Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes.: Mit einem Ausblick auf die weitere historische Entwicklung des Rechtsinstitutes: dáneion nautikón, fenus nauticum und Bodmerei.. Dissertationsschrift 3428117786, 9783428117789

Das Seedarlehen der griechischen Antike (dáneion nautikón) ist als Vorbild des weithin bekannten und erforschten römisch

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Einleitung
Erster Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes
I. Quellen
II. Begriff und Inhalt
1. Die Bezeichnung δάνειον ναυτικόν
2. Das Wesen des Vertrages
III. Die Parteien
1. Darlehensnehmer
a) Naukleroi (ναύκληροι)
b) Emporoi (έμποροι)
c) Herkunft der Händler
d) Vermögensverhältnisse griechischer Händler
2. Darlehensgeber
a) Privatpersonen
b) Bankiers (τραπεζΐται)
IV. Das Darlehen auf Seezins
1. Der Darlehensvertrag im antiken griechischen Recht
2. Verwendungszweck
3. Höhe
4. Bestand und Fälligkeit der Ansprüche des Gläubigers
a) Das Erfordernis der glücklichen Beendigung der Seereise
b) Teilverluste
Exkurs: Seewurf (έκβολή)
c) Fälligkeit der Darlehensschuld
d) Rückzahlungsmodalitäten
V. Die Vereinbarungen im Einzelnen
1. δάνειον έτερόπλουν oder δάνειον άμφοτερόπλουν
2. Die Übernahme der Seegefahr durch den Darlehensgeber
3. Versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens
4. Seezinsen (τόκοι ναυτικοί)
a) Höhe
b) Fälligkeit der Zinsen
5. Sicherheiten
a) Die besondere Bedeutung der Sicherheiten beim Seedarlehen
b) Pfandobjekt, Sicherungszweck und -mittel
c) Hypotheke kraft Vereinbarung
d) Hypotheke am Surrogat des Geldes trotz fehlender Vereinbarung
aa) Der Surrogationsgedanke beim griechischen Seedarlehen
α) Das Surrogationsprinzip
β) Surrogationsprinzip und griechisches Seedarlehen
αα) Die Behauptung des Eigentums durch die Geldgeber
(1) Dem. pros Zenothemin 32.9,12,18,23, 30
(2) Dem. pros Phormiona 34.22, 36
(3) Dem. pros Lakriton 35.38, 39, 50
(4) Dem. kata Dionysodorou 56.4,16, 17, 35,45
(5) Bewertung
ββ) Entstehung einer Hypotheke am Surrogat des kreditierten Geldes
(1) Dem. pros Zenothemin 32.14,15, 26
(2) Dem. pros Phormiona 34.6, 9,27
(3) Dem. pros Lakriton 35.10-13,18
(4) Bewertung
γγ) Zwischenergebnis
bb) Umfang der Surrogation
cc) Resümee
e) Verhältnis von vereinbarter Hypotheke und Hypotheke am Surrogat
f) Dogmatische Einordnung des Pfandrechts
g) Befriedigung aus dem Pfand
aa) Sicherungsfall
bb) Rechtswirkung der έμβάτευσις bzw. έμβατεία beim Seedarlehen
cc) Der besondere Charakter der Hypotheke beim δάνειον ναυτικόν
dd) Ergebnis
h) Exekutivklausel bezüglich eines etwaigen Mindererlöses
i) Die Bereithaltung des Pfandes nach Ankunft im Hafen
6. Konventionalstrafen (έπιτίμια)
VI. Schriftform
1. Schriftlichkeit als Gebot der Praxis
2. Die Syngraphe im griechischen Recht des 4. Jhdts. v. Chr
VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen
1. Die Seehandelsklage (δίκη έμπορική)
a) Voraussetzungen
aa) Allgemeine Voraussetzungen
bb) Die besondere Bedeutung der Schriftform
b) Zuständigkeit
c) Supranationalität des Verfahrens
d) Gegenstand des Verfahrens
e) Der Ablauf des Verfahrens vor dem athenischen Handelsgericht
f) Strenge Haftung der Parteien
g) Beschleunigtes Verfahren
h) Gerichtszeiten
2. Häufigkeit von Rechtsstreitigkeiten
Exkurs: Redlichkeit im griechischen Handelsverkehr
VIII. Gesetzliche Beschränkungen
IX. Schutz durch die Gesetze
X. Wirtschaftliche Bedeutung
XI. Herkunft / Entstehung
XII. Verbreitung und Fortbestand im hellenistischen Rechtsraum
XIII. Zusammenfassung
Zweiter Teil: Das römische Seedarlehen
I. Einleitung
II. Quellen
III. Die Rezeption des Seedarlehens
1. Der Seehandel im Altertum
2. Das römische Bedürfnis nach einem Seedarlehen
3. Einordnung in das römische Kontraktsystem
IV. Das Wesen des fenus nauticum
V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben
1. Der römische Seehandel
2. Die staatliche Lebensmittelversorgung der Stadt Rom
3. Die Bedeutung des Seedarlehens in den Zeiten der staatlichen Lebensmittelversorgung
VI. Fortgeltung bis zum 13. Jahrhundert
1. Kontinuität im gesamten Mittelmeerraum
2. Modifikationen seit dem 12. Jahrhundert
3. Kirchenrechtliche Zinsbeschränkungen
VII. Ausblick
Dritter Teil: Die Bodmerei
I. Einleitung
II. Quellen
III. Das Wesen der Bodmerei
IV. Die bis 1973 geltenden Bestimmungen des HGB
V. Herkunft
VI. Wirtschaftliche Bedeutung
VII. Niedergang
Literaturverzeichnis
Sachregister
Quellenregister
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Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes.: Mit einem Ausblick auf die weitere historische Entwicklung des Rechtsinstitutes: dáneion nautikón, fenus nauticum und Bodmerei.. Dissertationsschrift
 3428117786, 9783428117789

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STEPHAN SCHUSTER

Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 49

Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes Mit einem Ausblick auf die weitere historische Entwicklung des Rechtsinstitutes: dâneion nautikón, fenus nauticum und Bodmerei

Von Stephan Schuster

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-11778-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

PARENTIBUS MEIS

NAVIGARE NECESSE EST Plutarch, Pompeius, 50

Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität Passau im Sommersemester 2003 als Dissertation vor. Das Rigorosum fand am 22. Dezember 2003 statt. Für die Veröffentlichung ist die bis Mitte 2004 erschienene Literatur berücksichtigt. Die wesentlichen Teile der Arbeit sind während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Römisches Recht an der Universität Passau entstanden. Dem Inhaber dieses Lehrstuhls, meinem verehrten Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Manthe, bin ich zu tiefem Dank verpflichtet. Er hat mich bereits im ersten Semester meines Studiums für die Rechtsgeschichte zu begeistern vermocht. Ein Referat über den Seedarlehensstreit des Callimachus, das ich in einem seiner Seminare halten durfte, wies thematisch bereits in die Richtung dieser Arbeit. Ihm gebührt mein Dank nicht nur fur die Ermutigung, mich des Themas anzunehmen, sondern auch für die vorzügliche Betreuung während der Entstehung dieser Arbeit. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Zeit, in der ich an meiner Dissertation gearbeitet habe, einen besonders glücklichen und erfüllten Abschnitt meines Lebens darstellt. Frau Prof. Dr. Ulrike Seif danke ich recht herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für philologischen Beistand in heiklen Situationen schulde ich Dr. Uwe Dubielzig und vor allem Ines Glawogger großen Dank. Ganz herzlich bedanke ich mich auch bei den Kollegen und Freunden vom Lehrstuhl: Beatrix Joos, Waltraud Riesinger, Marius Bolten und besonders Christian Fröde hatten wesentlichen Anteil am Gelingen des Werkes. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ,Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen' gilt den Herren Herausgebern sowie dem Verlag mein Dank. Vor allem aber danke ich meinen Eltern, denen dieses Buch gewidmet ist. Ihre liebevolle Unterstützung hat meine Promotion erst ermöglicht. Berlin, im April 2005 Stephan Schuster

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

Erster Teil Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes I. Quellen........

.....

23 24

II. Begriff und Inhalt 1. Die Bezeichnung δάνειο ν ναυτικό ν 2. Das Wesen des Vertrages

25 25 26

III. Die Parteien 1. Darlehensnehmer a) Naukleroi (ναύκληροι) b) Emporoi (έμποροι) c) Herkunft der Händler d) Vermögensverhältnisse griechischer Händler 2. Darlehensgeber a) Privatpersonen b) Bankiers (τραπεζΐται)

28 28 28 30 32 32 37 37 39

IV. Das Darlehen auf Seezins 1. Der Darlehensvertrag im antiken griechischen Recht 2. Verwendungszweck 3. Höhe 4. Bestand und Fälligkeit der Ansprüche des Gläubigers a) Das Erfordernis der glücklichen Beendigung der Seereise b) Teilverluste Exkurs: Seewurf (έκβολή) c) Fälligkeit der Darlehensschuld d) Rückzahlungsmodalitäten

43 43 45 55 57 57 61 64 66 67

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen 1. δάνειο ν έτερόπλουν oder δάνειο ν άμφοτερόπλουν 2. Die Übernahme der Seegefahr durch den Darlehensgeber 3. Versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens 4. Seezinsen (τόκοι ναυτικοί)

68 68 69 74 81

12

Inhaltsverzeichnis a) Höhe b) Fälligkeit der Zinsen 5. Sicherheiten a) Die besondere Bedeutung der Sicherheiten beim Seedarlehen b) Pfandobjekt, Sicherungszweck und -mittel c) Hypotheke kraft Vereinbarung d) Hypotheke am Surrogat des Geldes trotz fehlender Vereinbarung aa) Der Surrogationsgedanke beim griechischen Seedarlehen α) Das Surrogationsprinzip ß) Surrogationsprinzip und griechisches Seedarlehen αα) Die Behauptung des Eigentums durch die Geldgeber (1) Dem. pros Zenothemin 32.9,12,18,23, 30 (2) Dem. pros Phormiona 34.22, 36 (3) Dem. pros Lakriton 35.38, 39, 50 (4) Dem. kata Dionysodorou 56.4,16, 17, 35,45 (5) Bewertung . ßß) Entstehung einer Hypotheke am Surrogat des kreditierten Geldes (1) Dem. pros Zenothemin 32.14,15, 26 (2) Dem. pros Phormiona 34.6, 9,27 (3) Dem. pros Lakriton 35.10-13,18 (4) Bewertung γγ) Zwischenergebnis bb) Umfang der Surrogation cc) Resümee e) Verhältnis von vereinbarter Hypotheke und Hypotheke am Surrogat f) Dogmatische Einordnung des Pfandrechts g) Befriedigung aus dem Pfand aa) Sicherungsfall bb) Rechtswirkung der έμβάτευσις bzw. έμβατεία beim Seedarlehen cc) Der besondere Charakter der Hypotheke beim δάνειον ναυτικό ν dd) Ergebnis h) Exekutivklausel bezüglich eines etwaigen Mindererlöses i) Die Bereithaltung des Pfandes nach Ankunft im Hafen 6. Konventionalstrafen (έπιτίμια)

82 85 85 85 87 90 90 91 91 93 93 93 93 94 94 94 95 95 96 96 98 100 100 103 103 104 107 107 108 113 119 120 121 123

VI. Schriftform 1. Schriftlichkeit als Gebot der Praxis 2. Die Syngraphe im griechischen Recht des 4. Jhdts. v. Chr

130 130 133

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen 1. Die Seehandelsklage (δίκη έμπορική) a) Voraussetzungen aa) Allgemeine Voraussetzungen bb) Die besondere Bedeutung der Schriftform b) Zuständigkeit

136 138 138 138 140 149

Inhaltsverzeichnis c) Supranationalität des Verfahrens d) Gegenstand des Verfahrens e) Der Ablauf des Verfahrens vor dem athenischen Handelsgericht f) Strenge Haftung der Parteien g) Beschleunigtes Verfahren h) Gerichtszeiten 2. Häufigkeit von Rechtsstreitigkeiten Exkurs: Redlichkeit im griechischen Handelsverkehr

151 152 153 155 156 157 160 161

VIII. Gesetzliche Beschränkungen

162

IX. Schutz durch die Gesetze

165

X. Wirtschaftliche Bedeutung

166

XI. Herkunft / Entstehung

168

XII. Verbreitung und Fortbestand im hellenistischen Rechtsraum

171

XIII. Zusammenfassung

173

Zweiter Teil Das römische Seedarlehen

175

I. Einleitung

175

II. Quellen

176

III. Die Rezeption des Seedarlehens 1. Der Seehandel im Altertum 2. Das römische Bedürfnis nach einem Seedarlehen 3. Einordnung in das römische Kontraktsystem

178 179 183 186

IV. Das Wesen des fenus nauticum

188

V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben 1. Der römische Seehandel 2. Die staatliche Lebensmittelversorgung der Stadt Rom 3. Die Bedeutung des Seedarlehens in den Zeiten der staatlichen Lebensmittelversorgung

195 196 198 202

VI. Fortgeltung bis zum 13. Jahrhundert 1. Kontinuität im gesamten Mittelmeerraum 2. Modifikationen seit dem 12. Jahrhundert 3. Kirchenrechtliche Zinsbeschränkungen

203 203 204 205

VII. Ausblick

206

Inhaltsverzeichnis

14

Dritter Teil Die Bodmerei

208

I. Einleitung

208

II. Quellen

209

III. Das Wesen der Bodmerei

211

IV. Die bis 1973 geltenden Bestimmungen des HGB

213

V. Herkunft

214

VI. Wirtschaftliche Bedeutung

217

VII. Niedergang

218

Literaturverzeichnis

220

Sachregister

233

Quellenregister

23 7

Abkürzungen

a. Α. a.a.O. ADHGB a.E. a.F. Afr. Alf. ALL ALR Ann. Palermo ANRW Bas. Β ASP BGB C. Chr. d'Ég. Coll. CTh. CahHist D. d.h. Dem. ders. Dike Diocl. DNP ebda. ed. EOS fr. Gai. Gai. Inst. gest.

anderer Ansicht am angeführten Ort Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende alter Fassung Sextus Caecilius Africanus Alfenus Varus Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik (Zschr.) Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Annali del Seminario Giuridico dell'Università di Palermo H. Temporini (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, seit 1972 Basilicorum libri LX Bulletin of the American Society of Papyrologists (Zschr.) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 Codex Iustinianus Chronique d'Égypte (Zschr.) Collection de lois maritimes antérieures au XVIII.® siècle Codex Theodosianus Cahiers d'Histoire Digesta das heißt Demosthenes derselbe Dike: rivista di storia del diritto greco ed ellenistico (Zschr.) Diocletanius (et Maximianus) Der neue Pauly: Enzyklopädie der Antike (hrsg. von Hubert Cancik u.a.) ebenda Editores Eos: commentarli Societatis Philologae Polonorum (Zschr.) fragmentum Gaius Gai institutiones gestorben

16 Gnomon h.M. Hermes HGB HRG Hrsg. Iav. Index IVRA Jhdt. Jher. Jahrb. Käser, RP I/II

Klio Lab. Labeo m.N./m.w.N. Marci. Mnemosyne Mod. Nov. NRH ο. P. pag. Pap. Paul. Pomp. pr. PS RE

Rez. RGZ RH RIDA

Abkürzungen Gnomon. Kritische Zeitschrift für die gesamte klassische Altertumswissenschaft herrschende Meinung Hermes: Zeitschrift für klassische Philologie Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Herausgeber Lucius Iavolenus Priscus Index: quaderni camerti di studi romanistici; organo del Gruppo di Ricerca sulla Diffusione del Diritto Romano (Zschr.) IVRA - Rivista internazionale di diritto romano e antico (Zschr.) Jahrhundert Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Käser, Max: Das Römische Privatrecht (I. Das altrömische, vorklassische und klassische Recht, II. Die nachklassischen Entwicklungen), München 19712,19752. Klio: Beiträge zur alten Geschichte (Zschr.) Marcus Antistius Labeo Labeo - Rassegna di diritto romano (Zschr.) mit Nachweisen / mit weiteren Nachweisen Aelius Marcianus Mnemosyne: a journal of classical studies, 3. Serie, 1934-47 (Zschr.) Herennius Modestinus Novellae Iustiniani Nouvelle Revue historique de droit français et étranger (Zschr.) oben Papyrus Pagina Aemilius Papinianus Iulius Paulus Sextus Pomponius principium Pauli sententiae Paulys Realenzyklopädie der classischen Altertumswissenschaft (neue Bearbeitung von G. Wisowa, W. Kroll, K. Mittelhaus, K. Ziegler) Rezension Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue historique de droitfrançais et étranger (4. Serie seit 1922, Nachfolgerin der NRH; Zschr.) Revue internationale des droits de l'antiquité, 3. Serie seit 1954 (Zschr.)

Abkürzungen s.v. sc. Scaev. SDHI Suppl. Symposion

SZ TAPhA TPSulp. TR Tyche u. Ulp. vgl. z.B. ZHR ZPO

sub verbo scilicet, nämlich Cervidius Scaevola Studia et Documenta Historiae et iuris (Zschr.) Supplementum Symposion: Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte / Akten der Gesellschaft für Griechische und Hellenistische Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung Transactions and proceedings of the American Philological Association (Zschr.) Tabula Pompeiana Sulpiciorum Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis = Revue d'histoire du droit = The Legal History Review (Zschr.) Tyche: Beiträge zur alten Geschichte, Papyrologie und Epigraphik (Zschr.) unten Domitius Ulpianus vergleiche zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877

Einleitung Das Handelsrecht kennt nur wenige Rechtsinstitute, denen im Laufe der Zeit eine ähnliche Kontinuität beschieden war wie dem Seedarlehen. Erstmals taucht das Rechtsgeschäft in den griechischen Quellen des 5. Jhdts. v. Chr. auf, um dann für nahezu 2 500 Jahre ein fester Bestandteil des Seehandels zu bleiben. Unser Wissen über das griechische Seedarlehen verdanken wir im Wesentlichen vier Gerichtsreden, die der athenische Staatsmann und Redner Demosthenes (384 - 322 v. Chr.) in der Blütezeit des attischen Seehandels für verschiedene Prozesse vor dem athenischen Handelsgericht verfasst hat, bzw. die ihm zugeschrieben werden. Papyrusfunde wiederum haben bestätigt, dass das Seedarlehen auch im hellenistischen Griechenland und im ptolemäischen Ägypten gebräuchlich war. Nachdem einzelne römische Händler das Rechtsinstitut vermutlich schon seit dem 3. Jhdt. v. Chr. verwendet hatten, gelangte es im Wege der Rezeption in das römische Recht; die Aufgabe der römischen Juristen bestand lediglich darin, das fremde Rechtsinstitut mit seinen Besonderheiten in das eigene Rechtssystem einzufügen. Die Digesten Kaiser Justinians (527-565 n. Chr.) widmen dem Seedarlehen ein eigenes Kapitel, und auch in den Werken der römischen Dichter und Philosophen hat das Seedarlehen seine Spuren hinterlassen. Während der gesamten Antike war das Rechtsinstitut nicht nur untrennbar mit dem Seehandel verbunden, sondern es war - dies wird man ohne Übertreibung feststellen dürfen - eine seiner wesentlichen Grundlagen. Das Seedarlehen überdauerte den Untergang der antiken Welt ebenso wie später den Niedergang der großen Seefahrerstädte Italiens, deren Handel sich des Rechtsinstituts zunächst in der Form bediente, die es durch die Arbeit der römischen Juristen gefunden hatte.1 Erst seit dem 12. Jhdt. erfuhr das Seedarlehen nach und nach Modifikationen, um den Bedürfhissen des sich wandelnden Seehandels im Mittelmeer zu genügen. Von dem 1215 erlassenen Verbot der Kirche, fur die Vergabe von Darlehen Zinsen zu verlangen, war es - jedenfalls zunächst - ausdrücklich ausgenommen. 1 Die Basiliken, die Interpretation der lex Romana Visigothorum, die Rhodischen Seegesetze und das Pisaner Constitutum usus von 1161 (abgedruckt bei BONAINI, Statuti inediti della città di Pisa dal XII al XIV secolo, II, 813 ff.) bestätigen dies ebenso wie die zahlreichen Urkunden über die Vereinbarung eines Seedarlehens, die im 12. Jahrhundert von dem Genueser Notar Giovanni Scriba ausgefertigt wurden (abgedruckt in den Historiae Patriae Monumenta, Liber Iurum Reipublicae Genuensis, Chartarum, Tomus II, Sp. 285 bis 989).

Einleitung

20

Auch im Einflussbereich der Hanse findet sich mit der Bodmerei ein dem antiken Seedarlehen sehr ähnliches Rechtsinstitut, das sich bei genauer Betrachtung als modifiziertes Seedarlehen erweist. Selbst die im 17. Jhdt. einsetzende Herausbildung nationaler Handelsrechte und die ersten handelsrechtlichen Kodifikationen änderten nichts an dem supranationalen Charakter des Rechtsinstituts; es blieb, wie schon in der Antike, ein fester Bestandteil des ius gentium. Seine Grundsätze waren in allen am Seehandel beteiligten Staaten Europas gleichermaßen anerkannt. Die nationalen Regelungen stimmten weitgehend überein, was nicht zuletzt den Anforderungen des Handelsverkehrs entsprach, denn Handelsrecht muss, um in der Praxis wirken zu können, allgemein sein. So findet sich die Bodmerei beispielsweise im Schwedischen Seerecht Carls XI. aus dem Jahr 1667, in der 1681 von Ludwig XIV. erlassenen Ordonnance touchant la marine und im Preußischen Seerecht von 1721. Auch im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten (ALR), das 1794 in Kraft trat, wird die Bodmerei ausführlich geregelt. Die Bodmereivorschriften des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs (ADHGB) von 1861 wurden als §§ 681 - 699 in das geltende Handelsgesetzbuch (HGB) übernommen und erst durch das 1. Seerechtsänderungsgesetz vom 21. Juni 1972 aufgehoben, weil die Bodmerei wirtschaftlich keine Bedeutung mehr hatte und nach Ansicht des zuständigen Bundestagsausschusses rechtssystematisch überholt war. 2 Auch aus dem Handelsrecht nahezu aller anderen am Seehandel beteiligten Nationen sind die letzten Spuren des Seedarlehens mittlerweile verschwunden. Der Grund für diese außergewöhnliche Kontinuität bzw. die besondere historische Bedeutung des Rechtsinstituts für den Seehandel ergibt sich aus seinen Hauptfunktionen: Es diente einerseits der Finanzierung von Handelsunternehmungen, denn ein Händler, der nicht über ausreichende Mittel verfugte, konnte einen finanziellen Engpass durch die Aufnahme eines Seedarlehens überbrücken. Zwar nahm er hierfür einen (gegenüber dem gewöhnlichen Darlehen) deutlich erhöhten Zinssatz in Kauf, aber der Geldgeber verpflichtete sich im Gegenzug zur Übernahme der Seegefahr: Der Händler musste das Seedarlehen nebst Zinsen nur bei glücklicher Beendigung der Handelsreise zurückzahlen. Das Seedarlehen hatte somit andererseits eine Funktion, die derjenigen der modernen Seeversicherung sehr ähnlich ist. Nicht zuletzt dieser Aspekt begründete seine außergewöhnliche Bedeutung für den antiken, aber auch den mittelalterlichen Seehandel, denn die Entwicklungsgeschichte des modernen Versicherungsvertrages beginnt erst im Spätmittelalter. Im Übrigen war das Seedarlehen das geeignete Instrument, die hohen Risiken, die der Seehandel von der Antike bis zur Neuzeit - vor allem in finanzieller Hinsicht - stets barg, auf einen größeren Personenkreis zu verteilen. Angesichts der immensen Werte, die besonders in der griechischen und römischen Antike auf dem Seeweg transportiert 2

Vgl. BT-Drucksache VI/2225, 25.

Einleitung wurden, war dies unabdingbare Voraussetzung für einen Seehandel, dessen Umfang noch aus heutiger Sicht beeindruckend ist. Obwohl die ältesten Nachrichten vom Seedarlehen aus Griechenland stammen, ist die griechische Herkunft des Rechtsinstituts wiederholt in Frage gestellt worden. So hat man sich beispielsweise bemüht, die Anfange des antiken Seedarlehens im frühen indischen Recht nachzuweisen. Die Quellen, die zu diesem Zweck herangezogen wurden, sind jedoch nicht aussagekräftig, weshalb sich dieser Ansatz als ebenso wenig haltbar erweisen muss, wie der Gedanke, der babylonische Karawanenvertrag könne als Vorbild für das Seedarlehen gedient haben. Auch ist die Annahme verfehlt, das Seedarlehen oder ein ähnliches Rechtsinstitut müsse in jedem entwickelten Seerecht existieren, so dass den Griechen schon deshalb die Urheberschaft abzusprechen sei: So enthält beispielsweise das vermutlich unter arabischem Einfluss hochentwickelte Seerecht von Malakka aus dem 13. Jhdt.3 ausfuhrliche Regelungen über die große Haverei und das Verhältnis von Schiffseigner und Kapitän, das Seedarlehen aber war den Malayen offenbar völlig unbekannt. Es scheinen gerade die Besonderheiten des griechischen Seehandels gewesen zu sein, die die Entwicklung dieses völlig neuartigen Rechtsinstituts befordert haben. An dem Umstand, dass sich das Rechtsinstitut erstmals in den griechischen Quellen des 5. Jhdts. v. Chr. findet, führt daher kein Weg vorbei. Ausgangspunkt einer Betrachtung der fast 2 500 Jahre währenden geschichtlichen Entwicklung des Seedarlehens kann nur die griechische Antike sein. Dennoch hat das griechische Seedarlehen (δάνειον ναυτικόν, dâneion nautikón) in der rechtshistorischen Forschung bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Zwar gab es in Deutschland im 19. Jhdt. ein reges Interesse für das griechische Recht; auch hat man sich damals eingehend mit dem Seedarlehen in den griechischen Quellen beschäftigt. I m 20. Jhdt. aber blieb das Interesse der Wissenschaft weitgehend auf das römische fenus nauticum beschränkt; das δάνειον ναυτικόν findet allenfalls in der Einleitung entsprechender Abhandlungen Erwähnung. Etwas besser sieht es dagegen im Ausland aus: In Italien, Frankreich und im anglo-amerikanischen Raum waren im 20. Jhdt. zumindest Teilaspekte des griechischen Seedarlehens des Öfteren Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen. Die bislang einzige ausführlichere Darstellung des griechischen Seedarlehens stammt von UGO ENRICO PAOLI, der sich Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem Thema beschäftigt hat.4 Nach wie vor aber sind entscheidende Fragen, die sich bei der Betrachtung des griechischen Seedarle3

Abgedruckt bei PARDESSUS, Collection de lois maritimes antérieures au XVIII e siècle, Tome IV, 389 ff. 4 II prestito marittimo nel diritto attico, in: Studi di diritto attico, 9 ff., Florenz 1930.

Einleitung

22

hens stellen, ungeklärt. Eine umfassende Darstellung des Rechtsinstituts unter Berücksichtigung der Forschungsergebnisse des 20. Jhdts. fehlt bislang. Diese Lücke gilt es nun zu schließen. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist daher das griechische Seedarlehen, dessen Charakter anhand der Quellen des 4. Jhdts. v. Chr., insbesondere anhand der Gerichtsreden des Demosthenes, herausgearbeitet werden soll. Es wird sich zeigen, dass die praktische Handhabung des Seedarlehens im antiken Griechenland weit weniger formalistisch war als später im Geltungsbereich des römischen Rechts. Deutlich wird dies insbesondere beim Verwendungszweck, aber auch bei der Bedeutung der Pfandrechte an Schiff oder Waren, die den Geldgebern als Sicherheit für ihre Forderungen dienten. I m Zusammenhang mit den Sicherheiten galt es, die Bedeutung des erstmals von FRITZ PRINGSHEIM5 untersuchten Surrogationsprinzips beim griechischen Seedarlehen herauszuarbeiten. Schließlich musste auch die seit jeher umstrittene Frage, welche Bedeutung der Schriftform beim Seedarlehensvertrag zukam, beantwortet werden. Ein Exkurs zum Seehandel in der Antike, der als Bindeglied zwischen dem griechischen und dem römischen Seedarlehen dienen soll, vermittelt einen Eindruck von den äußeren Bedingungen, unter denen die Händler das auf Seezins kreditierte Geld zu mehren suchten. Die kurzen Ausführungen zum römischen Seedarlehen, zum Seedarlehen im Mittelalter und zur Bodmerei sind als Ergänzung zu verstehen, die einen Überblick über die fast 2 500 Jahre währende Geschichte des Rechtsinstituts vermitteln sollen.

5

Der Kauf mit fremdem Geld, Leipzig 1916.

Erster Teil

Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes Nicht zuletzt die geografischen Besonderheiten Griechenlands und der zivilisatorische Vorsprung der griechischen Völker und Stämme sind der Grund für die frühe Entwicklung eines Fern- bzw. Außenhandels von hohem Niveau. Entsprechend dem Küsten- und Inselcharakter der griechischen Welt ist der Fernhandel seit frühester Zeit mit dem Seehandel gleichzusetzen; schon für das 7. Jahrtausend v. Chr. gibt es Zeugnisse der engen Wechselbeziehung zwischen Seefahrt und Wirtschaft. 1 Der halbmythische König Minos von Kreta soll mit seiner Kriegs- und Handelsflotte die Ägäis beherrscht haben.2 Ab ungefähr 1200 v. Chr. laufen die mykenischen Bewohner des griechischen Festlandes den Kretern den Rang als bedeutendste Handelsmacht ab;3 Homer berichtet von ihren beeindruckenden Flottenkatalogen.4 Zwar stellt der Niedergang der mykenischen Kultur einen Rückschlag für die Seefahrt dar, aber bereits die Vasenfunde der geometrischen Epoche (9./8. Jhdt. v. Chr.) zeugen vom Wiederaufblühen der Seefahrt. Im 7. Jhdt. v. Chr. gelangen erstmals griechische Seefahrer in den Atlantik. Auch die persische Oberherrschaft zu Beginn des 5. Jhdts. v. Chr. ändert nichts an der überragenden Bedeutung der Seefahrt im antiken Griechenland, und seit der Seeschlacht von Salamis (480 v. Chr.) bestimmt die militärische wie die zivile Seefahrt für 150 Jahre vollends die Außen- und Wirtschaftspolitik Athens.5 Aus dieser Zeit, in der die Seefahrt in der griechischen Literatur allgegenwärtig ist, stammen die ersten Nachrichten, die wir vom Seedarlehen besitzen. Die Quellen sind vage und unpräzise; das δάνειον ναυτικόν (dàneion nautikón) findet durchweg nur kurze Erwähnung, und eine Erklärung oder Beschreibung des Rechtsinstitutes fehlt gänzlich. Aber man gewinnt dennoch oder gerade deswegen den Eindruck, dass das Rechtsinstitut ein fester Bestandteil des florie1

HÖCKMANN, Antike Seefahrt, 9. Herodot, Historien, 3.122; Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 1.4. 3 VERMEULE, Greece in the Bronze Age, 254 ff. 4 Ilias, 2.493 ff. 5 Erst die vernichtende Niederlage Athens gegen die Makedonier in der Seeschlacht von Amargos (322 v. Chr.) markiert den endgültigen Untergang der athenischen Seemacht im militärischen wie im merkantilen Sinne. 2

24

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

renden Seehandels war und sich allgemeiner Bekanntheit und insbesondere bei den Geldgebern großer Beliebtheit erfreute. Für das 4. Jhdt. v. Chr. schließlich verdichten sich die Informationen, so dass es möglich ist, ein recht klares Bild vom griechischen Seedarlehen dieser Zeit zu zeichnen. Allerdings sind die Quellen nicht immer frei von Unsicherheiten und Unklarheiten, so dass es mitunter angezeigt ist, kleinere Lücken im Geiste des antiken griechischen Rechtes zu schließen. Quellenmaterial aus römischer Zeit kann zu diesem Zweck nicht herangezogen werden: Obgleich die Römer das Seedarlehen aus dem griechischen Recht rezipiert haben, hat es doch gewisse Modifikationen erfahren, weshalb sich Rückschlüsse verbieten.

I. Quellen Die Quellenlage in Bezug auf das griechische Seedarlehen erscheint auf den ersten Blick unbefriedigend. Für das ältere griechische Recht fehlen Zeugnisse gänzlich. Von Gesetzen erfahren wir nur aus literarischen Überlieferungen, wie überhaupt unser Wissen über das δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikon) in erster Linie aus den Werken der Schriftsteller und Redner herrührt. Die älteste Erwähnung eines Seedarlehens stammt aus dem ausgehenden 5. Jhdt. v. Chr. und findet sich in einer Rede des Lysias (ca. 444 - 380 v. Chr). Die Philosophen und Redner des 4. Jhdts. v. Chr. erwähnen das Rechtsinstitut häufig und deuten immer wieder Fragmente der (athenischen) Gesetzgebung an, weshalb vermutet werden darf, dass entsprechende Gesetze in größerer Zahl vorhanden waren. Hierfür spricht auch die große Bedeutung, die dem Seedarlehen im Seehandel der griechischen Antike zukam.6 Insbesondere aus den Sachverhalten, von denen wir in verschiedenen, vor dem athenischen Handelsgericht gehaltenen Gerichtsreden des Demosthenes (384-322 v.Chr.) 7 erfahren, lässt sich für das 4. Jhdt. v.Chr. ein guter Eindruck vom Seedarlehen gewinnen.8 Auch die Reden des Lysias und die Schriften des Xenophon (gest. nach 355 v. Chr.) enthalten wertvolle Hinweise über das Wesen des δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikon). Die in den Papyrusfunden enthaltenen Hinweise auf Seedarlehensverträge wiederum gewähren einen 6

Ausfuhrlich zur wirtschaftlichen Bedeutung des Seedarlehens u. 166 f.; zum Seehandel in der Antike vgl. u. 179 ff. 7 Ob die so bezeichneten Reden tatsächlich von Demosthenes stammen, wird stellenweise bezweifelt. Bereits DARESTE, Du prêt à la grosse chez les Athéniens, 6 ff. hat indes nachgewiesen, dass die Reden jedenfalls aus der Zeit des Demosthenes stammen; sie sind daher von unbestreitbarem Wert für die rechtshistorische Forschung. 8 Dem. 27, 32, 33, 34, 35, 50, 56; vgl. die ausführliche Erörterung dieser Gerichtsreden bei ERXLEBEN 460 ff., ISAGER/HANSEN 138 ff., PRINGSHEIM, Der K a u f m i t fremdem

Geld, 4 ff. und SCHAEFER, Demosthenes und seine Zeit, 286 ff.

II. Begriff und Inhalt

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Einblick in die Rechtspraxis i m hellenistischen Rechtsraum bis zum 6. Jhdt. n. Chr. 9 Die Rechtsfragen, die in den demosthenischen Gerichtsreden im Zusammenhang mit dem griechischen Seedarlehen behandelt werden, betreffen in der Regel den Handelsplatz Athen und damit im Grunde das athenische Seedarlehen. Aber nicht nur in Athen, sondern in der gesamten griechischen Welt - so z.B. auf Rhodos10, in den Städten des Schwarzen Meeres 11 und der Adria 1 2 oder auf Sizilien 13 - werden in den Reden Seedarlehen aufgenommen bzw. gewährt, und dies nicht nur von athenischen Bürgern, sondern auch von Fremden. A n keiner Stelle aber findet sich ein Hinweis auf Probleme, die sich aus der Internationalität des griechischen Handelsverkehrs ergeben hätten. Vielmehr scheinen die beim Seedarlehen geltenden Regeln allen Beteiligten geläufig und allgemein anerkannt zu sein. Selbst in Bezug auf die Vorschriften des Prozessrechts ist Übereinstimmung festzustellen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Regeln, die aus den demosthenischen Reden gewonnen werden können, in ganz Griechenland gegolten haben:14 Gerade das Seehandelsrecht, das fast immer im Kontakt mit anderen Rechtsordnungen Anwendung findet, muss allgemein sein, um seine Wirkung entfalten zu können. Alles andere hätte in der Praxis zwangsläufig zu Schwierigkeiten geführt.

II. Begriff und Inhalt 1. Die Bezeichnung δάνειον ναυτικόν Einen einheitlichen Namen für das Seedarlehen kannte man im griechischen Altertum nicht. In den griechischen Quellen finden sich die Begriffe ναυτικός τόκος (nautikos tokos) 15, was eigentlich Seezins bedeutet, ναυτικός ( hautikós ),

9

Dazu u. 171 ff. Vgl. Dem. 56.47. 11 Vgl. Dem. 34.8. 12 Vgl. Lysias kata Diogeitonos 32.25. 13 Vgl. Dem. 32.4. 14 Vgl. ADAM, Aspects de la sécurité de la navigation dans Γ Antiquité grecque, 284; L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 54; KRELLER, Lex Rhodia, in: ZHR 85 (1921) 264 ff.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 15 f.; PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 27; ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 53 f.; vgl. auch HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Lichte der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 211 ff., 231: „Wahrscheinlich stimmten in Bezug auf die hauptsächlich in Betracht kommenden Vertragstypen die Rechtsnormen der verschiedenen griechischen Gemeinwesen überein". 15 Vgl. Dem. 56.17. 10

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

ναυτικόν (nautikon) bzw. ναυτικά (nautikä) 16 und εκδοσις (ékdosis) 11. Erst später, in hellenistischen und römischen Quellen, taucht die Bezeichnung δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikon) auf: So beispielsweise in einem vermutlich aus dem Archiv einer Bank stammenden Papyrus aus der Regierungszeit des Antoninus Pius (138-161 n.Chr.), das in Teadelphia (Ägypten) gefunden wurde, 18 und in den Basiliken 19 . Mit ναυτικός τόκος werden dagegen später nur noch die Seezinsen bezeichnet, wie sich aus der 540 n. Chr. von Kaiser Justinian erlassenen Nov. 106 ergibt. Vermutlich war δάνειον ναυτικόν als Name für das Seedarlehen schon zu Zeiten des Demosthenes geläufig. Dafür spricht die sprachliche Funktion des Adjektivs ναυτικόν (nautikon), mit dem die Zugehörigkeit zur Schifffahrt bzw. zum Seewesen ausgedrückt wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man sich dieses Adjektivs schon früh zur Unterscheidung des Seedarlehens vom einfachen Darlehen (δάνειον, dâneion) bedient hat. Die in den älteren Quellen häufig für das Seedarlehen verwendete Bezeichnung ναυτικόν könnte demnach als Kurzform gebräuchlich gewesen sein. Jedenfalls hat sich δάνειον ναυτικόν schon in der römischen Antike als der griechische Name des Seedarlehens durchgesetzt; auch in der neuzeitlichen Literatur wird überwiegend diese Bezeichnung verwendet.

2. Das Wesen des Vertrages Aus den Quellen lässt sich für die Zeit des Demosthenes das folgende Bild des griechischen Seedarlehens rekonstruieren: Ein Seedarlehen wurde zum Zwecke des Seehandels, in der Regel zum Einkauf von Waren gewährt. Für die Dauer der Handelsreise übernahm der Gläubiger die mit der Seefahrt verbundenen Gefahren (Sturm, Klippen, feindliche Flotten, Seeräuberei oder freigegebene Kaperei), kurz: die Seegefahr. Bei einem Untergang des Schiffes bzw. beim Verlust der transportierten Ladung ging auch die Forderung des Gläubigers unter, wenn der Verlust im Zusammenhang mit

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Vgl. beispielsweise Dem. 27.11; Dem. 33.4; Dem. 35.27; Dem. 50.17; Lysias kata Diogeitonos 32.6; Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.9; Diogenes Laertius 7.13. 17 Vgl. nur Dem. 27.11; 29.36; 52.20; εκδοσις könnte die Bezeichnung für das Darlehensgeschäft sein, falls ein Bankier als Geldgeber auftritt, vgl. u. 41; zur Gewährung von Seedarlehen durch die griechischen Bankiers 39 ff. 18 P. Vindob. G 19 792 ( = SB VI 9571), erstmals publiziert von CASSON, New Light on Maritime Loans, in: Eos 48, 2 (1956) 89 ff.; dazu u. 171 f. 19 Bas. 23.3.74 (SCHELTEMA, Basilicorum Libri LX, A III, 1134, 19); weitere Fragmente, in denen das Seedarlehen als δάνειον ναυτικόν bezeichnet wird, werden Bas. 53.5 zugeordnet, vgl. ebda. A VII, 2456, 10, 18.

II. Begriff und Inhalt

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der Seegefahr stand. Dem δάνειον ναυτικόν wird daher allgemein eine der Seeversicherung vergleichbare Funktion zugeschrieben. Die Übernahme der Seegefahr fand ihren Ausgleich in den Seezinsen (τόκοι ναυτικοί, tókoi nauti koi ), für deren Höhe keinerlei Beschränkungen galten, und die deutlich über dem Zinssatz lagen, der beim gewöhnlichen Darlehen üblich war. Die Vergabe von Seedarlehen bescherte den Darlehensgebern daher unter dem Strich einen beträchtlichen Gewinn. Zumeist wurde das Seedarlehen für die Hin- und die Rückfahrt (άμφοτερόπλους, amphoteroplous), seltener nur für eine Strecke (έτερόπλους, heteròplous) gewährt. Gelangte das Schiff glücklich in den Bestimmungshafen, so war der Schuldner nach Ablauf der vertraglich bestimmten Frist zur Zurückzahlung des Darlehens und zur Zahlung der Zinsen verpflichtet. In nahezu allen Fällen des δάνειον ναυτικόν, die uns überliefert sind, haften die transportierten Waren, das Schiff oder beides dem Darlehensgeber als Sicherheit. Zahlte der Händler das Seedarlehen nebst Zinsen nicht innerhalb der vereinbarten Frist zurück, so konnte der Gläubiger seinen Anspruch aus den Haftungsgegenständen befriedigen und sich auf diesem Weg schadlos halten. Als Beweis seines Befriedigungsrechts diente dem Darlehensgeber die Seedarlehensurkunde (ναυτική συγγραφή, nautiké syngraphé ), in der der Inhalt des Rechtsgeschäfts festgehalten wurde. Häufig vereinbarten die Parteien Strafklauseln, wonach der Schuldner im Falle einer Vertragsverletzung eine Geldstrafe zu leisten hatte. I m Übrigen konnten die Parteien grundsätzlich jede gewünschte Bestimmung zum Vertragsinhalt machen: Dem. kata Dionysodorou 56.2: ... τοις νόμοις τοις ύμετέροις, οι κελεύουσιν, οσα άν τις έκών ετερος έτέρω όμολογήση, κύρια εΐναι. ... eure[n] Gesetze[n], die Verbindlichkeit gebieten für jedwede Vereinbarung, die ausfreiem Willen getroffen wurde. Auch hier galt also der nicht nur das athenische sondern das gesamte attische Recht beherrschende Grundsatz einer sehr weit gehenden Vertragsfreiheit. 20 In Athen gab es im 4. Jhdt. v. Chr. nur im Zusammenhang mit den Gesetzen zur Sicherung der Getreideversorgung einige gesetzliche Beschränkungen. 21 Forderungen und Ansprüche, die im Zusammenhang mit einem Seedarlehensvertrag standen, gehörten zu den Seehandelsklagen (δίκαι έμπορικαί,

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Vgl. insofern Dem. 35.13; 42.12; 47.77; 48.54; 56.2; Hypereides kata Athenogenous 5.13; dazu PRINGSHEIM, The Greek Law of Sale, 34 ff. 21 Vgl. u. 162 ff.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

dikai emporikaî) und konnten somit im Rahmen eines beschleunigten Gerichtsverfahrens vor dem athenischen Handelsgericht geltend gemacht werden.

m . Die Parteien 1. Darlehensnehmer Als Darlehensnehmer treten die am Seehandel der antiken griechischen Welt beteiligten Händler in Erscheinung. Diese Händler -Naukleroi (ναύκληροι, naukleroi) und Emporoi (έμποροι, émporoi) - sind im Hafenbereich, dem Emporion, beheimatet und mit der Seefahrt bestens vertraut. 22 Auf sie stützt sich in einer Zeit fehlender staatlicher Lebensmittelimporte nicht nur die Einfuhr lebenswichtiger Grundnahrungsmittel, sondern auch die Befriedigung des in der Oberschicht weit verbreiteten Bedürfnisses nach Delikatessen und Luxusartikeln. 23

a) Naukleroi ( ναύκληροι) Die Bezeichnung ναύκληρος (naukleros) war im 4. Jhdt. v. Chr. eng mit dem Eigentum an einem Schiff verknüpft. Die in den demosthenischen Reden als Naukleros bezeichneten Händler sind in der Regel Eigentümer oder zumindest Miteigentümer 24 der Schiffe, die sie für ihre Handelstätigkeit nutzen.25 Daraus schließt die ganz überwiegende Literaturmeinung, dass, wer im 4. Jhdt. v. Chr. als Naukleros bezeichnet wurde, stets Eigentümer eines Handelsschiffes gewesen sei. 26

22

Den lokalen Handel übernahmen die κάπηλοι (kàpeloi ), Kleinhändler, die ihr Gewerbe an einem festen Ort betrieben; ausfuhrliche Informationen zu den verschiedenen Händlertypen im antiken Griechenland bei VÉLISSAROPOULOS 35 ff. m.N. 23 Zu den Gegenständen des Handels im 4. Jhdt. v. Chr. vgl. u. 179 ff. 24 Vgl. Dem. 35.33: Apollonides aus Hallikarnassos ist Miteigentümer des von dem Naukleros Hyblesios geführten Schiffes. 25 So z.B. die als Naukleros bezeichneten Händler Hegestratos (Dem. 32), Apaturios (Dem. 33), Hyblesios (Dem. 35), Nikippos (Dem. 50.17), Philippos (Dem. 49.14, 48), Dionysodor (Dem. 56) und Mikon (Dem. 58.12), sowie ein namentlich nicht genannter phaselitischer Naukleros (Dem. 35.33 und 52 f.); vgl. insofern auch Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 8.12. 26 Vgl. nur ADAM, Aspects de la sécurité de la navigation dans l'Antiquité grecque, 2867; ISAGER/HANSEN 64 ff.; HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 2 f.; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 55 ff.; KNORRINGA 96 ff.; ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 44 ff.

III. Die Parteien

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In den Quellen findet sich jedoch eine Ausnahme, die durchaus geeignet ist, Zweifel an dieser Ansicht zu begründen: Der Sklave Lampis, der im Auftrag seines Herrn Dion dessen Schiff führt, wird als ναύκληρος (naùkleros) bezeichnet, obwohl er ganz offensichtlich nicht Eigentümer des Handelsschiffes ist. 27 Vermutlich war sein Herr Dion Eigentümer mehrerer Schiffe, 28 die er verpachtet hatte,29 oder mit deren Führung er seine Sklaven beauftragt hatte. Ein solcher Beauftragter dürfte auch Lampis gewesen sein, der ganz offensichtlich zur umfassenden Wahrnehmung der geschäftlichen Interessen seines Herrn ermächtigt ist. 30 Wohl deshalb wird er Naukleros genannt, obwohl ihm kein Handelsschiff gehört. Zwar ist der Sklave Lampis der einzige Naukleros ohne eigenes Schiff, von dem die Quellen berichten, aber wir wissen auch von zwei Großreedern, deren Schiffe wiederum Dritte geführt haben müssen: Der zu Zeiten des Demosthenes lebende äginetische Metöke Lampis (nicht zu verwechseln mit dem vorgenannten Sklaven gleichen Namens!) war Eigentümer einer bedeutenden Handelsflotte. 31 Auch der Bankier Pasion und sein Nachfolger Phormion besaßen zahlreiche Handelsschiffe. 32 Diese Männer werden, obwohl sie doch Eigentümer mehrerer Schiffe waren, an keiner Stelle als Naukleros bezeichnet. Pasion sicherlich schon deshalb nicht, weil der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Bankgeschäft lag; über den Metöken Lampis erfahren wir ohnehin nur sehr wenig. Es ist aber vor diesem Hintergrund recht wahrscheinlich, dass die Bezeichnung Naukleros - entgegen der ganz überwiegenden Ansicht in der Literatur schon im 4. Jhdt. v. Chr. an die Art und den Umfang der Handelstätigkeit und nicht an das Eigentum an einem Schiff anknüpfte. Interessanterweise wird nämlich auch Apollonides aus Hallikarnassos, der Miteigentümer des von dem Naukleros Hyblesios geführten Schiffes, lediglich Partner bzw. Miteigentümer, nicht aber Naukleros genannt.33 Dies dürfte daran liegen, dass sich ausschließlich Hyblesios dem Seehandel widmete.

27 Vgl. Dem. 34.5, 6, 9 und dazu PAOLI, L'Autonomia del diritto commerciale nella Grecia classica, 47231; VÉLISSAROPOULOS 50 ff.; ZIEBARTH, Eine Handelsrede aus der Zeit des Demosthenes, 18. 28 So CALHOUN, The business life in ancient Athens, 63 f. 29

30

Zum Schiffspachtvertrag vgl. VÉLISSAROPOULOS 273 ff. m.N.

Vgl. Dem. 34.5 f., 9 ff.: Insbesondere gewährt Lampis sogar selbst Seedarlehen, vgl. § 6; dem völlig eigenständigen Handeln des Lampis, vor allem seinem Auftritt vor dem Handelsgericht, will PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 105 ff., entnehmen, dass einem im Seehandel tätigen Sklaven in Angelegenheiten des Handelsrechts (partielle) Rechtsfähigkeit zugestanden wurde. 31 Vgl. Dem. 23.211. 32 Vgl. Dem. 45.64; 49.31. Vgl. Dem. 3 . .

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Naukleros scheint demnach schon im 4. Jhdt. v. Chr. gewesen zu sein, wer im Seehandel nicht auf den Abschluss von Frachtverträgen 34 zum Transport seiner Waren angewiesen war, sondern über ein Schiff verfugte, auf dem sich wiederum andere Händler mit ihren Waren einschifften. 35 In der Regel war dies der Eigentümer eines Schiffes, aber es konnte eben auch der Pächter eines Schiffes oder ein vom Eigentümer mit der Wahrnehmung der Geschäfte betrauter Sklave sein,36 was auch den Verhältnissen in hellenistischer Zeit entspricht: In den gräko-ägyptischen Papyri ist ναύκληρος (naùkleros) die Bezeichnung für denjenigen, der - unabhängig von den Eigentumsverhältnissen - die tatsächliche Gewalt über das Schiff ausübt, was dem navicularius im römischen Seehandel entspricht. 37 Mit der navigatorischen und seemännischen Führung des Schiffes betraute der Naukleros zumeist einen besonders erfahrenen Seemann, den κυβερνήτης (kybernétes). 3* Nahm der Naukleros dagegen neben den kaufmännischen Angelegenheiten auch die des κυβερνήτης wahr, so findet sich seit hellenistischer Zeit die Bezeichnung ναύκληροκυβερνήτης ( nauklerokybernétes )?9

b) Emporoi (έμποροι) Der Emporos hingegen war ein Händler ohne eigenes Schiff, der seine Waren als Passagier (έπιβάτης, epibàtes ) auf einem fremden Schiff von Handelsplatz zu Handelsplatz transportierte. In der Regel begleitete er seine Waren selbst an den Bestimmungsort, denn der griechische Handel im 4. Jhdt. v. Chr. war überwiegend Eigenhandel; nur vermögende Händler konnten es sich leisten, einen Sklaven mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen. 40 Zum

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Dazu sogleich 31. In diesem Sinne auch MACDOWELL, The Law in Classical Athens, 231; SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Naukleros, 745; VÉLISSAROPOULOS 49 ff. 36 Selbstverständlich konnte nur ein wohlhabender Naukleros sich erlauben, die Handelstätigkeit einem Sklaven zu überlassen; vgl. u. 29. 37 Vgl. KUNKEL, Verwaltungsakten aus spätptolemäischer Zeit, in: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete 8 (1926/27) 185; VÉLISSAROPOULOS 52 ff.; zum römischen navicularius vgl. u. 197116. 38 Vgl. Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 8.14; Dem. 35.34; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 222 ff., VÉLISSAROPOULOS 79 ff. m.w.N. 39 Siehe nur P. Flor. 75, Zeilen 8, 30 (abgedruckt bei MITTEIS/WILCKEN, Grundzüge und Chrestomatie der Papyruskunde 1.2, Nr. 433) oder P. München 60, Zeile 7 (ebda., Nr. 434). 40 Vgl. Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 20.28 sowie o. 29. 35

III. Die Parteien

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Zwecke des Transportes wurde mit dem Eigentümer eines Schiffes ein Seefrachtvertrag (ναυλωτική, naulotiké ) abgeschlossen.41 Mit dem Abschluss einer ναυλωτική verpflichtete sich ein Naukleros gegen Entgelt, die Waren eines Emporos auf seinem Schiff zu transportieren. 42 Die Verpflichtung zur Zahlung der Frachtgebühr (ναΰλον, naùlon) stand unter der Bedingung der glücklichen Ankunft der Waren im Zielhafen. 43 Vermutlich bestanden die Naukleroi regelmäßig auf einen Vorschuss. Bei Verlusten aufgrund höherer Gewalt (Schiffbruch infolge von Sturm, Klippen oder Untiefen, Seeräuberei oderfreigegebene Kaperei)44 konnte der Schiffer keine Zahlung verlangen, war aber auch nicht zum Ersatz des Schadens verpflichtet; 45 diesen trug ohnehin deijenige, mit dem der Emporos vor Beginn der Reise ein Seedarlehen vereinbart hatte.46 Nach glücklicher Ankunft im Bestimmungshafen war das ναΰλον (naùlon) - bzw. die Restsumme - sogleich fällig. 47 Den vollen Frachtlohn erhielt der Naukleros aber vermutlich in der Regel erst beim Löschen der Ladung. Der Emporos war die charakteristische Erscheinung des Seehandels in der griechischen Antike: 48 Bei allen Handelsreisen, von denen wir wissen, befinden sich mehrere Emporoi an Bord des Schiffes. 49 In der Regel kam dazu noch eine gewisse Anzahl von Passagieren. So befanden sich beispielsweise an Bord des von dem bereits erwähnten Sklaven Lampis geführten Schiffes neben der Besatzung auch 30 Freie, teils Händler, teils Reisende.50 Ein Naukleros, der sein Schiff ausschließlich für eigene Handelsgeschäfte nutzt, und somit der einzige Händler an Bord gewesen wäre, findet sich in den Quellen nicht.

41

Vgl. z.B. Dem. 35.18. Ausführlich zum griechischen Seefrachtvertrag MEYER-TERMEER, Die Haftung der Schiffer im Griechischen und Römischen Recht, 75 ff., 245 f., VÉLISSAROPOULOS 282 ff., 324 ff.; vgl. auch HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 337 ff., der sich der Frage annimmt, ob die Naukleroi schon in klassischer Zeit auch Speditionsverträge abschlossen, d.h. sich zur Übergabe von Waren an einen Empfänger im Zielhafen verpflichteten, ohne dass eine Begleitperson mitreiste. 43 Vgl. Dem. 49.28 ff.; Piaton, Gorgias, 51 ld-e; zur Höhe der Frachtgebühren vgl. 42

HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 338; MEYER-TERMEER, Die Haf-

tung der Schiffer im Griechischen und Römischen Recht, 12 ff. 44 Ausführlich zu den mit der Seefahrt verbundenen Gefahren u. 69 ff. 45 Vgl. BÜRGE, Der Witz im antiken Seefrachtvertrag, 397; VÉLISSAROPOULOS 324 ff. m.N. 46 Vgl. u. 69 ff.; bei Transporten für den Staat, die im ptolemäischen Ägypten aufkamen und bei denen kein Darlehensgeber das Risiko trug, kannte das gräko-ägyptische Recht dementsprechend andere Regeln, vgl. MEYER-TERMEER, Die Haftung der Schiffer im Griechischen und Römischen Recht, 111 ff. 47 Vgl. Piaton, Gorgias, 51 ld-e; VÉLISSAROPOULOS 282, 324. 48 Zum Seehandel in der Antike u. 179 ff. 49 Vgl. Dem. 32.6 ff., 17; 35.31 ff.; 56.24; COHEN, Athenian Economy and Society, 146 f.; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2042. 50 Vgl. Dem. 34.10.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Oft nahm ein Händler das Seedarlehen nicht alleine auf, sondern ein oder mehrere Teilhaber traten auf seiner Seite hinzu. 51 In diesem Fall hafteten sämtliche Teilhaber als Gesamtschuldner für die Verbindlichkeiten aus dem Seedarlehensvertrag. 52

c) Herkunft der Händler In der älteren Literatur wird stellenweise die Ansicht vertreten, der gesamte athenische Groß- und Fernhandel habe in den Händen der Ausländer (ξένοι, xénoi) und vor allem der Metöken (μέτοικοι, métoikoi ), der nicht in Athen geborenen und somit grundsätzlich nicht bürgerrechtsfähigen aber freien Bewohner der Stadt, gelegen.53 Hiergegen spricht bereits die große Zahl athenischer Händler, die in den demosthenischen Gerichtsreden neben ausländischen und metökischen Händlern erwähnt werden, wie z.B. der Emporos Androkles oder der Naukleros Philipp. 54 Zumindest für eine Dominanz der Metöken spricht allerdings, dass diesen der Erwerb von Grundeigentum in Athen untersagt war. 55 Grundsätzlich muss es für sie daher naheliegend gewesen sein, ihren Lebensunterhalt im gewinnträchtigen Seehandel zu verdienen.

d) Vermögensverhältnisse

griechischer Händler

Im Zusammenhang mit dem Seedarlehen stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß die griechischen Händler zur Finanzierung ihrer Seehandelsunternehmungen auf fremdes Kapital zwingend angewiesen waren.

51 Beispiele aus den demosthenischen Gerichtsreden bei ISAGER/HANSEN 74 88 sowie COHEN, Athenian Economy and Society, 152176 und ERXLEBEN 483 ff., der hier Ansätze von Gesellschaftsbildung erkennen will. 52 Vgl. z.B. Dem. 56.45: την δέ πράξιν είναι και έξ ενός καί έξ άμφοΐν („und sie [d.h. Dionysodor und sein Partner Parmeniskos] unterwarfen sich jeweils für das Ganze solidarisch der Exekution"). 53 Vgl. z.B. BUSOLT, Griechische Staatskunde I, 186; FRANCOTTE, L'industrie dans la Grèce ancienne I, 192; HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 21 ff. unter Hinweis auf CLERC, Les métèques athéniens, 396 f. 54 Vgl. Dem. 35.10, 49 bzw. Dem. 24.138; eine vollständige Übersicht über die in den Quellen genannten Händler bei ISAGER/HANSEN 72 7 7 f , vgl. auch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 116 ff.; mit der Rolle der athenischen Bürger im Handel beschäftigt sich eingehend (aber leider in seinen Ausführungen nicht immer ganz frei von ideologischer Motivation) ERXLEBEN 460 ff.; zur Herkunft der Händler im antiken Griechenland siehe auch MOSSE, The 'World of the Emporium' in the private speeches of Demosthenes, 55 ff. 55 Vgl. HANSEN, Die Athenische Demokratie im Zeitalter des Demosthenes, 99

m.w.N., VÉLISSAROPOULOS 45 ff.

III. Die Parteien

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Seit sich HASEBROEK56 mit den Vermögensverhältnissen der griechischen Händler beschäftigt hat, hält sich in der Literatur seine Lehre von der Trennung von Geldbesitz und Handel. Danach mussten durchgängig mittellose Händler stets auf den Kredit „einzelner Kapitalisten" zurückgreifen. Das von HASEBROEK zum Zwecke des Beweises angeführte Zitat aus der Rede gegen Phormion mag dies auf den ersten Blick bestätigen: Dem. pros Phormiona 34.51 : Ai γαρ εύπορίαι τοις έργαζομένοις ουκ άπό των δαναιζομένων, άλλ' άπό των δανειζόντων είσίν, και οΰτε ναΰν οΰτε ναύκληρον οΰτ έπιβάτην εστ άναχθήναι, το των δανειζόντων μέρος άν άφαιρεθη. Wenn doch den Händlern die [finanziellen] Mittel um Handel zu treiben nun einmal von Seiten der Darlehensgeber gegeben sind; und kein Schiff, kein Naukleros, kein Reisender [ = Emporos] wäre in der Lage, in See zu stechen, wenn der Anteil der Darlehensgeber entfiele. Bei der Aussage, kein Schiff, kein Naukleros und kein Emporos sei im Stande, ohne Kreditaufnahme seine Handelsfahrt anzutreten, handelt es sich jedoch um den Vortrag einer Partei vor Gericht; als solcher ist sie nicht frei von Übertreibung und subjektiver Färbung und daher mit Vorsicht zu genießen. Natürlich war den Geldgebern vor dem athenischen Handelsgericht daran gelegen, ihre tragende Rolle in dem für die Polis so bedeutsamen Seehandel zu betonen. Schließlich hätte dies eine besondere Schutzwürdigkeit auch vor Gericht rechtfertigen können.57 Im Übrigen widerspricht HASEBROEK sich selbst, wenn er später von Händlern spricht, die selbst Geldleihe als „Nebenbeschäftigung" betreiben. 58 Es liegt daher näher, die Textstelle vor dem Hintergrund der versicherungsähnlichen Funktion des Seedarlehens zu sehen.59 Tatsächlich erscheinen die Vermögensverhältnisse der Seehändler im antiken Griechenland auf den ersten Blick unklar. Das Vorhandensein von Teilhabern besagt für sich nichts über die Vermögensverhältnisse der Naukleroi und Emporoi. 60 Auch aus der Tatsache, dass die Händler in der griechischen Antike dem

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Staat und Handel im alten Griechenland, 5 ff. In diesem Sinne auch die Argumentation der Händler in Dem. 34.52. 58 Staat und Handel im alten Griechenland, 11. 59 Vgl. u. 74 ff. 60 Anderer Ansicht ist SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2038; seiner Feststellung, ein Teilhaber spreche gegen die Kapitallosigkeit der Händler, scheint die Überlegung zugrundezuliegen, dass ein Teilhaber nur in Frage kommt, wo es etwas zu verteilen gibt, also Geldwerte. Denkbar ist aber auch, dass sich mehrere Händler ohne eigenes Kapital zusammenfinden, um gemeinsam die Finanzierung von Handelsunternehmungen zu bewerkstelligen. 57

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

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niederen Volk zugerechnet wurden, 61 lassen sich keine Erkenntnisse über deren finanzielle Verhältnisse gewinnen. 62 Naukleroi und Emporoi standen im 4. Jhdt. v. Chr. gesellschaftlich auf derselben Stufe wie z.B. Zimmerleute, Schuhmacher, Schneider oder Bauern;63 vom Adel und den Angesehenen wurden sie deutlich unterschieden.64 Den Kaufleuten wurde vorgeworfen, die Preise künstlich in die Höhe zu treiben.65 Gewinn und Ethik aber waren für die Griechen unvereinbar, weshalb sowohl der Kleinhandel (καπελεία, kapeleia) als auch der Großhandel (εμπορία, émporia ), die beide auf die Erzielung größtmöglichen Gewinns gerichtet waren, als schimpflich und unehrenhaft verrufen waren.66 Trotz des geringen Ansehens, das der Handelsstand genoss, war einem Händler der gesellschaftliche Aufstieg keineswegs verwehrt - vor allem wenn er zuvor ein respektables Vermögen erworben hatte; selbst eine politische Karriere war nicht grundsätzlich ausgeschlossen.67 Wenn die Gerichtsreden vorwiegend von Händlern sprechen, die in Geldnöten steckten und daher auf fremdes Kapital angewiesen waren, so erlaubt dieser Umstand noch nicht den Schluss auf eine vollständige Trennung von Geldbesitz

61

Zur sozialen Stellung der Händler in Griechenland vgl. ERXLEBEN 460 ff.; HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 100 f.; MOSSE, The 'World of the Emporium1 in the private speeches of Demosthenes, 55 ff.; ISAGER/HANSEN 64 ff.; VÉLISSAROPOULOS 45 ff. m i t Quellenangaben. 62

Anders HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 5 ff., Die Betriebsformen des griechischen Handels im IV. Jahrh., 417, der von einer allgemeinen Kapitallosigkeit der Händler ausgeht (vgl. o.); von Armut der Händler spricht z.B. auch MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 47. 63 Vgl. Xenophon, Memorabilia, 3.7.6. 64 Vgl. Aristoteles, Politika, 4.2 pag. 1289b3Ö-1290a4,4.4 pag. 1290b3P-1291aJ. 65 Vgl. Dem. 56.7 ff., Lysias kata ton Sitopolon 22.12 f., Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 20.27 f. 66 Vgl. Piaton, Nomoi, 11.918 d; auch aus zahlreichen anderen Quellen spricht Geringschätzung, ja Verachtung für den Handelsstand, vgl. nur Dem. 32.10: Έστιν έργαστήριον μοχθηρών ανθρώπων συνεστηκότων έν τω Πειραιεϊ („Es gibt da eine Bande von elenden Gaunern, die sich unter den Menschen im Piräus zusammengerottet hat") oder Philostratos, Leben des Apollonios, 4.32; die Landwirtschaft dagegen galt als die vornehmste Form, den Lebensunterhalt zu erwerben, vgl. Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 6.4 ff. 67 So gelang z.B. Eukrates aus Melite, einem ehemaligen Seil- und Tauhändler, im ausgehenden 5. Jhdt. v. Chr. sogar der Aufstieg in die Staatsführung, vgl. Aristophanes, Ritter, 129 ff., wo er als erster in der Reihe der Demagogen genannt wird, sowie KIESSLING, RE VI.l (1907), s.v. Eukrates (Εύκρατης), 1057. Der Vater des Demosthenes, ursprünglich als Schwerthändler tätig, starb als Besitzer einer Schwertfabrik mit 32 Sklaven, einer Bettenfabrik mit 20 Sklaven und eines großen, geschickt angelegten Vermögens, vgl. Dem. 27.11 ; bei seinem Tod war er einer der reichsten und angesehensten Männer Athens. Weitere Beispiele bei HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 55 f.; vgl. auch CASSON, Die Seefahrer der Antike, 186 f.; MossÉ, The 'World of the Emporium' in the private speeches of Demosthenes, 55 ff.

III. Die Parteien

35

und Handel: 68 Es versteht sich von selbst, dass vor Gericht in erster Linie streiten musste, wer auf fremdes Kapital angewiesen war. Dagegen blieben denjenigen Händlern, die über eigenes Kapital verfügten, derartige Streitigkeiten erspart. 69 Dennoch dürften auch vermögende Naukleroi und Emporoi anlässlich ihrer Handelsreisen stets ein Seedarlehen aufgenommen haben. Hierbei stand dann weniger die Beschaffung von Geld als vielmehr die Risikoübernahme durch den Geldgeber, d.h. die versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens, im Vordergrund: 70 Die mit der Seefahrt verbundenen Gefahren waren groß, und der Untergang eines Schiffes konnte bei wertvoller Ladung schnell den Ruin eines Händlers bedeuten, der sein gesamtes Vermögen investiert hatte. Im Übrigen treten gerade in den demosthenischen Gerichtsreden, aber auch in den Reden des Lysias, immer wieder Händler als Darlehensgeber auf, was ein gewisses Vermögen voraussetzt. 71 Ein Naukleros schließlich besaß in der Regel ein eigenes Schiff, das auch dann noch einen beträchtlichen Wert darstellte, wenn es schon älter war. Beispielsweise erbringt der Zwangsverkauf des Schiffes, das der Naukleros Apaturios seinen Gläubigern verpfändet hat, den stattlichen Betrag von 40 Minen ( = 4 000 Drachmen),72 ein kleines Vermögen.73 Dabei dürfte es sich um den Verkehrswert des Schiffes handeln: Der Betrag entspricht der Summe sämtlicher Darlehen, die der Händler auf sein Schiff aufgenommen hat. Angesichts seiner finanziellen Schwierigkeiten ist davon auszugehen, dass Apaturios das Schiff bis zur äußersten Grenze des Verkehrswertes belastet hat. Es hat daher den Anschein, als ob das Schiff nicht unter Wert verkauft worden wäre. Des Weiteren findet sich in Dem. 56.3 die Vereinbarung einer Hypotheke i.H.v. 3 000 Drachmen am Schiff des Dionysodor.

68 So aber HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 7; ihm folgen z.B. ERXLEBEN 472 f. und MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourthcentury Athens, 45 ff. Das Bekenntnis „völliger Armut" der attischen Getreidehändler bei Lysias kata ton Sitopolon 22.13, von HASEBROEK zum Beweis seiner These angeführt, kann jedoch nur als Verteidigungsmittel der Händler im Prozess verstanden werden. 69 SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045; vgl. auch CASSON, Die Seefahrer der Antike, 179; OTTO, Kulturgeschichte des Altertums, 77: „Schon verhältnismäßig früh hat man (...) vielfach, wenn auch nicht ausschließlich, mitfremdem Kapital gearbeitet". 70 Dazu u. 74 ff. 71 So gewährt z.B. der als Naukleros tätige Sklave Lampis dem an Bord des von ihm geführten Schiffes befindlichen Emporos Phormion ein Seedarlehen i.H.v. 1 000 Drachmen, vgl. Dem. 34.7; Androkles, der nach dem Tod seines Gläubigers Artemon dessen Bruder Lakritos verklagt hat, bezeichnet sich vor Gericht selbst als Händler, vgl. Dem. 35.49; weitere Beispiele bei ISAGER/HANSEN 7381. 72 Vgl. Dem. 33.12. 73 Dies verdeutlicht der Vergleich mit den u. 55 191 aufgeführten Lebenshaltungskosten, Immobilienpreisen und Löhnen.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

36

Der Neuwert eines Handelsschiffes (inklusive Ausrüstung) dürfte noch wesentlich höher gewesen sein, denn bei den genannten Zahlen ist zu berücksichtigen, dass Handelsschiffe bereits in der Antike sehr alt werden konnten. Der Beweis für diese bereits von SCHWAHN74 aufgestellte These konnte später durch die C-14-Methode erbracht werden: Die Planken eines um 306 v. Chr. gesunkenen Handelsschiffes (Münzfunde!) stammen von Bäumen, die 389 v. Chr. ± 44 Jahre gefällt worden sind.75 Die Annahme durchgängiger Mittellosigkeit würde nicht zuletzt bedeuten, die Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung außer Acht zu lassen, die die Mittlerrolle zwischen Produktion und Verbrauch seit jeher bietet. Dies galt in der Antike besonders für das dringend benötigte Getreide 76 und nicht zuletzt für Luxusartikel aus fernen Ländern, die in der Antike fester Bestandteil des Handelsverkehrs waren. 77 Im Übrigen müssen sich die Gefahren der See, die die Händler auf sich nahmen, deutlich preissteigernd ausgewirkt haben. Nicht zuletzt die beträchtliche Höhe der Seezinsen78 spricht dafür, dass der Seehandel im klassischen Griechenland insofern keine Ausnahme darstellt; anderenfalls hätte bereits die Zinslast die Händler in den Ruin getrieben. 79 So gelang es z.B. Diogeitonos, der bei einer Fahrt in die Adria Waren im Wert von 12 000 Drachmen auf das Schiff eines Naukleros verladen lässt, die Waren zum doppelten Einkaufspreis zu veräußern.80 Von den hohen Gewinnen, die ein gewisser Kolaisos aus Samos im Seehandel erzielte, berichtet Herodot und ergänzt, dass die Gewinne des Ägineten Sostratos noch viel größer gewesen seien.81 Bei Lysias wiederum erfahren wir, dass diejenigen, die unter Einsatz ihres Lebens Getreide nach Athen transportieren, enorme Gewinne zu erzielen vermochten.82

74

RE XVI (1933), s.v. Ναυτικός τόκος, 2040. Vgl. HAUSEN, Schiffbau in der Antike, 148 f. m.N. 76 Vgl. u. 162 ff, 168 ff, 198 ff. 77 Vgl. u. 18016. 78 Dazu u. 81 ff. 79 Bereits BÖCKH 75 ff. betont die ungewöhnlich hohen Gewinne der attischen Kaufleute; auch HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 10 gibt dies bemerkenswerterweise zu, meint allerdings, es wäre schlechterdings unmöglich zu sagen, wieviel von dem Gewinn dem Händler neben dem Geldgeber blieb. An anderer Stelle räumt er dann sogar ein, dass besonders der Seehandel Gelegenheit geboten haben muss, Reichtum zu erwerben, vgl. Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte, 264; ebenso HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums, 336; vgl. auch BUSOLT, Griechische Staatskunde I, 185; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 56; ISAGER/HANSEN 73; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2038; DE SAINTE CROIX, Ancient Greek and Roman Maritime loans, 42; ZIEBARTH, Eine Handelsrede aus der Zeit des Demosthenes, 31. 80 Vgl. Lysias kata Diogeitonos 32.25. 81 Historien, 4.152. 82 Lysias kata ton Sitopolon 22.20; zum Reichtum vieler Händler vgl. auch die Anmerkungen des Aristoteles, Politika, 1.9 pag. \251bl~24 sowie Philostratos, Leben des Apollonios, 4.32 75

III. Die Parteien

37

Gerade die hohen Gewinne, die sich i m antiken Seehandel erzielen ließen, waren der Beweggrund für die Händler, sich den Gefahren der Seefahrt und der damit einhergehenden ständigen Bedrohung für Leib und Leben auszusetzen.83 Erst ein vermögender Händler konnte es sich leisten, seine Sklaven mit der Wahrnehmung seiner Geschäfte zu betrauen, 84 wenn er nicht ohnehin die Seiten wechselte und fortan sein Vermögen auf Seezins verlieh. 85 Es kann demnach nicht davon die Rede sein, dass die Händler der griechischen Antike zur Finanzierung ihrer Seehandelsunternehmungen aufgrund durchgängiger Mittellosigkeit zwingend auf fremdes Kapital zurückgreifen mussten. Allerdings gab es selbst dann einen guten Grund, vor dem Antritt einer Seehandelsreies ein Seedarlehen aufzunehmen, wenn der Händler über genügend Eigenkapital verfügte: Die versicherungsähnliche Funktion des Rechtsgeschäftes. 86

2. Darlehensgeber a) Privatpersonen Häufig waren es vermögende Privatpersonen, die Geld zum Zwecke des Seehandels zur Verfügung stellten: Vgl. Dem. 38.2, 11: Das Vermögen des Nausimachos und des Xenopeites umfasste auch Forderungen aus Darlehensverträgen; Dem. 45.65 ff.: Um sein bereits beachtliches Vermögen weiter zu vermehren, gewährte Stephanos (See-?) Darlehen; Diogenes Laertius 7.13 berichtet von dem beeindruckenden Vermögen (ύπερ χίλια τάλαντα - „mehr als 1 000 Talente"), das der (spätere) Philosoph Zenon bei seiner Ankunft in Griechenland besaß und das in Seedarlehen angelegt war. Auch der Vater des Demosthenes hatte von seinem beträchtlichen Vermögen, das er zuvor im Handel erworben hatte, mehr als ein Talent, nämlich 70 Minen, auf Seezins verliehen, vgl. Dem. 27.11. Der Athener Diodotus wiederum hat insgesamt 7 Talente, 40 Minen als Seedarlehen vergeben (Lysias 32.6).87 83 Von den Gewinnen, die ein Händler im Seehandel erzielen konnte, spricht bereits Hesiod, Werke und Tage, 630 f., 642 ff.; vgl. auch Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 8.12. 84 Vgl. Dem. 34.5, 10 und dazu bereits o. 29; allgemein zur Stellvertretung durch einen Sklaven bei Handelsgeschäften RÖHRMANN, Stellvertretung im altgriechischen Recht, 137 ff. 85 Vgl. insofern Dem. 33.4. 86 Ausführlich dazu u. 74 ff. 87 Weitere Beispiele bei ISAGER/HANSEN 73 82 ; vgl. auch CALHOUN, The business life of ancient Athens, 50 ff.; ERXLEBEN 471 ff.; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 128; MOSSE, The 'World of the Emporium' in the private speeches of Demosthenes, 54 ff.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 19 f.; kritisch zur Bedeutung von Privatpersonen als Geldgeber COHEN, Athenian Economy and Society, 151171. Zum Vermögen von Privatpersonen und allgemein zur Verteilung des Kapitals

38

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Viele private Geldgeber betrieben ihr Geschäft professionell. 88 Mitunter waren sie zuvor selbst lange Zeit im Seehandel tätig gewesen, so dass ihnen die Verhältnisse des Marktes gut vertraut waren. 89 Wer über entsprechende Kenntnisse nicht verfügte, bediente sich eines Zwischenmannes zur Vergabe von Seedarlehen. 90 Oft fanden sich auch Reisende bereit, Händlern, die auf demselben Schiff unterwegs waren, ein Seedarlehen zu gewähren. 91 Selbst Händler liehen, wie bereits erwähnt, mitunter anderen Händlern Geld auf Seezins.92 Auch auf Seiten der Darlehensgeber standen nicht selten mehrere Personen als Gesamtgläubiger, 93 was der Risikoverteilung und somit dem Schutz vor ruinösen Verlusten diente. 94 Die Herkunft spielte bei der Vergabe von Seedarlehen in Athen offensichtlich keine Rolle: Als Kreditgeber finden sich in den Quellen gleichermaßen Bürger, Metöken und Fremde, 95 und es ist davon auszugehen, dass auch in den anderen griechischen Poleis willkommen war, wer auch immer bereit war, Geld zum Zwecke des Seehandels zur Verfügung zu stellen. Private Darlehensgeber verliehen ihr Geld grundsätzlich nur an Personen, die ihnen persönlich bekannt waren oder die ihnen durch Freunde vorgestellt worden waren; 96 in der Regel bestand also zwischen Gläubiger und Schuldner ein im antiken Griechenland vgl. BUSOLT, Griechische Staatskunde I, 187 ff.; HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 11 ; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt II, 905 ff. 88 Vgl. Dem. 56.1, 48; MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourthcentury Athens, 50 unterscheidet zwischen professionellen Geldgebern und solchen, die nur bei Gelegenheit bzw. aus Gefälligkeit Seedarlehen vergaben. 89 Vgl. Dem. 33.4: Der Sprecher der Rede, dessen Name nicht genannt wird, war früher selbst Kaufmann, hat die Seefahrt aber seit fast 7 Jahren aufgegeben und verleiht nun das erworbene Vermögen auf Seezins. 90 Vgl. die Beispiele bei COHEN, Athenian Economy and Society, 153 ff. PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 21 f. und ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 85 f. 91 Dazu u. 67 f. 92 Vgl. die o. 35 71 angeführten Beispiele; es kam anscheinend immer wieder vor, dass sich an Bord eines Schiffes auch Emporoi befanden, die keine Waren mit sich führten und stattdessen Geld auf Seezinsen verliehen, um dennoch Gewinn zu machen. 93 Vgl. nur Dem. 32.21: Demon spricht von seinen Teilhabern (ημών των κοινωνών); Dem. 33.6: Apaturios wird von mehreren Gläubigem (oi χρήσται) bedrängt; weitere Beispiele bei MossÉ, The 'World of the Emporium' in the private speeches of Demosthenes, 62; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2088 f. 94 Zurrisikoverteilenden Funktion des Seedarlehens vgl.u. 56. 95 Vgl. die Übersicht über die Herkunft der in den Quellen genannten privaten Geldgeber bei ERXLEBEN 479. 96 Dem. 33.5; 34.21; 35.6 f.; 56.7; vgl. auch COHEN, Athenian Economy and Society, 147 f , HASEBROEK, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, 159, PAOLI, II prestito marittimo nel diritto attico, 60 und SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2039.

III. Die Parteien

39

Vertrauensverhältnis. 97 Ein solches bot den Geldgebern, die nicht nur ihr Geld, sondern auch die ihnen bestellten Sicherheiten aus den Augen verloren, 98 ein gewisses Mindestmaß an Sicherheit. Vor den Betrugsmanövern einzelner Händler konnte zwar auch ein solches Vertrauensverhältnis nicht schützen, aber das Risiko stieg bei der Gewährung eines Seedarlehens an Unbekannte deutlich. Davon zeugen die in den demosthenischen Gerichtsreden enthaltenen Fälle der Vergabe von Seedarlehen an Händler, die den Geldgebern nicht oder nur flüchtig bekannt waren, wie z.B. das Seedarlehen, das Androkles aus Athen und Nikostratos von Euböa den Phaseliten Artemon und Apollodor gewähren, ohne die beiden Händler überhaupt zu kennen;99 eine verhängnisvolle Entscheidung, wie im Verlauf der Gerichtsrede gegen Lakritos hinreichend deutlich wird.

b) Bankiers (τραπεζΐται) Die Antike kannte kein Bankwesen, das nach Struktur und Umfang mit dem modernen Bankwesen vergleichbar gewesen wäre. Im antiken Griechenland waren es in der Regel einzelne Personen, die sich, allenfalls unterstützt durch einen oder einige wenige Sklaven, berufsmäßig mit den in der Antike gebräuchlichen Geldgeschäften befassten. 100 Pasion (gest. um 370 v. Chr.), der reichste Bankier seiner Zeit, der mehrere Repräsentanzen außerhalb Athens unterhielt und dessen Transaktionen sich über ganz Griechenland erstreckten, ist insofern eine Ausnahmeerscheinung. 101 Von einer Bank im heutigen Sinne kann aber auch in seinem Fall keine Rede sein. Die moderne Terminologie darf daher nicht unkritisch auf die Verhältnisse in der Antike übertragen werden. 102 Der Bankier hieß im antiken Griechenland in Anlehnung an den Tisch (τράπεζα, tràpeza), der den Wechslern typischerweise als Arbeitsplatz diente, τραπεζίτης (trapezîtes) . Seine Tätigkeit umfasste vor allem Geldwechsel, Geldverwahrung und die Vergabe von Krediten. 103

97

HASEBROEK, Die Betriebsformen des griechischen Handels im IV. Jahrhundert, 417; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2039. 98 Zu den Besonderheiten der beim Seedarlehen als Sicherungsmittel gebräuchlichen Hypotheke vgl. u. 87 ff. 99 Vgl. Dem. 35.6. 100 COHEN, Athenian Economy and Society, 9 31 ; ISAGER/HANSEN 88 f. 101 Vgl. Dem. 50.18, 56; zur Person dieses Trapeziten vgl. BOGAERT, Banques et Banquiers dans les Cités grecques, 63 ff., SCHMITZ, DNP IX (2000), s.v. Pasion, 384. 102 GRÖSCHLER, Die tabellae-Urkunden aus den pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunden, 38. 103 Zu den Geschäften der attischen Banken im 4. Jahrhundert v. Chr. vgl. BOGAERT, Banques et Banquiers dans les Cités grecques, 305 ff.; ders., Grundzüge des Bankwesens im alten Griechenland, 7 ff.; CALHOUN, The Business Life of Ancient Athens,

40

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

In der Literatur war die gewinnträchtige Gewährung von Seedarlehen durch die attischen Bankiers lange weitgehend unbestritten: Neben Privatpersonen waren auch Bankiers 104 und sogar Tempel 105 als Darlehensgeber anerkannt. Seit 1965 hat sich BOGAERT106 immer wieder gegen die Annahme eines entsprechenden Engagements der Trapezitai ausgesprochen. Die Meinung dieses Experten auf dem Gebiet des antiken Bankwesens wurde zunächst kaum angezweifelt, 107 wenngleich er selbst später eingeräumt hat, die Gewährung von Seedarlehen durch einen Bankier könne vereinzelt vorgekommen sein. 108 Seitdem sich COHEN109 dieser Frage im Rahmen seiner ausfuhrlichen Quellenanalyse gewidmet hat, kann jedoch kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Gewährung von Seedarlehen zum alltäglichen Geschäft der griechischen Bankiers gehörte. Tatsächlich bieten besonders die demosthenischen Gerichtsreden sichere Anhaltspunkte für diesen Umstand. Immer wieder treten im Zusammenhang mit den erwähnten Seedarlehen auch Bankiers in Erscheinung.

81 ff.; COHEN, Athenian Economy and Society, 3 ff, 121 ff.; ISAGER/HANSEN 88 ff.; HASEBROEK, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, 113 ff.; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 139 ff.; SCHMITZ, DNP II (1997), s.v. Banken, 431 ff. 104 Vgl. z.B. BILLETER, Geschichte des Zinsfusses im griechischen-römischen Altertum bis auf Justinian, 59 f , 85 f.; BÜCHSENSCHÜTZ, Besitz und Erwerb im griechischen Altertume, 506 ff.; CALHOUN, The Business Life of Ancient Athens, 99 ff.; DARESTE, DU prêt à la grosse chez les Atheniens, 12; HASEBROEK, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, 160; HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 357; KNORRINGA 88; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 20 ff.; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 29; SIEVEKING, Das Seedarlehen des Altertums, 17; ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 86; a.A. schon in den 1920er Jahren CALHOUN, The Business Life of Ancient Athens, 103. 105 Vgl. PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 20 ff, PEKARY, Die Wirtschaft der griechisch-römischen Antike, 36. Die Quellen sind insofern aber nicht präzise: Zwar verliehen grundsätzlich auch Tempelbanken Geld (vgl. nur BOGAERT, Banques et Banquiers dans les Cités grecques, 288 ff, ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt II, 1028 ff.), in den Quellen finden sich aber keinerlei Anhaltspunkte für die Gewährung von Seedarlehen durch die Tempelbanken. 106 Banquiers, courtiers et prêts maritimes à Athenes et à Alexandrie, 140 ff.; Banques et Banquiers dans les Cités grecques, 355; Grundzüge des Bankwesens im alten Griechenland, 18 ff.; La banque à Athènes au IVe siècle avant J.C, 19 ff. 107

BOGAERT folgen z.B. ISAGER/HANSEN 84, 88; MILLET, Maritime loans and the

structure of credit in fourth-century Athens, 47 ff.; DE SAINTE CROIX, Ancient Greek and Roman Maritime Loans, 51 39 ; VÉLISSAROPOULOS 303. 108 La banque à Athènes au IVe siècle avant J.C, 27. 109 Athenian Economy and Society, 121 ff, A Study in Contrast: „Maritime Loans" and „Landed Loans" at Athens, in: Symposion 1988, 64 ff.; vgl. auch bereits ERXLEBEN 490 ff. und CASSON, Die Seefahrer der Antike, 178 f.; SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon daneion, 760 geht zumindest von gelegentlicher Seedarlehensvergabe durch die Banken aus.

III. Die Parteien

41

Beachtung verdient an dieser Stelle zunächst eine sprachliche Besonderheit der Quellen: Vereinzelt finden sich in ein und demselben Text einerseits die Bezeichnung (δάνειον) ναυτικόν (dàneion nautikón) fìir das eine Seedarlehen, während ein anderes εκδοσις (ékdosis) genannt wird. 1 1 0 Ganz offensichtlich kommt diesen beiden Begriffen hier eine unterschiedliche Bedeutung zu: εκδοσις könnte im 4. Jhdt. v. Chr. - in Abgrenzung zum „gewöhnlichen" δάνειον ναυτικόν - als besondere Bezeichnung für das durch einen Bankier gewährte Seedarlehen gedient haben. 111 Dann bestünde schon aus diesem Grunde kein Raum für Zweifel hinsichtlich der Gewährung von Seedarlehen durch die athenischen Bankiers. Die Texte sind jedoch nicht konsequent in der Unterscheidung, so dass das beschriebene Phänomen lediglich ein Indiz sein kann. 112 An dem Umstand, dass es in der ersten Hälfte des 4. Jhdts. v. Chr. offensichtlich kaum einen Händler gab, der nicht in geschäftlichen Beziehungen zu dem Bankier Pasion gestanden hätte, führt jedoch kein Weg vorbei. Dem. pros Kallippon 52.3: Λύκων γαρ Ήρακλεώτης, ώ άνδρες δικασταί, (...) τη τραπέζη τη του πατρός έχρητο, ώσπερ και οί άλλοι έμποροι ... Lykon aus Herakleia [Pontike], hohes Gericht, (...) war, ganz wie die übrigen Emporoi, Kunde bei der Bank meines Vaters [i.e. Pasion]... Auf Geldwechsel oder Geldverwahrung können sich diese Kontakte nicht beschränkt haben: 113 Zum einen setzten die athenischen Händler den Erlös im Auslandshafen gewöhnlich in neue Waren um, wohingegen der Transport von Bargeld über See nur sehr selten vorkam; 114 die Rückfracht aber wurde im Piräus gegen athenische Münze verkauft, so dass ein Umtausch nicht erforderlich war. Zum anderen waren die Händler daran interessiert, ihr Kapital im Handel einzusetzen und dadurch zu mehren. Die Verwahrung bei einem Bankier brachte dagegen nur einen bescheidenen Zinsertrag; sie bot sich allenfalls für fremde Naukleroi und Emporoi als Möglichkeit der (vorübergehenden) sicheren Aufbewahrung an.

