter: Strafrecht contra Steuerrecht: Die Norm des § 398a AO in der Kritik, AO-StB 2019, S. 128–129 Steinhauff, Dieter: Die Anzeige- und Berichtigungserklärung nach § 153 AO – Praxisprobleme bei der Abgrenzung zur Selbstanzeige, AO-StB 2015, S. 337–338 Steinhauff, Dieter: Anzeige- und Berichtigungspflichten nach § 153 AO, AO-StB 2011, S. 269–270 Stetter, Sabine: Die Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung wegen einer Steuerstraftat durch Erfüllung steuerrechtlicher Erklärungspflichten, Zugleich ein pro­ blembezogener Vergleich des deutschen und amerikanischen Rechts, zugl. Diss., Berlin 2007 (zit.: Stetter, Lösung der Fälle mittelbarer Selbstbelastung) Steuerstrafrecht Handbuch, hrsg. v. Wannemacher & Partner, München, 6. Auflage, München 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Wannemacher) Strauß, Michael: Der Finanzbeamte im Steuerstrafverfahren – Tatsachenermittlung und -auswertung, zugl. Diss., Berlin 2005 Streck, Michael: Die Auswirkung des Wegfalls des strafrechtlichen Fortsetzungszusammenhangs auf Besteuerungs- und Prüfungssituationen, DStR 1994, S. 1723– 1726 Streck, Michael: Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum strafrechtlichen Verwertungsverbot bei Aussagen des Gemeinschuldners und seine Auswirkungen im Steuerstrafrecht, StV 1981, S. 362–364 Streck, Michael: Betriebsprüfung und Steuerstrafverfahren, BB 1980, S. 1537–1542 Streck, Michael/Rainer, Thomas: Die Feststellung der Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren nach dem Tode des mutmaßlichen Hinterziehers, StuW 1979, S. 267–271 Streck, Michael/Spatscheck, Rainer: Steuerliche Mitwirkungspflicht trotz Strafverfahrens?, wistra 1998, S. 334–342 Stürner, Rolf: Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, S. 1757–1763 Suhr, Christian: Rechtsgut der Steuerhinterziehung und Steuerverkürzung im Festsetzungsverfahren, zugl. Diss., Frankfurt am Main u. a. 1989 (zit.: Suhr, Rechtsgut) Tenckhoff, Jörg: Die Unterschlagung (§ 246 StGB), JuS 1984, S. 775–781 Teske, Doris: Das Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Zwangsmittelverbotes (§ 393 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO), wistra 1988, S. 207–216 Teske, Doris: Die Abgrenzung der Zuständigkeiten und der Beweisverfahren im Besteuerungsverfahren und im Steuerstrafverfahren unter besonderer Berücksichti-

364 Literaturverzeichnis gung des § 393 AO de lege lata und de lege ferenda, zugl. Diss., Köln 1987 (zit.: Teske, Abgrenzung) Theile, Hans: Konvergenzen und Divergenzen zwischen Gesellschaftsrecht und Strafrecht, Das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung (§ 266 StGB) aus systemtheoretischer Sicht, ZIS 2011, S. 616–628 Thoma, Philipp: Legitimität des § 398a AO im System des privilegierenden Nachtatverhaltens und verfassungsrechtliche Kompatibilität der Norm, zugl. Diss., Berlin 2019 (zit.: Thoma, Legitimität des § 398a AO) Tiedemann, Klaus: Wirtschaftsstrafrecht, 5. Auflage, München 2017 Tiedemann, Klaus: Wirtschaftsstrafrecht – Einführung und Übersicht, JuS 1989, S. 689–698 Tiedemann, Klaus: Anmerkung zu BGH v. 27.8.1974 – 1 StR 10/74 (LG Augsburg), JZ 1975, S. 185–187 Tipke, Klaus/Kruse, Heinrich Wilhelm (Begr.): Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, Kommentar zur AO und FGO inkl. Steuerstrafrecht, Loseblattsammlung, 169. Lieferung, Stand 02/2022, Köln (zit.: Bearbeiter, in: Tipke/Kruse) Torka, Ronald: Nachtatverhalten und Nemo tenetur, Eine Untersuchung über die Grenzen „zulässiger Verteidigung“ und die Relevanz des Nemo-tenetur-Prinzips bei der Strafzumessung selbstbegünstigenden Nachtatverhaltens gem. § 46 Abs. 2 StGB, zugl. Diss., Berlin 2000 Tormöhlen, Helmut: Unter welchen Voraussetzungen besteht die „Schadensminderungspflicht“ des Steuerpflichtigen?, AO-StB 2010, S. 141–144 Tormöhlen, Helmut: Der nemo-tenetur-Grundsatz im Steuerstrafverfahren und die Mitwirkungspflichten für nicht strafbefangene Veranlagungszeiträume, in: Gestaltung und Abwehr im Steuerrecht, Festschrift für Klaus Korn zum 65. Geburtstag am 28. Januar 2005, hrsg. v. Dieter Carlé, Rudolf Stahl u. Martin Stahl, Berlin 2005, S. 779–797 (zit.: Tormöhlen, in: FS Korn) Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Steno­ graphische Berichte, Bd. 326, Von der ersten Sitzung am 6. Februar 1919 bis 26. Sitzung am 12. März 1919, Berlin 1920 Verrel, Torsten: Nemo-tentur – Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes – 1. Teil, NStZ 1997, S. 361–365 Verrel, Torsten: Nemo-tentur – Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes – 2. Teil, NStZ 1997, S. 415–420 Webel, Karsten: Das Verhältnis zwischen § 153 AO und § 371 AO, PStR 2012, S. 218–222 Weber, Klaus (Hrsg.): Rechtswörterbuch, 27. Edition, München 2021 Wedelstädt, Alexander von: Ressortfremde Verwaltungsakte als Grundlagenbescheide, Wann liegen sie vor und welche Rechtsfolgen bewirken sie?, AO-StB 2014, S. 150–154 Wedler, Simone: Der Rechtsirrtum im Steuerstrafrecht – zugleich Anmerkung zu AG Köln, Urteil v. 10.3.2013 – 585 Ds 124/12 –, NZWiSt 2015, S. 99–102

