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German Pages 475 Year 2008
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Band 34
Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin in der Zeit von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung (1574 – 1740) Von Agnes Winter
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
AGNES WINTER
Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin in der Zeit von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung (1574 –1740)
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Begründet von Johannes Kunisch Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer und Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll
Band 34
Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin in der Zeit von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung (1574 –1740)
Von Agnes Winter
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Philosophische Fakultät I der Humboldt-Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 978-3-428-12439-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die hier vorgelegte Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Textfassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2004/05 von der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität als Promotionsschrift angenommen wurde. Für die Drucklegung wurden einige Kürzungen vorgenommen und vor allem ein umfangreiches Register angefügt. Bereits in meiner Studienzeit begann ich, mich mit den Folgen der Konfessionalisierung für Brandenburg-Preußen im allgemeinen und für sein Bildungswesen im besonderen zu beschäftigen. Das Interesse daran erwuchs anfänglich aus einem Hauptseminar bei Herrn Prof. Dr. Heinz Schilling, meinem Doktorvater, dem an erster Stelle mein Dank gilt. Er gab nicht nur den entscheidenden Hinweis auf die Archivbestände zum Joachimsthalschen Gymnasium, sondern ermunterte mich auch, aus der daraus erwachsenen Examensarbeit ein Dissertationsprojekt zu entwickeln. Ohne seine jahrelange und vielfältige Unterstützung wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Sehr glücklich schätze ich mich, daß Herr Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer als renommierter Kenner der Materie das Zweitgutachten der vorliegenden Arbeit erstellt hat. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ bin ich ihm zu besonderem Dank verpflichtet. Die Arbeit an meinem Promotionsprojekt wurde mir zunächst durch eine Stelle in dem DFG-Projekt „Historisch-sozialwissenschaftlicher Gesellschaftsvergleich“ an der Humboldt-Universität zu Berlin ermöglicht. Anschließend wurde ich vom Evangelischen Studienwerk Villigst gefördert. Dieser Förderungseinrichtung habe ich nicht nur in finanzieller, sondern vor allem auch in interdisziplinärer und moralischer Hinsicht zu danken. Die unbefangenen Anfragen der verschiedensten Disziplinen an mein Promotionsthema halfen dabei, den Blickwinkel zu weiten. Neue Horizonte eröffnete auch die Beschäftigung mit ganz anderen, gesellschaftspolitischen Themen. Hilfreich war nicht zuletzt der persönliche Austausch über die Kehrseiten des freien Promovenden-Daseins bei den Stipendiatentreffen im Haus Villigst. Die Entstehung meiner Arbeit wurde kontinuierlich vom Oberseminar am Lehrstuhl für Frühe Neuzeit des Instituts für Geschichtswissenschaften der HumboldtUniversität zu Berlin begleitet. Der rege Austausch über unterschiedlichste frühneuzeitliche Forschungsthemen war oft genug Anreiz, über das eigene Projekt hinauszublicken und das methodische Repertoire zu erweitern. An dieser Stelle
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Vorwort
möchte ich vor allem Frau Dr. Ute Lotz-Heumann und Herrn Dr. Stefan Ehrenpreis sowie Frau Anna Ohlidal, Frau Marie-Antoinette Groß und Herrn Dr. Matthias Pohlig danken. Danken möchte ich darüber hinaus den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der zahlreichen von mir besuchten Archive und Bibliotheken. Stellvertretend seien Herr Dr. Peter Rohrlach und Frau Susanne Knackmuß von der Streitschen Stiftung unter dem Dach der Zentral- und Landesbibliothek Berlin genannt, die mich sachkundig an die Buch- und Quellenbestände des Gymnasiums zum Grauen Kloster heranführten. Für die Hilfe bei der Erstellung des Registers bin ich Herrn Marcus Held zu Dank verpflichtet. Schließlich möchte ich mich bei meinem Vater, Herrn Dr. Friedrich Winter, bedanken, der mir nicht nur als väterlicher Mahner, sondern auch als sprachlich versierter Korrektor zur Seite stand. Meinem Mann, Dr. Heiko Lehmann, danke ich dafür, daß er mich nach der politischen Wende von 1989 dazu überredet hat, meinen Beruf als Diplom-Bibliothekarin zugunsten eines Hochschulstudiums aufzugeben. Ohne ihn könnte ich heute diese Arbeit nicht vorlegen. Geschrieben wurde dieses Buch nicht zuletzt im Gedenken an zwei meiner mütterlichen Vorfahren: Dies ist zum einen der Berliner Kaufmann und Wohltäter des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, Andreas Simon (1621–1692), und zum anderen Johann Joachim Bellermann (1754–1842), Rektor des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, die beide vermutlich nicht damit rechnen konnten, daß sich Jahrhunderte später eine vielfache Urenkelin ihrer Geschichte annehmen würde. Berlin, im Sommer 2007
Agnes Winter
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gliederung und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Historische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen . . . . . . . . . . 1. Die lutherische Konfessionalisierung bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts 2. Die „Zweite Reformation“ unter Kurfürst Johann Sigismund . . . . . . . . . 3. Die reformierte Konfessionalisierung unter dem Großen Kurfürsten . . . 4. Die Folgen der doppelten Konfessionalisierung für die Berliner Residenz 5. Der Beginn der Entkonfessionalisierung seit den 1670er Jahren . . . . . . II. Die Etablierung des Pietismus in Brandenburg-Preußen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Pietismus als protestantische Frömmigkeitsbewegung . . . . . . . . . . . 2. Philipp Jacob Spener und die Anfänge des Pietismus in Berlin . . . . . . . 3. Der Hallische Pietismus als „politisch-soziale Reformbewegung“ . . . . . III. Die Frühaufklärung in Brandenburg-Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Beginn der deutschen Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frühaufklärung an der lutherischen Universität Halle . . . . . . . . . . . . . . . 3. Frühaufklärung an den reformierten Universitäten Duisburg und Frankfurt 4. Frühaufklärung in Berlin: Berolinum – orbi lumen! . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das höhere Bildungswesen in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übergreifende europäische Entwicklungen und Tendenzen . . . . . . . . . . 2. Die staatlichen Fürsten- und Landesschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bildungsreformbestrebungen und Gelehrtenschulwesen . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gelehrtenschulwesen in Brandenburg-Preußen . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 30 34 37 41 44 47 47 49 56 58 58 60 64 70 75 75 77 80 86
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster als führende städtische Gelehrtenschule lutherischer Konfession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gründung der Schule in der Zeit der lutherischen Konfessionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht durch den Berliner Magistrat und die Berliner Pröpste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Cöllnische Gymnasium als zweites altstädtisches Gymnasium . . . . . . 1. Die Anfänge des Cöllnischen Gymnasiums im 16. Jahrhundert . . . . . . 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht durch den Cöllnischen Rat und die Cöllnischen Pröpste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium als landesherrliche Fürstenschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anfänge der Schule in Joachimsthal bis zu ihrer Zerstörung im Jahre 1636 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auseinandersetzungen zwischen Kurfürst Friedrich Wilhelm und den brandenburgischen Landständen um das Berufungsrecht . . . . . . . . . . . . 3. Die Neueinrichtung der Schule in der Berliner Residenz . . . . . . . . . . . 4. Die Administration durch das Joachimsthalsche Schuldirectorium . . . . 5. Die geistliche Schulaufsicht durch Frankfurter Theologieprofessoren und Berliner Hofprediger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das bikonfessionelle Friedrichswerdersche Gymnasium als erste neustädtische Gelehrtenschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anfänge der Schule im neuen Stadtteil Friedrichswerder . . . . . . . . 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht durch den Friedrichswerderschen Rat und die städtische Geistlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das französisch-reformierte Collège François als Gelehrtenschule der Hugenotten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einrichtung und Profil des Collège François . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht zwischen Landesherrschaft und Französischer Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren . . . . . . . . . . . 1. Die Rektoren des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster . . . . 2. Die Rektoren des Cöllnischen Gymnasiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rektoren des Joachimsthalschen Gymnasiums . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rektoren des Friedrichswerderschen Gymnasiums . . . . . . . . . . . . 5. Die Rektoren des Collège François . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Profil der Lehrerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Größe und Zusammensetzung der Lehrerkollegien . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das konfessionelle Profil der Lehrerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Herkunft und Studienorte der Lehrerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spätere Berufskarrieren der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168 168 168 179 184 192 201 207 207 212 217 227
113 117 121 121 126 133 137 139 144 150 150 152 156 159 159 162 165
Inhaltsverzeichnis
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III. Das Profil der Schülerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Größe und Ausbildungsvolumen der Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das konfessionelle Profil der Schülerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die regionale Herkunft der Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Soziales Profil und spätere Berufskarrieren der Schüler . . . . . . . . . . . .
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterrichtsorganisation und curriculare Entwicklungen . . . . . . . . . . . . 2. Privatunterricht als Ort zusätzlicher Wissensvermittlung . . . . . . . . . . . 3. Die märkischen Lehrbücher als Grundlage eines einheitlichen Curriculums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reformbemühungen um die angewandte Unterrichtsmethode . . . . . . . II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die religiöse Unterweisung unter dem Einfluß von Konfessionalisierung und Pietismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der altsprachliche und rhetorische Unterricht als Kern des Curriculums 3. Die philosophische Propädeutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Stellung der Muttersprache und moderner Fremdsprachen . . . . . . 5. Das Eindringen realistischer Disziplinen in die Curricula der Berliner Gelehrtenschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Aufgaben der Berliner Gymnasien im religiösen und kulturellen Leben der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die musikalische Begleitung des kirchlich-religiösen Lebens . . . . . . . 2. Verbreitung und Praxis des Schultheaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die außerschulische Wirksamkeit von Schülern und Lehrern als Privaterzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Berliner Gelehrtenschullehrer als Gelegenheitsdichter . . . . . . . . . . II. Die Bedeutung der Berliner Gymnasien für die Berliner Gelehrtenrepublik 1. Die Berliner Gymnasiallehrer als Akteure in Berliner Theologenkreisen und Gelehrtengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die publizistische Wirksamkeit der Berliner Gelehrtenschullehrer . . . . 3. Gelehrtenschullehrer als kurfürstliche und königliche Bibliothekare . .
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274 276 280 280 293 302 311 321
334 334 345 352 356 360 360 364 369
G. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Quelleneditionen, Prosopographien und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . III. Literatur vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Neuere Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
387 387 390 392 406
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Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 1. Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern . . . . . . . . . . . . . . . 440 2. Lehrer der städtischen Gelehrtenschulen nach Konfession . . . . . . . . . . . . . 454 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
A. Einleitung I. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frühzeit des humanistisch-konfessionell geprägten Gelehrtenschulwesens der Residenzstadt Berlin vor dem Hintergrund der allgemeinhistorischen Entwicklungen in Brandenburg-Preußen. Ausgangspunkt sind dabei die von der lutherischen Reformation ausgehenden Bemühungen um eine grundsätzliche Neuordnung des höheren städtischen Schulwesens, wie sie in Berlin seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Tragen kamen. Infolge des Übertritts des brandenburgischen Herrscherhauses zum Reformiertentum haben wir es in Berlin seit der Mitte des 17. Jahrhunderts mit einer mehrkonfessionellen Bildungslandschaft zu tun. Diese setzt sich zusammen aus den beiden ältesten Gymnasien der mittelalterlichen Doppelstadt, dem Cöllnischen und dem Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster als lutherische Gelehrtenschulen sowie dem Friedrichswerderschen Gymnasium als städtisches Simultaneum. Ihnen stehen das deutsch-reformierte Joachimsthalsche Gymnasium als landesherrliche Fürstenschule und das französisch-reformierte Collège François gegenüber, die unter kurfürstlichem bzw. königlichem Patronat standen. Anders als die bisherige Forschung nimmt die vorliegende Untersuchung das Berliner Gelehrtenschulwesen erstmals in seiner Gesamtheit in den Blick. Dies geschieht in der Tradition einer modernen Bildungsforschung, die geistig-kulturelle Entwicklungen im Kontext allgemeinhistorischer Prozesse analysiert. Erkenntnisleitend ist dabei die Frage nach den jeweiligen Funktionen der Gelehrtenschulen im konfessionellen und frühabsolutistischen Staat und ihre Einbindung in die Sozial-, Kultur- und Geistesgeschichte Berlins und Brandenburg-Preußens. Dies erfordert die Einbeziehung sowohl sozial- und institutionengeschichtlicher als auch ideen- und mentalitätsgeschichtlicher Fragestellungen in die Untersuchung. Dazu kommen kirchen- und theologiegeschichtliche Aspekte, war doch die alteuropäische Welt in hohem Maße religiös geprägt und die Kirche bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert „der wichtigste Raum geistiger und mentaler Bildung“ 1. In besonderem Maße wurde die vorliegende Untersuchung von der Konfessionalisierungsforschung angeregt, wie sie in den vergangenen drei Jahrzehnten von den beiden Historikern Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard entwickelt wurde. Konfessionalisierung wird hierbei als ein gesamtgesellschaftlicher Fundamental1
Schindling, Bildung, S. 79.
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A. Einleitung
prozeß auf dem Weg zur Herausbildung der Moderne verstanden, der kirchlichreligiöse und mentalitätsmäßig-kulturelle Veränderungen ebenso einschließt wie staatlich-politische und soziale. 2 Es handelt sich hierbei um einen komparatistischen Ansatz, der ohne die theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Spezifika der drei großen Konfessionen in Frage zu stellen nach funktionalen Parallelen bei der Durchsetzung des jeweiligen Bekenntnisstandes in den entsprechenden Gesellschaften sucht. Nach Reinhard waren die wichtigsten obrigkeitlichen Mittel für eine erfolgreiche Konfessionalisierung die Formulierung klarer Glaubensbekenntnisse, die Heranbildung geeigneter Multiplikatoren, eine intensive konfessionelle Propaganda und Indoktrination durch Predigten, Katechismen und andere geeignete Medien sowie die Intensivierung sozialer Kontrolle durch Visitationen und Kirchenzucht. Dem Bildungswesen kam in allen Konfessionsgesellschaften bei der „Internalisierung der neuen Ordnung“ eine besondere Bedeutung zu. 3 Der Höhepunkt des Konfessionalisierungsprozesses wird von Schilling auf die Jahre zwischen 1570 und 1620 datiert. 4 Reinhard setzt das endgültige Ende der Konfessionalisierung mit der Vertreibung der Protestanten aus dem Salzburger Erzbistum im Jahre 1731/32 an. 5 Tatsächlich wirkte die konfessionelle Dynamik vor allem in gemischtkonfessionellen Regionen, zu denen Brandenburg-Preußen zählte, noch weit über das Ende des Dreißigjährigen Krieges hinaus. Sein endgültiges Ende fand der Konfessionalisierungsprozeß hier zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit dem Erstarken der Frömmigkeitsbewegung des Pietismus und der zeitlich parallel einsetzenden Frühaufklärung, die beide dem herkömmlichen orthodoxen Denken konsequent entgegenarbeiteten. Der Untersuchungszeitraum der Arbeit umfaßt eine Epoche der brandenburgisch-preußischen Geschichte, die in besonderem Maße von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung geprägt war. Das Jahr 1574 markiert nicht nur den Zeitpunkt der Neubegründung des bedeutendsten städtischen Gymnasiums der Stadt, sondern auch den Beginn einer umfassenden Kirchenreform unter dem lutherisch-orthodox eingestellten Kurfürsten Johann Georg (1571–1598). Seit dem Konfessionswechsel seines Enkels Johann Sigismund (1598–1619) im Jahre 1613 standen sich in Brandenburg-Preußen ein reformiertes Herrscherhaus 2 „‚Konfessionalisierung‘ meint einen gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der das öffentliche und private Leben in Europa tiefgreifend umpflügte, und zwar in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und mit der Formierung einer neuzeitlich disziplinierten Untertanengesellschaft.“ Schilling, Konfessionalisierung im Reich, S. 6. Zu den aktuellen historiographischen Debatten um das Konfessionalisierungsparadigma vgl. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation, S. 62–79. Zur Frage der Reichweite und der Grenzen der Konfessionalisierung vgl. neuerdings Greyerz/Jakubowski-Tiessen/Kaufmann, Interkonfessionalität. 3 Vgl. Reinhard, Zwang, S. 263. 4 Vgl. Schilling, Konfessionalisierung im Reich, S. 14–30. 5 Vgl. Reinhard, „Konfessionalisierung“, S. 85.
I. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung
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und eine lutherisch-orthodoxe Untertanenschaft gegenüber. Der aus dieser Bikonfessionalität resultierende Dualismus von Herrschaft und Landständen war auch für den staatlichen Ausbau folgenreich. So führte die Politik der brandenburgischen Kurfürsten, das Reformiertentum als „Hof- und Beamtenreligion“ 6 in den brandenburgischen Herrschaftsgebieten zu etablieren, zum Aufbau einer von den Landständen unabhängigen Politik- und Kulturelite, welche „durch Bildungsgang und Gruppenethos“ 7 besonders stark auf den absolutistischen Staat orientiert war. Desgleichen brachte die Berührung mit dem Calvinismus Rezeptionsprozesse durch westeuropäisches Gedankengut in Gang. 8 Der Schwerpunkt dieser Untersuchung wird auf die Zeit nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gelegt. Die vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts bedeuten nicht nur wegen des Kriegsendes, sondern auch wegen des Machtantritts des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640–1688) eine wichtige Zäsur in der Geschichte Brandenburg-Preußens. So wurden unter dem Großen Kurfürsten durch die Einschränkung der ständischen Rechte, durch die Errichtung eines stehenden Heeres sowie durch die Begründung der ersten staatlichen Verwaltungsorgane die Grundlagen für die Entstehung eines frühmodernen absolutistischen Staates gelegt. Von Bedeutung war bei diesem Prozeß auch die besondere konfessionelle Struktur der brandenburgisch-preußischen Gesellschaft. Konfessionelle Dynamik und staatlicher Ausbau überdeckten sich in Brandenburg-Preußen in besonderer Weise auch über die Zeit der innerprotestantischen Konfrontation hinaus. So nahm seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert der als lutherisch-antiständische Reformbewegung protegierte Pietismus staatstragenden Charakter an. 9 Viele der staatlichen Reformen unter Friedrich III.(I.) (1688–1713) waren aus pietistischem Geist gespeist und unter König Friedrich-Wilhelm I. (1713–1740) wurde der Pietismus, der die orthodoxen Fronten aufweichte, gewissermaßen zu einer „Staatsreligion“ 10. Zeitlich parallel und mit der Etablierung des Pietismus eng verbunden erhielten unionistische und frühaufklärerische Strömungen stärkeren Auftrieb. Von Brandenburg-Preußen als einem religiös relativ neutralen Staat kann man erst seit dem aufgeklärten Absolutismus der friderizianischen Zeit sprechen. Dieser Zeitpunkt, zu dem in Brandenburg-Preußen das konfessionelle Zeitalter endgültig vom Zeitalter der Aufklärung abgelöst wird, bildet den Endpunkt der Untersuchung.
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Stutz, Kurfürst, S. 99. Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 206. Näheres dazu bei Opgenoorth, Reformierten; Hahn, Landesstaat u. ders., Calvinismus. 8 Vgl. Oestreich, Calvinismus u. Gelderen, Holland. 9 Vgl. Deppermann, Pietismus. 10 Hinrichs, Preußentum, S. 100. 7
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A. Einleitung
II. Gliederung und Vorgehen Die vorliegende Arbeit gliedert sich folgendermaßen: In einem ersten Kapitel (Teil B) werden zunächst die allgemeinen Entwicklungen und Prozesse dargestellt, welche den zeitlichen und sachlichen Rahmen der Untersuchung bilden. Da die Art und Weise der Einbindung des Berliner Gelehrtenschulwesens in den Prozeß der Konfessionalisierung für die vorliegende Arbeit von zentralem Interesse ist, ist die genaue Darstellung dieses Prozesses in Brandenburg-Preußen und seiner Hauptresidenz unerläßlich. Als Sitz der landesherrlichen Regierungsbehörden einschließlich des Kurmärkischen Konsistoriums war Berlin nicht nur vom politischen, sondern auch vom kirchlichen Geschehen besonders unmittelbar betroffen. In der Zeit des Großen Kurfürsten wurde die Berliner Hauptresidenz zu einem zentralen Ort konfessionspolitischer Auseinandersetzungen. Reformierte Hofgesellschaft und lutherische Stadtbevölkerung trafen hier unmittelbar aufeinander. Chronologisch und sachlich schließen sich daran Ausführungen über den Pietismus in Brandenburg-Preußen und wiederum speziell in Berlin an. Dabei wird vor allem dem Wirken von Philipp Jacob Spener nachgegangen, der seit 1691 als Berliner Propst eine unmittelbare Bedeutung für die städtischen Gelehrtenschulen gewann. In einem dritten Abschnitt wird näher auf die Frühaufklärung eingegangen, die sich seit den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts an den beiden brandenburgisch-preußischen Landesuniversitäten, Halle und Frankfurt a. O., sowie in verschiedenen Berliner Gelehrtenkreisen bemerkbar machte und die intellektuelle Diskussion in Brandenburg-Preußen zu bestimmen begann, an der sich durch ihr Studium und ihre berufliche Tätigkeit auch eine neue Generation Berliner Gelehrtenschullehrer beteiligte. Seinen Abschluß findet das erste Kapitel der Arbeit mit einer Darstellung der allgemeinen bildungshistorischen Rahmenbedingungen, in welche die frühneuzeitliche Geschichte der Berliner Gelehrtenschulen einzuorden ist. Nach Hinweisen auf übergreifende Entwicklungen und Tendenzen in der Zeit des Humanismus und der Reformation wird zunächst der neue Typ der staatlichen Fürsten- und Landesschulen, wie er auch in Brandenburg-Preußen entstehen sollte, vorgestellt. Außerdem werden die verschiedenen pädagogisch-konzeptionellen Bildungsreformbestrebungen des 17. Jahrhunderts, die sich mit den Namen von Comenius und Ratke über Reyher bis hin zu Weigel und Weise verbinden und vor allem vom mitteldeutschen Sachsen ausgingen, nachgezeichnet. Der territoriale Rahmen wird genauer umrissen, indem die Entwicklung des Gelehrtenschulwesens in ganz Brandenburg-Preußen dargestellt wird. Die folgenden Hauptteile der Arbeit (Teile C bis E) verfolgen das Ziel, die oben umrissenen Konfessionalisierungsprozesse sowie das Eindringen des Pietismus und der Frühaufklärung sowie zeitgenössischer Bildungsreformbestrebungen auf der Ebene der Berliner Gelehrtenschulen herauszuarbeiten und dabei zugleich allgemeine Strukturen des frühneuzeitlichen Schul- und Erziehungswesens of-
II. Gliederung und Vorgehen
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fenzulegen. Dazu werden die fünf Berliner Gelehrtenschulen unter bestimmten Aspekten untersucht und miteinander verglichen. Gegenstand der vergleichenden Analyse sind die jeweiligen administrativen Strukturen und die wirtschaftliche Ausstattung, die personellen Profile der Lehrer- und Schülerschaft, die spezifischen Unterrichtsprofile sowie die Einbindung der Schulen in die Berliner Gesellschaft in Abhängigkeit von der jeweiligen Patronatsstruktur und spezifischen konfessionellen und nationalen Prägung der Schulen. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende allgemeine Fragestellungen: Auf welche Weise schlug sich die Konfessionalisierung der Berliner Gesellschaft im höheren Bildungswesen nieder? In welchem Maße waren die Schulen personell und ideell in die unterschiedlichen Konfessionskulturen eingebunden? Wie stark wirkte die gemeinsame späthumanistische Tradition der Gelehrtenschulen über die konfessionellen Grenzen hinweg? Welchen Einfluß hatten die Frühaufklärung und der Pietismus als wichtige Reformströmungen der Zeit auf die Entwicklung der konfessionell-humanistisch geprägten Berliner Gelehrtenschulen? In diesem Zusammenhang interessiert besonders, an welchen Schulen neue reformpädagogische Impulse zuerst wirksam wurden und ob sich dabei bestimmte konfessionelle Präferenzen erkennen lassen. Zugleich ist von Interesse, ob und ab wann sich die allgemeine These eines im 18. Jahrhundert „pietistisch durchdrungenen Pfarrer- und Lehrerstandes“ 11 am Beispiel Berlins erhärten läßt und ob die Berliner Schulen in der Mitte des 18. Jahrhunderts tatsächlich vom pietistischen Geist durchdrungen waren, wie dies für Brandenburg-Preußen gern behauptet wird. 12 Da die Wirkungsgeschichte des Pietismus hallischer Prägung an preußischen Schulen wenig erforscht ist, leistet die Arbeit auch einen Beitrag zur Aufarbeitung eines generellen Forschungsdefizites. 13 Soweit die Quellen einen Vergleich zulassen, soll die Situation in Halle mit einbezogen werden. Das erste Hauptkapitel der Arbeit (Teil C) beschreibt die Genese der höheren Berliner Schullandschaft von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Dabei stehen neben den Institutionalisierungsprozessen die administrativen Strukturen und die finanzielle Ausstattung der einzelnen Berliner Gymnasien im Mittelpunkt des Interesses. Gefragt wird zunächst nach den konkreten Gründungsimpulsen und -motiven, wie sie vor allem aus den Stiftungsurkunden der Schulen sprechen. Dabei wird der angestrebte Status und der tatsächliche Charakter der Schulen näher bestimmt. Weitere Abschnitte beschäftigen sich damit, auf welche Weise an den Berliner Gymnasien das städtische und das landesherrliche Schulregiment ausgeübt wurde und wie sich die entsprechenden Aufsichtsgremien zusammensetzten. Daneben ist die Praxis der geistlichen Schulaufsicht an den 11
Schicketanz, Pietismus, S. 127. Vgl. Titze, Politisierung, S. 37. Daß diese Behauptung bis heute nicht belegt wurde, stellte auch Neugebauer fest. Vgl. ders., Staat, S. 31. 13 Vgl. Neugebauer, Bildungswesen, S. 6. 12
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A. Einleitung
konfessionell unterschiedlichen Schulen von großem Interesse. Welchen Einfluß hatten die Berliner Geistlichen lutherisch-orthodoxer und deutsch- bzw. französisch-reformierter Prägung als Visitatoren auf die einzelnen Berliner Gymnasien? Wie stark waren landesherrliche Behörden wie das lutherische und das französische Konsistorium oder das reformierte Kirchendirektorium und der Geheime Rat in die Schulaufsicht mit einbezogen? An welchen Schulen kam wann der Pietismus zum Zuge und welchen Anteil hatte der Berliner Kreis um Spener an der Berufung pietistischer Lehrer? Darüber hinaus wird dargestellt, mit welchem Gründungskapital die Schulen ausgestattet wurden und wie sich die jeweiligen Schulfonds im Laufe des Untersuchungszeitraumes entwickelten. Über welche regelmäßigen Einnahmen verfügten die Schulen? Welche Personengruppen taten sich mit Stiftungen hervor? Wie sah die soziotopographische Lage der Gymnasien in der Berliner Residenz aus? Die Untersuchung dieser Fragen geschieht zum einen mit dem Ziel, die Einbindung der jeweiligen Berliner Gymnasien in die entsprechenden städtischen, landesherrlich-höfischen oder konfessionellen Gruppierungen der Berliner Gesellschaft aufzuzeigen. Erkenntnisleitend ist dabei auch die Frage nach dem Ausmaß des landesherrlichen Zugriffs auf die verschiedenen Schulen. Läßt sich die allgemeine These zur Absolutismusdiskussion, daß das brandenburgisch-preußische Schulwesen in der Frühen Neuzeit in hohem Maße den lokalen Gewalten überlassen blieb und das zentralstaatliche Element an der Peripherie keine tragende Rolle spielte 14, auch auf Berlin als brandenburgisch-preußische Hauptresidenz übertragen? Zum anderen sollen durch die Ermittlung der Anzahl der Lehrerstellen und Klassen, der Versorgungsmöglichkeiten auswärtiger Schüler, der Bibliotheksausstattungen und der generellen räumlichen Ressourcen die unterschiedlichen Ausbildungspotentiale der Berliner Gymnasien genauer ausgelotet werden. Die Behandlung dieser Fragen geschieht in der Reihenfolge der entsprechenden Schulgründungen: zunächst werden die beiden Altberliner Gymnasien, das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster und das Cöllnische Gymnasium, die unter städtischem Patronat standen, untersucht. Darauf folgen das Joachimsthalsche Gymnasium als landesherrliche Fürstenschule sowie die beiden in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts gegründeten Schulen: das Friedrichswerdersche Gymnasium im neuen kurfürstlichen Stadtteil Friedrichswerder und das Collège der Hugenotten. Daß die Abschnitte zu den einzelnen Gymnasien inhaltlich und quantitativ äußerst unterschiedlich ausfallen, ist der disparaten Quellenlage geschuldet, die zwangsläufig große Unterschiede in der Erschließungstiefe zur Folge hat. Die Frage, inwieweit die verschiedenen Berliner Gelehrtenschulen in bestimmte „konfessionelle Netzwerke“ 15 sowie geistesgeschichtliche und pädagogische 14
Vgl. Neugebauer, Staat, S. 625–634.
II. Gliederung und Vorgehen
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Traditionen eingebunden waren, hat vor allem eine sozialgeschichtliche Dimension. So wurde das Unterrichtsprofil der Schulen von einer Lehrerschaft bestimmt, die ihre Ausbildung je nach konfessioneller Prägung an unterschiedlichen Ausbildungsstätten erhalten hatte. Um solchen Zusammenhängen nachzugehen, werden im zweiten Hauptteil der Arbeit (Teil D) zunächst die wichtigsten Berliner Rektoren nach ihrer Herkunft, schulischen und universitären Prägung, sowie ihrer späteren Wirksamkeit vorgestellt. Eine Konzentration auf die Rektoren erscheint deshalb sinnvoll, weil diese für die Geschicke der Schulen in besonderer Weise verantwortlich waren. Sie hatten nicht nur die Aufsicht über die anderen Kollegen und die Schüler, sondern bestimmten durch neue Lehrpläne und Änderungen in den Schulgesetzen das Unterrichtsprofil der jeweiligen Gelehrtenschulen in erheblichem Maße. Der gute Ruf einzelner Rektoren war für den Zulauf der entsprechenden Gelehrtenschule entscheidend. Für die Rektoren des Berlinischen Gymnasiums galt: Rectorem reliqui collegae debite observanto, et omni amore proseqvuntor 16. Sie sollten jedoch, wie es in den Statuten des Joachimsthalschen Gymnasium heißt, nicht allein der Schuel zu haupt sein, und die andern seine collegas regiren, sondern auch darauf sehen, wie auf das beste die lehr und Zucht bey der Jugendt anzustellen, zu erhalten und zuverbeßern sey 17. Die Aufgaben betrafen also nicht allein den administrativen Bereich, sondern immer auch Fragen des inneren Schulbetriebs, wie die Unterrichtsgestaltung und die Lehrinhalte. Nach der prosopographischen Vorstellung einzelner Rektoren wird die gesamte Berliner Lehrerschaft hinsichtlich ihrer konfessionellen Prägung, regionalen Herkunft und ihrer Studienorte analysiert. Dies geschieht mit dem Ziel, quantitative Aussagen über das Verhältnis von Einheimischen zu „Ausländern“ aus fremden Territorien unter den Lehrern zu treffen. Zugleich interessiert die Frage, ob und in welchem Maße die Berliner Lehrer im Laufe ihrer Ausbildung mit westdeutschem und westeuropäischem calvinistischen Gedankengut beziehungsweise mit dem mitteldeutschen Luthertum und später mit dem Hallischen Pietismus und der Frühaufklärung in Berührung gekommen sind. Damit lassen sich die Transmissionswege neuer Ideen und Reformimpulse nachzeichen. Bis zu welchem Zeitpunkt die Tätigkeit im Schuldienst nur eine Durchgangsstation für ein Predigeramt oder eine Gelehrtenlaufbahn darstellte und wie sich das Sozialprestige des Lehrerstandes in Berlin entwickelte, wird anhand der Verweildauer der Berliner Präzeptoren im Schuldienst genauer untersucht. Einen weiteren Aspekt komparativer Untersuchungen bildet das quantitative und qualitative Profil der Schülerschaft der Berliner Gelehrtenschulen. Ein Ver15
Stichweh, Staat, S. 24. Leges docentium. ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 192. Vgl. auch Bodenburg, Leges, Artikel V. 17 Statuten des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1607. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 70. 16
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A. Einleitung
gleich der Schülerfrequenzen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen konfessionellen Ausrichtung und Trägerschaft ermöglicht Rückschlüsse auf die tatsächliche Bedeutung der einzelnen Berliner Gelehrtenschulen bei der Rekrutierung kirchlichen und staatlichen Amtsträgernachwuchses. Dabei steht in besonderem Maße die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle den landesherrlichen Schulen bei der Gewinnung eines staatstragenden sogenannten „Ersatzbürgertums“ 18, das sich aus Ausländern reformierter Konfession zusammensetzte und die indigene brandenburgisch-preußische Bevölkerung überlagerte, zukam. Die Reichweite des geographischen Einzugsbereichs der Schulen gibt zugleich Auskunft über die generelle Zentralitätsfunktion Berlins als einem überregionalen Bildungsstandort. Der Adelsanteil verweist auf den Status und Rang der jeweiligen Schule und die Situation im Stipendienwesen läßt Rückschlüsse auf das Ausmaß sozialer Mobilität zu. Inwiefern die „unsichtbare Grenze“ 19 zwischen den Konfessionen auch die Schülerschaft trennte, wird anhand des Anteils anderskonfessioneller Schüler genauer bestimmt. Auch die Abgangsquote zur Universität bildet einen wichtigen Untersuchungsaspekt. Die umfassende Auswertung der Schülermatrikel hinsichtlich der späteren Studiengänge und Berufskarrieren erwies sich als nicht realisierbar. Gleichwohl läßt sich anhand einer Vielzahl ermittelter Einzelkarrieren die besondere Bedeutung des Berliner Gelehrtenschulwesens für die brandenburgisch-preußische Gesellschaft in der Frühen Neuzeit aufzeigen. Als ein generelles Defizit der modernen Frühneuzeitforschung gelten die Lehrangebote einzelner Schulen und Hochschulen sowie die „Rezeption und Wirkung des schulmäßig vermittelten Bildungswissens in der Adels- und Bürgerkultur der Frühen Neuzeit“ 20. Ausgehend von der konfessionsspezifischen Prägung der Schulen kommt es deshalb in einem weiteren Kapitel (Teil E) zur Darstellung und zum Vergleich der jeweiligen Unterrichtsorganisation sowie der vermittelten Lehrinhalte und der angewandten Methoden. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, ob und inwiefern sich die verschiedenkonfessionelle Prägung der Berliner Präzeptoren auf das jeweilige Lehrprogramm auswirkte. Wie war die religiöse Normvermittlung in den Lehrplänen verankert und womit wurde die Internalisierung der jeweiligen Konfession erreicht? Wie war das Verhältnis von Modernität und Traditionalität an den konfessionell verschiedenen Schulen? In welchem Maße dienten die reformierten Schulen der Verbreitung westeuropäischen Gedankengutes wie dem niederländischen Späthumanismus, dem Ramismus und später dem Cartesianismus? Wichtig ist auch die Frage nach möglichen modernisierenden Einflüssen durch frühneuzeitliche Reformpädagogen wie Comenius und Ratke. Seit wann und auf welche Weise schlugen sich der pädagogische Realismus und die Praxisorientierung als wichtigste reformpädagogische Impul18 19 20
Vgl. Jersch-Wenzel, Juden; dies., Ersatzbürgertum u. Nachama, Ersatzbürger. François, Grenze. Schindling, Schulen, S. 566.
III. Forschungsstand
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se des späteren 17. Jahrhunderts an den Berliner Gelehrtenschulen nieder? In welchem Maße fanden die ‚Realien‘ und neuen Wissenschaften Geschichte und Geographie, Geometrie und Arithmetik sowie die Jurisprudenz in den Lehrplänen Berücksichtigung? Welchen Einfluß hatten dabei die pietistischen Pädagogen und kann die tradierte Behauptung, daß die „Geringschätzung der Wissenschaften“ 21 ein charakteristischer Zug des Pietismus gewesen sei, noch aufrecht erhalten werden? Nicht zuletzt ist die Frage, wie sich das Französische Collège in Curriculum und Unterricht von den deutschen Gelehrtenschulen unterschied und welche Bedeutung den Hugenotten in der Berliner Bildungsgeschichte zuzumessen ist, von Interesse. Ein letztes Kapitel (Teil F) wendet sich den Außenwirkungen der Berliner Gelehrtenschulen zu. Dies betrifft zum einen die städtische Alltagskultur einschließlich des kirchlich-zeremoniellen Lebens. Untersuchungsgegenstand ist dabei die Art und Weise der Einbindung der Schulen in die verschiedenen Berliner Konfessionskulturen. Neben der Gewährleistung von Kirchenmusik und Schultheater erfüllten die Schüler und Lehrer wichtige Funktionen als Privatlehrer und als Produzenten von Gelegenheitsdichtung zu den verschiedensten Anlässen städtischen und höfischen Lebens. Die überlieferte Kasualliteratur gibt zugleich interessante Aufschlüsse über das ideelle Verhältnis der Verfasser zum Herrscherhaus. Darüber hinaus werden die Funktionen der Berliner Gelehrtenschulen im wissenschaftlichen Leben der brandenburgisch-preußische Hauptresidenz genauer untersucht. Dies betrifft nicht nur ihr Wirken innerhalb der Berliner Sozietät der Wissenschaften, die zum Ort überkonfessionellen Austausches wird, sondern auch in anderen Theologen- und Gelehrtenkreisen, welche die Berliner Gelehrtenrepublik des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts prägten. Damit will die Untersuchung einen Beitrag zur Analyse solcher residenzstädtischer Beziehungsgeflechte leisten, die über den Bereich der Akademiegeschichte hinausgehen und bisher ein Forschungsdesiderat darstellten. 22
III. Forschungsstand Die vorliegende Untersuchung zum höheren Berliner Schulwesen in der Frühen Neuzeit widmet sich einem Gegenstand, der von der historischen Forschung in doppelter Hinsicht vernachlässigt wurde. Während sich die ältere historische Bildungsforschung seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert traditionell auf das Gelehrtenschulwesen konzentrierte, hat sich die neuere Geschichtsforschung des höheren Schulwesens wenig angenommen. Dies gilt insbesondere im Vergleich zur jüngsten Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. So steht die Geschichte
21 22
Paulsen, Geschichte, Bd. 1, S. 613. Vgl. Döring, Frühaufklärung, S. 39f.
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A. Einleitung
des Gymnasiums, die kein traditioneller Zweig der Geschichtswissenschaft ist, in der historischen Forschung deutlich im Schatten der Universitätsgeschichte. 23 Darüber hinaus handelt es sich beim gewählten Untersuchungszeitraum um eine sowohl von der modernen historischen Pädagogik als auch von der neueren Geschichtswissenschaft wenig erforschte Phase. Zu Recht hat Van Dülmen unlängst festgestellt, daß eine Geschichte des frühneuzeitlichen höheren Schulwesens bis heute nicht vorliegt. 24 Insbesondere ist die Zeit zwischen der Reformationsepoche als dem Jahrhundert der europäischen „Bildungsrevolution“ 25 und der Ära der Aufklärung, die generell als ein „pädagogisches Jahrhundert“ 26 gilt, ein von der Forschung vernachlässigter Zeitraum. 27 Zum überlokalen gymnasialen Schulwesen im 17. und frühen 18. Jahrhundert gibt es nur wenige Untersuchungen. 28 Vor allem fehlt es an vergleichenden Arbeiten über gymnasiale Lehrpläne, Lehrinhalte und Lehrbücher. 29 Die meisten neueren Darstellungen widmen sich der Geschichte einzelner Bildungseinrichtungen in weiträumigen Längsschnitten. 30 Dies schränkt die Möglichkeiten des Vergleichs für die vorliegende Arbeit stark ein.
23
Vgl. Schindling, Bildung, S. 79. Vgl. Van Dülmen, Kultur, Bd. 3, S. 297 Anm. 23. 25 Dieser Begriff geht auf Lawrence Stone zurück, der für England in den Jahren zwischen 1560 und 1640 von einer „educational revolution“ spricht (vgl. ders., Revolution). 26 Rössler setzt das „pädagogische Jahrhundert“ in den Jahren zwischen 1770 bis 1830 an. Vgl. ders., Entstehung, S. 3. 27 Erst in jüngster Zeit hat man sich der Bildungsgeschichte in der Zeit der Konfessionalisierung zugewandt. Neue Forschungsfelder umreißt aus europäisch und konfessionsgeschichtlich vergleichender Sicht ein Sammelband von Schilling und Ehrenpreis (vgl. diess., Erziehung). Auch von Seiten der historischen Pädagogik erschien unlängst ein Tagungsband zu den Anfängen moderner Pädagogik, der schwerpunktmäßig die Zeit der Konfessionalisierung behandelt (Musolff/Göing, Anfänge). 28 Neben den Handbüchern zur österreichischen und bayerischen Bildungsgeschichte, ist an dieser Stelle vor allem das neue Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte zu erwähnen. Der im Jahre 1996 vorgelegte erste Teil konzentriert sich allerdings im wesentlichen auf die Zeit vor 1648 und widmet der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem frühen 18. Jahrhundert wenig Aufmerksamkeit. Der zweite Teil des Handbuches wird sich hauptsächlich mit dem „Pädagogischen Jahrhundert“ der Aufklärungszeit beschäftigen, dessen Beginn die Forschung in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert. Vgl. Engelbrecht, Geschichte; Liedtke, Handbuch u. Hammerstein, Handbuch. Einen kurzen Einblick in die Geschichte der katholischen Gelehrtenschulen im Zeitalter der Konfessionalisierung gibt Dickerhof (vgl., ders., Gelehrtenschule). 29 Über das bloße Nebeneinanderstellen verschiedener territorialer Bildungslandschaften kommen auch neuere Untersuchungen kaum heraus. Vgl. Seifert, Schulwesen, S. 305–332 u. Holtz, Bildung, S. 255–335. Eine vergleichende Detailstudie über die Schulorganisation und Unterrichtspraxis an mehreren höheren Schulen des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel, in der er sich auf Visitationsprotokolle aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stützt, legte unlängst Tütken vor (vgl. ders., Schulen). Mit der Geschichte der reformierten Gelehrtenschulen Hessen-Kassels in der Zeit der Konfessionalisierung befaßte sich Friedrich, Gelehrtenschulen. 24
III. Forschungsstand
21
Im Blick auf die Forschungslage zur höheren Bildungsgeschichte Brandenburg-Preußens vom späten 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhundert bestätigt sich dieser allgemeine Befund. Abgesehen von den bis heute unentbehrlich gebliebenen ideen- und institutionsgeschichtlich angelegten Gesamtdarstellungen von Paulsen (1883) und Heubaum (1905) zum höheren Bildungswesen in Deutschland setzt die historische Bildungsforschung traditionell erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein. 31 Die Entwicklung des Gelehrtenschulwesens vor 1740 wurde von schulgeschichtlicher Seite ausschließlich im Rahmen von Einzeldarstellungen zu den bedeutenden Berliner Gymnasien untersucht. 32 Auch die von der Absolutismusforschung inspirierten neueren geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen zum höheren Bildungswesen in Brandenburg-Preußen setzen erst mit dem allmählichen Übergang der Gelehrtenschule zum modernen Gymnasium, wie er sich seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in BrandenburgPreußen vollzog, ein. Forschungsschwerpunkte bildeten dabei die Bildungs- und Schulreformen der friderizianischen Zeit als der „Inkubationszeit des staatlichen Bildungswesens“ 33 und die sich unter den Neuhumanisten und im Gefolge der Preußischen Reformen herausbildende moderne staatliche Unterrichtsverwaltung. 34 Neue Maßstäbe hinsichtlich der Fragestellung und der angewandten Methode hat die vorbildliche Gesamtdarstellung Neugebauers (1985) zum Schulwesen im absolutistischen Brandenburg-Preußen gesetzt. Auf der Grundlage einer breiten Quellenbasis ging er der Schulwirklichkeit vor Ort nach, wobei er sowohl sozialgeschichtliche als auch verfassungsgeschichtliche Aspekte behandelte. Im Bemühen um die Darstellung von Kontinuitäten greift die Untersuchung bis in das 17. Jahrhundert und damit in den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit zurück. Aspekte des Gelehrtenschulwesens finden bei Neugebauer wohl Beachtung, der Schwerpunkt der Untersuchung wird aber auf das ländliche und niedere städtische Schulwesen gelegt. Es gelingt dem Verfasser dabei, das Verhältnis von absolutistischem Staat und Schule, insbesondere den Zeitpunkt der Einbeziehung des Schulwesens in den Prozeß der Staatsbildung, genauer zu bestimmen. Entgegen der bisherigen Forschungsmeinung setzte nach Neugebauer der „Griff des Staates über die Schulen ‚nach den Köpfen‘ der Landesbewohner“ erst im 19. Jahrhundert ein. Das preußische Schulwesen sei im 18. Jahrhundert noch weitgehend von
30 Neuere Längstschnitte unterschiedlicher Qualität wurden beispielsweise zu Wolfenbüttel, Pforzheim und Köln vorgelegt (vgl. Glaubenslehre; Kremer, Lesen u. Fellmann, Montanum). 31 Vgl. Rethwisch, Zedlitz u. Schwartz, Gelehrtenschulen. 32 Vgl. Heidemann, Geschichte; Müller, Geschichte; Schulze, Bericht u. Wetzel, Geschichte. 33 Jeismann, Friedrich, S. 97. 34 Vgl. Herrlitz, Studium; Jeismann, Gymnasium u. Heinemann, Schule.
22
A. Einleitung
traditionalen Strukturen und lokalen Patronatsobrigkeiten geprägt gewesen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Bruning bei der Untersuchung des Schulwandels in den brandenburgisch-preußischen Territorien Minden-Ravensberg von 1648 bis 1816. 35 Für die Erforschung des frühen Gelehrtenschulwesens Berlins läßt sich generell feststellen, daß die Erziehungsgeschichte der Neuzeit bisher kaum in die allgemeine Geschichte einbezogen worden und ein Spezialgebiet der Pädagogen und Schulhistoriker geblieben ist. 36 Der größte Teil der von schulhistorischer Seite nach 1945 entstandenen Darstellungen zu den Berliner Gelehrtenschulen basiert auf den genannten älteren Schulgeschichten. 37 Zu Recht wurde auch von Seiten der historischen Pädagogik die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der traditionsreichen Berliner Gymnasien als ein generelles Forschungsdesiderat angemahnt. 38 Zu den wenigen schulgeschichtlichen Untersuchungen, die auf neuer Quellenarbeit beruhen, zählen die Arbeiten von Velder (1988, 1989) und Racho (1991). Letzterer stützt sich jedoch für die Zeit vor 1730 nur auf die gängige Sekundärliteratur. 39 Mentzel (1993) zieht in seiner Studie über die Auswirkungen des Pietismus auf das Berliner Schulwesen zwar neue Quellen heran, konzentriert sich jedoch völlig auf das Elementar- und Armenschulwesen, ohne auf das Gelehrtenschulwesen einzugehen. 40 Er vermerkt nur kurz, daß es dem Pietismus an den beiden ältesten Berliner Gymnasien nicht gelungen sei, einen „nachhaltigen Einfluß zu nehmen“ 41, weil diese fest in der lutherisch-orthodoxen Kirche Berlins verankert gewesen seien. Er folgt darin ganz dem Standpunkt Wallmanns (1987 2), der Speners Wirken als Berliner Propst im Berliner Schulwesen als einflußlos ansieht, ohne dann auch die Zeit nach dem Tode Speners näher in Augenschein zu nehmen. 42 Unter konfessionsgeschichtlichen Fragestellungen untersuchte erstmals Nischan (1988) Entwicklungen am Joachimsthalschen Gymnasium. 43 Dies wurde in der Staatsexamensarbeit der Verfasserin (1997) über die brandenburgische Fürstenschule fortgeführt. Unter Auswertung neuer Quellen ging die Arbeit der 35
Vgl. Bruning, Jahrhundert. Vgl. Nipperdey, Erziehung, S. 249. 37 Vgl. Schachinger, Geschichte; Richter, Schulgeschichte u. Joost, Gymnasium. 38 Vgl. Leschinski, Plädoyer, S. 200. 39 Die zentralen Quellenbestände zur Frühzeit des Cöllnischen Gymnasiums, das sogenannte Album Coloniense des späteren Cöllnischen Rektors Bake mit mehreren Abschriften der Schulgesetze und den Schülermatrikeln, die im Landesarchiv Berlin dem Autor immer zugänglich waren, wurden von ihm erstaunlicherweise nicht herangezogen. 40 Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Zeit von 1740 bis 1789. Zurecht hat Doerfel angemerkt, daß die Arbeit von Mentzel nicht beanspruchen kann, „mehr als einzelne Aspekte der pietistischen Schularbeit in Berlin zu beleuchten“ (vgl. dies., Mentzel, S. 256). 41 Mentzel, Pietismus, S. 41. 42 Vgl. Wallmann, Spener, S. 72. 43 Vgl. Nischan, Schools. 36
III. Forschungsstand
23
Rolle des Joachimsthalschen Gymnasiums im Prozeß der Konfessionalisierung und frühmodernen Staatsbildung bis 1713 nach. Untersucht wurde die Bedeutung der Schule für die landesherrliche Konfessionspolitik, ihre Einbindung in die reformierte Hofgesellschaft und ihr soziales und in Ansätzen auch ihr pädagogisches Profil. Dabei konnte nachgewiesen werden, daß die Fürstenschule in der Zeit des Großen Kurfürsten und des ersten preußischen Königs eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der konfessionellen und machtpolitischen Ziele der brandenburgischen Herrscher spielte. 44 In einem weiteren Beitrag (2002) untersuchte die Verfasserin das Problem des deutsch-französischen Kulturtransfers anhand der frühen Geschichte des Collège François. Wie die vergleichende Analyse der Ausbildungsfrequenzen und Lehrpläne ergab, ist den französischen Hugenotten im Bereich des institutionalisierten Bildungswesens bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts weitaus weniger Bedeutung zuzumessen, als dies eine an Legendenbildungen reiche hugenottische Historiographie zunächst vermuten ließ. 45 Die ältere schulgeschichtliche Literatur zu den Berliner Gymnasien reicht bis in das 18. Jahrhundert zurück. 46 Wegen ihrer Quellennähe und ihres Materialreichtums sind die bereits erwähnten umfangreichen Schulgeschichten, die seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts meist im Zusammenhang von großen Jubiläen entstanden, besonders ergiebig. 47 Diese Arbeiten schöpfen zum Teil auch aus verlorengegangenem Material. Insbesondere die Darstellungen von Heidemann (1874) über das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster und von Wetzel (1907) über das Joachimsthalsche Gymnasium beruhen in bester positivistischer Manier auf einem intensiven Quellenstudium. Außerdem äußern sich Paulsen und Heubaum in ihren Überblicksdarstellungen zur Geschichte des höheren Bildungswesens zu Berliner Entwicklungen. Dazu kommt die reichhaltige stadtgeschichtliche Literatur, die angefangen mit Küster (1752), Nicolai (1786 3) und König (1792–99) über Geiger (1893–95) bis hin zu neuen sozial- und personengeschichtlichen Untersuchungen wie die von Schultz (1992 2), Bahl (1999) und Schmitz (2002) wichtige Einblicke in das geistige und soziale Leben der Berliner Residenz und des Hofes bietet. 48 Des weiteren erwies sich die Auswer-
44
Vgl. Winter, Gymnasium. Vgl. Winter, Hugenotten. Mit der Legendenbildung über die Wirksamkeit der Hugenotten im Refuge seit 1785 befaßt sich François, Patrioten. 46 Zum Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster vgl. Starck, Originibus; Diterich, Schulhistorie u. Büsching, Geschichte. Die älteste Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums stammt von B. L. Beckmann und liegt nur in handschriftlicher Form im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem vor (vgl. ders., Nachrichten. GStA PK, Rep. 92, Nachlaß Beckmann, III, 11). Die älteste Darstellung zur Geschichte des Friedrichswerderschen Gymnasiums stammt von Gedike (vgl. ders., Geschichte). Zu den Anfängen des Collège der Hugenotten vgl. Erman, Mémoire. 47 Vgl. Heidemann, Geschichte; Müller, Geschichte; Schulze, Bericht u. Wetzel, Geschichte. 45
24
A. Einleitung
tung von kirchengeschichtlicher Literatur für die Bearbeitung des Themas als unerläßlich. Neben Aufsätzen zu Einzelfragen der Berliner Kirchengeschichte sind dabei bis heute die Studien von Wendland (1926 u. 1930) von grundlegender Bedeutung. 49 Dazu kommen die Arbeiten der neueren Pietismusforschung zur Wirksamkeit des Pietismus in Berlin. 50 Für die Geschichte der Reformierten in Brandenburg-Preußen sind außer Herings Schriften (1784ff.), die aufgrund ihres Alters Quellencharakter besitzen, die Untersuchung von Thadden (1959) über die reformierten Hofprediger wichtig. 51 Literatur zur Rolle und Bedeutung der hugenottischen Einwanderungsbewegung für die Berliner Sozial-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte bildet ebenfalls eine wichtige Quelle. 52 Nicht zuletzt sind auch die einschlägigen Veröffentlichungen zur Geschichte der Akademie der Wissenschaften und zum Wirken der Frühaufklärer in Berlin heranzuziehen. 53 Von besonderem Wert ist für diese Arbeit das mehrbändige personengeschichtliche Nachschlagewerk von Noack und Splett (1997–2001) über Berlin-Brandenburgische Gelehrte, in dem erstmals sämtliche bedeutenden Schulmänner Berlins an einer Stelle zusammengeführt wurden. 54
IV. Quellenlage Die Auswahl des für die vorliegende Arbeit relevanten Quellenmaterials orientiert sich an dem Anspruch Neugebauers, Schulrealität und Bildungswirklichkeit empirisch zu erforschen. 55 Zu den ausgewerteten Quellen zählen deshalb neben normativen Quellen wie Gründungsurkunden und Schulgesetzen (Leges und Statuta) die benutzten Lehrpläne, Lehrbücher und Katechismen. Dazu kommen die von den Lehrern herausgegebenen zeitgenössischen Schulschriften, bei denen es sich um Einladungsschriften zu öffentlichen Schulactus oder um Berichte über bereits durchgeführte Deklamationen und Disputationen handelt. In einigen Fällen ließen die Lehrer dabei auch Kommentare zum Lehrprogramm und
48 Vgl. Küster, Berlin; Nicolai, Beschreibung; König, Versuch; Geiger, Berlin u. Schultz, Sozialgeschichte. 49 Vgl. Wendland, Jahre u. ders., Studien. 50 Von kirchenhistorischer Seite sind insbesondere zu nennen: Schmidt, Beitrag; Obst, Beichtstuhlstreit; Schicketanz, Pietismus in Berlin-Brandenburg; Wallmann, Spener; Murakami-Mori, Beichtstuhlstreit u. Brecht, Spener. 51 Vgl. Hering, Nachricht; ders., Verbesserungen; ders., Beiträge u. Thadden, Hofprediger. 52 Vgl. Ancillon, Geschichte; Muret, Geschichte; Hartweg, Hugenotten; ders., Frühaufklärung; ders. Aspekte; Birnstiel, Gemeinde; Bregulla, Hugenotten; Birnstiel/Reinke, Hugenotten u. Fuhrich-Grubert, Kirche. 53 Vgl. Harnack, Geschichte; Grau, Akademie u. Brather, Leibniz. 54 Vgl. dazu Winter, Rez. Noack/Splett. 55 Vgl. Neugebauer, Staat, S. 1–33.
IV. Quellenlage
25
zur allgemeinen schulischen Situation miteinfließen. Vor allem in der späteren Zeit wurden diese Programmschriften von wissenschaftlich ambitionierten Rektoren und Lehrern mit kleineren akademischen Abhandlungen versehen. Schriften mit ausformulierten Disputationstexten sind nur wenige aus den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts überliefert. 56 Die kostspielige Drucklegung mag für Schüler der Berliner Gymnasien generell schwierig gewesen sein. Eine Ausnahme bildet die Praxis am Collège der Hugenotten, von dem mehrere Disputationsdrucke überliefert sind. 57 Die vorliegende Arbeit stützt sich außerdem auf die anläßlich von Schuljubiläen, Geburtstagen und Abschieden verfaßten Reden, Predigten, Gedichte und Schultheaterstücke sowie andere Gelegenheitsschriften. Als zusätzliche biographische Quellen dienen nicht zuletzt Leichenpredigten. Weitere Quellen bilden die Verwaltungsakten der einzelnen Schulen und Aufsichtsbehörden, insbesondere die Schülermatrikel und Bestallungsakten, aber auch Beschwerden und Petitionen als auch konsistoriale oder landesherrliche Verfügungen sowie Akten zur wirtschaftlichen Lage der Schulen zählen. Interessante Einblicke in die Praxis und den Wandel der Schulaufsicht liefern vereinzelte Visitationsberichte sowie verschiedene Disziplinarfälle aus dem späteren 17. und frühen 18. Jahrhundert, die in städtischen und staatlichen Akten überliefert sind. Einen besonderen Quellentyp stellt Bildmaterial, wie die Kupferstiche zu kurfürstlichen Leichenbegräbnissen und Festumzügen, dar. Gedruckt lag nur ein geringer Teil dieser Quellen vor. Dazu zählen Gründungsurkunden und Schulgesetze sowie zeitgenössische Schulprogramme und Leichenpredigten. 58 Auch in der Sekundärliteratur wird gelegentlich aus den Quellen zitiert und finden sich einzelne Lehrpläne. 59 Die Besonderheit der vorliegenden Arbeit besteht darin, daß erstmals das in den Berliner und Brandenburgischen Archiven vorhandene ungedruckte Quellenmaterial in seiner Gesamtheit herangezogen werden konnte, das aufgrund der jüngsten deutschen Geschichte, die nicht nur eine politische, sondern auch eine archivische Teilung mit sich brachte, von der neueren Forschung bisher unbeachtet blieb. Die Archivbestände zu den städtischen Gymnasien befanden sich zum großen Teil im Ostteil Berlins und in Potsdam. Außerdem lagerten wichtige Bestände des Geheimen Staatsarchives Berlin-Dahlem – darunter die staatlichen Akten zum Joachimsthalschen und zum Französischen Gymnasium sowie zu geistlichen Schulsachen allgemein – im Deutschen Zentralarchiv Abt. Merseburg (DDR). Deren Benutzung war der dama-
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Vgl. Heinzelmann, Historiae u., Disputationum. In der Berliner Staatsbibliothek sind Disputationschriften von 1692 bis 1700 erhalten (Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 115f. u. diess., Mark Brandenburg, S. 468). 58 Vgl. insbesondere Mylius, Corpus; Sehling, Kirchenordnungen u. Vormbaum, Schulordnungen. 59 Dazu zählen Diterich, Schulhistorie; Heidemann, Geschichte; Heubaum, Geschichte; Wetzel, Geschichte; Gilow, Schülermatrikel u. ders., Gymnasium. 57
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A. Einleitung
ligen westdeutschen Forschung weithin verwehrt. 60 Erst in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden diese Quellenbestände wieder zusammengeführt und damit der Forschung in ihrer Gesamtheit zugänglich. Die Überlieferungssituation zu den einzelnen Berliner Gelehrtenschulen ist sehr heterogen. Von den drei städtischen Berliner Gymnasien hat das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster mit Abstand die beste Quellenlage vorzuweisen. Sowohl das Schularchiv als auch die Schulbibliothek, die eine umfangreiche Schulschriften- sowie eine Personalschriften- und eine Kartensammlung einschließt, sind erhalten und befinden sich im Besitz einer privaten Stiftung („Streitsche Stiftung“). Die Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums, die seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt erschlossen werden, bilden den einzigen weitgehend geschlossenen Bibliotheks- und Archivbestand einer Berliner Bildungseinrichtung, der vier Jahrhunderte umfaßt. 61 Nach Kriegsverlusten sind von den ursprünglich 50.000 Bänden, welche die Schulbibliothek bis 1945 zu einer der größten historischen Schulbibliotheken Deutschlands machte, noch 14.000 Bände erhalten. Archiv und Bibliothek sind heute der Zentral- und Landesbibliothek Berlin als Depositum angegliedert. Von den rund 2000 Personalund Schulschriften waren mehr als 600 für die vorliegende Arbeit relevant. Die älteste der ausgewerteten Schulschriften des Berlinischen Gymnasiums wurde im Jahre 1591 herausgegeben. 62 Die ältesten erhaltenen Programmschriften, in denen Redeübungen der Schüler angekündigt werden, stammen aus den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts. 63 Vor allem seit den vierziger Jahren desselben Jahrhunderts nimmt die Überlieferungsdichte zu. Das Schularchiv des Berlinischen Gymnasiums umfaßt mehr als 2500 Akteneinheiten, von denen allerdings nur ein geringerer Teil in den hier behandelten Untersuchungszeitraum zurückreicht. Dazu zählen neben gedruckten und handschriftlichen Schulgesetzen erfreulicherweise auch die seit 1668 geführten und bisher unveröffentlichten Matrikelbände des Gymnasiums. 64 Im Gegensatz zum Berlinischen sind vom Cöllnischen und vom Friedrichswerderschen Gymnasium nur sehr wenige Quellen erhalten. Im Falle des Cöllnischen
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Vgl. Neugebauer, Staat, S. 20. Anm. 53. Näheres zur Bestandsgeschichte der Sammlungen des Grauen Klosters bei Rohrlach, Archive; ders., Bibliothek; ders., Nachweise u. ders. Sammlungen sowie Krause, Handbuch, Bd. 14,1, S. 235f. Zwei gedruckte Verzeichnisse der etwa 2600 Leichenpredigten der Bibliothek des Grauen Klosters wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgelegt. Vgl. Nohl, Leichenpredigten. 62 Vgl. Lipstorp, Leges (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl Sch 2, Nr. 1). 63 Dazu zählen zwei Einladungen zu öffentlichen Redeübungen durch den Berlinischen Rektor Georg Gutikus (1589–1634), (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl Sch 4/3 u. 4). 64 Näheres dazu vgl. Rohrlach, Nachweise. 61
IV. Quellenlage
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Gymnasiums ist dies auf einen Brand zurückzuführen, der im Jahre 1730 das Schulgebäude und damit auch die meisten Schulakten vernichtete. Durch einen glücklichen Umstand blieben allerdings die seit 1675 geführten Schülermatrikeln von der Zerstörung verschont. Sie befinden sich heute zusammen mit mehreren Abschriften der alten Cöllnischen Schulgesetze und einer Schulchronik von 1728 bis 1741 im Landesarchiv Berlin. 65 Das Berliner Landesarchiv beherbergt außerdem die Verwaltungsakten der Altberliner Magistrate für sämtliche städtische Gymnasien, einschließlich des Friedrichswerderschen Gymnasiums. 66 Dabei handelt es sich um Bestallungsakten, um Beschwerden von und über einzelne Lehrer, Fragen der Witwenversorgung, Verwaltung der Stiftungs- und Kurrendegelder sowie andere das Schulpatronat betreffende Fragen. Dabei lassen sich auch Einblicke in das administrative Zusammenspiel der städtischen und landesherrlichen Aufsichtsorganen gewinnen. Dies trifft auch auf einige Akten des Geheimen Rates zu, die sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befinden. 67 Zu unmittelbaren Schulbelangen und zur Unterrichtsorganisation läßt sich hier allerdings kaum etwas finden. Gedruckte Schulschriften liegen für das Cöllnische Gymnasium erst seit den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts vor. Die ältesten erhaltenen Schulprogrammschriften des Friedrichswerderschen Gymnasiums stammen aus den neunziger Jahren desselben Jahrhunderts. 68 Generell läßt sich feststellen, daß vom Friedrichswerderschen Gymnasium die wenigsten gedruckten und handschriftlichen Quellen vorliegen. Dies korrespondiert mit der nachgeordneten Bedeutung des jüngsten der drei städtischen Gymnasien gegenüber den beiden Altstädtischen Gelehrtenschulen. Von den beiden landesherrlichen Gymnasien hat das Joachimsthalsche Gymnasium eine besonders reiche Überlieferung vorzuweisen. Dies betrifft insbesondere die ungedruckten Aktenbestände, deren Umfang ungleich größer ist als die sämtlicher Berliner Gymnasien. Zwar ging die wertvolle Schulbibliothek der Fürstenschule im Frühjahr 1945 zu großen Teilen verloren, das Archiv der Schule blieb jedoch erhalten. 69 Das seit 1952 im Landeshauptarchiv Potsdam lagern-
65 Vgl. Album Coloniense, LAB, A Rep. 020–09, Nr. 82 (Film 4289). Zur Überlieferungssituation vgl. auch Gilow, Schülermatrikel u. ders., Gymnasium. 66 Vgl. Deputation für die äußeren Angelegenheiten der städtischen höheren Lehranstalten, LAB, A Rep. 020–02. Ein wichtiger Aktenband zu den Anfängen des Friedrichswerderschen Gymnasiums (Acta generalia, die Einrichtung des Gymnasii auf dem Friedrichs-Werder betreffend, A Rep. 020–02, 7312) ist leider verschollen. Hinweise zu diesen Band finden sich bei Müller, Geschichte, S. 9. 67 Vgl. Geistliche Angelegenheiten, GStA PK, I. HA, Rep. Rep. 47. Die Akten des Kurmärkischen bzw. Oberkonsistoriums (X. HA, Rep. 40) sind leider zum größten Teil im letzten Krieg verloren gegangen. 68 Vgl. Berger, Primitiae. 69 Zur Geschichte der Joachimsthalschen Schulbibliothek vgl. Köpke, Geschichte u. Joost, Bibliotheca.
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A. Einleitung
de Schularchiv umfaßt fast 6000 Bände und zählt damit zu einem besonders wertvollen Quellenbestand für die brandenburgisch-preußische Bildungs- und Kulturgeschichte. 70 Es umfaßt neben den eigentlichen Schulangelegenheiten auch die Grundbesitz- und Vermögensverwaltung einschließlich der Schulämter, mit denen das Gymnasium als Versorgungseinrichtungen ausgestattet war. Zu den Schulakten im engeren Sinne zählen Akten der schuleigenen Aufsichtbehörde zu sämtlichen Bestallungsvorgängen, Besoldungs- und Vermögensfragen und Unterlagen zur Unterrichtsorganisation. Über Wege und Motive für die Aufnahme von Schülern an der Fürstenschule geben eine Vielzahl Aufnahmeverhandlungen Auskunft. Da am Joachimsthalschen Gymnasium zunächst keine Matrikel geführt wurden, können die seit dem frühen 18. Jahrhundert geführten und erst kürzlich wiederentdeckten „Schüler-Ranglisten“ als wichtigste Quelle zur Schülerschaft gelten. An anderer Stelle hat das Brandenburgische Landesarchiv außerdem Abschriften wichtiger Dokumente und Urkunden des Joachimsthalschen Gymnasiums archiviert. 71 Aufschlußreiche Quellen zum Streit von Landesherrschaft und Ständen um das Berufungsrecht für die Fürstenschule finden sich im Kurmärkischen Ständearchiv. 72 Dazu kommen die reichhaltigen Aktenbestände im Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, welche die Perspektive der staatlichen Aufsichtsbehörden wiederspiegeln. Der Bestand zur Joachimsthalschen Fürstenschule enthält neben den Gründungsdokumenten und Visitationsberichten aus dem frühen 17. Jahrhundert vor allem Bestallungs- und Verwaltungsakten sowie Anträge auf Freistellen und andere Akten, aus denen sich eine Vielzahl schulinterner Details ableiten lassen. 73 Zu den für die vorliegende Arbeit relevanten Dahlemer Beständen gehört außerdem eine handschriftliche Schulgeschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums von Bernhard Ludwig Beckmann (1694–1760), eines Neffen des bekannten Frankfurter Theologen und Historiographen Johann Christoph Beckmann (1641–1717). 74 Es handelt sich hierbei um die älteste Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums, die neben wichtigen Einzelheiten zur Unterrichtsentwicklung auch wichtiges biographisches Material zu Lehrern, Visitatoren und den zur Schulaufsicht verordneten Räten sowie einen umfangreichen Anhang mit wertvollen Originaldokumenten enthält. An gedruckten Schulschriften sind zum
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BLHA, Rep. 32 (Joachimsthalsches Gymnasium). Eine Bestandsübersicht findet sich bei Beck/Enders/Braun, Übersicht, T. 1, S. 140–147. 71 BLHA, Rep. 34 (Provinzial-Schulkollegium Berlin, Bd. 1), Nr. 1857. 72 BLHA, Rep. 23A, B 37 (Allgemeine Landessachen) und B 563 (Kirchen-, Visitations- und Religionssachen). 73 GStA PK, I. HA, Rep. 60. (Joachimsthalsches Gymnasium). 74 [Bernhard Ludwig Beckmann] Nachrichten von dem kgl. Joachimsthal. Gymnasio, welche dessen Zustand vom ersten Anfang bis auf gegenwärtige Zeiten in einen Zusammenhang vorstellen . . . Ao. 1741(GStA PK, Rep. 92, Nachlaß Beckmann, III, 11).
IV. Quellenlage
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Joachimsthalschen Gymnasium vergleichsweise nur wenige erhalten. Die meisten stammen aus den neunziger Jahren des 17. und aus dem frühen 18. Jahrhundert. 75 Vom Französischen Gymnasium liegen heute nur noch wenige gedruckte und ungedruckte Quellen vor. Das Schularchiv ging mit seinen wichtigen Aktenbeständen im Zweiten Weltkrieg verloren. An frühneuzeitlichen Quellen stehen der Forschung nur noch die kirchlichen Konsistorialakten der Französischen Gemeinde Berlin 76 und einige staatliche Verwaltungakten im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem 77 zur Verfügung. Bei den kirchlichen Quellen handelt es sich um Sitzungsprotokolle des Französischen Konsistoriums, in denen auch Schulprobleme festgehalten wurden. In den Akten des Geheimen Rates sind administrative Beschlüsse, Bestallungsvorgänge und Verwaltungsfragen von zentraler Bedeutung. Über die inhaltliche Seite des Unterrichts geben einige gedruckte Disputationsschriften Auskunft, die in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt werden. 78 Insgesamt ist die Quellenbasis zur Bildungswirklichkeit und Schulrealität für das Collège besonders schmal und bleibt man im Falle des Französischen Gymnasiums in besonderem Maße von der Sekundärliteratur abhängig. 79
75 Ein Sammelband mit Joachimsthalschen Schulschriften von 1654 bis 1775 befindet sich in der Berliner Staatsbibliothek (Sign. Ah 15766). Weitere Schulschriften sind im Anhang der Beckmannschen Schulgeschichte zu finden (GStA PK, Rep. 92, Nachlaß Beckmann, III, 11, Bl. 648–660). 76 Actes du Consistoire de l’Eglise françoise reformée de Berlin, Protokolle des Konsistoriums (AFG, Rep. 04, I). 77 Acta betr. das Französische Gymnasium (GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1). 78 Vgl. oben Anm. 57. 79 Als wichtigste Sekundärquelle ist die älteste Schulgeschichte von Erman aus dem Jahre 1789 zu nennen. Vgl. ders., Mémoire.
B. Historische Rahmenbedingungen I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen 1. Die lutherische Konfessionalisierung bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts Sowohl die Herausbildung eines lutherischen Kirchentums als auch der Übergang des kurfürstlichen Herrscherhauses zum reformierten Bekenntnis leiteten in Kurbrandenburg eine Fülle von Prozessen ein, die in ihren Wirkungen weit über die engere Kirchengeschichte hinausgehen. Entsprechend der für die Epoche der Frühen Neuzeit typischen Erscheinung, daß Kirche und Religion nicht als „mehr oder weniger isolierte Teilphänomene“ 1, sondern in enger Verzahnung mit der Gesellschaft wirkten, war auch in Brandenburg-Preußen die Einführung und Durchsetzung neuer kirchlich-religiöser Verhältnisse ein vom jeweiligen Landesherrn gesteuerter, und somit gleichzeitig politischer Prozeß mit unmittelbaren Rückwirkungen auf die kulturell-mentalitätsmäßigen und sozialen Verhältnisse. In diesem gesamtgesellschaftlichen Prozeß der Konfessionalisierung lassen sich in Brandenburg-Preußen zwei Phasen voneinander abheben: Eine Phase der lutherischen Konfessionalisierung im Anschluß an die 1539 in Kurbrandenburg eingeführte Reformation, die unter Kurfürst Johann Georg (1525–1598) ihren Höhepunkt fand, sowie eine zweite Konfessionalisierungsphase, die mit der Hinwendung des Herrscherhauses zum Reformiertentum und dem Versuch Johann Sigismunds (1572–1619) einsetzte, in Brandenburg-Preußen den reformierten Glauben einzuführen. Die Folgen dieser doppelten Konfessionalisierung sollten die brandenburgisch-preußische Gesellschaft bis in das 18. Jahrhundert hinein prägen. 2 Die grundlegende Voraussetzung für eine lutherische Konfessionalisierung in Brandenburg bildete die Einführung der Reformation im Jahre 1539. Im Unterschied zu anderen Territorien setzte die Hinwendung zum Protestantismus in der Kur- und in der Neumark relativ spät ein und erfolgte zunächst eher vorsichtig in
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Schilling, Konfessionskonflikt, S. 15. Zum Begriff der ‚doppelten Konfessionalisierung‘ vgl. auch Lotz-Heumann, Irland. Im Unterschied zu Brandenburg handelt es sich im irischen Fall allerdings um eine protestantische Konfessionalisierung ‚von oben‘ in Allianz mit dem Staat, die mit einer katholischen Konfessionalisierung ‚von unten‘ und in Opposition zum Staat parallel lief. 2
I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen
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Form „einer zwar schrittweise protestantisierenden, aber in vielem ambivalenten Kirchenpolitik“ 3. Ausdruck davon war die neue, von den weltlichen Landständen gebilligte Kirchen-Ordnung im churfurstenthum der marcken zu Brandenburg, wie man sich beide mit der leer und ceremonien halten soll 4, mit deren Verabschiedung Kurfürst Joachim II. (1505–1571) die Kirchenreform in seinem Territorium einleitete. Daß dessen politisches Interesse von Ausgleichsbemühungen geleitet war, hatte einen großen Einfluß auf den Charakter seiner Kirchenordnung: Auch hier versuchte Joachim, eine „via media“ zwischen Reformkatholizismus und lutherischer Reform zu gehen. Insbesondere in den Bestimmungen zur religiösen Praxis wird die Toleranz gegenüber der katholischen Lehre deutlich. 5 Damit gelang es dem Kurfürsten zugleich, eine breite Zustimmung für seine Kirchenreform zu gewinnen und der Gefahr einer kirchlichen Spaltung vorzubeugen. Eine lutherische Konfessionalisierung im eigentlichen Sinne setzte erst mit Kurfürst Johann Georg ein, der im Unterschied zu seinem Vater ein strenger Lutheraner war. Die verstärkte Hinwendung zum Luthertum steht mit verschiedenen kirchenpolitischen Maßnahmen in Zusammenhang: die Überarbeitung der alten Kirchenordnung von 1540, die Herausgabe einer neuen Visitations- und Konsistorialordnung, zwei Generalkirchenvisitationen und die Durchsetzung der Konkordienformel als allgemeine Lehrnorm. Die vom lutherisch-orthodoxen Theologen Andreas Musculus neu überarbeitete Kirchenordnung aus dem Jahre 1572 legte den lutherischen Bekenntnisstand gemäß der Confessio Augustana für Kurbrandenburg erstmals rechtlich normierend fest. 6 Trotzdem muß man wohl eher von einer Erweiterung des Bekenntnisstandes als von einem grundsätzlichem Wandel sprechen. 7 So wurden in der Agende zwar einige Änderungen vorgenommen, die liturgischen Bestimmungen der Kirchenordnung von 1540 und die damals festgeschriebenen Feiertage jedoch beibehalten. Deshalb hatte die Durchsetzung der lutherisch-orthodoxen Lehrnorm für die Frömmigkeitspraxis der Bevölkerung keine besonderen Konsequenzen. Im Gegenteil: die altkirchlichen Überlieferungen wurden unter Johann Georg „into a mark of evangelical orthodoxy“ 8. Als besonders folgenreich für die lutherische Konfessionalisierung muß die Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 eingeschätzt werden, die
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Rudersdorf , Kurbrandenburg S. 40. Sehling, Kirchenordnungen S. 39. 5 Beibehalten wurde beispielsweise die Firmung, die individuelle Beichte und die lateinische Messe. Das Abendmahl wurde zwar in beiderlei Gestalt gespendet, dabei jedoch die Elevation (Emporheben von Kelch und Oblate) weiterhin praktiziert. Das Wallfahrtswesen wurde eingeschränkt, am altkirchlichen Fest- und Heiligenkalender mit den entsprechenden Fastenbestimmungen, liturgischen Spielen und Prozessionen aber weitgehend festgehalten. 6 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen, S. 94ff. 7 Vgl. Weichert, Anfänge S. 110. 8 Nischan, Prince S. 55. 4
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B. Historische Rahmenbedingungen
als „kirchenverfassungsmäßiges und sozialdisziplinierendes Grundgesetz“ 9 bis in die Zeit des Absolutismus hinein wirkte. 10 Die Stellung der Konsistorien wurde hier nochmals gestärkt, Visitationen zur bleibenden Einrichtung gemacht, und damit die Möglichkeit des Landesherren, die Bevölkerung an den lokalen Herrschaftsträgern vorbei erreichen und beeinflussen zu können, erweitert. Neben der Kirchenzucht nahm man sich im Verlaufe der Visitationen auch des Problems der Armenfürsorge an. Darüber hinaus sind Initiativen auf pädagogischem Gebiet hervorzuheben. Der Pfarrer, der die Schulaufsicht besaß, sollte regelmäßig Schulvisitationen durchführen. Außerdem enthielt die Visitationsordnung eine allgemeine Lateinschulordnung, Bestimmungen über die Klosterschulen in den Dörfern und über die Einrichtung von Mädchenschulen. 11 Im Jahre 1577 setzte Johann Georg die Konkordienformel als Bekenntnisnorm für sein Territorium durch und ließ alle Pfarrer darauf verpflichten. Wer seine Unterschrift verweigerte, war von der Strafe der Absetzung und Ausweisung bedroht. Daß so gut wie kein Widerstand aufkam, mag zum Teil auf diesen Druck zurückzuführen sein. Es kann jedoch auch als ein Indiz dafür gewertet werden, daß der Klerus zu diesem Zeitpunkt bereits ein „konfessionelles Sonderbewußtsein“ 12 entwickelt hatte, auch wenn sich erst am Ende des Jahrhunderts „das Bild des typisch lutherisch-orthodoxen Geistlichen“ 13 allgemein abzeichnete. Obwohl die Bemühungen um die Durchsetzung der Konkordienformel von Johann Georg mit sehr viel Energie betrieben wurden, gab es jedoch Ausnahmen. So blieben einzelne Adelige sowie Angehörige der höheren Beamtenschaft und des Hofes trotz ihrer „kryptocalvinistischen“ Einstellung unbehelligt. 14 Am Ende des 16. Jahrhunderts hatte die lutherische Konfessionalisierung in der Mark ihren Abschluß gefunden. Durch seine kirchenpolitischen Maßnahmen war es dem Kurfürsten gelungen, sein Territorium sowohl in geistig-theologischer als auch politisch-institutioneller und sozialer Hinsicht zu straffen und mehr innere Kohärenz zu erreichen. Neue Formen der sozialen Disziplinierung begannen zu greifen. Heinrich konstatiert im Zusammenhang der einzelnen Ordnungen und Visitationen eine Modernisierung der Landesverwaltung und der Landeskultur. 15 Der Prozeß der lutherischen Konfessionalisierung, wie er sich in Kurbrandenburg 9
Heinrich, Brandenburg S. 113. Abgedruckt bei Sehling, Kirchenordnungen S. 105ff. Zu den gescheiterten Anläufen märkischer Kirchenrechtsreformen im 17. Jahrhundert vgl. Bonin, Versuche. 11 Ob diese Bemühungen tatsächlich auf ein speziell für das Luthertum typisches „volkskirchliches und volkspädagogisches Engagement“ zurückgeführt werden können, kann hier nicht genauer diskutiert werden. Vgl. Rudersdorf , Kurbrandenburg S. 49. 12 Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 192. 13 Fröhner, Parrerstand S. 45. 14 Vgl. Heinrich, Brandenburg S. 113. 15 Vgl. Heinrich, Geschichte S. 57. 10
I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen
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unter Johann Georg vollzog, korrespondierte deutlich mit dem allgemeinen Entwicklungstrend im Reich, wonach sich in den protestantischen Territorien von den siebziger Jahren an „die vororthodoxen Landeskirchen im Sinne des lutherischen oder reformierten Konfessionalismus“ 16 umformten. Unter Joachim Friedrich (1598–1608) kündigte sich am kurfürstlichen Hof ein Wechsel hin zu einer in Konfessionsfragen toleranteren Politik an. Für den neuen Kurfürsten war nicht mehr der Calvinismus, sondern der erstarkte Katholizismus der eigentliche Gegner. Dies spiegelt sich deutlich in seinen kirchenpolitischen Maßnahmen wieder. So strebte Joachim Friedrich die Abschaffung kontroverser altkirchlicher Praktiken, vor allem der vielen Prozessionen und die Überarbeitung der Liturgie an, um sie konsequenter mit der damals gängigen lutherischen Lehre in Einklang zu bringen. Der Widerstand des lutherischen Establishments gegen Änderungen der liturgischen Praxis war jedoch groß, sah man dies doch als Angriff auf die gewachsene lutherisch-orthodoxe Identität an. So erreicht der Kurfürst sehr viel weniger, als er es erhofft hatte. Der neue konfessionspolitische Kurs Joachim Friedrichs hatte Folgen sowohl für die innere, als auch für die Außenpolitik. Aufgrund seiner unorthodoxen und eher „pan-Protestant“ 17 Haltung bestellte der Kurfürst erstmals gemäßigte Calvinisten in seinen 1604 gegründeten Geheimen Rat. Deren tendenziell antiständische und antilutherische Politik vergrößerte den außenpolitischen Bewegungsspielraum und zielte letztlich auf eine „Überwindung des territorialisierten Luthertums“ 18. Dies gab der kurfürstlichen Regierungspolitik eine neue Richtung und bereitete den Boden für den engeren Anschluß der Mark an die calvinistischen Landesstaaten, vor allem die Pfalz und die Niederlande, der 1605 mit einem Bund eingeleitet wurde. Auch wenn der Übertritt zum Calvinismus erst von seinem Sohn Johann Sigismund vollzogen wurde, stellen die zehn Jahre unter dem beim Luthertum verbleibenden Kurfürsten Joachim Friedrich in konfessioneller Hinsicht bereits eine Art „Zwischenphase“ dar. Die konfessionelle Geschlossenheit im kurbrandenburgischen Territorium war an einigen Stellen brüchig geworden. Reformierte Ideen begannen bereits, in die lutherische Administration einzudringen. Zugleich wurden seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts an der Frankfurter Landesuniversität philippistisch gesinnte Theologen wirksam. Dazu zählte vor allem Christoph Pelargus (1565–1633), der in seiner Funktion als Generalsuperintendent die brandenburgische Kirchenpolitik der folgenden Jahrzehnte in besonderem Maße prägen sollte. 19
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Schilling, Konfessionalisierung im Reich S. 20. Ebd. S. 63. Rudersdorf , Kurbrandenburg S. 53. Zu Pelargus vgl. Beckmann, Notitia, S. 122–133 u. ADB, Bd. 25, S. 328–330.
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B. Historische Rahmenbedingungen
2. Die „Zweite Reformation“ unter Kurfürst Johann Sigismund Mit dem Versuch Johann Sigismunds, mittels obrigkeitlicher Maßnahmen in seinem Territorium den Calvinismus einzuführen, erreichte der Prozeß der Konfessionalisierung eine neue Qualität. 20 Der brandenburgische Konfessionswechsel steht in einer Reihe ähnlicher Entwicklungen im Reich, die unter dem Begriff der „Zweiten Reformation“ 21 zusammengefaßt werden. Nach der Auffassung von Thaddens bedeutete die Hinwendung zum reformierten Bekenntnis weniger eine „Zweite Reformation“, sondern vielmehr eine Fortsetzung des „Reformationswerkes“. In seiner „konsequenten und von Halbheiten freien evangelischen Glaubenshaltung“ 22 habe Johann Sigismund darauf gezielt, das reformatorische Erbe zu dynamisieren: Dies betraf insbesondere die Tauf- und Abendmahlspraxis, die Zeremonien und damit generell das Problem der nachhängenden katholischen Gewohnheiten. Nach seinem spektakulären öffentlichen Übertritt zum reformierten Bekenntnis, der „Weihnachtsüberraschung“ von 1613, wurde durch ein besonderes Edikt im Februar 1614 die Konkordienformel abgeschafft und die Confessio Augustana Invariata, welche die strenge lutherische Sakramentenlehre enthielt, zugunsten der Confessio Augustana Variata aufgehoben. Im selben Jahr gab der Kurfürst mit der sogenannten Confessio Sigismundi, die unter dem programmatischen Titel Initia reformationis Marchica 23 erschien, auch eine theologisch-dogmatische 20 Die Frage nach den Motiven für den Bekenntniswechsel des Kurfürsten Johann Sigismund wurde in der Vergangenheit immer wieder von der Forschung aufgenommen, zumal dieser Vorgang seit Droysen als epochemachendes Ereignis der Brandenburg-Preußischen Geschichte gilt. Generell geht man heute davon aus, daß der Kurfürst ohne Zweifel den Übergang zur reformierten Konfession aus religiöser Überzeugung vollzog (vgl. Nischan, Kontinuität, S. 93). Jedoch ist auch ein Zusammenhang mit politischen Zielen nicht zu leugnen. Dabei gilt jedoch die grundsätzliche Feststellung, daß eine Trennung von politischen und religiösen Motiven nicht dem Lebensgefühl der Menschen des konfessionellen Zeitalters entspricht (vgl. Thadden, Fortsetzung S. 237). Noch wichtiger als die Rücksichten auf die neuen reformierten Territorien im Rheinland war nach Hintze „die allgemeine geistige und politische Anziehungskraft“ (ders., Epochen S. 80), die das Reformiertentum auf Johann Sigismund ausgeübt habe. Parallel dazu wirkte die starke Abneigung gegen das strenge Konkordienluthertum, die der in calvinistischem Sinne erzogene Kurfürst schon früh in seinem Leben entwickelt hatte. 21 Der vom Kirchenhistoriker Moltmann geprägte Begriff „Zweite Reformation“ meint die konfessionelle Umorientierung vom Luthertum zum Calvinismus. Vgl. Moltmann, Pezel. Zur positiven Stellung der Geschichtswissenschaft zum Begriff vgl. Schilling, „Zweite Reformation“ und ders., Nochmals „Zweite Reformation“. Neuerliche Kritik erfuhr dieser quellenmäßig nicht belegte Begriff unlängst durch den Kirchenhistoriker Harm Klueting, Konfessionalisierung, S. 172ff. 22 Thadden, Fortsetzung S. 238. 23 Vgl. Gericke, Glaubenszeugnisse S. 122ff.
I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen
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Begründung seiner Reform. 24 Daran schloß sich als wichtige kirchenpolitische Maßnahme die Gründung eines reformierten Kirchenrates an, durch den der Kompetenzbereich des Konsistoriums eingeschränkt werden sollte. Die wichtigsten Akteure in diesem Prozeß waren neben dem Kurfürsten dessen Bruder, Markgraf Johann Georg, die Mitglieder des Geheimen Rates Friedrich Pruckmann und Abraham von Dohna sowie der berühmte Heidelberger Theologe Abraham Scultetus. 25 Die Durchsetzung des „Reformationswerkes“ verlief jedoch mühsam und schleppend, und blieb schließlich auf halbem Wege stehen. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die als dezidiert antilutherisch empfundene landesherrliche Reform war massiv. Er betraf alle Ebenen der Brandenburgischen Gesellschaft, sowohl in Bezug auf den Stand als auch hinsichtlich der Bildungsschichten. Das Scheitern der kurfürstlichen Bemühungen war im Februar 1615 mit der von den Ständen erzwungenen Zusicherung, daß ein ieder im lande, der da will, bey des herrn Lutheri Lehre und ungeenderten Augspurgischen confession . . . , auch bey dem concordienbuche verbleiben 26 solle, besiegelt. Offensichtlich war der lutherische Konfessionalisierungsprozeß zu diesem Zeitpunkt schon so weit vorangeschritten, daß eine Revision der Bekenntnisprägung nur unter Anwendung massiver Gewalt hätte erfolgreich sein können. Der Wechsel der Konfession blieb auf das Herrscherhaus und dessen unmittelbare Umgebung, den Hof, bestimmte Militärkreise und die märkische Landesuniversität in Frankfurt a. O. beschränkt. 27 Dennoch war der Versuch, in Brandenburg eine „Zweite Reformation“ durchzuführen, für die weitere Brandenburg-Preußische Geschichte folgenreich. Gerade aus dem Nicht- bzw. nur partiellen Gelingen der reformierten Konfessionalisierung ergaben sich wichtige Weichenstellungen: Brandenburg war zu einem paritätischen protestantischen Landesstaat geworden, in dem eine tolerantere, auf „Polykonfessionalität angelegte Glaubens- und Religionspolitik“ 28 verfolgt wurde. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dies in der Öffnung des Landes für Tausende von Glaubensflüchtlingen aus den Ländern der Gegenreformation, die bereits 24 Zur Ambivalenz dieses Bekenntnisses, das sich ausdrücklich als reformierte Glaubensäußerung verstand und beispielsweise die Ubiquitätslehre und die Realpräsenz als Kernstücke lutherischer Sakramentsauffassung bestritt, in dem sich jedoch auch lutherische Gedanken wie der Gnadenuniversalismus gehalten haben. Vgl. ebd., S. 22–29. 25 Scultetus war im April 1614 aus der Pfalz an den Berliner Hof gekommen und hatte ein Gutachten erstellt, in dem er die notwendigen Schritte entwickelte, für den Konfessionswechsel vollzogen werden sollte. Vgl. Pahncke, Scultetus, S. 43–47. 26 Revers des Kurfürsten Sigismund für die Kurmärkischen Stände vom 5. Februar 1615 (Klinkenborg, Ständearchiv, S. 444). 27 An der märkischen Landesuniversität waren im August 1616 die Statuten der theologischen Fakultät geändert und der Vortrag der lutherischen Abendmahlslehre verboten worden. Die Konkordienformel hatte man bereits im Jahre 1610 aus den Statuten gestrichen. Vgl. Hering, Nachricht, S. 323f. u. Tholuck, Akademisches Leben Bd. 2, S. 253. Vgl. dazu auch Nischan, Schools, S. 223. 28 Heinrich, Brandenburg S. 114.
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B. Historische Rahmenbedingungen
am Beginn des 17. Jahrhunderts einsetzte, und in deren Verlauf sich schließlich eine über den Hof hinausreichende reformierte Gesellschaft herausbildete. Eine zentrale Rolle bei der Formierung einer einheimischen reformierten Elite sollten die märkischen Bildungseinrichtungen spielen. Dazu zählte vor allem die Frankfurter Universität, an deren Theologischer Fakultät unter Johann Sigismund ausschließlich reformierte Professoren neu bestellt wurden, womit der geistige Orientierungswechsel zu einem gemäßigten Calvinismus langfristig abgesichert worden war. Der aus der Konfessionsverschiedenheit resultierende Dualismus zwischen Territorium und Dynastie hatte auch wichtige innenpolitischen Konsequenzen. Das Kirchenregiment über die lutherische Landeskirche wurde weiterhin vom Kurfürsten ausgeübt, obwohl er aufgrund seines Konfessionswechsels kein Mitglied der lutherischen Kirchengemeinschaft mehr war. Ein neues „System der gemischten obrigkeitlichen Kirchenverwaltung“ 29 bildete sich heraus. Zwar behielt das Konsistorium die obersten geistlichen Leitungsrechte, jedoch wurden erstmals dem weltlichen Geheimen Rat spezielle kirchenregimentliche Aufgaben übertragen, darunter die Pfarrstellenbesetzung, Visitationen und lokale Streitfälle. Dies bedeutete eine Entwicklung vom episkopalen Kirchenregiment hin zu einer territorialistischen Praxis des Kirchenregiments. 30 Otto Hintze setzt hier den eigentlichen Beginn eines Staatskirchentums an. Das geistliche Regiment wird zum „Zubehör der Staatsgewalt“ 31, die Kirche dem Staat ein- und untergeordnet. Das Ende der konfessionellen Geschlossenheit war somit aufgrund der damit einhergehenden Vertiefung staatlicher Macht für die Herausbildung des frühmodernen Staates von großer Bedeutung. Von Thadden betont noch einen weiteren allgemeinen Effekt, der sich aus dem Dualismus zwischen Calvinismus an der Staatsspitze und Luthertum an der gesellschaftlichen Basis ergeben habe. So verringerte die konfessionelle Distanz für das Herrscherhaus die Gefahr, von den Landständen abhängig zu werden und erlaubte „eine von ständischen Rücksichten freiere Verfolgung weiter gesteckter Ziele“ 32. Je mehr die reformierten Kräfte von der lutherischen Kirchen- und Ständewelt abgestoßen worden wären, um so mehr seien sie „in den Aktionsbereich des Staates hineingezogen und schließlich von ihm absorbiert“ 33 worden. Gleichzeitig wird in der Forschung auch auf eine gegenläufige Tendenz hingewiesen. Nach Nischan habe die „Zweite Reformation“ durch den massiven Widerstand, den sie hervorrief, die oppositionellen Kräfte der ländlichen Aristokratie und der städtischen Räte gebündelt und damit die Macht des Herrschers eher geschwächt. 34 Auch Arndt machte unlängst darauf aufmerk29 30 31 32 33
Rudersdorf , Kurbrandenburg S. 59. Vgl. Hintze, Epochen S. 82. Ebd., S. 81. Thadden, Fortsetzung S. 236f. Ebd., S. 249.
I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen
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sam, daß im kirchlichen Bereich die Konfessionsdifferenz und die Gutsherrschaft mitsamt dem adligen Kirchenpatronat den Durchgriff bis hinunter an die Basis eingeschränkt habe. 35 3. Die reformierte Konfessionalisierung unter dem Großen Kurfürsten Die Zeit unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640–1688) gilt bekanntermaßen als eine Phase, in der in Brandenburg-Preußen die Entwicklung hin zu absolutistischen Herrschaftsformen einsetzte. Als Ursachen für diese Entwicklung legt die Forschung seit langem ihr Augenmerk auch auf konfessionsgeschichtliche und religionssoziologische Zusammenhänge. So untersuchte man die zahlreichen geistesgeschichtlichen Einflüsse des nach Brandenburg-Preußen eindringenden Reformiertentums. Bereits Droysen sah in der Hinwendung der Hohenzollern zum Calvinismus, den er im Gegensatz zum Luthertum als „eine andere, eine größere, lebensreichere Weltanschauung“ 36 bezeichnete, einen „Entschluß zum Vorwärts“ 37. Es war dann Otto Hintze, der versuchte, einen direkten Zusammenhang von reformiertem Bekenntnis und absolutistischem Politikverständis herzustellen und die berühmte These aufstellte, daß der Calvinismus die Brücke gewesen sei, über welche die westeuropäische Staatsräson ihren Einzug in Brandenburg gehalten habe. 38 Diese Auffassung traf auf Einwände, wurde modifiziert und weiterentwickelt. Oestreich verwies auf die gleichzeitig mit dem Calvinismus nach Brandenburg eindringenden Gedanken des niederländischen Späthumanismus und sah insbesondere den Neustoizismus von Lipsius als einflußreich für das politische Denken im Brandenburg des 17. Jahrhundert an. 39 Für ihn bildete der politische Neustoizismus eine der „kräftigsten weltanschaulichen Wurzeln“ 40 für den europäischen Absolutismus und damit eine wichtige Grundlage für die Entwicklung des modernen Machstaates. Auch wenn der Charakter und das genaue Ausmaß der niederländischen Einflüsse von der Forschung neu bewertet werden 41, bleibt wohl die grundsätzliche Feststellung, daß die „mentale Strukturgeschichte 34 An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, daß es Lutheraner waren, welche die Unterwerfung unter die autoritäre Herrschaft verweigerten und das oppositionelle Potential ausmachten, während sich das autoritäre Herrschaftssystem mit dem Calvinismus verband. Damit muß die verbreitete Vorstellung, daß Konstitutionalismus und politisches Engagement generelle Merkmale reformierten Geistes seien, während das Luthertum den autoritären Staat unterstütze und sich eher aus der Politik zurückziehe, revidiert werden. 35 Vgl. Arndt, Kurfürst, S. 265. 36 Droysen, Politik, S. 436. 37 Ebd., S. 436. 38 Vgl. Hintze, Kalvinismus, S. 542. 39 Vgl. Oestreich, Neustoizismus u. ders., Calvinismus. 40 Oestreich, Geist, S. 71.
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Brandenburg-Preußens“ 42 durch die mit dem Calvinismus verbundenen Staats-, Rechts- und Kulturideen einen starken westeuropäischen Akzent erhalten habe, unbestritten. Der besondere Umstand, daß Brandenburg-Preußen eine doppelte Konfessionalisierung erfuhr, war für den späteren Aufstieg Brandenburg-Preußens nicht unerheblich. Die Dynamik zwischen calvinistischem Herrscherhaus und lutherischen Landständen wird für die Herausbildung absolutistischer Herrschaftsformen mitverantwortlich gemacht, bot doch der konfessionelle Gegensatz in Brandenburg-Preußen „die Chance, vergleichsweise früh eine von den Landständen unabhängige Kultur- und Politikelite aufzubauen, die ganz und gar auf den Herrscher und den Fürstenstaat eingeschworen war“ 43. Die Grundlagen für eine solche Entwicklung wurden in der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm gelegt. Durch gezielte Maßnahmen wie die Ansiedlung Reformierter in den Städten – quasi als „Ersatzbürger“ 44 – und die Aufnahme ausländischer bzw. reformierter Personen in die Amtsträgerschaft vollzog sich ein Prozeß, bei dem langfristig „die lutherische Grundschicht . . . von einer reformierten Oberschicht überlagert“ 45 wurde. Grundlegender Bestandteil einer solchen Politik war dabei zunächst die Förderung von reformierten Gemeinden. 46 Ansatzpunkte für die Bildung reformierter Gemeinden bildeten häufig die Hofpredigerstellen. Mit der ausschließlichen Berufung reformierter Theologen zu Hofpredigern und der Einrichtung neuer Hofpredigerstellen an Residenzen und Nebenresidenzen, fand Friedrich Wilhelm eine willkommene Gelegenheit, dem Reformiertentum in seinen Herrschaftsgebieten breiteren Raum zu verschaffen. 47 Die neue reformierte Gesellschaft rekrutierte sich zum Teil aus zum Calvinismus konvertierten inländischen 41 In jüngster Zeit hat Van Gelderen die These, daß der niederländische Späthumanismus zu den wichtigsten Wurzeln des Absolutismus und Preußentums gehöre, infragegestellt und deren tiefere Erforschung gefordert. Er vertritt die Auffassung, daß der Neustoizismus keinesfalls den Kern der „Niederländischen Bewegung“ ausgemacht habe und der Gedanke der Staatsräson der politischen Kultur der Republik Niederlande fremd gewesen sei. Gleichzeitig konstatiert er hinsichtlich der Lipsius-Rezeption in Brandenburg durch den Großen Kurfürsten, den Hof und die Frankfurter Universität einen weiteren Forschungsbedarf (ders., Holland, S. 49f.). 42 Oestreich, Fundamente, S. 297. 43 Schilling, Höfe, S. 381. 44 Begriff zuerst bei Jersch-Wenzel, Juden. Vgl. auch Nachama, Ersatzbürger. 45 Oestreich, Fundamente, S. 278. 46 Opgenoorth unterscheidet typologisch Beamten-, Adels-, Kolonisten-, Asyl- und Kaufleutegemeinden voneinander. Vgl. ders., Reformierten. Zu reformierten Gemeindegründungen in den brandenburgisch-preußischen Territorien vgl. außerdem Gabriel, Gemeinden, S. 34f. 47 Die reichsrechtliche Legitimation dazu bot Artikel VII des Instrumentum Pacis Osnabrugense, der dem Landesherren das jus reformandi in dessen Residenzen zusprach. Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 61.
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Beamten- und Adelsfamilien, vor allem jedoch aus Ausländern, die von anderen reformierten Territorien bzw. als Glaubensflüchtlinge einwanderten. 48 Die wichtigsten Herkunftsgebiete waren Schlesien, die Pfalz, Böhmen-Mähren, Anhalt, Bremen, Schottland-England, der Oberrhein und schließlich Frankreich. 49 Gerade den nichtlutherischen und überwiegend reformierten Zuwanderern, die in der Folge der Gegenreformation nach einer neuen Heimat und neuen Aufgaben suchten, wurde unter dem Großen Kurfürsten in Brandenburg-Preußen Zuflucht geboten. In einer feindlich gesonnenen lutherischen Umgebung waren diese Neuankömmlinge dem Landesherren in einem besonderen Maße verpflichtet. Zugleich wurde mittels rechtlicher und wirtschaftlicher Privilegierung dieses Personenkreises gegenüber der alteingesessenen Bevölkerung von vornherein sichergestellt, „daß diese Schicht nur beim Landesherrn Rückhalt suchte und auch fand“ 50. In den Staatsdienst bevorzugt Reformierte einzustellen und sogar lieber reformierte Ausländer als lutherische Einheimische zu seinen Räten und Beamten zu wählen, hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm sich selbst und seinen Nachkommen zum Programm gemacht. So schrieb er in seinem politischen Testament von 1667, das man gleichsam als Regierungserklärung für die restlichen Jahre seiner Regierungszeit auffassen kann 51, man habe furnehmlich dahin zu sehen, das, wan solche Subiecta von der Reformirten Religion in Eweren Landen sich befinden, So da qualificirt undt geschickt, fur andere . . . annehmet undt bestellet, ja, da auch in der chur Brandenburg keine verhanden, auß der Frembde annehmet, undt den Lutterischen furziehet 52. Tatsächlich stammten von den unter Friedrich Wilhelm ernannten Geheimen Räten nur etwas mehr als ein Drittel aus Brandenburg, der Rest dagegen aus dem Herzogtum Preußen und aus dem Reich bzw. Ausland. 53 Sogar im Geistlichen Konsistorium, dem kurfürstlichen Verwaltungsorgan für die lutherische Landeskirche, hatten die Reformierten das Übergewicht. 54 Das Anwachsen der Anzahl ausländischer bzw. reformierter Staatsdiener auf der oberen
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Die Zahl der Übertritte zum reformierten Bekenntnis wird von der Forschung als statistisch eher unerheblich angesehen. Vgl. Opgenoorth, Reformierten, S. 450. Das gilt auch für die kurfürstlichen Amtsträger am Hofe des Großen Kurfürsten, wo nur zwölf Fälle von Konversionen bekannt sind. Vgl. Bahl, Hof, S. 213. 49 Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 72 u. 80. Die seit 1685 eingewanderten Réfugiés bildeten dabei aufgrund ihrer auf Herkunft, Sprache und Kultur beruhenden Eigenart und ihres eigenen Bekenntnisses gegenüber den deutsch-reformierten Gemeinden eine eigene Gruppe. Vgl. Opgenoorth, Reformierten, S. 443. 50 Hahn, Landesstaat, S. 67. 51 Vgl. Nachama, Ersatzbürger, S. 33. 52 Duchardt, Testamente, S. 167. 53 Vgl. Heinrich, Adel, S. 300. 54 So gab es nicht nur eine paritätische Besetzung unter den lutherischen und reformierten Konsistorialräten, die juristischen Räte waren sogar mehrheitlich und die Konsistori-
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Verwaltungsebene stieg in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten von unter zwanzig auf über achtzig Prozent. 55 Im Bereich der Hofverwaltung und des Finanz-, Steuer- und Militärwesens trug diese neue Amtsträgerschaft zur Festigung und Intensivierung der landesherrlichen Gewalt bei. Parallel dazu lockerten bzw. lösten sich die Bindungen zwischen der Hofstaatsgesellschaft und dem landsässigen Adel. 56 In seiner prosopographischen Pionierarbeit zum Hof des Großen Kurfürsten konnte Bahl unlängst nachweisen, daß Ausländer, bei denen es sich in den meisten Fällen tatsächlich um Reformierte handelte, von 1640 bis 1688 kontinuierlich bevorzugt wurden und daß diese Gruppe zwei Drittel der neu berufenen Amtsträger ausmachte. Besonders eklatant war das Übergewicht der Reformierten in den obersten Hofämtern. 57 Andererseits kann von einer völligen systematischen Ausschaltung der Lutheraner aus der höheren Amtsträgerschaft keine Rede sein – gehörte doch ein Drittel der höheren Amtsträger weiterhin dem Luthertum an. 58 Die Art und Weise, in der sich der Kurfürst den Calvinismus politisch nutzbar machte, läßt sein Drängen auf eine Gleichstellung des Reformiertentums in einem neuen Licht erscheinen. Während die ältere Forschung dazu neigte, den Kurfürsten „moderner“ zu sehen und die auf konfessionelle Parität ausgerichtete Politik des Großen Kurfürsten als Toleranzpolitik zu idealisieren, schätzt man heute seine Konfessionspolitik ambivalenter ein. 59 Die praktizierte Kirchenfriedenspolitik wird eher als ein Nebenprodukt der einseitigen Protektion der Reformierten gesehen: im Ergebnis habe die Kirchenpolitik des Kurfürsten zwar die Toleranz gefördert, nicht jedoch in der Intention. 60 Dabei vermischen sich seine persönliche Überzeugung, „daß es seine Aufgabe sei, dem reformierten Glauben in allen seinen Ländern den Weg zu bahnen“ 61, mit staatlichen Zweckmäßigkeiten. So betont Heinrich, die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms sei von den „Staatsnotwendigkeiten, wie sie der absolutistische Herrscher verstand“ bestimmt gewesen und „nicht von den Gesichtspunkten einer idealen Toleranz“ 62. alpräsidenten seit 1665 ausschließlich reformierter Konfession. Vgl. Themel, Mitglieder, S. 63ff. 55 Vgl. Nachama, Ersatzbürger, S. 111. Leider ist der genaue Anteil der Reformierten unter den Ausländern aus diesen Angaben nicht zu ersehen. 56 Vgl. Hahn, Landesstaat S. 65. 57 Vgl. Bahl, Hof, S. 203ff. 58 Vgl. ebd., S. 200. 59 Eine Überbewertung der unionistischen Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten erfolgte vor allem bei Philippson (vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm, S. 10). Auch Hugo Landwehr bewertete die Konfessionspolitik Friedrich Wilhelms sehr positiv, indem er dem Kurfürsten unterstellte, er sei stets bestrebt gewesen, dem Gedanken der Parität „überall und in jeder Form Geltung zu verschaffen“. Landwehr, Kirchenpolitik, S. 6. 60 Vgl. Thadden, Hofprediger a. a. O. S. 62. 61 Hubatsch, Geschichte, S. 134.