110

Vgl. Dem. 27.11, 29.36; 52.20; Lysias kata Diogeitonos 32.6. Diese Unterscheidung nehmen PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 221 und ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 86 vor. 112 So auch COHEN, Athenian Economy and Society, 157 ff. nach eingehender Quellenanalyse. 113 Dies vermutet BOGAERT, Banques et Banquiers dans les Cités grecques, 355. 114 Bezahlt wurde stets in der Währung des jeweiligen Handelsortes; der Transport fremder Währung nach Athen aber wäre nicht nur unproduktiv gewesen, sondern stets mit Valutaverlusten beim Wechseln der fremden Münzen in Athen einhergegangen, vgl. Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.2. 111

42

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Im Übrigen ist die von BOGAERT aufgestellte These, den Bankiers sei das Risiko zu hoch erschienen, 115 schon aus wirtschaftlicher Sicht lebensfremd: Auch in der Antike waren die Bankiers bestrebt, die Einlagen ihrer Kunden möglichst ertragreich anzulegen. Fehlende Kenntnis der Bankiers vom Seehandel kommt als Grund für eine Zurückhaltung wohl kaum in Frage, 116 hier hätte man ggf. auch fachmännischen Rat einholen können. Außerdem muss die enge Verzahnung des Bankwesens mit dem Seehandel, wie sie besonders bei Demosthenes immer wieder hervortritt, berücksichtigt werden: 117 A n verschiedenen Stellen in den demosthenischen Gerichtsreden scheinen die Bankkunden ihre Einlagen gerade zum Zwecke der Gewährung von Seedarlehen durch den Bankier getätigt zu haben, was nicht zuletzt auf einen gewissen Sachverstand der Bankiers schließen lässt. 118 Zu bedenken ist auch, dass die Usancen beim Seedarlehen in der Antike ohnehin weiten Kreisen, besonders aber denen, die mit dem Seehandel in Berührung standen, wohl vertraut waren. 119 Es mag daher sein, dass es dem Ruf einer Bank und dem Vertrauen der Anleger dienlicher war, wenn sich der Bankier von den besonders riskanten Seedarlehensgeschäften fernhielt, zumal der Bankrott einer Bank in der Antike keine Seltenheit war. 1 2 0 Dass sich die häufig im Piräus ansässigen Bankiers 121 jedoch der äußerst gewinnträchtigen Gewährung von Seedarlehen generell verschlossen hätten, ist schon vor dem Hintergrund anderer, besonders riskanter Spekulationsgeschäfte unrealistisch. 122 Gerade der Seehandel war aufgrund des großen Handelsvolumens123 auf das Engagement der Bankiers angewiesen: Die große Nachfrage nach Seedarlehen

115

Siehe ο. 40 106 ; in diesem Sinne auch CALHOUN, The Business Life of Ancient Athens, 103 und SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon daneion, 760; ders, DNP II (1997), s.v. Banken, 432. 116 Anderer Ansicht ist auch hier BOGAERT, Banquiers, courtiers et prêts maritimes à Athenes et à Alexandrie, 141 f. 1,7

Vgl. nur Dem. 33.5 f f , 12; 56.15.

118

Vgl. z.B. Dem. 27.11, Dem. 36.5 oder Dem. 45.64 ff. und dazu COHEN, Athenian

Economy and Society, 122 ff, 138 ff. 119 Vgl. o. 23 f. 120 Vgl. nur Dem. 33.9 und BOGAERT, Banques et Banquiers dans les Cités grecques, 391 f. m.w.N. 121 Vgl. nur Dem. 33.6; 49.22; 52.8. 122 Vgl. z.B. Dem. 36.50 f.: Verwendung von Depositen für spekulative Immobilienfonds; Dem. 40.52: Kredit für den Erwerb einer Konzession zum Silberabbau; Dem. 49.16 f.: politisch motivierte Darlehen trotz fehlender Sicherheiten. 123 CASSON, Ancient Trade and Society, 26 schätzt, dass allein das zur Ernährung der athenischen Bevölkerung benötigte Getreide mit 4 Mio. Drachmen zu Buche schlug; das Gesamthandelsvolumen der Polis beziffern ISAGER/HANSEN 52 auf ca. 13,8 Mio. Drachmen.

IV. Das Darlehen auf Seezins

43

i.H.v. 2 000, 3 000 oder gar 4 500 Drachmen 124 konnte nicht ausschließlich durch Privatpersonen befriedigt werden. I m Übrigen konnte nur ein Bankier eine gewisse Garantie für die jederzeitige Verfügbarkeit von Bargeld bieten. Auch verstand man es, das Risiko durch die Vergabe möglichst vieler Seedarlehen von begrenzter Höhe zu minimieren. 125 Der Untergang eines einzelnen Schiffes bedeutete deshalb nicht den Ruin des Bankiers. Es kann somit als sicher gelten, dass die Vermittlung und die Gewährung von Seedarlehen zum Tagesgeschäft der attischen Bankiers gehörte; die Hinweise in den Quellen sprechen insofern für sich. 126

IV. Das Darlehen auf Seezins 1. Der Darlehensvertrag im antiken griechischen Recht Vor der Beschäftigung mit dem Seedarlehen der griechischen Antike ist es angezeigt, den gewöhnlichen Darlehensvertrag des griechischen Rechts (δάνειον, dàneiorì) kurz zu erläutern. Seine Entwicklungsgeschichte weist einige Besonderheiten auf, die Auswirkungen auch beim griechischen Seedarlehen hatten. Der Darlehensvertrag des antiken griechischen Rechts war Realkontrakt, d.h. der Vertrag kam mit der Hingabe des Darlehens zustande.127 Eine Besonderheit bestand hinsichtlich des Eigentums an dem kreditierten Geld: Während im weiter entwickelten römischen Recht der Eigentumsübergang für das Darlehen schon sehr früh wesentlich war, 1 2 8 findet sich im antiken griechischen Recht zunächst nur die Einräumung einer dem Eigentum vergleichbaren Machtstellung

124

Zur Höhe der uns überlieferten Seedarlehen aus dem 4. Jhdt. v. Chr. vgl. u. 55 ff. Dazu u. 56. 126 Vgl. nur Dem. 27.11; Isokrates, Trapezitikos, 17.4, 42; Lysias kata Diogeitonos 32.6; auch in Dem. 33 könnten Bankiers schon an dem eingangs der Rede erwähnten Seedarlehen und nicht erst an den späteren Darlehensgeschäften beteiligt gewesen sein; weitere Beispiele bei COHEN, Athenian Economy and Society, 171 ff., vgl. auch 125

ERXLEBEN 490 ff. 127

Vgl. Dem. 56.2 f.; PARTSCH, Griechisches Bürgschaftsrecht I, 83; SIEVEKING 28;

WENGER, Das Recht der Griechen und Römer, 252; vgl. auch PRINGSHEIM, The Greek law of Sale, 58 ff. 128 Im altrömischen Recht verblieb das kreditierte Geld ebenfalls im Eigentum des Darlehensgebers, vgl. KÄSER, Das altrömische lus, 287. Die historische Entwicklung von der bloßen Herstellung einer dem Eigentum vergleichbaren Machtlage zur Übertragung des Eigentums lässt sich auch in anderen Rechtssystemen beobachten, vgl. die Beispiele bei SEIDL, Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 374 ff. für das ägyptische und das ptolemäische Recht sowie SAN NICOLÒ 50 ff. für das neubabylonische Recht.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

44

(κυριεία, kyrieia ):129 Der Darlehensempfänger erhielt lediglich die Befugnis, über den Gegenstand des Darlehens rechtsgeschäftlich zu verfügen. Er wurde κύριος (kyrios), 130 konnte die Darlehensvaluta also in vollem Umfang zu Handelszwecken nutzen; Eigentum daran erwarb er hingegen nicht. Der Ursprung dieser Besonderheit liegt in dem Umstand, dass Geld in der Epoche des so genannten Tauschhandels nur ein allgemeiner Wertmesser, nicht aber allgemeines Zahlungsmittel gewesen ist. 1 3 1 Deshalb kam es für den Darlehensnehmer zunächst nur darauf an, über den entsprechenden Geldbetrag verfügen zu können. Ob er das Eigentum an dem Geld erwarb oder nicht, konnte ihm letztlich gleichgültig sein. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass sich das Eigentum des Darlehensgebers an dem fortsetzte, was der Schuldner mit dem (fremden) Geld erwarb, also demSurrogat. Entscheidend für den Eigentumserwerb beim Kauf war nämlich, mit wessen Mitteln der Kaufpeis bezahlt wurde. Dementsprechend trat dann später der Verkaufserlös an die Stelle des Erworbenen. PRINGSHEIM132 hat dieses Phänomen 1916 erstmals einer eingehenden Untersuchung unterzogen; von ihm stammt auch die heute hierfür gebräuchliche Bezeichnung „Surrogationsprinzip". Seit wann der Eigentumsübergang beim Darlehen auch im antiken griechischen Recht wesentlich ist, ist nicht nachweisbar. KOSCHAKER spricht ungenau davon, beim reinen Gelddarlehen sei „relativ früh" Eigentumsübergang anzunehmen.133 Jedenfalls beim reinen Gelddarlehen scheint die von SEIDL134 vermutete historische Entwicklung schon vor dem 4. Jhdt. v. Chr. abgeschlossen gewesen zu sein. In Bezug auf das δάνειον ναυτικόν wird dies für die Mitte des 4. Jhdt. v. Chr. durch die demosthenischen Gerichtsreden bestätigt. Es finden sich hier aber noch Auswirkungen des Surrogationsprinzips, die später zu erörtern sein werden. 135

129 Vgl. KRÄNZLEIN, Eigentum und Besitz i m griechischen Recht, 89; SAN NICOLÒ, Einiges aus den neubabylonischen Rechtsurkunden, in: SZ 49 (1929) 50 f.; SEIDL, Der

Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 374; H.J. WOLFF, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechtes, in: SZ 74 (1957) 49. 130

KRÄNZLEIN 89; zum Wortgebrauch vgl. Dem. 56.24.

131

SEIDL, Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 374. Der Kauf mit fremdem Geld, 4 ff. Rez. zu den Aufsätzen von Pierre Noailles 'Nexum' und 'Vindicta' [erschienen in

132 133

R H 1940/41, 205 ff. bzw. 1941, 1 ff.], in: SZ 63 (1943) 457 ff. 134 135

Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 374. Siehe 90 ff.

IV. Das Darlehen auf Seezins

45

2. Verwendungszweck Ein besonderes Problem bei der Betrachtung des griechischen Seedarlehens liegt in der Frage, zu welchem Zweck der Darlehensnehmer das kreditierte Geld verwenden durfte. Ein Seedarlehen diente, soviel lässt sich allgemein sagen, stets der Durchführung einer Seehandelsreise. Bereits oben wurde erwähnt, dass das Geld in der Regel zum Einkauf von Waren verwendet wurde. 136 Verfügte der Händler nicht über Bargeld in ausreichender Menge, so musste er sich um einen Kredit bemühen, denn der Kauf in der griechischen und hellenistischen Antike war Barkauf, d.h. Vertragsschluss und Leistungsaustausch fielen zusammen.137 Der Käufer erwarb das Eigentum am Kaufgegenstand also erst mit der Zahlung des (vollständigen) Kaufpreises. 138 Der Geldbedarf des Händlers konnte verschiedene Gründe haben. Zum einen kam es vor, dass sich ein Händler allgemein in finanziellen Schwierigkeiten befand, etwa nach ruinösen Verlusten aufgrund starker Preisschwankungen. 139 Aber auch ein vermögender Händler konnte Liquiditätsprobleme haben, denn der Stellenwert des Bargeldes war in der Antike ein anderer als in unserer Zeit, und man war noch stärker als heute bestrebt, sein Vermögen in Wertobjekten anzulegen.140 In solchen Fällen nahmen die Händler das Seedarlehen zur Bezahlung der Waren auf. Jedenfalls für einen Naukleros war der mit einer Seehandelsreise verbundene Finanzbedarf aber wesentlich vielschichtiger: Nicht nur zum Einkauf von Waren benötigte er Geld, sondern auch zum Unterhalt seines Schiffes. Ihm entstanden laufend Kosten für Proviant, Heuer (sofern die Mannschaft nicht aus Skla-

136

Vgl. nur Dem. 32.15 ff.; 34.11, 17; 35.10; 56.3.

137

Vgl. BISCARDI, Diritto greco antico, 139 3 1 , 151 f.; KRÄNZLEIN 77; LIPSIUS 7 4 2 2 4 1

mit Quellenangaben; PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 1 f., 48 und The Greek Law of Sale, 179 ff.; SEEDL, Rez. zu Pringsheim, The Greek Law of Sale, in: TR 20 (1952) 105 ff.; WINKEL, La vente entre les droits grec et romain, 637; a.A. ΗΟΕΉΝΚ, Quelques remarques sur la vente dans le droit grec, in: TR 9 (1929) 259 f. und SIMONETOS, Die Willensmängel in den Rechtsgeschäften nach altgriechischem Recht, in: Zur griechischen Rechtsgeschichte, 459 ff. m.w.N. 138 Vgl. das Fragment aus Theophrast, Περί συμβολαίον, das bei Stobbaios, Florilegium (Άνθολόγιον), 44.22 (ed. Wachsmuth/Hense) überliefert ist; dazu WINKEL, La vente entre les droits grec et romain, 637 f. m.w.N. 139 Insbesondere im Getreidehandel waren daraus resultierende Verluste nicht selten. Zu den enormen Schwankungen der Getreidepreisen vgl. nur Lysias kata ton Sitopolon 22.11 f., der von starken Veränderungen innerhalb eines Tages berichtet, sowie Dem. 32.25, Dem. 34.39 und Dem. 56.9. Allgemein zu den in der Antike häufigen Preisschwankungen DRAHOTA, Skizzen zur Geschichte der Preise und der Preispolitik im alten Orient und in der Antike, 89 ff und MOSSE, Der Zerfall der athenischen Demokratie, 134 f. 140

ERXLEBEN 479; DE SAINTE CROIX 42.

46

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

ven bestand141) und Instandhaltung des Schiffes. Außerdem hatte er mit Kosten für Reparaturen zu rechnen, falls sein Schiff in ein Unwetter geriet. Ob es wirtschaftlich sinnvoll war, aus diesen Gründen ein Seedarlehen aufzunehmen, soll zunächst dahingestellt bleiben. Erst ist die Frage zu beantworten, ob es grundsätzlich möglich war, ein Seedarlehen für andere Zwecke als den Einkauf von Waren zu verwenden. Seit die Wissenschaft im 19. Jhdt. begonnen hat, sich mit dem Seedarlehen der griechischen Antike zu beschäftigen, herrscht insofern Uneinigkeit. Häufig wird die Verwendung des kreditierten Geldes zu einem anderen Zweck als dem Kauf von Waren für das griechische Seedarlehen bejaht: 142 Ein Naukleros habe das kreditierte Geld auch für den Einkauf von Proviant für die Besatzung des Schiffes, 143 zur Zahlung des Mannschaftssoldes 144 oder für Reparaturmaßnahmen am Schiff 145 verwenden dürfen, falls nicht vertraglich eine bestimmte Verwendung zugesichert worden sei. Mitunter wird sogar die Ansicht vertreten, die Entscheidung über die genaue Verwendung des Darlehens habe dem Empfänger grundsätzlich freigestanden. 146 Diesem weitgefassten Verwendungszweck steht

141

Vgl. z.B. Dem. 34.10: Die Besatzung des Schiffes besteht aus Sklaven, selbst der Naukleros Lampis ist ein Sklave des Dion. 142

ASHBURNER, The Rhodian Sea-Law, 210; BILLETER 34 f.; HÖCKMANN 171 ff.;

HUVELIN, Études d'histoire du droit commercial romain, 196; JHERING, Das angebliche gesetzliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, in: Jher. Jahrb. IX (1881) 6 f.; ISAGER/HANSEN 74: „for the outfitting of a ship or the purchase of wares"; KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2202; KNORRINGA 92; KRÄNZLEIN 89 ff.; LITEWSKI 117, 123; MATTHIASS 17 ff.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du

commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 345 ff.; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2040 f.; SEIDL, Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 377; DE VRIES, De foenoris nautici contractu iure attico, 20; vgl. auch COHEN, Athenian Economy and Society, 161 ff. ("there is not the slightest indication that the parties had not been free, regarding commercial terms, to arrange their loan relationships as they wished") und KNÜTEL, Stipulatio poenae, 39 („vor allem zum Einkauf von Waren"). 143

KNORRINGA 92; KRÄNZLEIN 91; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du com-

merce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 345; SEIDL, Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 377. 144

Vgl. ASHBURNER, The Rhodian Sea-Law, 210; BILLETER 34 f.; KNORRINGA 92.

145

ASHBURNER, The Rhodian Sea-Law, 210; ENDEMANN, Das Wesen des Versicherungsgeschäftes, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht IX (1866) 291; HÖCKMANN 172; MATTHIASS 17; SCHRÖDER, Die Bodmerei, in: Endemann's Handbuch

des Deutschen Handels-, See- und Wechselrechts IV, 236; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2041. 146 KLEINSCHMIDT 10 ff.; KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2202 („gleichgültig..., wie der Gläubiger mit dem Geld verfuhr"); MATTHIASS 17 („zur Bestreitung jeglicher Anforderungen der Seefahrt"); ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 346; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2041 („Der Schuldner kann ... das geliehene Geld ... verwenden, wie er will").

IV. Das Darlehen auf Seezins

47

eine eher restriktive Ansicht gegenüber, die als Verwendungszweck nur den Einkauf von Waren annimmt. 147 Andere Autoren wiederum enthalten sich einer Aussage zur genauen Verwendung des kreditierten Geldes gänzlich oder sprechen nur vage von der Darlehensgewährung für Zwecke des Seehandels.148 Eine Begründung für die jeweilige Ansicht findet sich dabei nur selten, was verwundert, denn die Frage nach dem Verwendungszweck lässt sich nach einer kritischen Untersuchung der Quellen durchaus beantworten. Festzuhalten ist zunächst, dass die Quellen eine positive Aussage darüber, zu welchem Zweck ein Seedarlehen im 4. Jhdt. v. Chr. verwendet werden konnte, nicht enthalten. Wir sind daher auch an dieser Stelle auf die Analyse der in den Gerichtsreden überlieferten Fälle des Seedarlehens beschränkt. Dabei fällt zunächst auf, dass sich ausdrückliche Angaben zur Verwendung des kreditierten Geldes eher selten finden. Verschiedenen Andeutungen und Hinweisen zum Verwendungszweck gebührt daher besondere Aufmerksamkeit. In den meisten Fällen dient das Geld der Beschaffung von Waren. 149 Für die Reparatur eines Schiffes oder zum Einkauf von Proviant o.ä. wird das kreditierte Geld an keiner der uns bekannten Stellen verwendet. Aber in der Rede des Demosthenes gegen Polykles (Dem. 50) findet sich ein Seedarlehen, das möglicherweise für die Zahlung des Mannschaftssoldes verwendet wird: Der in finanzielle Schwierigkeiten geratene Trierarch Apollodor ist schon seit mehreren Monaten nicht mehr in der Lage, seiner Besatzung den Sold auszuzahlen.150 Bereits seit acht Monaten hat er von den Strategen kein Geld mehr erhalten. 151 Um

147 MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 36; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 4 ff.; SIEVEKING 9; SPITTA, Die geschichtliche Entwicklung des foenus nauticum, 15 ff.; in diesem Sinne wohl auch VÉLISSAROPOULOS 301 ff. 148 BISCARDI, Diritto greco antico, 156 („affinchè egli se ne servisse per operazioni commerciali"); BÖCKH 166 ff.; J.G. GOLDSCHMIDT, De nautico foenore, 15 („maritimae expeditionis gratia"); LIPSIUS 721 ff.; MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het Nautikon daneisma te Athene, 158 („het nodige kapitaal voor hun handelsondernemingen"); SCHMITZ, DNP Vili (2000), s.v. Nautikon daneion, 759 f. äußert sich überhaupt nicht zum Verwendungszweck. 149 Vgl. nur Dem. 35.10 ff.: Der Wein, auf den geliehen wird, muss erst noch gekauft werden; Dem. 32.14, 15, 26: Demon leiht Protos Geld zum Kauf von Getreide in Syrakus. SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045 nimmt an, der Normalfall habe darin bestanden, dass der Händler die Waren aus eigenen Mitteln gekauft und erst anschließend ein Darlehen in Höhe des Warenwertes aufgenommen habe, wie es beispielsweise in Dem. 32.4 zum Ausdruck kommt. Auch wenn er selbst zugibt, dass sich für diese These keinerlei Anhaltspunkte in den Quellen finden, so mag sie doch für Händler gelten, die über eigenes Kapital verfügten und primär an der Risikoübernahme durch den Geldgeber interessiert waren, vgl. u. 74 ff. 150 Vgl. Dem. 50.14. Vgl. Dem. 5 . 2 .

48

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

zu vermeiden, dass noch mehr Besatzungsangehörige desertieren, 152 bemüht er sich um (weitere) Darlehen. Dem. pros Polyklea 50.17: ... δανεισάμενος έγώ αργύριο ν παρ' Αρχεδήμου μέν του Άναφλυστίου πεντεκαίδεκα μνας έπίτοκον, όκτακοσίας δε δραχμας παρά Νικίππου του ναυκλήρου ναυτικόν άνειλόμην, δς ετυχεν ών έν Σηστφ, έπόγδοον, σωθέντος δέ του πλοίου Άθήναζε άποδοΰναι αυτό και τους τόκους, ... ... ich habe mir von Archedemos aus Anaphlystos Geld im Wert von 15 Minen gegen Zinsen geliehen, von dem Naukleros Nikippos, der sich in der Tat in Sestos aufhielt, nahm ich 800 Drachmen als Seedarlehen auf gegen 1/8 vom Kapital als Zinsen, zurückzuzahlen nebst Zinsen, falls das Schiff wohlbehalten in Athen ankommt,... Jedenfalls bei dem zwischen Apollodor und Nikippos geschlossenen Vertrag handelt es sich ganz offensichtlich um ein Seedarlehen. 153 Das Geschäft wird als Seedarlehen (ναυτικόν) bezeichnet. Auch findet sich die Bedingimg der glücklichen Ankunft im Zielhafen (Athen). 154 Problematisch ist jedoch, dass es hierbei anscheinend nicht um die Ankunft der von Apollodor geführten Staatstriere geht. Diese Triere und auch andere Kriegsschiffe werden in der gesamten Rede (wie auch in anderen Quellen 155 ) als ναϋς (naùs) bezeichnet; 156 πλοίο ν (ploion) aber ist ein Handelsschiff von runder Bauart. 157 Dass wir über die geplante Fahrt der Triere nach Athen nichts erfahren, ist indes durchaus verständlich, denn Apollodor beabsichtigte ja gerade, das Kommando über die Triere in Sestos an seinen Nachfolger Polykles zu übergeben. 158

152

Zu diesem Zeitpunkt ist dem Trierarchen bereits ein beträchtlicher Teil der Besatzung, angezogen von den lukrativen Angeboten anderer Seemächte, abhanden gekommen, vgl. Dem. 50.14. 153

So auch BILLETER 33 ff.; BOGAERT, Banques et Banquiers dans les Cités grecques,

3 7 3 4 0 8 ; BÖCKH 167 A ; COHEN, Athenian Economy and Society, 55, 163 f.; DARESTE, D u

prêt à la grosse chez les Athéniens, 9; HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 34;

KLEINSCHMIDT 7; KNORRINGA 93; LIPSIUS 7 2 2 1 6 7 ; MATTHIASS 4 2 2 ; SCHWAHN, R E X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ι κ ό ς τόκος, 2034 f.; SIEVEKING 19 f.; DE SAINTE CROIX 50 f. 154

PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 18 ff. hat sich dennoch bemüht, die Gewährung eines Seedarlehens durch Nikippos zu widerlegen; vgl. auch ERXLEBEN 471; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 37 ff. 155 Vgl. nur Dem. 21.160, 164, 168: Das in § 160 als τριήρη (triére) bezeichnete Kriegsschiff wird nachfolgend wiederholt ναΰς (naùs) genannt. 156 Vgl. Dem. 50.4, 6, 7, 10, 12, 14, 20, 21, 22, 23 etc.; zwar werden auch Handelsschiffe immer wieder allgemein ναΰς (naùs) genannt, vgl. z.B. Dem. 32.9, 11; 35.33 f.; 56.3, 9, 20; für Kriegsschiffe aber steht nur ganz vereinzelt μακρόν πλοίον (makrón ploion), nicht aber das einfache πλοίοη (ploion)> vgl. Dem. 58.55; Herodot, Historien, 5.30; Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 1.14.1; Piaton, Politikos, 298 d. 157 PASSOW, Handwörterbuch der griechischen Spräche II.L, 961; vgl. auch Dem. 35.11, 19, 20; 50.6, 17, 19; 56.24, 25; Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 8.11 f.; Herodot, Historien, 6.48. 158 Vgl. Dem. 50.14, 17.

IV. Das Darlehen auf Seezins

49

Entscheidend für die Rückzahlungsverpflichtung aus dem Seedarlehen, von dem in Dem. 50.17 die Rede ist, muss daher tatsächlich die glückliche Ankunft des dem Nikippos gehörenden Handelsschiffes in Athen gewesen sein. 159 Das macht durchaus Sinn, wenn man unterstellt, dass Apollodor beabsichtigte, an Bord dieses Schiffes nach Athen zurückzureisen. 160 Zu welchem Zweck das Seedarlehen verwendet wurde, kann allerdings nur vermutet werden. Zwar erwähnt Apollodor das Seedarlehen unmittelbar im Anschluss an die Feststellung, er habe den Befehl zum Auslaufen in Richtung Hieron erhalten, nicht aber Geld für die Zahlung des Soldes. Ob er die 800 Drachmen jedoch tatsächlich zur Soldzahlung verwendet hat, wissen wir nicht. 161 Angesichts der erheblichen Liquiditätsprobleme könnte Apollodor theoretisch auch geplant haben, bei seiner Reise nach Athen Waren mitzuführen, um diese im Piräus gewinnbringend zu verkaufen. Auch dies ist allerdings Spekulation. Eindeutige Schlüsse zum Verwendungszweck lassen sich aus Dem. 50.17 nicht ziehen. In Dem 35.22 f. erfahren wir von einem Seedarlehen, das ein gewisser Aratos aus Halikarnassos dem Emporos Apollodor unter Verpfändung der bereits an Bord befindlichen Waren gewährt hat. 162 Von der Verpflichtung zum Kauf (weiterer) Waren ist nicht die Rede. Ganz offensichtlich hat Apollodor mit dem kreditierten Geld auch keine Waren beschafft. Denn sonst hätten dem Aratos diese Waren als Sicherheit gehaftet, 163 und Apollodor hätte somit keine Veranlassung zu der vertragswidrigen und deshalb mit schweren Strafen belegten Doppelverpfändung gehabt, die man ihm nun vorwirft. 164 Es ist also gut möglich, dass er das Geld zu einem anderen Zweck benötigte. Ebenso verhält es sich in Dem. 34.22: Auch Phormion hat die dem Chrysippos verpfändeten Waren als Sicherheit für ein weiteres Seedarlehen (vertragswidrig) erneut verpfändet; von dem kreditierten Geld wurden auch hier offensichtlich keine Waren gekauft. Auch die betrügerischen Massalioten Hegestratos und Zenothemis, die bemüht sind, in Syrakus möglichst viele Seedarlehen aufzunehmen, weisen stets auf eine Getreideladung hin, die sich bereits im Schiff des Hegestratos befindet 159

So auch GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils III, 435 und LIPSIUS 722 167 . Weitere Deutungsversuche bei LIPSIUS 722 167 ; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 18 ff.; vgl. auch PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 37 ff. 161 Dennoch wird die Textstelle zum Beleg für die Verwendung eines Seedarlehens für die Zahlung des Mannschaftssoldes herangezogen, vgl. o. 46 144 . 162 Zwar wird das Geschäft nicht als solches benannt, die beschriebenen Umstände lassen jedoch keinen anderen Schluss zu, vgl. auch GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1881. 163 Dies ergibt sich beim griechischen Seedarlehen aus dem Surrogationsgedanken, vgl. u. 90 ff. 164 Zu den Strafen bei Verstößen gegen die vertraglichen Vereinbarungen vgl. u. 123 ff. 160

50

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

und angeblich ihnen gehört. 165 Die Betrüger scheinen mit ihren Gläubigern vereinbart zu haben, dass dieses Getreide als Sicherheit haften soll. 1 6 6 Dennoch macht Demon, der Sprecher der Rede gegen Zenothemis, den beiden den Vorwurf, keine Waren an Bord geschafft zu haben. 167 Es ist aber völlig unklar, ob sich die beiden Massalioten gegenüber den Geldgebern aus Syrakus zum Einkauf von Waren verpflichtet haben. Demon könnte auch bestrebt sein, die vor Gericht nicht anwesenden Händler 168 in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Tatsache, dass anscheinend das bereits an Bord befindliche Getreide verpfändet wurde, spricht eher gegen die Verpflichtung zum Kauf von Waren; an diesen wäre den Gläubigern nämlich ohne weiteres Zutun ein Pfandrecht entstanden.169 Genauso wenig erfahren wir in der Rede gegen Dionysodor (Dem 56) etwas über die Verwendung des kreditierten Geldes. Mit keinem Wort geht der Kläger auf eine mögliche Verpflichtung der Händler zum Kauf von Waren ein, und es ist unklar, mit welchem Geld das an Bord befindliche Getreide bezahlt worden ist. Die genaue Verwendung dürfte den Geldgebern hier ohnehin gleichgültig gewesen sein: Die Vereinbarungen sahen vor, dass das Schiff des Dionysodor als Sicherheit für die Forderungen der Geldgeber haften soll. 1 7 0 A m Kauf von Waren bestand daher unter diesem Gesichtspunkt kein Interesse mehr. Gerade das Pfandrecht an den von dem kreditierten Geld gekauften Waren scheint also häufig der Grund dafür gewesen sein, dass sich die Geldgeber den Kauf von Waren vertraglich zusichern ließen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Umfang der uns überlieferten Zusicherungen, d.h. ob der Kauf von Waren als solcher vertraglich zugesichert wird, oder ob lediglich präzisiert wird, welche Waren zu beschaffen sind. Nur der erste Fall würde argumentum e contrario - Raum für die Annahme lassen, dass die Parteien die Verwendung des Geldes auch anders regeln konnten, und die Händler (bei Feh-

165 Vgl. Dem. 32.4; dass vielmehr Protos das Getreide mit dem von Demon auf Seezins geliehenen Geld erworben hat, ergibt sich aus § 18 der Rede. 166 Vgl. Dem. 32.12, 30; CASSON, Die Seefahrer der Antike, 181 f.; GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1133; MITTEIS, Romanistische Papyrusstudien, in: SZ 23 (1902) 289; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 123; ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 50. 167 Vgl. Dem. 32.5, 12. 168 Dem. 32.6: Hegestratos ist auf See ums Leben gekommen; Dem. 32.19: Protos hat sich der Gerichtsverhandlung in Athen durch Flucht entzogen. 169 Vgl. u. 90 ff. 170 Vgl. Dem. 56.3; das erklärt im Übrigen auch, warum der gegen die Beklagten gerichtete Vorwurf, von der vereinbarten Reiseroute (Άθήενηθεν είς Αΐγυπτον καί έξ Αιγύπτου Άθήναζε - „von Athen nach Ägypten und von Ägypten nach Athen", vgl. §36) abgewichen zu sein (Dionysodor und sein Partner Parmeniskos haben ihre Handelsreise bereits auf Rhodos beendet, anstatt nach Athen zurückzukehren, vgl. §§20 ff.), so schwer wiegt: Die Gläubiger waren dadurch am Zugriff auf das Pfandobjekt bzw. an der Pfandverwertung gehindert.

IV. Das Darlehen auf Seezins

51

len einer entsprechenden Vereinbarung) ggf. sogar frei über das kreditierte Geld verfugen konnten. Betrachten wir zunächst die Rede des Demosthenes gegen Phormion (Dem. 34): Immer wieder betont der Sprecher die vertragliche Verpflichtung des Darlehensnehmers, von dem kreditierten Geld Waren zu kaufen. 171 An keiner Stelle aber ist von bestimmten Waren die Rede. Anscheinend steht dem Händler die Auswahl unter den Angeboten des Marktes in Athen bzw. auf der Krim frei; es scheint lediglich vereinbart worden zu sein, dass überhaupt Waren gekauft werden müssen. Der wiederholte Hinweis auf die vertraglichen Abreden erlaubt die Vermutung, dass die Festlegung des Verwendungszwecks im Ermessen der Parteien stand. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die in der Rede gegen Lakritos (Dem. 35) enthaltene Vertragsurkunde. 172 Auch hier, in der einzigen Seedarlehensurkunde, die uns aus dem 4. Jhdt. v. Chr. überliefert ist, wird die Verpflichtung, Waren zu kaufen, offensichtlich erst statuiert. Während die im Pontos zu erwerbende Rückfracht nicht näher bestimmt wird, 1 7 3 sieht die Syngraphe für die Hinfahrt den Kauf von 3 000 Amphoren mendäischen Weines vor. Diese sind nicht im Piräus, sondern bei einem Zwischenstopp in Mende oder Skione zu besorgen, 174 wobei davon auszugehen ist, dass das kreditierte Geld zur Bezahlung des Weines verwendet werden soll. Die Gründe für die genaue Bezeichnung der zu kaufenden Waren liegen auf der Hand: Den Darlehensgebern, Androkles aus Athen und Nikostratos von Euböa, geht es in erster Linie um die Hypotheke an dem Wein, denn die 3 000 Amphoren mendäischen Weines (im Wert von 6 000 Drachmen 175 ), die in Mende oder Skione zu bunkern sind, haften als Sicherheit für das Seedarlehen i.H.v. 3 000 Drachmen. Die Vereinbarung einer Hypotheke an Waren von doppeltem Wert wird zwar in § 18 der Rede ausdrücklich erwähnt, nicht aber in der Vertragsurkunde; dort ergibt sie sich nur aus der Mengenangabe, denn offensichtlich haben die Parteien einen Kaufpreis von 2 Drachmen pro Amphore vorausgesetzt.176

171

Vgl. Dem. 34.9,11,17, 20, 22. Abgedruckt u. 133 ff; dort auch ausführlich zur Seedarlehensurkunde (ναυτική συγγραφή, nautiké syngraphé ). 173 Vgl. Dem. 35.11, 24, 25, 37; die Darlehensnehmer behaupten, vom Erlös der Hinfracht auf der Krim Gepökeltes, Wein aus Kos und andere Lebensmittel erworben zu haben (§31), was die Gläubiger - wohl nicht ohne Grund - bezweifeln, vgl. § 35. 174 Vgl. Dem. 35.10. 175 Vgl. Dem. 35.18. 176 Dies entspricht, wenn man von einer durchschnittlichen Amphorengröße von ca. 25 Litern ausgeht, in etwa dem in Dem. 42.20, 31 genannten Preis von 4 Drachmen für einen Metretes (39,5 Liter) Wein. 172

52

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Händler die von ihm zu transportierenden Waren in der Regel im Ausgangshafen kaufte. Der Darlehensgeber konnte so ohne weiteres überwachen, ob tatsächlich Waren an Bord gebracht wurden. 177 War die Auswahl der Waren dem Händler überlassen, so erfuhr er spätestens bei Gelegenheit der Verladung auch, welche Waren ihm als Sicherheit hafteten - sofern ihn dies überhaupt interessierte. 178 In der Rede gegen Lakritos (Dem 35) aber liegt der Fall anders, denn die phaselitischen Händler Artemon und Apollodor witterten das große Geschäft mit mendäischem Wein, den sie auf der Krim verkaufen wollten. Dies war auch den Darlehensgebern bekannt. Hier musste es daher nahe liegen, dem Bedürfiiis der Darlehensgeber nach einer zusätzlichen Sicherheit Rechnung zu tragen, indem sich einerseits die Darlehensnehmer zum Einkauf von Wein im doppelten Wert des Darlehens verpflichteten, und die Parteien andererseits eine Hypotheke an der gesamten Weinmenge vereinbarten. Deshalb werden hier die zu kaufenden Waren ausdrücklich erwähnt. Wertvolle Hinweise in Bezug auf den Verwendungszweck birgt die Rede gegen Lakritos auch an anderer Stelle: Dem. pros Lakriton 35.38: Πότερον, ώ άνδρες δικασταί, δανείζειν κελεύει τούτους ή συγγραφή τα ημέτερα, και ταΰτα άνθρώπω ον ήμεϊς οΰτε γιγνώσκομεν ούθ' έοράκαμεν πώποτε, ή άντιφορτισαμένους κομίσαι Άθήναζε και φανερά ποιήσαι ήμιν και άνέπαφα παρέχειν. Was, hohes Gericht, schreibt der Vertrag diesen beiden vor: Das Unsrige zu verleihen, und zwar einem Menschen, den wir weder kennen noch jemals gesehen haben, oder nach Wiederbeladung des Schiffes nach Athen zu reisen und uns das Pfand offen zu machen und ohne Belastungen darzubieten? Die rhetorische Frage, was der Vertrag denn vorschreibe, nämlich das kreditierte Geld weiterzuverleihen oder Waren einzukaufen, ist bemerkenswert. Immerhin scheint der Sprecher das Weiterverleihen des Geldes nicht per se als gesetzwidrig oder den Handelsbräuchen widersprechend und daher unzulässig anzusehen. Das Verhalten der Schuldner wird vielmehr als vertragswidrig angeprangert. Zuvor (§ 37) betont der Sprecher sogar ausdrücklich, dass das Weiterverleihen des auf Seezins kreditierten Geldes allenfalls mit seiner Erlaubnis in Frage käme. 179 Auch an anderer Stelle tritt die entscheidende Rolle der vertrag-

177

Vgl. z.B. Dem. 34.5; Dem. 35.33; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 358; DE VRIES 56 f. 178 Darauf, dass ein Händler keine schlecht verkäufliche oder hochspekulative Ware erwarb, konnte der Darlehensgeber sich in der Regel schon deshalb verlassen, weil die Händler selbst an sicheren Gewinnen interessiert waren. 179 Vgl. auch Dem. 56.16 f.: Dionysodor hat das kreditierte Geld auf Seezins weiterverliehen; dazu SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2040.

IV. Das Darlehen auf Seezins

53

liehen Abreden hinsichtlich der Verwendung des kreditierten Geldes deutlich hervor: Dem. pros Lakriton 35.43: ...ή ώς δει αλλο τι χρήσασθαι τοις χρήμασιν ή έφ' οΐς ελαβον κατά την σγγραφήν. ... oder ob das Geld für etwas anderes verwendet werden darf als für den Zweck, für den sie es gemäß der Seedarlehensurkunden aufnahmen. Wenn aber die Verbindlichkeit der Vertragsbestimmungen bezüglich der Darlehensverwendung und sogar deren Vorrang vor dem Gesetz immer wieder betont wird, 1 8 0 muss dem Sprecher die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des kreditierten Geldes vertraut gewesen sein. Dazu passt, dass sich Anhaltspunkte für einen aus Gesetz oder Handelsbrauch resultierenden ausschließlichen Verwendungszweck, nämlich den Einkauf von Waren, in den Quellen des 4. Jhdts. v. Chr. nicht finden. Ebenso wenig gibt es den geringsten Hinweis darauf, dass die Parteien bei der konkreten Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen nicht völlig frei gewesen wären. 181 Das wiederholte Fehlen jedweder Angaben zur Verwendung des kreditierten Geldes erlaubt daher die Feststellung, dass in Fällen, in denen überhaupt keine Vereinbarung bezüglich der Verwendung getroffen wurde, der Darlehensnehmer frei entscheiden konnte, zu welchem Zweck er das Geld gebrauchen wollte: Sei es zum Ankauf von Waren oder Proviant, sei es zur Reparatur des Schiffes oder zur Zahlung der Heuer. Unter Umständen war dem Händler sogar bereits damit gedient, das Geld an Land zu deponieren. 182 Allen Verträgen war gemeinsam, dass das Seedarlehen nur im Falle der glücklichen Beendigung der Handelsunternehmung mitsamt der Zinsen zurückzuzahlen war. 183 Hatten die Geldgeber ein besonderes Interesse an der Verwendung des Geldes, so ließen sie sich einen bestimmten Verwendungszweck vertraglich zusichern. Derartige Vereinbarungen dürften zumeist im Zusammenhang mit dem Wunsch der Geldgeber nach besonders wertbeständigen oder über die Höhe des Darlehens hinausgehenden Sicherheiten 184 gestanden haben.

180

Vgl. Dem. 35.13,39,43. COHEN, A Study in Contrast: „Maritime Loans" and „Landed Loans" at Athens, 59; zu beachten waren lediglich die gesetzlichen Beschränkungen, die in den griechischen Staaten zum Schutz der Wirtschaft und zur Sicherung der Getreideversorgung galten, vgl. u. 162 ff. 182 Diese Möglichkeit ist vor dem Hintergrund der versicherungsähnlichen Funktion des Seedarlehens zu sehen, kommt aber nur in Frage, wenn der Händler zuvor bereits mit eigenem Geld Waren erworben hat, die dem Gläubiger verpfändet werden, vgl. u. 74 ff. 183 Vgl. u. 57 ff. 184 Dazu u. 75 ff. 181

54

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Ein anderes Ergebnis würde nicht zuletzt den hohen Stellenwert, der dem Parteiwillen im wenig formalistischen griechischen Recht zukam, außer Acht lassen. Den Griechen ausgerechnet an dieser Stelle mangelnde Beweglichkeit oder gar Primitivismus vorzuwerfen, wäre verfehlt, zumal die Praxis auch an anderer Stelle - entsprechend der überragenden wirtschaftlichen Bedeutung des Seehandels185 - freiere Regelungen der Rechtsverhältnisse herbeigeführt hat, als dies nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen möglich gewesen wäre. 186 War der Verwendungszweck demnach dispositiv, so wurde dadurch eine flexible, den Bedürfnissen der Kaufleute entsprechende Handhabung des Rechtsinsitutes erst möglich. Zu guter Letzt stellt sich die Frage, unter welchen Umständen die Verwendung eines Seedarlehens für andere Zwecke als den Einkauf von Waren überhaupt wirtschaftlich sinnvoll war. Befand sich ein Naukleros in einem finanziellen Engpass, so hätte er für die Reparatur des Schiffes, zum Einkauf von Proviant oder zur Zahlung der Heuer grundsätzlich auch ein gewöhnliches Darlehen (δάνειον, dâneion) aufnehmen können. Ein solches wurde in der Regel mit 12% p.a. verzinst und mag daher auf den ersten Blick weitaus günstiger erscheinen als ein Seedarlehen, für das im Einzelfall auf das Jahr hochgerechnet bis zu 180% anfallen konnten. 187 Aber ein gewöhnliches Darlehen hätte auch nach dem Untergang des Schiffes zurückgezahlt werden müssen, was die Lage des in diesem Fall ohnehin finanziell schwer getroffenen Naukleros weiter verschlechtert hätte: Der Untergang bedeutete für ihn nämlich nicht nur einen Gewinnausfall, sondern ihn traf neben dem Verlust seines Schiffes auch der Ausfall der Frachtgebühren, die er nur bei glücklicher Beendigung der Seereise von den mitreisenden Emporoi verlangen konnte. Die Wahrscheinlichkeit eines Schiffsverlustes aber war in der Antike groß. 188 Das Interesse der Naukleroi musste daher darauf gerichtet sein, das für sie deutlich erhöhte finanzielle Risiko abzumildern. Die Aufnahme eines Seedarlehens für den Unterhalt des Schiffes war insofern ein naheliegendes Mittel. Zwar fehlte dem Geschäft dann der sonst so typische produktive Charakter, denn das kreditierte Geld wurde nicht zur Gewinnerzielung verwendet, aber ein Naukleros dürfte in der Regel mehrere Seedarlehen pro Fahrt aufgenommen haben. Bei glücklicher Beendigung der Handelsreise konnte er dann aufgrund seiner Handelsgeschäfte regelmäßig einen ordentlichen Gewinn verzeichnen und hatte außerdem Einkünfte aus den mit den Emporoi abgeschlossenen Seefrachtverträgen. Die Zahlung erhöhter Zinsen für das zu anderem Zwecke als den Einkauf 185

Dazu u. 179 ff. Vgl. COHEN, Athenian Economy and Society, 160 ff., PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 105 ff. 187 Zu den Zinssätzen beim giechischen Seedarlehen vgl. u. 81 ff. 188 Siehe u. 69 ff. 186

IV. Das Darlehen auf Seezins

55

von Waren verwendete Seedarlehen war in diesem Fall kein Problem Unter dem Strich blieb dem Naukleros dann stets ein sicherer Gewinn. Ging das Schiff aber verloren, so wurde der Verlust des Schiffes (wenigstens teilweise) kompensiert, denn die Kosten für die vorangegangene Reparatur des Schiffes etc. waren dem Naukleros ohnehin bereits entstanden; nun aber trug diese Kosten der Darlehensgeber.

3. Höhe Die Höhe der uns aus dem 4. Jhdt. v. Chr. überlieferten Seedarlehen liegt zwischen 800 und 4 500 Drachmen. Vgl. z.B. Dem. 34.6: Chrysippos und dessen Bruder haben Phormion ein Seedarlehen i.H.v. 20 Minen, also 2 000 Drachmen, gewährt, der Naukleros Lampis i.H.v. 1 000 und der Phönizier Theodoros sogar i.H.v. 4 500 Drachmen; Dem. 35.10 ff.: Artemon und Apollodor haben von Androkles und Nausikrates 3 000 Drachmen empfangen; Dem. 50.17: Apollodor hat gegen Seezinsen bei Nikippos ein Darlehen von 800 Drachmen aufgenommen; Dem 56.3: Das Seedarlehen, das Pamphilos und sein Teilhaber dem Dionysodor und seinem Teilhaber für die Fahrt nach Ägypten gewähren, beläuft sich auf 3 000 Drachmen.189 Vergleicht man diese Beträge beispielsweise mit dem Kaufpreis für ein respektables Stadthaus (zwischen 2 000 und 3 000 Drachmen 190 ) oder aber den Lebenshaltungskosten im antiken Griechenland, 191 so lässt sich bereits erahnen, dass es hier um Handelsgeschäfte großen Stils ging. Noch beeindruckender war der Wert der gesamten Schiffsladung: Da sich in der Regel mehrere Händler an Bord eines Schiffes befanden 192 und jeder Händler nicht selten mehrere Seedarlehen zum Einkauf von Waren aufgenommen 189

190

Vollständige Übersicht bei ERXLEBEN 462 ff, DE SAINTE CROIX 43 ff.

Vgl. z.B. Dem. 31.1; Dem. 27.10. 392 v. Chr. kostete der Medimnos (52,5 Liter) Weizen in Athen 3 Drachmen, vgl. Aristophanes, Versammlung der Frauen, 547; 328 v. Chr., in Zeiten großer Getreideknappheit, schnellte der Preis von 5 auf 16 Drachmen, vgl. Dem. 34.39; der Preis für einen Metretes (39,5 Liter) Wein wird in Dem. 42.20, 31 mit 4 Drachmen angegeben (um 330 v. Chr.). Ein bescheidenes Häuschen kostete in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. ca. 300 Drachmen (Isaios 2.35), ein Wohnhaus zwischen 2 000 und 3 000 Drachmen, vgl. z.B. Dem. 9.39. Bei Xenophon, Memorabilia, 2.5.2 erfahren wir, dass ein Sklave um die 200 Drachmen wert war, war er geschulter Handwerker, so schlug er z.Zt. des Demosthenes mit bis zu 1 000 Drachmen zu Buche. Der Tageslohn für einen Handwerker betrug eine Drachme; ein Jahreseinkommen von 360 Drachmen reichte, um eine Familie zu ernähren, vgl. die Aufstellung bei BÖCKH, Die Staatshaushaltung der Athener I, 141 ff. Nicht zitierte Quellen bei BUSOLT, Griechische Staatskunde I, 195 ff, weitere Preisangaben bei BÖCKH 79 ff; zu den Getreidepreisen in Griechenland vgl. auch DRAHOTA, Skizzen zur Geschichte der Preise und der Preispolitik im alten Orient und in der Antike, 88 ff m.w.N. und MossÉ, La fin de la démocratie Athénienne, 603. 192 Siehe ο. 31 f. 191

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

56

hatte, betrug der Gesamtwert regelmäßig ein Vielfaches der vorgenannten Darlehensbeträge: Der höchste uns überlieferte Wert einer Schiffsladung beläuft sich auf 9 Talente, 30 Minen ( = 57 000 Drachmen). 193 Lysias kata Diogeitonos 32.25 erwähnt eine Schiffsladung im Wert von 2 Talenten ( = 12 000 Drachmen); diese Angaben erscheinen auch vor dem Hintergrund der Ladekapazität antiker Handelsschiffe durchaus realistisch: Wir wissen von kleinen Küstenfrachtern, die nur ungefähr 13 t Ladung befördern konnten,194 aber auch von dem riesigen Getreidetransporter Hierons II. („Syrakusia", später „Alexandreia"), der möglicherweise bis zu 1 700 t Ladung an Bord nehmen konnte.195 Ein Frachter von durchschnittlicher Größe (Länge 20 - 25 m; Breite 7 - 8 m) dürfte eine Tragfähigkeit zwischen 80 und 1401 gehabt haben.196 Zwar war die Ladung antiker Handelsschiffe in der Regel bunt gemischt,197 nimmt man jedoch zur Verdeutlichung an, die in der Rede gegen Diogeitonos erwähnte Ladung im Wert von 12 000 Drachmen habe aus Weizen bestanden, so ergäbe sich bei einem Preis von 5 Drachmen pro Medimnos eine Gesamtladung von 2 400 Medimnoi, also 126 000 Litem oder 126 cbm; das sind angesichts des für Weizen anzusetzenden Gewichts von ca. 0,66 kg / Liter ungefähr 83 t. 1 9 8 Kein Geldgeber war bereit bzw. in der Lage, eine derartige Summe zur Verfügung zu stellen, denn der Untergang des Schiffes hätte in diesem Fall selbst für einen sehr vermögenden Geldgeber in der Regel den wirtschaftlichen Ruin bedeutet.199 Die Beteiligung mehrerer Geldgeber an der Finanzierung einer Handelsreise war daher eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Ohnehin waren die Geldgeber bestrebt, das mit dem Untergang eines Schiffes verbundene finanzielle Risiko zu minimieren, weshalb sie es vorzogen, unterschiedliche Handels-

193

Vgl. Dem. 24.11. Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 4.118.5. 195 Eine von Moschion stammende Beschreibung ist überliefert bei Athenaios, Das Gelehrtenmahl, 5.40 ff.; danach betrug die Ladekapazität des Schiffes 60 000 Medimnoi Getreide, 10 000 Amphoren Salzfisch, 20 000 Talente Wolle und 20 000 Talente weiteres Ladegut. 196 Das haben die unterwasserarchäologischen Forschungen bestätigt, vgl. die Auswertung der antiken Schiffswracks bei PARKER, Ancient Shipwrecks of the Mediterranean & the Roman Provinces, 39 ff.; vgl. auch HÖCKMANN 52 ff.; ROUGÉ, La marine dans l'Antiquité, 77 ff.; VÉLISSAROPOULOS 61 ff. m.w.N. 197 Siehe u. 201 146 . 198 Ausführliche Informationen über die Handelsschiffe der Griechen in der Antike bei CASSON, The Isis and her voyage, in: TAPhA LXXI (1950) 43 ff; HAUSEN, Schiffbau in der Antike, 145 ff.; HÖCKMANN 52 ff.; KÖSTER, Das antike Seewesen, 158 ff.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 47 ff.; VÉLISSAROPOULOS 58 ff. 199 Mit einem Privatvermögen von 10 Talenten galt man im 4. Jhdt. v. Chr. in Athen als sehr reich, vgl. Xenophon, Οικονομικός („Gespräch über die Haushaltsführung") 2.3 ff., Lysias pros to Demision 19.45 ff., Isaios 5.35; eine derartige Summe zu verlieren, konnte niemand riskieren. 194

IV. Das Darlehen auf Seezins

57

reisen jeweils anteilig zu unterstützen. 200 Selbst bei den Banken war dies die übliche Praxis. 201 Nur so war es unter dem Strich möglich, durch die Vergabe von Seedarlehen einen Gewinn zu erzielen. 202 Die risikoverteilende Funktion des Seedarlehens tritt an dieser Stelle besonders deutlich hervor. Zwar hätte sich grundsätzlich auch ein einzelner Händler um die zur Durchführung einer Handelsreise erforderlichen Kredite bemühen können, Voraussetzung für die Gewährung eines Seedarlehens war aber ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien. 203 Vermutlich war es deshalb einfacher, wenn unterschiedliche Händler ihre Kontakte nutzten. Im Übrigen war die große Zahl der Emporoi zwingend auf die Mitfahrt auf dem Schiff eines Naukleros angewiesen, so dass sich die Mehrzahl von Darlehensnehmern und Darlehensgebern, die in der Regel Anteil an der Reise eines Handelsschiffes hatten, nicht zuletzt aus diesem Umstand ergab.

4. Bestand und Fälligkeit der Ansprüche des Gläubigers a) Das Erfordernis

der glücklichen Beendigung der Seereise

Die Ansprüche des Gläubigers auf Rückzahlung des Darlehens und Zahlung der vereinbarten Zinsen standen unter dem Vorbehalt der glücklichen Beendigung der Seereise. 204 In den Quellen ist dieses Kriterium zumeist gleichbedeutend mit der wohlbehaltenen Ankunft des Schiffes im Bestimmungshafen, die in einer Zeit, zu der die Seefahrt vielfältige Gefahren barg, keine Selbstverständlichkeit war. 205

200

So auch COHEN, Athenian Economy and Society, 142; ders., Ancient Athenian Maritime Courts, 127; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2042; SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon daneion, 760; SIEVEKING 9 f.; VÉLISSAROPOULOS 306 163 ; ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 522. Die in Dem. 27.11 ναυτικά (Plural!) im Wert von 70 Minen - oder Lysias kata Diogeitonos 32.6 (7 Talente, 40 Minen) erwähnten Vermögenswerte, die auf Seezins verliehen waren, dürften schon aus diesem Grunde die Summen mehrerer Darlehen sein. 201 Vgl. COHEN, Athenian Economy and Society, 142; HASEBROEK, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, 113: „Kleinere Summen auf kürzere Fristen werden das Übliche gewesen sein". 202 Zu den Zinserträgen der Geldgeber vgl. u. 81 ff. 203 Siehe o. 38. 204 GERNET, Démosthène: Plaidoyers civils I, 172; J.G. GOLDSCHMIDT, De nautico foenore, 15; ISAGER/HANSEN 79; KLEINSCHMIDT 7; KNORRINGA 93; PARDESSUS I, 42;

SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός

τόκος, 2040 f.; SIEVEKING 9;

VÉLISSAROPOULOS 302, 319; DE VRIES 68 ff.; WACHSMUTH, Hellenische Alterthums-

kunde aus dem Gesichtspunkte des Staates II. 1,226 f. 205 Dazu u. 69 ff.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

58

Dem. pros Zenothemin 32.5: Ούσών δέ των συγγραφών, ώσπερ είώθασιν άπασαι, σωθείσης της νεώς άποδοΰναι τά χρήματα, ... Die Verträge sahen, ganz in gewohnter Weise, vor, dass das Geld zurückzuzahlen sei, wenn das Schiff den Hafen wohlbehalten erreichen würde,... Dem. pros Phormiona 34.33: Λέγει δέ ώς ή συγγραφή σωθείσης της νεώς αυτόν άποδοΰναι κελεύει τα χρήματα. Er sagt nämlich, dass gemäß der Syngraphe das Geld erst nach glücklicher Ankunft des Schiffes zurückzuzahlen sei. Auch in Dem. 56.22, 31 und 36 ist die glückliche Ankunft im Bestimmungshafen entscheidend: σωθείσης της νεώς. 206 Freilich kam diesem Kriterium nicht in jedem Fall dieselbe Bedeutung zu. Da das kreditierte Geld zu unterschiedlichen Zwecken verwendet werden konnte, 207 ist die gängige Formulierung vor dem Hintergrund der jeweiligen Vertragsbeziehungen zu interpretieren. Entscheidend war nämlich stets, ob der Darlehensnehmer den im Einzelfall angestrebten Erfolg am Ende der Seereise erreicht hatte. In den weitaus meisten Fällen diente das kreditierte Geld entweder dem Einkauf von Waren oder das Seedarlehen wurde aufgenommen, nachdem der Händler bereits Waren erworben hatte. 208 Es stand dann stets im Zusammenhang mit dem Transport von Handelsgütern. Dementsprechend kam es darauf an, dass die Waren den Bestimmungshafen unversehrt erreichten, 209 was nicht immer gleichbedeutend war mit der glücklichen Ankunft des Schiffes im Bestimmungshafen: Geriet das Schiff beispielsweise in ein Unwetter, so konnte es erforderlich sein, einen Teil der Ladung über Bord zu werfen, um das Schiff zu stabilisieren oder zu leichtern und dadurch das Leben von Besatzung und Mitreisenden bzw. das Schiff zu retten. 210 Dann erreichte zwar das Schiff den Hafen, von einer glücklichen Beendigung der Seereise konnte aber, jedenfalls in Bezug auf die Emporoi, deren Waren verloren gegangen waren, keine Rede sein, denn der angestrebte Erfolg war nicht eingetreten.

206

Eine ähnliche Formulierung findet sich bei Dem. 50.17. Vgl. o. 45 ff. 208 Vgl. o. 53. 209 Der wirtschaftliche Erfolg der Handelsunternehmung dagegen spielte keine Rolle; das Risiko von Preisschwankungen oder Absatzschwierigkeiten trug der Händler (vgl. u. 63), die Risikoübernahme durch den Darlehensgeber endete mit Erreichen des Bestimmungshafens. 210 Beispiele und weitere Maßnahmen, die in der Antike zur Rettung von Schiffen bei Unwettern unternommen wurden bei HÖCKMANN 90 ff. 207

IV. Das Darlehen auf Seezins

59

Dementsprechend wird in § 33 der Gerichtsrede gegen Phormion (Dem 34) auch unmittelbar nach der Aussage, die Zahlungsverpflichtung des Schuldners sei bedingt durch die glückliche Ankunft des Schiffes im Bestimmungshafen, klargestellt, was damit gemeint ist: Vereinbarungsgemäß hätte Phormion auf der Krim Waren an Bord bringen müssen, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hätten; 211 nur deren Untergang hätte den Erfolg der Handelsreise vereitelt und den Emporos von seiner Zahlungsverpflichtung befreit. Auch in der LakritosUrkunde wird ausdrücklich betont, dass die Rückzahlungspflicht von der wohlbehaltenen Ankunft der Ladung im Bestimmungshafen abhängt: Dem. pros Lakriton 35.11: Σωθέντων δέ των χρημάτων Άθήναζε, άποδώσουσιν οί δανεισάμενοι τοις δανείσασι τό γιγνόμενον άργύριον κατά τήν συγγραφήν ήμερων εϊκοσιν,... Wenn die Waren wohlbehalten in Athen angekommen sind, werden die Darlehensnehmer den Darlehensgebern die vereinbarte Summe vertragsgemäß innerhalb von 20 Tagen zurückzahlen,... Eine besondere Situation lag vor, wenn das Schiff unterging, die Waren aber (teilweise) gerettet wurden. In den meisten Fällen dürfte der Untergang eines Handelsschiffes gleichbedeutend gewesen sein mit dem Verlust der gesamten Ladung, wenn das Schiff nicht in immittelbarer Küstennähe scheiterte. Nur wenn das Handelsschiff strandete, konnte mit der Bergung der Ladimg gerechnet werden. Sank das Schiff, so bedeutete der Kontakt mit dem Wasser vor allem für Nahrungsmittel selbst dann den sicheren Verlust, wenn sich das Unglück nahe der Küste ereignete: Das in Säcken, Körben oder lose an Bord verstaute Getreide war bei Kontakt mit dem Wasser nicht mehr zu retten; eine Ausnahme bildeten hier allenfalls die in Amphoren transportierten Produkte (z.B. Wein, Öl, Pökelfisch oder Kosmetika), 212 Töpfereiwaren, Kunstgegenstände und Baumaterialien, die in Küstennähe unter Umständen geborgen werden konnten. Wurde nach dem Verlust des Schiffes nur ein Teil der Waren gerettet, so hätte sich schon nach dem allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken die Schuld anteilig mindern müssen. Stattdessen sieht die Lakritos-Urkunde vor, dass sich die Rechte des Gläubigers auf das Geborgene beschränken sollen. Die Vertragsparteien dürften dabei das Auflaufen des Schiffes in Küstennähe vor Augen gehabt haben, denn in diesem Fall war zumindest die Bergung eines Teils der Ladung nicht unrealistisch, jedenfalls soweit es sich um (vorübergehend) wasserdichte Behälter, wie z.B. verkorkte und mit Gips oder Pech verschlossene Transportamphoren, handelte: 211 Dieser (vertraglichen) Verpflichtung ist Phormion jedoch offensichtlich nicht in dem vereinbarten Umfang nachgekommen, weshalb er auf Zahlung der Vertragsstrafe i.H.v. 5 000 Drachmen in Anspruch genommen wird, vgl. Dem. 34.30. 2,2 Nachweise bei WERNICKE, RE 1.2 (1894), s.v. Amphora, 1969 ff.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

60

Dem. kata Lakriton 35.13: Έάν δέ τι ή ναΰς πάθη ανήκεστο ν έν η αν πλέη τα χρήματα, σωτηρία δ' εσται των υποκειμένων, τα περιγενόμενα κοινά εστω τοις δανείσασιν. Wenn dem Schiff, auf dem die Waren transportiert werden, ein erheblicher Schaden zustößt und verpfändete Waren gerettet werden, so soll das Gerettete den Darlehensgebern gemeinschaftlich zustehen. Das Eigentum an dem Geretteten trat hier also an die Stelle der Forderung auf Kapital und Zinsen, was dem Abandon des Versicherungsnehmers bzw. dem Bodmerei-Abandon ähnelt. 213 Vermutlich regelten die Parteien derartige Fälle zur Vermeidimg von Schwierigkeiten gewöhnlich durch besondere Abreden, so wie dies in der Lakritos-Urkunde geschehen ist. 2 1 4 Anders stellte sich die Lage dar, wenn ein Naukleros ein Seedarlehen aufgenommen hatte, um Reparaturen am Schiff vornehmen zu lassen, Proviant einzukaufen oder den Mannschaftssold zu zahlen. 215 In diesem Fall kam es tatsächlich nur auf die glückliche Ankunft des Handelsschiffes an. 216 Erreichte das Schiff den Bestimmungshafen unversehrt, so war der Naukleros zur Zahlung von Darlehensschuld und Zinsen innerhalb der vertraglich vereinbarten Frist verpflichtet. Diese Bedeutung kommt der Formulierung σο>θείσης της νεώς ganz offensichtlich in Dem 56.3 zu (vgl. § 32 der Rede), und sehr wahrscheinlich auch in den bei Dem 32.5 erwähnten Seedarlehensverträgen. 217 Verwendete der Naukleros das kreditierte Geld aber zum Kauf von Handelsgütern, wie dies in der Regel geschah, so trat der Naukleros weniger als Schiffsherr denn als Händler auf. Der mit der Seereise verbundene Erfolg lag dementsprechend in der glücklichen Ankunft der Waren im Bestimmungshafen; nur dann war die Bedingung σωθείσης της νεώς erfüllt.

213

Vgl. die bis zum 23. April 1973 geltende Bestimmung des § 690 Abs. 2 HGB (dazu u. 213); EHRENBERG, Beschränkte Haftung des Schuldners nach See- und Handelsrecht, 12 f., SIEVEKING 16. 214

2,5

So auch ISAGER/HANSEN 81, SIEVEKING 15 f. und VÉLISSAROPOULOS 319 f.

Vgl. o. 53 ff. 216 MATTHIASS 18 ff. sieht in der Verwendung des kreditierten Geldes „zum Besten des Schiffes" das auslösende Moment für die konstitutive Übernahme der allgemeinen Seegefahr durch den Gläubiger; seine „vier Stadien" der geschichtlichen Entwicklung des Seedarlehens (ebda. 14 ff.) sind jedoch vor dem Hintergrund der Quellen nicht haltbar und entbehren darüber hinaus jedweder wirtschaftlicher Logik. 217 Auch die Bedingung σωθέντος δέ τοΰ πλοίου, unter welcher das dem Apollodor von Nikippos gewährte Seedarlehen steht (vgl. Dem. 50.17), dürfte in diesem Sinne zu verstehen sein, da das Geld hier vermutlich zur Zahlung des Mannschaftssoldes verwendet worden ist, vgl. o. 47 f.

IV. Das Darlehen auf Seezins

61

b) Teilverluste Von der Rettung der Ladung oder eines Teils derselben nach dem Untergang des Schiffes ist der Fall zu unterscheiden, in dem trotz Erreichen des Bestimmungshafens nur ein Teil der Ladung an das Ziel gelangt. Ein solcher Teilverlust konnte verschiedene Gründe haben: Neben dem bereits oben erwähnten Seewurf zur Stabilisierung oder Leichterung des Schiffes waren Seeräuber eine ständige Gefahr: Die auf einem von Piraten aufgebrachten Schiff fahrenden Händler konnten vermutlich von Glück reden, wenn sie nur einen Teil der Ladung herauszugeben hatten. 218 Auch der Kontakt mit feindlichen Kriegsschiffen war als glimpflich zu bezeichnen, wenn dem Schiff nach der Zahlung einer Kontribution in Form von Waren die Weiterfahrt gestattet wurde. 219 Aus dem 4. Jhdt. v. Chr. sind gesetzliche Bestimmungen über das Vorgehen bei Teilverlusten nicht überliefert. Aber solcher Regelungen hätte es, jedenfalls soweit es die Zahlungsverpflichtung des Darlehensnehmers betrifft, auch nicht bedurft, denn die Lösung folgt hier bereits aus dem charakteristischen Merkmal des Seedarlehens, d.h. der Übernahme der Seegefahr durch den Gläubiger: Ging ein Teil der Ladung in Realisierung der Seegefahr verloren, so war die Bedingung der glücklichen Beendigung der Handelsreise nicht in vollem Umfang erfüllt. Von σωθέντων δέ των χρημάτων konnte dann in Bezug auf die Verluste keine Rede sein; die Zahlungsverpflichtung des Darlehensnehmers nach Ankunft im Bestimmungshafen bestand deshalb nur insoweit, als es dem Anteil der geretteten Waren entsprach. 220 Der Gläubiger trug also die Kosten der großen (gemeinschaftlichen) wie auch der besonderen (partikulären) Haverei; 221 dies galt aber nur bei Beachtung der vertraglich festgelegten Reiseroute und des vorgegebenen zeitlichen Rahmens. 222 Auch die Verpflichtung zur Zinszahlung verringerte sich in entsprechendem Umfang. 223 In der Lakritos-Urkunde findet sich ein Passus, wonach sich die Verpflichtung der Schuldner nur dann reduziert, falls unterwegs ein Teil der transportier-

218 Zum Problem der Seeräuberei in der griechischen Antike und zu den von feindlichen Kriegsschiffen ausgehenden Gefahren vgl. u. 70 263 f . 219 Die Regel dürfte vielmehr der Verlust des Schiffes und die Versklavung der an Bord befindlichen Personen gewesen sein, vgl. ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 17 m.N. 220 Schließlich wurde der mit der Seereise angestrebte Erfolg in einem solchen Fall nicht in vollem Umfang erreicht; vgl. auch DE SAINTE CROIX 57. 221 Vgl. BÜCHSENSCHÜTZ, Besitz und Erwerb im griechischen Altertume, 490;

ISAGER/HANSEN 81; PARDESSUS 1,45; SIEVEKING 14 ff.; VÉLISSAROPOULOS 319 ff. 222

Siehe Dem. 56.10,20,28,42; ISAGER/HANSEN 79; VÉLISSAROPOULOS 323.

223

Vgl. Dem. 56.26.

62

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

ten Ladung durch Seewurf (έκβολή, ekbolé )224 oder Feindberührung verloren gehen sollte. Dem. pros Lakriton 35.11: ... άποδώσουσιν oi δανεισάμενοι τοις δανείσασι τό γιγνόμενον άργύριον (...) έντελές πλην έκβολής ης άν oi σύμπλοι ψηφισάμενοι κοινή έκβάλωονται, και άν τι πολεμίοις άποτείσωσιν· των δ' άλλων άπάντων έντελές. ... werden sie den Darlehensgebern die festgesetzte Summe (...) zahlen, ohne Abschläge, außer bei Seewurf, dem alle Mitreisenden zugestimmt haben oder bei Verlusten durch den Feind; jeder andere Verlust geht zu ihren Lasten. SIEVEKING225 nimmt aufgrund der Beschränkung auf Seewurf nach gemeinschaftlichem Beschluss und an den Feind gezahlte Kontributionen an, in der griechischen Antike sei die Regelung von Teilverlusten gewöhnlich Inhalt besonderer Vertragsabreden gewesen. Zwar ist es zutreffend, dass in der LakritosUrkunde partielle Verluste durch Piraterie und Verluste, denen kein gemeinschaftlicher Beschluss vorausgeht, nicht erwähnt werden; dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Fälle als sonstige Verluste von den Darlehensnehmer zu tragen sind. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Zum einen sind die Grenzen zwischen Piraterie und Kaperkrieg durch feindliche Kriegsschiffe fließend. 226 Verluste durch den Feind (πολέμιος, polémios ) umfassten daher auch die freigegebene Kaperei, die ja i m Grunde nichts anderes ist als Piraterie. Zum anderen waren Teilverluste ohne vorherigen gemeinschaftlichen Beschluss vermutlich sehr selten, denn ein Naukleros bzw. sein Kybernetes kannte sein Schiff und dessen Verhalten bei rauher See und verstand es in der Regel, die Ladung seefest zu verstauen. 227 Im Übrigen wäre ein partieller Haftungsausschluss ein Widerspruch zu der kurz zuvor in der Urkunde genannten Bedingung für die Zahlungsverpflichtung des Händlers (σωθέντων δέ των χρημάτων Ά θ ή ν α ζ ε ) , 2 2 8 denn die Waren wären in den genannten Fällen nur

224

Dazu u. 64 ff. Das Seedarlehen des Altertums, 14 ff. 226 So berichtet z.B. Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 2.69.1 von den Raubschiffen der Spartaner (το ληστικον των Πελοποννησίων), die den phaselitischen und phönikischen Handelsschiffen im Winter 430/429 v. Chr. an der Südwestküste Kleinasiens auflauerten. In Dem. 4.34 wiederum erfahren wir, dass sich Athen in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. in anhaltendem Konflikt mit Philipp von Makedonien befand, dessen Kaperkrieg eine ständige Bedrohung für die athenische Handelsschifffahrt darstellte; weitere Beispiele bei ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 12 ff. 227 Zur Befrachtung antiker Handelsschiffe vgl. CASSON, Die Seefahrer der Antike, 302 ff., ROUGÉ, La marine dans Γ Antiquité, 77 ff.; ADAM, Aspects de la sécurité de la navigation dans Γ Antiquité grecque, 285 merkt an, dass unsachgemäße Befrachtung immer wieder die Ursache für Schiffsunglücke war, vgl. nur Dem. 34.10: das von Lampis geführte Schiff ist völlig überladen. 228 Dem. 35.11. 225

IV. Das Darlehen auf Seezins

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teilweise wohlbehalten in Athen angelangt. Es kann daher nicht von einer vertraglichen Haftungsbeschränkung ausgegangen werden. Der Händler trug lediglich diejenigen Verluste, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Gefahren der See standen. Insbesondere hatte es keinen Einfluss auf die Zahlungsverpflichtung, wenn die vom Händler transportierten Waren verdarben, sich als unverkäuflich erwiesen oder der Verkauf aufgrund von Preisschwankungen nur unter finanziellen Einbußen möglich war, denn hierbei ging es um die allgemeinen Risiken des Handelsverkehrs. Dasselbe galt, wenn dem Händler durch die Nachlässigkeit der Besatzung oder durch eigenes Verschulden ein Schaden entstanden war. Nach Fälligkeit hatte der Händler also die volle Darlehenssumme zzgl. Zinsen auch dann zu bezahlen, wenn die Handelsreise unter dem Strich einen finanziellen Verlust darstellte; dies ist die Bedeutung der Formulierung των δ' άλλων απάντων έντελές in der LakritosUrkunde (Dem. 35.11). Transportierte der Händler Waren, so war zwar die Berechnung der anteiligen Zahlungsverpflichtung nicht immer ganz unkompliziert, aber letztlich doch regelmäßig ohne größere Schwierigkeiten möglich: Grundsätzlich reduzierte sich die Zahlungsverpflichtung entsprechend dem Anteil der verlorenen Waren an der von dem kreditierten Geld gekauften Gesamtwarenmenge. 229 Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Lage, wenn das kreditierte Geld fur die Reparatur eines Schiffes oder für den Kauf von Proviant verwendet wurde, was aber wesentlich seltener geschah.230 Hier war die glückliche Ankunft des (unversehrten!) Schiffes entscheidend für die RückZahlungsverpflichtung. Diese Bedingung aber war nicht erfüllt, wenn das Schiff beispielsweise in einen Sturm geriet, in dessen Verlauf Mast und Takelage verloren gingen. In einem solchen Fall hätte sich die Verbindlichkeit des Naukleros nach den allgemeinen Regeln im Verhältnis Reparaturkosten zu Restwert des (beschädigten) Schiffes reduzieren müssen. Aber die Berechnung der anteiligen Zahlungsverpflichtung dürfte hier nahezu unmöglich gewesen sein, denn sowohl für die Reparaturkosten als auch den Restwert des Schiffes konnten sich aufgrund des freien Wettbewerbes und je nach wirtschaftlicher Lage unterschiedliche Beträge ergeben.

229 Angenommen Artemon und Apollodor hätten wie vereinbart (vgl. Dem. 35.10) in Mende oder Skione 3 000 Amphoren mendäischen Wein à 2 Drachmen gekauft, und nach der Fahrt durch Bosporus und Hellespont wäre das Schiff des Hyblesios im Schwarzen Meer in einen Sturm geraten; dabei wäre 1/5 der an Oberdeck verstauten Amphoren, also 600 Stück mit einem Wert von 1 200 Drachmen, über Bord gespült worden. Da nur die Hälfte des Weines, also 1 500 Amphoren, mit dem kreditierten Geld bezahlt war (vgl. Dem. 35.10, 18), wäre der Verlust in diesem Fall schon nach Treu und Glauben jeweils zu gleichen Teilen zu Lasten des Händlers bzw. des Darlehensgebers gegangen, das heißt statt der 3 000 Drachmen hätten Artemon und Apollodor nach der Ankunft in Athen nur 2 400 Drachmen zzgl. Zinsen an die Gläubiger bezahlen müssen. 230 Vgl. o. 45 ff.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Zu vermeiden waren derartige Schwierigkeiten nur durch besondere Vertragsabreden für den Schadensfall. Es ist daher davon auszugehen, dass sich immer dann, wenn ein Seedarlehen für die Reparatur eines Schiffes, für den Kauf von Proviant oder zur Zahlung des Mannschaftssoldes gewährt wurde, entsprechende Regelungen in der Vertragsurkunde fanden. 231

Exkurs: Seewurf (έκβολή) Die Naukleroi mussten schon aus wirtschaftlichen Gründen stets bestrebt sein, den Laderaum ihres Schiffes möglichst vollständig zu nutzen, um durch den Transport von Waren auf eigene Rechnung bzw. den Transport fremder Waren größtmögliche Gewinne zu erzielen. Nicht selten wurden die Schiffe bis unter das Deck und sogar an Oberdeck mit Handelsgütern beladen. 232 Geriet das Schiff in einen Sturm, so konnte es geschehen, dass Waren verrutschten und die Stabilität des Schiffes gefährdet war. Als letzter Ausweg blieb dann nur, einen Teil der Ladung oder sämtlichen Ballast über Bord zu werfen, um den Rest der Ladung bzw. wenigstens das Schiff zu retten. 233 Mitunter war auch die Leichterung des Schiffes aufgrund von Untiefen angezeigt. Die Entscheidung, was Gegenstand des Seewurfs (έκβολή, ekbolé ) sein sollte, oblag demjenigen, der für die navigatorische und seemännische Sicherheit des Schiffes zuständig war; im 4. Jhdt. v. Chr. war dies in der Regel der κυβερνήτης (kybernétes). 234 Dem Vorschlag, den er zur Rettung des Schiffes und der übrigen Ladung unterbreitete, mussten alle Mitreisenden zustimmen, 235 wobei es vor dem Hintergrund des drohenden Todes wohl selten Schwierigkeiten gegeben haben dürfte. Führte der Seewurf tatsächlich zu dem angestrebten Erfolg, nämlich der Rettung des Schiffes und zumindest eines Teils der Ladung, so musste sich den 231

Eine derartige Vertragsurkunde ist nicht überliefert, was aufgrund der Seltenheit derartiger Seedarlehen kaum verwunderlich ist. 232 Siehe etwa Dem. 34.10, wo von dem völlig überladenen Schiff, das der Sklave Lampis iür seinen Herrn führt, die Rede ist; auch die antiken Schiffswracks bestätigen diese Vermutung. Die Funde haben gezeigt, dass selbst das Oberdeck oftmals vollständig mit Amphoren vollgestellt wurde, vgl. CASSON, Die Seefahrer der Antike, 304 f. 233 Besonders anschaulich sind die Schilderungen der Ereignisse, die der Apostel Paulus auf seiner Reise von Myra nach Italien erlebte. Als das Schiff in einen mehrtägigen, schweren Sturm geriet, mussten nach und nach Waren, Nahrungsmittel (Getreide) und Ausrüstungsgegenstände über Bord geworfen werden, um den Untergang zu verhindern, vgl. Apostelgeschichte 27.9 ff. 234 Vgl. auch VÉLISSAROPOULOS 320 ff.; zur Person des Kybemetes o. 30. 235 Für das 4. Jhdt. v. Chr. vgl. Dem. 35.11; die von den Römern rezipierten Bestimmungen des Rhodischen Seerechts über den Seewurf (dazu sogleich) sehen ebenfalls den gemeinsamen Beschluss aller Mitreisenden vor.

IV. Das Darlehen auf Seezins

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Händlern, die Verluste durch den Seewurf zu beklagen hatten, der Wunsch nach einem Ausgleich des erlittenen Schadens aufdrängen. Die Händler, deren Waren über Bord geworfen worden waren, bzw. diejenigen, die letztendlich den Verlust zu tragen hatten, 236 werden kaum eingesehen haben, dass sie den Schaden alleine übernehmen sollten; schließlich waren ihre Handelsgüter zum Wohl der Allgemeinheit geopfert worden. Und so dürfte es in derartigen Fällen ursprünglich nicht selten zum Streit gekommen sein. 237 Mit der Zeit bildeten sich dann zur Lösung derartiger Probleme Handelsbräuche heraus, die später Eingang in die Gesetze aller seefahrenden Staaten fanden. Die ersten gesetzlichen Regelungen über den gemeinschaftlichen Seewurf finden sich im so genannten rhodischen Seerecht, das während der Blütezeit des rhodischen Staates (ca. 304 bis 168 v. Chr.) entstanden ist, 2 3 8 und dessen Bestimmungen über den Seewurf von den Römern rezipiert wurden. 239 Dort wird eine Gefahrengemeinschaft der an Bord befindlichen Personen statuiert: Wer sein Eigentum zur Rettung von Schiff, Besatzung und restlicher Ladung nach einem gemeinschaftlichen Beschluss geopfert hat, der erhält einen Ausgleich für seinen Schaden. Die Eigentümer der geretteten Güter waren gegenüber den Händlern, deren Waren auf gemeinsamen Beschluss über Bord geworfen worden waren, zur Entschädigung verpflichtet. 240 Ob deijenige, der aufgrund eines gemeinschaftlich beschlossenen Seewurfs zur Rettung des Schiffes bzw. der restlichen Ladung einen Schaden erlitten hatte, bereits in der Mitte des 4. Jhdt. v. Chr. einen gesetzlich oder durch Handelsbrauch begründeten Ausgleichsanspruch gegen die Mitreisenden hatte, kann nur vermutet werden. Aber in der Rede gegen Lakritos könnten die Vertragsparteien bei der Formulierung der Seedarlehensurkunde durchaus an derartige Regelungen gedacht haben. Die bereits erwähnte Vereinbarung hinsichtlich der Teilverluste 241 ist trotz ihrer entscheidenden Bedeutung ausgesprochen knapp gehalten; 236 Hatte der Händler vor Antritt der Seereise ein Seedarlehen aufgenommen, so traf der Verlust letztendlich den Darlehensgeber. 237 Dies betont insbesondere SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2037, nach dessen Ansicht das „individualistische attische Privatrecht" hier keine Lösung vorsah. 238 Die einzelnen Gesetze und Handelsbräuche wurden allerdings erst in nachjustinianischer Zeit in einer als Νόμος 'Ροδίων ναυτικός (Nómos Rhodion nautikós) bezeichneten Rechtssammlung zusammengefasst; ausführlich ASHBURNER, The Rhodian Sea-law, 75 ff.; KRELLER, Lex Rhodia, 260 ff.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 4075; VÉLISSAROPOULOS 320 ff. m.w.N. 239 Vgl. D. 14.2 („De lege Rhodia de iactu "). 240 Vermutlich stellt diese Regelung den rechtsgeschichtlichen Präzedenzfall eines vermögensrechtlichen Entschädigungsanspruchs aus Aufopferung für das gemeine Wohl dar. 241 Dem. 35.11.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

sie scheint sich auf eine gesetzliche Regelung oder einen Handelsbrauch zu beziehen, der allen Beteiligten bekannt war und deshalb keiner weiteren Erläuterung bedurfte. Der in der Urkunde enthaltene Hinweis auf den Beschluss aller Mitreisenden ist jedenfalls ein starkes Indiz dafür, dass derartige Regelungen (vermutlich als Handelsbrauch) schon im griechischen Seehandel des 4. Jhdts. v. Chr. allgemein anerkannt waren. 242 Hatten die geschädigten Händler dann zum Zwecke des Wareneinkaufs ein Seedarlehen aufgenommen, so konnten ihre Verpflichtungen gegenüber den jeweiligen Gläubigern erst nach Bezifferung dieser Ausgleichsansprüche errechnet werden. Letztendlich hatte der Darlehensgeber im Falle des Seewurfs also nur den Anteil zu tragen, der auf seinen Schuldner entfiel.

c) Fälligkeit der Darlehensschuld Die Fälligkeit bestimmte sich grundsätzlich nach den Vereinbarungen der Parteien. Regelmäßig verblieb dem Händler nach der Ankunft im Bestimmungshafen eine Frist, innerhalb derer er seine Schulden, d.h. die Darlehenssumme zzgl. der vereinbarten Zinsen, zu begleichen hatte. In der LakritosUrkunde beträgt diese Frist zwanzig Tage. 243 Aus diesem Umstand wird mitunter gefolgert, dies sei die üblicherweise vereinbarte Frist gewesen.244 Da die Frist von zwanzig Tagen überhaupt die einzige Frist ist, die sich in den demosthenischen Reden findet, und auch sonst die Zwanzig-Tage-Frist nicht anderweitig in den griechischen Quellen auftaucht, handelt es sich hierbei jedoch um reine Spekulation. Bemerkenswert ist freilich, dass auch in Nov. 106 (praefatio) aus dem Jahre 540 n. Chr. dem Schuldner nach der Ankunft im Zielhafen zwanzig Tage zur Zahlung verbleiben.

242

Vgl. auch Aristoteles, Nikomachische Ethik, 3.1 (pag. 1110a7-7ö); DE SAINTE

CROIX 57 VÉLISSAROPOULOS 320 ff.; ISAGER/HANSEN 80 f. bejahen eine solche Aus-

gleichspflicht für das 4. Jhdt. v. Chr. unter Hinweis auf Diphilos' Komödie Ζωγράφος („Der Maler"), fr. 43; ablehnend dagegen SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2037. 243 Vgl. Dem. 35.12, 24. 244

Vgl. nur LITEWSKI 124; MATTHIASS 46; MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het Nautikon

daneisma te Athene, 159; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 118; PARDESSUS I, 44 ff.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 347.

IV. Das Darlehen auf Seezins

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d) Rückzahlungsmodalitäten Bei Vereinbarung eines Seedarlehens für die Hin- und die Rückfahrt (δάνειον άμφοτερόπλουν, dàneion amphoteróploun) war das Geld nach der Rückkehr in den Ausgangshafen innerhalb der Zahlungsfrist an den Gläubiger oder seinen Beauftragten zu übergeben. Etwas anderes galt regelmäßig, wenn das Geld den Händlern nur für eine Fahrt (έτερόπλους, heteróploUs) zur Verfügung stand und in einem ausländischen Hafen zurückgezahlt werden musste: Hier hatte der Händler das Geld entweder an einen beauftragten Geschäftsfreund bzw. Partner des Gläubigers 245 oder einen zum Zwecke der Kontrolle mitgesandten Sklaven 246 zu übergeben, oder aber der Geldgeber befand sich selbst an Bord des Schiffes und konnte sein Geld i m Auslandshafen persönlich in Empfang nehmen. Allerdings ging ein Geldgeber nur selten zum ausschließlichen Zweck der Begleitung bzw. Empfangnahme des Geldes mit auf die Reise. 247 Wenn ERXLEBEN248, ISAGER/HANSEN249 und PAOLI 250 ausführen, der Geldgeber sei zumindest i m Falle eines nur für die Hinfahrt gewährten Seedarlehens (δάνειον έτερόπλουν, dàneion heteroplouri) gewohnheitsmäßig mit an Bord gewesen, so bedarf dies der Präzisierung: Weniger begüterte Geldgeber, die sich keinen Sklaven zur Beaufsichtigung leisten konnten, mögen durchaus, falls dies angezeigt schien, zur größeren Sicherheit mit auf die Reise gegangen sein, um dann im Zielhafen ihr Geld an andere Händler zu verleihen und ggf. das Schiff zu wechseln.

245

Es war im Seehandel der griechischen Antike offensichtlich keine Seltenheit, einen Partner (κοινωνός, koinonós) in bedeutenden ausländischen Häfen zu haben, vgl. Dem. 34.8, 28; 38.11; 52.3; ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 63. 246 Die Mitsendung einer Vertrauensperson, zumeist eines Sklaven, auf die Reise scheint öfter vorgekommen zu sein, vgl. Dem. 32.10 ff.; diesen Sklaven sollen die Griechen nach SALMASIUS, De modo usurarum liber, 309, κερμακολούθος (kermako loûthos) genannt haben; der Ausdruck findet sich jedoch in den Quellen nicht und mag byzanthinischen Ursprungs sein; vgl. auch MATTHIASS 52; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 26; SPETTA 38; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2039. 247 Dies kommt z.B. in Dem. 34.28 deutlich zum Ausdruck; vgl. auch BÜCHSENSCHÜTZ 490; HASEBROEK, Die Betriebsformen des griechischen Handels i m I V . Jahrhundert, 397; KNORRINGA 93 f.; MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het Nautikon daneis-

ma te Athene, 159; PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern II, 355; H.J.