Literaturverzeichnis365 Wegner, Carsten: BMF-Schreiben zur Berichtigung von unrichtigen Steuererklärungen (§ 153 AO), SteuK 2016, S. 289–292 Wegner, Carsten: Schützt ein Compliance Management System vor einer Geldbuße nach § 130 OWiG?, PStR 2014, S. 19–23 Wegner, Carsten: Anmerkung zu BGH v. 20.3.2008 – 1 StR 488/07 und BGH v. 16.4.2008 – 5 StR 615/07, wistra 2008, S. 347–348 Weidemann, Jürgen: Zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO – zugleich Anmerkung zu FG München vom 6.9.2006 – 1 K 55/06 – und zu BGH vom 17.3.2009 – 1 StR 479/08 –, wistra 2010, S. 5–8 Weigell, Jörg: Überlegungen zum Steuer(straf)recht, in: Festschrift für Michael Streck zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Burkhard Binnewies u. Rainer Spatscheck, Köln 2011, S. 609–626 (zit.: Weigell, in: FS Streck) Welzel, Hans: Irrtumsfragen im Steuerstrafrecht, NJW 1953, S. 486–488 Wendt, Wilhelm: Nach bestem Wissen und Gewissen, Zur Besteuerungssituation in Deutschland, in: Festschrift für Wolfgang Ritter zum 70. Geburtstag, Steuerrecht, Steuer- und Rechtspolitik, Wirtschaftsrecht und Unternehmensverfassung, Umweltrecht, hrsg. v. Max Dietrich Kley, Eckhart Sünner u. Arnold Willemsen, Köln 1997, S. 637–648 (zit.: Wendt, in: FS Ritter) Wenzel, Judith: Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Ursächlichkeit des Besteuerungsverfahrens für Beweisverwertungsverbote im Steuerstrafrecht, zugl. Diss., Herbolzheim 2003 (zit.: Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren) Wenzig, Herbert: Die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und ihre Grenzen, DStZ 1986, S. 375–382 Wernsmann, Rainer: Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34/2009, S. 101–106 Wessels, Johannes/Beulke, Werner/Satzger, Helmut: Strafrecht Allgemeiner Teil, Die Straftat und ihr Aufbau, 51. Auflage, Heidelberg 2021 (zit.: Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT) Wessels, Johannes/Hillenkamp, Thomas/Schuhr, Jan C.: Strafrecht Besonderer Teil 2, Straftaten gegen Vermögenswerte, 44. Auflage, Heidelberg 2021 (zit.: Wessels/ Hillenkamp/Schuhr, StrafR BT II) Wessing, Jürgen/Biesgen, Rainer: Der 1. Strafsenat des BGH und das Steuerstrafrecht, NJW 2010, S. 2689–2694 Witte, Sabine: Gibt es eine Steuerhinterziehung hinter einer vollendeten Steuerhinterziehung? – Zugleich ein Beitrag zur Begünstigung, zugl. Diss., Kiel 2004 (zit.: Witte, Steuerhinterziehung) Witten, Ulrich von: Zur Strafbarkeit der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 165 e AbgO, NJW 1963, S. 567–571 Wittig, Petra: Wirtschaftsstrafrecht, 5. Auflage, München 2020 Wittmann, Rolf: Mitwirkungspflicht und Aufklärungspflicht in der AO – Reduktion der Mitwirkungspflicht durch finanzbehördliches Verhalten –, StuW 1987, S. 35– 50