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Nachama geht in überspitzter Form sogar so weit zu behaupten, daß die Hohenzollern generell nur aus „scharfem politischen Kalkül“ 63 Toleranz geübt hätten. Der konfessionelle Gegensatz zwischen Landesherrschaft und Landständen sei bewußt als Mittel zur Erweiterung der Befugnisse der Landesherrschaft ausgenutzt worden. 64 Tatsächlich zeigen die Zensurmaßnahmen und rigorosen Verhöre opponierender Lutheraner und die repressive Grundhaltung gegenüber den Katholiken in der Mark die Grenzen dieser Toleranz deutlich auf. 65 Bereits 1656 verbot der Kurfürst dem Geistlichen Konsistorium, Ordinationen auf die Konkordienformel vorzunehmen. Ein Jahr später untersagte er Kandidaten der Theologie, sich außerhalb Brandenburgs ordinieren zu lassen und 1662 verbot der Kurfürst seinen Untertanen erstmals den Besuch der lutherisch-orthodoxen Universität in Wittenberg. 66 Darüber hinaus verhinderte der Kurfürst gegen den ausdrücklichen Willen der brandenburgischen Landstände die Berufung eines Lutheraners an die theologische Fakultät der Frankfurter Viadrina, um deren reformiertes Profil abzusichern. 67 Um theologischen Streitschriften den Boden zu entziehen, wurde 1662 außerdem ein Mandatum, wie sowohl zwischen Reformirten und Lutherischen Predigern als Unterthanen die Einträchtigkeit zu halten, verabschiedet. 68 Nicht der Geist der Duldung habe Friedrich Wilhelm bewegt, so bemerkte Flaskamp dazu bereits 1925 treffend; vielmehr sei der Kurfürst sich selber treu geblieben, „indem er die Reformierten förderte [und] die Lutheraner zurückdrängte“ 69. 4. Die Folgen der doppelten Konfessionalisierung für die Berliner Residenz Mit dem landesherrlichen Verzicht auf das jus reformandi war die Bikonfessionalität Berlins rechtlich besiegelt. Da die „Zweite Reformation“ auf die dem kurfürstlichen Hof verbundene Domkirche beschränkt blieb, existierten in 62
Heinrich, Geschichte, S. 121. Nachama, Ersatzbürger S. 34. 64 Vgl. ebd. 65 Vgl. Heinrich, Brandenburg, S. 115. 66 Edikt, daß von den Landes-Kindern keiner Theologiam & Philosophiam studiret, und nach Wittenberg ziehet, Beforderung zu hoffen haben soll vom 21. Aug. 1662. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 20. Sp. 79–82. Das Wittenberg-Verbot wurde im Zusammenhang anderer Verordnungen in den Jahren 1690, 1718 und 1726 erneuert. Vgl. ebd. Nr. 51, Sp. 109–110; Nr. 118, Sp. 236 und Nr. 122. Sp. 243–244. 67 Näheres dazu unten, Abschnitt C. III. 2. Als einziger lutherischer Theologe war 1639 Simon Ursinus (1599–1644) an die theologischen Fakultät berufen worden. Nach dessen Tod wurden ausschließlich Reformierte berufen. Vgl. Bornhak, Universitätsverwaltung, S. 36. Zur landesherrlichen Besetzungspolitik vgl. auch Tholuck, Akademisches Leben Bd. 2, S. 256ff. 68 Vgl. Lackner, Kirchenpolitik, S. 124ff. 69 Flaskamp, Religionspolitik, S. 270. 63
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der brandenburgischen Hauptresidenz jetzt zwei hinsichtlich des Ritus und der Festkultur, des sozialen Profils und der regionalen Herkunft sowie der Kirchenorganisation unterschiedliche Konfessionskulturen. Die reformierte Domgemeinde nahm allerdings nur langsam an Mitgliedern zu. 70 Die genaue Zusammensetzung der Domgemeinde ist bisher nicht untersucht worden. Trotzdem kann man davon ausgehen, daß es sich in der Anfangszeit um einen kleinen, auf den Hof beschränkten Personenkreis handelte. Wie der Kurfürst selbst zeichneten sich die Mitglieder dieser international aufgeschlossenen Hofgemeinde durch ihre engen Kontakte zu calvinistischen deutschen Territorien und westeuropäischen Staaten aus, waren dort aufgewachsen oder hatten dort studiert. Anders als die Einheimischen waren diese Personen mit der lutherischen Konfessionskultur der Mark kaum in Berührung gekommen. Auf die Tatsache, daß abgesehen vom Kammergericht ein überproportional großer Teil der Spitzenpositionen am Hofe von Reformierten eingenommen wurde, wurde eben verwiesen. Zumal sich in der Folgezeit durch die Einstellung reformierter Ausländer in kurbrandenburgische Dienste das konfessionelle Verhältnis am Berliner Hofe immer mehr zu Gunsten der Reformierten verschob, spricht die Forschung bezogen auf Berlin und die Mark deshalb zu Recht vom Calvinismus als einer „Hof- und Beamtenreligion“ 71. Die enge Verschränkung von Domgemeinde und höfischer Führungsschicht spiegelt sich auch in deren Gemeindeverfassung wider. So lag die Oberaufsicht über die Gemeinde seit 1632 bei den jedesmal habenden Geheimten Räthen der reformirten Religion 72. Eine presbyteriale Selbstständigkeit, wie sie die reformierte Kirchenverfassung anstrebte, war nur für den Fall der Andersgläubigkeit des Kurfürsten vorgesehen. Unter Friedrich Wilhelm wurde diese „unreformierte“ Abhängigkeit von der Staatsmacht weiter gefestigt. Er richtete 1658 als eigene Verwaltungsbehörde das Domkirchen-Direktorium ein. An dessen Spitze stand der Vizekanzler des Geheimen Rates, Lucius von Rahden (–1686), der im Jahre 1665 außerdem Präsident des kurmärkischen Konsistoriums wurde. 73 Dies entsprach dem allgemeinen Trend hin zum staatskirchlichen Absolutismus, bei dem der weltliche Geheime Rat immer mehr geistliche Kompetenzen an sich zog und schließlich alle wesentliche Ämter der Kirchenleitung in sich vereinte. 74 70 Am ersten reformierten Abendmahl im Jahre 1613 hatten 55 Personen teilgenommen (vgl. Schniewind, Dom, S. 49). In der Literatur finden sich leider keine Angaben zum Wachstum der Domgemeinde. Der Bruder des Kurfürsten Johann Georg vermerkte im Jahre 1615, daß die Anzahl der Reformierten „klein und bescheiden“ geblieben sei (vgl. Nischan, Kontinuität S. 115). Generell bildeten die Reformierten bei der damaligen Gesamtbevölkerung von schätzungsweise 12.000 Einwohnern eine deutliche Minderheit (zu den Bevölkerungszahlen vgl. Hinze, S. 292). Am Ende des 18. Jahrhunderts schätzt Dalton die Domgemeinde auf 3500 bis 4000 Personen. Dalton, Jablonski, S. 134. 71 Stutz, Kurfürst, S. 37. 72 Hering, Beiträge Bd. 1, S. 30. 73 Vgl. Hering, Beiträge Bd. 2, S. 105.
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Seitdem oblag dem jeweiligen reformierten Konsistorialpräsidenten automatisch die Leitung sämtlicher Domangelegenheiten. In seiner 1664 für die Domkirchengemeinde erlassenen Kirchenordnung verpflichtete Friedrich Wilhelm die Prediger explizit auf die brandenburgischen reformierten Bekenntnisse. 75 Diese Lehrbegrenzung der reformierten Theologen auf die kurfürstliche Confessio demonstriert, daß sich die Domgemeinde nicht nur verfassungsmäßig und wirtschaftlich, sondern auch bekenntnismäßig in der Abhängigkeit ihres Landesherren befand. Den geistlichen Kern der reformierten Hofgesellschaft bildeten die vom Kurfürsten berufenen Hof- und Domprediger, die aus dem reformierten und konkordienfreien Ausland, vor allem aus Schlesien, Pfalz, Anhalt und Bremen kamen. Nach 1648 traten zu den alten Herkunftsländern Böhmen-Mähren, SchottlandEngland, der Oberrhein und Frankreich dazu. 76 Von Thadden hat überzeugend herausgearbeitet, wie sich im Laufe des 17. Jahrhunderts regelrechte Hofpredigerdynastien ausbildeten, deren Stellung politisch durch eine absolute Bindung an das Herrscherhaus bestimmt war. Diese Gesellschaft verengte sich immer stärker, als der reformierte „Nachschub“ von außerhalb im Laufe des 18. Jahrhunderts immer mehr nachließ. 77 Die reformierte Theologenschaft befand sich der Stadt gegenüber in einer „hoffnungslosen Isolierung“. Anders als die reformierten Hoftheologen stammten die städtischen Geistlichen mehrheitlich aus der Mark Brandenburg und anderen Gebieten des brandenburgisch-preußischen Herrschaftsbereiches. 78 Hinsichtlich des Ausländeranteils unterschied sich das lutherische Berlin-Cölln nicht nur bei der Geistlichkeit, sondern auch bei den Gemeindegliedern deutlich von der reformierten Hofgesellschaft. Die Herstellung konnubialer Verbindungen über die konfessionellen Grenzen hinweg war problematisch und kam kaum vor. 79 So kann es kaum verwundern, daß das Verhältnis zwischen reformierter Hofgesellschaft und lutherischer Stadtbevölkerung nach einer durch den Krieg beding74
Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 47. Vgl. Hering, Beiträge Bd. 2, S. 107ff. Zu den Brandenburger Bekenntnisschriften zählten neben der Confessio Sigismundi die auf den Leipziger und Thorner Religionsgesprächen verabschiedeten Erklärungen von 1631 und 1645. Gedruckt bei Gericke, Glaubenszeugnisse. 76 Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 72 u. 80. 77 Vgl. ebd., S. 91ff. 78 Dies bestätigt eine Auswertung der von Noack und Splett aufgeführten Berliner lutherischen Pfarrer. Danach stammten mehr als zwei Drittel der zwischen 1640 und bis 1713 in Berlin tätigen lutherischen Pfarrer aus Brandenburg, Pommern, Halberstadt und Halle. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688 u. dies., Berlin-Cölln 1688–1713. 79 Vgl. Bahl, Hof, S. 355. Für die Heiratskreise der Berliner Ratsfamilien läßt sich die konfessionelle Geschlossenheit mit Sicherheit nachweisen. Vgl. Schmitz, Ratsbürgerschaft, S. 114. 75
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B. Historische Rahmenbedingungen
ten Ruhephase in der Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640–88) erneut von einer Vielzahl konfessioneller Auseinandersetzungen geprägt war. Während sich die Reformierten als rosa inter spinas 80 fühlten, sprachen die Lutheraner umgekehrt ihren evangelischen Glaubensgenossen sogar das Christsein ab. 81 Neben den theologischen Lehrdifferenzen sorgten vor allem die Unterschiede in der rituellen Praxis für gegenseitiges Befremden. Mit der Durchführung von vermittelnden Religionsgesprächen und der Verabschiedung von sogenannten Toleranzedikten versuchte der Kurfürst, der anticalvinistischen Front die Spitze zu nehmen und die Reformierten in seiner Hauptresidenz zu fördern. Im Streit um die Ausweisung des bekannten lutherischen Theologen und Liederdichters Paul Gerhardt fanden diese Auseinandersetzungen in der Mitte der sechziger Jahre schließlich einen Höhepunkt. 82 5. Der Beginn der Entkonfessionalisierung seit den 1670er Jahren Das eigentliche „Zeitalter der Toleranz“ in Brandenburg-Preußen wird heute von der Forschung als das Ergebnis eines längeren Prozesses aufgefaßt, der sich zwischen 1675–1725 vollzogen habe und nicht eindeutig an einen Regentenwechsel festzumachen ist. Heinrich versteht darunter einen alle Führungsschichten erfassenden „Prozeß des Umdenkens und Anders-Denkens“ 83, bei dem gerade der Führungsschicht um den Großen Kurfürsten eine wichtige Rolle zuzumessen sei, indem sie den alternden Herrscher aus der Enge „des Paul-Gerhardt-Konfliktes und des Kleinkrieges mit den Ständen“ 84 herausgeführt habe. Die Wende 80 Das Gemeindesiegel der reformierten Domgemeinde von 1667 bediente sich dieser im Calvinismus gebräuchlichen Allegorie der Rose unter Dornen. 81 So soll der Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster, Johannes Heinzelmann, in einer Predigt geäußert haben:„wer nicht lutherisch ist, ist verflucht“. Wendland, Kirchengeschichte, S. 76. 82 Im Jahre 1666 war der Berliner Propst Gerhardt gegen den Protest der märkischen Stände und der Stadt Berlin wegen dessen Weigerung, das kurfürstliche Toleranzedikt von 1662 zu unterzeichnen, aus seinem Amt entlassen worden. Hierbei trat die Verbindung der lutherischen Prediger zur städtischen Administration besonders deutlich zutage: So setzten sich sämtliche Gewerke und der Berliner Magistrat in mehreren Schreiben nachdrücklich für Gerhardt ein. Näheres dazu bei Bunners, Gerhardt u. Beeskow, Kirchenpolitik. Daß sich hinter den widerspenstigen Predigern möglicherweise auch der Protest der Berliner Zünfte gegen die „absolutistische Steuer- und Kriegspolitik“ äußertet, vermutet Schultz, Berlin, S. 43. Für diese These spricht die damalige schlechte Stimmung in der Stadtbevölkerung wegen des Festungsbaus. So hatte die seit 1658 weitgehend auf städtische Kosten stattfindende Umgestaltung der Residenz in eine Festung für einen breiten Unwillen in der Stadt gesorgt. Außerdem hatte der Magistrat in diesem Zusammenhang wichtige städtische Aufsichtsrechte (Policey, Torschlüssel) an den Militärkommandanten der neuen Berliner Garnison übergeben müssen (vgl. Schmitz, Ratsbürgerschaft, S. 165). 83 Heinrich, Religionstoleranz, S. 74. 84 Ebd.
I. Der Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen
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in der brandenburgisch-preußischen Kirchenpolitik vollzog sich dann in der Regierungszeit des ersten Königs (1688–1713). Die Überwindung der orthodoxkonfessionellen Fixierung in der landesherrlichen Konfessionspolitik war nicht allein eine Folge der persönlichen Glaubensentwicklung Friedrichs III. (I.), sondern hatte ihre Ursache auch in allgemeinen geistes- und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen. Vor allem trug der zu dieser Zeit aufbrechende Pietismus dazu bei, daß die konfessionellen Spannungen und dogmatischen Gegensätze zwischen den beiden protestantischen Bekenntnissen abgebaut werden konnten. In der königlichen Residenz nahmen vom Pietismus geprägte lutherische Theologen und unionistisch eingestellte Reformierte entscheidende Positionen ein. Genannt seien nur der lutherische Berliner Propst Philipp Jacob Spener (1635–1705) und der reformierte Hofprediger Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). Nicht nur von Seiten des Pietismus, sondern auch durch die im Lande angesiedelten Flüchtlingsgemeinden geriet die von der lutherischen Orthodoxie geprägte Landeskirche unter wachsenden Erneuerungsdruck. Seit 1685 waren tausende reformierte Franzosen nach Brandenburg-Preußen eingewandert. Bis zur Jahrhundertwende war die Anzahl der Franzosen in Brandenburg-Preußen bereits auf mehr als 14000 Personen angewachsen. 85 Die Berliner Hauptresidenz wurde zum „Umschlagplatz des brandenburgischen Refuge“ 86, wobei die hier 1672 begründete französisch-reformierte Gemeinde der Einwanderungsbewegung als Kristallisationspunkt diente. Um 1700 lebten fast 6000 Franzosen in Berlin, was ungefähr ein Viertel der damaligen Gesamtbevölkerung von 25.000 Einwohnern ausmachte. Durch den gleichzeitigen Zuzug deutscher Zuwanderer sank jedoch bis 1716 der prozentuale Anteil der Franzosen an der Stadtbevölkerung wieder auf 13 Prozent. 87 Dieser Zuzug stellte nicht nur eine quantitative Verstärkung des reformierten Elements dar, sondern „auch die Etablierung einer konkurrenzfähigen protestantischen Kirche, die Angehörige aller Stände und Schichten zu binden vermochte“ 88. Friedrich III. (I.) gelang es bald, die ursprünglich presbyteriale Kirchenverfassung der Hugenotten den in Brandenburg-Preußen geltenden staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen. 89 So wurde die französisch-reformierte Kirchenordnung im Dezember 1689 nur unter dem Vorbehalt 85
Vgl. Muret, Geschichte, S. 314. Vgl. Wilke, Kolonie, S. 357. 87 Vgl. ebd., S. 357 u. 385 u. Birnstiel/Reinke, Hugenotten, S. 92. Ein Drittel der französischen Zuwanderer ließ sich in der Dorotheenstadt nieder, viele jedoch auch in der neuen Friedrichsstadt. Aber nicht alle Franzosen zogen in die Neustädte. Die zweitgrößte französische Gemeinde befand sich lange Zeit in Cölln, wo die Hugenotten leerstehende und teilweise baufällige Häuser zugewiesen bekommen hatten. Um die Jahrhundertwende war der Anteil der Hugenotten hier ähnlich hoch wie in der Dorotheenstadt und machte hier ebenfalls fast 30 Prozent der Bevölkerung aus. Vgl. H. Schultz, Berlin, S. 59. Zur Verteilung der Hugenotten auf die einzelnen Berliner Städte vgl. Birnstiel/Reinke, Hugenotten, S. 97f. 88 Klingebiel, Pietismus, S. 295. 86
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B. Historische Rahmenbedingungen
eingeführt, daß landesherrliche Rechte davon unberührt bleiben sollten. 90 1701 wurde dann das Französische Oberkonsistorium als eine landesherrlich zu berufende zentrale Kirchenbehörde eingerichtet und dem lutherischen Konsistorium gleichgestellt. Eine Synodalverfassung wurde in Brandenburg-Preußen nie eingeführt. Offensichtlich war im frühabsolutistischen Brandenburg-Preußen an eine Einschränkung des landesherrlichen Kirchenregiments nicht zu denken, vielmehr nahm Friedrich III. (I.) für sich in Anspruch, in seiner Eigenschaft als Summus Episcopus auch für die Hugenottenkirche das Oberhaupt zu sein. Daß sich Friedrich III. (I.) weiterhin der väterlichen Tradition verpflichtet fühlte, dem Reformiertentum seine besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, macht sein politisches Testament von 1694 deutlich. Hier zeigt er sich ganz „als in die Haustradition eingebundener Vertreter und auch Protektor der Reformierten“ 91. Auch er legt seinen Nachfolgern die Verpflichtung auf, als Räte möglichst nur Angehörige des reformierten Bekenntnisses zu nehmen. Allerdings wandelt er die Mahnung seines Vaters dahingehend ab, nur bei gleicher Qualifikation einen Reformierten einem lutherischen Bewerber vorzuziehen 92. Den Einfluß des lutherisch-orthodoxen Wittenberg suchte Friedrich III. (I.) wie sein Vater mit Studierverboten einzudämmen. Ein Absolvent der Wittenberger Leucorea durfte nicht in Brandenburgische Pfarr- oder Lehrämter gelangen. 93 Erst unter Friedrich Wilhelm I. (1713–40), der in seinem politischen Testament den Grundsatz der Gleichbehandlung beider Konfessionen aufstellte, fand die „massive personal-politische Bevorzugung der Reformierten“ 94 ein Ende. Für ihn war der Unterschied zwischen unsern evangelischen Religionen . . . wahrlich ein Pfaffengezänk 95. Diese Einstellung hinderte ihn jedoch keinesfalls daran, das landesherrliche Kirchenregiment zu stärken und weiterzuentwickeln. 1713 verabschiedete der neue König bereits ein Gesetz zur Einrichtung eines Refor89
Zur Herausbildung der Gemeindeverfassung vgl. Mengin, Recht; Grieshammer, Studien; Birnstiel, Hugenotten; Birnstiel/Reinke, Hugenotten, S. 79ff. 90 La Discipline Ecclésiastique des Eglises Reformées de France abgedruckt bei Mengin, Recht, S. 64ff. Kurfürstliche Deklaration vom 7. Dezember 1689, vgl. ebd. S. 196ff. 91 Heinrich, Religionstoleranz, S. 75. 92 Keineswegs sollten die Lutheraner von allen bedienungen . . . gäntzlich ausgeschloßen sein; dan ein Churfürst von Brandenburg allezeit zu reflectiren hat, daß seine meiste unterthanen Luttherisch sein und also sie nicht wol führbey gehen kan (Caemmerer, Testamente, S. 347). 93 Kurfürstliche Resolution vom 4. März 1690: Renovirte Verordnung, daß keiner zum Predigt-Amt zu admittiren, so in Wittenberg studirt hat vgl. Mylius, CCM, T. 1, Abt. 2, Nr. 51. Sp. 109f. Auch Friedrich Wilhelm I. hielt an dieser Hochschulpolitik fest und erneuert das Studierverbot für Wittenberg 1718 und 1726. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 68 Sp. 236 u. Nr. 72. Sp. 243f. 94 Opgenoorth, Reformierten, S. 443. 95 Zit. nach: Heinrich, Geschichte, S. 180.
II. Die Etablierung des Pietismus in Brandenburg-Preußen
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mierten Kirchendirektoriums – eine vom kurmärkischen Konsistorium unabhängige Behörde – welche für die in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches gewachsenen deutsch-reformierten Gemeinden Brandenburg-Preußens zuständig sein sollte. Zudem wurde für diese Gemeinden eine besondere InspectionsPresbiteral-Classical- und Schulordnung 96 verabschiedet, und damit die „nur in Ansätzen vorhandene Selbstverwaltung“ 97 der deutsch-reformierten Gemeinden gestärkt. Mittels administrativer Maßnahmen versuchte der Landesherr jedoch auch, Einheitstendenzen und die interkonfessionelle Toleranz der Konfessionen zu befördern. Ein wichtiger Schritt war dabei der Versuch, die zum Kennzeichen der lutherischen Orthodoxie gewordenen altkirchlichen Traditionsreste, vor allem den Taufexorzismus sowie die obligatorischen Privatbeichte durch die Einführung einer öffentlichen Kirchenbuße abzuschaffen. Bei dieser Kirchenpolitik stützte er sich nicht nur auf Vertreter der gemäßigten Orthodoxie, sondern vor allem auf die Pietisten. Die Reformströmung des Hallischen Pietismus fand in Friedrich Wilhelm I. einen besonders starken Förderer. Mit dem unter dem Soldatenkönig erfolgten allgemeinen Durchbruch des Pietismus verloren die Reformierten ihre Schlüsselrolle innerhalb der politisch-administrativen Strukturen. Gegenüber dem überkonfessionell ausgerichteten Pietismus, der unter Friedrich Wilhelm I. von einer „universellen Bewegung gewissermaßen Staatsreligion“ 98 wurde, trat das Reformiertentum in den Hintergrund.
II. Die Etablierung des Pietismus in Brandenburg-Preußen 1. Der Pietismus als protestantische Frömmigkeitsbewegung Der Pietismus gilt als die bedeutendste religiöse Erneuerungsbewegung des kontinentaleuropäischen Protestantismus seit der Reformation. Während die ältere theologiegeschichtlich orientierte Forschung unter Pietismus allein die von Spener ausgelöste lutherische Frömmigkeitsbewegung verstand, faßt die neuere Pietismusforschung das Phänomen sowohl zeitlich als auch räumlich weiter auf. 99 Unter Beachtung der frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekte wird vor allem auf die von Johann Arndt (1555–1621) ausgelöste Bewegung verwiesen, die bereits seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts unter Aufnahme mystisch-spiritualistischer Ideen eine Verinnerlichung und Individualisierung des religiösen 96
Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 1, Nr. 83. Sp. 448–461. Klingebiel, Pietismus, S. 308. Zur kirchenrechtlichen Entwicklung der deutsch-reformierten Gemeinden vgl. außer Gabriel, Gemeinden; auch Von Müller, Kirchenverfassung, hier S. 218ff. 98 Hinrichs, Preußentum, S. 100. 99 Eine knappe Einleitung in die Diskussion bietet Brecht, Pietismus, S. 12–18. Zuletzt dazu Wallmann, Geschichte, S. 40ff. 97
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Lebens anstrebte. 100 Um die Pietas in der Zeit der lutherischen Orthodoxie nicht völlig als vorlaufende Erscheinung des späteren Pietismus zu verkennen, verweist die neuere Kirchengeschichtsforschung zugleich darauf, daß Pietas – zu deutsch Gottseligkeit – nicht nur als Begriff, sondern auch als Phänomen ein konstitutiver Bestandteil der lutherischen Orthodoxie gewesen sei. 101 Neben den Diskussionen um die Epochengrenze zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus, die in jüngster Zeit bis zu einem Verzicht auf diese Begriffe als Epochenbegriffe zugunsten von Richtungsbegriffen innerhalb einer pluralen „lutherischen Konfessionskultur“ 102 führten, geraten auch die parallelen Entwicklungen im reformierten Bereich in das Augenmerk der Forschung. Zeitgleich mit dem angelsächsischen Puritanismus wurden vor allem in den calvinistischen Niederlanden im Zuge der Nadere Reformatie neue Formen persönlicher Frömmigkeit entwickelt. Das Zentrum dieser Bewegung bildete die Utrechter Universität unter dem Theologen Gisbert Voitus (1589–1676), der sich für innerkirchliche Konventikel aussprach. 103 Von den Niederlanden aus faßte der Pietismus – wenn auch nicht unter diesem Namen – in vielen reformierten Territorien Nordwestdeutschlands, darunter in Ostfriesland, Kleve-Mark und Berg, in Bremen und Lippe-Detmold, Fuß. 104 Allerdings blieb das Gymnasium Illustre in Bremen die einzige calvinistische Hochschule Deutschlands, an der die Frömmigkeitsbewegung auch die akademische Theologie erfaßte. Zu nennen sind dabei neben Cornelius de Hase (1653–1710), der in Utrecht und Leiden studiert hatte und im Jahre 1683 Professor und 1699 Rektor am Bremer Gymnasium Illustre wurde, vor allem dessen Schüler Friedrich Adolf Lampe (1683–1729), der seit 1709 in Bremen wirksam 100 Brecht vertritt ein Phasenmodell für den deutschen Pietismus, dessen erste Phase in der Zeit der lutherischen Orthodoxie mit Arndt einsetzt. Mit Spener beginnt die zweite Phase. Die Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts betrachtet Brecht ebenfalls nicht als eigenständige Größe, sondern ordnet sie einer dritten Phase zu. Vgl. Brecht, Pietismus, S. 6. Diese generelle temporale Ausdehnung des Pietismusbegriffs wird von Wallmann kritisiert (ders., Fehlstart, S. 220f.). Er hält vielmehr daran fest, zwischen einem engen und einem weiten Pietismusbegriff zu unterschieden, der sowohl eine Frühdatierung als auch eine Spätdatierung zuläßt (Wallmann, Anfänge, S. 53). Betrachte man den Pietismus nicht nur als Frömmigkeitsrichtung, sondern als eine innerkirchliche Reformbewegung, müsse weiterhin Spener als der Begründer des Pietismus angesehen werden. Eine Kirchenreformbewegung größeren Ausmaßes habe Arndt nicht hervorgerufen (vgl. Wallmann, Spener, S. 205 u. ders., Geschichte, S. 40ff.). 101 Vgl. Wallmann, Pietas. Auch aus sozialhistorischer Perspektive wird die These einer rückwärts gewandten und „toten Orthodoxie“ kritisch angefragt. Holtz wies unlängst anhand von Predigten des 17. Jahrhunderts nach, daß die traditionell für den Pietismus reklamierte Praxisnähe und die enge Orientierung auf den Dekalog und die Nachfolge Christi bereits integrativer Bestandteil der lutherisch-orthodoxen Predigtpraxis gewesen sei. Vgl. Holtz, Orthodoxie. 102 Vgl. dazu Kaufmann, Krieg, insbesondere S. 147ff. 103 Vgl. dazu Van den Berg, Frömmigkeitsbestrebungen. 104 Näheres dazu bei Goeters, Pietismus in Deutschland.
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war. Beide waren vom Coccejanismus beeinflußt, der auf eine Abschwächung der strengen calvinistischen Prädestinationslehre zielte. 105 Lampe, der anders als de Hase mit einer Vielzahl theologischer Schriften hervortrat, sollte allerdings der einzige pietistische akademische Theologe von Rang bleiben, den das deutsche Reformiertentum hervorgebracht hat. 106 Eine vergleichbare Breitenwirkung, wie sie dem lutherischen Pietismus sowohl auf akademischer als auch kirchlicher Ebene gelang, haben reformierte Frömmigkeitsbestrebungen zu keinem Zeitpunkt erreichen können. 107 2. Philipp Jacob Spener und die Anfänge des Pietismus in Berlin Im Jahre 1691 wurde Philipp Jacob Spener als Konsistorialrat, Inspektor und Propst zu St. Nicolai nach Berlin berufen. 108 Obgleich man sich in erster Linie einen im protestantischen Deutschland berühmten Gelehrten und Kirchenmann in die hohenzollernsche Hauptresidenz holen wollte und nicht den Repräsentanten einer neuen kirchlichen Bewegung, ist mit dem Dienstantritt Speners der Beginn des Pietismus in Brandenburg-Preußen anzusetzen. 109 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte hier diese innerkirchliche Reformbewegung kaum Fuß fassen können. 110 Bei der Berufungsentscheidung der Berliner Regierung unter Premierminister Eberhard von Danckelmann (1643–1723) war vor allem von Bedeutung, daß man sich mit Spener, der dem konfessionellen Streit fern stand, eine Entspannung der konfessionellen Situation erhoffte. 111 Nach Deppermann war es vor allem das 105 Der Coccejanismus bezeichnet die ohne Anknüpfung an die aristotelisch bestimmte Orthodoxie von Johannes Coccejus (1603–1669), einem aus Bremen stammenden und in Leiden wirkenden reformierten Theologen, entwickelte Föderaltheologie, die mit ihrem stark eschatologischen und biblizistischen Charakter bis in den Pietismus und die Aufklärungstheologie hinein wirkte (vgl. Neuser, Dogma, S. 343–347). Zur Wirkungsgeschichte des Coccejanismus in Deutschland vgl. Schneppen, Universitäten, S. 87ff. 106 Vgl. Goeters, Pietismus in Bremen, S. 372. 107 In der neuesten Darstellung zur Geschichte des Pietismus von Schicketanz wird auf den Begriff „Reformierter Pietismus“ ganz verzichtet. Wallmann hält dagegen am Begriff des „reformierten Pietismus“, der sich in der Kirchengeschichtsschreibung seit langem bewährt habe, explizit fest. Vgl. Schicketanz, Pietismus von 1675, S. 27 u. Wallmann, Geschichte, S. 34f. 108 Grundlegend zu Speners Zeit in Berlin sind neben der ausführlichen Spener-Biographie von Grünberg die Untersuchungen von Wendland und Aland. Abgesehen von Wallmann gibt die neuere Forschung kaum Aufschlüsse über die Berliner Wirksamkeit Speners. Vgl. Grünberg, Spener Bd. 1, S. 257–366; Wendland, Kirchengeschichte u. ders., Spener; Aland, Spener-Studien u. Wallmann, Spener. 109 Vgl. Wendland, Kirchengeschichte S. 105. 110 In seinem Forschungsbericht zum Pietismus in Brandenburg-Preußen verweist Schicketanz allerdings darauf, daß die Frage nennenswerter pietistischer Einflüsse vor Spener noch einer eingehenden Untersuchung bedürfe. Vgl. Schicketanz, Pietismus, S. 117.
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gemeinsame Eintreten für Toleranz, welches den „Hauptgrund für das dauerhafte Bündnis zwischen dem lutherischen Pietismus und dem preußischen Staat“ 112 bildete. Die offene Situation in Brandenburg-Preußen kam der nonkonformistischen pietistischen Bewegung sehr zugute, die seit dem Ausbruch des Kirchenstreites zwischen den sogenannten „Pietisten“ 113 und der lutherischen Orthodoxie zu Beginn der neunziger Jahre in Hamburg und Leipzig in starke Bedrängnis geraten war. An der Leipziger Universität, wo auch Speners Schwiegersohn, Adam Rechenberg (1642–1721) lehrte, hatten einige Theologiestudenten die Spenersche Forderung nach einer Reform des geistlichen Lebens durch die Gründung von studentischen Konventikeln unter Beteiligung der Leipziger Stadtbevölkerung umsetzen wollen und schließlich wegen des Vorwurfs der Heterodoxie Sachsen verlassen müssen. 114 Die führenden Köpfe dieser Leipziger Bewegung, August Hermann Francke, Paul Anton, Johann Caspar Schade und Joachim Lange sollten durch die Vermittlung Speners in Berlin und Halle ihren späteren Wirkungsort finden. Darin, daß er mittels seiner Personalpolitik der jungen pietistischen Bewegung in Brandenburg-Preußen zu einem neuen Wirkungsort verhalf, liegt nach übereinstimmender Forschungsmeinung das besondere Verdienst Speners. Wallmann schätzt dessen Berliner Jahre deshalb als „die Entscheidungsjahre für die Durchsetzung des Pietismus“ 115 ein. Das landesherrliche Interesse an der Etablierung des Pietismus und der Schwächung der orthodoxen Kräfte drückte sich in verschiedenen Schutzmaßnahmen aus. So verabschiedete Friedrich III. (I.) bereits 1691 einen Erlaß an die Regierungen in Magdeburg und Halberstadt, der Predigten gegen den Pietismus verbot. Nachdem auch in Berlin an der St. Marienkirche von orthodoxer Seite intensive Kanzelpolemik gegen Pietismus und Schwärmerei geübt worden war, erging hier 1698 ebenfalls das Verbot, den so genannten Pietismus auf die Cantzel zu bringen, welches nur Furcht und opinion verursache. 116 Deutlich läßt sich ein Wechsel in Speners kirchenpolitischer Linie erkennen. Während er in seiner Pia Desideria noch den Standpunkt vertreten hatte, bei der notwendigen Reform der Kirche auf die Obrigkeit zu verzichten, ließ sich Spener solche Schutzmaßnahmen nicht nur gefallen, sondern „löste sie auch selbst aus“ 117. Dieser Meinungswechsel wird in der Forschung damit begründet, daß Spener angesichts des massiven Widerstandes
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Zum Wandel von Speners Einstellung gegenüber den Reformierten vgl. Delius, Spener. 112 Deppermann, Voraussetzungen S. 46. 113 Zur Genese des Begriffs vgl. Wallmann, Pietismus, S. 13. 114 Vgl. Leube, Geschichte u. Peters, Lärm. 115 Wallmann, Spener in Berlin, S. 85. 116 Kurfürstliche Verordnung vom 7. Januar 1698. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 1, Nr. 60, Sp. 413–416. 117 Kruse, Preussen, S. 13.
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der „unerleuchteten Pfarrerschaft“ 118 gegen sein Reformwerk keine andere Wahl blieb, als sich mit Hilfe der Obrigkeit den Rücken freihalten zu lassen. Wichtige Schlüsselfiguren innerhalb der preußischen Staatsführung, die den frühen Pietismus in Brandenburg-Preußen stützten, waren neben den Brüdern Danckelmann – Eberhard bis zu dessen Sturz 1697 Premierminister, Sylvester Jacob, bis 1695 Konsistorialpräsident und Daniel Ludolf, seit 1704 Oberkurator der Universität – vor allem der dem Pietismus nahestehende Minister Paul von Fuchs, 1695–1704 Konsistorialpräsident und seit 1701 Oberkurator der Universität Halle. Daneben fand Spener auch bei einigen lutherischen Amtsträgern Unterstützung. 119 Seine Kontakte zum Adel verdankte Spener vor allem dem Freiherrn Carl Hildebrand von Canstein (1667–1719), der als der bedeutendste Agent Speners gilt, nicht zuletzt, weil über ihn Vorschläge für kirchliche Stellenbesetzungen an den Minister Paul von Fuchs herangetragen werden konnten. 120 Zur Frage, welche Resonanz der frühe Pietismus innerhalb der Brandenburgisch-Preußischen Gesellschaft gefunden habe, zeichnet die neuere Forschung ein differenziertes Bild. Hatte Harnack 121 noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Spener und dem Pietismus keinen besonderen Anteil am geistigen und wissenschaftlichen Leben um 1700 zugesprochen, wurde im Gegenzug vom Kirchenhistoriker Schmidt der Wechsel Speners nach Berlin als „der Anfang für den geistigen Aufstieg Berlins zur deutschen Hauptstadt“ 122 gewertet. Wie sind nun die Verbindungen Speners zur Hofgesellschaft als der kulturell tragenden Schicht einzuschätzen? Entgegen der älteren Forschung geht man heute im Anschluß an die Untersuchungen von Hinrichs davon aus, daß es zwar Verbindungen Speners zu adligen Reformkreisen der Berliner Hauptstadt gab, diese sich jedoch weitgehend auf den Dienstadel im Heer und in der Beamtenschaft beschränkten. 123 Zum Hofadel habe Spener dagegen keinen Zugang gefunden. 124 Die Berliner Hofgesellschaft war zwar den verschiedensten Ausprägungen persönlicher Frömmigkeit gegenüber aufgeschlossen, jedoch „durch ihre z. T. auswärtige Herkunft und durch ihr z. T. reformiertes Bekenntnis von der eingesessenen Aristokratie und deren Luthertum getrennt“, und „unter Friedrich I. in ihren geistigen Interessen spiritualistisch und rationalistisch“ 125 gesonnen. Die religiös indifferent einge-
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Ebd. Zu nennen sind Geheimrat Franz Meinders, Finanzminister Samuel von Chwalkowski, Geheimer Hof- und Kammergerichtsrat Georg Rudolph von Schweinitz, Geheimer Staatsrat von Canitz. Vgl. Brecht, Spener, S. 353. 120 Vgl. ebd. Zum Verhältnis zwischen Canstein und Spener vgl. Schicketanz, Beziehungen. 121 Harnack, Leben. 122 Schmidt, Pietismus, S. 61. Vgl. auch ders., Beitrag, S. 79f. 123 Überblick über die Forschungsdiskussion bei Wallmann, Spener. 124 Vgl. ebd., S. 65. 119
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stellte Hofgesellschaft war zudem stärker an individualistisch-schwärmerischen Anschauungen des außerkirchlichen Radikalpietismus, wie ihn Johann Wilhelm Petersen oder Johann Conrad Dippel vertraten, interessiert, als an den kirchlichen Reformbestrebungen Speners. 126 Auch zum Herrscherhaus unterhielt Spener keine engeren Beziehungen. Dies betraf in besonderem Maße die Kurfürstin bzw. Königin Sophie Charlotte, in deren Umkreis freidenkerische Bestrebungen einen Kristallisationspunkt fanden. Wallmann verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß die tradierte Forschungsmeinung einer engen persönlichen Verbindung zwischen Spener und dem reformierten Hofprediger Daniel Ernst Jablonski nicht belegbar sei. 127 Auch den innerprotestantischen Unionsplänen, die Jablonski zusammen mit Leibniz entwickelt hatte, stand Spener reserviert gegenüber. Die Teilnahme am Berliner Unionsgespräch von 1703, dem Collegium charitativum lehnte er ab, weil er die Verhandlungen als verfrüht ansah und befürchtete, daß sich daraus eher eine Spaltung als eine Vereinigung ergeben könne. 128 Insofern sind die Pläne zur Bildung einer kirchlichen Union in Brandenburg-Preußen keineswegs nur am Widerstand der Orthodoxie, sondern „mehr noch an der Verweigerung Speners und seiner pietistischen Freunde“ 129 gescheitert, die ihre konfessionelle Distanz zum Reformiertentum nicht überwinden konnten. Während Speners Einfluß am reformierten Hof begrenzt blieb, fanden seine Predigten bei der Berliner Bevölkerung einen großen Zulauf. In seinen regelmäßigen Sonntags- und Wochenpredigten konnte Spener vor einer großen Hörerschaft, zu der unter anderem auch der Hofhistoriograph Samuel Pufendorf (1632–1694) zählte, seine pietistische Theologie zur Geltung bringen. Auch unter den Reformierten fanden seine Predigten Beachtung, was nach Speners eigenem Zeugnis bei den reformierten Predigern Unwillen verursacht haben mochte. 130 Vor allem 125
Hinrichs, Preußentum, S. 182. So wird von Petersen berichtet, daß er verschiedentlich auf dem Gut Paul von Fuchs’ predigte. Zu den religiösen Anschauungen des Berliner Hofes vgl. insbesondere Deppermann, Pietismus, S. 27–33. 127 Gegen eine Freundschaft spreche vor allem die Tatsache, daß Jablonski als einer der eifrigsten Betreiber der Gründung einer Gelehrtensozietät sich nicht um die Mitarbeit des als Heraldiker und Genealogen berühmten Spener bemüht habe. Möglicherweise sei dies „ein Indiz für eine von Spener bewußt bezogene Position der Distanz gegenüber der kulturellen Neugründung“ (Wallmann, Spener S. 66). Die quellenmäßig nirgendwo belegte Behauptung einer innigen Freundschaft beider Theologen, die sich bis heute tradiert (Schmidt, Beitrag, S. 81 u. Braun, Jablonski, S. 93), stützt sich auf die problematische Jablonski-Biographie von Dalton, Jablonski, S. 148. Zur generellen Kritik an Dalton vgl. Thadden, Hofprediger, S. 145f. u. zuletzt Döring, Frühaufklärung, S. 20. 128 Vgl. Delius, Unionsversuche. S. 39. Im Jahre 1704 stellt Spener in einem Brief an eine Frankfurter Freundin klar, daß man ihn zu Unrecht für einen Autorem oder Beförderer dieser Anschläge halte. Zit. nach Nebe, Briefe, S. 154. 129 Wallmann, Spener, S. 66. 130 Brief Speners vom 21. 12. 1691, abgedruckt bei Nebe, Briefe, S. 123. 126
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ist die Zahl der Spenerschen Leichenpredigten beachtlich. Das Predigen stand wohl auch im Vordergrund seiner Amtstätigkeit als Berliner Propst, wogegen er als Konsistorialrat in den Sitzungen des Konsistoriums wenig in Erscheinung trat, bis er seit 1703 mit königlicher Erlaubnis den Sitzungen ganz fernblieb. 131 Seinen Amtspflichten als Inspektor der Berliner Kirchen und Schulen und der berlinischen Landgemeinden kam Spener gewissenhaft nach. Dabei lag ihm die christliche Unterweisung der Jugend besonders am Herzen. Den Schwerpunkt seiner Arbeit sah Spener, der als Kind nie eine öffentliche Schule besucht hatte, weniger im schulischen Bereich als im kirchlichen Unterricht in der Gemeinde und in der häuslichen Erziehung. 132 Wie unten näher erläutert wird, bemühte er sich jedoch auch am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster um Einflußnahme. 133 Als Exponent einer „religiös-sozialen Reformbewegung“ 134, der es nicht allein um die wahre innere Frömmigkeit ging, setzte sich Spener nicht nur für den Katechismusunterricht ein, sondern auch für die Neuordnung der Armenfürsorge, insbesondere für das Große Friedrichs-Waisenhaus und das Berliner Armenschulwesen ein. 135 Pietistische Hausversammlungen hat Spener, abgesehen von sonntäglichen Bibelstudien mit Kandidaten und Studenten der Theologie, in Berlin nicht mehr abgehalten. 136 Dies taten allerdings einige Kollegen Speners, bei denen Privatzusammenkünfte teils mit Alten, teils mit Jungen . . . nicht ohne Erbauung 137 stattfanden. Dazu zählte insbesondere sein Kollege an St. Nicolai, der Diakon Johann Caspar Schade (1666–1698), auf den eine Vielzahl pietistischer Bekehrungen zurückgeführt werden. Die bis in die Zeit der Erweckung meist in Bürgerund Handwerkerkreisen zu findenden pietistischen Hausversammlungen führt Wallmann deshalb auf Speners Berliner Jahre zurück. 138 Gerade auch Frauen fühlten sich vom Pietismus angezogen, möglicherweise, weil sich ihnen hier die
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Vgl. Aland, Spener-Studien, S. 187. Speners deutscher Katechismus, der erstmals im Jahre 1677 unter dem Titel Einfältige Erklärung der Christlichen Lehr erschien, zählte mit über 20 Auflagen zu seinen am meisten verbreiteten Werken. Im Jahre 1683 veröffentlichte Spener außerdem auf Latein die Tabulae Catecheticae. Ausgehend von Luthers Katechismen handelt Spener hier die wichtigsten dogmatischen Fragen in übersichtlicher Tabellenform ab. Mit pädagogischen Schriften tat sich Spener nicht hervor. Überhaupt blieb er von der Reformpädagogik des 17. Jahrhunderts „seltsam unberührt“ (Friedrich, Konzept, S. 44). Über Speners Katechismusunterricht in dessen Frankfurter Zeit vgl. Wallmann, Anfänge, S. 216ff. Zu Speners pädagogischen Defiziten bei der Erziehung seiner eigenen Kinder vgl. Mack, Pädagogik. 133 Vgl. Abschnitt C, I, 2. 134 Vgl. Hinrichs, Preußentum. 135 Vgl. Grün, Leistungen u. Mentzel, Kirche. 136 Vgl. Grünberg, Spener, S. 265. 137 So Spener 1702 in einem Brief an eine Frankfurter Freundin (Nebe, Briefe, S. 153). 138 Vgl. Wallmann, Spener, S. 74f. 132
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Möglichkeit bot, aus den überkommenen sozialen Gesellschaftsnormen auszubrechen. 139 Für die Frage nach der Verbreitung pietistischer Einstellungen innerhalb der lutherischen Bevölkerung sind die Ereignisse um den Berliner Beichtstuhlstreit erhellend. Dieser Streit, bei dem es um die Abschaffung der Privatbeichte ging, dauerte von 1697 bis 1698 an und bildete in Berlin einen Höhepunkte der Auseinandersetzungen zwischen Orthodoxie und Pietismus. 140 Der Protagonist dieses Streites, Diakon Schade, fand mit seinem Ansinnen, an St. Nicolai die seines Erachtens zu lasch gehandhabte Privatbeichte zugunsten einer gemeinsamen öffentlichen Beichte vor dem Abendmahlsbesuch abzuschaffen, nur bei einem Teil der Berliner lutherischen Gemeinde Unterstützung. Die wollte an der Beichtstuhlpraxis, die ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur reformierten Hof- und Beamtengemeinde bildete, festhalten. 141 Ein Teil der Stadtverordneten und die Gewerke zeigten daraufhin Schade beim Kurfürsten an und beklagte sich wegen der uneinigkeit der Bürgerschaft 142. Sie konnten beim Kurfürsten allerdings nur erreichen, daß es jedem freigestellt sein sollte, zu beichten oder die Beichte zu unterlassen, was faktisch einen Schritt auf dem Wege zur Einebnung der innerprotestantischen Unterschiede darstellte. Bei der Beerdigung des während der Streitigkeiten verstorbenen Schade spielten sich tumultartige Szenen ab, aus denen sich ableiten läßt, daß die Gegner einer pietistischen Kirchenreform vor allem auch aus unterprivilegierten Schichten stammten. 143 Dies widerlegt die tradierte Annahme der Forschung, daß Schade bei den sozial und gesellschaftlich benachteiligten Schichten eine besondere Unterstützung gefunden habe. 144 Vielmehr blieb in der lutherischen Konfessionskultur Berlins um 1700 die lutherischorthodoxe Frömmigkeitspraxis altkirchlicher Prägung in allen Bevölkerungsschichten tief verwurzelt. Erst recht galt dies für die ländlichen Gebiete Brandenburg-Preußens, wo, anders als in der durch Bevölkerungszuwachs sich sozial stark verändernden Residenzstadt Berlin, unverändert traditionelle Kräfte den Ton angaben. Dies zeigen auch die Auseinandersetzungen um die Abschaffung des Taufexorzismus und der weißen Chorröcke während der Zeit Friedrich Wilhelms I. Die Regierung scheiterte im Zusammenhang einer Kirchenvisitation im Jahre 1715 daran, in Brandenburg-Preußen ein generelles Verbot der Privatbeichte zugunsten einer öffentlichen Kirchenbuße durchzusetzen. 145 Die Tatsache, daß noch 1740 in Berlin die Privatbeichte ebenso im Gebrauch war wie der 139
Vgl. Murakami-Mori, Beichtstuhlstreit, S. 77. Vgl. Obst, Beichtstuhlstreit. 141 Spener berichtete 1697 nach Frankfurt, daß man innerhalb der Gemeinde den Verdacht hege, Schade wolle den Reformierten (mit denen er gleichwohl in keiner Correspondenz stehet) zu Gefallen den Beichtstuhl abschaffen. Nebe, Briefe, S. 136. 142 Zit. nach Murakami-Mori, Beichtstuhlstreit, S. 75. 143 Vgl. ebd., S. 87. 144 So noch vertreten von Obst, Beichtstuhlstreit, S. 143. 145 Vgl. Klingebiel, Pietismus S. 310ff. 140
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Taufexorzismus, bestätigt für den Fall Brandenburg die allgemeine Feststellung Thomas Kaufmanns, daß auf der Ebene der Mentalitäten die Prägungen lutherischer Konfessionskultur des 17. Jahrhunderts nachhaltiger gewesen seien, „als es das Zurücktreten der orthodoxen Theologie an den Universitäten im Verlaufe des 18. Jahrhunderts erkennen ließ“ 146. So muß man bezüglich der liturgischen Praxis am Ende des hier gesetzten Untersuchungszeitraumes von einer pluralen lutherischen Konfessionskultur sprechen, die von einem Nebeneinander von orthodoxen und pietistischen Prägungen gekennzeichnet war. 147 Anders als der leidenschaftliche Bußprediger Schade mied Spener Konflikte mit der Orthodoxie und zog sich seit 1697 aus den pietistischen Streitigkeiten zurück. Mit dem Propst von Cölln, Franz Julius Lütkens (1650–1712), der ein Vertreter einer gemäßigten lutherischen Orthodoxie war, kam Spener gut aus. Allerdings machte es Spener Anhängern der lutherischen Orthodoxie schwer, zu kirchlichen Ämtern zu gelangen. Als Konsistorialpräsident und Propst verfolgte er vielmehr eine konsequent pietistische Personalpolitik. Vor allem an den neugegründeten Berliner Kirchen wurden pietistische Pfarrer eingesetzt. 148 Nach dem Weggang Lütkens im Jahre 1704 wurden in Cölln mehrere dem Pietismus nahestehende Theologen zu Pröpsten berufen, die aus dem Francke-Spenerschen Umkreis stammten bzw. in Halle studiert hatten, darunter Ferdinand Helfreich Lichtscheid 149 (1661–1707) und vor allem Johann Gustav Reinbeck (1683–1741), der von 1717 bis zu seinem Tode das geistliche Leben in Cölln prägte. Dies war nach Speners Tode auch bei den Berliner Pröpsten Conrad Gottfried Blanckenberg 150 (1657–1712), Johann Porst 151 (1673–1728), Johann Rau 152 (1668–1733) und Michael Roloff (1684–1748) der Fall. Da sich die lutherischen Theologen im Kurmärkischen Konsistorium aus diesen Propstämtern rekrutierten, waren seit Spener sämtliche lutherische Konsistorialräte Pietisten. 153 Für das Schulwesen bedeutsam war insbesondere die Berufung des Theologen Joachim Lange
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Kaufmann, Krieg, S. 147. Zum Problem des Weiterwirkens orthodoxer Theologie bzw. orthodoxer mentaler Prägungen innerhalb der lutherischen Konfessionskultur im 18. Jahrhundert vgl. Wallmann, Orthodoxie u. Kaufmann, Krieg, 147ff. Kaufmann plädiert dafür, die Epochenbegriffe Orthodoxie, Pietismus und Aufklärung für die Kirchengeschichte zugunsten von theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Richtungsbegriffen innerhalb einer pluralen lutherischen Konfessionskultur aufzugeben. Auch Wallmann konstatiert für das 18. Jahrhundert die Weiterexistenz einer „Spätorthodoxie“, neben Pietismus und Frühaufklärung als verschiedene theologische Schulrichtungen, allerdings ohne auf den Epochenbegriff „Lutherische Orthodoxie“ zu verzichten. Vgl. Wallmann, Orthodoxie, S. 12. 148 Vgl. Wendland, Kirchengeschichte, 128f. 149 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 245–259. 150 Vgl. ebd., S. 73–80. 151 Vgl. ebd., S. 332–353. 152 Vgl. ebd., S. 374–384. 147
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(1670–1744) an das Friedrichs-Werdersche Gymnasium. 154 Einflußreich für die Aufnahme des Pietismus in der brandenburgischen Hauptstadt waren neben den Predigten und Erbauungsbücher des Propstes Porst vor allem das von ihm redigierte Gesangbuch, welches im Laufe des 18. Jahrhunderts eine große Verbreitung fand. Auch außerhalb der Berliner Residenz wurden auf Speners Betreiben Pietisten in wichtige Ämter als Inspektoren (Superintendenten) oder Generalsuperintendenten eingesetzt. In der Zeit von Friedrich Wilhelm I. wurden Pfarrstellen mit königlichem Patronat häufig mit ehemaligen Militärgeistlichen besetzt, die ihr Examen bei Porst, Reinbeck oder dem berühmten Feldpropst Lampert Gedicke 155 (1683–1736) abgelegt hatten. Obwohl die genaue Erforschung des pietistischen Einflusses insbesondere in der nachspenerschen Zeit noch aussteht, wird für das 18. Jahrhundert „mit Grund von einer pietistischen Durchdringung des Pfarrerund Lehrerstandes in Brandenburg“ 156 gesprochen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts habe die pietistische Frömmigkeit „eine gewisse alltägliche Selbstverständlichkeit erreicht“ 157. 3. Der Hallische Pietismus 158 als „politisch-soziale Reformbewegung“ 159 Besonders folgenreich für die Verbreitung des Pietismus in Brandenburg-Preußen war die im Jahre 1691 von Spener vermittelte Berufung August Hermann Franckes (1663–1727) und anderer pietistischer Theologen nach Halle an die dort neugegründete Universität. 160 Als Pastor in Glaucha, einem Vorort von Halle, begann Francke neben seiner universitären Tätigkeit in den folgenden Jahren mit dem Aufbau seines großen Systems der Sozialfürsorge und Jugenderziehung, welches gemeinsam mit der neuen Universität die Stadt Halle zum Organisations153
Vgl. Themel, Mitglieder, S. 80f. Zu den Verbindungen dieser pietistischen Theologen der nachspenerschen Zeit mit Francke vgl. Mentzel, Korrespondenz. 154 Näheres dazu im Abschnitt D. I. 4. 155 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 167–183. 156 Schicketanz, Pietismus, S. 127. 157 Ebd., S. 121. 158 Die Schreibweise mit „i“ geschieht in Anlehnung an die Herausgeber des Jahrbuches für Pietismus und Neuzeit, die unter „Hallischem Pietismus“ eine Richtungsbezeichnung innerhalb des Pietismus verstehen. Sollen geographische Bezüge auf Halle hergestellt werden, wie beim Halleschen Waisenhaus, wird die Schreibweise mit „e“ vorgezogen. (Vgl. dazu Wallmann, Geschichte, S. 35–37). 159 Hinrichs, Reformbewegung. 160 Daß die ausschließliche Besetzung der Hallenser Universität mit Pietisten primär der Personalpolitik des Kreises um Spener zuzuschreiben ist und nicht einem hochschulpolitischen Kalkül der Regierung, wurde unlängst nachgewiesen. In ursprünglichen staatlichen Planungen war die Berufung orthodoxer Theologen sehr wohl vorgesehen. Vgl. Sträter, Aufklärung, S. 55f.
II. Die Etablierung des Pietismus in Brandenburg-Preußen
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zentrum des Pietismus in Brandenburg-Preußen machen sollte. Die theologische Fakultät bildete dabei die Spitze einer ausgefeilten Schulpyramide. Entsprechend den Spenerschen Reformplänen war hier die Theologenausbildung auf die Zurückdrängung von Kontroverstheologie und Polemik zugunsten einer bibel- und pastoraltheologischen Ausbildung ausgerichtet. 161 Dieses Ausbildungsprogramm sollte in der Folgezeit Studenten aus fast allen protestantischen Territorien anziehen, die dann ihrerseits als Multiplikatoren wirkten. Seinen Höhepunkt fand das Bündnis von Preußentum und Hallischem Pietismus in der Zeit von Friedrich Wilhelm I., der unmittelbar nach seinem Amtsantritt 1713 die erteilten Privilegien erneuerte und sich zu Franckes „Prokurator“ erklärte. 162 Seit 1729 hatte jeder Bewerber für ein lutherisches Predigtamt ein Zeugnis über den Besuch der theologischen Fakultät der Universität Halle vorzulegen. 163 Die Frage, inwieweit der zum „Vollzugsorgan der pietistischen Reformpartei“ 164 avancierte preußische Staat den Hallischen Pietismus selbst veränderte bzw. einschränkte, wird heute unterschiedlich beantwortet. Anders als Hinrichs, der in seinen grundlegenden Untersuchungen zum Verhältnis von Pietismus und Preußentum die Meinung vertreten hat, daß sich der Pietismus von einer religiös-sozialen Bewegung mit weltweiter, universaler Zielsetzung zu einer partikularen „preußischen Staatsreligion“ 165 gewandelt habe, verwiesen Deppermann und Brecht auf die bisher unterschätzten reichs- und weltweiten Beziehungen und Wirkungen Halles, darunter zum deutschen Hochadel und nach Osteuropa. 166 Die Tatsache, daß der Pietismus vom aufstrebenden brandenburgisch-preußische Territorialstaat erheblich in Anspruch genommen wurde, bleibt davon unberührt. Tatsächlich erfüllten sich die landesherrlichen Erwartungen gegenüber dem Pietismus weitgehend. 167 Die Versöhnung zwischen reformiertem Herrscherhaus und lutherischen Untertanen machte nicht nur Fortschritte, sondern in dem vom Pietismus bewirkten Sturz der Orthodoxie vollendete sich auch das protestantische Staatskirchentum. Darüber hinaus erzog der Pietismus dem Staat „gehorsame, berufstüchtige und sozial verantwortungsbewußte Untertanen“ 168, gab kräftige Impulse zu einem mo161
Vgl. Brecht, Reform. Vgl. Hinrichs, Friedrich Wilhelm, S. 583ff. u. Deppermann, Pietismus, S. 165ff. 163 Wiederholte Verordnung, daß keiner zu einer Evangelisch Lutherischen Pfarre vociret und introduciret werden solle, welcher nicht in Halle studiret und ein gut Testimonium von der dortigen Theologischen Facultät produciren könne. (25. März 1729). Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 126, Sp. 247f. Spezifiziert wurde diese Verordnung im Jahre 1736 dahingehend, daß alle Studiosi Theologiae, Evangelisch-Lutherischer Religion, den Anfang ihrer Studien wenigstens zwey Jahr zu Halle machen sollen, wofern sie in denen Königlichen Landen befordert seyn wollen. (9. Januar 1736) Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 137, Sp. 265f. 164 Hinrichs, Friedrich Wilhelm, S. 583. 165 Hinrichs, Preußentum, S. 175. 166 Vgl. Deppermann, Voraussetzungen S. 51f. u. Brecht, Francke S. 502 u. 511–533. Zur Ausstrahlung des Hallischen Pietismus nach Osteuropa vgl. Wallmann, Halle. 167 Zum Folgenden vgl. Deppermann, Voraussetzungen S. 51ff. 162
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B. Historische Rahmenbedingungen
dernen sozialstaatlichen Handeln und half dabei, ein modernes leistungsfähiges Bürgertum heranzubilden. Für die generelle Abnahme der ethischen und religiösen Anziehungskraft des Pietismus im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts wird in erster Linie der Umstand verantwortlich gemacht, daß sich die „fähigsten Geister“ zur kommenden Aufklärung hingezogen fühlten. 169 Seit dem Tode Franckes im Jahre 1727 fehlte der Bewegung darüber hinaus eine integrative Leitfigur. Mit dem Regierungsantritt Friedrichs II., an dessen Hof bekanntlich eine von der französischen Philosophie bestimmte Aufklärung dominierte, geriet der Hallische Pietismus endgültig in die Defensive.
III. Die Frühaufklärung in Brandenburg-Preußen 1. Der Beginn der deutschen Frühaufklärung Der Beginn der deutschen Frühaufklärung fällt ebenfalls in die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. 170 Im Allgemeinen werden Pufendorfs naturrechtliches Hauptwerk De jure naturae et gentium (1672), Speners Pia Desideria (1675) sowie Leibniz’ Schrift Nova methodus pro maximis et minimis (1684) als Schlüsseltexte und Auftakt eines geistigen Aufbruchs innerhalb der Philosophie, Rechtswissenschaft und Theologie angesehen. 171 Daß die deutsche Frühaufklärung durch westeuropäische philosophische Strömungen wie Cartesianismus, Neustoizismus, englischen Empirismus und Sensualismus sowie das rationalistische Natur- und Völkerrecht befruchtet und unter den Bedingungen der europäischen respublica litteraria vor allem über die Niederlande, Frankreich und England nach Deutschland vermittelt wurde, ist seit langem gängige Forschungsmeinung. Nach Hammerstein bedeutete „die Übernahme der im französisch-niederländischen Späthumanismus erstrebten Verbindung von kritisch-praktischer Philologie, philologischer Geschichtsforschung und Realwissenschaft ein unschätzbares Verdienst“ 172 für die deutsche Wissenschaftsgeschichte. Zugleich warnt er davor, die genuin „reichischen“ Entwicklungen zu unterschätzen: Die westeuropäischen Einflüsse 168
Ebd., S. 53. Vgl. ebd. S. 52. 170 Über die genaue Datierung der Frühaufklärung in Deutschland als geistesgeschichtliche Epoche gibt es verschiedene Ansichten, die hier nicht in allen Einzelheiten diskutiert werden können. Eine aktuelle Übersicht über das breite Spektrum der Auffassungen zu Periodisierung, Inhalt und Wurzel der deutschen Frühaufklärung bietet Wollgast, Philosophische Frühaufklärung u. ders., Deutsche Frühaufklärung. 171 Vgl. Deppermann, Pietismus, S. 63 u. Wollgast, Frühaufklärung, S. 50. 172 Vgl. Hammerstein, Geschichte, S. 14. Eine fundierte sozialgeschichtliche Untersuchung zur deutschen peregrinatio academica nach den Niederlanden lieferte Schneppen, Universitäten. 169
III. Die Frühaufklärung in Brandenburg-Preußen
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hätten nur indirekt gewirkt und seien nicht das eigentlich auslösende Moment für die Wissenschafts- und Universitätsreformen im Reich gewesen. 173 Auch nach Wollgast kann die peregrinatio academica nicht allein oder primär als Anreger für die deutsche Frühaufklärung namhaft gemacht werden. 174 Vielmehr sei heute die „partielle Eigenständigkeit der deutschen Frühaufklärung . . . immer weniger umstritten“. 175 Im Gefolge älterer Untersuchungen von Wundt und Schöffler sowie der ostdeutschen Wissenschaftshistoriker Feyl, Winter und Mühlpfordt 176 sind in den letzten Jahren die mitteldeutschen Universitäten Jena und Leipzig und die generelle Bedeutung Sachsens für die Frühaufklärung in Deutschland stärker in das Blickfeld der Forschung gerückt. 177 Dabei wurde auch der Mathematiker und Universalgelehrte Erhard Weigel (1625–1699), der zunächst in Leipzig und seit 1652 bis zu seinem Tode in Jena lehrte und durch dessen Schule Pufendorf, Leibniz, Thomasius und Wolff gegangen sind, als „Barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung“ 178 wiederentdeckt. Jenas Anteil an der deutschen Frühaufklärung wird heute vor allem Weigels mathematisch-naturwissenschaftlichem Lehrbetrieb, der im Anschluß an Descartes auf einer universal anwendbaren Darstellungs- und Beweismethode basierte, zugesprochen. Mit Weigel und seinen Schülern wurde Jena zu einem wichtigen „Einfallstor der kartesianischen Philosophie nach Deutschland“, obwohl die Art und Weise der Vermittlung des westeuropäisch-cartesianischen Moments unbestimmt bleibt. 179 Weniger bekannt ist, daß Weigel in Jena bereits Vorlesungen in deutscher Sprache gehalten hat. Darüber hinaus wurde in Jena seit den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts auch das Naturrecht von Grotius rezipiert und war mit Johann Andreas Bose (1626–1674)
173
Vgl. Hammerstein, Universitäten, S. 105. Vgl. Wollgast, Frühaufklärung, S. 25. 175 Ebd., S. 28. Wollgast versteht hier Eigenständigkeit im Sinne von Schneiders, daß es nicht darum gehe, „die Bedeutung der englischen oder französischen Aufklärung herabzusetzen, sondern darum, die Einheit in der Verschiedenheit und die Verschiedenheit in der Einheit zu erkennen“. Schneiders, Weltweisheit S. 28. 176 Vgl. Wundt, Philosophie; Schöffler, Geistesleben; Feyl, Bildungskräfte u. ders., Jena; Winter, Tschirnhaus; Mühlpfordt, Universitäten. Mühlpfordts neuerlich wiederholte These von Sachsen als dem deutschen Kernland der Frühaufklärung wird von Wollgast allerdings als „problematisch, wenn nicht sogar vereinseitigend“ bewertet. Vgl. Mühlpfordt, Gelehrtenrepublik u. Wollgast, Frühaufklärung, S. 32. 177 Vgl. Döring, Pufendorf ; ders., Leibniz u. Martens, Leipzig. 178 Schielicke, Weigel. 179 Vgl. Schneppen, Universitäten S. 80. Auch Schöffler sieht in Jena die entscheidende „Einbruchstelle westeuropäischen Denkens ins Luthertum“ (ders., Geistesleben, S. 174. Vgl. auch S. 156). In der Einschätzung Wundts war allerdings durch Weigel, der in vielem Autodidakt gewesen sei, „ein eigentlicher Zusammenhang mit der in Westeuropa erblühenden modernen Naturwissenschaft . . . noch kaum gewonnen“ (Wundt, Philosophie, S. 52). Zum Weigelschen Schülerkreis in Süddeutschland vgl. Schlee, Weigel. 174
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B. Historische Rahmenbedingungen
und Caspar Sagittarius (1643–1694) eine frühe politisch-verfassungsgeschichtlich orientierte Geschichtsforschung vertreten. 180 In Leipzig standen die im Jahre 1687 gehaltenen deutschen Vorlesungen des jungen Christian Thomasius (1655–1728) am Beginn der heftigen geistigen Richtungskämpfe zwischen der lutherischen Orthodoxie, die an der aristotelischen Scholastik festhielt, und frühaufklärerisch beeinflußten Gelehrten. 181 Ebenso wie die pietistische Bewegung geriet die Bewegung der Frühaufklärer um Pufendorf, E. W. von Tschirnhaus und Christian Thomasius in das Visier der Leipziger Orthodoxie. Auch für Thomasius, der den befreundeten Pietisten in Leipzig zunächst Rechtshilfe geleistet hatte, wurde die 1693 privilegierte Friedrichs-Universität in Halle Zufluchtsort und neue Wirkungsstätte, die somit personell wie geistig eine prononcierte Gegengründung zu Leipzig darstellte. 182 Die enge personelle Verschränkung von pietistisch und frühaufklärerisch motivierten Reformern war für die Frühzeit beider Bewegungen charakteristisch. Gemeinsam war den Vertretern beider Strömungen nicht allein die Frontstellung gegen die lutherische Orthodoxie und die aristotelische Scholastik, sondern auch der deutliche Praxisbezug, die Ausrichtung auf das Individuum und eine damit verknüpfte pädagogische Zielrichtung. Dies ließ den Pietismus in der Einschätzung Hinrichs’ „als das große Eingangstor der deutschen Aufklärung erscheinen“ 183. 2. Frühaufklärung an der lutherischen Universität Halle Traditionell wird die Gründung der Halleschen Universität als ein „Neubeginn der deutschen Universitätsgeschichte“ 184 eingeschätzt. In ihrer ersten Blütezeit von 1694 bis 1733 entwickelte sich die neue Universität zur meistbesuchten deutschen Hochschule vor Leipzig und Jena. 185 Mit der Fridericiana war ein Ort
180
Vgl. Wundt, Philosophie S. 55. Schneiders bewertet die „akademische Provinzposse“ um die deutsche Vorlesungsankündigung von Thomasius als den symbolischen Beginn der deutschen Aufklärung. Vgl. ders., Aufklärungsphilosophien, S. 2f. 182 Vgl. Schindling, Bildung S. 31. 183 Hinrichs, Pietismus, S. 1297. Hinrichs steht damit in einer heute allgemein verbreiteten historiographischen Tradition, die davon ausgeht, daß sich Pietismus und Aufklärung in ihrer Frühzeit nicht entgegen-, sondern zugearbeitet haben. Von theologie- und philosophiegeschichtlicher Seite wurde diese Position seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt vertreten (vgl. Barth, Theologie, S. 64 u. Wundt, Schulphilosophie, S. 7). Wollgast hat diese Auffassung so weit zugespitzt, daß der frühe Pietismus nicht nur ein „Bundesgenosse“ sondern selbst auch Frühaufklärung gewesen sei und neben der weltlichen Frühaufklärung eine eigene Linie innerhalb der deutschen Frühaufklärung gebildet habe (vgl. Wollgast, Frühaufklärung S. 48ff.). 184 Hammerstein, Geschichte S. 11. Zur Gründungsgeschichte der Universität vgl. Schrader, Geschichte u. Bornhak, Universitätsverwaltung, S. 54ff. 181
III. Die Frühaufklärung in Brandenburg-Preußen
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geschaffen worden, der einer neuen toleranten Theologie, die sich auf ethische Fragen konzentrierte, einer neuen auf die Ausbildung des Natur- und Staatsrechtes ausgerichteten Jurisprudenz und einer durch Descartes hervorgerufenen modernen Philosophie zum Durchbruch verhalf. 186 Wissenschaftsgeschichtlich bedeutsam wurden darüber hinaus historische, sprachgeschichtliche, medizinische und naturwissenschaftliche Forschungsansätze. 187 Religiöse Toleranz war in den Statuten insofern verankert, als den Mitgliedern der Universität nur allgemein geboten war, sich dem evangelischen Glauben zugehörig zu wissen. 188 Auf einen bis dahin allgemein üblichen Konfessionseid wurde verzichtet. 189 Bei abweichenden Positionen hinsichtlich der Rechtgläubigkeit hatten sich die Professoren laut Statut um einen friedlichen Ausgleich zu bemühen. An der theologischen Fakultät sollten die nötigen theologischen Kenntnisse auf das Praktische, Zweckmäßige hin ausgewählt und ohne unnötige Polemik vermittelt werden. Neben der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern sollte die Geschichte des Frühen Christentums behandelt werden. Wichtig waren dabei eine historisch-philologische Herangehensweise und eine „rechte Philosophie – d. h. eine nicht schulmäßig scholastische“ 190, dies alles verbunden mit dem Ziel, bei den angehenden Geistlichen eine praktische, verinnerlichte religiöse Haltung zu entwickeln. Im Ergebnis beförderte der Pietismus neben der historisch-philologischen Arbeitsweise die Kirchenhistorie als Wissenschaft und führte aufgrund seiner mystisch-allegorischen, emphatischen Einstellung „zu psychologisch-historischen Erklärungsversuchen“ und in der Tendenz zu einem verstärkten Individualismus. 191 Der eigentliche Mittelpunkt der theologischen Fakultät war der 1691 berufene Joachim Justus Breithaupt (1658–1732). Francke, der zunächst an der philosophischen Fakultät gewirkt hatte, kam 1698 dazu. Seit 1705 bzw. 1709 lehrten hier darüber hinaus Paul Anton (1661–1730) und Joachim Lange. In den Jahrzehnten zwischen 1690 und 1730 verfügte die Fridericiana damit über die geschlossenste pietistische Fakultät in ganz Deutschland. 192
185
Im Jahre 1701 setzte sie sich erstmals an die Spitze (vgl. Mühlpfordt, Universitäten,
S. 36). 186
Vgl. Deppermann, Pietismus, S. 63. Zu nennen wären der Historiker und Philologe Christoph Cellarius (1638–1707) und die Mediziner F. Hoffmann (1660–1742) und G. E. Stahl (1659–1734). Zu den Anfängen der Slawistik vgl. Winter, Sprachen. 188 Zum Inhalt der Statuten vgl. Hammerstein, Geschichte S. 22f. 189 Zur generellen Kritik von Thomasius am Konfessionseid vgl.Schreiner, Iuramentum, S. 239f. 190 Hammerstein, Geschichte S. 22. 191 Vgl. ebd., S. 27. 192 Vgl. Sträter, Aufklärung, S. 57. 187
62
B. Historische Rahmenbedingungen
Obwohl die theologische Fakultät ein nicht unwichtiges öffentliches Ansehen genoß, bildete nach dem Urteil Hammersteins die juristische Fakultät das eigentliche „Glanzstück“ der Fridericiana. 193 Dies war vor allem Christian Thomasius, dem „zweiten Praeceptor germaniae“ 194 zu verdanken, mit dessen rechtsphilosophischer Schrift Fundamenta Juris Naturae et Gentium (1705) das rationale Naturrecht einen Höhepunkt erreichte. 195 Unter dem Einfluß von Thomasius traten in Halle nicht nur das Natur- und Völkerrecht zum Römischen und Kanonischen Recht hinzu, sondern auch die aus einer Verstärkung empirisch-historischer Fragestellungen resultierenden halbhistorischen Disziplinen der Reichshistorie und Staatenkunde. Auf historischer und empirischer Grundlage wurde das Jus publicum und das Jus feudale reformiert. Neben Thomasius waren die Staatsrechtler und Reichshistoriker Joh. Peter von Ludewig (1668–1743), Nicolaus H. Gundling (1671–1729) und vor allem deren Lehrer Samuel Stryck (1640–1710) prägende Gestalten der juristischen Fakultät, letzterer als der Erneuerer und Modernisierer der römisch-rechtlichen Jurisprudenz in Deutschland. Für die Rechtslehre überaus folgenreich war der Ansatz von Thomasius, das Recht rein säkular auf das Naturrecht zu gründen und es vom jus divinum zu trennen, wie er überhaupt in Weiterentwicklung der Gedanken Pufendorfs die Kirche dem Staat unterordnete und beide damit endgültig voneinander trennte. Hiermit setzte eine Entwicklung ein, in deren Verlauf die Theologie von der Jurisprudenz als Leitwissenschaft abgelöst werden sollte. Die Forderung des Thomasius nach einer vernünftigen Autonomie der Wissenschaften gegenüber der Theologie betraf auch den Bereich der Philosophie. Da die Philosophische Fakultät traditionsgemäß als theologische Domäne galt, waren hierbei Spannungen zu den Hallenser Theologen vorprogrammiert. Insbesondere bei Fragen der Anthropologie und Ethik zeichneten sich die unterschiedlichen Positionen von Frühaufklärern und pietistischen Theologen ab, die schließlich zu einem Bruch zwischen beiden Geistesströmungen führen sollten. Kern des Konfliktes war dabei die Frage der Zulässigkeit der Mitteldinge, welche von den Pietisten strikt abgelehnt wurden. Thomasius folgte dem anthropologischen Optimismus der Pietisten nicht. Den Franckeschen Bekehrungsrigorismus lehnte er ab, weil er die Bildsamkeit des Menschen letztlich bezweifelte und nicht davon ausging, daß der bekehrte Mensch sündlos bleiben könne. Vielmehr befürchtete er, daß die strenge pietistische Erziehung zu Heuchelei oder Verzweiflung führen
193 Hammerstein, Geschichte S. 27f. Zur schnellen Aufnahme der literargeschichtlichstaatsrechtlichen Impulse Halles in Jena und Leipzig vgl. ebd. S. 33. Auf Einflüsse der thomasianischen Wissenschaftsreform in der Jurisprudenz nach Frankfurt a. O. verweist Schindling, Bildung, S. 41. 194 Hammerstein, Geschichte S. 31. 195 Zum folgenden vgl. ebd., S. 28ff. Die Rolle und Bedeutung von Jus und Historie in Halle werden ausführlich dargestellt in ders., Jus.
III. Die Frühaufklärung in Brandenburg-Preußen
63
mußte. 196 Die Auseinandersetzungen endeten schließlich mit der von der Theologischen Fakultät bei der Berliner Regierung erwirkten Anweisung für Thomasius, sich aller Theologie zu enthalten und sich auf das jus, wozu er bestellet sei 197 zu beschränken. 198 Der zweite, weit mehr Aufsehen erregende Zusammenstoß von Pietismus und Frühaufklärung ging für dessen Hauptakteur Christian Wolff (1679–1754) weniger glimpflich ab. 199 Seit 1706 hatte der durch Descartes und Leibniz geprägte Wolff eine Professur für Mathematik und Philosophie in Halle inne und zunächst vor allem mathematische Studien betrieben. Anstoß erregte Wolff mit seinem geschlossenen philosophischen System von der Weltweisheit als der umfassenden Wissenschaft aller möglichen Dinge, wie und warum sie möglich sind 200, welches er seit 1712 in einer Kette von Vernunftschlüssen entwickelt hatte und das alle Wissenschaften von der Mathematik bis zur Theologie enthielt. Problematisch war dabei, daß Wolff wie bereits Thomasius, ohne den christlichen Glauben in Frage zu stellen, einen universalen Anspruch der Philosophie formulierte und dabei der Vernunft eine Führungsrolle zusprach. Der seinerzeit bedeutendste Antipode Wolffs war Joachim Lange, für den Wolffs mechanistisch-deterministische Vorstellungen von Gott, der Welt und dem Menschen theologisch unannehmbar waren. 201 Mit der bei Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1723 erreichten Absetzung Wolffs, die sich im nachhinein angesichts des nun intensiv geführten Streitschriftenwechsels „geradezu als Propaganda für die neue Philosophie“ 202 erweisen sollte, fanden die Auseinandersetzungen um die Wolffsche Philosophie ihren vorläufigen Höhepunkt.
196
Vgl. Brecht, Francke S. 503. Königliches Rescript vom 27. Oktober 1702 zit. nach Hinrichs, Preußentum S. 380. 198 Thomasius’ Frontstellung zum Pietismus hinderte ihn jedoch nicht daran, dem an der Philosophischen Fakultät seit 1695 durch den Hugenotten Jean Sperlette (1661–1725) vertretenen Cartesianismus ablehnend entgegenzutreten, da nach seiner Meinung die cartesianische Philosophie zum Spinozismus führe. Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 467. Zu Sperlettes philosophiegeschichtlicher Einordnung vgl. Wundt, Schulphilosophie, S. 98ff. 199 Zu den Auseinandersetzungen um die Wolffsche Philosophie vgl. ebd., S. 230–264. Ausführlichste Rekonstruktion der Ereignisse bei Heinrich, Preußentum, S. 388–441. 200 Zit. nach Heinrich, Preußentum, S. 390. 201 Die neueste Forschung versucht, das herkömmliche Klischee, dem zufolge Wolff die Rolle eines philosophischen Märtyrers spielt und Lange als Feind der Vernunft und Philosophie erscheint, zu relativieren und erkennt die Berechtigung der Kritik Langes an den Aporien des Wolffschen Determinismus und Fatalismus an. Vgl. Bianco, Freiheit. Kühnel rehabilitiert Lange als einen „Denker der Aufklärung“, weil dieser die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen herausgestellt und die „Freiheit gegenüber dem universalen Geltungsanspruch der Physik“ verteidigt habe. Kühnel, Lange, S. 27. 202 Hinrichs, Preußentum, S. 431. 197
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B. Historische Rahmenbedingungen
Der Versuch der Pietisten, die Ausbreitung des Wolffianismus in Halle und an den anderen preußischen Universitäten langfristig zu unterbinden, blieb jedoch erfolglos. Mitte der dreißiger Jahre gewannen Berliner Geistliche, die der Auffassung waren, daß das Wolffsche System mit dem Christentum sehr wohl vereinbar sei, nicht nur auf den Kronprinzen, sondern auch auf den König an Einfluß. 203 Auf ein Gutachten einer Kommission hin, zu der auch die pietistischen Pröpste Reinbeck und Roloff sowie der Hofprediger Jablonski gehörten, lenkte der König 1735 schließlich ein und hob das Verbot der Wolffschen Schriften auf. Ein Jahr später wurden an der Halleschen Universität wieder Vorlesungen über die Wolffsche Philosophie angekündigt und 1739 erließ Friedrich Wilhelm I. sogar eine Verordnung, nach der die Studierenden in der Philosophie sich einer vernünftigen Logik als zum Exempel des Professor Wolff 204 bedienen sollten. Damit war der Durchbruch des Wolffianismus als Schulphilosophie in Brandenburg-Preußen besiegelt. Nach dem Ausscheiden der ersten Theologengeneration begann man sich auch an der Theologischen Fakultät gegenüber der zeitgenössischen philosophischen Diskussion zu öffnen. Erstmals mit Johann Franz Buddeus (1667–1729), der bis 1705 in Halle und danach in Jena wirkte, und vor allem mit Siegmund Jacob Baumgarten (1706–1757), der im Jahre 1730 an die theologische Fakultät kam, vollzog sich „die Wiederanknüpfung hallischer Theologie an den Wissenschaftsstandard der anderen Fakultäten in Form der sogenannten Übergangstheologie“ 205. Von hier nahm dann in den vierziger Jahren die theologische Aufklärung in Form einer „überraschenden . . . Verbindung pietistischer und wolffianischer Motive“ 206 ihren Ausgang. Die seit 1757 von Johann Salomo Semler (1725–1791) geführte theologische Fakultät sollte schließlich neben den publizistischen Zentren Berlin und Braunschweig bis in die achtziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts hinein der Hauptsitz der theologischen Aufklärung bleiben. 207 3. Frühaufklärung an den reformierten Universitäten Duisburg und Frankfurt Auch an den beiden reformierten Universitäten Brandenburg-Preußens in Frankfurt a. d. Oder 208 und Duisburg 209 wurden seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun203
Vgl. Buschmann, Wolffianismus, S. 81ff. Königliche Verordnung vom 7. März 1739. Zit. nach Hinrichs, Preußentum S. 441. 205 Sträter, Aufklärung, S. 61. 206 Sparn, Aufklärung, S. 71. 207 Vgl. ebd., S. 82. 208 Die wichtigsten Quellen zur Geschichte der Frankfurter Viadrina bilden nach wie vor Beckmann und Hausen. Einiges an Informationen haben auch Tholuck und Bornhak zu bieten. Eine moderne Geschichte der 1811 nach Breslau verlegten Universität wurde 204
III. Die Frühaufklärung in Brandenburg-Preußen
65
derts geistige Strömungen wirksam, die zur Infragestellung der aristotelischen Scholastik beitrugen. Zum frühesten Zentrum des Cartesianismus in Deutschland entwickelte sich die kleine Duisburger Landesuniversität. In dieser von Kurfürst Friedrich Wilhelm 1655 für die rheinisch-westfälischen Gebiete eröffneten reformierten Bildungseinrichtung wirkte als „erster cartesianischer Scholastiker in Deutschland“ 210 Johannes Clauberg (1622–1665), der hier erstmals in Deutschland die rationalistische Philosophie von Descartes und ihre mathematisierende Darstellungsmethode ungehindert vortrug und auf seine Lehrstoffe anwandte. 211 Zum Anhänger Descartes’ war Clauberg, bei dem es sich nach dem Urteil von Wolff um den optimus omnium confessionis Cartesii interpres 212 handelte, an den niederländischen Universitäten von Groningen und Leiden geworden. Nachdem er zunächst in Herborn gelehrt hatte, führte ihn das dortige Verbot des Cartesianismus 1651 nach Duisburg, wo er und sein Kollege Christoph Wittich (1625–1687) in den folgenden Jahren den Cartesianismus fest verankerten. Fast gleichzeitig zu Clauberg wurde auch an der Frankfurter Viadrina mit Johann Placentinus (gest. 1683) ein Vertreter der cartesianischen Philosophie aktiv. Placentinus, der von 1653 bis 1665 an der Frankfurter Universität tätig war, mußte allerdings bereits 1656 den Vortrag der Cartesianischen Philosophie wieder unterlassen und sich ganz auf die Mathematik beschränken, weil sich die philosophische Fakultät über ihn beschwert hatte, daß er die Cartesianische Philosophie vortrage, obwohl in den Statuten Abweichungen a recepto modo philosophandi 213 ausdrücklich verboten worden seien. abgesehen von vereinzelten Aufsätzen bis heute nicht vorgelegt. Vgl. Beckmann, Notitia; Hausen, Geschichte; Tholuck, Akademisches Leben Bd. 2; Bornhak, Universitätsverwaltung; Mühlpfordt, Oder-Universität u. Heinrich, Frankfurt. Das Urteil Paulsens, daß die Viadrina „von Anfang an nur die dürftigen Umrisse einer Universität darstellte“ (Paulsen, Geschichte, Bd. 1., S. 191) ist symptomatisch für eine konsequente Unterschätzung der wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung der Frankfurter Universität. Intensiver wurde von der neueren Forschung allerdings die Rolle der Viadrina für Schlesien und generell für Ost- und Ostmitteleuropa untersucht. Vgl. Bardong, Einfluß u. ders., Breslauer; Kliesch, Einfluß; Römer, Herkunft u. Feyl, Viadrina. Neue Forschungsimpulse geben jetzt die biographischbibliographischen Zusammenstellungen zu Brandenburgischen Gelehrten, darunter auch Frankfurter Professoren, in der Frühen Neuzeit. Vgl. Noack/Splett, Brandenburg. Außerdem nimmt sich an der 1991 neugegründeten Viadrina eine Arbeitsgruppe der dortigen Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Frankfurter Universitätsgeschichte an. Vgl. Knevelkamp, Jahresbericht. Zur Frühgeschichte der Universität vgl. jetzt Höhle, Universität. 209 Zur Duisburger Universitätsgeschichte vgl. Lackner, Kirchenpolitik, S. 265ff. u. Roden, Universität. 210 Bohatec, Scholastik, S. 56. 211 Zur philosophiegeschichtlichen Einordnung Claubergs vgl. Wundt, Schulmetaphysik, S. 93ff. u. Leinsle, Reformversuche, S. 88–105. 212 Zit. nach Bohatec, Scholastik, S. 56. 213 Zit. nach Bornhak, Universitätsverwaltung, S. 38f. Zu den Vorgängen um Placentinus vgl. ebd. u. Varrentrapp, Kurfürst, S. 13f.
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B. Historische Rahmenbedingungen
Welche Breitenwirkung der in der Philosophiegeschichte weitgehend unbekannte Placentinus in Frankfurt erzielt hat, ist bisher nicht erforscht worden – liegt doch überhaupt die frühneuzeitliche Geschichte der Frankfurter Universität weitgehend im Dunkeln. Daß an der Viadrina Des Cartes hohes Lob 214 triumphierte, war allerdings im Jahre 1656 für Gottfried Weber, den damaligen Subkonrektor des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, eine bemerkenswerte Tatsache. Nach Bornhak wurde man erst am Ende des 17. Jahrhunderts gegenüber dem Cartesianismus etwas zugänglicher. Anfang der achtziger Jahre lehrte der niederländische Mediziner Cornelius Bontekoe 215 (1647–1685) an der Viadrina, dessen medizinische Auffassungen wesentlich durch Descartes geprägt waren. Im Jahre 1697 gab Minister Paul von Fuchs einer neuerlichen Beschwerde von Frankfurter Philosophieprofessoren über einen Kollegen, der die cartesianische Philosophie vertreten hatte, nicht nach, sondern verteidigte den Cartesianismus als einen zulässigen philosophischen Lehrstoff. 216 Auf die Tatsache, daß in Frankfurt schon früh eine erste Welle der „Niederländischen Bewegung“ in Form des Lipsianismus spürbar wurde, hat Oestreich hingewiesen. 217 In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts traf als zweite Welle der niederländischen Bewegung das von Hugo Grotius begründete naturrechtlichstoische Rechts- und Staatsdenken auf die reformierten Hochschulen Brandenburg-Preußens. 218 In Duisburg lehrte bis 1670 Paul von Fuchs (1640–1704) 219 Naturrecht, bevor er als brandenburgisch-preußischer Staatsminister und Kurator der Universitäten Halle und Frankfurt die staatliche Wissenschafts- und Universitätspolitik entscheidend mitprägte. An der Frankfurter Viadrina wurde das Naturrecht vor allem von Heinrich von Cocceji (1644–1719) 220 vertreten. Der in Leiden ausgebildete Cocceji hatte, bevor er 1690 als Nachfolger von Stryck nach Frankfurt kam, in Heidelberg Natur- und Völkerrecht gelehrt. Nicht nur in
214 So Weber in einem Carmen anläßlich einer von Placentinus durchgeführten Magisterpromotion. Vgl. Beckmann, Notitia, S. 282. Lenk verweist in diesem Zusammenhang auf den ebenfalls in Frankfurt wirkenden Mediziner Tobias Andreae, dessen Onkel Cartesianer gewesen war und in Groningen Clauberg unterrichtet hatte. Lenk, Forschungsregion, S. 256. Vgl. auch Schneppen, Universitäten, S. 78. 215 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 65–72. Zur Verbreitung des Cartesianismus haben Ärzte in erheblichem Maß beigetragen. Vgl. auch Döring, Frühaufklärung, S. 26f. 216 Bornhak, Universitätsverwaltung, S. 39. Die Beschwerde betraf den aus Polen stammenden Mathematiker Martin von Ostrowski, der seit 1695 an der Viadrina lehrte. Vgl. Feyl, Viadrina, S. 124. 217 Schon 1612 wurden in Frankfurt Lipsius-Schriften gedruckt. Vgl. Oestreich, Späthumanismus, S. 21. 218 Vgl. Oestreich, Späthumanismus, S. 19. 219 Vgl. Haake, Fuchs. 220 Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 153–182.
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diesem Fall profitierte die Viadrina von dem Niedergang Heidelbergs, sondern eine Fülle von Studenten und Gelehrten aus den westlichen Reichsteilen hatte es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Frankfurt, dem „zweiten Heidelberg“ 221 gezogen, das zuvor schon für Protestanten der östlichen Gebiete ein beliebter Studienort geworden war. 222 Daneben war Johann Christoph Beckmann (1641–1717) 223, der wie Cocceji in den Niederlanden studiert hatte, ein wichtiger Initiator der Grotius-Rezeption. Inwieweit an der Viadrina Neustoizismus und naturrechtliches Denken Verbreitung fanden und sich hier beide Richtungen des niederländischen Späthumanismus miteinander verbanden, stellt eine Forschungsfrage dar, die es weiterhin zu klären gilt. 224 Die engen Verbindungen der Viadrina zu den westeuropäischen Universitäten schlugen sich auch an der Theologischen Fakultät nieder, die im Gegensatz zu ihren Nachbarfakultäten seit 1644 ausschließlich von Reformierten besetzt war. 225 Hinsichtlich der dogmatischen Positionen existierten hier um die Jahrhundertwende zwei verschiedene Richtungen: eine orthodox-partikularistische und eine unionistisch-universalistische Richtung. Während die orthodoxe Richtung in ihrem Gnadenverständnis einen strengen Partikularismus vertrat, faßte die gemäßigte Richtung der Universalisten den Erwählungsgedanken weit auf, 221
Mühlpfordt, Oder-Universität, S. 47. Vgl. Römer, Herkunft. Bedeutsam war die Viadrina vor allem für Schlesien, welches nach der Mark das zweitstärkste Einzugsgebiet der Universität ausmachte. In der Zeit zwischen 1506 und 1811 stammten außerdem fünf Prozent der Studenten aus Polen-Litauen, Ungarn-Siebenbürgen, Böhmen und Mähren, den baltischen Ländern und Rußland. Vgl. Feyl, Universität, S. 8. Zu den Schlesiern vgl. Bardong, Einfluß u. ders., Breslauer. 223 Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 36–60. 224 Nach Oestreich verband sich in Brandenburg-Preußen am Ende des 17. Jahrhunderts „das Naturrecht als Richtschnur des gesellschaftlich-politischen Lebens mit der neustoischen Ethik“ (ders., Späthumanismus. S. 22). Zur Kritik Van Gelderens an Oestreichs Neustoizismus-Thesen vgl. oben, Abschnitt B. I. 3. 225 Beckmann führt in seiner Festschrift zum 200jährigen Jubiläum der Viadrina für die Zeit von 1644 bis zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Schrift im Jahre 1706 nur Reformierte als Mitglieder der theologischen Fakultät auf. Zur Berufung lutherischer Theologen kam es erst wieder seit 1723, allerdings nur als außerordentliche Professoren, die anders als die Ordinarien nicht das Privileg der Zensurfreiheit genossen. Im Jahre 1721 hatte Friedrich Wilhelm I. außerdem verordnet, daß die theologische Fakultät reformiert bleiben solle. Vgl. Beckmann, Notitia, S. 59f.; Hausen, Geschichte, S. 47, 105f. u. Rhode, Studien, S. 51. Bornhak verweist außerdem darauf, daß auch an den anderen Fakultäten die Professuren durchweg nach konfessionellen Gesichtspunkten besetzt wurden, „wenn auch Lutheraner keineswegs ausgeschlossen waren“ (ders., Universitätsverwaltung, S. 37). Zur Illustration führt er an gleicher Stelle einen Beschwerdefall der philosophischen Fakultät von 1690 wegen der Berufung eines Wittenberger Absolventen an. Die Feststellung Heinrichs, daß an der Universität in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts eine „tolerantere Universitätspolitik“ (ders., Frankfurt, S. 340) eingesetzt habe, bedarf angesichts der bis weit ins 18. Jahrhundert vorherrschenden konfessionell determinierten Berufungspolitik offensichtlich einer Differenzierung. 222
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B. Historische Rahmenbedingungen
was zugleich ein unionistisches Denken beförderte. 226 Johann Christoph Beckmann, der 1690 von der philosophischen zur theologischen Fakultät übergewechselt war, hatte im Laufe seines Studiums in den nördlichen Niederlanden eine strenge Auffassung von der Prädestination entwickelt und wurde der orthodoxen Richtung zugerechnet. Abgesehen von ihm und seinem frühen Vorgänger Johann Crell (1590–1633), der ein ausgesprochener Supralapsarier gewesen war, haben jedoch mehrheitlich irenisch eingestellte Universalisten an der Frankfurter Viadrina den Ton angegeben. Dies entspricht der allgemeinen Situation in der damaligen deutsch-reformierten Theologie, in welcher der Universalismus traditionell eine vorherrschende Stellung besaß. 227 Insbesondere die Frankfurter Universalisten konnten an eine lange Tradition ihrer Hochschule als „Toleranz-Universität“ 228 anknüpfen. Diese Entwicklung hatte bereits in der philippistisch-kryptocalvinistischen Phase zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit Christoph Pelargus (1565–1633) begonnen und in Johann Bergius (1587–1658) und Gregor Frank (1583–1651) ihre Fortsetzung gefunden. Begleitet von den Sympathien des Berliner Hofes, an welchem damals anglikanische Unionsgedanken gepflegt wurden, nahmen am Ende des 17. Jahrhunderts die ökumenischen Aktivitäten der Viadrina mit den universalistisch geprägten Theologen Barthold Holtzfuß (1659–1716) 229 und insbesondere Samuel Strimesius (1648–1730) 230 einen neuen Aufschwung. Beide waren wesentlich von ihren Studienaufenthalten an der Universität Oxford geprägt worden, zu der die Viadrina in einer engen Partnerschaft stand. Ausdruck unionistischen Willens war auch die Tatsache, daß 1707 anläßlich der Feierlichkeiten zum 200jährigen Bestehen der Universität von elf Kandidaten, die das theologische Examen bestanden hatten, die Hälfte Lutheraner waren, die gemeinsam mit den Reformierten den Eid auf die Bibel und die Confessio Augustana ablegten. 231 Deutlich wird hierbei auch, daß es der Viadrina nicht an lutherischen Studenten gefehlt hat, obwohl nach der Einschätzung Tholucks der Besuch der unionistischen Universität in den lutherischen Ländern als verpönt galt. 232 226 Die Universalisten vertraten anders als die Partikularisten die Ansicht, daß das Heil Gottes universelle Gültigkeit habe und allen Gläubigen – also nicht nur den erwählten Reformierten – offenstehe. Diese freiere Auffassung von der Prädestination stand damit im Gegensatz zur Prädestinationslehre Calvins, wonach die Seligkeit nur einer feststehenden Anzahl auserwählter Menschen vorherbestimmt sei, und die auf der Dordrechter Synode von 1618/19 nochmals bestätigt worden war. Vgl. Hägglund, Geschichte, S. 202ff. 227 Ein wichtiges Zentrum dieses Universalismus war das reformierte Gymnasium Illustre in Bremen. Vgl. dazu Weber, Reformation, S. 158ff. 228 Heinrich, Frankfurt, S. 340. 229 Von 1684 bis 1685 war dieser als Rektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums tätig gewesen. 230 Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 512–528. 231 Vgl. Tholuck, Akademisches Leben Bd. 2, S. 263. 232 Vgl. ebd., S. 264. Tholuck zitiert einen lutherischen Studenten aus Franken, der um 1690 schreibt: Ich sitze hier in Frankfurt und mache ein halb lutherisch und halb calvinisch
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Das an der Theologischen Fakultät verbreitete irenische Denken, welches die Beschäftigung mit anderen Konfessionen und Religionen beförderte, hatte auch Folgen für die allgemeine Frankfurter Wissenschaftsgeschichte. So wurde unter Federführung von Beckmann und Jablonski eine hebräische Druckerei eingerichtet, welche die erstmalige Drucklegung der Hebräischen Bibel und des Babylonischen Talmuds auf deutschem Boden ermöglichte. 233 Der Sohn Daniel Ernst Jablonskis, Paul Ernst (1693–1757), der über die nestorianische Kirche arbeitete, gilt heute durch seine Arbeit mit ägyptischen und orientalischen Quellen als einer der Mitbegründer der modernen Ägyptologie. 234 Angezogen wurden die Studenten auch von Entwicklungen in anderen Fächern. So hebt ein Fränkischer Student um die Jahrhundertwende die Logik-Vorlesungen des Mathematikers Leonhard Christoph Sturm (1669–1719) hervor, ohne die er hier allerdings „nichts verloren“ hätte, wie der Lutheraner selbst einschränkend einwendet. 235 Mühlpfordt hält das Wirken Sturms auf dem Gebiet der „Ingenieurskunst“ für entscheidend dafür, daß die Viadrina „früher und mehr als manche andere Universität auch Aufgaben einer Technischen Hochschule“ 236 erfüllt habe. Berühmtheit hatte vorher auch der Mediziner Bernhard Albinus (1653–1721) 237 erlangt, der in Leiden ausgebildet worden und dort auch mit dem Cartesianismus in Berührung gekommen war und im Jahre 1684 in Frankfurt ein Anatomisches Theater eröffnet hatte. Auch die Einrichtung eines Französisch-Lektorats bedeutete einen Schritt hin zur Öffnung der Viadrina gegenüber den Erfordernissen einer sich verändernden Wissenschaftswelt. Angesichts dieser wissenschaftshistorischen Befunde muß die Einschätzung Bornhaks, daß man sich in Frankfurt weitgehend auf die traditionellen Lehraufgaben beschränkt hätte, für die Zeit der Frühaufklärung relativiert werden. 238 Gleichwohl wurde die Viadrina durch die neue Universität in Halle, deren Besucherzahlen bald diejenigen der Frankfurter Universität überstiegen, im Laufe des 18. Jahrhunderts auf den zweiten Platz verwiesen. Die Protegierung Halles in der Zeit von Friedrich Wilhelm I. und nicht zuletzt das mit den Franckeschen Schulen verbundene Stipendiatensystem haben den Vorsprung Halles Gesicht. Denn hier sind die Friedemacher, die unsere Religion mit der ihrigen conciliiren wollen (Tholuck, Akademisches Leben Bd. 2, S. 265). Der Pragmatismus im Umgang mit dem Konfessionsproblem ist unverkennbar. Nach Feyl kamen die Lutheraner unter den östlichen Theologiestudenten aus Großpolen, dem königlichen Preußen, aus Böhmen und Mähren sowie Nordungarn und Siebenbürgen, also aus Gebieten, wo Philippismus und Reformiertentum traditionell stärker verbreitet waren (vgl. ders., Viadrina, S. 112). Generell bedarf die Frage der konfessionellen Zusammensetzung der Studentenschaft noch einer genaueren Erforschung. 233 Vgl. Mühlpfordt, Oder-Universität, S. 52. 234 Vgl. Heinrich, Frankfurt, S. 340. 235 Tholuck, Akademisches Leben Bd. 2, S. 265. 236 Mühlpfordt, Oder-Universität, S. 54. 237 Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 3–19. 238 Vgl. Bornhak, Universitätsverwaltung, S. 41.
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weiter ausgebaut. Dies behinderte jedoch keineswegs „ein Verhältnis freundschaftlichen Austausches“ 239 zwischen beiden Universitäten, in deren Verlauf insbesondere nach 1740 Lehrpersonal von Halle nach Frankfurt wechseln sollte. Ihre Funktion als besondere Vermittlungsstelle zwischen Ost und West hat die Viadrina allerdings auch im 18. Jahrhundert nicht verloren. Obgleich die Immatrikulationszahlen zurückgingen, blieb die Frankfurter Universität vor allem für reformierte und von der Bruder-Unität geprägte Studenten aus Polen und Litauen, Böhmen und Mähren sowie Ungarn weiterhin ein wichtiger Anlaufpunkt auf dem Weg hin zu anderen deutschen und westeuropäischen Universitäten und damit ein wichtiger Vermittlungsort der Aufklärung in den ost- und südosteuropäischen Raum hinein. 240 4. Frühaufklärung in Berlin: Berolinum – orbi lumen! Zum wichtigsten außeruniversitären Zentrum der Frühaufklärung wuchs seit den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts das auf halbem Wege zwischen den beiden großen Landesuniversitäten gelegene Berlin heran. Nicht nur geographisch bildete die brandenburgisch-preußische Hauptresidenz das Bindeglied zwischen Halle und Frankfurt: Bei den Berliner Regierungsbehörden liefen die administrativen Fäden von Wissenschaft und Politik zusammen und der kurfürstlich-königliche Hof diente als Gravitationszentrum der verschiedenen geistigen, kirchlichen und politischen Strömungen. Zudem wurden in der Landeshauptstadt Berlin durch den Zuzug von Intellektuellen aus Frankreich neue Impulse spürbar. Die Veränderungen in der Hauptstadt wurden von außen sehr wohl wahrgenommen. Im Anschluß seiner Reise nach Berlin anläßlich des Regierungsantritts Friedrichs III. im Jahre 1688 veröffentlichte ein Klever Untertan das euphorische Anagramm: Berolinum – orbi lumen!, das innerhalb kurzer Zeit zum ‚geflügelten Wort‘ wurde. 241 Der Aufstieg Berlins zum geistig-kulturellen Zentrum Brandenburg-Preußens wird in der einschlägigen Literatur traditionell an der Gründung der Berliner Sozietät im Jahre 1700 und der Wirksamkeit von Gelehrten aus deren Umkreis festgemacht. 242 Beachtung haben dabei insbesondere Leibniz und seine Verbindungen zum Hof und insbesondere zu Königin Sophie Charlotte gefunden, welche
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Heinrich, Frankfurt, S. 340. Vgl. Feyl, Viadrina, S. 109ff. Für großpolnische, litauische und siebenbürger Theologiestudenten reformierter Konfession gab es gesonderte Stipendien. Vgl. Hausen, Geschichte, S. 141f. 241 Der Theologe Johannes Kayser (1654–1721) veröffentlichte im Jahre 1698 dieses Anagramm, welches kurze Zeit später bei verschiedenen brandenburgischen Historiographen Verwendung fand. Vgl. Kayser, Parnassus. o. S. Zur Verbreitung des Anagramms vgl. Kohl, Berolinum u. Fritsch, Berolinum. 240
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eine entscheidende Voraussetzung für die Einrichtung einer Gelehrtensozietät in Berlin bildeten. 243 Zu Recht hat Döring vor einer einseitigen Konzentration auf Leibniz und die Gründungsgeschichte der Akademie gewarnt und darauf hingewiesen, daß gegenüber der Institutionengeschichte die Erforschung anderer Dimensionen des kulturell-wissenschaftlichen Lebens in Berlin, wie das Bildungswesen und die naturwissenschaftlich-medizinischen Disziplinen sowie die Bereiche von Literatur und Publizistik in der Forschung bisher vernachlässigt worden seien. Um den konkreten geistigen Einflüssen in ihrer Vielschichtigkeit nachzugehen, sei darüber hinaus eine Analyse der Beziehungsgeflechte der residenzstädtischen Intellektuellen nötig. 244 Wichtig für das institutionell-personelle Wissenschaftsgefüge Berlins vor 1700 war die seit 1661 bestehende kurfürstliche Bibliothek. Ausdruck der sich unter Friedrich III. (I.) verstärkenden kulturpolitischen Bestrebungen wurde die seit 1694 betriebene Einrichtung einer Akademie der Künste. Entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Institutionen in Berlin hatten mehrere kurfürstliche Ratgeber Friedrichs III. (I.) Neben Eberhard von Danckelmann, der sich als Staatsminister intensiv um die Finanzierung solcher Projekte bemühte, sind hier der bereits mehrfach erwähnte Jurist Paul von Fuchs, der seit 1695 die Kirchen- und Schulangelegenheiten leitete, sowie der Gelehrte und Diplomat Ezechiel von Spanheim (1629–1710) zu nennen. 245 Spanheim, der seit 1680 in brandenburgischen Diensten stand, war seit 1681 Patron der kurfürstlichen Bibliothek und setzte sich als Direktor der französischen Kolonie in besonderem Maße für die Belange der französischen Refugiés ein. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam waren die von ihm seit 1690 bis zu seinem Weggang im Jahre 1697 veranstalteten Gelehrtenzusammenkünfte, bei denen sich Franzosen und Deutsche zu verschiedenen Themen zusammenfanden und „deren Funktion bei der Annäherung der geistig führenden Deutschen und Franzosen kaum unterschätzt werden kann“ 246. Die neuere Forschung hat unlängst herausgestellt, daß die bei den sogenannten Spanheim-Konferenzen 247 behandelten Themenkreise vor allem römische Altertümer, Philologie und Theologie betrafen, wogegen moderne mathematische, naturwissenschaftliche und philosophische Probleme unbeachtet blieben. 248 Dies 242 Vgl. Geiger, Berlin, Bd. 1, S. 90ff. u. die grundlegende Darstellung zur Akademiegeschichte von Harnack sowie ders., Leben. Neuerdings außerdem Gau, Akademie u. Brather, Leibniz. 243 Vgl.Poser, Leibniz. 244 Vgl. Döring, Frühaufklärung, S. 39f. Als wichtiges Informationsmittel sei hier auf die unlängst erschienenen Bände von Noack und Splett mit Berliner Gelehrtenbiographien verwiesen. 245 Näheres zu Spanheim bei Harnack, Leben, S. 174f. u. Loewe, Diplomat. 246 Brather, Leibniz, S. 397. 247 Hierbei handelt es sich um einen Quellenbegriff, den D. E. Jablonski geprägt hat. Vgl. Kvačala, Spanheim-Conferenz.