WOLFF, Die attische Paragraphe, 4 0 4 7 ; ZIEBARTH, Eine Handelsrede aus der Zeit des

Demosthenes, 10. 248 Die Rolle der Bevölkerungsklassen im Außenhandel Athens im 4. Jahrhundert v.u.Z., 480. 249 Athenian Society, 83. 250 II prestito marittimo nel diritto attico, 26.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Viel häufiger aber dürfte der Grund für die Anwesenheit des Geldgebers an Bord ein anderer gewesen sein: Ein Mitreisender (έπιβάτης, epibàtes ), der über das entsprechende Kapital verfügte, selbst aber kein Emporos war und - aus welchen Gründen auch immer - an den angelaufenen Ort im Ausland gelangen wollte, wird sich einem gewinnbringenden Geschäft kaum verschlossen haben, und gerne einem auf demselben Schiff reisenden Händler ein Seedarlehen gewährt haben. 251 Gleiches gilt für einen Emporos, der während der Überfahrt ausnahmsweise keine Waren transportieren wollte. Der Beweggrund für die Mitfahrt war dann aber nicht die Kontrolle des ordnungsgemäßen Ablaufs der Handelsreise. Dafür spricht auch, dass sich ein Geldgeber ohne triftigen Grund (eben die eigene Reise!) wohl kaum den Gefahren der See ausgesetzt und zum Zwecke der Aufsicht sein Leben riskiert hätte. Da dem griechischen Recht dieser Zeit eine Quittung unbekannt war, 2 5 2 erfolgte die Rückzahlung des Darlehens nebst Zinsen stets unter Hinzuziehung einer möglichst großen Anzahl von Zeugen. 253

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen 1. δάνειον έτερόπλουν oder δάνειον άμφοτερόπλουν Ein Seedarlehen wurde stets für die Fahrt zu einem bestknmten Ort oder in eine bestimmte Gegend gewährt. Der Schuldner war verpflichtet, diesen Ort unter Einhaltung der vereinbarten Zeit anzulaufen. Anderenfalls hatte er mit empfindlichen Strafen zu rechnen. 254 Häufig - aber nicht immer - findet sich in den Quellen die Vereinbarung, dass das Seedarlehen dem Händler auch für die Rückfahrt zu Handelszwecken zur Verfügung stehen soll. Das kreditierte Geld

251

Siehe etwa Dem. 32.4 f., 12, Dem. 35.53 oder Dem. 34.6, 26: Der Phönizier Theodoras, der auf dem von Lampis geführten Schiff zum Kimmerischen Bosporus (Straße von Kertsch) reist, hat Phormion ein Seedarlehen i.H.v. 4 500 Drachmen gewährt; zum umfangreichen Passagierverkehr auf griechischen Handelsschiffen vgl. HÖCKMANN 85 ff., VÉLISSAROPOULOS 74 ff. m.N. 252 Jedenfalls sind uns entsprechende Schriftstücke nicht bekannt; vgl. auch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 132; DAUVILLIER, Recherches sur un contrat caravanier babylonien et sur les origins du prêt à la grosse aventure dans l'Antiquité grecque, 378; HASEBROEK, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, 122; HEICHEL-

HEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 343; ISAGER/HANSEN 92; VON WILAMO-

WITZ-MOELLENDORFF, Staat und Gesellschaft der Griechen, 77. 253 Vgl. nur Dem. 34.30; HAESEBROEK, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, 122; KNORRINGA 95; PARDESSUS 145. 254

In Dem. 56.10 wird erwähnt, dass die Gesetze Athens für einen solchen Verstoß die schwersten Strafen (ταις μεγίσταις ζημίαις) vorsehen.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

69

war in diesem Fall mitsamt der Zinsen nach der Rückkehr in den Ausgangshafen zurückzuzahlen. Den Erfordernissen des Handels entsprach vor allem die Gewährung eines Seedarlehens für die Hin- und die Rückfahrt (δάνειον άμφοτερόπλουν, dàneion amphoteroploun)} 55 Der Händler erlangte auf diese Weise die erforderlichen Geldmittel für die gesamte Reise. Er war nicht gezwungen, in einem fremden Hafen erneut ein Darlehen aufzunehmen, falls der Gewinn aus der Hinfahrt nicht ausreichte, um den gesamten Wareneinkauf für die Rückfahrt zu tätigen. Außerdem wurden auf diese Weise Valutaverluste vermieden, denn der Verkaufserlös, den z.B. ein athenischer Händler in einem ausländischen Hafen in der jeweiligen Landeswährung erzielte, musste nicht zunächst in athenische Drachmen umgetauscht werden, bevor der Gläubiger befriedigt werden konnte. 2 5 6 Kapital und Zinsen waren i m Falle eines δάνειον άμφοτερόπλουν (dàneion amphoteroploun) nach der Rückkehr in den Ausgangshafen zu zahlen. Wurde dagegen, was seltener geschah, bloß für eine Strecke geliehen (δάνειον έτερόπλουν, dàneion heteróploun ),257 so erfolgte die Zahlung am Bestimmungsort entweder an den mitgereisten Geldgeber bzw. dessen Beauftragten, Geschäftsfreund oder Partner. 258 Ein Seedarlehen für die Hin- und Rückfahrt hatte jedoch seinen Preis: Da dem Händler das Geld für den doppelten Zeitraum zur Verfügung gestellt wurde, und sich damit auch der Zeitraum verdoppelte, in dem sich die vom Darlehensgeber übernommene Seegefahr realisieren konnte, musste der Händler bei Vereinbarung eines Seedarlehens für die Hin- und Rückfahrt in der Regel mit dem doppelten Zinssatz rechnen. 259

2. Die Übernahme der Seegefahr durch den Darlehensgeber Mit dem Abschluss eines Seedarlehens verpflichtete sich der Darlehensgeber zur Übernahme der Seegefahr. 260 In den weitaus meisten Fällen trug er damit 255

Dementsprechend finden sich in den Quellen zumeist Seedarlehen, die für die Hin- und die Rückfahrt gewährt wurden, vgl. nur Dem. 34.6; 35.10, 23, 51; 56.6. 256 Dieses Argument entfällt bei Nutzung des Seedarlehens zum Zwecke der Geldüberweisung ins Ausland, vgl. u. 167. 257 Vgl. Dem. 32.2, 4; 34.8, 22, 26; 35.32, 52; 56.28. 258 Vgl. o. 67 245 . 259 Sieheu. 83 337 . 260 Vgl. nur ISAGER/HANSEN 79; MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 36; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 54; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2043; SCHMITZ, DNP V i l i (2000), s.v. Nautikon dàneion, 760; SIEVEKING 12 ff.; VÉLISSAROPOULOS 301 f.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

die Gefahr des Untergangs bzw. der Verschlechterung der vom Händler transportierten Waren, falls sich die der Seefahrt typischerweise innewohnenden Risiken verwirklichten. Nur wenn das kreditierte Geld für andere Zwecke als den Einkauf von Waren verwendet wurde, kam es darauf an, ob und inwiefern der wirtschaftliche Erfolg der Handelsreise durch die Seegefahr beeinträchtigt wurde. 261 Gingen Schiff und/oder Ladung in Realisierung der Seegefahr unter, so gingen auch die Ansprüche auf Rückzahlung des Darlehens und Zahlung der Zinsen unter. Die Übernahme der Seegefahr durch den Gläubiger war wesentlich für das δάνειον ναυτικόν und fand ihren Ausgleich in den hohen Seezinsen. Kein Händler hätte das aus den Gefahren der See resultierende finanzielle Risiko auf Dauer tragen können. In der Gefahrübernahme durch den Geldgeber lag somit eine grundlegende Voraussetzung für den Seehandel in der griechischen Antike. 2 6 2 Die Gefahren, die die Seefahrt in der Antike barg, sind mit dem Risiko der heutigen Seefahrt nicht zu vergleichen: Insbesondere im 4. Jhdt. v. Chr., das von andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen zu Lande und zur See geprägt war, war die Bedrohung durch feindliche Flotten 263 , Seeräuberei 264 oder freigegebene Kaperei 265 auf dem Mittelmeer und seinen Randmeeren allgegenwärtig. Die Gefahr des Schiffbruchs durch Stürme, Klippen oder Untiefen bestand ohnehin, sobald sich ein Schiff auf See wagte. 266

261

Vgl. o. 45 ff.

262

DE SAINTE CROIX 42; VÉLISSAROPOULOS 302 f.

263 Vgl. Dem. 53.6: Der Händler Nikostratos wird von einem feindlichen Kriegsschiff aufgebracht, gefangen genommen und als Sklave nach Ägina verkauft, später allerdings gegen ein Lösegeld wieder freigelassen; Diodorus Siculus 15.34.3: Im Jahr 376 v. Chr. droht eine ganze Getreideflotte von einem spartanischen Geschwader gekapert zu werden; Philochoros (fr. 162) und Theopomp (fr. 292) berichten, im Jahre 340 v. Chr. sei es dem makedonischene König Philipp II. gelungen, 230 Handelsschiffe des Feindes zu erbeuten, vgl. auch Xenophon, Hellenika, 1.1.22, 5.1.21 f.; zum Seehandel in den Zeiten des Krieges vgl. BÜCHSENSCHÜTZ 410 ff., PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 81 f. und ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 13 ff. 264 Siehe etwa Dem. 52.5: Auf dem Weg von Athen nach Libyen wird das Schiff des Lykon schon im Golf von Argos, also nicht einmal 60 Seemeilen vom Piräus entfernt, von Seeräubern gekapert. Besonders ausführliche Schilderungen des Seeraubes auf den griechischen Meeren im 5. und 4. Jhdt. v. Chr. bei KÖSTER, Das antike Seewesen, 235 ff. und ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 9 ff.; vgl. auch HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 84 f., PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 81. Zu den Bemühungen Athens, der Piraterie zu begegnen, vgl. ISAGER/HANSEN 56 f. mit umfangreichen Quellenangaben. 265 Zum Kaperkrieg, den Sparta 388 v. Chr. gegen Athen eröffnete, vgl. ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 15 f. 266 Sehr anschauliche Schilderungen der mit der Seefahrt verbundenen Risiken bei HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 84 f., HÖCKMANN 90 ff., KROLL,

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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Dementsprechend groß war in der Antike die Furcht der Menschen vor den Gefahren der See. Schon aus dem 7. Jhdt. v. Chr. ist uns ein eindrucksvolles Zeugnis davon überliefert: Hesiod, Werke und Tage, 617 ff.: εί δέ σε ναυτιλίης δυοπεμφέλου ίμερος αίρεν εΰτ* αν Πληιάδες σθένος δβριμον Ώρίωνος φεύγουσαι πίπτωσιν ές ήεροειδέα πόντον, δή τότε παντοίων ανέμων θυίουσιν άήταν και τότε μηκέτι νηας εχειν ένί οϊνοπι πόντψ, γήν δ' έργάζεσθαι μεμνημένος, ώς σε κελεύω. Doch nach gefährlicher Seefahrt ergreift dich vielleicht ein Verlangen, Wenn die Plejaden die Kraft, die mächtige fliehn des Orion Und auf der Flucht in das Meer, das dunstverschleierte, fallen; Ο wie tobt dann das Wehen von allerlei wirbelnden Winden! Nicht mehr halte du dann die Schiffe auf schwärzlichem Meere, Sondern bestelle die Erde und denke daran, was ich Dir rate. 267 Der Schifïbruch galt als nicht vermeidbares Ereignis, 268 ständig mussten die Seefahrer der Antike mit dem grausamen Tod in den Wellen rechnen. 269 Zwar war man in der Lage, nach den Sternen zu navigieren, 270 Kompass und Log aber waren noch nicht erfunden, und so stieg das Risiko eines Unglücks bei diesigem Wetter stark an. 271 Noch im 4. Jhdt. n. Chr. ruhte die Schifffahrt daher im Winter fast vollständig: Vegetius berichtet, dass die Meere zwischen dem 11. November und dem 10. März aufgrund der schweren Stürme nicht befahren werden können (maria clauduntur). 212 In der Regel fuhr man in der Antike nicht länger als sechs Monate zur See (Mitte April bis Mitte Oktober); bei ungefährlichen Routen, wie z.B. der Strecke von Rhodos nach Ägypten, scheint es allerRE II A.l (1921), s.v. Schiffahrt, 412 ff. und PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 77 ff. 267

Übersetzung: ALBERT VON SCHIRNDING.

268

Vgl. Seneca, de Providentia, insbesondere 5.9 f., der den Schiffbruch neben Krieg, Verbannung und Krankheiten zu den Zwangsläufigkeiten des Lebens zählt. Überhaupt wird die See in der klassischen Dichtung zumeist als bedrohlich oder gar als gnadenloser Feind, allenfalls neutral, nie aber als Freund der Menschen beschrieben, vgl. nur Hesiod, Werke und Tage, 225-237, wo eine glückliche Zukunft nur denjenigen Menschen nachgesagt wird, die niemals zur See fahren; weitere Nachweise bei DE SAINTE CROIX 42 f. 269 Vgl. Hesiod, Werke und Tage, 690 f.: δεινόν γαρ πόντου μετά κύμασι πήματι κύρσαι („Schrecklich ist es, in den Wellen des Meeres ein Leid zu erfahren"). 270 Bereits im 6. Jhdt. v. Chr. gab es ein astronomisches Lehrbuch der Nautik, das Thaies von Milet (ca. 624 - 547 v. Chr.) verfasst haben soll. 271

272

HÖCKMANN 161 ff.

Epitoma Rei Militaris, 4.39; vgl. auch Hesiod, Werke und Tage, 618, 640 f.: τύνη δ' ώ Πέρση έργων μεμνημένος είναι ωραίων πάντων, περι ναυτιλίης δέ μάλιστα ("Du aber nun, mein Perses, denke bei jeglicher Arbeit an die passende Zeit, bei der Seefahrt aber besonders!").

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

dings von Zeit zu Zeit Ausnahmen gegeben zu haben. 273 Diese waren jedoch selten, und so musste auch der Apostel Paulus bei seiner Reise nach Rom auf Malta überwintern, weil sich erst im Frühjahr ein Schiff zur Weiterfahrt nach Puteolifand. 274 PURPURA275 vermutet angesichts des Ruhens der Seefahrt in den Wintermonaten, dass in den griechischen Seedarlehensverträgen der 10. November als Zeitbestimmung für das Ende der Reise als vereinbart galt. Auch wenn dies anhand der Quellen nicht erweislich ist, so spricht einiges dafür: Kein Geldgeber hätte das Risiko einer Seefahrt im Winter übernommen, zumal das Ausmaß der mit der Seefahrt verbunden Gefahren schon ab Mitte September deutlich anstieg.276 Die Zahl der Schiffsverluste war in der Antike vergleichsweise hoch, so dass die Geldgeber ständig mit dem Verlust ihrer Ansprüche zu rechnen hatten. 277 SCHWAHN278 geht davon aus, dass zu Zeiten des Demosthenes bei Hin- und Rückfahrt im Ägäischen Meer etwa jedes 14. bis 15. Schiff, auf den Handelsrouten zum Pontos jedes siebte bis achte Schiff verloren ging. VIERECK279 nimmt für die römische Antike sogar eine Verlustrate bei Hochseehandelsschiffen von 25 % an, womit er aber deutlich zu hoch liegen dürfte. Gesicherte Angaben zu den Verlustzahlen gibt es nicht, die fehlenden staatlichen Sicherheitsvorschriften für die nichtmilitärische Seefahrt, 280 die große Zahl von Zwischenfällen, die in den Quellen überliefert ist, und nicht zuletzt die zahlreichen antiken Wrackfunde sprechen jedoch für sich. 281

273

Vgl. Dem. 56.30; CASSON, Die Seefahrer der Antike, 180; ROUGÉ, Recherches sur

l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 33; ISAGER/HANSEN 59 f. 274

Siehe o. 64 233 ; die in Apostelgeschichte 27.9 ff. enthaltenen Schilderungen vermitteln einen besonders lebendigen Eindruck von den aus Stürmen, Klippen und Untiefen resultierenden Seegefahren; vgl. auch CASSON, Die Seefahrer der Antike, 376 ff.; HÖCKMANN 88 ff.; DE SAINTE CROIX 42; VÉLISSAROPOULOS 320 f. 275

Ricerche in tema di prestito marittimo, in: Ann. Palermo, XXXIX (1987) 210 f. Siehe ο. 71 f. 277 Vgl. Dem. 34.2: ούχ ούτως ήμεΐς άναίσχυντοί έσμεν ούδ' άπειροι του ζημιοϋσθαι („wir sind zum einen nicht schamlos, zum anderen wissen wir, was es bedeutet, Verluste zu erleiden"). 278 RE XVI (1933), s.v. Ναυτικός τόκος, 2043. 279 Die römische Flotte, 121 f. 280 Vgl. ADAM, Aspects de la sécurité de la navigation dans l'Antiquité grecque, 285; Dem. 34.10: Das völlig überladene Schiff, das Lampis führt, kentert kurz nach Verlassen des Hafens. 276

281

Vgl. nur die bei HÖCKMANN 90 ff. und ZIEBARTH, Seeraub und SeehandeL 15 f.

genannten Beispiele; dagegen steht COHEN, Athenian Economy and Society, 143 den hohen Verlustziffern sehr kritisch gegenüber. Einen guten Überblick über nahezu 1 300 antike Wrackfunde im Mittelmeer vermittelt der von PARKER, Ancient Shipwrecks of the Mediterranean & the Roman Provinces, 39 ff. erstellte Katalog.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

73

Dennoch muss es bei Seedarlehensgeschäften unter dem Strich möglich gewesen sein, einen Gewinn zu erzielen, der deutlich über den zu Lande üblichen Zinsen lag. Ansonsten hätten die Geldgeber ihr Kapital anderweitig angelegt, und nur so lässt sich die große Beliebtheit des δάνειον ναυτικόν (dàneion nautikon) als Anlagemöglichkeit erklären. Erhöhte sich das Ausmaß der Seegefahr, beispielsweise in Kriegszeiten, so erhöhten sich auch die Seezinsen weiter. Gegen den Angriff eines Kriegsschiffes war ein Handelsschiff praktisch wehrlos: Zwar fuhr häufig eine größere Anzahl von Handelsschiffen im Konvoi, 282 auch ist für die athenischen Kornsendungen überliefert, dass diesen Konvois bei kriegerischen Auseinandersetzungen Schutz durch begleitende Kriegsschiffe gewährt wurde. 283 Aber die Flotte der Athener konnte in Ermangelung einer ausreichenden Zahl von Kriegsschiffen genauso wenig einen umfassenden Schutz der Handelsschifïfahrt vor Beeinträchtigungen durch Feindkontakt gewährleisten, wie dies in Friedenszeiten in Bezug auf die Piraten möglich war. 284 Eine andere Gefahr, die auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Schuldners oder eines Dritten zurückzuführen war, übernahm der Gläubiger nicht. 285 Außerdem war die Gefahrtragung beschränkt auf den Zeitraum, in dem das Schiff in See stand, 286 d.h. sie begann mit dem Auslaufen aus dem Ausgangshafen und endete mit dem Erreichen des Bestimmungshafens. Um Beweisschwierigkeiten bei späteren Streitigkeiten zu vermeiden, versicherte sich ein Darlehensnehmer beim Verlassen des Ausgangshafens stets einer ausreichenden Anzahl von Zeugen, um den Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf den Darlehensgeber beweisen zu können. 287 Im Falle eines Seedarlehens für die Hin- und Rückfahrt wurde die Gefahrtragung des Darlehensgebers während des Aufenthaltes in dem ausländischen Hafen unterbrochen. 288 Eine Gefahr für den Darlehensgeber konnte auch in der Person des Schuldners liegen. Das Risiko eines Betruges war trotz der Bekanntschaft zwischen Darlehensgeber und Naukleros bzw. Emporos nicht völlig ausgeschlossen.289 So 282 Vgl. Dem. 50.17, 21 oder Dem. 56.9, wo vom Preisverfall nach Ankunft einer von Kleomenes dirigierten Getreideflotte (vermutlich 322 v. Chr.) die Rede ist. 283 Vgl. z.B. Dem. 50.17, 21 sowie CASSON, Die Seefahrer der Antike, 195;

VÉLISSAROPOULOS 135 f. m.w.N. 284 Zur Bekämpfung der Piraterie vgl. ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 16 ff. mit Quellenangaben. 285

286

SCHWAHN, RE X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ι κ ό ς τόκος, 2043.

Vgl. Dem. 34.28, 33; ISAGER/HANSEN 79; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2036; SIEVEKING 13. 287 Vgl. Dem. 34.28 f.; Lykurg kata Leokratous 55. 288 Vgl. Dem. 34.8 f., 33. 289 Dies beweisen bereits die Händlercharaktere, die in den einschlägigen Gerichtsreden des Demosthenes Erwähnung finden; zur Redlichkeit im griechischen Handelsverkehr vgl. u. 160 ff.

74

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

diente das eigene Mitfahren oder ein mitgesandter Sklave 290 zwar der Absicherung gegen grundsätzlich denkbare betrügerische Machenschaften des Händlers. Niemals jedoch waren die hohen Seezinsen durch ein Risiko, das in einer möglichen Unzuverlässigkeit des Schuldners oder in dessen persönlichen Verhältnissen lag, bedingt. 291 Sie waren stets Ausdruck der mit der geplanten Handelsreise verbundenen Seegefahr. Häufig versuchten die Darlehensgeber das Ausmaß der Gefahren durch detaillierte Vertragsbestimmungen zu begrenzen. So wurden bestimmte Routen 292 und das Schiff, auf dem die Waren transportiert werden mussten,293 vertraglich vorgeschrieben, oder der Händler verpflichtete sich, seine Reise bis zu einem bestimmten Datum anzutreten, um den Abschluss der Handelsreise bis zum Beginn der Herbststürme zu gewährleisten. Hielt sich ein Händler nicht an diese Vereinbarungen, so ging der Anspruch auf Zahlung von Darlehensschuld und Zinsen auch dann nicht unter, wenn das Schiff und die Ladung verloren gingen, oder aber eine Konventionalstrafe trat an die Stelle der Forderung, falls die Parteien eine solche vereinbart hatten. 294

3. Versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens Die Geschichte des Versicherungsvertrages im heutigen Sinn beginnt erst im frühen 14. Jhdt. mit der Entstehung der Seeversicherungen. 295 Die Antike dagegen kennt die Risikoübernahme durch einen Dritten gegen Zahlung einer Prämie nicht. 296 Das Risiko des zufälligen Untergangs trug stets eine der Parteien

290

291

Vgl. o. 6 7 2 4 6 .

So auch BILLETER 30 und HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland,

84. 292

Vgl. Dem. 34.6; 35.10; 50.17; 56.3.

293

Vgl. Dem. 34.9. Vgl. Dem. 34.33; 56.38; ausführlich zu den Konventionalstrafen beim griechischen Seedarlehen u. 123 ff. 295 Hauptsächlich nach L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 362 ff. und ,Zur Geschichte der Seeversicherung4, in: Juristische Abhandlungen. Festgabe für Georg Beseler zum 6. Januar 1885, 201 ff. wurde lange Zeit angenommen, dass es sich bei der Seeversicherung um ein weiterentwickeltes Seedarlehen handelt. Aus der substantiellen Verschiedenheit beider Verträge den Nachweis einer unabhängigen Entwicklung erbracht zu haben, ist das Verdienst der (vorwiegend italienischen) rechts- und wirtschaftshistorischen Forschung des 20. Jhdts., vgl. nur PAOLI, Il prestitio marittimo nel diritto attico, 51 ff. und PERDIKAS, Die Enstehung der Versicherung im Mittelalter, 429 ff.; zusammenfassende Darstellung bei NEHLSEN-VON STRYCK, Die venezianische Seeversicherung im 15. Jahrhundert, 9 ff. m.w.N. 296 Dies ist unbestritten, vgl. nur BENECKE, System des Assekuranz- und Bodmereiwesens I, 3; ENDEMANN, Das Wesen des Versicherungsgeschäftes, 285; L. GOLD294

SCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 55, 363; ISAGER/HANSEN 74 f.; MILLET, Mari-

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

75

im Rahmen der vertraglichen Beziehungen.297 Im antiken griechischen Recht war dies bei einem gewöhnlichen Darlehen (δάνειον, dàneion) der Darlehensnehmer, beim Seedarlehen dagegen ausnahmsweise (und durch die Zahlung deutlich erhöhter Zinsen abgegolten) der Darlehensgeber. 298 Sowohl bei Aufnahme eines Seedarlehens als auch bei Abschluss einer Seeversicherung trägt das Risiko der Handelsreise also nicht derjenige, der sich am Seehandel beteiligt. Dem Seedarlehen wird deshalb überwiegend eine der heutigen Seeversicherung ähnliche Funktion zugesprochen. 299 Der konstruktive Unterschied zwischen beiden Rechtsinstituten darf jedoch nicht übersehen werden: Der Versicherer tritt nach vorheriger und definitiver Zahlung einer Prämie nur im Schadensfall ein, wohingegen der Geldgeber beim Seedarlehen im Schadensfall seinen Anspruch auf Rückzahlung der Darlehenssumme zzgl. Zinsen verliert. 300 Das finanzielle Risiko des Geldgebers ist also ein wesentlich höheres als das des Versicherers, denn auch bei glücklicher Beendigung der Seereise können unter Umständen Insolvenz oder Untreue des Schuldners die Durchsetzung seines Anspruchs gefährden. Nun finden sich in den demosthenischen Gerichtsreden aber Fälle, in denen sich die Händler zum Einkauf von Waren in doppelter Darlehenshöhe verpflichtet haben. Gleichzeitig sehen die Vereinbarungen der Parteien vor, dass die gesamte Warenmenge, also nicht nur die von dem kreditierten Geld gekauften time loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 43 f.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 51 ff.; PERDIKAS, Die Enstehung der Versicherung im Mittelalter, 10; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045; DE SAINTE CRODC 42; SIEVEKING, Das Seedarlehen des Altertums, 10. 297 Der Versicherungsgedanke war der Antike aber nicht völlig unbekannt, wie die collegia tenuiorum bzw. funeratica, die so genannten Sterbevereine, beweisen; hierbei handelt es sich jedoch um eine isolierte Erscheinung, vgl. PERDIKAS, Die Enstehung der Versicherung im Mittelalter, 10 und WALTZING, Étude historique sur les corporations professionelles chez les Romains I, 141 ff. 298 Vgl. ο. 69 ff. 299 Vgl. nur BÜCHSENSCHÜTZ, Besitz und Erwerb im griechischen Altertume, 490 („So bildete diese Art von Darlehen eine Assecuranz für Schiff und Ladung"); COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 127 f. („an early form of insurance"); ISAGER/HANSEN 74 f.; JHERING, Das angebliche geschichtliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, in: Jher. Jahrb. XIX, 6: „Nennen wir ihn [d.h. den Geldgeber] den Assecuradeur der alten Welt"; KNORRINGA 92 („a loan combined with assurance"); KUPISZEWSKI, Sul prestito marittimo nel diritto romano classico, 376: „funzione di una assicurazione marittima allo stato embrionale"; SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon dàneion, 760; MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 44; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045; DE SAINTE CRODC 42; SIEVEKING 10 f.; VÉLISSAROPOULOS 302; ZIEBARTH, Eine Handelsrede aus der Zeit

des Demosthenes, 31 („Ersatz für die Seeversicherung"). 300 L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 363 betont insofern, dass dem Seedarlehen, dessen Darlehenssumme als „antizipierte, bei Nichteintritt des Seeunfalls (...) zurückzuzahlende Versicherungssumme" betrachtet werden könne, noch die für die Seeversicherung charakteristische definitive Prämienzahlung als Entgelt für die Abwälzung der Gefahrtragung auf ein anderes Vermögen fehlte.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Handelsgüter, den Darlehensgebern als Sicherheit haften soll. An der von den Händlern mit ihrem eigenen Geld eingekauften Ware wird den Gläubigern also eine zusätzliche Hypotheke bestellt, 301 die im Übrigen frei von Belastungen zugunsten Anderer zu sein hat. 3 0 2 Dem. pros Phormiona 34.6: 'Εγώ γαρ (...) έδάνεισα Φορμίωνι τουτωί είκοσι μνας άμφοτερόπλουν είς τον Πόντον έπί έτερς* υποθήκη, ... Κελευούσης δέ της σγγραφης ένθέσθαι είς την ναΰν τετρακισχιλίων φορτία άξια, πραγμα ποιεί πάντων δεινότατον·... Ich habe nämlich (...) dem hier anwesenden Phormion 20 Minen für die Fahrt zum Pontos und zurück unter Haftung einer weiteren Hypotheke geliehen,... Aber die Bestimmungen des Vertrages, wonach in das Schiff Ladung im Wert von 4 000 [Drachmen] zu schaffen gewesen wären, missachtend, begeht er die ungeheuerlichste aller Taten:... Ganz ähnlich ist die bereits mehrfach erwähnte Regelung ausgestaltet, die sich in der Lakritos-Urkunde (Dem 35.10 ff.) findet: Hier wird vereinbart, dass 3 000 Amphoren mendäischen Weines für ein Seedarlehen i.H.v. 3 000 Drachmen haften sollen. 303 An anderer Stelle wird erwähnt, dass der verpfändete Wein den doppelten Wert des Darlehens hat. 304 Auch in diesem Fall muss der Händler also vor Beginn der Handelsreise zusätzlich eigene Mittel in Höhe des Seedarlehens aufwenden, um die Vertragsbestimmungen zu erfüllen. Aus Sicht der Darlehensgeber war eine solche Vereinbarung aus verschiedenen Gründen erstrebenswert: Die zusätzliche Hypotheke bot zunächst Schutz vor Untersicherung infolge der mitunter erheblichen Preisschwankungen. 305 Des Weiteren war

301 Dagegen entstand die Hypotheke an den mit dem kreditierten Geld gekauften Waren infolge des Surrogationsgedankens beim griechischen Seedarlehen ohne dass es einer besonderen Vereinbarung der Parteien bedurft hätte, vgl. u. 90 ff. 302 Vgl. Dem. 35.11; damit war jedenfalls den Emporoi die Aufnahme eines weiteren Seedarlehens zur Finanzierung der zusätzlich einzukaufenden Waren deutlich erschwert, denn bei diesem Geschäft hätten die Geldgeber von vornherein auf jegliche Sicherheit an den von ihrem Geld gekauften Waren verzichten müssen. 303 Vgl. § 10: έπί οϊνου κεραμίοις Μενδαίοις τρισχιλίοις („unter Verpfandung von 3 000 Amphoren mendäischen Weines"); ausführlich zu dieser Vereinbarung u. 96 ff. 304 Vgl. § 18: Πρώτον μέν γαρ γέγραπται δτι έπ' οι νου κεραμίοις τρισχιλίοις έδανείσαντο παρ' ημών τάς τριάκοντα μνας, ώς ύπαρχούσης αύτοις υποθήκης έτέρων τριάκοντα μνών („Vor allem nämlich steht geschrieben, dass die 30 Minen von unserer Seite unter Verpfändung von 3 000 Amphoren Wein zum Darlehen gegeben wurden, woraus sich eine Hypotheke von weiteren 30 Minen ergibt"). 305 BÜCHSENSCHÜTZ, Besitz und Erwerb im griechischen Altertume, 488; ISAGER/HANSEN 77; KNORRINGA 94; zwar war der Schuldner zum Ersatz eines sich beim Verkauf des Pfandes ergebenden Minderwertes verpflichtet; die Realisierung der persönlichen Haftung des Schuldners war jedoch ungleich schwieriger als die Befriedigung aus einem Pfand, zu dessen Bereitstellung der Schuldner nach Fälligkeit ohnehin vertraglich verpflichtet werden konnte, vgl. u. 121 ff; dass man mit enormen Verlusten aufgrund von Preisschwankungen rechnete, beweist nicht zuletzt die Tatsache, dass die

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

77

es auf diese Weise möglich, auch die Zinsforderung durch eine Hypotheke zu sichern; 306 schließlich konnten die Geldgeber bei einer Eigenbeteiligung der Händler davon ausgehen, dass diesen das Schicksal der Waren niemals gleichgültig sein würde. 307 Diese Beobachtungen haben PAOLI veranlasst, Zweifel an der Versicherungsfunktion des Seedarlehens zu hegen. 308 In der Tat trägt der Händler bei einer derartigen Vertragsgestaltung ein eigenes Risiko: Im Falle eines Schiffbruchs erlischt zwar seine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Darlehensgeber, aber er verliert auch die Waren, die er auf eigene Rechnung gekauft hat und erleidet insofern einen finanziellen Verlust. Das Risiko der Handelsreise ist also lediglich zur Hälfte abgedeckt. Auch bei einem Naukleros, der von dem kreditierten Geld Waren gekauft hat und dessen Schiff als Sicherheit für die Forderung haftet, könne, so PAOLI, von einer Versicherung keine Rede sein: Im Falle des Schiffbruchs verliere dieser sein Schiff und darüber hinaus den erstrebten Ge309

winn. Tatsächlich sind die Darlehensnehmer gerade in den beiden Fällen, die in den demosthenischen Gerichtsreden ausführlicher geschildert werden, zum Einkauf von Waren in doppelter Darlehenshöhe verpflichtet. Dennoch ist vor dem Hintergrund der dürftigen Quellenlage fraglich, ob hieraus auf die Regel geschlossen werden kann, wie dies - nicht zuletzt unter Hinweis auf die Ausführungen des Chrysippos vor dem athenischen Handelsgericht - immer wieder geParteien in der Lakritos-Urkunde trotz der Bestellung von Sicherheiten in doppelter Darlehenshöhe den Fall eines eventuellen Mindererlöses bedacht haben, vgl. u. 115 f. 306 Dies konnte aus Sicht der Darlehensgeber ratsam erscheinen, wenn damit zu rechnen war, dass der Wert der hypothekarisch haftenden Rückfracht nach der Rückkehr in den Ausgangshafen u.U. nicht einmal den Darlehensbetrag erreichen würde, z.B. bei hochspekulativen Geschäften, vgl. ISAGER/HANSEN 77. 307 COHEN, Athenian Economy and Society, 57; ISAGER/HANSEN 77. 308 II prestito marittimo nel diritto attico, 51 ff.; vgl. auch MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 44; bereits BÜCHEL, Das gesetzliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, 40 ff. bestreitet für das Seedarlehen jegliches Versicherungsmoment. 309 Ebda., 54; wenn MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourthcentury Athens, 44 darüber hinaus anführt, der Händler sei ohnehin zumeist mit seinen Waren untergegangen, weshalb die Frage einer Versicherung in den meisten Fällen irrelevant gewesen sei, so geht er offensichtlich von falschen Voraussetzungen aus: Selbst wenn ein Schiff auf hoher See von einem Unwettter getroffen wurde, war die Rettung von Schiff und Besatzung bzw. Mitreisenden mit ein bisschen Glück möglich, wie die Geschichte des Apostel Paulus beweist, vgl. o. 64 233 . Dass der Verlust der Ladung nicht gleichbedeutend mit dem Tod des Händlers war, beweisen im Übrigen auch die Bestimmungen über den Seewurf (vgl. o. 64 ff.) und die Häufigkeit, mit der sich Schuldner in den demosthenischen Gerichtsreden auf den Untergang des Schiffes berufen, vgl. nur Dem. 34.10, 12; 35.32; Diogenes Laertius 7.2 berichtet vom Schiffbruch des (späteren) Philosophen Zenon, als dieser eine Ladung Purpur von Phönizien zum Piräus transportierte.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

schieht. 310 Der bereits oben erwähnte Händler Phormion hat in Athen nicht nur 20 Minen ( = 2 000 Drachmen) von Chrysippos geliehen, sondern auch von dem Phönizier Theodoras und dem Naukleros Lampis ein Seedarlehen i.H.v. 4 500 bzw. 1 000 Drachmen erhalten, insgesamt also 7 500 Drachmen ( = 75 M i nen). 311 Nun wirft man Chrysippos i m Gerichtsverfahren vor, er sei seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht in vollem Umfang nachgekommen, da er nur Waren für 5 500 Drachmen gekauft habe. Dem. pros Phormiona 34.7: Δέον δ' αυτόν καταγοράσαι φορτία Άθήνηθεν μνών έκατόν δέκα πέντε, εί ήμελλεν τοις δανεισταΐς πασι ποιήσειν τα έν ταϊς συγγραφαις γεγραμμένα, ού κατηγόρασεν άλλ' ή πεντακισχιλίων καί πεντακοσίων δραχμών, συν τω έπισιτισμώ· οφείλει δέ έβδομήκοντα μνας καί πέντε. Es wäre nötig gewesen, in Athen Ladung für 115 Minen einzukaufen, wenn er beabsichtigt hätte, allen Darlehensgebern zu leisten, was in den Seedarlehensurkunden geschrieben stand, aber er kaufte nur für 5 500 Drachmen, einschließlich des Proviants; er schuldete nun aber 75 Minen. Die Aussage, Phormion sei zum Einkauf von Waren i m Wert von 115 Minen (11 500 Drachmen) verpflichtet gewesen, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Folgt man aber REISKE312 und korrigiert δέκα πέντε zu πεντήκοντα, so ergibt sich, dass Phormion - nach der Darstellung des Chrysippos! - in Athen eigentlich Waren i m Wert von insgesamt 150 Minen (15 000 Drachmen) hätte einkaufen und auf das Schiff des Lampis verladen müssen. Der Aussagegehalt dieser Einlassung wird nun verständlich: Der gegen Phormion erhobene Vorwurf beruht auf der Unterstellung, dass sich auch Theodoras und Lampis eine zusätzliche Hypotheke in Höhe des Seedarlehens ausbedungen haben. Es wäre nun einerseits möglich, dass Chrysippos Kenntnis von den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Phormion und Theodoras bzw. Lampis hatte. 313 Andererseits, und das ist wesentlich wahrscheinlicher, könnte er auch einfach von der 310 Vgl. ASHBURNER, The Rhodian Sea-Law, 213: „It seems to have been the rule that the property hypothecated should be of the value of twice the loan - at least in cases where the loan was for both outward and inward voyage"; COHEN, Athenian Economy and Society, 57; ISAGER/HANSEN, Athenien Society, 77 (für das δάνειον άμφοτερόπλουν); MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 44; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 51 ff.; a.A: BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne IV, 288 ff.; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045; ungenau: GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 148 , 1631. 311 Vgl. Dem. 34.6. 312 REISKE nimmt an, die Abkürzung ΔΠ (δέκα πέντε = 15), die sich in den Manuskripten findet, resultiere aus einem Abschreibefehler und sei als (3 zu lesen, was für πεντήκοντα ( = 50) steht; dieser Vorschlag hat überwiegend Zustimmung gefunden, vgl. nur GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1552, ISAGER/HANSEN 16137, SCHÄFER, Demosthenes und seine Zeit, 3027. 313 Nach den Ausführungen des Chrysippos erscheint dies eher unwahrscheinlich.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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Gestaltung des eigenen Vertrages auf die zwei anderen Verträge geschlossen haben. Mit der Realität haben die 150 Minen vermutlich nichts gemeinsam: Bei der Aussage des Chrysippos scheint es sich vielmehr um einen falschen Tatsachenvortrag zu handeln, den Phormion im weiteren Verlauf der Gerichtsverhandlung sicherlich zu entkräften suchte. 314 Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Sowohl Theodoras als auch - naturgemäß - der Naukleros Lampis befanden sich während der Fahrt zur Krim an Bord des Schiffes. Sie hatten demnach vor dem Auslaufen Gelegenheit zu kontrollieren, ob die von Phormion an Bord gebrachten Waren den vertraglichen Vereinbarungen entsprachen. Offensichtlich wurden die an Bord verbrachten Waren im Wert von 5 500 Drachmen 315 von den beiden nicht beanstandet;316 ansonsten hätte das Schiff wohl kaum den Piräus verlassen. Dies wiederum spricht dafür, dass sich Phormion gegenüber Theodoros und Lampis lediglich zum Kauf von Waren in Höhe des Darlehens (4 500 + 1 000 = 5 500 Drachmen) verpflichtet hat. 317 Eine derartige Vereinbarung würde nicht zuletzt den für die Geldgeber wesentlich günstigeren Rahmenbedingungen entsprechen: Theodoros und Lampis verloren „ihr" Geld bzw. die davon gekauften Waren während der Fahrt zum Kimmerischen Bosporus nicht aus den Augen; im Übrigen sind die beiden Seedarlehen nur für die Hinfahrt gewährt worden. 318 Das Risiko war hier für die Geldgeber also wesentlich geringer als dasjenige, welches mit dem von Chrysippos (teil-)finanzierten Geschäft einherging. Die Aussage des Chrysippos vor Gericht kann demnach nicht als Beweis für die durchgängige Verpflichtung der Darlehensnehmer zum Einkauf von Waren in zweifacher Höhe der Darlehenssumme, mithin auch nicht für eine regelmäßige anteilige Gefahrtragung durch die Händler herangezogen werden. Sie spricht daher auch nicht gegen die versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens im griechischen Recht. Vielmehr scheint das mit der Handelsreise verbundene wirtschaftliche Risiko im Einzelfall den Ausschlag für die Vereinbarung einer zusätzlichen Sicherheit gegeben zu haben. Gerade dieses Risiko ist nämlich auch im Lakritos-Fall besonders hoch und dürfte der Grund dafür sein, dass sich die Gläubiger eine

314

Problematisch dürfte bei diesem Unterfangen allerdings gewesen sein, dass weder Theodoros noch Lampis bei der Verhandlung vor dem athenischen Handelsgericht nicht präsent waren, mithin als Zeugen keine Berücksichtigung finden konnten. 315 Diese Summe wird durch die Unterlagen der Zollbehörden bestätigt, vgl. Dem. 34.7. 316

3,7

ISAGER/HANSEN 161 f.

Eine Hypotheke entstand den Gläubigern unter diesen Umständen, ohne dass es einer besonderen Vereinbarung bedurft hätte, vgl. u. 90 ff. 318 Vgl. Dem. 34.8, 22, 26, 40.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

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Hypotheke in doppelter Höhe des Seedarlehens ausbedungen haben: Der Transport mendäischen Weines zur Krim (eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete der Antike!) brachte angesichts fragwürdiger Absatzchancen jedenfalls ein erhebliches wirtschaftliches Risiko mit sich. Zwar zählte das wirtschaftliche Risiko nicht zu der von den Darlehensgebern übernommenen Seegefahr. 319 Bei hochspekulativen Geschäften dürfte das Verlangen der Geldgeber nach einer zusätzlichen Sicherheit aber häufiger zu entsprechenden Vereinbarungen geführt haben. Hier bestand die Gefahr, dass die Sicherheit infolge von Preisschwankungen in ihrem Wert gemindert wurde, so dass dem Gläubiger statt des Zugriffs auf die verpfändeten Gegenstände und der anschließenden Pfandverwertung nur der Klageweg blieb. 3 2 0 Bei Vereinbarung einer Hypotheke in doppelter Darlehenshöhe konnten die Darlehensgeber dagegen selbst bei einem fünfzigprozentigen Preisverfall auf Waren in Höhe des Darlehens zugreifen. Eine Übersicherung war dagegen auch in wirtschaftlich riskanten Fällen nicht erforderlich, wenn das Schiff eines Naukleros als Sicherheit diente; 321 denn selbst der Wert eines älteren Schiffes war beträchtlich und unterlag zumindest während der gewöhnlichen Laufzeit eines Seedarlehens keiner Wertminderung. 322 Im Übrigen spricht gegen die regelmäßige Vereinbarung einer Hypotheke in doppelter Höhe des Seedarlehens auch, dass ein Händler unter diesen Umständen stets über größere Mengen liquiden Geldes hätte verfügen müssen, was jedoch nicht immer der Fall war. 3 2 3 Festzuhalten ist daher, dass es zwar Fälle gab, in denen der Händler eine fünfzigprozentige „Unterversicherung" zu tragen hatte; die Regel war dies jedoch nicht. 3 2 4 Die versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens stand immer dann im Vordergrund, wenn der Händler ein Seedarlehen auf die bereits zuvor aus eigenen Mitteln gekauften Waren aufnahm. 325 Wurde das kreditierte Geld für den Einkauf von Proviant für die Besatzung des Schiffes, zur Zahlung des Mannschafitssoldes oder für Reparaturmaßnahmen am Schiff verwendet, so bedeutete die mit dem Verlust des Schiffes einhergehende Befreiung von der Zahlungs-

319

Vgl. o. 63. Zur Verwertung der Hypotheke vgl. u. 107 ff. 321 Vgl. Dem. 33.6; 56.3. 322 Vgl. o. 35 f. 323 Vgl. o. 32 ff. 324 Es könnte allerdings sein, dass eine Übersicherung in Höhe der ausbedungenen Zinsen häufiger vorkam; Belege, die diesen Gedanken bestätigen würden, fehlen jedoch. 320

325

Vgl. Dem. 32.4; 35.22 f.; DE SAINTE CROIX 43; SEIDL, Der Eigentumsübergang

beim Darlehen und Depositum irreguläre, 377; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045 sieht gerade in einer derartigen Geschäftspraxis den Normalfall.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

81

Verpflichtung zumindest eine Verringerung des dem Naukleros entstandenen Schadens.326 Vor diesem Hintergrund ist auch das bereits oben erwähnte Zitat aus der Gerichtsrede gegen Phormion zu sehen.327 Dem. pros Phormiona 34.51 : ... οΰτε ναΰν οΰτε ναύκληρον οΰτ έπιβάτην εστ άναχθήναι, το των δανειζόντων μέρος άν άφαιρεθη. Kein Schiff, kein Naukleros, kein Reisender [ = Emporos] ist in der Lage, in See zu stechen, wenn der Anteil der Darlehensgeber entfiele. Das finanzielle Risiko, das der Seehandel in der Antike aufgrund der ständigen Bedrohung durch die Gefahren der See barg, hätte kein Händler auf Dauer alleine tragen können; auch wegen seiner risikoverteilenden Funktion war das Seedarlehen in der Antike so beliebt. 328 Eine dem modernen Versicherungsvertrag zumindest in Ansätzen vergleichbare ökonomische Funktion kann dem Seedarlehen daher nicht abgesprochen werden. Allerdings besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Seedarlehen und der Seeversicherung nicht zuletzt darin, dass der Händler bei einem Seedarlehen nur insofern schadlos gehalten wird, als ihn der Verlust des reinen Warenwertes nicht trifft; seine Gewinnerwartungen jedoch sind nicht abgedeckt. Gegenstand der Seeversicherung dagegen kann jedes in Geld schätzbare Interesse sein, das der Versicherungsnehmer daran hat, dass Schiff und/oder Ladung die Gefahren der Seefahrt bestehen; insbesondere kann der von der Ankunft der Güter am Bestimmungsort erwartete Gewinn versichert werden. 329

4. Seezinsen (τόκοι ναυτικοί) Als Ausgleich für die Übernahme der Seegefahr verpflichteten sich die Händler zur Zahlung außerordentlich hoher Zinsen. Die Seezinsen (τόκοι ναυτικοί, tókoi nautikoi) unterlagen keiner Beschränkung, weshalb sich das Seedarlehen während der gesamten Antike trotz des hohen Risikos als Anlagemöglichkeit größter Beliebtheit erfreute.

326

Vgl. o. 54 f.

327

So auch DE SAINTE CROIX 43.

328

Vgl. ο. 56 f. Vgl. §§ 778, 779 Abs. 1 HGB vom 18. Mai 1897 sowie die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungs-Bedingungen (§ 12). 329

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

82

a) Höhe Die Höhe der Zinsen richtete sich im antiken athenischen Recht nach den Vereinbarungen der Parteien. Ein Gesetz des Solon gestattete insoweit weitestgehende Vertragsfreiheit. 330 Bei einem gewöhnlichen Darlehen war lediglich die Wuchergrenze, die bei 33,33 % p.a. lag, 3 3 1 zu beachten. Zumeist wurde ein Zinsfuß von 12% p.a. (έπί δραχμή, epi drachme) vereinbart. 332 War das Geschäft mit einem größeren Risiko verbunden, so verlangte der Geldgeber höhere Zinsen. 333 Die mit der Seefahrt verbundenen Unwägbarkeiten waren, wie oben aufgezeigt, besonders hoch. Dementsprechend hoch waren auch die Zinsen beim Seedarlehen. Die Wuchergrenze galt hier nicht, denn die Zinsen waren der Ausgleich für das vom Darlehensgeber übernommene Risiko. Zu bedenken ist allerdings, dass die Vielzahl der potentiellen Geldgeber, auf die ein Händler in den großen Häfen traf, und der daraus resultierende „Wettbewerb" wenngleich auf hohem Niveau - eine gewisse regulierende Wirkung gezeigt haben dürften. Die Risikoübernahme war im Übrigen nicht der alleinige Grund für die Höhe der Zinsen. Auch der Wunsch der Geldgeber nach Beteiligung am Gewinn aus dem Seehandelsgeschäft wurde durch den hohen Zinsfuß befriedigt. Schließlich ermöglichten in der Regel erst die Geldgeber das Geschäft, indem sie sich bereit fanden, die finanzielle Grundlage für den Einkauf der Waren zu schaffen bzw. das Risiko von Verlusten zu übernehmen. Die Zinsen wurden nicht nach Tagen, sondern für die ganze Seefahrt in Form eines festen Betrages fixiert. 3 3 4 Der Zinssatz variierte nach den Umständen des Einzelfalls. 335 Entscheidend war zunächst die Länge der Fahrt 336 und des Weite330

Lysias kata Theomnestu A 10.18; vgl. auch BOECKH 185; KLEINSCHMIDT 8;

LIPSIUS 720; DE SAINTE CROIX 46. 331

Vgl. Dem. 30.7; ausführlich zum Wucherzins BILLETER 44 f. Dem. 27.9, 23, 35; Dem. 28.13; Dem. 37.5. Zum gewöhnlichen Darlehen und den damit einhergehenden Zinsvereinbarungen vgl. LIPSIUS 716 ff.; zum mittleren Zinsfuß in 332

Athen vgl. BILLETER 10 ff. 333

Es liegen Belege für Zinsvereinbarungen von bis zu 18 % p.a. vor, vgl. Dem.

13.13; 34.24 ( 1 6 , 6 7 % ) . 334

Vgl. nur Dem. 35.10: έπι διακοσίαις είκοσι πέντε τάς χιλίας („bei einem

Zinssatz von 225 für 1 000"). 335

In der Literatur des 19. Jhdts. war heftig umstritten, ob es beim δάνειον ναυτικόν einen regelmäßig wiederkehrenden Zinssatz gab: BÜCHSENSCHÜTZ, Besitz und Erwerb im griechischen Altertume, 498 und LIPSIUS 723 wollen einer Äußerung Xenophons [Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.9] entnehmen können, dass der übliche Zinssatz bei einem δάνειον άμφοτερόπλουν 20 % betrug. Dies aber deckt sich nicht mit den uns überlieferten Zahlen; außerdem berücksichtigt die Annahme eines üblichen Zinssatzes nicht das Interesse der Geldgeber, den Zinssatz ensprechend der Risiken, die mit einer

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

83

ren, ob das Darlehen nur für die Hinfahrt (έτερόπλους, heteróplous) nach einem anderen Handelsplatz oder auch für die Rückfahrt (άμφοτερόπλους, amphoteroplous) gewährt wurde. 337 Bei Vereinbarung eines δάνειον άμφοτερόπλουν (dàneion amphoteroploun) dürfte sich der Zinssatz in der Regel verdoppelt haben. Für eine einfache Fahrt von Sestos am Hellespont nach Athen werden beispielsweise 12,5% Zinsen vereinbart. 338 Bei dem Seedarlehen i.H.v. 2000 Drachmen, das der Emporos Phormion für eine Handelsfahrt von Athen zur östlich der Krim gelegenen Straße von Kertsch und zurück empfangen hat, sind nach glücklicher Beendigimg der Handelsreise 2 600 Drachmen fällig, was einem Zinssatz von 30 % (bezogen auf die Dauer der Reise!) entspricht. 339 In der Syngraphe, die in der Rede des Demosthenes gegen Lakritos überliefert ist, wird für die Fahrt von Athen über Mende oder Skione zur Krim bzw. zum Borythenes (Djnpr) und von dort zurück nach Athen ein Zinssatz von 22,5 % vereinbart. 340 Die genaue Festlegung der Route bleibt in der Lakritos-Urkunde den Händlern überlassen.341 So trugen die Parteien den Gegebenheiten des Marktes Rechnung, denn die Absatzmöglichkeiten in einem ausländischen Hafen waren nicht immer klar kalkulierbar. So wird in Dem. 34.8 davon berichtet, dass die Geschäfte des Phormion am Kimmerischen Bosporus (Straße von Kertsch) schlecht gingen, weil der Krieg Pairisades' I. 3 4 2 gegen die Skythen den Handel lähmte. Phormion sah sich deshalb gezwungen, Lampis, den Führer des Schiffes, auf dem er seine Waren transportierte, davonsegeln zu lassen, was allerdings einen Verstoß gegen den Seedarlehensvertrag bedeutete.

Seereise im Einzelfall verbunden waren, individuell festzulegen. Angesichts der Vielzahl von Faktoren, die bei den Zinsvereinbarungen Berücksichtigung fanden, kann sich ein derartiger „Standardzinssatz" nicht herausgebildet haben, vgl. BILLETER 38 ff., BÖCKH 170, MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het Nautikon daneisma te Athene, 160; allenfalls für regelmäßig befahrene Routen mag es feste Sätze gegeben haben, vgl. SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2042. 336 Vgl. Dem. 56.5 und 12. 337 Möglicherweise ist Dem. 34.30 in diesem Sinn zu verstehen: σοι δ' άποδιδόντι τό τε δάνειον και τους τόκους άμφοτέρους, έτερόπλφ τω άργυρίφ κεχρημένφ, ... („Dir aber, der Du das Darlehen zurückgegeben hast und die Zinsen für die Hin- und die Rückfahrt gezahlt hast, obwohl Du das Geld nur für die Hinfahrt verwendet hast, ..."); insofern bejahend BÖCKH 170 ff. 338 Dem. 50.17. 339 Dem. 34.6, 23: καί οΰτος μέν έδάνεισεν αύτω δισχιλίας δραχμάς άμφοτερόπλουν, ώστ άπολαβεΐν Άθήνησιν δισχιλίας έξακοσίας δραχμάς („Und jener [i.e. Chrysippos] lieh ihm 2 000 Drachmen für die Hin- und Rückfahrt, unter der Bedingung, dass er in Athen 2 600 Drachmen bekommen würde"). 340 Vgl. Dem. 35.10. 341 HASEBROEK, Betriebsformen des griechischen Handels, 415 vermutet, dass dies häufig vorkam. 342 König des bosporanischen Reiches von 349 - 310 v. Chr.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Auch die Jahreszeiten wurden berücksichtigt, bargen doch vor allem die Herbststürme große Risiken für die Schifffahrt: 343 So enthält die LakritosUrkunde eine Bestimmung, wonach sich der Zinssatz auf 30 % erhöht, falls das Schiff μετ Άρκτοϋρον, d.h. nach dem Frühaufgang des Arkturos im Boedromion 3 4 4 (14. September), zurücksegeln sollte. 345 Nach diesem Datum galt die Seefahrt in der Antike als unsicher. Vegetius, Epitoma Rei Militaris, 4.39: navigatio est (...) discrimini propior propterea quia post idus Septembres oritur Arcturus, vehementissimum sidus. Die Seefahrt ist (...) einer Gefahr deswegen näher, weil nach den Iden des September [i.e. nach dem 13. September] der Arkturus, ein äußerst stürmisches Gestirn, aufgeht. Schließlich fanden bei der Festsetzung des Zinssatzes die besonderen Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung: die erwartete Gefährdung durch Seeräuberei oder feindliche Kriegsschiffe und ebenso die Anforderungen, die die beabsichtigte Route an die navigatorischen Fähigkeiten des Kapitäns stellte. Bei den genannten Zahlen ist zu beachten, dass die Zinsen im Falle des Seedarlehens nicht auf das Jahr, sondern für die Dauer der Fahrt berechnet wurden. 346 Diese betrug im Altertum selten mehr als ein halbes Jahr, zumal die Schifffahrtsrouten begrenzt waren und die Schifffahrt im Winter nahezu vollständig zum Erliegen kam. 3 4 7 Ein Zinsfuß von 40 bis 60 % p.a. war also beim δάνειον ναυτικόν durchaus nicht ungewöhnlich. Ging die Handelsreise durch die gefahrvolle und von Seeräubern heimgesuchte Adria, so konnten es auf das Jahr hochgerechnet 100% und mehr sein. 348 Bei einer Fahrt von Athen zum Hellespont und zurück, die einschließlich der Handelstätigkeit (Verkauf, Ankauf, Verladung von Waren, Erledigung der Zollformalitäten) zwischen zwei und drei Monaten dauerte, 349 ergaben sich rechnerisch sogar Zinserträge von 343

Zu den mit Wind und Wetter verbundenen Gefahren für die antike Seefahrt vgl. die Quellenangaben bei KROLL, RE II A.1 (1921), s.v. Schiffahrt, 409 f. sowie MANTHE, Die libri ex Cassio des Iavolenus Priscus, 3 00 188 m.w.N. 344 Zu den Sternbildern im Altertum vgl. GUNDEL, RE III A (1927), s.v. Sternbilder und Sternglaube, 2412 ff. m.w.N. 345 Siehe Dem. 35.10; vgl. auch Dem. 50.19, wo der Grund für den erhöhten Zinssatz allerdings nicht genannt wird. 346 Vgl. BILLETER 40; BISCARDI, Diritto greco antico, 156; CASSON, Die Seefahrer der Antike, 179; LIPSIUS 724; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 347; SIEVEKING 17; DE SAINTE CROIX 46 20 . 347 Vgl. o. 71 f. 348 Vgl. CASSON, Die Seefahrer der Antike, 179; DAUVILUER, Recherches sur un contrat caravanier babylonien et sur les origins du prêt à la grosse aventure dans l'Antiquité grecque, 374; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 68; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 347; DE SAINTE CROIX 46. 349

ISAGER/HANSEN 60.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

85

120 bis 180% p.a. 350 Wer es als Geldgeber verstand, sein Vermögen während der gesamten Schifffahrtssaison ohne größere Unterbrechungen anzulegen, der konnte demnach einen hübschen Gewinn erzielen.

b) Fälligkeit der Zinsen Die Fälligkeit der Zinsen richtete sich nach der Fälligkeit des Darlehens. 351 Die Zahlung hatte somit innerhalb der diesbezüglich vereinbarten Frist nach Erreichen des Zielhafens zu erfolgen.

5. Sicherheiten a) Die besondere Bedeutung der Sicherheiten beim Seedarlehen Es liegt in der Natur des Seedarlehens, dass der Gläubiger das von ihm dargeliehene Geld aus den Augen verliert. Lediglich die Vertragsurkunde verbleibt in seinen Händen, nachdem der Händler den Hafen verlassen hat. Dem. kata Dionysodorou 56.1, 2: Συμβαίνει δ' ήμΐν τοις την κατά θάλατταν έργασίαν προηρημένοις καί τα ήμέτερ' αυτών έγχειρίζουσιν έτέροις έκεινο μέν σαφώς ειδέναι οτι ό δανειζόμενος εν παντί προέχει ημών. Λαβών γαρ άργύριον φανερό ν καί ομολογούμενον, έν γραμματειδίφ δυοΐν χαλκοΐν έωνημένψ καί βυβλιδίφ μικρώ πάνυ την ομολογία ν καταλέλοιπε του ποιήσει ν τα δίκαια. (...) Τω ου ν ποτέ πιστεύοντες και τί λαβόντες τό βέβαιον, προϊέμεθα; ... Wir, deren Beruf das Investieren unseres Geldes im Seehandel ist und die wir unser Geld in fremde Hände geben, wissen sehr wohl, dass der Darlehensnehmer uns gegenüber alle erdenklichen Vorteile hat: Nachdem er nämlich das Geld offen und ohne dass Zweifel bestünden entgegengenommen hat, verspricht er auf einem Schreibtäfelchen, das man für zwei Kupfermünzen kauft, oder auf einem kleinen Streifen Papyrus, dass er die Zusage ganz gewiss gemäß den Vereinbarungen erfüllen werde. (...) Auf was beruht nun aber unser Vertrauen und worin besteht unsere Garantie, wenn wir das Geld vorschießen? ... Selbst das dem Seedarlehen in der Regel zugrundeliegende Vertrauensverhältnis 352 vermochte die Geldgeber nicht immer vor betrügerischen Machen350

CAREY/REID, Demosthenes: Selected private speeches, 196. Wenn dagegen BÜCHEL, Das gesetzliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, 25 48 und WACHSMUTH, Hellenische Alterthumskunde aus dem Gesichtspunkte des Staates II. 1, 229 von einem Zinsmaß von 22,5 bis 30 % p.a. ausgehen, so missdeuten sie die Angaben, die in den Gerichtsreden des Demosthenes enthaltenen Angaben und übersehen im Übrigen, dass der Seehandel auf die Sommermonate beschränkt war. 351 LIPSIUS 724; zur Fälligkeit des Darlehens vgl. o. 66. 352 Vgl. o. 38 f.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

86

schatten der Darlehensnehmer zu schützen; ihr Interesse an einem Pfandobjekt, auf das sie jederzeit Zugriff nehmen konnten, muss daher groß gewesen sein. Gerade dies widersprach aber den Interessen der Händler, die ihr Vermögen möglichst flexibel und damit so gewinnbringend wie möglich im Handel einsetzen wollten. 353 Ein Faustpfand hätte den Händlern die Grundlage ihrer Tätigkeit entzogen; die traditionellen griechischen Pfandrechte, die die Übergabe bzw. Übereignung des Pfandobjektes erforderten, 354 konnten den Bedürfnissen des Seehandels deshalb nicht genügen. Es spricht daher viel für die Vermutung, dass die fortschreitende Entwicklung des Seehandels von wesentlichem Einfluss auf die Entstehung der υποθήκη (hypothéke) war. 355 Diese war als besitzloses Pfandrecht spätestens seit dem 5. Jhdt. v. Chr. das beim griechischen Seedarlehen gebräuchliche Sicherungsmittel. 356 Aus der Tatsache, dass die Darlehensgeber ihre Sicherheit oft erst nach Monaten wiedersahen, ergaben sich jedoch neue Probleme. I m Grunde waren sie betrügerischen Machenschaften eines Händlers, etwa der vertragswidrigen Mehrfachverpfändung einer Sache oder der Pfandvereitelung, schutzlos ausgeliefert. Sie versuchten daher, sich durch detaillierte Bestimmungen über das Pfand abzusichern, nicht zuletzt, um Konflikte mit anderen Geldgebern bzw. Pfandgläubigern zu vermeiden. Dem Bedürfiiis der Geldgeber nach dinglichen Sicherheiten kam auch eine Besonderheit des griechischen Rechts - das Surrogationsprinzip - in ganz ungewöhnlicher Weise entgegen. Diesem Phänomen, das in Bezug auf das δάνειον ναυτικόν weitgehend unerforscht ist, wird daher besondere Beachtung zu schenken sein. Überhaupt kommt den Sicherheiten beim griechischen See353 Daher besaß ein Händler auch selten Immobilienvermögen, zumal das Recht auf Grundeigentum prinzipiell nur den athenischen Bürgern zustand, nicht aber Fremden und Metöken, die sich häufig als Händler betätigten, vgl. o. 3254. 354 Das griechische Recht kannte zunächst nur das ένέχυρον (enéchyron), ein Faustpfand, das dem römischrechtlichen pignus vergleichbar ist, und die πρασις έπί λύσει ( prâsis epi lysei , „Kauf auf Lösung"), die Ähnlichkeiten mit der römischenfiducia aufweist, und als Sicherungsübereignung in erster Linie für Grundstücke verwandt wurde; vgl. BERNEKER, RE Suppl. X (1965), s.v. πρασις έπί λύσει, 655; BISCARDI, Diritto gre-

co antico, 219 ff.; HARRISON, The law of Athens, 258 ff.; MACDOWELL, The Law in

Classical Athens, 142 ff; PAOLI, Ipoteca e αποτίμημα nel diritto attico, 141 ff; THÜR, DNP Χ (2001), s.v. Prasis epi lysei (πρασις έπί λύσει), 273 f. 355 Vgl. BERNEKER, Der kleine Pauly II (1979), s.v. Hypotheke (υποθήκη), 1285; BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 150; ders., Diritto greco antico, 223; FINE 62, 94; HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 87. Einen instruktiven Überblick über die verschiedenen Pfandrechte und deren Verhältnis untereinander vermitteln FINE 61 ff., HARRISON, The Law o f Athens 1,253 ff., HITZIG 1 ff., 73 f f , 81 ff., 94 ff. und LIPSIUS 690 ff. 356

Vgl. nur Dem. 34.6, 7, 8, 22, 50; 35.11; 56.4. Dass sich an dieser Praxis auch im gräko-ägyptischen Rechtsraum nichts änderte, beweisen die Papyrusfunde, vgl. u. 112, 1 19521.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

87

darlehen eine außergewöhnliche Bedeutung zu: Dies zeigt sich bereits an dem Umstand, dass es gerade in den demosthenischen Gerichtsreden, die im Zusammenhang mit einem (oder mehreren) Seedarlehen stehen, ganz überwiegend um Probleme im Zusammenhang mit den Pfandrechten der Gläubiger geht.

b) Pfandobjekt,

Sicherungszweck und -mittel

In nahezu allen uns überlieferten Fällen des griechischen Seedarlehens verfügen die Gläubiger über eine Hypotheke (υποθήκη, hypothèkef 57 als Sicherheit für ihre Forderungen. Die beim gewöhnlichen Darlehen (δάνειον, dàneion) schon damals gebräuchliche Bürgschaft findet sich dagegen als Sicherungsmittel für das griechische Seedarlehen nicht. 358 Nur in der Gerichtsrede des Demosthenes gegen Polykles (Dem 50.17) scheint ein pfandloses Seedarlehen überliefert zu sein. 359 Als Haftungsobjekte dienten die Ladung, 360 seltener das Schiff 361 und nur ganz selten Schiff und Ladung. 362 Wenn KLEINSCHMIDT363 - ohne Belege anzuführen - betont, die Verpfändung des Schiffes sei der häufigste Fall gewesen, so versteht er offensichtlich den von ihm zi-

357

Zum Wesen der Hypotheke im antiken griechischen Recht vgl. BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 149 ff., HARRISON, The Law of Athens I, 262 ff., HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 81 ff., LIPSIUS 690 ff.; KRÄNZLEIN 82 f., SCHANBACHER, DNP V (1998), s.v.

Hypotheke (υποθήκη), 817 f., THALHEIM, RE IX. 1 (1914), s.v. 'Υποθήκη, 411 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung der Hypotheke vgl. besonders SWOBODA, Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte, in: SZ 26 (1905) 221 ff. und SZANTO, Hypothek und Scheinkauf im griechischen Recht, 279 ff. 358 PARTSCH, Griechisches Bürgschaftsrecht I, 315 ff.; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 22. 359 Dazu u. 106 f. 360 Dem. 32.4; 34.6; 35.10, 23, 52. 361 In zwei Fällen - Dem. 32.14 und Dem. 56.3 - scheint nur das Schiff verpfändet worden zu sein; vgl. aber HASEBROEK, Die Betriebsformen des griechischen Handels im IV. Jahrh., 400 f., der mit DE VRIES 39 annimmt, dass dem Plural τα υποκείμενα in § 56 die Verpfändung von Schiff und Waren zu entnehmen sei, was LIPSIUS 722 166 mit guten Argumenten ablehnt. 362 Vgl. Dem. 35.32. Mit Blick auf diese Textstelle wurde zeitweise kontrovers diskutiert, ob auch die Verpfändung der Frachtgebühr (ναΰλον, naùlon), die der Naukleros von den Emporoi erhielt, möglich war: BÜCHSENSCHÜTZ 487, DARESTE, DU prêt à la grosse chez les Athéniens, 10, LIPSIUS 722, PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern II, 303 und SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2040 hielten dies wenigstens für denkbar, während BÖCKH 166 insoweit schonfrüh skeptisch war. HASEBROEK, Die Betriebsformen des griechischen Handels im IV. Jahrhundert, 404 f., PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 9 und SIEVEKING 20 f. vermochten schließlich den Nachweis zu führen, dass die Verpfändung der Frachtgebühr nicht möglich war. 363 Das Foenus Nauticum und dessen Bedeutung im Römischen Rechte, 31.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

88

tierten BÖCKH364 falsch; die Unrichtigkeit dieser Behauptung ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass nur die wenigsten Händler über ein eigenes Schiff verfügten. Aus diesem Grund findet sich die Verpfändung des Schiffes in den Quellen nur selten: Dem Naukleros Hegestrastos gehört das Schiff, auf dem der von Demon verklagte Zenothemis mitfährt (Dem. 32.14), und genauso sind Dionysodor und Parmeniskos Eigentümer des verpfändeten Schiffes, vgl. Dem. 56.3; das Gleiche gilt für Hyblesios, der dem Antipatros neben den Waren auch sein Schiff verpfändet hat, vgl. Dem. 35.32. Die Hypotheke war als besitzloses Pfandrecht hervorragend für die Zwecke des Seedarlehens geeignet: Der Schuldner blieb Eigentümer und Besitzer der verpfändeten Sachen und konnte diese zu Handelszwecken nutzen; der Gläubiger erlangte lediglich ein Recht, das man nach moderner Terminologie als Anwartschaftsrecht bezeichnen würde. 365 Die Nutzung durch den Schuldner erfolgte aus eigenem, nicht aus abgeleitetem Recht, ihm verblieb die unbeschränkte Verfügungsbefugnis. 366 Zwar stand dem Gläubiger grundsätzlich ein Einspruchsrecht zu, dessen Gebrauch eine beeinträchtigende Verfügung unwirksam werden ließ. 367 Bei Vereinbarung eines Seedarlehens für die Hin- und Rückfahrt (δάνειον άμφοτερόπλουν, dâneion amphoteróplourì) verzichtete der Gläubiger jedoch angesichts des geplanten Verkaufs der verpfändeten Ware im Auslandshafen auf dieses Einspruchsrecht. War die Forderung fällig, so war der Gläubiger berechtigt, die verpfändeten Gegenstände ohne weiteres in Besitz zu nehmen. 368 Eine gerichtliche Ermächtigung war dazu nach gemeingriechischem Recht nicht erforderlich, 369 denn mit dem Eintritt der Fälligkeit war der Schuldner säumig (ύπερήμενος, hyperémenos)? 10 Beim Seedarlehen war für die Bestellung einer Hypotheke zunächst erforderlich, dass das zukünftige Pfandobjekt frei von Rechten Dritter (ανέπαφος, anépaphos) war. 371 Anderenfalls wäre die Hypotheke infolge des in der griechi364

Die Staatshaushaltung der Athener I, 166. KRÄNZLEIN 83; SCHÖNBAUER, Rechtshistorische Urkundenstudien zum Griechischen Recht im Zweistromlande, in: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete XII (1937) 198. 366 RABEL, Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders, 19. 367 Vgl. Theophrast, Περί συμßoλαίwn, fr. 4 (Arangio-Ruiz) = 650.6 ff. (Fortenbaugh); BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spät365

römischen Recht, in: SZ 86 (1969) 150; KRÄNZLEIN 83; SCHANBACHER, D N P V (1998),

s.v. Hypotheke (υποθήκη), 817. 368 Diese Besitzergreifung wird als έμβάτευσις (embâteusis) oder έμβατεία (embateia) bezeichnet; ausführlich dazu u. 107 ff. 369 Vgl. u. 108 4 6 2 f . 370 Zur Befriedigung aus dem Pfand u. 107 ff. 371 Vgl. Dem. 35.11, 21: μετά δέ ταΰτ εστίν έν τη συγγραφή οτι ΰποτιθέασιν ταϋτα έλεύθερα καί ούδενί ουδέν όφείλοντες („außerdem wird im Vertrag garantiert, dass die verpfändeten Gegenstände frei von jeglicher Belastung zugunsten Dritter sind"); SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2040.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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sehen Antike geltenden Prioritätsprinzips hinter dem bereits bestellten Pfandrecht zurückgetreten, wenn der Gläubiger von der vorangegangenen Verpfändung wusste oder hätte wissen müssen. 372 Auch wurde den Händlern in der Seedarlehensurkunde regelmäßig untersagt, das Pfandobjekt mehrfach zu belasten (έπιδανείζειν, epidaneizein), 373 was gesetzlich grundsätzlich zulässig gewesen wäre. 374 Ein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverpfändung galt als treuwidrig sowohl gegenüber dem vorausgehenden als auch dem nachfolgenden Gläubiger 375 und wurde schwer bestraft. 376 Das vertragliche Verbot der Mehrfachverpfändung trug vor allem den Interessen derjenigen Geldgeber Rechnung, die die ihnen verpfändeten Gegenstände während der Dauer der Seereise aus den Augen verloren: Wer sich als Geldgeber nicht selbst an Bord des Schiffes befand und auch keinen Sklaven mitgesandt hatte, dem fehlte jegliche Kontrollmöglichkeit. Insbesondere die Geltendmachung des oben erwähnten Einspruchsrechtes 377 war nicht möglich, weshalb die Gläubiger durch das Verbot der Doppelverpfändung suchten, eventuelle Betrugsmanöver der Händler von vornherein auszuschließen. Das Schiff schließlich kam als Pfandobjekt nur dann in Betracht, wenn das Seedarlehen einem Naukleros gewährt wurde. Zwar scheint die Verpfändung fremden Eigentums mit Zustimmung des Eigentümers grundsätzlich möglich gewesen zu sein, 378 kein Naukleros jedoch wird bereit gewesen sein, die Grundlage seiner Tätigkeit zu verpfänden, wenn es nicht um die Sicherung eigener

372

BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151. 373 Vgl. Dem. 34.6, 50; Dem. 35.11, 21, 52; BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151; ISAGER/HANSEN 78; RABEL, Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders, 24 f.;

SCHANBACHER, DNP V (1998), s.v. Hypotheke (-υποθήκη), 817; SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon daneion, 760; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2040. 374 Die MehrfachVerpfändung wird in Dem. 35.22 als vertragswidrig (παρά την συγγραφήν), nicht aber als gesetzeswidrig bezeichnet, vgl. auch HARRISON, The Law of Athens I, 290, RABEL, Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders, 9 ff., 24 und SCHANBACHER, DNP V (1998), s.v. Hypotheke (υποθήκη), 817. Zur Mehrfachverpfändung im griechischen Recht vgl. BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 153, FINLEY, Studies in Land and Credit in Ancient Athens, 107 ff., GERNET, Démosthène: Plaidoyers civils I, 177, HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 121 ff., KRÄNZLEIN 83 ff. und LIPSIUS 700. 375 BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151; so auch bereits DERNBURG, Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts I, 72 f. 376 Vgl. nur Dem. 34.50: Ein Fall von Todesstrafe; zum Schutz durch die Gesetze vgl. u. 164 f. 377 Siehe o. 88. 8 Vgl. Dem. 3.2.

90

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Verpflichtungen ging. Den Emporoi stand diese Sicherungsmöglichkeit daher nicht offen.

c) Hypotheke kraft

Vereinbarung

Grundsätzlich bedurfte die Bestellung einer Hypotheke einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien. 379 Der Abschluss eines Pfandvertrages war nicht an eine bestimmte Form gebunden und jedem Rechtsfähigen erlaubt. 380

d) Hypotheke am Surrogat des Geldes trotz fehlender

Vereinbarung

Neben ausdrücklich vereinbarten Hypotheken an Ladung und Schiffen 381 finden sich in den Gerichtsreden des Demosthenes immer wieder Fälle, in denen dem Gläubiger die von dem kreditierten Geld gekauften Waren als Sicherheit haften, obwohl von der ausdrücklichen Vereinbarung eines Pfandrechtes nicht die Rede ist. Bereits oben wurde erwähnt, dass der Eigentumsübergang für das Darlehen im griechischen Recht ursprünglich nicht wesentlich war, und dass der Darlehensgeber auch Eigentümer des Surrogates wurde („Surrogationsprinzip ) . 3 8 2 In seiner Untersuchung zum Kauf mit fremdem Geld kommt PRINGSHEIM383 nach einer Analyse der einschlägigen Gerichtsreden des Demosthenes zu dem Ergebnis, dass sich beim griechischen Seedarlehen Auswirkungen dieses Phänomens jedenfalls bis in die Rednerzeit erhalten haben. 384 Wer 379 Zu den Anforderungen an die Willenserklärungen des Pfandgläubigers bzw. des Verpfanders HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 49 ff. Ein Pfandrecht konnte im Übrigen auch durch testamentarische Bestimmung und durch Besitzergreifung des Gläubigers in Vollstreckung eines stattgebenden Urteils entstehen, vgl. HITZIG 54 ff., LIPSIUS 698 f. 380

381

HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 24 ff.; LIPSIUS 698.

Vgl. beispielsweise Dem. 32.12; Dem. 34.6, 7, 8,22; Dem. 35.10, 23, 32, 52. Vgl. o. 43 f. 383 Der Kauf mitfremdem Geld, 4 ff.; vgl. auch Greek Law of Sale, 205 ff. 384 SEIDL, Rezension zu Pringsheim, The Greek Law of Sale, in: TR 20 (1952) 108 f., Ptolemäische Rechtsgeschichte, 114 ff., Ägyptische Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit, 45 sieht in dem Phänomen die Folge des Prinzips der notwendigen Entgeltlichkeit; bereits KÄSER, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit", in: SZ 91 (1974) 148 f. hat daraufhingewiesen, dass die verschiedenen Ansätze weitestgehend übereinstimmen; vgl. auch HAMZA, Quelques aspects de l'idée du contrat au domain des droits antiques en Méditerranée, in: Symposion 1982,18. Bereits J.G. GOLDSCHMIDT, De nautico foenore, 30 und SIEVEKING 13 f. weisen darauf hin, dass der Schuldner sich stets daran erinnern musste, dass er eigentlich nicht mit seinem eigenen Geld wirtschaftete. SCHRÖDER, Die Bodmerei, in: Endemann's Handbuch des Deutschen Handels-, See- und Wechselrechts IV, 236 erwähnt, dass die mit dem geliehenen Geld beschafften Waren als Surrogat desselben angesehen wurden; vgl. 382

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

91

sich seitdem - zumeist in anderem Zusammenhang - mit der Rolle des Surrogationsprinzips beim griechischen Seedarlehen beschäftigt hat, zweifelt zwar die Richtigkeit der von PRINGSHEIM aufgestellten Thesen nicht an; dennoch gehen die Ansichten im Detail auseinander, und noch immer fehlt eine abschließende Untersuchung zum Surrogationsprinzip im griechischen Recht. 385

aa) Der Surrogationsgedanke beim griechischen Seedarlehen Häufig bezeichnen die vor dem athenischen Handelsgericht auftretenden Geldgeber das gegen Seezins kreditierte Geld als „ihr Geld" und die von dem Geld gekauften Waren als „ihre Waren". Genauso sehen die Geldgeber bei Vereinbarung eines Seedarlehens für die Hin- und Rückfahrt die von dem Erlös im Auslandshafen erworbene Rückfracht als ihnen zukommend an, obwohl eine diesbezügliche ausdrückliche Vereinbarung offensichtlich nicht getroffen wurde.

a) Das Surrogationsprinzip Auch in anderen griechischen und gräko-ägyptischen Quellen, die nicht im Zusammenhang mit einem δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikon) stehen, betrachten sich die Eigentümer des zum Kauf verwendeten Geldes immer wieder als Eigentümer der erworbenen Gegenstände. Noch Diokletian sah sich gezwungen, entsprechende Rechtsvorstellungen von Anfragenden aus dem Ostteil des Reiches als dem römischen Recht nicht entsprechend zurückzuweisen; Justinian schließlich scheint sich in gewisser Weise arrangiert zu haben. Es handelt sich hierbei also nicht um ein Phänomen, dass sich auf das Seedarlehen beschränkt.

auch HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 114 f. („Der Kauferlös tritt an die Stelle der Ladung"), KLEINSCHMIDT 31 f. und SPITTA 11. 385

Vgl. aber für das klassische römische Recht ANDRES SANTOS, Subrogación real y patrimonios especiales en el derecho romano clasico. Eher am Rande beschäftigen sich mit dem Surrogationsprinzip CLAUS, Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht, 15 ff., GERNET, Démosthène: Plaidoyers civils I, 173 f., ΗΑΜΖΑ, Quelques aspects de l'idée du contrat au domain des droits antiques en Méditerranée, in: Symposion 1982, 17 ff., KÄSER, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit", in: SZ 91 (1974) 146 ff., 165 f f , KRÄNZLEIN 88 f f , SAN NICOLÒ, Einiges aus den neubabylonischen

Rechtsurkunden, 50 f., OERTEL, Rezenzion zu Ziebarth, Seeraub und Seehandel, 573 ff, SEIDL, Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 375 ff., WIEACKER, Εύδόκησις und Kauf mit fremdem Geld, 412 ff, WINKEL, La vente entre les droits grec et romain, 633 ff. und H.J. WOLFF, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechtes, 4 9 5 5 .

92

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Der Ursprung dieser Auffälligkeit, die auch in den Werken von Theophrast, Aristoteles und Piaton Andeutung findet, 386 liegt zunächst in der griechischen Rechtsanschauung, wonach der Eigentumserwerb beim Kauf erst oder bereits mit der Zahlung des Kaufpreises erfolgt. 387 Ein förmlicher Übertragungsakt, der - wie die traditio des römischen Rechtes - zum Erwerb des Eigentums fuhrt, war dem antiken griechischen Recht unbekannt. Hier stellt vielmehr der gekaufte Gegenstand das Surrogat des gezahlten Preises dar. Wer gezahlt hat bzw., genauer gesagt, mit wessen Mitteln bezahlt worden ist, der wird Eigentümer der Kaufgegenstandes. 388 Eine andere Eigentümlichkeit des antiken griechischen Rechts liegt darin, dass der Darlehensnehmer ursprünglich kein Eigentum an dem kreditierten Geld erlangte. 389 Während der Eigentumsübergang im römischen Recht bereits früh wesentlich für das Darlehen war, 3 9 0 blieb das kreditierte Geld in Griechenland für den Darlehensnehmer ursprünglich fremd. Ihm wurde lediglich eine sehr weitreichende Verfügungsbefugnis eingeräumt, er wurde κύριος (kyrios). 391 Erwarb der Darlehensnehmer nun mit dem kreditierten Geld etwas, so erlangte - als Ausfluss der dargestellten Besonderheiten des griechischen Rechts - nicht der Darlehensnehmer, sondern vielmehr der Geldgeber das Eigentum am Surrogat des Geldes. 392 Seit wann der Darlehensnehmer auch im griechischen Recht das Eigentum an der ausgezahlten Darlehensvaluta erlangt, lässt sich mit Genauigkeit nicht sa-

386

Zu den als Quellen des Surrogationsprinzips vermuteten Werken der Philosophen vgl. BISCARDI, Diritto greco antico, 13931 und WINKEL, La vente entre les droits grec et romain, 637 f. 387 Vgl. ο. 43 f. 388 PRINGSHEIM, The Greek Law of Sale, 205; RÖHRMANN, Stellvertretung im altgriechischen Recht, 127. 389 Vgl. CLAUS, Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht, 20; KÄSER, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit", in: SZ 91 (1974) 167; KRÄNZLEIN 89; PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 6 f.; RUPPRECHT, Untersuchungen zum Darlehen im Recht der graeco-ägyptischen Papyri, 58 ff.; H.J. WOLFF, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechtes, 49; SEIDL, Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 374 und Juristische Papyruskunde, 13. Bericht, in: SDHI 24 (1958) 419 begründet dies mit dem Umstand, dass Geld in der Epoche des so genannten Tauschhandels nur ein Wertmesser, nicht aber allgemeines Zahlungsmittel gewesen sei; vgl. auch die Beispiele bei PARTSCH, Griechisches Bürgschaftsrecht I, 844. 390 Zum altrömischen Recht vgl. KÄSER, Das altrömische lus, 287. 391 Vgl. Dem. 56.52; KÄSER, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit". 168; KRÄNZLEIN 89; H.J. WOLFF, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechtes, 49 . 392 Vgl. die Nachweise zu diesem auch in anderen Rechtsordnungen auftretenden Phänomen bei CLAUS, Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht, 17 und KÄSER, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit", 166.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

93

gen. Die historische Entwicklung war beim gewöhnlichen Darlehen jedenfalls schon vor dem Beginn des 4. Jhdts. v. Chr. abgeschlossen.393 Was dagegen das Seedarlehen betrifft, so finden sich in den Quellen Auffälligkeiten, die im Zusammenhang mit dem Surrogationsprinzip zu sehen sind, und die den Schluss auf eine irreguläre Rechtsbildung beim Seedarlehen erlauben. Besonders die demosthenischen Gerichtsreden enthalten wertvolle Hinweise auf den Rechtszustand in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr.

ß) Surrogationsprinzip

und griechisches Seedarlehen

αα) Die Behauptung des Eigentums durch die Geldgeber Auf den ersten Blick vermitteln die demosthenischen Gerichtsreden den Eindruck, als hätte das Surrogationsprinzip beim Seedarlehen noch im 4. Jhdt. v. Chr. unverändert Anwendung gefunden, was eine Abweichung von der rechtlichen Übung beim gewöhnlichen Darlehen darstellen würde. Wiederholt bezeichnen die Darlehensgeber vor dem athenischen Handelsgericht das von dem kreditierten Geld Gekaufte als ihr Eigentum: (1) Dem. pros Zenothemin 32.9, 12, 18, 23, 30 Demon hat Protos in Athen Geld zum Einkauf von Getreide auf Sizilien geliehen. Dieses Getreide soll nach Athen gebracht und dort verkauft werden. Nachdem es bereits während der Seereise einige Ungereimtheiten gegeben hat, kommt es nach der Rückkehr in den Piräus zum Streit um das Getreide. Demon, der die Herausgabe des Getreides von Protos verlangt, spricht stets von „seinem Getreide" (§§ 9, 18, 23, 30); die anderen Geldgeber reden von „ihrem Geld" bzw. von „ihren Waren" (§ 12). (2) Dem. pros Phormiona 34.22, 36 In der Gerichtsrede gegen Phormion behauptet der Sprecher Chrysippos, dem Emporos Phormion ein Seedarlehen von Athen zur Krim und zurück gewährt zu haben. Von dem Geld sollten in Athen Waren zum Verkauf am Bosporus beschafft werden. Nach Aussage des Sprechers hat Phormion vertraglich zugesichert, im Bosporus vom Erlös Waren für die Rückfahrt nach Athen zu erwerben (§ 27). Auch Chrysippos spricht, allerdings nur an zwei Stellen, von „seinem Geld", vgl. §§ 22, 36.

393

Dazu bereits o. 44.

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

94

(3) Dem. pros Lakriton 35.38, 39, 50 Androkles und sein Partner Nausikrates haben den phaselitischen Emporoi Artemon und Apollodor ein Seedarlehen für eine Handelsreise von Athen zum Bosporus bzw. zur K r i m und zurück gewährt. Von dem geliehenen Geld soll mendäischer Wein gekauft und auf der K r i m in Rückfracht umgesetzt werden. Auch hier scheinen sich die Darlehensgeber zwar als Eigentümer des kreditierten Geldes zu betrachten. Ausdrücklich aber werden Eigentumsrechte an den von dem Geld gekauften Waren an keiner Stelle dieser Gerichtsrede behauptet. 3 9 4 (4) Dem. kata Dionysodorou 56.4, 16, 17, 35, 45 Über ein Seedarlehen für eine Handelsreise von Athen nach Äypten und zurück kommt es zum Streit, da sich die Schuldner nicht an das vertraglich vereinbarte Verbot, die in Ägypten gekaufte Ladung unterwegs zu verkaufen, gehalten haben und das Getreide stattdessen auf Rhodos verkauft haben. Die Gläubiger sprechen von „ihrem Geld", das Dionysodor zu Handelszwecken (bzw. zur vertragswidrigen Gewährung von Seedarlehen) verwandt habe: από των ήμετέρων χρημάτων („mit unserem Geld"), heißt es z.B. in § 17 und ähnlich in den §§ 4, 16 und 35. (5) Bewertung Aus diesen Beobachtungen folgern z.B. KÄSER 395 , KRÄNZLEIN396, SAN NICOLÒ397 und SEIDL398, dass der Geldgeber beim Seedarlehen noch i m 4. Jhdt. v. Chr. Eigentümer des Surrogates geworden sei, wenn das kreditierte Geld zum Einkauf von Waren verwendet wurde. Es ist aber fraglich, inwiefern in dem Sprachgebrauch der Geldgeber die tatsächliche Rechtslage zum Ausdruck kommt. Zu bedenken ist nämlich, dass sämtliche Reden im Interesse eines Geldgebers vor dem athenischen Handelsgericht gehalten wurden, weshalb sie nicht frei von rhetorischer Stilisierung und subjektiver Übertreibung sein dürften. Eine in diesem Sinne zusprechende Entscheidung eines Gerichtes o.ä. existiert nicht. Auch fehlen entsprechende gesetzliche Regelungen. Die Quellen sind also mit gewisser Vorsicht zu genießen. Der Umstand, dass die Gläubiger das Surrogat des kreditierten Geldes als ihr 394 395 396

89 ff. 397

Anders PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 6 f. Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit", 168. Eigentum und Besitz im griechischen Recht des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr.,

Einiges aus den neubabylonischen Rechtsurkunden, in: SZ 49 (1929) 50 f. Der Eigentumsübergang beim Darlehen und Depositum irreguläre, 377; Juristische Papyruskunde, 13. Bericht, in: SDHI24 (1958) 419. 398

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

95

Eigentum bezeichnen, könnte genauso gut Ausfluss laienhaften Sprachgebrauchs sein, 399 der aus rhetorischen Gründen sogar bewusst gewählt sein könnte, um das Gericht zu beeinflussen. Der Sprachgebrauch der Geldgeber erlaubt daher nicht ohne weiteres den Schluss auf die sachenrechtliche Zuordnung des Surrogates. Die Ansicht, der Gläubiger habe beim Seedarlehen aufgrund des Surrogationsprinzips das Eigentum an den mit dem kreditierten Geld erworbenen Waren erlangt, findet in den demosthenischen Gerichtsreden keine Bestätigung, die frei von Zweifeln wäre.