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Stichwortverzeichnis Abgabefrist  64 Ablaufhemmung  71, 105 Abschnittsbesteuerung  322 Absoluter Schutz  221, 225, 227 Abstraktes Gefährdungsdelikt  137 Adressierung  80, 265 Allgemeine Handlungsfreiheit  214 Allgemeine Mitwirkungspflichten  153, 166, 255 Allgemeines Persönlichkeitsrecht  213 Amtsermittlungsgrundsatz  229 Andere Behörde  34, 81 Änderungsvorschrift  84, 110 –– § 172 AO  84 –– § 173 AO  85 Anfangsverdacht  226, 229, 230, 234, 238, 241, 298 Angehörige  22 Anlaufhemmung  68 Anwachsendes Erfolgsunrecht  163 Anwendungserlass  30, 39, 50, 78 Anzeige  77, 85 AO-Änderungsgesetz  245, 272 Asymmetrische Akzessorietät  120, 316, 332, 339 Aufgriffsgrenze  199 Auskunftsverweigerungsrecht  23, 28, 91, 97, 222 Auslandskonto  102, 106 Aussageverweigerungsrecht  297 Ausschlagung des Erbes  112 Ausschlussgründe  252, 264 Außenprüfung  66, 76, 230 Außertatbestandliche Sphäre  163 Automatischer Informationsaustausch  37, 83

Bagatellunrecht  155 Bargeld  183 Bedingter Vorsatz  48, 192, 263 Befriedungsfunktion  98, 151 Behördeninterner Informationsaustausch  82 Beitreibungsverfahren  132, 165 Bekanntgabe  134 Belehrung  230 Belehrungspflicht  219, 317 Berechtigtes Informationsbedürfnis  223 Bescheinigungen  35 Besonders schwerer Fall  188, 276 Bestimmtheitsgrundsatz  117, 146, 165, 180, 188, 202, 325 Beteiligte  280 Betriebsprüfung siehe Außenprüfung Betriebsprüfungsordnung  76 Beweislast  192 Beweislastregel  69, 211 Beweisprobleme  154, 196, 199 Bilanz  39, 41 –– Objektiver Fehlerbegriff  41 –– Subjektiver Fehlerbegriff  41 Bindungswirkung  81 Blankettmerkmale  193 Bodenverunreinigung  185 Buchgeld  183 Bußgeld- und Strafsachenstelle  218, 229, 230, 231, 237, 283, 337 Bußgeldverfahren  327 Compliance  263, 266 Daten-CDs  272 Dauerdelikt  141, 173, 340 Deklaratorischer Charakter  65, 166

368 Stichwortverzeichnis de lege ferenda  171, 342 Denunziation  22, 98, 99 Disziplinarverfahren  269 dolus directus  61, 101, 151, 289 dolus eventualis siehe Bedingter Vorsatz dolus subsequens  146, 340 Doppelbesteuerungsabkommen  25 Doppelbestrafungsverbot  282 Doppelzuständigkeit der Finanzbehörde  226, 232, 236, 308, 315, 337 Drittwirkung  85 Duldungspflicht  220 Dunkelziffer  249 Dürftigkeitseinrede  113 Ehegatten  28, 97 Eingriffsbefugnisse  23 Einheit der Rechtsordnung  51, 119 Einleitung des Ermittlungsverfahrens  231, 303 Einschätzungsprärogative  290 Einstellung  260, 272, 280 Entdeckungsgefahr  24 Entkernte Pflicht  125, 186, 302, 332 Entstehung der Steuer  132 Erbenhaftung  111 Erbschaft  175, 184 Erbschaftsteuererklärung  109, 178 Erfolgsbeseitigungspflicht  128, 186 Erfolgsunwert  155 Erfolgsverhinderungspflicht  126, 128, 139, 186 Erklärungsvordrucke  38, 39 Erlass  33, 43 Ermessen  44, 328 Ermittlungsverfahren  217, 226, 237 Erstattung  134 Eventualvorsatz siehe Bedingter Vorsatz Evokationsrecht  231 Fahrlässigkeit  49, 191, 199 Fair-trial-Grundsatz  211 Faktischer Geschäftsführer  94