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scheint bei den von Etienne Chauvin (1640–1725) am Collège der Hugenotten durchgeführten öffentlichen Veranstaltungen, den sogenannten Sabbatinen, nicht der Fall gewesen zu sein. 249 Über die Gelehrtenzusammenkünfte hinaus wurden Berliner Hugenotten auch in publizistischer Weise in der Berliner Gelehrtenrepublik wirksam. So machte sich Chauvin als Herausgeber des Nouveau Journal des Sçavans, dressé à Berlin einen Namen, worin in Anlehung an die berühmte Pariser Zeitschrift Journal des Sçavans Neuerscheinungen aus den verschiedensten Wissenschaftsgebieten rezensiert wurden. Bedeutsam war in diesem Zusammenhang natürlich auch die Anwesenheit von Pufendorf selbst, der im Jahre 1688 auf Betreiben Paul von Fuchs’ vom schwedischen an den Berliner Hof gewechselt war und hier bis zu seinem Tode 1694 als Hofhistoriograph gewirkt hat. 250 Pufendorfs Nachfolger im Amt des Hofhistoriographen, der Hugenotte Antoine Teissier 251 (1632–1715), beschäftigte sich ebenfalls publizistisch mit dem Naturrecht des Grotius und übersetzte Pufendorfsche Schriften. Am Ausgang des 17. Jahrhunderts wurden in Berlin nicht nur Fragen des Naturrechts, sondern darüber hinaus auch allgemeine naturphilosophische Probleme diskutiert. Bei einigen hugenottischen Gelehrten kam dabei der Cartesianismus zum Tragen: so bei dem Hofprediger Jean Abbadie 252 (1654/58–1727) sowie bei Jean Sperlette und Etienne Chauvin, den beiden ersten Philosophieprofessoren des Collège der Hugenotten, was unten näher ausgeführt werden soll. 253 Das publizistische Leben wurde jedoch keinesfalls allein von Seiten französischer Gelehrter, sondern auch von deutscher Seite befruchtet. So wird beispiels248 Vgl. Brather, Leibniz, S. 400 (vgl. auch Kvačala, Spanheim-Conferenz, S. 37). Da sich nur wenig inhaltliche Kontinuitäten zur späteren Sozietät herstellen lassen und sich die personelle Kontinuität auf den Theologen D. E. Jablonski beschränkt, können nach Brather die Spanheim-Konferenzen entgegen der älteren Auffassung von Harnack, Geschichte, Bd. 1. 1, S. 41 nicht als Vorläufer der Berliner Sozietät gelten. Dies bestätigt auch Böger, Spanheim-Kreis, S. 207ff. 249 Näheres dazu unten, Abschnitt D. I. 5. 250 Die Tatsache, daß in der einschlägigen Forschungsliteratur kaum über Pufendorfs Einbindung in das Berliner politische und Geistesleben berichtet wird, legt allerdings die Vermutung nahe, daß dieser während seiner letzten sechs Lebensjahre in Berlin wenig in Erscheinung getreten ist. Denzer, der den unmittelbaren Einfluß Pufendorfs auf den brandenburgischen Staat als gering einschätzt, führt dies auf dessen fehlende emotionale Beziehungen zu Brandenburg und seinen „im Grunde unpolitischen Charakter“ zurück. Pufendorfs Naturrechtslehre habe erst nach dessen Tod durch die Veröffentlichung seiner Werke und durch die universitäre Lehre mittels seines Freundes und Schülers Christian Thomasius sowie durch Christian Wolff auf den preußischen Staat gewirkt. Vgl. Denzer, Naturrechtslehre, S. 68ff. 251 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 468–473. 252 Vgl. ebd., S. 3–9. 253 Vgl. unten Abschnitte D. I. 5 und E. II. 5.
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weise die 1699 bis 1700 erschienene Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie des Pietisten Gottfried Arnold (1666–1714), der kurze Zeit später auf Betreiben Speners zum preußischen Historiographen ernannt wurde, von der Forschung als ein „Grundbuch der Aufklärung“ 254 eingeschätzt. Für erhebliche Aufregung unter der geistigen Elite Berlins sorgte in den neunziger Jahren auch eine Schrift von Seiten emanzipatorisch-rationalistischer Philosophie, die Concordia rationis et fidei (1693/94) von Friedrich Wilhelm Stosch (1648–1704). Wegen des Vorwurfs des Atheismus, Sozinianismus und Spinozismus wurden die Positionen des Verfassers, die im Kern aus einer radikalen Kritik an den Machtansprüchen der Theologie bestanden und auf eine Trennung von Vernunft und Offenbarung hinausliefen, von einer durch den Kurfürsten eingesetzten Kommission verurteilt und der Autor zum Widerruf gezwungen. Die Tatsache, daß Stosch bald wieder in Amt und Würden kam und sogar eine Beförderung zum Hofrat und geheimen Staatssekretär erfuhr, kann allerdings als Indiz dafür gewertet werden, wie nahe man bei Hofe freidenkerischen Positionen stand. 255 Trotz aller offiziellen Verfolgung genoß auch die Bewegung der Sozinianer, die wie Stosch einen religiösen Rationalismus vertrat, durch die brandenburgische Regierung eine „gewisse Duldung“ 256. Auf Seiten der deutschen Reformierten hatte Daniel Ernst Jablonski einen besonderen Anteil daran, daß sich Berlin zu einem Zentrum der Frühaufklärung entwickelte. 257 Der Hofprediger, der in Frankfurt a. O. und Oxford studiert hatte und seit 1693 in der hohenzollernschen Hauptresidenz tätig war, gilt nicht nur in der Frage der Kirchenunion, sondern auch bei der Verwirklichung der Leibnizschen Akademiepläne als der wichtigste Berliner Partner von Leibniz. So war er es, dem es im Frühjahr 1700 gelang, Friedrich III. (I.) für die Akademiepläne zu gewinnen. 258 Auch wenn die Berliner Hugenotten zur Herausbildung jenes 254
Winter, Frühaufklärung, S. 74. Vgl. die ausführliche Darstellung des Falles Stosch von Döring, Frühaufklärung. Döring verweist hier darauf, daß der Eklat um Stosch den reformieren und lutherischen Theologen die Möglichkeit gab, „zumindest momentweise in der Abwehr häretischer bzw. atheistischer Gefahren“ die staatlicherseits gewünschte Einigkeit zu demonstrieren. Vgl. ebd. S. 46. 256 Döring, Frühaufklärung, S. 50. Seit dem Verbot der antitrinitarischen Bewegung der Sozinianer in der Polnischen Adelsrepublik im Jahre 1658 war die bis dahin vor allem in Polen verbreitete Bewegung gegen den Widerstand der brandenburgischen Landstände immer stärker in die hohenzollernschen Territorien eingedrungen. Im Jahre 1683 hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm den Sozinianern sogar offiziell deren Niederlassung gestattet. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 1, Sp. 404f. Vgl. auch Wotschke, Geschichte u. Lackner, Kirchenpolitik, S. 283–287. Zu Speners antisozinianische Schriften vgl. Wallmann, Sozinianismus. 257 Vgl. Winter, Jablonski. Zu Jablonski vgl. auch Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713. S. 203–216. 258 Vgl. Brather, Leibniz, S. 46ff. 255
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geistig-kulturellen Klimas beigetragen haben, „das eine entscheidende Vorbedingung“ 259 für die Einrichtung der Societät der Wissenschaften bilden sollte, waren sie am eigentlichen Gründungsvorgang nicht beteiligt. Entgegen der seit Harnack verbreiteten Auffassung erfolgte die Sozietätsgründung ohne Mitwirkung der Hugenotten der Berliner Kolonie. 260 Auch im Konzil, dem Leitungsgremium der Sozietät, hatten die im Jahre 1701 aufgenommenen vier Franzosen kein Mitspracherecht. Sie beherrschten zwar die mathematische Klasse, an der Arbeit in den anderen Klassen beteiligten sie sich jedoch kaum. Vielmehr gründeten sie 1717 eine ausschließlich aus Franzosen bestehende Société anonyme und brachten bald ein eigenes Journal, die Bibliothèque germanique heraus. 261 Ein „französisches“ Berlin einem „deutschen“ Halle als den zwei geistigen Zentren des damaligen preußischen Staates gegenüberzustellen, erscheint angesichts der kontinuierlich immer auch von Deutschen geprägten Berliner Gelehrtenrepublik als idealtypische Zuspitzung ungerechtfertigt. 262 Bis zur feierlichen Eröffnung der Sozietät im Jahre 1711 wurden außer Leibniz sechsunddreißig anwesende Mitglieder bestimmt, darunter nur sechs Franzosen. 263 Neben Leibniz zählten dazu unter anderem die Astronomen Gottfried Kirch und Johann Heinrich Hoffmann, die Gymnasiallehrer Johann Leonhard Frisch, Mathurin Veyssière de La Croze und der Cartesianer Chauvin sowie der Mediziner, Genealoge und Heraldiker Christian Maximilian Spener. Unter den abwesenden Mitgliedern waren bedeutende Frankfurter und Hallenser Universitätsprofessoren. 264 Daniel Ernst Jablonski selbst trat als Orientalist hervor. Anders als Christian Maximilian wurde, wie bereits oben erwähnt, dessen Vater Philipp Jacob Spener trotz seines herausragenden Rufes als Genealoge und Heraldiker kein Sozietätsmitglied. Dies galt auch für den reformierten Prediger Heinrich Schmettau, nach Thadden der „gelehrteste der Berliner Hofprediger“ 265. Für diese auffällige Tatsache macht die Forschung „persönliche Gründe“ verantwortlich, deren Ursachen nicht zuletzt in der Konfessionsdifferenz gesehen werden. 266 Generell gilt jedoch für die Akademie, daß sich hier Gelehrte über die 259
Ebd., S. 398. Außerdem dazu: Hartweg, Hugenotten u. Grau, Savans. Vgl. Brather, Leibniz, S. 46 u. 397ff. 261 Näheres dazu vgl. unten F. II. 2. 262 So beispielsweise bei Schilling, Höfe, S. 394. 263 Vgl. Gau, Vorgeschichte, S. 1412 u. Brather, Leibniz, S. 344ff. Zum Anteil der Hugenotten unter den Akademiemitgliedern vgl. auch Othmer, Berlin, S. 21ff. Nach dem Urteil Othmers bildeten die Hugenotten „kein belebendes Element in der Akademie“; gleichwohl stellt die Autorin gegen Harnack das relative zahlenmäßige Gewicht der Hugenotten stärker heraus. Vgl. ebd. u. Harnack, Geschichte, Bd. 1,1. S. 120. 264 Darunter auch der Theologe J. Chr. Beckmann, der Mediziner B. Albinus u. der Mathematiker L. Ch. Sturm. Vgl. Grau, Viadrina, S. 189ff. 265 Thadden, Hofprediger, S. 186. 266 Vgl. Grau, Vorgeschichte, S. 1392. 260
IV. Das höhere Bildungswesen in der Frühen Neuzeit
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Konfessionsgrenzen hinweg in ein und derselben Institution zusammenfanden und sowohl Lutheraner als auch deutsche und französische Reformierte in einen Wissensaustausch eintraten. Während unter dem ersten preußischen König die Sozietät „als Teil der Residenzausstattung“ 267 zur barocken Selbstdarstellung des jungen Königtums diente und beim Herrscherhaus Unterstützung fand, fielen unter Friedrich Wilhelm I. die Forschungsvorhaben der Akademie einer rigorosen Sparpolitik zum Opfer. Erst der erneute Thronwechsel führte zur Neukonsolidierung der Sozietät, die sich 1644 zur Académie Royale umbildete und in der Folgezeit als Ort der Aufklärung nicht nur für Preußen, sondern auch international ein hohes Ansehen errang. 268
IV. Das höhere Bildungswesen in der Frühen Neuzeit 1. Übergreifende europäische Entwicklungen und Tendenzen Zu den wichtigen Impulsen von Humanismus und Reformation in Europa und in den deutschen Territorien zählten solche im Bereich des Bildungswesens. Kirchenreform sowie Schul- und Universitätsreform gingen miteinander einher. Die Reformen in Bildung und Unterricht bezogen sich dabei nicht nur auf methodischdidaktische und curriculare Fragen, sondern vor allem auch auf die Bildungsorganisation. Mit der Herausbildung des protestantischen Landeskirchentums waren Schule und Universität, die ursprünglich primär kirchlich bestimmt waren, als Teil der geistlichen Angelegenheiten unter eine weltlichen Obrigkeit geraten. Unter den städtischen und landesherrlichen Obrigkeiten setzte ein schneller Ausbau des Schul- und Bildungswesens ein. Vorhandene Einrichtungen wurden der neuen Religion angepaßt und eine Vielzahl neuer Anstalten begründet. Allgemein lassen sich dabei zwei Phasen voneinander abheben: Zu einer ersten Gründungswelle im Bildungsbereich kam es in den deutschen Territorien im Gefolge des deutschen Luthertums. Überall, wo sich die neue Konfession ausbreitete, entstanden auch neue Lateinschulen. Als „Prototypen“ dienten dabei zum einen die dreiklassige Lateinschule, die Melanchthon 1528 in seiner kursächsischen Kirchenordnung entworfen hatte und zum anderen das neunklassige Gymnasium, das Johann Sturm ein Jahrzehnt später in Straßburg entwickelte. 269 Das Melanchthonsche Modell fand unter der Vermittlung des Reformators Bugenhagen vor allem in mittleren und nördlichen Territorien Deutschlands Verbreitung, während im süddeutschen Raum, aber auch in den Hansestädten eher das Sturmsche Modell aufgenom267
Voss, Akademien, S. 54. Vgl. Grau, Akademie, S. 71–92. 269 Humanistenlateinisch hießen ursprünglich die Universitäten Gymnasien. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden immer häufiger auch die größeren mehrklassigen Schulen so genannt. Vgl. Seifert, Schulwesen, S. 301. Grundlegend zum Straßburger Gymnasium Illustre: Schindling, Hochschule. 268
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men wurde. Normgebend wurde außerdem die fünfklassige Württembergische Normalschule von 1559, die 1580 auch in Kursachsen übernommen wurde. 270 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden diese Impulse von den anderen Konfessionen aufgenommen und weitergeführt. Zunächst vom erstarkten tridentinischen Katholizismus – vornehmlich durch die Jesuiten – und danach auch vom Calvinismus. Im Zusammenhang der gewachsenen konfessionellen Konfrontation wurde das Bildungswesen jetzt zu einem wesentlichen Element der Konfessionspolitik. Es erwies sich als vorzügliches Vehikel, die konfessionellen Verhältnisse und Proportionen in eine der Herrschaft genehme Richtung zu lenken. So kam es im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts im Zusammenhang von reformierter und katholischer Konfessionalisierung im Reich neben der konfessionellen Umformung der vorhandenen Bildungseinrichtungen zu einer weiteren Gründungswelle von Schulen und Hochschulen. Hinsichtlich des sich dabei herausbildenden calvinistischen Akademie- und Gymnasialsystems und des jesuitischen Collèges-Systems spricht die neuere Forschung von „konfessionellen Netzwerken“, innerhalb derer eine intensive Migration von Studenten und Gelehrten stattfand. 271 Naturgemäß war davon vor allem das Fach Theologie betroffen. In anderen Fächern und vor allem auf der studentischen Ebene blieben die Konfessionsgrenzen bei der peregrinatio academica allerdings immer auch durchlässig. 272 Die Initiative im Bildungsbereich, die in den protestantischen Territorien des Reiches zu Anfang des 16. Jahrhunderts vor allem in der Hand der Städte gelegen hatte, ging in dieser Phase der sich konsolidierenden Territorialstaaten an die Territorialherren über. 273 Durch den Einsatz der nach der Säkularisation zur Verfügung stehenden enormen Vermögensmasse gelang es den Landesherren in immer stärkerem Maße, das Bildungswesen unter ihre Aufsicht zu bringen. Religiös-konfessionelle Anliegen und machtpolitisches Eigeninteresse der Territorialherren gingen dabei eng miteinander einher. Sowohl der Bedarf an Pfarrern und Lehrern für die konfessionelle Vereinheitlichung als auch der an geschulten Juristen für die Verwaltung erhöhte das Interesse der Territorialherrschaft an einem organisatorischen Ausbau des Bildungswesens und führte zu einer enormen Expansion im Bildungsbereich. Zwischen dem Ende des 16. Jahrhunderts und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges verfügten die meisten Territorialstaaten des Reiches über ein Schul- und Bildungssystem, das nach Menk „im europäischen Vergleich seinesgleichen nicht hatte“ 274. Die Blüte dieses Schulsystems war jedoch nur von
270 Vgl. Seifert, Schulwesen, S. 301. Näheres über die Herkunft und den Zusammenhang von Schulordnungen bei Hettwer, Herkunft. 271 Vgl. Stichweh, Staat, S. 245f. und neuerdings auch Arndt, Reformatio. 272 Vgl. Seifert, Schulwesen, S. 278. 273 Vgl. Menk, Schule, S. 100.
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kurzer Dauer, weil der Krieg das mit Sorgfalt ausgebaute Bildungswesen wieder zerfallen ließ. In der Wiederaufbauphase wurde zwar weiterhin viel Wert auf die Ausbildung von Staatsdienern gelegt, insgesamt traten jedoch andere Bereiche staatlicher Förderung als der des Bildungssektors in den Vordergrund. Dies war vor allem der Bereich des Militärs. Darüber hinaus hatte die konfessionelle Dynamik, die in Verknüpfung mit dem Prozeß der Territorialisierung den Ausbau des Bildungswesens wesentlich beschleunigt hatte, deutlich nachgelassen. Eine Ausnahme bildeten dabei allerdings die konfessionell gemischten Territorien, wo die Konkurrenzsituation das Denken und Handeln in traditionellen konfessionellen Kategorien weit über die Zeit nach 1648 lebendig erhielt. 2. Die staatlichen Fürsten- und Landesschulen Konfessionalisierung und Territorialisierung waren insbesondere impulsgebend im Bereich des höheren Bildungswesens. So hatte man von herrschaftlicher Seite erkannt, daß der Ausbau und die Neugründung von Universitäten eine Beschleunigung der innerstaatlichen Konsolidierung und der „Verflächungsbemühungen“ der Territorialherren mit sich brachte und eine konfessionelle Vereinheitlichung erleichterte. 275 Der Bedarf an akademisch gebildeten Kräften für den inneren Ausbau der Territorialstaaten veränderte nicht nur die Universitätslandschaft, sondern brachte im protestantischen Bereich auch einen neuen Schultyp hervor. In lutherischen und reformierten Territorien entstanden staatliche, vom Landesherren oder in den Reichsstädten vom Magistrat gegründete und unterhaltene Fürstenoder Landesschulen, die einen alternativen Schultyp zur städtischen Gelehrtenschule bildeten. 276 Aufgrund eines enorm hohen Stiftungsvermögens verfügten diese staatlichen Schulen, anders als landständische Stadtschulen, meist über eine herausragende Ausstattung, der sie eine hohe Schülerstärke und eine besondere überregionale Bedeutung verdankten. Den Anfang machten die Fürstenschulen im albertinischen Sachsen in Meißen, Pforte und Grimma, die vom lutherischen Herzog Moritz im Jahre 1543 gestiftet wurden. 277 Nach diesem Muster wurden zahlreiche ähnliche Anstalten im protestantischen Deutschland – insbesondere in Mittel- und Norddeutschland – gegründet. Für den westdeutschen Raum sind vor allem die pfälzischen Pädagogien und die württembergischen Klosterschulen zu nennen. 278
274
Ebd., S. 100. Vgl. ebd., S. 120. 276 Im protestantischen Gelehrtenschulwesen wird traditionell zwischen städtischen Lateinschulen und Fürsten- bzw. Landesschulen als zwei alternativen Schultypen unterschieden. Vgl. Paulsen, Geschichte, S. 330ff. u. Seifert, Schulwesen, S. 303. 277 Zur Geschichte der sächsischen Fürstenschulen vgl. Roessler, Grimma; Flathe, Afra; Heyer, Pforte u. neuerdings Flöter, Fürstenschulen. 275
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B. Historische Rahmenbedingungen
Hinsichtlich der inneren Struktur und des wissenschaftlich-curricularen Profils gab es zwischen den Landesschulen dabei große Unterschiede. Unter der Bezeichnung Gymnasia Illustra 279 nahmen diese Schulen nach dem Vorbild Straßburgs von 1539 eine Mittelstellung zwischen städtischer Lateinschule und den Landesuniversitäten ein. Sie konnten dabei entweder als Vorschule einer bereits vorhandenen landeseigenen Universität, oder auch als Ersatz oder Vorstufe für eine Universitätsneugründung dienen. An vielen solcher Gymnasien wurden neben dem Klassenunterricht lectiones publicae, also ein öffentlicher Vorlesungsbetrieb durchgeführt. Auch wenn keine solche Vorlesungen angeboten wurden, reichte das Lehrprogramm für die obersten Klassen häufig deutlich über das übliche hinaus. Den Schwerpunkt der Lehre bildete die an römischen Autoren geschulte Beherrschung des Lateinischen, viel Lektüre und Auswendiglernen in Verbindung mit den artes dicendi. Dabei wurden auch Griechisch und Anfänge des Hebräischen gelehrt. Rhetorik und Dialektik bzw. Logik bildeten den Lehrstoff der obersten Klassen, die damit in den philosophischen Stoff der Artistenfakultät hineinreichten. Einen besonderen Platz nahm an den staatlichen Landes- und Fürstenschulen ebenso wie an allen Gymnasien der Katechismusunterricht ein. „Festigkeit im Bekenntnis und in der Gelehrtensprache“ 280 waren auch hier das allgemeine Erziehungsziel. Vor allem in solchen Territorien, die keine eigene Universität besaßen, neigten diese Schulen dazu, einen hochschulähnlichen Charakter anzunehmen. In reformierten Territorien erreichten Landesschulen häufig deshalb einen quasi universitären Status, weil diese aufgrund ihres reichsrechtlichen Status für Universitätsneugründungen vor 1648 keine päpstliche oder kaiserliche Privilegierung erlangen konnten. Eine herausgehobene Stellung nahm im westdeutschen Raum die 1584 unter Johann VI. von Nassau-Dillenburg gegründete Herborner Hohe Schule ein, deren Organisationsstruktur eine weite Verbreitung, darunter in der Grafschaft Bentheim-Steinfurt, in Hanau und Bremen, aber auch im lutherischen Hamburg fand. 281 Auch in wissenschaftstheoretischer Hinsicht waren die Wirkungen der Herborner Anstalt weitreichend. Dies betrifft insbesondere die Verbreitung des Ramismus, einer von dem Hugenotten Petrus Ramus (1515–1572) in Konkurrenz zur aristotelischen Logik entwickelten Erkenntnistheorie. 282 Zu den reformierten Fürstenschulen im mittel- und ostdeutschen Raum blieben die Berührungspunkte 278 Zum württembergischen Gelehrtenschulwesen im 17. Jahrhundert vgl. neuerdings Holtz, Bildung. 279 Zur terminologischen Vielfalt von Gymnasium Illustre vgl. Seifert, Schulwesen, S. 292. 280 Paulsen, Unterricht, S. 465. 281 Für Seifert bedeutet die Tatsache, daß auch im lutherischen Hamburg eine Hohe Schule mit universitärem Charakter entstand, daß es keinesfalls einen besonderen calvinistischen Hochschultyp gegeben habe, wie dies Menk behauptet. Vgl. Seifert, Schulwesen, S. 299. u. Menk, Schule, S. 191f.
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allerdings spärlich. 283 Hier war bereits 1582 im anhaltinischen Zerbst eine Hohe Schule als philippistische Gegengründung zu Wittenberg entstanden. 284 Im ernestinischen Sachsen führte der Erbstreit der beiden Linien von Weimar und Coburg dazu, daß Herzog Johann Casimir 1605 in Coburg eine Hohe Schule oder LandSchule, und gleichsam ein medium oder Mittel zwischen andern gemeinen trivial und hohen Schule oder Academien 285 stiftete. Nicht nur dem Adel, sondern gerade auch bürgerlichen Schichten und Söhnen der sich neu rekrutierenden Beamten- und Pfarrerschaft standen die staatlichen Landesschulen offen. So ermöglichte die Einrichtung von Freistellen und die Vergabe von Stipendien auch begabten Söhnen aus weniger bemittelten Schichten einen Schulbesuch. Gerade die protestantischen Territorialherren verfügten aufgrund der säkularisierten Kirchengüter über ein großes Potential an Stipendiengeldern. In allen diesen Anstalten bot die Tatsache der Neugründung der Territorialherrschaft beträchtliche Einflußmöglichkeiten. So sicherten die Statuten, die zumeist im Auftrag des Stifters erstellt worden waren, dem Landesherrn das nötige Maß an Mitsprache. Als Patron hatte er auch sämtliche Personalentscheidungen zu treffen und über die Aufnahme der Schüler zu entscheiden. Mit Hilfe der Visitationen verfügte der Landesherr über ein staatliches Aufsichtselement und kontrollierte damit die Einhaltung der Lehrverpflichtungen und den Lebenswandel von Lehrern und Schülern. Nicht zuletzt oblag dem Stifter die finanzielle Aufsicht über die Landesschulen. Zumeist leitete ein landesherrlicher Beauftragter Verwaltung und Amtsgeschäfte. Menk ordnet dies in einen allgemeinen Entwicklungstrend ein und stellt heraus, daß das Bestreben der Territorialherrschaft nach enger Anbindung und strenger Beaufsichtigung des Bildungswesens eine Besonderheit der Entwicklung im Reich gewesen wäre. Anders als in ständisch organisierten Staatswesen sei in den deutschen Territorialstaaten das höhere Bildungswesen immer stärker unter eine staatliche Kontrolle geraten. 286
282 Näheres über die Herborner Hohe Schule und deren Wirkungsgeschichte bei Menk, Schule, S. 174ff. Zu den westdeutschen reformierten Hohen Schulen vgl. Pixberg, Calvinismus. Eine sehr gute Zusammenfassung zum Ramismus und zur ramistischen Pädagogik findet sich ebenfalls bei Menk, Schule, S. 203–230. Vgl. auch Seifert, Schulwesen, S. 337f. 283 Daß die Anhaltiner und Brandenburger bis in die Jahrhundertmitte in Distanz zu den westdeutschen Hohen Schulen und dem Ramismus verblieben, erklärt Menk damit, daß sich der mitteldeutsche Calvinismus stärker aus dem Melanchtonianismus heraus entwickelte. Vgl. ders., Schule, S. 288f. 284 Vgl. Castan, Hochschulwesen. 285 Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 1, S. 4. 286 Vgl. Menk, Schule, S. 123.
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3. Bildungsreformbestrebungen und Gelehrtenschulwesen Neben den geschilderten Institutionalisierungsprozessen war das höhere Bildungswesen der Frühen Neuzeit auch von pädagogisch-konzeptionellen Entwicklungen geprägt, die sich unter dem Begriff der „realistischen Bewegung“ subsumieren lassen. 287 Mit der Entfaltung der Naturwissenschaft und der damit verbundenen „Wissensexplosion“ sah sich das Gelehrtenschulwesen neuen Anforderungen gegenübergestellt. Zugleich stellte das gestiegene Bedürfnis des wirtschaftenden Bürgertums nach „realistischen“ Bildungsinhalten die ausschließlich altsprachlich-humanistische Ausrichtung der höheren Bildungseinrichtungen in Frage. Der pädagogische Realismus des 17. Jahrhunderts durchbrach erstmals die Vorherrschaft des Wortunterrichts durch die immer entschiedenere Forderung nach Sachunterricht. Dies sollte zum einen durch die Erweiterung der Stundentafel mit neuen Fächern wie Geschichte und Politik, Geographie, angewandte Mathematik bis hin zu Statik und Mechanik geschehen. Zum anderen hatte das neue realistische Sprachverständnis Rückwirkungen auf die Vorstellungen über den Spracherwerb, bei dem nun verstärkt von der deutschen Muttersprache ausgegangen wurde, sowie auf den Poetik- und Rhetorikunterricht der höheren Klassen, in den erstmals auch deutsche Sprachübungen eindrangen. Eng verbunden mit den Diskussionen um das Verhältnis zwischen Latein und der Muttersprache war die Art und Weise der Sprachvermittlung. Ein genereller Trend vom Auditiven zum Visuellen läßt sich anhand der Gestaltung der Sprachlehrbücher und Grammatiken konstatieren, in denen erstmals Tabellen und Abbildungen Anwendung fanden. 288 Die Bildungsreformer, bei denen es sich ausschließlich um Protestanten handelte, verbanden ihre Reformvorschläge häufig mit allgemeinen Vorstellungen einer Gesellschaftsreform. Zu nennen sind hier vor allem Wolfgang Ratke oder Ratichius (1571–1635) und Johann Amos Komenski oder Comenius (1592–1670). Wie die neuere Forschung gezeigt hat, sah der Lutheraner Ratke die Verbesserung des
287 Der „pädagogische Realismus“ des 17. Jahrhunderts ist nach einer langen Zeit der Vernachlässigung gegenüber der Reformationszeit und dem Humanismus des 16. Jahrhunderts auf der einen, und der späteren Aufklärungsepoche auf der anderen Seite, erst in jüngerer Zeit wieder stärker in den Blickwinkel der pädagogischen Forschung gerückt. Ausgangspunkte bilden dabei ältere Arbeiten, wie die von Dolch zur Lehrplangeschichte und die umfangreiche Comeniusforschung. Die bereits von Schaller geforderte Gesamtdarstellung der Pädagogik des 17. Jahrhunderts ist weiterhin ein ungeschriebenes Kapitel der historischen Pädagogik (vgl. Schaller, Comenius, S. 356). Der erste Band des Handbuches der deutschen Bildungsgeschichte berücksichtigt vor allem die Zeit zwischen der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg, während die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und die Verbindungen zur Frühaufklärung weitgehend unberücksichtigt bleiben. 288 Um die Anschauung zu ermöglichen wurden außerdem Naturaliensammlungen propagiert. Vgl. Schaller, Comenius, S. 428. Zum Problem des Bildes vgl. ebd., S. 430–454. Einen Überblick über die lernpsychologischen Debatten in Deutschland und England im frühen 17. Jahrhundert gibt Walmsley, Kind.
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Schulwesens als ein wichtiges Instrument in den zeitgenössischen konfessionellen Auseinandersetzungen an. 289 Er entwarf mit seiner deutschen Enzyklopädie oder „Allunterweisung“ eine neue Erziehungslehre, die auch eine Theorie der Didaktik umfaßte. Dabei wandte sich Ratke entschieden gegen das Auswendiglernen und betonte vielmehr das Verstehen der Lehrinhalte. Die alten Sprachen wollte Ratke keineswegs abschaffen, er bestand jedoch auf den Vorrang des Deutschen als Unterrichtsmedium. Der Wissenszuwachs sollte durch die konsequente Aufnahme der neuen Inhalte in ein Gesamtsystem bewältigt werden, was letztlich auf einen „Barockuniversalismus“ hinauslief. 290 Allerdings begegneten die Lutheraner den grundlegenden Methoden und Zielen Ratkes mit Vorbehalt. Dies führte dazu, daß er im Widerspruch zu seinen eigenen Prinzipien letztlich nach Anhalt-Köthen in den Dienst eines reformierten Fürsten gelangte. 291 Der Einfluß Ratkes auf die pädagogische Praxis im lutherischen Sachsen läßt sich am Beispiel des Schulrektors Sigismund Evenius (1585/89–1639) aufzeigen, der seit 1618 in Halle wirkte und in der dortigen Lateinschule bereits im folgenden Jahr, bevor dies Ratke selbst in Köthen gelang, den deutschen Unterricht in Realien einführte. 292 Die für damalige Verhältnisse vorbildlich einrichtete Hallesche Schule wurde in späterer Zeit auch von einigen Berlinischen Lehrern besucht. 293 Der aus Mähren stammende Comenius hatte an den reformierten Universitäten von Herborn und Heidelberg studiert. Auch Comenius’ Bildungslehre war vom enzyklopädischen Denken, vermittelt durch den Herborner Calvinisten Johann Alstedt (1588–1638), beeinflußt. 294 Seine Pansophia sollte eine Konkordanz des anthropologisch-moralischen und naturwissenschaftlichen Wissensbestandes bieten. 295 In der Didactica Magna, die in tschechischer Fassung in den Jahren 1627 bis 1632 entstand, entwickelte Comenius die Konzeption einer eruditio realis, wonach der Mensch durch die Betrachtung der natürlichen Welt auch in der Erkenntnis seiner selbst befördert werde. 296 Seine Pädagogik war dabei ganz der Schöpfungsordnung angepaßt: „Sie garantiert in seinen Augen die Ordnung des 289 Zu Ratkes konfessioneller Positionierung als Lutheraner vgl. Hotson, Ratke u. Kordes, Ratke, S. 152ff. 290 Zum Barock-Universalismus als Lehrplanidee vgl. Dolch, Lehrplan, S. 266ff. 291 Vgl. Hotson, Ratke, S. 34. 292 Vgl. Michel, Welt, S. 95ff. Zu Evenius zuletzt: Bremer, Evenius. 293 Dazu zählten die späteren Rektoren Gottfried Weber und Conrad Tiburtius Rango. Vgl. unten Abschnitt D. I. 1. 294 Grundlegend zu Comenius und seiner Pädagogik: Schaller, Comenius. Schaller differenziert dabei zwischen der Pädagogik des Comenius und der durch ihn beförderten „realistischen Bewegung“, die Comenius „verkehrt“ in Anspruch genommen habe. Kritisch äußert sich dazu Hestermeyer, Paedagogia, S. 249ff. 295 Näheres zur Pansophia des Comenius als großangelegte Kosmogonie, Anthropologie und Bildungslehre bei Schaller, Comenius, S. 16–62. Vgl. auch Kühlmann, Konzeptionen, S. 170.
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Erkennens und gibt dem Handeln Maß“ 297. Der cartesianischen Monopolisierung der Rationalität stand er dagegen skeptisch gegenüber. Neben seinen pansophischen und didaktisch-methodischen Abhandlungen ist Comenius vor allem durch seine Sprachlehrbücher berühmt geworden, die am Anfang der modernen Schulbuchentwicklung stehen und in denen er sich neuer methodischer Mittel wie der Dialogform, dem Sprachparallelismus und dem Anschauungsbild bediente. Ausgangspunkt des Spracherwerbs war dabei die Muttersprache. Eine besondere Verbreitung, sowohl im privaten Bereich, als auch an den Lateinschulen, fanden seine Janua Linguarum reservata (1631), sein Vestibulum (1633) und vor allem sein Orbis sensualium Pictus (1658), in welchem Comenius als breviarium totius mundi einen kurzen „Inbegriff der ganzen Welt und der ganzen Sprache“ geben wollte. 298 Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden die Comenianischen Lehrbücher von mehreren Vertretern des pädagogischen Realismus neu bearbeitet. Dazu zählte auch Andreas Reyher (1601–1673), der im Jahre 1643 die Janua für das Gothaer Gymnasium neu herausgab. 299 Diese Gelehrtenschule war beim Regierungsantritt Herzog Ernst des Frommen (1601–1675) zum Gymnasium Illustre und in den Rang einer Landesschule erhoben worden. 300 Ein wichtiger Berater des Herzogs war der oben erwähnte Ratke-Anhänger Evenius, auf dessen Veranlassung hin Reyher als Rektor an das Gothaer Gymnasium berufen worden war. In die Bildungsgeschichte ging Reyher vor allem mit seinem Schulmethodus – in der Erstauflage von 1642 Spezial- und sonderbahren Bericht genannt – für das Elementarschulwesen ein, der den Kern der Ernestinischen Schulgesetzgebung bildete. 301
296 Näheres zu seiner Didaktik, die ihn „zur pädagogischen Autorität in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“ (Ballauf /Schaller, Pädagogik, S. 165) machte, bei Schaller, Comenius, S. 278ff. u. Semel, Realienlehrprogramme, S. 37–44. 297 Helmer, Wandel, S. 81. 298 Zur geographischen Verbreitung der Lehrbücher vgl. Schaller, Comenius, S. 374. Der Orbis pictus wurde allein im 17. Jahrhundert fünfundfünfzig mal und im 18. Jahrhundert neunzig (!) mal in verschiedenen Ländern Europas aufgelegt. Vgl. Michel, Orbis, S. 236. 299 Näheres zur Bearbeitung der Janua durch Reyher bei Schaller, Comenius, S. 414–419. Anhand der Art und Weise, wie Reyher die einzelnen Kapitel des Buches umordnete, identifiziert Schaller einen Prozeß der „Säkularisation“ und Rationalisierung, den das Comenianische Lehrbuch durchlaufen habe. Die Schöpfung steht beispielsweise nicht mehr am Anfang des Lehrbuches, sondern wird von Reyher der Astronomie zugeordnet. Für Schaller drückt sich darin ein neues, anthropozentrisches Verhältnis aus, in dem der Mensch den Dingen gegenübertritt. Die Sachen werden aus dem Bezug zu Gott herausgenommen und damit nicht mehr durch ein metaphysisches Verhältnis bestimmt. 300 Zur Ernestinischen Bildungsreform in Sachsen-Gotha vgl. vor allem Fertig, Obrigkeit. Zur Reichweite der Ernestinischen Kirchen- und Bildungsreformen im ländlichen Raum vgl. Albrecht-Birkner, Reformation. 301 Vgl. dazu zuletzt Albrecht-Birkner, Reformation, S. 424–445.
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Jedoch sollte auch das Gelehrtenschulwesen Gegenstand der von Herzog Ernst beförderten „Reformation des Lebens“ sein. 302 Unter Aufnahme ratichianisch-comenianischer Forderungen erhielten am Gothaer Gymnasium die Realien einen festen Platz im Lehrplan. Im Rahmen des philosophischen Unterrichts wurden in der obersten Klasse, die als besondere Selecta ausgegliedert worden war, nicht nur Logik, Rhetorik und Metaphysik, sondern auch die diciplinis realibus Mathematik und Physik, sowie praktische Philosophie, Astronomie und Geschichte unterrichtet. Außerdem erlangte die Muttersprache einen wichtigeren Stellenwert. Wie die Benutzung der Janua zeigt, wurde in den unteren Klassen die lateinische Grammatik auf deutsch erklärt. In den Jahren 1656/1662 wurden zwei besondere deutsche Klassen für Schüler, die einen praktischen Beruf ergreifen wollten, eingerichtet. 303 Auch wenn sich dieser „Realschulzweig“, welcher der älteste seiner Art in Deutschland war, am Gothaer Gymnasium nicht lange hielt, haben viele Ideen von Comenius und Ratke hier ihre Verwirklichung gefunden. 304 Der Fall Sachsen-Gotha macht dabei in besonderer Weise deutlich, wie entscheidend der jeweilige territoriale Rahmen für den Erfolg von Bildungsreformbestrebungen war. Nur der besondere staatliche Rückhalt, den Reyher bei seinem Landesherrn fand, hatte die Umsetzung der Reformpläne möglich gemacht. Die Bedeutung des ernestinischen Sachsen für die realistische Bewegung zeigt auch das Beispiel Erhard Weigels, der oben bereits im Zusammenhang der mitteldeutschen Frühaufklärung Erwähnung fand. 305 Neben seiner universitären Lehrtätigkeit war Weigel als Bildungsreformer aktiv. In seiner Jenaer Kunst- und Tugendschule führte der „Basedowianer vor Basedow“ 306 seit 1690 öffentliche Schulversuche durch, in denen die Anschaulichkeit des Unterrichts und eine kindgemäße Didaktik im Vordergrund standen. Grundlage dafür bildete die von ihm ebenfalls auf pansophischem Hintergrund entwickelte Pädagogik, in welcher neben der Verstandesbildung die Erziehung des menschlichen Willens einen besonderen Stellenwert einnahm. 307 Weigels Konzept einer allgemeinen Schul-
302
Zum Folgenden vgl. Brügel, Bildungsbestrebungen, S. 52–67 u. Holtz, Bildung, S. 311–313. 303 Das Pensum an Mathematik sollte hier die beachtliche Anzahl von 8 Stunden betragen. Vgl. Holtz, Bildung, S. 312. 304 Während Brügel als Grund für das Scheitern der Realschulklassen Lehrermangel angibt, macht Fertig die mangelnde Nachfrage von Seiten des Bürgertums dafür verantwortlich. Vgl. Brügel, Bildungsbestrebungen, S. 62 u. Fertig, Obrigkeit, S. 69f. 305 Vgl. Abschnitt B. III. 1. Zu Weigels schulpädagogisches Wirken vgl. Schlee, Weigel u. neuerdings Friedrich, Perspektiven. 306 Paulsen, Unterricht, Bd. 1, S. 582. Johann Bernhard Basedow (1723–1790) war der Begründer des Philanthropinismus, der bedeutendsten Strömung innerhalb der Aufklärungspädagogik. 307 Grundlegend dazu Hestermeyer, der in Weigels Werk „Möglichkeiten des Übergangs zum Aufklärungsdenken“ konstatiert. „Feine Übergänge zur Aufklärung hin“ lägen
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bildung umfaßte dabei auch die Realien und die Muttersprache, denen er als vollwertige Unterrichtsgegenstände einen eigenen Rang im Curriculum einräumte. Entprechend seiner Lehre von der Mathesis universalis (1669), wonach alle Wissenschaften vom mathematischen Sein des Ganzen her mit mathematischen Methoden zu betreiben seien, stand der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht im Mittelpunkt von Weigels Bildungsplan. Die Menschenbildung sollte bei ihm vor allem durch die Disziplinen des Quadriviums erreicht werden: In den oberen Klassen bildeten die Fächer Arithmetik (Zahl- und Rechenkunst), Geometrie (Meß- und Richtekunst), Astronomie (Erd- und Himmelskunst) und die Musik (Kling- und Harmoniekunst) den Kern des Curriculums. 308 Mit seiner Idee einer universalen Wissenschaft in Gestalt der Mathematik und seiner daraus abgeleiteten pädagogischen Prämisse einer speziellen Wirkung des mathematischen Unterrichts geriet Weigel automatisch in Gegensatz zur scholastischen Wortgelehrsamkeit, die sich vor allem auf das Trivium gründete. Als sich Weigel im Jahre 1681 an der damals in Kursachsen geführen Reformdiskussion über die drei dortigen Landesschulen beteiligte, wurde seinem Vorschlag, den traditionellen altsprachlich-rhetorischen Unterricht stärker an der Mathematik zu orientieren, eine eindeutige Absage erteilt. Auch an den Gymnasien der ernestinischen Fürstentümer fanden Weigels weitreichende Reformvorstellungen keine konkrete Umsetzung. Vielmehr hielt man hier am Schulmethodus Ernst des Frommen fest, der ja den Realien bereits einen größeren Stellenwert einräumte. 309 Verbreitung fand das Weigelsche Bildungskonzept vor allem durch einen umfangreichen Schülerkreis. 310 Zu seinen Schülern zählten nicht nur Philosophen wie Leibniz, Pufendorf und Thomasius, sondern auch Pädagogen wie Christoph Semler (1669–1740), dessen Realschulgedanke wiederum stark auf August Hermann Francke wirkte. Auch spätere Berliner Gelehrtenschullehrer wurden, wie unten näher dargestellt werden soll, von Weigels Pädagogik geprägt. Die von der realistischen Pädagogik vorgenommene Aufwertung der Muttersprache ging mit der deutschen Sprachbewegung des 17. Jahrhunderts einher. Dabei spielte das Ideal des homo politicus, der über ein umfangreiches sprachliches Repertoire verfügen muß, eine besondere Rolle. Als „epochemachender Versuch, Altes und Neues in sinnvollen Synthesen zu verbinden“ 311 wird der Unterricht am Zittauer Gymnasium angesehen, wie ihn dort Christian Weise (1642–1708) auch in Weigels Auffassung und Lehre von der Sprache, die bei Weigel neben der Mathematik ebenfalls eine Rolle spielte. Vgl. Hestermeyer, Paeagogia, S. 264 u. 261. Auch für Schlee war die Pädagogik Weigels „ein Charakteristikum der Frühaufklärung“ (dies., Pädagogik). Zur Weigelschen Pädagogik mit dem Schwerpunkt der Willenserziehung: Schaller, Comenius, S. 455–471 u. Ballauf /Schaller, Pädagogik, S. 252–262. 308 Vgl. Friedrich, Perspektiven, S. 56. 309 Vgl. Holtz, Bildung, S. 313 u. 318. 310 Zum süddeutschen Schülerkreis vgl. Schlee, Weigel, S. 102–130. 311 Grimm, Muttersprache, S. 314.
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in den Jahren seit 1678 praktizierte. 312 Weises Konzept einer „politischen Rhetorik“ nahm die rhetorische Bildungsidee des Humanismus auf und verband sie mit den Anforderungen des politischen Lebens zu einem ganzheitlichen Lebensund Bildungsideal. 313 Dieses Bildungskonzept fand auch beim Adel einen überdurchschnittlichen Zuspruch. 314 Bestandteile der oratorischen Ausbildung waren nicht nur Stiltheorie und Poesieunterricht, sondern auch die Einführung in das Briefeschreiben und die Zeitungslektüre. Alt- und muttersprachlicher Rhetorikund Poesieunterricht liefen dabei nebeneinander her, wobei die deutsche Oratorie immer noch außerhalb des normalen Curriculums in extraordinären Stunden gegeben wurde. 315 Das Schultheater, das neben dem rhetorischen Schulactus den wichtigsten Bestandteil im schulischen eloquentia-Betrieb bildete, war bei Weise allerdings ausschließlich muttersprachlich angelegt. Weise beschränkte sich nicht auf die Reproduktion antiker Stücke von Terenz und Plautus, sondern verfaßte eine Vielzahl neuer deutschsprachiger Stücke. Seine Dichtung ist exemplarisch für den Zusammenhang von Schulrhetorik und barockem deutschen Kunstdrama, wie es sich am Ende des 17. Jahrhunderts herausbildete. 316 Neben dem rhetorischen Bildungsziel waren nicht zuletzt repräsentative Zwecke für die weite Verbreitung des barocken Schultheaters verantwortlich, das erst im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts durch die Kritik von Seiten des Pietismus und einer utilitaristischen Aufklärungspädagogik sowie durch das parallele Aufkommen eines gebildeten Schauspielerstandes an Bedeutung verlor. 317 An den Schulen und Universitäten Brandenburg-Preußens wurden im Jahre 1718 Schauspiele grundsätzlich verboten. Auch einer der schärfsten Gegner von Weises Schultheater und dessen politisch-galanten Bildungskonzeptes, der pietistische Rektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Joachim Lange, kam aus Brandenburg. 318 Als einflußreicher Weise-Schüler ist vor allem auf den späteren Rektor des Hambur-
312 Näheres zu Weise, der von der historischen Pädagogik lange Zeit vernachlässigt wurde, bei Horn, Weise. In jüngerer Zeit fand Christian Weise vor allem durch die germanistische Forschung eine besondere Würdigung. Von grundlegender Bedeutung ist dabei die Arbeit von Barner zur Barockrhetorik. 313 Weises Rhetoriktheorie fand vor allem in der Schrift „Der politische Redner“ aus dem Jahre 1677 ihren Niederschlag. Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 167ff. u. 190ff. 314 Der Adelsanteil lag im Jahre 1682 am Zittauer Gymnasium bei beachtlichen zwanzig Prozent. Vgl. Horn, Weise, S. 165. 315 Zum Verhältnis von Deutsch- und Lateinunterricht bei Weise vgl. ebd., S. 101ff. 316 Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 310ff. In den Jahren zwischen 1679 und 1705 verfaßte Weise 54 Theaterstücke. Zentrales Motiv vieler seiner Komödien ist der „komische Gegensatz zwischen den Gebildeten und Weltgewandten und den Ungebildeten und Bornierten“ (Brauneck, Welt‚ S. 412). Kaiser will in Weises Stücken ein Medium bürgerlicher Kritik gegen den höfischen Absolutismus erkennen. Vgl. Kaiser, Mitternacht, S. 170ff. 317 Zur generellen pietistischen Kritik am Schultheater vgl. Hövel, Kampf; Martens, Officina u. Thomke, Kritik. 318 Vgl. Horn, Weise, S. 182f. Näheres zu Lange vgl. unten, Abschnitt D. I. 4.
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ger Johanneums, Johann Hübner (1668–1731), zu verweisen, der sich vor allem als Schulbuchautor einen Namen machte. Seine muttersprachlich angelegten Lehrbücher, die hauptsächlich den neuen realistischen Disziplinen gewidmet waren, gingen in einer besonderen Fragemethode vor, welche die Memorierfähigkeit der Schüler befördern sollte. 319 4. Das Gelehrtenschulwesen in Brandenburg-Preußen Die eben geschilderten allgemeinen Institutionalisierungprozesse und pädagogischen Entwicklungstendenzen fanden auch im brandenburgischen Bildungswesen ihren Niederschlag. Obgleich Kurbrandenburg im Vergleich zu Territorien wie Sachsen ein „schulisch schwach entwickeltes Land“ 320 war, setzten hier Reformation und Konfessionalisierung ein großes organisatorisches Potential frei. Unter dem landesherrlichen Kirchen- und Schulregiment Joachims II. wurde im Rahmen von Visitationen seit 1540 das ländliche und städtische Schulwesen neu geordnet sowie die Frankfurter Landesuniversität behutsam zu einer lutherischen Einrichtung umgeformt. Eine neue Phase, sowohl in der Kirchen- als auch in der Schulpolitik, setzte unter dem Kurfürsten Johann Georg ein. Die im Jahre 1574 von ihm verabschiedete Visitationsordnung zielte nicht nur auf die Gemeindedisziplin ab, sondern enthielt auch genaue Vorschriften zur Organisation des Schulwesens und war insbesondere für das höhere Schulwesen folgenreich. So wurde im Zusammenhang der Visitationen von 1574 in der Berliner Residenz das Gymnasium zum Grauen Kloster als Landesschule neu begründet, das vor allem auf das Studium an der Frankfurter Landesuniversität dienen sollte. Höhere Lateinschulen, die zur Universität hinführten, hatte es in der Kurmark bis zu diesem Zeitpunkt abgesehen vom Alt-Berliner Stadtteil Cölln, nur in Spandau, Prenzlau, Neu-Ruppin, Stendal und Frankfurt a. O. gegeben. Am Ende des 16. Jahrhunderts kam noch die Saldernsche Schule in der Brandenburger Altstadt hinzu. 321 Obwohl der Kurfürst die Gründung des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster unterstützte und der Einrichtung der Schule in dem ehemaligen Franziskanerkloster zustimmte, blieb deren Patronat jedoch städtisch und der Unterhalt der Schule ganz dem Berliner Rat vorbehalten. Eine rein landesherrliche Stif-
319 Dazu zählen die Kurtzen Fragen aus der Oratoria und die Kurtzen Fragen aus der Politischen Historia. Das am weitesten verbreitete Lehrbuch waren die Kurtzen Fragen aus der alten und neuen Geographie, das noch vor Hübners Tod 36 Auflagen erlebte und seine Biblischen Historien, die erstmals 1714 erschienen. Mit diesem Lehrbuch, welches ebenfalls in Frageform angelegt und außerdem reich bebildert war, wurde in kindgemäßer Weise in die biblischen Geschichten eingeführt. Näheres zur Werk- und Wirkungsgeschichte der Biblischen Historien bei Reents, Bibel. 320 Seifert, Schulwesen, S. 309. 321 Vgl. Paulsen, Geschichte Bd. 1, S. 320. Vgl. auch die Übersicht zur Geschichte sämtlicher höherer Schulen Brandenburg-Preußens bei Wiese, Schulwesen.
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tung wurde erst ein Gymnasium, das Kurfürst Joachim Friedrich im Jahre 1607 in Joachimsthal bei Berlin gründete. Bei diesem Joachimsthalschen Gymnasium handelte es sich um eine Fürstenschule im typischen Sinne: Es stand ausschließlich unter landesherrlicher Kontrolle. Dies sollte der Grund dafür sein, daß dieses Gymnasium in der Folgezeit auf besondere Weise in die Konfessionspolitik der brandenburgischen Kurfürsten einbezogen werden konnte. Mit dem Joachimsthalschen Gymnasium hatte die Gründungswelle höherer Schulen in Brandenburg ihren vorläufigen Abschluß gefunden. In den folgenden Jahrzehnten brachte der Dreißigjährige Krieg zwangsläufig große Einbrüche mit sich, von denen sich das Schulwesen nur langsam erholte. Die bildungspolitischen Bemühungen des Großen Kurfürsten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts betrafen vor allem den Bereich des höheren Schulwesens und beschränkten sich dabei fast ausschließlich auf reformierte Bildungseinrichtungen. Der Bereich des lokalen Schulwesens blieb dagegen trotz des landesherrlichen Schulregiments fast ganz den Landständen überlassen. Daß es sich hierbei um eine Tendenz handelt, die auch das gesamte 18. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen kennzeichnet, konnte Neugebauer in einer umfassenden Untersuchung über die Schulwirklichkeit in Brandenburg nachweisen. 322 Danach war das lokale Schulwesen, anders als bisher angenommen, in der Zeit der absolutistischen Herrschaft in den Prozeß der modernisierenden Staatsbildung nicht einbezogen gewesen. Zwischen dem absolutistischen Herrschaftsanspruch und dessen realer Durchsetzung bestand vielmehr eine Diskrepanz. Erst im 19. Jahrhundert habe der „Griff des Staates über die Schulen ‚nach den Köpfen‘ der Landesbewohner“ 323 eingesetzt. Für die Zeit des Großen Kurfürsten ist nur ein Versuch von landesherrlicher Seite bekannt, das märkische Schulwesen in seiner Gesamtheit zu reformieren. Der lutherische Theologe Johann Raue (1610–1679), ein Mitarbeiter des Comenius und Anhänger dessen reformerischer Pädagogik, wurde im Jahre 1654 vom Kurfürsten zum General-Inspecoren aller Schulen Unsern CurMarck 324 ernannt. 325 Dies ging auf eine Anregung von Raue selbst zurück, der, nachdem seine Reformpläne in Sachsen nicht die erhoffte Resonanz gefunden hatten, dem Brandenburgischen Kurfürsten eine Denkschrift mit seinen Reformvorschlägen zugesandt hatte. 326 Nach Raues Plan sollte eine eigene, vom Konsistorium separate Schulaufsichtsbehörde für die Mark Brandenburg geschaffen werden. Ziel dieser Einrichtung sollte es sein, an sämtlichen Schulen Modum et Ordinem Stu322
Neugebauer, Staat. Ebd., S. 631. 324 Kurfürstliches Rescript vom 26. Juli 1654. GStA PK, Rep. 60, 1, 5. 325 Grundlegend zu Raue immer noch: Ziel, Schulverbesserung. 326 Auch die Kollegien der drei sächsischen Landesschulen hatten sich geschlossen gegen Raues Vorschläge eines modernen Realienunterrichts ausgesprochen. Vgl. Holtz, Bildung, S. 317. 323
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diorum, und zwar ausschließlich bezogen auf die Methode und Disziplin, durch regelmäßige Schulvisitationen und die Zensur von Schulbüchern, zu kontrollieren und zu vereinheitlichen. Unterrichtsinhalte und Religionssachen sollten davon jedoch unberührt sein, sondern vielmehr jedweder Teil in seinem gewissen und öffentlichen Bekenntnis frei und ungedrängt bleiben 327. Was den Unterricht selbst betraf, forderte Raue in der Tradition von Comenius mehr Anschaulichkeit und eine stärkere Berücksichtigung der Realien. 328 Dieser ambitionierte Reformplan blieb jedoch nur ein Projekt, was in der Literatur vor allem auf den Widerstand der brandenburgischen Stände zurückgeführt wird, die für das Vorhaben kein Geld bewilligten. 329 Auch von Seiten einflußreicher lutherischer Theologen, wie des Generalsuperintendenten von Pommern Christian Große, wurden Raues Pläne abgelehnt. Bekannt ist auch, daß der damalige Rektor des Berlinischen Gymnasiums, Johannes Heinzelmann, Raues Reformbemühungen kritisch gegenüberstand. 330 Dies erscheint deshalb schlüssig, weil eine übergeordnete staatliche Schulbehörde den landesherrlichen Zugriff enorm verstärkt und die bisherige Handlungsfreiheit der etablierten Schuldirektoren deutlich eingeschränkt hätte. Eine nicht unbedeutende Rolle mag jedoch auch gespielt haben, daß Raue von der lutherischen Orthodoxie des Synkretismus verdächtigt wurde. 331 Im Bereich des reformierten höheren Schulwesens waren die Initiativen des Kurfürsten dagegen erfolgreich. Es entstanden zahlreiche neue Einrichtungen in den brandenburgischen und außerbrandenburgischen Gebieten. In sämtlichen unter seiner Autorität gegründeten Schulen nahm Friedrich Wilhelm das Vokationsrecht für sich in Anspruch. 332 Daß dem Kurfürsten hier die Durchsetzung seines landesherrlichen Herrschaftsanspruchs gelang, kann man darauf zurückzuführen, daß er sich bei der Einrichtung dieser Schulen vorrangig seiner eigenen Finanzmittel bediente und sich der Unterstützung durch die reformierten Gemeinden sicher sein konnte. Insofern, als sich Friedrich Wilhelm in seinen Bildungsinitiativen auf den ihm eng verbundenen reformierten Bereich bzw. seine
327 Raue an den Kurfürsten. 21. Januar 1654. Zit. nach Heubaum, Geschichte, S. 55. Vgl. auch GStA PK, Rep. 60, 1, 5. 328 Vgl. Semel, Realienlehrprogramme, S. 57–63. Vgl. außerdem Ziel, Schulverbesserung. 329 Vgl. Neugebauer, Staat, S. 79. 330 Heinzelmann habe sich Raues Neuerungen „in Schul-Sachen . . . mit allem Ernst wiedersetzet“ (Diterich, Schulhistorie, S. 179). Vgl. auch Heubaum, Geschichte, S. 56. 331 Bereits Beckmann berichtet, daß Raue bei seinen Glaubensgenossen . . . wegen des syncretismi nicht eben zum besten angeschrieben war (ders., Nachrichten, Bl. 344). Hinter der Abwehr durch die lutherische Orthodoxie mag jedoch auch ein grundsätzlicher ideeller Gegensatz gesteckt haben. Schließlich ging Raues didaktisch-pädagogischer Ansatz über Comenius auch auf die reformierte Hohe Schule von Herborn zurück. Zu Comenius und Herborn vgl. Menk, Herborn, S. 290f. u. ders, Kalvinismus, S. 77ff. 332 Vgl. Heubaum, Geschichte, S. 63.
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Patronatsrechte beschränkte, spiegelt sich hier die allgemeine gesellschaftliche Situation Brandenburgs wider, die seit dem Landtag von 1653 von einer Interessensabgrenzung zwischen Landesherrn und Ständen gekennzeichnet war. Die ersten reformierten Bildungseinrichtungen wurden in den westlichen Territorien gegründet. In den Jahren 1650 bis 1655 entstanden in Hamm (Mark) ein Akademisches Gymnasium und in Duisburg (Kleve) eine Universität, deren Professoren dem reformierten Bekenntnis angehören mußten. 333 Nach Art der reformierten Hohen Schulen war auch das Akademische Gymnasium in Hamm mit Ansätzen zu Fakultäten ausgestattet. Obwohl diese Schule nur zu einer kurzen Blüte gelangte und die Duisburger Universität nicht über eine theologische Bildungsstätte reformierter Geistlicher hinauswuchs, waren beide Einrichtungen für die Stärkung des reformierten Elements im Westen des Landes von großer Bedeutung. 334 In der Funktion als akademische „Calvinisierungsanstalten“ 335 übernahmen sie einen Teil der Aufgaben, die vorher die Frankfurter Universität und die Joachimsthalsche Landesschule allein zu leisten hatten. Ebenfalls in den fünfziger Jahren erfolgte die Wiedereinrichtung des Joachimsthalschen Gymnasiums in der Residenzstadt Berlin-Cölln. Gegen den Widerstand der Stände setzte Kurfürst Friedrich Wilhelm das reformierte Profil der Schule weiterhin durch und erhielt sie damit als spezifische Standesschule des Reformiertentums. In den achtziger Jahren entstanden auf landesherrliche Initiative im Zusammenhang des Residenzausbaus zwei weitere höhere Schulen in Berlin: Ein lutherisch-reformiertes Simultaneum im neuen Stadtteil Friedrichs-Werder (1681) und das französisch-reformierte Collège François die Hugenottengemeinde (1689). Obwohl letzteres erst unter Friedrich I. eingerichtet wurde, geht der Plan für seine Einrichtung noch auf den Großen Kurfürsten zurück. 336 Somit gab es am Ende des 17. Jahrhunderts in der Berliner Hauptresidenz zwei reformierte sowie eine gemischtkonfessionelle Gelehrtenschule, denen zwei Schulen lutherischer Konfession – das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster und das Cöllnische Gymnasium – gegenüberstanden. Gemessen am Anteil der Reformierten an der Gesamtbevölkerung war die Zahl reformierter Bildungseinrichtungen damit überproportional hoch. Reformierte höhere Schulen entstanden in der Folgezeit auch außerhalb der Berliner Residenz in Landsberg und Prenzlau, renommierte Friedrichs-Schulen in Frankfurt a. O. (1694), Küstrin (1712) und Magdeburg (1708). 337 Auch in 333 An der Duisburger Universität bestand die konfessionelle Bindung jedoch wie in Königsberg und Frankfurt a. O. nur für die Professoren der theologischen Fakultät. Vgl. Lackner, Kirchenpolitik, S. 269. 334 Vgl. Heubaum, Geschichte, S. 58 u. Paulsen, Geschichte, S. 532. 335 Mühlpfordt, Oder-Universität, S. 53, Fußnote 32. 336 Vgl. Schulze, Bericht, S. 1. 337 Vgl. Wiese, Schulwesen u. Neugebauer, Staat, S. 228.
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Halle wurde neben den Franckeschen Schulen eine reformierte Gelehrtenschule gegründet, welche auf Bitten der örtlichen reformierten Gemeinde 1709 zum Königlichen Gymnasium illustre erhoben wurde. Ein zentrales Motiv dieser Schulgründung sollte darin bestehen, den Anteil reformierter Theologiestudenten an der Hallenser Universität zu erhöhen. 338 Insofern setzte sich die gezielte Förderung reformierter Schulen als „Element praktischer Konfessionspolitik“ 339 unter dem ersten preußischen König fort. Darüber darf jedoch keineswegs der Anteil der reformierten Gemeinden selbst bei der Entstehung dieser Schulen vernachlässigt werden. 340 Dies gilt gerade auch für die Einrichtungen in Hamm und Duisburg, deren Gründung ohne die Initiative der klevischen Stände bzw. des reformierten Presbyteriums der Stadt Hamm nicht zustandegekommen wäre. 341 Auch die Gründung der Magdeburger und der Frankfurter Friedrichs-Schule geht auf eine Anregung der dortigen reformierten Gemeinden zurück. Hier gilt es also, das Ausmaß landesherrlichen Einflusses zu relativieren. In welch hohem Maße einzelne Personen Entwicklungen im Bildungswesen bestimmen konnten, zeigt das Beispiel der Franckeschen Schulgründungen. Zwei höhere Schulen gehörten zu diesem Schulsystem. 342 Seit 1695 wuchs als Anstalt zu Erziehung Herren-Standes, Adelicher und anderer fürnehmer Leute Söhne 343 eine besondere Gelehrtenschule heran, die sich seit 1702 aufgrund eines königlichen Privilegs Pädagogium Regium nennen durfte. Im Jahre 1697 war in Halle außerdem eine höhere Lateinschule für Bürgerkinder und Waisenknaben eingerichtet worden. Ein Jahr später wurden beide Schulen der Universität als Annexum angegliedert. Ziel der Ausbildung sollte es sein, auf akademische Studien vorzubereiten
338 Vgl. Gabriel, Gemeinden, S. 83f. Die mit viel Aufwand installierte Schule blieb jedoch auf die Dauer nicht sehr erfolgreich, sondern führte ein „recht bescheidenes Winkeldasein im Schatten der Franckeschen Stiftungen“. Sie wurde schließlich 1808 mit der Lateinschule der Franckeschen Stiftungen vereint. Vgl. ebd. S. 86. 339 Neugebauer, Bildungswesen, S. 615. 340 Vgl. Neugebauer, Staat, S. 227. 341 Vgl. Lackner, Kirchenpolitik, S. 265ff. 342 Während die Pädagogik A. H. Franckes seit den späten sechziger Jahren Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen war (vgl. u. a. Menck, Erziehung; Oschlies, Arbeitspädagogik u. Dittrich-Jacobi, Pietismus), liegt eine moderne Darstellung des Systems der Franckeschen Schulen bisher noch nicht vor. Dies ist insofern verständlich, als die Erforschung der Halleschen Schulanstalten auf der Grundlage neuen Quellenstudiums erst seit der Restitution der Franckeschen Stiftungen in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts neue Impulse erhalten hat. Einzelaspekte zum Pädagogium Regium und zur Lateinschule werden behandelt bei Raabe, Schulen. Aus der Vielzahl älterer Literatur sei hier wegen seines Materialreichtums vor allem auf Richter, Francke verwiesen. Eine Gesamtdarstellung der Franckeschen Pädagogik mit einem Überblick über die bisherige Forschung bietet Menck, Erziehung. 343 A. H. Francke in seinem Entwurf der gesammten Anstalten (1698). Vgl. Richer, Francke, S. 336.
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und Bürgerssöhne zum Lehr- sowie Adelssöhne zum Regierstand heranzubilden. Im königlichen Privileg des Pädagogiums war darüber hinaus explizit festgelegt worden, daß dessen Schüler bevorzugt in landesherrliche Ämter kommen sollten. Beide Schulen, die sich hinsichtlich des Lehrplanes nicht allzusehr voneinander unterschieden, setzten für das höhere Bildungswesen des brandenburgischen Territoriums neue Maßstäbe. Obwohl die alten Sprachen den Vorrang behielten und die Unterrichtssprache Latein war, wurde hier den Realien und praktischen Lehrinhalten ein besonderer Stellenwert eingeräumt. 344 Auch gehörte Französisch zum regulären Lehrplan. Einzigartig war das hier angewandte Fach- statt des sonst üblichen Klassensytems, was beide Schulen von allen anderen Gelehrtenschulen unterschied. 345 Wichtig für die Bewertung der halleschen Unterrichtsprofile ist die Tatsache, daß diese in einem Zusammenhang mit herzoglich-sächsischen Vorbildern gesehen werden müssen. Als Schüler des Gothaer Gymnasiums war Francke in den Jahren 1676 und 1677 mit der gothaischen Schulgesetzgebung unmittelbar in Berührung gekommen, an die er in Halle explizit anknüpfte. 346 Die überregionale Bedeutung der Franckeschen Lateinschule ergab sich nicht zuletzt aus der besonderen Ausstattung mit Alumnatsplätzen, welche die Einbindung in den Franckeschen Spenden- und Wirtschaftsbetrieb möglich machten. Interessanterweise erfreute sich jedoch auch das Pädagogium Regium, das wirtschaftlich von den Stiftungen unabhängig war und ausschließlich von Schulgeldern lebte, eines starken Zulaufes. Zur zahlungskräftigen Klientel des Pädagogiums zählten keineswegs nur adelige Familien, sondern in nicht unerheblichem Maße auch Bürgerliche. Offensichtlich kam das hallische Bildungskonzept, das den klassischen Bildungskanon mit praxisrelevanten realistischen Disziplinen verband, auch beim wohlhabenden Bürgertum gut an. Dies bedeutet zugleich, daß es sich beim Pädagogium um keine reine Standesschule handelte. 347 Gleichwohl hatten das streng reglementierte Franckesche Schulsystem und der hier vertrete344
Vgl. Müller, Realienunterricht. Der Unterricht in unterschiedlichen Leistungsklassen bot eine Einstiegsmöglichkeit je nach dem spezifischen Leistungsstand in den einzelnen Fächern. Dies war von besonderer Bedeutung, weil die vorwiegend überregionale Schülerklientel aus verschiedenen Territorien mit sehr unterschiedlichen Lehrplänen stammte und der Kenntnisstand sehr unterschiedlich sein konnte. Vgl. Zaepernick, Bericht, S. 76. 346 Zur Datierung des Schulbesuches vgl. Brecht, Francke, S. 440. Der systematische Zusammenhang zwischen Gotha und Halle bedarf noch einer gründlicheren Erforschung. Einen Vergleich der Schulordnungen bietet Albrecht-Birkner, vor allem in Anlehnung an Hettwer, Herkunft. Vgl. Albrecht-Birkner, Reformation, S. 444f. u. 537. 347 Zwischen 1700 und 1740 war das Pädagogium durchschnittlich mit 70 bis 85 Schülern besetzt. Der Anteil der bürgerlichen Schüler machte zum Teil mehr als die Hälfte aus. Ab 1740 sank die Anzahl der Zöglinge kontinuierlich, was mit der gewachsenen Konkurrenz durch ähnliche Bildungseinrichtungen, wie dem Pädagogium zu Kloster Berge bei Magdeburg oder den Heckerschen Schulanstalten in Berlin, in einen Zusammenhang gebracht wird. Vgl. Zaepernick, Bericht, S. 68f. 345
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ne pädagogisch-anthropologische Ansatz, der nicht nur eine penible Fremd- und Selbstkontrolle beinhaltete, sondern die Schüler aufgrund einer pausenlosen Beschäftigung nicht selten körperlich und geistig überforderte, auch seine Kritiker. Der Frühaufklärer Thomasius zählte ebenso dazu wie der berühmte Reichsgraf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760), der selbst Schüler am Pädagogium gewesen war und später im sächsischen Herrnhut eine ganz neue Richtung des Pietismus prägen sollte. 348 Neben einer großen Zahl von Absolventen wirkten vor allem die in den Schulen eingesetzten studentischen Lehrkräfte als Multiplikatoren des Halleschen Erziehungsmodells. Es waren vor allem Theologiestudenten, die Francke seit 1695 in einem sogenannten Seminarium Praeceptorum zusammenfaßte. 349 In dem daraus im Jahre 1707 hervorgegangenen Seminarium Selectum Praeceptorum liegen zugleich die frühesten Anfänge der höheren Lehrerbildung. 350 Vor allem leisteten die Franckeschen Schulen für die Entstehung des neuen Schultyps der Realschule einen „wesentlichen Vorschub“ 351. Dabei wurde Francke auch von zeitgleichen Schulversuchen geprägt, wie von der ebenfalls in Halle zwischen 1705 und 1710 existenten ersten Realschule Deutschlands, die von dem Weigel-Schüler Semler geleitet wurde. 352 Berühmtheit erlangte später vor allem Johann Julius Hecker (1707–1768), der bis 1739 Waisenhausinspektor in Halle gewesen war und 1747 in Berlin mit der ökonomisch-mathematische Realschule die erste deutsche Realschule begründete, die sich auf Dauer halten konnte. 353 Diese Schulgründung steht am Beginn einer neuen bildungsgeschichtlichen Epoche, die von einem Nebeneinander von Real- und Gelehrtenschulwesen gekennzeichnet sein sollte.
348 Vgl. Deppermann, Francke, 255f. Auf die Forschungsdiskussion zur pietistischen Pädagogik als einer „Schwarzen Pädagogik“ soll hier nicht genauer eingegangen werden. 349 Das Pädagogium Regium diente beispielsweise für die Gelehrtenschule in Neustadt a. d. Aisch und für die Saldrina in Brandenburg, deren Personal ausschließlich aus Halle kam, als Vorbild in der Unterrichtorganisation. Vgl. Deppermann, Francke, S. 257 u. Doerfel, Halle. 350 Vgl. Frick, Abhandlungen, S. 188–197 u. Fries, Seminarium, S. 540–543. Das Hallesche System der Lehrerbildung behandelt auch Oschlies, Arbeits- und Berufspädagogik, S. 146ff. Näheres zu Franckes Intentionen hinsichtlich der Lehrerbildung bei Menck, Erziehung, S. 71ff. 351 Richter, Francke, S. 342. 352 Vgl. Endres, Handwerk, S. 408ff. Die Tatsache, daß nicht Semler von Francke beeinflußt wurde, sondern vielmehr der umgekehrte Weg anzunehmen ist, wurde erst unlängst von der Forschung herausgearbeitet (vgl. Müller, Realienunterricht, S. 49). 353 Ausführlich dazu Bloth, Hecker u. Mentzel, Pietismus.
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen I. Das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster als führende städtische Gelehrtenschule lutherischer Konfession 1. Die Gründung der Schule in der Zeit der lutherischen Konfessionalisierung Die Genese des höheren Schulwesens der Residenzstadt Berlin steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der von Kurfürst Johann Georg eingeleiteten Kirchenreform. Sowohl in Berlin als auch in Cölln hatten bereits in vorreformatorischer Zeit Lateinschulen existiert, welche den mittelalterlichen Stadtkirchen zugeordnet waren. Im Verlauf der Reformation waren diese Schulen weiter ausgebaut worden. Sie vermittelten sowohl Elementar- als auch Lateinunterricht und sollten auf den Universitätsbesuch vorbereiten. 1 Eine wirkliche Zäsur jedoch bedeutete für das höhere Berliner Schulwesen erst die von Kurfürst Johann Georg im Jahre 1573 initiierte Kirchenvisitation, in deren Zuge die beiden Berlinischen Pfarrschulen von St. Nicolai und St. Marien im ehemaligen Franziskanerkloster am östlichen Rand Berlins endgültig zu einer neuen Schule zusammengeführt wurden. Diese Neugründung geschah völlig nach der für protestantische Territorien typischen Vorgehensweise, wonach säkularisiertes Klostergut für die Einrichtung von Bildungsstätten umfunktioniert wurde. 2 Während in Territorialstaaten wie Kursachsen oder Württemberg die protestantischen Bildungsbestrebungen bereits vorangeschritten waren, setzte diese Entwicklung im schulisch schwach entwickelten Kurbrandenburg vergleichsweise spät ein. Ein schulisches Defizit war den damaligen Zeitgenossen wohl bewußt, heißt es doch in der Vorrede der im Jahre 1577 verfaßten Schulordnung, daß sintemal sonst in diesen Landen, wie
1 Zu den Anfängen der Berliner Lateinschulen vgl. Heidemann, Kloster, S. 51 ff. Nähere Angaben zur inneren Organisation dieser Schulen finden sich in den Visitationsabschieden für Berlin und Cölln von 1540 und 1574, abgedr. bei Kuhn, Visitationsabschiede u. Sehling, Kirchenordnungen Bd. 3, S. 155ff. 2 Vgl. Seifert, Schulwesen, S. 280. In den Gründungsdokumenten werden als Vorbild für dieses Vorgehen die Schulen in Magdeburg, Breslau, Görlitz, Zwickau, Stendal und Salzwedel angeführt. Vgl. Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 28.
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in anderen Fürstenthumen, keine vornehme Schulen der gemeinen Jugend zum besten eingerichtet [worden] seien 3. Tatsächlich hatte es bis dahin eine überregional bedeutsame Schule in der Mark Brandenburg nicht gegeben. Mit welch großen Ambitionen man an die Gründung ging, wird an derselben Stelle deutlich. So sollte die neue Schule nicht allein dieser Stadt, sondern auch dem ganzen Kurfürstenthum und den Landen der Mark Brandenburg, beide denen von Adel und den Städten zu Aufziehung ihrer Jugend hochnützlich und dienlich 4 und auch anderen fürnebten außländischen Knaben, Arm und Reich zu Nutz und besten 5 sein. Darüber hinaus sollte die neue Schule auf den Besuch der Landesuniversität in Frankfurt hinführen und ehe und zuvor die Knaben von den Städten dieses Churfürstenthums gen Franckfurt ad Universitatem geschickt . . . dieselben erstl. ein Jahr oder Zwey ad probam in diese Schule gethan 6 werden. Dies wirft die Frage auf, ob hier nicht eine Fürsten- bzw. Landesschule mit gesamtterritorialer Bedeutung begründet werden sollte. 7 Die Beteiligung des Kurfürsten an dieser Stiftung ist offensichtlich: die Klostergebäude wurden der neuen Schule aus landesherrlichem Besitz überlassen. Außerdem stellte der Kurfürst ein verzinstes Kapital von 800 Gulden für Schulzwecke bereit. 8 Damit war die Wiederherstellung der Klostergebäude und der laufende Schulbetrieb jedoch keinesfalls abgesichert. Es existierten auch keine Klostergüter, mit deren Hilfe diese Ausgaben hätten bestritten werden können. Laut kurfürstlicher Verordnung sollte dies vielmehr mit Geldern aus dem gemeinen Kasten, einer Kasse, die aus kirchlichen Gebühren und alten Legaten gespeist wurde, sowie mit Spenden der Berliner Bürgerschaft geschehen. 9 Der Rat stellte der Schule außerdem ein verzinstes Vermögen von 4000 Reichstalern zur Verfügung. Großzügige Spenden aus
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Zit. nach Heidemann, Kloster, S. 69. Abschrift der gesamten Vorrede vgl. Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 25–34. 4 Zit. nach Heidemann, Kloster, S. 69. 5 Kurfürstliche Bestätigung der Schulordnung. Cölln 1579. Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 23. 6 Vorrede zur Schulordnung. Berlin 1577. Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 31. Diese Bestimmung bezieht sich speziell auf die Anwärter für die an der Frankfurter Universität bestehenden kurfürstlichen Freitische. 7 Dies war später eine allgemein verbreitete Meinung: Rektor Heinzelmann nannte das im Grauen Kloster neugegründete Gymnasium ein Gymnasium Illustre Provinciale (nach einer nicht erhaltenen Schulschrift von 1657 zitiert von Diterich, Schulhistorie, S. 93). Ebenso spricht der erste Historiograph der Schule wiederholt vom damaligen Berlinischen Gymnasium als einer Landesschule. Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 36. In einer Schulschrift von 1750 wird ebenfalls die Ansicht vertreten, daß das Gymnasium seiner Gründung nach eine Fürstenschule, ein königliches Gymnasium sei. Vgl. Wippel, Redeübung, S. 6. 8 Vgl. Heidemann, Kloster, S. 71.
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der Berliner Bürgerschaft ergänzten den Bau- und Schulfonds in den Anfangsjahren, so daß sich die jährlichen Gesamteinnahmen zur Erhaltung der Anstalt und Besoldung der neun Lehrer auf zunächst ungefähr 500 Reichstaler beliefen. 10 Die Bürgerschaft versorgte das Lehrpersonal außerdem mit Freitischen. Damit wurde der Schulbetrieb fast ausschließlich von städtischer Seite abgesichert, ohne Schulgeld erheben zu müssen. Dem Typ einer fürstlichen Landesschule kann das neue Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster dennoch nicht zugerechnet werden, weil das städtische Patronat über die Schule erhalten blieb. Die neuen Schulgebäude im Kloster waren explizit als eine Schenkung an den Berliner Rat ausgewiesen und das Recht der Lehrerbestallungen blieb allein dem Rat vorbehalten. 11 Insofern handelte es sich um eine von landesherrlicher Seite unterstützte, jedoch gleichwohl städtische Schulgründung. Dies schloß eine gesamtterritoriale Bedeutung des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster allerdings keineswegs aus. Das unbedingte Interesse der kurmärkischen Stände an der neuen Schule illustriert die aus der Gründungsphase der Schule überlieferte Warnung, daß wenn diese Schule wider einginge, die von Adel und Städte auf dem gemeinen Land-Tag sich zum höchsten beschweren, daß man ihnen diese einige Schule nicht gönnen wolte, bevorab da sonst in diesem Lande wie in andern Fürstenthümern, keine vornehme Schule der studirenden Jugend zum besten angelegt sey 12. Berliner Bürgerschaft und landesherrliches Beamtentum arbeiteten bei der Einrichtung der neuen Schule von Anfang an eng zusammen. Das gemeinsame Interesse von Hof und Stadt drückt sich nicht zuletzt darin aus, daß unter den Spendern für die neue Schule nicht allein die Berliner Bürgerschaft, sondern ebenso kurfürstliche Hofprediger und maßgebliche Hofbeamte vertreten waren. 13 Unter den landesherrlichen Beamten, welche den Vorschlag des Berliner Magistrats zum Einzug der Schule in die verlassenen Gebäudeteile des Grauen Klosters tatkräftig unterstützten, taten sich besonders der damalige Kanzler Lampertus Distelmeyer (1522–1588) und der kurfürstliche Rat und geheime Lehnssekretär Joachim Steinbrecher (gest. 1598) hervor. 14 Beide sind einer neuen Honoratiorenschicht 9 Vgl. Visitationsabscheid wegen derer Kirchen und Schulen in Berlin, 1574. Sehling, Kirchenordnungen Bd. 3, S. 163. 10 Vgl. Heidemann, Kloster, S. 72. Diese Summe wuchs in der Folgezeit weiter an. Im Jahre 1624 standen Einnahmen von 800 Talern Ausgaben von 776 Talern gegenüber. Vgl. ebd., S. 143. 11 Nachdem zwischen dem Berliner Propst und dem Rat Differenzen über das Besetzungsrecht aufgekommen waren, hatte der Kurfürst am 17. März 1574 dem Berliner Rat das Mandat über die Berufung der Kirchen- und Schuldiener nochmals bestätigt. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen, S. 155. 12 Schreiben der zur Schule verordneten Provisores von 1576. Zit. nach Diterich, Schulhistorie, S. 40. 13 Distelmeier überwies der Schulkasse 500 Taler und Steinbrecher 1000 Gulden. Namenliche Auflistung weiterer Spender bei Diterich, Schulhistorie, S. 54f. Vgl. auch Heidemann, Kloster, S. 66f.
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zuzuordnen, die sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts aus sowohl in der Stadt als auch bei Hofe angesehenen Familien herausbildete. 15 Ihre schulpolitischen Bemühungen bestanden nicht allein im großzügigen Einsatz von Privatvermögen, sondern auch in der Übernahme administrativer Aufgaben. Steinbrecher gehörte neben einem weiteren kurfürstlichen Verwaltungsbeamten und zwei Berliner Bürgermeistern zu den vier vom Kurfürsten eingesetzten ersten Provisoren der Schule. 16 Verdient machte er sich jedoch vor allem als Verfasser der vom Kurfürsten in Auftrag gegebenen ersten Schulordnung. 17 An deren Revision war wiederum Lampertus Distelmeyer beteiligt, dem als kurfürstlich-brandenburgischer Kanzler die oberste Kirchen- und Schulaufsicht oblag. Dessen enge Verbindung mit der Schule zeigt sich nicht zuletzt darin, daß er eine der Reden bei der festlichen Eröffnung der Schule im Juli 1574 gehalten hatte. 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht durch den Berliner Magistrat und die Berliner Pröpste In der im Jahre 1579 vom Kurfürsten bestätigten Schulordnung war festgelegt worden, daß die Lehrer der neuen Schule durch den Berliner Rat und die Provisores mit einhelligen Rathe des Herrn Cantzlers und des Herrn Probstes zu Berlin 18 berufen werden sollten. Sowohl die kurfürstliche Regierung als auch das Kurmärkische Konsistorium, dessen Mitglied der Berliner Propst war, sollten also in den Berufungsprozeß mit eingebunden sein. Ungeachtet dessen, daß es sich um eine städtische Schulgründung handelte, beharrte der Kurfürst demnach auf dem mit dem Jus episcopale verbundenen Schulregiment. Dies zeigt sich nicht nur in den Festlegungen zum Berufungsmodus. Im Zusammenhang der neuen Schulordnung erließ der Kurfürst auch ein Verbot der sogenannten Winkelschulen, welche in Konkurrenz zu den öffentlichen Schulen in privatem Rahmen Unterricht anboten. 19 Weitergehende schulpolitische Ambitionen drücken sich auch darin aus, 14
Nähere biographische Angaben vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 40–54. Joachim Steinbrecher war 1546 Cöllner Bürger geworden. Vgl. Beck, Hofpersonal, S. 31. Zur Familie Distelmeyer vgl. auch Papritz, Großkaufleute, S. 298ff. u. Schulz, Tod, S. 189. 16 Vgl. Visitationsabscheid wegen derer Kirchen und Schulen in Berlin, 1574. Sehling, Kirchenordnungen Bd. 3, S. 163. 17 Das Original dieser Schulordnung ist nicht erhalten. Eine unvollständige Abschrift befindet sich im Landesarchiv Berlin, Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386. Weiterführende Details der Schulordnung finden sich außerdem bei Heidemann, Kloster, S. 85–103 u. Diterich, Schulhistorie, S. 55–93. 18 Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 36. 19 Winkelschulen im Rahmen von Schulgründungen zu verbieten war ein damals gängiges Vorgehen. Vgl. Paulsen, Geschichte, S. 326. 15
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daß die neue Schulordnung nicht allein für die neue Berliner Schule, sondern auch als Vorbild zu allen andern die Städte des gantzen Churfürstenthums der Marcke zu Brandenburg gemeiner Schulen Nothdurfft 20 dienen sollte, wie es in der an sämtliche weltliche und geistliche Stände der Mark gerichteten Vorrede zur Schulordnung heißt. Die Stoßrichtung der landesherrlichen Bemühungen wird nicht zuletzt bei den Bestimmungen zur Konfessionalität der Lehrer und zur geistlichen Schulaufsicht deutlich. Sämtliche Präzeptoren der Schule sollten der Augspurgischen Confession und Lutheri Schrifften zugethan seyn 21 und bevorzugt von der Frankfurter Universität oder von andern unverdächtigen Orten 22 berufen werden. 23 1575 sandte Georg Wilhelm an den Berliner Bürgermeister und Rat einen besonderen Befehl, keine Rectores und andere Schuldiener, so des Calvinismi und andern Secten verdächtig 24, einzustellen. Das wichtigste Ziel bestand offensichtlich in der Sicherung der Rechtgläubigkeit der Lehrer und der Durchsetzung der Confessio Augustana als lutherischer Bekenntnisnorm. Anwendung fanden die strengen konfessionellen Vorgaben bereits 1576, als der damalige des Kryptocalvinismus verdächtigte Rektor Michael Kilian auf kurfürstlichen Befehl aus dem Schuldienst entlassen wurde. 25 Die geistliche Schulaufsicht über die Schule lag beim Berliner Propst. In seiner Eigenschaft als Inspektor hatte er regelmäßig Examina abzuhalten und darauf zu sehen, daß die Lehrer ihr Amt ordentlich verrichteten. Unter der Aufsicht der lutherisch-orthodoxen Berliner Pröpste blieb das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster auch im 17. Jahrhundert ein Ort, der stark von der lutherischen Orthodoxie geprägt war. Wie die administrative Praxis der folgenden Jahrzehnte zeigt, kamen keineswegs alle bei der Schulgründung getroffenen Bestimmungen zur Anwendung. Da die Schulordnung Steinbrechers vermutlich nie in den Druck kam, konnte sie schwerlich für andere höhere Schulen der Mark Brandenburg als Vorbildordnung dienen. 26 Sie wurde bereits 1591 durch neue Schulgesetze ergänzt, welche vor allem das Verhalten der Schülerschaft genauer regelten. Diese neuen Leges 20 Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 34f. 21 Diterich, Schulhistorie, S. 59. 22 Vgl. Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 36. 23 Auch in allgemeinen landesherrlichen Verordnungen war seit 1564 wiederholt verfügt worden, daß nur Absolventen der Viadrina als Kirchen- und Schuldiener berufen werden sollten. Noch 1590 wurde dieses Edikt erneuert, was darauf verweist, daß es dessen praktische Umsetzung problematisch war. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 2, 3, 4 u. 6. 24 Zit. nach Heidemann, Kloster, S. 331f. 25 Vgl. ebd., S. 120f. u. 332f. 26 Diese Vermutung findet sich bereits bei Diterich, Schulhistorie, S. 79. Vgl. auch Heidemann, Kloster, S. 83f.
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Gymnasii Berolinensis wurden vom damaligen Rektor Hermann Lipstorp bereits ohne Mitwirkung von landesherrlicher Seite verfaßt, wenn sie auch mit einer Widmung an den Mäzen, Förderer und perpetua obseruantia [!] colendo, Christian Distelmeyer (1552–1612), der seinem Vater im Kanzleramt gefolgt war, versehen waren. 27 Auch in der Folgezeit veränderten Rektoren neben den Lehrplänen wiederholt die innere Schulverfassung und gaben so ihrer Amtszeit ein spezifisches Gepräge. Rektor Jacob Hellwig erließ im Jahre 1662 neue Leges Docentium et Discentium zur Verbesserung der Schulzucht. 28 Leider sind diese Schulgesetze nicht überliefert. Erhalten sind dagegen die späteren Leges Docentium von Gottfried Weber (1668–1698) und von Christoph Friedrich Bodenburg (1708–1726). 29 Nicht nur bei der Schulgesetzgebung, sondern auch in Berufungsfragen ließ im Laufe des 17. Jahrhunderts die Mitwirkung der Landesherrschaft deutlich nach. Unmittelbare Eingriffe des Kurfürsten sind nur für die Zeit von Johann Georg belegt. Im Zusammenhang der Rektoratsbesetzung von 1597 rief der Berliner Rat den Kurfürsten wegen der Beeinträchtigung seines Vokationsrechtes durch den Propst an. Als oberste Appellationsinstanz entschied der Landesherr daraufhin gegen den Berliner Propst und für den Vorschlag des Berliner Rates. 30 Von der ursprünglich vorgesehenen Mitsprache des kurfürstlichen Kanzlers läßt sich in den vorhandenen Bestallungsakten des späteren 17. Jahrhunderts nichts mehr feststellen. 31 Vielmehr entschied allein der Magistrat unter Mitwirkung des Berliner Propstes über Neueinstellungen. Eine genauere Analyse der erhaltenen Vokationsakten macht den Bestallungsmodus deutlich: Sämtliche von den Bürgermeistern und Räten ausgefertigten Bestallungsbriefe beginnen mit der formelhaften Bemerkung, daß es Uns als Patronis oblige, das vakante Amt neu zu besetzen. Danach findet in den meisten Fällen die Zuziehung und Consultation des jeweiligen Propstes und Konsistorialrates Erwähnung. In einigen Fällen fehlt aber auch der Hinweis auf den Propst. Die Entscheidung konnte einmüthig oder als Majoritätsbeschluß gefällt werden. Das letzte Entscheidungsrecht behielt sich somit der Rat als Patron explizit vor. Dem Propst wurde nur ein votum consultativum eingeräumt. Dies entsprach ganz den Beschlüssen des Landtagsrezesses von 27
Vgl. Lipstorp, Leges. Vgl. Heidemann, Kloster, S. 161. 29 Webers Schulgesetze von 1673 sind handschriftlich im Archiv der Streitschen Stiftung erhalten (ZLB, GKl Archiv Nr. 3, Bl. 191–195). Die erneuerten Schulgesetze von Bodenburg wurden 1717 gedruckt. Vgl. Bodenburg, Leges. 30 Vgl. Heidemann, Kloster, S. 132. 31 Die meisten der erhaltenen Bestallungakten der Rektoren und Subrektoren stammen aus der Zeit seit dem Ende des 17. Jahrhunderts. Subrectorat bey dem Berlinischen Gymnasio betr. Acta. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6880 u. Sub-Con-Rectorat bey dem Berlinischen Gymnasio betr. Acta. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6881. In diesem Aktenkonvolut befinden sich entgegen der Aktenbezeichung die Bestallungsakten der Rektoren von 1639–1759. 28
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1653, wonach es den Inspektoren in den Städten nicht gestattet war, sich über den Rath, alß ihre patronos und jedes ohrts ordentliche magistratus, zu überheben und sich des iuris patronatus anzumaßen 32. Für Berlin war im Visitationsabschied von 1660 außerdem festgelegt worden, daß bei der Einstellung von Geistlichen oder Lehrern der ganze Rath sich zusammenthun solle, den Praepositum zu sich ziehen, dazu nothdürftige Unterredung halte und also communicatis consiliis, womöglich una nimiter . . . oder da mehr als einer in Vorschlägen und sie sich nicht untereinander einigen, derjenige, der von den meisten Stimmen Beifall, angenommen 33 werden solle. Die Tatsache, daß weder in den überlieferten Magistrats- noch in den Regierungsakten des 17. Jahrhunderts Konflikte dokumentiert sind, läßt die Vermutung plausibel erscheinen, daß in der Zeit der lutherischen Orthodoxie zwischen den Berliner Pröpsten und dem Rat keine generellen Meinungsunterschiede in Bestallungsfragen bestanden haben und das städtische Patronatsrecht weitgehend unangetastet blieb. Ein Konfliktfall ist erst für die Zeit Philipp Jacob Speners überliefert. Im Streit um die Einstellung eines nach Meinung des Propstes ungeeigneten Kandidaten für das Amt des Marienkantors beklagte sich Spener beim König, daß ihm vom Rat nur ein votum consultativum zustehen würde. 34 Er nahm dabei auf die Brandenburgische Visitations- und Konsistorialordnung Bezug, welche seines Erachtens nach einen consensus zwischen Rat und Pfarrer fordere und bat um Klärung des Streitfalles durch die übergeordnete Regierungsinstanz. 35 Der König gab jedoch dem Drängen Speners nach einem Vetorecht nicht nach. Gegen den Willen des Propstes wurde der umstrittene Kantor eingestellt und blieb der von Spener vorgeschlagene pietistische Kandidat aus Halle unberücksichtigt. 36 Auch in der Folgezeit wurde dem Propst kein gleiches Stimmrecht, sondern nur das votum consultativum zugestanden. Gegen das Votum des Magi32 Landesrevers des Kurfürsten Friedrich Wilhelm für die Kurmärkischen Stände vom 26. Juli 1653. Vgl. Klinkenborg, Ständearchiv, S. 454. 33 Acta des Magistrats der Stadt Berlin betreffend das Jus patronatus. LAB, A Rep. 04–02, Nr. 1. 1, Bl. 15. 34 Bericht Speners an den König über den Streit mit dem Magistrat um die Besetzung der Kantorstelle an St. Marien. (18. Sept. 1702). Vgl. Aland, Spener-Studien, S. 178–183. 35 In der Ordnung von 1573 heißt es im Absatz Von den schulen, auch schulmeistern unnd ihren gesellen, daß die Schulmeister mit gemeinem einhelligem Rathe und bewilligung der pfarrer und rethe in stedten, angenommen und auch keiner hierüber eingedrungen werden solle. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen, S. 123. 36 Um die Einstellung des umstrittenen Kantors Kaltschmid, der in Wittenberg studiert hatte, zu ermöglichen, wurde ihm am 26. Januar 1703 sogar ein königlicher Dispens erteilt. Die Tatsache, daß der Kantor nach massiven Beschwerden der Lehrer und Eltern im Jahre 1715 in die Friedrichsstadt zwangsversetzt werden mußte, spricht für Speners Skepsis bezüglich der menschlichen und pädagogischen Eignung dieses Kantors. Vgl. Geistliche Angelegenheiten von Berlin GStA PK, I. HA, Rep. 47, B 4, Fasz. 20, Bl. 27 u. Acta wegen den zwischen den Rectoren und übrigen Lehrern des Berlin. und Cöllnischen Gymnasii . . . entstandenen Streitigkeiten. LAB, Rep. A 020–02 Nr. 2227. Darstellung des Streites auch bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 200.
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strats konnte in Bestallungsfragen nichts entschieden werden. Daran änderte auch die Vereinigung der Residenzen im Jahre 1709 nichts. Die geistliche Schulaufsicht und das Visitatorenamt, welches der Propst im Auftrag des Konsistoriums über das Berlinische Gymnasium ausübte, blieb allerdings vom städtischen Patronatsrecht unberührt. In den Gründungsdokumenten war ursprünglich ein besonderes Visitationskollegium vorgesehen, in dem auch zwei kurfürstliche Hofprediger mitwirken sollten. 37 Dies scheint jedoch nie eingerichtet worden zu sein. Über das Konsistorium, das seit dem Konfessionswechsel des Herrscherhauses mehrheitlich von Reformierten besetzt war, waren jedoch auch im 17. Jahrhundert kurfürstliche Hofprediger indirekt mit der Schulaufsicht betraut. Landesherrliche Eingriffe durch das Konsistorium betrafen insbesondere die Zeit der konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten unter Kurfürst Friedrich Wilhelm. Aus den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts sind zwei Disziplinarfälle bekannt, bei denen es auf Drängen reformierter Konsistorialräte zu Entlassungen von Lehrkräften kam. Der eine Fall ereignete sich 1661, nachdem der damalige Subrektor Gottfried Rösner mit einem dramatischen Actus über die Kreuzigung Christi den Unwillen einiger Hoffiscali erregt hatte. 38 Als Provokation wurde das auf Latein und Deutsch aufgeführte und damit allen Zuschauern verständliche Passionsspiel vor allem deshalb empfunden, weil dabei nicht nur Knaben in Frauenkleidern aufgetreten waren, sondern auch die Einsetzung des Abendmahls vorgeführt worden war. Ob dabei die Gebräuche der reformierten Kirche – nämlich das Schneiden des Brotes – in unziemlicher Weise lächerlich gemacht worden seien und man dabei die Reformierten habe anstechen wollen 39, spielte in der vom Konsistorium unter Leitung des reformierten Konsistorialpräsidenten und Hofpredigers Bernhard Stosch 40 (1604–1686) vorgenommenen Untersuchung dann auch eine besondere Rolle. Trotz der Beteuerungen Rösners, allein der biblischen Vorlage gefolgt zu sein, forderte das Konsistorium, der Subkonrektor solle gebührlich bestraft, vor der Jugend öffentlich . . . sein Vornehmen detestiert und dadurch das Scandalum gehoben werden 41. Das erstaunlich harte Urteil des Konsistoriums, welches die sofortige Amtsenthebung Rösners und eine Arreststrafe nach sich zog, führt in besonderer Weise die konfessionell gereizte Situation in der Berliner Residenz vor Augen. Vor dem Hintergrund dessen, daß Stosch als einer der Hauptgegner der Lutheraner galt und in den kurz darauf folgenden Religionsgesprächen Verhand-
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Vgl. Büsching, Geschichte, S. 10. Geistliche Angelegenheiten von Berlin 1641–1670, GStA PK, I. HA, Rep. 47, B 4, Fasz. 7, Bl. 15ff. Darstellung des Falles aus den Quellen bei Gudopp, Aufführungen T. 2, S. 16–22. 39 Gudopp, Aufführungen, S. 20. 40 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 431- 440. 41 Gudopp, Aufführungen, S. 21. 38
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lungsführer der reformierten Seite war, erstaunt das Urteil allerdings weniger. Nach acht Wochen Haft brachte dann ein persönliches Bittgesuch von Rösners Vater, der als Prediger an St. Marien ein hohes Ansehen genoß, den Kurfürsten zum Einlenken. In respect seines alten Vatern und unter der Bedingung, daß der Subrector wiederum öffentlich vor den Schülern sein Unrecht eingestehen solle, erteilte er Rösner sein Pardon und dem Rat die Erlaubnis, diesen wieder einzustellen. 42 Rösner scheint jedoch – wenn überhaupt – sein Schulamt nur noch kurze Zeit ausgeübt zu haben. Er folgte wenig später einem Ruf als Prediger nach Stockholm. Ein anderer gut dokumentierter Disziplinarfall ereignete sich zehn Jahre später. 43 Auch hier geriet der Sohn eines bekannten lutherischen Geistlichen in Konflikt mit dem reformierten Konsistorialpräsidenten Stosch. Der damalige Konrektor Peter Vehr d. J. (1644–1701), dessen bereits verstorbener Vater Peter Vehr d. Ä. 44 das Rektorat am Gymnasium zum Grauen Kloster innegehabt hatte und danach Berliner Propst und Konsistorialrat gewesen war, geriet im Zusammenhang einer theologischen Disputation in die Kritik des Konsistoriums. In dem Collegium disputatorium in Augustanam, welches Vehr im Jahre 1671 zu Übungszwecken mit Schülern veranstaltet hatte, sahen die reformierten Konsistorialräte einen Verstoß gegen das kurfürstliche Toleranzedikt von 1662, das öffentliches Disputieren über Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Reformierten untersagte. Vorgeworfen wurde dem Konrektor, daß er in seiner Disputierübung zur Augsburgischen Konfession von seinen Schülern fünf Thesen gegen die Lehre der Reformierten habe vertreten lassen und damit der Jugendt alhier den Haß gegen ihre Neben-Christen von Kindesbein auf eingepflanzet 45 habe. Vehr beharrte dagegen darauf, daß er keinen vorsatz gehabt, sich kegen Eur. Churf. Dhl. ungehorsamb zubezeigen und allein die lutherische Lehre nach der Methodum Compendij Dieterici, welches hier undt an andern Lutherischen Schulen publice dociret wirdt 46 gelehrt hätte und verweigerte deshalb den geforderten Wiederruf. Auch die Berliner Bürgermeister, die zu den Verhandlungen hinzugezogen worden waren und zu denen auch ein Mitglied der angesehenen Familie Tieffenbach zählte, konnten bei den reformierten Konsistorialräten kein Einlenken erreichen. Ihr Bittgesuch für Vehr wurde vom Konsistorium vielmehr als unmaßgebliche Einmischung betrachtet. 47 Der damalige lutherische Konsistorialrat und Propst
42 Geistliche Angelegenheiten von Berlin 1641–1670, GStA PK, I. HA, Rep. 47, B 4, Fasz. 7, Bl. 22. 43 Geistliche Angelegenheiten 1670–1702, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Fasz. 19, Bl. 337–354. 44 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 437- 449. 45 Geistliche Angelegenheiten 1670–1702, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Fasz. 19, Bl. 338. 46 Geistliche Angelegenheiten 1670–1702, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Fasz. 19, Bl. 349. Näheres zum Lehrbuch von Dieterich vgl. unten, Abschnitt E. II. 1.
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Andreas Müller 48 (1630–1694), der konfessionell einen gemäßigten Standpunkt vertrat, tritt in den Akten überhaupt nicht in Erscheinung. Vehr, dem ein Widerruf den Verrat der lutherischen Lehre bedeutete, wurde auf kurfürstlichen Befehl entlassen. Er begab sich wie Rösner unter Schwedische Hoheit, ging nach Stralsund und war hier lange Jahre als Konrektor und Prediger tätig. Erst in der Zeit Speners scheint die geistliche Schulaufsicht wieder verstärkt vom Berliner Propst wahrgenommen zu sein. Der oben geschilderte Konfliktfall bestätigt deutlich das besondere Interesse Speners am Schulwesen. Er selbst bezeugt, daß seine Amtsvorgänger in sechzehn Jahren vor seinem Amtsantritt keine Schulexamen am Berlinischen Gymnasium mehr durchgeführt hätten und daß er auf Rechnungen gestoßen sei, die mehr zwanzig Jahre alt gewesen wären. Spener führt dies auf vorherige mißhelligkeit zwischen Pröbsten und Rath zurück, welche viele Schaden und betrübte folgen verursacht habe. 49 Um welche Konflikte es sich dabei gehandelt hat, darüber kann nur gemutmaßt werden. Auf jeden Fall scheint Spener die geistliche Schulaufsicht sehr ernst genommen zu haben, auch wenn er die gantze curam gymnasii bereits im Jahre 1700 seinem Adjunctus und späteren Nachfolger, Conrad Gottfried Blanckenberg, übergeben hatte. 50 Unter dessen ebenfalls pietistischen Nachfolger Johann Porst wurde das Inspektorenamt als Bestandteil der Arbeit des Propstes nochmals festgeschrieben. Dieser habe die Schule offt zu besuchen und dahin zu sehen, daß Docentes und Discentes ihr Amt fleißig verrichten und alle Jahr aufs wenigste einmahl ein Examen Publicum gehalten werde. 51 Welchen Einfluß die pietistischen Pröpste als Inspektoren auf das Berliner Schulwesen gehabt haben, ist eine zentrale Forschungsfrage. Bislang war man generell der Meinung, daß Spener am Berlinischen Gymnasium mit seiner Personalpolitik ohne Erfolg geblieben sei. 52 Tatsächlich scheiterte Spener nicht nur im Falle des Kantors. Auch die Entlassung des pietistischen Subrek47 Geistliche Angelegenheiten 1670–1702, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Fasz. 19, Bl. 349f. In ihrem Schreiben hatten die Bürgermeister zu Vehrs Verteidigung angeführt, daß dieser wegen des kurfürstlichen Ediktes von 1661 sogar im weit entfernten Jena und nicht in Wittenberg studiert hätte, was mit weit höheren Kosten verbunden gewesen sei. Dies zeigt, daß die landesherrlichen Maßnahmen zur Studienlenkung tatsächlich griffen. 48 Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 272–293. 49 Bericht Speners an den König über den Streit mit dem Magistrat um die Besetzung der Kantorstelle an St. Marien. (18. September 1702). Vgl. Aland, Spener-Studien, S. 183. 50 Spener in einem Brief an A. H. Francke vom 2. Oktober 1700 (Spener, Briefwechsel mit Francke, S. 793). 51 Vgl. den sog. CodexPorstianus, abgedr. ebd., S. 203. 52 Am ausführlichsten hat sich dazu Wallmann auf knapp zwei Seiten seines Aufsatzes über die Wirksamkeit Speners in Berlin geäußert. Vgl. ders., Spener in Berlin, S. 71–73. Mentzel, der sich in seinen Veröffentlichungen nicht nur auf diesen Aufsatz, sondern auch auf die Hallenser Korrespondenz der Berliner Pietisten stützt, behauptet ebenfalls, daß es „den Pietisten trotz vielfältiger Bemühungen Speners jedoch nicht [gelang], größeren Einfluß zu erlangen“ (ders., Korrespondenz, S. 165). Vgl. außerdem ders., Kirche, S. 115.
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tors Ernst Christian Wartenberg 53 (1665–1742) konnte er nicht abwenden, da es diesem nach Speners eigenem Urteil offensichtlich an fachlichem Können, pädagogischem Geschick und Fleiß fehlte. 54 Dessen pietistischer Amtsnachfolger, Heinrich Schmidt, verstarb unglücklicherweise schon vier Jahre nach seiner Berufung zum Subrektor. Der von Spener protegierte Konrektor Sebastian Gottfried Starck 55 (1668–1710) resignierte nach sieben Jahren im Amt. Trotz dieser Mißerfolge hatte Spener jedoch mit seiner Berufungspolitik, die beim Berliner Rat keineswegs auf einen generellen Widerstand stieß, auch Erfolg. 56 So gelang es ihm, mit den neuen Sub- und Konrektoren Johann Leonhard Frisch (1666–1743) und Christoph Friedrich Bodenburg zwei Schulmänner an das Berlinische Gymnasium zu holen, die dem Pietismus nahestanden und auch längerfristig am Berlinischen Gymnasium verblieben. Wie unten näher dargestellt wird, konnte sich ein neues Lehrprofil jedoch erst nach dem Tode des bereits vor Spener an die Schule berufenen Rektors Rodigast durchsetzen. 57 Unter Bodenburg und Frisch, die 1708 bzw. 1727 ins Rektorenamt aufrückten, kam dann am Berlinischen Gymnasium die neue, in Halle geprägte Lehrergeneration endgültig zum Zuge. 58 Die Feststellung Speners von 1698, er habe nach siebenjährigem versuchen dessen besserung je mehr und mehr die hoffnung sincken lassen 59 müssen, kann deshalb keinesfalls als generelles Fazit des Spenerschen Einflusses auf das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster gelten. 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Das nachlassende Interesse der brandenburgischen Kurfürsten am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster, das bereits in der Frühzeit seiner Existenz zu beobachten ist, fiel zeitlich mit der Gründung einer neuen Landesschule im uckermärkischen Joachimsthal durch Kurfürst Joachim Friedrich im Jahre 1607 zusammen. Anders als beim Berlinischen Gymnasium wurde bei dieser Schulgründung
Die Behauptung, es habe an den Berliner Gymnasien nur einen einzigen pietistischen Rektor gegeben (ders., Pietismus, S. 41), ist völlig unhaltbar. 53 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 501–505. 54 Vgl. ebd., S. 502. In der 1699/1700 herausgegebenen ersten Auflage der „Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie“ von Gottfried Arnold wurde Wartenberg zunächst als verfolgter Pietist aufgeführt. In der zweiten Auflage korrigiert sich Arnold und zitiert Speners Einwände dagegen. 55 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 457–464. 56 In seinem Bericht an den König vom 18. September 1702 meinte Spener, er habe sich mit dem Rat allezeit in Kirchen und Schul-Sachen freundlich vereinbart. Aland, SpenerStudien, S. 183. 57 Vgl. unten, Abschnitt D. I. 1. 58 Vgl. Anlage 2. 59 Spener, Bedencken, T. 3, S. 599.