ßß) Entstehung einer Hypotheke am Surrogat des kreditierten Geldes Dies bedeutet aber nicht, dass das Surrogationsprinzip beim griechischen Seedarlehen keine Rolle gespielt hätte. Es wird sich jedoch zeigen, dass hier lediglich Auswirkungen des Surrogationsprinzips zutage treten, so dass nachfolgend vom Sunogationsgedanken beim griechischen Seedarlehen die Rede sein soll. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang die bereits oben erwähnten Fälle, in denen dem Gläubiger die von dem kreditierten Geld gekauften Waren als Sicherheit haften, obwohl von der ausdrücklichen Vereinbarung eines Pfandrechtes nicht die Rede ist. Der Blick auf die wichtigsten Stellen in den Gerichtsreden des Demosthenes ergibt folgendes Bild: (1) Dem. pros Zenothemin 32.14, 15, 26 In der Rede gegen Zenothemis wird die Bestellung eines Pfandes an dem Getreide, das von dem Geld des Demon gekauft wurde, nicht erwähnt, und dennoch haftet das Getreide dem Demon hypothekarisch, vgl. §§ 14, 15 und 26. Dass es hier nicht um das Eigentum am Getreide geht, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der Geldgeber Demon die Herausgabe des von dem kreditierten Geld gekauften Getreides mit einer δίκη έξούλης (dike exoûles) verfolgt, wie sich aus §§ 17 ff. und § 31 der Rede ergibt; 400 die Herausgabe des Ei-

399 Auch heute würde, wer als juristischer Laie ein Darlehen vergibt, nach Fälligkeit „sein" Geld zurückfordern, obwohl das Eigentum nach geltendem Recht spätestens mit der Hingabe des Geldes auf den Schuldner übergegangen ist. 400 In Dem. 32.17 if., 31 wird im Zusammenhang mit der Klage des Zenothemis gegen Demon auf Herausgabe des Getreides mehrfach das Verb έξάγειν (exâgein) gebraucht; zur Einordnung dieser Klage als δίκη έξούλης (dike exoules) vgl. HARRISON, The Law of Athens II, 1133, ISAGER/HANSEN 144 ff., THÜR, Recht im antiken Griechenland, 216, VÉLISSAROPOULOS 24129 und H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 3 5 3 2 jeweils m.N.

96

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

gentums hätte dagegen nur mit einer Vindikationsklage (δίκη ουσίας, dike ousias) erreicht werden können. 401 (2) Dem. pros Phormiona 34.6, 9, 27 In § 6 der Rede gegen Phormion findet sich die ausdrückliche Vereinbarung einer weiteren Hypotheke (έπί έτέρς* υποθήκη) an Waren im Wert von 2 000 Drachmen, während andere Waren im Wert von 2 000 Drachmen, also in Höhe des geliehenen Geldbetrages, von selbst zu haften scheinen.402 Auch die Rückfracht, deren Kauf Phormion vertraglich zugesichert hat, haftet dem Gläubiger ohne dass eine entsprechende Vereinbarung erkennbar wäre, vgl. §§9, 27. (3) Dem. pros Lakriton 35.10-13, 18 Komplizierter sind die Informationen, die sich der Rede gegen Lakritos entnehmen lassen. Diese Rede enthält die einzige Seedarlehensurkunde, die uns aus dem 4. Jhdt. v. Chr. überliefert ist. 4 0 3 Bei der Betrachtung des Seedarlehens, das Androkles und sein Partner Nausikrates den phaselitischen Emporoi Artemon und Apollodor gewährt haben, ist zu unterscheiden zwischen den Waren, die zum Bosporus bzw. zur Krim transportiert werden sollen, also dem bereits mehrfach erwähnten mendäischen Wein, und der Rückfracht. In Bezug auf die Hypotheke an den 3 000 Amphoren mendäischen Weines äußert PRINGSHEIM404 unter Hinweis auf das „farblose" έπί in § 10 der Rede den Verdacht, in der Lakritos-Urkunde finde sich möglicherweise keine ausdrücklich vereinbarte Hypotheke, weder für die Hin- noch für die Rückfahrt. Die Haftung der 3 000 Amphoren mendäischen Weines scheine vielmehr vorausgesetzt zu werden. Offensichtlich übersieht PRINGSHEIM jedoch, dass die Hypotheke an der Hinfracht den doppelten Wert des Darlehens hat: Während sich das Darlehen auf 3 000 Drachmen beläuft, ist in § 18 der Rede von verpfändetem Wein im Werte von insgesamt einem Talent, also 6 000 Drachmen die Rede, der in Mende oder Skione einzukaufen ist. 405 Eine ausdrückliche Vereinbarung ist daher jedenfalls in Bezug auf den die Darlehenssumme übersteigenden Hypothekenwert ( = 3 000 Drachmen) in der Vertragsformulierung έπί οίνου κεραμιίοις Μενδαίοις τρισχιλίοις („unter Haftung von 3 000 Ampho-

401

402

Zur Vindikationsklage vgl. LIPSIUS 678 ff.

Zu den Gründen für die Vereinbarung einer über den Darlehenswert hinausgehenden Sicherheit vgl. o. 75 ff. 403 Text und Übersetzung siehe u. 131 f. 404 Der Kauf mitfremdem Geld, 5. 405 Dazu bereits o. 75 f.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

97

ren [Anm.: zum Preis von 2 Drachmen pro Stück 406 ] mendäischen Weines") zu sehen, die sich in § 10 findet. Ohne Vereinbarung hätte auch infolge des Surrogationsgedankens allenfalls der mit dem kreditierten Geld gekaufte Teil des Weines ( = 1 500 Amphoren) dem Darlehensgeber gehaftet. Darauf deutet nicht zuletzt der Wortlaut des § 18 hin: ώς υπάρχουσες αύτοίς υποθήκης έτέρων τριάκοντα μνών; hier ist von einer weiteren bzw. doppelten Hypotheke die Rede. Wenn also in der Syngraphe angesichts eines Seedarlehens in Höhe von 3 000 Drachmen ohne zu differenzieren 3 000 verpfändete Amphoren im Wert von 6 000 Drachmen erwähnt werden, so beinhaltet dies die Vereinbarung einer zusätzlichen Hypotheke im Wert von 3 000 Drachmen. Bereits hier wird deutlich, wie selbstverständlich es für die Parteien war, dass an den mit dem kreditierten Geld gekauften Waren eine Hypotheke entstand, ohne dass es einer besonderen Vereinbarung bedurft hätte; nur die weitere Hypotheke musste ausdrücklich vereinbart werden. Eindeutig ist die Lage auch in Bezug auf die Rückfracht: Eine Hypotheke an den Waren, die auf der Krim vom Erlös des mendäischen Weines zu erwerben sind, wird nicht ausdrücklich vereinbart. 407 A n keiner Stelle findet sich in der Syngraphe ein Hinweis auf eine entsprechende Übereinkunft der Parteien. Dennoch werden in der Lakritos-Urkunde umfassende Regelungen für eine etwaige Befriedigung der Darlehensgeber aus der wie selbstverständlich hypothekarisch haftenden Rückfracht getroffen: 408 So wird z.B. in Dem. 35.11 vereinbart, dass die Schuldner den Darlehensgebern die hypothezierte Rückfracht nach Rückkehr in den Piräus zur größeren Sicherheit bis zur Zahlung von Darlehensschuld und Zinsen zur Verfügung stellen werden. 409 Auch die in Dem 35.12 getroffenen Regelungen für den Sicherungsfall unterstreichen die hypothekarische Haftung der Rückfracht trotz fehlender Vereinbarung: Die Gläubiger sind berechtigt, die Rückfracht zu verkaufen, falls die Schuldner ihren Zahlungsverpflichtungen nicht innerhalb der vereinbarten Frist nachkommen sollten. 410 Dies aber ist nur verständlich, wenn den Darlehensgebern eine Hypotheke am Surrogat des Geldes entstanden ist, ohne dass es dazu einer ausdrücklichen Vereinbarung bedurft hätte. Wären die Darlehensgeber dagegen Eigentümer der von dem kre-

406

Zu den Preisen für Wein und andere Nahrungsmittel vgl. ο. 55 191 . In der Lakritos-Urkunde wird die Hypotheke an der Rückfracht lediglich vorausgesetzt, nicht aber vereinbart, vgl. Dem. 35.11, 12. 408 Vgl. Dem. 35.12. Dies hat bislang nur GERNET, Démosthène: Plaidoyers civils I, 173 erkannt: auch er geht von einer Hypotheke an den Waren aus; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 5 dagegen legt sich hinsichtlich der Rechtsnatur der Sicherheit nicht fest. 409 Dazu ausfuhrlich u. 121 ff. 410 Zur Verwertung der Hypotheke vgl. u. 107 ff. 407

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

98

ditierten Geld gekauften Waren geworden, so wären die in Dem. 35.12 überlieferten Regelungen über den Verkauf unverständlich. Festzuhalten ist daher, dass die demosthenischen Gerichtsreden Seedarlehensgeschäfte enthalten, bei denen dem Geldgeber offenbar eine Hypotheke an dem Surrogat des kreditierten Geldes entstanden ist, ohne dass es dazu einer besonderen Vereinbarung bedurft hätte. (4) Bewertung Dieses Phänomen könnte sich natürlich auch aus der fehlenden Überlieferung einer entsprechenden (ausdrücklichen) Vereinbarung ergeben, es würde sich dann nur um eine scheinbare Auffälligkeit handeln. Eine derartige Vereinbarung könnte man auf den ersten Blick bei einem Seedarlehen, das in § 23 der Rede gegen Lakritos überliefert ist, vermuten: Dort wird berichtet, dass ein gewisser Aratos dem Apollodor 11 Minen, also 1 100 Drachmen, unter Haftung der Hinund Rückfracht auf Seezins geliehen hat. Der äußerst knappe Wortlaut deutet allerdings eher auf eine bloße Beschreibung der Rechtslage hin. I m Übrigen wird man vor dem Hintergrund der Echtheit der Lakritos-Urkunde 411 anerkennen müssen, dass sich die Vereinbarung einer Hypotheke an der Rückfracht in der einzigen Seedarlehensurkunde, die uns aus dem antiken Griechenland überliefert ist, gerade nicht findet. Wenn nun aber KRÄNZLEIN412 behauptet, der Händler habe „kein typisches schutzwürdiges Interesse" am Behalten des Geldes gehabt, daher seien sowohl das kreditierte Geld als auch die mit diesem gekauften Waren Eigentum des Gläubigers gewesen, so verkennt er neben dem eindeutigen Wortlaut der demosthenischen Gerichtsreden auch die Bedürfnisse des antiken Seehandels: Vor allem die Gerichtsrede gegen Lakritos (Dem. 35) zeigt, dass den Händlern bei ihren Handelsunternehmungen zumeist ein gewisser Spielraum blieb. So stand ihnen nicht selten die Auswahl der Ladung frei, 413 oder es war ihnen gestattet, verschiedene Häfen anzulaufen. 414 A u f diese Weise konnten die Händler flexibel auf die Bedürfnisse des Marktes, der durch stark schwankende Preise, unterschiedliche Angebotslage und mitunter fragwürdige Absatzchancen geprägt

411 4,2

90.

Vgl. U.131 584 Eigentum und Besitz im griechischen Recht des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr.,

413 In der Lakritos-Urkunde werden die auf der Krim zu kaufenden Waren nicht näher bezeichnet: τα χρήματα τα έκ του Πόντου άντιφορτισθέντα; offensichtlich steht den Händlern die Auswahl der Waren frei, vgl. Dem. 35.11. 414 Vgl. Dem. 35.10.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

99

war, 415 reagieren. Was man letztlich unterwegs erwerben würde, konnte zu Beginn der Handelsreise oftmals nicht gesagt werden. 416 Die Annahme fortgesetzten Eigentums hätte unter diesen Umständen Unklarheiten in Bezug auf die dingliche Zuordnung geradezu provoziert. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Darlehensgeber sich dem sachenrechtlichen Ergebnis einer nicht bestimmungsgemäßen Verfügung über ihr Eigentum von vornherein gebeugt hätten. 417 Auch die Vorstellung, dass einerseits ausdrücklich vereinbarte Hypotheken, andererseits fortgesetztes Eigentum am Surrogat als Sicherung beim Seedarlehen gedient haben könnten, ist wenig realistisch, zumal gerade die Hypotheke als Sicherungsmittel beim Darlehen den Bedürfnissen des Handels in besonderer Weise entsprach. 418 Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz vor Pfandvereitelung mussten sich den Geldgebern als das richtige Mittel zum Schutz des im Seehandel investierten Kapitals förmlich aufdrängen. 419 Auch die Bedürfnisse des Handelsverkehrs sprechen daher - neben dem Wortlaut der demosthenischen Gerichtsreden - dafür, dass dem Gläubiger beim griechischen Seedarlehen ohne weiteres Zutun eine Hypotheke an dem Surrogat des Geldes, insbesondere aber an der von dem Erlös erworbenen Rückfracht entstand.420 Aufgrund dessen war im antiken griechischen Recht des 4. Jhdts. v. Chr. die Konstruktion eines besitzlosen Pfandrechtes, wie sie im deutschen Recht durch den verlängerten Eigentumsvorbehalt in Verbindung mit einer Veräußerungsbefugnis, der antizipierten Abtretung des Erworbenen und der Vereinbarung einer Einziehungsermächtigung erreicht wird, nicht erforderlich. Die als Ausfluss des Surrogationsgedankens ohne weiteres Zutun entstehende Hypotheke an den mit der Darlehensvaluta gekauften Waren schützte die Interessen der Geldgeber in vorzüglicher Weise, ohne dass es komplizierter rechtlicher Vereinbarungen bedurfte.

415

Vgl. o. 45 139 . Eine Ausnahme bilden hier die Getreidetransporte, die bereits in der griechischen Antike aufgrund der Getreideknappheit in Attika in großem Stil durchzuführen waren, vgl. u. 162 f., 169 ff. 417 Zum Problem der nicht bestimmungsgemäßen Verwendung vgl. KÄSER, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit", in: SZ 91 (1974) 169 ff. 418 Vgl. o. 87 ff. 419 Dazu u. 162 ff. 420 Der Vergleich mit dem römischen Recht unterstreicht den besonderen Charakter der Hypotheke am Surrogat des kreditierten Geldes: Nach römischer Vorstellung wäre das Pfandrecht erloschen, wenn der Verpfänder die verpfändeten Gegenstände mit Erlaubnis des Gläubigers veräußert hätte, sofern sich dieser nicht den Fortbestand des Pfandrechtes vorbehalten hätte, vgl. Ulp. D. 20.6.4.1; Gai. D. 20.6.4 pr.; Marci. D. 20.6.8 ff.; KÄSER, RP 1469. 416

100

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

γγ) Zwischenergebnis Vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen und Gebräuche des Seehandels lassen sich beim griechischen Seedarlehen Auswirkungen des Surrogationsprinzips noch für das 4. Jhdt. v. Chr. feststellen, obwohl diese Auffälligkeit des griechischen Rechts zu dieser Zeit beim gewöhnlichen Darlehen bereits keine Rolle mehr spielte: Dem Darlehensgeber entstand eine Hypotheke am Surrogat des kreditierten Geldes, ohne dass es einer ausdrücklichen Pfandvereinbarung bedurft hätte ( = Surrogationsgedanke). 421 Daraus folgt, dass es beim griechischen Seedarlehen immer dann eine Art Grundsicherheit gab, wenn das kreditierte Geld zum Einkauf von Waren verwendet wurde. 422 Lag dagegen eine ausdrückliche Vereinbarung vor, wie zum Beispiel bei Verpfändung des Schiffes durch einen Naukleros, so war diese vorrangig. 423 So erklärt sich im Übrigen auch der Umstand, dass die Darlehensgeber die Waren als ihnen zukommend ansehen: Nach dem Verfall der Hypotheke, d.h. bei Nichtzahlung trotz Fälligkeit, waren sie zum Verkauf der hypothezierten Gegenstände berechtigt und erlangten das Eigentum an dem Verkaufserlös. 424 Wenn die Darlehensgeber also nicht nur von ihrem Geld, sondern auch von ihren Waren sprechen, so ist dies im Sinne einer finalen sachenrechtlichen Zuordnung zu verstehen, zumal die Forderungen aus dem Seedarlehensvertrag im Zeitpunkt der Verhandlung vor dem athenischen Handelsgericht längst fällig sind, und den am Prozess beteiligten Geldgebern ja gerade der Zugriff auf die Waren - aus welchen Gründen auch immer - verwehrt wird oder unmöglich ist.

bb) Umfang der Surrogation Die Bestimmung des Umfangs der Surrogation bereitet keine Schwierigkeiten, solange es um ein Seedarlehen geht, das nur für eine einfache Fahrt gewährt worden ist (dccveiov έτερόπλουν, dâneion heteróploun ): Hier haften dem Dar-

421 PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 48 scheint dies bereits vermutet zu haben, meint aber, die Qualität des Rechtes am Surrogat sei noch unklar, jedenfalls handele es sich nicht um das Eigentum; WIEACKER, Εύδόκησις und Kauf mitfremdem Geld, 412 spricht von einem Beschlagsrecht und nur GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 173 weist in die richtige Richtung. 422 Deshalb muss eine Hypotheke immer dann ausdrücklich vereinbart werden, wenn die Waren bereits eingekauft und an Bord gebracht worden sind, vgl. z.B. Dem. 32.9. 423 Vgl. z.B. Dem. 56.3: Hier ist eine Hypotheke am Schiff bestellt worden; zwar sprechen die Geldgeber vereinzelt von „ihrem Geld", Rechte an den mit dem kreditierten Geld gekauften Waren (möglicherweise Getreide, vgl. § 18) behaupten sie jedoch an keiner Stelle. 424 Dazu u. 107 ff.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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lehensgeber - sofern nicht eine abweichende Vereinbarung getroffen worden ist - die von dem kreditierten Geld gekauften Handelswaren als Sicherheit. Dagegen stellt sich bei Vereinbarung eines Seedarlehens für die Hin- und Rückfahrt (δάνειον άμφοτερόπλουν, dàneion amphoteroploun) die Frage, ob die vom Verkaufserlös erworbene Rückfracht den Darlehensgebern lediglich anteilig, also in Höhe des Darlehensbetrages, haftete, oder ob eine Hypotheke am gesamten Surrogat entstand. 425 PRINGSHEIM426 und KRÄNZLEIN 427 sprechen ohne zu differenzieren von Surrogation. Tatsächlich heißt es in der Lakritos-Urkunde lediglich, dass „von dem Erlös" der Hinfracht Waren zu kaufen sind. 4 2 8 Von Abzügen oder einer Begrenzung auf den Wert des Darlehens ist hier nicht die Rede; in welchem Umfang die Rückfracht hypothekarisch haftet, wird an keiner Stelle der Gerichtsrede gegen Lakritos ausdrücklich erwähnt. 429 In der Rede gegen Phormion ( D e m 34) erfahren wir nur, dass Phormion verpflichtet ist, auf der K r i m Rückfracht an Bord des von Lampis geführten Schiffes zu bringen, und dass die Waren den Gläubigern hypothekarisch haften. 4 3 0 Hier ist unklar, ob Phormion den gesamten Gewinn, den er durch den Verkauf des mendäischen Weins erzielt hat, zum Kauf der Rückfracht verwenden muss. Aufgrund der vagen Angaben ist zumindest denkbar, dass die Hypotheke am Surrogat auf die Höhe des Darlehens beschränkt war. Den Gewinn, den der Händler durch den Verkauf der Waren i m Auslandshafen zu erzielen vermochte, hätte er dann ohne weiteres anderweitig verwenden können. Aber gegen diese Annahme sprechen bereits wirtschaftliche Gründe: Ein Naukleros hätte z.B. zur Auszahlung der Heuer oder für notwendige Reparaturen am Schiff wohl kaum eigenes Geld verwendet, sondern vielmehr ein weiteres Seedarlehen aufgenommen. 431 Allenfalls zur Tilgung von Schulden hätten Naukleroi und Emporoi den i m Auslandshafen erzielten Gewinn verwenden können. Grundsätzlich aber mussten die Händler stets daran interessiert sein,

425 Auch bei einem nur für eine Fahrt gewährten Seedarlehen (δάνειον έτερόπλουν, dàneion heteróploun) ist zu bedenken, dass die Waren im Auslandshafen in der Regel mit Gewinn verkauft wurden, d.h. den Darlehensgebern hafteten auch hier regelmäßig Waren, deren Wert die Verbindlichkeiten der Händler übertraf. Aber im Unterschied zum δάνειον άμφοτερόπλουν (dàneion amphoteroploun) wird der Gewinn hier nicht erneut in Waren investiert, weshalb sich das Problem nicht stellt. 426 Der Kauf mitfremdem Geld, 4 ff. 427 Eigentum und Besitz im griechischen Recht des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., 88 f. 428 Vgl. Dem. 35.11. 429 Vgl. Dem. 35.11,23. 430 Vgl. Dem. 34.9, 27. 431 Dazu o. 54 ff.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

den Erlös möglichst vollständig in Rückfracht umzusetzen, denn nur so war es möglich, die Handelsreise mit maximalem Gewinn durchzuführen. Der Darlehensgeber schließlich hatte - nicht zuletzt vor dem Hintergrund starker Preisschwankungen432 - ein ausgeprägtes Interesse daran, dass die ihm nach der Rückkehr in den Ausgangshafen haftende Sicherheit, möglichst wertvoll war. Schließlich galt es neben der Darlehensforderung auch den Zinsanspruch abzusichern. Insofern ergänzen sich die Interessen von Darlehensgebern (größtmögliche Sicherheit) und Darlehensnehmern (größtmöglicher Gewinn) durchaus. Im Übrigen wird man bei Vereinbarung eines δάνειον άμφοτερόπλουν (dâneion amphoteróploun) die gesamte Handelsreise als wirtschaftliche Einheit betrachten müssen: So wie die Darlehensgeber die Seegefahr für die Hin- und Rückfahrt übernahmen, so waren die Geschäfte der Händler während der gesamten Reise untrennbar mit den Interessen der Darlehensgeber verbunden. Einen Teil des Gewinns bereits im Auslandshafen abzusondern, hätte bedeutet, diesen Grundsatz zu durchbrechen. Wären die Waren auf der Rückfahrt in Realisierung der Seegefahr verloren gegangen, so hätte der Händler unter dem Strich nicht nur schadlos dagestanden, sondern sogar einen Gewinn zu verzeichnen gehabt; dies aber hätte Unregelmäßigkeiten geradezu provoziert. Im Sinne einer hypothekarischen Haftung des gesamten Surrogates ist auch die bereits erwähnte Formulierung in der Lakritos-Urkunde (Dem. 35.11) zu verstehen: Von dem Erlös des auf der Krim zu verkaufenden mendäischen Weines haben Artemon und Apollodor Handelswaren für die Rückfahrt zu kaufen. Hier ist ganz offensichtlich von dem gesamten Erlös die Rede; gerade weil dies selbstverständlich ist, bedarf es keiner Erläuterung oder Erwähnung. Dementsprechend haben sich die Händler auch vertraglich verpflichtet, den Darlehensgebern die gesamte Rückfracht nach der Rückkehr in den Piräus zur Verfügung zu stellen. 433 Von einem Anteil der Rückfracht ist hier ebenfalls nicht die Rede; vielmehr haftet die gesamte Rückfracht hypothekarisch. Auch im weiteren Verlauf der Syngraphe wird die Rückfracht immer wieder mit den hypothezierten Waren gleichgesetzt: Sollten im Falle eines Schiffbruchs verpfändete Waren gerettet werden, so soll der gerettete Teil den Darlehensgebern gehören. 434 Eine Aufteilung der Rückfracht in einen verpfändeten und einen nichtverpfändeten Teil ist hier bereits technisch unmöglich; „das Verpfändete" (τα υποκείμενα, tâ hypokeimena) und „die Waren" (τα χρήματα, tà chrémata) werden demnach an dieser Stelle synonym verwendet.

432

Dazu o. 45 139 . Vgl. Dem. 35.11: παρέξουσι τοις δανείσασι την ύποθήκην ανέπαφο ν κρατεΐν („sie werden den Darlehensgebern gestatten, sich der verpfändeten Waren frei von berechtigten Zugriffen Dritter zu bemächtigen"); ausführlich dazu u. 121 ff. 4 4 Vgl. Dem. 35.1. 433

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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Dies aber ist nur verständlich, wenn die mit dem (gesamten) Verkaufserlös erworbene Rückfracht in voller Höhe mit einer Hypotheke belastet ist.

cc) Resümee Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem beobachteten Phänomen tatsächlich um Auswirkungen des von PRINGSHEIM auf den Plan gerufenen Surrogationsprinzips handelt. Das Surrogationsprinzip soll an dieser Stelle für das griechische Recht keineswegs generell in Frage gestellt werden. Dazu bedürfte es einer ausführlichen Neubewertung der Quellen. Jedenfalls beim δάνειον ναυτικόν (dàneion nautikon) könnten aber auch die besonderen Anforderungen und Gebräuche des Seehandels zu irregulärer Rechtsbildung geführt haben. Die demosthenischen Gerichtsreden wären dann zum Beweis für das Surrogationsprinzip im griechischen Recht wenig geeignet. Zusammenfassend lässt sich daher an dieser Stelle nur festhalten: Beim griechischen Seedarlehen erwirbt der Darlehensgeber eine Hypotheke an den von dem kreditierten Geld gekauften Waren bzw. an den vom Erlös im Ausland gekauften Waren, ohne dass es diesbezüglich einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien bedurft hätte. Das Surrogat des Geldes haftet dem Geldgeber stets dann als dingliche Sicherheit, wenn zuvor keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Auf diese Weise verfügt der Darlehensgeber während der gesamten Dauer des Vertragsverhältnisses über eine dingliche Sicherheit; erst in Kombination mit dem Surrogationsgedanken wird die Hypotheke also den besonderen Anforderungen des Seehandels in vollem Umfang gerecht.

e) Verhältnis von vereinbarter

Hypotheke und Hypotheke am Surrogat

Eine Hypotheke an dem Surrogat des geliehenen Geldes entstand nur dann trotz fehlender Vereinbarung, wenn das fremde Geld zur Beschaffung von Waren verwendet wurde. Die Geldgeber ließen sich die Verwendung zum Einkauf von Waren daher vertraglich zusichern, wann immer dies möglich war. 435 Ein Pfandrecht musste dagegen ausdrücklich vereinbart werden, falls der Händler das Geld anderweitig zu verwenden gedachte,436 oder falls der Darlehensgeber

435

Dem. 32.9, 12, 18, 30: in Athen wird ein Seedarlehen zum Einkauf von Getreide in Syrakus gewährt; Dem. 34.6 ff.: von dem in Athen zum Seedarlehen gegebenen Geld sind nicht benannte Waren zu kaufen, deren Erlös im Pontos in Rückfracht umzusetzen ist; Dem. 35.19: von dem Geld, das die Darlehensnehmer erhalten, soll Wein gekauft werden. 43 Dazu o. 4 ff.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

ein besonderes Interesse an einer weiteren Sicherheit hatte. 437 Insbesondere entstand ohne eine entsprechende Vereinbarung keine Hypotheke an den Waren, wenn der Händler, der das Darlehen in erster Linie zu Versicherungszwecken aufnahm, diese zuvor mit eigenem Geld erworben hatte. 438 Genauso bedurfte eine Hypotheke am Schiff der ausdrücklichen Vereinbarung.

f) Dogmatische Einordnung des Pfandrechts Die Frage, wie die Pfandbestellung beim griechischen Seedarlehen dogmatisch einzuordnen ist, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet. Letztlich geht es darum, ob es im antiken Griechenland möglich war, ein pfandloses Seedarlehen zu vereinbaren. In der Literatur des 19. Jhdts. wird mitunter die Ansicht vertreten, an Schiff und Ladung sei mit dem Abschluss des Seedarlehens ein gesetzliches Pfandrecht entstanden.439 Eine vertragliche Vereinbarung wäre demnach entbehrlich, das griechische Seedarlehen stets mit einer Hypotheke verbunden gewesen. Eine Hypotheke trotz fehlender Vereinbarung entstand indes - wie soeben aufgezeigt - nur am Surrogat des kreditierten Geldes, wobei sich dieses Phänomen nicht aus einer gesetzlichen Regelung ergibt, sondern Ausfluss verschiedener Besonderheiten des griechischen Rechts ist. 4 4 0 Im Übrigen fehlt jeglicher Hinweis auf ein entsprechendes Gesetz. 441 Häufig wird die Pfandbestellung als wesentliches Merkmal des griechischen Seedarlehens verstanden. Ein verpfändeter Gegenstand habe den Gefahren der See ausgesetzt werden müssen, nur der Untergang des verpfändeten Gegenstandes habe den Händler von seinen Verbindlichkeiten aus dem Seedarlehensvertrag befreit. 442 Entscheidend für den Zahlungsanspruch der Gläubiger war je437 438 439

Vgl. o. 75 ff. Siehe o. 53, 80. KLEINSCHMIDT 7, 30; RABEL, Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders,

25; vgl. auch HUVELIN 217. Ob man allerdings PARDESSUS 147 und BÖCKH 166 die A n -

nahme eines gesetzlichen Pfandrechts unterstellen darf, erscheint fraglich (so aber PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 24); jedenfalls BÖCKH geht ausdrücklich von einem Handelsbrauch aus, PARDESSUS spricht lediglich von „marchandises affectées au prêt", ohne auf den Grund für die Bestellung eines Pfandrechts an den Handelswaren einzugehen. 440 Der Surrogationsgedanke (o. 90 ff.) war den zitierten Schriftsteilem noch fremd; ihre Vermutung ging jedoch in die richtige Richtung, wenngleich ein (wie auch immer geartetes) gesetzliches Pfandrecht am Schiff nur bei einem Vertrag mit einem Naukleros hätte entstehen können. 441 PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 25; SIEVEKING 19. 442 BISCARDI, Diritto greco antico, 156 f.; LITEWSKI 169 f.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 59, 120; PARDESSUS I 42; PLATNER, Der Process und die Klagen

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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doch nur die glückliche Beendigung der Handelsreise, d.h. die Ankunft von Schiff und Ladung im Bestimmungshafen; 443 die glückliche Ankunft eines Pfandes wird dagegen an keiner Stelle ausdrücklich vorausgesetzt. Wenn sich in den demosthenischen Gerichtsreden dennoch ganz überwiegend Fälle finden, in denen verpfändete Ladung über See geht, so liegt dies nicht zuletzt an der beschränkten Auswahl der uns überlieferten Seedarlehen. Es ist kein Zufall, dass die Geldgeber von den offensichtlich in Geldnöten steckenden Händlern, die sich nunmehr vor dem athenischen Handelsgericht verantworten müssen, eine Hypotheke am Schiff oder an den Waren verlangt haben sofern die Waren nicht ohnehin schon aufgrund des Surrogationsprinzips als Sicherheit hafteten: 444 In Rechtsstreitigkeiten wurden vor allem Händler verwickelt, um deren wirtschaftliche Verhältnisse es nicht zum Besten stand. Selbstverständlich hatte der Darlehensgeber in derartigen Fällen auf die Bestellung einer Hypotheke nicht verzichtet. I m Übrigen ergab sich auch aus dem Gedanken des Ersatzpfandes nicht das zwingende Erfordernis, ein Pfand der Seegefahr auszusetzen,445 denn i m 4. Jhdt. v. Chr. war die Hypotheke beim Seedarlehen als Verkaufs- und Sicherungspfand ausgestaltet.446 Genauso verfehlt ist es, das griechischen Seedarlehen des 4. Jhdts. v. Chr. mit der Bodmerei gleichzusetzen, d.h. eine Beschränkung der Haftung auf den verpfändeten Gegenstand anzunehmen. 447 Zum einen finden sich hierfür keine Belege, zum anderen widerspricht eine derartige Beschränkung den Haftungsgrundsätzen, die in den demosthenischen Gerichtsreden deutlich zum Ausdruck kommen: Der Schuldner haftete stets unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten aus dem Seedarlehen. 448 Vielmehr diente das Pfand allein der Sicherheit des Gläubigers, konstitutiven Charakter hatte es nicht. 4 4 9 Verfügte der Händler über liquide Vermögenswerte

bei den Attikern II, 352 f.; PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 227; Schwahn, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2036, 2039, 2047; SPITTA 41; VÉLISSAROPOULOS 306; auch BÖCKH 166, LIPSIUS 722 und SCHMITZ, D N P V I I I (2000),

s.v. Nautikon daneion, 759 dürften in diesem Sinne zu verstehen sein. 443 Dazu o. 57 ff. 444 So aber SCHRÖDER, Die Bodmerei, in: Endemann's Handbuch des Deutschen Handels-, See- und Wechselrechts IV, 239. 445 So aber PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 25 und SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2039. 446 Dazu u. 113 ff. 447 So aber HEISE, Heise'S Handelsrecht: Nach dem Original-Manuskript, 395 f., BÖCKH 166, KLEINSCHMIDT 7. 448

Vgl. u. 113 ff. BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne IV, 281; BILLETER 30; COHEN, Athenian Economy and Society, 161 f.; DARESTE, DU prêt à la grosse chez les Athéniens, 9; HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 35 f.; KNORRINGA 93; 449

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

in ausreichender Höhe, hatte er das Seedarlehen mithin in erster Linie zu Versicherungszwecken aufgenommen, so stand dem Darlehensgeber das gesamte Vermögen des Händlers zur Befriedigung seiner Ansprüche zur Verfügung, und der Darlehensgeber konnte grundsätzlich auf Sicherheiten verzichten. 450 Ein solcher Fall findet sich in der Gerichtsrede, die Demosthenes im Auftrag des Apollodor gegen Polykles verfasst hat. 4 5 1 Dem. pros Polyklea 50.17: ... όκτακοσίας δέ δραχμάς παρά Νικίππου του ναυκλήρου ναυτικόν άνειλόμην, ος ετυχεν ών έν Σηστω, έπόγδοον, σωθέντος δέ του πλοίου Άθήναζε άποδοΰναι αυτό καί τους τόκους ... von dem Naukleros Nikippos, der sich in der Tat in Sestos aufhielt, nahm ich 800 Drachmen als Seedarlehen auf gegen 1/8 vom Kapital als Zinsen, zurückzuzahlen nebst Zinsen, falls das Schiff wohlbehalten in Athen ankommt. Der Trierarch Apollodor, ein Sohn des berühmten Bankiers Pasion, 452 befand sich vorübergehend in finanziellen Schwierigkeiten: Zum Ende seiner Trierarchie fehlte ihm das nötige Bargeld, um in Sestos Proviant einzukaufen und den Mannschaftssold auszuzahlen.453 Der Geldgeber Nikippos wusste natürlich von dem Vermögen des Trierarchen, das nicht zuletzt aus Landbesitz bestand; 454 schließlich handelte es sich bei Apollodor, der sich als Anhänger des Demosthenes auch in der Politik versucht hat, um einen der reichsten Bürger Athens. 455 Dass Apollodor ein Seedarlehen (Zinssatz für die Fahrt von Sestos nach Athen: 12,5 %) ohne Sicherheit erhielt, dürfte daher einerseits auf seinen guten Leu-

MATTHIASS 422; MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het nautikon daneisma te Athene, 160 f.; REHME 17 f.; SIEVEKING 19; SPITTA 41 f.; DE SAINTE CRODC 50; DE VRIES 44; in diesem

Sinne wohl auch ISAGER/HANSEN 76 ff. 450

So auch DE SAINTE CRODC 50.

451

Ebenfalls von einem pfandlosen Seedarlehen gehen z.B. aus: BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne IV, 281, BILLETER 33 ff., COHEN* A Study in Contrast: „Maritime Loans" and „Landed Loans" at Athens, 163 f.; DARESTE, DU prêt à la grosse chez les Athéniens, 9, HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 34, KNORRINGA 93, MATTHIASS 42 2 , SIEVEKING 19 f., DE SAINTE CROIX, Ancient Greek an Roman Maritime

Loans, 50 f. und DE VRIES 44, 70. Dagegen nimmt BÖCKH 167a ein Seedarlehen unter Verpfändung des Schiffsgerätes an; ERXLEBEN 471, LIPSIUS 722 167 , PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 34 ff. und PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 18 ff. sind schließlich der Ansicht, es läge gar kein Seedarlehen vor. 452 Dem. 50.56; über den Bankier Pasion vgl. o. 39 101 . 453 Dem. 50.12 ff., dazu bereits o. 47 f. 454 Vgl. Dem. 50.13. 455 ENGELS, DNP I (1996), s.v. Apollodoros (Απολλόδωρος), 856 f.; TREVETT, Apollodoros, the Son of Pasion, 165 ff.; nur die reichsten Bürger Athens waren Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. zur Trierarchie verpflichtet, vgl. STRASBURGER, RE VII A.l (1939), s.v. Trierarchie, 106 ff. m.N.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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mund zurückzufuhren sein. 456 Andererseits wäre das Verlangen nach einer Sicherheit bei einem derartig bekannten und angesehenen Mann vermutlich als nachgerade ehrenrührig empfunden worden. War die Pfandbestellung demnach beim griechischen Seedarlehen kein zwingendes Erfordernis, so stellt sich die Frage, wie häufig die Geldgeber letztlich gewillt waren, auf eine dingliche Sicherheit für ihre Forderungen zu verzichten. Mit Bestimmtheit lässt sich dazu nichts sagen, es ist aber davon auszugehen, dass die Geldgeber gerade in den politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten des 4. Jhdts. v. Chr. immer seltener bereit gewesen sind, sich ausschließlich auf das Vertrauensverhältnis zu ihren Schuldnern zu verlassen. Die Befriedigung aus dem Pfand war schließlich wesentlich einfacher als die Vollstreckung in das Vermögen des Geschäftspartners, für die es grundsätzlich zunächst einer gerichtlichen Entscheidung bedurft hätte. 457 Schon vor diesem Hintergrund wird das hohe Interesse der Geldgeber an einer hypothekarischen Sicherung ihrer Forderungen verständlich, und es ist davon auszugehen, dass die vertragliche Vereinbarung einer Hypotheke im Laufe der Zeit in den Fällen, in denen der Gläubiger nicht infolge des Surrogationsgedankens über eine Hypotheke an den von dem kreditierten Geld gekauften Waren verfügte, zur Regel wurde. 458

g) Befriedigung

aus dem Pfand

aa) Sicherungsfall Nach glücklicher Beendigung der Seereise war der Händler verpflichtet, seine Verbindlichkeiten innerhalb der vereinbarten Frist zu begleichen. 459 Anderenfalls geriet er in Verzug (υπερημερία, hyperemeria), 460 ohne dass es einer besonderen Handlung des Geldgebers (Mahnung o.ä.) bedurfte. Dann verfiel die Hypotheke dem Gläubiger, der befugt war, die verpfändeten Gegenstände ohne weiteres Zuwarten in Besitz zu nehmen. 461 Eine gerichtliche Ermächtigung

456

Vgl. Dem. 50.56: δια γαρ το Πασίωνος είναι καί έκείνον έπεξενώσθαι πολλοίς και πιστευθήναι εν τη 'Ελλάδι ουκ ήπόρουν δπου δεηθεί/ην δανείσασθαι („Als Sohn des Pasion, eines Mannes, der in ganz Griechenland Vertrauen und Kredit genoss, fehlte es mir nicht an Geldgebern, an die ich mich wenden konnte"). 457 Vgl. u. 120. 458 So auch PRINGSHEIM, Der Kauf mitfremdem Geld, 6,24 und SIEVEKING 19. 459 Siehe o. 66. 460 Vgl. Dem. 33.6; 45.70; dazu HARRISON, The law of Athens I, 282. 461 Vgl. nur Dem. 32.14, 33.6 und 35.12.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

war dazu nicht erforderlich. 462 Das Recht, sich nach Verfall aus der Hypotheke zu befriedigen, galt als unzweifelhaft. 463 Eine solche Besitzergreifung kraft unzweifelhaften Rechts wird in der Literatur als έμβάτευσις (embâteusis) oder έμβατεία (embateia) bezeichnet; in den Quellen findet sich im Zusammenhang mit der Besitzergreifung lediglich das Verb έμβατεύειν (embateùein). 464 Wurde der Gläubiger bei der Besitzergreifung behindert, so stand ihm zur Durchsetzung seiner Rechte eine Deliktsklage zum Schutz berechtigter Selbsthilfe (δίκη έξούλης, dike exoules) offen. 465

bb) Rechtswirkung der έμβάτευσις bzw. έμβατεία beim Seedarlehen Die Rechtswirkung der έμβάτευσις (embâteusis) nach dem Verfall einer Hypotheke wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Einerseits wird angenommen, der Gläubiger habe mit der Besitzergreifung zugleich das Eigentum an den verpfändeten Gegenständen erworben. 466 Andere Autoren gehen davon aus, dass der Gläubiger lediglich die tatsächliche Sachherrschaft erlangt habe, um dann anschließend das Pfand im Rahmen des Privatverkaufs verwerten und sich aus dem Erlös befriedigen zu dürfen. 467 Letztlich geht es dabei um die Fra-

462

Vgl. HARRISON, The law of Athens I, 282; HITZIG, Das griechische Pfandrecht,

81; LIPSIUS 701; MITTEIS, Reichsrecht und Volksrecht, 413; SIEVEKING 21. 463

HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 81; JÖRS, Erzrichter und Chrematisten, in: SZ 40 (1919) 782, LIPSIUS 701; RABEL, Δίκη έξούλης und Verwandtes, in: SZ 36 (1915) 367; THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. Έμβατεία, 2486. 464

FINE 83, KRÄNZLEIN 86. Allgemein zur Embâteusis HITZIG, Das griechische

Pfandrecht, 81, JÖRS, Erzrichter und Chrematisten, in: SZ 40 (1919) 77 ff., THALHEIM, RE V . 2 (1905), s.v. Έ μ β α τ ε ί α , 2486, THÜR, DNP I I I (1997), s.v. Embateuein

(έμβατεύειν), 1008. 465

Vgl. HARRISON, The Law o f Athens II, 188 f., ISAGER/HANSEN 82, 144 f f ; aus-

fuhrlich zur δίκη έξούλης (dike exoûles) BISCARDI, Diritto greco antico, 212 ff; KASER, Der altgriechische Eigentumsschutz, in: SZ 64 (1944) 191 ff.; THALHEIM, RE VI.2 (1909), s.v. Έξούλης δίκη, 1699; RABEL, Δίκη έξούλης und Verwandtes, in: SZ 36 (1915) 340 ff. 466 BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne III, 268; BERNEKER, Der kleine Pauly II (1979), s.v. Hypotheke (ύποθήκη) 1285; FINE 94; HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 83; KÄSER, Der altgriechische Eigentumsschutz, in: SZ 64 (1944) 1 8 5 1 6 7 ; KRÄNZLEIN 82 ff.; LIPSIUS 701 f.; RABEL, Δ ί κ η έξούλης und Ver-

wandtes, in: SZ 36 (1915) 371; SWOBODA, Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte, in: SZ 26(1905) 227.

467 BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151; ders., Diritto greco antico, 225; DARESTE, Notes sur l'hypothèque en droit grec, in: NRH XXXII (1908) 646; MATTHIASS 48; PAPPULIAS, Das Pfandrecht nach dem giechischen und römischen Recht, 141 ff; SZANTO, Hypothek und Scheinkauf im griechischen Recht, 281 ff.; vgl. auch MITTEIS, Rez. zu Pappulias, Das Pfandrecht nach dem giechischen und römischen Recht, in: SZ 30 (1909) 447.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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ge, ob die Hypotheke beim Seedarlehen im 4. Jhdt. v. Chr. als Verfall- und Ersatzpfand oder als Verkaufs- und Sicherungspfand ausgestaltet war: Während der Gläubiger beim Verfallpfand die Sache selbst zu seiner Befriedigung erhält, dient beim Verkaufspfand der Erlös zur Befriedigung des Gläubigers. Der Unterschied zwischen Ersatz- und Sicherungspfand wiederum besteht darin, dass dieses die Forderung lediglich in ihrer tatsächlichen Höhe decken soll, wohingegen bei jenem das Pfand an die Stelle der Forderung tritt, 4 6 8 doch dazu sogleich. An dieser Stelle soll zunächst nur ein Blick auf die Fälle der Embateusis geworfen werden, die im Zusammenhang mit dem Seedarlehen stehen. In der Lakritos-Urkunde wird den Gläubigern für den Fall, dass die Schuldner ihren Zahlungsverpflichtungen nicht oder nicht fristgerecht nachkommen, das Recht zur Verpfandung 469 und zum privaten Verkauf 470 der verpfändeten Waren eingeräumt: Dem. pros Lakriton 35.12: Έαν δέ μή άποδώσιν έν τω συγκειμένω χρόνφ, τα υποκείμενα τοις δανείσασιν έξέστω υποθεΐναι και άποδόσθαι της ύπαρχούσης τιμής ... Wenn die Summe nicht innerhalb der festgesetzten Frist zurückgezahlt wird, soll es den Darlehensgebern gestattet sein, die verpfändeten Sachen aufs Neue zu verpfänden oder für den Preis zu verkaufen, der sich auf dem Markt erzielen lässt...

468

Vgl. RAAPE, Der Verfall des griechischen Pfandes, 1 ff. und 16 ff. Die erneute Verpfändung der hypothekarisch haftenden Waren bei Zahlungsverzug stellt einen beim Seedarlehen zu. beobachtenden Sonderfall dar; sie wird den Gläubigern auch in der u. 172 skizzierten Hypothekenurkunde eines Seedarlehens aus dem 2. Jhdt. n. Chr. eingeräumt. Hierbei ist jedoch nicht an eine Forderungsabtretung zu denken, wie dies HARRISON, The law of Athens I, 287 vorschlägt. Vielmehr bleibt der Händler gegenüber seinem Vertragspartner zur Erfüllung der Verbindlichkeiten aus dem Seedarlehensvertrag verpflichtet; dem Geldgeber steht jedoch die Möglichkeit offen, seinerseits ein Darlehen aufzunehmen und dafür die Waren zu verpfänden, falls er - aus welchen Gründen auch immer - Bargeld brauchen sollte. Von dieser Möglichkeit dürfte ein Geldgeber bei vorübergehenden Absatzschwierigkeiten geme Gebrauch gemacht haben: Zum einen bekam er auf diesem Wege wenigstens einen Teil des Geldes auf der Stelle, zum anderen war bei einem illiquiden Händler nicht damit zu rechnen, den Ausgleich für den Mindererlös bald zu erhalten. Schließlich nützte ein späterer Verkauf der Waren zu einem besseren Preis auch dem Händler, dem so der Gewinn seiner Handelsunternehmung erhalten blieb. Die endgültige Befriedigung der Gläubiger trat in diesem Fall, anders als beim Verkauf der Waren, zunächst nicht ein; die Händler blieben weiterhin Eigentümer der Waren. Dementsprechend bezieht sich die Pflicht zum Ausgleich eines etwaigen Mindererlöses (dazu u. 115 ff.) nur auf den Verkauf der Waren, nicht aber auf die Verpfändung, vgl. BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne III, 271 ff., HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 86; zur erneuten Verpfändung der Waren vgl. auch MANIGK, RE IX. 1 (1914), s.v. Hyperocha, 309 f. 470 Die öffentliche Zwangsversteigerung von Privatpfandrechten war dem griechischen Recht unbekannt, vgl. FINLEY, Studies in Land and Credit in Ancient Athens, 115 f. 469

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Eine Besonderheit besteht hier insofern, als die Parteien übereingekommen sind, dass die Darlehensgeber die verpfändeten Waren schon unmittelbar nach dem Einlaufen in den Piräus, d.h. vor Fälligkeit, in Besitz nehmen dürfen. 471 Somit geht die Embateusis hier nicht mit der Erlangung der tatsächlichen Sachherschaft einher. Erst bei Fälligkeit der Zahlungsansprüche - 20 Tage nach dem Einlaufen - sollen die Darlehensgeber zum Verkauf der verpfändeten Gegenstände berechtigt sein. Die Embateusis besteht in diesem Fall also nur noch in einem bei Fristablauf hinzutretenden Pfändungswillen, der sich äußerlich spätestens im Verkauf der Waren manifestiert, nicht aber in der Besitzergreifung. Eigentum sollen die Gläubiger offensichtlich erst am Verkaufserlös erlangen. Anderenfalls hätte das Recht zum Verkauf keiner ausdrücklichen Erwähnung bedurft, da Androkles und Nausikrates dann mit dem Verfall der Hypotheke frei über die nunmehr ihnen gehörenden Waren hätten verfügen können. Zu Beginn der Gerichtsrede gegen Apaturios (Dem. 33) wird erwähnt, dass der byzantinische Naukleros Apaturios ein (oder mehrere?) Darlehen i.H.v. (insgesamt) 40 Minen unter Verpfändung seines Schiffes aufgenommen hat. 472 Da Apaturios zunächst nicht in der Lage ist, seine Gläubiger zu befriedigen, nehmen diese das Schiff in Besitz: Dem. pros Apaturion 33.6: Έτυχεν δέ ούτοσί όφείλων έπί τη νμί τή έαυτοΰ τετταράκοντα μνας, καί οί χρήσται κατήπειγον αυτόν άπαιτοΰντες και ένεβάτευον είς την ναΰν, ειληφότες τή υπερημερία. Άπορουμένφ δ' αύτφ μνας μέν δέκα ό Παρμένων ώμολόγησεν δώσειν, τριάκοντα δέ μνας έδεΐτό μου οΰτος συνευπορήσαι, αίτιώμενος τους χρήστας έπιθυμοϋντας της νεώς διαβεβληκέναι αυτόν έν τω έμπορίψ, ίνα κατάσχωσι την ναΰν εις άπορίαν καταστήσαντες του άποδοΰναι τα χρήματα. Es traf sich aber, dass dieser da [i.e. Apaturios] 40 Minen, die er unter Verpfändung seines Schiffes empfangen hatte, schuldig war, und die Darlehensgeber, die Zahlung verlangt hatten, bedrängten ihn, und sie nahmen das Schiff in Besitz, nachdem der Zahlungstermin verstrichen war. In dieser misslichen Lage versprach Parmenon, ihm 10 Minen zu geben, mich aber bat dieser [i.e. Apaturios], mit 30 Minen auszuhelfen; er beschuldigte die nach dem Schiff trachtenden Darlehensgeber, ihn im Hafen verleumdet zu haben, um sich des Schiffes zu bemächtigen, nachdem sie ihn hinsichtlich der Rückzahlung des Geldes in Verlegenheit gebracht hatten. Ob es sich bei dem Darlehen, das Apaturios nach seiner Ankunft im Piräus nicht fristgerecht zurückzuzahlen vermag, um ein Seedarlehen handelt, kann mit völliger Sicherheit nicht gesagt werden, denn der Kredit wird nicht ausdrücklich als Seedarlehen bezeichnet. Für die Annahme eines Seedarlehens spricht je471 Vgl. Dem. 35.11; ausführlich zur Bereithaltung des Pfandes nach Ankunft im Hafen u. 121 ff. 472 Dem. 33.6; es könnte sich hierbei auch um die Summe mehrerer (See-) Darlehen handeln, jedenfalls wird Apaturios von mindestens zwei Darlehensgebern (οί χρήσται) bedrängt. Zur Mehrheit von Gläubigem beim Seedarlehen vgl. o. 38 .

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

111

doch, dass die Darlehensschuld erst nach dem Einlaufen in den athenischen Hafen fällig, die Zahlungsverpflichtung also anscheinend an die glückliche Beendigung der Seereise geknüpft ist; außerdem verbleibt dem Schuldner nach dem Einlaufen eine Frist zur Zahlung. 473 Von Bedeutung hinsichtlich der Rechtswirkung der Embâteusis ist, dass es Apaturios offensichtlich gelingt, den Verlust des Eigentums an dem Schiff abzuwenden: Nachdem ihm einerseits Parmenon den versprochenen Kredit i.H.v. 10 Minen gewährt 474 und andererseits (nach Vermittlung durch den Sprecher) die Bank des Heraklides 30 Minen zum Darlehen gegeben hat, befriedigt er seine Gläubiger. 475 Als es ihm dann - wie auch immer - gelungen ist, das Schiff zurückzuerhalten, 476 verkauft er es Parmenon und dem Bankier Heraklides auf Lösung und befriedigt so deren Bedürfiiis nach einer dinglichen Sicherheit. 477 A n den Eigentumsverhältnissen kann sich demnach durch den zwischenzeitlichen Besitzverlust nichts geändert haben; mit der Embâteusis ist auch hier nur die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft verbunden, nicht aber der Verlust des Eigentums. 478 Auch in der Gerichtsrede gegen Zenothemis (Dem. 32) ist ein Schiff Objekt der Embâteusis: Der Naukleros Hegestratos, ein Landsmann des Massalioten Zenothemis und mit diesem offensichtlich in betrügerischer Absicht zusammenwirkend, hat sein Schiff als Sicherheit für ein (oder mehrere) Seedarlehen 473

Ein (oder mehrere) Seedarlehen vermuten z.B. COHEN, Athenian Economy and

Society, 167 ff., ERXLEBEN 466 f., ISAGER/HANSEN 82, 153, HARRISON, The law o f A t h -

ens 1,2721 („Bottomry is most probable") und DE SAINTE CROIX 52. 474 Diese Formulierung ist zugegebenermaßen ungenau: Nachdem Parmenon dem Apaturios bereits 3 Minen ausgehändigt hat, kommt es zwischen den beiden zum Streit; nunmehr tritt der Sprecher der Rede als Mittelsmann hinzu und gewährt Apaturios einen Kredit i.H.v. 10 Minen (nachdem er zuvor 7 Minen von Parmenon empfangen hat) unter gleichzeitiger Novation der Verbindlichkeit i.H.v. 3 Minen, vgl. Dem. 33.7 f. 475 Vgl. Dem. 33.9: Τον μέν τρόπον τούτον απήλλαξεν τους χρήστας Άπατούριος ούτοσί („In der Tat befriedigte Apaturios auf diese Weise die Darlehensgeber"). 476 Dieser Umstand wird nicht ausdrücklich erwähnt: Dass Apaturios sein Schiff jedoch zurückerlangt hat, ergibt sich aus den Gesamtumständen (Versuch, mit dem Schiff zu flüchten, Verkauf des Schiffes auf Lösung, ursprüngliche Gläubiger treten nicht mehr in Erscheinung), vgl. Dem. 33.8 ff.; GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils 1,128, 1361 äußert dagegen Zweifel, ob Apaturios überhaupt den unmittelbaren Besitz am Schiff verloren hat, wozu jedoch mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut in § 6 der Rede kein Anlass besteht. 477 Vgl. Dem. 33.8 und dazu GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1292, HARRISON, The law o f Athens I, 272, DE SAINTE CRODC 52; z u m K a u f auf Lösung

(πρασις έπί λύσει, pràsis epi lysei) vgl. ο. 86 354 . 478 So auch SZANTO, Hypothek und Scheinkauf im griechischen Recht, in: Wiener Studien. Zeitschrift für classische Philologie, 282; der in Dem. 33.12 erwähnte Verkauf des Schiffes dient dagegen lediglich der Realisierung der (anteiligen) Gläubigerforderungen, das Eigentum am Schiff ist bereits im Rahmen der πρασις έπί λύσει (pràsis epi lysei) auf die Gläubiger übergegangen, vgl. auch DE SAINTE CROIX 52.

112

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

für die Fahrt von Athen nach Syrakus und zurück verpfändet. Nach den zahlreichen Unregelmäßigkeiten, zu denen es im Verlauf der Reise gekommen ist, 4 7 9 bemächtigen sich die Gläubiger unmittelbar nach der Rückkehr in den Piräus des Schiffes. 480 Dem. pros Zenothemin 32.14: ... την μεν ναϋν oi έπι τη νμί δεδανεικότες ένθένδ' ευθέως εΐχον, ... ... darauf nahmen diejenigen [Gläubiger], die unter Verpfändung des Schiffes geliehen hatten, das Schiff sofort in Besitz,... Welche Bedeutung der έμβάτευσις (embateusis) in diesem Fall zukommt, ist unklar; das weitere Schicksal des Schiffes wird in der Rede nicht erwähnt. Allenfalls die Wortwahl des Demosthenes erlaubt die Vermutung, dass es auch hier zunächst nur um die Erlangung der Sachherrschaft geht: εχειν beschreibt einen tatsächlichen Vorgang bzw. Zustand, nicht aber eine Veränderung der sachenrechtlichen Zuordnung. 481 Anzumerken ist auch, dass εχειν unmittelbar nach dem o.e. Zitat zur Beschreibung einer Besitzergreifung, die nicht im Zusammenhang mit einem Pfandrecht steht, verwendet wird: τον δέ σϊτον ό ήγορακώς είχεν („das Getreide aber nahm deqenige an sich, der es [in Syrakus] gekauft hatte [i.e. Protos]"). Es ist also zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Gläubiger auch hier das Schiff zunächst verkaufen müssen, um sich anschließend aus dem Erlös zu befriedigen. Weitere Hinweise auf die Rechtswirkung der Embateusis beim Seedarlehen enthalten die Quellen des 4. Jhdts. v. Chr. nicht. 482 Bemerkenswert ist, dass in der Hypotheken-Urkunde eines Seedarlehens für eine Handelsreise von Alexandria bzw. vom Roten Meer nach Muziris (P. Vindob. G 40 822) aus der Mitte des 2. Jhdts. n. Chr. den Darlehensgebern verschiedene Befriedigungsmöglichkeiten zur Auswahl eingeräumt werden, darunter nicht zuletzt das Recht, die verpfändeten Waren zu verkaufen. 483 Die Inbesitznahme der verpfändeten Waren bedeutet demnach auch hier nicht den Erwerb des Eigentums: Selbst wenn 479

Vgl. o. 49. Offenbar geschah dies ohne Rücksicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch hier vereinbarte Zahlungsfrist, vermutlich weil mit der (fristgerechten) Zahlung ohnehin nicht zu rechnen war, und es stattdessen galt, eine drohende Pfandvereitelung zu verhindern. 481 Vgl. PASSOW, Handwörterbuch der griechischen Sprache 1.2,1294 ff. 482 Die Embateusis des Zenothemis in das von Protos auf Sizilien gekaufte Getreide (Dem. 32.14 ff.) ist zu Beweiszwecken nicht geeignet: Zwar erlangt auch Zenothemis anscheinend nur den Besitz an den verpfändeten Gegenständen, vgl. § 17: αλλ* εϊχετο του σίτου („aber er behielt das Getreide"), aber das von ihm behauptete Recht zur Embateusis steht ihm offensichtlich nicht zu. 483 Vgl. HARRAUER/SIJPESTEIJN, Ein neues Dokument zu Roms Indienhandel, 133; dazu auch THÜR, Hypotheken-Urkunde eines Seedarlehens für eine Reise nach Muziris und Apographe für die Tetarte in Alexandreia, 23122 ff. 480

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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die Gläubiger sich für die vertraglich vorgesehene Möglichkeit, die Waren auf eigene Rechnung zu übernehmen, entscheiden sollten, müssen sie diese zunächst kaufen. 484

cc) Der besondere Charakter der Hypotheke beim δάνειον ναυτικόν Die Frage, ob die Hypotheke Verfall- und Ersatzpfand 485 oder Verkaufs- und Sicherungspfand 486 war, wurde bereits kurz angeschnitten. Ihre Beantwortung bereitet aufgrund der unbefriedigenden Quellenlage Schwierigkeiten. 487 In der Literatur des 20. Jhdts. überwiegt die Ansicht, die Hypotheke sei in ihrer Verwendung als Grundstückssicherheit Verfall- und Ersatzpfand gewesen. Es hat allerdings nicht den Anschein, als ob die Vertreter dieser Meinung mit tiefer Überzeugung oder gar Gewissheit zu diesem Ergebnis gelangt sind. Der Grund hierfür dürfte das uneinheitliche Bild sein, das die Quellen in Bezug auf die Hypotheke bieten: Zwar finden sich auf manchen Hypothekensteinen (δροι, hóroi\ die zur Sicherung von Darlehensforderungen auf verpfändeten Grundstücken aufgestellt wurden, 488 Verfallsklauseln, 489 aus dem 3. Jhdt. v. Chr. wissen wir jedoch auch von Gesetzen, in denen die Hypotheke als Verkaufs-

484

Die Herausgeber übersetzen die Stelle den Sinn treffend mit „dir selbst zu verkaufen", vgl. HARRAUER/SIJPESTEUN, Ein neues Dokument zu Roms Indienhandel, 133. 485 BERNEKER, Der kleine Pauly II (1979), s.v. Hypotheke (υποθήκη) 1285; FINLEY, Studies in Land and Credit in Ancient Athens, 29 f.; GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 174; HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 83; KRÄNZLEIN 86; MANIGK, RE IX. 1

(1914), s.v. Hyperocha, 307; PAOLI, Ipoteca e άποτίμημα nel diritto attico, 160 ff.; RAAPE, Der Verfall des griechischen Pfandes, 10; SCHANBACHER, DNP V (1998), s.v. Hypotheke (υποθήκη), 817; SCKEMANN, DNP IX (2000), s.v. Pfandrecht, 688; SWOBODA, Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte, in: SZ 26 (1905) 227; THALHEIM, RE IX.l (1914), s.v. 'Υποθήκη, 413; THÜR, DNP V (1998), s.v. Hyperocha, 807. 486 So (spätestens für die Zeit ab dem 4. Jhdt. v. Chr.) BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151 ff; ders., Diritto greco antico, 225; PAPPULIAS, Das Pfandrecht nach dem giechischen und römischen Recht, 141 ff.; PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern II, 307; SZANTO, Hypothek und Scheinkauf im griechischen Recht, 281 f.; FINE 94 nimmt ein Verkaufspfand zumindest für den Fall der Mehrfachverpfändung an. 487 HARRISON, The law of Athens I, 283 ff. weist zurecht daraufhin, dass die Quellen insbesondere über das Vorgehen nach Verfall der Hypotheke allenfalls vage Andeutungen enthalten. 488 Vgl. die bei FINLEY, Studies in Land and Credit in Ancient Athens, 118 ff. abgedruckten Inschriften. Allgemein zu den Hypothekensteinen (δροι, hóroi) HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 9 f.; THALHEIM, RE VIII.2 (1913), s.v."Opoi, 2414 ff.; THÜR, DNP V (1998), s.v. Horoi (öpoi), 730 m.w.N. 489 SCHANBACHER, DNP V (1998), s.v. Hypotheke (υποθήκη), 817.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

und Sicherungspfand ausgestaltet ist. 4 9 0 Verschiedene Autoren haben sich angesichts dieser Auffälligkeiten um den Nachweis bemüht, dass die Hypotheke zwar ursprünglich Verfall- und Ersatzpfand gewesen sei, in der Praxis aber allmählich den Charakter eines Verkaufs- und Sicherungspfandes erhalten habe. 491 Beim Seedarlehen lassen die oben erwähnten Fälle der Embateusis bzw. des Pfandverkaufs ohnehin eher ein Verkaufs- und Sicherungspfand vermuten. Zwar ist es durchaus möglich, dass die Hypotheke im 4. Jhdt. v. Chr., soweit sie als Grundstückspfandrecht verwendet wurde, Verfall- und Ersatzpfand war. Jedoch verbietet es sich vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen des Seehandels, vom allgemeinen Charakter der Hypotheke auf die Praxis beim Seedarlehen zu schließen. 492 Der hohe Stellenwert, den die Privatautonomie i m antiken griechischen Recht hatte, beließ den Parteien auch bei der Ausgestaltung des Pfandrechtes größtmöglichen Freiraum. 493 Gerade beim δάνειον ναυτικόν (dàneion nautikon) macht sich dies in besonders auffälliger Weise bemerkbar. Der besondere Charakter der Hypotheke beim griechischen Seedarlehen tritt an mehreren Stellen hervor: Einerseits steht das Recht (bzw. die Verpflichtung!) zum Verkauf der verpfändeten Gegenstände, das bereits im 4. Jhdt. v. Chr. die Regel zu sein scheint, 494 der Annahme entgegen, die Hypotheke beim Seedarlehen sei Verfallpfand gewesen. 495 Andererseits ist der Passus, der sich in der Lakritos-Urkunde zu einem eventuellen Min-

490 So ist im Getreidegesetz von Samos (um 260 v. Chr.) der Verkauf der verpfändeten Grundstücke ebenso vorgesehen wie die persönliche Haftung der Schuldner für einen evtl. Fehlbetrag bzw. ihr Anspruch auf die Hyperocha, vgl. THÜR/KOCH, Prozessrechtlicher Kommentar zum „Getreidegesetz" aus Samos, in: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 118 (1981) 67 (§ 13). 491 BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151 ff. betont, diese Entwickung sei von der im 4. Jhdt. v. Chr. beim Seedarlehen gängigen Praxis ausgegangen. LIPSIUS 702 wiederum ist der Ansicht, der Prozess sei in der Rednerzeit bereits abgeschlossen gewesen; vgl. auch FINLEY, Mehrfache Belastung von Grundstückseigentum im attischen Recht, 545 ff.; HITZIG, Das griechische Pfandrecht, 89 ff.; MEYER-LAURIN, Der kleine Pauly II (1979), s.v. Hyperocha, 1278; RAAPE, Der Verfall des griechischen Pfandes, 16 ff.; THALHEIM, RE IX.l (1914), s.v. 'Υποθήκη, 414. 492 FINE 65; FINLEY, Mehrfache Belastung von Grundstückseigentum im attischen Recht, 54518; HARRISON, The law of Athens I, 2872; PAOLI, Ipoteca e άποτίμημα nel diritto attico, 146 f.; RABEL, Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders, 24. 493 BISCARDI, Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, 152. 494 Dazu o. 107 ff. 495 So aber (ausdrücklich) FINLEY, Mehrfache Belastung von Grundstückseigentum im attischen Recht, 552 34 ; KRÄNZLEIN 88; ISAGER/HANSEN 83 sind der Ansicht, das Seedarlehen habe im 4. Jhdt. v. Chr. gleichermaßen als Verfall- und als Verkaufspfand ausgestaltet werden können.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

115

dererlös (έλλεΐπον, elleipori) findet, mit dem Gedanken des Ersatzpfandes nicht vereinbar: Dem. pros Lakriton 35.12: ... έάν τι έλλείπη του αργυρίου, ού δει γενέσθαι τοις δανείσασι κατά την συγγραφήν, παρά Άρτέμωνος και Απολλοδώρου εστω ή πρδξις τοις δανείσασι καί έκ των τούτων άπάντων, καί έγγειων καί ναυτικών, πανταχού οπου άν ώσι, καθάπερ δίκην ώφληκότων καί ύπερημέρων όντων,... ... wenn der Verkaufserlös nicht ausreicht, um den Darlehensgebern zuteil werden zu lassen, was ihnen nach dem Vertrag gebührt, so können sich die Darlehensgeber aus dem Vermögen des Artemon und des Apollodor, die als Gesamtschuldner haften, befriedigen, wo auch immer sich dieses befinden möge, egal ob zu Land oder zur See, als wenn sie gleichermaßen gerichtlich verurteilt und säumig wären,... Die Annahme eines Ersatzpfandes würde bedeuten, dass das Pfand an die Stelle der Forderung tritt. Die Haftung für den Mindererlös (έλλεΐπον, elleipori) auf Seiten des Schuldners wäre dann grundsätzlich nicht vorgesehen bzw. bedürfte einer besonderen vertraglichen oder gesetzlichen Regelung; ebenso würde es sich mit der Verpflichtung des Gläubigers zur Herausgabe des Mehrerlöses (υπέροχα, hyperocha) verhalten. Als derartige (vertragliche) Regelung in Bezug auf das Elleipon ist nach überwiegender Ansicht das Zitat aus der Lakritos-Urkunde zu verstehen. 496 Zur Herausgabe der Hyperocha sollen die Gläubiger dagegen in Ermangelung einer entsprechenden Vereinbarung nicht verpflichtet sein. 497 Der Regelungsgehalt der Vertragsklausel dürfte indes ein anderer sein: Die Annahme, dass die Haftung für den Mindererlös erst vertraglich statuiert wird, ist keinesfalls zwingend. Wahrscheinlicher - und mit dem Wortlaut der Urkunde weit besser vereinbar - ist, dass die persönliche Haftung der Schuldner für das έλλεΐπον (elleipon) nur im Zusammenhang mit der Vereinbarung der sofortigen Vollstreckbarkeit 498 erwähnt und im Übrigen vorausgesetzt wird. Das Interesse der Darlehensgeber, zur Deckung eines eventuellen Mindererlöses ohne weiteres in das Vermögen der Schuldner vollstrecken zu können, ist verständlich: Anderenfalls wären die mit dem Recht zur Embâteusis verbundenen Vorteile, d.h. das Recht zur Besitzergreifung ohne vorherige Anrufung eines Gerichts,499 im Falle eines Mindererlöses (zumindest teilweise) hinfällig und die

496 Vgl. nur BÜCHSENSCHÜTZ 489; FINE 9 5 1 2 1 ; GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 174; HARRISON, The L a w o f Athens I, 286 f.; ISAGER/HANSEN 83; THALHEIM, R E

IX.l (1914), s.v. Υποθήκη, 414; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 26 f.; RAAPE, Der Verfall des griechischen Pfandes, 20. 497 Insofern kritisch GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1744. 498 καθάπερ δίκην ώφληκότων καί ύπερημέρων δντων (dazu ausführlich KUSSMAUL, Synthekai, 91 ff.); es handelt sich hierbei um eine so genannte Exekutivklausel, vgl. u. 120. 499 Vgl. o. 107 f.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Darlehensgeber zur Durchsetzung ihrer Restforderung auf den Gerichtsweg angewiesen.500 Wenn von der Verpflichtung zur Herausgabe eines eventuellen Mehrerlöses nicht die Rede ist, so deshalb, weil sie sich beim Seedarlehen von selbst versteht. 501 Es wäre zumindest merkwürdig (wenn nicht sogar ein Verstoß gegen das auch im griechischen Seehandel bedeutsame Prinzip von Treu und Glauben 502 ), wenn der Schuldner einerseits für den Mindererlös haften würde, andererseits aber keinen Anspruch auf die Herausgabe des beim Verkauf des Pfandes erzielten Überschusses hätte. Zu bedenken ist auch, dass der Wein, den Artemon und Apollodor in Mende oder Skione zu beschaffen haben, und der den Gläubigern als Sicherheit haftet, einen Wert von 6 000 Drachmen hat; 5 0 3 auch an der mit dem Verkaufserlös gekauften Rückfracht ist den Geldgebern infolge des Surrogationsgedankens eine Hypotheke entstanden.504 Die Forderung aus dem Seedarlehensvertrag beläuft sich aber lediglich auf 3 000 Drachmen (zzgl. 22,5 bzw. 30 % Zinsen). Die Annahme eines Verfall- und Ersatzpfandes würde daher bedeuten, dass die Gläubiger mit dem Verfall des Pfandes bzw. der Embateusis Rückfracht im Wert eines Vielfachen erlangen würden, vorausgesetzt, die Gewinnerwartungen der Händler hätten sich erfüllt. 505 Die zusätzliche Sicherheit i.H.v. 3 000 Drachmen diente aber lediglich dazu, den Darlehensgebern auch bei einem massiven Preisverfall Sicherheiten in ausreichender Höhe zu gewährleisten, 506 wohingegen die Annahme einer versteckten Konventionalstrafe verfehlt ist. 5 0 7

500

Vgl. BISCARDI, Diritto greco antico, 227; PAOLI, IL prestito marittimo nel diritto attico, 120. 501 Vgl. auch LIPSIUS 702: "... daß er (...) den überschießenden Teil ihres Wertes (...) dem Schuldner (...) zu erstatten hat, ist nicht zu bezweifeln, wenigstens für das Recht der Rednerzeit". 502 Vgl. nur Dem. 32.16; 56.2: Άλλά μοι δοκεΐ οϋτε των νόμων ουτε συγγραφής ουδεμιάς οφελος είναι ουδέν, αν ό λαμβάνων τα χρήματα μή πάνυ δίκαιος η τον τρόπον, καί δυοϊν θάτερον, ή υμάς δεδιώς ή τον συμβαλόντα αίσχυνόμενος („Aber ich denke, dass weder die Gesetze noch die Seedarlehensurkunden etwas nützen, wenn diejenigen, die sich Geld leihen nicht völlig rechtschaffen sind, und nicht entweder Angst vor Euch [ = die Geschworenen/das Gericht] oder ihren Vertragspartnern haben"). 503 Dazu o. 75 ff. 504 Vgl. o. 95 ff. 505 Bei gutem Geschäftsverlauf konnte der Erlös einer Handelsreise leicht ein Vielfaches des ursprünglich investierten Kapitals betragen; zu den im Seehandel zu erzielenden Gewinnen vgl. o. 36 f. 506 Siehe o. 75 ff. 507 Nichts anderes aber wäre die Vereinbarung einer Hypotheke gewesen, wenn den Gläubigern mit dem Sicherungsfall bzw. der Embateusis die Hypotheke in voller Höhe zugefallen wäre, obwohl ihnen aus dem Vertrag doch nur die Darlehensschuld und die Zinsen zustanden, vgl. Dem. 35.12: κατά τήν συγγραφήν; es darf nämlich nicht übersehen werden, dass Verluste infolge von Preisschwankungen nicht die Regel waren.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

117

Dass die Hypotheke lediglich zur Befriedigung der o.e. Forderung aus dem Seedarlehensvertrag dient, wird schließlich in dem Vertrag ausdrücklich erwähnt. 508 Anderenfalls wäre auch der Hinweis auf die Verpflichtung, die Waren zum marktüblichen Preis zu verkaufen, überflüssig: Der Zweck dieser Regelung besteht gerade darin, die Höhe des Elleipon bzw. der Hyperocha objektiv zu bestimmen, um so Unregelmäßigkeiten zu verhindern. Weitere Angaben über den Charakter der Hypotheke beim Seedarlehen enthalten die Quellen des 4. Jhdts. v. Chr. nicht. Die Hypotheke wird an anderer Stelle allenfalls beiläufig erwähnt bzw. vorausgesetzt. Festzuhalten ist somit, dass die einzige der Sicherung einer Seedarlehensforderung dienende Hypotheke aus dem 4. Jhdt. v. Chr., über die wir genauere Kenntnis haben, Verkaufsund Sicherungspfand ist, ohne dass es hierzu der ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien bedurft hätte. Das anhand der Lakritos-Urkunde gefundene Ergebnis findet auch an anderer Stelle Bestätigung: Die Haftung für den Ausfall, die in der Gerichtsrede gegen Zenothemis (Dem 32) das Handeln der Beteiligten bestimmt, entspricht denselben Grundsätzen: 509 Sollte der beim Verkauf des verpfändeten Getreides zu erzielende Preis infolge des starken Preisverfalls 510 nicht ausreichen, um die Verbindlichkeiten aus dem Seedarlehensvertrag zu decken, so muss Protos befürchten, persönlich für das έλλεΐπον (elleipon) zu haften, wenn er sich weiterhin als selbstständiger Importeur ausgibt. 511 Protos macht sich daher die These des Zenothemis zu Eigen und erklärt plötzlich, nur ein Agent des Demon zu sein und das Getreide für dessen Rechnung erworben zu haben. 512 Der Streit um die Ladung gehe ihn deshalb nichts an. 513 A u f diese Weise versucht er, sich vor der persönlichen Haftung für den Ausfall zu drücken, denn nach seiner (neuen) Darstellung müsste nunmehr Demon für den Mindererlös infolge des immensen Preisverfalls einstehen.514 Die Haftungsgrundsätze stehen also auch in diesem

508 Dem. 35.12: έάν τ ι έλλείπη του άργυρίου, οΰ δει γενέσθαι τοις δανείσασι κατά την συγγραφήν... („wenn der Ertrag nicht ausreicht, um den Darlehensgebern zuteil werden zu lassen, was ihnen nach dem Vertrage gebührt,..."). 509 Vgl. Dem. 32.30: ό μεν δια σου την γεγονυΐαν εκδαιαν ουκ άποδώσειν ήμΐν οϊεται („er bildet sich ein, dass es ihm mit deiner Hilfe gelingen wird, uns die entstandene Differenz nicht zurückzuzahlen"). 510 Vgl. Dem. 32.25: έπανήκεν ό σίτος („der Getreidepreis war mittlerweile gefallen"). 511 Vgl. Dem. 32.15 ff., 25. 512 Vgl. Dem. 32.25: άλλην ευθέως ελαβεν γνώμην („er fasste sofort einen anderen Entschluss"). 513 Vgl. Dem. 32.19; MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im Attischen Prozeß, 7. 514 ISAGER/HANSEN 82 f.; MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im Attischen Prozeß,

7; MITTEIS, Romanistische Papyrusstudien, in: SZ 23 (1902) 289; PRINGSHEIM, Der

Kauf mit fremdem Geld, 11 f.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Fall der Annahme entgegen, die Hypotheke sei an die Stelle der Forderungen getreten; ein Ersatzpfand kommt demnach auch hier nicht in Betracht. Überhaupt ist ein Ersatzpfand nur dort wirtschaftlich sinnvoll, wo der Wert der Hypotheke weitgehend konstant ist. Dies mag bei Grundstücken der Fall sein, für die Gegenstände des antiken Seehandels trifft es nicht zu, denn diese unterlagen - wie bereits mehrfach erwähnt- mitunter beträchtlichen Preisschwankungen.515 Vor diesem Hintergrund wird das Interesse der Darlehensgeber an der persönlichen Haftung der Darlehensnehmer verständlich, zumal offensichtlich selbst bei Vereinbarung einer Hypotheke im doppelten Wert des kreditierten Geldes noch damit gerechnet werden musste, dass der durch den Verkauf der verpfändeten Sachen zu erzielende Erlös unter Umständen nicht ausreichen könnte, um die Verpflichtungen der Schuldner abzudecken.516 Zuletzt stellt sich die Frage, was der Anstoß für die beim Seedarlehen festzustellende Entwicklung der Hypotheke vom Ersatz- zum Sicherungspfand gewesen ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Verlustgeschäfte im Seehandel zu Beginn des 5. Jhdts. v.Chr. aufgrund der Perserkriege bzw. dadurch bedingter starker Preisschwankungen besonders häufig waren, so dass sich in der Praxis immer häufiger die Frage nach der Haftung für die Differenz zwischen dem Wert des Pfandes und der Höhe der Gläubigerforderungen stellen musste. U m insofern Schwierigkeiten bei der Vertragsabwicklung zu begegnen, dürfte die Haftung der Schuldner für den Mindererlös (έλλειπον, elleipon) bald regelmäßig vertraglich vereinbart worden sein. Später kam dann ergänzend die Pflicht der Gläubiger zur Herausgabe des Mehrwertes (υπέροχα, hypérocha) hinzu. Der Verkauf der verpfändeten Gegenstände, ohnehin gängige Praxis nach dem Verfall der Hypotheke beim Seedarlehen, 517 diente nun vor allem der Ermittlung der Differenz. Dass die Ware, um Zweifel zu vermeiden, zum marktüblichen Preis verkauft werden musste, versteht sich im Grunde von selbst, wird aber in der Lakritos-Urkunde noch einmal ausdrücklich betont. 518 Anderenfalls hätte die Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen Pfandgläubiger und Käufer bestanden, wobei der Verkauf der verpfändeten Sachen unter Wert zu Lasten der Darlehensnehmer gegangen wäre. 519

515

Zu den insbesondere bei Grundnahrungsmitteln im 4. Jhdt. v. Chr. häufigen, starken Preisschwankungen vgl. ο. 45 139 . 516 Das beweist die soeben besprochene Regelung in der Lakritos-Urkunde für den Fall eines etwaigen Mindererlöses. 517 Kaum ein Geldgeber wird persönlichen Bedarf für eine Schiffsladung Weizen, 1 000 Tierfelle oder 3 000 Amphoren Wein gehabt haben - selbst wenn letzterer von noch so vorzüglicher Qualität gewesen sein mag. 518 Vgl. Dem. 35.12: τα υποκείμενα (...) άποδόσθαι της ΰπαρχούσης τιμής... („das Pfand für den Preis zu verkaufen, der sich auf dem Markt erzielen lässt..."). 519 HARRISON, The Law of Athens 1,287.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

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Die ursprünglich vertraglichen Regelungen scheinen sich bereits im ausgehenden 5. Jhdt. v. Chr. zu einem festen Handelsbrauch verdichtet zu haben: Der Verkauf des Pfandes und die Haftung des Schuldners für einen etwaigen Mindererlös bzw. sein Anspruch auf Herausgabe der Hyperocha sind jedenfalls im 4. Jhdt. v.Chr. charakteristisch für die Hypotheke beim Seedarlehen. 520 Besondere vertragliche Vereinbarungen waren nun nicht mehr erforderlich. Dass sich daran auch im späteren gräko-ägyptischen Rechtsraum nichts geändert hat, beweist nicht zuletzt die bereits erwähnte Hypothekenurkunde aus dem 2. Jhdt. n. Chr. (P. Vindob. G 40 822): In dem Papyrus wird in Zeile 25 der Kolumne I I des Rekto die Haftung für das έλλεΐπον (elleipon) bzw. die Verpflichtung zur Herausgabe der υπέροχα (hypérocha) zu Beginn eines unvollständig überlieferten Satzes erwähnt, nicht aber statuiert. 521

dd) Ergebnis Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Hypotheke beim griechischen Seedarlehen schon im 4. Jhdt. v. Chr. den Charakter eines Verkaufs- und Sicherungspfandes hatte: 522 Erzielte der Gläubiger bei dem privaten Verkauf des Pfandobjektes einen Mehrerlös, so war er zur Herausgabe der Hyperocha verpflichtet, genauso wie der Schuldner im Falle eines Mindererlöses, der aber durch Vereinbarung einer weiteren Hypotheke vermieden werden konnte, für die Differenz haftete. Die Fortentwicklung der Hypotheke beim Seedarlehen entsprach den besonderen praktischen Anforderungen des Seehandels,523 wenn-

520 Vgl. BISCARDI, Die mehrfache Verpfandung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151 ff.; PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 26 f. 521 THÜR, Hypotheken-Urkunde eines Seedarlehens für eine Reise nach Muziris und Apographe für die Tetarte in Alexandreia, 23133 vermutet wohl zutreffend, dass der Händler im (fehlenden) Hauptsatz für den Fall eines Mindererlöses in die sofortige Vollstreckung in sein Vermögen eingewilligt hat bzw. sich vom Händler die unverzügliche Herausgabe eines evtl. Mehrerlöses hat zusichern lassen. Auch hier wird also die Haftung für das Elleipon bzw. die Pflicht zur Herausgabe der Hyperocha vorausgesetzt: του δέ (...) ένλείματός [τ]ε και πλεονάσματος πρός έμέ τον δεδανεισμένον και ύποθηει(...] („Da ... sowohl ein Minder- als auch ein Mehrerlös auf meine, des Darlehensnehmers und Pfandbestellers, Rechnung geht"). 522 So auch BISCARDI, Die mehrfache Verpfandung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 151 ff; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 118 ff; ders., Ipoteca e αποτίμημα nel diritto attico, 164; SIEVEKING 19 f.; vgl. auch Schwahn, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2036. 523 Vgl. PAOLI, Ipoteca e αποτίμημα nel diritto attico, 164: „II pegno di diritto commerciale, a cui può seguir la vendita e il pagamento, rappresenta rispettoal pegno do diritto civile un perfezionamento economico."

120

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

gleich abweichende Vereinbarungen durchaus möglich waren. 524 Allerdings dürfte die Vereinbarung eines Ersatzpfandes nur bei hypothekarischer Belastung eines Schiffes in voller Höhe vorgekommen sein. 525 Die Schuldner hafteten demnach i m 4. Jhdt. v. Chr. grundsätzlich mit ihrem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten aus dem Seedarlehen; eine Beschränkung auf die verpfändeten Gegenstände wie bei der Bodmerei gab es nicht. 526

h) Exekutivklausel

bezüglich eines etwaigen Mindererlöses

Blieb der Erlös beim Verkauf der Ladung im Zielhafen infolge von Preisschwankungen hinter der Darlehenssumme zurück, und weigerte sich der mit seinem persönlichen Vermögen haftende Schuldner, seinen Verpflichtungen nachzukommen, so war der Darlehensgeber grundsätzlich auf gerichtliche Hilfe angewiesen: Er musste zunächst ein Urteil erwirken, um dann in Höhe des Mindererlöses in das Vermögen des Schuldners vollstrecken zu können. Das mitunter langwierige Verfahren konnte durch die Aufnahme einer Exekutivklausel in die Vertragsurkunde vermieden werden. 527 Eine derartige Klausel gestattete dem Gläubiger, sich in Höhe der Differenz aus dem gesamten Vermögen des Schuldners zu befriedigen, ohne dass es zuvor einer Untersuchung über die materiellen Voraussetzungen seines Rechtes bedurft hätte. 528 Die in der Lakritos524 Dies ergibt sich bereits aus dem das griechische Recht beherrschenden Grundsatz weitestgehender Vertragsfreiheit (dazu ο. 27 20 ), vgl. insofern auch FINLEY, Studies in

Land and Credit in Ancient Athens, 113 22 ; MATTHIASS 48; ISAGER/HANSEN 82 f. und

RAAPE, Der Verfall des griechischen Pfandes, 16. 525 Denkbar wäre eine derartige Vereinbarung im Falle des in Dem. 56.3 erwähnten Seedarlehen; in Dem. 33.6 dagegen wurde das Schiff anteilig verpfändet, weshalb der Verkauf des Schiffes ohnehin zwingend erforderlich war, bevor sich die Darlehensgeber in Höhe der Hypotheke aus dem Erlös befriedigen konnten. 526 So bereits DARESTE, DU prêt à la grosse chez les Atheniens, 9; DERNBURG, Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts I, 76; EHRENBERG, Beschränkte Haftung des Schuldners nach See- und Handelsrecht, 43 ff.; KNORRINGA 923; MATTHIASS 48; PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern II, 303 f.; REHME

17; SCHRÖDER, Die Bodmerei, in: Endemann's Handbuch des Deutschen Handels-, See-

und Wechselrechts IV, 239; SIEVEKING 19. 527 Dazu KUSSMAUL, Synthekai, 87 ff., LIPSIUS 689, 699, MITTEIS, Reichsrecht und

Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreiches, 404 ff., PAOU, II prestito marittimo nel diritto attico, 125 ff. und VÉLISSAROPOULOS 307 173 m.w.N.; zur Entwicklungsgeschichte der Exekutivklausel vgl. MEYER-LAURIN, Zur Entstehung und Bedeutung der καθάπερ έκ δίκης-Klausel, in: Symposion 1971,189 ff. 528 MITTEIS, Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreiches, 418 bezeichnet das Recht des Gläubigers aufgrund einer solchen Klausel als eine Art Generalhypothek am Vermögen des Schuldners, die er im Verzugsfall wie eine gewöhnliche Hypotheke durch έμβάτευσις geltend machen könne.