Falschaussage  213 Familienschutz  28, 98 Fernwirkung  289, 294, 307, 336 Festsetzungsverfahren  132 Festsetzungsverjährung  59, 102, 154, 251, 265, 278 Feststellungserklärung  33 Fiktiver Zeitpunkt  148 Finanzgerichtsbarkeit  40 Fiskalische Ausrichtung  248 Fiskalische Erwägungen  305 Fiskalzwecke  55 Flucht ins Strafverfahren  284 Form  83 Formale Pflichtenstellung  122 Formell bestehende Pflicht siehe auch Entkernte Pflicht Fortlaufende Einkünfte  319 Freiwilligkeit  242, 288 Freiwilligkeit der Selbstanzeige  254 Fremdanzeige  86 Garantenstellung  24, 45, 117 –– aus Ingerenz  31, 126 Geldstrafe  176 Geldwäsche  183, 241 –– Lehre von der Teilkontamination  184 –– Lehre von der Totalkontamination  184 Gemeinschuldnerbeschluss  222, 225, 299, 306, 309, 311 Geringfügigkeit  121 Gesamtrechtsnachfolger  22, 29, 93, 175 Gesetzlicher Vertreter  94 Gesetzmäßigkeit der Besteuerung  24 Gestufte Berichtigung  77 Gewerbeuntersagung  269 Gewillkürte Vertreter  29, 94 Gleichheitssatz  99, 275, 284, 296, 321, 326 Gleichlauf der Verjährung  107, 251 Gravierende Pflichtverletzung  120

Stichwortverzeichnis369 Grundlagenbescheide  35 –– Ressortfremde Grundlagenbescheide  35, 81 Grundsatz der Gleichbehandlung der Vorsatzformen  61, 151, 289 Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung  205 Grundsatz der Wertneutralität  57 Handlungsunrecht  191 Hehlerei  179, 182 –– Kollusives Zusammenwirken  179 Hinterziehungsbetrag  244, 277 Hinterziehungszinsen  85, 110, 237, 282 Hinterzogene Steuer  278 Höchstpersönliche Pflicht  96 in dubio pro reo  61, 69, 104 Informationelle Selbstbestimmung  213 Informationstransfer  223, 228, 328 Inkongruenz der Strafbewehrungen  190 Interessenabwägung  224 Interessenkonflikt  86 Internal Investigations  79, 262 Internationaler Pakt über staatsbürger­ liche und politische Rechte  210, 211 Jahressteuererklärungen  162 Janusköpfigkeit der Steuerfahndung  232 Kaskade an Steuerhinterziehungen  60, 153 Kausalität  43, 130, 139, 144, 174, 187, 340 –– conditio-sine-qua-non  44, 139 –– Hypothetische Kausalität  144 –– Überholende Kausalität  44 Kenntnis der Finanzbehörde  74, 174 Kleinbetragsverordnung  121 Kodifikation  21, 63 Koinzidenzprinzip  141, 325 Kompensationsverbot  42, 137, 274, 277, 279

Komplexität des Steuerrechts  246 Konkretes Gefährdungsdelikt  136 Konkursverfahren  222 Konstitutiver Charakter  65 Kontrollmechanismus  158 Korruptionsdelikte  58 Kumulation der Hinterziehungsbeträge  189, 274 Laiensphäre  203 Legalitätsprinzip  229, 235 Leichtfertige Steuerverkürzung  191, 327 Leistungsfähigkeitsprinzip  111 lex specialis  31, 66, 76, 171 Liquidität  110, 190, 270, 280, 305 Liquiditätsvorteil  156, 160 Lohnsteueranmeldungen  27, 159, 245, 275 Menschenwürdegrundsatz  212 Mitbestrafte Nachtat  140, 150, 168 Mitbestrafte Vortat  158 Miterben  110 Mittäter  101, 176 Mittelbare Verwertung  309 Nachfolgende Veranlagungszeiträume  319 Nachforschungspflicht  40, 46, 104, 244, 258 Nachkonstitutionelles Gesetz  311 Nachlassinsolvenz  113 Nachlassverbindlichkeiten  22, 111 Nachtatverhalten  161 Nachträgliche Schadenswiedergutmachung  145 Nachträgliches Erkennen  45, 95, 338 Nachzahlungsbetrag  267, 278 Nachzahlungspflicht  86, 90, 268 Nebenstrafrecht  115 Negation der Strafbarkeit  330 nemo-tenetur-Prinzip  58, 205