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von vornherein landesherrliches Kapital großzügig mobilisiert. Wie unten näher dargestellt wird, rückte insbesondere seit der Umformung dieser Schule in eine reformierte Bildungsstätte unter Johann Sigismund und deren Verlegung nach Berlin im Jahre 1650 unter Friedrich Wilhelm das Joachimsthalsche Gymnasium in das Zentrum kurfürstlicher Bildungsbemühungen. Für das Berlinische Gymnasium bedeuteten hingegen die folgenden Jahrzehnte eine Zeit der Stagnation, die von häufigen Rektorenwechseln gekennzeichnet war. Die mit dem Dreißigjährigen Krieg verbundenen Probleme wie Seuchen und Kontributionslasten führten 1637 und im folgenden Jahr schließlich zur Schließung der Schule. Seit den vierziger Jahren normalisierte sich der Schulbetrieb langsam wieder. Finanziell war die Lage jedoch weiterhin unbefriedigend. Noch in den fünfziger Jahren klagte der damalige Rektor Jacob Hellwig (1631–1684) über den großen jammer und elenden Zustand unsers verlaßenen, und gleichsamb in den letzten zügen liegenden Gymnasiums. Die Beschwerden darüber, daß an der Schule Privatunterricht eine weitverbreitete Praxis geworden sei, häufen sich in dieser Zeit. 60 Dies verweist darauf, daß für die Lehrer der Zwang, sich den knappen Unterhalt aufzubessern, stark war. In einem Schreiben an den Berliner Rat aus dem Jahre 1663 klagen die Lehrer über ausbleibende Gehälter und die Baufälligkeit der innerhalb des Klosters gelegenen Lehrerwohnungen. Die Lehrer würden nur 20 bis 40 Taler im Jahr verdienen, ein Schuhknecht verdinet jährlich ein weit mehres. Hier aber müssen die meisten alle Ihre Zeit, kräfte, gesundheit, freyheit vor 40, 20 das Jahr hergeben, so daß es besser sei, ein tagelöhner [zu] seyn als ein Collega Gymnasii 61. Erst nach der Säkularfeier des Gymnasiums kam es zu einer spürbaren Verbesserung der Gehaltssituation. Im Jahre 1681 bewilligte Kurfürst Friedrich Wilhelm den neun Lehrern aus der Akzisekasse einen jährlichen Zuschuß von 500 Talern als Tischgelder. Davon sollten die vier oberen Lehrer je 60 und die fünf unteren Lehrer je 52 Taler bekommen. 62 Dieses zusätzliche Geld, durch welches die bis dahin gewährten Freitische bei Berliner Bürgern aufgehoben wurden, trat zu den regulären Besoldungsfonds von insgesamt rund 500 Reichstalern sowie den Holz- und Getreidedeputaten hinzu. Der Rektor kam damit auf einen Verdienst von 210 Talern im Jahr. 63 Somit wurde von jetzt an der laufende Schulbetrieb zu ungefähr gleichen Teilen von städtischer und staatlicher Seite getragen. Die 60
Vgl. Heidemann, Kloster S. 158. ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 64. 62 Acta des Magistrats zu Berlin in Kost oder Tischgelder in Berlinischer und Cöllnischer Schule. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6139, Bl. 1f. 63 In den Bestallungsurkunden von 1668 (Weber) bis 1726 (Frisch) blieb der Verdienst der Rektoren stabil bei 140 Talern Grundgehalt plus 10 Taler an Holzgeldern sowie einem Getreidedeputat. Zuzüglich der landesherrlichen Tischgelder muß der Rektor demnach real über ein Brutto von 210 Reichstalern verfügt haben. Dazu kamen Nebeneinnahmen aus pastoralen Aufgaben. Sub-Con-Rectorat bey dem Berlinischen Gymnasio betr. Acta. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6881. Der Verdienst der anderen Kollegen lag deutlich darunter. 61
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eigentliche Finanzlast blieb jedoch bei der Berliner Bevölkerung, handelte es sich doch bei den bewilligten Gehaltszulagen nur um rückgeleitete Steuergelder. Die Verwendung der Akzisegelder für öffentliche Zwecke mag der Landesherrschaft bei der Legitimation dieser ungeliebten Steuer nicht ungelegen gekommen sein. Auch Friedrich III. bestätigte bei seinem Amtsantritt im Jahre 1688 die bewilligten Gehaltszulagen. 64 Die Tatsache, daß es von 1668 bis 1776 am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster nur sechs Rektoren gegeben hat, ist sicherlich auf die verbesserte Gehaltslage zurückzuführen. 65 Die deutlich längere Verweildauer verweist zugleich auf die gewachsene Attraktivität des Rektorenamtes. Wie das Beispiel des Berlinischen Gymnasiums zeigt, konnte seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert neben dem Pfarramt auch das Amt des Rektors am Ende einer erfolgreichen Berufskarriere stehen. 66 Das gewachsene Ansehen des Lehrerstandes fand seinen sichtbaren Ausdruck in einem 1704 erneuerten Rangreglement für Leichenbegängnisse und andere Gelegenheiten. 67 Damit der Ordo Scholasticus, als dem Publico höchstnöthig und nützlich, nicht in Verachtung gerathe 68, wurde den Rektoren des Berlinischen, Cöllnischen und Friedrichswerderschen Gymnasiums hierbei der Rang hinter den Archidiakonen zugesprochen. Damit wurden sie den Diakonen der Berliner Residenz gleichgestellt. Die Konrektoren erhielten den Rang der Prediger der Vorstädte und die Subrektoren denjenigen von Dorfpfarrern. 69 Anders als die Lehrergehälter blieb die Kommunitätskasse der Schule, mit deren Hilfe eine gewisse Anzahl unbemittelter Schüler mit Unterkunft und einem freien Tisch versorgt werden konnte, allein auf Spenden angewiesen. Die Einrichtung einer Communität war bereits bei der Gründung des Berlinischen GymnasiVgl. Heidemann, Geschichte, S. 81 u. ZLB, GKl Archiv, Nr. 9 und LAB Rep. A 020–02, Nr. 6881. 64 Acta des Magistrats zu Berlin in Kost oder Tischgelder in Berlinischer und Cöllnischer Schule. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6139, Bl. 3. 65 Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts waren 150 Taler das Minimum für den Lebensunterhalt einer fünfköpfigen Familie. Um 1800 lag das Minimum an Einkommen für einen Lehrer an einer Gelehrtenschule bei 300 T. Vgl. Wilke, Rechtstellung, S. 111 u. Paulsen, Geschichte Bd. 2, S. 161. 66 Dies entspricht dem allgemeinen Entwicklungstrend, wonach das Rektorenamt seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert seinen Status als Vorstufe des geistlichen Amtes allmählich verliert. Vgl. Paulsen, Geschichte, S. 335. 67 Königliche Verordnung vom 21. Juni 1704 abgedruckt bei Diterich, Schulhistorie, S. 220–222. 68 Ebd., S. 221. 69 Noch in einer Abhandlung aus dem Jahre 1750 stellt der damalige Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster, Johann Jacob Wippel, bezüglich dieser Verordnung zufrieden fest, daß uns der weiseste Senat und der gebietende Landes-Herr . . . gegen die menschliche Einfalt und Frechheit . . . in Sicherheit gestellet und uns ein Rang gegeben, mit welchem wir zufrieden sind (Wippel, Redeübung, S. 9).
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
ums festgelegt worden. 70 Soweit die spärlichen Quellen darüber Auskunft geben, blieb die Anzahl der im Kloster versorgten Schüler jedoch verschwindend gering. Zahlen liegen erst für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts vor. Im Jahre 1670 wohnten beispielsweise acht Schüler im Gymnasium zum Grauen Kloster und 1698 waren es sechzehn. 71 Interessante Informationen bieten die überlieferten Spenderlisten für die Kommunitätskasse und den generellen Schulfonds. Dabei fällt auf, daß die meisten der verzeichneten Spenden in die Zeit nach dem Großen Kurfürsten fallen. Zieht man die wirtschaftlichen Probleme der Berliner in den Jahrzehnten während und nach dem Dreißigjährigen Krieg in Betracht, kann dies jedoch nicht verwundern. 72 Die Bürgerschaft war in den Spendenlisten mit den unterschiedlichsten Berufsgruppen vertreten. Neben Handwerkern sowie Apothekern und Medizinern finden sich darunter Angehörige von Berliner Kaufmannsfamilien, zum Beispiel Andreas Simon (1621–1692), der einen Teil seines Erbes von 1.500 Reichstalern für die Schulkollegen und die Kommunitätsschüler bestimmt hatte. 73 Unter den Wohltätern des Gymnasiums sind auch kurfürstliche Amtsträger zu finden: 1662 spendeten die Erben des brandenburgisch-kurfürstlichen Rates und Archivars Christoph Schönbeck 74 (1601–1662) 300 Taler und 1691 der kurfürstlich brandenburgische Hofmedicus Martin Weise 75 (1605–1693) – übrigens ein Nachkomme Steinbrechers – 500 Taler an die Kommunität. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bildeten Angehörige der landesherrlichen Amtsträgerschaft unter den Spendern sogar die Mehrheit. Hervorzuheben sind die adligen Geheimräte Freiherr Christoph Caspar von Blumenthal 76 (1638–1689), Hans Heinrich von Flemming 77 (1630–1711) und schließlich Johann Christian von Tieffenbach (1680–1743). Letzterer stammte aus einer weitverzweigten Familie von Kammergerichtsadvokaten, die im 17. Jahrhundert wiederholt das Berliner Bürgermeisteramt besetzen konnten. 78 Für die Geschichte des Berlinischen Gymnasiums ist 70
Vgl. Heidemann, Kloster S. 99f. Nachrichten die Kommuniät betreffend, ZLB, GKl Archiv Nr. 115, Bl. 2. Im Jahre 1686 bedankten sich die Kommunitätsschüler mit einer besonderen Druckschrift bei ihren Hochschätzbaren Wolthätern / Welche Zur Erhaltung der studirenden Jugend so im Convictorio Des Berlinischen Gymnasii auffgenommen ist/ Die verflossenen Jahre reichlich beygetragen mit einer besonderen Druckschrift. Vgl. Danck-Altar. 72 Eine ausführliche Zusammenstellung sämtlicher Wohltäter der Schule seit den Anfängen des Gymnasiums findet sich bei Büsching, Geschichte, S. 47–57. Im Gymnasialarchiv befindet sich eine im Jahre 1758 von Rektor Wippel erstellte Spenderliste. Aufgeführt sind hier ausschließlich Spender seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nachrichten die Kommuniät betreffend, ZLB, GKl Archiv Nr. 115. 73 Simonisches Legatum LAB, Rep. A 020–02 Nr. 15418. 74 Vgl. Bahl, Hof, S. 577. 75 Vgl. ebd., S. 615. 76 Vgl. ebd., S. 432f. 77 Vgl. ebd., S. 473f. 78 Vgl. Schmitz, Ratsbürgerschaft, S. 80–88. 71
I. Das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster
107
Tieffenbach vor allem deshalb bedeutsam, weil er, nachdem im Jahre 1712 ein Brand Teile der Klostergebäude zerstört hatte, eigene Räume für die Schulbibliothek einrichten ließ. Seine Bücherschenkung bildete den Grundstock für die Bibliothek, die in der Folgezeit kontinuierlich anwuchs. 79 Eine andere führende Ratsfamilie Berlins, die für die Schule mehrmals großzügig Geld spendete, war die Familie Lietzmann. Obwohl Mitglieder dieser Familie häufig im Kammergericht tätig gewesen waren, wird diese von der Forschung stärker dem „städtischaußerhöfischen Lebensbereich“ 80 zugeordnet. Es läßt sich feststellen, daß sich sowohl Angehörige von Berliner Kaufmannsfamilien und der außerhöfischen Berliner Ratsbürgerschaft als auch Vertreter der Berliner Honoratiorenschicht, die in einer engeren Verbindung zum landesherrlichen Hof standen, dem Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster verbunden fühlten. Unter den finanzkräftigen Spendern finden sich seit der Zeit Friedrichs I. besonders Angehörige der letzten Gruppe. Daß es sich bei diesem Personenkreis ausschließlich um Lutheraner handelte, die den Alt-Berliner Stadtgemeinden zugehörten, ist ein weiteres Ergebnis der Analyse, das nicht weiter überrascht. Auch von den Pröpsten Lichtscheid und Porst gingen Spenden an die Schulkasse. Einen wichtigen Anteil an der Verbesserung der Versorgungssituation hatte der eben erwähnte Flemming, der als Hofkammer- und Konsistorialrat ein Mitglied des lutherischen kurmärkischen Konsistoriums war. Er unterstütze die Einrichtung einer Berliner Sozialkasse, mit deren Hilfe die Familien verstorbener Berliner Pfarrer und Lehrer abgesichert werden konnten. Im Jahre 1706 bestätigte Friedrich (III.) I. diese zu Verpflegung derer Prediger und Schulbedienten Wittwen und Waysen aufgerichteten . . . Societät in Berlin. Mit einem Kapital von 100 Talern konnte jeder der Evangelisch-Lutherischen Religion zugethane Prediger und Schulbediente der Königlichen Residenzstadt Berlin dieser Witwen- und Waisenkasse beitreten. 81 Daß das Interesse der Landesherrschaft am städtischen Bildungswesen ungeachtet dieser administrativen Zusammenarbeit begrenzt war, macht ein Disput zwischen der Landesherrschaft und dem Berlinischen Gymnasium aus dem Jahre 1705 deutlich. Um das benachbarte königliche Magazin- und Provianthaus auf die Klosteranlage ausweiten zu können, war bei der Regierung der Plan entstanden, das Berlinische Gymnasium in die Heilig-Geist-Straße zu verlegen. In einer ausführlichen Stellungnahme wandten sich die Lehrer mit der dringenden Bitte an den Berliner Rat, beim König wegen dieses Vorhabens zu intervenieren. 82 Die 79
Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 247. Zu den Anfängen der Schulbibliothek des Berlinischen Gymnasiums vgl. Rohrlach, Bibliothek, S. 12ff. 80 Bahl, Hof, S. 104. 81 Abdruck der gesamten Ordnung bei Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 83, Sp. 163–170. 82 Acten, die Verlegung des Gymnasiums nach einem andern Ort betreffend. ZLB, GKl Archiv, Nr. 11, Bl. 8–14. Vgl. auch die Abschrift des Schreibens in den Acta des
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
angeführten Argumente gegen eine Schulverlegung zeigen, daß man diesen Umzugsplan als einen unmittelbaren Eingriff in städtisches Patronatsrecht bewertete. In ihrem Gutachten stützten sich die Lehrer auf die ihnen vorliegenden Gründungsdokumente. Danach hätten die Vorfahren des Königs die Klostergebäude der Schule auf ewig geschenkt. Außerdem seien einige der Schule vermachte Kapitalien und Rechte an das Kloster bzw. die Klosterkirche gebunden und es wären darüber hinaus in der Vergangenheit viele Investitionen am Kloster aus Schulgeldern getätigt worden. Als problematisch wird nicht nur der Verlust der Klostergebäude, sondern auch der mögliche neue Standort eingeschätzt, zöge man doch in die unmittelbare Nachbarschaft des Joachimsthalschen Gymnasiums. Auseinandersetzungen unter den Schülern beider Schulen, zwischen denen eine gar große distinction 83 bestünde, seien damit vorprogrammiert. Im Unterschied zum Joachimsthalschen Gymnasium, das wohl dotirt sei und unter seinen Schülern Vornehme, nicht nur von Adels- sondern auch Gräflichen Standes Persohnen, auch solche die würklich in Ihro Königl. Maj. diensten stehen, habe, bestünde die Schülerschaft des Gymnasiums zum Grauen Kloster aus lauter jungen Leuthen von Bürgerstande und insgemein armen Dorf-Priester Söhnen. Auch sei die hiesige Schule arm und müßten die Schüler ihren Unterhalt durch Chorsingen selber aufbringen. Die ganz schlechte Communität sei ganz allein auf privatorum Wohlthat angewiesen. Da dies nach Meinung der Verfasser zu einer ständigen Konkurrenz, zu Zank, Schlägereien und Zerrüttung und letztlich auch zu Zwistigkeiten zwischen den docentibus führen könne, solle man unbedingt von einem Umzug absehen. Diese Argumentation gibt interessante Aufschlüsse über das Selbstverständnis der Lehrer. Offensichtlich verstand man das Berlinische Gymnasium als bürgerliche Einrichtung, die sich in einer gewissen Distanz zur höfischen Welt befand. Auch die unterschiedliche Konfessionalität der Schulen wird in der Diskussion um den Umzug angesprochen. So warnt der damaligen Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums in einem anderen Schreiben vor einer Verlegung des Berlinischen Gymnasiums in die Nähe seiner Schule, weil dies zu vielen Mißhelligkeiten und Schlägereien führen würde. Er gibt dabei zu Bedenken, daß sich zwey HauptSchulen in einer großen Stadt, die an Kirchen und Gottes-Dienst unterschieden seyn, sich schwerlich laßen gegeneinander halten, in dem bey einer so numerosen Anzahl beyder Gymnasiorum auch durch die fleißigste Auffsicht und Autorität der Praeceptorum, die Jugend in den frechen Jahren nicht würde können im Zaum gehalten werden 84. Somit wurde die konfessionelle Differenz von den Zeitgenossen sehr wohl als Problem wahrgenommen. Zugleich wird deutlich, daß zu diesem
Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 65–76. 83 Die folgenden Zitate stammen aus den Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 66.
I. Das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster
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Zeitpunkt die beiden Gymnasien als die führenden Gelehrtenschulen der Stadt galten. Die Tatsache, daß der Umzug nie zustande kam, verweist dann auch auf ein Einlenken des Königs in dieser Frage. Das Berlinische Gymnasium sollte seinen stillen und abgelegenen, jedoch gleichwohl vornehmen Standort in der Klosterstraße behalten. Erst die gewaltsame Zerstörung am Ende des 2. Weltkrieges sollte die Auffassung der Lehrer, daß die Schulgebäude wegen ihrer guten Bausubstanz biß an den Jüngsten Tag stehen können 85, widerlegen. In den Jahrzehnten nach den hier geschilderten Auseinandersetzungen konsolidierte sich die Finanzlage des Berlinischen Gymnasiums immer mehr. Eine gewisse Verbesserung brachte ein zusätzlicher Freitisch für zwölf bedürftige Schüler, den im Jahre 1739 Maria Rosina Schindler, die Witwe eines Königlichen Geheimrats, einrichten ließ. Zugang zu dieser Schindlerschen Communität hatten vorzugsweise die im gleichnamigen Berliner Waisenhaus erzogenen Schüler. 86 Die grundsätzliche Konsolidierung der wirtschaftlichen Situation des Berlinischen Gymnasiums fällt erst in die Zeit nach 1740. Der Kauf- und Handelsmann Sigismund Streit, ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums, vermachte der Schule in den Jahren 1752 und 1760 ein Vermögen von insgesamt 60.000 Talern, welches durch Zinsen auf 125.000 Taler anwachsen sollte. 87 Der Stifter verordnete nicht nur ein eigenes Direktorium zur Aufsicht und Verwaltung dieses Geldfonds, sondern traf auch weitreichende Bestimmungen über sein Verwendung. Beispielsweise mußte der Schuldirektor von jetzt an den Doktor der Theologie und die nächsten drei Lehrer einen akademischen Magistergrad vorweisen können. Neben der Absicherung der finanziellen Grundlagen mögen auch solche Ansprüche an die Professionalität der Lehrer dazu geführt haben, daß das Berlinische Gymnasium im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts seine Führungsrolle unter den städtischen Gelehrtenschulen behaupten konnte. Die zweite Gelehrtenschule der alten Doppelstadt, das im folgenden Abschnitt behandelte Cöllnische Gymnasium, wurde dagegen nach einer Zeit des Niedergangs im Jahre 1767 dem Berlinischen Gymnasium angegliedert. Entsprechend dem Plan des Oberkonsistoriums wurden die oberen Klassen beider Gymnasien im Grauen Kloster zusammengefaßt. Das Ziel dieser Vereinigung sollte nach der Einschätzung des Zeitgenossen Nicolai darin bestehen, ein „Mittelding zwischen einer Universität und einer gemeinen Stadtschule“ 88 zu bilden. Offensichtlich bestand ein gewachsenes Bedürfnis danach, die beiden Altberliner 84 Acten, die Verlegung des Gymnasiums nach einem andern Ort betreffend. ZLB, GKl Archiv Nr. 11, Bl. 15. 85 Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 70. 86 Vgl. Büsching, Geschichte, S. 56 u. Wiese, Schulwesen, S. 88. 87 Vgl. Gedike, Nachricht. 88 Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 739. Schon ein Jahr nach der Fusion schätzte der damalige Rektor Büsching das vereinigte Berlinische Gymnasium als eine Institution ein, „die in der Mitte zwischen einer Schule und einer Universität stehet“. Büsching, Nachricht,
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Gelehrtenschulen durch eine stärkere Differenzierung weiter aufzuwerten. Nicht nur diese strukturellen, sondern vor allem auch die methodischen und curricularen Reformen unter den berühmten Berliner Aufklärungspädagogen Anton Friedrich Büsching (1724–1793) und Friedrich Gedike (1754–1802) sollten dann im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine neue Phase in der Geschichte des Gymnasiums zum Grauen Kloster einleiten. 89
II. Das Cöllnische Gymnasium als zweites altstädtisches Gymnasium 1. Die Anfänge des Cöllnischen Gymnasiums im 16. Jahrhundert Das Cöllnische Gymnasium ist die zweite traditionelle Gelehrtenschule der alten Doppelstadt Berlin-Cölln. Nicht zuletzt die Tatsache, daß das Cöllnische Gymnasium im 18. Jahrhundert im Berlinischen aufgegangen ist, hat dazu geführt, daß seine Existenz in der späteren Historiographie häufig übersehen wurde. 90 Die problematische Quellenlage hat diese Situation noch verschärft. Tatsächlich handelte es sich jedoch beim Cöllnischen Gymnasium um eine Gelehrtenschule, die im hier behandelten Zeitraum neben dem Berlinischen Gymnasium durchaus einen ebenbürtigen Platz innehatte. Wie die erhaltenen Schülermatrikeln beweisen, wuchs es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ebenfalls zu einer leistungsstarken höheren Schule mit überregionaler Bedeutung heran. Auch der große Cöllnische Stadtbrand von 1730, bei dem mit der gotischen St. Petrikirche und vierzig nahegelegenen Häusern auch das Gymnasium in Flammen aufging, änderte daran zunächst nicht viel. Obwohl der materielle Verlust des Gebäudes und die Zerstörung von Schulakten und Urkunden über alte Privilegien, Legate und Einkünfte dem Cöllnischen Gymnasium schwer zusetzten, blieben in den nächsten Jahren die Immatrikulationszahlen der Schule relativ stabil. Erst in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts begann sich der Niedergang des Cöllnischen Gymnasiums abzuzeichnen. S. 4. Ob diese Einschätzung in der als Werbeschrift verbreiteten Schulschrift realistisch war und nicht einem ehrgeizigem Wunschdenken entsprach, muß hier dahingestellt bleiben. 89 Zur Bedeutung von Gedike als „Begründer des preußischen Neuhumanismus“ vgl. Scholtz, Gedike, S. 128. 90 Bereits Nicolai stellte fest, daß die Geschichte des Cöllnischen Gymnasiums „noch nicht recht und hinlänglich untersucht worden“ sei (ders., Beschreibung, S. 738). Dies führte dazu, daß die neuere Forschung, die nur aus der Sekundärliteratur schöpft, zu völlig falschen Schlüssen kommen konnte. Für Dorwat war das Cöllnische Gymnasium beispielsweise nur eine elementare Lateinschule with only a few students above the elementary level (ders., State, S. 197, Fußnote 12). Bezeichnend ist auch die Tatsache, daß dem wichtigsten Historiographen des Französischen Gymnasiums, Velder, die Existenz des Cöllnischen Gymnasiums völlig unbekannt geblieben ist (vgl. ders., Gymnasium, S. 16 u. 89).
II. Das Cöllnische Gymnasium
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Das Cöllnische Gymnasium hat seinen Ursprung in der mittelalterlichen Lateinschule, welche der Cöllnischen Pfarrkirche St. Petri angeschlossenen war. Die Frage, wann die Schola Coloniensis oder Petrinum genannte Cöllnische Lateinschule in eine gehobene Gelehrtenschule umgewandelt worden sei, läßt sich angesichts der dürftigen Quellenlage nicht eindeutig beantworten. 91 Anders als beim Berlinischen Gymnasium, dessen Neugründung eine genaue Datierung erlaubt, wuchs das Petrinum in mehreren Schritten über den Umfang einer niederen Lateinschule hinaus. Als Eckdaten für diesen Prozeß ist die Zeit zwischen 1540 und 1574 anzusetzen. Die Cöllnischen Visitationsabschiede dieser beiden Jahre, die den jeweiligen Zustand der Schule genau aufnahmen, zeigen das Anwachsen der Lehreranzahl von ursprünglich vier auf sechs Lehrerstellen. Während 1540 nur von einem schulmeister, cantori und einem gesellen die Rede ist, werden im Abschied von 1574 der Rector, der Schuelmeister, der Cantor und zwei Baccalauren sowie ein Infimo aufgezählt. 92 Die Zunahme an Personal bedeutet zugleich, daß die vormals dreiklassige Schule nun zu einer fünfklassigen Gelehrtenschule mit Unter- und Oberstufe herangewachsen war. Sie hatte damit die Klassenstärke eines vollwertigen Gymnasiums erreicht. 93 Zufrieden konnten die Visitatoren im Jahre 1574 feststellen, daß die Lehrer der Cöllnische Schule in ihrem Ambte fleissig sein, und nichts verseümen 94. Dies spricht für die Tatsache, daß die Schule bereits vor 1574 einen nicht unerheblichen Aufschwung genommen hat. Dazu hatte sicherlich auch der zweigeschossige Schulneubau beigetragen, der im Jahre 1569 errichtet worden war. 95 Wenn auch das Cöllnische Gymnasium bereits vor dem Berlinischen das Niveau einer ausgebauten Gelehrtenschule erreicht hatte und somit als das ältere der beiden Altberliner Gymnasien gelten kann, reichte es hinsichtlich seiner personellen Stärke nicht an das Berlinische heran. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts konnte durch eine weitere Lehrerstelle die Klassenstärke auf sechs erhöht werden. Seitdem bestand das Lehrpersonal aus drei Lehrern für die höheren Klassen (Rektor, Konrektor und Subrektor) und vier Lehrern für die unte-
91 Zusammenfassung dieser in der schulhistorischen Forschung gern diskutierten Frage zuletzt bei Racho, Geschichte, S. 32–37. Die damit verbundene Frage, ob das Cöllnische Gymnasium älter als das Berlinische sei, hat die Berliner Schulmänner nicht zuletzt aus Prestigegründen immer wieder bewegt. Im Anschluß an Schmidt führt Racho an, daß die Bezeichnung Gymnasium für die Cöllnische Schule bereits im Jahre 1539 auftaucht. Dies kann jedoch nicht als Beweis für die tatsächliche Existenz einer höheren Schulform akzeptiert werden, zumal es sich hier um eine Fremdbezeichnung handelt. Als Selbstbezeichnung taucht der Begriff Gymnasium erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf. Vgl. Schmidt, Geschichte, S. 9 u. 18 sowie Racho, Geschichte, S. 33 u. 37. 92 Kuhn, Visitationsabschiede, S. 8 u. 10f. 93 Vier bis fünf Klassen gelten für die Zeit seit der Mitte des 16. Jahrhunderts als Minimum für ein „vollwertiges Gymnasium“. Vgl. Seifert, Gelehrtenschulwesen, S. 302. 94 Kuhn, Visitationsabschiede, S. 5. 95 Vgl. Racho, Geschichte, S. 33. Zu dieser Jahresangabe bei Racho fehlen allerdings Quellenbelege.
112
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
ren Klassen (Kantor, erster und zweiter Baccalaureus und Infimo). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die erste Bakkalaurenstelle in eine Subkonrektorenstelle umgewandelt. 96 Trotzdem blieb es bei sechs Klassen. Am Berlinischen Gymnasium unterrichteten dagegen zwei Lehrer mehr, ein Subkonrektor sowie ein zweiter Kantor. Dies ermöglichte hier den Unterricht in sieben Klassen. Da die Anzahl der Lehrerstellen und Klassen ein wichtiges Indiz für Rang und Bedeutung einer Schule liefert, nahm das Cöllnische somit den Platz hinter dem Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster ein. 97 Aufschlußreich für die Statusfrage ist ein Streit der beiden Gymnasien über den Vorrang bei öffentlichen Leichenbegängnissen, der sich in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts abspielte. 98 In einer Verfügung hatte das Konsistorium dem Cöllnischen Gymnasium den Vortritt für den Cöllner Stadtteil zugesichert. Dagegen regte sich der Protest der Berlinischen Lehrer. Nachdem es im Jahre 1657 beim Leichenbegängnis des kurfürstlichen Statthalters Johann Graf zu Sayn-Wittgenstein der Praecedenz halber zwischen den Schülern beider Gymnasien darüber zu ernsthaften Schlägereien gekommen war, wurde die Vortrittsfrage erneut vom Konsistorium verhandelt. Für das generelle Vortrittsrecht ihrer Schule führten die Lehrer des Berlinischen Gymnasiums, die vom Berlinischen Magistrat unterstützt wurden, aufschlußreiche Argumente an: 99 Zum einen sei ihre Schule die ältere und verdiene deshalb den Vortritt. Außerdem habe damals der Kurfürst selbst aus ihrer gemeinen Stadt-Schule ein Gymnasium gemacht, die Klostergebäude dazugegeben und 1000 Taler verordnet, was bei der Cöllnischen Schule nicht der Fall gewesen sei. Darüber hinaus hätten sie am Berlinischen Gymnasium nicht nur mehr Praeceptores, sondern handele es sich hier auch um eine schola provincialis. Offensichtlich gehörte der Anspruch, eine überregionale Landesschule zu sein, am Berlinischen Gymnasium weiterhin zum eigenen Selbstverständnis. Als entscheidende Rechtsbasis führten die Berliner Lehrer dann eine Prozessionsordnung von Kurfürst Albrecht Achilles aus dem Jahre 1476 an, in welcher den Schülern der Berliner Marienkirche der Vortritt vor den Cöllnischen Schülern von St. Peter zugesprochen worden sei. Mit dieser Fronleichnamsordnung legten die Lehrer zugleich das bis heute älteste Zeugnis für die Existenz von Lateinschulen an den drei Altberliner Stadtkirchen vor. 100 Das Konsistorium folgte schließlich den Argumenten der Berlinischen Lehrer. Wenn beide Schulen den Zug begleiteten – wie es bei öffentlichen Leichenbestattungen vornehmer Leute der Fall sein
96
Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 981. Vgl. Seifert, Gelehrtenschulwesen, S. 302. 98 ZLB GKl Archiv, Nr. 19. Vgl. auch Diterich, Schulhistorie, S. 175–178, Gilow, Gymnasium, S. 399f. u. Heidemann, Geschichte, S. 159. 99 Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 175f. 100 ZLB GKl Archiv, Nr. 19. Abgedruckt bei Fidicin, Beiträge, Bd. 1, S. 261. Zur Datierung der Prozessionsordnung vgl. Gilow, Gymnasium, S. 400. 97
II. Das Cöllnische Gymnasium
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konnte – sollten die Schüler des Berlinischen denen des Cöllnischen Gymnasiums vorangehen. Die Lehrer hatten abwechselnd entsprechend ihrer Position zu folgen. 101 Beim königlichen Leichenbegängnis von 1713 sah die Rangfolge so aus, daß die Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums zwar die letzten waren, dadurch aber der königlichen Leiche am nächsten kamen, davor liefen die Berlinische Schüler, dann die Cöllnischen und ganz vorn die Friedrichswerderschen Schüler. 102 An der Nachordnung des Cöllnischen Gymnasiums hatte sich also auch im 18. Jahrhundert nichts geändert. 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht durch den Cöllnischen Rat und die Cöllnischen Pröpste Das Cöllnische Gymnasium war am Petriplatz unmittelbar neben der St. Petrikirche und gegenüber vom Cöllnischen Rathaus gelegen und befand sich damit an einem zentralen Ort des Stadtteils Cölln. 103 In dieser stadttopographischen Lage spiegelt sich zugleich die administrative Situation der Schule wieder. Der Cöllnische Magistrat hatte das Patronat über die Schule inne und war für die Besoldung der Lehrer aus dem gemeinen Kasten zuständig, während die geistliche Schulaufsicht vom ersten Pfarrer an St. Petri, dem Cöllnischen Propst, ausgeübt wurde. 104 Bereits im Zuge der Visitation von 1540 waren dem Cöllnischen Rat die Einkünfte etlicher geistlicher Lehen und Reseruate [!] zur Besoldung der Lehrer überschrieben worden. Im Jahre 1574 verordneten die Visitatoren explizit den Pfarrer und Caplene alhier, dessgleichen den Regirenden Burgermeister, etliche des Raths, und Stadtschreiber, Auch aus der Gemeine, so der Pfarrer vnd Ehrbahr Raht vor Tüchtig dazu erachten, zu Inspektoren der Schule. Zugleich beauftragten sie dieses Inspektorenkollegium, zusammen mit dem Rektor eine bestendige Schuelordnung 105 zu erarbeiten. Die Schulgesetze des Cöllnischen Gymnasiums sind in mehren Abschriften überliefert. Sie zählen heute zu den wenigen erhaltenen handschriftlichen Quellen aus der Zeit vor dem Brand von 1730. 106 Auch wenn die Abschriften aus dem 18. Jahrhundert stammen, gehen sie nach übereinstimmender Forschungsmeinung in ihrem Kern auf den Beginn des 17. Jahrhunderts zurück. 107
101
Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 177f. Vgl. ebd., S. 257f. 103 Vgl. Gilow, Gymnasium, S. 394. 104 Zur Entwicklung des Propstamtes in Cölln vgl. Fleiner, Mitwirkung, S. 18ff. 105 Kuhn, Visitationsabschiede, S. 9 u. 11. 106 Die in mehreren Versionen erhaltenen Schulgesetze befinden sich im Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82. Eine spätere Abschrift stammt von 1744 und enthält Anmerkungen des damaligen Rektors Damm. Ebd. Bl. 1–36. 102
114
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Auch die Schulgesetze des Cöllnischen Gymnasiums behandeln gleich zu Beginn Fragen der Rechtgläubigkeit. In den Leges de Praeceptorum Officio wird für die Lehrer die Augsburgische Konfession als notwendiges Bekenntnis angeführt und vor heterodoxen Meinungen gewarnt (§2). Im Abschnitt für die Schüler De Discipulorum Officio beschäftigen sich allein neunzehn Paragraphen mit den Speciales de Pietatis Exercitia. Auch von den Schülern wird das Studium von Schriften verae et orthodoxae religionis gefordert (§ 2). Für die umittelbaren Schulbelange sollten die Inspektoren zuständig sein. In den Schulgesetzen sind die Aufgaben der Inspectori genau festgeschrieben. Sie hatten beispielsweise Streitigkeiten der Lehrer untereinander zu schlichten (§ 46), den jährlichen Examen beizuwohnen (§ 52) und sollten über den geplanten Weggang von Lehrern informiert werden (§71). Leider ist zur Zusammensetzung dieses Kollegiums hier nichts ausgeführt und finden sich auch anderswo keine Hinweise über dieses Kollegium. Der Visitationsordnung gemäß müßten sowohl Mitglieder der Cöllnischen Geistlichkeit als auch Ratsmitglieder dazu gezählt haben. Die oberste Schulaufsicht behielt sich der Cöllnische Magistrats vor, der am Ende des Textes auch als Auftraggeber der Leges erscheint. 108 Anders als beim Berlinischen Gymnasium blieb die Aufsicht über das Cöllnischen Gymnasium von vornherein uneingeschränkt dem städtischen Magistrat vorbehalten. Inwieweit die administrativen Bestimmungen in der schulischen Praxis tatsächlich befolgt wurden, ist aufgrund der schwierigen Quellenlage nicht eindeutig zu beantworten. Die geistliche Schulaufsicht wurde am Cöllnischen Gymnasium nachweislich seit dem 17. Jahrhundert vom Cöllnischen Propst ausgeübt. Nach
107 Vgl. Schmidt, Geschichte, S. 17; Kuhn, Visitationsabschiede, S. 5 u. Gilow, Gymnasium, S. 396. Ein Vergleich dieser Schulgesetze mit den ersten gedruckten Schulgesetzen vom Berlinischen Gymnasium bestätigt diese Vermutung. Die von Rektor Lipstorp im Jahre 1591 veröffentlichten Leges Gymnasii Berolinensis weisen mit den Cöllnischen Leges stilistisch und funktional viele Parallelen auf. Eine literarische Abhängigkeit ist jedoch nicht erkennbar. Auch wenn die Berliner Schulgesetze dem unbekannten Verfasser vorgelegen haben mögen, verweist die Tatsache, daß die Cöllnischen Leges weit ausführlicher gehalten sind und sich in vielen Details direkt auf die Cöllnischen Verhältnisse beziehen, darauf, daß es sich hier um eine originäre Abfassung handelt. Als Verfasser erscheint mir einer der Rektoren aus den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich. Bei der Visitation von 1600 wurde das Fehlen einer Schulordnung noch beklagt (Vgl. Kuhn, Visitationsabschiede, S. 5). Der Cöllnische Propst Andreas Fromm, der von 1651 bis 1666 amtierte, beruft sich wiederum auf die Schulgesetze „als etwas zu seinen Zeiten ganz bekanntes“. Küster/Müller, Berlin, S. 984. Vgl. dazu auch Schmidt, Geschichte, S. 13. Racho hält fälschlicherweise und ohne das Quellenmaterial selbst in Augenschein genommen zu haben, Rektor Johannes Bödiker (1641–1695) für den Verfasser der Schulgesetze. Vgl. Racho, Geschichte, S. 54. Zutreffend ist nur, daß Bödiker im Jahre 1676 die Schulgesetze in einer Programmschrift veröffentlicht haben soll. Küster entnahm dieser leider verschollenen Schrift die Leges Convictorii Coloniensis und druckte sie in seiner Berliner Stadtgeschichte ab. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 984. 108 Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09, Nr. 82, Bl. 36.
II. Das Cöllnische Gymnasium
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dem Zeugnis von Propst Andreas Fromm 109 (1621–1683) hatten die alten Leges ursprünglich vorgesehen, daß der Cöllnische Propst am Gymnasium auch theologische Lektionen halten solle. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war dies noch praktiziert worden, danach jedoch für eine lange Zeit nicht mehr. 110 In seinem neuen Amt, das er 1651 angetreten hatte, führte Fromm diese Lektionen für die oberen Klassen wieder ein. Außerdem benutzte er die wöchentlichen Betstunden, um aus der Bibel vorzulesen. 111 Weitergehende Ambitionen des Propstes, auch das Berufungsrecht über das Cöllnische Gymnasium an sich zu ziehen, scheiterten allerdings. Darüber gibt ein Schreiben unter den wenigen erhaltenen Bestallungsakten Auskunft, die von Cöllnischen Lehrern beim Magistrat erhalten blieben. Fromm hatte offensichtlich die Ansicht vertreten, daß es ihm als Obrigkeit und von Amts wegen zustünde, die Vokationsurkunden für die neuen Lehrer auszustellen. Daraufhin beschloß der Cöllnische Magistrat, daß der Probst hinführo keine Vocation wegen der Schulbedienten untherschreiben, sondern nur in der Vocation, daß er zu der Wahl gezogen wäre, gedacht werden solle 112. Dieses deutliche Abwehrverhalten gegenüber Eingriffen in das städtische Patronatsrechts ist möglicherweise auf die damals virulenten konfessionellen Auseinandersetzungen zurückzuführen. Dem konfessionell gemäßigten und um Ausgleich bemühten Fromm gegenüber beharrte der Cöllnische Rat auf seinem uneingeschränkten Patronatsrecht. Auch in einem anderen Berufungsfall setzte sich der Magistrat durch und verpflichtete einen neuen Lehrer gegen den Willen Fromms explizit auf das Konkordienbuch. 113 Über die Aktivitäten der Nachfolger Fromms schweigen die Quellen. Visitationsberichte fehlen ebenso wie Bestallungsakten. Erst aus der Zeit des Cöllnischen Propstes und Konsistorialrates Lütkens, der von 1687 bis 1704 amtierte, sind wieder Quellen erhalten. Sie betreffen die Zeit, als der Pietismus in der Residenzstadt Fuß zu fassen begann. Es handelt sich hierbei um Streitfälle, in welche der Geheime Rat einbezogen worden war. Von besonderem Interesse ist dabei der Fall von Sebastian Gottfried Starck, den Propst Lütkens auf Empfehlung von Ezechiel Spanheim im Jahre 1695 für das vakante Rektorenamt vorgeschlagen hatte. 114 Eine Berufung Starcks, der aus Sachsen stammte und ein Absolvent der Hallenser Uni109
Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 124–137. Vgl. Schmidt, Geschichte, S. 13f. In den überlieferten Abschriften der Leges ist dieser Passus nicht mehr enthalten. 111 Küster/Müller, Berlin, S. 522. Vgl. auch Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 127. 112 Postsriptum der Vocation, als M. Christoph Rhewend Subrector beym Cöllnischen Gymnasio worden, den 6. May 1656. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6880, Bl. 12. 113 Acta des Magistrats der Stadt Berlin betreffend das Jus patronatus(1631–1826). LAB, A Rep. 04–02, Nr. 1.1, Bl. 9. 114 Geistliche Angelegenheiten von Cölln, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C 4, Fasz. 15792, Bl. 56–62. Näheres zu Starck vgl. unten, Abschnitt D. I. 1. 110
116
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
versität war, traf jedoch beim Cöllnischen Rat auf großen Widerstand. Nachdem der Rat von der Wahl Starcks wieder abgerückt war, wandte sich Lütkens an den Konsistorialpräsidenten und Staatsminister Paul von Fuchs mit der Bitte um Unterstützung. Mit der Bemerkung, daß die Ratsmitglieder vergnüget sein können, daß Ihr zu ersetzung des vacirenden Rectorats ein so capables und geschicktes subjectum erlanget und weil wir auch überdehm vernehmen, daß nur einige euers mittels hierunter dissendiren, erteilte Friedrich III. schließlich den Befehl, Starck zum Rectore bey der Schule hirselbst . . . zu bestellen 115. Gegen diesen kurfürstlichen Befehl wurde jedoch nicht Starck, sondern der bisherige Konrektor Christian Rotaridis (–1723) vom Cöllnischen Magistrat alß eintziger Patron 116 zum neuen Rektor berufen. Ob man von Seiten des Rates den normalen Aufstiegsweg nicht unterlaufen wollte oder Starck als einen mit reformierten Regierungskreisen vertrauten und von Seiten der Regierung gewünschten Kandidaten ablehnte und inwieweit man dessen hallische Prägung womöglich verdächtig fand, ist aus den Quellen nicht erkennbar. Der Versuch, dem Cöllnischen Rat einen Auswärtigen anstelle des allseits bekannten Rotaridis aufzudrängen, war offensichtlich nicht durchsetzbar. Drei Jahre später gelang es dem Berliner Propst Spener, Starck als Konrektor am Gymnasium zum Grauen Kloster unterzubringen. Auch in einem anderen Fall, der sich im Jahre 1700 ereignete, behauptete der Cöllnische Rat sein uneingeschränktes Vokationsrecht gegen Propst Lütkens. 117 Um einen ihm als geeignet erscheinenden Kandidaten als Subrektor am Cöllnischen Gymnasium durchzusetzen, hatte Lütkens wiederum das Konsistorium eingeschaltet. Gegen die Weisung des Konsistorialpräsidenten Paul von Fuchs bestallte der Rat jedoch seinen eigenen Kandidaten. Es handelte sich hierbei um den aus der Niederlausitz stammenden Martin Severin (1665–1730), der in Wittenberg studiert hatte, jedoch dem Pietismus keineswegs abgeneigt war. 118 In den folgenden Jahrzehnten wurden im gemeinsamen Einvernehmen von Rat und Propst eine Reihe Hallenser Absolventen neu an das Cöllnische Gymnasium berufen, darunter die Cöllnischen Rektoren Christian Rubin (1668–1727), Friedrich Bake (1686–1742) und Christian Tobias Damm (1699–1778), sowie Georg Gottfried Küster (1695–1776), der später am Friedrichswerderschen Gymnasium das Rektorat übernahm. Die meisten Neubesetzungen fielen in die Zeit des pietistischen Propstes Reinbeck, der bis 1741 amtierte. Auch in der Folgezeit behauptete der inzwischen Gesamtberliner
115
Geistliche Angelegenheiten von Cölln, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C 4, Fasz. 15792,
Bl. 58. 116 Bestallungsurkunde des Cöllnischen Magistrats für Rotaridis vom 20. 2. 1696. Vgl. LAB, A Rep. 04–02, Nr. 6138. Bl. 4. 117 Geistliche Angelegenheiten von Cölln, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C 4, Fasz. 15793, Bl. 119ff. 118 Der Rektor Friedrich Bake schreibt in seinem Album Coloniense über Severin, daß er die Schüler über H. D. Speners u. anderer Prediger Lieder informiret hätte. LAB, A Rep. 020–09, Nr. 82, Bl. 81.
II. Das Cöllnische Gymnasium
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Magistrat sein Schulpatronat gegenüber den Cöllnischen Pröpsten. Als im Jahre 1743 der damalige Cöllnische Propst und Konsistorialrat Johann Peter Süßmilch (1707–1767) in einen Berufungsstreit mit dem Berliner Magistrat geriet, wurde in einer königlichen Resolution nochmals bestätigt, daß besagtem Magistrat als Patrono der Schulen das jus vocandi Pro-Rectorem unstreitig zustehet [und] dem Probst als Inspectori Scholae aber, bey der Wahl nur ein votum consultativum competiret, dieses votum hingegen kein jus contradicendi involviret. 119 In seiner schulischen Personalpolitik blieb demnach der vereinigte Magistrat der königlichen Residenzstadt Berlin zumindest bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts weitgehend autonom. 120 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Zur finanziellen Situation des Cöllnischen Gymnasiums fehlt es weitgehend an Quellen. Die Visitationsberichte aus dem sechzehnten Jahrhundert zeigen, daß das Grundgehalt der Lehrer aus kommunalen Geldern seit 1574 abgesichert war. 121 Seit dieser Zeit wurde von den Knaben auch kein Schulgeld mehr verlangt. Während sich im Jahre 1541 drei Schullehrer noch 85 Gulden teilen mußten, betrugen die Gelder, die 1574 aus dem gemeinen Kasten an die Lehrer gezahlt wurden, 288 Gulden jährlich. Auf den Rektor entfielen dabei 100 Gulden. Zur selben Zeit erhielt der Rektor am neugegründeten Berlinischen Gymnasium ein vergleichbares Gehalt von 110 Gulden. Dazu kamen die üblichen Deputate an Getreide und Holz sowie Freiheiten wie die Befreiung von der Brauziese. Trotzdem blieben die Lehrer des Cöllnischen Gymnasium wie ihre Kollegen in Berlin auf Nebenverdienste durch Beerdigungen, Hochzeiten und andere Gelegenheiten angewiesen. Eine besonders wichtige Einnahmequelle bildete außerdem der Privatunterricht, den die Lehrer zusätzlich zum regulären Lehrplan gegen ein besonderes Entgelt erteilten. Über die Höhe der Lehrereinkommen im siebzehnten Jahrhundert ist kaum etwas bekannt. Im Jahre 1681 erhielt auch das Cöllnische Gymnasium einen kurfürstlichen Gehaltszuschlag von 400 Talern aus Akzisegeldern. 122 Von der Akzise waren die Lehrer wie ihre Kollegen in Berlin seit 1672 befreit. 123 Da das Cöllnische Gymnasium anders als das Berlinische mit keinem 119 Acta des Magistrats der Stadt Berlin betreffend das Jus patronatus (1631–1826). LAB, A Rep. 04–02, Nr. 1.1, Bl. 34. 120 Fleiner hat diese rechtliche Autonomie auch bezüglich der Predigerbestallungen herausarbeiten können. Vgl. ders., Mitwirkung. 121 Vlgl. Kuhn, Visitationsabschiede, S. 8f. u. 10f. 122 Ein Vermerk darüber findet sich bei Heidemann, Geschichte, S. 174, Fußnote 2. Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde jedem Lehrer am Cöllnischen Gymnasium 57 Taler jährlich ausgezahlt. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 971. 123 Urkunden, die freie Accise und Ziese der Kollegen und wittwen betreffend, ZLB, GKl Archiv, Nr. 13, Bl. 2.
118
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
größeren Stiftungskapital ausgestattet war, dürfte der Verdienst der Cöllnischen Lehrer jedoch unter dem der Berlinischen geblieben sein. Dies bestätigt eine spätere Bestallungsurkunde von 1723, die erkennen läßt, daß das übliche Gehalt, welches dem Rektor in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts aus dem Kirchenkasten gezahlt wurde, nur 87 Taler und 12 Groschen betrug, wozu noch 52 Taler Kostgelder aus der Akzisekasse kamen. 124 Das Rektorengehalt lag damit am Cöllnischen Gymnasium rund 60 Taler unter dem, was am Berlinischen gezahlt wurde. Als Indiz für die Gehaltssituation im 17. Jahrhundert mag wiederum die Dauer der Amtszeit der Rektoren und anderen Lehrern dienen. Danach erreichten bereits sämtliche Rektoren seit 1640 eine durchschnittliche Amtszeit von fünfundzwanzig Jahren. Auch das Konrektorenamt blieb relativ stabil besetzt. Am häufigsten wechselten die Subrektoren in ein Pfarramt über. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts blieben auch die Stellen der Subrektoren und Subkonrektoren über Jahrzehnte von einem und denselben Lehrern besetzt. Dies läßt den Schluß zu, daß das Cöllnische Gymnasium seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in finanzieller Hinsicht eine stabile Entwicklung genommen haben muß und zumindest seinen Rektoren und Konrektoren eine ausreichende Existenz sichern konnte. Seit dem 18. Jahrhundert galt dies auch für das übrige höhere Lehrerpersonal. Zusätzlich zum Gehalt erhielten die Lehrer freien Wohnraum gestellt. Im Jahre 1685 wohnten sämtliche Schulkollegen bis auf den Kantor in der Schule. 125 Seit 1695 verfügten die Lehrer mit dem Wippertschen Haus über ein zusätzliches Wohnhaus und im Jahre 1705 baute der Cöllnische Magistrat in der Grünstraße 10 ein neues Rektorenhaus. 126 Nach dem zerstörerischen Brand von 1730 kam die Schule im Cöllnischen Rathaus unter, in dem seit der Vereinigung der Magistrate einige Räume ungenutzt geblieben waren. Bei diesem Ort, der zunächst als Interimslösung gedacht war, sollte es dann auch langfristig bleiben. 127 Ebenso wie in Berlin existierte auch am Cöllnischen Gymnasium eine Schülerkommunität. In den Leges Convictorii Coloniensis, die aus den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts stammen, wurde das Leben der Alumnen genau geregelt. 128 Der Zweck dieser Einrichtung bestand nicht nur darin, zehn begabten Knaben aus unbemittelten Verhältnissen Unterkunft und Verpflegung zu sichern, sondern zielte auch auf eine Absicherung der gottesdienstlichen Chormusik an St. Petri: Nur gute Sänger durften in die Kommunität aufgenommen werden. Über 124
Vokation von Christian Rubin vom 7. Oct. 1723. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6138,
Bl. 5. 125
Geistliche Angelegenheiten von Cölln, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C 4, Bl. 18. Wackenrode, Corpus, S. 3 u. Gilow, Gymnasium, S. 394f. 127 Vom Brand selbst berichtet Bake, Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82. Bl. 80ff. 128 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 984. 126
II. Das Cöllnische Gymnasium
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die tatsächliche Anzahl der Alumnen geben die Quellen kaum Anhaltspunkte. Nach einer Aktennotiz haben zum Zeitpunkt des Brandes im Jahre 1730 vierzehn bis fünfzehn Schüler in der Schule gewohnt. 129 Diese bescheidene Anzahl an Benefizien entsprach demnach in etwa der des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster. Wie beim Gymnasium der Schwesternstadt war auch die Kommunitätskasse des Cöllnischen Gymnasiums ganz auf Spenden angewiesen. 130 Zu den wenigen bekannten Stiftungen zählen 400 Talern aus dem Erbe des brandenburgischen Rates Christoph von Schönbeck im Jahre 1662. 131 Diese Stiftung bestand außerdem aus einigen Stellen am Freitisch, durch den bedürftige Schüler wochentags mit Essen versorgt wurden. Zum Gedenken daran wurde jährlich ein Wohltäterfest veranstaltet. Vom Beginn des 18. Jahrhunderts gibt es die Nachricht, daß die Communität regelmäßig Naturalien aus dem königlichen Keller erhielt. Aus dieser Zeit sind außerdem die erstaunlich großzügige Stiftungen des Künstlers und Medailleurs Raimond Falz von 2000 Talern und der Witwe des Cöllnischen Propstes Lichtscheid von 300 Talern bekannt, durch welche einzelne Schüler mit Stipendien unterstützt werden konnten. Spenden kamen außerdem für die im vorigen Kapitel erwähnte Witwen- und Waisenkasse, mit deren Hilfe auch die Angehörigen von Cöllnischen Gymnasiallehrern versorgt wurden. Der königlich-preußische Hofrat und Bürgermeister Joachim Friedrich Kornmesser 132 (1641–1715) bestimmte in seinem Testament für die Communität und die Witwen- und Waisenkasse, sowie für die Lehrer und den Schulbau jeweils 1000 Taler. Als Mitglied der Cöllnischen und nun Gesamtberliner Ratsbürgerschaft hat sich Kornmesser der Cöllnischen Gelehrtenschule offensichtlich eng verbunden gefühlt. Als nach 1730 eine Schulbibliothek eingerichtet wurde, gingen dazu ebenfalls Spenden von Berliner Bürgern ein, darunter 300 Taler von einem Kaufmann Johann Wolfgang Götze. 133 Vor dem Brand hatte es am Cöllnischen Gymnasium keine eigene Bibliothek gegeben. Da die reiche Kirchenbibliohek von St. Nicolai nahe dabei gelegen hatte, war eine eigenen Schulbibliothek bisher entbehrlich gewesen. 134 Warum das Cöllnische Gymnasium seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts so plötzlich an Zulauf verlor, ist eine wichtige Frage. Finanzielle Gründe
129
Einige davon hatten auch bei den Lehrern ihre Unterkunft. Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 80. 130 Zum folgenden vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 983ff. u. Schmidt, Geschichte, S. 23 u. 26. 131 Nachrichten die Kommunität betreffend, ZLB, GKl Archiv Nr. 115, Bl. 2. 132 Vgl. Bahl, Hof, S. 522. 133 Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 90. 134 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 982. Vgl. auch Bake, Nachricht, S. 52. Daß man bereits 1728 plante, eine kleine Schulbibliothek anzulegen, vermerkt Rektor Bake in seinem Album Coloniense. (LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 78).
120
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
können dabei mitentscheidend gewesen sein. Die Gehälter blieben zwar garantiert, bewegten sich jedoch am Cöllnischen Gymnasium, das anders als das Berlinische über keinen reichen Spendenfonds verfügte, vermutlich auf einem bescheideneren Niveau. Nach Nicolai bestand ein Ziel der von Konsistorialrat Süßmilch betrieben Vereinigung der beiden Altberliner Gymnasien darin, den Lehrern des vereinigten Gymnasiums mehr Gehalt zu verschaffen. Anstatt des bisher üblichen besonderen Schulgeldes für den Privatunterricht sollte ein mäßiges allgemeines Schulgeld für die Schulkasse eingeführt werden. 135 Rückwirkungen sowohl auf die Finanzen als auch auf den Schulbesuch auswärtiger Schüler hatten darüber hinaus auch die unter Friedrich II. geführten Kriege. Wichtig scheinen in dieser Frage jedoch vor allem Hinweise zu sein, die den Blick auf die Person des damaligen Rektors lenken. Wie unten noch näher erläutert wird, hatte das Renommee des jeweiligen Rektors einen entscheidenen Anteil daran, welchen Zulauf eine Schule bekam. Der Niedergang des Cöllnischen Gymnasiums wurde von Bellermann mit dem damaligen Rektor Christian Tobias Damm (1699–1778), der 1742 das Rektorenamt übernommen hatte, in Verbindung gebracht. 136 Wie vor allem seine späteren Schriften zeigen, war Damm ein stark von der Aufklärung beeinflußter Theologe. Dies stieß bei den Berlinern auf Mißtrauen. Obwohl Damm ein engagierter Schulmann war, schickten die Cöllner ihre Söhne nicht mehr zum Cöllnischen Gymnasium, sondern an andere Schulen. Eine ausreichende Konkurrenz an höheren Bildungsreinrichtungen war in der Mitte des 18. Jahrhunderts sehr wohl vorhanden. Seit 1747 gab es als neuen Schultyp die Heckersche Realschule in Berlin. Diese bot mit ihrem erweiterten Angebot an realistischer Bildung für Bürgerfamilien eine Alternative, die für ihre Söhne keine universitäre Karriere vorsahen. 137 Außerdem war das Angebot an herkömmlichen Gelehrtenschulen in Berlin groß. Neben den städtischen Gymnasien zog natürlich auch das königliche Joachimsthalsche Gymnasium viele Schüler an. Anders als in den Zeiten des Konfessionskonfliktes des vergangenen Jahrhunderts, war diese Schule nun auch für die lutherische Bevölkerung der Residenz uneingeschränkt attraktiv.
135 136
Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 738. Vgl. Bellermann, Kloster, 4. Stück, S. 68. Näheres zu Damm vgl. unten, Abschnitt
D. I. 2. 137 Die Heckerschen Schulanstalten an der Dreifaltigkeitskirche umfaßten aber nicht nur einen Real-, sondern auch einen Lateinschulzweig, der nach hallischem Muster über ein erweitertes Angebot an realistischen Fächern verfügte. Vgl. Mentzel, Pietismus, S. 121.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
121
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium als landesherrliche Fürstenschule 1. Die Anfänge der Schule in Joachimsthal bis zu ihrer Zerstörung im Jahre 1636 Die Einrichtung einer fürstlichen Landesschule im nördlich von Berlin gelegenen Joachimsthal geht auf Kurfürst Joachim Friedrich zurück. Bereits kurze Zeit nach der großen Kirchenvisitation von 1600 machte sich der neue Kurfürst über die Einrichtung einer eigenen Fürstenschule Gedanken. Offensichtlich war der damalige Zustand des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster nicht dazu angetan, seinen Anspruch an eine höhere Landesschule zu befriedigen. Er beriet sich darüber mit führenden Theologen Kurbrandenburgs, darunter der Generalsuperintendent und Frankfurter Theologieprofessor Christoph Pelargus und die beiden Berliner Hofprediger Johannes Fleck und Simon Gedike. Hinzugezogen wurde außerdem der kurfürstliche Kanzler Christian Distelmeyer 138, der bereits als Förderer des Berlinischen Gymnasiums Erwähnung fand. Gemeinsam sah man die Statuten der kursächsischen Fürstenschulen und des 1605 eingerichteten Coburger Casimirianums ein. 139 Anders als im sächsischen Fall entschied 138 In der schulgeschichtlichen Literatur ist fälschlicherweise von Lambertus Distelmeier die Rede. Da dieser bereits 1588 verstorben war, muß es sich jedoch um seinen Sohn Christian gehandelt haben. Vgl. Brunn, Nachrichten, S. 10 u. 22 u. Wetzel, Geschichte, S. 7 u. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 1, S. 62. 139 Schulordnung aus der Kursächsischen Kirchenordnung, Von unsern dreyen Fürstenschulen zu Meißen, Pforta und Grimma, 1580, abgedruckt bei Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 1, S. 268–293 und Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaische Schulordnung 1606 (1626), abgedruckt bei ders., Schulordnungen, Bd. 2, S. 11–48. Die Tatsache, daß sich die Coburger Schulgesetze im Archiv des Joachimsthalschen Gymnasiums befanden, war für die ältere Forschung der Nachweis dafür, daß man die Joachimsthalschen Schulgesetze ganz nach dem Muster der Coburger Schulgesetze abgefaßt habe. Vgl. Brunn, Nachrichten, S. 8 u. Wetzel, Geschichte, S. 5. Diese Einschätzung, die sich aufgrund ungenügender Quellenkritik bis in die neueste Forschungsliteratur (vgl. Doerfel, Casimirianum) gehalten hat, kann jedoch einer genauen Überprüfung nicht standhalten. Tatsächlich lassen sich zur Coburger Ordnung nur einzelne funktionale Parallelen, aber keine strukturellen Abhängigkeiten finden. Da das Coburger Casimirianum viel stärker in den universitären Bereich hineinreichte und über Ansätze von Juristischen und Medizinischen Fakultäten verfügte, eignete sich diese Ordnung auch nicht als Vorbildordnung für die neue Brandenburgische Fürstenschule, die sich ausschließlich als Vorbereitungsschule zur Frankfurter Landesuniversität verstand. Anders ist es mit der Kursächsischen Schulordnung für die Fürstenschulen von Meißen, Pforta und Grimma von 1580, aus der einige Wendungen tatsächlich in die Joachimsthalschen Statuten eingegangen sind. Da sich jedoch nur bei fünf von insgesamt rund fünfzig Paragraphen sprachliche Parallelen feststellen lassen, kann man auch in diesem Fall nicht von einer Abhängigkeit reden. Auch wenn Sächsische Ordnungen als Anregung für eine eigene Schulordnung gedient haben, stellen die Joachimsthalschen Statuten und Leges eindeutig eine auf die individuellen Brandenburgischen Verhältnisse abgestimmte genuine Abfassung dar.
122
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
man sich jedoch nicht für eine große Residenzstadt als Standort für die Brandenburgische Fürstenschule, sondern für das kurz zuvor vom Kurfürsten gegründete Städtchen Joachimsthal in der Uckermark. Nachdem dort auf landesherrlichem Grund Schulgebäude eingerichtet waren, fanden am 23. und 24. August 1607 die Einweihungsfeierlichkeiten der Schule statt. Bei der weitab der Residenz gelegenen Fürstenschule handelte es sich um eine reine Internatsschule, die nach kursächsischem Vorbild in drei Leistungsklassen eingeteilt war. Die Fundation sah 120 Freistellen für einheimische Knaben vor, davon sollten 80 aus den Alt-, Mittel-, Uckermärkischen, Ruppinischen, Prignitzschen und Neumärkischen Städten kommen, 10 Kinder Armer Hoff Diener und 20 Kinder unvermögender Pfarrer sein und 10 Kinder dem neumärkischen Adel entstammen. 140 Dazu kamen maximal 50 Koststellen für Schüler, die zwar freien Unterricht bekamen, aber für ihren Unterhalt selbst aufzukommen hatten. Somit waren die Landstände bei den Stellen in Blick auf soziale und regionale Kriterien annähernd gleichmäßig berücksichtigt worden. Darüber hinaus stand jedoch der Zugang zur Fürstenschule auch Söhnen wohlhabender Familien beliebiger Herkunft offen. Möglich machte dies die besondere Ausstattung des Gymnasiums mit einem großen Stiftungsvermögen aus Liegenschaften, landwirtschaftlichen Gütern, Geldzuwendungen und gewinnbringenden Rechten. Zur Besoldung der Lehrer sollten u. a. die Zinsen eines Kapitals von 40 000 Talern, das der Kurfürst bei den Alt-, Mittel-, Uckermärkischen und Ruppinischen Städten stehen hatte, an die Fürstenschule gehen. Insofern trugen also auch die märkischen Stände indirekt zum Unterhalt der Schule bei. Über den Sinn und Zweck der Stiftung einer Fürstenschule hatte sich Joachim Friedrich in der Fundationsurkunde deutlich ausgesprochen. Nach dem Beispiel seiner Vorfahren, die nach mügligkeit dahingesehen, das Gottes Ehre befordert auch Kirchen und Schulen erhalten werden, und dem anderer verwandter Fürsten folgend, die sich dahin befließen, Fürstliche Schulen, darin die Jugendt in der rechten reinen Lehre unterwiesen, mit besondern fleiß instituiret und zu allen guten tugenden angehalten, anzurichten . . . dadurch viel gelehrter Leuthe, die beydes in Kirchen und Schulen, wie auch in Weldtlichen Regimenten nützlichen und vertreglichen gebraucht werden können, erzogen werden, wolle er diese Schule gründen, da zu erhaltung und fortpflantzung reiner Lehr, und das heyl. Wort Gottes, auch heylsahmer Justitz und Gottseeligen ruhigen Ehrbaren Wehsens und Wandels negst Göttlicher Gnaden zuforderst Wohlbestalte Schulen vonnöhten seien. So sollen denn der Unterthanen Kinder hier in Gottes Fürcht, Christlicher Wahrer Religion undt dan dem Vornehmsten nützlichsten Sprachen, und freyen Künsten unterwiesen werden, damit sie hernacher Tüchtig und ge-
140
Vgl. Stiftungs- und Fundationsurkunde. 24. August 1607. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2. S. 67.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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schickt, zu Geistlichen und Weldtlichen Aembtern eingesetzt und bestellt werden können. Sie sollten dazu mit nutzen Ihre Studia auf unser Universität Frankfurt a. O. continuiren damit wir oder unsere Nachkommen Sie Im Predigt Ambt und sonsten nützlichen zugebrauchen haben möchten. Auch sei eine solche Schule vonnöten, weil jetzo allerley Irthum der Papistischen und Calvinischen Religion fast an allen Orthen sich erregen 141. Die neugegründete Fürstenschule sollte also einheimischen Nachwuchs für die Frankfurter Landesuniversität heranziehen, um den Bedarf an zuverlässigen Amtsträgern in Staat und Kirche befriedigen. Daß sich in der Fundationsurkunde konfessionelle Argumente für die Notwendigkeit der Schulgründung häufen, fällt auf. Außerdem enthalten die neu verfaßten deutschen und lateinischen Schulgesetze explizit die Verpflichtung auf die unveränderte Augsburgische Konfession und das Konkordienbuch. 142 Natürlich entsprach dies ganz dem Denken der Zeit: Auch Kurfürst Joachim Friedrich verstand sich als der von Gott mit der Bewahrung der „wahren Religion“ und „reinen Lehre“ beauftragte Fürst. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es sich hier nicht möglicherweise um eine zeitbedingte Rhetorik gegenüber den brandenburgischen Landständen handelt. Wenn auch die konfessionelle Frontstellung außenpolitisch – gerade auch angesichts des erstarkten Gegenreformation – Realität war, so hatte sich die „wahre Religion“ im Inneren des Kurfürstentums zu Beginn des 17. Jahrhunderts deutlich gefestigt, nämlich in Gestalt einer stabilen lutherisch-orthodoxen Landeskirche. Wichtig ist nun die Tatsache, daß Joachim Friedrich gerade nicht einen streng lutherischen Kurs verfolgte, sondern konfessionell eine gemäßigte, melanchthonisch geprägte Position vertrat. Deshalb drängt sich die Vermutung auf, daß der Kurfürst mit der Stiftung einer eigenen Anstalt einem zwischen Luthertum und Calvinismus mehr vermittelnden als abgrenzenden „evangelischen“ Denken in seinem Kurfürstentum mehr Raum verschaffen wollte. 143 Ein solches Motiv läßt sich sehr wohl in dessen generelle kirchliche und weltliche Politik einordnen lassen. Ein Indiz dafür bietet das gewählte Datum für die Eröffnungsfeier, welches auf die Bartholomäusnacht fällt und damit an das Martyrium der französischen Calvinisten erinnert. Außerdem fand am Joachimsthalschen Gymnasium das lutherischorthodoxe Kompendium von Leonhard Hutter keine Verwendung. 144 Vielmehr
141
Ebd., S. 63f. Statuta bey der Fürstenschul Joachimsthal. 24. August 1607. Vgl. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2., S. 70–75. u. Leges docentium et discentium in illustri vallis Joachimicae. 24. August 1607. Vgl. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2., S. 76–81. 143 Auch für Nischan war die Gründung des Joachimsthalschen Gymnasiums Ausdruck eines „more militant evangelical confessionalism“ (ders., Prince, S. 72). 144 Das Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro Concordiae collectum des Wittenberger Theologen Leonhard Hutter (1563–1616) erschien 1610. Es war speziell für den Unterricht an den sächsischen Fürstenschulen verfaßt worden und 142
124
C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
wurde hier das Kompendium des theologisch gemäßigt eingestellten Pelargus benutzt. Vor allem spricht jedoch die Zusammensetzung des Lehrerkollegiums dafür, daß die Fürstenschule von Anfang an einen konfessionell gemäßigten Charakter besaß. Mit Ausnahme des ersten Direktors Karl Bumann, der bereits 1610 verstarb, waren alle Lehrer philippistisch gesonnen. 145 Zur Aufsicht wurde zunächst eine aus dem Generalsuperintendenten, dem Konsistorialpräsidenten und einem Amtskammerrat bestehende Visitationskommission bestellt, die ihre Berichte an den Kurfürsten zu richten hatte und eine direkte Kontrolle der Schule durch die Landesherrschaft gewährleisteten sollten. 146 Damit war die Fürstenschule in Joachimsthal der Aufsicht der Berliner Geistlichkeit weitgehend entzogen. Mit dem Generalsuperintendenten Christoph Pelargus lag sie vielmehr bei einem Mann, der aufgrund seiner philippistischen Einstellung in der Zeit Johann Sigismunds problemlos zum reformierten Glauben konvertierten konnte. Anders als in der Zeit der Durchsetzung des Luthertums gerieten im Prozeß der reformierten Konfessionalisierung vor allem die höheren Bildungseinrichtungen in den Mittelpunkt der landesherrlichen Konfessionspolitik. Um den ungewollten elitären Charakter der reformierten Bewegung zu überwinden, mußte möglichst schnell ein einheimischer reformierter Pfarrer- und Beamtenstand herangebildet werden. Sowohl der Frankfurter Universität als auch der Joachimsthaler Fürstenschule kam dabei eine Schlüsselrolle zu, weil hier die Möglichkeit der direkten landesherrlichen Einflußnahme gegeben war. 147 Bereits in seinem berühmten „Kalvinisierungsprogramm“ von 1614 hatte der aus der reformierten Pfalz stammende Abraham Scultetus vorgesehen, die Schule zu einer reformierten Bildungsstätte umzuwandeln. 148 Im September desselben Jahres besuchte Kurfürst Johann Sigismund zusammen mit Scultetus persönlich die Schule in Joachimsthal. 149 Die formelle Durchsetzung des reformierten Bekenntnisses erfolgte am fand danach überall an lutherischen Schulen eine große Verbreitung. Vgl. Junghans, Melanchthon, S. 21. Vgl. auch Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaische Schulordnung 1605 (1626), in: Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 1, S. 24, 27 u. 30. 145 Vgl. Hering, Verbesserungen, S. 87f. u. Wetzel, Geschichte, S. 8f. Zieht man in Betracht, daß die meisten Joachimsthaler Lehrer um die Jahrhundertwende an der Frankfurter Viadrina Theologie studiert hatten, ist eine melanchthonianische Prägung dieser Lehrer naheliegend. Daß es zwischen Bumann und den übrigen Lehrern in theologischen Fragen Auseinandersetzungen gegeben hat, geht aus einem Schreiben des Geheimen Rates vom 11. Januar 1609 hervor, in welchem die Lehrer zur Schlichtung ihrer Streitigkeiten aufgefordert werden (Abgedr. bei Brunn, Nachrichten, S. 36–38). Nach Hering war die Ubiquitätslehre der Hauptstreitpunkt unter den Lehrern. Bumann veröffentlichte noch in seinem Todesjahr 1610 eine Streitschrift zu diesem Thema. Vgl. Hering, Verbesserungen, S. 87. Vgl. außerdem dazu Wetzel, Geschichte, S. 253. 146 Vgl. Stiftungs- und Fundationsurkunde. 24. August 1607. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 68 u. Wetzel, Geschichte, S. 104. 147 Näheres dazu bei Nischan, Schools. 148 Vgl. Pahncke, Scultetus, S. 44.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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Joachimsthalschen Gymnasium im Frühjahr 1616, wenige Monate bevor dies auch an der theologischen Fakultät der Frankfurter Universität geschehen sollte. In den Statuten und Schulgesetzen sowie in der Joachimsthaler Kirchenordnung wurde das neue landesherrliche Bekenntnis verankert und sämtliche Lehrer darauf verpflichtet, ohne daß die vom Philippismus geprägte Lehrerschaft dem Widerstände entgegensetzte. 150 Der damalige Rektor Samuel Dresemius (1578–1638), „ein Schüler und ein großer Verehrer“ 151 des Pelargus, war im Jahre 1610 auf Empfehung von Kanzler Pruckmann ins Rektorenamt berufenen worden. Auch der Conrektor Tobias Magirus (1586–1652) hatte an der Frankfurter Viadrina studiert und war auf Betreiben von Pelargus an die Fürstenschule gekommen. Nicht nur diese beiden, sondern auch alle anderen Lehrer verblieben in ihren Ämtern. Außerdem wurde die Zusammensetzung der Visitationskommission geändert und der Religionsunterricht von Resten anticalvinistischer Polemik gesäubert. 152 Für die Zeitgenossen war Joachimsthal nachweislich bereits im Jahr 1617 der Sitz einer churfürstlichen reformirten Schulen 153. Während die Durchsetzung des neuen Bekenntnisses im Inneren der Schule problemlos verlief, stieß der Landesherr außen auf einen enormen Widerstand. Obwohl die Schüler selbst zu keinem Bekenntniswechsel gezwungen wurden, waren die Stände offensichtlich nicht bereit, ihre Kinder dem Einfluß der Reformierten zu überlassen. Anhand der Matrikel und Visitationsberichte ist erkennbar, daß die Städte die ihnen zustehenden Freistellen immer weniger wahrnahmen und die Koststellen kaum besetzt wurden, was wiederum fehlende Einnahmen zur Folge hatte. 154 Trotz der Praxis, entgegen der Satzung auch Kinder aus anderen Territorien aufzunehmen, nahm die Zahl der Schüler immer mehr ab. Dazu traten wirtschaftliche Probleme, die auch auf das Ausbleiben der ständischen Zahlungen zurückgingen. Unter Kurfürst Georg Wilhelm mußten die Stellen um mehr als die Hälfte reduziert werden. Vor allem infolge der Kriegslasten ging in der Folgezeit 149
Vgl. ebd., S. 51 u. Nischan, Kontinuität, S. 107. Geänderte Leges und Kirchenordnung vom 23. April 1616 vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 27–47. Eine Abschrift der geänderten Kirchenordnung ist außerdem zu finden im GStA PK, I. HA, Rep. 60, 2, Bl. 15–17. 151 Hering, Verbesserungen, S. 87. Zuvor war Dresemius Erzieher im Hause des kurfürstlich-brandenburgischen Rates Thomas von Knesebeck d. Ä. (1559–1625) gewesen. 152 Pelargus überarbeitete in diesem Zusammenhang sein Theologisches Compendium. Vgl. Hering, Nachricht, S. 205ff. 153 Schosser, Beschreibung. o. S. 154 Die Schülermatrikeln von 1610 bis 1636 befinden sich im BLHA, Rep. 32, Nr. 3646 sowie ausgewählte Jahrgänge im GStA PK, I. HA, Rep. 60, 15. Ein lückenhaftes Koststellenregister befindet sich im BLHA, Rep. 32, Nr. 1781. Die Visitationsberichte aus der Joachimsthaler Zeit befinden sich in folgenden Akten: Visitationen, Examen und lectiones theologicae 1613–1773, GStA PK, I. HA, Rep. 60, 2 und Fundation, Reduction und Translation des Joachimsthalischen Gymnasiums 1607–1701, GStA PK, I. HA, Rep. 60, 1,2. 150
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
der Schulbesuch immer weiter zurück, bis die Schule schließlich in den Kriegswirren, welche die Uckermark 1636 heimsuchten, ganz unterging. 155 Nur bei 56 der in der Joachimsthaler Zeit immatrikulierten 788 Schüler ist deren Abgang zur Universität vermerkt. 156 Auch wenn sich daraus keineswegs ableiten läßt, daß tatsächlich nur diese kleine Zahl von Schülern eine akademische Laufbahn antrat, blieb die Leistungsfähigkeit der Schule in der ersten Phase ihrer Existenz unter dem vom Stifter erhofften Ausmaß. Dies bedeutete zugleich, daß es den Kurfürsten bis 1636 nur sehr begrenzt gelungen war, die Schule zu einem wirksamen „Propagandazentrum“ des Reformiertentums zu machen. 157 2. Die Auseinandersetzungen zwischen Kurfürst Friedrich Wilhelm und den brandenburgischen Landständen um das Berufungsrecht Bereits vor der Wiedereinrichtung der Fürstenschule sollte die Frage des konfessionellen Charakters des Joachimsthalschen Gymnasiums zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen Landesherrschaft und Ständen werden. Den zentralen Streitpunkt bildete dabei die Forderung der brandenburgischen Landstände, sowohl lutherische Professoren an die theologische Fakultät der Frankfurter Universität, als auch lutherische Lehrer an das Joachimsthalsche Gymnasium zu berufen. Seinen Anfang nahm dieser Vokationsstreit unmittelbar nach der Machtübernahme des neuen Kurfürsten, als die Stände und der neue Landesherr damit begannen, ihr Machtverhältnis neu auszuhandeln. Auch konfessionelle und Bildungsfragen gelangten dabei in die Diskussion. Ihren Höhe- und Endpunkt erreichten die Auseinandersetzungen um die Berufungsfrage mit dem allgemeinen Landtag von 1652/53. 158
155 Im Jahre 1632 befanden sich nur noch 38 Schüler in Joachimsthal, davon 21 Stipendiaten und 17 Kostgänger. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 203. 156 Vgl. Jacobs, Nachrichten, S. 393. Spätere Autoren leiteten daraus fälschlicherweise ab, daß überhaupt nur 56 Schüler zur (Frankfurter) Universität übergegangen seien. Vgl. Euler, Gymnasium, 301 u. Nischan, Schools, S. 229. Die Matrikel der Jahre 1610 bis 1636 befinden sich im BLHA, Rep. 32, Nr. 3646. 157 Vgl. Nischan, Schools S. 233. 158 In der Forschungsliteratur, die sich mit dem Großen Kurfürsten und dessen Konfessionspolitik beschäftigt, findet der Berufungsstreit zwischen Friedrich Wilhelm und den Ständen zwar eine Erwähnung, jedoch liegt eine genauere Behandlung dieser Frage bisher nicht vor (vgl. Landwehr, Kirchenpolitik, S. 184ff.; Lackner, Kirchenpolitik, S. 111ff.; Opgenoorth, Kurfürst, S. 260f.; Deppermann, Kirchenpolitik, S. 105f.). Auch Wetzel streift in seiner ausführlichen Schulgeschichte den Streit mit den Ständen um die Berufung lutherischer Lehrer nur am Rande, ohne diesen mit der allgemeinen Ständepolitik des Kurfürsten bzw. mit den Landtagsverhandlungen von 1652/53 in Verbindung zu bringen (Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 224). Die wichtigsten bisher unveröffentlichten und in diesem Zusammenhang interessierenden Quellen finden sich in den Beständen des Kurmärkischen
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Konfessionelle Forderungen hinsichtlich der Präzeptoren am Joachimsthalschen Gymnasium erhoben die Stände erstmals im Zusammenhang der Berufungspolitik des Kurfürsten an der Frankfurter theologischen Fakultät. 159 Als Reaktion auf die eigenmächtige Einstellung zweier reformierter Theologen forderte der kurmärkische Ständeausschuß, der seit Juni 1641 in Cölln tagte, man möge die Universität und Landtstände bey ihren Freyheiten, possession undt alten Herkommen, wie auch insonderheit bei der lutherischen Religion und ihren ceremonien unbehindert lassen und schützen, auch deshalb die Universität und Joachimsthalische Schule mit lutherischen Professorn und Praeceptoribus besetzen 160. Die Berufungsfrage verknüpfte sich für die lutherischen Stände also automatisch mit der Frage der Religionsfreiheit und darüber hinaus mit dem Indigenatsrecht. So heißt es weiter, daß der Kurfürst vor andern die Landkinder . . . bey offenstehenden Ämbtern in acht nehmen 161 solle. Beides war den Landständen in früheren Landtagsbeschlüssen, auf die sich die Stände beriefen, garantiert worden. Würde er darüber eine Resolution verabschieden, könnten die Stände dem Kurfürsten versichern, ihm nicht entgegen zu sein, wenngleich dieser reformierter Religion sei. Zugleich könnte damit der stände offention gegen S.Ch.D. und E.Fürstl.Gn. vergrößert . . . und tumult verhindert werden 162. Der drohende Unterton macht die Brisanz deutlich, welche die hier angesprochenen Fragen für die Verfasser des Schreibens gehabt haben müssen. Gleichwohl wehrte der Kurfürst die an ihn gerichteten Forderungen als unberechtigte Einmischung rigoros ab. Dabei konnte er sich der Unterstützung der reformierten Ständevertreter sicher sein, die zuvor in einer Protestation ihr Veto gegen das Ersuchen der lutherischen Ritterschaft und Städte eingelegt hatten. 163 Weil die fundation und constitution der
Ständearchivs (BLHA, Rep. 23A, B 37: Allgemeine Landessachen und B 563: Kirchen-, Visitations- und Religionssachen). 159 Friedrich Wilhelm hatte kurz nach seinem Amtsantritt unter Umgehung des ius nominandi et praesentandi, das der Universität zustand, die reformierten Theologen Gottlieb Pelargus und Friedrich Reichel zu außerordentlichen Professoren an die theologische Fakultät berufen und damit dort eine Phase der paritätischen Besetzung beendet. Mit Gregor Frank gab es nun drei reformierte Theologieprofessoren, denen als einziger Lutheraner Simon Ursinus gegenüberstand, den Kurfürst Georg Wilhelm im Jahre 1739 an die theologische Fakultät berufenen hatte und der im Jahre 1744 von Friedrich Wilhelm wieder entlassen wurde. Vgl. Cyprean, Unterricht, S. 78ff. 160 Lutherische Stände an den Statthalter Markgraf Ernst (undatiert) BLHA, Rep. 23A, B 562, Bl. 588f. 161 Ebd. 162 Ebd, Bl. 589. 163 Der reformierten Stände Protestation gegen der Lutherischen Rathschluß (26. Juli 1641). BLHA, Rep. 23A, B 562, Bl. 119. Die Unterzeichner waren Thomas von Knesebeck, Christoph von Bismarck, Chr. Ludwig von Winterfeldt, Christian Brandt und Joachim Schönhausen. Thomas von Knesebeck war seit 1646 Mitglied im Geheimen Rat und später kurfürstlicher Verhandlungsführer in den Landtagsverhandlungen von 1652/53.
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Akademie zu den kurfürstlichen Regalien gehöre und die Universität ausschließlich aus kurfürstlichen Einkünften versorgt werde, sahen sie die Ansprüche der lutherischen Stände als unbillich an. Reichsrechtlich würde es dem Kurfürsten sogar zustehen, im ganzen Land seine eigene Religion einzuführen; deshalb wäre der Kurfürsten sehr wohl berechtigt, solche Leute zu Theologieprofessoren zu berufen, die sein Glaubensbekenntnis hätten. Wenn die Lutherischen meinten, daß die ursprünglichen Festlegungen wie die Gründungsurkunde der Schule oder die Reverse vergangener Landtage Geltung haben müßten, dann wäre ja auch die evangelische Reformation an der Frankfurter Universität ungültig, da die Universität im katholischen Glauben begründet worden wäre. Nach Meinung der reformierten Stände könne kein ärger Mittel erfunden werden, die Religion, der E.Churf.D. zugethan, undt zu welcher wir uns mitt Hertz und Mundt bekennen zu dempfen undt . . . zu suffociren [d. h. zu ersticken A. W.], alß eben dieses, was die seminaria pietatis et doctrina mit solchen leuten, so die Reformirte Religion verfollgen, schmehen und lestern, zu besetzen undt der Reformirten weder in der Fürstenschule noch auf der Universität hinfüro mehr raum und platz zu lehren undt zu profitiren gestattet werden sollte. Mit dem abschließenden Wunsch, daß die Einmahl in diesem Lande angenommene und erkandte Wahrheit ie lenger ie mehr sich außbreiten und fortgepflanzet werden möge 164, bezeugten die reformierten Stände dem Kurfürsten ihre Übereinstimmung mit dessen Konfessionspolitik. Mit der Entspannung der äußeren Krisensituation trat in der kurfürstlichen Politik zu Beginn der fünfziger Jahre eine deutliche Wendung zur Innenpolitik ein. Dabei wurden auch konfessionelle Fragen wieder stärker Gegenstand der Verhandlungen zwischen Landesherrn und Ständen. Dies war nicht zuletzt bei dem neuen Landtag der Fall, den Friedrich Wilhelm zum März 1652 nach Berlin berief und bei dem es sich um den letzten allgemeinen märkischen Landtag handeln sollte. Die Klärung der inneren Machtverhältnisse beschränkte sich nicht nur auf wirtschaftliche, finanzielle und rechtliche Fragen; auch kirchenpolitische Probleme spielten in diesen Landtagsverhandlungen eine wichtige Rolle. Nach Lackner versuchten die Stände hier zum letzen Mal, „die Vorherrschaft des lutherischen Bekenntnisses zu behaupten und die Reformierten aus den von ihnen errungenen Positionen zu verdrängen“ 165. Auch der konfessionelle Charakter des Joachimsthalschen Gymnasiums und der Frankfurter Universität geriet in diesem Zusammenhang erneut in die Diskussion. 166 Den Auftakt der Gravamina, welche die Stände ihrem Landesherrn als Verhandlungsgrundlage vorgelegt hatten, bildete die konfessionelle Frage. Kern der vorgelegten Religionsgravamina war die Forderung an den Kurfürsten, daß gemäß den alten Landtagsbeschlüssen im gan164
Ebd. Bl. 121. Lackner, Kirchenpolitik, S. 111. 166 Zum Verlauf der Verhandlungen vgl. Opgenoorth, Kurfürst, S. 258 und insbesondere Fürbringer, Necessitas, S. 130ff. 165
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zen Churfürstenthum, doch ohne Massgebung Sr.Ch.D. Hofes und Schlosskirchen, kein ander Exercitium Religionis als der Ungeänderten Augsburgischen Confession . . . admittiert 167 werden solle. Es ging den Ständen also nicht nur um die freie Ausübung der lutherischen Religion, sondern um deren alleinige Legitimität und damit um deren Vorherrschaft. Daraus leiteten sich für die Stände naturgemäß als weitere Forderungen ab, daß die Universität Frankfurt mit Professoribus von der gleichen Religion in allen Fakultäten versehen und die Fürstenschul zu Joachimsthal mit Praeceptoribus ejusdem Religionis bestellt werden sollen und die Legata dazu restituirt und aus diesem Churfürstenthum eine gewisse Anzahl Edelknaben, Bürgers- und anderer Land Kinder, so zum Studiren tüchtig, darinnen genommen und die gesatzte Jahr über mit Institution, Habitation und Kost . . . gratis mögen erhalten werden 168. In seiner ersten Resolution zu den Gravamina kam der Kurfürst den ständischen Forderungen weit entgegen. 169 Dessen zentrale Zugeständnisse betrafen das ständische Beratungsrecht, das Indigenatsrecht für weltliche und geistliche Ämter und vor allem die Fragen zur sozialen und wirtschaftlichen Vorrangstellung des Adels. Auch auf die meisten konfessionellen Forderungen ging Friedrich Wilhelm ein. Jedoch erhielten die Stände auf das erste Gravamen nicht die erhofften Zusicherungen. Den konfessionellen Forderungen hinsichtlich der Fürstenschule und der Universität begegnete er nur mit der allgemeinen Versicherung, daß er in dero Universität Frankfurth an der Oder, wie auch in der Fürsten Schule in Religions Sachen nichts anders werden lehren und profitiren laßen, dan was dem reinen wortt Gottes, in den Prophetischen und Apostolischen Schriften begriffen, und den Vier Haupt Symbolis gemeeß sei. Die Frage der Einsetzung von Lutheranern scheint sich für ihn damit erledigt zu haben. Die Möglichkeit des Schulbesuchs sicherte Friedrich Wilhelm den Ständen allerdings ausdrücklich zu: So sollen auch die zu den Fürsten Schuelen Deputirte Legata dahin wieder verordnet, und mit unterhaltung einer gewißen anzahl Adelichen Bürger und Land Kinder . . . der fundation allerdings nachgelebet werden. 170 Dies hätte bisher aufgrund der fehlenden Einnahmen wegen der Kriegsschäden nicht geschehen können. Bevor jedoch diese kurfürstliche Resolution die Stände erreichte, hatten sich die Ständedeputierten in einer Supplikation zum ersten Gravamen erneut an den Kurfürsten gewandt. Unter Hinweis darauf, wie bereit und gutwillig die Stende . . . in Bewilligung einer ansehnlichen Summen geldes . . . undt Abtretung der Altmärkischen Ampter mit gewissen Conditionibus sich erzeiget haben 171, wie-
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Isaacsohn, Urkunden, Bd. 10, 2, S. 233. Ebd. 169 Kurfürstliche Resolution auf die Gravamina (1. Mai 1652). Mylius, CCM T. 6, Abt. 1, Nr. CXV, Sp. 399–414. 170 Ebd., Sp. 400f. 168
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derholten die Stände ihre Bitte um die Bestätigung ihrer Religionsrechte, wie sie in den Landtagsreversen der Jahre 1602, 1611 und 1615 enthalten seien. Weiter heißt es: So wirdt auch gleicher gestalt in Bestellung der professoren und praeceptoren zu Frankfurth und Joachimsthal nichts anders gesuchet, als was vorgemeltes Landes reverse, der fundation, denen Oßnebrugischen Friedens Instrumentam C 7,2 . . . gemeß ist 172. Wobei aber der Stände Meinung nicht dahin gerichtet sei, als wollte man die der Reformirten Religion zugethanen Leutte genzlich excludiren; vielmehr empfehlen die Stände, daß in den faculäten auff der Universität, wie auch in der Schule, pares in numero bestätiget undt angenommen werden 173. Würde dies nicht geschehen, so hätte es des Anschein, daß man die Evangelisch lutherische . . . Religion, die an die hundert Jahr auff der Universität gelehret . . . davon exuliren undt alle Landeskinder deß beneficij der communität undt genießung der privilegien, welche E.Ch.D. . . . Vorfahren zuforderß . . . Ihren Landstenden zum besten fundiret und gestiftet haben, ohne einige erhebliche ursach, auch wieder die fundation und den [Osnabrücker A. W.] Friedensschluß 174 davon ausschließen wollte. Mit dem Vorschlag einer paritätischen Besetzung der Universität und der Schule zeigten sich die Stände hier offensichtlich kompromißbereiter als in den vorhergegangenen Gravamina. Neu ist der Hinweis der Stände auf den Osnabrücker Friedensvertrag und damit die Bezugnahme auf reichsrechtliche Bestimmungen. So heißt es im Artikel 7,2 des Instrumentum Pacis Osnabrugense, daß die Theologie- und Philosophieprofessoren an Schulen und Akademien . . . ausschließlich der Religion angehören [sollen], die . . . an jedem Orte öffentlich angenommen ist 175. Mit dieser Bestimmung verfügten die Stände tatsächlich über ein schlagkräftiges Argument. Da die reformierte Konfession nur bei Hofe und nicht vom Lande angenommen, und den kurmärkischen Ständen im Jahre 1615 der Verbleib beim lutherischen Glauben gewährt worden war, konnten die Stände unter der hier erwähnten öffentlich angenommenen Religion sehr wohl die lutherische Konfession verstehen. Beim Kurfürsten trafen diese Argumente jedoch auf wenig Verständnis. So schrieb er an die Räte, daß er mit der bisher gezeigten Willfährigkeit der Stände zufrieden sei, jedoch deren wiederholte Gravamina betreffs der Religion nicht verstünde. Dergleichen unnöthige Difficultäten 176 hätte er nicht erwartet, zumal die Stände auch keinen Anlaß hätten, sich über eine Zurücksetzung zu beklagen.
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Ständedeputierte an den Kurfürsten (28. April 1652). BLHA, Rep. 23A, B 562, Bl. 131. 172 Ebd. 173 Ebd. Bl. 132. 174 Ebd. 175 Müller, Instrumenta, S. 133. 176 Kurfürst Friedrich Wilhelm an die Geheimen Räte (21. Mai 1652). Isaacsohn, Urkunden, Bd. 10, 2, S. 255.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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Keineswegs würden die Landeskinder von den beneficii der Communität bei den Universitäten und schulen ausgeschlossen. Vielmehr sei klar und offenbar, dass die meiste und ansehnlichste Chargen und beneficia auch bei den vornehmsten Collegiis bis auf diese Stunde mehr mit Lutherischen als Reformirten besetzt und genossen werden 177. Solches würde kein lutherischer Fürst im Reich den Reformierten gestatten. Ohne Unterschied lasse er sowohl den Lutherischen als auch den Reformierten die Privilegien genießen, obwohl zum Unterhalt der Communität zu Frankfurt und in der Fürstenschule die Stände nicht im geringsten concurriren, sondern dieselbe allein aus Unseren Domänen geschehen muß. Er könne sich auch nicht erinnern, daß Jemand in seinem Gewissen von den Schul=Collegis oder sonsten wäre turbiret und beunruhigt worden. Vielmehr gäbe es genug Beispiele von Leuten, die trotz des Schulbesuchs ihre Religion nicht gewechselt hätten und sich heute in kurfürstlichem Dienst befänden. Sollten die Stände aber ihre Kinder mit gutem Gewissen auf Unsere akademie und Schulen nicht halten zu können vermeinen 178, so ließe der Kurfürst es geschehen, diese Kinder nach außerhalb zu schicken. Im Sommer 1653 erreichten die Landtagsverhandlungen nach monatelanger Vertagung ihren Höhe- und Endpunkt. In den Diskussionen um einen neuen Rezeßentwurf nahm die Berufungsfrage weiterhin eine zentrale Stelle ein. So benannten die Ständedeputierten in einem Schreiben an den Kurfürsten das Problem der Vocation und bestellung der Professorum und Praezeptorum in Academia et Schola zu Joachimsthall als einen von drei Hauptpunkten, welche Eintheils die gewissens freiheyt attingiren, anders theils aber der Landstände libertät constringuiren 179, und die der Kurfürst im Sinne der Stände zur Erlangung eines Landtagsabschieds zu erledigen habe. Ihren Rechtsanspruch auf die Einsetzung lutherischer Theologieprofessoren und Lehrer hatten die Stände kurz zuvor nochmals in einem besonderen Papier begründet. 180 Ausgangspunkt war für die Stände die Feststellung, daß die Universität und die Fürstenschule für das Kurfürstentum eine besondere Bedeutung hätten. So seien Schulen und Universitäten solche Seminaria, womit die reine Lehre uns propagiret und fortgepflanzet werden solle und ohne die ein einiges Dogma Religionis nicht bestehen könne. Zum anderen würden die Stände in Hinsicht auf die Ausstattung und das Stipendienwesen die177
Ebd. Kurfürst Friedrich Wilhelm an die Geheimen Räte (21. Mai 1652). Meinardus, Protokolle, Bd. 4, S. 537f. 179 Ständedeputierte an Kurfürst Friedrich Wilhelm (11. Juli 1653). BLHA, Rep. 23A, B 37, Bl. 137. 180 Fundamentum und Bestendige Rechtsgründe, welche die Stände dieses Churfürstentumbs an die Universität und churfürstl. Schule zur Joachimsthall haben, welche den Herren Geheimbte Räthen den 5. Juli Anno 1653 in der Mündlichen Conferentz, zum theill vorgetragen worden, undt allmahl nach besser können deduciret werden. [undatiert]. BLHA, Rep. 23A, B 37, Bl. 146–150. 178
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ser vornehmsten Seminaria dieses Churfürstentums 181 über nichts Vergleichbares verfügen. Vielmehr seien die anderen Schulen durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen und würden wegen fehlender Geldmittel so bald nicht wiederhergestellt werden können. In ihrer weiteren Argumentation zogen die Stände bereits bekannte Punkte heran. Dazu zählen die Fundation der Fürstenschule, die Gesetze und Statuten der Universität aus lutherischer Zeit, der kurfürstliche Revers von 1615, in dem Johann Sigismund alle vorigen Landreverse und Privilegien erneuert und es insonderheit der religion halber dabey gelassen 182 hatte sowie die Osnabrücker Friedensbeschlüsse. Darüber hinaus führten die Stände finanzielle Argumente an: Schließlich würde es auch unfreundlich und unbillich sein, wenn man keine lutherischen Professoren und Präzeptoren an diesen beiden Orten dulden würde, weil die meisten Stiftungen von Ihren [der Stände A. W.] Vorfahren und auß Ihren mitteln herkommen 183 und die Städte jährlich zum Unterhalt der Fürstenschule dazu zahlen würden. 184 Dieser letzte Versuch der Stände, den Kurfürsten zu einem stärkeren Entgegenkommen in der Vokationsfrage zu bewegen, schlug jedoch fehl. Soweit sich die Quellen überblicken lassen, reagierte der Kurfürst auf diese ausführliche Darlegung der ständischen Rechtspositionen mit keiner Silbe. Vielmehr mußten die Stände am Ende resigniert feststellen, daß für diesmal ihrem Recht- und billichmaßen suchen, daß an der Fürstenschule einige lutherische Praeceptores möchten gelitten werden, vom Kurfürsten nicht stattgegeben worden sei. 185 Dieselbe Supplikation, in der sich die Stände die Bestellung eines lutherischen Präzeptors als befugniß und anspruch hierdurch Unß gehorsambst reserviren und vorbehalten 186, ließ der Kurfürst mit dem lakonischen Vermerk, daß die Stände an der Schulen zu Joachimsthaall gaar keine Befugnis noch Anspruch haben, im August 1653 ad acta legen, um sich inß künftige darauff gnedigst zu resolviren 187. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen Rezeßentwurf kraft seiner obrigkeitlichen Autorität gegen den Protest der Stände bereits ratifiziert. Offensichtlich mangelte es den Ständen in dieser letzen Verhandlungsphase an einem geeigneten Druckmittel, um sich in der Vokationsfrage durchsetzen zu können. Mehr als die Zusicherung, den Kindern der Landstände die beneficien der Schule und der Universität offenzuhalten,
181
Ebd., Bl. 146. Ebd., Bl. 147. 183 Ebd., Bl. 150. 184 Gemeint sind damit die oben erwähnten Zinsen, welche die märkischen Städte für ein kurfürstliches Darlehen von 40.000 Reichstalern zum Erhalt der Schule zu zahlen hatten. 185 Ständedeputierte an den Kurfürsten (25. Juli 1653) BLHA, Rep. 23A, B 37, Bl. 153. 186 Ebd. 187 Handschriftlicher Vermerk vom 9. August 1653. Ebd. 182
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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hatte der Kurfürst in den kurz zuvor veröffentlichten Landtagsbeschlüssen nicht zugestanden. 188 Von einer landesherrlichen Toleranzpolitik zu sprechen, erscheint im Hinblick auf die Vokationsfrage problematisch. Der Verlauf der Verhandlungen macht deutlich, daß Friedrich Wilhelm eine konfessionelle Parität ablehnte und konsequent versuchte, den Einfluß der lutherischen Lehre an den wichtigsten landesherrlichen Schulen auf ein – kontrollierbares – Minimum zu reduzieren bzw. ganz auszuschließen. Von den Ständen mußte eine derartige Politik als eine Beschränkung ihrer Religionsfreiheit aufgenommen werden. Der Kurfürst beharrte dagegen auch in der Folgezeit auf dem reformierten Charakter der Frankfurter Landesuniversität und des Joachimsthalschen Gymnasiums. Noch im letzten seiner privaten Testamente aus dem Jahre 1686 schrieb er dies – auch für den Fall eines Konfessionswechsels der nachfolgenden Herrscher – fest. 189 Auch Friedrich I., der eine liberalere Konfessionspolitik als sein Vater verfolgte, unterschied sich in diesem Punkt nicht im geringsten von seinem Vater. So verfügte er testamentarisch für den Fall, daß sich einer der Nachfolger zur lutherischen Religion bekennen sollte, die Reformierten im Besitz ihrer Kirchen und Schulen, vor allem des Berliner Doms, des Waisenhauses zu Oranienburg, des Joachimsthalschen Gymnasiums und der Frankfurter Universität zu belassen und deren konfessionellen Charakter sicherzustellen. 190 Obgleich mit dem Pietismus die orthodox-konfessionelle Fixierung innerhalb der brandenburgisch-preußischen Gesellschaft bald überwunden wurde, sollte es noch rund einhundert Jahre dauern, bis die Hohenzollern von der Tradition eines reformiert geprägten Joachimsthalschen Gymnasiums abgingen. 3. Die Neueinrichtung der Schule in der Berliner Residenz Der Entschluß des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, den Schulbetrieb nicht im weit entfernten Joachimsthal, sondern in der Residenz aufzunehmen, hatte seine Ursachen zum einen in finanziellen und baulichen Gründen. So waren die Schulgebäude in Joachimsthal vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen und es fehlte an Mitteln zu deren Wiederherstellung. Auf kurze Sicht waren nur wenig 188 Vgl. Landtagsrezeß und Nebenrezeß vom 26. Juli 1653 (Mylius, CCM T. 6, Abt. 1, Nr. 68. Sp. 425–466). Auf keinen Fall hat es in diesem Rezeß eine Bestätigung eines Abkommens über eine paritätische Besetzung der Frankfurter theologischen Fakultät durch Kurfürst Friedrich Wilhelm gegeben, wie dies Nischan irrtümlich behauptet. Bei der von ihm angeführten Quelle handelt es sich um den Nebenrezeß des 1653er Landtages, der nur in Aussicht stellt, einen lutherischen Professoren zu berufen. Auch Nischans Feststellung, daß diese Entwicklungen dabei geholfen hätten, Frankfurts Ruf als „Toleranz- oder Avantuniversität“ zu begründen, erscheint für diese Zeit heftiger konfessioneller Auseinandersetzungen als zu verfrüht angesetzt. Nischan, Schools, S. 232. 189 Vgl. Dietrich, Testamente, S. 38. 190 Vgl. ebd., S. 63f.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Einkünfte aus den Schulämtern zu erwarten und die Stände nicht in der Lage, die der Schule zustehenden Gelder abzuzahlen. Zum anderen ist die für die weitere Geschichte der Fürstenschule so folgenreiche Verlegung in die Residenz auch auf den Einfluß der Reformierten am kurfürstlichen Hofe zurückzuführen. Bereits während der Kriegszeiten hatte sich die Gesambte Reformirte Gemeine in beyden Residenzen, Berlin und Cöln dem Kurfürsten gegenüber dafür ausgesprochen, auf ein interim zu versuchen, ob alhie in der Stadt ein Anfang zur instauration der Joachimsthalischen Schule gemacht werden könne . . . da es zumahl bey diesen Zeiten nirgend schicklicher und mit größerem nutz als alhie angefangen werden könne 191. Von maßgeblichem Einfluß auf die Beschlußfassung des Kurfürsten, bereits vor der Fertigstellung der Joachimsthaler Gebäude in der Residenz den Schulbetrieb aufzunehmen, wird eine Eingabe der reformierten Domgemeinde in Cölln aus dem Jahre 1649 eingeschätzt. 192 Darin heißt es, daß die Gemeinde wegen ihrer Kinder das meiste Interesse daran habe, daß die hiesige und Joachimsthalische Schulen hinwieder angerichtet würden. So hätten sie die Kinder wieder unsern willen in främbden Schulen ein 11 Jahr hero aufferziehen und informiren laßen müßen, woselbst aus häßlichem eiffer die wahre reformirte religion verlästert, also die Obrigkeit verhaßt gemacht werden 193. Tatsächlich tritt hier deutlich zutage, wie das Geschick der Fürstenschule „im engsten Zusammenhang mit den religiösen und kirchlichen Verhältnissen des Landes gestanden und ein wichtiges Kapitel in der Kirchenpolitik des Kurfürstentums gebildet hat“ 194. Deutlich wird jedoch auch: Eine baldmögliche Wiedereinrichtung der reformierten Schulen wurde von der reformierten Hofgesellschaft nicht nur aus konfessionellen, sondern auch aus politischen Gründen als wichtig erachtet. So enthält der eben zitierte Satz ins Positive gewendet die Behauptung: Nur reformierte Schulen könnten der Obrigkeit treue Untertanen garantieren. Und gerade darin sollte die zentrale Bedeutung der Fürstenschule für den Hofcalvinismus liegen. Die reformierte Gemeinde hatte mit ihrem Appell Erfolg: Noch im selben Jahr berief der Kurfürst von Cleve aus mehrere reformierte Räte zu Vorstehern der Reformirten Schulen zu Cölln an der Spree undt Joachimsthal 195, die sich um die 191 Reformierte Gemeinde an den Kurfürsten [undatiert]. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 451. In dem Schreiben wird auf eine kurfürstliche Deklaration vom 7. Mai 1643 eingegangen; es muß also kurz danach verfaßt worden sein. 192 Wetzel, Geschichte, S. 20f. 193 Acta wegen Anrichtung einer reformirten Schule in der hiesigen Residenz, GStA PK, I. HA, Rep. 60, 5,1, Bl. 36. 194 Wetzel, Geschichte, S. 20. 195 Kurfürstliches Reskript vom 28. August 1649. BLHA, Rep. 32, Nr. 40, Bl. 4. Bei der Reformirten Schulen zu Cölln handelt es sich um die am Dom seit 1618 existierende reformierte Knabenschule, die in der Folgezeit im Joachimsthalschen Gymnasium aufging. Zur Vereinigung der beiden reformierten Schulen im Jahre 1655 vgl. Hartung, Geschichte, S. 19. Weiteres zur Geschichte der Domschule vgl. ebd.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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Wiederherstellung der Elementarschule der reformierten Domgemeinde und des Joachimsthalschen Gymnasiums bemühen sollten. Außerdem wurde im Oktober für 1000 Taler ein Haus an der Langen Brücke gekauft, das in der Folgezeit als Wohnung für die Lehrer diente. 196 Im Mai des folgenden Jahres bestimmte der Kurfürst schließlich, daß die Schule mit 40 Knaben interimsweise alhier in das Gewölbe unter der Cammergerichtsstuben . . . gehalten werde, bis sie wieder nach Joachimsthal transferirt 197 werden könne. Bereits den Zeitgenossen galt deshalb das Jahr 1650 als der Beginn der Berliner Zeit des Joachimsthalschen Gymnasiums. 198 Bis im Jahre 1667 ein eigenes Schulgebäude unweit des Schlosses in der Heilig-Geist-Straße erworben wurde, fand der Unterricht und die Speisung der Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums, zu denen seit 1655 auch die Knaben der ehemaligen reformierten Domschule gehörten, in den Räumen des Schlosses statt. Zu diesem Zwecke hatte der Kurfürst sogar wichtige Landesbehörden innerhalb des Schlosses umziehen lassen. 199 Im neuen Rochowschen Haus erhielten die Schulklassen, die sich nun um eine vierte vermehrt hatten und das Konviktorium, sowie die Wohnungen für den Rektor und Subrektor ihren eigenen Platz. 200 Als auch dieses Haus zu klein wurde, zog die Schule auf Verordnung des Kurfürsten im Jahre 1688 in die vormaligen Gebäude der Post in der Heilig-GeistStraße 5 und Burgstraße 12. Dieser in unmittelbarer Nähe des Schlosses und der
196 Dabei handelte es sich um das Haus des ersten reformierten Hofpredigers Salomon Finck. Vgl. Acta betr. die Fundation, Reduction und Translation des Joachimsthalschen Gymnasiums, GStA PK, I. HA, Rep. 60, 1, 2, Bl. 195 u. Kauf des Hauses an der Langen Brücke als Schulhaus BLHA, Rep. 32, Nr. 171. 197 Kurfürstliche Resolution vom 23. Mai 1650. GStA PK, I. HA, Rep. 60, 1, 1, Bl. 22. 198 Vgl. Vechner, Oratio, S. 22. Die häufig in der neueren Literatur vertretene Ansicht, daß der Kurfürst im Jahre 1647 die Vereinigung der reformierten Domschule mit dem Joachimsthalschen Gymnasium veranlaßt und bereits damals der Schulbetrieb in der Residenz begonnen hätte, ist nicht haltbar. In dem von Wetzel als Beleg angeführten Reskript vom 11. April 1647 erteilte der Kurfürst nur die Erlaubnis, mit der Reformirten Schule in unserer Residenz Stadt Cöln (BLHA, Rep. 32, Nr. 1, Bl. 13) einen Anfang zu machen. Damit war nicht das Joachimsthalsche Gymnasium, sondern die Elementarschule der reformierten Domgemeinde in Cölln gemeint. Auch von einer Vereinigung beider Schulen ist hier nicht die Rede. Richter liegt mit der Behauptung, daß Friedrich Wilhelm die Fürstenschule 1659 nach Berlin geholt und mit dem Cöllnischen Gymnasium [!] vereinigt hätte, völlig falsch. Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 21 u. Richter, Schulgeschichte, S. 22. 199 Am 28. August 1655 verordnete der Kurfürst, daß die alhier angefangene hochnützliche schule mit etwas mehreren Raum versehen werden müßte, wozu aber keine bequemer Gelegenheit sein kan, dan vor orth, wo anitzo das kurfürstl. Cammergericht u. Consistorium gehalten wurde. Die Konsistorialräte wurden angewiesen, den Ort zu räumen und einen anderen Platz, der ihnen zugewiesen worden sei, zu beziehen. BLHA, Rep. 32, Nr. 1, Bl. 97. Die von der Schule genutzten Räume befanden sich im südwestlichen Teil des Schosses, der an den Domkirchhof grenzte. Der Einzug der Schule bedeutete für das Berliner Schloß einen Schritt mehr hin zu einem „politisch-kulturellen Mehrzweckbau“ (Neugebauer, Residenz, S. 32). 200 Beckmann, Nachrichten, Bl. 88.