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

121

Urkunde enthaltene Exekutivklausel (Dem. 35.12) wurde bereits oben besprochen. 529

i) Die Bereithaltung des Pfandes nach Ankunft im Hafen Wenn das Schiff glücklich den Bestimmungshafen erreichte, war die Bedingung für den Zahlungsanspruch des Darlehensgebers erfüllt. 530 Die Fälligkeit richtete sich nach den Vereinbarungen der Parteien; in der Regel verblieb den Händlern eine vertraglich bestimmte Frist innerhalb derer die Verbindlichkeiten zu begleichen waren. 531 Während dieser Frist bemühten sich die Händler um den Verkauf der Waren, um dann anschließend mit dem Erlös die Gläubiger zu befriedigen. Selbstverständlich konnte ein Händler, der über ausreichende Bargeldreserven verfügte, zur Befriedigung seiner Gläubiger auch eigenes Geld verwenden, was sich z.B. dann anbieten musste, wenn die Waren (vorübergehend) unverkäuflich waren oder der Verkauf zu einem späteren Zeitpunkt höheren Gewinn versprach. Bis zum Verkauf der Waren bzw. bis zur Befriedigung konnte es den Geldgebern nicht gleichgültig sein, was mit den verpfändeten Gegenständen geschah. Aus diesem Grund haben sich z.B. Androkles von Sphettos und Nausikrates von Karystos von ihren Schuldnern, den Phaseliten Artemon und Apollodor, vertraglich ausbedungen, dass ihnen der Zugriff auf die verpfändeten Waren nach der Ankunft im Piräus jederzeit möglich sein muss. Dem. pros Lakriton 35.11: Kai παρέξουσι τοις δανείσασι την υποθήκη ν άνέπαφον κρατεΐν, εως άν άποδώσι τό γιγνόμενον άργύριον κατά την συγγραφήν. Und sie werden den Darlehensgebern gestatten, sich der verpfändeten Waren frei von berechtigten Zugriffen Dritter zu bemächtigen, bis sie die in der Seedarlehensurkunde vereinbarte Summe zurückgezahlt haben werden. Während die Bereitstellung der verpfändeten Waren für die Händler verpflichtend war, stand die Entscheidung, sich des Pfandes zu bemächtigen, im Ermessen der Darlehensgeber; 532 ggf. konnte die Ausübung dieses vertraglich vereinbarten Rechts zum Besitz mit einer δίκη έξούλης (dike exoules ) durchgesetzt werden. 533 529

Vgl. o. 109 f. Dazu o. 57 ff. 531 Vgl. o. 66. 532 GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1735; Schwahn, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2039. 533 KÄSER, Altgriechischer Eigentumsschutz, in: SZ 64 (1944) 150 f.; RABEL, Δίκη έξούλης und Verwandtes, in: SZ 36 (1915) 382. 530

122

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Beschlossen die Darlehensgeber, die verpfändeten Waren unmittelbar nach dem Einlaufen in den Bestimmungshafen in Besitz zu nehmen, 534 so waren sie bis zur Fälligkeit ihrer Forderungen gegen jedwede Beeinträchtigung des Pfandes, zu der sich die Händler theoretisch hätten hinreißen lassen können, geschützt. 535 Die Hypotheke wurde im Moment der Inbesitznahme zum Faustpfand, 536 wenngleich sich an den Eigentumsverhältnissen zunächst nichts änderte. Ebenso wenig änderte sich etwas an der Befugnis der Händler, die Waren zu veräußern; der Verkauf stand allerdings unter der Kontrolle der Gläubiger, denn die Waren wurden erst nach vollständiger Befriedigung freigegeben. Es ist gut möglich, dass die Gläubiger den ihnen aus dem Seedarlehensvertrag zustehenden Betrag unmittelbar aus den Händen des Käufers empfingen; anschließend konnte der Käufer die Waren abtransportieren lassen. Ganz ähnlich dürfte die vertragliche Vereinbarung zu verstehen sein, die in der Gerichtsrede gegen Dionysodor zitiert wird. Dem. kata Dionysodorou 56.38: ... ή μή παράσχης τα υποκείμενα έμφανή καί ανέπαφα ... ... oder wenn Du das Verpfändete nicht für alle sichtbar und frei von berechtigten Zugriffen Dritter bereitgehalten hättest ... 537 Anscheinend dürfen die Gläubiger das verpfändete Schiff des Dionysodor nach der Rückkehr in den Piräus ohne weiteres in Besitz nehmen, um so die Pfandvereitelung vor Fälligkeit der Forderungen aus dem Seedarlehensvertrag bzw. vor dem Verfall der Hypotheke zu verhindern. Wie häufig derartige Vereinbarungen zum Schutz der Hypotheke beim Seedarlehen waren, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Die Sorge der Darlehensgeber, die Hypotheke und damit ihr Geld zu verlieren, zeigt sich indes auch an anderer Stelle: Chrysippos, der dem Emporos Phormion ein Seedarlehen für eine Handelsfahrt von Athen zum östlich der Krim gelegenen Kimmerischen Bosporus (Straße von Kertsch) und zurück gegeben hat, weist schriftlich sowohl einen seiner Sklaven, der sich im bosporianischen Königreich aufhält, als auch einen dort residierenden Geschäftspartner an, die von Phormion transportierten Handelsgüter sofort nach dem Löschen zu kontrollieren und den Verkauf der Waren zu überwachen. 538 Dass das Misstrauen der Darlehensgeber zumindest 534 Vermutlich war es üblich, den Händlern einen Lager- bzw. Stapelplatz zuzuweisen, den ein Sklave der Geldgeber zu bewachen hatte. 535

Vgl. Dem. 35.25; FINE 66.

536

MATTHIASS 47; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 118. Zu dem Erfordernis, die Hypotheke άνέπαφος (anépaphos) zu halten vgl. BISCARDI, Diritto greco antico, 223 f.; ders., Die mehrfache Verpfändung einer Sache vom attischen bis zum spätrömischen Recht, in: SZ 86 (1969) 150 ff.; KÄSER, Der alt537

griechische Eigentumsschutz, in: SZ 64 (1944) 157 70 .

Vgl. Dem. 3 . .

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

123

gegenüber einzelnen Händlern durchaus berechtigt war, wird nicht zuletzt im weiteren Verlauf der Rede gegen Lakritos deutlich, denn die Händler sind ihrer Verpflichtung zum Einkauf von Rückfracht nicht nachgekommen.539 Auch Chrysippos hätte seine Briefe wohl besser dem Naukleros Lampis als ausgerechnet dem betrügerischen Phormion mitgegeben, der die Schriftstücke verschwinden lässt, um auf der Krim freie Hand zu haben. 540

6. Konventionalstrafen (έπιτίμια) Das besondere Interesse der Darlehensgeber galt der genauen Beachtung der vertraglichen Vereinbarungen, denn nicht selten war diese maßgeblich für den glücklichen Ausgang der Handelsreise: Vor allem der Einhaltung der vertraglich vereinbarten Reiseroute kam vor dem Hintergrund der mit der Seefahrt verbundenen Risiken große Bedeutung zu; das Gleiche galt für das vertragsgemäße Verhalten des Händlers bei Havarie oder Seewurf. 541 Die fristgerechte Rückzahlung des kreditierten Geldes zzgl. Zinsen musste den Darlehensgebern schon deshalb wichtig sein, weil sie nur so in der Lage waren, ihr Kapital während der Schifffahrtssaison mit maximalem Zinsertrag zu verleihen. 542 Besondere Sorge scheint den Darlehensgebern von Zeit zu Zeit auch die Möglichkeit einer etwaigen Pfandvereitelung bereitet zu haben, denn hier bestand die Gefahr, letzten Endes mit leeren Händen dazustehen. Gegen Vertragsverletzungen aller Art versuchten sich die Geldgeber durch die Vereinbarung einer Konventionalstrafe (έπιτίμιον, epitimion) abzusichern. 543 Die entsprechende Klausel, ein bedingtes Schuldversprechen, wurde in der Syngraphe festgehalten. 544 Kam es trotz der abschreckenden Wirkung der Konventionalstrafe zu einem Verstoß gegen die vertraglichen Vereinbarungen, so muss zunächst entscheidend gewesen sein, ob den Gläubigern hierdurch ein Schaden entstanden war.

539 Vgl. Dem. 35.25: Οΰτε γαρ άντηγόρασαν ουδέν έν τώ Ποντφ ουτε άντεφορτίσαντο ώστε άγειν Άθήναζε („Im Gegenteil! Sie haben nämlich überhaupt nichts im Pontos gekauft und keine neuen Waren für die Fahrt nach Athen an Bord gebracht"), beklagt sich der Sprecher nach der Ankunft des Schiffes im Piräus. 540 Vgl. Dem. 34.8: τάς μέν έπιστολάς ουκ άποδίδωσιν οίτος ας ελαβεν παρ' έμοΰ („die Briefe, die er von mir empfangen hat, übergibt er nicht"). 541 Vgl. o. 64 ff. 542 Dazu o. 84 f. 543

PAOLI, IL prestito marittimo nel diritto attico, 136 f.; ISAGER/HANSEN 82; SCHMITZ,

DNP VILI (2000), s.v. Nautikon daneion, 760; SCHWAHN, R E X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ι κ ό ς τόκος, 2036; SIEVEKING 21 f.; VÉLISSAROPOULOS 306 f. 544 PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 136 f.; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2036.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Eine geringfügige Abweichung von der vertraglich vereinbarten Route konnte auch glimpflich ausgehen, wenn das Schiff den Bestimmungshafen dennoch unversehrt und ohne wesentlichen Zeitverlust erreichte; in derartigen Fällen war die Bedingung für den Verfall der Konventionalstrafe nicht eingetreten. Eindeutig war die Lage dagegen, wenn ein Darlehensgeber z.B. nach dem Verkauf der Waren im Auslandshafen überhaupt keine neuen Handelsgüter erwarb oder die Waren vor dem Eintreffen im Bestimmungshafen verkaufte, ohne dafür Ersatz zu beschaffen: 545 Hier konnten die Darlehensgeber die Zahlung der Konventionalstrafe verlangen und sich ohne weiteres Zuwarten aus dem Vermögen der Schuldner befriedigen, falls der Seedarlehensvertrag eine entsprechende Exekutivklausel enthielt. 546 Die Konventionalstrafe trat dann nicht neben, sondern an die Stelle der Hauptschuld.547 Dafür spricht bereits die Tatsache, dass der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens und Zahlung der Zinsen durch die glückliche Beendigung der Handelsunternehmung bedingt war; 5 4 8 dies aber war gerade dann nicht gegeben, wenn die Händler den Zielhafen ohne Waren erreichten oder das Schiff scheiterte, weil man die Rückfahrt verspätet angetreten hatte. Etwas anderes galt bei Vereinbarung eines Strafzuschlags für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses. 549 In zwei von Demosthenes verfassten Gerichtsreden berufen sich die Kläger auf Vertragsklauseln, 550 die für den Fall eines Verstoßes gegen die vertraglichen Vereinbarungen die Zahlung eines gegenüber der Schuldsumme deutlich erhöhten Betrages vorsehen: In der Rede gegen Dionysodor (Dem. 56) hat sich der beklagte Naukleros vertraglich zur Zahlung des doppelten Darlehensbetrages, 551 also 6 000 Drachmen, verpflichtet, falls er das unter Verpfändung seines Schiffes aufgenommene Seedarlehen nicht zurückzahlen sollte, falls er das hypothezierte Schiff den Gläubigern nicht oder nicht frei von Belastungen (zum Zwecke der Embateusis) zugänglich machen sollte, oder falls ihm ein sonstiger Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen vorzuwerfen sein sollte. 552

545 546 547

548

So der Vorwurf der Kläger in Dem. 34.33 bzw. 56.3, 38. Eine derartige Klausel wird z.B. in Dem. 56.45 erwähnt. V g l . BÖCKH 170; ISAGER/HANSEN 83; SIEVEKING 21.

Vgl. o. 57 ff. Vgl. das ο. 126560 angeführte Beispiel aus der Gerichtsrede gegen Phormion. 550 Der genaue Wortlaut der Klauseln ist zwar nicht überliefert, lässt sich aber aus dem Vortrag der Kläger gut rekonstruieren. 551 τα χρήματα (tà chrémata) bezeichnet hier das kreditierte Geld exklusive Zinsen; letztere werden in der Regel gesondert aufgeführt, vgl. nur Dem. 56.38. 552 Die von der Strafklausel erfassten Vertragsverstöße ergeben sich aus Dem. 56.10, 20, 27,38,44. 549

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

125

Dem. kata Dionysodorou 56.38: 'Εάν δέ (...) μή παράσχωσι τα Υποκείμενα έμφανη και άνέπαφα, ή ποιήσωσίν τι παρά την συγγραφήν, άποδιδότωσαν διπλάσια τα χρήματα. Wenn (...) sie das Pfand nicht offen sichtbar und frei von jeglicher Belastung zugunsten Dritter bestellen, oder wenn sie in sonstiger Weise gegen die Bestimmungen des Vertrages verstoßen sollten, werden sie die doppelte Summe bezahlen. Vermutlich wurde häufig der Einfachheit halber die doppelte Darlehenssumme als Strafe vereinbart. 553 Dass aber auch individuelle Vereinbarungen nicht unüblich waren, ergibt sich aus den Bestimmungen, die sich aus der Rede gegen Phormion (Dem. 34) rekonstruieren lassen:554 Die Kläger, Chrysippos und sein Partner, verlangen, den Emporos Phormion zur Zahlung von 5 000 Drachmen zu verurteilen. 555 Dieser habe die Vertragsbestimmungen verletzt, indem er seiner Verpflichtung zum Einkauf von Waren - die den Gläubigern als Sicherheit gehaftet hätten! - nicht nachgekommen sei, und zwar weder für die Fahrt zur Krim noch für die Rückfahrt nach Athen, 556 die er im Übrigen nicht auf dem in der Vertragsurkunde bestimmten Schiff des Lampis angetreten habe. 557 Daher sei er zur Zahlung der vereinbarten Konventionalstrafe verpflichtet. Da sich das Seedarlehen auf 2 000 Drachmen (zzgl. Zinsen i.H.v. 600 Drachmen für die gesamte Handelsreise) belief, 558 hätte die Konventionalstrafe i.H.v. 5 000 Drachmen demnach das Zweieinhalbfache der Darlehenssumme betragen. Phormion versucht sich nun mit der Behauptung herauszuwinden, er habe sich bereits auf der Krim durch die Zahlung von 120 kyzikischen Statern

553 PAOU, Il prestito marittimo nel diritto attico, 59, 136 f. geht davon aus, dass die doppelte Darlehenssumme die Regel war; nach GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 148 soll dies zumindest die übliche Strafe gewesen sein, wenngleich zum Beweis dieser Ansicht lediglich die in der Rede gegen Dionysodor erwähnte Regelung herangezogen werden kann. 554 Im Übrigen enthält auch die bereits im Zusammenhang mit der Embâteusis erwähnte Urkunde aus der Mitte des 2. Jhdts. n. Chr. (vgl. o. 112) eine Vielzahl von einzelnen Bestimmungen für den Fall einer Vertragsverletzung, nicht aber die pauschale Verdoppelung des Schuldbetrages. 555 Vgl. Dem. 34.33. 556 Vgl. Dem. 34.7, 9, 11, 22, 27, 33,40. 557 Vgl. Dem. 34.9 ff. 558 Vgl. Dem. 34.6, 23.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

( = 3 360 Drachmen 559 ) an den inkassoberechtigten Lampis von seinen Verbindlichkeiten befreit, 560 was ihm laut Vertrag gestattet gewesen sei. 561 Die Höhe des (angeblich) von Phormion bezahlten Gesamtbetrages ist trotz der Klarheit dieser Aussage umstritten, da Chrysippos bzw. sein Partner sich im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen vor dem athenischen Handelsgericht nicht immer ganz deutlich ausdrücken und an anderer Stelle ein Betrag von 3 920 Drachmen genannt wird: Während GERNET562 davon ausgeht, Phormion behaupte die Zahlung von 120 kyzikischen Statem (im Wert von 3 360 Drachmen), nehmen ISAGER/HANSEN563 und H.J. WOLFF564 an, der Vortrag des Phormion sei dahingehend zu verstehen, dass er insgesamt 3 920 Drachmen (bzw. gerundet 3 900 Drachmen) an Lampis gezahlt habe. Dass Phormion am Bosporus an Lampis 3 920 Drachmen gezahlt haben will, soll nach H.J. WOLFF565 „einwandfrei" aus der Frage am Schluss von Dem. 34.25 hervorgehen: έξόν δ' αύτφ άμφοτερόπλουν Άθήνησιν άποδοΰναι το άργύριον, έν Βοσπόρω άπέδωκε τρισί καί δέκα μναις πλέον; („Wenn es ihm doch gestattet war, das für die Hin- und Rückfahrt geliehene Geld in Athen zurückzuzahlen, hätte er es dann am [Kimmerischen] Bosporus gezahlt und zusätzlich 13 Minen?"). Eine Bestätigung für diese These enthalte auch § 26, wo vom Kapital, den Zinsen und τά έπιτίμια τά έκ της συγγραφής die Rede sei. Diesen an sich einfachen Sachverhalt, so WOLFF weiter, habe der Sprecher in den §§ 23 ff. „völlig verwirrt", indem er die Summe, die Lampis erhalten haben soll, mit einem vom Beklagten angeblich zum Zweck der Schuldentilgung aufgenommenen Darlehen „zusammenwarf'. Zwar ist die Sachverhaltsschilderung zugegebenermaßen schwierig, von Verwirrung kann jedoch bei genauer Hinsicht nicht die Rede sein: Der Betrag von 3 920 Drachmen (bzw. gerundet 39 Minen) ist stets die Summe aller Aufwendungen, die Phormion auf der Krim getätigt haben will, um Lampis den bei vorzeitiger Vertragsbeendigung fälligen Betrag zahlen zu können: die Aufnahme eines gewöhnlichen Darlehens zur Schuldentilgung i.H.v. 120 kyzikischen Statem ( = 3 360 Drachmen) und die hierfür anfallenden Landzinsen i.H.v. 16,67 % p.a. ( = 560 Drachmen), vgl. Dem. 34.24, 25,41.

Die wiederholt erwähnte Differenz von 13 Minen bezieht sich einerseits auf die Mehraufwendungen gegenüber der vertragsgemäßen Rückzahlung in Athen nebst Zinsen (3 920 Drachmen gegenüber 2 600 Drachmen), vgl. §§30, 41. Andererseits betrifft sie die Differenz zwischen der Darlehenssumme (2 000 Drachmen) und dem angeblich an Lampis gezahlten Betrag (120 kyzikische Stater / 3 360 Drachmen), vgl. § 25 a.E. (von den Zinsen ist hier nicht die Rede, το άργύριον bezeichnet nur die 559 Den auf der Krim geltenden Umrechnungskurs für den στατήρ Κυζικηνός (statér Kyzikenós) gibt der Partner des Chrysippos in seinen Ausführungen vor Gericht mit 1:28 an, vgl. Dem. 34.23: ό δέ Κυζικενος έδύνατο έκεΐ είκοσι καί όκτώ δραχμάς Άττικάς („der Kyzikener hatte dort einen Wert von 28 attischen Drachmen"). 560 Vgl. Dem. 34.23: Φορμίων δέ φησιν άποδοΰναι Λάμπιδι έν Βοσπόρφ έκατόν και είκοσι στρατήρας Κυχικηνούς („Phormion behauptet, er habe am [Kimmerischen] Bosporus 120 kyzikische Stater an Lampis gezahlt"). 561

Vgl. Dem. 34.5, 14, 30 ff.; dazu ISAGER/HANSEN 162 f.

562

Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1491. Aspects of the Athenian Society in the Fourth Century B.C., 83, 15923. Die attische Paragraphe, 67 f. Ebda. 6890.

563 564 565

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

127

Darlehenssumme). Die angebliche Zahlung von 120 kyzikischen Statern (3 360 Drachmen) an Lampis wird in §§ 23, 24 und 26 ausdrücklich erwähnt. Dagegen kann die Behauptung des Phormion, 3 920 Drachmen an Lampis gezahlt zu haben, allenfalls in § 25 vermutet werden: ... ας φεσιν άποδεδωκέναι Φορμίων Λάμπιδι, τρισχιλίας ένακοσίας εϊκοςι („... diese behauptet Phormion dem Lampis gezahlt zu haben, alles in allem 3 920 [Drachmen]")· Dass es sich bei den am Ende des Zitats genannten 3 920 Drachmen um die Summe der für die angebliche Zahlung an Lampis eingegangenen Verpflichtungen - Rückzahlung der Darlehensvaluta (=120 kyzikische Stater/3 360 Drachmen) zzgl. 16,67% Landzinsen (έγγειοι τόκοι, engeioi tókoi) p.a. ( = 560 Drachmen) - handelt, legt bereits der Wortlaut nahe. Im Übrigen wird gerade dies unmittelbar zuvor in § 25 der Rede ausdrücklich betont, so dass kein Zweifel an der Richtigkeit der von GERNET vorgeschlagenen Deutung bestehen kann: εστίν οΰν (...) τοιούτος άνθροπος ή γενήσεταί ποτε δς δισχιλίων εξακοσίων δραχμών τριάκοντα μνας καί τριακοσίας καί έξήκοντα άποτίνειν προείλετ αν, καί τόκον πεντακόσιας δραχμάς και έξήκοντα δανεισάμενος („Gibt es tatsächlich einen Mann oder wird er jemals geboren werden, der es vorziehen würde, statt 2 600 Drachmen 3 360 Drachmen zurückzuzahlen, und 560 Drachmen an Zinsen?"). Dass die hier erwähnten Zinsen an den (unbekannten) bosporianischen Kreditgeber, nicht aber an Lampis zu zahlen sind, wird niemand ernsthaft bezweifeln wollen. Schließlich ist auch die Annahme, der angeblich an Lampis übergebene Betrag und die Summe aus Darlehen und Zinsen sei (zufällig) identisch gewesen, mehr als unwahrscheinlich. Die eingangs zitierte Behauptung des Phormion, am Bosporus 120 kyzikische Stater im Wert von 3 360 Drachmen an Lampis gezahlt zu haben, bedarf daher keiner Korrektur. Bedauerlicherweise, so Phormion weiter, sei das Geld dann später mit dem Schiff des Lampis untergegangen. Zwar bestreiten die Gläubiger die Zahlung an Lampis, 566 ansonsten wird den Darstellungen des Phormion jedoch nicht widersprochen. Es scheint demnach tatsächlich im Ermessen des Emporos gelegen zu haben, das eigentlich für die Hin- und die Rückfahrt gewährte Seedarlehen vor dem Antritt der Rückreise quasi in ein δάνειον έτερόπλουν (dàneion heteróploun ) umzuwandeln. Da für die Fahrt zur Krim ein Zinssatz von 15 % zugrundezulegen ist, 5 6 7 wären bei vorzeitiger Beendigung der Vertragsbeziehungen grundsätzlich nur 566 Vgl. Dem. 34.5, 9, 16 f., 20, 41, 46: Die Kläger behaupten, Phormion habe diese Version erstmals vor Gericht vorgetragen, wohingegen er zuvor, als Chrysippos ihn gemeinsam mit Lampis auf dem Parfüm-Markt aufsuchte, die Zahlung an den Naukleros nicht erwähnt habe, vgl. § 14 f. 567 GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 148 f., PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 45 (zur Höhe des Zinssatzes auf den Standardrouten vgl. o. 81 ff.). H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 68 90 bestreitet den Zinssatz von 15 % für die einfache Fahrt unter Hinweis auf Dem. 34.25 a.E., wonach „außer Zweifel" stehe, dass Phormion „auf die Zinsen 600 Drachmen = 30 % gezahlt" haben will; nachvollziehbar ist dies freilich nicht, auch liefert WOLFF keine Erklärung dafür, warum der Zinssatz auch bei einfacher Fahrt bei 30 % gelegen haben soll. Allenfalls auf § 30 ließe sich eine derartige Behauptung stützen: σοί δ* άποδιδόντι τό τε δάνειον και τους τόκους άμφοτέρους, (...) καί προστιθέντι ετέρας τρεις καί δέκα μνάς,... („Dir aber, der Du das Darlehen zu-

128

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

2 300 Drachmen angefallen. Wenn Phormion behauptet, er habe Lampis Valuta im Gegenwert von 3 360 Drachmen übergeben, so ist es durchaus möglich, dass der Differenzbetrag von gut 1 000 Drachmen einen für diesen Fall vorgesehenen Strafzuschlag darstellt. 568 Schließlich spricht der Partner des Chrysippos im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Zahlung selbst von Konventionalstrafen (έπιτίμια, epitimia): Dem. pros Phormiona 34.26: τούτω δέ τω μή παρόντι ού μόνον τάρχαια καί τους τόκους άπεδίδους, άλλα καί τά έπιτίμια τά έκ της συγγραφής άπέτινες, ουδεμιάς σοι άνάγκης ούσες; Und jener [i.e. Chrysippos], der nicht zugegen war, soll von Dir nicht nur das Kapital und die Zinsen erhalten haben, sondern auch die in der Syngraphe vereinbarten Konventionalstrafen, obwohl Du nicht verpflichtet gewesen bist, diese zu bezahlen? GERNET nimmt an, der Strafeuschlag in Höhe des halben Darlehensbetrages sei als Kompensation für den Verdienstausfall der Gläubiger und die mit dem Rücktransport des Geldes verbundenen Kosten bzw. Risiken zu verstehen. 569 Insofern sei der Inhalt der Strafstipulation dem aus hellenistischer Zeit bekannten ήμιόλιον (hemiólion ) vergleichbar. 570 Der im Fall einer vorzeitigen Beendigung der Vertragsbeziehungen zu zahlende Betrag von 3 360 Drachmen setze sich wie folgt zusammen: 2 000 Drachmen (Darlehensbetrag) + 300 Drachmen (Zinsen für die einfache Fahrt zur Krim) + 1 000 Drachmen (Strafeuschlag) + 60 Drachmen (Agio). 5 7 1 Die von GERNET vorgeschlagene Lösung ist mit den Ausführungen, die Chrysippos bzw. sein Partner vor dem athenischen Handelsgericht machen, gut zu vereinbaren. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich hierbei um den Vortrag der Kläger handelt, weshalb es nicht auszuschließen ist, dass die Darstellungen nicht in letzter Konsequenz der Wahrheit entsprechen, zumal sich

rückgegeben hast und die Zinsen für die Hin- und die Rückfahrt gezahlt hast, ... und 13 weitere Minen aufgewendet hast,..."). Auch hier geht es aber lediglich darum, zu betonen, dass Phormion am Bosporus 13 Minen mehr hätte zahlen müssen als in Athen. Dagegen sind in § 26 wohl nur die Zinsen für die Hinfahrt gemeint. 568 GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils 1,148. Dagegen nehmen BOGAERT, Notes critiques, juridiques et économiques sur le discours contre Phormion, 132 f., ISAGER/HANSEN 83, 159 2 3 und H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 67 f. entsprechend

ihrem vorstehend dargestellten Textverständnis eine alternative Konventionalstrafe i.H.v. 1 300 Drachmen an. 569 Zwar beträgt der Verdienstausfall gerade einmal 300 Drachmen, aber mit dem Rücktransport mag ein höheres Risiko verbunden gewesen sein, da das Geld einem Mittelsmann ( = Lampis) anvertraut werden musste, und im Übrigen für den Transport eine Frachtgebühr (ναΰλον, ηαύΐοή) zu entrichten war, vgl. o. 13. 570 Démosthène: Plaidoyers Civils I, 148 f.; zum ήμιόλιον (hemiólion ), wörtlich: das Anderthalbfache, vgl. MITTEIS, Reichsrecht und Volksrecht, 510 ff; THÜR, DNP V (1998), s.v. Hemiolion (ήμιόλιον), 343 f. m.w.N. 1 571 GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils 1,149 .

V. Die Vereinbarungen im Einzelnen

129

Chrysippos und sein Partner wiederholt in Widersprüche verwickeln. 572 Vor allem dürfte der von dem Partner des Chrysippos mit 1:28 angegebene Wechselkurs zwischen kyzikischem Stater und attischer Drachme frei erfunden sein. 573 Der zur Zeit Alexanders des Großen 574 übliche Wechselkurs lag bei ungefähr 1:20; 5 7 5 die 120 Kyzikener hätten demnach einen Gegenwert von ca. 2 400 Drachmen gehabt, was in etwa dem Seedarlehen zzgl. Zinsen für die einfache Fahrt zur Krim entspricht. Dann aber wäre der Strafzuschlag vermutlich eine Erfindung der Kläger und es würde sich lediglich die Frage stellen, ob Phormion tatsächlich berechtigt war, das Vertragsverhältnis vorzeitig zu beenden.576 Nicht eindeutig klären lässt sich die Frage, wie gebräuchlich die Vereinbarung von Konventionalstrafen war. 5 7 7 Bemerkenswert ist, dass die LakritosUrkunde als einzige in den Reden des Demosthenes überlieferte Syngraphe eine entsprechende Klausel gerade nicht enthält. Dieser Umstand verbietet jedenfalls die Annahme, Konventionalstrafen seien stets vereinbart worden. 578 Wahrscheinlich entschied der Darlehensgeber im Einzelfall, ob er dem Händler vertrauen konnte. 579 Mitunter mag das offene Misstrauen, das in einer solchen Klausel letztlich zum Ausdruck kommt, unpassend gewesen sein, denn das Gros der Händler war als rechtschaffen bekannt. 580 I m Übrigen war der Kosmos der antiken Händler noch in der ersten Hälfte des 4. Jhdts. v. Chr. überschaubar. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die demosthenischen Gerichts572

Ausführliche Analyse der widersprüchlichen Aussagen der Kläger (und des Beklagten) bei ISAGER/HANSEN 163 ff.; vgl. auch die abweichende Interpretation bei BOGAERT, Le cours du statère de Cyzique à Athènes aux V e et IV e siècles avant J.-C., 27 ff. 573 Dies vermutet bereits SCHÄFER, Demosthenes und seine Zeit III, 306; vgl. auch ISAGER/HANSEN 165 f. 574 Die Gerichtsrede gegen Phormion enthält verschiedene Hinweise auf historische Begebenheiten (vgl. Dem. 34.38 ff.) und kann daher mit ziemlicher Sicherheit auf 327/326 v. Chr. datiert werden, vgl. GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 150 f.,

ISAGER/HANSEN 169. 575 Vgl. BOGAERT, Le cours du statère de Cyzique à Athènes aux V e et IV e siècles avant J.-C., 17 ff.; ISAGER/HANSEN 164 ff. m.w.N. 576 Phormion hatte auf der Krim mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen, und es gelang ihm nur mit Mühe, die Forderungen deijenigen Gläubiger zu befriedigen, die ihm nur für die Hinfahrt Geld zur Verfügung gestellt hatten, vgl. Dem. 34.8, 22. Indem er Chrysippos und seinen Partner vorzeitig befriedigte und das Schiff des Lampis davonsegeln ließ, war es ihm möglich, einen günstigeren Zeitpunkt für den Verkauf seiner Waren abzuwarten. 577 GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 175 vermutet, dass Strafklauseln beim Seedarlehen allgemein üblich waren. 578

759

f.

579 580

Vgl. ISAGER/HANSEN 83; a.A. SCHMITZ, D N P V I I I (2000), s.v. Nautikon daneion,

PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 59,136 f. Vgl. u. 162 ff. (Exkurs: Redlichkeit im griechischen Handelsverkehr).

130

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

reden, und insbesondere die Aussage des bereits mehrfach erwähnten Händlers aus Byzanz, der sich mittlerweile im Piräus zur Ruhe gesetzt hat und nun sein bescheidenes Vermögen auf Seezins verleiht, zeugt davon: Dem. pros Apaturion 33.5: Δια δέ τό άφΐχθαι πολλαχόσε καί διά τό εΐναί μοι τας διατριβάς περί τό έμπόριον γνωρίμως εχω τοις πλείστοις των πλεόντων την θάλατταν Da ich viel herumgekommen bin und mich täglich im Hafenbereich aufhalte, kenne ich fast alle, die zur See fahren. Mit den politisch wie wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. anbrachen, mag sich die Lage geändert haben. Vielleicht nutzten Profiteure nun häufiger die Gelegenheit, im Seehandel zu Geld zu kommen. Die Kriegswirren, in die das Hegemoniestreben Philipps II. von Makedonien die griechische Welt stürzte, 581 müssen hierzu gute Gelegenheit geboten haben. Wer in diesen Zeiten bereit war, das Risiko einer Seehandelsunternehmung zu übernehmen, der war sich dieser Tatsache bewusst. Dementsprechend war das Sicherheitsbedürfiiis der Darlehensgeber in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. besonders ausgeprägt, so dass die Konventionalstrafe als Mittel, den Händler zur Vertragstreue anzuhalten, damals vermutlich stark an Bedeutung gewann.

VI. Schriftform 1. Schriftlichkeit als Gebot der Praxis Bereits der komplexe Regelungsgehalt eines Seedarlehensvertrages musste den Parteien die Wahl der Schriftform gebieten.582 Die bereits mehrfach er-

581 Die Konflikte zwischen Athen und Philipp II. verschärften sich seit 342/41 v. Chr.; nach der Kaperung einer athenischen Getreideflotte durch Philipps Armee (vgl. ο. 70 263 ), erklärte Athen Makedonien den Krieg. Zu einer direkten Konfrontation zwischen den verfeindeten Parteien kam es jedoch zunächst noch nicht, vielmehr beschränkten sich die Streitigkeiten überwiegend auf die Chersones. Höhepunkt der Auseinandersetzungen war die Schlacht bei Chaironeia (338 v. Chr.); der Sieg Philipps II. über Athen und seine Verbündeten manifestierte die Vormachtstellung der Makedonier in Griechenland. Der endgültige politische und wirtschaftliche Niedergang Athens war nun nicht mehr aufzuhalten. 582 KUSSMAUL, Synthekai, 94 f. betont, dass ein mündliches Seedarlehen bereits aufgrund der komplizierten Natur des Rechtsgeschäftes nicht vorstellbar und im Übrigen auch nicht überliefert sei; vgl. auch BIANCHINI, La ΣΥΓΓΡΑΦΗ ed il problema delle forme contrattuali, 247; COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 133 f. und MACDOWELL, The Law in Classical Athens, 233 f.; HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 93 f., 183 sieht in der Komplexität der Seedarlehens Verträge sogar den alleinigen Grund für die Schriftform, geht allerdings unzutreffenderweise von der durchgängigen Mündlichkeit des gesamten geschäftlichen Verkehrslebens aus und stellt die Tatsache, dass Seedarlehensverträge stets schriftlich festgehalten wurde, dement-

VI. Schriftform

131

wähnte Vertragsurkunde aus der Rede des Demosthenes gegen Lakritos vermittelt anhand ihrer detaillierten Bestimmungen, durch die die Parteien sämtliche Eventualitäten zu erfassen suchten, einen guten Eindruck von der komplizierten Natur des Rechtsgeschäftes. 583 Dass der Wortlaut der Urkunde authentisch ist, wird heute nicht mehr bezweifelt. 584 Dem. pros Lakriton 35.10-13: 10 Έδάνεισαν Άνδροκλής Σφήττιος καί Ναυσικράτης Καρύστιος Άρτέμωνι καί Άπολλοδώρφ Φασηελίταις αργυρίου δραχμάς τρισχιλίας Άθήνηθεν είς Μένδην ή Σκιώνη ν, και έντεύθεν εις Βόσπορο ν, έάν δέ βούλωνται, της έπ άριστερά μέχρι Βορυσθένους, και πάλιν Άθήναζε, έπί διακοσίαις είκοσι πέντε τάς χιλίας, έάν δέ μετ Άρκτοΰρον έκπλεύσωσιν έκ του Πόντου έφ' Ιερόν, έπί τριακοσίαις τάς χιλίας, έπί οϊνου κεραμίοις Μενδαίοις τρισχιλίοις, ος πλεύσεται έκ Μένδης ή Σκιώνης έν τη είκοσόρφ ην Ύβλήσιος ναυκληρει. 11 Ύποτιθέασι δέ ταύτα, ουκ όφείλοντες έπί τούτοις άλλω ούδενί ουδέν άργυρίον, ούδ' έπιδανείσονται. Και άπάξουσι τά χρήματα τά έκ του Πόντου άντιφορτισθέντα Άθήναζε πάλιν έν τω αύτω πλοίω άπαντα. Σωθέντων δέ των χρημάτων Άθήναζε, άποδώσουσιν οί δανεισάμενοι τοις δανείσασι τό γιγνόμενον άργύριον κατά την συγγραφήν ήμερων εϊκοσιν, άφ' ης άν ελθωσιν Άθήναζε, έντελές πλήν έκβολής ης αν οί σύμπλοι ψηφισάμενοι κοινή έκβάλωνται, καί άν τ ι πολεμίοις άποτείσωσιν- των δ* άλλων άπάντων έντελές. Καί παρέξουσι τοις δανείσασι τήν ύποθήκην άνέπαφον κρατειν, εως άν άποδώσι το γιγνόμενον άργύριον κατά τήν συγγραφήν. 12 'Εάν δέ μή άποδώσιν έν τω συγκειμένφ χρόνφ, τά υποκείμενα τοις δανείσασι ν έξέστω ύποθεϊναι καί άποδόσθαι της ύπαρχούσης τιμής· καί έάν τι έλλείπη του άργυρίου, ου δει γενέσθαι τοις δανείσασι κατά τήν συγγραφήν, παρά Άρτέμωνος καί Απολλοδώρου εστω ή πράξις τοις δανείσασι καί έκ των τούτων άπάντων, καί έγγειων καί ναυτικών, πανταχού δπου άν ώσι, καθάπερ δίκην ώφληκότων καί ύπερημέρων όντων, καί ένί έκατέρφ των δανεισάντων καί άμφοτέροις. 13 'Εάν δέ μή έισβάλωσι, μείναντες έπί κυνί ήμέρας δέκα έν Έλλεσπόντφ, έξελόμενοι δπου άν μή σύλαι ώσιν 'Αθηναίοις, καί έντεύθεν καταπλεύσαντες Άθήναζε τους τόκους άποδόντων τους πέρυσι γραφέντας είς τήν συγγραφήν. Έάν δέ τι ή ναύς πάθη άνήκεστον έν ή άν πλέη τά χρήματα, σωτηρία δ' εσται των υποκειμένων, τά περιγενόμενα κοινά εστω τοις δανείσασιν. Κυριώτερον δέ περί τούτων άλλο μηδέν είναι της συγγραφής.

sprechend als Ausnahme dar. Zur Schriftlichkeit im griechischen Seehandel vgl. SCHWAHN, Schiffspapiere, in: Rheinisches Museum für Philologie 1932, 39 ff.; ZIEBARTH, Neue Beiträge zum griechischen Seehandel, in: Klio XXVI (1932) 235 ff. 583 Auch die in der bereits o. 112 und 119521 erwähnten (gesonderten) HypothekenUrkunde für ein Seedarlehen für die Reise nach Muziris enthaltenen Bestimmungen hätten wohl kaum Inhalt eines mündlichen Vertrages sein können. 584 Den Nachweis der Echtheit haben bereits THALHEIM, Der Prozeß des Androkles gegen Lakritos und seine Urkunden, in: Hermes 23 (1888) 333 ff. und DRERUP, Über die bei den attischen Rednern eingelegten Urkunden, 315 ff. erbracht; vgl. auch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 987; ISAGER/HANSEN 175 f., HARRISON, The Law of Athens 1,286 und H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 7497.

132

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Μάρτυρες Φορμίων Πειραιύς, Κηφισόδοτος Βοιώτιος, Ήλιόδωορος Πιθεύς. 10 Androkles von Sphettos und Nausikrates aus Karystos haben den Phaseliten Artemon und Apollodor 3 000 Silberdrachmen geliehen für eine Reise von Athen nach Mende oder nach Skione, von dort zum Kimmerischen Bosporus [ = Straße von Kertsch, östlich der Krim] und von dort, wenn sie wollen, zum linken Ufer des Djnpr, um von dort nach Athen zurückzukehren. Der Zinssatz beläuft sich auf 225 fur 1 000, wenn sie erst nach dem Frühaufgang des Arkturos [ = 14. September] aus dem Pontos kommend den Hieron 585 passieren, auf 300 für 1 000; verpfändet werden 3 000 Amphoren mendäischen Weines, die sie von Mende oder Skione auf dem Eikosoros [ = Schiff mit 20 Ruderreihen] des Hyblesios abtransportieren werden. 11 Sie haben die verpfändeten Waren weder bereits verpfändet noch werden sie einen weiteren Kredit auf die verpfändeten Waren aufnehmen. Und sie werden die Waren, die sie von dem Erlös des Weines gekauft haben, auf demselben Schiff nach Athen transportieren. Wenn die Waren wohlbehalten in Athen angelangt sind, werden die Darlehensnehmer den Darlehensgebern innerhalb von 20 Tagen nach ihrer Ankunft den sich gemäß der Syngraphe ergebenden Betrag bezahlen, und zwar ohne Abschläge, außer bei Seewurf, dem alle Mitreisenden zugestimmt haben, oder bei Verlusten durch Feindeshand. Und sie werden den Darlehensgebern gestatten, sich der verpfändeten Waren frei von berechtigten Zugriffen Dritter zu bemächtigen, bis sie die in der Seedarlehensurkunde vereinbarte Summe zurückgezahlt haben werden. 12 Wenn die Summe nicht innerhalb der festgesetzten Frist zurückgezahlt wird, soll es den Darlehensgebern gestattet sein, die verpfändeten Sachen weiterzuverpfänden oder für den Preis zu verkaufen, der sich auf dem Markt erzielen lässt; und wenn der Ertrag nicht ausreicht, um den Darlehensgebern zuteil werden zu lassen, was ihnen nach dem Vertrag gebührt, so können sich die Darlehensgeber aus dem Vermögen des Artemon und des Apollodor, die als Gesamtschuldner haften, befriedigen, wo auch immer sich dieses befinden möge, egal ob zu Land oder zur See, als wenn sie gleichermaßen gerichtlich verurteilt und säumig wären; von diesem Recht können diejenigen, die das Darlehen gewährt haben, sowohl getrennt voneinander als auch gemeinsam Gebrauch machen. 13 Sollten sie aber nicht [in das Schwarze Meer] einlaufen, so werden sie nach dem Frühaufgang des Sirius [ = 25. Juli] 586 10 Tage im Hellespont verbleiben und in einer Stadt, in der gegenüber athenischen Bürgern kein Recht zur Beschlagnahme besteht, an Land gehen; und von dort werden sie nach Athen zurücksegeln und den vorstehend vertraglich vereinbarten Zinssatz [ = 22,5 %] zahlen. Wenn dem Schiff, auf dem die Waren transportiert werden, ein erheblicher Schaden zustößt und verpfändete Waren gerettet werden, so soll das Gerettete den Darlehensgebern gemeinschaftlich zustehen. Bezüglich aller getroffenen Vereinbarungen soll nur dieser Vertrag Gültigkeit haben. Zeugen: Phormion, der aus dem Piräus stammt, Kephisodotos aus Böotien, Heliodoros aus Pithos.

585 Anhöhe in Bithynien, nahe der Mündung des Bosporus in das Schwarze Meer; hier befand sich ein Tempel des guten Fahrtwind und glückliche Fahrt verheißenden Ζευς ούριος (Zeus oùrios ), vgl. Herodot 4.85. 586 Mit dem Frühaufgang des Sirius am 25. Juli beginnt der Spätsommer; für die Dauer von 10 Tagen (25. Juli bis 5. August) besteht nun erhöhte Sturmgefahr.

VI. Schrifform

133

Ein mündlicher Seedarlehensvertrag wäre angesichts derart komplizierter und detaillierter Bestimmungen insbesondere für die Darlehensgeber mit einem beträchtlichen Prozessrisiko verbunden gewesen: Der Beweis einer strittigen Vereinbarung hätte bei Rechtsstreitigkeiten allenfalls unter Berufung auf Zeugen erbracht werden können; deren Glaubwürdigkeit aber konnte vom Prozessgegner in Frage gestellt oder mit ein wenig Geschick sogar erschüttert werden. 587 Bereits die einfache Schriftform bedeutete insofern größere Sicherheit. Um aber jeglichen Zweifel am Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen von vornherein ausschließen zu können, entwickelte man für Seedarlehensgeschäfte mit der ναυτική συγγραφή (nautiké syngraphe) eine besondere formliche Urkunde, die aufgrund der strengen Regeln, die bei der Errichtung zu beachten waren, einen fast absoluten Beweiswert hatte. Nicht zuletzt deshalb kam der Syngraphe bei einer Seehandelsklage (δίκη έμπορική, dike emporiké) vor dem athenischen Handelsgericht, die im Zusammenhang mit einem Seedarlehen stand, eine besondere Bedeutung zu; 5 8 8 darauf wird nach einem kurzen Exkurs einzugehen sein.

2. Die Syngraphe im griechischen Recht des 4. Jhdts. v. Chr. Der Name Syngraphe als Bezeichnung einer formlichen Urkunde über die vertraglichen Vereinbarungen ist eng mit dem Seedarlehen verbunden. Noch im 4. Jhdt. v. Chr. war die eigens für Seedarlehensgeschäfte entwickelte Syngraphe-Form wohl nur beim Seedarlehen üblich. 589 Zu dieser Zeit war συγγραφή (syngraphe) der Name für die Vertragsurkunde beim Seedarlehen; 590 daneben findet sich gleichbedeutend die Bezeichnung ναυτική συγγραφή (nautiké syngraphé). 591 Erst in hellenistischer Zeit wurde die Syngraphe zur allgemein übli-

587

Siehe u. 153 ff. Siehe u. 140 ff. 589 Vgl. AMELOTTI/ZINGALE, Συγγραφή, χειρόγραφον - testatio, chirographum, 298; BIANCHINI, La ΣΥΓΓΡΑΦΗ ed il problema delle forme contrattuali, 246; COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 135 f.; GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 33; ders., Démosthène: Plaidoyers Civils I, 171; KUNKEL, RE IV A.2 (1931), s.v. Συγγραφή, syngrapha, 1377; MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het Nautikon daneisma te Athene, in: RIDA 12 (1965) 162; NELSON/MANTHE, Gai Institutiones III 88-181, 516 f.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 40,123; VÉLISSAROPOULOS 237. 588

590

591

KUSSMAUL, Synthekai, 21 ff.

Vgl. Dem. 35.17, 27, 43, 54. Auch in P. Vindob. G 19 792 aus dem 2. Jhdt. n. Chr. (dazu u. 172) wird in Zeile 7 ein δάνιον ναυτικ 0 κατά ναυτικήν συγγραφήν erwähnt, vgl. die Lesart von BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 212; CASSON, New Light on Maritime Loans, in: EOS 48 (1956) 90 liest dagegen δ[ά]ν[ει]ον ναυτικ[όν] κατά συγγραφήν. Dass der Ausdruck sonst fehlt und stattdessen das einfache συγγραφή (syngraphé) gebraucht wird, hat wohl keinen sachlichen Grund, sondern dürfte am unterschiedlichen Sprachgebrauch der einzelnen Redner liegen: Auch in der

134

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

chen Urkundenform und diente nun der Beurkundung von Verträgen unterschiedlichsten Inhalts. 592 Auch das römische Recht kennt die Syngraphe, beschränkt ihren Gebrauch aber auf Darlehensforderungen. 593 Die Syngraphe war eine objektiv stilisierte Urkunde, deren Inhalt in einer protokollarischen Erklärung mehrerer Zeugen 594 über die getroffenen Vereinbarungen bestand.595 Sie wurde grundsätzlich in einfacher Ausfertigimg 596 auf einem Schreibtäfelchen oder einem Papyrusbogen 597 errichtet, mit den Unter-

Gerichtsrede gegen Lakritos (Dem. 35) wird dieselbe Vertragsurkunde sowohl ναυτική συγγραφή als auch συγγραφή genannt. Ausführlich zum Begriff der ναυτική συγγραφή KUSSMAUL, Synthekai, 21 ff. 592 KUNKEL, RE IV A.2 (1931), s.v. Συγγραφή, syngrapha, 1377; NELSON/MANTHE, Gai Institutiones III 88-181, 517; vgl. auch die bei MEYER, Zum Rechts- und Urkundenwesen im ptolemäisch-römischen Ägypten, in: Klio VI (1906) 426 ff. aufgeführten Papyrusfunde. 593 Vgl. NELSON/MANTHE, Gai Institutiones III 88-181, 516 f.; nach Gaius galt die hellenistische Syngraphe im römischen Recht als Literalobligation, d.h. die Verpflichtung entstand mit Errichtung der Urkunde, vgl. Gai. Inst. 3.134: praeterea litterarum obligatio fieri videtur chirographis et syngr aphis, id est si quis debere se aut daturum se scribat; ita scilicet , ut si eo nomine stipulatio non fiat, quod genus obligationis proprium peregrinorum est („femer ist es herrschende Meinung, dass eine Verpflichtung aus Geschriebenem durch eigenhändige Schuldurkunden und Vertragsurkunden entsteht, das heißt, wenn jemand schreibt, dass er schulde, oder, dass er geben werde; selbstverständlich nur dann, wenn in jener Angelegenheit keine Stipulation erfolgt. Diese Art von Verpflichtungen gehört nur dem Sonderrecht der Nichtbürger an"); ausführlich NELSON/MANTHE 215 ff. 594

Für das griechische Recht ist nicht bekannt, ob eine bestimmte Anzahl von Zeugen erforderlich war, vgl. AMELOTTI/ZINGALE, Συγγραφή, χειρόγραφον - testatio, chirographum, in: Symposion 1988, 299 und PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 122. Die Richtigkeit der Lakritos-Urkunde beispielsweise wird von drei Männern bezeugt, vgl. Dem. 35.13. Dagegen schreibt das hellenistische Recht Ägyptens sechs Zeugen vor (daher die Bezeichnung συγγραφή έξαμάρτυρος), vgl. BIANCHINI, La ΣΥΓΓΡΑΦΗ ed il problema delle forme contrattuali, 249. Zur Bedeutung der Zeugen siehe auch KUNKEL, RE IV Α.2.2 (1931), s.v. Συγγραφή, syngrapha, 1378 ff., KUSSMAUL, Synthekai, 86, MITTEIS/WILCKEN, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde II, 1, 53 ff. und SEIDL, Ptolemäische Rechtsgeschichte, 59, 62. 595 Vgl. KUNKEL, RE IV A.2.2 (1931), s.v. Συγγραφή, syngrapha, 1377, KUSSMAUL, Synthekai, 94, NELSON/MANTHE, Gai Institutiones III 88-181, 216 und besonders 516 f.; zu den Formalitäten, die bei dem Aufsetzen der Urkunde zu beachten waren, vgl. PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 122 ff. 596 Vgl. Dem. 35.9, 56.6. Selten wurde die Syngraphe ausnahmsweise in doppelter Ausführung hergestellt, denn dies galt als Zeichen großen Misstrauens, vgl. Dem. 34.32: Kai οιδε μέν προς σέ δύο συγγραφας έποιήσαντο υπέρ του συμβολαίου, ώς αν oi μάλιστ άπιστοΰντες („Und diese [vermutlich hatte Chrysippos einen oder mehrere Partner] errichteten zwei Syngraphen über die mit Dir getroffene Vereinbarung, was von größtmöglichem Misstrauen zeugt"). 597 Vgl. Dem. 56.1: Λαβών γαρ άργύριον φανερόν και όμολογούμενον, έν γραμματειδίφ δυοΐν χαλκοΐν έωνημένφ και βυβλιδίφ μικρω πάνυ τήν όμολογίαν καταλέλοιπε του ποιήσειν τα δίκαια („Nachdem er [i.e. der Darlehensnehmer] nämlich das Geld offen und ohne dass Zweifel bestünden entgegengenommen hat, verspricht er

VI. Schriftform

135

schritten bzw. Siegeln der Zeugen versehen 598 und mit dem Siegel der Parteien verschlossen. 599 Anschließend wurde die Urkunde bei einem zuverlässigen Dritten, meist einem Bankier oder Wechsler, hinterlegt, 600 wobei ebenfalls Zeugen zugegen waren. 601 Der Verwahrer war nur dann zur Herausgabe berechtigt, wenn beide Parteien dies übereinstimmend verlangten. 602 Schließlich erhielten die Vertragsparteien je eine Abschrift (άντίγραφον, antigrafon) der Syngraphe. 603 Kam es zu Streitigkeiten über die Verpflichtungen aus dem Seedarlehen, so diente die Syngraphe als privilegiertes Beweismittel. 604 Das athenische Handelsgericht konnte sich, soweit es bei einem Verfahren um die Rechte und Pflichten der Parteien ging, weitestgehend auf die Vertragsurkunde stützen, denn Zweifel an der Echtheit einer Syngraphe bestanden in den seltensten Fällen: Selbst der von dem Massalioten Zenothemis verklagte Athener Demon, ein Verwandter des Demosthenes,605 spricht gegenüber dem offenbar betrügerischen Kläger nur vage von dem Verdacht eines Unbekannten, die Syngraphe könne gefälscht sein. 606 Hierbei dürfte es sich aber allenfalls um eine prozessuale Finte handeln, denn die bei der Erstellung einer Syngraphe zu beachtenden Förmlichkeiten, insbesondere die Zeugen, deren Siegel und die Aufbewahrung der in Rede stehenden Urkunde bei einem gemeinsam bestimmten

auf einem Schreibtäfelchen, das man für zwei Kupfermünzen kauft, oder auf einem kleinen Streifen Papyrus, dass er die Zusage ganz gewiss gemäß den Vereinbarungen erfüllen werde"). 598 Vgl. nur Dem. 35.13 und dazu PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 123; allgemein zur Formgeschichte der griechischen Privaturkunde und zur Beglaubigung des Textes durch das Siegel (Untersiegelung), vgl. WEISS, Griechisches Privatrecht I, 446 f. 599 LIPSIUS 684; der Verschluss des Textes durch das Siegel (Versiegelung) dürfte ein altorientalischer Brauch sein, vgl. WEISS, Griechisches Privatrecht I, 447 m.w.N. 600 Dem. 33.36: Hinterlegung bei einer Vertrauensperson; Dem. 34.6: Hinterlegung bei dem Bankier Kittos; Dem. 35.14, 48.11, 56.15: Hinterlegung bei einem Bankier. Eine Besonderheit, nämlich die Vereinbarung eines Seedarlehens auf hoher See und die anschließende Hinterlegung der Syngraphe bei einem Mitreisenden, findet sich in Dem. 32.16. 601

Vgl. Dem. 32.16, 35.14; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 123, DE

VRIES 30. 602

Vgl. Dem. 41.21, 48.46 ff.; LIPSIUS 685, PAOU, I l prestito marittimo nel diritto at-

tico, 133. 603

Vgl. Dem. 34.32; 46.27; 48.48; AMELOTTI/ZINGALE, Συγγραφή, χειρόγραφον -

testatio, chirographum, 298, LIPSIUS 687, PAOLI, IL prestito marittimo nel diritto attico, 123, PARDESSUS 145, DE VRIES 31. 604

Vgl. Dem. 33.36, 35.27; ausführlich zur Bedeutung der Syngraphe bei im Zusammenhang mit einem Seedarlehen stehenden Seehandelsklagen u. 140 ff. 605

Vgl. Dem. 32.31.

606

Vgl. Dem. 32.16; vgl. auch H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 41 f.

136

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Dritten, 607 mussten auch hier eine Fälschung mit nahezu absoluter Sicherheit ausgeschlossen erscheinen lassen. Auf keinen Fall durfte die Urkunde verloren gehen: Bei Verlust oder Zerstörung der Syngraphe verlor der Gläubiger faktisch auch seine Ansprüche aus dem Seedarlehensvertrag, denn der Beweis derselben war ihm nun nicht mehr möglich. Dem. kata Dionysodorou 56.15: Τί γαρ εχοντες δίκαιον ή τ ι τό ίσχυρόν άντιδικήσομεν, έάν τε προς διαιτητήν έάν τε εις δικαστήριον δέη βαδίζειν, άνελόμενοι την συγγραφήν έν ή την ύπέρ των δικαίωον βοήθειαν εχομεν;... Welches Rechtsmittel und welche Gewähr hätten wir nämlich, wenn wir gegen jemanden einen Prozess anstrengen müssen und es zu diesem Zweck erforderlich ist, vor die Diäteten oder vor das Handelsgericht zu ziehen, falls wir die Syngraphe zerstören, in der unsere Rechte verbrieft sind? ... Rechtlich erloschen die gegenseitigen Ansprüche dagegen erst mit vollständiger Erfüllung bzw. einer sich daran anschließenden entsprechenden Erklärung der Parteien. 608 Vernichtet wurde die Syngraphe daher erst nachdem beide Parteien die ordnungsgemäße Erfüllung übereinstimmend festgestellt hatten, und zwar im Beisein von Zeugen. 609

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen Eine Besonderheit des athenischen Prozessrechtes 610 lag in der bevorzugten Behandlung von Rechtsstreitigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Außen607

Vgl. Dem. 32.14. Vgl. Dem. 56.15, wo berichtet wird, dass die Parteien den Vertrag im Beisein eines Bankiers annuliert haben 609 Vgl. Dem. 34.31; 56.16; 33.12: έναντίον πολλών μαρτύρων τάς τε συγγραφάς άνειλόμεθα („vor den Augen zahlreicher Zeugen zerstörten wir die Vertragsurkunden"). Dort geht es allerdings um gewöhnliche Darlehensverträge, eine der wenigen Ausnahmen von dem Grundsatz, wonach Syngraphe im 4. Jhdt. v. Chr. der Name der Vertragsurkunde beim Seedarlehen ist; an dieser Stelle steht jedoch die Schriftform im Vordergrund, nicht der Vertrag als sicher, so dass der Redner wohl aus diesem Grund die von γράφειν abgeleitete Bezeichnung gewählt hat, vgl. KUSSMAUL, Synthekai, 223. Vgl. auch PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 86, 126, SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2037 und VÉLISSAROPOULOS 305. SIEVEKING 29 geht dagegen unzutreffenderweise von einer abstrakten und dispositiven Urkunde aus, weshalb der Anspruch mit der Zerstörung der Urkunde auch de iure erlösche. 610 Einen guten Überblick über das athenische Prozessrecht vermittelt die systematische Zusammenfassung von HARRISON, The Law of Athens II; vgl. auch LIPSIUS 53 ff. sowie die übersichtlichen Darstellungen des athenischen Gerichtswesens bei ISAGER/HANSEN 107 ff. und THÜR, Das Gerichtswesen Athens im 4. Jahrhundert v. Chr., in: Große Prozesse im antiken Athen, 31 ff. 608

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

137

bzw. Seehandel611 der Polis standen: Streitigkeiten im Rahmen von Vertragsverhältnissen, an denen Naukleroi und Emporoi in ihrer Eigenschaft als solche beteiligt waren, und die in territorialem Bezug zu Athen standen, wurden bereits früh als Seehandelsklagen (δίκαι έμπορικαί, dîkai emporikaî) von den übrigen Zivilklagen abgetrennt und besonderen Gerichtsbehörden zugewiesen.612 Unter dem Eindruck der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise, in die Athen nach dem Ende des Zweiten Attischen Seebundes geraten war, sah man sich in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. veranlasst, das Gerichtsverfahren besonders für ausländische Händler attraktiver zu gestalten.613 Auf diese Weise sollten die Vorzüge des Piräus als Verkehrsknotenpunkt bzw. Warenumschlagsplatz erhalten bleiben und Erwerbsquellen für die athenische Bevölkerung geschaffen werden. 614 Seitdem standen die δίκαι έμπορικαί (dîkai emporikaî) Bürgern, ständig in der Polis lebenden Nichtbürgern (μέτοικοι, métoikoi) und Fremden (ξένοι, xénoi) gleichermaßen offen und zeichneten sich durch ein beschleunigtes Verfahren zu bestimmten Gerichtszeiten sowie eine besonders strenge Haftung der Parteien aus. Aber nicht nur die Händler, sondern auch diejenigen, die ihr Geld für Handelsunternehmungen zur Verfügung stellten, und auf deren Engagement der athenische Außenhandel angewiesen war, hatten ein großes Interesse an schnellen und effektiven Gerichtsverfahren, wenn es zum Streit kam Oftmals verlie-

611

Der Fern- bzw. Außenhandel war in der antiken griechischen Welt gleichbedeutend mit dem Seehandel, vgl. o. 23. 612 Vgl. COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 158 ff.; LIPSIUS 86 ff.; HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 227; ISAGER/HANSEN 84; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 91; THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. Έμπορικαί δίκαι, 2530; ausführlich zu den Dikai emporikaî COHEN 100ff.; GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 111 f.; LIPSIUS 87, 627ff.; VÉLISSAROPOULOS 235 ff. 613 Nachdem Chios, Rhodos, Kos und Byzanz, allesamt bedeutende Handelszentren, den Zweiten Attischen Seebund im Jahre 357 v. Chr. verlassen hatten, und der anschließende zweijährige so genannte Bundesgenossenkrieg das Ende der politischen Hegemonie Athens besiegelt hatte, stand die Polis auch in wirtschaftlicher Hinsicht vor dem Ruin. Die vordinglichste Aufgabe bestand nun darin, den Femhandel, auf den sich der Wohlstand Athens stets gegründet hatte, wiederzubeleben und die Attraktivität der Polis als Handelsplatz (έμπόριον, empórion ) im Wettbewerb mit den anderen Handelszentren zu steigern, ohne dabei auf das bisher geme angewandte Mittel des politischen Drucks zurückgreifen zu können; vgl. Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.3 ff. 614 Mittel und Wege, dem Staat bzw. den athenischen Bürgern bei Verzicht auf die Ausbeutung anderer Griechenstaaten Geld zu verschaffen, beschreibt Xenophon in seinem 356/355 v. Chr. enstandenen Werk Πόροι („Über die Staatseinkünfte"); tatsächlich kam es nach dem Ende des Bundesgenossenkrieges zu einem bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung.

138

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

hen sie ihr Geld nur im Vertrauen auf das funktionierende Gerichtswesen und die Vorzüge einer Seehandelsklage vor dem athenischen Handelsgericht. 615

1. Die Seehandelsklage (δίκη έμπορική) a) Voraussetzungen Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine δίκη έμπορική (dike emporiké) vor dem athenischen Handelsgericht erhoben werden konnte bzw. welche Bedeutung hierbei der Schriftform zukam, ist nicht einfach zu beantworten. Zwar enthalten die demosthenischen Reden an mehreren Stellen Hinweise auf Gesetze über die Voraussetzungen für eine Klage vor dem athenischen Handelsgericht; es ist jedoch nicht möglich, aus den Vorträgen der Kläger den Originalwortlaut zu rekonstruieren, und so wird in der Literatur schon seit dem frühen 19. Jhdt. darüber gestritten, ob und inwiefern eine Seehandelsklage vor dem athenischen Handelsgericht nur bei Vorlage eines schriftlichen Vertrages erhoben werden konnte.

aa) Allgemeine Voraussetzungen Weitgehend unproblematisch sind die allgemeinen Voraussetzungen einer Klage vor dem athenischen Handelsgericht: Eine δίκη έμπορική (dike empori ké) kam nur dann in Betracht, wenn der Rechtsstreit im sachlichem Zusammenhang mit dem athenischen Außen- bzw. Seehandel stand. Nur in diesem Fall sollten die am Seehandel Beteiligten in den Genuss der mit diesem Verfahren verbundenen Vorteile gelangen. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen werden in den demosthenischen Reden mehrfach erwähnt: Dem. pros Zenothemin 32.1: Oi νόμοι κελεύουσιν (...) τάς δίκας είναι τοις ναυκλήροις καί τοις έμπόροις των Άθήναζε καί των Ά&ήνηθεν συμβολαίων,... Die Gesetze (...) schreiben vor, dass den Naukleroi und den Emporoi bei Handelsgeschäften, deren Ziel- oder Ausgangshafen Athen ist, Klagen zustehen,... Dem. pros Apaturion 33.1: Τοις μεν έμπόροις (...) καί τοις ναυκλήροις κελεύει ό νόμος είναι τάς δίκας . (...), έάν τι άδικώνται έν τω έμπορίω ή ένθένδε ποι πλέοντες ή έτέρωθεν δεΰρο,...

615

Vgl. Dem 56.2, 48.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

139

Das Gesetz schreibt vor (...), dass den Emporoi und den Naukleroi, seien es von hier nach irgendwo oder von einem anderen Ort hierher segelnde, Klagen (...) zustehen, wenn ihnen im [athenischen] Hafen/Handelsplatz Unrecht geschieht,... Dem. pros Phormiona 34.42: Ύπερ δέ του τήν δίκην εισαγώγιμο ν είναι ό νόμος αυτός διαμαρτύρεται, κελεύω ν τάς δίκας είναι τάς έμπορικάς των συμβολαίων των Άθήνησιν καί είς τό Αθηναίων έμπόριον, καί ού μόνον των Άθήνησιν, άλλα καί οσα άν γένηται ενεκα του πλου του Άθήναζε. Was die Zulässigkeit einer Klage betrifft, so wird sie durch das Gesetz selbst bezeugt, indem es vorschreibt, dass wegen der in Athen getätigten Handelsgeschäfte und wegen solcher, die in den athenischen Hafen führen, Seehandelsklagen angestrengt werden können; also nicht nur wegen der in Athen [für die Reise zu einem anderen Handelsplatz getätigten Handelsgeschäfte], sondern auch wegen all jener, die zum Zwecke einer Seehandelsreise nach Athen zustande kommen. Demnach war zunächst erforderlich, dass ein Handelsgeschäft vorlag, das Athen bzw. den Piräus als athenischen Hafen und Handelsplatz (έμπόριον, emporion) betraf. Dass es hierbei nicht um irgendwelche Handelsgeschäfte ging, sondern nur um solche des Seehandels, geht aus den Formulierungen eindeutig hervor: των Άθήναζε κ α ί των Άθήνηθεν („nach Athen und von Athen") erfasst schon aufgrund der geografischen Verhältnisse nur Geschäfte des Seehandels. 616 Im Übrigen lässt die Nennung der am Seehandel beteiligten Händler τοΐς(... ) έμπόροις(...) κ α ι τοις ναυκλήροις 6 1 7 - diesbezüglich keinen Raum für Zweifel. 618 Ein Klageprivileg billigte man den Händlern allerdings nicht zu, auch wenn die Seehandelsklagen zu ihrem Vorteil geschaffen bzw. reformiert wurden und der Wortlaut der vorstehenden Gesetzeszitate dies nahe legen mag: In drei Gerichtsreden, die im Zusammenhang mit einer Seehandelsklage vor dem athenischen Handelgericht gehalten wurden, treten die beteiligten Naukleroi bzw. 616

Vgl. o. 23. Einen Handelsstand im Sinne des spätmittelalterlichen Zunftwesens, der obendrein bestimmten Bevölkerungsklassen vorbehalten gewesen wäre, gab es in Athen nicht. Der Handel stand athenischen Bürgern, Metöken und Fremden gleichermaßen offen, vgl. COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 114 ff., PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 88 ff.; wer sich im Handel betätigen wollte und über das notwendige Kapital verfügte bzw. Geldgeber fand, der galt als Händler und kam unter den gesetzlichen Voraussetzungen in den Genuss der mit einer Seehandelsklage verbundenen Vorteile, selbst wenn es ein Passagier (έπιβάτης, epibâtes) war, der nur gelegentlich einer (aus anderem Grunde unternommenen) Seereise Waren transportierte. 618 Streitigkeiten, die aus gewöhnlichen Kaufgeschäften auf dem Markt oder dem Kleinhandel für den täglichen Bedarf resultierten, konnten demnach mit einer Seehandelsklage nicht verfolgt werden; derartige Klagen gehörten vor die Agoranomen (άγορανόμοι, agoranómoi ), die Marktrichter; vgl. LIPSIUS 631 f., PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern I, 289 f., VON REDEN, DNP I (1996), s.v. Agoranomoi (άγορανόμοι), 274 f. m.w.N. 617

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Emporoi nicht als Kläger auf, sondern sie werden selbst verklagt. 619 Die Gesetzeszitate sind daher so zu verstehen, dass eine Klage vor dem athenischen Handelsgericht grundsätzlich nur dann in Betracht kam, wenn Naukleroi oder Emporoi in Rechtsstreitigkeiten verwickelt waren, die im Zusammenhang mit dem athenischen Import oder Export standen, sei es als Kläger oder als Beklagte. 620 Allerdings ist es verfehlt, im Hinblick auf Dem. 33.1 den Regelungsgehalt der Gesetze über vertragliche Obligationen hinaus auch auf deliktische Obligationen, die nicht im Zusammenhang mit einem Handelsvertrag stehen, auszudehnen, so z.B. falls ein Naukleros beim Einlaufen in den Piräus das Schiff eines anderen gerammt hat. 6 2 1 Die im Vergleich zu Dem. 32.1 und Dem. 34.42 sehr weite Formulierung in Dem. 33.1, in der von einem συμβόλαιο ν nicht die Rede ist, sondern nur ein im athenischen Emporium erlittenes Unrecht (έάν τ ι άδικώνται έν τω έμπορίφ) erwähnt wird, besagt nicht, dass Haftungsbeziehungen im weitesten Sinn als Voraussetzung einer Seehandelsklage genügen. 622 Das Gesetzeszitat ist offensichtlich unpräzise; dass es nämlich auch hier um vertragliche Obligationen geht, wird im weiteren Verlauf der Gerichtsrede deutlich: Dem. pros Apaturion 33.2: Τοις δέ περί των μή γενομένων συμβολαίων είς κρίσιν καθισταμένοις έπί τήν παραγραφήν καταφεύγειν εδωκεν ό νόμος, ... Wer aber vor Gericht zitiert wird, ohne dass ein Handelsgeschäft vorliegt, dem gibt das Gesetz das Recht, eine Einrede gegen die Zulässigkeit der Klage zu erheben,...

bb) Die besondere Bedeutung der Schriftform Äußerst umstritten ist seit langem, ob darüber hinaus - gleichermaßen als besondere Zulässigkeitsvoraussetzung - die Vorlage einer Vertragsurkunde erforderlich war. Ausgangspunkt der Kontroverse ist die unterschiedliche Deutung des Teilsatzes κ α ί περί ών άν ώσι συγγραφαί, der ausschließlich dem bereits

619

Dem. 34; Dem. 35; Dem. 56.

620

Vgl. nur ISAGER/HANSEN 86; VÉLISSAROPOULOS 236.

621

Ebenso CASSON, Ancient Athenian Maritime Courts, 107 ff., ISAGER/HANSEN 87,

151 ff. und LIPSIUS 6 3 2 1 8 . 622

So aber BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne IV, 91; HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 225; MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im attischen Prozess, 9; PAOLI, II

prestito marittimo nel diritto attico, 105; H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 44.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

141

oben erwähnten Gesetzeszitat aus der Gerichtsrede gegen Zenothemis angefügt ist; 623 in Dem 33.1 und D e m 34.42 fehlt ein entsprechender Zusatz. 624 Dem. pros Zenothemin 32.1 : Oi νόμοι κελεύουσιν (...) τάς δίκας είναι τοις ναυκλήροις καί τοις έμπόροις των Άθήναζε καί των ΆΟήνηθεν συμβολαίων, καί περί ών αν ώσι συγγραφαί· άν δέ τις παρά ταΰτα δικάζηται, μή είσαγώγιμον είναι τήν δίκην. Die Gesetze schreiben vor (...), dass den Naukleroi und den Emporoi im Falle von Handelsgeschäften, deren Ziel- oder Ausgangshafen Athen ist, Klagen zustehen, καί περί ών αν ώσι συγγραφαί. Wenn aber jemand diese Vorschriften verletzt, so wird entschieden werden, dass die Klage nicht zulässig ist. Während dem Teilsatz einerseits eine eigenständige Bedeutung beigemessen wird („und bei allen Geschäften, über die Syngraphen vorliegen"; so genannte disjunktive Interpretation), 625 soll es sich anderereits um einen modifizierenden Zusatz („und über die Syngraphen vorliegen"; so genannte konjunktive Interpretation) handeln. 626 Nach der konjunktiven Interpretation wäre eine Seehandelsklage also nur bei Streitigkeiten um Rechte und Pflichten aus schriftlich fixierten Handelsgeschäften (gleich welchen Inhalts!) mit territorialem Bezug zu Athen zulässig gewesen, d.h. die Vorlage einer Vertragsurkunde wäre unabdingbare Voraussetzung einer Seehandelsklage gewesen. H.J. WOLFF627 folgt zwar grundsätzlich der konjunktiven Interpretation, versteht die von ihm ge623

HEFFTER, Die athenäische Gerichtsverfassung, 400 äußerte sich bereits 1822 zu dem Teilsatz und vertrat die Ansicht, die Stelle könne als unbeachtlich vernachlässigt werden. PHILIPPI, Das Fragment der demosthenischen Rede gegen Zenothemis, in: Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik 95 (1867) 59224 vermutete dagegen einen einschränkenden Sinn („und in betreff der Dinge, auf welche solche συγγραφαί sich beziehen"); einen Überblick über die ältere Literatur gibt LIPSIUS 63218. 624 Diese beiden Zitate werden deshalb zumeist als ungenau bzw. unvollständig erachtet, vgl. nur GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 22, ISAGER/HANSEN 86, LIPSIUS 631, PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 102. 625 GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, in: Revue des études grecques 51 (1938) 23 ff.; ders., Démosthène: Plaidoyers Civils I, 111 f., 119; HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 227; MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im attischen Prozess, 9; PARTSCH, Griechisches Bürgschaftsrecht I, 153; VÉLISSAROPOULOS 239 f.; dagegen sieht BEAUCHET, Histoire du droit privé de la République Athénienne IV, 94 ff. in dem Zusatz καί περί ών αν ώσι συγγραφαί lediglich den Hinweis des Demon, dass Handelsverträge üblicherweise schriftlich abgefasst werden. 626 BIANCHINI, La ΣΥΓΓΡΑΦΗ ed il problema delle forme contrattuali, 246; BISCARDI, Diritto greco antico, 157· COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 99 ff; ISAGER/HANSEN 87; LIPSIUS 6321® (mit einer Übersicht über die ältere Literatur); MACDOWELL, The Law in Classical Athens, 232 ff.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 105, 124 ff.; PEARSON, Demosthenes: Six Private Speeches, 254; PRÉAUX, De la Grèce classique à l'Egypte hellénistique. Note sur les contrats à la clause exécutoire, in: Chr. d'Ég. 33 (1958) 108; SCHWAHN, RE X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ο δ ί κ α ι , 2054;

WEISS, Griechisches Privatrecht I, 437 f. 627 Die attische Paragraphe, 14211.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

wählte Übersetzung („und zwar, sofern schriftliche Verträge vorliegen") jedoch in dem Sinne, dass „die Existenz eines in einer Syngraphe verbrieften Seedarlehensgeschäfts" Voraussetzung einer Seehandelsklage gewesen sei. Habe ein solches Geschäft vorgelegen, so hätten „alle mit ihm im Zusammenhang stehenden (also nicht nur sich aus ihm unmittelbar ergebenden!) Haftungsverhältnisse, gleichviel auf welchem Rechtsgrund sie beruhen, vor die Hafengerichte" gehört. Die Kompetenz des Handelsgerichts wäre demzufolge, wenn auch in einem weiten Sinn, auf Seehandelssachen beschränkt gewesen, denn nicht jeder Anspruch aus irgendeiner Syngraphe - so aber die Anhänger einer disjunktiven Interpretation - wäre als möglicher Gegenstand einer δίκη έμπορική (dike emporiké) in Betracht gekommen. Tatsächlich bereitet der Text an dieser Stelle große Schwierigkeiten, da sich Grammatik und Rechtsdogmatik nur mit größter Mühe in Einklang bringen lassen. Die so genannte konjunktive Interpretation („und über die Syngraphen vorliegen") stellt denn auch aus drei syntaktischen Gründen eine ziemlich gezwungene, wenn nicht gewaltsame Deutung des Halbsatzes κ α ί περί ών αν ώσι συγγραφαί dar: (1) κ α ί kann bestenfalls gelegentlich (im Sinne von κ α ι δέ καί) mit „und besonders/insbesondere" übersetzt werden, schwerlich aber jemals mit einschränkendem Sinn (»jedoch nur/und zwar, wenn"), wie es die konjunktive Interpretation erfordert. (2) Der durch άν mit dem Konjunktiv bezeichnete Iterativ der Gegenwart drückt die Häufigkeit und Wiederholung einer Handlung aus, nicht jedoch, dass die Handlung nur unter bestimmten Umständen oder Bedingungen möglich ist. 6 2 8 (3) In § 2 der Gerichtsrede gegen Zenothemis heißt es: τουτφί τοίνυν Ζηνοθέμιδι προς μεν έμέ δτι ουδέν ην συμβόλαιον ουδέ συγγραφή („es gibt nun aber zwischen diesem Zenothemis und mir keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung und keine Syngraphe"); ουδέ spiegelt das den entscheidenden Teilsatz in § 1 einleitende κ α ί wieder. Da es hier, im Negativen, nicht Bedingimg und Sonderbedingung, sondern zwei unabhängige Bedingungen verknüpft, wird κ α ι in § 1 keine andere Funktion haben. Dass κ α ι περί ών αν ώσι συγγραφαί im Zusammenhang mit den i m ersten Teilsatz erwähnten Verträgen (των Άθήναζε κ α ι των 'Αθήνηθεν συμβολαίων) steht, mithin als modifizierender Zusatz zu verstehen ist, soll sich nicht zuletzt aus Kasus und Genus des Relativpronomen ών (Genitiv Plural Neutrum) ergeben. 629 Das ών im zweiten Teilsatz bezieht sich jedoch nicht auf das - in der Tat - gleichfalls im Genitiv Plural stehende συμβολαίων des ersten Teilsatzes (das ist durch κ α ι ausgeschlossen!), sondern auf ein weiteres, leicht zu er-

628

So aber ausdrücklich HJ. WOLFF, Die attische Paragraphe, 14211, der der „sprachlichein) Form des modifizierenden Zusatzes (Konj. mit αν!)" prospektive Bedeutung beimisst. 629 Vgl. PRÉAUX, De la Grèce classique à Γ Egypte hellénistique. Note sur les contrats à la clause exécutoire, in: Chr. d'Ég. 33 (1958) 108.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

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gänzendes. Die so genannte Attraktion des Relativpronomens lässt sich somit grammatisch wie folgt auflösen: καί [περί των συμβολαίων] περί ών αν ώσι συγγραφαί. Der Teilsatz ist demnach mit „und - außerdem - bei den Handelsgeschäften, über die Syngraphen vorliegen" zu übersetzen, was auf den ersten Blick der disjunktiven Interpretation entspricht. Die vollständige wörtliche Ü bersetzung lautet demnach: Dem. pros Zenothemin 32.1 : Οί νόμοι κελεύουσιν (...), τάς δίκας είναι τοις ναυκλήροι^ και τοις έμπόροις των Άθήναζε καί των Άθήνηθεν συμβολαίων, καί περί ων αν ώσι συγγραφαί· αν δέ τις παρά ταΰτα δικάζηται, μή είσαγώγιμον είναι τήν δίκην. Die Gesetze schreiben vor (...), dass den Naukleroi und den Emporoi im Falle von Handelsgeschäften, deren Ziel- oder Ausgangshafen Athen ist, Klagen zustehen und - außerdem - bei den Handelsgeschäften, über die Syngraphen vorliegen. Wenn aber jemand diese Vorschriften verletzt, so wird entschieden werden, dass die Klage nicht zulässig ist. Aus den ersten Sätzen der Gerichtsrede gegen Zenothemis ergibt sich somit folgendes Bild: Der Redner spricht von (mindestens) zwei Gesetzen, die Bestimmungen über die Zulässigkeit einer Klage vor dem athenischen Handelsgericht enthalten. Darauf deutet i m Übrigen bereits der eingangs des ersten Satzes verwendete Plural οί νόμοι (hoi nomoi) hin, 6 3 0 und auch in Dem. 34.4 ist von mehreren Gesetzen die Rede. I m konsequenten Gegensatz dazu steht der singularische Sprachgebrauch in Dem. 33.1 und Dem. 34.42, wo lediglich das erste der beiden Gesetze erwähnt wird. 6 3 1 Nach dem ersten Gesetz war eine Seehandelsklage zulässig, wenn Naukleroi oder Emporoi in Rechtsstreitigkeiten verwickelt waren, die im Zusammenhang mit dem athenischen Import oder Export standen, sei es als Kläger oder als Beklagte. Das zweite Gesetz erklärte eine δίκη έμπορική (dike emporiké) für zulässig, wenn Naukleroi und Emporoi über ein Handelsgeschäft eine förmliche Urkunde (Syngraphe) errichtet haben. Wenn aber in dem zweiten Teilsatz kein modifizierender Zusatz des ersten zu sehen ist, so ergibt sich aus den Worten des Redners, dass die Vorlage einer Vertragsurkunde keineswegs in allen Fällen zwingende Voraussetzung einer δίκη έμπορική (dike emporiké) war. Das bedeutet indes nicht, dass der disjunktiven Interpretation ohne weiteres zu folgen ist, denn die bloße Schriftform, d.h. die Vorlage irgendeiner Vertragsurkunde berechtigte keineswegs zur Klage. Dass es bei den in einer Syngraphe festgehaltenen Verträgen nicht um Vereinbarungen jeder Art ging, ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Auch im zweiten Teilsatz wird eine Voraussetzung erwähnt, unter der ausschließlich Naukleroi und Emporoi bzw. ihren Vertragspartnern eine Seehandelsklage zu630

Dies wird allerdings häufig übersehen, so z.B. von ISAGER/HANSEN 86 und

VÉLISSAROPOULOS 237 ff. 631

Vgl. 0. 138 f.

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

steht, denn τάς δίκας ε ί ν α ι τοις ναυκλήροις κ α ι τοις έμπόροις bezieht sich auf beide Gesetze. Die Schriftform allein genügte also jedenfalls dann nicht, wenn weder ein Naukleros noch ein Emporos an dem in einer Syngraphe festgehaltenen Vertrag beteiligt waren. 632 Eine derartige Bestimmung wäre in den Gesetzen über die Seehandelsklagen fehl am Platz; hier gab es keinen Anlass für die mit der Seehandelsklage verbundenen Vorteile. 633 Auch mussten die in dem zweiten Gesetz genannten Handelsgeschäfte im Zusammenhang mit dem athenischen Seehandel stehen: Zum einen war es athenischen Bürgern und Metöken ohnehin gesetzlich verboten, Seedarlehen mit einem anderem Bestimmungsort als Athen abzuschließen;634 zum anderen ist es mehr als unwahrscheinlich, dass fremden, irgendwo im Mittelmeer tätigen Händlern der Weg zum athenischen Handelsgericht offengestanden haben könnte, nur weil sie einen schriftlich fixierten Handelsvertrag vorweisen konnten, denn durch die mit der Seehandelsklage verbundenen Vorteile sollte ausschließlich der Handel mit Athen gefördert werden. 635 Es ist dementsprechend kein Zufall, wenn sämtliche Seedarlehen, die in den demosthenischen Gerichtsreden vor dem athenischen Handelsgericht verhandelt werden, Άθήναζε oder Άθήνηθεν abgeschlossen sind. Waren aber Naukleroi oder Emporoi an einem solchen Geschäft beteiligt, so hätte im Grunde bereits dieser Umstand genügt, um die mit der Seehandelsklage verbundenen Vorteile zu gewähren, selbst wenn die Tätigkeit der Händler durch das Geschäft nur ganz entfernt betroffen war: Eine schnelle Verhandlung 636 diente auch hier dem Interesse Athens, denn nur so konnten die Händler zügig weitersegeln, um den Wohlstand der Polis zu mehren. Somit stellt sich die Frage, inwieweit das im zweiten Teilsatz erwähnte Gesetz einen eigenständigen Regelungsgehalt aufweist, denn das in einer Syngraphe festgehaltene συμβό-

632 So aber ausdrücklich HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 2272, der annimmt, συγγραφαί bezeichne eine zweite Kategorie von Verträgen, für die die Schriftlichkeit wesentlich sei, die aber ihrem Inhalt nach nicht direkt ein Handelsgeschäft darstellen müssen; ebenso GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 23 ff; ders., Démosthène: Plaidoyers Civils I, 112; PARTSCH, Griechisches Bürgschaftsrecht I, 153; VÉLISSAROPOULOS 240; undeutlich, aber wohl in demselben Sinn MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im attischen Prozess, 9. 633 Vgl. COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 104; COSMAN, Demosthenes4 Rede tegen Zenothemis, 4 f.; ISAGER/HANSEN 152; PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern I, 293; PRÉAUX, De la Grèce classique à l'Egypte hellénistique. Note sur les contrats à la clause exécutoire, in: Chr. d'Ég. 33 (1958) 107 f.; H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 14211. 634 Vgl. u. 162 ff. 635 Vgl. Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.3 ff.; dazu o. 136 f. 636 Dazu ausführlich u. 156 f.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

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λαιον (symbólaion) fällt als Handelsgeschäft grundsätzlich auch unter das im ersten Teilsatz erwähnte Gesetz. Die Lösung liegt in der Bedeutung des Wortes συγγραφή (syngraphe): Bereits oben wurde erwähnt, dass Syngraphe im 4. Jhdt. v. Chr. - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - der Name der Vertragsurkunde beim Seedarlehen ist. 6 3 7 Der Sprachgebrauch der Redner ist aufschlussreich: Wenn sie das Wort Syngraphe gebrauchen, meinen sie fast immer die Urkunde über ein Seedarlehen. 638 Auch in Dem 32.1 bestehen keine Zweifel darüber, dass eine Seedarlehensurkunde gemeint ist, wenn in dem zweiten Gesetz über die Zulässigkeit von Seehandelsklagen von „Handelsgeschäften, über die Syngraphen vorliegen" die Rede ist. Die Parteien streiten schließlich nicht über die Existenz irgendeiner Vertragsurkunde, sondern es geht gerade darum, ob der zwischen den Parteien geschlossene Seedarlehensvertrag in einer Syngraphe festgehalten wurde. 639 In dem zweiten Gesetz geht es also um eine Voraussetzung, die sich ausschließlich auf Seedarlehensverträge bezieht. Das allgemeine συμβόλαια bezeichnet hier demnach nicht Handelsgeschäfte jedweder Art, sondern der Redner gebraucht es synonym für Seedarlehensgeschäfte, da ohnehin jedem Zuhörer bewusst war, dass es bei den Ausführungen nur um solche gehen konnte. Dieser Umstand ist bislang nicht hinreichend berücksichtigt worden. Lediglich H.J. WOLFF kommt zu dem Schluss, dass mit den in D e m 32.1 erwähnten συγγραφαί Seedarlehensurkunden gemeint sind. 640 Die von ihm vorgeschlagene Beschränkung der Seehandelsklagen auf Haftungsverhältnisse, die im Zusammenhang mit Seedarlehens Verträgen stehen, widerspricht jedoch den Zielen, die der athenische Staat mit der besonderen Ausgestaltung dieser Klagen verfolgte. 641 Interpretiert man den Zusatz κ α ι περί ών αν ώσι συγγραφαί dagegen grammatikalisch korrekt in disjunktiver Weise, so ergibt sich für das zweite Gesetz folgender Regelungsgehalt: Bei Klagen um Rechte und Pflichten aus einem Seedarlehensvertrag mit territorialem Bezug zu Athen war - gleichermaßen als besondere Zulässigkeitsvoraussetzung - die Vorlage einer Syngraphe erforderlich. 642 Anderenfalls kam ein Prozess vor dem athenischen Handelsgericht nicht in Betracht, denn angesichts der komplizierten Bestimmungen der Seedar-

637

Vgl. o. 133. Vgl. die ausführliche Quellenanalyse bei KUSSMAUL, Synthekai, 21 ff. 639 Auch an anderer Stelle wird deutlich zwischen der Vereinbarung als solcher und der Urkunde unterschieden, vgl. z.B. Dem. 34.6 u. 32: δύο συγγραφάς έποιήσαντο υπέρ του συμβολαίου_(,^νεί Syngraphen über das Handelsgeschäft"). 640 H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 14211. 641 Vgl. ο. 136 f. 642 So im Ergebnis auch PAOU, Il prestito marittimo nel diritto attico, 104, 124 und diesem folgend COSMAN, Demosthenes' Rede tegen Zenothemis, 5 f. 638

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1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

lehensverträge wäre die Verhandlung innerhalb eines Monats im Hinblick auf die schwierige Beweislage kaum möglich gewesen. In anderen Fällen, so z.B. bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Seefrachtvertrag (ναυλωτική, naulotikêf 43, war die Vorlage eines schriftlichen Vertrages dagegen nicht erforderlich. Auch war die Zuständigkeit des athenischen Handelsgerichts nicht auf Rechtstreitigkeiten im Zusammenhang mit Seedarlehensverträgen beschränkt. 644 Dies hätte den Zweck der Seehandelsklagen in Frage gestellt, denn das Erfordernis schneller Verhandlungen in Bezug auf die Groß- und Fernhändler war ein grundsätzliches. 645 Dementsprechend ist die Textstelle sinngemäß wie folgt zu übersetzen: Dem. pros Zenothemin 32.1 : Οί νόμοι κελεύουσιν (...), τάς δίκας είναι τοις ναυκλήροι^ και τοις έμπόροις των Άθήναζε καί των Άθήνηθεν συμβολαίων, καί περί ων αν ώσι συγγραφαί* αν δέ τις παρά ταΰτα δικάζηται, μή είσαγώγιμον είναι τήν δίκην. Die Gesetze schreiben vor (...), dass den Naukleroi und den Emporoi im Falle von Handelsgeschäften, deren Ziel- oder Ausgangshafen Athen ist, Klagen zustehen; soweit es sich hierbei um ein Seedarlehensgeschäft handelt, kann eine Klage vor dem athenischen Handelsgericht nur unter Vorlage einer über dieses Geschäft errichteten Syngraphe erhoben werden. Wenn aber jemand diese Vorschriften verletzt, so wird entschieden werden, dass die Klage nicht zulässig ist. So erklärt sich auch, warum in Dem. 33.1 und Dem 34.42 nur das erste der beiden Gesetze über die Zulässigkeit einer Seehandelsklage vor dem athenischen Handelsgericht erwähnt wird: In dem Rechtsstreit, der der Gerichtsrede gegen Apaturios (Dem. 33) zugrunde Hegt, geht es allenfalls entfernt um ein Seedarlehen. Der byzantinische Naukleros Apaturios hatte den namentlich nicht bekannten Sprecher aus einer Bürgschaft verklagt, die dieser ihm gegenüber für einen gewissen Parmenon übernommen haben soll. 6 4 6 Nachdem in Abwesenheit des Parmenon ein Schiedsspruch ergangen war, hatte dieser seine - angeblich durch den Sprecher verbürgte - Verpflichtung aus dem Schiedsspruch nicht erbracht, woraufhin Apaturios beschloss, den Sprecher aus der Bürgschaft in Anspruch zu nehmen. Alle Beteiligten waren im Seehandel tätig, sei es als Händler oder als Geldgeber. 647 Vor allem aber steht dem Byzantiner Apaturios der ordentliche Rechtsweg in Athen nicht offen, da er weder athenischer Bürger noch Metöke ist. 6 4 8 Aus diesen Gründen muss er die Seehandelsklage (δίκη έμπορική) zur Durchsetzung seiner Rechte wählen. Da es sich nicht um Strei-

643

Dazu 0.31.