370 Stichwortverzeichnis Neues Unrecht  124, 173, 220, 320, 322, 326 Nichtabgabe von Erklärungen  91 Nichtanzeige geplanter Straftaten  177 Nichtbeseitigung eines Schadens  152 Nichtergehen eines Berichtigungsbescheides  147 Nicht gerechtfertigter Steuervorteil  42, 166 Nominalbetrag  161, 274 Normappell  197, 201 Normative Tatbestandsmerkmale  193 obiter dictum  49, 323 Objektiv verkürzter Betrag  187 omissio libera in causa  324 Ordnungswidrigkeit  216, 327 Parallelwertung in der Laiensphäre  193 perpetuum mobile  60 Personengesellschaften  26 Personenmehrheiten  85 Personensteuer  111 Pflichtveranlagung  68 Pflichtwidrigkeit  118, 125, 129, 199 Pflicht zur Selbstanzeige  50, 54, 239 Pietät  98 Primärordnung  54, 117, 154, 168, 185, 247 Prinzip der Abschnittsbesteuerung  112 Prinzip der Individualbesteuerung  111 Prinzip des freien Informationsaustausches  233, 291 Prozessuale Tat  60 Prüfungsanordnung  89, 244, 264 Rechtfertigungsvoraussetzung  215 Rechtsanwendung  38 Rechtsklarheit  67 Rechtsstaatsprinzip  212 Rechtsunsicherheit  48, 117, 217 Rechtswidrig verkürzte Steuer  172 Reichsabgabenordnung  21, 32, 243

Reichsfinanzhof  20, 52, 63 Reichsgesetzblatt  21 Restriktive Auslegung  88, 119, 152 Rücktritt  127, 145, 218, 242 Sachbeschädigung  154 Säumniszuschlag  271 Saumseligkeit  20 Schadensersatz  128, 154, 216 Schadensgleiche Vermögensgefährdung  133, 136 Schätzung  56, 84, 122, 301, 327 –– Sicherheitszuschläge  301 –– Strafschätzung  301 Schenkung  69 Schmiergelder  58 Schuldprinzip  275, 277 Schutzbehauptung  161 Schwarzgeldbekämpfungsgesetz  258, 271 Schwarzgeldkonto  69, 109 Schweigen  209, 219 Sekundärordnung  54, 117, 122 Selbstanzeige  70, 190, 237, 238, 295, 298, 305, 309, 313, 320, 328, 333 –– Gestufte Selbstanzeige  244 –– Missglückte Selbstanzeige  259, 334 –– selbstanzeigefest  241 –– Teilselbstanzeige  89, 244, 258, 261 Selbstbegünstigung  171 Selbstbelastung  216 Selbstbelastungsfreiheit  53, 122 Simultanitätsprinzip siehe Koinzidenzprinzip Solidaritäts- und Teilhabeprinzip  215 Soll-Ist-Vergleich  133 Sperrgründe siehe Ausschlussgründe Staatsanwaltschaft  58, 231 status quo  108 Steueramnestie  243 Steueranmeldungen  136 Steueranspruchslehre  195, 197, 203 Steuerberater  29, 65, 201

Stichwortverzeichnis371 Steuerbescheid siehe Steuerfestsetzung Steuererheblichkeit  32 Steuererklärungspflichten  26 Steuerfahndung  232, 256, 337 Steuerfestsetzung  47, 134 –– Steuerfestsetzungen auf Zeit  159 Steuergeheimnis  58, 82, 290 Steuergerechtigkeit  55, 56, 223 Steuergleichheit  55, 56 Steuerhinterziehung großen Ausmaßes  189 Steuerkontaminierte Erbschaft  93, 109 Steuerpflichtiger  26 Steuerpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen  248 Steuervergünstigungen  43 Steuerverkürzung  42, 339 –– Steuerverkürzung auf Dauer  156 –– Steuerverkürzung auf Zeit  135, 156 Steuervermeidung  246 Strafandrohung  123 Strafaufhebungsgrund  253 Strafbarkeitslücke  67, 141, 147, 166, 168 Strafbedürfnis  55, 206, 247 Strafbewehrung  125, 172, 234, 302, 306, 312, 316 Strafe  216, 286 Strafklageverbrauch  282 Strafsachen- und Bußgeldstelle siehe Bußgeld- und Strafsachenstelle Strafvereitelung im Amt  230 Strafverfolgungshindernis  85 Strafverfolgungsinteresse  208 Strafwürdiges Unrecht  141 Strafzuschlag  271, 287, 335 Strukturelles Vollzugsdefizit  249 Stundung  33, 43, 165 Subjektiver Sorgfaltsmaßstab  64 Subsumtion  38 Suspendierung der Strafbewehrung  304, 322, 341 –– Teilweise Suspendierung  323