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Domkirche gelegene Ort sollte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der Standort des Joachimsthalschen Gymnasiums bleiben. 201 Während in der Joachimsthaler Zeit die Verbindungen der Schule zur reformierten Hofgesellschaft nur mittelbarer Art gewesen waren, änderte sich dies mit der Verlegung des Gymnasiums in die Residenz grundsätzlich. Daß das Joachimsthalsche Gymnasium nicht nur räumlich, sondern auch ideell in enger Beziehung zur Berliner reformierten Gesellschaft stand, zeigen die Rationes pro et contra wegen Transferirung der Schule 202 aus dem Jahre 1670. Zu dieser Zeit hatte Friedrich Wilhelm seinen alten Plan, die Fürstenschule wieder nach Joachimsthal zu verlegen, neu aufgenommen. Da ein großer Teil der Reformierten – darunter auch vornehme Mitglieder der reformirten Gemeine 203 – ihre Söhne nicht in die Wüsteney undt unter die Bauern 204 schicken wollte, sahen sie sich zur Abfassung mehrerer aufschlußreicher Stellungnahmen mit einer Vielzahl von Argumenten, warumb die Reformirte Joachimsthalsche Schule lieber in Berlin zu behalten, als wider nach Joachimsthal zur verlegen 205, veranlaßt. Die für den Verbleib der Schule in Berlin angeführten Argumente sind sowohl ideeller als auch konkretpraktischer Art. So hätte die Reformierte Gemeinde vormahls, als noch keine Reformirte Schule in der Stadt gewesen, ob sie gleich darzumahls noch klein, solchen Mangel sehr empfunden und deswegen bey Sr. Churf. Durchl. unterthänigst angehalten und gnädigst erhalten, daß die Joachimsthalische Schule in die Stadt verleget worden 206. Nirgends in der Christenheit könne eine vornehme Kirche gefunden werden, welche nicht auch eine vornehme Schule derselben Religion hätte. Der reformierten Gemeinde wäre es deshalb schimpflich und disreputirlich, wenn sie keine Schule ihrer Religion hätte, die von einiger importanz 207 wäre. Auch für ihren Landesherrn handelt es sich nach Auffassung der Reformierten um eine Statusfrage: So würden nach der ietzigen Art in Teutschland hohe Potentaten und Obrigkeiten die vornehmen Schulen, welche sie anlegen, auch in die vornehmste Städte verlegen 208. Weil das Joachimsthalsche Gymnasium die einzige reformierte Schule von einiger importanz 209 in der ganzen Mark Brandenburg sei, wäre es deshalb gerecht und billig, daß diese sich in der vornehmsten Stadt befände. Daneben argumentieren die Verfasser mit der konkreten konfessionellen Konkurrenzsituation der Stadt. Da die beiden vornehmsten lutherischen Schulen 201 202 203 204 205 206 207 208 209
Vgl. Wetzel S. 22f. GStA PK, I. HA, Rep 60, 1, 2. Bl. 201ff. Ebd. Bl. 202. Ebd. Bl. 206. Ebd. Bl. 201. Ebd. Bl. 205. Ebd. Bl. 201. Ebd. Bl. 204. Ebd. Bl. 201.
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bei den lutherischen Hauptkirchen in Berlin und Cölln angesiedelt wären, müsse auch die reformierte Hauptkirche eine nicht ungleiche Schule haben. Vor allem würde mit der Verlegung den Gegnern ein sonderlich jauchzen und frohlocken verursachet 210 und die Adversariis Domestici et Externi zu ihrem Herzenswunsch gelangen . . . sonderlich da sie zuvor mit ihrer höchsten bemühung nicht verhindern können, daß die Joachimsthalische Schule anhero verlegt ward 211. Diese Bemerkungen machen deutlich, daß die Existenz des Joachimsthalschen Gymnasiums in Berlin für die reformierte Gemeinde einen wichtigen Symbolwert hatte und daß in ihren Augen diese „vornehme Schule“ den Reformierten eine Aufwertung gegenüber der lutherischen Mehrheit verschaffte. 4. Die Administration durch das Joachimsthalsche Schuldirectorium Seit der Einrichtung des Joachimsthalschen Gymnasiums in der Residenz nahmen sowohl die Hofprediger als auch einzelne Gemeindemitglieder in ihrer Funktion als kurfürstliche Beamte wichtige administrative Aufgaben bezüglich der Schule wahr. Dies ging auf verschiedene Beschlüsse zurück, die Friedrich Wilhelm zur Konsolidierung des Gymnasiums in der Residenz gefaßt hatte. Dazu zählt zunächst die Einsetzung eines besonderen Kollegiums, das sowohl die Aufsicht über die Lehre als auch über die Ökonomie übernehmen sollte und in der Folgezeit als Joachimsthalsches Schuldirectorium die innere und äußere Verwaltung der Schule übernahm. 212 Während vorher die Lehraufsicht bei unterschiedlichen Visitatoren und die Verwaltung der zahlreichen Schulgüter bei der kurfürstlichen Amtskammer gelegen hatte, waren damit alle die Stiftung betreffenden Fragen in die Hände einer einzigen Instanz übergegangen. Bereits Beckmann vermutete konfessionelle Gründe hinter dieser Verwaltungsreform. So hätte die Amtskammer die Schulgüter wegen des religiösen Gegensatzes nachlässig verwaltet. 213 Tatsächlich finden sich Spuren dazu auch in den zeitgenössischen Quellen. So beschuldigte der damalige Visitator Gregor Franck (1583–1651) im Jahre 1645 die Amtskammerräte, daß sie die Wiedereinrichtung der Schule verhindern wollten und der Schuelen zuwider wären 214. Konkreter Anlaß für diesen Streit war der Vorwurf Francks, die Amtskammer unter Leitung des Lutheraners Bernd von Arnim würde die Einnahmen des Amtes Dambeck, welche nach kurfürstlichem
210
Ebd. Ebd. Bl. 206. Von der Formierung eines lutherischen Widerstandes gegen die Verlegung der Schule nach Berlin hören wir hier zum ersten und einzigen Mal. Möglicherweise handelt es sich hier nur um ein im nachhinein geäußertes subjektives Empfinden ohne einen tatsächlichen Hintergrund, das aus der Minderheitensituation entsprang. 212 Sämtliche Schulräte sind aufgelistet bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 320–340. 213 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 144. 214 Vgl. Meinardus, Protokolle, Bd. 3, S. 198. 211
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Beschluß eigentlich der Schule und der Universität zustünden, unberechtigterweise einbehalten. Die Kammerräte hatten diesen Vorwurf allerdings zurückgewiesen. 215 Darüber, ob Francks Verdacht tatsächlich berechtigt war und wenn ja, ob die Nachlässigkeit der Amtskammer überhaupt konfessionell motiviert war, geben die Quellen keine Auskunft. Die Personen, die Friedrich Wilhelm bereits im August 1649 von Cleve aus zu Schulvorstehern berufen hatte, waren ausschließlich Angehörige der Berliner reformierten Gemeinde und hochgestellte kurfürstliche Amtsträger. Deren Aufgabe sollte es sein, beide reformirte Schulen hiewieder anzurichten undt in Schwang zu bringen, undt dadurch die wahre Religion undt Gottes dienst zubefördern, undt auf die Nachkommen fortzupflanzen, auch die Jugendt zu dem rechten erkendniß, undt Dienst Gottes, zu seinen ehren undt dem Vaterlande zum besten und dienst zuerziehen 216. Die konfessionelle Dimension spricht sich darin aus, daß sich die allgemein gehaltene Floskel von der ‚wahren Religion und dem wahren Gottesdienst‘ für Friedrich Wilhelm natürlich auf die reformierte Konfession bezog. In einer besonderen Instruktion trug der Kurfürst den Geheimen Räten wenig später auf, daß sie damit solches nützliches und zur Ehre Gottes angesehene Werk (in welchem auch magna ex parte salus et incrementum bene constituae reipublicae bestehet) nicht in ein Stecken gerathen, den zur Schule verordneten Commissarios und Directores . . . mit getreuer Hülfe, Rath und Assistenz beistehen 217 sollten. Zum Vorsitzenden bestimmte der Kurfürst den Hof- und Kammergerichtsrat Wolf Dietrich von Rochow (1577–1653). Der Lehnssekretär und spätere Geheime Rat Johann Tornow (1610–1662) sollte die Aufsicht über den Unterricht und Zacharias Friedrich von Götze (?-1682), Hauptmann zweier kurfürstlicher Ämter, über die Ökonomie übernehmen. Darüber hinaus wurde der Leibarzt des Kurfürsten, Otto Bötticher (1581–1663), beauftragt, für das leibliche Wohl der Schüler zu sorgen. Von Rochow war bereits unter Johann Sigismund Präsident des 1618 gescheiterten Kirchenrates gewesen und hatte seitdem als Geheimer Rat die Oberaufsicht über das Gymnasium innegehabt. 218 Auch sein Nachfolger, Lucius von Rahden, war ein Mitglied des Geheimen Rates. Solange das Schuldirektorium bestand, sollte sich daran nichts ändern. Im Jahre 1686 übernahm Paul von Fuchs den Vorsitz des Schuldirektoriums. 1705 folgte ihm Eberhard von Danckelmann und vier Jahre später Marquard von Printzen 219 (1675–1725). Von letzterem schreibt der Zeitzeuge Beckmann, er habe als grundgelehrter Herr
215
Franck an die Kurfürstin am 4. Juni 1645. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 518. Kurfürstliches Reskript vom 28. August 1649. BLHA, Rep. 32, Nr. 40, Bl. 4. 217 Instruktion für die Geheimen Räthe vom 19. April 1651. Meinardus, Protokolle, Bd. 4, S. 331. 218 Vgl. Hering, Beiträge Bd. 2, S. 128f. u. Wetzel, Geschichte, S. 107. 219 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 366–370. 216
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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darauf gesehen, daß wissenschaft gründlich getrieben, und zur treibung derselben auch geschickte männer an das Gymnasium gezogen würden. Er ließ kein examen vorbeigehen, wo anders die gesundheit es zuließ, und nicht wichtigere und pressante dinge ihn zurück hielten 220. Seit 1713 übernahm der Präsident des neugegründeten Reformierten Kirchendirektoriums, der einer der reformierten Wirklichen Geheimen Räten sein mußte, automatisch den Vorsitz des Joachimsthalschen Schuldirektoriums. 221 Das war in der Nachfolge des von Printzen seit 1725 der Staatsminister Friedrich Ernst Freiherr von Knyphausen (1678–1731). Durch diese Ämterkumulation war die Administration der Schule an höchster Stelle angebunden, geschah jedoch unabhängig von allen anderen Staatskollegien mittels einer eigenen Behörde. Diese unterstand unmittelbar dem regierenden Kurfürsten, der allein die Mitglieder des Schuldirektoriums berief. Damit war die Verschränkung von konfessionellem, politischem und Bildungsbereich perfekt. Diese Art der Einbindung in die kurmärkische Behördenorganisation unterschied das Joachimsthalsche Gymnasium von jeder anderen höheren Schule des Territoriums. Die direkte Zuordnung zum Geheimen Rat bzw. zum Landesherrn verschaffte der Fürstenschule eine sichtbar herausgehobene Position nicht nur im Berliner Gelehrtenschulwesen, sondern im gesamten Bildungswesen des Territoriums. Seine administrative Sonderstellung verlor das Joachimsthalsche Gymnasium erst im Zuge der preußischen Behördenreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 222 5. Die geistliche Schulaufsicht durch Frankfurter Theologieprofessoren und Berliner Hofprediger Neben den Mitgliedern des Joachimsthalschen Schuldirektoriums waren die Visitatoren für die weitere Entwicklung des Joachimsthalschen Gymnasiums von großer Bedeutung. Diese hatten gemäß der Gründungsurkunde die Kontrolle über die Qualität des Unterrichts und die Aufrechterhaltung der Disziplin auszuüben und dem Kurfürsten darüber Bericht zu erstatten. 223 Auch sie wurden direkt vom Kurfürsten berufen. Seit der Gründung der Schule hatten verschiedene bedeutende reformierte Theologen das Visitatorenamt innegehabt. Dazu zählten vor allem der langjährige Generalsuperintendent der Mark, Christoph Pelargus, der Hofprediger Martin Füssel sowie der Frankfurter Theologieprofessor Gregor Franck. Auch in
220
Beckmann, Nachrichten, Bl. 330. Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 108. 222 Im Jahre 1809 wurde das Joachimsthalsche Schuldirektorium als selbstständige Verwaltungsbehörde aufgelöst und die Schule wie die anderen Berliner Gymnasien der neugegründeten Sektion des öffentlichen Unterrichts beim Ministerium des Inneren unterstellt. Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 114f. 223 Vgl. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 68. 221
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
der Berliner Zeit blieb das Visitatorenamt weiter bestehen. Hier wurde es üblich, daß automatisch einer der Hofprediger dieses Amt innehatte. Nur noch vereinzelt visitierten Theologieprofessoren von Frankfurt aus die Schule. Nach der Zerstörung der Schule hatte sich besonders Gregor Franck (1583– 1651) um das weitere Geschick des Joachimsthalschen Gymnasiums bemüht. Darüber gibt dessen umfangreicher Nachlaß genaue Auskunft, der eine der zentralen Quellensammlungen zur frühen Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums bildet und erfreulicherweise erhalten geblieben ist. 224 Anhand dieser Dokumentensammlung wird deutlich, daß die meisten Initiativen Friedrich Wilhelms hinsichtlich der Wiedereinrichtung des Schulbetriebs und der Schaffung der materiellen Grundlagen auf das Drängen und die Vorschläge Francks hin erfolgten. Diese Tatsache relativiert das Ausmaß der landesherrlichen Umsicht und Fürsorge für die Fürstenschule, wie es in der Literatur gern bemüht wird. Deutlich wird jedoch auch, daß sich Friedrich Wilhelm in hohem Maß auf diese der kurfürstlichen Familie nahestehenden reformierten Theologen verließ. So war Franck, der in Leipzig und Wittenberg studiert hatte, Erzieher der Markgrafen Johann und Johann Georg gewesen. Mit dem späteren Kurfürsten hatte er mehrere Jahre in Frankreich verbracht, wo er regen Anteil an den westeuropäischen reformatorischen Zeitströmungen genommen hatte und zum reformierten Bekenntnis übergetreten war. Seit 1615 als Professor an der Frankfurter Universität gehörte der irenisch eingestellte Franck in der Folgezeit zu den führenden Theologen Kurbrandenburgs. Seine Kirchenfriedenspolitik wurde ihm sogar von lutherischer Seite hoch angerechnet. So heißt es in seiner Leichenpredigt, die ihm der Lutheraner Martin Heinsius hielt, dieser hätte was sein Christentumb . . . anlanget, nebst der Liebe zur Religion auch iederzeit seine Begierde zum christlichen Frieden . . . scheinen lassen . . . und viel Scripta Irenica, die er theils selber gemacht . . . allhier drücken und auch aufflegen lassen 225. In der Leichenrede wird auch gewürdigt, daß Franck seit 1633 Visitator des Joachimsthalschen Gymnasiums gewesen sei und daß er danach getrachtet hätte daß die Schuele im joachimsthal wieder angerichtet werden moechte. Nicht nur an seinen Landesherrn, sondern auch an andere Reformierte in wichtigen kurfürstlichen Ämtern hatte sich Franck mit der Bitte um Unterstützung seiner Bemühungen gewandt. So nahm er 1644 Kontakt mit den altmärkischen Adeligen Thomas von Knesebeck und Christoph von Bismarck sowie mit dem Oberkammerherrn und Kriegkommissar Konrad von Burgsdorf 224
BLHA, Rep. 32, Nr. 4894. Vgl. Heinsius, Erkäntnis, o. S. Bei Heinsius handelt es sich übrigens um einen lutherischen Theologen, um dessen Ernennung zum Theologieprofessor sich die Stände in den 1652/53er Landtagsverhandlungen und danach vergeblich bemüht hatten. Die Begründung des Kurfürsten für Heinsius’ Ablehnung, dieser würde das von ihm unterzeichnete Antilästeredikt unterlaufen (vgl. Isaacsohn, Urkunden, 10, 2, S. 288), erscheint angesichts dieser versöhnlichen Leichenpredigt unglaubhaft. Offenbar war an der Basis der Kirchenfrieden weiter fortgeschritten, als Friedrich Wilhelm dies wahrhaben wollte. 225
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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auf, alles Personen, die der primären Führungsschicht um den Kurfürsten zuzuordnen sind. 226 Dies läßt wiederum Rückschlüsse auf die Beziehungsgeflechte innerhalb der reformierten Gesellschaft zu. Aufschlußreich ist ein Schreiben an die Witwe Georg Wilhelms, Elisabeth Charlotte, in dem Franck diese indirekt bittet, Druck auf ihren Sohn auszuüben. Sie solle bei ihren Sohn dieses Werk dahin zu befördern, daß die Amtskammer sich nicht der Schule – und damit Gott und der Kirche – zustehende Einnahmen aneigne. Mittels seiner seelsorgerlichen Autorität versprach er der Mutter des Kurfürsten weiter, daß ihr solches guttes werck am Jüngsten Tage im angesicht aller heilig engel und auserwehlten Gottes von Christo selbsten gerühmet werden 227 würde. Später ließen Elisabeth Charlotte und andere Mitglieder der königlichen Familie der Schule in der Zeit des Neuanfangs regelmäßig Gelder zukommen. 228 Verschiedentlich wurde dem Gymnasium auch Geld von einzelnen Personen vererbt. 229 Über das Wirken des damals „bedeutendsten reformierten Theologen Brandenburg-Preußens“ 230, Johann Bergius, der nach dem Tode Francks das Visitatorenamt übernahm, ist wenig bekannt. 231 Angesichts der Tatsache, daß er sich bereits in seinem siebten Lebensjahrzehnt befand, verwundert dies jedoch kaum. Noch 1648 hatte sich der Berliner Hofprediger Bergius in ansehung des ietzigen Zustandes unserer Gemeine dafür ausgesprochen kein groß Gymnasium, darinen die jugend ad studia Academia praepariret werde, sondern nur eine Kinderschule ad prima literarum et utriusque lingua elementa discenda anzurichten, daraus nachmalen die Knaben ad Gymnasium Electorale Joachismium, wann Gott auch zu wieder anrichtung desselben mittel undt frieden verleihen wirdt, mitt mehrern nutzen abgeschicket werden können 232. Offensichtlich hielt er die reformierte Hofgemeinde als notwendige Basis für eine eigene Gelehrtenschule für nicht groß genug. Visitationsberichte, die über eine Tätigkeit von Bergius Auskunft geben könnten, liegen für die Berliner Zeit leider nicht mehr vor. Es ist nur bekannt, daß Bergius bei der Erarbeitung eines neuen Lehrplanes, der jedoch bereits 1657 keine Gültigkeit mehr hatte, zu Rate gezogen wurde. 233 In der einschlägigen Lite226 Vgl. BLHA, Rep. 32, 4894. Bl. 467, 475 u. 524. Näheres zu Knesebeck und Burgsdorf bei Bahl, Hof, S. 518f. u. 443f. Die Knesebecks waren eine reiche und trotz ihres Reformiertentums bei ihren Standesgenossen angesehene Familie, die traditionell in der kurbrandenburgischen Politik stark vertreten war. Vgl. Opgenoorth, Reformierten, S. 456. 227 Frank an die Kurfürstin am 4. Juni 1645. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 518. 228 GStA Hauptabt. I. Rep. 60, 14. 229 Dazu zählen die 1645 verstorbene Mutter Elisabeth Charlottes und ein Oberst Perdieu. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 459 u. 548. 230 Lackner, Kirchenpolitik, S. 107. 231 Auch Nischan erwähnt in seinem ausführlichen Artikel über Bergius dessen Tätigkeit am Joachimsthalschen Gymnasium nicht. Vgl. Nischan, Bergius. 232 Bergius an Kanzler und Geheime Räte, 14. Februar 1648. GStA PK, I. HA, Rep. 60, 5,1, Bl. 26.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
ratur wird auch der oben erwähnte Johann Raue unter den Visitatoren der Schule angeführt. 234 Von einer Visitatoren- oder gar Lehrtätigkeit Raues finden sich in den Quellen jedoch keine Nachrichten. 235 Da er sich bis zur Einsetzung eines neuen Visitators an seinem vorherigen Amtsort Danzig aufgehalten hat, kann Raue das Amt des Visitators auch nicht ausgeübt haben. 236 Vielmehr war Raue bald nach seiner Ankunft in Berlin als Bibliothekar in der Königlichen Bibliothek tätig. 237 Insofern können über Raue auch keine reformpädagogischen Ideen in das Joachimsthalsche Gymnasium transportiert worden sein. 238 Im Jahre 1657 bestellte der Kurfürst, weil die Theologia und Sacra nicht fleißig getrieben werde 239, den damaligen Hofprediger Johann Kunsch von Breitenwalde (1620–1681) zum Visitator der Schule. Den Anlaß dazu bildeten vermutlich Auseinandersetzungen mit dem damaligen Rektor Wulstorp, der dann auch 1658 entlassen wurde. 240 Mit Kunsch sollte wieder ein Reformierter strengerer Obser-
233 234
Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 175 u. 341 u. Wetzel, Geschichte, S. 257f. Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 105. Zu Raue vgl. Ziel, Schulverbesserung u. Faber,
Raue. 235 In der Literatur wird wiederholt behauptet, Raue sei zum Professor am Joachimsthalschen Gymnasium berufen worden. Tatsächlich war Raue laut Ernennungsurkunde (Kurfürstliches Reskript vom 26. Juli 1654. GStA PK, Rep. 60, 1, 5, Nr. 3) nicht nur zum Generalschulinspektor der Mark Brandenburg, sondern auch zu einem Professorem an Unserm neuen Collegii allhier ernannt worden. Die Annahme, daß damit die Berufung an das Joachimsthalsche Gymnasium gemeint sei, ist jedoch falsch. So war der Professorentitel an der Fürstenschule erst seit 1707 üblich. Vor allem ist jedoch wegen der Tatsache, daß sich der Kurfürst nur wenige Monate zuvor im Berufungsstreit erfolgreich gegen die Stände durchgesetzt hatte, die Berufung des Lutheraners Raue an die Fürstenschule nicht sehr wahrscheinlich. Was mit dem neuen Collegium gemeint war, verrät uns dieselbe Berufungsurkunde. So ist hier die Rede von einem neuen Collegium . . . nach Art unserer Joachimsthalschen Fürstenschule, welches der Kurfürst zu stiften beabsichtige. Zur Einrichtung eines solchen ist es jedoch nie gekommen. Daß Raue mit dem Gymnasium nichts zu tun hatte, bezeugte bereits Beckmann. Er sollte auch hin und wieder . . . von den gelehrten wiederspruch gefunden haben (vgl. ders., Nachrichten, Bl. 344). 236 Vgl. Faber, Raue, S. 233. Auf diesen Zusammenhang hat zuletzt Neugebauer wieder hingewiesen. Vgl. ders., Staat, S. 79. 237 Seit 1659 ist seine Tätigkeit als Bibliothekar bezeugt. Vgl. Tautz, Bibliothekare, S. 18–43. 238 Heubaum meint, daß das Joachimsthalsche Gymnasium nur wenig von den neuen pädagogischen Bestrebungen berührt worden sei (vgl. ders., Geschichte, S. 58). Näheres dazu vgl. unten, Kapitel E. 239 Instruktion zur Bestallung von Kunsch. 16. 6. 1657. GStA PK, I. HA, Rep. 60, 2, Bl. 104. 240 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 257. Die genauen Hintergründe dieses Konfliktes sind nicht bekannt. Bemerkenswert ist jedoch, daß sich Wulstorp im Mai 1657 darüber beklagte, daß Kunsch lutherische Schüler zur Teilnahme am Katechismusunterricht gezwungen habe. Offensichtlich sollte mit der Berufung Kunschs das reformierte Profil der Schule verstärkt werden. Vgl. auch unten, Abschnitte D. I. 3 u. E. I. 1.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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vanz den Kurs an der Schule bestimmen. Seine Berufungsurkunde enthält einen ganzen Aufgabenkatalog, der auf eine Verbesserung und stärkere Kontrolle des Schulbetriebs abzielte. So sollte der Visitator erkunden, welche Mängel in den Klassen eingerissen seien, sich darüber mit dem Rektor und den Kollegen beraten und die Schulräte und Vorsteher darüber informieren. Außerdem hatten die Präzeptoren dem Visitator über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen und konnten von ihm ermahnt werden. Sollte Kunsch kein Gehör finden, hätte er dies den Räten zu melden. Insofern nahm der Visitator also eine Mittelstellung zwischen dem Lehrerkollegium und deren Aufsichtsbehörde, dem Joachimsthalschen Schuldirektorium ein. Darüber hinaus hatte er Einfluß auf inhaltliche Fragen des Lehrbetriebs. So sollten sich die Lehrer mit ihm darüber beraten, welche Autoren gelesen werden sollten, wie es mit dem catechetisiren in der Kirche anzustellen und auf welche Art und Weise die halbjährlichen Examina abzuhalten seien. Vor allem jedoch sollte Kunsch die sacra tractiren, die Schüler wöchentlich über das Gelernte publice in Templo . . . examiniren und sonsten das zu tun, was Gottes ehre und der Seeligkeit und Wohlfahrt erfordert 241. Daß die Prüfungen öffentlich im Dom abgehalten werden sollten, zeigt nicht nur die enge Verschränkung von Schule und Kirche im Erziehungsprozeß, sondern auch dessen öffentlichkeitswirksame Seite auf. Inwieweit Kunsch in der Folgezeit diesen vielfältigen administrativen Aufgaben und Prüfungsverpflichtungen tatsächlich gerecht wurde, ist nicht bekannt. In seiner Eigenschaft als zweiter Hofprediger, zu dem er bald nach seiner Bestellung zum Visitator berufen worden war, hatte Kunsch den Kurfürsten ständig auf seinen Reisen und Feldzügen zu begleiten. 242 Berechtigterweise warf Hering deshalb die Frage auf, „wie diese theologischen Lectionen mit seinen vielfältigen Verreisungen haben bestehen können“ 243. Zum Problem der Verflechtungen von reformiertem Hof und Fürstenschule ist allerdings festzustellen, daß der Kurfürst mit Kunsch wiederum einen der einflußreichsten Theologen am Hofe mit der Schulaufsicht betraut und diesem weitreichende Kompetenzen eingeräumt hatte. Darüber hinaus ist von Interesse, daß Kunsch, wie anderen Visitatoren vor ihm, zugleich die Prinzenerziehung oblag. Somit wurden oftmals solche Personen zu Visitatoren berufen, auf deren pädagogische Fähigkeiten der Landesherr besonders vertraute. Nach Kunschs Tod übernahmen der Rektor und der Konrektor den Religionsunterricht an der Schule, bis wieder einer der Hofprediger diese Aufgabe übertragen bekam. 244 Dabei handelte es sich um den Sohn von Johann Bergius, Georg Konrad Bergius (1623–1691), der vom Kurfürsten wegen seiner Gelehr241 Instruktion zur Bestallung von Kunsch. 16. 6. 1657. GStA PK, I. HA, Rep. 60, 2, Bl. 104. 242 Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 184. 243 Hering, Beiträge Bd. 2, S. 87. 244 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 268.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
samkeit hoch geschätzt wurde und bereits die beiden Kurprinzen unterrichtet hatte. 245 Bergius jun. sollte der letzte Hofprediger sein, der am Joachimsthalschen Gymnasium Religionsunterricht erteilte. In den neuen Schulgesetzen von 1707 wurde festgelegt, daß der Rektor diesen Unterricht zu geben hätte. 246 Erst ab 1707 wurde das Visitatorenamt zu einer dauernden und ordentlichen Einrichtung. Anläßlich der Vorbereitungen der Säkularfeier berief König Friedrich I. Johann Christoph Beckmann und Daniel Ernst Jablonski zu Visitatoren und beauftragte sie mit der Überarbeitung der Lehrmethoden und des Lehrplanes. Letzterer sollte auf königlichen Beschluß für die Schule neue Statuten erarbeiten. Nach Beckmanns Tod im Jahre 1717 lag die Visitatorenamt allein bei Jablonski. Auf die Bedeutung dieses Gelehrten für die Berliner Frühaufklärung wurde bereits eingegangen. Jablonski, der ein Enkel des berühmten Reformpädagogen Johann Amos Comenius war, wird von der Forschung „der Welt des brandenburgisch-preußischen Spätcalvinismus“ 247 zugerechnet. Er gehörte einer neuen, vom Unionismus beeinflußten Theologengeneration an und stand in seiner der Brüderunität eigentümlichen, auf die Praxis ausgerichteten Fömmigkeit dem lutherischen Pietismus nicht fern. Wie bereits erwähnt, bemühte sich vor allem Jablonski, der den konfessionellen Unterschieden „freier und unbefangener“ 248 gegenüberstand als andere führende Geistliche seiner Zeit, intensiv um eine Union beider Konfessionen. Die Einbeziehung von Jablonski in die inneren Fragen des Lehrbetriebs markiert insofern das eindeutige Ende der vom Konfessionellen dominierten Phase in der Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums. 6. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Von Beginn an umfaßte das Joachimsthalsche Gymnasium nicht nur einen Schul-, sondern auch einen Wirtschaftsbetrieb. 249 Mit der Wiedereinrichtung der Schule in Berlin war die Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen Basis verbunden. Dabei ging es zum einen um die Wiederherstellung der schuleigenen Güter. Nur langsam kamen aus dem Vorwerk in Joachimsthal und anderen Schulämtern wieder Naturalienlieferungen ein. Um die Finanzlage zu verbessern, hatte Friedrich Wilhelm außerdem verordnet, eingehende Strafgelder an die Joachimsthalsche Schulkasse zu zahlen. Im Jahre 1650 gingen auf kurfürstliche Order das altmärkische Klostergut Dambeck, das Gut Neuendorf bei Oderberg und das Dorf Golzow 245
Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 185. Leges Docentium et Discentium in Regio Gymnasio Joachimico. BLHA, Rep. 34, 1857, Bl. 38. 247 Vgl. Braun, Jablonski, S. 92. 248 Vgl. ebd. S. 97. 249 Detaillierte Angaben zum Besitz und den wirtschaftlichen Zuständen vgl. Wetzel, Geschichte, S. 53ff. 246
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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bei Joachimsthal endgültig in den Besitz der Schule über. Bleibende Geldzuwendungen sollten außerdem Einkünfte aus den Halberstädter und Mindener Stiften garantieren, welche der Schule ebenfalls im Jahre 1650 zugesprochen worden waren. Dreißig Jahre später verordnete der Große Kurfürst darüber hinaus, auch einen Teil der Einkünfte aus dem Magdeburger Stift an das Joachimsthalsche Gymnasium zu geben. 250 Trotz dieser und weiterer Zuwendungen wuchs der Schulfonds, den nun das Joachimsthalsche Schuldirektorium verwaltete, zunächst nur langsam. Streit und Auseinandersetzungen bereiteten vor allem die Gelder, welche die alt-, mittel- und uckermärkischen Stände dem Gymnasium laut Stiftungsurkunde schuldig waren und die gar nicht oder nur zu einem geringen Teil gezahlt wurden. Erst seit 1684 gingen die jährlichen Zahlungen von 2400 Talern wieder regelmäßig ein. 251 Seit den achtziger Jahren hatte sich der Haushalt der Fürstenschule wieder konsolidiert. Die Einkünfte blieben in der Folgezeit nicht nur stabil, sondern der Etat der Schule nahm stetig zu. Die Tatsache, daß die Fürstenschule von der Akzise sowie Einquartierungen und servis geldern befreit war und die Braufreiheit genoß, wirkte sich ebenfalls positiv auf die Schulfinanzen aus. 252 Im Jahre 1686 verfügte die Schulkasse über einen Betrag von 4500 Talern. Um die Jahrhundertwende betrugen die Einnahmen schon mehr als 15 000 Taler jährlich und 1717 über 22 000 Taler, wozu noch ein Kapitalvermögen von 60 000 Talern trat. Zehn Jahre später standen Einnahmen von 28 000 Talern Ausgaben von 20 000 Talern gegenüber. 253 Aus seinen Überschüssen mußte die Schule freilich andere Einrichtungen unterstützen, wie das 1714 für angehende reformierte Prediger gegründete Domkandidatenstift, die reformierte Stiftung mons pietatis sowie die Berliner Ritterakademie und die Kadettenanstalt. 254 Daneben wurden aus dem Schulfonds sogar Stipendien für reformierte Theologiestudenten finanziert, um ihnen einen Aufenthalt an niederländischen und englischen Universitäten zu ermöglichen. 255 Seit dem Jahre 1717 erhielten außerdem einige reformierte und
250 Vgl. ebd., S. 65. Die sogenannte große Donation von 1650 sah vor, daß der Quartae canonicatuum bei den Niederstiftern Minden und Halberstadt zur Hälfte an die Universitä Frankfurt und zur anderen an das Joachimsthalsche Gymnasium gehen sollte. Dies zeigt, wie eng beide Institute in der kurfürstlichen Bildungspolitik miteinander verbunden waren. 251 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 62. 252 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 139. 253 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 87f. u. 387. 254 BLHA, Rep. 32, Nr. 200, 304, 305 u. 308. Aus dem Jahre 1736 ist die Tatsache bekannt, daß Adlige aus dem Joachimsthalschen Gymnasium als Gegenleistung in der „Ritterakademie“ Reitunterricht bekamen. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 200, Bl. 87. In der Zeit von Friedrich Wilhelm I. gingen aus der Schulkasse jährlich 6000 T an das Kadettenkorps, also deutlich mehr als der damalige Besoldungsfonds der Joachimsthalschen Lehrer, der bei schätzungsweise 4000 T lag. Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 150. 255 Reglement die Königl. Alumnos und Candid. Theologiae Reformirter Religion zu Berlin vom 29. Juli 1714. Geh STA, I. HA, Rep. 76 alt, Abt. V, Nr. 172, Bl. 12.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
lutherische Pfarrer der Berliner, Cöllner und Friedrichswerderschen Kirchen Zuschüsse aus Joachimsthalschen Geldern. 256 Zu den wichtigsten Ausgaben zählten die Besoldungen der Lehrer. In Joachimsthal erhielten der Pastor und die Mitglieder des Schulkollegiums, der Rektor, Konrektor und Subrektor sowie der Mathematicus zwischen 250 bis 150 Talern Gehalt. Der Kantor und der Organist bekamen 127 und 77 Taler. 257 Diese Summen überstiegen die damaligen Gehälter der Berliner Gelehrtenschulen deutlich. Auch in der Zukunft sollte sich daran nichts ändern. 258 Das jährliche Rektorengehalt betrug am Joachimsthalschen Gymnasium zu Beginn der Berliner Zeit neben der freien Wohnung bereits 400 Taler. Im Jahre 1707 stieg es sogar auf 650 Taler an und betrug damit mehr als das dreifache der Rektorengehälter an den städtischen Gelehrtenschulen. Das Konrektorengehalt ist nur aus dem Jahre 1712 bekannt, als es 525 Taler betrug. Der Subrektor erhielt anfänglich 200 Taler, eine Summe, die sich bis 1712 verdoppelte. Das Kantorengehalt betrug 200 bis 250 Taler im Jahre 1723. Der Mathematicus erhielt anfangs ebenfalls 200 Taler und später dann 250 Taler. Sogar das Gehalt des sechsten Kollegen für den Schreib- und Lateinunterricht in der untersten Klasse, stieg von beachtlichen 194 Talern in der Berliner Frühzeit auf 240 Taler im Jahre 1728 an und lag damit immer noch über den städtischen Rektorengehältern. Auch die 1686 zusätzlich eingerichtete Subkonrektorenstelle war vermutlich sehr gut ausgestattet. Mit den außerordentliche Professuren, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts für Philosophie und Jurisprudenz eingerichtet wurden, kamen zwei weitere gut dotierte Stellen von 300 Talern dazu. Durch Zulagen konnten die Lehrer im Verlauf ihres Berufslebens die Gehälter noch weiter aufstocken. Angesichts dieser großzügigen Summen verwundert es nicht, daß die Verweildauer der Lehrer am Joachimsthalschen Gymnasium einschließlich der unteren Stellen vergleichsweise lange war. 259 Zu den Ausgaben zählten darüber hinaus die Besoldungen für die jeweiligen Verwaltungsbeamten, Schulräte und Visitatoren. 260 Eine besondere Witwen- und Waisenkasse gab es nicht, vielmehr erhielten die Lehrerwitwen aus dem allgemeinen Schulfonds großzügige Gnadengehälter zugesprochen. 261 256
Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 305, Bl. 8f. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 53–65. 258 Die Gehälter wurden den Bestallungsakten sowie erhaltenen Quittungen des Joachimsthalschen Lehrerpersonals entnommen. Angegeben wird das Grundgehalt mit sämtlichen Geldzulagen. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 93–122 u. BLHA, Rep. 32, Nr, 3497, Bl. 1–10. Zum Stand der Gehälter in den vierziger Jahren vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 300ff. 259 Der spätere Rektor Gersom Vechner (1629–1708) war mehr als fünfzig Jahre als Lehrer an der Fürstenschule tätig. 260 Die Mitglieder des Joachimsthalschen Schuldirectoriums erhielten zunächst eine Zulage von je 100 T, die sich zu Beginn des 18. Jahrhundert auf 200 bis 300 T erhöhte. Die Visitatoren bekamen zur selben Zeit 100 T aus den Schulgefällen. Beckmann, Nachrichten, Bl. 300. 257
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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Neben den Personalkosten fielen am Joachimsthalschen Gymnasium, das seit seiner Gründung als Internatsschule angelegt war, Aufwendungen für die Verpflegung und Unterbringung der Lehrer und Schüler an. Für die freie Unterbringung der Lehrer war von Beginn an gesorgt. Aufgrund der zunächst schwierigen finanziellen Situation war jedoch die Unterbringung der Schüler in einem Alumnat in den ersten Jahrzehnten nach 1650 nicht möglich. Allerdings erhielt eine Anzahl von Zöglingen von Beginn an die Möglichkeit, in einem Konviktorium frei verpflegt zu werden. In der Zeit vor 1662 wurden am Joachimsthalschen Gymnasium ungefähr 36 Zöglinge an drei Tischen gespeist. Danach verdoppelte sich diese Anzahl auf sechs Tische, bis diese wegen des Schwedeneinfalls 1675 wieder auf drei verringert wurden. Nachdem sich die Einkünfte wieder stabilisiert hatten, wurden die Tische wieder vermehrt. 262 Zum Schuljubiläum im Jahre 1707 verfügte die Fürstenschule wieder über die in der Fundation vorgesehen zehn Freitische, deren Anzahl dann bis 1740 auf 13 Tische mit 150 bis 160 Schülern anwachsen sollte. 263 Mit diesem Versorgungspotential übertraf das Joachimsthalsche Gymnasium die beiden Altberliner Gelehrtenschulen damit um ein zehnfaches. Ausdruck der gelungenen finanziellen Konsolidierung war vor allem der großzügige Neubau der Schule in den Jahren von 1715 bis 1718, in deren Verlauf das Joachimsthalsche Gymnasium zu einer vollgültigen Internatsschule umgewandelt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt waren zwar die Knaben in der Schule unterwiesen und gespeist worden, sie hatten ihre wohnungen aber außerhalb deßselben hin und wieder in der stat, und oftmahls ziemlich entlegen und versteckt nehmen müssen; welches zu allerhand extravagances, nächtlichen herumschweifungen und händeln anlaß gegeben 264 hatte. In dem neuen Gebäudekomplex, der neun Stockwerke und zwei Höfe umfaßte, wohnten gegen eine jährliche Miete von 15 Talern die Alumni und sämtliche Lehrer. 265 Das Joachimsthalsche Gymnasium nahm damit auch in räumlicher Hinsicht eine herausragende Stellung unter den Berliner Gelehrtenschulen ein.
261 Solche Pensionen konnten von der Kantorenwitwe bis zur Witwe des Rektors 24 bis 200 T im Jahr betragen. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 64, 78, 84 u. 115. 262 Im Jahre 1684 wurden in der Communität 54 Schüler gespeist. Außerdem gab es mehr als 20 Bewerber – meist von Eur. Chur.fürstl. Durchl. Landesprediger, undt armer Hoffdiener Kinder – auf einen freien Tisch. GStA PK, I. HA, Rep. 32, 17,1, Bl. 186. Ein Jahr später befahl Friedrich Wilhelm die Einrichtung eines besonderen Tisches für solche Schüler, die auf kurfürstlichen Befehl in die Communität aufgenommen worden waren, aber alle zum studieren nicht tüchtig, auch nicht Lust dazu haben. BLHA, Rep. 32, Nr. 448, Bl. 16. Ein achter Freitisch wurde im Januar 1706 eingerichtet. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 1, Bl. 226. 263 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 63 u. 86f. u. Beckmann, Nachrichten, Bl. 121. 264 Beckmann, Nachrichten, Bl. 109. 265 Ebd., Bl. 139.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Im Neubau fand auch die Bibliothek der Schule eine neue Unterkunft. 266 Bereits seit Beginn der Berliner Zeit waren regelmäßig Schulbücher angeschafft worden, so daß ein gewisser Büchervorrat vorhanden war. 267 Außerdem war auf Anweisung des Hofpredigers Kunsch die Kirchenbibliothek des Domes für die Schule geöffnet worden. 268 Abgesehen von verschiedenen kleineren Nachlässen erhielt das Joachimsthalsche Gymnasium jedoch erst im Jahre 1717 durch den gezielten Erwerb der Bibliothek des Frankfurter Medizinprofessors Johannes Jorenius einen geschlossenen wissenschaftlichen Buchbestand. Hierbei war – wie auch bei späteren Buchankäufen – der damalige Visitator der Schule, Jablonski, maßgeblich beteiligt. Die Kosten für die mehr als zweitausend Bände, die vor allem historische und humanistische, aber auch medizinische Titel umfaßte, beliefen sich auf die stattliche Summe von 1900 Taler. 269 Später wurde diese Sammlung kontinuierlich mit theologischen und anderen Titeln erweitert. Die Bibliothek stand nicht nur den Lehrern, sondern auch den Schülern an den freien Nachmittagen mittwochs und samstags für zwei Stunden zur Benutzung offen. 270 Die Leitung der Bibliotheksangelegenheiten hatte gegen ein Honorar von 50 Talern einer der Lehrer inne. Keine der städtischen Schulen verfügte jemals über solch einen gesicherten Bibliotheksetat. Ausdruck dessen, daß die Fürstenschule zu Beginn des 18. Jahrhunderts ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht hatte, war in besonderer Weise ihre Säkularfeier im Jahre 1707. Schon der äußere Ablauf der Feier macht deutlich, daß das Joachimsthalsche Gymnasium nicht mehr als alleinige Angelegenheit der reformierten Hofgesellschaft verstanden wurde, sondern zu einem wichtigen Bestandteil des allgemeinen städtischen Lebens geworden war. So wurde das Jubiläum als feierliches Ereignis keinesfalls nur von der Hofgesellschaft, sondern von der gesamten Stadt begangen. An dem Festumzug, der unter dem Geläut aller Glocken der Stadt von der Heilig-Geiststraße über die Brücke am Schloß vorbei zum Dom führte, waren neben den Joachimsthalschen Lehrern, Schülern und geladenen Gästen – darunter auch Vertreter der Berliner Socität der Wissenschaften und der Frankfurter Universität – auch sämtliche Schulherren aus den übrigen Gymnasiis, nahmentlich das Berlinische, Köllnische, Werdersche und französische, sämtlich 266 Zur weiteren Geschichte der leider nach 1945 aufgelösten Bibliothek vgl. Köpke, Bibliothek u. Joost, Bibliotheca. Die Vorderseite des Gebäudekomplexes nach der Heilig-Geist-Straße enthielt die Lehrerwohnungen, die Hinterseite nach der Burgstraße die Wohnräume für die Alumnen und den Verwalter. In einem Mitteltrakt befanden sich die Klassenräume, der Speisesaal und die Bibliothek. Vgl. Ebd. S. 254f. 267 Aufschlußreiche Rechnungslisten über gekaufte Schulbücher finden sich im BLHA, Rep. 32, Nr. 351. 268 Beckmann, Nachrichten, Bl. 248. 269 Vgl. den Kaufvertrag vom 31. Mai 1717 und weitere Akten zum Ankauf der Bibliothek im BLHA, Rep. 32, Nr. 351. 270 Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 7, Bl. 56.
III. Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium
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mit ihren untergebenen Alumnis 271 beteiligt. Am anschließenden Festgottesdienst, bei dem der Oberhofprediger Jablonski die Predigt hielt, nahmen neben dem König und den Ministern auch die Vertreter des Gesamtberliner Magistrats teil. 272 Dieser gemeinsame Gottesdienst ist ein deutliches Sinnbild dafür, daß die Zeit der konfessionellen Konfrontation vorbei war und das Joachimsthalsche Gymnasium seine Funktion, ein Bollwerk der reformierten Hofgesellschaft gegen das Luthertum zu bilden, endgültig verloren hatte. Die mit den Feierlichkeiten verbundene Ereignisse geben zugleich über die Stellung des Joachimsthalsche Gymnasiums innerhalb des Berliner Gelehrtenschulwesens Auskunft. Wie die reformierte Gesellschaft nach einer Zeit intensiver politischer und kirchlicher Auseinandersetzungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts „unangefochten an der Spitze des Staates“ 273 stand, so nahm jetzt auch das Joachimsthalsche Gymnasium eine Spitzenstellung in der Berliner und brandenburgisch-preußischen Bildungslandschaft für sich in Anspruch. Dabei war die Erhebung der Schule zu einem königlichen Gymnasium durch den königlichen Patron von besonderer Bedeutung. Mit der Aufwertung zum Gymnasii Regii Joachimici war die feierliche Verleihung von Professorentiteln an die ersten drei Lehrer des Gymnasiums verbunden. Beides bedeutete eine deutliche Statuserhöhung gegenüber den anderen Gelehrtenschulen der Stadt. Erst im Jahre 1774 sollten auch die Berlinischen Gymnasiallehrer den Professorentitel erhalten. 274 Für den Zeitgenossen Beckmann war es deshalb eine ausgemachte sache . . . , daß diesem Gymnasio in corpore der vorzug vor allen andern Schulen und Gymnasien in der Marck zustehe. Es ist von anfang her die einzige fürstl. Landschule und eine unmittelbahr vom Landesfürsten dependirende Schule gewesen. Daran sei am allerwenigsten zu zweifeln, seit König Friedrich I. in den erneuerten Statuten von 1707 dieses Gymnasium für ein Königl. Gymnasium erkläret haben 275. Einen Beleg für den Vorrang des Joachimsthalschen Gymnasiums sah der erste Historiograph des Joachimsthalschen Gymnasiums außerdem darin, daß bei den königlichen Leichenbegängnisse von 1688, 1705 und 1713 die Joachimsthalschen Lehrer und Schüler allen anderen vorangestellt worden seien. 276 Unter 271 Beckmann, Nachrichten, Bl. 102. Küster berichtet, daß Friedrich I. diesen Zug selbst mit angesehen und als einer Dero Minister angezeiget, diß sey die anwachsende Jugend, welche mit der Zeit zu des Königs Dienst die Aemter verwalten und Dero Unterthanen seyn würden, für Freuden geweint haben soll. Küster/Müller, Berlin, S. 933. 272 Vgl. Wetzel a. a. O. S. 27f. 273 Vgl. Thadden, Hofprediger S. 86. 274 Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 740. 275 Beckmann, Nachrichten, Bl. 360. 276 Und also hat selbiges auch in corpore bei solennen Leichbegängnüßen, als Chf. Friderici Wilhelmi A. 1688, dero hochsel. Königin Charlotte Sophie A. 1705, und Königs Friderici I. A. 1713 alle wege die erste stelle genommen und nächst vor den Predigern gegangen, wie solches aus den gedruckten leichprocessionen zuersehen; gleichwie es dann
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Bezugnahme auf die bereits erwähnte königliche Rangordnung von 1704 ordnete Beckmann den Joachimsthalschen Professoren den Platz vor sämtlichen Berliner Rektoren zu. Die Sonderstellung des Joachimsthalschen Gymnasiums begründete er außerdem mit der Tatsache, daß im Zusammenhang der Säkularfeier eine besondere Suprema ausgegliedert worden sei, die einen weiterführenden akademischen Unterricht in philosophischen und juristischen Disziplinen anbot. Diese zeitgenössische Einschätzung mit deutlich apologetischem Charakter gilt es nun zu überprüfen. Wie eben gezeigt werden konnte, kam dem Joachimsthalschen Gymnasium durch seine enge Anbindung an die landesherrliche Administration tatsächlich eine Sonderstellung zu. Ebenso nahm die Fürstenschule aufgrund ihrer materiellen Ausstattung eine herausragende Stellung nicht nur unter den Berliner Gymnasien, sondern unter sämtlichen Gelehrtenschulen Brandenburg-Preußens ein. Keine andere höhere Schule des Territoriums verfügte über regelmäßige Einkünfte in vergleichbarer Höhe und war durch Grundbesitz und Abgaben in seiner Existenz so gut abgesichert. Ob jedoch dem Joachimsthalschen Gymnasium auch als Bildungs- und Erziehungsanstalt eine Spitzenstellung zuzusprechen ist, kann erst der Vergleich mit den personellen und Unterrichtsprofilen der anderen Berliner Gelehrtenschulen erweisen.
IV. Das bikonfessionelle Friedrichswerdersche Gymnasium als erste neustädtische Gelehrtenschule 1. Die Anfänge der Schule im neuen Stadtteil Friedrichswerder Im Zuge der Erweiterung der Berliner Residenz kam es im Jahre 1681 zur Gründung einer vierten höheren Schule im neuen Stadtteil Friedrichswerder. Diese Schule wurde auf Initiative des Magistrats dieser kurfürstlichen Neustadt eingerichtet und teils mit landesherrlichen, teils mit Magistratsgeldern finanziert. Entsprechend der vom Landesherrn verfolgten Konfessionspolitik war die Schule in dem von überproportional vielen Hofbediensteten bewohnten Stadtteil als Simultaneum für beide protestantische Konfessionen bestimmt. Dies mag darauf verweisen, daß am Ende der Regierungszeit von Kurfürst Friedrich Wilhelm der Konfessionskonflikt an Schärfe verloren hatte. Die streng paritätische Regelung, die ebenso auch die Pfarr- und Bürgermeisterämter betraf und deren Durchsetauch die meiste jugend, als A. 1705, 60 junge leute, das berlinische nur 50, das köllnische 45 und das Friedrichswerderische auch 45 dazu hergegeben. Dem zufolge nun ist der Rector dieses Gymnasii den übrigen Rectoribus, der Conrector den übrigen Conrectoribus u. s. w. vorgegangen. Nachdem aber das praedicat eines Professoris dazu gekommen, welches doch um des vorzugs willen ist gegeben worden: so nimmt dieses die Docenten, denen es beigelegt worden, aus dem bisherigen rang , und setzet sie insgesamt allen denen vor, welche an den andern Gymnasiis stehen, die nicht königl. Gymnasia sein; und haben solcher gestalt die Professores des Königl. Gymnasii den vorzug vor allen Rectoriis der übrigen Gymnasiorum (Beckmann, Nachrichten, Bl. 360).
IV. Das bikonfessionelle Friedrichswerdersche Gymnasium
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zung in der Folgezeit nicht ohne Konflikte blieb, kann jedoch auch als „Ausdruck einer stärkeren Durchsetzung des Absolutismus“ 277 verstanden werden. Schließlich zielte die paritätische Regelung vor allem auf die Brechung der lutherischen Vorherrschaft und die Stärkung der reformierten Minderheit. 278 Über die ersten Anfänge der Schola Fridericana ist wenig bekannt. Auch eine Gründungsurkunde liegt nicht vor. 279 In der Bestallungsurkunde des ersten Rektors Zollikofer, eines Reformierten aus der Schweiz, heißt es, er solle die studirende Jugend nicht allein in der Rechten erkändnüß und wahren furcht Gottes, auch allen freyen künsten und Sprachen getreulich informiren, sondern auch dieser Schulen bestes und auffnehmen möglichst befordern 280. Obwohl sich bereits in diesem ältesten erhaltenen Schuldokument der Anspruch, höhere Bildung zu vermitteln, eindeutig ausdrückt, waren die ersten Anfänge der Schule auf dem Friedrichswerder sehr bescheiden. In den ersten zehn Jahren blieb es bei zwei, seit 1690 bei drei Kollegen neben dem Schulleiter, die in fünf zum Teil zusammengezogenen Klassen unterrichteten. Der Nachfolger Zollikovers hatte neben seinem Rektoratsamt zugleich die Stelle des zweiten Predigers inne. Er sollte vor allem Theologiestunden geben und den Heidelberger Katechismus mit den reformierten Schülern üben. Die lutherischen Schüler erhielten ihren Unterricht im lutherischen Katechismus beim Kantor. Das Rektorenamt war in den ersten Jahrzehnten generell in Personalunion mit dem zweiten Predigeramt für das Friedrichswerder verbunden. Daß die doppelte Arbeitsbelastung der Rektoren auf Kosten des Schulamtes ging, ist eine naheliegende Vermutung. Nicht zutreffend ist sie jedoch für den pietistischen Schulmann Joachim Lange, der von 1698 bis 1709 das Rektorat verwaltete und unter dessen Leitung sich die Friedrichswerdersche Schule zu einem Gymnasium entwickelte, das eine ernsthafte Konkurrenz zu den anderen Berliner Gelehrtenschulen darstellte. So berichtet Gedike, daß in dieser Zeit „eine Menge erwachsener Jünglinge von andern berlinischen und auswärtigen Schulen, ehe sie die Universität bezogen, zuvor eine Zeit lang am Friedrichswerderschen Gymnasium“ 281 unterrichtet worden seien. Das Ausbildungspotential der zuvor relativ wenig besuchten Anstalt nahm deutlich zu, die Zahl der Kollegen stieg bis auf acht an und erreichte damit die Stellenzahl der anderen Berliner Gelehrtenschulen. Auch die ersten Schulgesetze 277
Schachinger, Vorstadt, S. 147. Abgesehen von der Dorotheenstadt, wo zeitweise die Hugenotten ein numerisches Übergewicht hatten, überwogen in allen Stadtteilen, also auch auf dem Friedrichswerder, die Lutheraner. Vgl. Wendland, Studien, S. 161. 279 Eine Gründungsurkunde konnte bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht mehr gefunden werden. Vgl. Müller, Geschichte, S. 7. 280 Vokationsurkunde von Rektor Zollikover vom 28. September 1681. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, Bl. 1. 281 Gedike, Geschichte, S. 20. 278
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
wurden unter Lange verabschiedet. Daneben verbesserte sich die räumliche Situation. Von Beginn an hatten sich die Unterrichtsräume im Friedrichswerderschen Rathaus befunden, das unter seinem Dach nicht nur die Schule, sondern auch Räume für den Gottesdienst, die Gerichtsstube, den Stadtkeller und sogar ein Gefängnis mit einer Folterkammer beherbergte. 282 Nachdem die Gemeinde endlich einen Kirchenneubau erhielt, konnte die Schule im November 1701 die freigewordenen Räume beziehen. Die Einweihung der neuen Unterrichtsräume wurde in einer großen Feier begangen, auf welcher einer der berühmten Schüler Langes, der spätere Feldpropst Lampert Gedicke, eine Rede über den Lob und Preis der Schulen hielt. 283 Als besonderer Förderer der Schule trat in diesem Zusammenhang der damalige Konsistorialpräsident Paul von Fuchs auf, der den pietistischen Kreise in der Berliner Residenz bekanntlich sehr zugeneigt war. 284 Nach der Berliner Verwaltungsreform von 1709 verbesserte sich durch den Auszug der rathäuslichen Verwaltung die Raumsituation erneut. Dies konnte allerdings den kontinuierlichen Niedergang der Schule, der mit dem Abgang Langes nach Halle beginnen sollte, nicht aufhalten. Auch die Tatsache, daß die Nachfolger Langes sich ganz auf ihr Schulamt konzentrieren konnten und keinen Pfarrdienst mehr leisten mußten, änderte daran nichts. Die Kollegenanzahl fiel wieder auf drei Lehrer für die oberen Klassen (Rektor, Konrektor, Subrektor) und drei für die unteren Klassen (Kantor, Bakkalaureus und Organist sowie Schreib- und Rechenmeister) zurück. In den folgenden Jahrzehnten sollte das Friedrichswerdersche Gymnasium damit auf dem vierten und letzten Rang unter den deutschen Gelehrtenschulen der Residenzstadt verbleiben. 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht durch den Friedrichswerderschen Rat und die städtische Geistlichkeit Das Patronat über das Friedrichswerdersche Gymnasium hatte der Magistrat der kurfürstlichen Neustadt inne. Wie jedoch der Friedrichswerdersche Magistrat von Beginn an personell und finanziell stärker als die beiden Altberliner Magistrate in Abhängigkeit zur Landesherrschaft stand, war auch das dortige Gymnasium 282
Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 616. In diesem feierlichen Festakt hat die frühe schulgeschichtliche Literatur (Nicolai, Beschreibung, S. 742, Gedike, Geschichte, S. 23) die Erhebung der Schola Fridericana zum Gymnasium gesehen. Dies scheint jedoch eine unrichtige Interpretation gewesen zu sein. Bereits 1698 taucht in einem neuen Lektionskatalog die Bezeichnung Gymnasium auf. Der heute leider vermißte Lektionsplan von Lange trug den Titel Catalogus Lectionum publicarum cum docendi Methodo ac legibus scholasticis, pro primi ordinis discipulis in Gymnasio Fridericiano. Eine ausdrückliche Erhebung zum Gymnasium ist auch deshalb zu bezweifeln, weil darüber keine Urkunde vorliegt. Vgl. Müller, Geschichte, S. 20. 284 Seine 21 Seiten lange deutsche (!) Rede widmete der siebzehnjährige Verfasser, der einer der wenigen Alumnen am Friedrichswerderschen Gymnasium war, dem Konsistorialpräsidenten Paul von Fuchs als seinen besonderen Förderer. Vgl. Gedicke, Lob. 283
IV. Das bikonfessionelle Friedrichswerdersche Gymnasium
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enger an die landesherrliche Administration angebunden. Dies wird vor allem aus den überlieferten Bestallungsakten deutlich. 285 Ein immer wiederkehrender Punkt war dabei die Konfessionalität der Lehrer. Offensichtlich bereitete die streng paritätische Besetzung der Lehrerstellen in der Praxis Probleme und ließ sich keineswegs immer verwirklichen. Die ersten drei Rektoren waren durchgängig reformiert gewesen, danach wurde die Rektorenposition nicht mehr besetzt. Von 1690 bis 1700 lag die Leitung der Schule in den Händen von drei lutherischen Prorektoren. Der erste Lutheraner im Rektorenamt war der vormalige Prorektor Joachim Lange, der auf ausdrücklichen Befehl Friedrichs III. im Jahre 1700 in dieses Amt erhoben worden war. 286 Noch unter Lange kam es zu einem Streit wegen einer vakant gewordenen Kantorenstelle. Hier hatte der Magistrat für einen Lutheraner votiert, nicht nur, um den lutherischen Katechismusunterricht in den unteren Klassen abzusichern, sondern auch deshalb, um dadurch die lutherischen Zuhörer zum Besuch des reformierten Gottesdienstes zu motivieren. 287 In diesem Zusammenhang schrieb der König, damit Collisiones zwischen beiderseits Religions-Verwandten verhütet und eine mutuelle gute Harmonie und Verträglichkeit stabiliret werden möchte 288, im Jahre 1704 die Alternation in der Ämternachfolge fest. Beim Freiwerden einer Stelle sollte ein jeweils anderskonfessioneller Lehrer bestallt werden. Die Argumentation des Magistrates bezüglich des Kantors scheint jedoch so überzeugend gewesen zu sein, daß der König hier eine Ausnahme machte und der Einstellung des gewünschten Lutheraners und strengen Pietisten Martin Heinrich Fuhrmann zustimmte, obwohl ein Reformierter hätte folgen müssen. Ihm wurde jedoch ein zweiter reformierter Kantor zur Seite gestellt. Der Regel gemäß wurde nach dem Abgang von Lange im Jahre 1709 wieder ein Reformierter ins Rektorenamt gewählt. Danach fand die Regelung keine Anwendung mehr. Interessanterweise scheint auch der Gesamtberliner Magistrat in der Folgezeit stark von Interessen der reformierten Religionspartei dominiert ge285
Im Landesarchiv Berlin: Vocation der Rectoren beim Friedrichswerderschen Gymnasium 1681–1779. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495; Acta die Vocation derer Prorectorum bei dem Friedrichs-Werderschen Gymnasio betreffend 1718–1798. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9761 u. Acta betreffend den Sub-Rectoren am Friedrichswerderschen Gymnasio 1705–1717. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 14393. Im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem: Geistliche Angelegenheiten (Friedrichswerder), GStA PK, I. HA, Rep. 47, F 12. 286 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 19. 287 So heißt es in einem Schreiben des Magistrates an den König vom 21. 3. 1704, daß von Beginn an gerade von Seiten der Reformierten darauf geachtet worden sei, daß der Kantor lutherisch wäre, damit durch den lutherischen Cantorem die Lutherischen Zuhörer so vielmehr zu besuchung des Reformirten Gottesdienstes, und christlicher löblicher Verträglichkeit möchten in liebe gereitzet werden, zu geschweigen die Reformierte Cantores sich nicht allemahl so wohl schicken würden, die Lutherischen Lieder bey dem heyl. Abendmahl abzusingen, und auch sonsten bey hinsingung der öffentlichen leichen; dahingegen die Lutherischen Cantores sich wegen Singung des Lobwassers willig bezämen. GStA PK, I. HA, Rep. 47, F 12, 2. Paket, Bl. 216. 288 Königliches Reskript vom 23. Mai 1704. Zit. nach Gedike, Geschichte, S. 35.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
wesen zu sein. Nacheinander wurden vom Magistrat drei reformierte Rektoren eingestellt. Dieses Vorgehen ging auf Kosten der jeweiligen lutherischen Konrektoren, denen ein Aufstieg zum Rektorenamt verwehrt blieb. Das mag einer der Gründe für das in den Quellen immer wieder aufscheinende gespannte Verhältnis unter den Schulkollegen des Friedrichswerderschen Gymnasiums gewesen sein. 289 Als 1732 wiederum ein Reformierter zum Rektor gewählt werden sollte, legte der damalige Konrektor Georg Gottfried Küster (1695–1776) dagegen Beschwerde bei Friedrich Wilhelm I. ein und erhielt Recht. Gegen den Protest sämtlicher reformierter Ratsmitglieder, die sich darauf beriefen, daß bisher alle Rektoren reformiert gewesen seien und deshalb eine Schmälerung der reformatorum Gerechtsahme 290 anmahnten, wurde dem Lutheraner Küster das Amt zugesprochen und die Alternation im Rektorenamt nochmals festgelegt. 291 Für einen König, dem beide Religionen im Grunde einerlei, und kein rechter Unterschied sey 292, war dies nicht weiter verwunderlich. Auch die Förderung eines ehemaligen Schülers der Franckeschen Stiftungen und Absolventen der theologischen Fakultät von Halle lag ganz auf der Linie der landesherrlichen Religionspolitik, die auf eine Stärkung des Pietismus ausgerichtet war. Die geistliche Schulaufsicht war zunächst nicht speziell geregelt. Durch die Ämterkombination von Lehr- und Pfarramt ergab sie sich bis 1709 qua Amt automatisch. Als Konsistorialrat hatte auch der Berliner Propst Spener einen Einfluß auf die Schule. Die Tatsache, daß es den Berliner Pietisten ohne Probleme gelang, ihren Kandidaten Lange als Schulleiter an dem jungen Friedrichswerderschen Gymnasium unterzubringen, läßt jedenfalls darauf schließen. 293 Einen eigenen Visitator, wie ihn die anderen Berliner Gelehrtenschulen in den Pröpsten und Hofpredigern hatten, bekam das Friedrichswerdersche Gymnasium erst mit der Einsetzung eines besonderen Inspektors für die neuen lutherischen Kirchen in den Stadtteilen Friedrichswerder, Dorotheen- und Friedrichstadt im Jahre 1718. 294 Dabei handelte es sich um den Pietisten und späteren Propst Michael 289 Andreas Julius Dornmeier, der ein engagierter pietistischer Schulmann war, wurden zwei reformierte Rektoren vorgezogen, obwohl er als Konrektor spem successionis gehegt hatte. Zit. nach Müller, Geschichte, S. 29. 290 Schreiben von Magistratsmitgliedern an das Reformierte Kirchendirektorium. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, Bl. 32. 291 Königliche Resolution vom 16. 8. 1732. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, Bl. 34. Vgl. auch Gedike, Geschichte, S. 47. 292 So Friedrich Wilhelm im Jahre 1736 in seinem Befehl an den Magistrat, in der von vielen Reformierten bewohnten Friedrichsstadt eine neue Schule ohne Lehrer dieser Konfession einzurichten. Vgl. Gedike, Geschichte, S. 56. 293 Nach Langes eigenem Zeugnis hatten ihn Propst Spener und der kurfürstliche Rat von Canitz für das Schulamt vorgeschlagen. Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 56. 294 Berufungsurkunde vom 14. Jan. 1718 in den Acta betr. die Besetzung des geistlichen Inspectorats bei der Friedrichswerderschen Kirche und in der Dorotheenstadt. GStA PK, I. HA, Rep. 47, F 12, Bl. 2f.
IV. Das bikonfessionelle Friedrichswerdersche Gymnasium
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Roloff 295 (1684–1748), der „mit Konkurrenz der reformirten Prediger auf dem Werder“ 296 die Aufsicht über die lutherischen Lehrer ausüben sollte. Daß die Neuordnung der Schule dringend notwendig war, zeigt das einzige überlieferte Visitationsprotokoll des Gymnasiums, das zwei vom Magistrat beauftragte Visitatoren im selben Jahr erstellt hatten. Dabei hatte man die Schule einer Trivial Schulen ähnlicher, als einem Gymnasio befunden, zumahlen daselbsten des Jahres über kein Examen . . . gehalten wird, . . . auch die gehörige Disziplin nicht in acht genommen wird. Sollte durch eine schleunige gute und besser Einrichtung nicht vorgebeuget werden, stehe zubesorgen,daß dieß Gymnasium in Kürtze übern hauffen fallen möchte 297. Der Francke-Schüler Roloff scheint sehr ambitioniert an seine Aufgabe herangegangen zu sein. Nach einem vom damaligen Konsistorialpräsidenten von Printzen erteilten Befehl sollte der Magistrat den Inspektor Roloff bei der Neueinstellung lutherischer Kollegen mit hinzuziehen. Bereits im Jahr seiner Amtsübernahme geriet der neue Visitator darüber in Konflikt mit dem Magistrat. Dieser hatte gegen Roloffs ausdrücklichen Willen einen ehemaligen Studenten der Wittenberger Universität zum neuen Konrektor berufen hatte, den der Inspektor jedoch für ungeeignet hielt. 298 Mit Unterstützung des Konsistoriums gelang Roloff stattdessen die Installation des Pietisten Friedrich Bake (1686–1742), der in Jena und Halle studiert hatte. 299 Da der zuvor gewählte Kandidat zwar auch in Halle studiert hatte, jedoch keinen königlichen Dispens für sein Wittenberg-Studium vorweisen konnte, mußte dieser wieder entlassen werden. Aufgrund dieses formaljuristischen Grundes – war doch das Studium im lutherisch-orthodoxen Wittenberg seit langen verboten – konnte man dem Konsistorium auch keinen Eingriff in das städtische Patronatsrecht vorwerfen. Darüber, daß unter Bake die öffentlichen Prüfungen wieder eingeführt wurden, geben die überlieferten Schulschriften Auskunft. 300 Auch die Berufung von Küster, der nach dem Aufstieg Bakes zum Rektor des Cöllnischen Gymnasiums dessen Konrek-
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Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 424ff. Gedike, Geschichte, S. 46. Später teilten sich ein lutherischer und ein reformierter Inspektor diese Aufgabe. Vgl. ebd. 297 Visitationsbericht vom 23. Juni 1718. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, Bl. 17. 298 Friedrich Grunack, um den es sich dabei handelte, war 1698 von Spener als Student nach Halle empfohlen worden, hatte jedoch trotz des kurfürstlichen Verbots auch in Wittenberg studiert. Der wichtigste Grund für Grunacks Ablehnung mag jedoch in dessen „Leibes-Schwachheit“ zu suchen sein, die ihn als Lehrer ungeeignet erscheinen ließ. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 990. Die ausführlichen Akten über diesen Streitfall befinden sich im LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9761, Bl. 1–57. 299 Seine um Ausgleich bemühte konfessionelle Haltung legte Bake 1721 in einer Antrittsrede De Utilitate Scholis, in quibus diversorum sacrorum Praeceptores una docent, propria dar. Vgl. Bake, Gedächtniß-Tag. 300 Mehrere Einladungen zu öffentlichen Prüfungen befinden sich im LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6138. 296
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
torenstelle am Friedrichswerderschen Gymnasium übernahm, fiel in die Zeit des Roloffschen Inspektorats. Langfristig brachte allerdings auch die gezielte pietistische Personalpolitik für den Schulbetrieb am Friedrichswerderschen Gymnasium keine grundsätzliche Wende. Die Gründe dafür mögen, wie das Beispiel Langes zeigt, in einer fehlenden integrativen Rektorenpersönlichkeit gelegen haben, welche die notwendigen strukturellen Reformen hätte durchsetzen können. Inwieweit der Niedergang der Schule auch auf dessen wirtschaftliche Ressourcen zurückzuführen ist, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden. 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Wie die Stadt selbst, so war auch die Schule des Friedrichswerder finanziell stark vom Kurfürsten abhängig. 301 Über Güter oder Immobilienbesitz verfügte die Schule von Beginn an nicht. Die finanziellen Grundlagen der Schola Fridericana wurden durch Kurfürst Friedrich Wilhelm gelegt, der den Erlös von 2000 Talern aus dem Verkauf dreier Präbenden in den clevischen Stiftern, zukünftige Strafgefälle in der Höhe von 5000 Talern sowie die Einkünfte aus den Friedrichswerderschen Mühlen für die neue Schule bestimmte. 302 Nach dem Zeugnis von Gedike wurde der anfänglich nur geringe Schulfonds „nach und nach, theils aus landesherrlichen Kassen, theils aus der Magistratskämmerei ansehnlich vermehrt“ 303. Daß der Fonds zunächst nicht groß gewesen sein kann, wird aus der Höhe der Lehrerbesoldungen deutlich. 304 Sie lagen 1681 auf dem bescheidenen Niveau von jährlich 100 Taler für den Rektor und 70 Taler für den Kantor. Das Gehalt des Kantors stammte zunächst auch nicht aus einem Schulfonds, sondern aus der Brauziese und aus dem Kirchenkasten. 305 Der zweite Rektor bekam seit 1684 immerhin ein Gehalt von 170 Talern. Die Subrektoren erhielten in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts allerdings weniger als 100 Taler im Jahr. Der häufige Wechsel der Friedrichswerderschen Lehrer in besser dotierte Pfarrämter, der für die ersten Jahre zu beobachten ist, muß vor allem auf diesen geringen Verdienst zurückgeführt werden. Die hiesigen Lehrer waren zwar wie die Pfarrer von der Akzise befreit, bekamen jedoch, anders als ihre Kollegen an den anderen Berliner Gelehrtenschulen, keine freie Wohnung gestellt und mußten für ihre Wohnungen in Privathäusern selbst aufkommen. 306 Erst die Kombination mit dem
301
Vgl. Schachinger, Vorstadt, S. 145. Vgl. Müller, Geschichte, S. 6f. 303 Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 741. 304 Die im folgenden aufgeführten Gehälter sind den Bestallungsakten (LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, 9761 u. 14393) entnommen. Gehälter für die Jahre 1691, 1698 und 1708 sind bei Schachinger, S. 35, 44 u. 202 abgedruckt. Vereinzelte Angaben zu Gehältern finden sich außerdem bei Müller, Geschichte. 305 Vgl. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495. Bl. 3. 302
IV. Das bikonfessionelle Friedrichswerdersche Gymnasium
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Pfarramt verbesserte die Gehaltssituation der Lehrer. In seinem kombinierten Amt verdiente Lange am Ende seiner Dienstzeit im Jahre 1708 einschließlich aller Zulagen sogar 550 Taler. Dieser deutliche Gehaltsanstieg muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß man von Seiten der Landesherrschaft den erfolgreichen Schulmann Lange, der bereits im Jahre 1700 eine Berufung an die Hallenser Universität erhalten hatte, in der Berliner Residenz halten wollte. Angesichts des fehlenden Eigenkapitals der Schule kann das notwendige Geld nur aus landesherrlichen Kassen gekommen sein. Das Konrektorengehalt stieg in der Zeit Langes auf 300 Taler und blieb auch danach in derselben Höhe, während das Gehalt für Langes Nachfolger – bei dem es sich nun jedoch um ein reines Lehrergehalt handelte – 400 Taler betrug. Der Subrektor verdiente seit 1705 ungefähr 130 Taler, nachdem ihm auf seine Klage, daß er bey seinem so gar geringen Gehalt sich unmöglich conferiren noch subsistiren 307 könne, ein Gehaltszuschlag erteilt worden war. Damit war für die Lehrer der oberen Klassen nicht nur eine Angleichung an die Gehälter der anderen städtischen Gymnasiallehrer erreicht, sondern ihr Gehalt übertraf sogar die dort üblichen Besoldungen, wie das Beispiel des Rektors zeigt. 308 Diese Tatsache läßt auf eine deutliche Bevorzugung schließen, welche das Friedrichswerdersche Simultaneum von landesherrlicher Seite genoß. Über die Gehälter der unteren Lehrer kann wegen fehlender Quellen kein Vergleich gezogen werden. Ein wichtiges Indiz dafür, daß hier die Besoldungen weitaus weniger großzügig waren, bilden wiederholte Streitigkeiten unter den Kollegen wegen der Verteilung der sogenannten Rekordationsgelder, die beim öffentlichen Singen der Schüler vor den Wohnhäusern gesammelt wurden und einen wichtigen Nebenverdienst darstellten. 309 Auch am Friedrichswerderschen Gymnasium hatte es in den ersten Jahrzehnten eine Schülerkommunität für bedürftige auswärtige Schüler gegeben. Dazu war vom Magistrat der kurfürstlichen Neustadt ein Teil der Gelder bestimmt worden, die auf dem Friedrichswerder bei Hausverkäufen ad pias causas fällig wurden. Außerdem fanden sich einzelne Wohltäter der Schule, die monatlich oder quartalsweise für die Kommunitätskasse spendeten. 310 Über die Größe und den Charakter der Kommunität geben die wenigen erhaltenen Quellen keine Auskunft. 306
Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 741. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 14393, Bl. 2. 308 Wie oben dargestellt, verdienten in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die Rektoren am Berlinischen Gymnasium 210 Taler und am Cöllnischen Gymnasium nur ungefähr 150 Taler . Dazu konnten jedoch eine Vielzahl von anderen Einnahmen kommen, die aus den Quellen nicht genau zu erschließen sind. Die Gehälter am Joachimsthalschen Gymnasium lagen dagegen bis zu 200 T über dem, was am Friedrichswerderschen Gymnasium gezahlt wurde. 309 Vgl. Müller, Geschichte, S. 30f. u. 40. Näheres dazu auch unten, Abschnitt F. I. 1. 310 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 25. Um welche Spender es sich dabei handelte, ist nicht bekannt. 307
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Angesichts fehlenden Immobilienbesitzes dürfte man den Schülern hier jedoch nur einen Freitisch und nicht eine Unterkunft geboten haben. Als mit der Berliner Verwaltungsreform im Jahre 1709 diese Gelder wegfielen, ging die Kommunitätskasse wieder ein. 311 Insofern markierte dieses Jahr nicht nur wegen des Abganges des bekannten pietistischen Rektors Lange, sondern auch wegen des zusammenbrechenden Stipendiensystems einen Einschnitt für die Schule. Seit den vierziger Jahren gingen überhaupt keine Spenden mehr ein. Anders als die Kommunitätskasse, die auch im Jahre 1770 nur über 100 Taler verfügte, scheint die Witwenund Waisenkasse des Friedrichswerderschen Gymnasiums einen kontinuierlichen Bestand gehabt zu haben. Nachdem in der Zeit von Lange durch eine Spende des Hofrates Hans Heinrich von Flemming die Grundlagen gelegt worden waren, hatte die konfessionell gemischte Lehrerschaft im Jahre 1713 eine besondere Kasse für das Simultaneum eingerichtet. Diese Kasse, in die jeder Lehrer regelmäßige Beiträge zu zahlen hatte, wurde außerdem mit dem Gewinn aus dem Verkauf von Schulbüchern aufgestockt, die die drei deutschen Gymnasien seit dieser Zeit gemeinschaftlich herausgaben. 312 Um der Schule neu aufzuhelfen, entstand in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts der Plan, das Friedrichswerdersche Gymnasium mit dem im Jahre 1740 gegründeten Friedrichstädtischen Gymnasium zu vereinigen. Lehrer- und Schülerschaft beider Schulen wurden schließlich im Jahre 1746 zusammengefaßt und ein gemeinsamer Lohnfonds eingerichtet. Der ursprünglich geplante Schulneubau kam jedoch wegen Schüler- und Geldmangels nicht zustande. 313 Vielmehr sollte die vereinigte Schule bis zur Zerstörung des alten Rathauses bei einem Brand im Jahre 1794 an seinem alten Ort verbleiben. Ein Indiz für den Zustand und die Qualität der Schule stellt deren Bibliotheksausstattung dar. Auch hier bildete das Friedrichswerdersche Gymnasium das Schlußlicht unter den Berliner Gelehrtenschulen. Erst im Jahre 1753 wurde unter dem Rektorat von Küster eine Büchersammlung aufgestellt, die jedoch wegen Platzmangel zunächst keinen eigenen Raum fand, sondern in den Schulräumen untergebracht wurde. 314 Der geringe Zulauf an Schülern ging also mit knappen räumlichen und finanziellen Ressourcen des Schule einher. Interessanten Aufschluß über die Gründe für den Niedergang des Friedrichswerderschen Gymnasiums gibt ein Visitationsbericht des Oberkonsistoriums aus dem Jahre 1770. 315 Als Ursachen für die damalige geringe Frequenz von 44 Schülern wird hier explizit auf die Konkurrenz
311
Müller, Geschichte, S. 23. Acta des Magistrats zu Berlin betreffend die Lehrer-Wittwen-Kasse des FriedrichsWerderschen Gymnasiums Vol. I. 1713–1831. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9668. Vgl. auch Gedike, Geschichte, S. 40 u. Müller, Geschichte, S. 28. 313 Im Jahre 1750 befanden sich nur 59 Schüler im kombinierten Gymnasium. Vgl. Müller, Geschichte, S, 42f. 314 Vgl. Gedike, Schulschriften, Bd. 1, S. 210f. 312
V. Das französisch-reformierte Collège François
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zu den benachbarten Berliner Schulen, darunter insbesondere der Heckerschen Realschule, des Französischen Gymnasiums sowie freier Privatschulen bei einem gleichzeitigen Mangel an Beneficorum des Friedrichswerderschen Gymnasiums hingewiesen. Außerdem wurden Streitigkeiten unter den Lehrern und ein Disziplinverfall bei den Schülern festgestellt. Daß die 1747 errichtete Realschule dem Friedrichswerderschen Gymnasium viel Abbruch tat, entsprach zwanzig Jahre später auch der Einschätzung von Gedike. 316 Neben materiellen Dingen fehlte es nach Meinung des Aufklärungspädagogen jedoch vor allem an einem genauen Unterrichtsplan und klaren pädagogischen Grundsätzen. Seit Langes Zeiten sei man am Friedrichswerderschen Gymnasium „in Verbesserung der Methode nicht vorwärts, sondern vielmehr rückwärts geschritten“. Viele unnütze und „nicht schickliche“ Lektionen seien gegeben worden und es habe an guten Lehrbüchern gefehlt. Überhaupt sei die Einrichtung und Methode des Gymnasiums „hinter dem fortschreitenden Geist des Zeitalters“ 317 zurückgeblieben. Auch wären viele wohlhabende Eltern eben dadurch, daß der Unterricht völlig frei war, davon abgehalten worden, ihre Kinder in dieses Gymnasium zu schicken, das sie als eine Armenschule betrachteten. Teilen des Berliner Publikums sei die Existenz des Gymnasiums völlig unbekannt gewesen, da die früher üblichen öffentlichen Redeübungen seit Jahrzehnten eingestellt worden waren. Ins öffentliche Bewußtsein sollte das Friedrichswerdersche Gymnasium erst wieder in der Zeit von Gedike selbst treten, der diese Schule als „Modellschule der Spätaufklärung“ 318 seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts zu einer neuen Blüte führte. 319
V. Das französisch-reformierte Collège François als Gelehrtenschule der Hugenotten 1. Einrichtung und Profil des Collège François Als letzte der frühneuzeitlichen Berliner Gelehrtenschulen entstand im Jahre 1689 das Collège François 320 der Hugenotten, dessen Entstehung ebenfalls mit der landesherrlichen Konfessions- und Bevölkerungspolitik in Verbindung zu bringen ist. An der Gründung des Französischen Gymnasiums waren die Berliner Flüchtlingsgemeinde mit ihren führenden Repräsentanten und die kurfürstliche 315 Der von dem berühmten Aufklärungstheologen Wilhelm Abraham Teller (1734– 1804) verfaßte Bericht ist abgedruckt bei Gedike, Schulschriften, Bd. 1, S. 212ff. 316 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 52f. 317 Gedike, Nachtrag, S. 7f. 318 Scholtz, Gedike. 319 Zu Zeiten von Nicolai wetteiferte die Schule mit ihren weit über 200 Schülern bereits wieder mit den anderen Berliner Gymnasien. Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 742. 320 Diese ältere französische Schreibweise war in dem hier behandelten Untersuchungszeitraum die übliche.
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
Regierung beteiligt. Entsprechend dem in der reformierten Kirche Frankreichs geltenden Presbyterialprinzip hatte auch die Berliner Hugenottengemeinde ihr eigenes Consistoire begründet. 321 In der französischen Kirchenordnung war darüber hinaus die Gründung von Schulen für die Erziehung der Jugend vorgeschrieben. 322 Diesen Gründungsauftrag machte sich das Berliner Französische Konsistorium bald zu eigen. Bis 1689 wurden zwei Gemeindelehrer für die Erteilung eines muttersprachlichen Elementarunterrichts mit dem Schwerpunkt religiöser Unterweisung angestellt. Da eine baldige Rückkehr der Flüchtlinge in immer weitere Ferne rückte, wurde außerdem die Notwendigkeit weiterbildenden Unterrichts deutlich. Auch zukünftig mußte für den notwendigen Nachwuchs an Geistlichen und Lehrern gesorgt werden. Ancillon nennt in seiner berühmten Darstellung zur Geschichte der Réfugiés in Brandenburg-Preußen die eigenen Bildungsbedürfnisse der Flüchtlingsgemeinde als primären Anlaß für die Einrichtung einer französischen Gelehrtenschule. Die Franzosen hätten dem deutschen Unterricht in den vorhandenen Gymnasien der Stadt nicht folgen können und deshalb einer eigenen höheren Schule bedurft. 323 Außerdem war für das Bedürfnis der Réfugiés nach gelehrter Bildung auch der verhältnismäßig hohe Anteil städtischen Bürgertums unter den reformierten Flüchtlingen von Belang. 324 Dieses war von Frankreich her an eine gründliche Bildung gewohnt, und zu dieser bürgerlichen Bildung zählten natürlich auch Lateinkenntnisse. Die personellen Voraussetzungen für den Betrieb einer französischen Lateinschule waren in Berlin optimal: Seit den achtziger Jahren war die Stadt zu einem Sammelpunkt von französischen Gelehrten geworden, die sich auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern und Verdienstmöglichkeiten befanden. 325 Die Einrichtung einer französischen Gelehrtenschule kam jedoch erst durch administrative Maßnahmen von landesherrlicher Seite zustande. Von Einfluß waren dabei nicht zuletzt die fördernden wissenschaftspolitischen Aktivitäten maßgeblicher reformierter Persönlichkeiten am Berliner Hofe. Insbesondere der für die französischen Angelegenheiten zuständige Minister Ezechiel von Spanheim, der als kurbrandenburgischer Gesandter in Paris auch das französische Bildungswesen kennengelernt hatte, förderte die Gründungspläne und nahm auf die Wahl der ersten Lehrer Einfluß. 326 Nachdem im Geheimen Rat der Beschluß über die
321
Zur Herausbildung der Gemeindeverfassung vgl. Mengin, Recht; Birnstiel, Hugenotten u. Birnstiel/Reinke, Hugenotten, S. 79ff. 322 La Discipline Ecclésiastique des Eglises Reformées de France, Art. II, 1. Vgl. Mengin, Recht, S. 89. 323 Vgl. Ancillon, Geschichte, S. 8. 324 Zur Sozialstruktur der Hugenotten vgl.Wilke, Kolonie, S. 361ff. 325 Die größte Gruppe bildeten dabei die Theologen. Unter den Réfugiés waren um 1700 nach einer Stichprobe der Haushaltsvorstände mehr als zehn Prozent Angehörige des geistlichen Standes. Vgl. Jersch-Wenzel, Juden, S. 74.
V. Das französisch-reformierte Collège François
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Einrichtung des Gymnasiums gefällt worden war, übernahm die kurfürstliche Verwaltung im Dezember 1689 die Bestallung der ersten Lehrer. 327 Laut Gründungsurkunde sollte die französische Jugend in dem Collegium . . . wie es im Königreich Franckreich gewöhnlich, in der Gottesfurcht und gute sitten, nicht weniger als in der Lateinischen Sprache, Eloquentz, Philosophie und Mathematischen wissenschaften informiret 328 werden. Dieses Lehrprogramm, welches nicht nur einen humanistisch-literarischen, sondern mit der Philosophie auch einen akademischen Lehrgang umfaßte, entsprach tatsächlich dem damals in Frankreich üblichen. Auch an den französischen Collèges de plein exercise wurde neben den philologischen Fächern in einem besonderen zweijährigen Philosophiekurs Logik, Ethik, Metaphysik und Physik angeboten. 329 Die Kinder der Kolonie sollten in dem neuen Gymnasium dem Vaterlande zum besten unterrichtet werden, um einst brauchbare Staatsbürger zu werden 330. Das staatliche Interesse an gelehrter Bildung drückt sich in dieser Zielstellung deutlich aus. Unter den ersten beiden Philosophieprofessoren Jean Sperlette de Montgyon (1661–1725) und Etienne Chauvin (1640–1725), beide Anhänger des Cartesianismus, wurde das Collège in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu einem Kristallisationspunkt der französisch beeinflußten Frühaufklärung. 331 Der von Sperlette bis zu dessen Berufung an die Hallenser Universität und seit 1695 von Chauvin angebotene besondere Philosophielehrgang fand mit öffentlichen Disputationen vor einem auditorio philosophico seinen Abschluß. 332 Er wurde nicht nur von Franzosen, sondern in einzelnen Fällen auch von deutschen Studenten absolviert. 333 In den neunziger Jahren scheint Chauvin das ehrgeizige Bemühen verfolgt zu haben, der Schule einen „hochschulartigen“ Oberbau hinzuzufügen 326
Zu Spanheim vgl. oben, Abschnitt B. III. 4. Die von Spanheim entworfenen Bestallungsschreiben befinden sich im GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 52–66. Vgl. auch Velder, Anfänge, S. 11. 328 Zitiert nach Schulze, Bericht, S. 6. Das Original der Gründungsurkunde ging mit den Akten des Gymnasiums verloren. 329 Vgl. Brockliss, Philosophieunterricht, S. 3f. u. ders., Education, S. 185ff. 330 Schulze, Bericht, S. 6. 331 Näheres zu Sperlette und Chauvin vgl. unten, Abschnitt D. I. 5. 332 Die halbjährliche Durchführung von Disputationen war bereits in der ersten Schulordnung festgelegt worden. Vgl. Schulze, Bericht, S. 15. Die Feststellung Velders, daß mit dem Disputationsakt die Erlangung eines akademischen Grades verbunden gewesen sei, erscheint mir problematisch. Nach Marti sind alle nicht an Universitäten abgehaltenen Disputationen generell als Übungsdisputationen (exercitii causa) einzustufen. Vgl. Velder, Anfänge, S. 20; ders., Gymnasium, S. 27f. u. Marti, Dissertationen, S. 15. Zur Rolle der Disputationen als Bestandteil von Rhetorik- und Logikunterricht an Gymnasien und Universitäten vgl. Barner, Barockrhetorik. S. 290 u. 393ff. u. Marti, Art. Disputation, S. 875–879. 333 Für das Jahr 1695 werden beispielsweise fünf Franzosen und ein Deutscher als Philosophiestudenten genannt. Vgl. Gaster, Matrikeln, S. 138. Aus den gedruckten Dispu327
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
und sie damit zu einer Akademie, wie er sie von seiner Heimat her aus Sedan, Saumur oder Nîmes kannten, umzuformen. 334 Obwohl sich das Fächerangebot des Collège kurzzeitig sogar um Medizin erweiterte, kam die Berufung weiterer Professoren neben dem für Philosophie jedoch nicht zustande. Eine französische Hugenottenakademie hatte angesichts der universitären Konkurrenz in Halle und Frankfurt an der Oder offensichtlich keine Chance. Über das Angebot eines Philosophiekurses in einer besonderen Selecta (Classe de Philosophie) kam das Collège langfristig nicht hinaus. Es blieb bei einem Collège de plein exercise traditionellen Zuschnitts. 335 2. Die administrative und geistliche Schulaufsicht zwischen Landesherrschaft und Französischer Gemeinde Die Oberaufsicht über die Schule hatte der Kurfürst zum Zeitpunkt der Gründung zunächst Charles Ancillon (1659–1715) übertragen, der bereits Oberrichter und Direktor der französischen Kolonie war und in hohem Maße das Vertrauen der Hohenzollern genoß. 336 Seine alleinige Direktion über die Schule und die Tatsache, daß die ersten Lehrer ohne eine Absprache mit dem Französischen Konsistorium eingesetzt worden waren, veranlaßte deren Mitglieder umgehend zu einer Eingabe an den Landesherrn. Dabei konnten sie sich auf die seit 1689 auch rechtsverbindlich in Berlin geltende Discipline Ecclésiastique des églises reformées de France berufen, die den örtlichen Konsistorien das Aufsichtsrecht über die Schulen einräumte. 337 Tatsächlich erließ der für die französischen Angelegenheiten zuständige Minister Spanheim daraufhin eine Verordnung, nach der das Konsistorium der Hugenotten jährlich drei Geistliche zu einem Conseil des Inspecteurs bestellen konnte, die dem vom Kurfürsten berufenen Direktor gleichgestellt sein sollten. Im Jahre 1695 kamen noch zwei Älteste dazu, so daß das tationen der Jahre 1691 bis 1700 lassen sich die Namen von zehn französischen und einem deutschen Absolventen entnehmen. 334 Dies vermutet Velder, Anfänge, S. 20ff. u. ders., Gymnasium, S. 27ff. 335 Näheres zum Philosophieunterricht vgl. unten, Abschnitt E. I. 5. Die französischreformierte Predigerausbildung geschah für mehrere Jahrzehnte vor allem auf der Basis von Privatunterricht durch die führenden Theologen der Berliner Hugenottengemeinde. Eine eigene theologische Ausbildungsstätte für den französisch-reformierten Pfarrernachwuchs wurde erst im Jahre 1770 eingerichtet. In diesem Séminaire de Théologie, das personell und organisatorisch eng an das Collège angebunden war, erhielten die Seminaristen zusätzlichen Unterricht in Hebräisch und in den theologischen Disziplinen. Nach der Gründung der Berliner Universität wurde das Seminar zu einer Bildungseinrichtung umgewandelt, die das universitäre Theologiestudium nicht mehr ersetzte, sondern nur noch darauf vorbereitete. Vgl. Birnstiel, Hugenotten, S. 77f. u. Fuhrich-Grubert, Kirche, S. 40f. 336 Näheres zu Ancillon bei Velder, Gymnasium, S. 43–49 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 10–15. 337 Vgl. Birnstiel, Hugenotten, S. 124.
V. Das französisch-reformierte Collège François
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Gremium fünf Mitglieder zählte. 338 Dieses Inspektorenkollegium sollte die Einhaltung der Kirchendisziplin an der Schule überprüfen, die Unterzeichnung und Befolgung des französisch-reformierten Glaubensbekenntnisses von den Lehrern fordern und den Vorsitz bei den Examina führen. Wenn auch damit die Schulaufsicht formell an das Französische Konsistorium delegiert worden war, verzichtete der Landesherr keineswegs auf die Ausübung des Schulregiments. Die neu gewählten Inspektoren mußten jeweils von ihm bestätigt werden. Zu Eingriffen in die Schulaufsicht kam es insbesondere im ersten Jahrzehnt der Existenz des Collège. Diese resultierten aus den Spannungen zwischen dem theologisch stark orthodox ausgerichteten Konsistorium unter der Leitung von François Gaultier de St. Blancard (gest. 1703) und dem Lehrerkollegium, das mehrheitlich nonkonformistische Lehrmeinungen vertrat und der Frühaufklärung nahestand. 339 In diesem Konflikt fanden die französischen Gelehrten des Collège von Seiten maßgeblicher deutscher Hofbeamter Unterstützung. Dazu zählten vor allem die für die französischen Angelegenheiten zuständigen Räte Eberhard Christoph von Danckelmann und Paul von Fuchs. Die Einzelheiten dieser kirchlich-theologischen Auseinandersetzungen können hier nicht dargestellt werden. Interessant ist jedoch in unserem Zusammenhang der Fall des Lehrers Jean Barbeyrac (1674–1744), der in der Wissenschaftsgeschichte durch seine Übersetzung der naturrechtlichen Werke Pufendorfs ins Französische bekannt wurde. 340 Obwohl die französischreformierten Geistlichen Barbeyrac der Häresie und des Sektierertums bezichtigt hatten, durfte dieser, weil Er sonsten ein gar gelehrter man ist 341, gegen den Willen des Konsistoriums weiterhin im Lehramt verbleiben. Nur seinen umstrittenen Religionsunterricht sollte er nicht mehr abhalten. Diesen Beschluß hatte eine kurfürstliche Untersuchungskommission von ausschließlich deutschen weltlichen und geistlichen Persönlichkeiten gefaßt, von der die Hugenotten trotz heftigen Widerspruchs ausgeschlossen worden waren. Mit diesem Akt erzwungener Toleranz waren die Privilegien der französisch-reformierten Gemeinde im Interesse der Staatsraison konsequent übergangen worden. Der Kompetenzstreit zwischen Landesherrschaft und Französischem Konsistorium entschied sich endgültig im Jahre 1702, als Friedrich I.(III.) ein neues Inspektorenkollegium einsetzte. Nur zwei der französischen Hofprediger waren in dem Aufsichtsgremium verblieben, Jacques Lenfant 342 (1661–1728) und Isaac de Beausobre 343 (1659–1738), die hier den Standpunkt der Kirchenleitung vertraten. Der führende Kopf des französischen Konsistoriums Gaultier, der bislang 338
Vgl. Schulze, Bericht, S. 8f. Zu den innerkirchlichen Auseinandersetzungen vgl. u. a.Hartweg, Frühaufklärung. 340 Ausführliche Darstellung des Falles Barbeyrac bei Othmer, Berlin, S. 68ff. 341 Othmer, Berlin, S. 73. 342 Vgl. Velder, Gymnasium, S. 52–55 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 237–244. 339
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
als „Großinquisitor des Refuge“ 344 fungiert hatte, gehörte dem neuen Aufsichtsorgan, das später unter der Bezeichnung Conseil académique fungierte, jedoch nicht mehr an. Die übrigen fünf Mitglieder waren Laien und standen als Hofund Legationsräte dem Landesherrn sämtlich loyal gegenüber. 345 Den neuen Inspektoren wurde zunächst aufgetragen, ein neues Statut zu erarbeiten. In diesem Statut, das bis in das 19. Jahrhundert hinein in Kraft blieb, wurde der König, vertreten durch seinen Staatsminister, explizit als oberste Entscheidungsinstanz in allen Schulangelegenheiten festgeschrieben. 346 Dies betraf vor allem die Einsetzung der jetzt auf Lebenszeit berufenen Inspektoren. Im Falle einer Neuwahl hatte das französische Konsistorium dem König eine Liste dreier Kandidaten vorzulegen, von denen er einen auswählen konnte. Damit blieb zwar der Einfluß der Kirche gesichert, das letzte Wort war jedoch dem Landesherrn vorbehalten. Diese Ausweitung landesherrlicher Befugnisse gegenüber der Französischen Gemeinde entsprach einem allgemeinen Entwicklungstrend in den staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen, nämlich die Zurückdrängung presbyterial-synodaler Elemente, wie sie in der traditionellen französisch-reformierten Kirchenverfassung vorgesehen waren. 347 Die Kirchenverfassung der Hugenotten wurde auch im Bereich des Bildungswesens dem in Brandenburg-Preußen geltenden Summepiskopat der Hohenzollern angepaßt. Vergleicht man die Administration des Collège François mit der Praxis an der anderen reformierten Gelehrtenschule der Hauptresidenz, dem Joachimsthalschen Gymnasium, ergeben sich viele Parallelen. Beide Gymnasien unterstanden als landesherrliche Stiftungen direkt der kurfürstlichen bzw. königlichen Verwaltung. Die jeweiligen preußischen Staatsminister waren in die Leitungsangelegenheiten sowohl des Französischen als auch des Joachimsthalschen Gymnasiums unmittelbar mit einbezogen. 348 Zu Mitgliedern der eigens eingerichteten Schulaufsichtsorgane wurden aus der jeweiligen deutsch- bzw. französisch-reformierten Gemeinde vom König bevorzugt Mitglieder der hohen Beamtenschicht berufen. Die geistliche Schulaufsicht übten die kurfürstlichen und königlichen Hofprediger 343 Vgl. Hartweg, Beausobre; Velder, Gymnasium, S. 37–42 u. Noack/Splett, BerlinCölln 1688–1713, S. 30–36. 344 Hartweg, Beausobre, S. 61. 345 Liste der Mitglieder des Conseil académique bei Schulze, Bericht, S. 127f. 346 Statuts du Collège vom 14. Mai 1703. Abgedruckt bei Erman, Mémoire, 132–150. Erst im Jahre 1709 wurde mit den preußischen Staatsreformen die Schulaufsicht der Französischen Kirche über das Collège beseitigt. 347 Auch bei der Predigerwahl behielt sich der König seit 1715 die letzte Entscheidung zwischen drei Kandidaten vor. Vgl. Mengin, Recht, S. 8f. 348 Bereits für die Frühzeit des Collèges ist beispielsweise die Anwesenheit der für die französischen Angelegenheiten zuständigen Minister Eberhard von Danckelmann oder Johann Kasimir Kolb Graf zu Wartenberg bei öffentlichen Prüfungen nachweisbar. Vgl. Velder, Anfänge, S. 19f.
V. Das französisch-reformierte Collège François
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aus. Auch das Friedrichswerdersche Gymnasium war eng an die landesherrliche Administration angebunden. Wiederholt mischte sich hier der Landesherr in Berufungsfragen ein. Zu landesherrlichen Eingriffen in das städtische Patronat der beiden rein lutherischen Schulen kam es dagegen kaum. Das dem Landesherrn als summus episcopus zustehende Kirchen- und damit auch Schulregiment kam bei den reformierten Schulen der Stadt offensichtlich in besonders unmittelbarer Weise zum Tragen, während die lutherischen Schulen weitgehend den lokalen Gewalten überlassen blieben. 3. Die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Im Unterschied zu den oben dargestellten hugenottischen Gründungsinitiativen im Bereich der Ritter- und Adelsbildung sollte der Unterricht in dem neuen Gymnasium unentgeltlich sein. Für Gehälter und Mietausgaben legte der Kurfürst in der Gründungsurkunde eine Summe von 540 Talern fest. 349 Damit bewegten sich die für das Collège zur Verfügung gestellten Gelder in derselben Größenordnung wie die, die seit den frühen achtziger Jahren auch das Cöllnische und das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster als landesherrliche Zuschüsse aus der Akzisekasse erhielten. Wie die anderen Berliner Gelehrtenschule war auch das Collège von der Akzise und Brauziese befreit. 350 Gleichwohl genoß das Collège in der Folgezeit die besondere Aufmerksamkeit des Landesherren. Der Besoldungsfonds, der im wesentlichen aus staatlichen Geldern bestritten wurde, wuchs bis zur Jahrhundertwende auf rund 1000 Taler an und entsprach damit in etwa dem Etat, über den auch das Friedrichswerdersche Gymnasium zu Beginn des 18. Jahrhunderts verfügte. 351 Davon wurden seit 1695 sieben Lehrer besoldet, die in sechs zum Teil zusammengezogenen Klassen unterrichteten. Das Grundgehalt des langjährigen Rektors oder Principal Chauvin, der zugleich die Position eines Philosophieprofessors innehatte, betrug im selben Jahr 200 Taler mit einer Zulage von weiteren 200 Talern vom Französischen Konsistorium und entsprach damit ungefähr dem Rektorengehalt am Friedrichswerderschen Gymnasiums. 352 Die Lehrer der Prima, Secunda und kombinierten Tertia und Quarta verdienten dagegen nur 150 bis 100 Taler. Das Erteilen von Privatunterricht zur Aufbesserung
349
Vgl. Schulze, Bericht, S. 6. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 139. 351 Vgl. Muret, Geschichte, S. 139 u. Schulze, Bericht, S. 30. Die im folgenden aufgeführten Gehaltsangaben sind den Bestallungsakten im Geheimen Staatsarchiv (GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1) und einzelnen Angaben bei Schulze entnommen. 352 Diese Zulage erhielt der damalige Rektor als Ministre extraordinaire de l’Eglise de Berlin. Er hatte also wie die Friedrichswerderschen Rektoren auch einen Predigtdienst für die französisch-reformierte Gemeinde zu leisten. Noch im Jahre 1784 lag der Verdienst des Rektors bei 428 T. Vgl. Schulze, Bericht, S. 17 u. 43. 350
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C. Die Genese der Berliner Gelehrtenschulen
des Gehaltes war deshalb auch am Französischen Gymnasium eine verbreitete Erscheinung. Die drei unteren Lehrer mußten mit 40 bis 80 Talern im Jahr auskommen. Im Vergleich zu den städtischen Gymnasien der Stadt fällt auf, daß es für den Lohnfonds des Collège keinen Zuwachs durch einzelne Spenden gegeben hat. Bis 1784 sollten die Gehälter deshalb auf demselben geringen Niveau stabil bleiben. 353 Seinen ersten bekannten Standort hatte das französische Collège in der Nähe des Stralauer Tores, wo 1695 auf kurfürstliche Kosten ein Haus angemietet worden war. Diese Lage am östlichen Stadtrand erwies sich jedoch schon bald als problematisch. So finden sich in den Akten des Französischen Konsistoriums Beschwerden der Eltern darüber, daß die Schule am anderen Ende der Stadt läge und die Schüler dort keine rechten Fortschritte machen würden. 354 Die Bemühungen um eine bessere Anbindung der Schule an die Hugenottengemeinde führten schließlich im Jahre 1702 zum Kauf des Wangenheimschen Hauses in der Niederlagstraße auf dem Friedrichswerder. Erst die Bereitstellung von zusätzlichen 4500 Talern durch den König hatte der Hugenottengemeinde den Kauf dieses weiträumigen Gebäudes ermöglicht, in dem nicht nur die Schule, sondern auch das französisch-reformierte Konsistorium und die zivile Verwaltung der Hugenottenkolonie ihren Platz haben sollten. 355 Wie die anderen städtischen Gymnasien befand sich damit auch das Collège der Hugenotten in unmittelbarer Nähe zu den Leitungsgremien seiner Bürgergemeinde. Trotz dieser räumlichen und administrativen Neuordnung gelang es den Verantwortlichen jedoch nicht, das Collège der Hugenotten auf die gleiche Stufe der übrigen Berliner Gelehrtenschulen zu heben. 356 Nach einem kurzen Anstieg bis 1709 sank die Schülerfrequenz wieder auf insgesamt 14 Schülern, darunter nur drei Neuaufnahmen. Die Gründe dafür wurden von der bisherigen Forschung in der Unzulänglichkeit der Geldmittel gesehen, der die Durchführung des ambitionierten Lehrplanes nicht möglich gemacht habe. 357 Zieht man allerdings in Betracht, daß die deutschen Kollegen an den beiden lutherischen Gymnasien der Stadt kaum schlechter verdienten als die Lehrer des Collège, überzeugt diese Argumentation kaum. Der Grund für den geringen Erfolg der Schule muß vielmehr bei den Hugenotten selbst gesucht werden, die das Angebot institutionalisierter Bildung offensichtlich nicht in dem erwarteten Maße annahmen. Anders als an den deutschen Gelehrtenschulen, an denen
353 Das Gehalt am Collège blieb damit selbst gegenüber schlecht gestellten Provinzialgymnasien zurück. Vgl. Schulze, Bericht, S. 43. 354 Actes du Consistoire de l’Eglise françoise reformée de Berlin, Protokolle des Konsistoriums, AFG, Rep. 04, I, 2, Bl. 450. 355 Vgl. Muret, Geschichte, S. 138f. Ein eigener Schulneubau für das Französische Gymnasium wurde erst 1873 errichtet. 356 Vgl. Schulze, Bericht, S. 29. 357 Vgl. ebd., S. 30.
V. Das französisch-reformierte Collège François
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mehr oder weniger gut ausgestattete Stipendiensysteme existierten, scheinen am Collège auch keine bedürftigen Schüler durch Spendengeldern unterstützt worden zu sein. Es existierte nur ein vom Landesherrn gestifteter Fonds von 300 Talern, aus dem jährlich 20 Taler Preisgelder an die Schüler ausgeteilt wurden. 358 Die fehlenden Spenden verstärken den Eindruck, daß es den hugenottischen Zuwanderern offensichtlich an Interesse und Engagement für eine eigene französische Gelehrtenschule mangelte. Auch ein im Jahre 1710 vom zuständigen Staatsminister Bartholdy veranlaßter öffentlicher Appell an die hugenottische Gemeinde, den angebotenen Unterricht am Collège stärker wahrzunehmen, brachte keine Änderung. 359 Erst in der späteren Aufklärungszeit sollte unter Jean-Pierre Erman (1735–1814), der 1766 das Rektorat der Schule übernahm, das Collège der Hugenotten seine erste Blütezeit erleben.
Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 96 u. Küster/Müller, Berlin, S. 999f. 359 Vgl. Schulze, Bericht, S. 30. 358
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren 1. Die Rektoren des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster Um sich ein genaueres Bild vom Profil der Berliner Lehrerschaft bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts machen zu können, soll im Folgenden ein Blick auf die Herkunft, die schulische und universitäre Prägung sowie die spätere Wirksamkeit der wichtigsten Rektoren geworfen werden. Der erste Rektor des Berlinischen Gymnasiums, der hier über eine längere Periode wirkte, war Georg Gutke oder Gutikus (1589–1634). 1 Als Sohn eines kurfürstlichen Beamten in Cölln geboren, besuchte er zunächst das dortige Gymnasium. Im Jahre 1607 ging er an die berühmte lateinische Gelehrtenschule von Halle, die damals unter Leitung von Johannes Aeschard oder Aeschartus (geb. 1602) stand. Hier wurden dem jungen Gutikus die Grundlagen der Philosophie gelehrt, dabei auch die Logik des Petrus Ramus, darzu er dazumahl auch solche lust gewonnen, daß er dieselbe auffs heftigste defendiret 2. Danach studierte er in Frankfurt a. O. und vor allem in Wittenberg bei Jacob Martini (1570–1649), der hier neben Logik und Ethik erstmals auch Metaphysik lehrte. 3 Nach seinem Magisterexamen brachte es Gutikus bis zum Adjunkten und Dekan der philosophischen Fakultät. Von dort aus wurde er 1618 an das Berlinische Gymnasium berufen und war hier bis zu seinem Tode im Jahre 1634 als Rektor tätig. Den Lehrplan prägte Gutikus insofern nachhaltig, als er, ganz seinen persönlichen Neigungen entsprechend, Logik und Dialektik zum Hauptgegenstand des Unterrichts in den höheren Klassen machte. Der ramistischen Logik stand er inzwischen kritisch gegenüber. 4 Zugleich ging es ihm um die Ausbildung der Rede- und Disputierfähigkeit, was eine enorme Häufung 1
Zum Folgenden vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 153–159 u. Heidemann, Geschichte, S. 140–144. Näheres zur philosophiegeschichtlichen Einordnung von Gutikus bei Wundt, Schulmetaphysik, S. 242–254. 2 Elert, Schulherrn, o. S., vgl. auch Küster/Müller, Berlin, S. 943. 3 Zu Martini und seinem Werk vgl. Wundt, Schulmetaphysik, S. 106–110. 4 Näheres dazu im Abschnitt E. I. 5. Mehrere Schulschriften von Gutikus sind in den Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster erhalten (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Sch 5 u. 6).
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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der öffentlichen Disputierübungen zur Folge hatte. Die „überwuchernden dialektischen und formal-logischen Studien“ 5 gingen leider vor allem auf Kosten des Griechischen, wie der neuhumanistisch geprägte Historiograph des Berlinischen Gymnasiums, Heidemann, im 19. Jahrhundert kritisch anmerkte. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges übernahm Adam Spengler (1612–1665) das Rektorat am Gymnasium zum Grauen Kloster. 6 Sein Wirken stellt insofern eine Zäsur für die Geschichte des Berlinischen Gymnasiums dar, als unter ihm sieben Kollegen neu berufen wurden. Spengler, der aus dem Vogtland stammte, hatte das Gymnasium in Straßburg besucht und danach im lutherisch-orthodoxen Wittenberg Theologie studiert. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten der eben erwähnte Jacob Martini, sowie Paul Röber (1587–1651) und Johannes Scharff (1595–1660), die sich intensiv gegen den Calvinismus wandten, wie er sich im benachbarten Anhalt und Kurbrandenburg ausbreitete. Nach seinem Magisterexamen wurde Spengler 1641 zum Adjunkt der philosophischen Fakultät ernannt, kam jedoch noch im selben Jahr als Rektor nach Berlin. Unter ihm nahm die infolge des Krieges daniederliegende Schule nicht nur personell einen Aufschwung. Auch der Lehrplan erfuhr eine Überarbeitung. Darüber hinaus traten die Schüler wieder vermehrt mit öffentlichen Actus an die Berliner Öffentlichkeit. Spenglers Verdienst wird jedoch vor allem im Aufschwung des Schultheaters gesehen, das unter ihm eine neue Blütezeit erreichte. 7 Nach zehn Jahren ging Spengler als Pfarrer und Inspektor nach Wriezen. Die folgenden Rektoren Johannes Heinzelmann (1626–1687), Jacob Hellwig d. J. (1631–1684) und Conrad Tiburtius Rango (1639–1700), folgten in kürzeren Abständen aufeinander und wechselten nach wenigen Amtsjahren in ein Pfarramt über. 8 Bis auf Hellwig, der in Rostock und Frankfurt a. O. studiert hatte, waren sie Absolventen der Wittenberger Universität und sämtlich lutherisch-orthodox geprägt. Als spätere Berliner Prediger waren Heinzelmann und Hellwig wichtige Akteure in den konfessionellen Auseinandersetzungen mit den Reformierten, die in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichten. Rango hatte das Berlinische Rektorat sogar erst auf den Rat des Wittenberger Theologen Abraham Calov (1612–1686) hin angetreten, um für die Stärkung der Lutheraner in der Berliner Residenz einzutreten. 9 Daß der bewußte Lutheraner Rango im Jahre 1668 die Berliner Residenz wieder verließ und in seine Heimat nach Pom5
Heidemann, Geschichte, S. 143. Näheres zu Spengler vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 168–172; Heidemann, Geschichte, S. 151–155 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 422–430. 7 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 153f. 8 Näheres zu Heinzelmann, Hellwig, Lubath und Rango bei Diterich, Schulhistorie, S. 172–192; Heidemann, Geschichte, S. 156–167 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 177–185, 192–200, 244–250 u. 317–333. 9 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 946 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 319f. 6
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
mern zurückkehrte, hatte vermutlich in dem andauernden Konfessionskonflikt seine Gründe. 10 Er ging zunächst als Konrektor und Professor an das Stettiner Gymnasium Illustre und wurde schließlich vom schwedischen König zum Superintendenten von Pommern und Rügen berufen. 11 Von Heinzelmann wurde 1653 ein gedruckter Lektionsplan herausgegeben. Hier wurde nicht nur erstmals der Unterricht in Geometriam und Historiam vorgeschrieben, sondern im Rahmen von Privatstunden Logica, Rhetorica, . . . metaphysica, pneumatica, physica, Ethnicopolitica einschließlich eines Cursum mathematicae 12 angeboten. Daß sich auch Rango am Berlinischen Gymnasium um die Konsolidierung der Schule bemüht hat, zeigt eine undatierte Beschwerdeschrift mit dem Titel Capita Gravaminum Generalium Gymnasij Berlinensis 13, in der sich der Rektor und seine Kollegen in den sechziger Jahren an den Rat richteten. Neben materiellen Nöten beklagten die Präzeptoren vor allem das Fehlen von Schulgesetzen, welche einem ieden, Er sey einheymisch oder frembd, Bürger, Praeceptos oder Discipulos wie es in dem Gymnasio zugehe, sagen könne 14. Außerdem müsse eine zutregliche Ordnung gemacht werden, wie die Schul sachen vor einem besonderen Corpore abgehandelt würden 15. Darüber hinaus fehle ein richtige und in allen Classibus gleichförmigen Didactica und Lehr Ahrt 16. Die Bemühungen Rangos um die Neuordnung der administrativen, methodischen und curricularen Situation blieben jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Dies muß nicht zuletzt auf die problematische finanzielle Situation des Berlinischen Gymnasiums zurückgeführt werden. Erst nachdem der damalige Konrektor Gottfried Weber (1632–1698) im Jahre 1668 in das Rektorat aufgerückt war, kam es zur Abfassung neuer Schulgesetze. 17 Im Zusammenhang der Säkularfeier von 1673 veröffentlichte Weber außerdem einen neuen Lehrplan, den er bereits 1682 überarbeitete. 18 Der Wille zur Ordnung der schulischen Situation drückt sich auch in den Schülermatrikeln aus, die mit
10 Eine ausgesprochene Gegnerschaft den Reformierten gegenüber zeichnete ihn auch in seiner späteren Berufstätigkeit aus. Rangos Streitschriften, die seinen ungebrochen orthodoxen Standpunkt wiederspiegeln, richteten sich gegen alle Abweichungen von der „reinen“ lutherischen Lehre, einschließlich der Pietisten. Im Jahre 1688 veröffentlichte er beispielsweise eine Schrift gegen Michael Molinos und dessen schwärmerischer Frömmigkeit. Vgl. Rango, Qväckerey. 11 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 322ff. 12 ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Sch 4, 1. 13 ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 53–64. 14 Ebd., Bl. 55. 15 Ebd., Bl. 61. 16 Ebd., Bl. 53. 17 Zu Weber vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 193–216; Heidemann, Geschichte, S. 167–177 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 462–476.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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dem Beginn des Weberschen Rektorates einsetzen. Gottfried Weber entstammte einem bedeutenden Berliner Ratsgeschlecht. Als Sohn des ehemaligen Rektors und späteren Berliner Bürgermeisters Georg Weber war er unter Spengler selbst Schüler des Gymnasiums zum Grauen Kloster gewesen. Wie sein Amtsvorgänger Rango ging er zunächst an das Hallesche Gymnasium, um hier theils die reine deutsche Sprache daselbsten zu lernen, theils auch den vornehmen Rectorem Hn. Gueintzium zu hören 19. Wie dessen Amtsvorgänger Evenius gehörte auch Gueintz zum Kreis der Gothaer Didaktikerschule, welcher auf die deutsche Sprache und die Vermittlung realistischer Lehrinhalte einen besonderen Wert legte. Noch im selben Jahr 1650 immatrikulierte sich Weber an der Universität von Jena, wo er neben lutherisch-orthodoxen Theologen auch den gemäßigten Lutheraner Johann Musaeus (1613–1681) hörte. In den biblischen Sprachen wurde er von Paul Slevogt (1596–1655) unterwiesen. Seinen Magister legte Weber 1653 in Wittenberg ab, wo zu diesem Zeitpunkt neben Johannes Scharff der streitbare Lutheraner Abraham Calov wirkte. An der philosophischen Fakultät gab August Buchner (1591–1661) in dieser Zeit Vorlesungen zur deutschen Poetik und vertrat Johannes Sperling (1603–1658) als Professor Physicae als erster in Deutschland eine atomistische Physik. Mathematik lehrte Christoph Notnagel (1607–1666). Daß Weber später in seinen Lehrplänen der Mathematik und den Realien einen größeren Stellenwert einräumte, wird von der Forschung auf den Einfluß dieser beiden Wittenberger Professoren zurückgeführt. 20 Weber, der seinen Zeitgenossen als polyhistor inexhaustae diligentiae 21 galt, veröffentlichte neben einer Vielzahl von theologischen und philosophischen Abhandlungen auch ein Lehrbuch für den Geschichtsunterricht. 22 Unter seinem wissenschaftlichen Schrifttum finden sich außerdem Veröffentlichungen zur Geschichte der Astronomie. 23 Das Interesse Webers an der deutschen Sprache wird an seinem deutschsprachigen Freudenspiel deutlich, das er aus Anlaß der Säkularfeier im Jahre 1673 dichtete. 24 Dreißig Jahre blieb Weber im Amt. Er bestimmte damit eine ganze Ära der Berlini18
In den Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster sind beide Lektionspläne erhalten: ein handschriftlicher Plan für alle Klassen aus dem Jahre 1673 (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Archiv, Vol. 3, Bl. 187ff.) und ein gedruckter Lehrplan von 1682 für die Prima und Sekunda (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Sch 2, 2). Den Lehrplan von 1673 referiert außerdem Diterich nach einer gedruckten Vorlage (vgl. ders., Schulhistorie, S. 197–201). 19 Spener, Grund. Christian Gueintz (1592–1650) war ein Mitarbeiter von Wolfgang Ratke gewesen und zählte zu „einem der bedeutendsten Schullehrer des 17. Jahrhunderts“ (Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 317). Vgl. auch ebd., S. 462f. 20 Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 464. 21 Zit. nach Heidemann, Geschichte, S. 176. 22 Vgl. Weber, Linea. (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Sch 4, 50). 23 Vgl. Weber, Analysis u. ders. Cosmographiae. In letzterem Werk gibt Weber einen Überblick über die Weltbilder von Ptolemäus, Kopernikus, Kepler und Tycho Brahe. 24 Vgl. Weber, Unschuld. (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Sch 4, 43).
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
schen Schulgeschichte, die bis in die Zeit des Pietismus hineinreichen sollte. Die Leichenpredigt hielt ihm bereits der führende Repräsentant dieser neuen Reformbewegung: der Inspektor des Berlinischen Gymnasiums, Philipp Jacob Spener, dem Weber keineswegs ablehnend gegenübergestanden hatte. 25 Auf Weber folgte im Jahre 1698 Samuel Rodigast (1649–1708) im Rektorenamt. 26 Der aus Thüringen stammende Rodigast hatte bereits 1680 die Nachfolge des Konrektors Madeweiß angetreten und war somit seit fast zwanzig Jahren an der Schule tätig. Man kann die eben erwähnte Leichenpredigt Speners, die eine Abhandlung über das Schulamt enthält, gleichsam als pädagogischen Auftrag für den neuen Rektor lesen: So solle der Lehrer die ihm Anvertrauten nicht nur an dem Verstande, sondern auch am Willen bessern, darmit es bey ihnen nicht zu einem bloßen wissen, sondern dem rechtschaffenen wesen in Christo Jesu . . . gelange 27. Natürlich sei auch eine rechte Gelehrtheit in den Wissenschaften nötig, denn was man lehren solle, muß man selbst erst gründlich wissen. Dies sei aber allein nicht genug, darzu gehöret ferner die wahre Gottseligkeit. Solche Vorgaben mögen bei Rodigast, der „eher ein verträglicher und auf Ausgleich bedachter Charakter war“ 28 keinesfalls auf Widerspruch gestoßen sein. Gleichwohl ist Rodigast, der theologisch „einen gemäßigten, gleichwohl jedoch uneingeschränkt lutherischen Standpunkt“ 29 vertrat, nicht dem pietistischen Kreis um Spener zuzurechnen. 30 Mit Starck, der auf Speners Betreiben hin in das freigewordene Konrektorat des Grauen Klosters berufenen worden war, geriet Rodigast sogar in einen schweren Konflikt. Dies belegt ein undatiertes Schreiben vom Beginn des 18. Jahrhunderts, in dem sich der Konrektor Starck vertrauensvoll an den Berliner Propst Spener wendet. 31 Der Verfasser stellt zunächst fest, daß Ew. HochEhrw. mehr als iemand mit geöffneten augen unsern hiesigen Schul-Stand und desselben difficultäten ansehen, auch wohl mehr im geheim als offenbahrlich desfalls seuffzen mögen. Spener hätte diese Schwierigkeiten auch wohl guten theil auß eigener erfahrung
25 Vgl. Spener, Grund. (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Leichenschriften Bd. 25, Nr. 15). Daß Speners Frömmigkeitsgedanke von Weber positiv aufgenommen wurde, zeigt eine undatierte Abhandlung über Erziehungsfragen. Als nützliche Lektüre empfiehlt Weber hier nicht nur das Wahre Christentum von Johann Arndt, sondern auch explizit eine Erbauungsschrift von Spener. Vgl. Weber, Jugend, o. S. 26 Zu Rodigast vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 216–238 ; Heidemann, Geschichte, S. 180–190 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 346–355. 27 Spener, Grund, o. S. 28 Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 348. 29 Ebd., S. 350. 30 Daß Rodigast dem Spener-Keis zugehörte behaupten Schlee, Weigel, S. 138 u. Dienst, Rodigast, Sp. 488. Zurecht hat Wallmann festgestellt, daß Spener keinesfalls mit Rodigast in einer engeren persönlichen Beziehung gestanden hat. Vgl. Wallmann, Spener, S. 73. 31 Allerlei, besonders des Konrectors Starcke Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens. ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 37–45.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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bey examinibus und anderen gelegenheiten selbst erfahren können. Starcks Kritik an Rodigast zielt dabei auf zweierlei: Zum einen würde man in studiis und informatione keinen grund suchen und sich stattdessen beständig bemühen, in linguis und realibus gute ignoranten zu ziehen. Der andere Mangel herrsche in pietate et moribus, da insgesamt die unverständigen leute – also die Schüler – keine auffsicht, und ihre volle freyheit hätten und ohn einzuschränckende licentz blieben. Da er in der Zeit seines Hierseins ersehen und handgreiffl. habe erfahren müssen, daß er hier wenig oder gar nichts nützen könne, bittet Starck schließlich darum, ihm einen Nachfolger im Konrektorat zu suchen. Die überlieferten Akten zeigen deutlich, daß Rodigast keine Notwendigkeit sah, die Aufsicht und Disziplin zu verschärfen oder eine Unterrichtsreform durchzuführen. So schreibt der Rektor an den Magistrat, daß neue Methoden . . . vor neue Schulen gehörten; eine die schon über 100 Jahre in gutem flor gestanden, und wacker leute gezogen, bedarf dergleichen nicht 32. Tatsächlich änderte sich unter Rodigast wenig an dem herkömmlichen Unterricht. An einem Ausbau der realistischen Disziplinen hatte Rodigast offensichtlich wenig Interesse. Der Mathematikunterricht scheint unter ihm sogar ganz eingestellt worden zu sein. 33 Dies ist deshalb erstaunlich, weil Rodigast, wie sein damaliger Amtsvorgänger im Konrektorenamt, Madeweiß, zur Zeit Erhard Weigels an der Jenaer Universität studiert hatte. Er hatte hier 1671 den Magistergrad abgelegt und von 1676 bis 1680 der philosophischen Fakultät als Adjunctus angehört. Die Jenaer Historiker Johann Andreas Bose und Caspar Sagittarius scheinen das wissenschaftliche Interesse vor Rodigast vor allem auf politik- und verfassungsgeschichtliche Fragen gelenkt zu haben. Die Übersetzung von Pufendorfs Geschichtswerk über den schwedischen König Carl Gustav gilt als Rodigasts literarische Hauptleistung. Insgesamt hat Rodigast jedoch zum wissenschaftlichen Leben des damaligen Berlin wenig beigetragen. 34 Ohne seinen vorzeitigen Rücktritt hätte nach Rodigasts Tod vermutlich Sebastian Gottfried Starck (1668–1710) das Rektorenamt am Berlinischen Gymnasium übernommen. 35 Da sich an seiner Person das Zusammenspiel von pietistischen und frühaufklärerischen Motiven für eine Unterrichtsreform deutlich zeigen läßt, soll im Folgenden näher auf ihn eingegangen werden. Starck stammte aus Sachsen und hatte die berühmte Fürstenschule St. Afra in Meißen besucht. Seit 1687 studierte er gleichzeitig mit Francke, Lange und andere Pietisten an der Leipziger Universität, vor allem alte Sprachen und Theologie. Auch wenn keine Belege darüber vorliegen, daß Starck dem engeren Zirkel um Francke angehörte, ist
32
ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 18. Näheres dazu vgl. Abschnitt E. II. 5. 34 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 349f. 35 Näheres zu Starck vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 293–315 u. Noack/Splett, BerlinCölln 1688–1713, S. 457–464. Die hier gewählte Schreibweise Starck folgt Noack/Splett. Diterich nennt ihn Starcke und Küster Starke. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 935. 33
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
von Kontakten mit der Leipziger pietistischen Bewegung auszugehen. Speners Schwiegersohn, Adam Rechenberg war einer seiner akademischen Lehrer. Nachdem Starck in Hamburg auf privater Basis seine orientalischen Sprachkenntnisse vervollkommnet hatte, wurde 1695 an der jungen Hallenser Universität, dem neuen Zentrum der Frühaufklärung und des Pietismus, immatrikuliert. Noch im selben Jahr führte ihn sein Weg weiter nach Berlin, wo er auf Empfehlung von Ezechiel Spanheim an das Cöllnische Gymnasium berufen werden sollte. Daß diese Berufung am Widerstand des Cöllnischen Rates scheiterte, wurde bereits oben dargestellt. 36 Sein Ruf als hervorragender Kenner des Hebräischen und Arabischen brachte ihm zunächst eine Stelle an der königlichen Bibliothek ein, wo er für die orientalischen Handschriften zuständig war. 37 Diese Tätigkeit verfolgte er auch dann weiter, nachdem es Spener 1698 gelungen war, Starck in das vakant gewordene Konrektorenamt am Berlinischen Gymnasium zu bringen. Anders als sein Rektor nahm Starck am wissenschaftlichen Leben der Residenzstadt regen Anteil. Mit mehreren Personen aus dem Umkreis der Sozietät der Wissenschaften, darunter dem Hofprediger Jablonski, dem er Unterricht in Arabisch gab, war er gut bekannt. 38 So ist es nicht verwunderlich, daß Starck im Jahre 1701 als erster Lehrer eines städtischen Gymnasiums in die Berliner Sozietät berufen wurde. Ungeachtet seines sprachwissenschaftlichen Interesses beschäftigten Starck jedoch auch pädagogische Fragen. Bereits in Leipzig hatte er unter Rechenberg über die Situation im sächsischen Schulwesen disputiert. 39 Später gab er die erste Übersetzung des pädagogischen Hauptwerkes von John Locke heraus. 40 An den oben erwähnten Vorschlägen des Konrektors zur Verbesserung des Schulwesens am Berlinischen Gymnasium sind die Anliegen der realistischen Bewegung, wie sie seit Ratke vor allem in Sachsen virulent war, deutlich erkennbar: Dazu gehört die Forderung nach einer Wiedereinfühung des Mathematikunterrichtes ebenso, wie nach dem Gebrauch deutscher Grammatiken im Lateinunterricht. Auch im altsprachlichen Unterricht seien die Schüler zur nachsuchung der realien anzuregen. Da nach Starcks Ansicht die Frömmigkeit der Knaben zu wünschen übrig ließ, solle man solche Bücher in Lectionibus Theologicis (In Superioribus Classibus) benutzen, die mehr die thesin und usum derselben in fide et vita als controversin an die Hand gäben 41. Dieser explizite Bezug auf die Glaubenspraxis entsprach wiederum ganz den Zielstellungen der Pietisten. Starckes ehemaliger
36
Vgl. oben, Abschnitt C. II. 2. Zu Starcks bibliothekarischer Tätigkeit vgl. Tautz, Bibliothekare, S. 187–191. 38 Im Jahre 1711 gab Jablonski einen von Starck erarbeiteten hebräischen Druck des Alten Testamentes heraus. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 461. 39 Vgl. Starck, Electorum. 40 Vgl. Starck, Locke. Bei dieser Schrift handelt es sich um eine Anleitung zur Erziehung eines jungen Gentlemans, um ihn für das praktische Leben tüchtig zu machen. 41 ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 6. 37
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Schüler Martin Diterich (1681–1749) bezeugt darüber hinaus, daß der von ihm verehrte Konrektor seine Schüler stets an den alten Grundsatz Senecas, non scholae sed vitae discendum esse, erinnert habe. 42 Trotzdem Starck im Jahre 1705 nach sieben Amtsjahren von seinem Amt resignierte, konnte das Berlinischen Gymnasium auch langfristig von ihm profitieren: Die Einrichtung der Berliner Witwen- und Waisenkasse ging noch auf Starck zurück, der deren Statut selbst abgefaßt hatte. Daneben hat sich Starck als erster Historiograph des Gymnasiums zum Grauen Klosters verdient gemacht. Seine Abdankungsschrift De Originibus Scholae Berlinensis basierte auf eigenen Quellenstudien. 43 Erst unter Christoph Friedrich Bodenburg (1678–1726), der Starck im Konrektorenamt gefolgt war und nach dem Tode Rodigasts im Jahre 1708 ins Rektorat aufstieg, kam Bewegung in den Lehrplan des Berlinischen Gymnasiums. Bodenburg war ebenfalls kein Brandenburger, sondern stammte aus Croppenstädt bei Halberstadt. Er gehörte der ersten vom hallischen Pietismus geprägten Generation an, die ihre gesamte Studienzeit in Halle verbrachte. 44 Seit 1698 hatte er an der philosophischen Fakultät Vorlesungen des Historikers Cellarius gehört, bei dem er 1699 disputierte. Danach studierte er bei Francke an der theologischen Fakultät, gemeinsam mit anderen späteren Berliner Kollegen. 45 Wie Bodenburgs Briefe an seinen theologischen Lehrer zeigen, hielt er die Verbindungen zum Hallischen Pietismus von Berlin aus weiter aufrecht. Auch mit dem wichtigsten pietistischen Kollegen in der Berliner Residenz, Joachim Lange, stand er in einer persönlichen Beziehung. In einer emphatischen Gratulationsschrift anläßlich der Berufung Langes zum Theologieprofessor nach Halle verteidigt er nicht nur Langes theologische Positionen, sondern bezeichnet er diesen auch als seinen Fautor & Compater colende 46. Auch nachdem Lange nach Halle gewechselt war, blieben beide in brieflichem Kontakt. Bodenburg pflegte demnach nicht nur „lose Kontakte“ 47 zu pietistischen Kreisen, sondern kann ihnen persönlich zugeordnet werden. Um die schulische Situation zu verbessern, veröffentlichte der neue Rektor gleich nach der Übernahme seines Amtes neue Schulgesetze, wie dies 42 Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 304. Diterich zitiert hier aus einer von ihm selbst herausgegebenen Einladungsschrift aus dem Jahre 1711, welche er dem Leben von Starck gewidmet hatte. 43 Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 305–307 u. Heidemann, Geschichte, S. 4. 44 Näheres zu Bodenburg vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 238–263; Heidemann, Geschichte, S. 190–195 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 81–88. 45 Hier ist vor allem der spätere Konrektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Andreas Julius Dornmeyer, zu nennen. 46 Bodenburg, Epistola, S. 15. Nach Noack rief Bodenburgs Schrift bei den lutherischorthodoxen Rezensenten der Leipziger Unschuldige(n) Nachrichten von alten und neuen Theologischen Sachen einen scharfen Protest hervor. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 82. 47 Neugebauer, Süßmilch, S. 184.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
bereits Starck gefordert hatte. 48 Zugleich gab er einen neuen Lehrplan heraus, der den Realien einen größeren Stellenwert einräumte. Fünf Jahre später wurde dieser Plan erneut zugunsten von realistischen Lehrinhalten verändert. 49 Außerdem schränkte Bodenburg die öffentlichen Redeübungen ein und verlegte den Schwerpunkt weg von metaphysischen und theologisch-dogmatischen Fragen hin zu geschichtlichen, geographischen und sprachlichen Themenstellungen. Die aus der spezifischen Verbindung von Pietismus und Frühaufklärung gespeisten Reformanliegen des neuen Rektors fanden darüber hinaus in publizistischen Bemühungen ihren Ausdruck. So war Bodenburg an der Abfassung solcher Grammatiken und Schulbücher beteiligt, die den neuen didaktischen und muttersprachlichen Anforderungen entsprechen sollten und die in Gemeinschaftsarbeit mehrerer Berliner Schulmänner erarbeitet wurden. Aus dieser Zusammenarbeit ging wiederum die erste Zeitschrift Deutschlands hervor, die sich unter dem Titel Zufaellige Anmerckungen von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehoerigen Sachen ausschließlich pädagogischen Themen widmete. 50 Zu den Beiträgern dieser Zeitschrift gehörte auch Johann Leonhard Frisch (1666–1743), der im Jahre 1727 dem verstorbenen Bodenburg im Rektorenamt folgte. 51 Bei ihm findet man ebenfalls die enge Verbindung von wissenschaftlicher Tätigkeit und Pietismus, wie sie seit dem frühen 18. Jahrhundert in Berlin bei der neuen Generation lutherischer Schulmänner typisch war. Frisch war im selben Jahr wie Starck durch Vermittlung von Spener an das Berlinische Gymnasium berufen worden. Anders als Starck, dem er freundschaftlich verbunden war, hatte sich Frisch jedoch nicht auf einen offenen Konflikt mit dem damaligen Rektor Rodigast eingelassen. 52 Er war vielmehr am Gymnasium zum Grauen Kloster verblieben und durchlief dort eine erfolgreiche Karriere vom Subrektor bis zum Rektor. Vorübergehend unterrichtete er auch an der Berliner Ritterakademie. Für Harnack war Frisch der weitaus bedeutendste Schulmann in Berlin um 1700. 53 Tatsächlich war der studierte Theologe unter den Berliner Lehrern des frühen 18. Jahrhunderts der wohl vielseitigste Wissenschaftler. Sowohl in den alten und neueren Sprachen, als auch auf mathematischem und naturwissenschaftlichem Gebiet war der Polyhistor Frisch bewandert. 54 Mit seinen Veröffentlichungen und
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Vgl. Bodenburg, Leges. Vgl. Bodenburg, Designatio Lectionum u. ders., Catalogus Lectionum. Der erneuerte Lehrplan von 1713 ist außerdem abgedruckt bei Diterich, Schulhistorie, S. 248–256. 50 Näheres dazu vgl. unten, Abschnitt F. II. 2. 51 Eine ausführliche zeitgenössische Biographie über Frisch verfaßte sein späterer Amtsnachfolger Wippel (ders., Leben) Vgl. außerdem Fischer, Schulspiel, S. VII-XX; Powitz, Wörterbuch, S. 1–9 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 145–159. 52 Diterich bezeichnet Frisch als collega und amico von Starck (ders., Schulhistorie, S. 310). 53 Vgl. Harnack, Leben, S. 177. 49
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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Projekten prägte Frisch das wissenschaftliche Leben der Berliner Residenz in hohem Maße. Dabei stand er in engem Kontakt zu Leibniz und der Berliner Sozietät der Wissenschaften, in die er 1706 aufgenommen worden war. 55 Im Jahre 1725 wurde er außerdem Mitglied der Leopoldinischen Akademie der Naturforscher. Frisch, der einer Nürnberger Gelehrtenfamilie entstammte, hatte von 1683 bis 1690 an den Universitäten in Altdorf, Jena und Straßburg vor allem Theologie, aber auch alte Sprachen studiert. In Straßburg setzte er diese Studien fort und lernte außerdem italienisch und französisch. Eine mehrjährige Wanderschaft führte ihn zunächst nach Frankreich und in die Schweiz und danach über Wien nach Ungarn, wo er in einer protestantischen Diasporagemeinde predigte. In dieser Zeit durchlebte Frisch nach dem Zeugnis seines späteren Nachfolgers und Biographen Johann Jacob Wippel eine Glaubenskrise, die ihn jedoch in der Gewißheit eine[r] besondere[n] Versicherung der Kindschafft und Erwehlung 56 bestärkte. Dies und die Tatsache, daß er in Ungarn ein Apostel Herrn Magister Franckens genannt worden war, ob gleich er diesen Mann noch nie gesehen und gesprochen hatte 57, rückt Frisch eindeutig in die Nähe des Pietismus. Nach einer Erziehertätigkeit im Magdeburgischen reiste er 1698 in die Niederlande und kam über Hamburg und Mecklenburg schließlich nach Berlin. Ziel seines Berlinbesuchs war vor allem der berühmte Spener, den Frisch mit seiner religiösen Einstellung und wissenschaftlichen Bildung so sehr überzeugt haben muß, daß dieser ihn sogleich für die vakante Subrektorenstelle am Berlinischen Gymnasium vorschlug. 58 Auch wenn Frisch nicht explizit als Reformpädagoge hervorgetreten ist, gab er bis zu seinem Tode im Jahre 1740 durch sein breites wissenschaftliches Interesse dem Unterricht am Berlinischen Gymnasiums ein spezifisches Gepräge. Er war nicht nur an der Abfassung neuer Lateinischer und Griechischer Grammatiken und Kompendien beteiligt, sondern gab auch ein französisches Wörterbuch und die überarbeiteten Grund-Sätze der Deutschen Sprachen des ehemaligen Rektors des Cöllnischen Gymnasiums, Johann Bödiker, heraus. 59 Das germanistische Hauptwerk Frischs war sein Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch, das 1741
54 Über die Beschäftigung mit der Seidenraupenzucht kam Frisch zur Zoologie. Er legte umfangreiche Sammlungen präparierter Raupen und ausgestopfter Vögel als auch Mineraliensammlungen an. 55 In den Jahre 1706 bis 1716 führten Frisch und Leibniz einen regen Briefwechsel. Vgl. Fischer, Briefwechsel. Frisch hatte Leibniz außerdem für einige Zeit Russischunterricht gegeben. Vgl. Wippel, Leben, S. 16. 56 Ebd., S. 10. 57 Ebd., S. 8. Außerdem schreibt Wippel, daß Frisch mit denen, so einer anderen Religion zugethan waren, . . . entweder gar nicht oder doch sanftmüthig disputierte (ebd., S. 17). 58 Vgl. ebd., S. 3. 59 Frisch, Dictionnaire u. ders., Grund-Sätze.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
erschien. 60 Sein Können in der deutschen Poetik hatte er bereits im Jahre 1700 auf spielerische Art in einem deutschen Schultheaterstück über Die entdeckte und verworffene Unsauberkeit der falschen Dicht- und Reim-Kunst unter Beweis gestellt. 61 Unter dem Bodenburgschen Rektorat war für den Unterricht in den realistischen Disziplinen Geographie, Statik und Arithmetik hauptsächlich Frisch als zuständig. Auch seine naturkundlichen Interessen fanden am Berlinischen Gymnasium einen unmittelbaren Niederschlag. Daß er bei einigen seiner Schüler einen ausgesprochenen Sinn für angewandte Wissenschaften weckte, zeigt das Beispiel des späteren Berliner Propstes und Oberkonsistorialrats Johann Peter Süßmilch (1707–1767), der als einer der Begründer der modernen Demographie gelten kann. 62 In das Rektorat rückte Frisch erst im Alter von 61 Jahren auf. Deshalb wurde ihm von Beginn an als Adjunctus und Prorektor Joachim Christoph Bodenburg (1690–1759) an die Seite gestellt. Dieser hatte bei seinem älteren Bruder und bei Frisch das Berlinische Gymnasium besucht und danach an den Universitäten von Halle und Jena studiert. Am herkömmlichen Unterrichtssystem, das auf die Teilung von öffentlichen und Privatstunden basierte, änderte sich zunächst wenig. In den Privatstunden bot Konrektor Bodenburg, in dessen Person sich die bekannte Kombination von Pietismus und wissenschaftlicher Tätigkeit fortsetze, den Schülern Stoffe an, die zum Teil in den universitären Bereich hinüberreichten. 63 Natürlich konnte man aus der Sicht des 19. Jahrhunderts hier eine Überforderung der Schüler kritisieren. 64 Die ambitionierten Lehrangebote zeigen jedoch auch, daß es in der Berliner Residenz offensichtlich einen Bedarf nach wissenschaftlichen Fachstudien gegeben hat. Als Frisch im Jahre 1743 starb, rückte der jüngere Bodenburg in das Rektorenamt auf. Sein neuer Lehrplan, den er ein Jahr danach herausgab, berücksichtigte die neuen realistischen Disziplinen und die deutsche Muttersprache in einem Maße, wie dies zuvor nicht der Fall gewesen war. Im Religionsunterricht zog Bodenburg, der konfessionell einen 60 Näheres zur Einordnung des Wörterbuches in die lexikographischen Bestrebungen seit 1700 vgl. Powitz, Wörterbuch. 61 Das Stück wurde 1890 neu aufgelegt. Vgl. Fischer, Schulspiel. 62 Der Süßmilch-Biograph Förster stellte im Jahre 1768 fest, daß Frisch versucht habe, seine Schüler „ausser der üblichen Schulkenntniß auch zu einer Erkentniß der natürlichen Dinge, der Vögel, Insekten und Bäume, Thiere und Steine“ (ders., Nachricht, S. 11f.) zu bringen und dazu Exkursionen ins Berliner Umland unternahm. Vgl. auch Neugebauer, Süßmilch 1985, S. 40f. Näheres zu Süßmilch, der von der Wissenschaftsgeschichte erst am Ende des letzten Jahrhunderts wiederentdeckt wurde bei Neugebauer, Süßmilch 1985; ders., Süßmilch 1990 u. Süssmilch, Residenz. 63 Ein neuer Lehrplan scheint von Frisch nicht verabschiedet worden zu sein. Es liegen nur spezielle Lehrprogramme des Konrektors J. Chr. Bodenburg aus den Jahren 1730 und 1734 vor, die auch über die Inhalte des Privatunterrichts Auskunft geben. Vgl. Bodenburg, Entwurff u. ders., Nobili, S. 13–16. 64 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 206f.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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unionistischen Standpunkt vertrat, ein Lehrbuch seines Hallenser Lehrers Johann Anastasius Freylinghausen (1670–1739) heran. 65 Seine pietistische Grundhaltung hinderte Bodenburg jedoch nicht daran, am Berlinischen Gymnasium die Wolffsche Philosophie einzuführen. Offensichtlich ist Bodenburg bereits der neuen Generation von Theologen zuzuordnen, die sich verstärkt der zeitgenössischen Aufklärungsphilosophie zuwandten und damit den Übergang zur theologischen Aufklärung des späteren 18. Jahrhunderts mit vorbereiten halfen. 2. Die Rektoren des Cöllnischen Gymnasiums Über die Rektoren aus der Frühzeit des Cöllnischen Gymnasiums ist kaum etwas bekannt. Eine gewisse Berühmtheit erlangte Peter Hafftiz (um 1530–1601), der von 1577 bis 1580 Rektor war, als märkischer und Berliner Chronist. 66 Er stammte aus Jüterbog, hatte an der Frankfurter Landesuniversität studiert und die Konkordienformel unterzeichnet, was auf eine lutherisch-orthodoxe Einstellung schließen läßt. 67 Nachdem das Rektorenamt in den folgenden dreißig Jahren acht verschiedene Lehrer innehatten, lag es von 1612 bis 1674 in den Händen von nur zwei Schulmännern. Rektor Adam Romanus (gest. 1643), der von 1612 bis 1640 amtierte, wurde im Jahre 1641 Berliner Bürgermeister und Stadtrichter. Zu seinen Schülern zählte auch der spätere Frankfurter Rechtsgelehrte Johann Brunnemann. 68 Romanus von dem man annehmen muß, daß er juristisch vorgebildet war, hatte in Frankfurt neben Theologie vermutlich auch Jura studiert. Auch sein Nachfolger Samuel Müller (1610–1674) war ein Absolvent der Frankfurter Viadrina. Er hatte die märkische Landesuniversität allerdings zu einem Zeitpunkt besucht, als diese bereits stark von Reformierten dominiert war. Vermutlich resultierte daraus seine konfessionell gemäßigte Einstellung. Anders als seine Kollegen am Berlinischen Gymnasium hielt sich Müller in den späteren Konfessionskonflikten der sechziger Jahre zurück. 69 Über Müller ist außerdem bekannt, daß er an der philosophischen Fakultät in Rostock unter dem späteren kurfürstlichen Rat und Bildungsreformer Johann Raue immatrikuliert wurde. 70 65 In einer Schulfeier zum brandenburgischen Reformationsjubiläum von 1739 äußerte sich Bodenburg explizit gegen die unglückselige und niemals genug zu beklagende Trennung unter den Protestanten (zit. nach Delius, Unionsversuche, S. 96). 66 Näheres bei Ribbe, Hafftiz. Die Behauptung Ribbes, daß Hafftiz bis 1589 Rektor gewesen sei, trifft allerdings nicht zu. Die Gründe für sein schnelles Ausscheiden sind nicht bekannt. 67 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 975 u. Holtze, Berolinensien, S. 6. 68 Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 104. 69 Ein entspanntes Verhältnis zu den Refomierten legt auch ein Epicedium nahe, daß der spätere Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann Vorstius im Jahre 1674 für den verstorbenen Müller verfaßt hat. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 459. 70 Vgl. Küster, Memorabilia, S. 14f.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Ob die Begegnung mit diesem engagierten Vertreter der realistischen Pädagogik den späteren Cöllnischen Rektor geprägt hat, ist schwer zu sagen. Da für das Cöllnische Gymnasium aus der Zeit vor 1675 nur wenige Schulschriften überliefert sind, bleibt die Unterrichtspraxis seiner Zeit weitgehend im Dunkeln. 71 Erst seit der Zeit Johannes Bödikers (1641–1695), der im Jahre 1673 von Müller als Konrektor an das Cöllnische Gymnasium geholt worden war und nach dessen Tode im Jahre 1675 das Cöllnische Rektorat übernahm, fließen die Quellen reichlicher. 72 Schon als Konrektor hatte Bödiker mit der Verzeichnung der neu aufgenommenen Schüler in besonderen Matrikeln begonnen. Als Rektor veröffentlichte er regelmäßig Schulschriften, in denen er über die abgehaltenen Deklamationen und Disputationen informierte und zu den öffentlichen Schulactus einlud. Außerdem gab er die alten Cöllnischen Schulgesetze neu heraus. 73 Bödiker, der das Profil des Cöllnischen Gymnasiums im gesamten letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bestimmen sollte, stammte aus Pommern und hatte unter seinem Vorgänger Müller zehn Jahre lang das Cöllnische Gymnasium besucht. Nach seiner überdurchschnittlich langen Schulzeit ging er zum Studium der Philosophie und Theologie nach Jena. Weil er aus einfachen Verhältnissen stammte, konnte er nicht länger als drei Jahre studieren, was ihm jedoch aufgrund seiner guten wissenschaftlichen Vorbildung keinerlei Probleme bereitete. Als seine wichtigsten Lehrer nennt Bödiker später Erhard Weigel, welchen ich als meinen Lehr-Herrn ehermals mit schuldiger Ehr-Erbietung und Verwunderung gehöret 74, sowie den Historiker Johann Andreas Bose. Bödikers ausgesprochenes Interesse an der deutschen Sprache ist auf den Einfluß der Jenaer Frühaufklärung zurückzuführen. Unter den Berliner Gelehrtenschullehrern war der rhetorisch außerordentlich begabte Bödiker sicherlich der produktivste Gelegenheitsdichter. Noack führt über zweihundert Leichenreden und andere Gelegenheitsschriften auf, die Bödiker zum größten Teil in deutsch abgefaßt hat. 75 Von seinen Schülern ließ Bödiker mehrsprachige Theaterstücke mit deutschen Passagen aufführen, in denen er patriotische Themen verarbeitet hatte. 76 Ausdruck seiner reformpädagogischen Bemühungen um die Muttersprachlichkeit ist vor allem Bödikers wissenschaftliches Hauptwerk, die Grund-Sätze der Deutschen Sprachen im Reden und Schreiben, das im Jahre 1690 erschien und die „verbreitetste deutsche
71 Aus dem Rektorat von Müller sind nur wenige gedruckte Disputationen zu metaphysischen Fragen überliefert, die zugleich die ältesten erhaltenen Schulschriften des Cöllnischen Gymnasiums bilden. Vgl. Müller, Disputationum. 72 Zu Bödiker vgl. Küster, Memorabilia, S. 15ff.; Küster/Müller, Berlin, S. 975f. und insbesondere Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 31–64. 73 Vgl. Gilow, Schülermatrikel u. ders., Leges. 74 Bödiker, Bericht. Vgl. auch Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 31. 75 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 39–64. 76 Vgl. Bödiker, Rhein.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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Grammatik ihrer Zeit“ 77 wurde. Neben seinem sprachlichen und historischen Interesse war Bödiker auch den angewandten Wissenschaften gegenüber offen, was seine Abhandlung über Kometen oder auch Redeübungen seiner Schüler über rechts- und politikgeschichtliche sowie physikalische oder medizinische Themen belegen. Daß Bödiker vom aufkommenden Pietismus erfaßt worden wäre, ist seinen Veröffentlichungen nicht zu entnehmen. Anders als sein langjähriger Kollege am Cöllnischen Gymnasium, Georg Grabow (1637–1707), trat Bödiker nicht mit frömmigkeitstheologischen Abhandlungen an die Öffentlichkeit. Grabow wirkte seit 1666 als erster Pietist an einem Berliner Gymnasium, bis er im Jahre 1684 von Spener, der zu diesem Zeitpunkt noch in Frankfurt/M. wirkte, als Rektor an ein dortiges Gymnasium geholt wurde. Seine theologischen Abhandlungen der Berliner Zeit, darunter auch polemische Schriften gegen die Schulkomödien, werden zum Schriftgut des frühen Pietismus gezählt. 78 Mit Christian Rotaridis (1660er-1723) gelangte im Jahre 1696 ein anderer langjähriger Kollege Bödikers ins Rektorenamt, der bereits seit 1683 als Sub- und Konrektors am Cöllnischen Gymnasium beschäftigt war. 79 Wie bereits dargestellt, hatte der Cöllnische Rat dessen Berufung gegen den ausdrücklichen kurfürstlichen Willen durchgesetzt. 80 Wie Bödiker war auch Rotaridis ein Schüler des Cöllnischen Gymnasiums gewesen. Ursprünglich stammte er aus Ungarn, von wo aus er als Protestant vertrieben worden war. Nach zwei Berliner Schuljahren ging er 1676 zum Studium nach Leipzig. Im Jahre 1684 trat er die Nachfolge von Grabow im Konrektorenamt an. Da August Hermann Francke erst in diesem Jahr nach Leipzig gekommen war, hat Rotaridis mit ihm und der dortigen jungen pietistischen Bewegung keinen Kontakt haben können. Anders als bei seinem unterlegenen Konkurrenten um das Rektorenamt, Gottfried Starck, ist bei Rotaridis weder eine pietistische Prägung noch das Bemühen um eine Unterrichtsreform erkennbar. Angesichts der dürftigen Quellenlage lassen sich nur wenig Aussagen über seinen Unterricht treffen. Die Themen der abgehaltenen Disputationen und Deklamationen zeigen allerdings deutlich, daß Rotaridis an theologischer Scholastik und metaphysischer Philosophie festhielt. Die Ferne zu Berliner pietistischen Kreisen zeigt sich insbesondere daran, daß sich der Cöllnische Rektor nicht an den gemeinsamen Bemühungen seiner Berliner Kollegen Lange, Bodenburg und Frisch um die Abfassung neuer Lehrbücher beteiligte. Dies überließ Rotaridis ganz seinem Konrektor Christian Rubin (1668–1727), der seit 1709 am Cöllnischen Gymnasium angestellt war und nach Rotaridis’ Tod 77 Frank, Geschichte, S. 85. Zum Werk und seinen Überarbeitungen durch die späteren Berlinischen Rektoren Frisch und Wippel vgl. Diedrichs, Bödikers Grund-Sätze. 78 Näheres zu Grabow vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 165–173. 79 Zu Rotaridis vgl. Küster, Memorabilia, S. 17f.; Küster/Müller, Berlin, S. 976f. und Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 392–397. 80 Vgl. oben, Abschnitt C. II. 2.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
im Jahre 1723 ins Rektorat aufrückte. 81 Unter ihm hielt der Pietismus am Cöllnischen Gymnasium endgültig Einzug. Wie seine beiden Vorgänger war auch Rubin ein Schüler des Cöllnischen Gymnasiums gewesen, hier jedoch in besonderer Weise durch Grabow, von dem er als ein Kind geliebet wurde 82, geprägt worden. Grabow hatte Rubin sogar mit nach Frankfurt a. M. genommen, von wo aus Rubin 1686 zum Studium nach Leipzig ging. Drei Jahre lang studierte er hier Philosophie und Theologie zeitgleich mit Francke und den anderen späteren Berliner Lehrern Lange, Starck und Wartenberg. Daß der Grabow-Schüler Rubin den Kontakt zum Franckeschen Kreis suchte und an dessen Collegium Philobiblicum teilnahm, in dem sich die jungen Theologiestudenten um eine existentielle Bibelauslegung bemühten, ist zwar quellenmäßig nicht belegt, jedoch wahrscheinlich. Dann kehrte er nach Kurbrandenburg zurück und nahm, ungeachtet er gute Canzel-Gaben hatte 83, in Ruppin ein Rektorenamt an. Als Konrektor das Cöllnischen Gymnasium gehörte Rubin dem Kreis pietistischer Lehrer an, welcher die Zufaellige(n) Anmerckungen von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehoerigen Sachen herausgab. Außerdem wirkte Rubin an der Edition einer neuen lateinischen Grammatik mit. In welchem Maße sich der Lehrplan des Cöllnischen Gymnasiums nach seiner Übernahme des Rektorats veränderte, bleibt leider ein Forschungsdesiderat. Entsprechend der strengen Linie seines Ziehvaters Grabow war er bereits als Konrektor für die Abschaffung der Schulkomödien eingetreten. 84 Die von Rubin angezeigten Disputationen und Deklamationen zeigen eine große thematische Bandbreite vor allem historischer und politischer Themen. 85 Theologisch-dogmatische oder philosophische Gegenstände rückten unter Rubin dagegen in den Hintergrund. Da Rubin bereits nach vier Amtsjahren verstarb, wurde der vormalige Konrektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Friedrich Bake (1686–1742), im Jahre 1728 als Rektor an das Cöllnische Gymnasium berufen. 86 Bake, der aus Wittstock stammte, hatte von 1705 bis 1709 nicht nur in Jena und Helmstedt, sondern als erster der Cöllnischen Rektoren auch an der neuen Landesuniversität in Halle studiert. Danach wurde er Rektor in Neuruppin und kam schließlich 1719 als Konrektor an das Friedrichswerdersche Gymnasium nach Berlin. Schulschriften sind von ihm nur aus der Zeit am dortigen Gymnasium erhalten. Hierin
81 Vgl. Küster, Memorabilia, S. 19 u. Küster/Müller, Berlin, S. 977. Rubins Vokation von 1723 befindet sich im LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6138, Bl. 5. 82 Küster/Müller, Berlin, S. 977. 83 Ebd. 84 Näheres dazu vgl. unten, Abschnitt F. I. 2. 85 Am Ende seiner Memorabilia gibt Küster, der unter Bake Konrektor war, die Themen der durchgeführten Redeübungen und Disputationen an. 86 Näheres zu Bake bei Biedermann, Acta, Bd. 3, S. 409f. u. Küster/Müller, Berlin, S. 977. Bakes Vokation von 1727 befindet sich im LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6138, Bl. 7.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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befürwortete Bake die Benutzung des Spenerschen Katechismus, was ihn eindeutig als pietistischen Theologen und Lehrer kennzeichnet. Außerdem bot er dort privatim Unterricht in Geschichte und Geographie an. 87 Sein Unterrichtsprofil am Cöllnischen Gymnasiums bleibt dagegen weitgehend im Dunkeln. 88 Mit Christian Tobias Damm (1699–1778) kam im Jahre 1742 ein Lehrer in das Rektorenamt, welcher bereits der Aufklärungstheologe zugeordnet werden kann. 89 Damm stammte aus Leipzig und war am Halleschen Waisenhaus erzogen worden. Nach seinem Studium an der Hallenser Universität und einer Bildungsreise in die Niederlande hatte er seit 1724 in Halle als Präzeptor im Waisenhaus gearbeitet. Seine hallische Prägung ging somit noch auf Francke selbst zurück. Der Cöllnische Propst Reinbeck, dem er persönlich bekannt war, holte ihn im Jahre 1730 als Konrektor an das Cöllnische Gymnasium. Damms Interesse lag insbesondere beim Griechischen und der antiken Mythologie, wozu er mehrere Schulbücher veröffentlichte. 90 Johann Joachim Winckelmann soll im Jahre 1735 vor allem deshalb nach Berlin gekommen sei, um bei Damm sein Griechisch zu vervollkommnen. 91 Auch am Unterricht in der deutschen Sprache lag Damm viel. 92 Im Jahre seines Amtsantritts brachte Damm einen neuen Lehrplan heraus, der in den oberen Klassen nicht nur Unterricht in deutscher Poesie und Französisch, sondern auch die Lektüre deutscher Zeitschriften mit dem Ziel politischer und geographischer Bildung umfaßte. 93 Zwei Jahre später begann er damit, die alten Cöllnischen Schulgesetze neu zu überarbeiten. 94 Daß er seinen Schülern den Wolffianismus näherbringen wollte, beweist eine Sammlung der Logischen, Metaphysischen, und Moralischen deutschen Schriften des seligen Herrn von Wolf 95, 87 Bake, In Felicem, o. S. In zwei anderen Schulschriften stellte Bake die ältesten historischen Nachrichten vom Friedrichswerderschen Gymnasium zusammen. Vgl. Bake, Ad Audiendas u. ders. Gedächtniß-Tag. 88 Auch Bakes eigene Notizen im sogenannten Album Coloniense geben über die Lehrplanentwicklungen der Jahre zwischen 1728 und 1742 wenig Auskunft. 89 Zu Damm vgl. Biedermann, Acta, Bd. 3, S. 410–413; Küster/Müller, Berlin, S. 977; Adelung/Rotermund, Fortsetzung, Bd. 1, Sp. 612–614 u. Schmidt, Geschichte, S. 24f. 90 Im Jahre 1731 gab er das Comenianische Griechisch-Deutsche Vestibulum heraus. Außerdem beschäftigte sich Damm viel mit Homer. Seine Einleitung in die Mythologie der Griechen und Römer wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein neu aufgelegt. Vgl. Damm, Wörterbuch; ders., Krieg; ders., Lexicon u. ders., Einleitung. 91 Vgl. Paulsen, Geschichte, S. 615. 92 Mit dem expliziten Ziel, die deutsche Sprache zu verbessern, hatte Damm bereits im Jahre 1731 eine Cicero-Rede in deutsch veröffentlicht. Im Jahre 1768 brachte er die griechische und lateinische Götterlehre in deutscher Sprache heraus. (Vgl. Damm, Rede u. ders., Einleitung). 93 Eine Photokopie dieses Plans aus dem Landesarchiv Berlin befindet sich bei Racho, Geschichte, Anl. 8, leider ohne eine genaue Quellenangabe. 94 Im Album Coloniense befinden sich Abschriften der Schulgesetze mit entsprechenden Randnotizen (LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 1ff.).
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
die Damm im Jahre 1764 für den Schulgebrauch zusammenstellte. Vor allem seine späteren historisch-kritischen Schriften zeigen, daß Damm ein stark von der Aufklärung beeinflußter Theologe war. 96 Mit dieser Geisteshaltung scheint der Lehrer von Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn jedoch bei einem großen Teil der residenzstädtischen Bevölkerung auf ein starkes Mißtrauen gestoßen zu sein. Nachdem er wegen seiner Übersetzung des Neuen Testaments im Jahre 1764 unter Sozinianismus-Verdacht geraten war, wurde er auf offener Straße von Berliner Bürgern angefeindet. 97 Das Ausbleiben von neuen Schülern habe Damm nach dem Zeugnis Nicolais so sehr verdrossen, „daß er zu seinen Kollegen sagte, das Gymnasium solle ganz eingehen [und] sich auch dem Unterricht in demselben entzog“ 98. Ob Damm 1764 tatsächlich entlassen wurde, ist quellenmäßig nicht belegt. 99 Sicher ist, daß er 1767 im Zusammenhang der Fusion mit dem Berlinischen Gymnasium mit vollen Bezügen pensioniert wurde. 100 Mit seinem Ausscheiden hatte die mehr als zweihundertjährige eigenständige Geschichte des Cöllnischen Gymnasiums ihr vorläufiges Ende gefunden. 3. Die Rektoren des Joachimsthalschen Gymnasiums Der erste Rektor an der neu in Berlin eingerichteten Fürstenschule war Ernst Wulstorp (1595–1665). Er stammte aus dem benachbarten Zerbst und war zuvor Direktor an der Johannisschule, einer dem Zerbster Gymnasium Illustre vorgeschalteten Trivialschule, gewesen. 101 Studiert hatte der Anhalter an der Frankfurter Viadrina, unter anderem bei Johann Bergius. Gleich zu seinem Dienstantritt im Jahre 1653 legte der neue Rektor einen eigenen Lehrplan vor. 102 Interessanterweise wurde Wulstorp jedoch schon fünf Jahre später wegen angeblicher Nachlässigkeit im Amte von den Schulvorstehern beim Kurfürsten verklagt und daraufhin entlassen. 103 Die Akten lassen allerdings vermuten, daß nicht fehlendes Engagement, sondern Unstimmigkeiten konfessioneller Art zur Amtsenthebung von Wulstorp geführt haben. So hatte sich der Rektor zuvor darüber beschwert, daß die lutherischen Schüler vom neu eingesetzen Visitator Kunsch zur Teilnahme am reformierten Religionsunterricht gezwungen worden wären. 104 Wegen der in 95
Damm, Erklärungen. Vgl. Damm, Testament; ders., Betrachtungen u. ders., Glauben. 97 Vgl. Schmidt, Geschichte, S. 24. 98 Nicolai, Beschreibung, S. 738. Vgl. auch Adelung/Rotermund, Fortsetzung, Bd. 2, Sp. 613. 99 Vgl. Adelung/Rotermund, Fortsetzung, Bd. 2, Sp. 613. 100 Heidemann, Geschichte, S. 225. 101 Vgl. Münnich, Geschichte, S. 43. Zu Wulstorp vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 63; Beckmann, Nachrichten, Bl. 376; Küster/Müller, Berlin, S. 921 u. Fritze, Verzeichnis, S. 3. 102 BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 51f. Vgl. auch Wetzel, Geschichte, S. 258. 103 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 257. 96
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der Kirchen angestalten Catechisation seien – so Wulstorp in einer anderen Beschwerde – die Lutheraner, Adel und Unadel, davongegangen. Es sei nunmehr schon so weit gekommen, daß man die Schüler bey der Reformirten Schulen zur frequentation bitten müßte. 105 Wulstorps irenische Position in konfessionellen Fragen war den Mitgliedern des Schuldirektoriums offensichtlich nicht genehm. Auch Beckmann meinte, daß Wulstorp seinem Amte mit Fleiß vorgestanden habe, er jedoch ein freimütiger Mann gewesen sei, der sich in Schulsachen nicht gern vorschreiben ließ und seine widerwärtige gehabt habe, welchen er endlich hat weichen müssen 106. Als sich auch der Konrektor gegen ihn stellte, mußte Wulstorp im Konflikt mit dem Hofprediger Kunsch den Kürzeren ziehen. Der im Februar 1658 wegen Alters, Krankheit und Unvermögenheit 107 verabschiedete Wulstorp starb wenige Jahre später. Sein verbesserter Lehrplan von 1657 sollte jedoch in seinen wesentlichen Bestandteilen am Joachimsthalschen Gymnasium bis 1707 Gültigkeit behalten. Als Nachfolger Wulstorps wurde im Jahre 1659 der Holsteiner Johann Vorstius (1623–1676) nach Berlin berufen. 108 Dieser war erst kurz zuvor zum reformierten Glauben übergetreten, hatte deshalb einen Ruf nach Helmstedt ausgeschlagen und sein Rektorat in Flensburg niedergelegt. Insofern bekam das Joachimsthalsche Gymnasium mit Vorstius einen besonders eifrigen und bewußten Reformierten zum Rektor. Vorstius war am Hamburger Johanneum Schüler des berühmten Mathematikers und Naturforschers Joachim Jungius (1587–1657) gewesen, den man von Wittenberg aus als Kryptocalvinisten anfeindete. Küster berichtet, daß Vorstius nach seinem Studium in Wittenberg, Helmstedt und Jena in die Niederlande gereist sei und dabei in Emden, Groningen, Utrecht und Leiden viele gelehrte Leute kennengelernt habe. 109 Diese Kontakte mit dem westeuropäischen Calvinismus brachten wohl die entscheidenden Anstöße für seinen späteren Wechsel zum reformierten Bekenntnis. Vom orthodoxen Luthertum hatte er sich bereits während seines Studiums in Helmstedt und Jena
104 Die Catechisatio in der kirchen sei ohne des Rektors gäntzlich vorwissen angestellet worden, auch seien nicht alleine seine Schüler, so doch schon zu verschiedenen mahlen zum Tisch des Herren und gutes theils lutherisch gewesen und nicht mehr Catechumeni sein, sondern Er auch selber die Catechisation mit anzuhören gezwungen worden. (Schreiben von Wulstorp an das Joachimsthalsche Schuldirektorium vom 27. Mai 1657, BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 4). 105 Schreiben Wulstorps an das Schuldirektorium vom 22. November 1657. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 49. 106 Beckmann, Nachrichten, Bl. 376 u. ders., Historie, S. 369. Vgl. auch Küster/Müller, Berlin, S. 921. 107 Zit. nach Wetzel, Geschichte, S. 257. 108 Zu Vorstius oder Vorst vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 450–461. Vgl. auch BLHA, Rep. 32, Nr. 65 u. Beckmann, Nachrichten, Bl. 377. 109 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 921.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
entfernt. 110 Anders als sein Vorgänger Wulstorp vertrat der Konvertit Vorstius einen streng reformierten Standpunkt. Er verteidigte die reformierte Position so engagiert, daß man ihn später als Lutheranorum flagellum, also „Lutheranerpeitsche“, bezeichnet hat. 111 Die Tatsache, daß er neben den Hofpredigern Stosch und Kunsch Teilnehmer der Berliner Religionsgespräche von 1662/63 war, beweist Vorstius’ wichtige Stellung unter den reformierten Theologen der Berliner Residenz. Bei den Verhandlungen saß er seinem ehemaligen Wittenberger Kommilitonen Martin Lubath d. Ä. gegenüber, der als Berlinischer Rektor und Prediger oben Erwähnung fand. Während seiner Berliner Zeit trat Vorstius mit einer Vielzahl von Schriften hervor, was ihm in der gelehrten Welt den Ruf eines polyhistors einbrachte. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß Kurfürst Friedrich Wilhelm solch einen vielseitig gebildeten Mann mit der Betreuung der kurfürstlichen Bibliothek beauftragte. 112 Auch mehrere seiner Nachfolger hatten später die Funktion eines kurfürstlichen Bibliothekars inne. Wissenschaftlich tat sich Vorstius mit Beiträgen zur deutschen Sprachforschung hervor. Als Rektor führte er wieder öffentliche Disputationsübungen zu philosophischen Themen durch, was von Kurfürst Friedrich Wilhelm positiv aufgenommen wurde. 113 Da von Vorstius kaum Schulprogramme herausgegeben wurden, bleiben die Gegenstände der von ihm verantworteten Disputationen weitgehend unbekannt. Nach einem vierjährigen Interim übernahm im Jahre 1680 Johann Gerlach Wilhelmi (1636–1688) das Rektorat der Fürstenschule. 114 Wie seine Vorgänger war auch Wilhelmi kein Märker, sondern stammte aus Hessen-Marburg. Er hatte in Heidelberg, dem Zentrum des deutschen Calvinismus, studiert und war fünfzehn Jahre lang Rektor am dortigen Pädagogium gewesen. Insofern war er stark vom westdeutschen Calvinismus geprägt. Über seine Zeit als Rektor ist wenig bekannt. Leider sind seine Schulprogrammschriften, von denen er jährlich mehrere veröffentlichte, nicht erhalten. 115 Zusammen mit dem Konrektor Vechner unterrichtete Wilhelmi in den oberen Klassen nicht nur alte Sprachen, sondern gab seit dem Tode des Hofpredigers Kunsch im Jahre 1681 auch den Theologieunterricht. 116 Sein besonderes Interesse lag offensichtlich auch beim Geschichtsunterricht, für den er ein umfangreiches Lehrbuch in mehreren Teilen veröffentlichte. 117
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Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 452f. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 923 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 455. 112 Über seine nicht nur positiv eingeschätzte Tätigkeit als Bibliothekar vgl. Tautz, Bibliothekare, S. 44–52. 113 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 262. 114 Zu Wilhelmi vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 486–493. Vgl. auch BLHA, Rep. 32, Nr. 64 u. Beckmann, Nachrichten, Bl. 379. 115 Ein Verzeichnis der Programme findet sich bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 381. 116 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 262. 117 Wilhelmi, Historia. 111
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Nach Wilhelmis Tod rückte im Jahre 1688 Gersom Vechner (1629–1708), der bereits seit 1654 am Joachimsthalschen Gymnasium unterrichtete, in das Rektorenamt auf. 118 Er war ein gebürtiger Schlesier und hatte das Beuthener Gymnasium besucht, wo sein Vater Theologieprofessor gewesen war. 119 Danach ging er wie viele andere Schlesier nach Frankfurt a. O. und studierte hier seit 1648 vor allem Theologie. Sein Studium fällt somit in eine Zeit, als der oben erwähnte Visitator des Joachimsthalschen Gymnasiums, Georg Frank, an der Viadrina lehrte. 120 Direkt von Frankfurt aus kam Vechner als Konrektor an die Fürstenschule, wo er bald mit dem konfessionell gemäßigt eingestellten Wulstorp in Konflikt geriet. 121 An den Berliner Religionsgesprächen von 1662/63 nahm er mehrmals in Vertretung des damaligen Rektors Vorstius teil. Die von Vechner verfaßten Casualia zeigen seine Verbundenheit mit angesehenen Persönlichkeiten der Berliner Residenz. Mit wissenschaftlichen oder pädagogischen Veröffentlichungen trat Vechner allerdings nicht hervor. Unter seinem Rektorat erschienen wieder regelmäßige Lektionskataloge, die detailliert Auskunft über die durchgeführten Redeübungen und die konkreten Unterrichtsgegenstände gaben. 122 Das Rektorat hatte Vechner bis zum Jubiläum von 1707 inne, bei dem der fast achtzigjährige die Festrede hielt und zugleich seinen Abschied nahm. 123 Mit seinem Nachfolger Paul Volckmann (1669–1721) trat der Vertreter einer neuen Generation das Rektorenamt an. 124 Dieser gehörte einer Gruppe von reformierten Theologen an, die von Bremen aus in die Mark Brandenburg gekommen waren. 125 In den Jahren von 1687 bis 1693 hatte er am Bremer Gymnasium Illustre unter anderem bei dem Coccejaner de Hase studiert, der dem reformierten Pietismus zugeordnet wird. 126 Nach seinem Studium, wo er nicht nur theologische,
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Zu Vechner vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 437–440. Vgl. auch BLHA, Rep. 32, Nr. 65 u. Beckmann, Nachrichten, Bl. 382. 119 Vgl. Wollgast, Jurisprudenz. 120 Vgl. oben, Abschnitt C. III. 5. 121 Wulstorp beschwerte sich am 22. November 1657 bei Schuldirektorium über seinen Konrektor, daß dieser sich in seine Vollmachten als Rektor einmische und ihm Schüler der Prima weggenommen habe. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 45f. 122 Möglicherweise ging die Initiative für die Herausgabe dieser Schulschriften auch auf den neuen Konrektor Posth zurück, der seit 1689 am Joachimsthalschen Gymnasium tätig war. Darauf läßt der Zeitpunkt ihres Erscheinens und die Tatsache, daß die Lektionskataloge anonym erschienen, schließen. Vgl. Gymnasmata Lectionum; Syllabus Lectionum; Semestria Aestiva u. Gymnasii Electoralis. 123 In dieser Rede gibt Vechner einen kurzen Abriß der Schulgeschichte. Vgl. Vechner, Oratio. 124 Zu Volckmann vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 493–500. Vgl. auch BLHA, Rep. 32, Nr. 67 u. Beckmann, Nachrichten, Bl. 386ff. 125 Näheres dazu vgl. unten, Abschnitt D. II. 3. 126 Vgl. oben, Abschnitt B. II. 1.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
sondern auch juristische Vorlesungen gehört hatte, wurde er im Jahre 1694 als Rektor an die neugestiftete Friedrichsschule von Frankfurt a. O. berufen. Parallel zu seinem Schulamt besuchte er die dortige Universität und legte hier den Magister ab. Im Zusammenhang der Zweihundert-Jahr-Feier der Viadrina erlangte Volckmann 1706 unter dem Vorsitz des Frankfurter Theologieprofessors Samuel Strimesius sogar den theologischen Doktorgrad. Zuvor hatte er fünf Jahre lang ein Pfarramt in Crossen innegehabt. Weil das predigen ihm etwas mühsam fiel 127 und er eine Veränderung wünschte, ging er im Jahr darauf an das Joachimsthalsche Gymnasium. So begegnet hier erstmals jemand, der aus dem Pfarramt in das Lehramt wechselte. Mit Volckmanns Amtsantritt im Jubiläumsjahr 1707 traten am Joachimsthalschen Gymansium neue Statuten und ein neuer Lehrplan in Kraft. 128 Die hier enthaltenen strukturellen und inhaltlichen Änderungen hatten Daniel Ernst Jablonski und Johann Christoph Beckmann maßgeblich mitbestimmt. Wie an anderer Stelle genauer dargestellt werden soll, führte Volckmann die hier angelegten Neuerungen, welche vor allem die Stellung der Realien und die deutsche Muttersprache betrafen, weiter. Im Jahre 1714 wurde der Lehrplan erneut verändert. 129 Anders als sein Vorgänger gehörte der neue Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums dem engeren Zirkel der Berliner Frühaufklärer an. Im Jahre 1710 wurde er zum anwesenden Mitglied der Sozietät der Wissenschaften berufen. Außerdem hatte Volckmann den Titel eines königlichen Bibliothekars inne. Nicht nur durch ihre wissenschaftliche Arbeit in der Akademie, sondern auch in theologischer Hinsicht standen sich Jablonski und Volckmann nahe: beide vertraten in der Prädestinationsfrage einen unorthodoxen Standpunkt. 130 Volckmann hatte diese Prägung vermutlich schon aus Bremen mitgebracht. Unter dem Einfluß von Strimesius, der ein ausgesprochener Verfechter des Gnadenuniversalismus war, mag sich diese Haltung weiter verfestigt haben. Mit dem Ziel, dem Universalismus, „welcher damals noch einige Widersacher in Berlin hatte“ 131, in der Mark endgültig zum Durchbruch zu verhelfen, verfaßte Volckmann im Jahre 1712 seine Theses theologicae. Dieses dogmatische Lehrbuch, das ihm als Grundlage für seinen propädeutischen Theologieunterricht diente, stieß insbesondere bei einem seiner Kollegen, dem Adjunctus Barckhusen, auf Widerstand und löste den „märkischen Prädestinationsstreit“ aus. 132 Nach einem erbitterten
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Beckmann, Nachrichten, Bl. 386. Der neue Lektionsplan von 1707 befindet sich im GStA PK, I. HA, Rep. 60, 2. Bl. 34. Vgl. auch Wetzel, Geschichte, S. 266–269. 129 Der gedruckte Lektionskatalog von 1714 findet sich bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 647. 130 Über die Stellung des Hofpredigers Jablonski zur Prädestination vgl. Braun, Jablonski, S. 105. 131 Hering, Beiträge Bd. 2, S. 174. 128
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Schriftenstreit zwischen Volckmann und Barckhusen, der ebenfalls in Frankfurt a. O. studiert hatte, erging noch im Jahre 1713 das königliche Verbot, am Joachimsthalschen Gymnasium eine die Prädestinationslehre und damit den Kern der reformierten Lehre relativierende Anschauung zu lehren. 133 Dem Rektor wurde vielmehr die Benutzung eines herkömmlichen partikularistisch-orthodoxen Lehrbuches aufgetragen. 134 Auch wenn Volckmann seine liberale Position zunächst nicht durchsetzen konnte, hatte sich unter seinem Rektorat ein deutlicher Wechsel zu einem konfessionell gemäßigten Kurs vollzogen. Sein Kontrahent Barckhusen verließ zwei Jahre später das Joachimsthalsche Gymnasium und bekam das freigewordene Rektorat des Friedrichswerderschen Gymnasium. Die Zusammenarbeit mit den lutherischen Kollegen der anderen Berliner Gelehrtenschulen stellte für den Joachimsthalschen Rektor kein Problem dar. So gehörte er der Gruppe von Lehrern an, welche gemeinsame Grammatiken und Lehrbücher für die Mark erarbeiteten. 135 Im Jahre 1722 kam erstmals ein Rektor an das Joachimsthalsche Gymnasium, der nicht aus einem fremden Territorium, sondern aus Brandenburg-Preußen stammte. Jacob Elsner (1692–1750) war in Saalfeld/Preußen geboren und hatte als einziger der Joachimsthalschen Lehrer an der Königsberger Universität Philosophie, Kirchengeschichte und orientalische Sprachen studiert. 136 Bei einem der dortigen reformierten Hofprediger nahm er außerdem Unterricht in Theologie und jüdischen Altertümern. 137 Später gab er als Konrektor an der Königsberger reformierten Schule sowohl lutherischen als auch reformierten Studenten collegia privata in linguis und antiquitatibus 138. Außerdem predigte er häufig auf dem Königsberger Schloß. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß Elsner im Jahre 1717 unter dem praedicat eines Prorectoris die Freiheit, nach Holland zu reisen 139, bekam. Vier Jahre lang hielt er sich an den Universitäten Leiden und Utrecht auf und
132 Genaue Darstellung des Streites bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 23ff u. 497f. Vgl. auch Beckmann, Nachrichten, Bl. 386f. Zu Barckhusen vgl. außerdem Bautz, Barckhausen. 133 Dies geschah im Oktober 1713, also bereits unter König Friedrich Wilhelm I. Vgl. Hering, Beiträge Bd. 2, S. 174. 134 Dabei handelte es sich um das Theologische Kompendium von Johannes Wolleb (1586–1629): Compendium theologiae christianae. Basel 1626. Vgl. auch unten, Abschnitt E. II. 1. 135 Näheres dazu vgl. unten, E. I. 3. 136 Näheres zu Elsner vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 68; Beckmann, Nachrichten, Bl. 389–395; Küster/Müller, Berlin, S. 921 u. Fritze, Verzeichnis, S. 3. 137 Hierbei handelte es sich um Jacob Thomson (1675–1732), der durch sein Studium in Uetrecht, Leiden und Oxford geprägt worden war und vor seiner Hofpredigertätigkeit der Königsberger reformierten Schule als Rektor vorgestanden hatte. 138 Beckmann, Nachrichten, Bl. 389. 139 Ebd.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
legte dort schließlich den Doktorgrad ab. Zu den Gelehrten, die er auf seiner Reise nach Holland traf, zählte auch der Bremer Coccejaner Friedrich Adolf Lampe, der als der wichtigste akademische Vertreter des reformierten Pietismus gilt. 140 Nach einem Jahr in Lingen, wo er am königlichen Gymnasium eine Professur angetreten hatte, wurde Elsner 1722 auf Empfehlung von La Croze, dem späteren Rektor des Französischen Gymnasiums, wegen seiner besondern vielen Wißenschaften und übrigen Geschicklichkeit 141 an das Joachimsthalsche Gymnasium berufen. Dies zeigt, daß Elsner früh mit Berliner Gelehrtenzirkeln in Verbindung stand. Schon 1722 wurde er zum anwesenden Mitglied der Sozietät berufen. Elsners gelehrte Ambitionen kamen auch darin zum Ausdruck, daß er als erster Joachimsthalscher Rektor damit begann, seine Einladungsschriften zu den öffentlichen Schulactus mit eigenen Abhandlungen über eine besondere materie 142 zu versehen. Wie bei seinen lutherischen Kollegen an den städtischen Schulen verband sich Elsners wissenschaftliches Interesse mit dem Bemühen um religiöse Erneuerung. Schon seine Einführungsrede trug den programmatischen Titel: Oratio inauguralis de eruditione cum pietate conjugenda. 143 Als Rektor hat sich Elsner nicht nur um die Verbesserung der Disziplin, sondern auch um eine Intensivierung des geistlichen Lebens an der Fürstenschule bemüht. Nach Beckmann erreichte unter seinem Rektorat die theologische Ausbildung ein so hohes Niveau, daß einige Schüler mit lob von dem Hochpreißl. Kirchen Directorio nach gehörigem examine als candidati erklähret worden, noch ehe sie eine academie besuchet 144. Wie viele Schüler dies tatsächlich betraf, ist nicht bekannt. Vermutlich handelte es sich jedoch nur um Einzelfälle. Daß das Joachimsthalsche Gymnasium grundsätzlich einen propädeutischen Status behielt, zeigt nicht zuletzt das 1731 eingerichtete Theologische Seminar der Fürstenschule, das explizit zur Vorbereitung und nicht als Ersatz eines Theologiestudiums dienen sollte. 145 Bei der Einrichtung des Seminars war Elsner schon nicht mehr im Amt. Er war vielmehr im Jahre 1729 in eine Predigerstelle an die reformierte Parochial-Kirche gewechselt. 146 Als Visitator blieb er dem Joachimsthalschen Gymnasium und seinem Theologischen Seminar jedoch weiterhin erhalten, ebenso in seiner Funktion 140
Vgl. oben, Abschnitt B. II. 1. Bestallungsurkunde vom 4. Februar 1722. BLHA, Rep. 32, Nr. 68, Bl. 34. 142 Beckmann, Nachrichten, Bl. 391. 143 Vgl. ebd., Bl. 393. 144 Ebd., Bl. 391. Dazu zählte auch der spätere Philosophieprofessor am Collège, Samuel Formey. 145 Reglement und Instruction für die Inspectores des Joachimsthalschen Gymnasii und Seminarii Theologici daselbst vom 16. Juli 1731. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 131, Sp. 251–260. 146 Schon vorher hatte Elsner, der ein sehr guter Prediger war, häufig vertretungshalber im Dom gepredigt und die damahls regierende Königin hörte ihn verschiedene mahl in ihrem zimmer. (Beckmann, Nachrichten, Bl. 392). 141
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als Kirchenrat des Reformierten Kirchendirektoriums, in die er 1741 gelangte. Bald darauf übernahm Elsner, der als Theologe und Geistlicher offensichtlich das besondere Vertrauen des Königs besaß, auch die information der königlichen Prinzen. 147 Nach 1729 lag das Rektorat des Joachimsthalschen Gymnasiums für mehr als vier Jahrzehnte in den Händen von Johann Philipp Heinius (1688–1775). 148 Heinius stammte aus Kassel. 149 Er hatte wie Volckmann am Bremer Gymnasium Illustre studiert, wo sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts durch die Coccejaner de Hase und Lampe eine Art reformierter Pietismus ausgebreitet hatte. Auf eine pietistische Neigung läßt Heinius’ anschließender Besuch der Hallenser Universität in den Jahren 1711/12 schließen. Als erster und einziger der Joachimsthalschen Rektoren war er damit in direkten Kontakt mit dem Hallischen Pietismus gekommen. Danach war Heinius als Konrektor und Professor antiquitatum sacrarum et historiae ecclesiasticae am Hallenser reformierten Gymnasium Ilustre beschäftigt. Schon 1717 war Heinius dem Vorsitzenden des Schuldirektoriums, von Printzen, durch den Bremer Professor Johannes Havighorst für das Konrektorenamt empfohlen worden. 150 Nachdem diese Berufung nicht zustande gekommen war, wurde Heinius Ende 1729 als Rektor nach Berlin berufen. Hier beteiligte er sich sogleich an der Einrichtung des neuen Theologischen Seminars. Am Joachimsthalschen Gymnasium sollte sein besonderes Interesse auf dem Gebiet der Kirchengeschichte liegen, was bereits seine Antrittsrede De insigni historiae ecclesiasticae utilitate in theologiam redundante deutlich zeigt. 151 In dem unter seinem Rektorat gültigen Lehrplan nahm dieses Fach neben dem dogmatischen Theologieunterricht einen selbstständigen Platz ein. 152 Daß Heinius’ Unterricht einen sehr „akademischen Charakter“ hatte und nur aus dem reinen Vortrag, ohne Wiederholungen durch die Schüler bestand, wird von Wetzel kritisch angemerkt. Offensichtlich versuchte man von Seiten des Joachimsthalschen Schuldirektoriums, dies zu verändern, blieb dabei jedoch ohne Erfolg. 153 Seit 1740 gab Heinius auf Befehl Friedrich Wilhelms II. ein öffentliches philosophisches Collegium in der Vernunfft-Lehre 154, das in deutscher Sprache am Joachimsthalschen Gymnasium angeboten werden sollte. Im regulären Unterricht hatte die 147
Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 391. Näheres Heinius, der auch unter den Namen Hein oder Heine bekannt war, im BLHA, Rep. 32, Nr. 69 u. bei Küster/Müller, Berlin, S. 925; Adelung/Rotermund, Fortsetzung, Bd. 2, Sp. 1872; Wetzel, Geschichte, S. 270ff. u. Fritze, Verzeichnis, S. 6. 149 Vgl. Adelung/Rotermund, Fortsetzung, Bd. 2, Sp. 1872 u. Fritze, Verzeichnis, S. 6. Küster gibt dagegen Schmalkalden als Geburtsort an. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 925. 150 BLHA, Rep. 32, Nr. 87, Bl. 7. 151 Vgl. Fritze, Verzeichnis, S. 6. 152 Daß die Kirchengeschichte nach Lampe gelesen wurde, ist einem Lehrplan aus der Zeit nach 1734 zu entnehmen. Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 573–578. 153 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 271. 148
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Wolffsche Philosophie bereits seit der Mitte der dreißiger Jahre Einzug gehalten. 155 Wie sein Vorgänger versah Heinius seine Schulprogramme mit kleinen pädagogischen, philologischen oder philosophischen Abhandlungen. Außerdem veröffentlichte er mehrere Artikel in den Denkschriften der Berliner Sozietät der Wissenschaften. 156 Sein wissenschaftliches Renommee hatte ihm 1732 den Eintritt in die erneuerte Berliner Akademie der Wissenschaften und 1744 den Vorsitz in der philosophischen Klasse verschafft. Fast dreißig Jahre lang bestimmte Heinius das Profil des Joachimsthalschen Gymnasiums, bis er schließlich im Jahre 1772 emeritiert wurde. 4. Die Rektoren des Friedrichswerderschen Gymnasiums In den ersten fünf Jahren seiner Existenz wechselte das Rektorat des Friedrichswerderschen Gymnasiums viermal. Die beiden ersten Rektoren, der Schweizer Gabriel Zollikofer (gest. 1722) und Lambertus Ellert, hatten als Friedrichswerdersche Prediger das Rektorat nur im Nebenamt inne. Ellert war außerdem als kurfürstlicher Bibliothekar angestellt. Dem dritten Rektor, Barthold Holtzfuß (1659–1716), gelang schon bald eine akademische Karriere an der Frankfurter Landesuniversität. Der ehemalige Schüler des Berlinischen Gymnasiums war nach seinem Studium in Frankfurt a. O. und Oxford zur reformierten Konfession übergetreten. Im märkischen Prädestinationsstreit bezog der spätere Theologieprofessor eine universalistische Position. Im Jahre 1684 gelangte mit Christoph Becherer (1659–1692) der erste Lutheraner an die Spitze der Friedrichswerderschen Schule. 157 Er stammte aus Spandau und hatte unter Bödiker, dessen Tochter er später heiratete, das Cöllnische Gymnasium besucht. Zum Studium war Becherer nach Jena gegangen, wo damals Weigel und Sagittarius lehrten. Inwieweit die Berührung mit der sächsischen Frühaufklärung sein Lehrprofil beeinflußte, muß offenbleiben, da aus seiner Zeit keine Lehrpläne oder andere gedruckten Schulschriften überliefert sind. Geichwohl ist bekannt, daß unter Becherer die ersten öffentlichen Redeübungen am Friedrichswerderschen Gymnasium stattfanden, das sich erst langsam seinen Platz unter den traditionellen Berliner Gelehrtenschulen erarbeiten mußte. Die ersten erhaltenen Schulschriften des Friedrichswerderschen Gymnasiums stammen aus der Zeit von Joachim Ernst Berger (1666–1734). 158 Berger, der von 1690 bis 1697 unter dem Titel eines Prorektors die Schule leitete, hatte zuvor ein 154
Biedermann, Acta, Bd. 1, S. 109. Vgl. unten, Abschnitt E. II. 5. 156 Vgl. Fritze, Verzeichnis, S. 6. 157 Zu Becherer vgl. Bake, Gedächtniß-Tag, o. S. u. Fischer, Pfarrerbuch, Bd. II, 1, S. 38. 158 Berger, Primitiae u. ders., Catalogus. Zu Berger vgl. Gedike, Geschichte, S. 14–16; Müller, Geschichte, S. 14–17 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 45–54. 155
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Jahr lang als Subrektor am Berlinischen Gymnasium unterrichtet. Er war in der Nähe von Angermünde geboren und wie sein Vorgänger ein Schüler des Cöllnischen Gymnasiums gewesen. Er studierte von 1686 bis 1688 in Leipzig, zur selben Zeit wie Francke und die Berliner Lehrer Starck und Rubin. Sein späterer Briefwechsel mit Francke legt die Vermutung nahe, daß sich beide in Leipzig begegnet sind. 159 Die Magisterprüfung legte Berger in Jena ab. Danach kehrte er nach Rostock zurück, wo er sein Studium begonnen hatte und lehrte hier an der philosophischen Fakultät. Da die dortige theologische Fakultät zu diesem Zeitpunkt stark orthodox geprägt war, hatte er es hier vor allem mit lutherischorthodoxen Theologen zu tun. Dem Pietismus stand Berger jedoch keineswegs ablehnend gegenüber. Vor allem seine späteren Schriften, die er als Prediger in der Friedrichsstadt herausgab, zeigen sein Bemühen um ein innerliches Christentum deutlich auf. 160 Außerdem empfahl er die Lektüre von Erbauungsschriften von Spener und Schade. 161 In der Zeit seines Rektorates hielt er allerdings am Gebrauch des herkömmlichen lutherisch-orthodoxen theologischen Kompendiums fest. 162 Die Wissenschaften spielten in Bergers Lehrplan für die Prima keine Rolle, Mathematik und realistische Fächer tauchten neben dem altsprachlichen Unterricht nicht auf. In den Redeübungen der Schüler kamen allerdings Themen zur europäischen Zeitgeschichte vor. 163 Im Jahre 1697 wechselte Berger, der bereits zwei Jahre zuvor zusätzlich zum Schulamt zum Ersten lutherischen Prediger in der Friedrichsstadt berufen worden war, ganz in das Pfarramt über. Als Friedrichsstädtischer Prediger verfaßte Berger nicht nur theologische Abhandlungen 164, sondern beschäftigte er sich auch mit stadtgeschichtlichen Fragen. 165 Dabei trat er mit dem 159
Drei Briefe an Francke aus den Jahren 1697/98 sind im Archiv der Franckeschen Stiftungen erhalten. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 53. 160 Dazu zählt insbesondere sein 1701 verfaßtes Katechismusbüchlein mit dem Titel: Der für Augen gemahlte Christus Jesus, das in der Folgezeit mehrmals neu aufgelegt wurde. 161 Vgl. Berger, Einleitung u. ders., Frauenzimmer-Bibliotheckgen. 162 Dabei handelte es sich um die Institutiones catecheticae des lutherischen Theologen Conrad Dieterich (1575–1639). Dies ist dem ältesten erhaltenen Lehrplan des Friedrichswerderschen Gymnasium zu entnehmen, den Berger 1693 unter dem Titel Catalogus Lectionum Publicarum Pro Primae Classis Auditoribus in Schola Fridericana veröffentlichte. Vgl. auch unten, Abschnitt E. II. 5. 163 Vgl. Berger, Primitiae, S. 85–87. Daß Berger realistischen Lehrinhalten keineswegs generell ablehnend gegenüberstand, beweist die Tatsache, daß er später in seinem Frauenzimmer-Bibliotheckgen die Benutzung der Geographie- und Geschichts-Lehrbücher von Johann Hübner (1668–1731), die erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine weitere Verbreitung gefunden hatten, empfahl. 164 Im Jahre 1701 veröffentlichte Berger einen eigenen Katechismus mit dem erbaulichen Titel Der für Augen gemahlte Christus, mit dessen Hilfe er Die heilige Erkäntnis Der Göttl. Wahrheit, Von Jesu Christo Zu einem kräfftigen Gottseligen Wesen befördern wollte. Berger, Augen, Vorrede o. S. 165 Als Manuskript liegt in der Berliner Staatsbibliothek vor: Kernn aller FridrichsStädtischen Begebenheiten oder Ausgestellete Nachricht von den führnehmsten und
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
hugenottischen Gelehrten und späteren Leiter des Französischen Gymnasiums, Mathurin Veyssière de la Croze, sowie mit dem Frankfurter Theologieprofessor Johann Christoph Beckmann in Kontakt. 166 Mit der Berliner Gelehrtengesellschaft im Umkreis der Berliner Sozietät blieb er gleichwohl nur lose assoziiert. Im Jahre 1698 trat der berühmte Pietist Joachim Lange (1670–1744) die Nachfolge Bergers an, der zu einer der zentralen Gestalten des Pietismus gezählt wird. 167 Wie oben dargestellt, wurde Lange auf Empfehlung von Spener an das Friedrichswerdersche Gymnasium berufen. Auch der Hof- und Kammergerichtsrat Freiherr von Canitz, der den Berliner Pietistenkreisen zugehörte und bei dem Lange Hauslehrer gewesen war, unterstützte diese Berufung. 168 Lange, der aus der Altmark stammte, hatte seit 1689 in Leipzig alte Sprachen und Theologie studiert und war dort in Kontakt mit Francke und der jungen pietistischen Bewegung gekommen. Er nahm nicht nur an dem Collegium Philobiblicum der Leipziger Theologen um Francke teil, sondern hatte auch auf Empfehlung seines älteren Bruders Nikolaus Lange (1659–1720) bei Francke selbst eine Unterkunft gefunden. Im Hause seines Professors Rechenberg hatte Lange außerdem die Möglichkeit gehabt, Spener persönlich kennenzulernen. 169 Auch mit Thomasius, dessen Kinder er unterrichtete, stand Lange in Verbindung. Nach der Vertreibung der Pietisten aus Leipzig ging Lange gemeinsam mit Francke nach Erfurt, Hamburg und gelangte schließlich nach Halle, wo er erneut auf Thomasius traf und den Magistergrad verliehen bekam. Interessanterweise lehnte Lange nach dem Abschluß seiner Universitätsstudien mehrfach Berufungen auf Pfarrstellen ab. 170 Entsprechend seines Grundsatzes, daß die Schule . . . die mater [sei] und die Kir-
merckwürdigsten Geschichten. die sich in der Friedrichs-Stadt zu Berlin . . . zugetragen haben (vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 54). 166 Zum Briefwechsel Bergers mit La Croze und Beckmann vgl. Noack/Splett, BerlinCölln 1688–1713, S. 50 u. 53. 167 Das Leben Langes ist bis heute weithin unerforscht (vgl. kurzer Forschungsüberblick bei Peters, Lärm, S. 114). Über seine Berliner Jahre gibt Lange in seiner Autobiographie von 1744 ausführlich Auskunft (Lange, Lebenslauf). Weitere autobiographische Angaben finden sich in der Vorrede des von Lange neu herausgegebenen Spenerschen Lebenslaufes von Canstein und in Langes lateinischer Grammatik (Canstein, Muster u. Lange, Grammatica). Zu Lange vgl. außerdem Küster/Müller, Berlin, S. 987f.; Jöcher, Gelehrten-Lexicon, T. 2, Sp. 2248–2251 u. Schmitt, Lange. Über Langes Bedeutung für die Philosophiegeschichte vgl. Wundt, Schulphilosophie, S. 75–82. Eine erste ausführlichere Würdigung von Lange als „ein anderes Gesicht der Aufklärung“ hat unlängst Kühnel im Zusammenhang einer Textdokumentation vorgelegt. Zur genauen Datierung des Amtsantritts von Lange vgl. Schreiben Langes an den Friedrichswerderschen Magistrat vom 2. Dezember 1697. Vgl. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, Bl. 12. 168 Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 56. Näheres zu Canitz bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 106–112. 169 Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 17. 170 Vgl. Kühnel, Lange, S. 12.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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che die filia 171, sah Lange nicht im Pfarr-, sondern im Lehrberuf seine besondere Aufgabe. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Berlin als Privatlehrer im Hause Canitz wurde er zunächst an die Schule von Cöslin berufen, von wo aus er 1698 nach Berlin zurückkehrte. Seine Hoffnung bestand vor allem darin, daß er alle Jahre aus [seiner] Zucht etliche nach Halle werde schicken können 172. Nach eigener Aussage fand Lange das Friedrichswerdersche Gymnasium in einem gar schlechten Stande 173 vor. Bereits 1698 gab er deshalb einen neuen Lehrplan und Schulgesetze heraus. 174 Wie oben dargestellt, gelang es Lange tatsächlich, das Friedrichswerdersche Gymnasium in seiner Amtszeit zu seiner ersten Blüte zu führen, und dies, obwohl er seit 1701 außerdem zweiter lutherischer Prediger in der Friedrichsstadt war. Um Lange, der einen Ruf an die theologische Fakultät in Halle erhalten hatte, am Gymnasium zu halten, war er im Jahr zuvor als erster Lutheraner zum Rektor erhoben worden. Der Zulauf an Schüler wuchs unter Lange stetig an. Nach wenigen Jahren war allein die Anzahl der meist schon wohlerwachsenen Personen 175, welche die Prima besuchten, auf fast einhundert angewachsen. Offensichtlich fand sein Lehrangebot vor allem bei fortgeschrittenen Schülern einen großen Anklang. Als erster der Berliner Rektoren führte Lange Speners Tabulae Catecheticae im Religionsunterricht ein. Wichtig war ihm außerdem die biblische Lektüre anhand des griechischen und hebräischen Urtextes, die er stark exegetisch ausrichtete. Primäres Ziel war ihm die Gründung oder Bevestigung des lebendigen und durch die Liebe thätigen Glaubens 176. Nach Langes eigener Einschätzung wählten die meisten seiner ehemaligen Schüler tatsächlich das Theologiestudium und gingen sie gemeiniglich alle nach Halle. 177 Dies mag nicht zuletzt ein Ergebnis dessen gewesen zu sein, daß Lange regelmäßig zu einer besonderen, auf die Erbauung gerichtete ascetische Lection 178, einlud. Die hier veranstalteten Frömmigkeitsübungen, die Lange privat bei sich zu Hause abhielt und zu denen sich auch einige Theologiestudenten und Pfarramtskandidaten einfanden, zählen zu den wenigen dokumentierten studentischen Konventikeln in
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Lange, Lebenslauf, S. 71. Vgl. Brief Langes an Francke vom 23. Oktober 1697 aus dem Francke-Nachlaß in der Staatsbibliothek zu Berlin (Signatur: StB, K 13,2: 9). Zit. nach Mentzel, Kirche, S. 115. 173 Lange, Lebenslauf, S. 58. 174 Der Lehrplan und die Schulgesetze für die Prima mit dem Titel Catalogus Lectionum publicarum cum docendi Methodo ac legibus scholasticis pro primi ordinis discipulis in Gymnasio Fridericiano ist leider verschollen. Sein Inhalt kann nur aus der Sekundärliteratur erschlossen werden (Gedike, Geschichte S. 26–30). 175 Lange, Lebenslauf, S. 59. 176 Lange, Grammatica, S. 38. 177 Lange, Lebenslauf, S. 62. 178 Ebd., S. 61. Dies betraf vor allem die Alumnen, die bis 1709 durch den Friedrichswerderschen Rat unterhalten wurden. 172
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Berlin. Insbesondere nach dem Tode von Schade und Spener müssen sie für die weitere Ausbreitung des Pietismus in der Residenzstadt bedeutsam gewesen sein. Langes Ruf als hervorragender Pädagoge beruhte jedoch auch auf seinem altsprachlichen Unterricht. Berühmtheit erlangte seine lateinische Grammatik, die, denaktuellen reformpädagogischenKonzeptenentsprechend, in vereinfachter Form von der Muttersprache her in das Lateinische einführte. 179 Außerdem gab er Anthologien klassischer Autoren heraus. Ungeachtet seiner pietistischen Prägung plädierte Lange dafür, im altsprachlichen Unterricht keinesfalls auf die ‚heidnischen‘ Autoren zugunsten der christlichen zu verzichten. Seine ablehnende Haltung zu Schulkomödien, wie überhaupt gegenüber jeder Art von galanter Bildung, ist allerdings belegt. 180 Für seinen Philosophieunterricht verfaßte Lange ein neues Lehrbuch, die Medicina mentis, welches vor allem für künftige Theologen gedacht war. Die Philosophie wurde darin in außergewöhnlich starker Weise im Rahmen des Religiösen behandelt. 181 Obgleich Lange mit der hier vertretenen Kritik an der aristotelischen Scholastik und Metaphysik der Frühaufklärung nahestand, lehnte er zugleich jegliche Tendenzen zur Mathematisierung der Welt, wie sie die neue philosophische Richtung des Cartesianismus zeigte, grundsätzlich ab. 182 Anders als bei seinen Kollegen Bodenburg und Frisch spielten die realen Wissenschaften in Langes Unterricht kaum eine Rolle. Den Schwerpunkt seiner Lehre legte er vielmehr auf die Ausbildung einer praxisbezogenen Rede- und Ausdrucksfähigkeit der Schüler. Dies schloß die deutsche Oratorie und Stilübungen unbedingt mit ein. Beim Unterricht in der Oratorie galt für Lange der generelle Grundsatz, daß die Rede immer an den Gegenstand gebunden sein müsse. 183 Die Themen der Redeübungen und Disputationen blieben allerdings weitgehend auf theologische Fragestellungen beschränkt, wie der Aufklärungspädagoge Gedike später bedauernd feststellt. 184 Langes Lehrprofil blieb somit primär auf die Zwecke eines späteren Prediger- oder Lehrerberufes hin ausgerichtet, durch welche die pietistische „Reform des Lebens“ vorangebracht werden sollte. Nach dem Vorbild Franckes beförderte Lange bei seinen Schülern auch pädagogische 179 Die Grammatik, die Lange ursprünglich für seine eigenen Söhne verfaßt hatte, erschien erstmals 1703 unter dem Titel Verbesserte und erleichterte lateinische Grammatica und erreichte bereits zu Langes Lebzeiten sechsundzwanzig Auflagen. Außerdem wurde sie in mehrere Sprachen, darunter auch ins Französische, übersetzt. Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 175. 180 Dramatische Aufzüge sind nichts nütze, ja höchst schädlich, meint Lange in der Vorrede seiner lateinischen Grammatik. Vgl. Lange, Grammatica, S. 30. 181 Vgl. Wundt, Schulphilosophie, S. 82. 182 Auf die Rolle Langes als Gegner von Wolffs mechanistisch-deterministischer Philosophie wurde bereits an anderer Stelle eingegangen. Vgl. oben, Abschnitt B. III. 2. 183 Vgl. Lange, Grammatica, S. 41. 184 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 20. Leider sind die von Lange herausgegebenen Schulprogramme mit den genauen Themenstellungen nicht erhalten.
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Kenntnisse, indem er die Fortgeschrittenen mit dem Unterricht für die Anfänger betraute. Anderen, die als Scholaren in der Stadt Privatunterricht gaben, gab er nützliche Regeln und Anweisungen weiter, die er selbst in Leipzig bei Francke gelernt hatte. 185 Bis zu seiner Berufung als Professor für Dogmatik und Exegese an die Universität in Halle im Jahre 1709 pflegte Lange einen intensiven Kontakt zu den pietistischen Kreisen der Berliner Residenz. Trotz seines wissenschaftlichen Formats hielt er sich allerdings von den Protagonisten der Berliner Frühaufklärung im Umkreis der Sozietät der Wissenschaften eher fern. 186 Ob dies ausschließlich auf seine theologisch begründete Ablehnung der neuen Philosophie zurückgeführt werden kann, bedarf noch weiterer Forschungen. 187 Den konfessionellen Bestimmungen entsprechend, mußte nach dem Abgang Langes ein Reformierter zum neuen Schulleiter gewählt werden. Dabei fiel die Wahl auf Heinrich Meierotto (1671–1717), der unter Paul Volckmann an der Friedrichsschule in Frankfurt a. O. tätig gewesen war. 188 Wie sein damaliger Rektor stammte auch Meierotto aus Bremen. Beide kannten sich durch ihre gemeinsame Studienzeit am dortigen Gymnasium Illustre. Daß auch Meierotto in den Jahren seines Theologiestudiums von dem in Bremen vorherrschenden Coccejanismus und reformierten Pietismus geprägt wurde, ist anzunehmen. Die engen Verbindungen zum Bremer Gymnasium illustre zeigen sich auch daran, daß man Meierotto im Jahre 1706 in Bremen zum Professor für Beredsamkeit und Geschichte berufen wollte. Er verblieb jedoch bis 1709 in Frankfurt a. O., wo er inzwischen zum Rektor aufgestiegen war. Am Friedrichswerderschen Gymnasium war Meierotto nur drei Jahre tätig, bis ihn Volckmann an das Joachimsthalsche Gymnasium holte. Gedike konnte in einem von Meierotto herausgegebenen Lehrplan, der leider nicht erhalten ist, wenig Änderungen erkennen. Negativ merkt er jedoch an, daß die mittelalterliche Kirchengeschichte viel zu genau betrieben wurde und die Themen der Disputationsübungen „feinste Spitzfindigkeiten der Dogmatik“ 189 beinhalteten. Genau dies dürfte jedoch nicht im Sinne Langes gewesen sein. So verwundert es nicht, daß unter Meierotto die Schülerzahlen wieder zurückgingen.
185
Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 65 u. 68. Möglicherweise können hier weitere Quellenstudien neuen Aufschluß geben. Auf eine lockere Verbindung zum reformierten Hofprediger Jablonski lassen beispielsweise einige erhaltene Briefe desselben an ihn schließen. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 213. 187 Im späteren Schriftenstreit mit Wolff wird deutlich, daß Lange auch der Leibnizschen Philosophie, von der sich nach Langes Ansicht die Wolffsche Philosophie systematisch ableitete, kritisch gegenüberstand. Vgl. Bianco, Freiheit, S. 115f. 188 Näheres zu Meierotto bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 2297–300. 189 Gedike, Geschichte, S. 39. 186
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Daran änderte auch nichts, daß mit Andreas Julius Dornmeyer (1675–1717) ein Hallenser Absolvent und lutherischer Pietist am Friedrichswerderschen Gymnasium verblieben war. 190 Noch 1708 war es Lange und den Berliner Pietisten gelungen, den Schüler von Christoph Cellarius und Franz Buddeus als Konrektor an die Schule zu holen. 191 Dornmeyer war in Halle Mitglied eines Collegium elegantioris litteraturae gewesen, in dem junge Gelehrte zielgerichtet für Schulämter in den brandenburgisch-preußischen Gebieten vorbereitet wurden. 192 Anders als seine reformierten Rektoren, unter denen Dornmeyer bis zu seinem Tode als Konrektor tätig war, schloß er sich dem Kreis der Berliner Lehrer an, die sich um vereinheitlichte Lehrbücher bemühten und publizistisch an die Öffentlichkeit traten. Er verfaßte selbst mehrere Schulbücher, darunter ein Lexikon mit den wichtigsten lateinischen Phrasen, das viele Neuauflagen erlebte. 193 Die engen Verbindungen unter den pietistischen Berliner Lehrern zeigt sich daran, daß seine Witwe später den Rektor des Berlinischen Gymnasiums, Bodenburg, heiratete. Nach Meierottos Abgang im Jahre 1713 hatte sich Dornmeyer als Lutheraner berechtigte Hoffnungen auf das Rektorenamt gemacht. Ihm wurde jedoch, entgegen der seit 1704 gültigen königlichen Verordnung, mit Dietrich Siegfried Claessen (1685–1743) ein Reformierter vorgezogen. 194 Insofern verwundert es nicht, daß das Verhältnis zwischen beiden ein gespanntes war. Dies tat dem Gymnasium, dessen Ruf bereits durch ein vorangegangenes Interim Schaden genommen hatte, vermutlich weiteren Abbruch. Claessen stammte aus Frankfurt a. O., wo er auch studiert hatte. Sein Vater war Rektor der dortigen Friedrichsschule gewesen und auch er selbst nahm dort zunächst eine Lehrerstelle an. Dies bildete den Grund dafür, daß Dornmeyer in seinem Ärger über Claessens Berufung schrieb, man solle aus einem ansehnlichen Gymnasio nicht eine Francfurter Klipp-Schule machen. 195 Diese Befürchtung muß allerdings unbegründet gewesen zu sein, da Claessen nicht zuletzt durch sein weiteres Studium in Leiden eine gründliche akademische Ausbildung genossen hatte. Bei seinem Amtsantritt am Friedrichswerderschen Gymnasium verabschiedete Claessen einen neuen Lehrplan, dessen Inhalt uns ebenfalls nur durch Gedike überliefert ist. 196 Hiernach wurden in der Prima exegetische und systematische Theologie als auch Kirchengeschichte ausführlich behandelt. In der Sekunda und Tertia, die zu einer Klasse
190
Näheres bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 132–138. Zur Korrespondenz zwischen Dornmeyer und Buddeus vgl. Stupperich, Leben. 192 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 132. 193 Dornmeyer, Lexikon. 194 Näheres zu Claessen bei Gedike, Geschichte, S. 40–43; Müller, Geschichte, S. 29–33; Thadden, Hofprediger, S. 210f. 195 So Dornmeyer in einem Brief an einen ungenannten Hofrat. Zit. nach Müller, Geschichte, S. 29. 196 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 42f. 191
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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vereint waren, taucht nun auch Historie und Geographie auf. Mathematik fand weiterhin keine Berücksichtigung. Lange blieb dieser Plan jedoch nicht in Geltung, da Claessen schon nach zwei Jahren sein Amt zugunsten einer Predigerstelle in der Friedrichsstadt ganz aufgab. Bald darauf wurde er zum Berliner Hof- und Domprediger ernannt. Danach schlug er eine akademische Karriere ein, promovierte und erlangte zunächst an der Frankfurter Viadrina und später in Herborn eine Theologieprofessur. Als Nachfolger Claessens kam im Jahre 1715 der oben erwähnte Conrad Heinrich Barckhusen in das Friedrichswerdersche Rektorenamt. 197 Den gebürtigen Westfalen hatte sein Studium an der Frankfurter Viadrina nach BrandenburgPreußen geführt. Dort hatte er neben der philosophischen und theologischen auch die juristische Fakultät besucht. Am Joachimsthalschen Gymnasium lehrte er sechs Jahre lang als Adjunctus vor allem Recht, Historie und Ethik, bis er aufgrund der geschilderten theologischen Differenzen mit seinem Rektor Volckmann die Fürstenschule verlassen mußte und das Rektorat am Friedrichswerderschen Gymnasium übernahm. 198 Über die Schwerpunkte seines Unterrichts ist wenig bekannt. Die erhaltenen Schulschriften aus der Zeit seines Rektorates stammen sämtlich von seinen Konrektoren Bake und Küster, welche den Unterricht in den Realien offensichtlich allein verantworteten. 199 Wissenschaftlich trat Barckhusen in den Jahren am Friedrichswerderschen Gymnasium ausschließlich mit theologischen Schriften hervor, mit denen er die ursprünglichen Lehren Calvins verteidigen wollte. In den siebzehn Jahren seines Rektorats gelang es Barckhusen nicht, den „eingeschlichnen Geist der Unordnung und Zwietracht“ 200 unter den Kollegen zu vertreiben. Auch die Disziplin der Schüler ließ zu wünschen übrig, wie ein Visitationsbericht von 1718 ergab. 201 Offensichtlich handelte es sich bei dem streng reformierten Partikularisten Barckhusen nicht um die geeignete Person, das gemischtkonfessionelle Schulkollegium erfolgreich zusammenzuführen. Von den Friedrichswerderschen Rektoren ist abschließend der bekannte märkische Historiograph Georg Gottfried Küster (1695–1776) anzuführen, der bereits seit 1728 Konrektor am Gymnasium gewesen war. 202 Wie oben dargestellt, hatte der Lutheraner Küster seine Berufung gegen den von Reformierten dominierten Berliner Magistrat bei König durchsetzen müssen. 203 Er sollte danach für mehr als 197
Zu Barckhusen vgl. ebd., S. 43–48 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 22–29. 198 Einzelheiten zum „märkischen Prädestinationsstreit“ bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 23–25. 199 Vgl. Bake, In Felicem, o. S. u. Küster, Memorabilia, S. 175. 200 Gedike, Geschichte, S. 44. 201 Vgl. auch oben , Abschnitt C. IV. 2. 202 Zu Küster vgl. Gedike, Geschichte, S. 48–57 u. Müller, Geschichte, S. 36–50. 203 Vgl. oben, Abschnitt C. IV. 2.