644

So insbesondere LIPSIUS 632 und H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 142 11 .

645

Vgl. u. 156 f.

646

Vgl. Dem. 33.22.

647

Vgl. Dem. 33.4. Zum supranationalen Charakter der Dikai emporikai u. 151 f.

648

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

147

tigkeiten aus einem Seedarlehensvertrag handelt, hängt die Zulässigkeit seiner Seehandelsklage vor dem athenischen Handelsgericht ausschließlich davon ab, ob die Voraussetzungen des zu Beginn der Gerichtsrede zitierten Gesetzes vorliegen, mithin ob die Bürgschaft unter die dort genannten συμβόλαια (symbolaία) fällt. 649 Auf die Vorlage einer Syngraphe dagegen kommt es nicht an, so dass hier folgerichtig nur das erste der beiden Gesetze zitiert wird. 6 5 0 In der Gerichtsrede gegen Phormion (Dem. 34) wiederum steht die Existenz der Syngraphe außer Zweifel. 651 Phormion beruft sich daher zur Begründung seiner Paragraphe 652 nicht auf das in Dem. 32.1 erwähnte Gesetz bezüglich der Syngraphe, sondern er versucht, die Zuständigkeit des athenischen Handelsgerichts anderweitig in Frage zu stellen: 653 Die Zahlungsverpflichtung sei mit dem Untergang des Schiffes erloschen, weshalb eine Klage auf Zahlung von Darlehensschuld und Zinsen unzulässig sei. 654 Auch in der Gerichtsrede gegen Lakritos (Dem 35), in der allerdings keines der zitierten Gesetze erwähnt wird, geht es lediglich um die Frage, ob ein συμβόλαιον (symbólaion) zwischen den Parteien vorliegt: Lakritos, der von Androkles verklagte Erbe des Darlehensschuldners Artemon, beruft sich auf fehlende Passivlegitimation. Er habe das Erbe des Artemon zwar zunächst in Besitz genommen, später jedoch habe er es ausgeschlagen, so dass er auch nicht für die vertraglichen Verpflichtungen seines verstorbenen Bruders einzustehen habe; 655 ein Symbolaion liege deshalb nur zwischen Androkles und Artemon vor, weshalb die Voraussetzungen einer Seehandelsklage nicht gegeben seien. 656 Die Voraussetzungen beider Gesetze sind im Übrigen auch in Dem 56, wo es um ein Seedarlehen für eine Handelsreise von Athen nach Alexandria und zurück geht, erfüllt. 657

649

Dies wird von dem Sprecher im Rahmen seiner Paragraphe überraschenderweise nicht bestritten, obwohl die Bürgschaft allenfalls entfernt im Zusammenhang mit der kommerziellen Tätigkeit der Beteiligten steht, vgl. BLASS, Die attische Beredsamkeit, 5753, H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 26 f.; zu den gegen Apaturios vorgebrachten Einreden vgl. auch ISAGER/HANSEN 149 ff. 650 Anders dagegen GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 131, für den bereits die Schriftform der Schiedsabrede die Zulässigkeit der Seehandelsklage begründet; dies ist jedoch aus den vorstehend genannten Gründen abzulehnen. 651

652

Vgl. Dem. 34.3,6, 33.

Zu dieser Besonderheit des griechischen Prozessrechts vgl. u. 154 f. Vgl. Dem. 34.3 ff. 654 Vgl. die überzeugende Darstellung der von Phormion vorgebrachten Einreden bei H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 64 ff. 655 Letztendlich ging es in dem Prozess also um eine reine Rechtsfrage, nämlich, ob deijenige, der das Vermögen des Verstorbenen zunächst in Besitz genommen hat und damit die Verantwortung für die hinterlassenen Schulden übernommen hat, sich dieser Haftung wieder entziehen kann, vgl. H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 77 f. 656 Dies ergibt sich aus Dem. 35.3 ff, vgl. H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 74 ff. 657 Vgl. nur Dem. 56.6. 653

148

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

In der Gerichtsrede gegen Zenothemis (Dem 32) wird eine Syngraphe erwähnt, die während der Überfahrt von Syrakus nach Kephallenia errichtet worden sein soll. 658 Der von Zenothemis verklagte Demon bestreitet nicht die Existenz der Syngraphe, aber seine Passivlegitimation, da nicht er, sondern Hegestratos, der zu Tode gekommene Kapitän des Schiffes, 659 Vertragspartner des Zenothemis gewesen sei. 660 U m seiner Einrede Nachdruck zu verleihen, erwähnt er in diesem Zusammenhang beide Gesetze, deren Anforderungen seinen Ausführungen zufolge - zumindest in Bezug auf die eigene Person- gerade nicht erfüllt waren. Dem. pros Zenothemin 32.2: ΤουτωΙ τοίνυν Ζηνοθέμιδι προς μέν έμέ ότι ουδέν ήν συμβόλαιον ουδέ συγγραφή, καυτός ομολογεί έν τω έγκλήματν Es liegt nun zwischen Zenothemis und mir kein Handelsgeschäft [ = Seedarlehensvertrag] und keine Syngraphe [über den Seedarlehensvertrag] vor, wie er in seiner Klage ja auch eingeräumt hat. Auch hier tritt deutlich hervor, dass im Falle eines Seedarlehens die Vorlage einer Syngraphe Voraussetzung eines Prozesses war, da die beiden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen: Das ουδέ in Dem 32.2 verknüpft zwei unabhängige Bedingungen. 661 Die Bestimmungen eines Seedarlehens wurden demnach nicht nur wegen der komplizierten Vertragsbestimmungen!, sondern auch aufgrund der Vorgaben des Prozessrechtes stets in einer ναυτική συγγραφή (nautiké syngraphe) festgehalten.662 Eine gesetzliche Vorschrift, wonach die Errichtung einer Syngraphe beim δάνειον ναυτικόν verbindlich vorgeschrieben gewesen wäre, gab es nicht; ein ohne Beachtung dieser Form vereinbartes Seedarlehen war durchaus gültig. 663 Wenn jedoch einzelne Autoren den fakultativen Charakter der Schrift658

Vgl. Dem. 32.16 sowie § 2 der Hypothesis des Libanios. Vgl. Dem. 32.6. 660 Zur Paragraphe des Demon vgl. MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im attischen Prozess, 7 ff., THÜR, Recht im antiken Griechenland, in: Die Rechtskulturen der Antike, 215 ff., H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 35 ff. 661 Vgl. o. 142; die von GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 24 bzw. Démosthène: Plaidoyers Civils I, 119 gewählte Übersetzung („ni obligation contractuelle ni acte écrit") dagegen ist ungenau: „weder (...) noch..." wäre „οΰτε (...) οΰτε...". 662 Dass die Schriftform die Regel war, ist unbestritten, vgl. nur AMELOTTI/ZINGALE, Συγγραφή, χειρόγραφον - testatio, chirographum, 298; BIANCHINI, La ΣΥΓΓΡΑΦΗ ed il problema delle forme contrattuali, 247; COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 659

104; GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 171; ISAGER/HANSEN 78; KLEINSCHMIDT

8; KUSSMAUL, Synthekai, 94; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 121 f.; SCHWAHN, RE X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ι κ ό ς τόκος, RE X V I (1933) 2037.

663 Vgl. BIANCHINI, La ΣΥΓΓΡΑΦΗ ed il problema delle forme contrattuali, 247; LIPSIUS 632; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 124; PLATNER, Der Process

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

149

form besonders betonen, 6 6 4 so verkennen sie den mittelbaren Zwang, der durch das zweite Gesetz über die Zulässigkeit der Seehandelsklagen vor dem athenischen Handelsgericht ausgeübt wurde: Kein Händler und kein Geldgeber, der im Seehandel von oder nach Athen tätig war, hätte durch ein mündlich vereinbartes Seedarlehen von vornherein auf ein Verfahren vor dem athenischen Handelsgericht und die damit verbundenen Vorteile 6 6 5 verzichtet. Ein Prozess vor den ordentlichen Gerichten, der bei fehlender Urkunde hätte angestrengt werden müssen, stand im Übrigen nur athenischen Bürgern offen. Ohnehin hätte kein Richter den Ausführungen eines Darlehensgebers, der sich ausschließlich auf mündliche Vereinbarungen stützen konnte, Glauben geschenkt. 666 Ein mündliches Seedarlehen war daher i m 4. Jhdt. v. Chr. nicht mehr vorstellbar. Das Ergebnis, wonach eine aus einem Seedarlehensgeschäft (mit territorialem Bezug zu Athen) resultierende Klage vor dem athenischen Handelsgericht nur unter Vorlage einer über dieses Geschäft errichteten Syngraphe erhoben werden konnte, entspricht nicht nur dem Wortlaut der zitierten Textstellen, sondern auch dem Geist der athenischen Gesetzgebung, die den Seehandel begünstigen wollte: 6 6 7 Indem das Prozessrecht dem Handelsverkehr die Schriftlichkeit der Seedarlehensverträge mit sanftem Druck nahelegte, wurden Beweisschwierigkeiten in Bezug auf die komplizierten Vertragsbestimmungen vermieden, und besonders bei einem unberechtigten Zugriff des Gläubigers auf die verpfändeten Gegenstände konnte der Händler zu seiner Verteidigung auf die Syngraphe verweisen.

b) Zuständigkeit Ansprüche aus einem Seedarlehensvertrag waren in Athen noch zu Beginn des 4. Jhdts. v. Chr. vor den Nautodiken (ναυτοδίκαι, nautodikai) geltend zu machen. 668 Hierbei handelte es sich um eine auschließlich für Klagen i m Zusammenhang mit dem Seehandel und dem Hafenleben zuständige gerichtliche

und die Klagen bei den Attikern II, 356; VÉLISSAROPOULOS 305 160 ; RUPPRECHT, Diskussionsbeitrag zum Referat von Bianchini, 259. 664 Vgl. SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon daneion, 759 f., SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2036 f. 665 Ausführlich dazu u. 151 ff. 666 Vgl. Dem. 35.27, 56.15, wo die überragende Bedeutung der Syngraphe für den Beweis des Vertragsinhalts zum Ausdruck kommt. 667 Dazu u. 165 ff. 668 Vgl. nur Lysias pros to Demosion peri ton Eratonos chrematon 17.5, 8; die Rede stammt vermutlich aus dem Jahr 397 v. Chr.

150

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Behörde, 669 die jedoch während der politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. 6 7 0 aufgelöst wurde. Die Zuständigkeit fur die in prozessualer Hinsicht neu gestalteten Seehandelsklagen wurde nun den Thesmotheten (θεσμοθέται, îhesmothétai), den sechs unteren der insgesamt neun Archonten (άρχοντες, àrchontes ),671 übertragen; 672 dies geschah vermutlich durch Gesetz.673 Aristoteles berichtet in seiner 322 v. Chr. erschienenen Abhandlung über die athenische Verfassung davon, dass die Thesmotheten zu dieser Zeit - unter anderem - für die Seehandelsklagen zuständig waren. 674 Auch in den Gerichtsreden des Demosthenes werden die Dikai emporikai vor den Thesmotheten verhandelt, so z.B. in der frühestens 341 v. Chr. entstandenen Rede gegen Apaturios. 675 Dem. pros Apaturion 33.1: τοις μεν έμπόροις, ώ άνδρες δικαστού, καί τοις ναυκλήροις κελεύει ό νόμος είναι τάς δίκας προς τους θεσμοθέτας, έάν τι άδικώνται έν τω έμπορίφ ή ένθένδε ποι πλέοντες ή έτέρωθεν δευρο,... Hohes Gericht! Das Gesetz schreibt vor, dass Emporoi und Naukleroi Klagen vor den Thesmotheten erheben können, wenn ihnen im Emporion Unrecht geschieht, seien es von hier nach irgendwo oder von einem anderen Ort hierher segelnde,...

669 Zur Entwicklung und den Aufgaben dieser Behörde vgl. besonders COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 162 ff.; HARRISON, The Law of Athens II, 23 ff.;

LIPSIUS 86 ff.; MACDOWELL, The L a w i n classical Athens, 228 ff.; RHODES, D N P X I I / 1 (2002), s.v. Thesmotheten, 442 f.; SCHWAHN, R E X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ο δ ί κ α ι , 2053 f f ; VÉLISSAROPOULOS 251 ff. 670

Dazu oben 136 f. Die Thesmotheten waren als Mitglieder des Gesamtkollegiums der Archonten mit der Rechtsetzung beauftragt, während dem Archon (άρχων, àrchon ; später zur besseren Unterscheidung άρχων έπώνυμος, àrchon epónymos ), dem Basileus (βασιλεύς, basileùs) und dem Polemarchen (πολέμαρχος, polémarchos) besondere Aufgaben der Staatsführung oblagen, vgl. HARRISON, The Law of Athens II, 7 ff., LATTE, RE VI A.l (1936), s.v. Thesmotheten, 33 ff., LIPSIUS 68 ff., 630 ff. 672 Vgl. nur GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 11 ff., MACDOWELL, The Law in classical Athens, 231 f., SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτοδίκαι, 2063 und VÉLISSAROPOULOS 249 ff.; COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 18666, 195 ff. vermutet, dass die Zuständigkeit erst nach der schweren Getreidekrise der Jahre 330 bis 326 v. Chr. auf die Thesmotheten übertragen wurde; insofern zurecht kritisch VÉLISSAROPOULOS 251, vgl. auch HARRISON, The Law of Athens II, 21 ff. 673 So jedenfalls die in der älteren Literatur einhellig vertretene Ansicht, vgl. nur HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, 228, LIPSIUS 87 134 , ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 46. 674 Athenaion Politeia, 59.5. 675 Die Rede entstand im dritten Jahr nach dem Zusammenbuch der Bank des Herakleides, vgl. § 9; die Bank existierte noch im Jahre 343 v. Chr., wie sich aus Dem. 48.12 ergibt. Zur Datierung vgl. auch GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 132 f., ISAGER/HANSEN 154. Die Zuständigkeit der Thesmotheten wird im Übrigen auch in Dem. 34.45 erwähnt. 671

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

151

Die Thesmotheten bildeten allerdings spätestens seit der Mitte des 5. Jhdts. v. Chr. nicht mehr selbst den Spruchkörper, sondern waren lediglich Träger der Jurisdiktion: 676 Sie leiteten den Prozess ein, sorgten für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens und übten den Vorsitz über das athenische Handelsgericht aus, das sich - wie es in Athen im 4. Jhdt. v. Chr. der Regel entsprachaus einem Kollegium von Geschworenen zusammensetzte.677 Die Geschworenen waren Laien, die sämtlichen Schichten der athenischen Bürgerschaft entstammten; ihre Anzahl richtete sich nach dem Streitwert. 678

c) Supranationalität des Verfahrens Entgegen der sonst üblichen Praxis, wonach grundsätzlich nur athenische Bürger und ständig in Athen wohnende Ausländer (μέτοικοι, métoikoi) den Schutz der athenischen Gerichtsbarkeit in Anspruch nehmen durften, waren seit der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. auch Fremde (ξένοι, xénoî) berechtigt, eine Seehandelsklage vor dem athenischen Handelsgericht zu erheben. 679 Dem. pros Lakriton 35.45: ούχ άπασιν ήμιν oi αυτοί νόμοι γεγραμμένοι είσίν και τό αυτό δίκαιον περί των έμπορικών δικών; ... Sind nicht die Gesetze für uns alle [d.h. den sprechenden Athener und seinen phaselitischen Prozessgegner Artemon] dieselben, und ist nicht das Recht in Bezug auf die Seehandelsklagen für uns alle dasselbe? ... In den Reden des Demosthenes treten vorwiegend fremde Kaufleute als Kläger auf. Lediglich in zwei Fällen strengen athenische Bürger, nämlich Androkles 680 und Demon, 681 der bereits erwähnte Verwandte des Demosthenes, eine 676

RHODES, DNP XII/1 (2002), s.v. Thesmotheten, 442. Vgl. nur Dem. 32.1: ώ άνδρες δικασταί („Männer des Gerichts!").; Dem. 34.6: ώ άνδρες Άθεναΐοι („Männer Athens!"). 678 Einzelheiten zum athenischen Gerichtswesen im Zeitalter des Demosthenes bei THÜR, Das Gerichtswesen Athens im 4. Jahrhundert v. Chr., 30 ff. mit Literaturangaben; HARRISON, The law of Athens II, 93 ff. vermutet, dass für das athenische Handelsgericht nur Bürger, die mit den Gepflogenheiten des Seehandels besonders vertraut waren, herangezogen wurden; die von ihm zum Zwecke des Beweises angeführten Textstellen sind jedoch nicht ergiebig, und es stellt sich zumindest die Frage, warum man unter diesen Umständen die den Seehändel betreffenden Gesetze stets hätte verlesen müssen, wie es üblich war (vgl. u. 153 f.). 679 Zuvor stand Fremden eine Seehandelsklage vor dem athenischen Handelsgericht nur dann offen, wenn zwischen Athen und der fremden Polis entsprechende (völkerrechtliche) Rechtshilfeverträge (συμβολαί, symbolai) bestanden, vgl. nur GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 14 f.; ISAGER/HANSEN 85; PAOLI, IL prestito marittimo nel diritto attico, 96 ff.; insofern kritisch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 60 f. 680 Vgl. Dem. 35.26, 29,49 f. 677

152

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Seehandelsklage an. Der Weg zu den ordentlichen Gerichten hätte Fremden dagegen nicht offengestanden, denn diese Gerichte konnten in Athen nur von athenischen Bürgern und Metöken angerufen werden. 682 Athenische Bürger und Metöken wiederum dürften in den anderen griechischen Poleis vergleichbare Rechte genossen haben, sofern es um Angelegenheiten des Außenhandels ging. 6 8 3 Überhaupt ist davon auszugehen, dass es den δίκαι έμπορικαί (dikai emporikai) vergleichbare Verfahren in allen griechischen Stadtstaaten gegeben hat, was - in prozessualer Hinsicht - der Supranationalität des materiellen Handelsrechts entspricht. 684 Die genaue Ausgestaltung des Verfahrens scheint jedoch Gegenstand eines Wettbewerbes gewesen sein, in dessen Rahmen die griechischen Poleis versuchten, den eigenen Handelsplatz für die Händler möglichst attraktiv zu gestalten.685

d) Gegenstand des Verfahrens Die Ansprüche, die im Rahmen einer Seehandelsklage geltend gemacht werden konnten, beschränkten sich nicht auf die vertraglichen Leistungspflichten. In Betracht kamen vielmehr sämtliche Forderungen, die im Zusammenhang mit der Handelsbeziehung standen: Neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens (δίκη χρέως, dike chréos )686 konnte z.B. auch eine Klage auf Herausgabe des Pfandes (δίκη έξούλης, dike exoûles) erhoben werden, wenn dem Gläubiger trotz Fälligkeit vom Schuldner oder einem Dritten der ohne weiteres zulässige Zugriff auf die Sicherheit verwehrt wurde. 687 Ebenso konnte eine Scha-

681

V g l . Dem. 32.31.

682

Dies erfahren wir bei Aristoteles, Athenaion Politeia, 58.2 f.; vgl.a. COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 59 ff.; HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 227 f.; HUNTER, Status Distinctions in Athenian Law, in: Law and Social Status in Classical Athens, 17 f.; ISAGER/HANSEN 85; LIPSIUS 86 f.; MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im attischen

Prozess, 10; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 88 ff.; PLATNER, Der Process und die Klagen bei den Attikern I, 293; RÖHRMANN, Stellvertretung im altgriechischen

Recht, 146 ff.; SCHWAHN, R E X V I . 2 (1935), s.v. Ν α υ τ ο δ ί κ α ι , 2054; THALHEIM, R E V . 2

(1905), s.v. Έμπορικαί δίκαι, 2531; VÉLISSAROPOULOS 247 f.; ZIEBARTH, Seeraub und

Seehandel, 46. 683 Vgl. Dem. 56.47, wo von der Alternative einer Klage vor einem rhodischen Gericht die Rede ist, die dem athenischen Bürger (oder Metöken?) Darios offen stehe; vgl. auch PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 91. 684 Vgl. ο. 25. 685 V g l . nur Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.3 ff.; VÉLISSAROPOULOS 247 f. 686

687

V g l . Dem. 35.46, Dem. 56.4; HARRISON, The L a w o f Athens I I , 183 3 ; LIPSIUS 725.

Vgl. z.B. Dem. 32.17 ff., 31, wo das Verb έξάγειν mehrfach im Zusammenhang mit der Klage des Zenothemis gegen Demon auf Herausgabe des Getreides gebraucht

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

153

denersatzklage (δίκη βλάβες, dike blâbes)688 oder eine Bürgschaftsklage (δίκη έγγύης, dike engyes )689 angestrengt werden.

e) Der Ablauf des Verfahrens

vor dem athenischen Handelsgericht

Das Verfahren vor dem athenischen Handelsgericht begann mit der Einreichung einer Klageschrift. Nahmen die Thesmotheten die Klage an, so bestimmten sie einen Termin für die Verhandlung vor den Geschworenen. Vermutlich wurde auch im Prozess vor dem athenischen Handelsgericht zunächst ein erster Termin zur Überprüfung der von den Parteien vertretenen Standpunkte (άνάκρισις, anàkrisis) angesetzt.690 Die Hauptverhandlung vor den Geschworenen begann stets mit der Verlesung der Gerichtsrede des Klägers, der sich die Erwiderung des Beklagten anschloss. Durch rhetorisch ausgefeilte Gerichtsreden versuchten die Parteien, die Geschworenen hinter sich zu bringen, wobei sich die Redezeit der Parteien nach dem Streitwert richtete.691 Während der eigenen Rede durfte die jeweilige Partei Fragen an den Gegner stellen, die dieser zu beantworten hatte. Der Gegner dagegen durfte die Gerichtsrede nicht durch eigene Fragen unterbrechen, sondern hatte bis zum Vortrag der eigenen Rede abzuwarten. Als Beweismittel kamen zunächst Zeugen 692 und Urkunden insbesondere Seedarlehensurkunden als privilegiertes Beweismittel 693 - in Betracht. Auch die Unterlagen der Hafenbehörden konnten herangezogen werden. 694 Häufig werden in den Gerichtsreden auch Gesetze zum Zwecke des Beweises zitiert, 695 denn die Parteien konnten nicht davon ausgehen, dass den Geschworenen, die ja Laien waren, sämtliche Gesetze bekannt waren.

wird; zur Einordnung dieser Klage als δίκη έξούλες vgl. HARRISON, The Law of Athens

II, 113 3 , ISAGER/HANSEN 144 ff., VÉLISSAROPOULOS 2 4 1 2 9 und H.J. WOLFF, Die attische

Paragraphe, 3 5 3 2 jeweils m.N. 688 Vgl. Dem. 32.14 ff., 27: Klage des Zenothemis gegen Protos, der Demon den Besitz des Getreides verschafft hat, vgl. auch GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 116 und LIPSIUS 65777; Dem. 33.13: Schadensersatzforderung wegen entgangenen Gewinns. Auch der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe wurde mit einer δίκη βλάβες verfolgt, vgl. Dem. 56.27 und dazu ISAGER/HANSEN 209 f. m.w.N. und LIPSIUS 65881. 689 Vgl. Dem. 33.27 sowie GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1311. 690 Im gewöhnlichen Zivilprozess war dies üblich, vgl. HARRISON, The Law of Athens II, 94 ff., RHODES, DNP XII/1 (2002), s.v. Thesmotheten, 442, THÜR, Das Gerichtswesen Athens im 4. Jahrhundert v. Chr., 33. 691

ISAGER/HANSEN 119 f., 159; LIPSIUS 913 ff.; THÜR, Das Gerichtswesen Athens i m

4. Jahrhundert v. Chr., 46 f. 692 Siehe etwa Dem. 35.14, 20, 23, 33. 693 Vgl. o. 135 f. 694 Vgl. Dem. 34.34. 695 Dazu u. 165 ff.

154

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

A m Ende des Verhandlungstages fällten die Geschworenen ihr Urteil in Form eines bloßen „Ja" oder „Nein". Ein schriftliches Urteil erging nicht; auch wurde das Urteil nicht begründet. 696 Eine Besonderheit des athenischen Prozessrechts war die Paragraphe (παραγραφή, paragraphe), 691 Hierbei handelte es sich um einen im Vorverfahren einzureichenden auf der Klageschrift anzubringenden Vermerk, mit dem der Beklagte vor der Eröffnung des Verfahrens die Unzulässigkeit der Klage geltend machen konnte, um sich so vor einer rechtsmissbräuchlichen Klage zu schützen.698 Im Prüfungstermin hatte - anders als sonst üblich - der Beklagte das erste Wort. Die Umkehr der Parteirollen im Pragraphe-Verfahren versetzte den im Hauptprozess Verklagten also in eine günstigere Position, da er als erster Redner mit aller Überzeugungskraft versuchen konnte, die Geschworenen für seine Sache einzunehmen.699 Hierbei ging es nicht darum, dass Gericht im Sinne einer bestimmten Entscheidung in der Hauptsache zu beeinflussen, sondern die prozesshindernde Einrede zu begründen bzw. zurückzuweisen. So beruft sich z.B. der von Zenothemis verklagte Demon in seiner ParagrapheRede darauf, dass zwischen ihm und Zenothemis gar kein Vertragsverhältnis bestünde.700 Auch Parmenon versucht nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für die von Apaturios erhobene Seehandelsklage nicht vorliegen. 701 Die Gerichtsreden gegen Phormion (Dem 34) und gegen Lakritos (Dem 35) wiederum dienen der Verteidigimg gegen die Paragraphen der Beklagten, die sich zuvor auf die Unzuständigkeit des athenischen Handelsgerichts berufen hatten. 702

696

THÜR, Das Gerichtswesen Athens im 4. Jahrhundert v. Chr., 37; zu Einzelheiten des Verfahrens bei den δίκαι έμπορικαί vgl. COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 23 ff.; HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 229 ff.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 88 ff.; SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτοδίκαι, 2058 ff.; VÉLISSAROPOULOS 237 ff. 697 Ausführlich zum Paragrapheprozess COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 136 ff., ISAGER/HANSEN 123 ff., HARRISON, The Law o f Athens II, 106 ff., KATZOUROS,

Origine et effets de la παραγραφή attique, in: Symposion 1985, 119 ff., MACDOWELL, The Law in Classical Athens, 214 ff, THÜR, DNP IX (2000), s.v. Paragraphe, 315, VÉLISSAROPOULOS 263 ff. und besonders H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 17 ff. 698 Vgl. die z.B. in Dem. 32.2 und Dem. 33.3 enthaltene Standardformulierung την δίκην μη είσαγώγιμον. 699 THÜR, Recht im antiken Griechenland, 219. 700 Vgl. o. 148; ausführlich zur Paragraphe des Demon MEYER-LAURIN, Gesetz und Billigkeit im attischen Prozess, 7 ff., THÜR, Recht im antiken Griechenland, 215 ff. und H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 35 ff. 701 Dem. 33.22. 702 Vgl. insofern HARRISON, The Law of Athens II, 109 ff. und H.J. WOLFF, Die attische Paragraphe, 61 ff.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

155

f) Strenge Haftung der Parteien Die Dikai emporikai waren gekennzeichnet durch eine besonders strenge Haftung der Parteien: Der Beklagte konnte nicht nur bis zum Ende des Prozesses in Haft genommen werden, falls die Gefahr einer Flucht außer Landes bestand, sondern ihm drohte bei einer Verurteilung auch Schuldhaft. 703 Der Kläger wiederum riskierte, unter Umständen zusätzlich eine Geldstrafe in Höhe von einem Sechstel des Streitwertes (έπωβελία, epobelia) 704 an den zu Unrecht Beklagten zahlen zu müssen bzw. ebenfalls das Gefängnis. 705 Die Epobelia war bei Seehandelsklagen zu zahlen, falls der Kläger nicht mindestens ein Fünftel der Richter hinter sich bringen konnte. 706 Nur falls der Beklagte mit einer prozesshindernden Paragraphe 707 die Unzulässigkeit der gerichtlichen Verhandlung vor deren Eröffnung geltend gemacht hatte und mit diesem Versuch gescheitert war, konnte die Geldstrafe auch gegen ihn verhängt werden. 708 Die strenge Haftung der Parteien forderte zum einen die Zahlungsmoral nach einer Verurteilung durch das athenische Handelsgericht, zum anderen diente sie dem Schutz der Händler, denn die Risiken eines Prozesses vor den Thesmotheten mussten vor Klageerhebung genau abgewogen werden. Die Händler waren so vor übereilten, leichtfertigen Klagen geschützt.709 Dem athenischen Handelsgericht wiederum blieb auf diese Weise unnötige Arbeit erspart, so dass es sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Die strenge Haftung der Parteien musste somit - ebenso wie die rigide Gesetzgebung zum Schutz des Seehandels710 - im Interesse der Händler liegen.

703

Vgl. Dem. 32.29, 33.1 sowie GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 111,

ISAGER/HANSEN 85 ff., HARRISON, The Law o f Athens I I , 188, HITZIG, Der griechische

Fremdenprozeß im Licht der neueren Urkundenfunde, in: SZ 28 (1907) 230. 704 Vgl. Dem. 35.46, 56.4. Ausführlich zur Epobelia COHEN, Ancient Athenian Mari-

time Courts, 83 ff., HARRISON, The law o f Athens II, 183 ff., LIPSIUS 937 ff., THALHEIM,

RE VI (1909), s.v. Έπωβελία, 226. 705 Dem. 35.46; 56.4. 706 Vgl. Isokrates pros Kallimachon 18.12. 707 Vgl. o. 154 f. 708 Vgl. Dem. 35.46, 56.4; THALHEIM, RE VI (1909), s.v. Έπωβελία, 226; vgl. auch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 83 ff.; HARRISON, The Law of Athens II, 183 ff. 709 Vgl. Dem. 33.1. Dazu u. 165 ff.

156

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes g) Beschleunigtes Verfahren

Seit der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. gehörten die Seehandelsklagen zu den δίκαι έμμηνοι (dikai émmenoi), den so genannten Monatsklagen, 711 und waren als solche innerhalb eines Monats zu entscheiden.712 Die Händler sollten so schnell wie möglich wieder zur See fahren können, um ihren eigenen, aber vor allem auch den Wohlstand der Polis zu mehren. Ein beschleunigtes Verfahren war nicht nur von Vorteil für die Händler, sondern es diente auch den Interessen des athenischen Staates, dessen wirtschaftliche Macht sich auf den Seehandel gründetete. Durch eine schnelle Verhandlung wurden wirtschaftliche Nachteile gemindert, worauf auch Xenophon in seiner Abhandlung über die Staatseinkünfte hinweist: Eine gerechte und vor allem zügig arbeitende Handelsgerichtsbarkeit bewege die Naukleroi und Emporoi zum Handel mit der Stadt. 713 Schließlich war Athen in hohem Maße auf Getreideimporte angewiesen,714 so dass in den Sommermonaten jedes Schiff willkommen war, um die Versorgung der Stadt mit Getreide zu gewährleisten. 715

711 Vgl. Dem. 7.12, 33.23. Aus Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.3 lässt sich schließen, dass die Dikai emporikai erst seit der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. zu den δίκαι έμμηνοι (dikai émmenoi) gehörten: Während Xenophon in seinem um die Mitte desselben Jahrhunderts entstandenen Werk noch die Einführung schneller Verhandlungen für die seefahrenden Kaufleute fordert, werden die Seehandelsklagen in der demosthenischen Rede gegen Halonnesos (Dem. 7), die auf das Jahr 342 v. Chr. datiert werden kann, bereits zu den Monatsklagen gezählt, was nach dem Wortlaut der Rede eine gerade erst eingeführte Neuerung zu sein scheint. Eine Auflistung der Monatsklagen bei Aristoteles, Athenaion Politeia, 52.2; ausführliche Informationen zu den Dikai emmenoi bei THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. "Εμμηνοι δίκαι, 2501 f , GOFAS, Les »emmenoi dikai« à Thasos, in: Symposion 1974, 175 ff., VÉLISSAROPOULOS 241 ff.; vgl. auch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 23 ff. 712 So die ganz überwiegende Meinung, vgl. nur GERNET, Sur les actions commerciales en droit athénien, 1, HARRISON, The Law of Athens II, 154, PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 112 sowie die in der vorstehenden Fußnote zitierte Literatur. Dagegen sieht COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 24 ff. die Besonderheit der δίκαι έμμηνοι (dikai émmenoi) darin, dass diese Klagen in jedem Monat, d.h. unterschiedslos im Sommer und Winter anhängig gemacht werden konnten; bereits HANSEN, Two notes on the Ahenian dikai emporikai, 167 ff. hat auf die mit dieser Sichtweise verbundenen Probleme und deren Unvereinbarkeit mit den in Dem. 21.47 und 24.63 zitierten Gesetzen hingewiesen. 713 Πόροι ( „Über die Staatseinkünfte") 3.3 ff.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

157

Aufgrund der Zuordnung zu den Monatsklagen entfiel bei den Dikai emporikaî auch das bei Zivilklagen sonst obligatorische, nicht selten zeitraubende Vorverfahren vor dem Schiedsgericht der Diaiteten (Διαιτηταί, Diaitetai). 716 Allerdings unterwarfen sich die Parteien mitunter feiwillig einem derartigen Schiedsverfahren, vermutlich um den Kosten und Gefahren des Prozesses vor den Thesmotheten zu entgehen.717

h) Gerichtszeiten Die Verhandlungen vor dem athenischen Handelsgericht waren auf die Sommermonate - d.h. die Zeit der Seefahrt 718 - beschränkt. 719 Nur unter dieser Prämisse kommt dem soeben erwähnten beschleunigten Verfahren überhaupt

714 Vgl. nur Aristoteles, Oikonomikon, 2.2.16 f. pag. 1348b7S-1359a2; Dem. 20.20 ff.; Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 6.20.4; Ps.-Xenophon, Άθεναίων πολιτεία („Vom Staat der Athener") 2.6; CALHOUN, The business life of ancient Athens, 43 ff.; GARNSEY, Famine and food supply in the Graeco-Roman world, 89 ff., 107 ff.; SALLARES, DNP IV (1998), s.v. Getreidehandel, Getreideimport, 1038 ff.; VÉLISSAROPOULOS 197 ff.; ausführlich zur athenischen Getreideversorgung GARNSEY 87 ff.; HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 329 ff.; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 83 ff. m.N. 715 Dies zumal ein Gesetz den Händlern den Transport von Getreide nach Athen jedenfalls nahelegte, vgl. Dem. 35.51; dazu u. 162 ff. 716 Vgl. LIPSIUS 228, HANSEN, TWO notes on the Athenian dikai emporikaî, 168, HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, 229, PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 110. Zur athenischen Schiedsgerichtsbarkeit, die im 5. Jhdt. v. Chr. zur Entlastung der ordentlichen Gerichte gleichermaßen als erste Instanz verbindlich wurde, HARRISON, The Law of Athens II, 64 ff., HUDTWALCKER, Über die öffentlichen und Privat-Schiedsrichter -Diäteten- in Athen und den Proceß vor denselben, 1 ff., LIPSIUS 220 ff., THALHEIM, RE V.l (1905), s.v. Διαιτηταί, 313 ff. und THÜR, Das Gerichtswesen Athens im 4. Jahrhundert v. Chr., 37 f. 717 Vgl. Dem. 33.16 ff., Dem. 34.18, Dem. 56.15; MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het nautikon daneisma te Athene, in: RIDA 12 (1965) 163, PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 112, SIEVEKING 12 und ausführlich zum freiwilligen Verfahren vor den Diaeiteten: HUDTWALCKER, Über die öffentlichen und Privat-Schiedsrichter -Diätetenin Athen und den Proceß vor denselben, 156 ff. 718 Dazu 0.71 f. 719 PAOLI, Zur Gerichtszeit der δίκαι έμπορικαί im attischen Recht, 474 und Studi sul processo Attico, 177 ff. hat dies als Erster ausgesprochen. Ihm folgen z.B. ADAM, Aspects de la sécurité de la navigation dans Γ Antiquité grecque, in: Symposion 1985, 289 f. (mit ausführlichem Überblick über den Meinungsstand in der englisch- und französischsprachigen Literatur), GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1412, HANSEN, Two notes on the Athenian dikai emporikai, 170 ff., HARRISON, The law of Athens II, 86, ISAGER/HANSEN 85, MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het nautikon daneisma te Athene,

in: R I D A 12 (1965) 164 f., DE SAINTE CRODC 4 4 1 5 , VÉLISSAROPOULOS 245 ff.

158

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

eine Bedeutung zu: In den Wintermonaten, in denen die Seefahrt ruhte, hätten die Händler ohnehin nicht unter Zeitdruck gestanden. I m Übrigen befanden sich die meisten ausländischen Händler in dieser Zeit in ihren heimatlichen Winterquartieren. 720 Jedenfalls für die Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich diese Händler ebenso wie ihre athenischen und metökischen Kollegen während der Wintermonate in Athen aufhielten, 721 denn spätestens seit 355 v. Chr. war Athen nicht mehr das alles dominierende Zentrum der griechischen Handelswelt. Wer aber als Ausländer Seehandel mit Athen trieb, der gelangte in den Monaten der Seefahrt, also im Sommer, über kurz oder lang dorthin. Wenn demgegenüber - unter Hinweis auf Dem 33.23 - vor allem in der älteren Literatur die Meinung vertreten wird, die Verhandlungen hätten in den Wintermonaten stattgefunden, 722 so kann dem nicht gefolgt werden. Zwar ist der uns überlieferten Fassung der Gerichtsrede gegen Apaturios tatsächlich zu entneh720

Vgl. Hesiod, Werke und Tage, 618 ff, wo Empfehlungen für das fachgerechte Winterlager von Handelsschiffen gegeben werden: ...εύκόσμως στολίσας νηός πτερά τοντοπόροιο· πηδάλιον δ' εύεργές υπέρ καπνού κρεμάσαστθαι („Alles Gerät verwahre Du dann geordnet im Hause. Und das taugliche Steuer hänge auf Dir über dem Rauchfang"); Lukian, Toxaris oder: die Freundschaft, 220: Der Grieche Mnesippos über die phönikischen Kaufleute: „Diese Leute reisen nicht etwa bloß auf dem Pontos, oder bis zu den mäotischen Sümpfen und in den Bosporus, sondern treiben sich alle Jahre in dem ganzen griechischen und barbarischen Meer herum, lassen keine Küste und kein Meer undurchsucht und kommen erst in der späten Jahreszeit wieder nach Hause". 721 Vgl. nur CASSON, Die Seefahrer der Antike, 175, HANSEN, TWO notes on the Athenian dikai emporikai, 171, PAOLI, Zur Gerichtszeit der δίκαι έμπορικαί im attischen Recht, 474, VÉLISSAROPOULOS 246 f.; an diesem Umstand musste regelmäßig auch die Inanspruchnahme der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die den athenischen und metökischen Händlern in den Wintermonaten zur Durchsetzung der Ansprüche grundsätzlich offen stand (vgl. ISAGER/HANSEN 85 m.N.), scheitern, wenn es um einen Rechtsstreit mit einem Fremden ging. Ein Verfahren zwischen athenischen oder metökischen Händlern dagegen hätte grundsätzlich auch im Winter ohne größere Probleme durchgeführt werden können; die Dauer eines Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten dürfte aber abschreckend gewirkt haben. 722

Vgl. BÖCKH 64, BÜCHSENSCHÜTZ 531, CASSON, Die Seefahrer der Antike, 187,

GOFAS, Les »emmenoi dikai« à Thasos, in: Symposion 1974, 17814, DARESTE, DU prêt à la grosse chez les Athéniens, 14, DE HAAN, Annotationes ad Demosthenis quae fertur orationem Lacriteam, 72, HITZIG, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, in: SZ 28 (1907) 228, HÖCKMANN, Antike Seefahrt, 170, HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 68, LIPSIUS 630, PARDESSUS I, 50, SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτοδίκαι, 2059 ff., SIEVEKING 12, THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. Έμπορικαί δίκαι, 2531, THÜR, DNP III (1997), s.v. Emporikai dikai (έμπορικαί δίκαι), 1019 und DE VRIES 107. Dagegen gehen COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 9, 42 ff. und ihm folgend MACDOWELL, The Law in Classical Athens, 232 davon aus, die Erhebung der Klage sei jederzeit möglich gewesen, die Verhandlungen hätten aber ausschließlich in den Wintermonaten stattgefunden; diese Ansicht ist jedoch vor dem Hintergrund der nachfolgenden Ausführungen nicht haltbar, vgl. auch VÉLISSAROPOULOS, Rez. zu Cohen, Ancient Athenian Maritime Courts, in: IVRA 23 (1974) 351 ff. und HANSEN, TWO notes on the Athenian dikai emporikai, 170 ff.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

159

men, dass über die Dikai emporikai nur in den Monaten Boedromion (Mitte September bis Mitte Oktober) bis Munichion (Mitte April bis Mitte Mai) verhandelt wurde: Dem. pros Apaturion 33.23: αί δέ λήξεις τοις έμπόροις των δικών εμμενοί είσιν άπό του βοηδρομιώνος μέρχι του μουνιχιώνος, ίνα παραχρήμα των δικαίων τυχόντες άνάγωνται. Die Seehandelsklagen werden innerhalb eines Monats in der Zeit von Boedromion bis Munichion entschieden, damit die Händler ihr Urteil zügig erhalten, um anschließend wieder zur See fahren zu können. Aber die Gerichtsrede gegen Apaturios ist an dieser Stelle mit hoher Wahrscheinlichkeit interpoliert bzw. durch das Versehen eines Abschreibers verfälscht worden, wie bereits PAOLI 723 vermutet, so dass die beiden Monatsnamen zu vertauschen sind: άπό του μουνιχιώνος μέρχι του βοηδρομιώνος. Als Zeitraum für die Verhandlungen der Dikai emporikai ergeben sich somit die Monate Munichion (Mitte April bis Mitte Mai) bis einschließlich Boedromion (Mitte September bis Mitte Oktober), d.h. gerade die Monate, in denen die Seefahrt möglich war. Anderenfalls ergäbe der zweite Teil des Zitats (ίνα παραχρήμα τών δικαίων τυχόντες άνάγωνται) keinen Sinn, denn ein Weitersegeln nach dem Ende der Verhandlung wäre im Winter gar nicht in Frage gekommen. Dass aber der Handelsplatz Athen seine Anziehungskraft nur behalten werde, wenn die Prozesse vor dem Handelsgericht zügig ablaufen, so dass ein in Rechtsstreitigkeiten verwickelter Händler so schnell wie möglich ungehindert weitersegeln kann, betont schon Xenophon. 724 Auch aus Dem. 32.9, 14 geht hervor, dass Seehandelsklagen nur während der Sommermonate entschieden wurden, wobei davon auszugehen ist, dass die für die Insel Kephallenia geltenden prozessualen Vorschriften schon aufgrund der Supranationalität des antiken Handelsrechts 725 mit den athenischen übereinstimmten, zumal Kephallenia seit der Mitte des 5. Jhdts. v.Chr. ohnehin für lange Zeit unter dem politischen Einfluss Athens stand bzw. zu Athen gehörte. 7 2 6 Im Übrigen sind die Schilderungen in Dem. 34 und D e m 56 nur verständlich, wenn man davon ausgeht, dass die Verhandlungen in den Sommermonaten stattfanden. 727 Schließlich ist zu bedenken, dass die abschreckende Wirkung ei723

Studi sul processo Attico, 177 ff. und 'Zur Gerichtszeit der δίκαι έμπορικαί im attischen Recht', in: SZ 49 (1929) 473 ff.; vgl. auch GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1412. 724 Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 3.9. 725 Vgl. o. 25. 726 Vgl. Diodorus Siculus, 11.84.7; Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 2.30.1 ff.; Xenophon, Hellenika, 6.2.33. 727 Vgl. die überzeugende Darstellung bei HANSEN, TWO notes on the Athenian dikai emporikai, 172 ff. sowie die Ausführungen zu Plato, Leges XI, 915 f. bei PAOLI, 'Zur Gerichtszeit der δίκαι έμπορικαί im attischen Recht', 476.

160

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

nes drohenden Verfahrens und somit die Prävention deutlich erhöht war, wenn die Händler für die Zeit der Verhandlung mit Gewinnausfällen zu rechnen hatten; dies war aber nur im Sommer der Fall.

2. Häufigkeit von Rechtsstreitigkeiten Über die Häufigkeit von Rechtsstreitigkeiten vor dem athenischen Handelsgericht, die im Zusammenhang mit Seedarlehensverträgen standen, lassen sich allenfalls Vermutungen anstellen. Angesichts des großen Handelsvolumens in der griechischen Welt und vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung des Seedarlehens für den griechischen Fernhandel, gab es hier zahlreiche Anknüpfungspunkte für juristische Konflikte. Festzuhalten ist auch, dass es in einem beträchtlichen Teil der demosthenischen Gerichtsreden in Handelssachen um Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Seedarlehen geht. Aber dies kann Zufall sein, denn ein Zitat aus der Gerichtsrede gegen Phormion erlaubt durchaus die Vermutung, dass Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen vor dem athenischen Handelsgericht eher selten waren: 728 Dem. pros Phormiona 34.1 : ... πολύν χρόνον είς το ύμέτερον έμπόριον είσαφικνούμενοι καί συμβόλεια πολλοίς συμβάλλομτες ούδεμίαν πώποτε δίκεν προς υμάς είσήλθομεν, οΰτ έγκαλοΰντες οΰτ* έγκαλούμενοι ύφ' έτέρων. ... seit langem besuchen wir euren Handelsplatz, und wir haben viele Verträge abgewickelt, ohne jemals in einem Verfahren vor diesem Gericht aufgetreten zu sein, weder als Kläger noch als Beklagte. Diese Vermutung wird bestätigt durch einen Blick auf die in den demosthenischen Gerichtsreden auftretenden Händlercharaktere bzw. durch gewisse wirtschaftliche Notwendigkeiten, die anhand des nachfolgenden Exkurses verdeutlicht werden sollen.

728 So auch PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 86, der betont, dass die Griechen kein streitsüchtiges Volk waren und jedem Händler einleuchten musste, dass ehrlicher Handel letztlich gewinnbringender war; ebenso SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2037. Wenn dagegen MEULEMANS/VERSCHUEREN, Het nautikon daneisma te Athene, in: RIDA 12 (1965) 163 und SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon daneion, 760 davon ausgehen, es sei in Athen im Zusammenhang mit Seedarlehensverträgen häufig zu Rechtsstreitigkeiten gekommen, so bleibt die Relation zwischen dem enormen Umfang des Seehandels im antiken Griechenland und der geringen Zahl von Prozessen, von denen wir wissen, außer Acht.

VII. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Seedarlehen

161

Exkurs: Redlichkeit im griechischen Handelsverkehr Die in den demosthenischen Reden vor Gericht auftretenden Händler legen auf den ersten Blick den Verdacht nahe, dass man den Leuten, die in der griechischen Antike im Seehandel tätig waren, nur bedingt vertrauen konnte. Dem. pros Lakriton 35.1: Ουδέν καινόν διαπράττονται oi Φασηλΐται, ώ άνδρες δικασταί, άλλ' άπερ είώθασιν. Ούτοι γαρ δεινότατοι μέν είσιν δανείσασθαι χρήματα έν τω έμπορίω, έπειδάν δέ λάβωσιν καί συγγραφήν συγγράψωνται ναυτικήν, ευθύς έπελάθοντο καί των συγγραφών και τών νόμων και δτι δει άποδοΰναι αυτούς α ελαβον, Dies ist nicht das erste Betrugsmanöver der Phaseliten, hohes Gericht! Es ist bei Ihnen vielmehr eine Gewohnheit: Sie sind sehr engagiert, was Kreditaufnahmen an eurem Handelsplatz betrifft; haben sie das Geld aber erst in den Händen und einen Seedarlehensvertrag abgeschlossen, so vergessen sie unverzüglich die Verträge, die Gesetze und die Verpflichtung zur Rückzahlung des Geldes. Ohne Zweifel waren die Sitten im Seehandel der Antike ebenso rauh wie zu späteren Zeiten. Auch mag es um den Ruf derjenigen, die zur See fuhren, nicht immer zum Besten gestellt gewesen sein. Wohl deshalb wird häufig unter Hinweis auf die sprichwörtliche (Un-) Treue der Griechen („Graeca fides ") angenommen, der Handel im antiken Griechenland sei vorwiegend von allenfalls bedingt vertrauenswürdigen Personen betrieben worden, denen Ehrlichkeit und bonafides nichts galten. 729 Eine solche Verallgemeinerung verbietet sich jedoch angesichts der Tatsache, dass vor Gericht (in der Regel) nur zitiert wurde, wer sich nicht entsprechend den Gesetzen und Regeln des Handelsverkehrs verhalten hatte. Vielmehr dürfte nicht nur die Strenge der Gesetze zum Schutz der Gläubiger, 730 sondern auch eine Art Ehrenkodex der Händler bewirkt haben, dass sich die ganz überwiegende Mehrheit der Händler gewissenhaft an die vertraglichen Vereinbarungen hielt. 731 Anders wäre der große Erfolg des athenischen Seehandels, auf den sich der Reichtum der Stadt gründete, nicht möglich gewesen. Ein von Schwindel und 729 Noch im 19. Jhdt. war dies einhellige Meinung, vgl. z.B. GNEIST, Die formellen Verträge, 425 („griechische[r] Treulosigkeit und ein[es] Geschäftsverkehrs] voller Lug und Trug"; SIEVEKING 12, gewinnt aus den Reden des Demosthenes sogar „ein recht unvorteilhaftes Bild von diesen verschlagenen, verlogenen Leuten"; zur „Graeca fides" vgl. auch MANTHE, Rezension zu J. Triantaphyllopoulos: Das Rechtsdenken der Griechen, München 1985, in: Gnomon 62 (1990) 289 ff. und WÖLFFLIN, Zur Psychologie der Völker des Altertums, in: ALL 7 (1892), 140 ff. 730 Dazu u. 165 ff. 731 Dem. 32.10 bestätigt allerdings, dass es einzelne Personen und manchmal sogar Banden im Piräus gab, die mit betrügerischen Machenschaften an Geld zu gelangen versuchten; aber das waren Ausnahmen.

162

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Betrug geprägtes Handelsleben wäre in diesem Umfang undenkbar gewesen, und niemals hätte sich das Seedarlehen zu einer derart beliebten Anlagemöglichkeit entwickeln können, wenn steter Zweifel an der Redlichkeit der Händler bestanden hätte. Dies war auch den am Seehandel Beteiligten bewusst: Dem. Paragraphe hyper Phormionos 36.44: εστι δ' έν έμπορίφ και χρήμασιν έργαζομένοις άνθπώποις φιλεργόν δόξαι καί χρηεστόν είναι τον αύτόν θαυμαστό ν ήλίκον. Es ist in der Handelswelt und im Bankwesen von unschätzbarem Wert, wenn ein fleißiger Mann zugleich auch rechtschaffen ist. Nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen musste daher jeder rechtschaffene Kaufmann darauf bedacht sein, seinen guten Ruf und damit seine Kreditwürdigkeit zu erhalten. Der Normalfall dürfte also gerade darin bestanden haben, dass ein Händler über Jahre und Jahrzehnte hinweg Handel trieb, ohne dabei mit der Gerichtsbarkeit in Berührung zu kommen. 732

VIQ. Gesetzliche Beschränkungen Die griechischen Poleis scheuten sich nicht, Gesetze zur Steuerung des Handels zu erlasssen. Dennoch waren Eingriffe in den Seehandel eher selten. 733 Im 4. Jhdt. v. Chr. beschränkte sich auch der athenische Staat überwiegend darauf, gute Rahmenbedingungen für den Handel zu schaffen - sei es durch politischen Druck oder durch besondere Vergünstigungen, mit denen man die Händler zum Handel mit Athen zu bewegen hoffte. 734 In legislativer Hinsicht hielt er sich dagegen überwiegend zurück, 735 weshalb die Parteien bei der Ausgestaltung eines Seedarlehensvertrages weitgehend frei waren. 736

732 So auch CALHOUN, The business life of ancient Athens, 54 ff. (insbes. 60), CASSON, Die Seefahrer der Antike, 178 f., COHEN, Athenian Economy and Society, 133, 148, HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 343, PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 86, DE SAINTE CROIX 47 f. und ZIEBARTH, Eine Handelsrede aus der Zeit des Demosthenes, 31. 733 COHEN, A Study in Contrast: „Maritime Loans" and „Landed Loans" at Athens, 59; ERXLEBEN 460 f., 499; MOSSE, The 'World of the Emporium' in the private speeches of Demosthenes, 53. 734 Vgl. ο. 136 ff. 735 ADAM, Aspects de la sécurité de la navigation dans Γ Antiquité grecque, 285 ff. hat darauf hingewiesen, dass selbst Sicherheitsvorschriften für die Handelsschifffahrt fehlten. 736 Vgl. ο. 27 20

VIII. Gesetzliche Beschränkungen

163

Gewisse Einschränkungen ergaben sich für athenische Bürger und Metöken allerdings aus den Gesetzen zur Sicherung der Getreideversorgung. 737 Schon seit dem 6. Jhdt. v. Chr. reichte die eigene Getreideproduktion nicht mehr aus, um den Bedarf der Poüs zu decken. 738 Immer wieder kam es zu Versorgungsengpässen und Hungersnöten, 739 und die Getreideversorgung war ständiges Thema in der athenischen Volksversammlung. 740 Der Staat bemühte sich dennoch nur in seltenen Ausnahmefällen selbst um die Einfuhr von Getreide 741 und konnte sich ansonsten auf das kaufmännische Gespür der am Seehandel Beteiligten verlassen. Darüber hinaus verstand man es, den Getreidehandel durch Gesetze im Interesse der Polis zu lenken: In den Quellen des 4. Jhdts. v. Chr. finden sich Spuren der Gesetze zur Sicherung der Getreideversorgimg, die Teil der als νόμοι έμπορικοί (nòmoi emporikoî) bezeichneten Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Regeln und Handelsbräuche über Handelsfreiheit, Handelszwang und Handelsverkehr waren. 742 Zwar ist es nicht möglich, den tatsächlichen Wortlaut dieser Gesetze zu rekonstruieren; an verschiedenen Stellen wird in den Gerichtsreden des Demosthenes jedoch erwähnt, dass Athenern und Metöken der Transport von Getreide mit einem anderen Ziel als Athen bei schwerster Strafe verboten war. Die Existenz eines entsprechenden Gesetzes kann daher als sicher erachtet werden. Konsequenterweise war auch die Gewährung eines Seedarlehens für derartige Handelsreisen untersagt. 743 Dem. pros Lakriton 35.50: "Ιστε γαρ (...) τον νόμον ώς χαλεπός έστιν, έάν τις 'Αθηναίων άλλοσέ ποι σιτηγήση ή Άθήναζε, ή χρήματα δανείση είς άλλο τι έμπόριον ή το 'Αθηναίων, οΐαι ζημίαι περί τούτων έισίν, ώς μεγάλαι καί δειναί.

737 Vgl. COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 65 ff., ERXLEBEN 494 ff., HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 127 ff., THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. 'Εμπορικοί νόμοι, 2531 f. und VÉLISSAROPOULOS 189 ff., 313 ff. m.N.; kritisch zum Inhalt der athenischen Gesetzgebung SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2045 ff. 738 Vgl. ο. 157714. 739 Vgl. Dem. 17.19, 34.38 f.; siehe auch GARNSEY, Famine and food supply in the Graeco-Roman world, 10 ff., 89 ff., HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Grie-

chenland, 101 ff., VÉLISSAROPOULOS 197 ff., 315 ff. 740

Vgl. Aristoteles, Athenaion Politela, 43.4. Im Krisenjahr 357 v. Chr. bezog der athenische Staat eine größere Getreidelieferung aus dem bosporianischen Königreich, vgl. Dem. 20.33 und dazu ERXLEBEN 461, SALLARES, DNP IV (1998), s.v. Getreidehandel, Getreideimport, 1041. 742 Vgl. Dem. 35.3; BISCARDI, Introduction à l'étude des pratiques commerciales dans l'histoire des droits de l'Antiquité, in: RIDA 29 (1982) 40; THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. 'Εμπορικοί νόμοι, 2531 f.; THÜR, DNP III (1997), s.v. Emporikoi nomoi (έμπορικοί νόμοι), 1019 f.; VÉLISSAROPOULOS 2351 m.w.N. 743 Vgl. auch Dem. 34.37; 56.6; Lykurg kata Leokratous 27; COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 68; ERXLEBEN 496; SCHMITZ, DNP VIII (2000), s.v. Nautikon dà741

neion, 760; VÉLISSAROPOULOS 198.

164

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Da ihr ja wisst, (...) wie streng das Gesetz ist, wenn ein Athener Getreide nach einem anderen Hafen als dem Piräus transportiert oder wenn er für eine solche Handelsunternehmung Geld verleiht, wisst ihr auch, wie schwer und schrecklich die Strafen in derartigen Fällen sind. Auf diese Weise wurde die Getreideversorgung der Polis sichergestellt, denn athenische oder metökische Händler, die sich am gewinnträchtigen Getreidehandel beteiligen wollten, waren gezwungen, den Piräus anzulaufen. Verstieß ein athenischer oder metökischer Händler oder Darlehensgeber gegen die Gesetze und wurde er denunziert oder auf frischer Tat betroffen, so ergingen nach einem speziellen Gerichtsverfahren 744 schwere Strafen gegen ihn: Die Konfiszierung der Waren und des Schiffes scheint die Regel gewesen zu sein, in besonders schweren Fällen musste der Delinquent möglicherweise sogar mit der Todesstrafe rechnen. 745 Außerdem gab es Gesetze, die den Zweck hatten, den Abfluss von Kapital in andere Staaten einzuschränken und auf diese Weise den eigenen Wohlstand zu sichern. So war es z.B. untersagt, Handel mit dem Feind zu treiben. 746 Ein generelles Verbot, Seedarlehen für eine Handelsreise, deren Ziel nicht der Piräus war, zu gewähren, bestand dagegen nicht. Das oben erwähnte Gesetzeszitat aus Dem. 35.50 kann nicht in diesem Sinne verstanden werden; dort geht es nur um Seedarlehen zum Zwecke des Getreidetransports, mithin um einen Sonderfall. 747 Schließlich durften in Athen Waisengelder nicht gegen Seezinsen verliehen werden. 748 Diese Regelung diente allerdings weniger dem Schutz der athenischen Wirtschaft, als vielmehr dem der schutzbedürftigen Waisen.

744

Einzelheiten zu diesem Verfahren bei COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts,

8 ff., LIPSIUS 97 f. und VÉLISSAROPOULOS 315 ff. 745

Vgl. Dem. 35.51; Lykurg kata Leokratous 27. In Dem. 34.37 ist von „schwersten Strafen" die Rede, in Dem. 32.15 und Dem. 56.41 wird die Todesstrafe erwähnt, wobei es sich allerdings um die Forderungen der Kläger handelt. Inwiefern die Todesstrafe tatsächlich verhängt wurde, muss Spekulation bleiben. 746 Dies ergibt sich aus Aristophanes, Acharner, 908 ff., Ritter, 278; Isokrates, Trapezitikos 17.42. 747 Vgl. SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2046; a.A. ERXLEBEN 496 f., der sich die von GERNET, Démosthène: Plaidoyers Civils I, 1961 in Bezug auf Dem. 35.50 geäußerte Vermutung zu Eigen macht. 748 Siehe Lysias kata Diogeitonos 32.23; fr. 91 Thalheim. Vgl. auch KORVER, Demosthenes gegen Aphobos, in: Mnemosyne 3. Serie, 10 (1942) 13 und LIPSIUS 530; kritisch zum Regelungsgehalt der zitierten Vorschrift SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2047.

IX. Schutz durch die Gesetze

165

IX. Schutz durch die Gesetze Gesetze zum Schutz des Seedarlehens bzw. der Händler und Darlehensgeber sind im Wortlaut nicht überliefert, werden aber in den Reden und Abhandlungen mehrfach erwähnt, weshalb ihre Existenz als sicher erachtet werden kann. Es lag schließlich im besonderen Interesse der griechischen Poleis und vor allem Athens, dessen Wohlstand sich auf den Seehandel gründete, gute Kreditverhältnisse als Grundlage eines prosperierenden Seehandels zu gewährleisten. 749 Über das Ausmaß der legislativen Bemühungen lassen sich jedoch auch hier allenfalls Vermutungen anstellen: Es hat den Anschein, als habe der Gesetzgeber nur dort gesetzliche Regelungen zum Schutz des Seedarlehens getroffen, wo ihm diese unabdingbar für einen reibungslosen Handelsverkehr und die Wohlfahrt der eigenen Polis erschien, und ansonsten Zurückhaltung geübt. 750 Von den Handelsgesetzen, die das Seedarlehen - und somit die Interessen der Händler und vor allem der Geldgeber - zu schützen gedacht waren, treten in den Quellen zwei Gesetze deutlich hervor, so dass sich ihr Regelungsgehalt gut rekonstruieren lässt. 751 Zum einen standen auf Verstöße des Schuldners gegen die Verpflichtungen aus dem Seedarlehensvertrag schwere Strafen: In Dem. 56.10 ist davon die Rede, dass die Gesetze Athens die höchsten Strafen (μεγίσταις ζημίαις) für Naukleroi und Emporoi vorsehen, die den vertraglich vereinbarten Zielhafen nicht anlaufen. Auch in Dem. 34.50 erscheint dem Darlehensgeber Chrysippos die Todesstrafe für Phormion durchaus angemessen, weil dieser bereits verpfändete Waren (vertragswidrig) erneut verpfändet und damit unterschlagen haben soll. Ob hier allerdings ein Gesetz zum Schutz des Seedarlehens angesprochen wird, lässt sich anhand der Quellen nicht klären; es könnte sich auch um eine allgemeine strafrechtliche Bestimmung handeln. 752

749

Vgl. nur Dem. 56.50. Fest steht indes, dass keinesfalls sämtliche νόμοι έμπορικοί (nómoi emporikoi) dem Schutz des Seedarlehens dienten (so aber HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 182 ff). Dagegen spricht bereits der Umstand, dass die Gesetze zur Sicherung der Getreideversorgung das Seedarlehen nur mittelbar betrafen und im Übrigen auch nicht dem Schutz desselben dienten. 751 Dem. 34.52: έν μέν οΰν τοις νόμοις πολλαί και καλαί βοήθειαί είσιν αυτοΐς („Die Gesetze enthalten viele vorteilhafte Bestimmungen für sie [d.h. die Geldgeber]"); vgl. auch COHEN, Ancient Athenian Maritime Courts, 67; ERXLEBEN 493 ff.; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 128 f.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 17; SIEVEKING 11 f.; THALHEIM, RE V.2 (1905), s.v. Εμπορικοί νόμοι, 2531. 752 Vgl. insofern die kritische Anmerkung von SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2046. 750

166

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

Zum anderen waren Naukleroi und Emporoi vor leichtfertig erhobenen Klagen geschützt, denn die Rücknahme einer gegen die Händler gerichteten Klage war von Gesetzes wegen mit empfindlichen Strafen verbunden. 753 Aber auch die oben erwähnten Sonderregeln 754 für das Verfahren vor dem athenischen Handelsgericht dienten dem Schutz des Seedarlehens: Die strenge Haftung der Parteien im Prozess ermahnte zur Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen; die beschleunigte Verhandlung der δ ί κ α ι έμπορικαί (dikai emporikai) kam vor allem den Händlern zugute.

X. Wirtschaftliche Bedeutung Die unterschiedlichen Aufgaben, die das Seedarlehen i m 4. Jhdt. v. Chr. erfüllte, sind im Rahmen der vorstehenden Ausführungen bereits angesprochen worden: Die Darstellung der daraus resultierenden wirtschaftlichen Bedeutung kann daher auf eine kurze Zusammenfassung und einige wenige Ergänzungen beschränkt werden. Zunächst diente das Seedarlehen der Finanzierung von Handelsgeschäften: Ein Händler, der nicht genügend Eigenkapital besaß oder sich in (vorübergehenden) finanziellen Schwierigkeiten befand, erlangte durch die Aufnahme eines Seedarlehens die finanziellen Mittel, die er zur Durchführung der geplanten Handelsreise benötigte. Von besonderer Bedeutung war die versicherungsähnliche Funktion des griechischen Seedarlehens: Während dem mittellosen Händler eine Handelsreise durch ein Seedarlehen erst ermöglicht wurde, war der vermögende Händler vor allem an der Übernahme der Seegefahr durch den Geldgeber interessiert, denn das Altertum kannte den Versicherungsvertrag nicht. 755 Hierin liegt die risikoabwälzende Funktion des Seedarlehens. Als Anlagemöglichkeit war das Seedarlehen nicht nur wegen der hohen Zinserträge sehr beliebt: Während der Staat andere Geldanlagen, wie z.B. Grundbesitz und industrielle Produktion, mit Abgaben belastete, verblieb dem Geldgeber beim Seedarlehen der Gewinn in voller Höhe. 756 Gegen Seezinsen verliehenes Geld gehörte im Übrigen zum unsichtbaren Vermögen (αφανής

753

Vgl. Dem. 33.1 f.; 58.10, 54 und dazu LIPSIUS 32839; zu den Strafen vgl.

HARRISON, The Law of Athens I, 168 ff. 754 755 756

Vgl. o. 156 f. Vgl. o. 74 296 . HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 68.

X. Wirtschaftliche Bedeutung

167

ουσία, afanés ousia); 757 es unterlag damit nicht wie das sichtbare Vermögen (ουσία φανερά, ousia fanera), zu dem z.B. der Grundbesitz zählte, der Veranlagung für die Kriegssteuer. Außerdem ließ es sich vor Neidern geheim halten. 758 Es scheint im 4. Jhdt. v. Chr. nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein, seinen Lebensunterhalt durch die Vergabe von Seedarlehen zu verdienen. 759 Die Geldgeber wussten die Gefahr ruinöser Verluste zu begrenzen, indem sie ihr Geld bevorzugt in kleineren Beträgen an verschiedene Händler verliehen. 760 Durch diese Praxis wurden die mit der Seefahrt verbundenen Risiken auf einen größeren Personenkreis verteilt, so dass dem Seedarlehen in der Praxis auch eine risikoverteilende Funktion zukam. Nur so konnte gewährleistet werden, dass der Verlust eines Schiffes nicht zur wirtschaftlichen Katastrophe für einen Einzelnen wurde. Außerdem war das Seedarlehen ein beliebtes Mittel zur Geldüberweisung, denn ein Darlehen, das nur für eine Fahrt gewährt wurde (δάνειον έτερόπλουν, dâneion heteroploun ), gelangte in den ausländischen Hafen und warf nebenbei einen beträchtlichen Zinsertrag ab. 7 6 1 Ließ man sich das Darlehen im ausländischen Hafen in der Währung des Landes zurückzahlen, was vermutlich die Regel war, 762 so wurde auf diesem Weg zugleich der Devisenumtausch erledigt und dadurch ein Valutaverlust vermieden. 763 Nicht zu unterschätzen sind auch die indirekten Wirkungen, die der große Kapitalfluss im Rahmen der Seedarlehensgeschäfte mit sich brachte, denn neben Produktion und Handel prosperierten auch der Schiffbau und allgemein das Transportgewerbe, denn die im Piräus angelandeten, nicht für Athen selbst bestimmten Waren mussten auf dem Landweg in das athenische Hinterland bzw. zu den benachbarten attischen Poleis transportiert werden. 764 Vor allem aber ermöglichte erst das Seedarlehen den für ganz Attika lebensnotwendigen Getreideimport in dem Umfang, der zur Ernährung der Bevölke757 Vgl. Isokrates, Trapezitikos 17.7 ff.; dazu COHEN, A Study in Contrast: „Maritime Loans" and „Landed Loans" at Athens, 68 43 . 758 HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 68, 128; HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 353. 759 Vgl. Dem. 33.4: Der gegen Apaturios klagende Händler hat sich zur Ruhe gesetzt und mehrt sein Vermögen nun, indem er das durch seine Handelstätigkeit Erworbene auf Seezins verleiht. Auch in Dem. 56.1, 48 sprechen die klagenden Darlehensgeber davon, dass es ihr Beruf sei, ihr Geld im Seehandel zu mehren, bzw. dass es viele Menschen gebe, die dies täten. 760 Vgl. o. 56 f. 761 Vgl. KNORRINGA 93, SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2044 f. 762 Vgl. nur Dem. 34.23: Phormion beruft sich darauf, das in Athen in Drachmen gewährte Seedarlehen im Pontus in kyzikischen Statern zurückgezahlt zu haben. 763 Dazu PAOU, Il prestito marittimo nel diritto attico, 33 f. 764 Vgl. Dem. 17.27,49.29; Xenophon, Πόροι („Über die Staatseinkünfte") 1.7.

168

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

rung seit dem 5. Jhdt. v. Chr. erforderlich war. Durch die im Zusammenhang mit dem Seedarlehen gewährten staatlichen Vergünstigungen wurde der Getreideimport weiter gefordert, so dass sich insbesondere der athenische Staat weitgehend auf die Initiative privater Getreidehändler verlassen konnte.

XI. Herkunft/Entstehung Herkunft und Entstehungsgeschichte des Seedarlehens liegen im Dunkeln. Unvermittelt, einem Meteor gleich, taucht das Seedarlehen erstmals in den antiken griechischen Quellen auf. Das älteste Zeugnis vom Seedarlehen stammt aus einer Gerichtsrede des Lysias aus dem ausgehenden 5. Jhdt. v. Chr.: Der Athener Diodotus (409 v. Chr. in der Schlacht von Ephesos gefallen) hat insgesamt 7 Talente, 40 Minen auf Seezins verliehen. 765 Bemerkenswert ist, dass diese Form des Darlehens in der Gerichtsrede keinerlei Erläuterung findet; man gewinnt daher den Eindruck, dass es im antiken Griechenland zu dieser Zeit bereits allgemein bekannt war. Auch beeindruckt der Gesamtbetrag, der die Summe zahlreicher Seedarlehen sein dürfte. Bereits dies lässt vermuten, dass das Seedarlehen im ausgehenden 5. Jhdt. v. Chr. ein fester Betandteil des Seehandels war. Jedenfalls bedürfen die Regeln, denen es folgt, keiner Erläuterung. Die aus allen Bevölkerungsschichten stammenden Zuhörer (Gerichtsbehörden, Geschworene, Schaulustige) scheinen mit den besonderen Usancen bestens vertraut. 766 Ebenso verhält es sich in den Gerichtsreden des Demosthenes. Ägyptische, phönizische, babylonische oder assyrische Überlieferungen liegen dagegen nicht vor. 7 6 7 Bereits die Quellenlage erlaubt daher den Verdacht, dass die Wurzeln des Seedarlehens im antiken Griechenland zu suchen sind. Dennoch hat sich MATTHIASS768 darum bemüht, das Seedarlehen im Manu und in der Jâjnavalkya, zwei Gesetzbüchern des indischen Altertums, zu belegen und sich dabei im Wesentlichen an den Gedanken von PARDESSUS769 und J.G. GOLDSCHMIDT770 orientiert. Dass die These vom indo-europäischen Ursprung nicht haltbar ist, haben jedoch Sprachwissenschaftler bereits wiederholt über-

765

Vgl. Lysias kata Diogeitonos 32.6 f., 15. Im deutlichen Gegensatz dazu steht z.B. die ausführliche Erläuterung einer Kreditabrede bei Isokrates, Trapezitikos 17.35 ff.; vgl. auch MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth-century Athens, 42. 767 Vgl. insofern DAUVILLIER, Recherches sur un contrat caravanier babylonien et sur les origins du prêt à la grosse aventure dans l'Antiquité grecque, 363 f., J.G. GOLDSCHMIDT, De nautico fenore, 50 ff., HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums 1,357 und REHME, Die geschichtliche Entwicklung der Haftung des Reeders, 16. 768 Das foenus nauticum und die geschichtliche Entwicklung der Bodmerei, 1 ff. 769 Collection de lois maritimes antérieures au XVIII e siècle VI, 374 ff. 770 De nautico fenore, 14 ff. 766

XI. Herkunft/Entstehung

169

zeugend nachgewiesen. 771 Auch die Frage, ob der i m Codex Hammurapi (§§ 100-103) geregelte Karawanenvertrag möglicherweise als Vorbild für das griechische Seedarlehen diente, 772 lässt sich nicht mit hinreichender Bestimmtheit beantworten: Wenngleich der Karawanenvertrag in Bezug auf die Risikoverteilung bei Verlusten durch Feindeinwirkung gewisse Ähnlichkeiten mit dem Seedarlehen aufweist, 773 so fehlt es an Zeugnissen für den frühen Einfluss des babylonischen Rechts auf die Entwicklung i m griechischen Rechtsraum I m Übrigen darf nicht übersehen werden, dass die anderen Bestimmungen des Codex Hammurapi über den Karawanenvertrag keinerlei Übereinstimmung mit den beim griechischen Seedarlehen geltenden Regeln aufweisen. Es dürfte sich daher wohl lediglich um eine zufällige, den Bedürfhissen des Handels entsprechende Ähnlichkeit handeln. 774 Es bleibt demnach bei der Feststellung, dass erst die Quellen aus der Blütezeit des griechischen Seehandels sicheres Material für die geschichtliche Entwicklung des Seedarlehens enthalten. Die griechische Herkunft des Seedarlehens wird dementsprechend i m Schrifttum weitgehend anerkannt. 775 Für den griechischen Ursprung des Seedarlehens spricht nicht zuletzt die überragende Bedeutung, die der Seefahrt und dem Seehandel i m antiken Griechenland seit jeher zukamen: Kein anderes V o l k der Antike war - schon aufgrund der geografischen Gegebenheiten - in so hohem Maße mit dem Meer verbunden, wie die Griechen. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung der griechischen Welt ist ohne die Seefahrt nicht vorstellbar. 776 Bereits für das 7. Jhdt. v. Chr. ist für 771

DAUVILLIER, Recherches sur un contrat caravanier babylonien et sur les origins du prêt à la grosse aventure dans l'Antiquité grecque, 360 ff. m.W.N.; vgl. auch PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 12 f.; PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 201. 772 So DAUVILLIER, Recherches sur un contrat caravanier babylonien et sur les origins du prêt à la grosse aventure dans l'Antiquité grecque, 378 ff. und OPPENHEIM, The Seafaring Merchants of Ur, in: Journal of the American Oriental Society 74 (1954), 6 ff. 773 Vgl. § 103 des Codex Hammurapi, abgedruckt bei VIEL, Der Codex Hammurapi, 475 f. 774 So auch PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 198 ff.; DE SAINTE CRODC 59. 775 Vgl. nur ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 60; KÄSER, RP I, 532; LITEWSKI 118 m.w.N.; PAOLI, Il prestito marittimo nel diritto attico, 25 ff.; PURPURA,

Ricerche in tema di prestito marittimo, 195 ff.; DE SAINTE CROIX 4 4 , 5 9 . 776 Ohne Schiffe wäre bereits die Besiedelung der zahlreichen Inseln, die vermutlich im 9. Jahrtausend v. Chr. begann, nicht möglich gewesen. Wie bedeutsam die Seefahrt im griechischen Altertum war, kommt auch in der Kunst zum Ausdruck: Schon aus minoischer Zeit sind Schiffsdarstellungen überliefert; seit dem Beginn der geometrischen Epoche (978. Jhdt. v. Chr.) häufen sich die Informationen und Darstellungen, auch Handelsschiffe werden nun (insbesondere auf Vasen) vermehrt abgebildet, vgl. ALONSONÙNEZ, DNP X I (2001), s.v. Schiffahrt, 162 f.; HAUSEN, Schiffbau in der Antike, 114 ff. (mit Abbildungen von Vasenbildem); KÖSTER, Das antike Seewesen, 151; MORRISON/ WILLIAMS, Greek Oared Ships, 12 ff.; der Seehandel scheint in dieser Zeit bereits etwas

170

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

den Mittelmeerraum von einem regen Seehandel auszugehen;777 seitdem wuchs der Umfang des Seehandels stetig. Nachdem die Griechen die Perser bei Salamis (480 v. Chr.) besiegt hatten und ihre Handelsschiffe das Mittelmeer beherrschten, erfuhr der Seehandel einen weiteren, gewaltigen Schub. Dies gilt vor allem für den Getreidehandel, der bereits seit dem 6. Jhdt. v. Chr. ein fester Bestandteil des griechischen Seehandels war, da die heimische Landwirtschaft die Versorgung der rasch wachsenden Bevölkerung nicht mehr gewährleisten konnte. 778 Insbesondere der athenische Getreideimport, der in den Händen Privater lag, erreichte nach dem Ende der Perserkriege einen Umfang, der den Finanzbedarf und das damit einhergehende Verlustrisiko der Händler in schwindelerregende Höhen trieb. Daraus aber ergaben sich völlig neuartige Probleme: Ursprünglich dürften Händler, die im Getreidehandel große Gewinnchancen witterten, aber nicht über ausreichendes Barvermögen verfugten, zum Einkauf von Getreide ein gewöhnliches Darlehen (δάνειον, dâneion) aufgenommen haben. Das Eigentum an der Ware erwarb nach den Regeln des altgriechischen Rechtes der Darlehensgeber. 779 Gingen nun Schiff und Getreide auf See verloren, so war aufgrund der Eigentumsverhältnisse ein Streit darüber, wer das Verlustrisiko, mithin die Seegefahr, zu tragen hatte, absehbar. Es musste daher nahe liegen, wenn sich die Geldgeber bald nur gegen Zahlung eines erhöhten Zinssatzes damit einverstanden erklärten, dass das von dem kreditierten Geld gekaufte Getreide der Seegefahr ausgesetzt wurde. Damit aber traten zu dem gewöhnlichen Darlehen zum einen die Übernahme der Seegefahr, zum anderen die Zahlung eines erhöhten Zinssatzes als konstitutive Elemente eines neuen, im Handelsleben entwickelten Rechtsgeschäftes hinzu. 780 Der das griechische Recht beherrschende Grundsatz weitestgehender Vertragsfreiheit ließ diese Rechtsfortbildung durch die Praxis ohne weiteres zu. Die besonderen Anforderungen und Bedürfnisse des athenischen Getreidehandels scheinen demnach am Anfang der fast 2 500 Jahre währenden Entwicklungsgeschichte des Seedarlehens zu stehen: 781 Erst die Gefahrübernahme durch einen oder mehrere Geldgeber ermöglichte angesichts der in der Antike häufig

Alltägliches gewesen zu sein. Zur Entwicklung des athenischen Handels vgl. auch MOSSÉ, La fin de la démocratie Athénienne, 105 ff. 777 Vgl. ο. 23 f. 778 Dazu bereits ο. 157714. 779 Vgl. o. 43 f. 780 Ein Akt der formellen Gesetzgebung kommt dagegen als Ausgangspunkt der Entwicklungsgeschichte kaum in Betracht. 781 Auch DE SAINTE CROIX 44 vermutet einen starken Einfluss des athenischen Getreidehandels auf die Entstehung des Seedarlehens; nur vage in diesem Sinne dagegen SCHWAHN, RE XVI.2 (1935), s.v. Ναυτικός τόκος, 2048.

XII. Verbreitung und Fortbestand im hellenistischen Rechtsraum

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zu beklagenden Schiffsverluste 782 einen Seehandel von bisher unbekanntem Ausmaß, da der Untergang eines Schiffes jetzt nicht mehr gleichbedeutend mit dem Ruin des Händlers war. 7 8 3 Wann die aufgezeigte Entwicklung begonnen haben mag und seit wann das Rechtsinstitut in der Form, in der wir es aus den Gerichtsreden des Demosthenes kennen, gebräuchlich war, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen.784 Gut denkbar ist, dass der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Ende der Perserkriege ein Motor der Entwicklung war. Die Wurzeln des Seedarlehens dürften indes bereits im 7. / 6. Jhdt. v. Chr. anzusiedeln sein. Im ausgehenden 5. Jhdt. v. Chr. war das Rechtsinstitut jedenfalls, wie bereits eingangs erwähnt, ein fester Bestandteil des griechischen Seehandels.

ΧΠ. Verbreitung und Fortbestand im hellenistischen Rechtsraum Es wurde bereits festgestellt, dass das Seedarlehen in allen griechischen Staaten gleichermaßen Anwendung fand. Auch in den Ländern, zu denen die Griechen Handelsbeziehungen pflegten, war das Rechtsinstitut bekannt und gebräuchlich. In der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. war es ein fester Bestandteil des Seehandels im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, so dass es den politischen und wirtschaftlichen Niedergang Athens ohne weiteres überdauerte: Seedarlehensverträge wurden im gesamten hellenistischen Rechtsraum abgeschlossen. Auch im ptolemäischen Recht - Ägypten hatte im 3. Jhdt. v.Chr. die Vormachtstellung Athens im Handel übernommen und Alexandria war zur wichtigsten Handelsmetropole des Mittelmeers aufgestiegen 785 - findet sich das Seedarlehen, wie zwei Papyrusfetzen (P. Berol. 5 883 und 5 853) 7 8 6 beweisen: Um 150 v. Chr. nahm eine Gruppe von 5 Händlern in Alexandria bei dem griechischen Geldgeber Archippos und dessen Geschäftsfreunden ein Seedarlehen i.H.v. 50 Minen Silber für eine Handelsfahrt auf dem Roten Meer zu den Weihrauchländern 787 auf. Die Laufzeit betrug ein Jahr, der Zinssatz liegt mit 24 % 782

Vgl. o. 72 f. Zurrisikoverteilenden Funktion des Seedarlehens vgl. o. 56. 784 PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 195 ff. will die Ursprünge des Seedarlehens bereits zu Beginn des 6. Jhdts. v. Chr. im Zusammenhang mit dem Anfang der Stapelplätze und des individuellen Handelsverkehrs erkennen. 785 Vgl. BOGAERT, Banquiers, courtiers et prêts maritimes à Athènes et à Alexandrie, 146; CASSON, Die Seefahrer der Antike, 280. 786 Veröffentlicht und kommentiert von WILCKEN, Punt-Fahrten in der Ptolemäerzeit, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache 60 (1925) 86 ff. 787 Das Papyrus erwähnt das Land Punt, ein in ägyptischen Inschriften häufig genanntes, wohl an der Küste des Ostsudan gelegenes Land; dorthin unternahmen die Ägypter seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. Handelsfahrten, um Weihrauch, Harze, Edelhölzer, Elfenbein und Gold zu importieren. 783

172

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

p.a. deutlich unter den aus den demosthenischen Gerichtsreden bekannten Zinssätzen.788 Ein weiteres Fragment (SB I I I 7 169) 789 aus der ersten Hälfte bis Mitte des 2. Jhdts. n. Chr. enthält Angaben zu den Parteien, die Route der Handelsreise, den RückZahlungstermin sowie Regelungen über die Vollstreckung in das gesamte Vermögen des Darlehensnehmers, Vertragsstrafen und Verzugszinsen, nicht aber die Vereinbarung von Seezinsen.790 Aus dem römischen Ägypten stammt ein in der Regierungszeit des Antoninus Pius (138 bis 161 n.Chr.) entstandener Papyrus, in dem auf einen Seedarlehensvertrag Bezug genommen wird (P. Vindob. G 19 792 = SB V I 9571): 791 Der in einer Syngraphe (κατά ναυτικήν συγγραφήν) festgehaltene Darlehensvertrag ist nicht überliefert; aus dem Geschäftsbrief, einem Bestätigungsschreiben für die Darlehensnehmer, lässt sich jedoch der Inhalt des Vertrages rekonstruieren: Durch die Vermittlung des römischen Bürgers und Bankiers Marcus Claudius Sabinus haben die Händler Sostratos und Sosos aus Askalon in Palästina sowie die Eigentümer des von den Händlern geführten Schiffes von Gaius Longinus Celer und Tiberius Claudius Chares ein Seedarlehen in Höhe von 7 Talenten Silber und 5 160 Drachmen erhalten. Zur Sicherheit wurden das Schiff - e i n kleiner Frachtsegler (Akâtos) mit dem Namen „Antinoos Philosârapis Sózon" - einschließlich der Takelage sowie die Waren verpfändet. Die Rückzahlungsmodalitäten, insbesondere der für den Fall der glücklichen Ankunft vereinbarte Zinssatz, bleiben unklar. Auch ist aufgrund der großen Lücken im Text keine Aussage über die Laufzeit des Darlehens und das Ziel der Handelsreise möglich. Ein Exemplar der Darlehensurkunde wurde bei dem Bankier hinterlegt, wie es schon im 4. Jhdt. v. Chr. üblich war. 7 9 2

788

Weitere Einzelheiten bei BOGAERT, Banquiers, courtiers et prêts maritimes à Athènes et à Alexandrie, 147 ff., CASSON, Die Seefahrer der Antike, 177 f., PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 246 ff., DE SAINTE CROIX 53 f., VÉLISSAROPOULOS 30 ff. und ZIEBARTH, Seeraub und Seehandel, 54 f., 126 f. 789 Ebenfalls veröffentlicht von WILCKEN, Punt-Fahrten in der Ptolemäerzeit, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache 60 (1925) 86 ff. 790 THÜR, Hypotheken-Urkunde eines Seedarlehens für eine Reise nach Muziris und Apographe für die Tetarte in Alexandreia, in: Tyche II (1987) 242 vermutet im Zusammenhang mit den wenigen sonstigen Belegen, dass Seedarlehen in der ptolemäischen und römischen Zeit bisweilen ,zinslos' vereinbart wurden, d.h. dass das Entgelt anderweitig geregelt wurde; auch der ausführliche Bericht Scaevolas über das „Seedarlehen des Callimachus" (D. 45.1.122.1) erwähnt im Übrigen keine Zinsvereinbarung, dazu u. 177. 791 Erstmals publiziert von CASSON, New Light on Maritime Loans, in: EOS 48 (1956) 2 [ = Symbolae Raphaeli Taubenschlag dedicatae II], 89 ff. 792 Vgl. ο. 135600; Erläuterungen zu dem Papyrus bei BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae (1974) 202 ff., CASSON, New Light on Maritime Loans: P. Vindob. G 19 792, in: Studies in Roman Law in Memory of A.A. Schiller, 11 ff., PURPURA, Ricerche in te-

XIII. Zusammenfassung

173

Außerdem ist ein Papyrus aus der Mitte des 2. Jhdts. n. Chr. erhalten, auf dem sich die Hypothekenurkunde für ein Seedarlehen findet (P. Vindob. G 40 822). 793 Der Seedarlehensvertrag selbst ist nicht überliefert, 794 aus der getrennt abgefassten Hypothekenurkunde lassen sich jedoch wichtige Erkenntnisse über das gesamte Geschäft gewinnen: Das Seedarlehen wurde einem Emporos für eine Handelsreise von Alexandria nach Muziris (Indien) und zurück gewährt. Als Sicherheit haften die transportierten Waren. Begleicht der Händler seine Verbindlichkeiten nicht innerhalb der vereinbarten Frist, so kann der Darlehensgeber über drei Viertel der Waren frei verfugen. Sollte sich beim Verkauf zum Tagespreis ein Mehrerlös ergeben, so ist dieser abzuliefern, ebenso wie ein Mindererlös abzugleichen ist. Diese Regelungen könnten - von wenigen Modifikationen abgesehen - aus der Zeit des Demosthenes stammen.795 Diese Kontinuität über einen Zeitraum von fünf Jahrhunderten ist - gerade vor dem Hintergrund der zahlreichen historischen Umwälzungen, die der hellenistische Rechtsraum in diesem Zeitraum erlebte - bemerkenswert.