Systemfremde Garantenstellung  125, 177 Systemimmanenter Konflikt  205 Tatbestandsirrtum  105, 194, 197, 201, 204 Täterbelastende Analogie  340 Taterfolg  129, 170 Tätige Reue  145, 242 Teilidentität des Unrechtsgehalts  158 Teilnehmer  101, 176 Teleologische Reduktion  76, 98, 280 Überkriminalisierung  116 Übermaßverbot  68 Überschießende Innentendenz  202 Umgehungsgefahr  89 Umqualifizierung  141, 143, 239, 253 Umsatzsteuer  134, 156, 159 Umsatzsteuervoranmeldungen  245, 275 Unantastbarer Kernbereich  59 Unaufklärbarer Sachverhalt  84 Unechtes Unterlassungsdelikt  115, 342 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort  128 Unrichtige/unvollständige Berichtigungserklärung  114 Unrichtigkeit  37 Unschuldige Personen  217 Unschuldsvermutung  211 Unterlassen  134 Unterschlagung  167, 180, 182 –– Konkurrenzlösung  168, 169 –– Manifestation des Zueignungswillens  169 –– Subsidiaritätsklausel  180 –– Tatbestandslösung  167, 169 –– Wiederholte Zueignung  167 Untersuchungsgrundsatz  23 Untreue  120 Unverzüglichkeitsfrist  60, 78, 149, 240, 261 Unvollständigkeit  37

372 Stichwortverzeichnis Veranlagungsstelle  229, 236 Veranlagungsverfahren  66 Veranlagungszeitraumübergreifende Sachverhalte  207, 266, 319 Verbot der Aussageerpressung  209 Verbotsirrtum  194, 198, 200, 203, 204 –– Unvermeidbarkeit  198 Verbrauchsteuer  68 Verdeckungsabsicht  173, 221 Verfallsanordnung  283 Verfassungskonforme Auslegung  122, 311 Verfassungswidrigkeit  284, 292, 296 Verfolgungsverjährung  143, 154, 188, 251, 266, 278 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  213, 214, 280 Verlustvortrag  111 Vermeidung von Strafbarkeitslücken  127 Versuch  127, 145, 218 Verwaltungsanweisung  50 Verwaltungsverfahren  55 Verwaltungszwang  123, 312 Verwendungsverbot  259, 289, 292, 321, 336 Verwertungsverbot  125, 223, 234, 288, 294, 306, 336 Verzögerungsgeld  300 Vollständigkeitsgebot  24, 251, 259, 261 Vollstreckungsverfahren  165 Vorauszahlungen  33, 159, 162 Vorbehalt der Nachprüfung  42, 134, 136

Vorbereitungshandlung  35 Vorläufige Steuerfestsetzung  42, 136 Vorsatz  191, 341 Vorwissen  100 Wahrheitsgebot  24, 26 Wiederaufnahme  282 Wiedergutmachung  248, 253 Wiedergutmachungsabsicht  162 Zehnjähriger Berichtigungszeitraum  251, 258, 259 Zeitlich anwachsendes Erfolgsunrecht  144, 171 Zeitliche Begrenzung  157 Zeugnisverweigerungsrecht  86, 97 Zinsen nach § 233a AO  85, 110, 282 Zinsschaden  136, 155, 161, 163, 275 Zinsvorteil  33 Zirkelschluss  104, 107, 141, 286 Zivilrechtliche Haftung  177 Zumutbarkeit  123, 151, 172 Zurechnungszusammenhang  174 Zuschlag nach § 398a AO  190, 237, 262, 279, 335 Zwang  257 Zwangsmittel  300, 317 Zwangsmittelverbot  56, 122, 186, 234, 249, 255, 288, 297, 326, 332 Zwangswirkung  219 Zwingender Verfahrenseinstellungsgrund  282 Zwingendes öffentliches Interesse  58, 291, 296