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vierzig Jahre, von 1732 bis zu seinem Tode, das Rektorenamt am Friedrichswerderschen Gymnasium innehaben. Küster, der in Halle geboren war, gehörte der jüngeren Generation Hallenser Absolventen an, die in Berlin wirksam wurden. Er hatte im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts an der ausschließlich mit Pietisten besetzten theologischen Fakultät seiner Heimatstadt studiert. Zu seinen akademischen Lehrern in Halle gehörte neben Joachim Lange auch Christian Thomasius, der ihn für das Studium der Rechtswissenschaft gewinnen wollte. 204 Trotzdem blieb Küster bei der Theologie. Nach einigen Jahren als Hofmeister wurde er Rektor in Tangermünde, von wo aus er 1723 als Konrektor ans Cöllnische Gymnasium gelangte. Als man ihm dort Bake als Rektor vorzog, wechselte er 1728 auf dessen Konrektoratsstelle am Friedrichswerderschen Gymnasium. Küsters Verbindungen zur Berliner Residenz stammten bereits aus seiner Zeit in Halle, wo er den Sohn des damaligen Cöllnischen Propstes Schnaderbach (1669–1716) unter seiner Obhut gehabt hatte. Wie bei den pietistischen Schulmännern der ersten Generation verband auch Küster seine pietistische Frömmigkeit mit einem ausgeprägten wissenschaftlichen Interesse. Dies verfolgte er auch als Mitglied der Berliner Sozietät der Wissenschaften, wo er mit seinem langjähriger Kollegen am Joachimsthalschen Gymnasium, Heinius, zusammentraf. Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Forschungen lag auf dem Gebiet der Historie. Wie es seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts generell üblich war, nutzte auch Küster die von ihm regelmäßig herausgegebenen Schulschriften zur Veröffentlichung eigener historischer Abhandlungen. 205 Seine „oft freilich zu sehr ins kleine gehenden“ 206 Arbeiten zählen gerade wegen ihres Materialreichtums zu den wichtigsten Quellen der Märkischen und vor allem der Berliner Geschichte. 207 Trotz Küsters wissenschaftlicher Aufgeschlossenheit änderte sich unter Küster am herkömmlichen Lehrplan nicht viel. 208 Wie oben dargestellt, geriet unter Küster das Friedrichswerdersche Gymnasium immer tiefer in die allgemeine Krise. 209 Erst unter seinem Nachfolger Gedike sollte das Lehrprofil der Schule den Bedürfnissen und Erwartungen der residenzstädtischen Bevölkerung wieder stärker angepaßt werden.
204
Vgl. Gedike, Geschichte, S. 49. Vgl. Küster, Memorabilia u. ders., Literatae. 206 Gedike, Geschichte, S. 49. 207 Dabei ist vor allem auf das mehrbändige stadtgeschichtliche Werk Altes und Neues Berlin zu verweisen, welches er zusammen mit Johann Christoph Müller herausgab. Äußerst wertvoll sind auch Küsters bibliographisch und literaturgeschichtlich angelegte Darstellungen (Küster, Bibliotheca u. ders., Litteratae). 208 Zum Lehrplan vgl. Gedike, Geschichte, S. 52f. 209 Vgl. oben, Abschnitt C. IV. 3. 205
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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5. Die Rektoren des Collège François Am Collège François gab es neben dem Amt des Directeurs das Amt des Principal oder Gymnasiarchen. Da beide Funktionen für das Französische Gymnasium wichtig waren, sollen im Folgenden die Inhaber beider Ämter vorgestellt werden. In den ersten Jahren war Jean Sperlette de Montgyon (1661–1725) in besonderem Maße für das Gymnasium prägend. 210 Er war 1689 als Philosophieprofessor an das neugegründete Collège berufen worden und hatte seit 1691 die leitende Funktion des Principal oder Gymnasiarchen inne. Sperlette stammte aus der Champagne und war ursprünglich Katholik. 211 Er hatte in Reims studiert und hier einen philosophischen Doktorgrad erlangt. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes ging Sperlette nach Holland. In Leiden begegnete ihm Friedrich Spanheim (1632–1701), der ein Bruder des brandenburgisch-preußischen Diplomaten und Gelehrten Ezechiel Spanheim war. Dieser soll ihn an seinen Bruder nach Berlin empfohlen haben. 212 Unter seinen Berliner Amtskollegen war Sperlette der erste Lehrer, der vor allem philosophisch und nicht theologisch vorgebildet war. Im Laufe seines Studiums in Frankreich und den Niederlanden war er ein eifriger Verfechter des Cartesianismus geworden. Von Leiden ist bekannt, daß dort seit den achtziger Jahren der Cartesianismus die vorherrschende philosophische Richtung war. In seinen Schriften nennt er selber unter anderem Clauberg als sein Vorbild. 213 Wie dieser war auch Sperlette ein Vertreter der „cartesianischen Scholastik“ 214, die eine Verbindung des Cartesianismus mit der herkömmlichen Schulphilosophie anstrebte. In Berlin war Sperlette der erste Gelehrtenschullehrer, der diese philosophische Richtung in seinem Unterricht vertrat und in den von ihm geleiteten Disputationen öffentlich vortragen ließ. 215 In seiner Physica Nova von 1694, die als „das am meisten cartesianische“ 216 unter seinen Büchern gilt, trug er die neue mechanische Naturlehre vor. Sperlettes Logik ist im wesentlichen eine Bearbeitung der jansenistischen Logik von Port Royal. 217 Dies brachte 210 Zu Sperlette vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 995; Erman, Mémoire, S. 86–89 u. Noack/ Splett, Brandenburg, S. 467–472. Seine Bedeutung für die Philosophiegeschichte behandeln Wundt, Schulphilosophie, S. 98–107 sowie Leinsle, Reformversuche, S. 113–126. 211 Auf die katholische Herkunft Sperlettes wies als erster Leinsle hin. Vgl. ders., Reformversuche, S. 113. 212 Noack hält diese Angaben, die auf Küster zurückgehen, für nicht seriös, da französische Quellen andere Angaben zu Sperlettes Lebenslauf machen. Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 467. 213 Vgl. Wundt, Schulphilosophie, S. 99. 214 Bohatec, Scholastik, S. 60. 215 Auskunft über die Gegenstände des Philosophieunterrichts von Sperlette geben zwei gedruckte Disputationsschriften, deren Besonderheit darin besteht, daß sie den ausformulierten Text der Disputation wiedergeben. Vgl. Collin, Disputatio u. Sperlette, Logicae. Zum Charakter der Disputationen vgl. oben, Abschnitt C. V. 1. 216 Wundt, Schulphilosophie, S. 101.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
ihm später den Ruf eines Plagiators ein. Außerdem verfaßte er eine Metaphysik und eine Moralphilosophie, in der das Christliche „in ausgesprochen reformierter Gestalt“ 218 hervortrat. Sämtliche Werke Sperlettes entstanden kurz vor bzw. nach seinem Wechsel an die Hallenser philosophische Fakultät, wohin er im Jahre 1695 berufen wurde. In seinen fünf Amtsjahren am Berliner Collège war Sperlette nicht nur durch seinen Philosophieunterricht, sondern auch organisatorisch prägend gewesen. Die erste Schulordnung des Französischen Gymnasiums, die auch Angaben zu den Unterrichtsinhalten enthielt, wurde im Jahre 1690 eingeführt. 219 Die Herausgeber, zu denen auch Sperlette gehört haben muß, hatten sich bei der Abfassung eng an die Schulgesetze des berühmten Collège von Sedan gehalten. 220 Möglicherweise ging der Vorschlag dafür auf Sperlette zurück, der die Sedaner Hugenottenschule als Jugendlicher sehr wahrscheinlich besucht hatte. Für die unteren Klassen war in Sedan der Unterricht nach der Nouvelle Méthode vorgesehen, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts in den Schulen von Port-Royal entwickelt worden war. 221 Auch dies läßt auf jansenistische Einflüsse bei Sperlette schließen. Daß das akademische Leben am Collège von der Berliner Gelehrtengesellschaft mit Interesse verfolgt wurde, beweist die Teilnahme solcher renommierter Personen wie Ezechiel Spanheim oder Friedrich Carl von Danckelmann, einem Bruder des Staatministers, an den von Sperlette veranstalteten öffentlichen Disputationen. Außerdem ließ sich der Oberhof- und Domprediger Jablonski von Sperlette privat in Physik unterweisen. 222 Nach dem Weggang Sperlettes ging das Amt des Principal an Jean Audouy (1659–1737), den Professor Eloquentia et Humaniorum prima classis 223, der seit 1690 am Französischen Gymnasium tätig war. 224 Mehr als vierzig Jahre sollte Audouy diese Funktion ausüben. Er stammte aus Saumur und hatte die 217
Vgl. ebd., S. 100. Ebd., S. 106. 219 Disciplina seu Leges Gymnasii Gallici à Serenissimo ac Potentissimo Electore Brandenburgico Friderico III. Berolini fundati & erecti die 12. Oct. anni 1689. Die Schulgesetze sind auch abgedruckt bei Küster/Müller, Berlin, S. 992–995; Schulze, Bericht, S. 11–15 u. Festschrift, S. 93–102 (hier teilweise mit einer deutschen Übersetzung). Nach Velder wurde die Schulordnung am 5. 2. 1690 vom Kurfürsten genehmigt (Velder, Anfänge, S. 16 u. ders., Gymnasium, S. 47). Schulze hatte die Ordnung dagegen auf 1691 datiert (Schulze, Bericht, S. 11). 220 Als Vorbildordnung muß eine spätere Bearbeitung der Disciplina, seu leges, item Distinctio Classium, et ordo lectionum Scholae Sedanensis von 1615 bzw. 1630 gedient haben. Genaueres zu dieser Ordnung bei Bourchenin, Étude, S. 163ff. 221 Näheres zum Jansenisten Claude Lancelot (1615–1695), der die Nouvelles méthodes entwickelte, bei Brockliss, Philosophieunterricht, S. 520ff. 222 Vgl. Dalton, Jablonski, S. 193. 223 So wird Audouy in seiner Ernennungsurkunde zum Prinzipal vom 24. Juli 1695 bezeichnet. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 81. 224 Zu Audouy vgl. Erman, Mémoire, S. 96f. 218
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dortige Hugenottenakademie besucht. 225 Am Collège unterrichtete Audouy vor allem Griechisch und Latein. Möglicherweise war er es, der im Jahre 1695 die Einführung der heute leider verlorenen Schülermatrikel veranlaßte. Im Nouveau Journal des Scavans, dressé à Berlin werden mehrere seiner Veröffentlichungen besprochen, die sämtlich auf altphilologischem Gebiet lagen. Neben seiner Arbeit am Collège unterrichtete Audouy später auch an der Berliner Ritterakademie in Humanioribus und Französisch. 226 Der bereits erwähnte Herausgeber dieser Rezensionszeitschrift, der Theologe und Philosoph Etienne Chauvin (1640–1725), war 1696 an das Collège berufen worden, um die vakante Philosophieprofessur zu übernehmen. 227 Chauvin, der aus Nîmes stammte und in Saumur Theologie studiert hatte, war zu diesem Zeitpunkt bereits ein berühmter Mann. Er war mehrere Jahre als Prediger in Frankreich tätig gewesen und hatte nach seiner Flucht in Rotterdam eine Anstellung am dortigen Gymnasium Illustre innegehabt. Zu seinen dortigen Kollegen zählte der skeptische Philosoph Pierre Bayle (1647–1706), der vor allem durch sein Dictionnaire historique et critique bekannt wurde. Auf Bayles Einfluß wird zurückgeführt, daß sich auch Chauvin der Lexikonarbeit zuwandte. 228 Im Jahre 1692 erschien sein Lexicon rationale sive thesaurus philosophicus, welches ganz aus der Perspektive des Cartesianismus geschrieben war, den Chauvin philosophisch vertrat. Auf die herausragende Bedeutung Chauvins für die Berliner Frühaufklärung wurde bereits hingewiesen. Er stand mit Leibniz in persönlichem Kontakt und wurde bereits im Jahre 1701 anwesendes Mitglied der Berliner Sozietät der Wissenschaften. 229 Wie sein Kollege Audouy blieb Chauvin, der bei seinem Amtsantritt schon sechsundfünfzig Jahre alt war, bis zu seinem Lebensende am Collège. Hier hatte er neben der Philosophieprofessur auch das Amt des Directeurs inne, welches durch den Weggang von Charles Ancillon, den Gründungsdirektor des Collège, freigeworden war. Auch bei seinen Nachfolgern sollten beide Ämter miteinander verbunden bleiben, was die besondere Stellung des Philosophieunterrichts am Collège verdeutlicht. Die Art der Aufgabenteilung zwischen Principal und Directeur ist aus den Quellen nicht genau zu erkennen. Vermutlich hatte Audouy die innere Schul- und Dienstaufsicht über die anderen Kollegen, während Chauvin, der seit seinem Dienstantritt zugleich Mitglied des Conseil des Inspecteurs war, die Interessen der Schule nach außen vertrat. 230 Die einmalige Situation, daß ein
225
Vgl. Schulze, Bericht, S. 8. Vgl. Notification, o. S. 227 Zu Chauvin vgl. Erman, Mémoire, S. 89f.; Velder, Gymnasium, S. 23–30 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713. S. 113–117. Seine publizistische Tätigkeit beleuchtet Othmer, Berlin, S. 29ff. 228 Vgl. Velder, Gymnasium, S. 23 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713. S. 113. 229 Beide führten in den neunziger Jahren einen Briefwechsel. Vgl. Leibniz, Briefwechsel, Bd. 13. 226
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Lehrer Sitz und Stimme, sowie periodisch sogar den Vorsitz in einem schulischen Aufsichtsgremium innehatte, mußte zwangsläufig zu Konflikten mit den übrigen Konzilsmitgliedern führen, zumal hier ein Vertreter der Frühaufklärung und eine stark orthodox geprägte Geistlichkeit zusammentrafen. Seiner angesehenen Stellung bei Hofe hatte es Chauvin zu verdanken, daß ihm diese starke Stellung im Inspektorenkonzil auch nach der administrativen Neuordnung von 1703 erhalten blieb. 231 Die von Chauvin in repräsentativem Rahmen durchgeführten philosophischen Disputationen im Athenaei Gallici Auditorio 232 zeugen deutlich vom wissenschaftlichen Ehrgeiz des Direktors des Französischen Gymnasiums. Wie bereits in der Zeit von Sperlette ist die Teilnahme namhafter Persönlichkeiten an den öffentlichen Examen bezeugt, darunter Paul von Fuchs und Johann Kasimir Kolb Graf von Wartenberg. 233 Allerdings sollte es Chauvin nicht gelingen, seine ambitionierten Pläne zum hochschulähnlichen Ausbau des Collège durchzusetzen. Der Einfluß Chauvins auf das Lehrprofil des Collège muß auch insofern relativiert werden, als der im Rahmen der Neuorganisation der Schule verabschiedete neue Lehrplan von drei anderen Mitgliedern des Inspektorenkollegiums erarbeitet wurde. 234 Im Unterschied zu den städtischen Schulen war der Einfluß der Direktoren des Französischen Gymnasiums auf die Lehrplangestaltung offensichtlich stärker eingeschränkt. Im Jahre 1725 trat Mathurin Veyssière La Croze (1661–1739) die Nachfolge Chauvins als Philosophieprofessor und Directeur am Collège an. 235 La Croze hatte neben seiner Tätigkeit als königlicher Bibliothekar bereits seit zwanzig Jahren im Umkreis des Collège Privatunterricht gegeben. 236 Außerdem war er Informator in der königlichen Familie gewesen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß er auf ausdrückliche Empfehlung der Königin Sophia Dorothea und König Friedrich Wilhelms in das Amt des Philosophieprofessors des Collège berufen wurde. 237 230 In seiner Geschichte der Niederlassung der Réfugiés schreibt Ancillon, daß an der Spitze der Schule der Direktor stehe, „der die Interessen des Gymnasiums vertritt und für die Ordnung zu sorgen hat“ (Ancillon, Geschichte, S. 39). 231 Vgl. Statuts du Collège (14. Mai 1703), abgedruckt bei Erman, Mémoire, S. 132–150. Im Artikel 8 des Statuts wurden Chauvin und Audouy Sitz und Stimme im Schulkonzil zugebilligt. Chauvin sollte wie die anderen Inspektoren turnusmäßig auch den Vorsitz haben. Vgl. ebd., S. 138. 232 So im Titel der ersten von Chauvin veröffentlichten Disputationsschrift von 1696. Vgl. Chauvin, Disputatio Prima. 233 Vgl. Chauvin, De Existentia u. ders., Exercitatio. 234 Dazu zählten Charles Duhan de Jandun (1685–1746), Beausobre und d’Ingenheim. Näheres dazu bei Schulze, Bericht, S. 25ff. u. Velder, Gymnasium, S. 74–77. 235 Zu La Croze vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 996f.; Erman, Mémoire, S. 92–94; Velder, Gymnasium, S. 56–61 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713. S. 227–236. 236 Nach Velder wirkte er seit 1704 “aushilfsweise und nebenamtlich“ innerhalb des Collèges (Velder, Gymnasium, S. 60.). Ein Quellenbeleg fehlt allerdings dazu. Zur Tätigkeit von La Croze als Bibliothekar vgl. Paunel, Staatsbibliothek, S. 26f.
I. Biographische Profile der wichtigsten Lehrer und Rektoren
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La Croze, in Nantes geboren und von Hause aus Katholik, hatte seine Bildung in mehreren Benediktinerklöstern Frankreichs erhalten, darunter in Saumur und im Kloster St.-German-du-Prés in Paris. Hier hatte er an einer großen KirchenväterAusgabe mitgearbeitet. Erst im Alter von fünfunddreißig Jahren war er zum reformierten Glauben übergetreten. Es handelt sich also in seinem Falle nicht um einen im französisch-reformierten Milieu geprägten Gelehrten. Von Basel aus, wohin er 1696 geflohen war, gelangte er ein Jahr später nach Berlin. Auch in seinem Falle waren es die Verbindungen Spanheims, die ihn als französischen Gelehrten in die brandenburgisch-preußische Hauptresidenz gebracht hatten. Hier bereicherte La Croze, für Harnack der „unzweifelhaft gelehrteste Mann, den Berlin damals besaß“ 238, in nicht unerheblichem Maße die Berliner Frühaufklärung. 239 Leibniz lernte La Croze im Jahre 1700 kennen. Im folgenden Jahr trat La Croze der neugegründeten Sozietät der Wissenschaften bei, von der er sich allerdings später wieder abwandte. 240 Enger verbunden blieb er mit seinem lutherischen Kollegen Frisch. 241 Auch mit Starck war er bekannt. 242 Daß La Croze nicht nur mit Berliner, sondern auch mit Hallenser Gelehrten einen wissenschaftlichen Austausch pflegte, beweist seine umfangreiche Korrespondenz, unter der sich auch einige Briefe an A. H. Francke und dessen Sohn befinden. 243 Zugleich stand La Croze mit führenden Philosophen der Aufklärung wie Pierre Bayle und Christian Wolff in Kontakt. Philosophisch vertrat er den Cartesianismus. Seinen Zeitgenossen galt der belesene Universalgelehrte La Croze als „wandelnde Bibliothek“ 244. Hauptfelder seiner wissenschaftlichen Tätigkeit waren neben der frühen Kirchen- und Missionsgeschichte die verschiedensten Philologien. 245 Außer den klassischen beherrschte er fast alle europäischen Sprachen und eine stattliche Anzahl orientalischer Sprachen. Aufgrund seiner enormen philologischen und theologischphilosophischen Bildung beherrschte er den gesamten Lehrplan des Collèges ohne Probleme. 246 237 Er wurde dem Mediziner Barthélemi Pascal (1687–1757) vorgezogen, der seit 1723 Inspecteur des Collège gewesen war. Erman, Mémoire, S. 93 u. Schulze, Bericht, S. 31. 238 Harnack, Leben, S. 173. 239 In seiner Untersuchung über die Übersetzung der Boccaccio-Parabel von den drei Ringen durch La Croze geht Mulsow aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive den Berliner Gelehrtennetzwerken nach. Vgl. auch Pott, Refuge. 240 Dies führt die Forschung auf persönliche Animositäten unter den Akademiemitgliedern zurück. Vgl. Brather, Leibniz, S. 321f. 241 Vgl. ebd., S. 300 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 228. 242 Starck ist einer der Korrespondenten, deren Briefwechsel mit La Croze in den Jahren nach 1742 veröffentlicht wurde. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713. S. 233f. 243 Vgl. ebd., S. 232–234. 244 Haase, Einführung, S. 396. 245 Als sein Hauptwerk gilt die Histoire du christianisme des Indes. Außerdem verfaßte La Croze eine Geschichte der Armenischen und Äthiopischen Kirchen und mehrere Wörterbücher.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Als letzter in der Reihe der prägenden Lehrer des Französischen Gymnasiums muß J. H. Samuel Formey (1711–1797) genannt werden. 247 Er trat im Jahre 1737 als Nachfolger Audouys das Amt des Prinzipal an. Als zwei Jahre später La Croze starb, wechselte er auf den Lehrstuhl für Philosophie über, der mit dem Amt des Directeurs verknüpft war. Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Berliner Gelehrtenschulwesens ist die Tatsache wichtig, daß es sich bei Formey um einen Lehrer und Theologen handelt, der an keiner Universität, sondern ausschließlich in Berlin ausgebildet worden war. Nach dem Zeugnis von Küster hatte Formey seit 1720 das Collège besucht und innerhalb von fünf Jahren alle Klassen durchlaufen. Darauf folgten zwei Jahre Philosophieunterricht bei La Croze. In Theologie ließ er sich von dem Joachimsthalschen Rektor Jacob Elsner unterweisen, bis er 1729 Kandidat des Predigtamtes wurde. 248 Daß Formey auch bei mehreren hugenottischen Predigern, darunter Lenfant und Beausobre, privatim Theologie gehört habe, berichtet Velder. 249 Im Jahre 1731 wurde Formey schließlich ordiniert und zum Pfarrer der französischen Gemeinde der Stadt Brandenburg berufen. Sein privates Theologiestudium muß demnach zwei bis vier Jahre gedauert haben. Neben Formey sind weitere Fälle von Theologen bekannt, die ihre Ausbildung ausschließlich in der Berliner Residenz erhalten haben. 250 Offensichtlich entsprach die Qualität der Ausbildung, wie sie die Berliner Gelehrtenschullehrer und hugenottischen Theologen anboten, den Bedürfnisse der französisch-reformierten Gemeinden in ausreichendem Maße. Auch in anderer Hinsicht ist Formeys Lebenslauf interessant: So gab er ein angesehenes Pfarramt – schon 1731 war er zur Friedrichsstädtischen Gemeinde in Berlin übergewechselt – zugunsten eines Lehramtes auf. Dazu mag ihn zum einen das besondere Renommee dieser Stelle bewogen haben. Zum anderen ermöglichte ihm das Amt des Philosophieprofessors, das ihm zeitlich viel Raum ließ, seinen wissenschaftli246
Nach Schulzes Einschätzung kann La Croze für die Stelle des Philosophen nicht geeignet gewesen zu sein. Er wäre auf diesem Gebiet „nicht sonderlich bewandert“ gewesen, weshalb sein Unterricht „alles andere als Unterricht in der Philosophie“ gewesen sei (Schulze, Bericht, S. 32). Auf welche Quellen er sein Urteil stützt, wird nicht deutlich. 247 Zu Formey vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 997f.; Erman, Mémoire, S. 94f.; Velder, Gymnasium, S. 100–106; Wenneker, Formey, Sp. 419–427. 248 Vgl. Küster, Berlin, S. 997. In seinem eigenen Lebenslauf erwähnt Formey seinen Unterricht bei Elsner nicht. Vgl. Formey, Notice, S. 104f. 249 Vgl. Velder, Gymnasium, S. 103. Leider fehlt hier ein Quellenbeleg. 250 Zu nennen ist hier vor allem der hugenottische Prediger und Philosoph Charles Etienne Jordan (1700–1745), der ebenfalls in den zwanziger Jahren privatim bei La Croze, Lenfant und Beausobre Theologie studierte. Vgl. Velder, Gymnasium, S. 94. Die Ausbildung der französisch-reformierten Prediger wurde erstmals im Jahre 1736 durch das Reglement betreffend die französischen Theologiestudenten und –kandidaten vom 13. November 1736 genauer geregelt (Mylius, CCM Bd. 6, Anhang Nr. 81, Sp. 617–624). Institutionalisiert wurde eine besondere Theologenausbildung für Hugenotten erst mit der Gründung des Séminaire de Théologie im Jahre 1770, das dem Collège eng angeschlossen war.
II. Das Profil der Lehrerschaft
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chen Neigungen in größerem Maße nachzugehen. 251 Aufgrund seiner vielfältigen philosophischen, theologischen und historischen Arbeiten erwarb er sich in der Folgezeit den Ruf eines Gelehrten von europäischem Rang. Am akademischen Leben der Berliner Residenz war er auf vielfältige Weise beteiligt, nicht zuletzt als langjähriger Sekretär der Sozietät der Wissenschaften, deren Mitglied er seit 1744 war. Philosophisch stand Formey Wolff nahe, dessen Werke er in kommentierter Form auf französisch herausgab und womit er wesentlich zur Verbreitung des Wolffianismus in Frankreich beitrug. 252 Im Jahre 1746 erschien sein Lehrbuch Elementa philosophiae Wolffianae. Der optimistischen Aufklärungsphilosophie eines Rousseau stand er jedoch – vor allem aus theologischen Erwägungen heraus – kritisch gegenüber. 253 Ein halbes Jahrhundert lang sollte Formey am Collège unterrichten und damit mehrere Generationen akademischen Nachwuchses prägen. Einer seiner wichtigsten Schüler war Jean-Pierre Erman, der durch seine von der Aufklärung beeinflußten Reformen als second fondateur in die Geschichte des Französische Gymnasiums eingegangen ist. 254
II. Das Profil der Lehrerschaft 1. Größe und Zusammensetzung der Lehrerkollegien An den fünf Berliner Gelehrtenschulen unterrichteten jeweils drei bis vier Lehrer in den oberen und ebensoviel in den unteren Klassen. Die Rangfolge zwischen den Superioribus und Inferioribus genannten Lehrern war genau festgelegt und nicht nur für die Höhe des Gehaltes entscheidend. Aus den Lehrplänen ist erkennbar, daß der Rektor vor allem die fortgeschrittenen Schüler der obersten Klasse in Theologie und philosophischen Disziplinen – vor allem in Logik – unterrichtete sowie Rede- und Disputationsübungen veranstaltete. Die Kon-, Sub- und Subkonrektoren hatten den Hauptteil des altsprachlichen Unterrichts abzuleisten, davon die Konrektoren vor allem in der Prima und Secunda, die Sub- und Subkonrektoren in den mittleren Klassen bis zur Secunda. Die Lehrer der unteren Klassen, Baccalauren und Schulkollegen genannt, legten die Grundlagen in Latein und gaben Katechismusunterricht. Der Kantor der zugehörigen Pfarrkirche, der ebenso zum Lehrerkollegium gehörte, unterwies die Schüler in Musik und Gesang und führte ebenfalls in den Katechismus ein. 255 Dazu konnte, wie am 251 Sein Philosophiekurs umfaßte nur vier Stunden wöchentlich zuzüglich einer Repetitionsstunde und einer Disputationsübung. Vgl. Schulze, Bericht, S. 32. 252 Wenneker, Formey, Sp. 420. 253 Im Jahre 1762 erschien sein Anti-Emile. Näheres dazu bei Velder, Gymnasium, S. 105. 254 Näheres dazu bei Velder, Gymnasium, S. 127–135. 255 Am Berlinischen Gymnasium gab es für jede der beiden Altberliner Stadtkirchen einen besonderen Kantor: den Cantor Nicolaitanus und den Cantor Marianus.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Joachimsthalschen Gymnasium, ein besonderer Schreib- und Rechenmeister oder Mathematicus kommen. Letzterer darf ebenso wie der Kantor zunächst als der einzige „Fachlehrer“ gelten, der für Bildungsinhalte jenseits des altsprachlichhumanistischen Zweiges zuständig war und zum Teil auch in den oberen Klassen unterrichtete. 256 An den städtischen Gelehrtenschulen gab es bis zu fünf untere Lehrer, was darauf verweist, daß an diesen Schulen der Unterricht in der Unterstufe einen besonders wichtigen Stellenwert einnahm. Am Joachimsthalschen Gymnasium unterrichteten dagegen nur drei Inferiores. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Schüler der Fürstenschule bereits sichere Grundkenntnisse in Latein mitzubringen hatten. Anders sah es in der Oberstufe aus. Nachdem das Joachimsthalsche Gymnasium zunächst wie das Cöllnische nur drei obere Lehrerstellen (Rektor, Konrektor und Subrektor) gehabt hatte, zog es im Jahre 1686 durch die Einrichtung einer Subkonrektorenstelle mit dem Berlinischen Gymnasium gleich. Zwanzig Jahre später wurde im Zusammenhang der Säkularfeier und des Schulneubaus das Joachimsthalschen Lehrerkollegium deutlich erweitert. Drei neue Hilfslehrer oder Adjuncti wurden eingestellt, aus denen sich in der Folgezeit die Stellen eines Professors Matheseos, eines Professors Historiarum sowie eines Professors Jus naturae und Jus civile entwickelten. 257 Nicht nur der Mathematikunterricht, sondern auch die anderen realistischen Disziplinen hatten damit eine deutliche Aufwertung erfahren. 1727 kam noch ein Lector Linguae Gallicae als elfter Lehrer dazu, der wie der Juraprofessor die Stellung eines Docentes extraordinarii innehatte. 258 Hinsichtlich seiner Größe und seines Profils nahm das Joachimsthalsche Gymnasium damit seit dem 18. Jahrhundert eine herausragende Stellung unter den Berliner Gymnasien ein. Den zweiten Platz hatte das Gymnasium zum Grauen Kloster mit neun Lehrerstellen inne, gefolgt vom Cöllnischen und Französischen Gymnasium mit jeweils sieben und von der Friedrichswerderschen Schule, die seit 1710 nur noch über sechs Lehrerstellen verfügte. Der Trend zur fachlichen Ausdifferenzierung, der sich seit der Jahrhundertwende am Joachimsthalschen Gymnasium deutlich abzeichnete, läßt sich auch am Collège der Hugenotten beobachten. Wie oben erwähnt, gab es unter dem Rektorat von Etienne Chauvin Bestrebungen, das Lehrerprofil des Collège um weitere Fachlehrer zu erweitern. Mit dem Ziel, der Oberstufe einen akademieähnlichen Charakter zu verleihen, wurden in den Jahren von 1699 bis 1705 neben dem Philosophieprofessor nicht nur ein Hebräischprofessor und ein maitre de musique, sondern kurzzeitig auch ein Mediziner am College angestellt. 259 Von einer „Organisationsstruktur nach Lehrstühlen“ 260 kann jedoch in dieser Zeit nicht die Rede 256 Ein autonomes Rechenmeisteramt hat es zuerst am Joachimsthalschen Gymnasium gegeben. Vgl. unten, Abschnitt E. II. 5. 257 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 358 u. Wetzel, Geschichte, S. 224f. 258 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 225.
II. Das Profil der Lehrerschaft
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sein. Vielmehr scheint sich am Collège wie an den anderen Berliner Gymnasien das Fachlehrer- und das Klassenlehrersystem generell vermischt zu haben. Vom Wirken des Mediziners ist abgesehen von dessen Bestallungsurkunden nichts bekannt. Der Hebräischlehrer ging bereits 1714 wieder in ein Pfarramt über. 261 Den ursprünglich vorgesehenen Mathematikprofessor hat es am Französischen Gymnasium nie gegeben. Der im Dezember 1689 auf diese Position berufene Hugenotte und Mathematiker Philippe Naudé d. Ä. (1654–1729) unterrichtete vielmehr am Joachimsthalschen Gymnasium, wo er bereits vorher die Stelle des Mathematicus innegehabt hatte. 262 Langfristig unterrichteten am Französischen Gymnasium neben dem Professor philosophiae ein Lehrer in der Prima, der den Titel Professor eloquentiae trug und zugleich Principal oder Gymnasiarch war sowie ein Lehrer in der „anderen Klasse“, also der Secunda. Dazu kamen ein Lehrer für die kombinierte dritte und vierte Klasse. In einer weiteren kombinierten Klasse wurden die Anfänger unterrichtet. An den Differenzierungsgrad des Joachimsthalschen Gymnasiums reichte das Kollegium des Collège zu keinem Zeitpunkt heran. In Größe und Struktur glich das Lehrerkollegium des Französischen Gymnasiums vielmehr den städtischen Gelehrtenschulen. Die geringen finanziellen Ressourcen erlaubten den städtischen Gelehrtenschulen und dem Collège François auch auf lange Sicht keine Erweiterung der Stellenprofile. Der Antrag eines Berliner Hugenotten, am Collège Geschichte und Geographie unterrichten zu dürfen, stieß im Jahre 1713 beim Conseil académique auf Schwierigkeiten und wurde schließlich abgelehnt. 263 Um welche Schwierigkeiten es sich dabei handelte, ist in den Quellen nicht ausgeführt, finanzielle Erwägungen dürften dabei allerdings eine wichtige Rolle gespielt haben. Am Berlinischen Gymnasium kam es erst in den sechziger Jahren zu Verhandlungen
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Die Bestallungsdokumente befinden sich unter den Acta betr. Das Französische Gymnasium, GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 113, 150 u. 154. 260 Dies behauptet Velder, Anfänge, S. 21. 261 Vgl. Schulze, S. 28. 262 Dessen Stelle als Lehrer der zweiten Klasse nahm bereits im Juni 1690 Jean Audouy ein, der am Collège jedoch nicht als Mathematiklehrer, sondern als Lecteur Eloquentiae et Humaniorum tätig war. Vgl. Acta französisches Gymnasium, GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 72, 81 u. 245 u. Erman, Mémoire, S. 96. Daß Naudé, der seit 1687 an der Fürstenschule unterrichtete und 1704 außerdem eine Mathematikprofessur an der neuen Berliner Ritterakademie annahm, nicht auf Dauer zum Collège überwechselte, erscheint angesichts des Gehaltsgefälles nicht verwunderlich. Außerdem mag seine orthodoxe Haltung gegenüber liberalen Auffassungen der französischen Frühaufklärung eine Rolle gespielt haben. In kontroverstheologischen Schriften hat sich Naudé mehrfach gegen Pierre Bayle und dessen schädliche Meinung von der unumschrenkten toleranz aller secten (Beckmann, Nachrichten, Bl. 426) geäußert. Sein Verhältnis zu Chauvin und seinem Kreis dürfte deshalb nicht ohne Spannungen gewesen sein. Näheres zu Naudé bei Velder, Gymnasium, S. 32. 263 Vgl. Schulze, Bericht, S. 29 u. Erman, Mémoire, S. 125.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
über die Anstellung eines besonderen Mathematiklehrers. 264 Die Tatsache, daß es den städtischen Schulen an Mitteln fehlte, neue Lehrerstellen einzurichten, bedeutete allerdings keineswegs, daß hier keine neuen Lehrinhalte vermittelt werden konnten. Vielmehr übernahmen hier seit der Jahrhundertwende die herkömmlichen Lehrer soweit es die Lehrpläne und das jeweilige eigene Bildungsinteresse zuließen, die Vermittlung neuer realistischer Lehrinhalte wie Geschichte, Geographie und höhere Mathematik. Darüber hinaus kamen die Schüler auch über die von den Lehrern zusätzlich angebotenen Privatstunden mit neuen Unterrichtsgegenständen in Berührung. Die entscheidende Voraussetzung für grundsätzliche Neuerungen im Lehrprofil war an allen hier untersuchten Gelehrtenschulen jedoch immer ein Rektorenwechsel. Dabei ist auf einen wichtigen Zusammenhang zu den üblichen Aufstiegsmechanismen hinzuweisen. Da die Rektoren seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Regel in ihrem Amt auf Lebenszeit verblieben, konnten jüngere reformwillige Nachfolger aus den Kon- und Subrektorenstellen erst nach dem Ableben der Rektoren mit ihren Vorstellungen zum Zuge kommen und Lehrplanneuerungen durchsetzen. Dies konnte, wie der Fall des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster zeigt, eine nicht unerhebliche zeitliche Verzögerung bei der Einführung pietistischen und frühaufklärerischen Gedankengutes an den Gelehrtenschulen zur Folge haben. Bei der Beschreibung der Stellenprofile der einzelnen Berliner Gelehrtenschulen soll abschließend auf eine Besonderheit am Joachimsthalschen Gymnasium hingewiesen werden. So erreichte zu Beginn der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts das Ausbildungspotential des Joachimsthalschen Gymnasiums mit der Einrichtung von acht Hilfslehrerstellen eine zusätzliche Verstärkung. 265 Bei diesen sogenannten Inspectoren handelte es sich um ehemalige Theologiestudenten, die für die Dauer von drei Jahren mit der Aufsicht der Joachimsthalschen Alumnen betraut wurden. Darüber hinaus sollten sie mit den Schülern die Lektionen wiederholen und ihnen bei Bedarf Nachhilfeunterricht erteilen. Einer der Inspektoren hatte außerdem das gleichzeitig eingerichtete Seminarium Theologicum unter seiner Aufsicht, in dem zwölf ausschließlich reformierte Schüler aus der ersten Klasse zusammengefaßt worden waren. 266 Einen besonderen Schwerpunkt bildete hier der Theologie- und Hebräischunterricht. Den Seminaristen sollte jedoch auch gezeigt werden, wie sie zur außübung eines rechtschaffenen Christenthums gelangen, auch dermahleins andern wieder erbaulich dazu anführen können 267, was für die didaktische Ausrichtung dieser theologischen Spezialklas-
264 Hierbei stütze ich mich auf die mündliche Auskunft des ehemaligen Leiters des Archivs der Streitschen Stiftung, Dr. Peter Rohrlach. 265 Reglement und Instruction für die Inspectores des Joachimsthalschen Gymnasii und Seminarii Theologici daselbst vom 16. Juli 1731. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 131, Sp. 251–260. 266 Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 329 u. Wetzel, Geschichte, S. 274f.
II. Das Profil der Lehrerschaft
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se spricht. Dabei sollten nicht nur Prediger, sondern explizit auch spätere Lehrer für die reformierten Schulen und Gymnasien herangezogen werden. 268 Als direktes Vorbild für diese von König Friedrich Wilhelm I. initiierten strukturellen Neuerungen diente offensichtlich das Hallesche System und dessen Seminarium selectum Praeceptorum. So teilte der damalige Hofprediger Johann Arnold Noltenius 269 (1683–1740), der gemeinsam mit seinem Amtskollegen Jablonski an der Einrichtung der Inspektorenämter maßgeblich beteiligt war und aufgrund seiner pädagogischen Fähigkeiten die Aufsicht über die Inspektoren sowie die Leitung des Theologischen Schülerseminars innehatte, dem Schuldirektorium 1731 mit, daß alles mit ernst und rechtem Eyffer zum besten der Kirche Gottes angeordnet und effectuiret werde, so wie der verstorbene Professor Francke in Halle die Theologischen Anstalten eingerichtet und geführet hat. 270 Wenig später schrieb der König an seine beiden Oberhofprediger Jablonski und Noltenius, daß er seine ganze Hoffnung . . . auf das Joachimsthalsche gymnasium geleget, dahin, dass in demselben so sollte etabliret seyn wie das Waysenhauss oder paedagogium in Halle, da alle die praeceptores und lauter reformirte Candidaten kommen . . . , um sich zu perfectioniren. 271 Da der damalige Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann Philipp Heinius, zuvor am reformierten Gymnasium illustre in Halle tätig gewesen war, muß auch ihm das Hallesche Ausbildungssystem bekannt gewesen sein. Zu Recht hat die bisherige Forschung das Joachimsthalsche Theologische Seminar, in dem einige reformierte Schüler der Fürstenschule gezielt auf das Theologiestudium vorbereitet wurden, nicht als ein „Lehrerseminar reinen Typs für höhere Schulen“ 272 eingeordnet. Allerdings kamen die Joachimsthalschen Inspektorenämter dem halleschen Muster in funktionaler Hinsicht relativ nahe. In beiden Fällen unterrichteten junge Theologen auf zeitlich befristeten Stellen und wurden dabei unter fachkundiger Anleitung in
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Königlicher Befehl zur Einrichtung des Theologischen Seminars vom 24. November 1730. GSta PK, I. HA, Rep. 60,1,1. 268 So heißt es in demselben Befehl: . . . es sollen auch aus diesem Seminario einige subjecta so Geschicklichkeit und Lust zur Schularbeit haben, gewehlet werden, welche sodann sich dazu, wenn Sie ihren cursum absolviret, gantz alleine widmen, und ihre fernere studia darauf einrichten müßen. Demmaßen Seiner Königl. Majtn. Wille und absicht ist, daß mit dergleichen Subjecti dereinsten alle Bedienungen, bey dero reformirten Schulen und Gymnasii in dero Landen, besetzet werden sollen. GSta PK, I. HA Rep. 60,1,1. Vgl. auch Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 131, Sp. 257f. 269 Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 211f. 270 Noltenius an das Joachimsthalsche Schuldirektorium (31. August 1731). BLHA, Rep. 32, Nr. 329, Bl. 53. Vgl. auch Hering, Beiträge Bd. 2, S. 158. 271 Friedrich Wilhelm I. an die Oberhofprediger Jablonski und Noltenius (10. Juli 1733). Zit. nach Delius, Unionsversuche, S. 102. In diesem Brief lehnt er zugleich den Antrag der beiden Hofprediger ab, ihre Söhne zum Studium nach England schicken zu dürfen, da dort keine orthodoxie der Religion statuirt wird. 272 Neugebauer, Staat, S. 375.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
pädagogisches Arbeiten eingeführt. 273 Ungeachtet dessen, daß das Inspektorensystem am Joachimsthalschen Gymnasium nicht die Ausmaße seines halleschen Vorbildes erreichen sollte, liegen hier die ersten Anfänge reformierter Lehrerbildung in Brandenburg-Preußen. Die Inspektorenämter und das Theologische Schülerseminar des Joachimsthalschen Gymnasiums können außerdem als die ersten Versuche gelten, in der Berliner Residenz die Ausbildung von pädagogischem Nachwuchs für das höhere Schulwesen zu organisieren. Das im Jahre 1748 auf private Initiative von Hecker eingerichtete Küster- und Schulmeisterseminar an der Berliner Dreifaltigkeitskirche zielte ausschließlich auf das niedere Schulwesen. 274 Damit bleibt abschließend festzustellen, daß das landesherrliche Bemühen um die Verbesserung der reformierten Theologenausbildung zugleich die institutionelle Lehrerbildung in Berlin befördert hat. 275 2. Das konfessionelle Profil der Lehrerschaft In den Schulgesetzen der Berliner Gelehrtenschulen wurde die Konfessionalität der Lehrer genau geregelt. Wie oben erwähnt, war dies bereits in der ersten Schulordnung des Gymnasiums zum Grauen Kloster von 1577 der Fall, die sämtliche Präzeptoren der neuen Schule auf die Augsburgische Konfession und Luthers Schriften verpflichtete. 276 Seitdem im selben Jahr die Konkordienformel in Kurbrandenburg zur allgemeinen Bekenntnisnorm geworden war, hatten die Berliner Gymnasiallehrer darüber hinaus ihre Unterschrift unter diese Formel bzw. das Konkordienbuch von 1680, das sämtliche lutherische Lehr- und Glaubensnormen zusammenstellte, zu leisten. Von den damaligen Berlinischen und Cöllnischen Rektoren ist dies explizit überliefert. 277 Auch in den Berlinischen Schulgesetzen
273 Beispielsweise berichtete Hofprediger Noltenius in dem erwähnten Schreiben vom 31. August 1731, daß er den Inspektor des Theologischen Seminars angewiesen habe, wie die zur Theologie gewidmete Jugend angeführet werden müße. Im Jahre 1732 wurde außerdem beschlossen, wöchentlich einen Konvent mit den Inspektoren abzuhalten. BLHA, Rep. 32, Nr. 329, Bl. 53 u. 80f. Wie diese pädagogische Anleitung in der Praxis ausgesehen hat, läßt sich aus den Quellen nicht erschließen. 274 Näheres dazu bei Neugebauer, Staat, S. 378ff. 275 Die Inspektorenämter blieben dem Joachimsthalschen Gymnasium langfristig erhalten. Das Seminarium Theologicum hat es dagegen in der Folgezeit zu keiner rechten Blüte gebracht, da es an „geeigneten Mitgliedern“ unter den Schülern der Anstalt fehlte. Es war meist schwach besetzt und bestand seit 1800 nur noch dem Namen nach. Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 202f. u. 274f. Untersucht man die Lebensläufe der Inspektoren der ersten Dekade, läßt sich feststellen, daß nur eine Minderheit später in ein Schulamt überging. Mehr als achtzig Prozent der jungen Theologen gelangte vielmehr nach dem Aufenthalt am Joachimsthalschen Gymnasium in reformierte Pfarrämter. Vgl. Fritze, Verzeichnis. Hinsichtlich seiner späteren Wirkungsgeschichte blieb das Joachimsthalsche Lehrerbildungssystem demnach weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. 276 Vgl. oben, Abschnitt C. I. 1.
II. Das Profil der Lehrerschaft
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von 1591 bildete die Einübung in Lutheranam pietatem das erklärte Bildungsziel. 278 Am Cöllnischen Gymnasium sicherten die Schulgesetze vom Beginn des 17. Jahrhunderts die konfessionelle Homogenität ab, die in den Leges de Praeceptorum Officio das Augsburgische Bekenntnis und libro quoque Ecclesia nostra Symbolico declarata extat 279 für die Lehrerschaft normierend festlegten. Bei dieser eindeutigen lutherisch-orthodoxen Ausrichtung der Lehrerschaft beider Altberliner Gelehrtenschulen sollte es auch im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts bleiben. Der Bezug auf das Konkordienbuch findet sich auch in den neu herausgegebenen Leges docentium des Berlinischen Gymnasiums aus den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts. 280 Erst nach 1708, als diese Schulgesetze durch den pietistisch geprägten Rektor Bodenburg überarbeitet wurden, verschwand dieser explizite Bezug auf die Confessio Augustana und das Konkordienbuch zugunsten einer allgemeineren Formel. 281 Dies bedeutete zwar nicht, daß die Schule ihren lutherischen Charakter verloren hatte, es zeigt allerdings das Ende des orthodoxkonfessionell bestimmten Denkens in der Zeit des Pietismus an. Auch die ersten Schulgesetze des Joachimsthalschen Gymnasiums enthielten genaue Festlegungen über die Konfessionalität der Lehrer. In sämtlichen zur inneren Verfassung der Schule verabschiedeten Dokumenten, von der Gründungsurkunde über die Statuten und Leges bis hin zu der eigens verfaßten Kirchenordnung, wiederholten sich solche Festlegungen. So hatten die Lehrer laut den Statuten von 1607 reiner Augspurgischer Lutherischer lehre, wie dieselbe in der Augspurgischen Confession de anno 30 und dem Christlichen Concordienbuch (denselben die Präceptores, von welchen es noch nicht geschehen unterschreiben sollenn) begriffen ist, zu sein. Sie sollten jedoch nicht alleinn für sich reiner, unverdechtiger Religion und glaubens seyn, sondern auch darauf achten, daß ihre Schüler gleichfalß darin mögen informiret und erzogen werdenn, Und denselben nicht nachgeben oder verstattenn, daß sie mit irrigen und verführischen, Sectirischen lehren, Sonderlich mit dem Caluinismo beschmutzet und vergiftet werdenn. 282 Zieht man in 277 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 939 u. 975. Allgemeines zur Geschichte des Konfessionseides, zu dem in den landesherrlichen Konfessionsstaaten der Frühen Neuzeit Pfarrer, Lehrer und Professoren, sowie später auch Staatsbeamte verpflichtet waren, bei Schreiner, Iuramentum. 278 Vgl. Lipstorp, Leges, o. S. 279 Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09, Nr. 82, Bl. 1. 280 Praeceptor itaque si docere vera et salutaria voluerit, ad Deum omnis doctrinae et Sapientiae fontem se converto, eique adhaereto Sincera pietate, quae cum vitae Sanctimonia veram fidem e Scriptura natam, et Symbolicis libellis, praecipue Augustana Confessione et Christiana Concordia explicatam complectitur. ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 191. Zur Datierung der Schulgesetze vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 201 u. Heidemann, Geschichte, S. 168. 281 Praeceptor itaque si docere vera & salutaria voluerit, ad Deum omnis doctrinae & Sapientiae fontem se convertito, eique adhaereto sincera pietate, quae cum vitae sanctimonia veram fidem e Scriptura natam complectitur. Bodenburg, Leges, o. S.
214
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Betracht, daß sich Kurfürst Joachim Friedrich als Begründer der Schule bereits zu westlichen – auch reformierten – Zeitströmungen hingezogen fühlte, erstaunt vor allem der letzte Satz. Jedoch waren die strengen konfessionellen Maßstäbe dem Denken seiner Zeit geschuldet. So hatten drei Jahrzehnte erfolgreicher lutherischer Konfessionalisierung im Bewußtsein der brandenburgischen Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen. Wie die Schulgesetze aus der Gründungszeit Rektor und Präzeptoren der Fürstenschule die Verpflichtung auf die lutherischen Bekenntnisse abverlangt hatten, so forderten die erneuerten Gesetze aus der Zeit nach dem Übertritt Johann Sigismunds zum reformierten Glauben die Verpflichtung auf das reformierte Bekenntnis des Landesherren, die Confessio Sigismundi. In der veränderten Kirchenordnung von 1616 hieß es dann beispielsweise: es sollen aber der Rector, Pastor, Diaconus und alle Collegen des Gymnasii sich zu der churfürstl. Brandenburg. Glaubensbekenntnuss erklehren und darzu mit einem Revers sich obligiren . . . auch fleißig darauf acht geben, dass nicht falsche, Ubiquistische, Flacianische, Schwengkfeldische und dergleichen ungeheure Lehren einigerley Weise in die fürstliche Schuelen eingeführet . . . werden. 283 Auch die lateinischen Leges wurden dementsprechend abgeändert. 284 Die Lehrer wurden nicht mehr auf die lutherisch-orthodoxen Bekenntnisse, sondern allgemein auf das heilsame Wort Gottes, wie es in den prophetischen und apostolischen Schriften, in der „reinen“ – d. h. keineswegs ungeänderten – Augsburgischen Konfession und in anderen Schriften Luthers und Melanchthons überliefert sei, verpflichtet. 285 Nicht mehr die Lehre Calvins, sondern die Lehren der Arianer, Nestorianer, Eutychianer, Photinianer und Sozinianer wurden als Irrlehren verurteilt. 286 Das Prinzip der Abgrenzung von den Sekten blieb in den Verordnungen also erhalten und erfuhr sogar eine genauere Konkretisierung. Wie oben ausführlich dargelegt, beließ es Kurfürst Friedrich Wilhelm gegen den Widerstand der Stände auch nach der Neugründung in Berlin bei der Forderung der reformierten Bekenntnisbindung der Lehrer. 287 Auch in der Folgezeit wurde diese Forderung aufrechterhalten. So hieß es in der durch König Friedrich I. erneuerten Fundationsurkunde von 1707, daß die bey diesem Gymnasio itzo ver282
Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 71f. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894. Bl. 17. 284 Leges docentium in illustri Gymnasio vallis Joachimicae. [undatiert] BLHA, Rep. 32, 4894. Bl. 27–36. 285 . . . praecipimus, ut singuli praeceptores formam teneant sanorum verborum, cuius summa in scriptis propheticis et apostolocis comprehensa et in Augustana confessione puriore aliisque Lutheri et Philippi scriptis orthodoxis repetita et ad posteros translata est. BLHA, Rep. 32, 4894. Bl. 27. 286 Allerdings handelt es sich hier bis auf die antitrinitarischen Sozinianer um Sekten aus der Frühzeit der Kirche, was diese Festlegung zu einer etwas leeren Formel werden läßt. 287 Vgl. Abschnitt C. III. 2. 283
II. Das Profil der Lehrerschaft
215
ordnete oder künfftig zu verordnete Directores und Räthe, Churfürsten Johannis Sigismundi Glaubens-Bekänntniß selbsten zugethan seyn, auch insonderheit dahin sehen sollen, daß zu Professoren, Schul-Collegen . . . keine andere Personen genommen werden, alß zu itzt gedachter Confession sich bekennen 288. Auch in den im Auftrag Friedrichs I. von Jablonski überarbeiteten Schulgesetzen wurden die Präzeptoren auf das reformierte Bekenntnis festgelegt. 289 Daß in den neuen Leges die ausführliche Warnung und Abgrenzung von anderen Sekten nicht mehr enthalten war, zeigt jedoch einen gewissen Umschwung an, den man eindeutig Jablonski zuschreiben kann. Anders als in den bisherigen Schulgesetzen wurde nur die Lektüre antitrinitarischer Bücher, was gegen den Sozinianismus zielte, verboten. An dieser Lockerung der Bestimmungen wird deutlich, daß sich die konfessionspolitische Situation entkrampft hatte und religiöses Toleranzdenken an Boden gewann. Gleichwohl blieb das Joachimsthalsche Gymnasium bis in das 19. Jahrhundert hinein hinsichtlich seiner Lehrerschaft eine rein reformierte Bildungsanstalt. 290 Die einzige Ausnahme bildete ein Kantor, der wenige Jahre nach dem Umzug in die Berliner Residenz wohl deswegen scheint angenommen worden zu sein, weil man unter den wenigen Reformirten damahls keinen Cantor haben können, doch kanns auch wohl aus condescendence auf der Stände Vorstellung geschehen sein 291, so vermutete Beckmann fast einhundert Jahre später. Die Anzahl der zum reformieren Glauben konvertierten Lutheraner fiel am Joachimsthalschen Gymnasiums kaum ins Gewicht. Nur vier ehemalige Lutheraner, darunter zwei Bakkalauren aus dem Berlinischen Gymnasium, wurden nach dem Umzug in die Berliner Residenz in das Kollegium der Fürstenschule aufgenommen. Einer der beiden Berlinischen Konvertiten begründete seine Bewerbung für ein Lehramt am Joachimsthalschen Gymnasium im Jahre 1677 damit, daß er schon etliche Jahre mit den gedanken umbgegangen, zur reinen Reformirten Evangelischen Religion mich zubegeben, dahin der Geist Gottes mich täglich ja stündlich und augenblicklich annoch stimuliret, solches aber biß hiero nicht habe werckstellig machen können; weil ich gegen meine Lutherische HH. Patronos mich nicht haben dürffen mercken laßen, in der Gefahr stehend, daß ich von meinem Officio pulblico mit Schimpff möchte removiret werden 292. Danach war 288 Erneuerte Fundation vom 24. 8./4. 9. 1707. BLHA, Rep. 34, 1857. Zit. nach Hering, Beiträge Bd. 2, S. 139. 289 Leges Docentium in Regio Gymnasio Joachimico vom 24. 8./4. 9. 1707. BLHA, Rep. 34, 1857, Bl. 34. 290 Die Vereidigung des neuen Rektors Heinius auf die Confessio Sigismundi im Jahre 1730 ist beispielsweise in den Schulakten ausdrücklich vermerkt. BLHA, Rep. 32, Nr. 69, Bl. 75. Erst nach dem Vollzug der Kirchenunion unter Friedrich Wilhelm III. wurden auch lutherische Lehrer an die Schule berufen. Der erste nichtreformierte Rektor trat im Jahre 1826 sein Amt an. 291 Beckmann, Nachrichten, Bl. 355. Kantor Havemann war von 1655 bis 1683 am Joachimsthalschen Gymnasium tätig.
216
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
zu diesem Zeitpunkt ein Konfessionswechsel offensichtlich eine schwerwiegende Angelegenheit und für einen Lehrer mit beruflicher und sozialer Ausgrenzung verbunden. Ohne die religiösen Gefühle des Bewerbers unterschätzen zu wollen, mag natürlich auch der höhere Status und die deutlich bessere Bezahlung ein wichtiger Anreiz für den Wechsel an die Fürstenschule gewesen sein. In ein höheres Lehramt gelangte nur der ehemalige Lutheraner Johann Vorstius, der nach Studienaufenthalten an holländischen Universitäten zum Calvinismus konvertiert war. Die überwiegende Mehrheit der Lehrer am Joachimsthalschen Gymnasium war bereits von ihrer Herkunft her reformiert und hatte, wie unten näher erleutert werden soll, ausschließlich an reformierten Hochschulen studiert. Dies war ohne Ausnahme auch bei den Lehrern des Französischen Gymnasiums der Fall. Die konfessionelle Geschlossenheit der französisch-reformierten Gelehrtenschule war allein schon deshalb eine Selbstverständlichkeit, weil es sich beim Collège François um eine Gründung der Hugenottengemeinde handelte. Wie oben dargestellt, überwachten die Inspektoren den Lebenswandel und die Lehre der hier unterrichtenden hugenottischen Gelehrten im Sinne der französischreformierten Kirchenordnung. 293 Insofern stellte das Friedrichswerdersche Gymnasium mit seinem gemischtkonfessionellen Lehrerpersonal eine Besonderheit unter den Berliner Gelehrtenschulen dar. Nur hier kamen lutherische und reformierte Theologen, die vorher zum Teil an den anderskonfessionellen Gelehrtenschulen der Stadt unterrichtet hatten, zusammen und verantworteten gemeinsam den Schulbetrieb. Daß die festgelegte Alternation in den Lehrämtern zu Streit und Problemen führen konnte, wurde bereits dargestellt. 294 Die Forderung, nach dem Freiwerden einer Stelle einen anderskonfessionellen Lehrer zu berufen, hatte jedoch einen wichtigen Nebeneffekt. Da der lineare Aufstieg von einem Amt in das nächst höhere, wie er an den städtischen Gelehrtenschulen die Regel war, am Friedrichswerderschen Simultanäum wegen des erforderlichen Bekenntnisses häufig nicht möglich war, wechselten viele Lehrer zwangsläufig in oder aus Schulämtern der beiden Altberliner Gelehrtenschulen sowie des Joachimsthalschen Gymnasiums hin oder her. Insofern bildete das Friedrichswerdersche Gymnasium hinsichtlich seiner Lehrerschaft einen überkonfessionellen Austauschort des gesamten Berliner Gelehrtenschulwesens. Ungeachtet dessen, daß die erschwerten Aufstiegschancen zu Spannungen unter den Lehrern führen konnten, gab es auch positive Stimmen zur gemischtkonfessionellen Situation. So hielt im Jahre 1721 der neu berufene lutherische Konrektor Friedrich Bake eine Rede De Utilitate Scholis, in quibus diversorum sacrorum Praeceptores una docent, propria. 295 Der in Halle geprägte
292 293 294
BLHA, Rep. 32, Nr. 114, Bl. 1. Vgl. Statuts du Collège vom 14. Mai 1703. Erman, Mémoire, S. 142. Vgl. oben C. I. 2.
II. Das Profil der Lehrerschaft
217
Pietist bewertete demnach die Situation am Friedrichswerderschen Gymnasium als positiv und hatte sich offensichtlich von dem Ideal der Bekenntniseinheit, welches das vergangene konfessionelle Zeitalter ausgezeichnet hatte, verabschiedet. 3. Herkunft und Studienorte der Lehrerschaft Bei der Frage nach den konkreten Auswirkungen des konfessionellen Faktors auf das Berliner Gelehrtenschulwesen ist die Untersuchung der geographischen Herkunft und der Studienorte der Lehrer von besonderem Interesse. Berücksichtigt man die jeweilige konfessionelle Orientierung der Lehrer, ergibt sich ein sehr aufschlußreiches Bild. Zunächst zur geographischen Herkunft der lutherischen Lehrer, die vom 16. Jahrhundert bis 1740 in den oberen Klassen der drei städtischen Gymnasien unterrichteten: Wie die folgende Tabelle zeigt, kamen ungefähr drei Viertel dieser Lehrer aus Berlin und der Kurmark Brandenburg, sowie aus anderen brandenburgisch-preußischen Territorien. Am Gymnasium zum Grauen Kloster stammte beispielsweise in den Jahrzehnten von 1650 bis 1690 jeder dritte berufene Lehrer aus Berlin und Cölln oder war an einem der Gymnasien der Doppelstadt zur Schule gegangen. Innerhalb dieser Gruppe finden sich wiederholt auch Angehörige von Berliner und Cöllner Rats- und Pfarrfamilien. 296 Erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts kamen wieder mehr auswärtige Lehrer an das Berlinische Gymnasium, was auf eine veränderte Berufungspolitik der Berlinischen Pröpste seit Spener zurückgeführt werden kann. Ein ehemaliger Schüler der landesherrlichen Fürstenschule, die auch von Lutheranern besucht werden konnte, taucht unter den lutherischen Lehrern Berlins interessanterweise nur einmal auf. 297 Von den nicht aus Brandenburg-Preußen stammenden Lehrern kamen die meisten aus benachbarten Gebieten wie Sachsen und der Lausitz sowie aus Schlesien, Böhmen und Ungarn. Dies bestätigt die besondere Bedeutung, die Brandenburg als Einzugsgebiet für Intellektuelle aus dem ostmitteleuropäischen Raum hatte. 298 Nur
295
Ankündigung dieser leider nicht überlieferten Rede bei Bake, Gedächtniß-Tag.
[S. 3]. 296 Der langjährige Rektor Gottfried Weber stammte, wie bereits sein Vater Georg Weber (1585–1662), aus einer angesehenen Berliner Ratsfamilie. Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 145 u. Schmitz, Ratsbürgerschaft, S. 59 u. 204f. Jacob Hellwig sowie die Lehrer Peter Vehr d. J. und Gottfried Rösner waren Söhne von Berliner und Cöllner Predigern und Pröpsten und gelangten zum Teil selber in bedeutende kirchliche Ämter. Auch der Berliner Propst Peter Vehr d. Ä. (1585–1656) war früher am Berlinischen Gymnasium Rektor gewesen. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 192, 244 u. 441. 297 Nur vom Konrektor des Berlinischen Gymnasiums, Johannes Bercovius (1600– 1651), ist bekannt, daß er von 1615 bis 1618 die Fürstenschule in Joachimsthal besucht hat (vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 282f.). 298 Auf die Bedeutung der brandenburgischen Landesuniversität in Frankfurt a. O. für den ostmitteleuropäischen Raum wurde bereits oben eingegangen (Abschnitt B. III. 3).
218
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
etwa zehn Prozent der lutherischen Lehrer kamen aus Nord- und Westdeutschland, darunter aus dem benachbarten Mecklenburg, sowie aus Franken. Tabelle 1 Geographische Herkunft der lutherischen Lehrer 299 Berlinisches Cöllnisches FriedrichswerderSumme Gymnasium Gymnasium sches Gymnasium Kurbrandenburg
21
19
4
43
Berlin
12
8
2
22
Sonstige brandenburgisch-preußische Territorien 300
6
6
2
14
Schlesien, Böhmen, Ungarn
5
4
–
9
5
2
–
7
Nord- und westdeutsche Territorien und Reichsstädte 302
5
2
1
8
Franken
3
–
–
3
9
11
1
23
Sachsen, Lausitz
unbekannt
303
301
Bei den Lehrern reformierter Konfession ergibt sich – nicht überraschend – ein völlig anderes Bild. Nur zwanzig Prozent dieser Lehrer waren Berliner oder brandenburg-preußischer Abstammung. Sechzig Prozent kamen dagegen aus anderen Territorien des Reiches und weitere zwanzig Prozent stammten aus dem Ausland. Mit Ausnahme des ersten Rektors des Friedrichswerderschen Gymnasiums Gabriel Zollikofer, der aus der Schweiz kam, handelte es sich hierbei ausschließlich um aus Frankreich vertriebene Hugenotten, die seit 1689 am Collège François angestellt 299 Ausgewertet wurden die Inhaber der oberen Lehrämter von den jeweiligen Anfängen bis 1740. Als Grundlage dienten die prosopographischen Angaben bei Bake im Album Coloniense, LAB, A Rep. 020–09, Nr. 82 sowie folgende gedruckte Literatur: Küster, Memorabilia; Küster/Müller, Berlin, S. 935–992; Diterich, Schulhistorie; Gedike, Geschichte; Bellermann, Kloster; Schmidt/Klöden, Geschichte; Heidemann, Geschichte; Müller, Geschichte u. Fischer, Pfarrerbuch. Außerdem wurden die Bände von Noack und Splett zu den Brandenburgischen Gelehrten in der Frühen Neuzeit herangezogen. 300 Darunter waren ausschließlich die benachbarten kurbrandenburgischen Gebiete von Magdeburg, Halberstadt und Halle sowie Pommern. 301 Gemeint sind die Nieder- und Oberlausitz als geographische Bezeichnung. 302 Dabei handelte es sich um Mecklenburg, Oldenburg, Hildesheim, Hannover, Hamburg und Lübeck. 303 Dies betrifft vor allem unbedeutende Lehrer des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die nur kurz im Lehramt tätig waren.
II. Das Profil der Lehrerschaft
219
wurden. Zwei Hugenotten unterrichteten am Joachimsthalschen Gymnasium: Vater und Sohn Philippe Naudé, beide in Metz gebürtig. Diese Hugenotten gehörten mehrheitlich der ersten, noch in Frankreich geborenen Flüchtlingsgeneration an. Erst am Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts wurden am Französischen Gymnasium die ersten in Berlin geborenen Lehrer angestellt. Die meisten deutschreformierten Lehrer stammten ursprünglich aus Anhalt und Bremen, sowie aus verschiedenen westdeutschen reformierten Territorien wie Hessen-Kassel, Nassau, der Kurpfalz, aber auch aus Schlesien. Auch die reformierten Lehrer des Friedrichswerderschen Gymnasiums kamen mehrheitlich aus fremden Territorien. Dieser Befund zeigt, daß in Brandenburg-Preußen trotz einer seit Jahrzehnten andauernden reformierten Konfessionalisierung das einheimische Potential an reformierten Akademikern nicht ausreichte. Auch am Joachimsthalschen Gymnasium nahm erst in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts die Berufung von Auswärtigen gegenüber Lehrern, die aus Brandenburg-Preußen stammten, ab. Offensichtlich gelang es der reformierten Gesellschaft Brandenburg-Preußens erst jetzt, sich aus sich selbst heraus zu ergänzen. 304 Ehemalige Joachimsthalsche Schüler wurden erstmals in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zu Lehrern berufen. Seit den vierziger Jahren häuften sich dann nicht nur die Fälle von Lehrern und Inspektoren, die selbst am Joachimsthalschen Gymnasium zur Schule gegangen waren, sondern es lassen sich auch Söhne aus Berliner Hofpredigerfamilien und von ehemaligen Joachimsthalschen Lehrern finden. 305 Die Lehrerschaft der Berliner Gelehrtenschulen läßt sich demnach hinsichtlich ihrer geographischen Herkunft in zwei völlig verschiedene Gruppen ohne eine gemeinsame Schnittmenge unterteilen. Während sich unter den lutherischen Lehrern der städtischen Schulen eine deutliche Mehrheit von Kurmärkern und Berlinern findet, spielten unter den reformierten Lehrern Einheimische nur eine marginale Rolle. Darüber hinaus lassen sich bei den nicht aus Brandenburg-Preußen stammenden Lehrern je nach der Konfession verschiedene Herkunftsgebiete ausmachen. Die lutherischen Lehrer stammten vor allem aus den benachbarten Territorien Brandenburgs, die auch für die Berliner Bürgerschaft klassische Einzugsgebiete darstellten, nämlich Sachsen, Thüringen, Anhalt und Schlesien. Mit Ausnahme der aus Anhalt stammenden Lehrer kamen die Reformierten dagegen aus weiter entfernten Territorien Westdeutschlands und dem westlichen Ausland.
304 Bei den Hofpredigern läßt sich dieser Trend ebenfalls ausmachen, wenn auch unter diesen noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts die nichtbrandenburgischen „Ausländer“ überwogen. Vgl. Opgenoorth, Ausländer, S. 17. 305 Aus einer berühmten Hofpredigerfamilien stammte beispielsweise der 1734 berufene Professor Georg Ludwig Noltenius. Vgl. Fritze, Verzeichnis, S. 7 u. Thadden, Hofprediger, S. 211 u. 225.
220
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen Tabelle 2 Geographische Herkunft der reformierten Lehrer 306 Joachimsthalsches Friedrichswerdersches Collège Summe Gymnasium (seit 1650) Gymnasium François 1
1
Kurbrandenburg
2
2
4
Sonstige brandenburgischpreußische Territorien 307
1
3
4
10
3
13
Anhalt
4
1
5
Bremen
3
2
5
Schlesien
3
–
3
Lausitz
1
–
1
Schleswig-Holstein
1
–
1
Frankreich
2
Schweiz
–
1
unbekannt
1
2
Westdeutsche Territorien 308
2
4
Berlin
11
13 1
4
7
Eine besondere Rolle spielte dabei Bremen. Dies entspricht ganz der Situation innerhalb der Berliner Pfarrerschaft. 309 Welche nichtbrandenburgischen „Ausländer“ oder Einheimischen an die Berliner Gelehrtenschulen berufen wurden, hing eng mit den Kommunikationswegen zwischen dem jeweiligen Patron und den entsprechenden Aufsichtsgremien der 306 Ausgewertet wurden die Inhaber der oberen Lehrämter von den jeweiligen Anfängen bis 1740. Beim Joachimsthalschen Gymnasium wurden nur die Lehrer seit der Berliner Zeit berücksichtigt. Als Grundlage diente dabei folgende Literatur: Küster/Müller, Berlin, S. 913–935 u. 986–1000; Hering, Beiträge Bd. 2, S. 164–204; Gedike, Geschichte; Erman, Mémoire; Fritze, Verzeichnis; Müller, Geschichte; Schulze, Bericht; Fischer, Pfarrerbuch u. Velder, Gymnasium. Darüber hinaus wurden die Bände von Noack und Splett zu den Brandenburgischen Gelehrten in der Frühen Neuzeit herangezogen. 307 Diese Lehrer stammten aus Preußen, Magdeburg und Pommern. 308 Dabei handelte es sich um Hessen-Kassel, Nassau, Lippe, Kurpfalz, Westfalen, Grafschaft Wied und Trier. 309 Vgl. oben, Abschnitt B. I. 5.
II. Das Profil der Lehrerschaft
221
Gymnasien zusammen. Wie oben dargestellt, verantworteten die Berliner Magistrate die Stellenbesetzungen der städtischen Schulen gemeinsam mit den Cöllner und Berliner Pröpsten, blieben dabei jedoch weitgehend autonom. 310 Bei der Besetzung freier Stellen an den beiden landesherrlichen Gymnasien verließen sich die jeweiligen Landesherren auf Vorschläge der Visitatoren, der Mitglieder des Joachimsthalschen Schuldirektoriums und des Conseil des Inspecteurs sowie auf Empfehlungen anderer kurfürstlicher Beamter. 311 Auch Vorschläge aus den jeweiligen Lehrerkollegien spielten eine Rolle. Dabei wurden oftmals junge Lehrer empfohlen, die sich in Berlin als Privatinformatoren verdingten. Ein Teil der Lehrer war auch durch seine vorherige Tätigkeit an anderen Gymnasien aufgefallen. Lehrer des Joachimsthalschen Gymnasiums hatten beispielsweise an den reformierten höheren Schulen von Zerbst und Heidelberg leitende Positionen innegehabt. Daß es an der Fürstenschule zwei konvertierte Lehrer gegeben hat, die zuvor am Gymnasium zum Grauen Kloster unterrichtet hatten, wurde bereits erwähnt. In späterer Zeit kamen Präzeptoren von den inzwischen gegründeten Gymnasien des Kurfürstentums, vom Friedrichswerderschen Gymnasium und den reformierten Friedrichsschulen in Frankfurt/Oder, Küstrin und Halle. Die städtischen Schulen bezogen ihren Lehrernachwuchs vor allem von nahegelegenen kurbrandenburgischen Gymnasien, darunter aus Brandenburg, Neuruppin und Pritzwalk sowie aus Spandau und Strausberg. Neben einer vorherigen Lehrertätigkeit scheinen für Berufungsentscheidungen vor allem universitäre Zusammenhänge wichtig gewesen zu sein. Ein Teil der Lehrer war durch den Besuch der Landesuniversität in Frankfurt a. O. nach Brandenburg-Preußen gekommen und wurde von dort direkt nach Berlin empfohlen. Andere Lehrer hatten im Anschluß an ihren Magisterabschluß an verschiedenen philosophischen Fakultäten eine Tätigkeit als Adjunctus ausgeübt und sich damit für die Berliner Präzeptorenstellen qualifiziert. Einen Magisterabschluß hatte die überwiegende Mehrzahl der Berliner Lehrer vorzuweisen. Während bei den unteren Lehrämtern ein Baccalaureat ausreichte, war für die Ausübung eines höheren Schulamtes der Magistergrad die Regel. Ein Teil der Lehrer erwarb diesen Grad auch nachträglich. Am Joachimsthalschen Gymnasium wurden seit 1707 nur promovierte Theologen zu Rektoren berufen. 312 Soweit die Quellen darüber Auskunft geben, hatten die Lehrer der Berliner Gelehrtenschulen nach dem Besuch der phi310
Vgl. oben, Abschnitte C. I. 2 u. C. II. 2. Beispielsweise finden sich in den Quellen Vorschläge des Visitators Frank an den Kurfürsten für die in Berlin neu zu besetzenden Lehrerstellen. BLHA, Rep. 32, Nr. 4894. Bl. 417. Kurfürst Friedrich Wilhelm berief in seiner Regierungszeit solche Personen zu Rektoren, die ihm vorher von den im Schuldirektorium vertretenen Räten vorgeschlagen worden waren. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep 60, Nr. 25. 312 Im Jahre 1729 wies König Friedrich Wilhelm I. die Frankfurter Theologische Fakultät sogar explizit dazu an, dem designierten Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann Philipp Heinius, einen Doktorgrad zu verleihen. BLHA, Rep. 32, Nr. 69, Bl. 55. 311
222
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
losophischen Fakultät immer auch Theologie studiert. Nur in wenigen Einzelfällen wurde zusätzlich Jurisprudenz oder Medizin belegt. Damit hatten die Theologen unter den Berliner Gelehrtenschullehrern im gesamten Untersuchungszeitraum eine unangefochtene Monopolstellung. Über welche Universitäten die Ausbildungswege der Berliner Lehrer führten, sollen die folgenden Übersichten deutlich machen. Da für Theologiestudenten der Universitätsbesuch konfessionell determiniert war, muß wiederum nach der jeweiligen konfessionellen Prägung der Lehrer unterschieden werden. 313 Tabelle 3 Universitätsbesuche der lutherischen Lehrer 313 Frankfurt a. O. Wittenberg Jena Leipzig Halle Rostock Altdorf Helmstedt Königsberg Gießen Straßburg Niederlande 314
1540–1600 1610 1620 1630 1640 1650 1660 1670 1680 1690 1700 1710 1720 Summe 13 1 1 2 2 1 2 2 3 27 10 1 4 1 4 4 1 1 3 29 1 3 5 2 5 1 2 1 20 1 2 2 6 1 1 1 14 6 1 3 1 11 2 2 1 1 2 1 9 1 2 1 1 5 1 2 1 4 1 1 1 1 1 1 2 2
Wie die Tabelle zeigt, hatten die meisten der überwiegend aus Brandenburg stammenden lutherischen Lehrer der Berliner Gymnasien bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinein an der Landesuniversität in Frankfurt a. O. und in Wittenberg studiert. Später waren Jena und Leipzig die meistbesuchten Universitäten. Neben den sächsischen Universitäten spielten Hochschulen anderer Territorien offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme bildete dabei die Universität Rostock im benachbarten Mecklenburg. Die Königsberger Universität im weit entfernten Preußen blieb dagegen im gesamten Untersuchungszeitraum für die lutherischen Berliner Lehrer ohne Bedeutung. Das landesherrliche Verbot 313
Die angegebenen Zeitabschnitte geben die Jahre der Immatrikulation oder des Magisterabschlusses an. Erfaßt wurden sämtliche Universitätsbesuche der lutherischen Lehrer, die vom 16. Jahrhundert bis 1740 an den drei städtischen Berliner Gymnasien unterrichteten. Von den insgesamt 129 erfaßten Lehrern ließen sich in 43 Fällen die Studienorte nicht ermitteln. Dies betrifft vor allem die prosopographisch schlecht erfaßten Lehrer, die vor 1640 am Cöllnischen Gymnasien tätig waren. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an konnten die Studienorte fast vollständig ermittelt werden. Da ein Drittel der Lehrer mehr als eine Universität besuchte, ist die absolute Zahl der Universitätsbesuche nicht mit der Lehreranzahl identisch. Zu Quellen und Literatur: vgl. Anm. 297. 314 Besucht wurden die Universitäten von Franeker und Groningen.
II. Das Profil der Lehrerschaft
223
für Brandenburger, die Wittenberger Universität zu besuchen, sowie Pfarrer und Lehrer, die dort studiert hatten, in brandenburgische Dienste zu nehmen, scheint erst seit den 1690er Jahren konsequent durchgesetzt worden zu sein. 315 Gleichzeitig trat Halle als neue lutherische Landesuniversität an die Stelle der sächsischen Universitäten. Die Frankfurter Viadrina blieb dagegen seit der Gründung der neuen Landesuniversität in Halle ganz den Reformierten überlassen. Diese Befunde lassen sich mit den generellen konfessionellen Entwicklungen in Brandenburg-Preußen in Verbindung bringen. In der Zeit der lutherischen Orthodoxie waren die Viadrina und die Wittenberger Universität für die Berliner Lehrer in gleichem Maße von prägendem Einfluß. Wenn auch der Besuch der von Reformierten dominierten Frankfurter Universität nach der „Zweiten Reformation“ nie ganz abriß, bevorzugten die späteren Berliner Lehrer nach dem landesherrlichen Konfessionswechsel das lutherisch-orthodoxe Wittenberg als Studienort. Mit dem erstmals 1662 verabschiedeten und in den Jahren 1690, 1718 und 1726 erneuerten Wittenberg-Verbot gewannen dann die anderen beiden sächsischen Universitäten für Brandenburger Theologiestudenten immer mehr an Bedeutung. Dies hatte zur Folge, daß am Ende des 17. Jahrhunderts eine von der mitteldeutschen Frühaufklärung geprägte Lehrerschaft an den städtischen Berliner Gymnasien zum Zuge kam. Bei ihren Studienaufenthalten in Jena waren eine Vielzahl lutherischer Lehrer mit Erhard Weigel und seinem wissenschaftlichen und pädagogischen System in Berührung gekommen, darunter der Konrektor am Grauen Kloster Friedrich Madeweiß und die späteren Berlinischen und Cöllnischen Rektoren Johann Bödiker und Johann Leonhard Frisch. Andere Lehrer hatten in den achtziger Jahren zusammen mit August Hermann Francke in Leipzig studiert und waren dort mit der jungen pietistischen Bewegung in Kontakt gekommen. Hier sind vor allem die Rektoren des Friedrichswerderschen und des Cöllnischen Gymnasiums, Joachim Lange und Christian Rubin, sowie Ernst Christian Wartenberg und Sebastian Gottfried Starck vom Gymnasium zum Grauen Kloster zu nennen. Am Grauen Kloster war bereits seit den siebziger Jahren Georg Feller tätig, der in Rostock studiert hatte und seinen Kollegen als Stiller im Lande galt. 316 Seit den neunziger Jahren wurde eine ganze Generation neuer Lehrer aus Halle an die städtischen Berliner Gelehrtenschulen berufen. Dazu zählten nicht nur die bereits erwähnten Joachim Lange und Sebastian Gottfried Starck, die zusammen mit Francke von Leipzig nach Halle übergewechselt waren. Auch die späteren Rektoren Christoph Friedrich und Joachim Christoph Bodenburg, Leonhard Frisch, Friedrich Bake, Georg Gottfried Küster und Christian Tobias Damm sowie die Konrektoren Theodor Rehwend und Andreas Julius Dornmeyer hatten in Halle, dem neuen Zentrum des Pietismus und der Frühaufklärung, studiert. Daß Hallenser Absolventen nach 315
Zum Wittenberg-Verbot vgl. oben, Abschnitt B. I. 3. Vgl. Diterich, Stillen. Näheres zu Feller bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 139–144. 316
224
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Berlin berufen wurden, hing unmittelbar mit der Personalpolitik der pietistischen Pröpste seit Spener zusammen. Darüber hinaus führte auch der Weg brandenburgischer Studenten generell immer häufiger über Halle. So hatte König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1718 verordnet, daß die eigenen Landes-Kinder vor andern auf Unsere Universitäten ziehen 317 sollten. Zehn Jahre später wurde der Besuch der Theologischen Fakultät in Halle jedem lutherischen Theologiestudenten, der in brandenburgische Dienste gelangen wollte, explizit vorgeschrieben. Im Ergebnis einer gezielten pietistischen Personalpolitik wurden innerhalb der ersten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts fast alle höheren Lehrerstellen mit Absolventen der Hallenser Universität besetzt. 318 Wie bereits bei den Herkunftsgebieten ergibt sich auch bei den besuchten Studienorten der reformierten Lehrer ein völlig anderes Bild. Abgesehen von den beiden Landesuniversitäten in Frankfurt a. O. und Halle ließen sich nur calvinistische Hochschulen als Studienorte ermitteln: Tabelle 4 Universitätsbesuche der deutsch-reformierten Lehrer 319 1610 1620 1630 1640 1650 1660 1670 1680 1690 1700 1710 1720 Summe Frankfurt a. O. 1 1 1 2 1 3 3 2 14 Bremen 1 3 4 1 1 10 Zerbst 1 1 1 1 4 Heidelberg 1 2 3 Herborn 1 1 1 3 Halle 1 1 2 Marburg 1 1 2 Rinteln 2 2 Duisburg 1 1 Hamm 1 1 Königsberg 1 1 Niederlande 320 1 1 2 2 6 England 321 1 1 2
317
Königl. Preußische erneuerte Verordnung, wegen der studirenden Jugend, auf Schulen und Universitäten, wie auch der Candidatorum Ministerii. (30. September 1718). Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 118, Sp. 230. 318 Das Eindringen pietistisch geprägter Lehrer in die städtischen Gelehrtenschulen führt Anlage 2 deutlich vor Augen. 319 Ausgewertet wurden die Universitätsbesuche von 33 Lehrern, die seit 1650 in Berlin unterrichteten. Bei 8 von insgesamt 40 deutsch-reformierten Lehrern, ließen sich die Studienorte nicht ermitteln. Wie bei den lutherischen Lehrern besuchte auch ein Drittel der reformierten Lehrer mehrere Universitäten. Zu Quellen und Literatur: vgl. Anm. 304.
II. Das Profil der Lehrerschaft
225
Für die deutsch-reformierten Lehrer, die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1740 am Joachimsthalschen und am Friedrichswerderschen Gymnasium lehrten, bildete die Frankfurter Viadrina über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die meistbesuchte Ausbildungsstätte. Die anderen brandenburgischen Universitäten in Duisburg und Halle spielten dagegen so gut wie keine Rolle, ganz zu schweigen vom lutherischen Königsberg. Über zwei Drittel der besuchten Universitäten waren Hochschulen anderer reformierter Territorien des Reiches und Westeuropas. Die mit Abstand meistbesuchte Hochschule war das Bremer Gymnasium Illustre. Die unter Matthias Martinius (1572–1630) nach Herborner Vorbild umgestaltete Hochschule genoß trotz fehlender Privilegierung unter den reformierten Bildungseinrichtungen einen herausragenden Ruf. 322 In ihrer Blütezeit während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts übte sie auf Anhalt, Westfalen, Lippe und Hessen eine besondere Anziehungskraft aus. Ihr Einzugsbereich reichte darüber hinaus von den Niederlanden über die Schweiz bis nach Böhmen, Mähren und Ungarn. Bremen diente dabei gemeinsam mit Herborn und Heidelberg als Mittelpunkt von Bestrebungen, denen es um eine wissenschaftliche Festigung der calvinistischen Glaubensgemeinschaft ging. Die periphere Lage der Reichsstadt, die von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont blieb, mag die Anziehungskraft Bremens seit dem Ende Heidelbergs zusätzlich verstärkt haben. Auch Brandenburger kamen zum Theologiestudium an dieses Gymnasium Illustre. 323 Drei der hier aufgeführten zehn Berliner Lehrer, die in Bremen studiert hatten, stammten ursprünglich aus Brandenburg. Von den anderen Bremer Absolventen waren allein fünf gebürtige Bremer. Die anderen beiden kamen aus Hessen-Kassel und Westfalen. Der direkte personelle Wechsel von Bremen nach Brandenburg-Preußen war somit nicht unerheblich. In der Rangfolge der besuchten Universitäten folgte auf das Bremer Gymnasium das Gymnasium Illustre in Zerbst, was angesichts der geographischen Nähe Anhalts zu Brandenburg kaum erstaunt. Einige wenige Berliner Lehrer hatten auch in Herborn und Heidelberg studiert. Absolventen der anderen calvinistischen Hochschulen Westdeutschlands wurden nur vereinzelt nach Berlin berufen. Seit dem Einmarsch französischer Truppen am Ende der achtziger Jahre war dies im Falle Heidelbergs auch nicht mehr möglich. Auffällig ist bei den reformierten Lehrern der vergleichsweise häufige Besuch niederländischer und englischer Universitäten. Während von 87 lutherischen Lehrern nur 2 niederländische Universitäten besucht hatten, ist bei 8 von 33 reformierten Lehrern die Tatsache eines Studiums im westlichen Ausland bekannt. 324 Dieser Unterschied im Radius der peregrinatio academica bestätigt 320
Besucht wurden die Universitäten von Franeker, Utrecht und Leiden. Dies betraf die Universitäten von Oxford und Cambridge. 322 Zum Bremer Gymnasium Illustre vgl. Pixberg, Calvinismus, S. 80–83; Prüser, Gymnasium u. Menk, Schule, S. 183–187. Zu Martinius und seiner Bedeutung für das pädagogische Denken seiner Zeit vgl. Menk, Kalvinismus. 323 Vgl. Rotscheidt, Studenten. 321
226
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
den generellen Eindruck einer weitaus höheren Mobilität unter den Reformierten. Der Vergleich der Studienorte führt zugleich das starke Eingebundensein in die jeweiligen konfessionellen Netzwerke vor Augen: Mit Ausnahme des erst nach seinen Studienaufenthalten in den Niederlanden zum Reformiertentum konvertierten Joachimsthalschen Rektors Johann Vorstius (1623–1676), der in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts die Universitäten in Wittenberg, Helmstedt, Jena und Rostock besucht hatte, waren sämtliche reformierte Lehrer Absolventen calvinistischer Hochschulen. Den einzigen gemeinsamen Studienort lutherischer und deutsch-reformierter Lehrer bildete die Frankfurter Viadrina und seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die neue Landesuniversität in Halle, wenn auch in weitaus geringerem Maße. Die wenigen ermittelten Studienorte und -zeiten der französisch-reformierten Lehrer erlauben keine tabellarische Aufstellung. 325 Von fast der Hälfte der Lehrer ist der Studienort nicht bekannt. Fünf der höheren Lehrer hatten die protestantischen Akademien von Nîmes, Saumur oder Sedan besucht. Die katholischen Universitäten von Paris und Reims sind jedoch auch unter den Studienorten zu finden. Der Weg der ersten beiden Philosophieprofessoren, Jean Sperlette und Etienne Chauvin, hatte von Frankreich über die Niederlande nach Berlin geführt. Der Theologe und Naturrechtler Jean Barbeyrac studierte in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts in Lausanne und Genf, bevor er nach Brandenburg-Preußen kam. Auch Mathurin Veyssière de la Croze, der seit 1725 die Philosophieprofessur am College innehatte, war über die Schweiz nach Berlin gekommen. Vater und Sohn Philippe Naudé waren dagegen ganz ohne universitäre Bildung ausgekommen. Somit ergibt sich im Falle der ersten aus Exulanten gebildeten Lehrergeneration ein eher uneinheitliches Bild französischer und schweizerischer Bildungsinstitute, die besucht wurden. Seit dem Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts wurden dann immer häufiger Hugenotten eingestellt, die bereits in Berlin geboren und selbst Absolventen des Berliner Collège waren. 326 Brandenburgische Universitäten hatte keiner der hugenottischen Lehrer besucht, die bis 1740 am Französischen Gymnasium eingestellt wurden. Das Beispiel der Berliner Gelehrtenschullehrer bestätigt damit die These von Stichweh, daß die akademische Migration der Frühmoderne über territoriale und Ländergrenzen hinweg „primär durch konfessionelle Zusammenhänge strukturiert war“ 327. Noch bis in die Zeit 324 Dagegen betont Schneppen, daß im 17. Jahrhunderts an den niederländischen Universitäten auch lutherische Studenten anzutreffen waren. Für die Berliner Gelehrtenschullehrer, die vor allem Theologie studierten, scheint der Besuch der dortigen theologischen Fakultäten trotzdem nicht in Frage gekommen zu sein (vgl. ders., Universitäten, S. 43f.). Näheres zum Besuch niederländischer Universitäten durch Deutsche in der frühen Neuzeit vgl. ebd. 325 Vgl. die genaue Übersicht über die Berliner Lehrer im Anhang. 326 Dazu zählte auch der 1739 eingestellte Philosophieprofessor Samuel Formey. 327 Stichweh, Staat, S. 246.
II. Das Profil der Lehrerschaft
227
der Frühaufklärung ging die Konfessionalität der Berliner Gelehrtenschullehrer nicht nur mit einer unterschiedlichen geographischen Herkunft, sondern auch mit einer spezifischen akademischen Prägung und einer verschieden ausgeprägten peregrinatio academica einher. Bei den französisch-reformierten Lehrern trat zudem eine sprachlich-kulturelle Spezifik hinzu. 4. Spätere Berufskarrieren der Lehrer Wie in anderen Territorien galt auch in Brandenburg das städtische Lehramt bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein als eine Durchgangsstellung auf dem Weg zum Pfarramt. Dies wird ursächlich mit dem geringen Sozialprestige und der unzureichenden Entlohnung in Verbindung gebracht. 328 Bei den Berliner Gymnasien, die bereits im 17. Jahrhundert eine angesehene Stellung innerhalb Brandenburgs erreicht hatten, setzte der Emanzipationsprozeß des Lehramtes vom Pfarramt allerdings früher ein. Angesichts der besonderen Dotierung der Joachimsthalschen Lehrämter ist dies bei der Fürstenschule nicht weiter verwunderlich. Jedoch auch die Präzeptoren der beiden Altberliner Gymnasien verblieben seit den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts immer häufiger im Lehramt. Dies betraf nicht nur die Rektoren. Auch die anderen Lehrer der oberen Klassen, die in den meisten Fällen über einen Magistergrad verfügten oder diesen im Laufe ihrer Lehrertätigkeit erwarben und damit sehr wohl „karrieretauglich“ waren, verzichteten häufig auf einen Wechsel ins Pfarramt. Nicht zuletzt die Aussicht auf den Aufstieg in das relativ gut dotierte Rektorenamt mag dies befördert haben. Der Übergang aus einem Amt in das nächst höhere war seit dem Ende des 17. Jahrhunderts an den meisten Berliner Gymnasien eine weit verbreitete Praxis. Dies hatte den strukturellen Nebeneffekt, daß anstelle junger Pfarramtskandidaten Lehrer in einem fortgeschrittenen Lebensalter mit einer langjährigen Berufserfahrung in das Rektorenamt aufrückten. Eine Ausnahme bildete dabei allerdings das Joachimsthalsche Gymnasium. Zu Rektoren der landesherrlichen Fürstenschule wurden in den meisten Fällen meist renommierte Gelehrte von außerhalb berufen. Anhand der folgenden Tabelle soll dies zunächst für das Berlinische Gymnasium näher erläutert werden. Das Jahr 1668 wurde deshalb als Zäsur gewählt, weil es am Gymnasium zum Grauen Kloster eine Periode häufigen Rektorenwechsels von einer Phase stabil besetzter Rektorenämter trennt. Da die Inhaber der unteren Lehrämter zum großen Teil prosopographisch nicht zu fassen sind, müssen sie im Folgenden generell unberücksichtigt bleiben.
328
Vgl. Neugebauer, Staat, S. 307 u. 309.
228
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen Tabelle 5 Berliner Rektoren, Kon-, Sub- und Subkonrektoren nach späteren Berufskarrieren 329 1574–1668 1668–1740 Verbleib an der Schule
5
10
Schulwechsel
3
6
Pfarramt
28
5
Universitätslaufbahn
2
2
Beamte/Juristen
1
1
4
–
43
23
unbekannt Summe der Lehrer
330
Von dreiundzwanzig ermittelten höheren Lehrern des Berlinischen Gymnasiums der Zeit zwischen 1668 und 1740 verblieben demnach zehn bis zu ihrem Lebensende an der Schule. Dazu zählten sämtliche Rektoren und Konrektoren, mit Ausnahme des bereits erwähnten Konrektors Sebastian Gottfried Starck, der im Jahre 1705 von seinem Amt zurücktrat und zunächst an der Greifswalder Universität Hebräisch lehrte. Wenig später wurde er zum Direktor der Ritterakademie in Brandenburg berufen. Weitere fünf Lehrer, denen in Berlin kein Aufstieg gelang, übernahmen ein höheres Lehramt an anderen brandenburgischen Stadtschulen. 331 Nur fünf gingen später in ein Pfarramt über. Einer der Lehrer, der nicht nur Theologie, sondern aufgrund seiner „äußerst vielseitigen Neigungen“ 332 auch Jurisprudenz studiert hatte, machte eine Beamtenkarriere als kurfürstlicher Sekretär und Postmeister. 333 Eine solche Juristenkarriere bildete jedoch die absolute Ausnahme. Von einer Karriere in einem Verwaltungsamt ist für die Zeit
329 Ermittelt wurden die Berufskarrieren anhand der Angaben bei Küster/Müller, Berlin, S. 935–972; Diterich, Schulhistorie; Bellermann, Kloster; Heidemann, Geschichte u. Fischer, Pfarrerbuch. 330 Da einige Lehrer nacheinander mehrere neue Ämter bekleideten, ist die absolute Summe der in den einzelnen Spalten angegebenen Zahlenwerte nicht zwangsläufig mit der Anzahl der ermittelten Lehrer identisch. 331 Darunter der Konrektor Samuel Rosa, der 1669 als Rektor nach Salzwedel ging, und der Subkonrektor Martin Busse, der 1681 ein Rektorenamt in Cottbus annahm. Der Subkonrektor Johann Musaeus erhielt 1690 eine Konrektoratsstelle in Guben. Aus der späteren Zeit ist nur der Wechsel des Subrektors Martin Georg Christgau im Jahre 1739 nach Frankfurt a. O. bekannt. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 358; Diterich, Schulhistorie, S. 340 u. 342; u. Küster/Müller, Berlin, S. 965. 332 Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 252. 333 Es handelt sich hier um Friedrich Madeweiß. Vgl. ebd., S. 251–263.
II. Das Profil der Lehrerschaft
229
vor 1674 ebenfalls nur ein Fall anzuführen: Hier brachte es der Subrektor Georg Weber, Vater des späteren berühmten Rektors Gottfried Weber, im Jahre 1629 zum Vorsteher der beiden Berliner Pfarrkirchen, 1641 zum Cämmerer und bereits ein Jahr darauf in Berlin zum Bürgermeister. 334 Der von Neugebauer beobachtete Trend, daß anders als im 18. Jahrhundert im 16. und 17. Jahrhundert städtische Lehrämter auch ein Sprungbrett für Juristen sein konnten, die weltliche Führungspositionen anstrebten, läßt sich für das Berlinische Gymnasium also nur in einem sehr begrenzten Maße bestätigen. 335 Eine akademische Karriere an den philosophischen Fakultäten von Frankfurt/O. und Rostock gelang den ehemaligen Rektoren Wilhelm Hilden (1551–1587) und Andreas Hellwig (1572–1643). Im Normalfall gingen die Lehrer des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster während des ersten Jahrhunderts seiner Existenz jedoch in ein Pfarramt über: Bei fast zwei Dritteln der ermittelten Lehrer dieser Zeit – darunter zwölf von insgesamt vierzehn Rektoren – war dies der Fall. Zehn ehemalige Präzeptoren kamen in Berliner und Cöllner Pfarrämtern unter. Zu den späteren Berliner Geistlichen zählten die Pröpste Hieronymus Brunner (–1606) und Petrus Vehr d. Ä. (1585–1656) sowie die Diakone an St. Marien Martin Lubath d. Ä. (1621–1690), Jacob Hellwig d. J. (1631–1684) und Johannes Heinzelmann (1626–1687). Letzterer mußte nach dem Paul-Gerhard-Streit Berlin verlassen, gelangte danach allerdings auf die einflußreiche Superintendentur in Salzwedel/Altmark. 336 Erst nach der finanziellen Konsolidierung des Gymnasiums am Ende des 17. Jahrhunderts wurden auch höhere Lehrämter häufiger zum Endpunkt einer Berufskarriere. Betrachtet man die Berufskarrieren der Lehrer des Cöllnischen Gymnasiums, lassen sich ähnliche Tendenzen erkennen. Auch hier gewann im Laufe des 17. Jahrhunderts das Lehramt gegenüber dem Predigeramt an Bedeutung. Dies betraf ebenfalls zunächst das Amt des Rektors. Während bis 1640 noch zehn von zwölf Rektoren ihr Amt zugunsten einer Pfarrstelle oder einer anderen Berufstätigkeit aufgegeben hatten, verblieben seit 1640 sämtliche Rektoren am Cöllnischen Gymnasium. Damit erklären sich auch die in der folgenden Tabelle gewählten Zeitabschnitte:
334
Küster/Müller, Berlin, S. 961. Vgl. Neugebauer, Staat, S. 303f. 336 Näheres zu Heinzelmann, Hellwig, Lubath und Vehr bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 177–185, 192–200, 244–250 u. 441–449. 335
230
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen Tabelle 6 Cöllnische Rektoren, Kon-, Sub- und Subkonrektoren nach späteren Berufskarrieren 337 1540–1640 1640–1740 Verbleib an der Schule
4
11
Schulwechsel
1
4
Pfarramt
14
7
Universitätslaufbahn
1
1
Beamte/Juristen
1
–
sonstige
–
1
11
–
31
23
unbekannt Summe der Lehrer
338
Da die Rektoren nun auf Lebenszeit im Amt verblieben, kam es seltener zu einem Rektorenwechsel. Während von 1540 bis 1640 das Rektorenamt dreizehn mal gewechselt hatte, gab es im folgenden Jahrhundert nur fünf verschiedene Rektoren. Von diesen waren drei aus Sub- bzw. Konrektorenämtern aufgestiegen. Von den übrigen siebzehn Lehrern verblieben sechs ebenfalls auf Lebenszeit im Schulamt. Vier stiegen später in Rektorenämter anderer Gymnasien auf, zum Teil auch an Berliner Gymnasien. 339 Nur ein Drittel aller Lehrer ging in den Jahren von 1640 bis 1740 in ein Pfarramt über. Dazu zählten zwei Konrektoren und fünf Subrektoren. In der Zeit nach 1640 verlor darüber hinaus auch das Cöllnische Gymnasium seine Funktion, ein Sprungbrett für Berlin-Cöllnische Pfarrämter zu sein. Während in der Zeit vor 1640 noch fünf Lehrer in ein Cöllnisches oder Berlinisches Predigtamt übergegangen waren, war dies nach 1640 nur noch bei einem Lehrer der Fall. 340 Wie beim Berlinischen Gymnasium gab es im gesamten Untersuchungszeitraum kaum Lehrer, die eine weltliche Karriere einschlugen. Bekannt sind nur die Fälle des Rektors Georg Weber (1585–1662), der 1641 in 337
Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 973–986; Küster, Memorabilia; Schmidt/Klöden, Geschichte u. Fischer, Pfarrerbuch sowie die Angaben von Friedrich Bake im Album Coloniense, LAB, A Rep. 020–09, Nr. 82. Die Rektoren sind seit 1540, die Konrektoren seit 1578 namentlich bekannt. Subrektoren gibt es erst seit der Einrichtung dieses Amtes im Jahre 1607, Subkonrektoren seit 1702. 338 Da einige Lehrer nacheinander mehrere neue Ämter einschlugen, ist die absolute Summe der in den einzelnen Spalten angegebenen Zahlenwerte nicht zwangsläufig mit der Anzahl der ermittelten Lehrerkarrieren identisch. 339 Georg Gottfried Küster war seit 1732 Rektor am Friedrichswerderschen Gymnasium und Joachim Christoph Bodenburg von 1743 bis 1759 Rektor am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster.
II. Das Profil der Lehrerschaft
231
ein Bürgermeisteramt eintrat, und des Subrektors Adam Romanus (–1643), der nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Wirtschaft übernahm. Daß die Cöllnischen Präzeptoren seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts länger im Schuldienst blieben, hatte auf das innere Profil der Schule vermutlich eine stabilisierende Wirkung. Der Tatsache, daß die Attraktivität der höheren Lehrämter mit der finanziellen Konsolidierung der jeweiligen Gymnasien in einem engen Zusammenhang stand, zeigt sich in besonderer Weise beim Friedrichswerderschen Gymnasium. Hier setzte dieser Prozeß deutlich später als an den anderen Berliner Gelehrtenschulen ein. Erst seit 1710, nachdem sich die finanzielle Lage unter dem Rektorat von Joachim Lange gefestigt hatte, verblieb ein größerer Teil der Lehrerschaft am Friedrichswerderschen Gymnasium. Tabelle 7 Friedrichswerdersche Rektoren, Kon- und Subrektoren nach späteren Berufskarrieren 341 1681–1710 1710–1740 Verbleib an der Schule
–
6
Schulwechsel
2
3
Pfarramt
8
–
Universitätslaufbahn
2
1
Beamte/Juristen
–
–
sonstige
1
–
unbekannt
–
–
13
10
Summe der Lehrer
Dies 340341 hatte vermutlich auch mit dem unter Lange deutlich gestiegenen Renommee der jüngsten deutschen Gelehrtenschule der Residenz zu tun. Gleichwohl blieb die Anziehungskraft der landesherrlichen Fürstenschule groß. Zwei reformierte Lehrer wechselten nach 1710 an das Joachimsthalsche Gymnasium über. 342 Der
340
Dazu zählte der ehemalige Rektor Martin Willich, der als Konsistorialrat und Hofprediger in Berlin wirkte, bis er 1614 wegen ernster Auseinandersetzungen mit seinem reformierten Landesherrn Brandenburg verließ und nach Hamburg ging. Vgl. Schmidt, Geschichte, S. 17f. Der ehemalige Subrektor Christian Teuber wurde nach seiner Zeit als Superintendent in Neuruppin im Jahre 1690 Berliner Propst zu St. Nicolai, verstarb allerdings noch im selben Jahr. Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 529–534. 341 Küster/Müller, Berlin, S. 986–992; Gedike, Geschichte; Müller, Geschichte u. Fischer, Pfarrerbuch.
232
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
lutherische Konrektor Friedrich Bake stieg später zum Rektor des Berlinischen Gymnasiums auf. Damit waren jedoch seit 1710 sämtliche Friedrichswerderschen Präzeptoren im Lehrerberuf verblieben. In den drei Jahrzehnten zuvor waren dagegen fast alle Lehrer der oberen Klassen Prediger geworden, häufig auch an den Berliner neustädtischen Kirchen, wo sie zum Teil bereits einen Predigtauftrag innegehabt hatten. Die Karrieren konnten dabei bis zu einem Königlichen Hofund Domprediger führen, wie das Beispiel des Konrektors Johann Wahrendorf (1668–1738) zeigt. 343 Eine Universitätskarriere als Theologieprofessor hat nicht nur Joachim Lange in Halle eingeschlagen, sondern auch dessen reformierter Amtsvorgänger Barthold Holtzfuß (1659–1716), der bereits 1696 an die Frankfurter Landesuniversität berufen worden war. Auch Langes reformierter Nachfolger im Rektorenamt, Dietrich Siegfried Claessen, erlangte später an der Viadrina eine Theologieprofessur und wurde außerdem zum Hofprediger ernannt. 344 Anders als bei den städtischen Gymnasien kann man bei den Berliner Gelehrtenschulen landesherrlichen Patronats bereits von Beginn an feststellen, daß fast alle hierher berufenen Lehrer ihr Berufsleben auch dort beschlossen haben: Tabelle 8 Höhere Lehrer der landesherrlichen Gymnasien nach späterer Berufstätigkeit Joachimsthalsches Gymnasium 345 Collège François 346 1650–1740 1689–1740 Verbleib an der Schule
21
12
Schulwechsel – nach Entlassung
1 3
–
Pfarramt
2
2
Universitätslaufbahn
–
2
Beamte/Juristen
–
–
342 Dabei handelte es sich um den Friedrichswerderschen Rektor Heinrich Meierotto und den Konrektor Johann Sebastian Taubenspeck. 343 Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 213. 344 Vgl. ebd., S. 210f. 345 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 913–935; Hering, Beiträge Bd. 2, S. 164–204 u. Fritze, Verzeichnis. Weitere Details zu allen Lehrern finden sich bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 363–442. Aufgeführt werden sämtliche Rektoren, Kon-, Sub- und Subkonrektoren der Zeit seit 1650 sowie die Inhaber der nach 1707 eingerichteten juristischen, mathematischen und anderen Fachprofessuren. 346 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 992–1000. Erman, Mémoire; Schulze, Bericht u. Velder, Gymnasium. Zu den höheren Lehrern des Collège wurden der jeweilige Philosophieprofessor, der Prinzipal und Lehrer der Prima, der Lehrer der zweiten Klasse und der Lehrer der kombinierten dritten und vierten Klasse gezählt.