ΧΙΠ. Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, dass der Gebrauch des Seedarlehens im griechischen Recht weit weniger formalistisch war, als immer wieder angenommen. Dies entspricht dem hohen Stellenwert, den Privatautonomie und Vertragsfreiheit in der griechischen Antike genossen. Den griechischen Händlern diente das Seedarlehen zwar auch zur Finanzierung ihrer Handelsunternehmungen, wesentlich bedeutender aber war die versicherungsähnliche Funktion des Seedarlehens. In einer Zeit, in der die Seefahrt weitaus vielfältigere Gefahren als heutzutage barg ma di prestito marittimo, 265 ff., ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 348 f. und VÉLISSAROPOULOS 310 ff. 793 Erstmals publiziert und kommentiert von HARRAUER/SIJPESTEIJN, Ein neues Dokument zu Roms Indienhandel, in: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 122 (1985) 124 ff.; kritisch zur Interpretation der Herausgeber CASSON, P. Vindob. 40822 and the Shipping of Goods from India, in: BASP 23 (1986) 73 ff. und THÜR, Hypotheken-Urkunde eines Seedarlehens für eine Reise nach Muziris und Apographe für die Tetarte in Alexandreia, in: Tyche II (1987) 229 ff. 794 So die zutreffende Lesart von THÜR, Hypotheken-Urkunde eines Seedarlehens für eine Reise nach Muziris und Apographe für die Tetarte in Alexandreia, in: Tyche II (1987) 229 ff.; anders dagegen die Herausgeber, die davon ausgehen, es handele sich um den Seedarlehensvertrag selbst, vgl. HARRAUER/SIJPESTEIJN, Ein neues Dokument zu Roms Indienhandel, 124, 129 ff. 795 Ausführliche Erläuterungen des Dokuments bei CASSON, P. Vindob. 40 822 and the Shipping of Goods from India, in: BASP 23 (1986) 73 ff. und THÜR, HypothekenUrkunde eines Seedarlehens für eine Reise nach Muziris und Apographe für die Tetarte in Alexandreia, in: Tyche II (1987) 229 ff. und ,Zum Seedarlehen κατά Μουζεϊριν', in: Tyche III (1988) 229 ff.

174

1. Teil: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes

und die Möglichkeit eines Schiffsunglücks den Seefahrern stets vor Augen schwebte, ermöglichte erst die Risikoübernahme durch die Darlehensgeber einen Seehandel von noch heute beeindruckendem Ausmaß. Die hohen Zinsen waren der Ausgleich für die Übernahme der Seegefahr und der Grund dafür, dass sich das Seedarlehen als Anlagemöglichkeit einer derartig großen Beliebtheit erfreute: Mit ein wenig Geschick war es einem Geldgeber möglich, durch die Vergabe von Seedarlehen hohe Gewinne zu erzielen. Insbesondere für den athenischen Getreideimport, der ausschließlich in den Händen privater Händler lag, die ihrer Tätigkeit auf eigene Rechnung nachgingen, war das Seedarlehen von überragender Bedeutung. Es spricht einiges dafür, dass sich das Rechtsinstitut vor dem Hintergrund der speziellen Anforderungen des Getreidehandels i m frühen 5. Jhdt. v. Chr. in der Handelspraxis herausgebildet hat. Angesichts dieser Bedeutung widmeten sowohl Athen als auch die anderen griechischen Poleis dem Seedarlehen besondere Aufmerksamkeit: So stand den Parteien in Athen ein beschleunigtes Verfahren vor dem Handelsgericht offen, falls es zu Streitigkeiten aus einem Seedarlehensvertrag kam, der im Zusammenhang mit dem Außenhandel der Polis stand, allerdings nur dann, wenn der Kläger eine förmliche Urkunde (ναυτική συγγραφή) über das Rechtsgeschäft vorweisen konnte. Ähnliche Regelungen gab es auch in den anderen griechischen Staatswesen, wie überhaupt der Gebrauch des Seedarlehens dadurch erleichtert wurde, dass es sich um eine Art „ius commune" der antiken Welt, ein supranationales Rechtsinstitut handelte: Es war in allen Gegenden, mit denen die Griechen im Mittelmeerraum Handel trieben, gleichermaßen anerkannt und gebräuchlich. In den Seedarlehensverträgen suchten die Parteien ihre Beziehungen möglichst umfassend zu regeln: So finden sich in der Seedarlehensurkunde, die in der Gerichtsrede des Demosthenes gegen Lakritos (Dem. 35) enthalten ist, z.B. detaillierte Bestimmungen über den Verlauf der Handelsreise, Rückzahlungsmodalitäten, Konventionalstrafen und vor allem die Vereinbarung von Sicherheiten. Doch selbst wenn der Vertrag keine Vereinbarungen über ein Pfandrecht enthielt, entstand den Darlehensgebern infolge des Surrogationsgedankens eine Hypotheke an den von dem kreditierten Geld gekauften Waren, wie die Analyse der demosthenischen Gerichtsreden ergeben hat. Das Seedarlehen überdauerte den politischen und wirtschaftlichen Niedergang Athens. Es blieb im gesamten hellenistischen Rechtskreis das wichtigste Rechtsinstrument des Seehandels und taucht bereits im 2. Jhdt. v. Chr. erstmals in den römischen Quellen auf.

Zweiter Teil

Das römische Seedarlehen I. Einleitung Das römische Seedarlehen hat in der rechtshistorischen Forschung ungleich stärkere Beachtung gefunden als das δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikon). Wenn es in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion um Fragen im Zusammenhang mit dem Seedarlehen geht, so ist - abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen - vom römischen Seedarlehen die Rede. Die Literatur zum fenus nauticum, wie das römische Seedarlehen im weiteren bezeichnet werden soll, 1 ist umfangreich. 2 Das Hauptziel dieser Arbeit war, die Lücke, die hinsichtlich des griechischen Seedarlehens bislang bestand, zu schließen. In Bezug auf das römische Seedarlehen sollen vor allem diejenigen Aspekte kurz angesprochen werden, die für den Fortbestand des Rechtsinstituts bis zur Gegenwart von besonderer Bedeutung sind. Das fenus nauticum entsprach strukturell dem griechischen Seedarlehen. Von einigen Modifikationen abgesehen, sind nur wenige Unterschiede festzustellen, 1 In den Quellen aus klassischer Zeit findet sich für das Seedarlehen die Bezeichnung pecunia traiecticia: Paul. D. 3.5.12, Ulp. D. 13.4.2.8, Ulp. D. 15.1.3.8, Pomp. D. 22.2.2 (unter Berufung auf Labeo), Pap. D. 22.2.4.1, Paul. D. 22.2.6, Ulp. D. 22.2.8 (unter Bezugnahme auf Servius Sulpicius), Lab. D. 22.2.9, Afr. D. 44.7.23, Paul. sent. 2.14.3; traiecticius contractus (lust. C. 4.32.26.2) bzw. nautica pecunia (vgl. Ulp. 4.9.1.7, Mod. D. 22.2.3, Scaev. D. 45.1.122.1) was eine Übersetzung von ναυτικά χρήματα (vgl. Lysias kata Diogeitonos 32.7; Dem. 35.42, 47) sein könnte, vgl. LITEWSKI 115. Erst ab dem 3. Jhdt. n. Chr., also in den nachklassischen bzw. byzantinischen Quellen, wird neben pecunia traiecticia, vgl. lust. C. 1.17.2.5, Diocl. C. 4.33.2, 4.33.5, Auth. Nov. 110 (praefatio), vereinzelt das dem griechischen ναυτικός τόκος entsprechende fenus nauticum ( = Seezins) als technische Bezeichnung für das Seedarlehen verwendet, vgl. Diocl. C. 4.33.4 und die Rubriken von D. 22.2 und C. 4.33 („de nautico fenore"). Insbesondere der Titel der authentischen, d.h. unter Justinian hergestellten lateinischen Übersetzung von Nov. 106 ("de usuris nauticis") erlaubt die Vermutung, dass die erwähnten Rubriken mit "vom Seedarlehen" (im technischen Sinne) und nicht mit "von den Seezinsen" zu übersetzen sind, vgl. auch Paul. D. 22.2.6, wo die Seezinsen als usurae maritimae bezeichnet werden. In der Rechtswissenschaft hat sich dann fenus nauticum als Bezeichnung für das römische Seedarlehen durchgesetzt. 2 Vgl. die ausführliche Literaturübersicht bei KRAMPE, Der Seedarlehensstreit des Callimachus, 222 und PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 1891 ff .

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

was sich daraus erklärt, dass die Römer das Rechtsinstitut aus dem griechischen Recht rezipiert haben.3 Es wurden also nicht bloß die wesentlichen Bestimmungen des griechischen Seedarlehens - Übernahme der Seegefahr gegen Zahlung deutlich erhöhter Zinsen - auf ein gewöhnliches Darlehen (mutuum) übertragen, die Römer übernahmen vielmehr das Rechtsinstitut als Ganzes. Die Aufgabe der römischen Juristen bestand lediglich darin, das fremde Rechtsinstitut mit seinen Besonderheiten in das römische Rechtssystem einzufügen. Dass es sich beim fenus nauticum um einen aus dem griechischen Rechtskreis rezipierten Geschäftstypus handelt, wird bereits daran deutlich, dass die meisten im Zusammenhang mit dem fenus nauticum verwendeten Fachtermini der griechischen Sprache entstammen bzw. Gräzismen sind.4 Anders wäre die fast vollständige Übereinstimmung beider Rechtsinstitute im Übrigen auch kaum zu erklären.

Π. Quellen Unsere Kenntnis vom römischen Seedarlehen beschränkt sich im Wesentlichen auf die Überlieferungen in den justinianischen Gesetzessammlungen.5 Insbesondere in Buch 22 der Digesten, Titel 2 - D. 22.2 (de nautico fenore) - finden sich zahlreiche Entscheidungen zum Seedarlehen. Was auf den ersten Blick als Vorteil gegenüber der Quellenlage beim griechischen Seedarlehen erscheinen mag, relativiert sich angesichts der Tatsache, dass die römische Rechtswissenschaft jeder Theorie und begrifflichen Systematik abgeneigt war. 6 Auch standen die römischen Juristen Regeln und Definitionen skeptisch gegenüber,7 3 Dies ist im Schrifttum allgemein anerkannt, vgl. nur ANDREAU, DNP XI (2001), s.v. Seedarlehen, 321; ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 60; KÄSER, RP I

532; KLINGMÜLLER, R E V I . 2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2200; KNÜTEL, Stipulatio poena, 3 9 3 3 ; KRAMPE, D N P I V (1998), s.v. Fenus nauticum, 471; LITEWSKI 118 3 4 ; ROST,

Seewesen und Seehandel in der Antike, 21; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 357 f. 4 Beispielsweise entspricht die Bezeichnung fenus nauticum (Seezins) dem griechischen τόκος ναυτικός; Einzelheiten bei KRAMPE, Der Seedarlehensstreit des Callimachus, 208. 5

Vgl. Paul. D. 3.5.12; Ulp. D. 13.4.2.8; Ulp. D. 15.1.3.8; D. 22.2 (de nautico faeno-

re); Afr. D. 44.7.23; Scaev. D . 45.1.122.1; C. 4.32.19.3; C. 4.32.26.2; C. 4.33 (de nauti-

co faenore)\ Nov. 106; Nov. 110; umfassender Überblick über die Fundstellen zum römischen Seedarlehen bei PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 329 ff. 6 DULCKEIT/SCHWARZ/WALDSTEIN, Römisches Rechtsgeschichte, 250 m.N. 7 Paul. D. 50.17.1: non ex régula ius sumatur, sed ex iure quod est régula fìat ("Nicht aus der Regel wird das Recht abgeleitet, sondern aus dem Recht wird die Regel gebildet"); lav. D. 50.17.202: Omnis definitio in iure civili periculosa est: parum [ramini ] est enim, ut non subverti posset ("Jegliche Definition auf dem Gebiet des ius civile ist gefährlich, denn es ist selten, dass sie nicht umgestürzt werden könnte"); vgl. auch KÄSER, RP 1 18221 m.w.N.

II. Quellen

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Gesetze im heutigen Sinne waren selten. So fehlen in den unter Justinian (527 bis 565 n. Chr.) exzerpierten und kodifizierten Fallentscheidungen der klassischen römischen Juristen sowohl Definitionen als auch gesetzliche Bestimmungen im heutigen Sinne. Die römischen Juristen beschäftigten sich in erster Linie mit einzelnen Problemen im Zusammenhang mit dem Seedarlehen. Zumeist geht es um die Zulässigkeit der Vereinbarung erhöhter Zinsen, um Fragen der Gefahrübernahme oder um die Fälligkeit von Vertragsstrafen. Auch sind die Fragmente teilweise nur schwer verständlich und mitunter sogar widersprüchlich. Lediglich ein praktischer Fall, nämlich das den Digesten des Scaevola entnommene Seedarlehen des Callimachus, findet sich in den justinianischen Kodifikationen (Scaev. D. 45.1.122.1). Bei diesem Darlehen handelt es sich um eine tatsächliche Begebenheit und nicht um einen Schulfall, wie mitunter vermutet wird. 8 Der Vertragsinhalt selbst ist unproblematisch, allerdings fehlen Angaben zu den Zinsen, die vermutlich getrennt stipuliert worden sind: Callimachus hat von Seius, vertreten durch seinen Sklaven Stichus, in der Provinz Syrien ein Seedarlehen für eine Handelsreise von Beirut nach Brindisi und zurück aufgenommen. Das Seedarlehen wurde für die Dauer von 200 Tagen gewährt unter Verpfändung der Waren, die von Beirut nach Brindisi transportiert werden bzw. derjenigen, die in Brindisi für die Rückfahrt gekauft werden sollten. Vereinbart wurde weiterhin, dass Callimachus Brindisi vor den Iden des September (13. September) mit entsprechender Ware zu verlassen habe. Anderenfalls hatte er die gesamte Summe sofort - zum Zwecke der Verbringung nach Rom - an den mitfahrenden Sklaven zu übergeben, als ob die Reise beendet wäre, d.h. inklusive Zinsen und Entschädigung für die entgangenen Dienste des Sklaven. Problematisch und besonders umstritten sind dagegen die Ereignisse, die Scaevola nach der Darstellung des Vertragsinhaltes schildert, denn der genaue Zeitpunkt der Abreise ist unklar und Callimachus muss sich gegen den Vorwurf verspäteter Abreise zur Wehr setzen.9 Ob sich auch eine pompejanische Urkunde aus dem Jahre 38 n. Chr. (TPSulp. 78 Camodeca, früher TP 13) auf ein fenus nauticum bezieht, ist um8 So beispielsweise ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 350; dagegen sprechen sich zurecht BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 200 und KRAMPE, Der Seedarlehensstreit des Callimachus, 214 aus. 9 Eine ausführliche und recht überzeugende Erklärung, die auf die sonst übliche Annahme von Interpolationen verzichtet, liefert KRAMPE, Der Seedarlehensstreit des Callimachus, 207 ff.; vgl. auch GLÜCK, Pandecten 21, 173 ff., L. GOLDSCHMIDT, Untersuchungen zur 1. 122 § 1. D. de V.O. (45,1), HUVELIN, Études d'histoire du droit commercial Romain, 199 ff., VON LÜBTOW, Das Seedarlehen des Callimachus, 329 ff. m.w.N. sowie PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, in: Ann. Palermo, XXXIX (1987) 212 ff.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

stritten. 10 Das Urkundentäfelchen aus dem Bankhaus der Sulpizier enthält neben der Bestätigung, 1 000 Denare aufgrund einer zuvor abgeschlossenen ναυλωτική (nauloîiké) empfangen zu haben, auch eine Bürgschaftserklärung für die RückZahlungsverpflichtung. Die Bürgschaft für eine Verbindlichkeit aus einem Seedarlehensvertrag wäre ein Novum und bislang einzigartig. Aber schon die Bezeichnung des Vertrages als ναυλωτική spricht für einen Seefrachtvertrag. Darüber hinaus lassen sowohl der Wortlaut der Urkunde als auch der Vergleich mit den gräko-ägyptischen Papyri im Grunde nur den Schluss zu, dass es sich bei dem in der Urkunde aus dem Archiv der Sulpizier erwähnten Kontrakt nicht um ein Seedarlehen, sondern um einen Seefrachtvertrag handelt. 11

UI. Die Rezeption des Seedarlehens Um die äußeren Umstände zu verdeutlichen, unter denen das Seedarlehen langsam in den römischen Rechtskreis eindrang, bevor es schließlich rezipiert wurde, lohnt sich ein Blick auf den Seehandel im Altertum Dabei sind die nachfolgenden Ausführungen auch als Ergänzung zu den bereits im Rahmen des ersten Teils angespochenen Besonderheiten des antiken Seehandels zu verstehen.

10

Ein Seedarlehen nehmen an: ANKUM, Tabula pompeiana 13: ein Seefrachtvertag oder ein Seedarlehen?, 163 ff., Minima de Tabula Pompeiana 13, 276 f., Observations sur le prêt maritime romain, 64 ff.; BISCARDI, Minima de iure civili, in: Sodalitas (Scritti in onore di Antonio Guarino) IV 1534 ff.; GRÖSCHLER, Die tabellae-Urkunden aus den pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunden, 16045; PURPURA, Tabulae Pompeianae 13 e 3 4 , 1 2 4 8 3 .

Dagegen halten J.G. WOLF, AUS dem neuen pompejanischen Urkundenfund: der Seefrachtvertrag des Menelaos, in: Freiburger Universitätsblätter 65 (1979) 34 ff., Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund: Die ,ναυλωτική4 des Menelaos - Seedarlehen oder Seefrachtvertrag?, in: Iuris vincula, 423 ff., JAKAB, Vectura pro mutua: Überlegungen zu TP. 13 und Ulp. D. 19,2,15,61, in: SZ 117 (2000) 254 ff. und JAKAB/MANTHE,

Recht in der römischen Antike, in: Die Rechtskulturen der Antike, 296 ff. den in TPSulp. 78 Camodeca erwähnten Kontrakt für einen Seefrachtvertrag. THÜR, Arnaldo Biscardi e il diritto greco, in: DIKE 3 (2000) 18212 stimmt dem zu. GOFAS, Encore une fois sur la Tabula Pompeiana 13, in: Symposion 1993 (1994) 251 ff. schlägt eine Art Versicherungsdarlehen vor, vgl. dazu auch THÜR, Die Aestimationsabrede im Seefrachtvertrag, ebda. 267 ff. 11 Vgl. die besonders überzeugende Interpretation des Urkundentextes bei JAKAB/MANTHE, Recht in der römischen Antike, in: Die Rechtskulturen der Antike, 296 ff.

III. Die Rezeption des Seedarlehens

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1. Der Seehandel im Altertum I m gesamten Altertum erfolgte der Austausch von Produkten fast ausschließlich auf dem Seewege.12 Für Griechenland erklärt sich dieses Phänomen vor allem aus den geografischen Besonderheiten. Der Seeweg war die einzige Verbindung zwischen den griechischen Inseln, und auch die an den Küsten des griechischen Festlandes gelegenen Städte waren häufig durch Gebirgszüge voneinander getrennt. Schließlich konnten die Siedlungen griechischer Kolonisten, deren Gründung i m 8. Jhdt. v. Chr. begonnen hatte, 13 nur über See erreicht werden. Die Entwicklung des griechischen Seehandels war dementsprechend rasant. 14 Transportiert wurden Nahrungsmittel, vor allem das dringend benötigte Getreide, 15 und Produkte des Handwerks, aber auch Sklaven, Rohstoffe, Bau-

12

Eine beachtenswerte Ausnahme stellt der Handel mit den Arabern und Indien dar, für den zunächst nur Landrouten benützt wurden, die vom Mittelmeerraum nach Osten bis Indien und China führten, vgl. R. DREXHAGE, Untersuchungen zum römischen Osthandel, 5. War der Transport zu Lande durch politische Spannungen erschwert oder sogar unmöglich, so bediente man sich später auch hier des Seeweges, wobei zunächst die Häfen Südarabiens und später, nach Entdeckung der direkten Seeroute von Ägypten nach Indien, diejenigen des Roten Meeres als Umschlagplätze dienten. Von dort wurden die Waren in Karawanen zu den Mittelmeerhäfen befördert, vgl. Strabon, Geographica, 16.4.23, 16.2.20; Plinius d.Ä., Naturalis historiae, 12.32.63 ff. berichtet vom Karawanenverkehr zum Mittelmeerhafen Gaza. Seit ungefähr 100 v. Chr. wusste man auch die Monsunwinde für die Seefahrt zu nutzen, indem man sich mit ihnen zu den Häfen Indiens treiben ließ, so z.B. nach Muziris an der Südspitze des indischen Subkontinents. Dies ermöglichte erstmals den regelmäßigen Handelsverkehr mit Indien unter Umgehung des südarabischen Zwischenhandels. Vor allem im ersten und zweiten Jhdt. n. Chr. gehörte die Seeroute zwischen Ägypten und Südindien dann schließlich zu den wichtigsten Wegen des römischen Außenhandels und wurde jährlich von hunderten gräko-ägyptischer Handelsschiffe befahren, vgl. CASSON, Die Seefahrer der Antike, 360 ff, DIHLE, Der Seeweg nach Indien, 7, R. DREXHAGE, Untersuchungen zum römischen Osthandel, 7 ff. 13 Griechischen Ursprungs sind z.B. Marseille (Massilia), Neapel (Neapolis), Syrakus, Istanbul (Byzantion), Varna (Odessos), Kertsch (Pantikapaion) und Trapezunt bzw. Trabzon (Trapezos). Die griechischen Kolonien waren, anders als die Kolonien des 19. Jhdts., vom Mutterland bzw. ihren Mutterstädten unabhängig, standen jedoch in ständigem Kontakt zu diesen, vgl. BUSOLT, Griechische Staatskunde II, 1269. Zur griechischen Kolonisation seit dem 8. Jhdt. v. Chr. vgl. ROUGÉ, La marine dans J'Antiquité, 156 ff.; eine ausführliche Darstellung der griechischen Kolonisationspolitik und des Verhältnisses von Mutterstadt und Pflanzstadt liefern BUSOLT 1264 ff, EDER, DNP VI (1999), s.v. Kolonisation, 653 ff., HÖCKMANN 81 ff. und besonders MOSSÉ, La colonisation dans Γ Antiquité, 25 ff. 14 Vgl. ALONSO-NÜNEZ, DNP X I (2001), s.v. Schiffahrt, 161 f.; HASEBROEK, Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte bis zur Perserzeit, 279 ff.; HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 42 ff.; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt I, 79, ROUGÉ, La marine dans l'Antiquité, 154 ff. 15 Vgl. o. 162 ff, 169.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

materialien und Luxusgüter. 16 Die Handelsrouten der Griechen verliefen hauptsächlich zwischen den Hafenstädten des Festlandes und denen der griechischen Inseln, zum Hellespont und in die Häfen des Schwarzen Meeres. 17 Aber auch Ägypten, Phönikien, Palästina, Syrien und Persien 18 und nicht zuletzt die griechischen Kolonien, die außer an den Küsten des Schwarzen Meeres auch an der Südküste Kleinasiens sowie in Italien, Südfrankreich und Spanien lagen, waren das Ziel der griechischen Handelsschiffe. 19 Pytheas von Massilia gelangte um 335 v. Chr. in handelspolitischer Mission bis nach Britannien und möglicherweise sogar bis in den Ostseeraum. 20 M i t Etrurien und Latium bestanden schon im 5. Jhdt. v. Chr. Handelsbeziehungen.21

16 Eine anschauliche Liste der wichtigsten von Athen importierten Güter und ihrer Herkunftsländer findet sich bei dem von Athenaios, Δειπνοσοφισταί („ Das Gelehrtenmahl") 1.49 zitierten Komödiendichter Hermippos, der sich allerdings den ein oder anderen Scherz erlaubt hat; Aristophanes, Acharner, 870 ff. und Frieden, 999 ff. berichet von importierten Delikatessen. Zahlreiche Quellenangaben zum attischen Import (vorwiegend Getreide, Wein, Häute, Bauholz, Kupfer, Eisen, Elfenbein) und Export (Olivenöl, Keramikwaren, Stoffe und vor allem aus den importierten Rohstoffen hergestellte Produkte, wie z.B. Waffen, Möbel oder Schmuck) im 4. Jhdt. v. Chr. bei ISAGER/HANSEN 19 ff.; ZU den Artikeln des Im- und Exports in der griechischen Antike, vgl. auch HASEBROEK, Staat und Handel im alten Griechenland, 45 ff., 94 ff., HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 320 ff., MossÉ, La fin de la démocratie Athénienne, 105 ff., VÉLISSAROPOULOS 191 ff. und besonders HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 83 ff., 109 ff. 17 Vgl. die bereits oben erwähnten Beispiele aus den Reden des Demosthenes: Dem. 32.4: Fahrt von Syrakus nach Athen; Dem. 34.6, 8: Seedarlehen für eine Handelsreise von Athen zum Kimmerischen Bosporus, der Meerenge zwischen Asowschem Meer und Schwarzem Meer; Dem. 35.10: Fahrt von Athen zum Bosporus bzw. zur DnjeprMündung; Dem. 56.3: die Handelsreise des Dionysidor soll nach Ägypten gehen, dieser fährt aber zunächst nach Rhodos; über die Strömungen und klimatischen Bedingungen im Schwarzen Meer, die in der Antike besondere Gefahren für die Schiffahrt darstellten, berichtet DANOFF, RE Suppl. IX (1962), s.v. Pontos Euxeinos, 932 ff.; allgemein zu den griechischen Handelsrouten der Antike HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 61 ff.; ISAGER/HANSEN 60 ff., 214 ff.; OTTO, Kulturgeschichte des Altertums, 84 ff. 18 Zum griechischen Handel mit Palästina, Phönikien, Syrien und Persien vgl. ISAGER/HANSEN, Athenian Society, 61 mit Quellenangaben; HEICHELHEIM, Wirtschaftsgeschichte des Altertums I, 322; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt I, 65 ff. 19 Zu den Handelsbeziehungen mit den griechischen Städten in der heutigen Ukraine bzw. auf der Krim und in Südrussland vgl. HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, 66 f., OTTO, Kulturgeschichte des Altertums, 85 ff., ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt I, 82 ff. 20 Vgl. die von STICHTENOTH, Pytheas von Marseille: Über das Weltmeer, 43 ff. übersetzten und erläuterten Fragmente; Pytheas' Vordringen in den Ostseeraum wurde allerdings schon in hellenistischer und römischer Zeit stark in Zweifel gezogen. 21 Davon zeugen zahlreiche Funde etruskischer Metallwaren in Griechenland bzw. griechischer Keramik in Etrurien aus dieser Zeit, vgl. DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 48 29 ; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hei-

III. Die Rezeption des Seedarlehens

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Rom bzw. sein Hafen dürfte bald nach der Gründung Ostias (um 325 v.Chr.) 2 2 Anlaufpunkt einzelner griechischer Handelsschiffe gewesen sein, denn auf der Suche nach Profit konnten die griechischen Händler das entstehende Machtzentrum nicht übersehen. Als die Römer im ausgehenden 3. Jhdt. v. Chr. begannen, ihren politischen Einfluss in Griechenland zu verstärken, 23 entwickelte sich bald ein regelmäßiger Handelsverkehr zwischen Rom und der griechischen bzw. hellenischen Welt. Diese ersten Handelsbeziehungen zwischen Italien und Griechenland kamen allerdings während der punischen Kriege fast zum Erliegen. 24 Auch später erreichte der Handelsverkehr zwischen Rom und Griechenland zu keinem Zeitpunkt das Ausmaß des Handels mit Afrika, Ägypten, Gallien oder gar Spanien. Vielmehr beschränkten sich die römischen Inporte neben Marmor im Wesentlichen auf einige Luxusartikel (Honig, teure Weine und Stoffe), die in geringem Umfang gehandelt wurden 25 sowie Kunstgegenstände.26 Nach Griechenland exportiert wurden vorwiegend Nahrungsmittel und Produkte des Handwerks, so z.B. Wein, Töpfer- und Schmiedewaren. 27 Auch als Rom zur beherrschenden Macht des Altertums aufgestiegen war, verlor der Seehandel nicht seine überragende Bedeutung. Insbesondere das beeindruckende Straßennetz, mit dem die Römer ihr Reich überzogen, 28 brachte hier keine Veränderungen: Der Transport über Wasser und besonders über das

lenistischen Welt I, 94 ff; vgl. auch Ps.-Xenophon, Άθεναίων πολιτεία („Vom Staat der Athener") 2.7: ö τι έν Σικελία ήδύ ή έν Ιταλία ή έν Κύπρψ ή έν Αίγύπτω ή έν Λυδία ή έν τφ Πόντφ ή έν Πελοποννήσω ή άλλοθι που, ταύτα πάντα είς έν ήθτροισται δια την αρχήν της ταλλάτης („Alles, was es in Sizilien, Italien, auf Zypern, in Ägypten, Lydien, im Pontos oder sonstwo an Kostbarkeiten gibt, fließt hier zusammen, dank der Seeherrschaft"). 22 Vgl. CALZA, RE XVIII.2 (1942), s.v. Ostia, 1655 m.N.; MEIGGS, Roman Ostia, 16 ff.; ROUGÉ, La marine dans l'Antiquité, 178 ff. beschreibt neben der Entwicklung und Bedeutung von Ostia auch diejenige anderer Häfen des Römischen Reiches. 23 Mit dem Frieden von Phoinike (205 v. Chr.) erreichte Rom die Aufteilung Illyricums, besiegt im ersten Makedonischen Krieg (196 v. Chr.) Philipp V. und unterwarf nach dem Sieg bei Pydna Makedonien (168 v. Chr.), das 148 v. Chr. römische Provinz wurde; nach dem Bruch des archaischen Bundes und der Zerstörung Korinths durch die Römer (146 v. Chr.) wurde Südgriechenland der Provinz Macedonia angegliedert. 24 CHARLES WORTH, Trade-routes and commerce of the Roman Empire, 114 ff, ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt II, 602 ff. 25 VON FREYBERG, Kapitalverkehr und Handel im römischen Kaiserreich, 48. 26 Vgl. den Überblick über die unterwasserarchäologischen Funde bei CASSON, Die Seefahrer der Antike, 299 ff. 27 CASSON, Die Seefahrer der Antike, 357 m.N. 28 Ohnehin wurden die Straßen der Römer aus militärischen und politischen Gründen, nicht aber aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen gebaut; vgl. DUNCAN-JONES, The Economy of the Roman Empire, 367 ff.; FINLEY, Die antike Wirtschaft, 150 ff.; FRENCH, The Roman Road-System of Asia Minor, in: ANRW II 7.2, 698 ff.; RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 13 f.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

Meer war wesentlich schneller als derjenige auf dem Landweg mit Ochsen- oder Eselskarren: 29 In der Regel lief ein antikes Handelsschiff etwa 4 bis 6 Knoten, bei günstigen Winden sogar bis zu 8 Knoten. 30 Die Route Puteoli-Alexandria (ca. 1 000 sm) dauerte somit selbst bei schwachen Winden nur 9 Tage, wie Plinius d.Ä. berichtet. 31 Bei gutem Wind 3 2 gelangte man innerhalb von 6 Tagen aus der Straße von Messina nach Ägypten. Auch für die Fahrt von Cadiz nach Ostia (ca. 950 sm) gibt Plinius eine Reisedauer von nur 7 Tagen an, 33 wobei zu berücksichtigen ist, dass die Handelsschifffahrt nicht ausschließlich auf die Küstengebiete beschränkt war: Hochseefahrten sind seit dem 5. Jhdt. v. Chr. belegt. 34 Darüber hinaus war der Seetransport auch wesentlich preiswerter: Anhand der Bestimmungen des im Jahre 301 n. Chr. von Kaiser Diocletian erlassenen Höchstpreisediktes lässt sich für den Anfang des 4. Jhdts. n. Chr. ein Verhältnis von 1 :4,9 : 34-42 zwischen den Kosten für den Seetransport, den Transport auf Binnengewässern und den Landtransport ermitteln. 35 Diese Relation kann, da wesentliche Veränderungen in Bezug auf die Transportmethoden nicht festzustellen sind, als für die gesamte Antike verbindlich angesehen werden. Es war somit billiger, Getreide per Schiff von Alexandria nach Rom bzw. Ostia (ca. 1 100 sm = ca. 2 020 km) zu transportieren, als eine vergleichbare Menge auf dem Landweg aus einem ca. 150 km entfernten italischen Anbaugebiet nach Rom zu bringen. 36 Auch aus diesen Gründen war der Handel des Altertums untrennbar mit der Seefahrt verbunden.

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Einen guten Eindruck von der Reisedauer auf den gängigen Seerouten der Antike vermitteln die tabellarischen Übersichten der in den Quellen enthaltenen Angaben bei CASSON, Speed under Sail of Ancient Ships, in: TAPhA 82 (1951) 136 ff., ROUGÉ, Recherches sur Γ organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 101 ff. und VIERECK, Die römische Flotte, 125. 30 Vgl. KÖSTER, Das antike Seewesen, 177 ff.; KROLL, RE II A.l (1921), s.v. Schifffahrt, 410 ff.; DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 154. 31 Naturalis historiae, 19.4. 32 Die je nach Route unterschiedlich günstigen Windverhältnisse spielten eine große Rolle bei der Berechnung der voraussichtlichen Reisedauer, vgl. CASSON, Ships and Seamanship in the Ancient World, 281 ff.; RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 13 ff., 128 ff.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 31 ff. 33 Naturalis historiae, 19.3 f. 34 Zahlreiche Nachweise bei KROLL, RE II A.l (1921), s.v. Schiffahrt, 410 f., HÖCKMANN 161 ff. und ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 81 ff. 35 Vgl. DUNCAN-JONES, The Economy of the Roman Empire, 366 ff., der im Übrigen ein ähnliches Verhältnis in England noch für das 18. Jhdt. nachweist. 36 Zu den Transportkosten im Seehandel vgl. auch VON FREYBERG, Kapitalverkehr und Handel im römischen Kaiserreich, 60 ff.; HÖBENREICH 74 84 ; DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 150 f.; RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome,

III. Die Rezeption des Seedarlehens

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2. Das römische Bedürfnis nach einem Seedarlehen In dem Umfang, in dem Rom seit dem 3. Jhdt. v. Chr. begann, seinen Machtbereich über Italien hinaus zu erweitern, erlangte auch der Seehandel immer größere Bedeutung für die Römer. 37 Einen deutlichen Aufschwung verzeichnete der römische Handel nach den Siegen über Karthago, was sich auch im institutionellen und rechtlichen Bereich bemerkbar machte: Die neue Magistratur des praetor peregrinus wurde eingerichtet (242 v. Chr.) und die Römer entwickelten - als Voraussetzung für die angestrebte Ausweitung der Handelsbeziehungen - das denationalisierte ius gentium, indem sie im Rechtsverkehr mit Fremden auf den strengen Formalismus des ius civile verzichteten, wodurch ein allgemeines Verkehrsrecht entstand.38 Was in den Provinzen Sizilien, Sardinien, Spanien, Gallien und Afrika erwirtschaftet wurde, konnte meist nur auf dem Seeweg nach Rom bzw. Italien gelangen.39 Rom, das ursprünglich ein reiner Bauernstaat gewesen war und insbesondere seinen Bedarf an Getreide aus der Produktion des bereits früh eroberten Italien zu decken vermochte, 40 wandte sich nun verstärkt dem Seehandel zu, 41 um vor allem Getreide aus den Provinzen Sicilia, Sardinia und Africa zu importieren. Bereits im 2. Jhdt. v. Chr. erfolgte die Getreideversorgung größten-

13 ff.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 370 f. 37 Interesse für die Angelegenheiten des Seehandels hatten die Römer schon in der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. bewiesen, als sie Kolonien in Küstenstädten wie Antium und Tarracina gründeten, vgl. Livius, Ab urbe condita, 8.14.8, 8.21.11, 9.20.10; Vellerns 1.14.4. Auch der zweite römisch-karthagische Vertrag von 348 v. Chr. zeugt von dem aufkommenden Interesse Roms für den Seehandel, vgl. CASSON, Die Seefahrer der Antike, 253 ff.; FRANK, An economic survey of ancient Rome I, 35 ff; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 1781 m.w.N. 38 Vgl. DULCKEIT/SCHWARZ/WALDSTEIN, Römische Rechtsgeschichte, 147 ff. 39 Spätestens nach dem zweiten punischen Krieg (218 bis 201 v. Chr.) war Rom zur führenden Handelsmacht des Westens aufgestiegen; es begann nun, seinen Einfluss zügig nach Osten auszudehnen und sich für die Angelegenheiten der hellenistischen Königreiche zu interessieren. 40 Vgl. Tacitus, Annales, 12.43. Weitere Quellenangaben bei GARNSEY, Famine and food supply in the Graeco-Roman world, 178 ff, DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 48,146 ff. und RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 28 ff. 41 CASSON, Die Seefahrer der Antike, 299 ff; VON FREYBERG, Kapitalverkehr und Handel im römischen Kaiserreich, 43 f.; HÖBENREICH 89144; von der Belebung des Seehandels im westlichen Mittelmeer zeugt auch die für die Zeit ab dem dem 2. Jhdt. v. Chr. stark ansteigende Anzahl datierter antiker Schiffswracks, vgl. die Übersicht über die meeresarchäologischen Forschungsergebnisse bei PARKER, Ancient Shipwrecks of the Mediterranean & the Roman Provinces, 8 ff.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

teils über See.42 Die Nahrungsmittelversorgung der schnell wachsenden Hauptstadt war anders nicht mehr zu gewährleisten. Offensichtlich wurde diese Entwicklung zunächst ausschließlich durch die Bedürfiiisse des Marktes gesteuert; staatliche Regelungen oder Schutzmaßnahmen, wie es sie in Athen schon früh gab, 43 fehlten zunächst. Dies änderte sich erst 230 v. Chr. als der Senat Maßnahmen zum Schutz der seit jeher von den illyrischen Piraten bedrohten Handelsschifffahrt ergriff und zwei Gesandte nach Illyrien entsandte.44 Während es ursprünglich nur um die Einfiihr von Verbrauchsgütern und Nahrungsmitteln aller Art, Sklaven und Vieh ging, so kam mit steigendem Wohlstand auch das Interesse der wohlhabenden Oberschicht nach Luxusgütern aus den eroberten Gebieten und fremden Ländern hinzu; die Produkte Italiens genügten den gesteigerten Ansprüchen nicht mehr. 45 Auch bestanden jetzt gute Absatzmöglichkeiten für italische Produkte, darunter besonders Wein und Olivenöl, Metallwaren und Keramik. 46 Der gewöhnliche Handel war mit den Instrumenten des römischen ius civile gut zu bewerkstelligen gewesen; für den komplizierten und vielschichtigen Seehandel aber fehlten geeignete Rechtsinstitute. Insbesondere war das zinslose, also unentgeltliche, römische Darlehen (mutuum) nicht geeignet, im Seehandel eine dem δάνειον ναυτικόν vergleichbare Funktion zu erfüllen: Zinsen mussten gegebenenfalls gesondert stipuliert werden, wobei es allerdings die strengen römischen Zinsbeschränkungen zu beachten galt. 47 Des Weiteren kannte auch

42

Vgl. Cicero, pro lege Manilia, 34, der die Provinzen Sicilia, Sardinia und Africa als frumentaria subsidia rei publicae bezeichnet; verderbliche Nahrungsmittel bezog man aber weiterhin überwiegend aus den italischen Anbaugebieten, vgl. HÖBENREICH 51 125 m.w.N.; RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 1 ff. 43 Vgl. ο. 165 ff. 44 Polibius 2.8.1 ff. 45 Begehrt waren Glas waren aus Syrien, Statuen, Honig, teure Weine und Stoffe aus Griechenland, Edel- und Halbedelsteine aus Ägypten sowie Zitronenholz, farbige Stoffe, Früchte, Marmor, Elfenbein und Edelsteine aus dem übrigen nördlichen Afrika, vgl. VON FREYBERG, Kapital verkehr und Handel im römischen Kaiserreich, 45 ff. m.N., MEYER-TERMEER, Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht, 147. 46 Einen guten Eindruck von den Handelsströmen vermitteln DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 356 ff., R. DREXHAGE, Untersuchungen zum römischen Osthandel, 3 ff., FRANK, An economic survey of ancient Rome, Vol. I: Rome and Italy of the republic, 352 ff. und VON FREYBERG, Kapitalverkehr und Handel im römischen Kaiserreich, 39 ff.; zu den Seehandelswegen im römischen Reich vgl. ROUGÉ, La marine dans l'Antiquité, 199 ff. 47 Seit dem Ende der Republik galten die centesimae usurae, d.h. monatlich 1 %= 12 % p.a., als zulässiger Höchstsatz für sichere Anlagen, vgl. Plutarch, Lucullus, 20.3; Cicero, epistulae ad Atticum, 5.21.13; dazu BILLETER 115 ff., HONSELL/MAYERMALY/SELB, Römisches Recht, 241 ff., KÄSER, RP 1496 ff.

III. Die Rezeption des Seedarlehens

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das römische Recht den Versicherungsvertrag nicht. 48 Mit dem griechischen See- bzw. Seehandelsrecht war man jedoch - aufgrund der frühen Handelskontakte - auch in Italien vertraut. Einzelne Händler und Geldgeber dürften sich zur Finanzierung und Absicherung ihrer Seehandelsunternehmungen spätestens seit der Mitte des 3. Jhdts. v. Chr. des griechischen Seedarlehens bedient haben. 49 Für das 2. Jhdt. v. Chr. wird man bereits von gewohnheitsmäßiger Übung sprechen können. Der römische Gesetzgeber war pragmatisch genug, die Bedürfnisse des besonders im 2. Jhdt. v. Chr. aufblühenden römischen Seehandels aufzugreifen und das Seedarlehen für das eigene Recht anzuerkennen. Die Aufgabe der römischen Juristen bestand lediglich darin, das Seedarlehen an die Besonderheiten des eigenen Rechtssystems anzupassen.50 Wann dieser Prozess abgeschlossen war, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Schon Cato d.Ä. (234 -149 v. Chr.) nutzte das Rechtsgeschäft zur Mehrung seines Vermögen und die komplizierte, auf Vermeidung von Verlusten gerichtete Ausgestaltung der Verträge lässt vermuten, dass die Römer in der ersten Hälfte des 2. Jhdt. v. Chr. mit dem Rechtsinstitut bereits bestens vertraut waren. 51 Zu Lebzeiten Ciceros (106-43 48

Dies ist, genauso wie für das griechische Recht (vgl. o. 74 f.), allgemein anerkannt, vgl. nur ANKUM, Quelques observations sur le prêt maritime dans le droit romain préclassique et classique, 105 ff.; KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2202; LITEWSKI 120; VISKY 391. 49

Zu beweisen ist diese Vermutung freilich nicht; sie gründet sich lediglich auf die Wahrscheinlichkeit, dass der aufkeimende römische Seehandel zunächst von wagemutigen aber kapitalschwachen Händlern betrieben wurde, die auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für ihre Handelsunternehmungen nicht gezögert haben dürften, ein Seedarlehen aufzunehmen, zumal dieser Weg der Geldbeschaffung in den griechischen Häfen bzw. Kolonien in Italien, mit deren Eroberung die Römer am Anfang des 3. Jhdts. v. Chr. begonnen hatten, ohnehin die übliche Vorgehensweise war. ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 60 und KRAMPE, DNP IV (1998), s.v. Fenus nauticum, 471 nehmen dagegen an, die Römer hätten das Seedarlehen erst im 2. Jhdt. v. Chr. übernommen; DAUVILLIER, Recherches sur un contrat caravanier babylonien et sur les origins du prêt à la grosse aventure dans Γ Antiquité grecque, 379 und HUVELIN, Études d'histoire du droit commercial Romain, 215 vermuten, die Einführung der wichtigsten Institutionen des griechischen Seehandelsrechts könne ein Verdienst des Juristen Servius Sulpicius (gest. 43 v. Chr.) und seiner Schule sein, da die ältesten juristischen Texte über das Seedarlehen von Servius Sulpicius stammen, vgl. Ulp. D. 22.2.8: Servius ait ...; hierbei wird jedoch übersehen, dass das vereinzelte Eindringen fremder Rechtsinstitute in der Antike regelmäßig über die Praxis erfolgte. Auch im internationalen Handelsverkehr der Antike müssen es die Händler gewesen sein, die als erste Kenntnis von demfremden Rechtsinstitut erlangten und es bald auch zu eigenen Zwecken gebrauchten. Die Annahme einer „Einführung" des Rechtsinstitutes durch die römischen Juristen ist dagegen unrealistisch. 50 ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 64; BISCARDI, Introduction à l'étude des pratiques commerciales dans l'histoire des droits de l'Antiquité, in: RIDA 29 (1982) 40; KUPISZEWSKI 377. 51 Vgl. Plutarch, Cato maior, 21.5 ff.; zu dieser komplizierten und umstrittenen Stelle vgl. VON LOBTOW, Catos Seedarlehen, 103 ff. und PURPURA, Ricerche in tema di prestito

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

v. Chr.) war die Rezeption längst vollendet und das Seedarlehen Bestandteil des für römische Bürger und Peregrine gleichermaßen geltenden ius gentium geworden. 52 So kommt denn auch angesichts der Ausführungen des Servius Sulpicius (gest. 43 v. Chr.), der nach unserer Kenntnis der erste römische Jurist war, der sich mit dem Seedarlehen beschäftigt hat, nicht der geringste Verdacht auf, dass die besonderen Regeln, denen das Seedarlehen folgt, irgendeiner Erklärung bedurft hätten.53

3. Einordnung in das römische Kontraktsystem Es ist nicht auszuschließen, dass sich den römischen Juristen, die sich mit dem aus dem griechischen Recht stammenden Rechtsinstitut zu beschäftigen hatten, zunächst die Frage nach der Rechtsnatur des Geschäftes aufdrängte. Vermutlich wurde anfangs auch problematisiert, ob und inwiefern sich die freie Bestimmbarkeit der Zinsen beim Seedarlehen mit den strengen römischen Zinsvorschriften, insbesondere aber mit dem Umstand, dass das Darlehen des römischen Rechts (mutuum) ein zinsloses Kreditgeschäft war, vereinbaren ließ. Vor allem letzteres mag auf den ersten Blick einer Klassifizierung als Darlehensgeschäft entgegengestanden haben. Allerdings scheint die Einordnung des Rechtsinstituts in das römische Kontraktsystem letztlich keine größeren Schwierigkeiten bereitet zu haben. Ansonsten würden sich entsprechende Aussagen in den römischen Gesetzestexten finden. 54 In den Digesten wird die Rechtsnatur des Seedarlehens nicht problematimarittimo, 235 ff. m.w.N.; wenn sich Cato in der Vorrede seiner Schrift 'De agricultura' mit Nachdruck gegen die Vereinbarung von Wucherzinsen wendet, so kommt darin keineswegs widersprüchliches Verhalten zum Ausdruck. In den hohen Zinssätzen beim Seedarlehen lag der Ausgleich der Risikoübernahme, das Rechtsgeschäft galt daher nicht als wucherisch, und den Handel als solchen wiederum empfand Cato nicht als unehrenhaft, vgl. VON LÜBTOW 112 ff. 52 DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 152; KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2200 f.; LITEWSKI 117 f. 53 Der republikanische Jurist beschäftigte sich mit der Frage des Verfalls einer Vertragsstrafe bei Annahmeverzug des Gläubigers, wie wir in Ulp. D. 22.2.8 erfahren: Servius ait pecuniae traiecticiae poenam peti non posse; vgl. auch Paul. D. 14.2.2 pr., wo Bezug auf eine Stellungnahme des Aulus Ofilius (1. Jhdt. v. Chr.) genommen wird. 54 Eine die Rechtsnatur des römischen Seedarlehens erwähnende Definition ist weder in den justinianischen Kodifikationen noch andernorts überliefert. D. 22.2.1: Traiecticia ea pecunia est quae trans mare vehitur: ceterum si eodem loci consumatur, non erit traiecticia („Das Geld, das über See transportiert wird, heißt [pecunia] traiecticia; anderenfalls, wenn es am selben Ort verbraucht wird, wird es nicht [pecunia] traiecticia heißen") enthält zwar mehr als eine bloße etymologische Erklärung des Begriffs pecunia traiecticia (in diesem Sinn aber BISCARDI, La struttura classica del fenus nauticum, 345 ff., KUPISZEWSKI, Sul prestito marittimo nel diritto romano classico, 37828 und PRINGSHEIM, Der Kauf mit fremdem Geld, 143), nicht aber einen Hinweis auf die

III. Die Rezeption des Seedarlehens

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siert. Nichts spricht dafür, dass der aus dem griechischen Recht bekannte Darlehenscharakter des Geschäftes in Frage gestellt wurde. Vielmehr ist an verschiedenen Stellen in den Digesten und im Codex beim Seedarlehen von mutuum dare bzw. accipere die Rede. 55 Bereits der Sprachgebrauch in den Quellen deutet also daraufhin, dass das Seedarlehen auch im römischen Recht als Darlehen angesehen wurde. 56 Dennoch wurde in der rechtshistorischen Forschung des 19. Jhdts. die Meinung vertreten, die römischen Juristen hätten das Seedarlehen als so genannten Innominatvertrag behandelt.57 Dagegen spricht bereits die Tatsache, dass die Vorläufer der Innominatverträge, die actiones in factum, 58 erst in klassischer Zeit auftraten. Die Innominatverträge selbst finden sich erst im nachklassischen Recht.59 Das Seedarlehen dagegen war den römischen Juristen schon wesentlich früher bekannt und durch seinen Namen hinreichend individualisiert. Auch enthalten die Quellen keinerlei Hinweise auf eine Einreihung in die Innominatverträge durch die Kompilatoren. 60 Vielmehr wurde das Seedarlehen von den römischen Juristen entsprechend seiner Grundnatur als ein besonderes, ausnahmsweise verzinsliches Darlehen (mutuum) verstanden und als solches in das römische Kontraktsystem eingeordnet. 61 Es kam dementsprechend durch die formlose Hingabe der DarlehensRechtsnatur des Seedarlehens, vgl. LITEWSKI 122; DE MARTINO, Sul foenus nauticum, 228 f. 55 Vgl. Paul. D. 22.2.6: Foeneratur pecuniam usuris maritimis mutuam dando ; Scaev. D. 45.1.122.1: Callimachus mutuam pecuniam nauticam accepit a Sticho Servo Seii\ C. 4.33.5: Traiecticiae quidem pecuniae, quaepericulo creditoris mutuo datur. 56 Auch die Stellung des Seedarlehens in den Digesten, das von den Kompilatoren hinter dem Titel De usuribus et fructibus, nicht aber beim mutuum eingeordnet wurde, fuhrt zu keinem anderen Ergebnis. Schon die Stellung der Fragmente in den Werken der Juristen zeigt nämlich, dass der Grund für die Beschäftigung mit dem Seedarlehen seit jeher vorwiegend Probleme in Bezug auf die Zinsen waren, vgl. die Übersicht bei LITEWSKI 182 f. 57

KLEINSCHMIDT 38 ff., SIEVEKING 31 ff.; auch SAVIGNY, System des heutigen römi-

schen Rechts VI, 13 l m äußert den Verdacht, es könne sich beim fenus nauticum um einen Innominatvertrag nach dem Prinzip do ut des handeln; vgl. auch J.G. GOLDSCHMIDT, De nautico foenore, 29 ff., 71 ff. 58 D. 19.5; zu den actiones in factum vgl. zunächst KÄSER, RP I 580 ff. und umfassend GRÖSCHLER, Actiones in factum, 11 ff; zu den Innominatverträgen RP II, 419 ff., HONSELITMAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, 340 ff. m.w.N. 59 HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, 343; mit der Anerkennung der Inomminatverträge ging die Auflösung des klassischen Kontraktsystems einher, wenngleich von Vertragsfreiheit im heutigen Sinne noch nicht die Rede sein kann. 60 BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 139 ff., DE MARTINO, Sul foenus nauticum, 235, HUSCHKE 221, LITEWSKI 151. 61

ANKUM, Tabula Pompeiana 13: ein Seefrachtvertrag oder ein Seedarlehen?, 171; BISCARDI, »Pecunia traiecticia* e ,stipulatio poenae', in: Labeo 24 (1978) 277; HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, 299; HUVEUN 204 f.; KÄSER, RP I

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

summe in das Eigentum des Schuldners zustande,62 wenn sich die Parteien zuvor auf die Übernahme der Seegefahr (periculum maris) durch den Gläubiger geeinigt hatten.

IV. Das Wesen des fenus nauticum Das fenus nauticum entspricht in seiner Grundstruktur dem δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikón): Gegen Zahlung beträchtlicher Zinsen übernahm der Darlehensgeber die Seegefahr (periculum maris), 63 d.h. vor allem das Risiko des Untergangs (naufragium), 64 des Seeraubs65 und des Seewurfs 66. Die Gefahrübernahme war auch im römischen Recht wesentlich.67 Entscheidend für die Zahlungsverpflichtung des Schuldners war, wie auch im antiken griechischen Recht, die glückliche Ankunft der Waren (merces); gingen die Waren in Realisierung der Seegefahr verloren, so war der Vertragstreue Schuldner nicht zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet. Auch das fenus nauticum erfüllte so-

532 f.; KNÜTEL, Stipulatio poena, 39; KRAMPE, DNP IV (1998), s.v. Fenus nauticum, 471 f.; KUPISZEWSKI 373 ff.; LITEWSKI 137 ff.; DE MARTINO, Sul foenus nauticum, 217 ff.; VISKY 395 f. 62

Auf eine formlose datio pecuniae deuten die Formulierungen in Ulp. D. 13.4.2.8: quid enim si traiecticiam pecuniam dederit, Scaev. D. 22.2.5 pr.: recepturus sis quod dederis, Paul. D. 22.2.6: sed cum traiecticia pecunia ita datu, D. 22.2.7: nam si dedero decern traiecticia, C. 4.33.2: Traiecticiam pecuniam, quae (...) datur, C. 4.33.3: Cum dicaspecuniam (...) dedisse und C. 4.33.4: te nauticam fenus (...) dedisse . 63 Vgl. nur C. 4.32.2: Traiecticiam pecuniam, quae periculo créditons datur.; eine Übersicht über die Seegefahren in römischer Zeit bei VISKY 39310. 64 Vgl. Paul. D. 22.2.6; Scaev. D. 45.1.122.1; C. 4.33.4, 5. 65 Die Bedrohung der Handelsschifffahrt durch Seeräuber konnte im ersten 1. Jhdt. v. Chr. durch den Sieg des Pompeius über die Piraten vorübergehend gebannt werden, vgl. Plutarch, Pompeius, 24 ff.; zur Bedrohung der römischen Handelsschifffahrt durch Seeräuber vgl. ALONSO-NÜNEZ, D N P X I (2001), s.v. Seeraub, 331 f., CASSON, Die See-

fahrer der Antike, 317 ff. und KROLL, RE II A.l (1921), s.v. Seeraub, 1039 f. 66 Beim Seewurf galt die ebenfalls aus dem griechischen Rechtskreis rezipierte so genannte lex Rhodia de iure iactu, vgl. D. 14.2 (de lege Rhodia de iactu); dazu ASHBURNER, Νόμος 'Ροδίων ναυτικός. The Rhodian Sea-law, 1 ff., ATKINSON, Rome and the 'Rhodian Sea-Law', in: IVRA 25 (1974) 46 ff., HONSELL, Die Kontributionen nach der lex Rhodia de iactu, 141 ff., KÄSER, RP I 57294, KRELLER, Lex Rhodia, in: ZHR 85 (1921) 257 ff, ROUGÉ, Recherches sur Γ organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 397 ff., DE SAINTE CRODC 57 f. 67 So die ganz h.M., vgl. nur ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 61 f.; BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 119 ff.; KLEINSCHMIDT 23; KLINGMÜLLER, RE V I . 2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2202 f.; KÄSER, RP I 532 f.; KRAMPE, D N P I V

(1998), s.v. Fenus nauticum, 471; VON LÜBTOW, Catos Seedarlehen, 106; PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 194, 278 ff; anderer Meinung sind DE MARTINO,

Sul foenus nauticum, 226 f f , KUPISZEWSKI 3 7 8 2 9 und LITEWSKI 128 ff.

IV. Das Wesen des fenus nauticum

189

mit eine versicherungsähnliche Funktion. 68 Für andere Unfälle, die nicht im Zusammenhang mit der Seefahrt standen - Feuersbrünste, Verderb der Waren etc. - sowie für solche Verluste, die durch das Verschulden (culpa) des Händlers herbeigeführt wurden, so z.B. beim Abweichen von der vertraglich vereinbarten Reiseroute oder dem Kauf von Waren, deren Einfuhr untersagt war (was zur Beschlagnahme durch denfis eus führte! 69 ), haftete der Darlehensgeber nicht. Vermutlich angesichts der Herbststürme - bzw. weil die Seefahrt in den Wintermonaten ruhte 70 - war es üblich, die Gefahrübernahme zeitlich zu begrenzen, indem man einen bestimmten Tag (dies praestitutus) als Ende der Haftung vereinbarte. 71 So beträgt beispielsweise die Laufzeit, innerhalb derer der Darlehensgeber die Seegefahr übernimmt, bei dem Seedarlehen des Callimachus 200 Tage. 72 Danach ging das Risiko eines Verlustes auf den Darlehensnehmer über, auch wenn er den Hafen noch nicht erreicht hatte, d.h. der Untergang des Schiffes befreite den Händler nun nicht mehr von seinen Verbindlichkeiten. Um die Einhaltung der Vertragsbestimmungen zu überwachen, sandte der Darlehensgeber üblicherweise einen Sklaven mit auf die Reise. Dieser hatte auch das Kapital in Empfang zu nehmen, falls der Ausgangshafen nicht zugleich der Endpunkt der Handelsreise war. 73 Die strengen römischen Zinsbeschränkungen galten beim Seedarlehen nicht, denn auch die Römer verstanden die Seezinsen (usurae maritimae) als Risikoprämie, als Äquivalent für die Übernahme der Seegefahr durch den Gläubiger (pretium periculi). 14 Erst Justinian hat den Zinssatz im Jahre 528 auf 12 % p.a. beschränkt, 75 was allerdings als deutlich zu niedrig empfunden wurde. Als sich 68 Vgl. nur ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 105 ff., KÄSER, RP I 536, KRAMPE, DNP IV (1998), s.v. Fenus nauticum, 472 und KUPISZEWSKI 376. 69 Vgl. C. 4.33.4; Ulp. D. 13.4.2.8. 70 Dazu o. 71 f. 71 Vgl. Pap. D. 22.2.4; Paul. D. 22.2.6; Ulp. D. 22.2.8; Scaev. D. 45.1.122.1; VON LÜBTOW, Das Seedarlehen des Callimachus, 335; PURPURA, Ricerche in tema di prestito

marittimo, 278 ff.; SIEVEKING 33; VISKY 392. 72

Vgl. Scaev. D. 45.1.122.1 : idque creditum est in omnes navigli dies duecentos. So Z.B. der in Scaev. D. 45.1.122.1 erwähnte Sklave Eros, der die Handelsgeschäfte des Callimachus überwachen soll; vgl. auch Paul. D. 22.2.6, 7; Afr. D. 44.7.23; C. 4.33.2; KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2204 f.; LITEWSKI 176; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 358 f. 74 Vgl. nur PS. 2.14.3: Traiecticia pecunia propter periculum créditons, quamdiu navigai navis, infinitas usuras recipere potest', Pap. D. 22.2.4 pr., C. 4.32.26.2, C. 4.33.2, 3. Die unbeschränkte Höhe der Zinsen steht in diesen Texten stets im Zusammenhang mit dem periculum creditoris\ vgl. auch VON LÜBTOW, Das Seedarlehen des Callimachus, 33429 m.w.N. 75 Vgl. C. 4.32.26.2; ANKUM, Minima de Tabula Pompeiana 13, 282 ff.; KÄSER, RP II 282 ff.; KLEINSCHMIDT 27 ff.; KLINGMÜLLER, Streitfragen aus der römischen Zinsgesetzgebung, in: SZ 23 (1902) 76 ff.; KRAMPE, DNP IV (1998), s.v. Fenus nauticum, 73

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

die Umgehungsversuche häuften, machte der Kaiser im September 540 mit Nov. 106 zunächst Zugeständnisse an die Geldverleiher, um dann aber wenige Monate später zu verfügen, dass es bei dem Höchstsatz von 12 % p.a. bleiben sollte. 76 Vereinbart wurde, wie auch beim griechischen Seedarlehen, die Zahlung eines festen Betrages. 77 Angaben zur Höhe des Zinssatzes in voijustinianischer Zeit fehlen in den Quellen, aber es ist zu vermuten, dass die Berechnung der Zinsen nach den gleichen Kriterien wie im griechischen Seehandel erfolgte, und die Höhe in etwa derjenigen beim δάνειον ναυτικόν entsprach. 78 Die Zinsvereinbarung erfolgte in der Regel in einem gesonderten Vertrag, wobei man sich der Stipulation bediente. 79 Offen bleibt, ob die Zinsabrede auch ohne Stipulation verbindlich war. 80 Auch die allgemein übliche Vertragsstrafe für den Fall verspäteter Rückzahlung (poena pecuniae traiecticiae)* 1 wurde durch Stipulation bekräftigt. 82 Mit der Zeit wurde es beim fenus nauticum üblich, für die vertraglichen Verpflich-

472; LITEWSKI 152 f f ; DE SAINTE CROIX 55 f.; SPITTA 31 f f ; dagegen vermuten JHERING,

Das angebliche geschichtliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, in: Jher. Jahrb. IX (1881) 2 ff., MATTHIASS 29 ff., PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 316 ff. zu Unrecht, dass sich die Regelung nur auf die Verzugszinsen bezieht: Auch wenn der Höchstsatz von 12% p.a. niedrig erscheinen mag, so ist er vor dem Hintergrund der christlichen Abneigung gegen Zinsen nicht unrealistisch, vgl. BIONDI, Il Diritto Romano Christiano III, 243 ff. 76 Nov. 106 wurde im April 541 durch Nov. 110 aufgehoben; wahrscheinlich folgte diese erneute Kehrtwende der Erkenntnis, dass nur günstige Zinsen zu einer Belebung des Seehandels führen würden; vgl. auch LITEWSKI 157, DE SAINTE CROIX 56. 77 ANKUM, Minima de Tabula Pompeiana 13, 282, GRÖSCHLER, Die tabellaeUrkunden aus den pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunden, 16146, PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 220 ff., SIEVEKING 38 f.; a.Α. BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 10 f. 78 Zu den Zinssätzen beim δάνειον ναυτικόν vgl. ο. 81 ff. 79 Vgl. nur KRAMPE, D N P I V (1998), s.v. Fenus nauticum, 472, LITEWSKI 165 und VISKY 394.

80

Trotz der unergiebigen Quellenlage bejahen dies z.B. ANKUM, Tabula pompeiana 13: ein Seefrachtvertag oder ein Seedarlehen?, 171 f., BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 139, HUVELIN, Études d'histoire du droit commercial Romain, 209, MATTHIASS 33 und SIEVEKING 35 f f ; ablehnend dagegen LITEWSKI 165 ff. und ROUGÉ, Recherches sur

l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 358. 81 Vgl. Lab. D. 22.2.9: Si traiecticiae pecuniae poena (utisolet) promissa est. 82 Die Üblichkeit einer stipulatio poena folgt aus mehreren Fragmenten der Digesten,

vgl. nur Ulp. Lab. D. 22.2.8 f.; Afr. D . 44.7.23; KÄSER, RP I 5 3 2 3 5 ; KRAMPE, D N P I V

(1998), s.v. Fenus nauticum, 472; DE SAINTE CRODC 55; zu den Vertragsstrafen vgl. auch

KNÜTEL, Stipulatio poenae, 39 ff; LITEWSKI 174 ff.; SIBER, Interpellate und mora, in: SZ 29 (1908) 95 ff.; VISKY 399 ff.

IV. Das Wesen des fenus nauticum

191

tungen als solche die Stipulationsform zu wählen. 83 Auch bei dem Seedarlehen des Callimachus handelt es sich um ein solches Stipulationsdarlehen: D. 45.1.122.1, Scaev. libro vicensimo octavo digestorum: ... eaque sic recte dari fieri fide roganti Sticho servo Lucii Titii promisit Callimachus. ... und Callimachus versprach dem fragenden Stichus, einem Sklaven des Lucius Titius,84 bei seiner Treue, dass dies so rechtmäßig gegeben werde und geschehe [sc. die Verpflichtungen aus der im Fragment vorausgehenden conventio ordnungsgemäß erfüllt werden]. Der Grund für die Verwendung der Stipulation lag vor allem im Beweiswert der Urkunde (cautio, scriptum), in der die Stipulation festgehalten wurde und deren Erstellung bereits in republikanischer Zeit üblich geworden war. 85 Die Hinzuziehung von Zeugen war in diesem Fall überflüssig, was wiederum den Erfordernissen des Handels nach schneller Geschäftsabwicklung entgegegenkam. Ob die Verwendung des kreditierten Geldes wie beim δάνειον ναυτικόν grundsätzlich im Ermessen des Händlers stand, ist äußerst zweifelhaft. 86 Dafür spricht lediglich das Vorbild des griechischen Seedarlehens, bei dem die Darlehensvaluta nicht nur für den Einkauf von Waren, sondern - vorbehaltlich einer anderslautenden Vereinbarung - auch für die Reparatur des Schiffes, 87 die Beschaffung von Proviant etc. verwendet werden konnte. 88 Dagegen spricht jedoch, dass die römischen Quellen insofern keinerlei Hinweise enthalten; im Üb-

83

Dies entsprach den Gepflogenheiten beim gewöhnlichen Darlehen (mutuum), vgl.

KÄSER, RP 532, KLEINSCHMIDT 51, KNÜTEL, Stipulatio poenae, 40, KRAMPE, D N P I V (1998), s.v. Fenus nauticum, 472, KUPISZEWSKI 373 ff., LITEWSKI 137 ff., VON LÜBTOW,

Das Seedarlehen des Callimachus, 334 f.; dagegen findet die von BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 22 ff., 35 f., 173 f., 179 f., 196. vertretene Ansicht, das Seedarlehen sei bis in die Zeit der spätklassischen Juristen hauptsächlich in Form einer (selbstständigen) stipulatio poena, also als Strafversprechen für den Fall eines Verstoßes gegen die Vertragsbestimmungen, abgeschlossen worden, findet in den Quellen keine Bestätigung, vgl. insofern KNÜTEL, Stipulatio poenae, 4 0 3 8 , KUPISZEWSKI 370 ff., LITEWSKI 142 f f ,

DE MARTINO, Novissimo Digesto Italiano VII (1961), s.v. Foenus nauticum, 424, ders., Suiractio pecuniae traiecticiae, in: Rivista del diritto della navigazione 15 (1943-1949)

25 f., VISKY 398 f. 84

Der Sklave kann die Stipulation mit unmittelbarer Wirkung für seinen Herrn ab-

schließen, vgl. Ulp. D. 45.1.38.17. 85

Zur Schriftform beim römischen Seedarlehen vgl. PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 230 ff. 86 Bejahend z.B. JHERING, Das angebliche geschichtliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, in: Jher. Jahrb. IX (1881) 7, MATTHIASS 14 ff., HUVELIN, Études d'histoire du droit commercial Romain, 197, ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 351 und VISKY 394. 87 Wenn die Quellen von einem Kredit zur Reparatur eines Schiffes sprechen, geht es um ein gewöhnliches Darlehen (mutuum), vgl. Ulp. D. 14.1.1.9 ff., Afr. D. 14.1.7. 88 Vgl. o. 45 ff.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

rigen lässt die Definition des Modestin, die den Bestimmungen über das fenus nauticum vorangestellt ist, einen engen Verwendungsbegriff erkennen. D. 22.2.1, Mod. libro decimo pandectarum: traiecticia ea pecunia est quae trans mare vehitur: ceterum si eodem loci consumator, non erit traiecticia. Das Geld, das über See transportiert wird, heißt [pecunia] traiecticia; anderenfalls, wenn es am selben Ort verbraucht wird, wird es nicht [pecunia] traiecticia heißen. Der Terminus pecunia traiecticia verdeutlicht, dass das Geld bzw. die damit gekauften Waren über See transportiert werden mussten.89 Deshalb war es dem Darlehensnehmer verwehrt, zunächst von seinem eigenen Geld Waren zu erwerben, um dann anschließend - im Hinblick auf die versicherungsähnliche Funktion - ein Seedarlehen aufzunehmen und sich so vom Transportrisiko zu befreien, wie dies beim griechischen Seedarlehen möglich war. Nicht ohne Grund haben die Kompilatoren das von Modestin stammende Fragment, das die Grenzen des Rechtsinstituts aufzeigt, im 6. Jhdt. an den Anfang des Titels de nautico fenore (D. 22.2) gesetzt. Es ist daher davon auszugehen, dass das Seedarlehen im römischen Seehandel ausschließlich der Beschaffung von Waren diente.90 Dass sich daran auch im Laufe der Zeit nichts geändert hat, wird nicht zuletzt durch das westliche Vulgarrecht bestätigt: interpr. ad PS. 2.14.3: Traiecticia pecunia dicitur, quae in navi, ut ad transmarina deferatur, deponitur... pecunia traiecticia wird genannt, was auf ein Schiff verladen wird, um über das Meer transportiert zu werden... Die Beschränkung auf den Kauf von Waren beim römischen Seedarlehen entspricht dem Gegensatz zwischen dem wenig formalistischen, vom Grundsatz der Vertragsfreiheit geprägten griechischen Recht und dem durch strenge Formvorschriften und den nummerus clausus der Vertragstypen geprägten klassischen römischen Recht. Möglicherweise verwendeten die Römer das Seedarlehen zunächst nur für die Finanzierung von Import-, nicht aber von Exportgeschäften: Die Bezeichnung pecunia traiecticia könnte ein Hinweis darauf sein, dass das römische Seedarlehen urspünglich nur dem Einkauf von Waren (merces comparata) im Ausland diente, nachdem es zuvor über das Meer „gefahren" war. Erst später erwarben die Händler dann auch für die Hinfahrt Waren, um diese während der Seereise zu verkaufen, und es finden sich auch in den römischen Quellen - wie 89 Vgl. nur ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 61; KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2201 f.; SIEVEKING 34. 90 Vgl. nur ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 60; KLEINSCHMIDT 13;

KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2201 f.; LITEWSKI 123; SIEVEKING 34; SPITTA 10 ff.; VISKY 390.

I V . Das Wesen des fenus nauticum

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schon in der griechischen Antike - sowohl Seedarlehen für eine einfache Reise (δάνειον έτερόπλουν) als auch für die Hin- und Rückfahrt (δάνειον άμφοτερόπλουν). Der Seedarlehensvertrag, den der Kaufmann Callimachus abgeschlossen hat, enthält sogar eine Kombination beider Möglichkeiten: Zwar ist das Seedarlehen grundsätzlich für die Hin- und Rückfahrt geschlossen, aber Callimachus hat Brindisi nach Maßgabe der conventio vor dem 13. September wieder zu verlassen, um die in Italien beschafften Waren nach Beirut zu transportieren; anderenfalls verwandelt sich das Geschäft in ein Seedarlehen für eine einfache Reise.91 Callimachus hat sich für diesen Fall nicht nur verpflichtet, Kapital und Zinsen schon am 14. September in Brindisi an den Sklaven Eros zu übergeben, sondern er trägt auch die Unkosten, die dem Geldgeber durch den Transport des Geldes nach Rom entstehen.92 Bei planmäßigem Verlauf der Handelsreise blieb dem Darlehensnehmer vermutlich auch im römischen Handelsverkehr regelmäßig eine bestimmte Frist, innerhalb derer er seine Verbindlichkeiten zu begleichen hatte. Zwar enthält der Seedarlehensvertrag des Callimachus keine derartige Fristbestimmung, aber in Nov. 106 wird die bereits aus der Lakritos-Urkunde bekannte Frist von 20 Tagen nach dem Einlaufen in den Bestimmungshafen erwähnt. Möglicherweise handelte es sich bei dieser Frist um einen Handelsbrauch des römischen Seehandels, was auch erklären würde, warum beim Seedarlehen des Callimachus eine entsprechende Vereinbarung anscheinend entbehrlich war. Über die beim römischen Seedarlehen gebräuchlichen Sicherungsrechte enthalten die Quellen nur unzureichende Informationen. Wiederholt werden pignora vel hypothecae erwähnt, 93 so dass die Üblichkeit von Sicherungsvereinbarungen beimfenus nauticum als sicher gilt. Auch hier ist das Sicherungsrecht allerdings - wie schon beim δάνειον ναυτικόν (dàneion nautikon) 94 - kein wesentlicher Vertragsbestandteil. 95 Ebenso wenig entstand dem Gläubiger ohne weiteres ein Pfandrecht an den von dem kreditierten Geld gekauften Waren, denn dem römischen Recht ist der Surrogationsgedanke fremd. 96 Dementsprechend musste sowohl die Haftung der im Ausgangshafen verladenen Waren, als auch die Haftung der Rückfracht ausdrücklich vereinbart werden, falls der 91

Vgl. BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 78 ff.; KRAMPE, Der Seedarlehensstreit des Callimachus, 209; VON LÜBTOW, Das Seedarlehen des Callimachus, 335. 92 Vgl. Scaev. D. 45.1.122.2. 93 Ulp. D. 4.9.1.7; Ulp. D. 13.4.2.8; Pap. D. 22.2.4. pr., Paul. D. 22.2.6; Scaev. D. 45.1.122.1. 94 Vgl. o. 104 ff. 95 MATTHIASS 41, HUVELIN, Études d'histoire du droit commercial Romain, 212, KLINGMÜLLER, RE V I . 2 (1909), s.v. Fenus nauticum, 2205, SPITTA 41 ff.; a.A. PURPURA,

Ricerche in tema di prestito marittimo, 230 („caratteristiche della garanzia del prestito marittimo romano") und J.G. GOLDSCHMIDT, De nautico foenore, 51. 96 Zum Surrogationsgedanken beim griechischen Seedarlehen vgl. ο. 90 ff.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

Geldgeber entsprechende Sicherheiten verlangte. 97 Ein spezielles Pfandrecht, wie die zunächst ausschließlich beim Seedarlehen gebräuchliche Hypotheke des griechischen Rechts, kannten die Römer beim fenus nauticum nicht. Die in den Quellen auftauchenden Termini pignus und hypotheca sind - zumindest beim Seedarlehen - gleichbedeutend:98 Sie bezeichnen jeweils ein besitzloses Pfandrecht. 99 Kam der Händler seinen Zahlungsverpflichtungen nicht rechtzeitig nach, so war der Gläubiger schon in der römischen Republik zum Verkauf des Pfandes berechtigt und konnte den Ausgleich des Mindererlöses ebenso verlangen, wie er zur Herausgabe eines etwaigen Überschusses (superfluum) verpflichtet war. 100 Im Übrigen galten die Vorschriften über das Pfand bei einer bedingten Forderung. 101 Regelmäßig hafteten dem Geldgeber auch beim fenus nauticum die verschifften Waren als Sicherheit, 102 grundsätzlich aber konnte der Händler jede beliebige ihm gehörige Sache verpfänden, so z.B. auch auf anderen Schiffen transportierte Waren 103 oder das Schiff, falls der Händler Eigentümer desselben war. 104 Anstelle einer dinglichen Sicherheit kamen, anders als beim griechischen Seedarlehen, möglicherweise auch persönliche Sicherheiten wie die Bürgschaft in Betracht. 105

97 Vgl. Scaev. D. 45.1.122.1: sub pignoribus vel hypothecis mersibus a Beryto comparotis et Brentesium perferendis et quas Brentesio empturus esset et per navem Bery invectus („unter Verpfändung der von Beirut nach Brindisi zu transportierenden Waren und derjenigen, die in Brindisi zu kaufen und nach Beirut zu bringen sind"). 98 Vgl. Marci. D. 20.1.5.1: Inter pignus autem et hypothecam tantum nominis sonus differì; in diesem Sinne auch VON LÜBTOW, Das Seedarlehen des Callimachus, 337 f. 99 Dies ergibt sich schon daraus, dass die verpfändeten Waren noch beschafft werden müssen; zur ungenauen Abgrenzung von pignus und hypotheca in den Quellen KÄSER, RP 1463. 100 Das Verkaufsrecht trat im Laufe der römischen Republik an die Stelle des Verfalls, Einzelheiten bei SCHANBACHER, DNP IX (2000), s.v. pignus, 1011 mit Quellenangaben. 101 Marci. D. 20.1.13.5. 102 Vgl. Paul. D. 22.2.6, Scaev. D. 45.1.122.1; ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 63, KLEINSCHMIDT 30 f., KLINGMÜLLER, RE VI.2 (1909), s.v. Fenus nauti-

cum, 2205, KUPISZEWSKI 373 ff., LITEWSKI 169 ff. 103 Die Verpfändung von Waren, die auf anderen Schiffen transportiert werden, wird in Paul. D. 22.2.6 erwähnt: Paulus stellt klar, dass der Gläubiger diese Waren nicht für sich beanspruchen kann, nachdem das in der conventio für die Handelsreise bezeichnete Schiff gesunken ist. 104 Die Digesten enthalten insofern keinen Hinweis, wohl aber P. Vindob. G 19 792 (dazu o. 156). 105 So in TPSulp. 78 Camodeca (früher TP 13), wenn man der Lesart von ANKUM, Minima de tabula Pompeiana 13, 284 ff. folgt: Ein römischer Bürger soll sich demnach als fideiussor für die Schuld des Menelaos verbürgt haben; vgl. auch LITEWSKI 173 f. und PURPURA, Ricerche in tema di prestito marittimo, 286.

V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben

195

Angaben über den prozessualen Schutz des fenus nauticum finden sich in den Quellen nicht. Anscheinend gab es keine eigene Klage zum Schutz des Seedarlehens.106 Lediglich in Scaev. D. 45.1.122.1 wird eine actio ex stipulatu im Zusammenhang mit dem in Form einer Stipulation geschlossenen Seedarlehen des Callimachus erwähnt. Wahrscheinlich spielte die actio ex stipulatu schon deshalb eine bedeutende Rolle, weil die Verwendung der Stipulation beim Seedarlehen mit der Zeit allgemein üblich wurde. Fehlte eine Stipulation, so kam vermutlich - entsprechend der Einordnung des Seedarlehens als mutuum 1 0 7 - eine auf die gesamte Verbindlichkeit gerichtete actio certae creditae pecuniae in Betracht. 108

V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben Der römische Seehandel war wesentlich komplexer als der griechische. Das Imperium Romanum bot einen Markt von bisher unbekanntem Ausmaß, mit einer einheitlichen Währung und weitestgehend einheitlichen Gesetzen. Der Hang zu Luxus und Verschwendung, der die Oberschicht im Höhepunkt römischer Macht ergriff, 109 schuf Absatzchancen für immer exotischere Produkte. Kein Handelsweg schien daher zu weit, kein Risiko zu groß, um die Bedürfiiisse des Marktes zu befriedigen, denn die zu erzielenden Gewinne waren ohne Beispiel in der Geschichte der Antike. Das Seedarlehen verlor seine Funktion nicht dadurch, dass sich die römischen Navicularii seit dem Beginn des 2. Jhdts. v. Chr. zu örtlichen Vereinigungen (collegia naviculariorum) uo zusammenschlossen, die der Wahrung ihrer 106

LITEWSKI 182; a.A. BISCARDI, Actio pecuniae traiecticiae, 22 ff. der eine actio ex poena pecuniae traiecticiae vorschlägt, für deren Existenz sich in den Quellen allerdings keinerlei Anhaltspunkte finden. 107 Dazu o. 186 f. 108 Dies vermuten auch LITEWSKI 176 ff. und VISKY 396 109 Vgl. nur Plinius d.Ä., Naturalis historiae, 12.84, der die Verschwendungssucht seiner Zeitgenossen kritisiert: 100 Millionen Sesterzen, vermutlich eine Übertreibung, verliere das Reich jährlich für Luxusgüter (u.a. Frauen!) aus Indien, dem Land der Serer und von der arabischen Halbinsel. 110 Vgl. Gai. D. 3.4.1: Item collegia Romae certa sunt (...) veluti (...) naviculariorum („ebenso gibt es in Rom bestimmte Vereinigungen ... wie ... die der navicularii"). Zu den im römischen Rechtsalltag häufigen Zusammenschlüssen von Personen aus religiösen, beruflichen oder sozialen Gründen vgl. AUSBÜTTEL, Untersuchungen zu den Vereinen im Westen des Römischen Reiches, 16 ff, HERZ, DNP III (1997), s.v. Collegium, 67 ff. sowie grundlegend WALTZING, Étude historique sur les corporations professionelles chez les Romains I - I V ; zu den collegia naviculariorum vgl. GRAEBER, Untersuchungen zum römischen Korporationenwesen, 56 ff., ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 430 ff, STOECKLE, RE XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1903 ff. m.w.N.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

beruflichen Interessen dienten: 111 Die grundsätzlich denkbare Haftung des gesamten Kollegiums für auf See erlittene Verluste einzelner Mitglieder war nicht vorgesehen. Als sich der Staat aber seit dem 1. Jhdt. v. Chr. angesichts des enormen Nahrungsmittelbedarfs der Stadt Rom gezwungen sah, lenkend in den Seehandel einzugreifen, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, übernahm er auch das mit der Nahrungsmittelbeschaffung verbundene Transportrisiko. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Bedeutung des Seedarlehens: Falls ein Händler im Dienst der staatlichen Lebensmittelversorgung Waren transportierte, war der Abschluss eines Seedarlehensvertrages nicht mehr erforderlich.

1. Der römische Seehandel Zunächst glich die Organisation des römischen Seehandels im Wesentlichen derjenigen in den griechischen bzw. hellenistischen Staaten: Einzelne Großund Fernhändler betrieben auf eigenes Risiko den Seehandel und fuhren auf der Suche nach günstigen Einkaufs- bzw. Verkaufsmöglichkeiten von Hafen zu Hafen. 112 Später gab es einen regelrechten Linienverkehr auf festen Routen zwischen den größeren Hafenstädten des Imperiums, und es entwickelte sich auf diesen Verbindungen auch ein reger Personenverkehr. 113 Die römischen Händler wurden als mercatores bzw. negotiatores 114 oder - sofern sie Eigentümer (dominus navis) U5 eines Schiffes waren oder ein solches vom Eigentümer ge-

111

ANDREAU, D N P X I (2001), s.v. Seedarlehen, 321.

112

Vgl. FRANK, An economic survey of ancient Rome I: Rome and Italy of the republic, 357; HÖBENREICH 88 ff.; RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 125; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt I, 129 ff. 113

Vgl. Ulp. D. 14.1.1.12; CASSON, Die Seefahrer der Antike, 373 ff.; FRANK, A n e-

conomic history of Rome, 303; HÖCKMANN 87 ff.; ROST, Seewesen und Seehandel in der Antike, 21 f.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 84 ff. 114 Mercator diente in der römischen Geschäftswelt schon früh als Bezeichnung für den Großhändler, wohingegen der Begriff negotiator diese Bedeutung erst in augusteischer Zeit erhielt; seitdem diente er zur Bezeichnung von Händlern, die sich auf bestimmte Waren spezialisiert hatten und deren Geschäfte verglichen mit denen der mercatores bedeutender waren, vgl. ANDREAU, DNP VIII (2000), s.v. Negotiator, 784; D'ARMS, Commerce and Social Standing in Ancient Rome, 24 ff.; KNEIßL, Mercator negotiator, 73 ff. 115

Vgl. Ulp. D. 14.1.1.15, Paul. D. 39.4.11.2; zum dominus navis vgl. ROUGÉ, Re-

cherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 258 ff. m.w.N.

V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben

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chartert hatten - als navicularii bezeichnet. 116 Wie schon im antiken Griechenland befanden sich an Bord eines Schiffes zumeist mehrere Händler. 117 Die mercatores bzw. negotiatores mussten, ebenso wie die Emporoi der griechischen Antike, vor dem Antritt ihrer Handelsreise einen Frachtvertrag über die Beförderung ihrer Handelswaren abschließen.118 Der Handelsstand genoss auch in Rom kein hohes Ansehen, insbesondere wurde den Händlern vorgeworfen, durch ihr Gewinnstreben die Preise in die Höhe zu treiben. 119 Der Handel mit Waren war in der Oberschicht verpönt und lange Zeit galt die Landwirtschaft als die einzig ehrenhafte Betätigung. 120 Den Senatoren war es seit der lex Claudia de nave senatorum aus dem Jahre 218 v. Chr. sogar verboten, Eigentum an einem seegängigen Schiff zu erwerben. 121 Händler und Kaufleute gehörten daher überwiegend niedrigen sozialen Schichten an. 122

116

Vgl. Ulp. D. 14.1.1.15: Exercitorem [Anm.: exercitor und navicularius sind synonym, vgl. nur Ulp. D. 4.9.1.3, wo beide Bezeichnungen gleichbedeutend verwendet werden] autem eum dicimus, ad quem obventiones et reditus omnes perveniunt, sive is dominus navis sit sive a domino navem per aversionem conduxit vel ad tempus vel in perpetuum (,Als Exercitor/Navicularius aber bezeichnen wir denjenigen, dem alle Gewinne zufallen, mag er selbst Eigentümer des Schiffes sein oder es vom Eigentümer für einen Pauschalpreis gechartert haben, sei es für eine bestimmte Zeit oder auf Dauer"); zu den navicularii vgl. ANDREAU, DNP VIII (2000), s.v. Navicularius, 762 ff.; D'ARMS, Commerce and Social Standing in Ancient Rome, 3 ff.; FÖLDI, Die Entwicklung der sich auf den Schiffer beziehenden Terminologie im römischen Recht, in: TR 63 (1995) 1 ff; ROUGÉ, Recherches sur Γ organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 233 f., 239 ff. 117 Vgl. nur Paul. D. 14.2.2.2: Cum in eadem nave varia mercium genera complures mercatores coegissent („Auf jenem Schiff transportierte eine größere Zahl von Händlern die verschiedensten Waren"). 118 Zum Seefrachtvertrag im römischen Recht vgl. BENKE, Zum Eigentumserwerb des Unternehmers bei der „locatio conductio irregularis", in: SZ 104 (1987) 154 ff., HÖBENREICH 84 ff. und JAKAB, Vectura pro mutua: Überlegungen zu TP 13 und Ulp. D. 19,2,15,61, in: SZ 117 (2000) 254 ff. 119 Vgl. Plinius d.Ä., Naturalis historiae, 18.225 f., der verächtlich von den habsüchtigen Händlern (negotiatores avari) spricht. 120 Vgl. nur Cicero, De officiis, 1.151. 121 Vgl. Livius, Ab urbe condita, 21.63.3 f.; HÖBENREICH 292 vermutet, dass die lex Claudia noch in severischer Zeit in Kraft war. 122 D'ARMS, Commerce and Social Standing in Ancient Rome, 3 ff. und HÖBENREICH 288 ff. mit zahlreichen Quellenangaben. Die Herkunft der Händler spielte dagegen eine untergeordnete Rolle: Neben Ausländem betätigten sich auch zahlreiche römische Bürger im Handel, vgl. Cicero, epistulae ad Atticum, 2.16.4: universae Asiae et negotiatoribus. Weitere Nachweise bei DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 156 ff.; zur Herkunft der Händler vgl. ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 295 ff.

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2. Teil: Das römische Seedarlehen

Nur die Groß- und Fernhändler stiegen im Laufe der Zeit zu angesehenen Mitgliedern der Gesellschaft auf, 123 sicherlich nicht zuletzt aufgrund der beträchtlichen Gewinne, die sich auch im römischen Seehandel erzielen ließen. 124 Sogar Senatoren engagierten sich im Fernhandel, entweder indem sie Gewaltunterworfene bzw. Sklaven als Strohmänner einsetzten, oder aber durch die Finanzierung fremder Handelsunternehmungen. 125 Ein vermögender Navicularius konnte es sich dann leisten, einen Schiffsführer (magister navis) anzustellen, der an seiner Stelle zur See fuhr. 126 Der magister navis war in der Regel mit der umfassenden Wahrnehmung der Geschäfte betraut. 127

2. Die staatliche Lebensmittelversorgung der Stadt Rom Die landwirtschaftliche Produktion Italiens reichte schon im 2. Jhdt. v. Chr. nicht mehr aus, um die Bedürfnisse der Metropole zu decken. 128 Von der Befriedigung des Bedarfs an Grundnahrungsmitteln hing jedoch der soziale Friede

123 Bereits Cicero, de officiis, 1.151 bezeichnet den Kleinhandel als schmutzig, den Groß- und Femhandel dagegen beurteilt er weniger streng, wenngleich er an anderer Stelle vor dem Profitstreben der seefahrenden Händler warnt (in Verrem 2.4.8; ad familiäres, 16.9.4). Zu der sich langsam wandelnden Haltung in der antiken Literatur vgl. D'ARMS, Commerce and Social Standing in Ancient Rome, 24 ff, HÖBENREICH 293 ff., STOECKLE, RE XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1911 f. 124 H.-J. DREXHAGE, DNP V (1998), s.v. Handel, 121, D'ARMS, Commerce and Social Standing in Ancient Rome, 8 f., CASSON, Die Seefahrer der Antike, 353, JOSHEL, Work, Identity and Legal Status at Rome, 78 ff; über die Gewinne der Händler lassen sich allenfalls Vermutungen anstellen, denn Kalkulationen sind nicht überliefert, insbesondere der Handel mit Luxuswaren muss aber beträchtliche Gewinne abgeworfen haben, wohingegen der römische Getreidehandel aufgrund der vom Staat auf niedrigem Niveau festgeschriebenen Getreidepreise (vgl. Tacitus, Annales, 2.87) nur mäßigen Ertrag brachte. 125 Vgl. D'ARMS, Senators' Involvement in Commerce in the Late Republic, 77 ff; HÖBENREICH 295 ff. m.w.N.; vereinzelte honestiores betätigten sich sogar persönlich im Handel, vgl. nur Tacitus, Annales, 1.53; 4.13.3. 126 Vgl. CTh. 13.5.7; Ulp. D. 14.1.1.1: Magistrum navis accipere debemus, cui totius navis cura mandata est ("Unter einem [navigatorischen] Schiffsführer müssen wir denjenigen verstehen, dem die Verantwortung für das ganze Schiff übertragen ist"). FRANK, An economic history of ancient Rome, 303 sieht hierin ein Charakteristikum des römischen Seehandels; vgl. auch MEYER-TERMEER, Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht, 151 ff, RICKMAN, The com supply of ancient Rome, 124, ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 234 ff. 127 Vgl. Ulp. D. 14.1.1.3. 128 Vgl. o. 183.

V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben

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in der Millionenstadt ab, 1 2 9 weshalb der Staat seit den Gracchen damit beschäftigt war, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln - vor allem Getreide, 130 Olivenöl, Pökelfleisch und die bei den Römern als Würzmittel beliebte Fischsoße garum - zu organisieren. Zu diesem Zweck wurde 22 v. Chr. eine eigene Behörde, die Annona, geschaffen. 131 Da Rom nicht über eine staatliche Han132

delsflotte verfügte, musste sich die Annona freiwilliger navicularii [qui annonae urbis servimi 133] bedienen, die sich im Rahmen eines Seefrachtvertrages zum Transport der als Steuern eingezogenen, beschlagnahmten oder in den Provinzen aufgekauften Nahrungsmittel nach Rom verpflichteten. Im Rahmen dieses Vertrages, einer locaüo conductio operis, haftete der Navicularius spätestens seit dem Dominât nur noch für Vorsatz (dolus) und Verschulden (culpa), d.h. grundsätzlich trug nun der Staat als locator operis die Gefahr des Untergangs der verschifften Ware. 134

129 Immer wieder kam es bei Getreideknappheit zu gewalttätigen Ausschreitungen der aufgebrachten Bevölkerung. So berichtet z.B. Cassius Dio, Historia Romana, 36.34 von wütender plebs, die im Jahre 67 v. Chr. wohl auch vor der Ermordung der verantwortlichen Senatoren nicht zurückgeschreckt hätte, wenn sie ihrer habhaft geworden wäre. Auch im Jahr 22 v. Chr. kam es zu schweren Unruhen, vgl. Cassius Dio, Historia Romana, 54.1. Zum Grundnahrungsmittelbedarf der in den ersten drei Jahrhunderten ungefähr eine Million Einwohner zählenden Metropole vgl. GARNSEY, Famine and food supply in the Graeco-Roman world, 167 ff., HÖBENREICH 48 ff. m.w.N. 130 GARNSEY, Grain for Rome, 118 ff. und RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 17 gehen von einem Jahresbedarf von ca. 40 Mio. modii (ungefähr 280 000 t) Weizen für die Zeit des Prinzipats aus, was angesichts der Ladekapazität eines Standardschiffes am Ende des 2. Jhdts. v. Chr. (50 000 modii/cia. 350 t, vgl. Scaev. D. 50.5.3; D'ARMS, Commerce and Social Standing in Ancient Rome, 8 33 m.w.N.), ungefähr 800 Schiffsladungen entspräche. Da jedoch auch kleinere Schiffe mit einer Ladekapazität ab 10 000 modii (70 - 80 t) zum Getreidetransport verwendet wurden, dürften es wesentlich mehr gewesen sein. Zur Ladekapazität römischer Handelsschiffe vgl. auch VIERECK, Die römische Flotte, 121 ff. 131 SIRKS, Qui annonae urbis serviunt, 16. Von der staatlichen Getreideversorgung (cura annonae) bzw. der seit der lex Clodia frumentaria (58 v. Chr.) kostenlosen Getreideverteilung an die plebs urbana in Rom berichtet z.B. Livius, Ab urbe condita, 2.9; 10.11; 30.26.6. BRUNT, Italian Manpower, 376 ff. schätzt die Zahl der Kornempfänger im 1. Jhdt. v. Chr. auf 320 000; erst C.J. Caesar soll die Obergrenze auf 150 000 festgesetzt haben, vgl. Cassius Dio, Historia Romana, 43.21.4, Plutarch, Caesar, 55.3. 132 Vgl. DUNCAN-JONES, The Economy of the Roman Empire, 17; GARNSEY, Famine and food supply in the Graeco-Roman world, 233; RICKMAN, The corn supply of ancient Rome, 129 f.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 265 ff. 133 Vgl. Call. D. 50.6.6.3. 134 Vgl. Labeo D. 14.2.10.1, Ulp. D. 4.9.3.1 und 19.2.13.1; BRECHT, Zur Haftung der Schiffer im antiken Recht, 123 ff., VON LÜBTOW, Catos Seedarlehen, 10516, ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 357 ff., SIRKS, Food for Rome, 156 ff., STOECKLE, RE XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1903 ff.; inwiefern auch custodia geschuldet war, ist umstritten, vgl. BÜRGE, Der

200

2. Teil: Das römische Seedarlehen

Erstmals übernahm der Staat im zweiten punischen Krieg (218 - 201 v. Chr.) die Gefahr für Verluste infolge von Sturm oder Feindeinwirkung, um eine ausreichende Lebensmittelversorgung zu gewährleisten.135 Kaiser Claudius (41-54 n.Chr.) garantierte die Gefahrtragung des Staates als Anreiz für den Warentransport in der Zeit der Herbststürme. 136 Später wurde die staatliche Risikoübernahme bei höherer Gewalt im Rahmen eines mit der Annona abgeschlossenen Seefrachtvertrages dann zur Regel. Die Navicularii hafteten allerdings ausnahmsweise dann für Verluste, wenn ihnen insoweit Verschulden vorzuwerfen war: 137 Waren Verluste zu beklagen, so unterzog die Annona den verantwortlichen Schiffsführer seit dem 4. Jhdt. einem strengen Verhör, in dem er seine Unschuld zu beweisen hatte.138 Als Entgelt erhielten die navicularii einen Anteil der transportierten Waren (epimetron) m und einen Geldbetrag (vectura), dessen Höhe sich nach der Menge des transportierten Getreides richtete.140 Mit zahlreichen Privilegien, so z.B. der Befreiung von Steuern und Abgaben, versuchte man die Händler, die über ein Schiff verfügten, für den vergleichsweise wenig lukrativen staatlichen Lebensmitteltransport zu gewinnen. 141 Der Erfolg dieser Maßnahmen scheint jedoch nicht von Dauer gewesen zu sein. Seit dem 2. Jhdt. n. Chr. erfahren wir immer wieder von Fällen des Missbrauchs. 142 Um dem zu entgegnen und um die Lebensmittelversorgung durch bessere Kontrolle des Seehandels zu optimieren, verstärkte der Staat daher im 3. und 4. Jhdt. n. Chr. seinen Einfluss auf die navicularii. Die Mitgliedschaft in Witz im antiken Seefrachtvertrag, 3904: MEYER-TERMEER, Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht, 177 . 135 Vgl. Livius, Ab urbe condita, 23.49.1 f.; dazu BÜRGE, Der Witz im antiken Seefrachtvertrag, 392 f. 136 Vgl. Sueton, Divus Claudius, 18.1 ff. 137 Dazu HÖBENREICH 105216. 138 CTh. 13.9 (De naufragiis). 139 Der Anteil war abhängig von der Dauer der Seereise: Die alexandrinischen navicularii erhielten 4 % des Getreides, vgl. CTh. 13.5.7, die afrikanischen dagegen nur 1 %, vgl. CTh. 13.5.36, 13.9.3.2. 140 Vgl. CTh. 13.5.7: ac praetera per singula milia singulos solidus ("und dazu für je tausend [Scheffel transportierter Waren] einen einzigen Solidus"); unter Justinian, d.h. nachdem sich das System der Zwangsverbände auch im Ostteil des Reiches bereits zu lockern begann, wurde der Satz verzehnfacht, um neue Anreize zu schaffen, vgl. Iust. Edict. 13.8. 141 Neben der Befreiung von zahlreichen Abgaben bzw. munizipalen Lasten und Steuern (vgl. z.B. CTh. 13.5.7; Call. D. 50.6.6) wurde den Händlern z.B. die Befreiung von der lex Papia Poppaea, das ius trium liberorum für Frauen oder das römische Bürgerrecht für iunianische Latiner gewährt, vgl. Sueton, Divus Claudius, 18.2, 19, Gai. Inst. 1.32c. Die Steuerfreiheit galt sogar bei Transporten auf eigene Rechnung, vgl. CTh. 13.5.16, 24, C. 4.61.6. Zu den Privilegien vgl. auch ANDREAU, DNP VIII (2000), s.v. Navicularius, 763, HÖBENREICH 78 f f , SIRKS, Food for Rome, 45 ff., STOECKLE, RE

XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1927 ff, WALTZING, Étude historique sur les corporations professionelles chez les Romains II, 397 ff. 142 Vgl. GRAEBER, Untersuchungen zum spätrömischen Korporationenwesen, 60 ff.

V. Die Bedeutung des Seedarlehens im römischen Handelsleben

201

einem collegium war nun verpflichtend; 143 die Mitglieder der collegia waren zum Kauf bzw. Unterhalt geeigneter Schiffe und zu Transportleistungen für die Verwaltung bzw. denfiscus verpflichtet, 144 nach wie vor aber war ihnen nebenbei privater Handel gestattet.145 Dass die navicularii von dieser Möglichkeit regen Gebrauch machten, beweist nicht zuletzt die bunte Zusammenstellung der Ladung der zahlreichen antiken Handelsschiffswracks, die in den vergangenen Jahrzehnten im Mittelmeer entdeckt wurden. 146

143 Vgl. BRECHT, Zur Haftung der Schiffer im antiken Recht, 1263, STOECKLE, RE XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1916 f.; WALTZING, Étude historique sur les corporations professionelles chez les Romains II, 283 ff.; kritisch dagegen GRAEBER, Untersuchungen zum römischen Korporationenwesen, 45 ff, der eine Personenbindung ablehnt und davon ausgeht, dass es auch im 5. Jhdt. noch navicularii gab, die keinem collegium angehörten. 144 Schon seit Kaiser Diocletian (285 bis 305) wurde die Verpflichtung der navicularii zum Transport von Gütern als eine liturgische Aufgabe betrachtet, vgl. CTh. 13.5.3 (315 n. Chr.) oder CTh. 13.5.5 (326 n. Chr.), wo der Transport für die annona als navicularium munus bezeichnet wird; vgl. auch KORNEMANN, RE IV. 1 (1900), s.v. Collegi-

um, 451; DE MARTINO, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, 367 f.; MEYER-TERMEER,

Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht, 149; STOECKLE, RE XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1912 ff.; WALTZING, Étude historique sur les corporations professionelles chez les Romains II, 49. 145 Noch CTh. 13.5.24 vom 26. Mai 395 geht wie selbstverständlich davon aus: decernimus, ut nulla omnino exactio naviculariis ingeratur, cum sibi rem gerere probabuntur, sed a praestatione vectigalium habeantur inmunes ("Wir entscheiden, dass den Schiffsbesitzern [in staatlichen Diensten], die nachweislich auf eigene Rechnung Handel betreiben, überhaupt keine Auflage gemacht werden soll, sondern dass sie von der Belastung der Steuernfreigehalten werden mögen"); ebenso C. 4.61.6: exceptis naviculariis, cum sibi rem gerere probabuntur. Das in CTh. 13.8.1 vom 9. Januar 395 ausgesprochene Verbot, einem mit öffentlicher Fracht beladenen Schiff Privatfracht aufzubürden, richtet sich schon dem Wortlaut nach nicht an die Händler, die in staatlichem Auftrag Waren transportieren, was HÖBENREICH 89 151 zu übersehen scheint. Zum privaten Handel der navicularii in staatlichen Diensten vgl. auch GRAEBER, Untersuchungen zum spätrömischen Korporationenwesen, 73 197 ; KORNEMANN, RE IV.l (1900), s.v. Collegium, 445; RICKMAN, The Com Supply of Ancient Rome, 91, 126 f.; STOECKLE, RE XVI.2 (1935), s.v. Navicularii, 1911 u. 1913 f.; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 247; WALTZING, Étude historique sur les corporations professionelles chez les Romains II, 43 ff. m.w.N. 146 Vgl. die Zusammenfassung der Forschungsergebnisse bei PARKER, Shipwrecks and Ancient Trade in the Mediterranean, Archelogical Review from Cambridge 3 (1984) 102 ff. Regelmäßig finden sich in den Wracks Hinweise auf eine bunt zusammengestellte Ladung: Neben Amphoren zum Transport von Olivenöl, Wein, Fischsoße (garum), Oliven und Obst finden sich die Überreste von Keramikprodukten und Metwallwaren aber auch Steine, Rohre und Ziegel. Das Getreide, das sich mit Sicherheit regelmäßig ebenfalls an Bord befand, hat keine Spuren hinterlassen, da es in Säcken oder Binsenkörben transportiert wurde bzw. offen in das Schiff geschüttet wurde (vgl. Alf. D. 19.2.31).

202

2. Teil: Das römische Seedarlehen

3. Die Bedeutung des Seedarlehens in den Zeiten der staatlichen Lebensmittelversorgung Die Übernahme der Seegefahr durch den Staat bei Transporten für die Annona wirkte sich auch auf die Bedeutung des Seedarlehens aus. Während das δάνειον ναυτικόν (dâneion nautikon) untrennbar mit dem Getreideiiiport verbunden war, spielte das fenus nauticum auf diesem in der Antike so bedeutsamen Sektor nun keine Rolle mehr: Die Getreideladung wurde dem Navicularius von den Beamten der Annona übergeben. Für den Einkauf und die Bezahlung des Getreides war er nicht zuständig, weshalb das Seedarlehen hier nicht mehr erforderlich war, um Bargeld für den Einkauf von Waren zu erlangen. Darüber hinaus bestand auch keine Notwendigkei mehr, das Risiko eines unverschuldeten Verlustes durch Stürme, Untiefen, Seeraub etc. auf einen Darlehensgeber abzuwälzen, denn im Rahmen des Seefrachtvertrages trug der Staat als locator operis die Seegefahr. Ein Navicularius im Dienste der Annona musste die Aufnahme eines Seedarlehens daher nur dann in Betracht ziehen, wenn er nebenbei auch Geschäfte auf eigene Rechnung tätigte. Dass das Seedarlehen dennoch ein fester Bestandteil des römischen Handelslebens blieb, beweist nicht zuletzt die Aufnahme des fenus nauticum in die Digesten und die Tatsache, dass Justinian sich wiederholt mit den Zinsen beim Seedarlehen beschäftigt hat. 1 4 7 Zu bedenken ist auch, dass die mercatores bzw. negotiatores, d.h. die Händler, die über kein eigenes Schiff verfügten, bei ihren Handelsunternehmungen weiterhin zwingend auf das Seedarlehen angewiesen waren: Anderenfalls hätten sie das mit der Seefahrt verbundene Transportrisiko selbst tragen müssen, denn im Dienste der Annona standen nur die navicularii, die mit ihren Schiffen den Transport der Nahrungsmittel gewährleisteten. Als Darlehensnehmer kamen, wie schon beim griechischen Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes, einerseits Händler in Betracht, die nicht über genügend Eigenkapital oder Barvermögen verfügten, andererseits liquide Händler, bei denen die Übernahme der Seegefahr durch den Gläubiger ausschließlicher Grund für die Aufnahme eines Seedarlehens war. Die Ausdehnung der Zinsbeschränkung auf das Seedarlehen im Jahr 528 könnte allerdings die wirtschaftliche Grundlage des Seedarlehens nachhaltig gestört haben: Die Vergabe von Seedarlehen, die in Rom vorwiegend durch Bankiers erfolgte, 148 dürfte bei einem Zinssatz von 12 % p.a. angesichts der mit der Seefahrt verbundenen Gefahren kaum noch sicheren Gewinn versprochen ha147

Vgl. o. 189 f. Vgl. nur Scaev. D. 45.1.122.1: Stichus ist offensichtlich der Sklave eines römischen Bankiers; ANKUM, Observations sur le prêt maritime romain, 60; KUPISZEWSKI 368; ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 354 ff. 148

VI. Fortgeltung bis zum 13. Jahrhundert

203

ben. Es bleibt allerdings offen, ob die Zinsbeschränkungen im Geltungsbereich des Corpus Iuris tatsächlich zu einer Zurückhaltung bei der Vergabe von Seedarlehen führten.

VI. Fortgeltung bis zum 13. Jahrhundert 1. Kontinuität im gesamten Mittelmeerraum Mit dem Untergang des weströmischen Reiches bzw. der Eroberung Italiens durch die Langobarden (568 n.Chr.) verlagerte sich der Schwerpunkt des mediterranen Seehandels endgültig nach Byzanz, dessen Hauptstadt schon im 4. Jhdt. n.Chr. zur führenden Handelsmetropole des Mittelmeerraumes aufgestiegen war. 149 Im oströmischen Reich galten die justinianischen Gesetze, mithin auch die Bestimmungen über das Seedarlehen, ohne Unterbrechung bis zum Fall Konstantinopels (1453). 150 Die Basiliken, eine verkürzte Ausgabe des Corpus Iuris in griechischer Sprache, die um das Jahr 900 veröffentlicht wurden, behandeln das Seedarlehen im 53. Buch. 1 5 1 Auch die seit dem 5. Jhdt. entstandenen germanischen Volksgesetze, wie z.B. die lex Romana Visigothorum, das Edictum Theodorici oder die lex Romana Burgundiorum, erwähnen das Rechtsinstitut.152 Das Seedarlehen blieb also auch in den Gebieten des Mittelmeerraumes, die nun außerhalb des oströmischen Machtbereichs lagen, ohne Unterbrechung in Gebrauch. 153 Da die justinianischen Zinsbeschränkungen im Westen nicht durchdrangen, 154 verhießen Seedarlehensverträge den Geldgebern hier weiterhin guten Gewinn. Im Übrigen blieb die Seefahrt während des gesamten Mittelalters risikoreich, so dass das Seedarlehen seine Bedeutung als unverzichtbares Instrument des Seehandels nicht verlor. Es überrascht daher nicht, dass auch die bedeutenden Seerechte des Hochmittelalters - so z.B. das

149

m.w.N.

Zum Aufstieg von Byzanz vgl. nur CASSON, Die Seefahrer der Antike, 379 ff.

150 Zum Weiterleben des justinianischen Rechts vgl. MANTHE, Geschichte des römischen Rechts, 117 ff. 151 Vgl. Bas. 53.5 (SCHELTEMA, Basilicorum Libri LX, A VII, 2456 f.). 152 Vgl. die Quellenangaben bei L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 345; REHME, Die geschichtliche Entwicklung der Haftung des Reeders, 22; SCHRÖDER, Die Bodmerei, 239 153

MATTHIASS 59; DE SAINTE CRODC 58; SPITTA 54.

154

Vgl. nur die aus der ersten Hälfte des 11. Jhdts. stammenden exceptiones legum Romanarum des Petrus (abgedruckt bei PARDESSUS I, 137) 2.32: Sin autem detur mutuum, ut ultra mare portetur, vel in aliquam partem longinquam, potest praestare per duplum triplum ( = 33,33 %); L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 34551 m.w.N.; SCHRÖDER, Die Bodmerei, 242; SPITTA 47.

204

2. Teil: Das römische Seedarlehen

Pisaner Constitutum usus 155 von 1161, die Rôles d'Oléron 156 (12./13. Jhdt.) und die Marseiller Statuten 157 von 1253 bzw. 1255 - Bestimmungen über das Seedarlehen enthalten.

2. Modifikationen seit dem 12. Jahrhundert Für den Zeitraum vom 7. bis zum 11. Jhdt. fehlen praktische Beispiele aus dem westlichen Mitteimeeraum. Im florierenden genuesischen Seehandel des 12. Jhdts. ist das Seedarlehen jedoch allgegenwärtig: Die ungefähr 90 Seedarlehensurkunden, die der Genueser Notar Giovanni Scriba in den Jahren 1155 bis 1164 ausgefertigt hat, 158 lassen erkennen, dass das Seedarlehen noch in der Mitte des 12. Jhdts. weitgehend dem römischen fenus nauticum entsprach. Die komplizierten, ausgefeilten Vertragsbestimmungen beeindrucken auch hier, und wieder sind Zinssätze von 20 bis 33,3 % für eine Handelsreise die Regel. 159 Infolge des bereits zum Ende des 11. Jhdts. einsetzenden starken wirtschaftlichen Aufschwungs wandelten sich jedoch die Verhältnisse im Seehandel der norditalienischen und südfranzösischen Handelsmetropolen. 160 Immer öfter verlangte das Handelsleben nun nach Modifikationen, wobei sich das Seedarlehen als besonders anpassungsfähig erwies: 161 Über den Seedarlehensvertrag wurden jetzt auch Kreditkäufe abgewickelt, indem das Gelddarlehen durch ein Warendarlehen ersetzt wurde; desgleichen - wie schon in der griechischen Antike 1 6 2 -

155

Abgedruckt bei BONAINI, Statuti inediti della città di Pisa dal XII al XIV secolo II, 813 ff. 156 Abgedruckt bei PARDESSUS I, 323; vgl. auch KRIEGER, Ursprung und Wurzeln der Rôles d'Oléron, 123 ff.; hierbei handelt es sich um eine Spruchsammlung des Seegerichts der Insel Oléron, die 1407 - auf dem Umweg über das „Waterrecht" von Brügge als Vorlage für ein einheitliches Rechtsbuch der Hanse (heute fälschlicherweise als Visbysches Seerecht bezeichnet) diente, vgl. HERBER, Seehandelsrecht, 12, WAGNER, Zur Geschichte der Quellen des Visbyschen Seerechts, in: ZHR 27 (1882) 393 ff. 157

Abgedruckt bei PARDESSUS I V , 265 f.

158

Abgedruckt in den Historiae Patriae Monumenta, Liber Iurum Reipublicae Genuensis, Chartarum, Tomus II, Sp. 285 bis 989; vgl. auch HOOVER, The Sea Loan in Genoa in the Twelfth Century, in: The quarterly Journal of Economics 40 (1925/26) 495 ff., PERDKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 27 ff., DE SAINTE CRODC 58 und SCHRÖDER, Die Bodmerei, 240 ff. 159

Vgl. nur das Seedarlehen des Merio Guaracus vom 13. Juli 1160 (Sp. 667, Nr. 912): Xdenariorum Jenuensium, pro quibus dabo tibi XII den. Jen. ( = 20 %); Urkunde vom 10. September 1158 (Sp. 550, Nr. 708): de quatuor quinque ( = 25 %); Urkunde aus dem Jahre 1163 (Sp. 898, Nr. 1342): ad très quatuor ( = 33,33 %). 160 Vgl. nur PERDKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 18 ff. m.N. 161 NEHLSEN-VON STRYCK, Die venezianische Seeversicherung im 15. Jahrhundert, 10 f. 162 Vgl. o. 167.

VI. Fortgeltung bis zum 13. Jahrhundert

205

Wechselgeschäfte, indem man die Rückzahlung in anderer Währung vereinbarte. 163 Befreit von den Fesseln des formalistischen römischen Rechts stand die Ausgestaltung der Seedarlehensverträge nun wieder im Ermessen der Parteien, so dass sich schließlich auch erneut Seedarlehen finden, die offensichtlich ausschließlich zu Versicherungszwecken gewährt wurden. 164

3. Kirchenrechtliche Zinsbeschränkungen Lange Zeit war das Seedarlehen von den strengen Zinsvorschriften der Kirche ausgenommen.165 Vermutlich galt die Gefahrübernahme durch den Darlehensgeber als Leistung und somit als Grund, der eine Ausnahme vom allgemeinen kirchlichen Verbot, Geld gegen Zinsen zu verleihen, rechtfertigte. Erst eine zwischen 1227 und 1234 erlassene Dekretale Papst Gregors IX. erklärte auch denjenigen zum Wucherer, der Darlehen auf Seezins gewährte. 166 C. Naviganti X (de usuris) 5.19.19: naviganti vel eunti ad nundinas certam mutuans pecuniae quantitatem pro eo, quod suscipit in se periculum, recepturus aliquid ultra sortem, usurarius est censendus. Als Wucherer ist anzusehen, wer dem Seefahrenden oder demjenigen, der zum Markt fährt, eine bestimmte Geldsumme leiht und dafür, dass er die Gefahr übernimmt, mehr als das bloße Kapital zurückerhalten wird. Über die praktischen Auswirkungen dieser Dekretale auf die Seedarlehensgeschäfte herrscht jedoch Unklarheit. Möglicherweise war die päpstliche Verord-

163 Vgl. die eingehende Darstellung bei PERDIKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 27 ff; zu den Modifikationen des Seedarlehens seit dem 12. Jhdt. BISCARDI, Introduction à l'étude des pratiques commerciales dans l'histoire des droits de l'Antiquité, in: RIDA 29 (1982) 43 ff. und SPAGNESI, Aspetti dell'assicurazione medievale, 481 ff. 164 Nachweise bei MILLET, Maritime loans and the structure of credit in fourth century Athens, 44 und NEHLSEN-VON STRYCK, Die venezianische Seeversicherung im 15. Jahrhundert, 11. 165

166

DE SAINTE CRODC 58; VÉLISSAROPOULOS 302.

Vgl. nur L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 346, NOONAN, The

scholastic analysis of usury, 137, DE SAINTE CROIX 58, SCHRÖDER, Die Bodmerei, 24438 und SPITTA 93 ff.

Der tatsächliche Gehalt der Dekretale ist indes umstritten: So wird die Ansicht vertreten, die Dekretale habe hinsichtlich des Seedarlehens gerade eine Ausnahme statuiert, was jedoch infolge eines Übertragungsfehlers des Redaktors der Dekretalen nicht mehr deutlich hervortrete; die korrekte Lesart müsse daher usurarius non est censendus lauten, so z.B. MATTHIASS 56 ff. und NEUMANN, Geschichte des Wuchers in Deutschland, 17 ff.; auch ROUGÉ, Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Méditerranée sous l'Empire romain, 346 und VÉLISSAROPOULOS 302 145 sehen im Seedarlehen die einzige Erscheinungsform des Darlehens, die würdig erschien, den strengen kanonischen Zinsverboten zu entkommen.

206

2. Teil: Das römische Seedarlehen

nung der Anlass für die Entwicklung zahlreicher Umgehungsgeschäfte, mit denen die am Seehandel Beteiligten suchten, die für den Seehandel unabdingbaren wirtschaftlichen Funktionen des Seedarlehens zu sichern. 167 Vor allem die Entwicklungsgeschichte der Seeversicherung könnte hier ihren Ausgang genommen haben. 168 Jedenfalls konnte die Kirche mit ihrem Verbot nicht durchdringen, denn in der Praxis blieb das Seedarlehen neben der commenda 169 auch im 13. und 14. Jhdt. das wichtigste Spekulationsgeschäft im Seehandel, wie zahlreiche Urkunden beweisen. 170 Noch i m 18. Jhdt. wurde allerdings die Frage, ob das Seedarlehen im Hinblick auf das Wucherrecht, insbesondere die Dekretale 5.19.19, überhaupt erlaubt sei, auch von protestantischen Autoren, wie z.B. LOCCENIUS171, erörtert. Die „herrschende Meinung" indes bejahte die Zulässigkeit, und auch die Gesetze der katholischen Staaten normierten das Seedarlehen. 172 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Seedarlehen (bzw. die Bodmerei) später selbst im Kirchenstaat als zulässiges Rechtsgeschäft anerkannt war: Zwei Urteile der florentinischen Rota bzw. der Sacra Romana Rota aus dem 18. Jhdt. lassen erkennen, dass das Geschäft wegen der ungewissen Gefahren des Meeres nicht als wucherisch galt. 173

VIL Ausblick Bereits im 14. Jhdt. traten erste Seeversicherungen an die Stelle des Seedarlehens.174 Dennoch verlor das Seedarlehen seine Bedeutung nur hinsichtlich der Risikoübernahme: Wer zur Finanzierung einer Seehandelsreise einen Kredit benötigte, griff weiterhin auf das Seedarlehen zurück. Noch die Ordonnance touchant la marine Ludwigs X I V . von 1681 erwähnt unter den contrats maritimes (3. Buch, 5. Titel) mit dem „contrat à la grosse aventure" oder „à retour de vo-

167

168

HELM, H R G I (1971), s.v. Bodmerei, 468; DE SAINTE CRODC 5 8 6 5 m.w.N.

L. GOLDSCHMIDT, Zur Geschichte der Seeversicherung, 205 f.; HERBER, Seehan-

delsrecht, 417; DE SAINTE CROIX 58. 169

Hierbei handelt es sich um ein Rechtsgeschäft, bei dem die eine Partei (Kommendator) der anderen (Kommendatar) Waren zum Verkauf in einem fremden Hafen übergibt, wobei der Kommendator als Geschäftsherr die Gefahr des zufälligen Verlusts trägt, wohingegen der am Gewinn beteiligte Händler/Kommendatar für Vorsatz und Verschulden haftet; ausführlich dazu PERDIKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 55 ff. und REHME, Die geschichtliche Entwicklung der Haftung des Reeders, 29 ff. 170

Vgl. L. GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A , 3 4 6 5 3 .

171

De iure maritimo et navali libri 3, II, 6, Nr. 7. Vgl. die bei COING, Europäisches Privatrecht I, 553 angeführten Beispiele. Die Urteile sind abgedruckt bei BALDASSERONI, Opere legali 1,191 ff., 228 ff.

172 173 174

Vgl. nur NEHLSEN-VON STRYCK, Die venezianische Seeversicherung i m 15. Jahr-

hundert, 16; PERDIKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 68.

VII. Ausblick

207

yage" das Seedarlehen in der ursprünglichen Form. 175 Daneben tritt schon in den Quellen des 13. Jhdts. mit der Bodmerei ein dem Seedarlehen sehr ähnliches Rechtsgeschäft, das anstelle der persönlichen Haftung eine auf das Pfand an Schiff oder Waren beschränkte dingliche Haftung des Schuldners vorsieht.

175

Vgl. auch die daran angelehnten Regelungen des Code de Commerce von 1808 (Art. 311 ff. a.F.).

Dritter Teil

Die Bodmerei I. Einleitung Mit dem Aufkommen der Seeversicherungen im 14. Jhdt. geriet das Seedarlehen nicht außer Gebrauch, sondern es trat lediglich als Versicherungsgeschäft i n den Hintergrund. Nachdem das Rechtsinstitut bereits im 12. Jhdt. erste Modifikationen erfahren hatte, erwies sich eine durch den Grundsatz der reinen Sachund Pfandhaftung geprägte, in den niederländischen, deutschen, angelsächsischen und nordeuropäischen Seerechten als Bodmerei 1 bezeichnete Variante des Seedarlehens als besonders überlebensfähig: In den verschiedenen Erscheinungsformen der Bodmerei war das Seedarlehen bis zur Neuzeit nicht nur als Spekulationsobjekt beliebt, sondern es bildete in Gestalt der so genannten Notbodmerei nicht selten den letzten Ausweg für einen Kapitän, der mit seinem beschädigten Schiff im fremden Hafen festlag. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. begann im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt i m Überseehandel der Niedergang der Bodmerei. Nach wie vor aber findet sich die Bodmerei in verschiedenen Handelsgesetzen,2 wenngleich das Rechtsinstitut kaum noch praktische Bedeutung hat. Die Rechtswissenschaft in Deutschland hat sich immer wieder mit der Bodmerei beschäftigt: Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts war das Rechtsinstitut Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. 3 Letztmalig gab es in Deutschland 1 Der Name Bodmerei kommt von „bodeme" ( = Schiffsboden) als Gesamtbezeichnung von Schiff und Ladung; erstmals verwendet wird er im Amsterdamer Statut von 1527 („bomerie"). Im Englischen bottomry (bei Verpfändung des Schiffes) bzw. respondentia (falls nur die Ladung verpfändet werden) genannt, niederländisch bodemerij, dänisch / schwedisch bodmeri. Im Französischen wird der Begriff contrat à la grosse verwendet, im Italienischen heißt das Rechtsinstitut prestito a cambio marittimo, im Spanischen préstamo a la gruesa ventura. 2 So z.B. im California Harbors and Navigation Code (§§ 450 ff.) oder im Guam Code Annotated (§§37101 ff); aber nicht nur in den USA, sondern u.a. auch in Australien, Canada und im Vereinigten Königreich ist die Bodmerei nach wie vor geltendes Recht. 3 Zu diesem Zeitpunkt existierte die Bodmerei in praxi bereits seit über 300 Jahren. Die nunmehr auch theoretische Beschäftigung mit diesem Rechtsinstitut dürfte zum einen Ausfluss des seit der Renaissance allgemein wiederbelebten wissenschaftlichen Interesses sein; zum anderen mag die große wirtschaftliche Bedeutung der Bodmerei den

II. Quellen

209

im ausgehenden 19. Jhdt. - möglicherweise im Zusammenhang mit der bevorstehenden Neufassung des Handelsgesetzbuches - eine rege Diskussion insbesondere über Herkunft und Entstehungsgeschichte der Bodmerei. 4 Die Frage, ob und inwiefern die Bodmerei eine Weiterentwicklung des antiken bzw. - genauer gesagt - des römischen Seedarlehens ist, wurde kontrovers diskutiert.

Π. Quellen Neben Urkunden, 5 Kaufmannsbüchern und Gerichtsentscheiden stehen als Quellen für die Bodmerei zahlreiche Rechtsaufzeichnungen und seit dem 17. Jhdt. auch handelsrechtliche Kodifikationen zur Verfügung. Bereits die Marseiller Statuten von 1253/55 kennen neben dem antiken Seedarlehen ein Rechtsgeschäft, dass den Regeln der Bodmerei folgt: 6 Im 3. Buch, 5. Kapitel wird ein Vertrag erwähnt, bei dem ein Pfand mit der Abrede quod dictum pignus eat in viagio ad fortunam creditori bestellt wird. Der Verlust des Pfandes befreit den Schuldner von seiner Zahlungsverpflichtung; im Falle der glücklichen Ankunft beschränkt sich seine Haftung auf das Pfand, wohingegen eine persönliche Haftung nur bei besonderer Verabredung eintritt: si forte pignus illud fortuito casu aut sine culpa debitoris in eo navigio amissum fiierit. Die erste gesetzliche Erwähnung in Nordeuropa ist ein Hanserezess aus dem Jahre 1418.8 Das Rechtsinstitut findet sich auch in den auf die Rôles d'Oléron 9 zurückzuführenden niederländischen Seerechten des 15. Jahrhunderts, wie z.B. dem Seerecht von Holland (Art. 6). 1 0 Von einem Kredit, der „op den bodem"

Anstoß gegeben haben, sich ihrer Erforschung zu widmen. Als Beispiele dieser frühen Forschungstätigkeit seien genannt VON BÜREN/LYNCKER, De bodmeria: ex utroque iure desumta, Jena 1679, VON COCCEJI, Dissertatio de bodemeria, Heidelberg 1683 und BODINUS, De bodmeria, Jena 1697; umfassender Literaturüberblick bei WEISKE, Rechtslexikon II (1844), s.v. Bodmerei, 243 4 Vgl. nur GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A (1891) 349 ff.; HOPFEN, Beiträge zum Bodmereirecht (1891); MATTHIASS, Das foenus nauticum und die geschichtliche Entwicklung der Bodmerei (1881); PAPPENHEIM, Zur Entstehungsgeschichte der Bodmerei, in: ZHR 40 (1892) 378 ff.; REHME, Die geschichtliche Entwicklung der Haftung des Reeders (1891) 51 ff; SCHRÖDER, Die Bodmerei, in: Endemann's Handbuch des Deutschen Handels-, See- und Wechselrechts IV (1884) 235 ff.; SPITTA, Die geschichtliche Entwicklung des foenus nauticum (1896) 54 ff. 5 Vgl. z.B. die bei PAULI, Lübeckische Zustände im Mittelalter III, 94 ff. (Urkunden Nr. 247 ff.) gesammelten Lübecker Bodmereiverträge aus dem 15. Jhdt. 6 Ausführlich dazu u. 214 ff. 7 Vgl. die ausführlichen Erörterungen bei MATTHIASS 61 ff. 8

HELM, H R G I (1971), s.v. Bodmerei, 468; dazu u. 2 1 2 2 5 .

9

Dazu bereits ο. 204 156 .

10

Vgl. MATTHIASS 75 ff.

7

210

3. Teil: Die Bodmerei

eines Schiffes aufgenommen wird, ist erstmalig im Statut von Amsterdam (1527) die Rede, und in der Verordnung Philipps II. vom 29. Januar 1549 11 heißt es in Kapitel 19: „geldt op schips bodem (dat men ghemeenelicken bomerie ofte Wissel...)". Die Bezeichnung Bodmerei hatte sich demnach in Nordeuropa durchgesetzt. Auch der Guidon de la mer, 12 eine private Rechtsaufzeichnung aus dem 16. Jhdt., erwähnt die Bodmerei in Kapitel 18 („Du contrat de bomerie, qui est argent à profit, ou grosse avanture"). Die genannten Aufzeichnungen sind allerdings keine abschließenden Regelwerke über die Bodmerei, sondern es handelt sich um vereinzelte Bestimmungen, die zumeist der Unterdrückung schädlicher Auswüchse der gewohnheitsrechtlichen Übung dienen sollten. Erst im Hamburger Stadtrecht von 1603 (II 14 ff.) findet sich der erste Versuch einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Bodmerei. 13 In der zweiten Hälfte des 17. Jhdts. begannen die seefahrenden Staaten Europas das bislang vorwiegend gewohnheitsrechtlich geregelte, europaweit weitgehend übereinstimmende Handelsrecht zu kodifizieren. Die Schaffung nationaler Handelsgesetze hatte jedoch keine Auswirkungen auf den supranationalen Charakter der Bodmerei, das Rechtsinstitut blieb weiterhin - wie schon das Seedarlehen in der Antike - ein fester Bestandteil des ius gentium: 14 Die Bodmerei war in allen am Seehandel beteiligten Staaten Europas gleichermaßen als Rechtsgeschäft anerkannt. 15 Die gesetzlichen Regelungen über die Bodmerei stimmten weitgehend überein, was den besonderen Anforderungen des internationalen Handelsverkehrs in hervorragender Weise entsprach.

11 12

Abgedruckt bei PARDESSUS IV, 121 bzw. 37 ff. Abgedruckt bei PARDESSUS II, 377 ff.

13 Abgedruckt in „Der Stadt Hamburg Gerichts-Ordnung und Statuta", hrsg. auf Veranlassung des Vereins für Hamburgische Geschichte (1842); dazu LAU, Das Hamburgische Seerecht im 18. Jahrhundert, 15 ff. 14 Ein Überblick über die Rechtslage in Europa in der ersten Hälfte des 19. Jhdts. findet sich bei PÖHLS, Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts III, 861 ff. 15 Die Bodmerei findet sich beispielsweise im Schwedischen Seerecht Carls XI. aus dem Jahr 1667, in dem unter Christian X. erlassenen Dänischen Seerecht von 1683, in derfranzösichen Ordonnance touchant la marine von 1681, im Älteren Preußischen Seerecht von 1721 und im Königlich-Preußischen Seerecht von 1727; auch im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten (ALR), das 1794 in Kraft trat, wird die Bodmerei ausführlich geregelt (II 8 §§ 2359 - 2451). Die Bodmereivorschriften des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs (ADHGB) von 1861, wurden als §§ 681 -699 in das geltende Handelsgesetzbuch (HGB) übernommen und blieben bis 1973 in Kraft; dazu u. 213 f.

III. Das Wesen der Bodmerei

211

ΙΠ. Das Wesen der Bodmerei Die Bodmerei ist ein Darlehensgeschäft des Seerechts, das zunächst - wie schon das Seedarlehen in der Antike - vorwiegend zum Zwecke des Wareneinkaufs gewährt wurde, 16 später hauptsächlich zur Reparatur von Schiffen. Die Zahlungsverpflichtung des Schuldners ist durch die glückliche Beendigung der Handelsreise (Bodmereireise) bedingt, d.h. der Darlehensgeber übernimmt auch hier die Seegefahr. 17 Für den Fall der glücklichen Ankunft wird dem Darlehensgeber als Entgelt für die Gefahrübernahme die Zahlung einer Bodmereiprämie als Zins oder Zuschlag versprochen. Die Höhe der Bodmereiprämie übersteigt den üblichen Kapitalzins deutlich; sie bestimmt sich nach den im Einzelfall mit der Seefahrt verbundenen Risiken und entspricht in etwa den Zinsen beim Seedarlehen (ca. 20 - 30 %): So beträgt die Prämie z.B. in einem Lübecker Bodmereibrief aus dem Jahre 1431 ein Drittel des Kapitals für eine 6 Monate dauernde Seereise,18 und noch 1887 wird für die nur wenige Tage dauernde Fahrt von Hamburg nach Stettin eine Prämie von 16% vereinbart. 19 Gelangt das Schiff wohlbehalten in den vertraglich festgelegten Bestimmungshafen, so hat der Schuldner Kapital und Prämie innerhalb der vertraglich oder gesetzlich bestimmten Frist zu zahlen. 20 Der Unterschied zwischen dem antiken Seedarlehen und der Bodmerei liegt in der Bedeutung des Pfandes: 21 Während beim antiken Seedarlehen die Vereinbarung eines Pfandes im Ermessen der Parteien stand, ist die Verpfändung (Verbodmung) von Schiff, Fracht oder Ladung für die Bodmerei charakteristisch. Die eigentliche Besonderheit der Bodmerei besteht darin, dass der Vertrag - im Gegensatz zum antiken Seedarlehen - lediglich eine auf das Pfand beschränkte, dingliche Haftung des Schuldners begründet; an das persönliche

16

HOPFEN, Beiträge zum Bodmereirecht, 1 ff. Darüber hinaus trug der Darlehensgeber im Spätmittelalter ganz allgemein das Risiko der Verschlechterung, denn wenn nicht besondere vertragliche Vereinbarungen hinzutraten, hatte der Schuldner die Befugnis, sich durch Abtretung des Pfandes von jeder weiteren Haftung zu befreien, vgl. die Quellenangaben bei SCHRÖDER, Die Bodmerei, 24542; noch das ALR (II 8 § 2427) gab dem Schuldner (außer bei innerem Verderb oder Preisabschlägen, vgl. II 8 § 2435) ein solches Wahlrecht. 18 Die Urkunde ist abgedruckt bei PAULI, Lübeckische Zustände im Mittelalter III, 95, Urkunde Nr. 249. 19 Vgl. RGZ 19, 87 ff., 88. 20 Beispielsweise betrug die Frist nach dem im Machtbereich der Hanse geltenden so genannten Visbyschen Seerecht (Art. 40) 14 Tage, das preußische Seerecht von 1727 (7. Titel, Ait. 9), das ALR (II 8 § 2398) und das HGB (§ 687 Abs. 1) sahen beim Fehlen einer vertraglichen Regelung eine Zahlungsfrist von 8 Tagen vor. 17

21

V g l . nur HELM, H R G I (1971), s.v. Bodmerei, 468; PAPPENHEIM, Zur Entstehungs-

geschichte der Bodmerei, 381 f.; SCHRÖDER, Die Bodmerei, 244; SPUTA 64 f.

212

3. Teil: Die Bodmerei

Vermögen des Reeders kann sich der Gläubiger grundsätzlich nicht halten. Es handelt sich also um einen Fall der Verpfändung mit reiner Sachhaftung. Ursprünglich waren Reeder und Kapitän (Schiffer) 22 gleichermaßen zur Bodmerei berechtigt. Wurden Schiff oder Ladung durch den Kapitän verbodmet, so erfolgte dies zunächst kraft gewohnheitsrechtlicher, später aufgrund gesetzlicher Vertretungsmacht. 23 Vertragspartner war stets der Eigentümer des Schiffes (Reeder). Zu unterscheiden sind die „uneigentliche" und die „eigentliche" Bodmerei. Letztere, auch Notbodmerei genannt, war ein vom Kapitän im Interesse des Reeders in Notfällen aufgenommenes Darlehen, das nur außerhalb des Heimathafens vereinbart werden konnte. So war es dem von seinem Reeder abgeschnittenen Kapitän, der in einem fremden Hafen festlag, möglich, Geld für erforderliche Reparaturen zu erlangen, um seine Reise fortsetzen zu können. Ein uneigentlicher Bodmereivertrag wurde dagegen in der Regel i m Heimathafen abgeschlossen; zunächst war dies sowohl dem Reeder als auch dem Kapitän gestattet. Ein solches Darlehen diente nicht nur der Finanzierung von Warenkäufen, sondern es konnte - im Falle der Vereinbarung eines so genannten Bylbriefvertrages 24 - auch zum Bau oder zur Ausrüstung eines Schiffes verwendet werden. Die „uneigentliche Bodmerei des Schiffers" wurde in den Hansestädten jedoch bereits 1418 durch Rezess verboten. 25 Auch in der bereits oben erwähnten Verordnung Philipps II. vom 29. Januar 1549 findet sich in Kapitel 19 eine Bestimmung, wonach fortan allein die Notbodmerei zulässig sein soll. Grund für diese Verbote mögen die zu dieser Zeit sich häufenden Fälle des Missbrauchs gewesen sein.26 Über ein Bodmereidarlehen wurde schon im Spätmittelalter regelmäßig eine Urkunde, der so genannte Bodmereibrief, errichtet. 27 Offen bleibt, ob die Schriftform bereits nach gemeinem Recht Wirksamkeitsvoraussetzung eines Bodmereivertrages war. 28 Die Kodifikationen schreiben durchweg die Schriftform vor, wie z.B. die Ordonnance touchant la marine (III 5 Art. 1), das ALR 22

Im HGB vom 1. Januar 1900 fand sich noch bis 1973 die Bezeichnung „Schiffer". Vgl. nur ALR II 8 § 2380 oder § 680 HGB (jeweils auf die Notbodmerei beschränkt). 24 Dazu EHRENBERG, Beschränkte Haftung des Schuldners nach See- und Handelsrecht, 205; HOPFEN, Beiträge zum Bodmereirecht, 3. 25 Vgl. Art. 4 des Hanserezesses, abgedruckt bei PARDESSUS II, 466 ff.; HELM, HRGI 23

(1971), s.v. Bodmerei, 468; MATTHIASS 83 f. 26 Vgl. den bei PAULI, Lübeckische Zustände im Mittelalter III, 94, Urkunde Nr. 248 zusammengefassten Rechtsfall eines Reeders, dessen Schiffer ohne sein Wissen ein Bodmereidarlehen aufgenommen hat; MATTHIASS 85. 27 HOPFEN, Beiträge zum Bodmereirecht, 33 ff; WÜSTENDORFER, Seehandelsrecht, 358. 28 Vgl. LAU, Das Hamburgische Seerecht im 18. Jahrhundert, 21048 m. N.

IV. Die bis 1973 geltenden Bestimmungen des HGB

213

(II 8 § 2390) oder das HGB (§ 682). Als Wertpapier konnte der Bodmereibrief an Order gestellt werden. 29

IV. Die bis 1973 geltenden Bestimmungen des HGB Die bis 1973 in §§ 679 bis 699 H G B 3 0 geregelte Bodmerei des Schiffers ( = Kapitäns) war auf Notfälle beschränkt, wie sich aus den in § 680 Abs. 1 HGB genannten Umständen, unter denen der Kapitän eines Schiffes zur Bodmerei berechtigt war, ergibt: Nur außerhalb des Heimathafens und nur zum Zwecke der Erhaltung und Weiterbeförderung der Ladung durften das Schiff und / oder die Ladung verbodmet werden. Die den Bestimmungen über die Bodmerei vorangestellte gesetzliche Definition für das deutsche Handelsrecht beschreibt das Rechtsgeschäft wie folgt: § 679 HGB: Bodmerei im Sinne dieses Gesetzbuches ist ein Darlehnsgeschäft, das von dem Schiffer als solchem kraft der in diesem Gesetzbuch ihm erteilten Befugnisse unter Zusicherung einer Prämie und unter Verpfändung von Schiff, Fracht und Ladung oder von einem oder mehreren dieser Gegenstände in der Art eingegangen wird, daß der Gläubiger wegen seiner Ansprüche nur an die verpfändeten (verbodmeten) Gegenstände nach der Ankunft des Schiffes an dem Orte sich halten kann, wo die Reise enden soll, für welche das Geschäft eingegangen ist (Bodmereireise). Gemäß § 682 Satz 1 HGB bedurfte der Bodmereivertrag zwingend der Schriftform (Bodmereibrief). Anderenfalls hatte der Gläubiger nur diejenigen Rechte, die ihm bei Vereinbarung eines gewöhnliches Darlehen zugestanden hätten, vgl. § 682 Satz 2 HGB; allerdings trug er in diesem Fall auch nicht die Seegefahr. Der Kapitän war zur Ausstellung des Bodmereibriefes verpflichtet, der Bodmereigeber konnte verlangen, dass die in § 683 Satz 1 Nr. 1 - 1 2 HGB genannten Punkte in die Urkunde aufgenommen werden: So z.B. der Darlehensbetrag, die vereinbarte Bodmereiprämie und die verbodmeten Gegenstände, die zu wählende Route, Ort und Zeitpunkt der Rückzahlung sowie die Umstände, die die Bomerei erforderlich gemacht hatten. Die Zahlung von Kapital und Prämie konnte der Gläubiger nur nach der glücklichen Ankunft im Bestimmungshafen verlangen. Eine Kürzung seiner Forderung musste sich der Bodmereigläubiger nur dann gefallen lassen, wenn die verbodmeten Sachen im beschädigten Zustand - oder nachdem ein Teil der-

29 Vgl. §§ 363 a.F., 684 HGB; so gehörte der Handel mit Bödmereibriefen beispielsweise an der Londoner Börse zum Tagesgeschäft, vgl. WÜSTENDORFER, Seehandelsrecht, 358. 30 Die Vorschriften sind durch das 1. Seerechtsänderungsgesetz vom 21. Juni 1972 mit Wirkung zum 6. April 1973 aufgehoben worden.

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3. Teil: Die Bodmerei

selben zur großen Haverei beigetragen hatte - nicht mehr zur Bezahlung der Verbindlichkeiten ausreichten, vgl. § 690 Abs. 2 HGB (so genannter BodmereiAbandon). Falls die Parteien es vertraglich nicht anders vereinbarten, galt eine gesetzliche Zahlungsfrist von 8 Tagen nach dem Einlaufen in den Bestimmungshafen, vgl. § 687 Abs. 1 HGB. Geriet der Reeder in Verzug, so war er zur Zahlung von Zins und Zinseszinsen verpflichtet (§ 687 Abs. 2 Satz 1 HGB). Die Bodmereiprämie unterlag gemäß § 681 Abs. 1 HGB keiner unmittelbaren gesetzlichen Beschränkung; allerdings war das Wucherverbot (§138 Abs. 2 BGB) zu beachten. Erfolgte die Zahlung nicht fristgemäß, so konnte sich der Gläubiger grundsätzlich nur aus den verbodmeten Gegenständen befriedigen, wobei die Regeln der Zwangsvollstreckung Anwendung fanden, vgl. §§691 Abs. 1, 696 Abs. 1 HGB. Kam es zu Rechtsstreitigkeiten aus einem Bodmereivertrag, so war das Gericht des Zahlungsortes (§ 29 ZPO) und dasjenige des Heimathafens (§§ 488, 761 HGB) zuständig; bei ausländischen Schiffen das Gericht, in dessen Bezirk sich der Liegeort befand (§ 23 ZPO). Nur ausnahmsweise haftete der Reeder persönlich, nämlich wenn er oder der Kapitän des Schiffes den Untergang oder die Verschlechterung der verbodmeten Gegenstände zu vertreten hatte, vgl. §§ 692-695 HGB. 3 1

V. Herkunft Die Frage nach der Entstehungsgeschichte der Bodmerei ist umstritten, seitdem EHRENBERG32 und vor allem MATTHIASS33 sich um den Nachweis bemüht haben, dass die neuere Satzung des deutschen Rechts34 als Vorbild für die Bodmerei gedient hat. 35 Zwar weist die Bodmerei gewisse Übereinstimmungen 31

Ausführlich zu den bis 1973 geltenden Bodmereivorschriften des HGB

SCHLEGELBERGER/LIESECKE, Kommentar z u m Seehandelsrecht, 471 ff. 32

Die wissenschaftliche Bearbeitung des Seerechts, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft XXI (1879) 179 ff. 33 Das foenus nauticum und die geschichtliche Entwicklung der Bodmerei, 89 ff. 34 Die neuere Satzung war ein besitzloses Pfandrecht an Mobilien oder Immobilien zur Sicherung einer Forderung. Im Falle der Nichtleistung stand dem Gläubiger lediglich die Befriedigung aus dem Pfand offen; das Risiko des Ausfalls trug der Gläubiger. Die neuere Satzung verlor ihre Bedeutung mit der Rezeption des gemeinen Rechts und wurde weitgehend durch die Hypothek verdrängt, vgl. OGRIS, HRG IV (1990), s.v. Satzung (Pfandrecht), 1312 f. 35 Bemerkenswert ist, dass diese (aus deutscher Sicht doch recht schmeichelhafte) Ansicht nur in der deutschen Rechtswissenschaft vertreten wird: So folgen EHRENBERG und MATTHIASS beispielsweise LEWIS, Das deutsche Seerecht I I , 3, MEYER, Neuere Sat-

zung von Fahrnis und Schiffen, 20 f., PAPPENHEIM, Zur Entstehungsgeschichte der Bodmerei, 392 f., SCHRÖDER, D i e Bodmerei, 243 ff. und SIEVEKING 47.

V. Herkunft

215

mit der neueren Satzung auf, es fehlt jedoch an Belegen für den deutschen Ursprung der für das Rechtsinstitut charakteristischen reinen Sach- und Pfandhaftung. 36 Dass es zwischen fenus nauticum und Bodmerei lediglich „Berührungspunkte und Wechselwirkungen" gegeben hat, lässt sich nicht erweisen. Vielmehr sind die Wurzeln der Bodmerei gerade im römischen Seedarlehen zu suchen, das seit dem 12. Jhdt. infolge vertraglicher Übung weiterentwickelt wurde. In der hoch- und spätmittelalterlichen Handelspraxis wandelte sich die Bedeutung des Pfandes zunehmend, bis schließlich die auf das Pfand beschränkte Haftung des Schuldners das charakteristische Merkmal des später als Bodmerei bezeichneten Rechtsinstituts wurde: Bereits das Notularium des Genueser Notars Giovanni Scriba enthält eine Seedarlehensurkunde vom 20. September 1161, in der die Zahlungsverpflichtung des Schuldners nicht unter der üblichen Bedingung sana eunte nave steht, sondern die entsprechende Vertragklausel sano eunte pignore lautet. 37 Zwar haftet der Schuldner hier nach wie vor unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen, falls der Verkauf des Pfandes nicht ausreicht, um die Forderungen des Gläubigers zu decken, aber es fallt auf, dass die Bedeutung des Pfandes hier eine andere ist, als beim herkömmlichen fenus nauticum. 38 In den Marseiller Statuten von 1253/55 wird im 5. Kapitel des 3. Buches ein Seedarlehen erwähnt, bei dem die Zahlungspflicht des Schuldners von der glücklichen Ankunft des Pfandes abhängt (quod dictum pignus eat in viagio ad fortunam créditons .39 Ausdrücklich wird betont amisso pignore, ut dictum est, debitor ille nullatenus tune de ilio debito teneatur. Insofern unterscheidet sich das beschriebene Rechtsgeschäft von den für das antike Seedarlehen geltenden Haftungsregeln. 40 Dass die Haftung des Schuldners auf das Pfand beschränkt ist, ergibt sich aus dem Schlusssatz des 5. Kapitels: Selbst wenn das Schiff und der größte Teil der Ladung verloren gehen, das Pfand aber gerettet werden sollte, so ist der Schuldner zur Zahlung verpflichtet, wobei seine Haftung auf das Pfand beschränkt ist: si quando pignus speciale salvatum esset, tunc, amissa etiam nave ilia vel maiori parte rerum in ea nave honeratum, dictus debitor 36

Vgl. HELM, HRG I (1971), s.v. Bodmerei, 468 und besonders HOPFEN, Beiträge zum Bodmereirecht, 15 ff., der die Schwächen der von MATTHIASS und EHRENBERG auf-

gestellten Theorie aufzeigt. 37 Abgedruckt in den Historiae Patriae Monumenta, Liber Iurum Reipublicae Genuensis, Chartarum, Tomus II, Sp. 779, Nr. 1124. 38 PERDIKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 42 ff. will bereits im Notularium des Giovanni Scriba den frühesten Nachweis für die Bodmerei erkennen, die Anhaltspunkte sind jedoch ein wenig vage. 39 Vgl. 3. Buch, 5. Kapitel der Marseiller Statuten, abgedruckt bei PARDESSUS IV 265 f. 40 Dies räumt auch PAPPENHEIM, Zur Entstehungsgeschichte der Bodmerei, 382 ein.

216

3. Teil: Die Bodmerei

creditori predicto de suo dicto debito satisfacere de eo pignore speciali teneatur. Mit seinem persönlichen Vermögen haftet der Schuldner dagegen nur bei ausdrücklicher Vereinbarung: et non aliunde nisi forte inter eos tunc vel antea expresse aliter convenerit. Dieses Rechtsgeschäft folgt demnach den Regeln der Bodmerei. 41 Das in Barcelona (um 1370) entstandene Consolato del mare, 42 eine private Aufzeichnung der spanischen und westfranzösichen Rechtsprechimg in Seehandelssachen, kennt nicht nur einen Seedarlehensvertrag mit reiner Sach- und Pfandhaftung, sondern in Kapitel 194 wird auch die Befugnis des Kapitäns statuiert, in Notlagen ein Darlehen aufzunehmen und dafür das Schiff zu verpfänden. Zahlt der auf diesem Wege verpflichtete Reeder das Darlehen nach glücklicher Beendigung der Seefahrt nicht zurück, so beschränkt sich seine Haftung auf das verpfändete Schiff. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um die älteste Erwähnung der so genannten Notbodmerei („eigentliche Bodmerei"). In den deutschen Hansestädten sind Bodmereiverträge erst für das 14. und 15. Jhdt. bezeugt: 43 Die erste gesetzliche Erwähnung ist das Bodmereiverbot des Hanserezesses von 141 δ. 4 4 Wenn auch anzunehmen ist, dass die Praxis weiter zurückreicht, so lässt sich doch nicht nachweisen, dass die Bodmerei ihren Ursprung im deutschen Rechtsraum hat. Die Annahme, das Rechtsinstitut sei aus dem germanischen Norden über Frankreich nach Marseille vorgedrungen und habe von hier aus den Mittelmeerraum erobert und das antike Seedarlehen verdrängt, 45 ist inirealistisch. Vor allem in den Niederlanden hat sich die Bodmereigesetzgebung des 16. Jhdts. erkennbar aus dem Seerecht von Oléron, das auf dem Umweg über das Waterrecht von Brügge rezipiert wurde, 46 entwickelt. Hier wird der tatsächliche Weg der Rezeption deutlich: Aus dem schon im 11. Jhdt. hochentwickelten Mittelmeerhandel gelangte das modifizierte Seedarlehen in den Hanseraum, der erst wesentlich später seine wirtschaftliche Blütezeit erleben sollte. 47 I m weiteren Verlauf entwickelte sich dann hieraus die so genann-

41 So auch GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 351 f., HELM, HRG I (1971), s.v. Bodmerei, 468, KRAMPE, DNP IV (1998), s.v. Fenus nauticum, 472, MATTHIASS 61 ff, PERDIKAS, Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, 45, REHME, Die geschichtliche Entwickelung der Haftung des Reeders, 53 f., SCHRÖDER, Die Bodmerei, 244; a.A. vor allem PAPPENHEIM, Zur Entstehungsgeschichte der Bodme-

rei, 380 ff. und SPITTA 71 ff. 42

43

Abgedruckt bei PARDESSUS II, 49 ff.; vgl. auch MATTHIASS 68 ff.

SCHRÖDER, Die Bodmerei, 244 36 m.N. Vgl. 0.21225. 45 So ausdrücklich SCHRÖDER, Die Bodmerei, 244. 46 Dazu bereits ο. 204 156 . 47 Zur Geschichte der Hanse vgl. z.B. DOLLINGER, Die Hanse; FRITZE, Die Geschichte der Hanse; D'HAENENS, Die Welt der Hanse. 44

VI. Wirtschaftliche Bedeutung

217

te Notbodmerei des Schiffers, 48 die i m Machtbereich der Hanse seit 1418 die einzige für den Kapitän erlaubte Form der Bodmerei war. 4 9 M i t der Rezeption des römischen Rechts begann eine Reaktion von Seiten des antiken Seedarlehens. I m Recht des Usus modernus wurden Seedarlehen und Bodmerei verschmolzen.50 Mischformen enthielten z.B. die i m 19. Jhdt. erlassenen Handelsgesetzbücher Frankreichs, Italiens oder Spaniens.51 Festzuhalten ist somit: Bei der Bodmerei handelt es sich um ein durch vertragliche Übung umgestaltetes Seedarlehen. 52 Die weitgehende Übereinstimmung der Rechtsinstitute ist kein Zufall; das charakteristische Merkmal der Bodmerei, d.h. die Bestellung eines Pfandrechts am Schiff oder an den über See transportierten Waren und die Beschränkung der Gläubigeransprüche auf eben dieses Pfandrecht, falls der Schuldner nicht leistet, tritt erstmals in den Marseiller Statuten von 1253/55 hinzu.

VI. Wirtschaftliche Bedeutung Die uneigentliche Bodmerei diente zunächst - wie schon das Seedarlehen in der Antike - überwiegend der Warenbeschaffung und erfüllte gleichzeitig die Funktion einer Versicherung. Als Versicherungsgeschäft wurde die Bodmerei jedoch seit dem 15. Jhdt. zusehends durch die aufkommenden Seeversicherungen verdrängt. Die Seeversicherungsordnungen vermochten die wachsenden und sich zunehmend differenzierenden Risiken des Seehandels besser abzudecken, 53 weshalb die uneigentliche Bodmerei ihre Bedeutung schon i m ausgehenden Mittelalter fast vollständig verlor. 54 Dennoch wurde sie in Deutschland erst mit Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) von 1861 abgeschafft. Die Notbodmerei blieb dagegen bis in die zweite Hälfte des 19. Jhdts. von großer Bedeutung für den Seehandel, vor allem für den seit dem 16. Jhdt. i m großen Stil betriebenen Überseehandel. I n den Tagen der Segelschifffahrt ohne 48

Vgl. 0.212. Das im Hanserezess von 1418 (vgl. ο. 212 25 ) ausgesprochene Verbot der uneigentlichen Bodmerei des Schiffers wird in den Rezessen von 1434, 1447, 1591 und 1614 49

bestätigt, vgl. SPITTA 100. 50

COING, Europäisches Privatrecht I, 553. Vgl. die Übersicht bei SCHRÖDER, Die Bodmerei, 24752. 52 So auch ABRAHAM, Das Seerecht, 7; BRANDIS, Das Deutsche Seerecht II, 81; VON GIERKE, Handelsrecht und Schiffahrtsrecht, 628; GOLDSCHMIDT, Handbuch des Handelsrechts A, 350 ff.; HELM, HRGI (1971), s.v. Bodmerei, 467 f.; HERBER, Seehandelsrecht, 11,416 ff.; SCRUTTON, The Influence of the Roman Law on the Law of England, 183 f. 51

53

HERBER, Seehandelsrecht, 417.

54

Vgl. nur HELM, HRG I (1971), s.v. Bodmerei, 469; SCHRÖDER, Die Bodmerei, 248.

218

3. Teil: Die Bodmerei

Kabeltelegrafie, Reedereiagenturen und Funkdienst war die Notbodmerei unentbehrlich für den ganz auf sich selbst gestellten Kapitän. 55 Oftmals ermöglichte ihm erst die Aufnahme eines Bodmereidarlehens die Weiterfahrt, wenn das Schiff in einem fremden Hafen festlag und die erforderlichen Reparaturarbeiten nicht anders bezahlt werden konnten. Schließlich war die Bodmerei, wie schon das Seedarlehen in der Antike, als Spekulationsobjekt beliebt, denn die gegenüber den gewöhnlichen Zinsen deutlich erhöhten Bodmereiprämien verhießen guten Gewinn für den Darlehensgeber. 56

Vn. Niedergang Nachdem die Seeversicherungen die uneigentliche Bodmerei schon früh weitgehend verdrängt hatten, verlor auch die Notbodmerei seit der Mitte des 19. Jhdts. infolge des technischen Fortschritts rasch an Bedeutung. Jetzt konnten Kapitäne in Notfällen - wenigstens in Friedenszeiten - vom entlegensten Hafen der Welt aus mit Hilfe der Überseetelegrafie Kontakt zu ihrem Reeder in der Heimat oder zu dessen auswärtiger Agentur aufnehmen, um Bankkredite flüssig zu machen oder telegrafische Anweisungen zu erhalten. 57 Dennoch musste sich das Reichsgericht noch 1887 mit einem für die Fahrt von Hamburg nach Stettin gewährten Bodmereidarlehen befassen, 58 und selbst 1918 enthielt das amtliche Formular für die Einkommenssteuererklärung im Großherzogtum MecklenburgSchwerin noch die Frage „Hatten Sie im vergangenen Jahr Einkünfte aus Bodmereyen?" Die kurzfristige Wiederbelebung der Bodmerei im Ersten Weltkrieg, als zahlreiche Kapitäne deutscher Handelsschiffe, die in neutralen Häfen festlagen, ihr Schiff bzw. die Ladung zur Beschaffung von Geldmitteln verbodmen mussten,59 änderte nichts am Niedergang des Rechtsinstituts. Weil die Bodmerei wirtschaftlich keine Bedeutung mehr hatte und nach Ansicht des zuständigen Bundestagsausschusses rechtssystematisch überholt war, 60

55

WÜSTENDORFER, Seehandelsrecht, 357 f.

56

Vgl. nur HELM, H R G I (1971), s.v. Bodmerei, 469; WÜSTENDORFER, Seehandels-

recht, 358. 57 BRANDIS, Das deutsche Seerecht II, 82 f.; SCHLEGELBERGER/LIESECKE, Kommentar zum Seehandelsrecht, 472; SCHRÖDER, Die Bodmerei, 249; WÜSTENDORFER, Seehandelsrecht, 358. 58 Vgl. R G Z 19, 87 ff. 59 Dazu VON GIERKE, Handels- und Schiffahrtsrecht, 628; WÜSTENDORFER, Seehandelsrecht, 358. 60 Vgl. BT-Drucksache VI/2225, 25. Außerdem konnte das der Sicherung des Bodmereidarlehens dienende Schiffsgläubigerrecht wegen seines Vorrangs vor den Schiffshypotheken Anlass zu Missbräuchen geben, nachdem das bis dahin ebenfalls vorgese-

VII. Niedergang

219

wurden die Vorschriften des HGB über die Bodmerei durch das 1. Seerechtsänderungsgesetz vom 21. Juni 1972 (Art. 1 Ziffer 26) mit Wirkung zum 3. April 1973 aufgehoben. Auch aus den Handelsrechten nahezu alle'r anderen am Seehandel beteiligten Nationen sind die letzten Spuren der Bodmerei bzw. des Seedarlehens mittlerweile verschwunden.

,Que reste-t-il de cette vieille forme de crédit? Rien, pas même im souvenir." ALFRED DE COURCY, Questions de droit maritime I (Paris 1877), 28 f.

hene Schiffsgläubigerrecht für Notgeschäfte des Kapitäns aus diesem Grunde aufgegeben worden war, vgl. HERBER, Seehandelsrecht, 417.

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Sachregister

actio certae creditae pecuniae 195 actio ex poena pecuniae traiecticiae 195106 actio ex stipulatu 195 actiones in factum 187 άνάκρισις, anàkrisis 153 Annona 199 ff. Archonten 150 άρχων έπώνυμος, àrchon epónymos 150671 Athenisches Handelsgericht 13 8 ff. , 151, 153 ff. Bank des Pasion 29, 39, 106 Bankwesen in der Antike 39 f. βασιλεύς, basileùs 150671 Beweismittel 135, 153 Bodmerei 105, 120, 208 ff. eigentliche 212,216 uneigentliche 212, 217, 218 Bodmerei-Abandon 60, 213 Bodmereibrief 211,212,213 Bodmereiprämie 213,214,218 Bylbrief 212

δάνειον έτερόπλουν, dàneion heteróploun 27, 67, 69, 83, 100, 127, 167 δάνειον ναυτικόν, dàneion nautikon (Begriff) 25 f. Dauer von Seereisen in der Antike 182 Διαιτηταί, Diaitetai 157 dies praestitutus 189 δίκαι έμμηνοι, dikai émmenoi 28, 156 f. δίκη βλάβες, dike blàbes 153 δίκη έγγύης, dike engyes 153 δίκη έμπορική, dike emporiké 133, 138, 142, 143 δίκη έξούλης, dike exoûles 95, 108, 121, 152 δίκη ούσίας, dike ousias 96 δίκη χρέως, dike chréos 152 dominus navis 196

Edictum Theodorici 203 έκβολή, ekbolé 62, 64 ff., 123 εκδοσις, ékdosis 26,41 έλλειπον, elleipon 114, 115, 117, 119521 έμβάτευσις, embateusis 108 ff. Emporion 28 cautio 191 Emporoi 28, 30 ff. Codex Hammurapi 169 ένέχυρον, enéchyron 86 354 collegia naviculariorum 195 έπιβάτης, epibàtes 30, 68, 139617 commenda 206 epimetron 200 Consolato del mare 216 1 έπιτίμιον, epitimion 123 ff. Constitutum usus 19 , 204 έπωβελία, epobelia 155 δάνειον, dàneion 43 ff., 87, 170 δάνειον άμφοτερόπλουν, dàneion am- Ersatzpfand 105, 109, 113 ff. 197116 photeroploun 27, 67, 69, 83, 89, exercitor 101 f.

234

register

fenus nauticum (Begriff) 1751 Fernhandel 23,32, 160,198 Florentinische Rota 206 Frachtgebühr s. ναΰλον Fremde im athenischen Seehandel s. ξένοι, xénoi Geldstrafe bei zu Unrecht erhobener Seehandelsklage s. έπωβελία Geldüberweisung 69 256 , 167 Geschworene 151,153 f.,168 Getreidehandel 45 139 , 163 f., 170, 174 Gewinne im Seehandel 36, 54, 57, 64, 73,85, 102, 121, 174,177 Graecafides 161 Handelsrouten der Griechen 17912, 180 f. Handelsstand in der Antike in Athen 34 in Rom 197 Handelswaren in der Antike 179 f., 18016, 181, 184 Hanse 20,216 Hanserezess 209, 216 Haverei 21,61,213 Höchstpreisedikt 182 δροι, hóroi 113 υπέροχα, hypérocha 115,118,119 hypotheca 193, 194 υποθήκη, hypotheke 85 ff. Innominatverträge 187 ius civile 183,184 ius gentium 184, 186 ius trium liber orum 200 141 Jâjnavalkya 168 καπελεία, kapeleia 34 Kaperei 26, 31, 62,130 651 κάπηλοι, kâpeloi 28 22 Karawanen vertrag 21, 169 Kauf auf Lösung s. πρασις έπί λύσει Klageschrift 153,154 Kleinhandel s. καπελεία Kleinhändler s. κάπηλοι

Kolonisation in der griechischen Antike 179 Konventionalstrafe s. έπιτίμιον κυβερνήτης, kybernétes 30 κυριεία, kyrieîa 43 f. κύριος, kyrios 44, 92 Kyzikischer Stater 125 ff. Lakritos-Urkunde 59 ff., 76, 83, 84, 96 ff, 113 ff. Lakritos-Urkunde (Text) 131 f. Ladekapazität antiker Handelsschiffe 56, 199 Lebensmittelversorgung in Rom 196, 198 ff. lex Claudia de nave senatorum 197 lex Papia Poppea 200 141 lex Romana Burgundiorum 203 lex Romana Visigothorum 191, 203 lex Rhodia de iure iactu 188 60 locatio conducilo operis 199 Lohnniveau im antiken Griechenland 55191

magister navi s 198 Manu 168 maria clauduntur 71 Marseiller Statuten 204, 209, 215, 217 mercator 196 f , 202 merces comparata 192 μέτοικοι, métoikoi 32, 38, 144, 152, 163 Monatsklagen s. δίκαι έμμηνοι mutuum 176, 184, 186 f. ναύκληροκυβερνήτης, naùklerokybemétes 30 Naukleroi 28 ff. ναΰλον, naûlon 31,54 ναυλωτική, naulotiké 31, 146, 178 ναυτική συγγραφή, nautiké syngraphe 133 ff. ναυτοδίκαι, nautodikai 149 naufragium 188 navicularius 30, 197 ff. negotiator 197 f. νόμοι εμπορικοί, nómoi emporikoi 123,

register

235

im römischen Altertum s. naufragium Schiffsgröße 56 Schiffsreparatur 46 ff., 63 f., 80, 8 101, 191,211,218 Organisation des Seehandels Schriftform im griechischen Altertum 162 f., beim δάνειον ναυτικόν 130 ff. 179 f. beim fenus nauticum 191 im römischen Altertum 196 ff. bei der Bodmerei 212 f. Schuldhaft 155 παραγραφή, paragraphe 147, 154 f. scriptura 191 Passagierverkehr 31,196 Seefrachtvertrag pecunia traiecticia 192 im griechischen Recht s. ναΰλον periculum maris 188 im römischen Recht s. locatio conpignus 193, 194 ductio operis Piraterie 26,62,70 264 , 84 Seegefahr πολέμαρχος, polémarchos 150671 beim griechischen Seedarlehen 20, 26 poena pecuniae traiecticiae 190 f., 61, 69 ff, 102,105,166,170 beim römischen Seedarlehen s. periculum maris πρασις έπί λύσει, prâsis epi lysei 86 354 , 111 Seehandelsklage s. δίκη έμπορική Preise für Lebensmittel im antiken GrieSeeräuberei s. Piraterie chenland 55 191 Seeschlacht von Salamis 23,170 Preisschwankungen im antiken GrieSeeversicherung 20, 27, 74 f., 81, 206 chenland 45 139 , 63, 76, 80, 102, 118 Seewurf pretium periculi 189 im griechischen Altertum s. έκβολή Quittung 68 im römischen Altertum 18 8 Sklaven im antiken Seehandel 29 ff, 189, Rezeption des Seedarlehens 178 ff. 198 Rhodisches Seegesetz s. Νόμος 'Ροδίων superßuum 194 ναυτικός, lex Rhodia de iure iactu Supranationalität des Handelsrechts 152, 159 Risikoverteilende Funktion des δάνειον Surrogationsgedanke 91 ff. ναυτικόν 57, 81, 167 συμβόλαιο ν, symbólaion 144 f , 147 Risikoabwälzende Funktion des δάνειον Syngraphe s. ναυτική συγγραφή ναυτικόν 166 συγγραφή έξαμάρτυρος, syngraphé heRôles dOléron 204, 209, 216 xamârtyros 134594 RückZahlungsfristen beim δάνειον ναυτικόν 27, 60, 66 f., Teilhaber 32,33 121 beim fenus nauticum 193 θεσμοθέται, thesmothétai 150 ff. bei der Bodmerei 21120, 213 Todesstrafe 164, 165 Sacra Romana Rota 206 Transportkosten (Landweg, Fluss, See) Satzung, neuere 214 182 Schiedsgericht s. Διαιτηταί Transportvertrag s. Seefrachtvertrag Schiffbruch Treu und Glauben in der griechischen Anim griechischen Altertum 31, 70 f. tike 116 Νόμος 'Ροδίων ναυτικός, Nómos Rhodiοη nautikós 65 Notbodmerei s. Bodmerei, eigentliche

236

register

Übernahme der Seegefahr beim δάνειον ναυτικόν 69 ff beim fenus nauticum 176, 188 f., 202 bei der Bodmerei 211,213 Unterwasserarchäologie 56 196 , 18126 usurae maritimae 189 Valutaverluste 41 U 4 ,69, 167 vectura 200 Verfallspfand 109,113 ff. Vertragsfreiheit 27, 82,170, 173 Vertragsstrafe beim griechischen Seedarlehen s. έπιτίμιον beim römischen Seedarlehen s. poena pecuniae traiecticiae

Wuchergrenze im antiken Athen 82 ξένοι, xénoi 32,137,151 Zeugen 68, 73,133 ff, 153,191 Zinsen beim griechischen Seedarlehen 27, 36,81 ff. beim römischen Seedarlehen 177, 184,186,188 ff, 211 bei der Bodmerei 213,218 Zinsbeschränkungen beim griechischen Seedarlehen 82 beim römischen Seedarlehen 189 bei der Bodmerei 214 Ζwangsverkauf 35

Quellenregister

I. Juristische Quellen

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4.33.3 4.33.4 4.33.5 4.61.6

18862, 18974 1751, 188 62 ,188 64 ,189 69 1751, 18755, 18864 200 141 ,201 145

Codex Theodosianus (CTh.) 201 144 13.5.3 201 144 13.5.5 198126, 200 139 , 13.5.7 141 200 200 141 13.5.16 13.5.24 200 141 , 201 145 13.5.36 200 139 13.9.32 200 138

200 140 ,

Consolato del mare Kap. 194 216 Dekretale C. Naviganti X (de usuris) 5.19.19 205 Digesta (D.) 3.4.1 3.5.12 4.9.1.3 4.9.3.1 4.9.1.7 13.4.2.8

Codex Iustinianus (C.) 1.17.2.5 1751 4.32.19.3 1765 4.32.26.2 1765,18974, 18975 4.33.2 1751, 18862, 18863, 18973, 14.1.1.1 18974 14.1.1.3

195110 1751, 1765 197ii6 199134 1751,19393 1751, 1765, 18862, 18969, 19393 198 126 198127

Quellenregister

238 14.1.1.9 14.1.1.12 14.1.1.15 14.1.7 14.2.2 pr. 14.2.2.2 14.2.10.1 15.1.3.8 19.2.13.1 19.2.31 20.1.5.1 20.1.13.5 20.6.4 pr. 20.6.4.1 20.6.8 22.2.1 22.2.2 22.2.4 pr. 22.2.4.1 22.2.6 22.2.7 22.2.8 22.2.9 22.2.3 39.4.11.2 44.7.23 45.1.38.17 45.1.122.1

50.5.3 50.6.6 50.6.6.3 50.17.1 50.17.202

19187 196113 196115, 197116 19187 18653 197117 199134 1751,1765 199

134

201 146 19498 194101 99420

99420 99420

Guam Code Annotated §§37101 ff. 2082 Hamburger Stadtrecht von 1603 II.14 ff. 210 Handelsgesetzbuch vom 18. Mai 1897 (HGB), 5. Buch, 6. Abschnitt (aufgehoben) § 679 213 § 680 212 22 ,212 23 ,213 §681 214 § 682 213 § 683 213 § 684 21329 § 687 21120,214 § 690 60 213 ,214 § 691 214 214 § 692 ff. § 696 214

18654, 192 1751 18974, 19393 1751, 18971 1751, 18755, 18862, 18864, 18971, 18973, 194 101 , 194103 Hanserezess von 1418 Art. 4 21225, 216 18862, 18973 1751, 18549, 18653, 18971, Marseiller Statuten von 1253/1255 19082 III.5 209,215,21539 1 81 175 ,190 1751 Novellae (Nov.) 196115 106 26,66,1751,1765,190, 193 1751, 1765, 18973, 19082 110 1751, 1765,19076 19184 172790, 1751, 1765, 177, Ordonnance touchant la marine von 18864, 18971, 18972, 18973, 1681 191, 19392, 19393, 19497, 195, 18755, 194101, 202 148 III.5 Art. 1 206,212 199130 Pauli Sententiae (PS.) 200 141 2.14.3 18974 199133 1767 1767

Gai Institutiones (Gai. Inst.) 1.32c 200 141 3.134 134593

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239

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de offîciis 1.151

Frieden 999 ff.

197 120 ,198 123

epistulae ad Atticum 2.16.4 197122 5.21.13 18447

18016

Ritter 129 ff. 34 67 278 164746 Versammlung der Frauen 547 55 191

in Verrem 2.4.8

Demosthenes (Dem.) kata Aphobou A 27.9 82 332 27.10 55 190 27.11 26 16 , 26 17 , 34 67 , 37, 4 1 n o , 42 118 , 43 126 , 57 200 27.23 82 332 27.25 82 332

Nikomachische Ethik 3.1 pag. 1110a7 ff. 66 242 Oikonomikon 2.2.16 f. pag. 1348b/5 ff.

198123

pro lege Manilla 34 18442

Aristoteles Athenaion politeia 43.4 163740 52.2 156711 58.2 152682 59.5 150674

Politika 1.9 pag. 1257b/ ff. 4.2 pag. 1289b3ö ff. 4.4 pag. 1290b39 ff.

199129

157

174

36 82 34 04 34 04

Athenaios, Das Gelehrtenmahl 1.49 18016 5.40 ff. 56 195 Cassius Dio, Historia Romana 36.34 199129 43.21.4 199131

kata Aphobou Β 28.13 82 332 kata Dionysodorou 56.1 38 88 , 85, 134597, 167759 56.2 27,85 56.2 f. 43 127 56.3 35, 50 170 , 55, 60, 87 361 , 88, 100423,134 , 124545, 180 56.4 94, 152 686 ,155 704 , 155708 56.5 83 336 56.6 134 596 ,147 647 56.7ff. 34 65 56.9 45 139 , 73 282 56.10 61 222 , 68 254 , 124552, 165 56.12 83 336

Quellenregister

240 56.15 56.16 56.16 f. 56.17 56.20 56.22 56.24 56.26 56.27 56.28 56.30 56.31 56.35 56.36 56.38 56.41 56.42 56.45 56.47 56.48 56.50 56.52

135601, 136, 136 608 , 149666, 157717 33.2 94 179 33.3 52 15 33.4 25 , 94 61 222 33.5 58 33.5 ff. 44130 223 33.6 61 153 688 33.7 61 222 33.8 72273 33.8 ff. 58 33.9 94 33.10 58 545 551 33.12 122,124 , 124 , 125 745 33.13 164 222 33.16 ff. 61 52 546 33.22 32 , 94,124 l0 683 33.23 25 , 152" 33.27 38 88 , 1677 749 33.36 165 92391

kata Philippou A 4.34 62 226 kata Stephanou A 45.64 29 32 45.64 ff. 42 118 45.65 ff. 37 45.70 10746C kata Theokrinou 58.12 2825 Paragraphe hyper Phormionos 36.44 162 peri Halonnesou 7.12 156711 peri Syntaxeos 13.13 82 pros Apaturion 33.1 138,140,141, 143,145,

c703 155 146, 147, 155 166 140 154698 26 16 , 37 85 , 38 89 , 146647, 7 759 167 38 98 , 130 42 117 38 93 , 42 121 , 80 321 , 107460, 107461, 110, HO 472 , 120525 111474 III477 III476 111475 42 120 35 72 ,42 117 , 111478, 136609 153

688

1577Π

146646, 154701 156711, 158, 159 153

689

604 135600, 135'

pros Aphobou 29.36 41 pros Boioton Β 40.52 42 122 pros Kallippon 52.3 41,67 245 52.5 70 264 52.8 42 121 52.20 26 1 7 ,41 n o pros Lakriton 35.1 161 35.3 163742 147656 35.3 ff. 35.6 38" 35.6 f. 38 96 134596 35.9 32 s4 , 45 35.10 51' 334 Ö3229, 292 255 82381 ,83 340 , 69 , 74' 360 î345 90 , 9 8 4U 87 180 35.10 ff. 47 149 , 55, 76,96,131 f.

Quellenregister

241

35.11

48 157 , 51 173 , 59, 62, 62 228 ,pros Nausimachon kai Xenopeithen , 63, 64 235 , 65 241 , 76 302 , 86 35638.2 37 , 88 371 , 89 373 , 97, 97 407 , 98 41338.11 37,67 245 428 429 433 ΙΟΙ , 101 , 102, 102 , 38.13 60 110471, 121

35.12

66 243 , 97, 97 407 , 97 408 , 98,pros Pantainetou 107461, 109, 115, 116507, 37.5 82 332 117508, 118518, 121 434 , 134594pros , Phormiona 272O 5 3 I 8 0 ) 102 135 34.1 160 135™, 135 ,153 692 72 277 34.2 133591 147651 34.3 31 41 , 51 175 , 63 229 , 96 147653 34.3 ff 48 157 , 103435 143 34.4 177 48 157 , 153692 29 27 37 84 5 2 126 34.5