II. Das Profil der Lehrerschaft
233
sonstige
–
–
unbekannt
2
1
29
17
Summe der Lehrer
Zieht man die besonderen Besoldungsverhältnisse am Joachimsthalschen Gymnasium in Betracht, erstaunt dies bei der Fürstenschule wenig. Jedoch verblieben auch die meisten Lehrer des Collège trotz ihres vergleichsweise bescheidenen Gehaltes in den dortigen Lehrämtern. Dies ist vor allem auf die Vertreibungssituation der Hugenotten zurückzuführen. Wie bereits erwähnt, befanden sich unter den Glaubensflüchtlingen überproportional viele Theologen und Gelehrte. Da die Anzahl französisch-reformierter Pfarrstellen in Brandenburg-Preußen nicht sehr hoch war, muß für diese Akademikerschicht die Anstellung am Collège eine willkommene Möglichkeit gewesen sein, ihren Lebensunterhalt in der Fremde abzusichern. Ungefähr die Hälfte der ersten Lehrergeneration bis 1740 befand sich bereits in einem vorgerückten Lebensalter. Jedoch blieben auch die Jüngeren in nicht wenigen Fällen für mehrere Jahrzehnte am Collège und prägten damit langfristig das Unterrichtsprofil des Französischen Gymnasiums. Zwei intellektuell herausragenden Lehrern des Collège gelang jedoch auch eine akademische Karriere: Jean Sperlette, der 1695 in Halle eine Philosophieprofessur annahm und der bereits erwähnte Jean de Barbeyrac, der 1710 als Professor für Geschichte und Recht nach Lausanne ging und danach einen Ruf an die Juristische Fakultät von Groningen erhielt. 347 Am Joachimsthalschen Gymnasium zeigt sich dasselbe Bild: Fast alle Lehrer verblieben bis zu ihrem Tode oder ihrer Emeritierung in ihren ursprünglichen Positionen. Generell war an der Fürstenschule der Aufstieg aus einem Amt in das nächst höhere nicht die Regel. Angesichts der großzügigen Gehälter gab es hierzu im Unterschied zu allen anderen Berliner Gelehrtenschulen auch keine besondere Notwendigkeit. Nur drei Lehrer sind als typische „Aufsteiger“ auszumachen. 348 Von den sieben Rektoren des Untersuchungszeitraumes kamen bis auf einen alle neu an die Schule. Angesichts der herausragenden Stellung des Joachimsthalschen Gymnasiums als landesherrliche Fürstenschule wurden vom Schuldirektorium nur solche Schulmänner zu Rektoren berufen, die an anderen angesehenen Gelehrtenschulen Leitungsämter innegehabt hatten. Wenn Joachimsthalsche Lehrer die Schule wieder verließen, hatte dies in nicht 347
Von dem späteren Philosophieprofessor Mathurin Veyssière de la Croze ist bekannt, daß er eine Professur in Helmstedt hätte bekommen können, wenn er zu einem Konfessionswechsel bereit gewesen wäre. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 996. Dies wird ebenso von einem Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann Vorstius, berichtet, der erst nach seinem Studium vom Luthertum zur reformierten Konfession übergetreten war. Vgl. Hering, Beiträge Bd. 2, S. 166. 348 Hierbei handelte es sich um den späteren Rektor Gersom Vechner und die Subrektoren Johann Heinrich Knebel und Bernhard Ludwig Beckmann.
234
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
wenigen Fällen einen disziplinarischen Hintergrund. 349 Ein singulärer Fall blieb der freiwillige Abgang des ehemaligen Rektors Jacob Elsner in ein Predigeramt an der neuen reformierten Parochialkirche im Jahre 1729.
III. Das Profil der Schülerschaft 1. Größe und Ausbildungsvolumen der Schulen Wenn im Folgenden die Schülerschaft der Berliner Gelehrtenschulen einer näheren Untersuchung unterzogen wird, sollen zunächst quantitative Aspekte im Vordergrund stehen. Hierüber geben insbesondere die Schülermatrikel, wie sie von den jeweiligen Rektoren geführt wurden, Auskunft. Das Ausbildungsvolumen drückt sich jedoch nicht nur in den Immatrikulationszahlen, sondern auch in der Anzahl der Klassen aus, über die eine Schule verfügte. Dabei gab es zwischen den Berliner Gelehrtenschulen deutliche Unterschiede. Am stärksten ausdifferenziert waren die beiden städtischen Gelehrtenschulen: Am Gymnasium zum Grauen Kloster gab es von vornherein sieben und am Cöllnischen Gymnasium zunächst fünf und seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts sechs Klassen. Die jeweils unterste Klasse stand dabei den Lateinanfängern offen. Das Joachimsthalsche Gymnasium war bei seiner Gründung nach sächsischem Muster für drei Klassen ausgelegt worden. Da die aufzunehmenden Schüler laut den Gründungsstatuten die initia Grammatices und Latinae linguae albereit ziemblich gefaßet 350 haben sollten, fielen hier die Anfängerklassen weg. Dies änderte sich mit dem Umzug in die Berliner Residenz, als die Fürstenschule ihren reinen Internatscharakter verlor und Berliner Eltern die Möglichkeit bekamen, auch jüngere Knaben von zu Hau-
349
Entlassen wurde der erste Berliner Rektor Wulstorp im Jahre 1659 und der Adjunctus und Professor Juris Conrad Heinrich Barckhusen im Jahre 1715. Der Adjunctus und Geschichtsprofessor Michael Bernhard von Wencko wurde wegen eines verdächtigen Briefwechsels mit dem Bischof von Salzburg im Jahre 1726 auf königlichen Befehl inhaftiert. Aufschlußreiche Details dazu finden sich in einer Randnotiz der Beckmannschen Nachrichten: Sein Hauptverbrechen hat darin bestunden, daß er unter einem angenommenen Charakter nach Wien gegangen, einige privat vorschreiben gehabt, wodurch er sich ein einsehen zu wege gebracht und alles gewonnen, und hat Vorschläge gethan die kaiserliche prinzessin nachmahlige Königin von Ungarn u. Kaiserin mit dem damahligen Krohnprinz, nachmahligen ietzigen König von Preußen zuvermählen. Weil diese nun der Hochsel. König, der um nicht wußte, erfuhr, wurde die sache sehr übel aufgenommen und der unzeitige unterhändler beim kopf genommen. Es hätte der Prinz müssen papistisch werden, wofür aber der Hochsel. Herr einen ganz besondern wiederwillen hatte, welcher der papistischen religion im herzen spinne feind war. (Beckmann, Nachrichten, Bl. 439). Von Wencko erhielt nach seiner Begnadigung das Rektorat am Danziger reformierten Gymnasium. Später wandte sich der ehemalige Jesuit wieder dem Katholizismus zu und ging in ein Jesuitenkloster nach Böhmen. Vgl. Fritze, Verzeichnis, S. 5. 350 Statuta bey der Fürstenschul Joachimsthal (24. August 1607). Zit. nach Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 73f.
III. Das Profil der Schülerschaft
235
se aus zum Unterricht in die Fürstenschule zu schicken. 351 Nach dem Umzug in die Berliner Residenz war die Schule zudem um eine Quarta ergänzt worden, in welcher die vormaligen Lehrer der reformierten Domschule jetzt auch Anfänger in Latein unterrichteten. 352 Strukturell hatte sich die Fürstenschule damit den Altberliner Gymnasien angenähert. Bis zum Jubiläumsjahr 1707 blieb es bei diesen vier Klassen. Dann wurde eine besondere Suprema ausgegliedert, in welcher die Schüler verstärkt auf die Universität vorbereitet werden sollten. 353 In den dreißiger Jahren wurden die beiden obersten Klassen durch Teilungen nochmals um zwei weitere auf sieben vermehrt. Bei den beiden jüngsten Berliner Gymnasien ist der umgekehrte Trend zu beobachten. Am Friedrichswerderschen Gymnasium, das ursprünglich auf fünf Klassen angelegt war, mußten die Klassen wegen Lehrerund Schülermangels häufig zusammengezogen werden. Dies war auch bei den vier unteren Klassen des Collège François der Fall. Bei den Klassen handelte es sich generell um Leistungsklassen und nicht um Jahrgangsklassen. Die Versetzung von einer Klasse in die nächste war Angelegenheit der jeweiligen Rektoren, die durch Prüfungen über die mögliche Versetzung entschieden. Daß Schüler länger als ein Jahr in einer Klassenstufe verblieben, kam durchaus vor. Nur am Joachimsthalschen Gymnasium waren die Aufenthaltsdauer und vor allem die damit verbundenen Beneficien, der freie Tisch und seit 1718 die freie Unterkunft, zeitlich begrenzt. 354 Das Alter der Schüler konnte innerhalb der einzelnen Klassen stark differieren. In den Gründungsdokumenten des Joachimsthalschen Gymnasiums war ein Mindestalter von zwölf bis dreizehn Jahren vorgesehen. 355 Diese Altersbeschränkung wurde in Berlin jedoch nicht mehr eingehalten. Allerdings mußten die in die Communität aufgenommen Knaben seit dem Rektorat von Wilhelmi mindestens 14 Jahre alt sein. In den erneuerten Statuten von 1707 wurde endgültig festgelegt, daß Schüler unter 12 oder 13 Jahren 351
Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 231. Der undatierte Vorschlag der Klassenerweiterung findet sich in einer Abschrift bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 572. 353 Nach dem Zeugnis von Beckmann sollte die Suprema zu den Academischen wissenschaften etwas näher vorbereiten, und nicht allein in sprachen, in der Geographie, Historie altertühmern und in stilo, sondern auch in den Philosophischen wissenschaften der Logic, metaphysic, Doctrina morali und Physic, mathesi und Geometrie, in dem Jure Naturae und civili und in der Theologie so wohl Thetica als Exegetica unterweisen. (Beckmann, Nachrichten, Bl. 361). 354 Für die dreiklassige Schule in Joachimsthal war explizit festgelegt worden, daß die Schüler hier nicht länger als vier oder fünf Jahre verweilen sollten (Statuta bey der Fürstenschul Joachimsthal (24. August 1607). Vgl. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 74). Im Jahre 1707 wurde diese Verordnung erneuert und festgelegt, daß die Alumnen ihren Internatsplatz nicht länger als fünf Jahre innehaben sollten (Auszug aus der Königl. Confirmation Anni 1707. BLHA, Rep. 32, Nr. 345, Bl. 28). 355 Statuta bey der Fürstenschul Joachimsthal (24. August 1607). Vgl. Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 73. 352
236
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
weder in die Communität noch in die drei ersten Klassen aufgenommen werden sollten. 356 Da die Schüler vier bis fünf Jahren im Alumnat verbleiben durften, waren sie beim Schulabgang mindestens 17 bis 18 Jahre alt. Wie vereinzelte Bemerkungen in den Matrikeln des Berlinischen Gymnasiums zeigen, reichte das Aufnahmealter in die dortige Septima von 8 bis 12 Jahren. In die Quarta aufgenommene Schüler konnten zwischen 10 und 15 Jahre alt sein, Tertianer und Secundaner waren zwischen 14 und 17 Jahren alt. Ein neuer Schüler der Quarta zählte sogar schon 20 Jahre. 357 Daß sich unter den Berlinischen Schülern nicht wenige befanden, welche das Alter von zwanzig Jahren bereits überschritten hatten, beweist eine Quelle aus dem Jahre 1684. 358 Je nach ihrer Verweildauer in den folgenden Klassen konnten die Schüler beim Abgang zur Universität um 19 Jahre alt sein, was dem durchschnittlichen Immatrikulationsalter an deutschen Universitäten seit dem 17. Jahrhunderts entsprach. 359 Über die Anzahl der aufgenommenen Schüler geben die Matrikel die genaueste Auskunft. Die Matrikelbücher der beiden Altberliner Gymnasien sind erfreulicherweise erhalten. Sie erfassen die seit den Rektoraten von Weber und Bödiker eingeschriebenen Schüler. Ob auch zuvor Matrikel geführt wurden, ist nicht bekannt. Diterich gibt an, daß am Berlinischen Gymnasium in der Anfangszeit, nachdem die Winkelschulen abgeschafft worden waren, 600 Schüler unterrichtet worden seien. Im Jahre 1576 wären jedoch „wegen der anhaltenden Pest-Zeit“ nur noch 8 bis 10 Schüler übrig geblieben. Im Jahre 1650 gab der damalige Subrektor Schirmer ein Namensverzeichnis sämtlicher Schüler heraus, das 166 Namen umfaßte. 360 Für das Jahr 1657, als Heinzelmann das Rektorat innehatte, gibt Diterich
356 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 159. Beckmann merkt in diesem Zusammenhang allerdings kritisch an, daß es inzwischen dahin gekommen sei, daß auch kinder in der wiege, und solche, die das Gymnasium nicht frequentiren, oder vielmehr deren eltern das Beneficium also genoßen, daß ihnen vom Gymnasio jährlich für iedes kind 50 rt ausgezahlet werden müßten. Die Freistellen konnten demnach in einigen Fällen vom König in finanzielle Zulagen für Begünstigte umgewidmet werden. 357 Die Belege dazu stammen aus den Jahren 1716, 1718 u. 1726 bis 1730 (Matrikel oder Verzeichniß der in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von Ao. 1668 bis 1722 aufgenommenen und eingefüreten Studirenden und Lernenden. ZLB, GKl Archiv). 358 An einer Rauferei mit Joachimsthalschen Schülern waren fünf Berlinische Schüler beteiligt, von denen zwei 20 Jahre und je einer 21, 23 und 24 Jahre alt waren. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 3, Bl. 1. 359 Zur Altersstruktur der Studienanfänger vgl. Berg, Leichenpredigten, S. 142. Für Brandenburg-Preußen erging im Jahre 1718 die königliche Verordnung, daß an den Gymnasien Schüler über etliche 20. Jahr alt in den Schulen nicht geduldet werden sollten. Die propädeutische Funktion der Gymnasien wurde damit erneut festgeschrieben. Königl. Preußische erneuerte Verordnung, wegen der studirenden Jugend, auf Schulen und Universitäten, wie auch der Candidatorum Ministerii. (30. September 1718). Mylius, CCM T. 1, Abt. 2, Nr. 118, Sp. 230. 360 Schirmer, Lieder. Vgl. auch Rohrlach, Nachweise, S. 277, Fußnote 7.
III. Das Profil der Schülerschaft
237
die Zahl von 83 Primanern an. 361 Durch Primärquellen sind erst die seit 1668 am Berlinischen Gymnasium eingeschriebenen Schüler nachzuweisen. 362 Tabelle 9 Immatrikulationen am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster
Rektor
Zeitraum
Summe
Neuzugänge pro Jahr
Neuzugänge pro Klasse I II III IV V VI VII
Gottfried Weber
1668–1697
1287
43
–
Samuel Rodigast
1698–1707
742
74 17 9
6
6 3
9 24
Christian Friedrich Bodenburg
1708–1725
1370
76 12 8
6
8 3
9 30
Johann Leonhard Frisch
1726–1742
1310
77 12 7
8
7 4
5 34
Johann Christian Bodenburg
1743–1757
1009
67
Summe
1668–1757
5718
64
–
Demnach wurden während des dreißigjährigen Rektorates von Weber durchschnittlich 43 Schüler pro Jahr neu aufgenommen. In seinen Amtsjahren lagen die Immatrikulationszahlen häufig unter dreißig, bis sie schließlich auf über fünfzig anstiegen. 363 Unter Rodigast wurden dann fast doppelt so viele Schüler immatrikuliert. Dieser Anstieg mag vor allem mit den bevölkerungspolitischen Ver361
Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 39; 93 u. 96 (Zitat). Vgl. Matrikel oder Verzeichniß der in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von Ao. 1668 bis 1722 aufgenommenen und eingefüreten Studirenden und Lernenden und Verzeichniß derer Studirenden und Lernenden, welche in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von und unter vier Rektoren Bodenburg, Frisch, Bodenburg und Wippel seit 1723 bis Ao. 1760 aufgenommen und eingeführet sind (ZLB, GKl Archiv). Die Übersicht führt die absoluten Summen der immatrikulierten Schüler sowie die durchschnittliche Anzahl der unter einem bestimmten Rektor pro Jahr aufgenommenen Schüler an. Soweit dies von den Rektoren in den Matrikeln vermerkt wurde, werden auch die Klassenstufen, in welche die Schüler eintraten, erfaßt. 363 Eine beredtes Zeugnis vom schlechten Ansehen der Schulen nach den langen Kriegsjahrzehnten gab Weber anläßlich der Säkularfeier des Berlinischen Gymnasiums im Jahre 1673: „Zwar ist nicht ohn dass in diesem Martio seculo, da nur arma & enses geehrt werden, die Schulen sowol hohe als niedrige fast in großer Verachtung ligen und für eine Schande gehalten wird, in die Schulen zu gehen und ein Schüler oder Schullehrer seyn wollen; Unsere lieben Vorfahren haben was höfflicher und gescheuter von Schulen geredet und gehalten als welchen wol bewusst gewesen dass alle Weisheit und Tugend ja alle Gottesfurcht die der Weisheit Anfang ist, von der Unterweisung und also aus der Schulen kommt.“ (Weber, Bellerophon, o. S.). 362
238
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
änderungen in der Berliner Residenz zusammenhängen. Allerdings deutet die Tatsache, daß die Schülerzahl schon unmittelbar im Jahr der Rektoratsübernahme durch Rodigast deutlich anstieg, auch auf einen personellen Zusammenhang hin: Möglicherweise motivierte der neue Rektor, der einer jüngeren Lehrergeneration angehörte, eine größere Anzahl von Eltern dazu, ihre Söhne an das Berlinische Gymnasium zu schicken. Unter den Rektoraten von Frisch und den beiden Bodenburg blieben die Immatrikulationszahlen weitgehend stabil auf einem hohen Niveau. Wie die Übersicht zeigt, wurde der größte Teil der neuen Schüler in die Anfängerklassen aufgenommen. Hierbei handelte es sich vor allem um Knaben aus AltBerlin oder anderen Berliner Stadtteilen und benachbarten Ortschaften. Dagegen kamen die neuen Schüler der oberen Klassen aus weiter entfernten Gebieten Brandenburg-Preußens und aus fremden Territorien. Generell gilt die Regel: je höher die Einstiegsklasse, von desto entfernteren Orten stammten die Schüler. Dies kann nicht weiter verwundern, da man erst älteren Knaben zumuten wollte, weite Entfernungen zurückzulegen. Außerdem war der Aufenthalt in der Berliner Residenz teuer und verfügten die städtischen Gelehrtenschulen nur über wenige Kommunitätsstellen. Wenn auch der größere Teil der Schüler bereits in die untersten Klassen einstieg, hielt die Praxis, für ein oder zwei Jahre die Prima oder Secunda des berühmten Berlinischen Gymnasiums zu besuchen, auch im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts an. Ihren Unterhalt sicherten die auswärtigen Jugendlichen vor allem durch ihre Tätigkeit als Privatinformatoren bei Berliner Bürgerfamilien ab, bei denen sie auch wohnen konnten. Die tatsächliche Größe der einzelnen Schulklassen kann man aus den Immatrikulationszahlen nur indirekt ableiten. Problematisch ist die Zählung der vorzeitigen Abgänge, die in den Matrikelbüchern nur sehr selten vermerkt wurden. Die durchschnittlichen Immatrikulationszahlen stellen insofern nur mögliche Maximalwerte derjenigen Schüler dar, die eine universitäre Reife erlangt haben könnten. Wie viele Schüler die obersten Klassen und damit die Stufe der universitären Propädeutik tatsächlich erreichten, ist mit Sicherheit nur anhand einzelner Stichdaten zu sagen, die wiederum keine repräsentative Bedeutung haben. 364 Generell ist davon auszugehen, daß von den in die unteren Klassen aufgenommenen Schülern keineswegs alle zur Universität übergingen. 365 364 Interessant ist die von Rodigast für 1698 notierte Angabe von 48 Primanern. Während diese Zahl dem oben genannten Durchschnittswert von 43 immatrikulierten Schülern unter Weber sehr nahe kommt, fand Bodenburg im Jahre 1708 nur 31 Schüler in der Prima vor, also weniger als die Hälfte der durchschnittlich von Rodigast immatrikulierten Schüler. Offensichtlich hatte eine Vielzahl der Schüler dieses Jahrganges die Stufe der universitären Propädeutik nicht erreicht. Auch die von auswärts dazugekommenen Schüler hatten die Abgänge nicht ausgleichen können. Aus der Zeit der Rektorate von Bodenburg und Frisch liegen leider keine Schülerzahlen für die oberen Klassen vor. 365 Zum generellen Phänomen der vorzeitigen Abgänge vgl. Neugebauer, Staat, S. 522f.
III. Das Profil der Schülerschaft
239
Die Matrikel des Cöllnische Gymnasiums setzen im Jahre der Rektoratsübernahme von Johann Bödiker und damit nicht viel später als am Berlinischen Gymnasium ein. Sie sind ähnlich strukturiert wie die Berlinischen und halten die jeweiligen Zugänge in einzelne Klassenstufen fest. 366 Anhand der Einträge der Rektoren von 1675 bis 1766 ergibt sich folgendes Bild: Tabelle 10 Immatrikulationen am Cöllnischen Gymnasium Rektor Johannes Bödiker
Zeitraum Summe Neuzugänge pro Jahr
Neuzugänge pro Klasse I
II III IV V VI
1675–1694
1007
53 21
11
Christian Rotaridis 1695–1722
1586
59 11
4
2
2 10 30
21
Christian Rubin
1723–1727
183
36
7
2
1
2
Friedrich Bake
1728–1741
953
53 11
6
4
3 11 18
Christian Tobias Damm
1742–1766
715
30
Gesamtsumme
1675–1766
4444
49
4
8 16
26
Am Cöllnischen Gymnasium liegen die Immatrikulationszahlen demnach etwas niedriger als am Berlinischen Gymnasium. Eine deutliche Ausnahme bildet allerdings die Zeit des Rektorates von Bödiker, der in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts mehr Schüler immatrikulierte als sein Berliner Kollege Weber. Auffällig ist die besonders hohe Anzahl von fortgeschrittenen Schülern, die sich direkt in die Prima immatrikulieren ließen. Offensichtlich genoß Bödikers Unterricht über die Grenzen Berlins hinweg einen herausragenden Ruf. Keiner seiner Nachfolger erreichte einen vergleichbaren Zulauf an Schülern. 367 Zwar immatrikulierte Rotaridis im Schnitt etwas mehr Schüler – dabei handelte es sich jedoch vor allem um Anfänger und nicht um Fortgeschrittene; viele dieser Schüler kamen aus den Berliner Neustädten, die über keine eigene Lateinschule verfügten. Nach einem gewissen Einbruch unter Rubin stabilisierten sich die Schülerzahlen während der Zeit von Bake wieder. Der Trend weg von einem weiterführenden Gymnasium hin zu einer einfachen Lateinschule zeichnete sich vor allem unter Damm ab. In die Prima wurden kaum neue Schüler aufgenommen. Dies bestätigt die bereits erwähnte Tatsache, daß die Berliner Bevölkerung Damms Unterricht reserviert gegenüberstand und das Berlinische Gymnasium dem Cöllnischen vor366
Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 247ff. Im Jahre 1694 befanden sich 47 Schüler in der Prima des Cöllnischen Gymnasiums, also fast ebenso viele wie in der Prima des Berlinischen Gymnasiums. Vgl. Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 371f. 367
240
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
gezogen wurde. Mit der Vereinigung der beiden Altberliner Schulen im Jahre 1767 kam dem Cöllnischen Gymnasium die Oberstufe endgültig abhanden. Im Unterschied zu den Matrikeln der beiden Altberliner Gymnasien sind die Schülermatrikel des Joachimsthalschen Gymnasiums zum großen Teil verloren gegangen. 368 Die folgende Übersicht stützen sich deshalb hauptsächlich auf Angaben aus der Sekundärliteratur. 369 Tabelle 11 Immatrikulationen am Joachimsthalschen Gymnasium 1653–1707 Rektor Ernst Wulstorp
Zeitraum Summe Neuzugänge pro Jahr 370
1653–1657
104
20
Johann Vorstius
1659–1676
278
15
Interim
1677–1680
53
13
Johann Gerlach Wilhelmi 1680–1687
255
32
Gersom Vechner
1688–1707
712
36
Gesamtsumme
1653–1707
1398
26
In der Zeit vor 1707 wurden an der Fürstenschule demnach deutlich weniger Schüler immatrikuliert als an den beiden Altberliner Gymnasien. Dies betrifft vor allem die Zeit bis 1680. Die Gründe für diese geringere Frequenz in der ersten Berliner Zeit waren zum einen materieller Art. Wie oben dargestellt stabilisierten sich die Einnahmen der Schule erst wieder in den achtziger Jahren. Die Tatsache, daß bis zum Ende des 17. Jahrhunderts am Grauen Kloster und am Köllnischen Gymnasium von einer Lehrerschaft vergleichbarer bzw. geringerer Größe deutlich mehr Schüler unterrichtet wurden, läßt jedoch auch auf andere Hintergründe schließen. Dazu zählte der konfessionelle Aspekt. Vermutlich trug der reformierte Charakter des Joachimsthalschen Gymnasiums stark dazu bei, daß in den ersten Jahrzehnten nach 1650 die Schülerzahl dort geringer war als an den lutherischen Gymnasien. Aus der geringeren Frequenz darf jedoch keineswegs auf eine geringere gymnasiale Leistungsfähigkeit der Schule geschlossen werden. So brachte 368 Die Matrikel aus der Joachimsthaler Zeit sind erhalten und befinden sich im BLHA, Rep. 32, Nr. 3646. Die Matrikel der frühen Berliner Zeit gingen vermutlich bereits im 19. Jahrhundert verloren. Während sich Snethlage in einem Schulprogramm von 1824 noch auf diese Schülermatrikel stützen konnte, lagen sie zum Schuljubiläum von 1907 nicht mehr vor. Vgl. Snethlage, Übersicht u. Bahn, Statistik. 369 Vgl. Snethlage, Übersicht, S. 32f. 370 Diese Angaben stammen nicht von Snethlage sondern sind unmittelbar den Quellen entnommen. Wulstorp führt im Jahre 1657 104 Schüler namentlich auf, die er an der Fürstenschule immatrikuliert hatte. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 2f.
III. Das Profil der Schülerschaft
241
die Tatsache, daß am Joachimsthalschen Gymnasium für weniger Knaben mehr Präzeptoren zur Verfügung standen, sicherlich bessere Lernbedingungen mit sich. Auch in anderer Hinsicht waren die Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums privilegiert: Einem Teil der Schüler wurde bald wieder das benficium des Freitisches gewährt. Bis 1662 wurden 36 Knaben an drei Tischen gespeist und seit 1685 gab es fünf Tische mit 60 Schülern. 371 Darin unterschied sich die Fürstenschule deutlich von den städtischen Schulen, die nur sehr wenige ihrer Schüler mit einer Communitätsstelle versorgen konnten. Daß die Inhaber dieser Freistellen das Joachimsthalsche Gymnasium vorzeitig verließen, ist kaum anzunehmen. Vielmehr kann man davon ausgehen, daß die weitaus überwiegende Mehrzahl der an der Fürstenschule immatrikulierten Schüler den Gymnasialkurs auch bis zur Prima durchlief. Im Jahre 1653 gab es nach dem Zeugnis von Wulstorp 32 Schüler in der Prima. Im Jahre 1657 waren es 22 Schüler, was den durchschnittlichen Neuzugängen entsprach. 372 Unter Wilhelmi sollen bereits 50 Schüler in der Prima gewesen sein. 373 Zwischen 1680 und 1706 wuchs die Zahl der Freitische auf acht für insgesamt 96 Schüler an. Anläßlich des Jubiläums im Jahr darauf wurde der neunte und zehnte Freitisch eingerichtet, so daß ab jetzt 120 Knaben freie Verpflegung bekamen. Multipliziert man die Anzahl der seit 1680 jährlich immatrikulierten Schüler mit den damals vier Klassen, kommt man auf deutlich mehr Knaben. Das bedeutet, daß über die Inhaber der Freistellen hinaus noch weitere Schüler als sogenannte Hospiten an der Fürstenschule unterrichtet wurden. Für die Zeit nach dem Schuljubiläum von 1707 sind besondere Ranglisten erhalten, die im Anschluß an die jährlichen Prüfungen erstellt wurden und den Leistungsstand der Schüler innerhalb der einzelnen Klassen dokumentierten. 374 Im Unterschied zu den Matrikellisten spiegelt sie nicht die neu aufgenommene Schülerzahl, sondern die tatsächliche Größe der einzelnen Klassen in den entsprechenden Jahren wieder. Daß das Ausbildungspotential des Joachimsthalschen Gymnasiums in den Jahren seit 1707 weiter anstieg, zeigt die folgende Aufstellung über die Klassenfrequenzen, wie sie sich aus den Ranglisten ergeben. 375
371
Vgl. auch oben, Abschnitt C. III. 6. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 4 u. 45. 373 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 158. 374 BLHA, Rep. 32, Nr. 5344. 375 Vgl. ebd. Auf diese Listen stützte sich auch Fritze (vgl. ders., Verzeichnis). Aus der Zeit von Jacob Elsner liegen keine Ranglisten vor. 372
242
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen Tabelle 12 Klassenfrequenzen am Joachimsthalschen Gymnasiums von 1707–1772
Rektor
durchschnittliche Gesamtfrequenz
Zeitraum
durchschnittliche Schülerzahl pro Klasse Ia
I
II III IV
56
62
45 26 45
Paul Volckmann
1707–1721
234
Jacob Elsner
1722–1729
–
–
265
27/31 39/40 46 33 48
Johann Philipp Heinius 1730–1772
Demnach betrug die durchschnittliche Gesamtschülerzahl in der Zeit der Rektorate von Volckmann und Heinius zwischen 234 und 265 Schüler. Da die Fürstenschule seit 1707 über 120 Freistellen verfügte, die bis zu den 1740er Jahren auf 150 bis 160 Stellen erweitert wurden, machte die Anzahl der Hospiten in diesen Jahrzehnten etwas mehr als einhundert aus. Dabei handelte es sich vor allem um Tertianer und Quartaner, denen der Zugang zur Communität verwehrt war. Wie viele Schüler jährlich neu aufgenommen wurden oder die Schule verließen, ist freilich aus den Ranglisten nicht eindeutig abzuleiten, da viele Knaben länger als ein Jahr in einer Klassenstufe verweilten. Zieht man jedoch in Betracht, daß die meisten Schüler nicht länger als drei Jahre im Alumnat verblieben, kann man von einer jährlichen Zu- und Abgängerquote von mindestens fünfzig Alumnen ausgehen. 376 Zählt man die Hospiten hinzu, kommt man auf ungefähr siebzig Schüler, die pro Jahr neu aufgenommen wurden oder die Schule verließen. Diese Schätzung kann durch Angaben aus der Sekundärliteratur bestätigt werden 377: Tabelle 13 Immatrikulationen am Joachimsthalschen Gymnasium 1707–1772 Rektor
Zeitraum Summe Neuzugänge pro Jahr
Paul Volckmann
1707–1721
1086
77
Jacob Elsner
1722–1729
505
72
Johann Philipp Heinius 1730–1772
3559
85
Gesamtsumme
5150
79
1707–1772
376 Nach Beckmann warteten die wenigsten Schüler die Zeit von vier bis fünf Jahren ab. Andererseits habe es Schüler gegeben, die sogar sieben Jahre lang das Beneficium genossen hätten. Vgl. ders., Nachrichten, Bl. 161. Der Hugenotte und spätere Lehrer am Berliner Collège, Annibal Vigut, studierte von 1709 bis 1713 in der Prima und Suprema des Joachimsthalschen Gymnasiums. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 5344. 377 Vgl. Snethlage, Übersicht, S. 36f.
III. Das Profil der Schülerschaft
243
Damit hatte die Fürstenschule im 18. Jahrhundert eine vergleichbare Ausbildungsfrequenz wie die städtischen Gymnasien erreicht. Geht man von einer höheren vorzeitigen Abgängerquote an den städtischen Gymnasien aus, lag sie an der Fürstenschule sogar etwas darüber. Dies bleibt jedoch eine Vermutung, da für die Zeit nach 1707 weder vom Berlinischen noch vom Cöllnischen Gymnasium genaue Klassenfrequenzen vorliegen. Mit Sicherheit ist allerdings festzustellen, daß das Ausbildungspotential des Joachimsthalschen Gymnasiums zumindest seit den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts das des Cöllnischen Gymnasiums bei weitem übertraf. Die Matrikel des Friedrichswerderschen Gymnasiums lagen bereits im 18. Jahrhundert nicht mehr vor. Angaben über die Größe der Schülerschaft können auch in diesem Falle nur aus der Sekundärliteratur entnommen werden. 378 Tabelle 14 Klassenfrequenzen am Friedrichswerderschen Gymnasium
Rektor
Jahr
Schülerzahl pro Klasse
Gesamtfrequenz I
Joachim Ernst Berger
vor 1697
II III IV V
50–60
Joachim Lange
1709
Heinrich Meierotto
1710
60
1713
20
1715
11
1717
17 12
Conrad Heinrich Barckhusen
234
1718
379
Georg Gottfried Küster
96
38
40 60
6
26 12 16
1739
64
16
5
8
5 30
1749
59
20
9
2
9 19
1764
27
3
1
4
7 12
1770
44
2
3
6 33
378 Vgl. Gedike, Geschichte. Bei den überlieferten Zahlen handelt es sich ausschließlich um Klassenfreqenzen und nicht um Immatrikulationszahlen. Da nur wenige Werte überliefert sind, werden im Unterschied zu den bisherigen Aufstellungen diesmal keine Durchschnitts-, sondern nur Einzelwerte angegeben. 379 Diese Angaben konnten als einzige zeitgenössischen Quellen entnommen werden: LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9761, Bl. 32.
244
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Wie die Tabelle zeigt, lagen die Schülerzahlen des Friedrichswerderschen Gymnasiums deutlich unter denen der anderen Berliner Gymnasien. Dies betrifft sowohl die Zeit vor dem Rektorat von Lange als auch die Zeit danach, in welcher die Schülerfrequenz schnell wieder auf einen zweistelligen Bereich sank. Die entscheidende Ausnahme bildet die Zeit des Rektorates von Lange, in der das Friedrichswerdersche Gymnasium von ebenso vielen Schülern besucht wurde wie das Joachimsthalsche Gymnasium. Die meisten Schüler nahmen am Unterricht von Lange selbst teil, den er in der Prima erteilte. Die Tatsache, daß die Klassenfrequenzen nach Langes Weggang wieder deutlich zurückgingen, zeigt, daß nicht die materielle Ausstattung für den Erfolg einer Schule entscheidend war, sondern vor allem das Lehrprofil und der Ruf des jeweiligen Rektors. Die oben geschilderten Streitigkeiten unter den Lehrern mögen das Image der Schule weiter beschädigt haben. 380 Unter dem greisen Küster, der die Schule noch als Siebzigjähriger führte, löste sich die Oberstufe fast vollständig auf. Das Collège der Hugenotten zählte wie das Friedrichswerdersche Gymnasium zu den wenig besuchten Gymnasien. Die folgenden Angaben stützen sich dabei ebenfalls auf die Sekundärliteratur, da die Matrikel des Französischen Gymnasiums heute nicht mehr vorliegen. 381 Tabelle 15 Immatrikulationen am Collège François
Directeur
Zeitraum Summe Neuzugänge pro Jahr
Anteil nach Nationalität Franzosen Deutsche
Etienne Chauvin
1696–1725
418
14
10
4
Mathurin Veyssière de la Croze
1726–1739
251
18
13
5
Jean Henri Samuel Formey
1739–1752
297
21
14
7
Aus den Anfangsjahren unter Jean Sperlette liegen keine Immatrikulationszahlen vor. Bekannt ist nur die Summe von 52 Schülern, die im Jahre 1695 am Collège unterrichtet wurden, davon 4 in der classe de philosophie, 8 in der Sekunda und 10 in der Tertia. Die restlichen 28 verteilten sich auf die vier unteren Klassen. Nur zwei Deutsche befanden sich darunter. 382 Wie die Übersicht zeigt, blieb die Anzahl der am Französischen Gymnasium seit 1696 immatrikulierten Schüler bis zum 380 381 382
Vgl. oben, Abschnitt C. IV. 2. Vgl. Gaster, Nachrichten. Vgl. ebd., S. 138.
III. Das Profil der Schülerschaft
245
Ende des Untersuchungszeitraumes gering. Dies betrifft auch die Jahre um 1700, als ein Viertel der Berliner Gesamtbevölkerung Hugenotten waren. Mit seinen weniger als 20 Neuaufnahmen pro Jahr blieb das Collège deutlich unter den Ausbildungskapazitäten der anderen Berliner Gelehrtenschulen. So wurden an den beiden Altberliner Gymnasien und am Joachimsthalschen Gymnasium jeweils 50 bis 70 Knaben jährlich immatrikuliert, was zusammengenommen mehr als das zehnfache der am Collège aufgenommenen Schüler ausmachte. In den Jahren um 1700, als das Friedrichswerdersche Gymnasium unter Lange einen vermehrten Zulauf hatte, war das Französische Gymnasium mit Abstand das kleinste unter den Berliner Gelehrtenschulen. Auch der Anteil deutscher Schüler, die sich für den Besuch des Französischen Gymnasiums entschieden, blieb gering. Angesichts der starken Berliner Konkurrenz unter den humanistischen Bildungseinrichtungen übte der französische Charakter des Collège offensichtlich keine ausreichende Anziehungskraft aus. Zum Französischlernen stellte die Schule kaum den geeigneten Platz dar, bildeten doch sichere Französischkenntnisse bereits eine grundsätzliche Aufnahmevoraussetzung. 383 Darüber hinaus kam der Besuch des französisch-reformierten Collège für die Lutheraner, die in der Stadt die Mehrheit bildeten, aus konfessionell-religiösen Gründen nicht infrage. Wenngleich die Zahl deutscher Schüler am Collège relativ gering blieb, wuchs deren prozentualer Anteil kontinuierlich an. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war bereits ein Drittel der Schüler deutscher Herkunft. Auffallend an den Schülerzahlen ist vor allem, daß der Anteil der Berliner Hugenotten, die ihre Söhne an das Französische Gymnasium schickten, trotz der Schulgeldfreiheit so niedrig blieb. Institutionalisierte höhere Bildung wurde von den Franzosen offensichtlich in weit geringerem Maße in Anspruch genommen, als dies bei den Deutschen der Fall war. Vor allem unter den wohlhabenden Familien der Hugenottenkolonie scheint Privatunterricht eine weit verbreitete Praxis gewesen zu sein. Einige Lehrer und Inspektoren des Collège unterrichteten selbst privat nebenher. 384 Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als das Collège unter Jean Pierre Erman seine erste große Blütezeit erlebte, sollte es hinsichtlich seiner Ausbildungsfrequenz mit den anderen Berliner Gymnasien gleichziehen. Wie die Auswertung der nach dem Dreißigjährigen Krieg einsetzenden Schülermatrikel zeigt, erreichte das Ausbildungsvolumen der städtischen Gymnasien Berlins im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert einen besonderen Höhepunkt. Bereits seit den siebziger Jahren waren hier die Schülerzahlen kontinuierlich angestiegen. Trotz des weiter anhaltenden Bevölkerungswachstums blieben in der Zeit nach 1720 die Schülerzahlen konstant oder sie wurden – wie im Falle des Friedrichswerderschen und des Cöllnischen Gymnasiums – sogar rückläufig. Dieser
383 384
Vgl. Disziplina seu Leges, S. 96. Vgl. Velder, Gymnasium, S. 70 u. 87.
246
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Trend verschärfte sich insbesondere seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, als das Berliner Gelehrtenschulwesen generell in eine Krise geriet. Das Ausbildungspotential der beiden königlichen Gymnasien entwickelte sich unterschiedlich. Während das Joachimsthalsche Gymnasium wie die anderen deutschen Gelehrtenschulen der Residenz immer mehr Zulauf erhielt, wurde das Collège der Hugenotten im gesamten Untersuchungszeitraum von relativ wenigen Schülern besucht. Anders als bei den städtischen Gymnasien wuchsen die Schülerzahlen des Joachimsthalschen Gymnasiums im Verlauf des 18. Jahrhunderts weiter an und es blieb auch nach 1750 gut besucht. Sein exzeptioneller Status als Fürstenschule trat nun immer deutlicher hervor. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts waren die städtischen Gelehrtenschulen dem königlichen jedoch durchaus ebenbürtig, wie die hohe Schülerzahlen in den dortigen oberen Klassen zeigen. In der Blütezeit des Berliner Gelehrtenschulwesens um 1700 wurden an allen fünf Schulen zusammen pro Jahr mehr als 200 Schüler neu aufgenommen. Verrechnet man die jeweiligen Immatrikulationszahlen mit der entsprechenden Anzahl der Klassen, kommt man – vorsichtig geschätzt – auf 300 bis 400 Schüler am Berlinischen und am Cöllnischen Gymnasium. Dazu sind für die Zeit von Lange mehr als 230 Schüler vom Friedrichswerderschen Gymnasium und ebenso viele vom Joachimsthalschen Gymnasium zu zählen. Geht man von mindestens 50 Schülern am Collège aus, ergibt sich eine Summe von über 1000 Schülern, die gleichzeitig an den höheren Berliner Schulen lernten. Bei einer Summe von 50.000 Einwohnern im Jahre 1709 machte dies einen enorm hohen Anteil an der Gesamtbevölkerung aus. 385 Auch wenn von den Schülern der Berliner Gelehrtenschulen keineswegs alle an Universitäten übergingen, bildete die Berliner Residenz damit das wichtigste nichtuniversitäre Bildungszentrum Brandenburg-Preußens. In Brandenburg a. H. und Frankfurt a. O., den beiden anderen größeren Schulstandorten der alten Kurmark, die über mehr als eine höhere Schule verfügten, wurden nicht annähernd so viele Schüler ausgebildet. 386 Das Ausbildungspotential der drei Königsberger Gymnasien reichte ebenfalls nicht an dasjenige der Hauptresidenz heran. 387 Interessant ist vor allem der Blick nach Halle, wo seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nicht nur die Franckesche Lateinschule und das 385
Einwohnerzahl nach Fidicin, Geschichte, S. 516. Das Zahlenmaterial zu diesen Schulen ist sehr dürftig. An der Frankfurter lutherischen Lateinschule wurden im Jahre 1739 178 Schüler unterrichtet. Die Zahlen für das reformierten Friedrichs-Gymnasium in Frankfurt sind nicht bekannt, ebenso wenig die Größe der Schülerschaft am städtischen Gymnasium von Brandenburg. An der Brandenburgischen Saldrina wurden 1731 immerhin 233 Schüler unterrichtet. Vgl. Wiese, Statistik, S. 111ff. u. 120ff. Die Brandenburgische Ritterakademie nahm zwischen 1705 bis 1740 durchschnittlich zehn Schüler jährlich auf. Vgl. Arnold, Geschichte, S. 98ff. 387 Das altstädtische Gymnasium hatte in den achtziger Jahren mit 500 Schülern eine besondere Blütezeit erlebt. Die zweite städtische Lateinschule zählte um 1700 mehr als 300 Schüler. Die reformierte Friedrichsschule wurde im Jahre 1730 von 115 Schülern besucht. Vgl. Wiese, Statistik, S. 52ff. 386
III. Das Profil der Schülerschaft
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Paedagogium Regium, sondern auch ein reformiertes Gymnasium Illustre neu eingerichtet worden war und darüber hinaus eine städtische Lateinschule existierte. 388 Die beiden letzteren Schulen scheinen relativ schlecht besucht worden zu sein. 389 Das Franckesche Paedagogium Regium war bis 1740 im Schnitt mit 70 bis 85 Schülern besetzt, was einem Drittel der Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums entsprach. Bis 1756 sank die Schülerfrequenz dann auf 20 Schüler ab. 390 Die Schülerzahl der sechsklassigen Franckeschen Lateinschule wuchs in den Jahren zwischen 1705 und 1720 von 160 auf 300 Schüler an und betrug seit den vierziger Jahren um 550 Knaben. Nach 1770 ging sie wieder auf 200 zurück. 391 Im Vergleich mit der Berliner Situation reichte das Ausbildungsvolumen der Halleschen höheren Schulen bis in die ersten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts hinein nicht annähernd an das der Berliner Gelehrtenschulen heran. Erst als in den vierziger Jahren die Immatrikulationen an den städtischen Berliner Gymnasien zurückgingen, während die Franckesche Lateinschule weiter aufblühte, mag das Hallesche Ausbildungspotential kurzzeitig eine vergleichbare Größe erreicht haben. Mit der Reform des höheren Berliner Schulwesens durch die Aufklärungspädagogen Gedike und Büsching kehrte sich dieses Verhältnis in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts erneut um. Damit bleibt festzustellen, daß in der Zeit von Frühaufklärung und Pietismus die königliche Hauptresidenz Berlin und nicht die junge Universitätsstadt Halle der bedeutendste Ort gymnasialer Bildung in Brandenburg-Preußen war. 2. Das konfessionelle Profil der Schülerschaft Die beiden ältesten Gymnasien der Berliner Residenz waren nicht nur im Blick auf ihre Lehrerschaft, sondern auch hinsichtlich der Schülerschaft rein lutherische Schulen und fest in die lutherische Konfessionskultur eingebunden. In den Berlinischen und Cöllnischen Schulgesetzen und Lehrplänen war die lutherische Konfession als Erziehungsziel fest verankert. Ein Beispiel dafür, wie sehr das eigene Selbstverständnis von der konfessionellen Frage bestimmt war, bilden Äußerungen des Berlinischen Rektors Weber vom Beginn der achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, also aus einer Zeit, als der Konfessionskonflikt seinen Hö388
Vgl. Wiese, Statistik, S. 249ff. Wiese gibt für die städtische Lateinschule zwischen 1662 (500 Schüler) und 1786 (161 Schüler) keine Immatrikulationszahlen an. Die Schule wurde vermutlich nur vor und nach der Blüte der Franckeschen Schulen stärker besucht (vgl. ders., Statistik, S. 249). Zum reformierten Gymnasium Illustre vgl. Gabriel, Gemeinden, S. 83–87. 390 Vgl. Zaepernick, Bericht, S. 68. 391 Vgl. Richter, Francke, S. 333 u. Müller-Bahlcke, Jahresprogramm, S. 41. Richter führte die Abnahme der Schülerzahlen auf die neue Konkurrenz durch das Dessauer Philanthropin und das Magdeburger Pädagogium zum Kloster-Berge zurück (vgl. ders., Francke, S. 382). 389
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
hepunkt bereits überschritten hatte. Nach einem Bericht seiner Kollegen vom Joachimsthalschen Gymnasium hatte Weber seine Schüler mehrmals in aller Öffentlichkeit davor gewarnt, daß sie beim Übergang zur Fürstenschule wohl dem Teuffel in den Rachen lauffen würden. Außerdem hätte er seine Schüler vermahnt, ja nicht in die Dohmkirche zu gehen. 392 Die Tatsache, daß sich der Berlinische Rektor zu solchen Äußerungen veranlaßt sah, zeigt jedoch auch, daß der Wechsel von lutherischen Schülern an das Joachimsthalsche Gymnasium tatsächlich vorkam. Zum diesem Zeitpunkt war die neue Simultanschule auf dem Friedrichswerder, an der nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer beider Konfessionen zusammenkamen, gerade gegründet worden. Wie sich unter den Schülern des Friedrichswerderschen Gymnasiums die konfessionellen Verhältnisse gestalteten und ob es möglicherweise Spannungen gegeben hat, ist aufgrund fehlender Quellen nicht zu sagen. Zieht man in Betracht, daß die Reformierten auf dem Friedrichswerder eine Minderheit bildeten, kann man mit ziemlicher Sicherheit von einer lutherischen Mehrheit unter den Schülern ausgehen. Daß lutherische Schüler das Collège der Hugenotten besuchten, ist dagegen nicht anzunehmen. Die wenigen deutschen Schüler, die sich am Französischen Gymnasium immatrikulieren ließen, waren vermutlich schon deshalb ausschließlich Reformierte, weil hier nur die französisch-reformierten Bekenntnisschriften gelehrt wurden. Wie stark die konfessionellen Grenzen den Schulbesuch bestimmten, zeigt sich auch im umgekehrten Fall: Unter den Schüler der lutherischen Gymnasien lassen sich so gut wie keine Hugenotten ausmachen. 393 Ein besonderes Licht auf die mentalen Befindlichkeiten wirft ein Zwischenfall, der sich im Jahre 1684 unter Schülern des Berlinischen und des Joachimsthalschen Gymnasiums ereignete. 394 Im Verlauf einer ernsthaften Schlägerei war einem Schüler des Berlinischen Gymnasiums auf dem Nikolaifriedhof eine Hand abgeschlagen worden. Wie die umfangreichen Akten zeigen, beschuldigten sich die Beteiligten gegenseitig, für die Eskalation der Gewalt verantwortlich gewesen zu sein. Nach Aussage der Joachimsthalschen Lehrer hätten die Schüler auß der Lutherischen Schulen zu unterschiedenen mahlen so manche händel an denen Schülern vom Joachimsthalischen Gymnasio gesuchet. Sie wären vor des Rectoris fenster mit bloßen Degen in der Hand erschienen und hätten allerhand schand392 GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 3, Bl. 157. Ob diese Äußerungen, mit denen der streng reformierte Vechner seinen lutherisch-orthodoxen Kollegen beim Geheimen Rat denunzierte, im Wortlaut so gefallen sind, muß allerdings offenbleiben. 393 Am Berlinischen Gymnasium lassen sich nur in den Jahren 1701 und 1708 vier aus Frankreich stammende Hugenotten nachweisen. Vgl. Matrikel oder Verzeichniß der in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von Ao. 1668 bis 1722 aufgenommenen und eingefüreten Studirenden und Lernenden. ZLB, GKl Archiv. In den gedruckten Matrikeln des Cöllnischen Gymnasiums von 1656 bis 1767 finden sich unter 4600 Namen nur 17 hugenottische Namen, die also vernachlässigbar sind. Vgl. Gilow, Schülermatrikel. 394 Zum Folgenden vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 2 u. 3.
III. Das Profil der Schülerschaft
249
und anzügliche Lieder gesungen, hätten die Calvinischen angepöbelt und auch einsmahls die fenster in der Communität Stube zerschlagen. Sie würden nun in der ganzen Stadt, darinnen die meisten als religions Verwandten ihre partey halten . . . die Joachimsthalischen . . . als aggressores ausruffen . . . da ohne diß schon die reformirte Schule in Berlin Vielen ein Dorn in den Augen und ein Stein des Anstoßes ist. 395 Dies läßt zunächst darauf schließen, daß es sich um einen konfessionell motivierten Konflikt gehandelt hatte. Die Tatsache, daß unter den beteiligten Fürstenschülern auch ein Lutheraner war, wirft jedoch ein völlig anderes Licht auf den Fall. Offensichtlich hatte der konfessionelle Aspekt nur als vorgeschobener Grund zur Austragung jugendlicher Ehrenhändel gedient. Daß zwei der beschuldigten Joachimsthaler adliger Herkunft waren, erhärtet diesen Verdacht. Erst im gesellschaftlichen Diskurs war der ursprüngliche Standeskonflikt konfessionell aufgeladen worden, so daß sich Paul von Fuchs, unter dessen Vorsitz der Fall verhandelt wurde, veranlaßt sah, eine gemischte Untersuchungskommission aus theils Reformirten, theils Lutherischen zu bilden, damit sich kein Theil mit fug . . . beschweren konnte. 396 Obwohl sämtliche Lehrer der Fürstenschule seit 1615 auf die Confessio Sigismundi verpflichtet wurden, waren am Joachimsthalschen Gymnasium nicht nur reformierte, sondern auch lutherische Schüler ausdrücklich vorgesehen. Im Landtagsrezeß von 1653 war nochmals bestätigt worden, daß hier eine gewisse Anzahl adelicher, Bürger- und Landkinder studieren und einigen zur Fortsetzung ihrer Studien, ohne unterscheid, ob sie der reformirten oder luttherischen Religion zugethaan 397, ein Stipendium verordnet werden sollte. In der Praxis sah es jedoch so aus, daß die Lutheraner ihre Kinder in den ersten Jahren nach 1650 lieber in die städtischen Schulen schickten. 398 Solange die konfessionellen Auseinandersetzungen, die mit den Religionsgesprächen und dem Streit um Paul Gerhardt ihren Höhepunkt fanden, anhielten, wird sich daran wenig geändert haben. Wie bereits geschildert, zogen lutherische Eltern ihre Kinder in der Zeit des Visitators Kunsch sogar wieder von der Fürstenschule ab. 399 Mit dem Abklingen der Religionsstreitigkeiten hat die Anzahl lutherischer Schüler vermutlich wieder zugenommen. Im Jahre 1707 wurde jedenfalls sehr wohl von der Existenz lutherischer Schüler am Gymnasium ausgegangen. Das beweist eine neue Regelung in den erneuerten
395
Bericht vom Rektor und sämtlichen Kollegen des Joachimsthalschen Gymnasio (o. D.). GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 2, Bl. 4. 396 Paul von Fuchs an den Kurfürsten (14. August 1684). GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 2, Bl. 2. 397 Landesrevers des Kurfürsten Friedrich Wilhelm für die kurmärkischen Stände vom 26. Juli 1653. Zit. nach Klinkenborg, Ständearchiv, S. 454. Vgl. auch Hering, Beiträge Bd. 2, S. 45. 398 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 158. 399 Vgl. oben, Abschnitte C. III. 5 u. D. I. 3.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Leges, wonach die Lutheraner am gleichen Tag wie die Reformierten bei einem Prediger ihrer Konfession zur Kommunion gehen sollten. Der Rektor sollte allerdings zwei Tage zuvor für die Schüler beider Konfession eine Vorbereitung halten. 400 Daß in der Zeit Friedrichs I. am Joachimsthalschen Gymnasium auch aktiv Toleranz geübt wurde, beweist der Fall des damals berühmten Sozinianers Samuel Crell. Dessen Söhne, die wie ihr Vater keiner der reichsrechtlich anerkannten Konfessionen angehörten, erhielten seit 1706 das beneficium des Freitisches, obwohl die antitrinitarische Lehre der Sozinianer in den Schulgesetzen explizit abgelehnt wurde. 401 Die ursprünglichen Aufnahmebestimmungen der Fürstenschule spielten in Berlin insofern keine Rolle mehr, als die märkischen Stände von den ihnen zustehenden Stellen keinen Gebrauch machten und die Städte keine von ihnen vorher ausgewählte Kandidaten an die Schule entsandten. Vielmehr war es seit 1650 üblich geworden, daß sich die Bewerber direkt beim Rektor meldeten und von ihm und dem Konrektor geprüft wurden. Danach wurden die Schüler dem Schuldirektorium gemeldet, welches die Zulassung zum Unterricht erteilte. 402 Während die Hospiten abgesehen von der Aufnahmeprüfung ohne besondere Anträge das Gymnasium besuchen durften, mußten diejenigen, die zur Kommunität zugelassen werden wollten, einen besonderen Antrag an das Schuldirektorium stellen. 403 Solche Anträge bieten einige Anhaltspunkte zum konfessionellen Profil der Schülerschaft. So finden sich darunter mehrere Stellenbewerbungen für Söhne reformierter Prediger, von Militärs und kurfürstlichen Beamten. 404 In einem Schreiben an den Kurfürsten aus dem Jahre 1684 spricht der Vorsitzende des Schuldirektoriums, Lucius von Rahden, davon, daß auf der Warteliste für einen Freitisch 20 Schüler ständen, meist von Eur. Curfürstl. Durchl. Landesprediger, undt armer Hoffdiener Kinder 405. Beides bietet ein Indiz dafür, daß das Privileg 400 Leges Docentium in Regio Gymnasio Joachimico (24. 9./4. 10. 1707). BLHA, Rep. 34, Nr. 1857, Bl. 38. In den überarbeiteten Schulgesetzen von 1767 war genau festgelegt, daß sich die Reformierten wegen des Gottesdienstes und der Kommunion zur Domkirche oder zur Französischen Kirche und die Lutherischen zur Nikolaikirche zu halten hätten (Vgl. Erneuerte Verordnungen, S. 59). Nach Hering gab es an der Nikolaikirche zwei extra für die lutherischen Schüler erbaute Chöre. Vgl. ders., Beiträge Bd. 2., S. 151. 401 Näheres dazu bei Hering, Beiträge Bd. 2., S. 151–153. In einem Schreiben an das Schuldirektorium vom 15. April 1706 ordnet Danckelmann die Aufnahme des jüngeren der beiden Söhne Crells an: H. Bischoffs Hochwürd. haben mir heute zu vernehmen gegeben daß auch der junge letzl. außgesetzte Crellius gestallten umbständen nach wohl in der Communität angenommen werden koene sofern nun so viele stellen ledig. Bei dem genannten Bischof handelte es sich um D. E. Jablonski, der offensichtlich die Aufnahme befürwortet hatte (BLHA, Rep. 32, Nr. 66, Bl. 28). 402 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 135f. 403 Vgl. ebd., S. 136. 404 Aus den Jahren von 1659 bis 1688 sind rund dreißig solcher Anträge erhalten geblieben. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17,1 u. BLHA, Rep. 32, Nr. 3529.
III. Das Profil der Schülerschaft
251
des Freitisches Hofbediensteten und Kindern reformierter Hofprediger – denn solche waren wohl hier gemeint – bevorzugt zukam. 406 Das ursprüngliche Anliegen des Schulgründers, an der Fürstenschule aus allen Gegenden der Kur- und Neumark stammenden begabten Knaben unterschiedlichster sozialer Herkunft eine fundierte Schulbildung zu ermöglichen, wurde in Berlin offensichtlich nicht mehr verwirklicht. Daß reformierte Schüler am Joachimsthalschen Gymnasium eine besondere Förderung erfuhren, zeigt sich auch in mehreren Änderungen der Aufnahmebestimmungen. So sah die Stiftungsurkunde des 1665 von der Kurfürstin Luise Henriette gegründeten reformierten Waisenhauses in Oranienburg vor, daß die begabten unter den Waisen bevorzugt am Joachimsthalschen Gymnasium angenommen und ad mensam communem, also zum Freitisch, zugelassen werden sollten. 407 Außerdem wurden entgegen den Festlegungen der Fundation, wonach der Schulbesuch den Einheimischen vorbehalten sein sollte, von Kurfürst Friedrich Wilhelm auch Ausländern, insbesondere Minderheiten aus katholischen Gebieten, Stellen eingeräumt. So traf der Kurfürst im Jahre 1681 die Bestimmung, sechs reformierten Litauern und Samogitiern aus dem damaligen Großpolen freien Tisch und freie Wohnung, eine Unterstützung von 50 Talern sowie ein Stipendium für ein anschließendes Universitätsstudium an der Frankfurter Universität zu gewähren. 408 Im Jahre 1686 wurde der Plan gefaßt, einen eigenen Tisch für die aus Frankreich vertriebenen Glaubensflüchtlinge einzurichten. 409 Daß dies dann doch nicht geschah, ist vermutlich auf die wenig später erfolgte Gründung des Collège zurückzuführen. 410 Friedrich III. stiftete 1697 zwei Stipendiatenstellen für reformierte Siebenbürger und drei Jahre später sechs weitere Plätze für reformierte Knaben und Studiosi aus Kleinpolen. 411 Die erneuerten Leges von 1707 bestätigten diese Freistellen. Was die Kommunität betrifft, sollten zwar zuförderst Einheimische nicht genugsam vermögender Leute Kinder aus Städten 405
BLHA, Rep. 32, Nr. 3529, Bl. 186. Daß noch Jahrzehnte später die Konfession bei der Aufnahme in die Kommunität eine entscheidende Rolle spielte, zeigt eine Quelle aus dem Jahre 1715. Während alle sechs Bewerber aus Suprema und Prima, die reformierter Konfession waren, eine Zusage erhielten, wurden von neunzehn Lutheranern nur zehn in die Kommunität aufgenommen. BLHA, Rep. 32, Nr. 539, Bl. 3f. 407 Stiftungsurkunde von Oranienburg vom 25September . September1665. Vgl. Orlich, Kurfürst, S. 158–166 u. Wetzel, Geschichte, S. 130. 408 BLHA, Rep. 32, Nr. 539, Bl. 1. Diese polnischen Stellen blieben bis ins 19. Jahrhundert bestehen. Vgl. auch Hering, Beiträge Bd. 2, S. 149 u. Wetzel, Geschichte, S. 131f. 409 Vgl. ebd. 410 Trotzdem befanden sich in der Folgezeit immer auch einige Hugenotten unter den Joachimsthalschen Schülern. In den jährlichen Schülerranglisten, die seit 1707 geführt wurden, lassen sich jeweils bis zu 10 hugenottische Namen identifizieren. Dies bedeutet zugleich, daß der Anteil von Schülern hugenottischer Herkunft an der Fürstenschule nie mehr als fünf Prozent betrug. 406
252
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
und vom Lande welche zum studiren vor andern tüchtige und geschickte ingenis haben, angenommen werden; Jedoch den Pfälzern, Polen und Litauern vermöge S. Kgl. Durchl. spezialen Verordnung, ingleichen andern Nationen, befundenen Umständen nach, bevorab sie reformirter Religion seyn, der Zutritt nicht gänzlich versaget 412 sein. Dies blieb jedoch die einzige Stelle in den Schulgesetzen, die besondere Festlegungen hinsichtlich der Aufnahme von Reformierten trifft. Unter König Friedrich Wilhelm I. sollen die Sonderbestimmungen für reformierte Ausländer wieder außer Kraft gesetzt worden sein. 413 In den überarbeiteten Schulgesetzen von 1767 hieß es dann explizit, daß die Schüler ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses angenommen werden sollten. 414 3. Die regionale Herkunft der Schüler In welchem Maße sich die Berliner Gymnasien hinsichtlich der regionalen Herkunft ihrer Schüler voneinander unterschieden und wie sich das Einzugsgebiet der Schulen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Trägerschaft, Ausstattung und konfessionellen Ausrichtung entwickelte, soll im Folgenden erörtert werden. Aufgrund der eingeschränkten Quellenlage geschieht dies nur anhand des Berlinischen und des Cöllnischen sowie des Joachimsthalschen Gymnasiums. Wie die ältesten erhaltenen Schulschriften vor allem des Berlinischen Gymnasiums zeigen, waren unter den Schülern der städtischen Gymnasien von vornherein nicht nur Berliner, sondern immer auch Brandenburger. Genaue Vergleiche zum regionalen Profil der Schülerschaft können erst durch die Auswertung der Schülermatrikel getroffen werden, wie sie für die beiden städtischen Gymnasien seit den letzten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts vorliegen. Am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster sah die Verteilung der Herkunftsgebiete in der Zeit des Rektorates von Weber (1668–1697) folgendermaßen aus 415: 411
Kurfürstliche Resolution vom 11. April 1700. GStA PK, I. HA, Rep. 60, Nr. 17, 1, Bl. 200. Die polnischen Schüler wurden jeweils von einem der Hofprediger besonders betreut. Bis 1712 war dies Benjamin Ursinus von Bär und danach D. E. Jablonski (vgl. Hering, Beiträge Bd. 2., S. 150). Daß letzterem die Förderung der Polen besonders am Herzen lag, zeigt Jablonskis Antrag aus dem Jahre 1728, wegen Unterdrückung der reformirten Kirche in Polen einen zusätzlichen reformierten polnischen Schüler in die Kommunität aufzunehmen (BLHA, Rep. 32, Nr. 7, Bl. 72). 412 Erneuerte und verbesserte Statuta des königl. Gymnasii in der Residenz Berlin (24. 9./4. 10. 1707). BLHA, Rep. 34, Nr. 1857, Bl. 29. Die Quelle über eine besondere Bestimmung hinsichtlich der Pfälzer konnte bisher nicht ermittelt werden. 413 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 160. 414 Vgl. Erneuerte Verordnungen, S. 59. 415 Ausgewertet wurden 1180 Matrikeleinträge aus den Jahren von 1668 bis 1697 unabhängig von der Eintrittsklasse. Vgl. Matrikel oder Verzeichniß der in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von Ao. 1668 bis 1722 aufgenommenen und eingefüreten Studirenden und Lernenden. ZLB, GKl Archiv.
III. Das Profil der Schülerschaft
253
Wie die Grafik zeigt, stammte nur ein Viertel der von Weber immatrikulierten Schüler aus der Berliner Residenz. Die gute Hälfte und damit zugleich die größte Gruppe aller Schüler kam aus der umliegenden Mark Brandenburg. Hierbei handelte es sich zum überwiegenden Teil um Mittel- und Uckermärkische sowie Prignitzsche Ortschaften. Der Anteil von Schülern aus der weiter entfernten Altmark und der Neumark jenseits der Oder war deutlich geringer und machte etwa zwölf Prozent aus. Unter den sonstigen brandenburgisch-preußischen Gebieten war Pommern mit sechs Prozent am stärksten vertreten. Seit den achtziger Jahren kamen immer mehr Schüler aus den neuen magdeburgischen und halberstädtischen Gebieten hinzu. Aus dem entfernten Ostpreußen stammten dagegen so gut wie keine Schüler, ebenso wie aus den westlichen brandenburgisch-preußischen Landesteile. Unter den anderen Territorien des Reiches waren mit fünf bzw. zwei Prozent der Schüler die beiden Lausitzen und Kursachsen am stärksten vertreten. Aus Schlesien und Mecklenburg kamen jeweils zwei Prozent aller Immatrikulierten. 416 Ausländer – auch Hugenotten – hat es am Berlinischen Gymnasium in diesem Zeitraum nicht gegeben. Am Cöllnischen Gymnasium sahen in diesen Jahrzehnten die Verhältnisse ähnlich aus. 417 Achtzig Prozent und damit die überwiegende Mehrheit der Schüler kam aus Berlin und der Mark Brandenburg. Anders als beim Gymnasium zum Grauen Kloster machten jedoch die Berliner bzw. Cöllner und nicht die Brandenburger die größte Schülergruppe aus. Offensichtlich war der Ruf des Cöllnischen Gymnasiums über die Stadtgrenzen hinweg weniger stark als der des Berlinischen Gymnasiums. Der Anteil von Schülern aus anderen Reichsterritorien entsprach
416 In absoluten Zahlen waren dies 61 Lausitzer, 25 Sachsen (aus dem Thüringischen und dem Meißnischen) sowie 21 Schlesier und 27 Mecklenburger. 417 Als Grundlage der Statistik dienten 987 Einträge von 1675 bis 1694 durch den Cöllnischen Rektor Bödiker, ebenfalls unabhängig von der Eintrittsklasse. Vgl. Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 247–370.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
in etwa demjenigen des Berlinischen Gymnasiums. Im Unterschied zum Berlinischen Gymnasium besuchten jedoch auch einige Ausländer das Cöllnische Gymnasium. Dabei handelte es sich vor allem um Schüler aus Ostmitteleuropa: aus Ungarn, Polen und Litauen.
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Nach der Jahrhundertwende verschob sich das Verhältnis zwischen Berlinern und Märkern an beiden städtischen Gymnasien deutlich zugunsten der Berliner. Dies mag seine Ursache in dem gestiegenen Bildungsbedürfnis der zahlenmäßig deutlich gewachsenen residenzstädtischen Bevölkerung gehabt haben: Tatsächlich drängte eine Vielzahl von Schülern aus den neuen Berliner Stadtteilen an die beiden altstädtischen Gymnasien. Daß parallel dazu die Attraktivität der Berliner Gymnasien für Brandenburger abnahm, hatte vermutlich damit zu tun, daß in der Zeit nach 1700 an verschiedenen Standorten in der Mark neue höhere Schulen gegründet worden waren. Diese machte für viele Schüler einen Schulbesuch in der Berliner Hauptresidenz unnötig. Zugleich ließ auch der Schulbesuch von Schülern aus anderen Gebieten Brandenburg-Preußens und des Reiches nach. Wie die folgende Grafik zeigt, stammten in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts am Berlinischen Gymnasium nur noch dreizehn Prozent der Schüler aus weiter entfernten Gebieten. 418 Der Ausländeranteil fiel weiterhin kaum ins Gewicht.
418 Ausgewertet wurden 2090 Matrikeleinträge der Rektoren Rodigast und Bodenburg. Da sich das Profil der Immatrikulierten unter beiden Rektoren kaum voneinander unterschied, wurden beide Rektorate hier zusammengefaßt. Vgl. Matrikel oder Verzeichniß der in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von Ao. 1668 bis 1722 aufgenommenen und eingefüreten Studirenden und Lernenden und Verzeichniß derer Studirenden und Lernenden, welche in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von und unter vier Rektoren Bodenburg, Frisch, Bodenburg und Wippel seit 1723 bis Ao. 1760 aufgenommen und eingeführet sind. ZLB, GKl Archiv.
III. Das Profil der Schülerschaft
255
Die Tatsache, daß sich beim Cöllnischen Gymnasium fast das identische Bild ergibt, bestätigt die Berlinischen Entwicklungen als generelle Trends 419: Deutlich mehr als die Hälfte der Schüler stammte nun aus Cölln und den anderen Berliner Stadtteilen und nur noch ein Viertel aus der Mark Brandenburg. Nur noch fünfzehn Prozent der Schüler kamen aus weiter entfernten brandenburgischpreußischen Gebieten und aus anderen Territorien des Reiches an das Cöllnische Gymnasium. Die Verschiebungen in den Einzugsgebieten zeigen, daß die beiden Altberliner Gymnasien ihre Funktion, Orte überregionaler Zentralität zu sein, nicht nur in Bezug auf die umliegende Mark Brandenburg, sondern auch bezüglich der benachbarten, vor allem lutherischen Territorien, im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer stärker verloren. Gleichwohl blieb der Anteil Auswärtiger mit ungefähr vierzig Prozent nicht unerheblich, zumal wenn man bedenkt, daß in den oberen Klassen deren Anteil noch weitaus höher anzusetzen ist. 420
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419 Ausgewertet wurden 1549 Einträge des Cöllnischen Rektors Rotaridis. Vgl. Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09, Nr. 82, Bl. 371ff. 420 Vgl. oben, Abschnitt D. III. 2.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Über den geographischen Einzugsbereich des Joachimsthalschen Gymnasiums liegen bis zum Jubiläum im Jahre 1707 nur einzelne Nachrichten vor. Bereits in der Joachimsthaler Zeit waren Knaben aus Ostpreußen, Pommern, Cleve und dem Stift Magdeburg sowie aus Anhalt, Schlesien, Lübeck, der Pfalz und Mecklenburg, ja sogar von außerhalb des Reiches aus Frankreich, zum Schulbesuch zugelassen worden. Ein Teil davon hatte sogar Freistellen erlangt, was eigentlich gegen die Fundation verstieß. 421 Diese Praxis wurde nach 1650 in Berlin gezielt fortgesetzt. 422 Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte kurz nach dem Neubeginn in Berlin sogar explizit festgestellt, daß man am Joachimsthalschen Gymnasium durch gute disciplin und treufleißige information nicht allein Unsern Unterthanen, sondern besonders auch frembden anlaß geben wolle, Ihre kinder dahin zu schicken. 423 Wiederholt wurden auch Kinder bedrängter Protestanten – sowohl Reformierte als auch Lutheraner – aus Böhmen, Mähren und Schlesien sowie Polen und Ungarn in die Kommunität aufgenommen. 424 Seit 1681 gab es außerdem die bereits erwähnten Sonderstellen für reformierte Ausländer aus Litauen, Polen und Siebenbürgen. Einen punktuellen Eindruck über die regionale Herkunft der Fürstenschüler gibt eine Gratulationsschrift aus dem Jahr 1656 auf den damaligen Rektor Wulstorp: von den 27 hier aufgeführten Primanern stammten nur 5 aus Berlin und Cölln sowie 8 aus der Kur-, Alt- und Neumark und je einer aus Königsberg, Duisburg und Cleve und dem Magdeburgischen stammten. 425 Die übrigen waren in Pommern, der Lausitz, Schlesien und Hamburg sowie Anhalt und der Grafschaft Lippe gebürtig. Zwei der Schüler kamen aus dem russischen Moskau und dem norwegischen Christiania. Eine Absolventenliste aus dem folgenden Jahr bestätigt dieses Bild. 426 Unter den dort genannten 46 Schülern waren nur 12 Berliner und Märker. 16 kamen aus anderen brandenburgisch-preußischen Gebieten und 18 aus anderen Territorien des Reiches und dem Ausland. Diese Stichproben lassen vermuten, daß in den Berliner Anfangsjahren der prozentuale Anteil von Nichtbrandenburgern und Ausländern am Joachimsthalschen Gymnasium weitaus höher war als bei den städtischen Gymnasien.
421
Vgl. Matrikel von 1618–21. GStA PK, I. HA, Rep. 60, 15. So bat Sophia Elisabeth, Herzogin von Braunschweig und Nichte Friedrich Wilhelms, für den Sohn eines ihr bekannten Rittmeisters um einen Freitisch (vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 60, 15, Bl. 158). Ein Programm des Gymnasiums führte im Jahre 1692 einen Ungarn und auch Schüler aus Pommern, Halberstadt und Ostpreußen als Teilnehmer von Redeübungen auf (vgl. Gymnasmata lectionum). Im Jahre 1704 stellte eine Sächsin einen Antrag um Aufnahme ihres Sohnes in die Kommunität, damit dieser in der reformierten Religion erzogen werden könne. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 3529. 423 Kurfürstliches Schreiben vom 25. Juni 1657. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 8. 424 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 87. 425 Vgl. ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl Sch 1, Nr. 47. 426 Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 2f. 422
III. Das Profil der Schülerschaft
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Die einzige quantitative Quelle, die genauere Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Joachimsthalschen Schüler erlaubt, bilden die Ranglisten, wie sie seit 1707 geführt wurden. Im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts stellte sich das Verhältnis zwischen Berlinern, Märkern, anderen Deutschen und Ausländern von innerhalb und außerhalb des Reiches folgendermaßen dar: 427
Anhand der Grafik wird deutlich, daß das geographische Einzugsgebiet der Fürstenschule im frühen 18. Jahrhundert eindeutig größer war als dasjenige der städtischen Gymnasien. Dreißig Prozent der Schüler kamen aus entfernteren Gebieten Brandenburg-Preußens, des Reiches und aus dem Ausland. Anders als bei den städtischen Gymnasien befanden sich auch Schüler aus den westlichen Territorien Brandenburg-Preußens und aus Ostpreußen an der Fürstenschule. Unter den fremden Territorien war Anhalt am häufigsten vertreten. Ebenso viele Schüler stammten aus Schlesien. Auch aus der Pfalz, aus Bremen und aus Ostfriesland kamen Schüler. Sachsen und Thüringer waren im Unterschied zu den lutherischen Gymnasien am Joachimsthalschen Gymnasium kaum vertreten. Unter den Ausländern lassen sich neben Polen, Litauern und Ungarn auch ein Schweizer und einige Hugenotten französischer Abstammung ausmachen. Die meisten auswärtigen Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums waren somit aus gemischtkonfessionellen bzw. reformierten Gebieten und Territorien nach Berlin gekommen, eine ähnliche Tendenz, wie sie sich bereits bei den Lehrern der Schule ausmachen ließ. Diese Befunde lassen sich zum einen auf den besonderen Charakter des Joachimsthalschen Gymnasiums als landesherrliche Fürstenschule zurückführen. Of-
427 Als Grundlage für diese Statistik dienten 583 Einträge. Leider konnte nur diese begrenzte Anzahl von Einträgen ausgewertet werden, da in den späteren Ranglisten die regionale Herkunft der Schüler häufig nicht mitverzeichnet wurde. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 5344.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
fensichtlich war ein Besuch der hohenzollernschen Landesschule für Schüler aus weiter entfernten brandenburgisch-preußischen Gebieten und aus dem Reich attraktiver als der Besuch der städtischen Gymnasien. Als staatliche Schule war das Joachimsthalsche Gymnasiums von vornherein nicht nur für die Residenz ausgelegt, sondern sollte überlokale Funktionen erfüllen. Mit seinem entwickelten Stipendiatensystem konnte das Landesgymnasium einer weitaus größeren Anzahl von Schülern eine freie Verpflegung und Unterkunft gewähren als die städtischen Gymnasien. Dazu tritt das konfessionelle Motiv; so kamen die auswärtigen Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums vor allem aus reformierten Territorien, während sie an den städtischen Gelehrtenschulen aus lutherischen Territorien stammten. Die Attraktion, die in einer lutherischen Umgebung die Fürstenschule auf Reformierte von außerhalb ausgeübt hat, war vermutlich größer als die der städtischen Schulen auf Lutheraner aus anderen Territorien. Dies ist vor allem für die Zeit anzunehmen, in der das Joachimsthalsche Gymnasium die einzige höhere reformierte Schule Kurbrandenburgs war. Wie die Auswertung der Ranglisten zeigt, blieb das Joachimsthalsche Gymnasium jedoch auch im 18. Jahrhundert ein Ort mit einer starken überregionalen kulturellen Zentralitätsfunktion – nicht allein hinsichtlich der Mark, sondern auch in Bezug auf die verschiedenen Territorien Brandenburg-Preußens und des Reiches sowie auf das Ausland. 428 4. Soziales Profil und spätere Berufskarrieren der Schüler Um die Bedeutung und den Rang der verschiedenen Berliner Gelehrtenschulen genauer zu bestimmen, sind nicht nur die geographischen Einzugsgebiete, sondern auch die jeweiligen sozialen Profile aufschlußreich. 429 Auch hier scheint es vom 17. zum 18. Jahrhundert grundsätzliche Verschiebungen gegeben zu haben. In einem Schulprogramm des Berlinischen Gymnasiums aus dem Jahre 1649
428 Obwohl Friedrich Wilhelm I. die Bestimmung von 1707 über die bevorzugte Aufnahme reformierter Ausländer zum Alumnat wieder aufgehoben haben soll (vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 160), tauchen noch in den Ranglisten aus den dreißiger Jahren wiederholt Auswärtige aus anderen reformierten Territorien unter den Schülern der Fürstenschule auf. Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 5344. 429 Da die Matrikel des Collège nicht mehr existieren, muß das Französische Gymnasium im Folgenden unberücksichtigt bleiben. Namentlich sind nur einzelne Absolventen des Philosophiekurses der Zeit bis 1700 bekannt, die nicht als repräsentativ für die sonstige Schülerschaft gelten können. In den Disputationsschriften, die in der Berliner Staatsbibliothek erhalten sind, werden acht Franzosen und vier Deutsche genannt, die sämtlich Adelige reformierter Konfession waren. Es handelt sich hierbei um Arnold von Dieffenbruck aus Ostfriesland, Johann Christoph Theodor Baron von Wylich und Lottum aus Cleve und um die Brüder Friedrich und Christoph Wilhelm von Brandt aus der Neumark. Bis auf den ersten waren sie Mitglieder brandenburgisch-preußischer Amtsträgerfamilien. Vgl. Sperlette, Disputatio; Chauvin, Disputatio prima; ders., Disputatio philosophica secunda; ders., Disputatio philosophica generalem u. ders., Exercitatio.
III. Das Profil der Schülerschaft
259
finden sich unter 55 genannten Schülern allein 10 märkische Adlige. 430 Dieser hohe Adelsanteil ging in der Folgezeit drastisch zurück. Wie die Schülermatrikel der altstädtischen Gymnasien zeigen, wurden beide Schulen seit den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur noch selten von Adeligen frequentiert. 431 Am Berlinischen Gymnasium wurden zwischen 1668 und 1725 nur 54 adlige Schüler immatrikuliert, also pro Jahr ungefähr einer, was weniger als zwei Prozent aller Schüler ausmachte. Am Cöllnischen Gymnasium lassen sich von 1675 bis 1722 nur 42 Schüler adeliger Herkunft ausmachen, ebenfalls weniger als zwei Prozent. Diese Adligen kamen vor allem aus der Mark, einzelne auch aus der Lausitz und aus Schlesien. 432 Daß die Abnahme von Schülern adliger Herkunft mit der Neueinrichtung der kürfürstlichen Landesschule in der Berliner Residenz in einem engen Zusammenhang stand, drängt sich als naheliegende Vermutung auf. Anders als die städtischen Gymnasien wurde das Joachimsthalsche Gymnasium seit seiner Neueinrichtung in Berlin kontinuierlich auch von Adligen besucht. Auf der bereits erwähnten Absolventenliste von 1657 waren von 46 aufgeführten Schülern allein 8 Schüler adliger Abstammung. 433 Auffälligerweise stammte keiner von diesen aus der Mark, sondern der größte Teil aus Pommern, sowie jeweils einer aus Böhmen und aus Polen. Der märkische Landesadel scheint demnach in der Berliner Anfangszeit an der Fürstenschule keine größere Rolle gespielt zu haben. Daß auch im 18. Jahrhundert der Adelsanteil relativ hoch war, zeigen die überlieferten Ranglisten der Zeit nach 1707. 434 Danach lag der Anteil Adliger in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bei ungefähr acht Prozent. Dies entsprach in etwa der Größenordnung, welche der Stifter der Anstalt ursprünglich für neumärkische Adelssöhne vorgesehen hatte. Daß entgegen der Fundation nicht nur Arme und Unvermögende, sondern immer häufiger auch Kinder vermögender Leute in den Genuß der Freistellen kamen, kritisierte der Zeitgenosse Beckmann. 430
Vgl. Lubath, Herbarium. Vgl. Matrikel oder Verzeichniß der in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von Ao. 1668 bis 1722 aufgenommenen und eingefüreten Studirenden und Lernenden und Verzeichniß derer Studirenden und Lernenden, welche in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster von und unter vier Rektoren Bodenburg, Frisch, Bodenburg und Wippel seit 1723 bis Ao. 1760 aufgenommen und eingeführet sind (ZLB, GKl Archiv) u. Album Coloniense (LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 247ff.). Über die adligen Schüler, die in den Jahren von 1668 bis 1775 am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster unterrichtet wurden, existiert außerdem ein besonderes Verzeichnis (ZLB, GKl Archiv, Nr. 66, Bl. 53–54). 432 Unter den märkischen Adligen, welche das Berlinische Gymnasium besuchten, tauchen die Namen Ribbeck, Meinders, von der Linde, Götze und Knesebeck mehrmals auf. 433 Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 2–3. 434 Vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 5344. Die territoriale Zuordnung der adligen Schüler ist durch die Ranglisten leider nicht möglich, da deren regionale Herkunft selten vermerkt ist. 431
260
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
Zu unseren Zeiten genießen so gar nicht allein reiche von adel, sondern auch Barone (zwei von Cnyphausen) und Grafen (zwei v. Schwerin, zwei von Lottum, zwei v. Daenhoff) dieses Beneficium. Und die heutige einrichtung erheischet es, daß wer das Beneficium genießen will, doch einiges vermögen haben müße. 435 Dies zeigt, daß sich das Joachimsthalsche Gymnasium, obwohl es vom Ansatz her keine Adelsschule war und der Anteil Bürgerlicher immer deutlich überwog, im Verlauf des 18. Jahrhunderts stärker in Richtung einer adeligen Standesschule entwickelte. Daß man von Seiten der städtischen Schulen diesen Standesunterschied deutlich wahrnahm, beweist die bereits erwähnte Eingabe des Berlinischen Gymnasiums vom Jahre 1705: Während nach Auffassung der Berlinischen Lehrer an der Fürstenschule die Söhne Vornehmer, nicht nur von Adels- sondern auch Gräflichen Standes Persohnen, auch solche die würklich in Ihro Königl. Maj. diensten stehen, unterrichtet würden, bestünde die Schülerschaft des Gymnasiums zum Grauen Kloster aus lauter jungen Leuthen von Bürgerstande und insgemein armen Dorf-Priester Söhnen. 436 Tatsächlich finden sich in den Ranglisten des Joachimsthalschen Gymnasiums wiederholt die Namen berühmter kurfürstlicher und königlicher Amtsträgerfamilien, darunter Pruckmann, Pfuel, Friedeborn und von Schwerin. 437 Außerdem werden Nachkommen und Verwandte von reformierten Hofpredigern, darunter des aus Schlesien stammenden Heinrich Schmettau und des im Jahre 1705 geadelten Benjamin Ursinus (von Bär), sowie von Wolfgang Crell, Christian Bartholdi, Johann Kunsch von Breitenwalde, Bartholomäus Stosch, Daniel Ernst Jablonski, Ludwig Heinrich Mieg und Johann Arnold Noltenius, genannt. 438 Auch Söhne Joachimsthalscher Lehrer scheinen häufig an der Fürstenschule unterrichtet worden zu sein. 439 In den ersten Berliner Jahrzehnten hatten auch Mitglieder der reformierten Familien Schardius und Striepe, die vom Großen Kurfürsten verstärkt in das Bürgermeisteramt gebracht worden waren, die Fürstenschule besucht. 440 Demnach bildete das Joachimsthalsche Gymnasi-
435
Beckmann, Nachrichten, Bl. 160. Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 66. 437 Die Abstammungsverhältnisse der aufgeführten Schüler zu Kanzler Friedrich Pruckmann (1562–1630), Curt Bertram von Pfuel (1590–1649), Graf Otto von Schwerin (1645–1705) und Johann Jacob Friedeborn (1659–1710) bleiben allerdings unklar. Näheres zu den hier genannten Amtsträgern bei Bahl, Hof. Eine detaillierte Analyse der Schülerranglisten hinsichtlich bedeutender Amtsträgerfamilien stellt eine weiterführende Forschungsfrage dar, die an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. 438 Näheres zu den genannten Hofpredigern bei Thadden, Hofprediger. 439 Vor 1707 besuchten nachweislich Söhne von Johann Vorstius die Fürstenschule. In den Ranglisten werden Söhne von Philippe Naudé d. Ä., Ferdinand Posth, Heinrich Meierotto, Heinrich Christoph Salmuth und Christian Friedrich Leporinus aufgeführt. 436
III. Das Profil der Schülerschaft
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um nicht nur für die reformierte Hofgesellschaft, sondern auch für die neuen reformierten Ratsgeschlechter einen bevorzugten Ort schulischer Ausbildung. Von den Nachkommen dieser weltlichen und geistlichen Führungsschichten schlugen nicht wenige später selbst eine erfolgreiche Karriere ein. Darüber, wie hoch die Anzahl brandenburgisch-preußischer Amtsträger war, die aus der Fürstenschule hervorgingen, gibt eine wertvolle Quelle aus dem Anhang von Beckmanns Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums Auskunft. 441 Die Liste, die um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert – möglicherweise aus Anlaß der Säkularfeier – abgefaßt wurde, führt insgesamt 128 Absolventen der Zeit nach 1650 auf, die damals in landesherrlichen Diensten standen oder gestanden hatten. Die überwiegende Mehrheit dieser Absolventen gehörte der reformierten Konfession an. Aufgezählt werden zunächst 23 Räthe: Geheime Räte, Hofund Kammergerichtsräte, Legationsräte sowie Kirchen- und Konsistorialräte. Hierzu zählten der Geheime Staatsrat Wolfgang von Schmettau (1648–1711), der kurfürstlich brandenburgische Rat zu Küstrin, Thimotheus von Schmettau (1654–1718), der Kammergerichts- und Kirchenrat Johann Christoph Stosch (1647–1697), der Konsistorialrat Conrad Schardius (1642–1679), der Hof- und Geheimrat sowie Prinzeninformator Johannes Kunsch (1649–1695), der Hofrat zu Halberstadt Carl Emil Kunsch, der Kammerrat in Pommern Christian Ulrich von Bonin (1654–1700) sowie der kurfürstlich brandenburgische Rat und Kriegskommissarius in Cleve, Paul Bergius. An Secretariis und der Cancelei bedienten werden 28 aufgeführt, darunter die bereits genannten Levin Schardius und Sebastian Friedrich Striepe, sowie Friedrich Wilhelm Stosch (1648–1704), Sohn des Hofpredigers Bartholomäus Stosch, der in den neunziger Jahren mit seinen rationalistischen Ideen innerhalb der Berliner Gelehrtengesellschaft für große Aufregung gesorgt hatte. 442 Dazu kommen 12 Advocates, zum Beispiel der kurfürstlich brandenburgische Kammergerichtsadvokat Franz Heinrich Stosch (1656/57-) und 15 Rath-Hauß und Civil bediente, darunter die Berliner und Cöllner Bürgermeister Johann Christoph Otto (1644–1688) und Christian Friedrich Bartholdi (1644–1707), ein Sohn des reformierten Hofpredigers Christian Bartholdi. Nach den Juristen bilden die Theologen die zweitgrößte Gruppe der aufgeführten Amtsträger. Hier überwiegen die Reformierten besonders stark. Zu den 14
440 Dabei handelt es sich um die späteren Berliner Bürgermeister Levin Schardius (1638–1699) und Sebastian Friedrich Striepe (–1709), sowie um den späteren Geheimsekretär Conrad Schardius (1642–1679). 441 Verzeichnüß etlicher nahmen derer so im Churfl. Joachimstahl. Gymnasio seit der Zeit, daß die Schule von Joachimstahl weg, und in Berlin gewesen, studiret, aus demselben auf Universitäten geschicket und sich in Churfl. Diensten befinden und befunden haben. Beckmann, Nachrichten, Bl. 509–513. 442 Vgl. oben, Abschnitt B. III. 2.
262
D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
aufgeführten Professores, Rectores und anderen Schulbedienten zählen die Frankfurter Theologieprofessoren Samuel Strimesius (1648–1730), Gottfried Wegner (1644–1709) und auch zwei Duisburger Professoren. 443 Außerdem werden Schulrektoren aus Lübben, Drossen, Bernburg und Königsberg sowie Danzig genannt. Unter den 25 aufgeführten Predigern waren mehrere reformierte Hofprediger, darunter der Königsberger Theologe Johann Bergius jun. (1644–1685), Sohn des gleichnamigen Berliner Hofpredigers und Visitators der Fürstenschule. An Lutheranern werden unter anderem Pröpste und Archidiakone in Crossen, Stendal und Fürstenwalde aufgeführt. Mit 11 Namen bilden die Mediziner die kleinste Berufsgruppe der aufgeführten Absolventen. Daß sich auch viele Militarische darunter General, Oberste . . . Capitaine und andere mehr unter den Absolventen der Fürstenschule befinden würden, wird explizit am Ende der Liste vermerkt, wie auch die Tatsache, daß viele andere Bedienten zu Hofe und in dem Lande . . . alhier noch nicht gesetzt 444 seien. Auch wenn hier nicht alle Amtsträger der ersten fünf Jahrzehnte erfaßt wurden, ist die Anzahl der hier präsentierten beeindruckend. Wie die Untersuchung der Lebensläufe der Berliner Hofprediger zeigt, waren auch in späterer Zeit eine Vielzahl ehemaliger Fürstenschüler darunter. 445 Auch an der reformierten Parochialkirche wurden Absolventen des Joachimsthalschen Gymnasiums tätig. 446 Dies zeigt, daß dem Gymnasium auch im 18. Jahrhundert eine besondere Funktion bei der Ausbildung einer einheimischen reformierten Theologenschaft zukam. Wie viele Absolventen der lutherischen Gelehrtenschulen später eine Karriere in brandenburgisch-preußischen Diensten einschlugen, läßt sich zumindest für die Zeit des Großen Kurfürsten anhand der unlängst vorgelegten Amtsträgerbiographien von Bahl ermitteln. 447 Unter den mehr als dreihundert aufgeführten Amtsträgern, die in der Zeit zwischen 1640 bis 1688 in landesherrliche Dienste traten, befinden sich nur 14 Absolventen des Berlinischen oder des Cöllnischen Gymnasiums. Es handelt sich dabei vor allen um Amtsinhaber untergeordneter Bedeutung. An Räten werden neben den lutherischen Konsistorialräten Johann Georg Reinhard (1606–1672), Johann Buntebart (1629–1674) und Andreas Fromm (1621–1683) nur der königliche Hofrat Christian Aleborn (1646–1709) aufge443 Es handelt sich hier um Christian Friedrich Crell und Wilhelm Crausius. Zu Strimesius und Wegner vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 512–528 u. 584–610. 444 Beckmann, Nachrichten, Bl. 518. 445 Dazu zählten Conrad Ferdinand Posth (1702–1770), Ludwig Ramm (1715–1792), Ludwig Samuel Noltenius (1723–1777) und Johann Peltre (1723–1786) sowie Friedrich Samuel Gottfried Sack (1738–1817) und Carl Ludwig Conrad (1738–1804). Vgl. Thadden, Hofprediger. 446 Zu nennen ist der Prediger Johann Eberhard Kluck (geboren 1678), der in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts Alumnus des Joachimsthalschen Gymnasiums gewesen war. Vgl. Wendland, Leben, S. 157. 447 Vgl. Bahl, Hof, S. 421–623.
III. Das Profil der Schülerschaft
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führt. Die größte Gruppe bilden die Hofmedici mit Martin Weise (1605–1693), Christian Mentzel (1622–1701), Irenäus Vehr (1646–1709) und Johann Panckow (1652–1702). 448 Als einziger Reformierter läßt sich der königliche Hof-, Kirchenund Schulrat Johann Jacob Friedeborn (1659–1710) ermitteln, der von 1672 bis 1676 Schüler am Berlinischen Gymnasium gewesen war, danach jedoch an die Fürstenschule überwechselte, der er später als Mitglied des Joachimsthalschen Schuldirektoriums vorstand. Die Bedeutung der lutherischen städtischen Schulen für die Rekrutierung brandenburgisch-preußischer Amtsträger war somit deutlich geringer als die des Joachimsthalschen Gymnasiums. Davon bleibt jedoch unbenommen, daß die residenzstädtische und brandenburgische Gelehrtengesellschaft durch vormalige Schüler der städtischen Gelehrtenschulen Berlins wichtige Zuwächse erhielten. Acht Absolventen wurden später selbst Rektoren an einem der städtischen Gymnasien. Neben den Pröpsten Buntebart und Fromm sind die (Archi)Diakone Martin Lubath (1621–1690), Christoph Ransleben (1650–1714), Johann Schindler (1656–1711) und Andreas Schmid (1672–1745) ehemalige Schüler des Berlinischen und Cöllnischen Gymnasiums gewesen. Absolventen dieser beiden Gelehrtenschulen waren auch zwei pietistische Pröpste der späteren Zeit: Der Berliner Propst Michael Roloff, der als Schulvisitator bereits Erwähnung fand und der Cöllnische Propst und spätere Oberkonsistorialrat Johann Peter Süßmilch, der als Begründer der modernen Demographie gilt. Eine Professur an der Frankfurter Landesuniversität erlangten der Jurist Johann Brunnemann (1608–1672) und der Theologe Elias Grebenitz (1627–1689) sowie die bereits erwähnten Martin Heinsius und Martin Diterich. Um die kurbrandenburgische Geistesgeschichte haben sich außerdem die märkischen Superintendenten Johann Wilhelm Gerresheim (1653–1699), Samuel Dieterich (1657–1697) und Balthasar Köpke (1646–1711) verdient gemacht. 449 Letzterer gilt als einer der frühesten pietistischen Geistlichen, die in Brandenburg wirksam wurden. 450 Nicht wenige Absolventen der Berliner Gymnasien wurden von Berlin aus nach Halle weiter empfohlen. Die Pröpste Porst und Reinbeck setzten sich bei Francke persönlich für Berliner Gymnasiasten ein. 451 Von Joachim Langes Schülern waren nach seinem eigenen Zeugnis jedes Frühjahr zwanzig bis vierundzwanzig nach Halle gegangen. 452 Zu den Absolventen des Friedrichswer448 Näheres zu den genannten Theologen und Medizinern bei Noack/Splett, BerlinCölln 1640–1688 u. dies., Brandenburg. 449 Näheres zu den hier aufgezählten Gelehrten bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, dies., 1688–1713 u. dies., Brandenburg. 450 Seine Hauptwerk war eine Praxis Catechetica, die Spener 1690 erstmals herausgab. Vgl. Noack/Splett, Brandenburg, S. 287. 451 Vgl. Delius, Briefwechsel, S. 90 u. Mentzel, Korrespondenz, S. 189f. 452 Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 62. Im Jahre 1736 konnte Lange feststellen, daß die meisten der Herren Prediger auch daselbst [in Berlin A. W.] ehmals meine Auditores gewesen sind. Zit. nach Kühnel, Lange, S. 132.
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D. Das personelle Profil der Berliner Gelehrtenschulen
derschen Gymnasiums, die nach ihrem Studium in Halle die pietistische Bewegung maßgeblich prägten, zählen der spätere Feldpropst Lampert Gedicke und die beiden ersten evangelischen Missionare Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719) und Heinrich Plütschau (1675–1752). Wie die hier exemplarisch aufgeführten Absolventenkarrieren zeigen, waren auch die städtischen Gelehrtenschulen Berlins – ganz ihrem Ausbildungsziel entsprechend – bei der Ausbildung des lutherischen Lehrer- und Pfarrernachwuchses sehr erfolgreich.
E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen 1. Unterrichtsorganisation und curriculare Entwicklungen Über die Unterrichtsprofile der Berliner Gelehrtenschulen geben in erster Linie die Lehrpläne Auskunft. An den städtischen Schulen wurden diese in der Regel von den Rektoren bei deren Amtsantritt neu herausgegeben, freilich mit Zustimmung der Räte und der städtischen Geistlichkeit. An den beiden landesherrlichen Gymnasien wurden die Lehrpläne dagegen meistens von den übergeordneten Aufsichtsgremien – vor allen den geistlichen Visitatoren – überarbeitet und veröffentlicht. Auf die sehr unterschiedliche Überlieferungssituation der Berliner Gelehrtenschulen wurde bereits in der Einleitung eingegangen. Auch bezüglich des Unterrichts ist die Quellenlage sehr disparat: Die weitaus beste Überlieferung hat das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster vorzuweisen, für das neun verschiedene Lektionskataloge der Jahre zwischen 1581 und 1744 vorliegen. 1 Vom Joachimsthalschen Gymnasium sind seit 1607 immerhin sechs Lehrpläne erhalten geblieben. 2 Mit Ausnahme der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts läßt sich damit die Unterrichtsentwicklung gut rekonstruieren. Für das Collège François sind durch die Schulordnung von 1689 die Lektionen der Gründungszeit 1
Es handelt sich dabei um die Pläne von Wilhelm Hilden aus dem Jahre 1581 (abgedr. bei Diterich, Schulhistorie, S. 102–113), Hermann Lipstorp von 1591 (Lipstorp, Leges), Johannes Heinzelmann von 1653 (Heinzelmann, Lectiones. ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl, Sch 4, 1), Gottfried Weber von 1673 (hss. im ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 188ff.) und 1682 (Weber, Designatio), Samuel Rodigast von 1698 (Rodigast, Syllabum) und von Christoph Friedrich Bodenburg aus den Jahren 1708 (Bodenburg, Designatio) und 1713 (ders., Catalogus) sowie von dessen jüngeren Bruder Joachim Christoph Bodenburg aus dem Jahre 1744 (LAB, A Rep. 020–02, Nr. 2413, Bl. 8). 2 Dies sind der erste Lehrplan von 1607 (Beckmann, Nachrichten, Bl. 571; vgl. auch Vormbaum, Schulordnungen Bd. 2, S. 75f.), ein Lehrplan von 1634 (GStA PK, I. HA, Rep. 60,2, Bl. 80ff.), zwei frühe Berliner Lehrpläne, einer undatiert (Beckmann, Nachrichten, Bl. 676–678, vgl. auch Wetzel, Geschichte, S. 258f.) und einer von 1657 (BLHA, Rep. 32, Nr. 63, Bl. 52, vgl. auch Wetzel, Geschichte, S. 259f.) und die Lehrpläne von 1707 (GStA PK, I. HA, Rep. 60,2, Bl. 34, vgl. auch Wetzel, Geschichte, S. 266) und 1714 (Beckmann, Nachrichten, Bl. 647) sowie ein Lehrplan von 1734 (ebd., Bl. 573–578). Beckmann erwähnt außerdem Lehrpläne der Jahre 1693, 1696 und 1697, die jedoch schon Wetzel nicht mehr vorgelegen haben. Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 280.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
bekannt. Ein ausführlicher Lehrplan, der für mehrere Jahrzehnte die Grundlage des Unterrichts bilden sollte, wurde erst 1703 verabschiedet. 3 Vom Friedrichswerderschen Gymnasium ist nur ein Lektionsplan für die Prima vom Ende des 17. Jahrhunderts erhalten. 4 Der von Joachim Lange veröffentlichte Lehrplan 5 ist leider verloren gegangen und kann nur aus einer Sekundärquelle erschlossen werden. 6 Für die Zeit vor 1740 ließ sich vom Cöllnischen Gymnasiums überhaupt kein Lehrplan ermitteln. Der erste erhaltene Lehrplan stammt von 1742. 7 Über den zuvor behandelten Stoff und die gelesenen Autoren geben nur die Cöllnischen Schulgesetze und einzelne Einladungsschriften zu Redeactus Auskunft. 8 Generell kann man jedoch annehmen, daß sich der Unterricht des Cöllnischen Gymnasiums in seinen Grundstrukturen nicht grundsätzlich von dem des Berlinischen Gymnasiums unterschied. Ungeachtet der genannten Lücken erlaubt der erfreuliche Umstand, daß die Lektionspläne des Französischen Gymnasiums und der beiden bedeutendsten deutschen Gelehrtenschulen der Berliner Residenz fast vollständig vorliegen, sowohl einen Vergleich der Unterrichtsprofile nach Patronat und konfessioneller Orientierung als auch nach nationaler Prägung. In den Lehrplänen der deutschen Gymnasien lassen sich viele strukturelle Parallelen erkennen: mit Ausnahme des Mittwochs und des Sonnabends, an denen die Nachmittage frei waren, wurden vormittags und nachmittags je drei Stunden gegeben. 9 Der Unterricht begann je nach Jahreszeit um sechs oder sieben in der Frühe und endete um drei oder vier Uhr nachmittags. Mittags gab es eine Pause von zwei Stunden, welche den Schülern die Möglichkeit bot, in ihren Privatquartieren oder im Alumnat Mittag zu essen. Der katechetische und theologische Unterricht fand mittwochs und sonnabends statt, ebenso wie die Deklamations- und Dispu3 Die Schulordnung von 1689 enthielt Bestimmungen über den Ordo lectionum sowie Angaben zu den Exercitia Communia (Erman, Mémoire, S. 155–159, vgl. auch Schulze, Bericht, S. 14f.). Quantitative Aussagen trifft jedoch nur der Lehrplan aus dem Jahre 1703, den die Inspektoren Isaac de Beausobre und Charles Egide Duhan de Jandun erarbeitet hatten (Erman, Mémoire, S. 159–167, vgl. auch Schulze, Bericht, S. 26–28). Dieser Lehrplan schloß sich eng an einen Plan des Collège von Saumur an (Vgl. Bourchenin, Etude, S. 163, 200 u. 208f.). Näheres zur Lehrplangeschichte bei Velder, S. 74–79. 4 Hierbei handelt es sich um einen Lehrplan, den der damalige Rektor Joachim Ernst Berger im Jahre 1693 veröffentlicht hatte (Berger, Catalogus). 5 Lange, Catalogus. 6 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 26–30. Lange äußert sich selbst zu seinem Unterricht im Vorwort seiner lateinischen Grammatik (Lange, Grammatica, S. 37–42). 7 Eine Photokopie dieses Plans von Christian Tobias Damm befindet sich bei Racho, Geschichte, Anl. 8 (leider ohne Quellennachweis). 8 Vgl. Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82 u. Bödiker, Catalogus. Zum Inhalt der Schulgesetze vgl. auch Gilow, Gymnasium. Der erste erhaltenen Lehrplan stammt aus dem Jahre 1742. 9 Dies entsprach dem damals üblichen und folgte ganz der Württembergischen und der Kursächsischen Kirchenordnung. Vgl. Vormbaum, Schulordnungen Bd. 1, S. 75 u. 234.
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
267
tationsübungen der obersten Klassen. Die Anzahl der täglichen Stunden wuchs bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes auf sieben bis acht an, was darauf zurückzuführen ist, daß immer mehr neue Unterrichtsfächer in die Stundenpläne Eingang fanden. Der Lehrplan des Collège François von 1703, der vermutlich für mehrere Jahrzehnte Gültigkeit hatte, sah dagegen nur vier Unterrichtsstunden täglich vor. Im Unterschied zu den deutschen Gymnasien wurden den Schülern allerdings täglich Hausaufgaben, meist Übersetzungs- oder Schreibübungen aufgegeben, welche sich auf den behandelten Stoff bezogen. Offensichtlich handelte es sich hierbei ebenso um eine aus Frankreich importierte Tradition, wie die Einteilung in ein Sommer- und ein Wintersemester mit jeweils unterschiedlichen Lehrplänen. 10 Die Praxis, an die besten Schüler Prämien auszuteilen, stellt dagegen keine explizit französische Tradition dar. Zur „Aufmunterung“ der Jugend wurden beispielsweise unter Rektor Weber auch am Berlinischen Gymnasium nach gehaltenem Examen Prämiengelder verteilt. 11 Um den Wettbewerb untereinander zu stärken, war es am Joachimsthalschen Gymnasium üblich, die Schüler innerhalb der Klasse nach ihren Leistungen zu plazieren. An die besten Schüler wurden Buchprämien verteilt. 12 Regelmäßige Prüfungen durch die Rektoren in Anwesenheit der Patrone und entsprechender Aufsichtsgremien waren in sämtlichen Schulgesetzen der Berliner Gelehrtenschulen vorgesehen. Über die tatsächliche Prüfungs- und Versetzungspraxis gibt es allerdings nur wenige Nachrichten. Am Joachimsthalschen Gymnasium wurden die Schüler anfangs sowohl zu Ostern als auch zu Michaelis wegen der promotion nach einer höhern klasse geprüft. Seit 1717 gab es ein Examen zu Beginn der sogenannten Hundstage, auf die am Ende des Juni fünf Ferienwochen folgten. 13 In die Examenszeit fielen häufig auch die öffentlichen Deklamations- und Disputationsübungen, zu denen die Rektoren in besonderen Einladungschriften einluden und mittels derer die Schüler der obersten Klassen ihre Eloquenz unter Beweis zu stellen hatten. Nicht nur hinsichtlich der Stundenanzahl, sondern auch bezüglich der Unterrichtsfächer zeichnete sich seit dem 18. Jahrhundert der Trend zu einer stärkeren Ausdifferenzierung der Lektionspläne ab. Dies betraf vor allem die obersten
10
Vgl. beispielsweise Lehrpläne von Saumur aus den 1680er Jahren (Bourchenin, Ètude, S. 208–211). 11 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 971. 12 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 265. Schon in den Gründungs-Statuten war nach kursächsischem Vorbild festgelegt worden, daß man die Knaben je nach ihrem Leistungsstand ordnen und aus ihrer Mitte Decuriones wählen sollte, welche über ihre Leistungsgruppe die Aufsicht haben sollten. Vgl. Vormbaum, Schulordnungen Bd. 2, S. 71. Die Leges des Gymnasiums zum Grauen Kloster von 1591 und 1673 sahen auch Decuriones vor. Vgl. Lipstorp, Leges, o. S. u. ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 195. 13 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 260–271.
268
E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Klassen, welche zum Universitätsstudium hinführen sollten. Für die städtischen Gelehrtenschulen ergibt sich dabei folgendes Bild: Tabelle 16 Wöchentliche Unterrichtsstunden in der Prima der städtischen Gelehrtenschulen
Religionsunterricht 16 Latein Griechisch Hebräisch Rhetorik Logik (Dialektik, Vernunftlehre) Ethik Metaphysik Physik Mathesis (Arithmetik, Geometrie) Astronomie (Spherica) Musik 17 Deklamations- und Disputationsübungen Antiquitates Universalgeschichte Kirchengeschichte Geographie Dt. Stil- u. Dichtkunst Französisch Zeitungslektüre Summe
Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster CG FWG 14 1581 1591 1653 1673 1682 1698 1708 1713 1744 1742 15 1693 3 4 4 3 3 4 5 5 6 6 5 10 8 8 8 9 8 8 7 12 18 6 7 6 4 3 5 4 2 2 2 3 2 1 1 2 1 1 2 2 2 3 2 2 2 2 3 2 2 2 1 1 2
2
2
2 1 1
2
1
1
2
2
1
1
1
1
1 1
2
1
2 1
1 1
1
1
2
1
1 2 5
4
2
2
2
1 1
2
2
2
2
2
2
1
1
2
3 4 1
1 1
1 1
1
1
1 3 2 18
29
30
28
25
28
28
26
25
40
2
2 1 5 19 1 41
21
14 Dieser Lektionsplan enthält sowohl lectiones publicae als auch lectiones privates, ohne jedoch anzugeben, welcher Unterricht privat und wlcher öffentlich war. 15 Dieser Lektionsplan enthält sowohl lectiones publicae als auch lectiones privates, ohne jedoch anzugeben, welcher Unterricht privat und welcher öffentlich war. 16 Darunter fällt auch die Lektüre des NT im griechischen Urtext von 1 bis 2 Stunden wöchentlich.
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
269
Von den Anfängen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts bestimmte der altsprachlich-humanistische Fächerkanon den Unterricht in den obersten Klassen ohne Konkurrenz. In der Zeit von Frühaufklärung und Pietismus gewannen dann offensichtlich die aus dem Quadrivium herausgewachsenen Wissenschaften wie Mathematik, Physik und Astronomie sowie neue realistische Fächer wie Geschichte und Geographie, an Bedeutung. Dies geschah jedoch keineswegs auf Kosten des traditionellen biblisch-theologischen und humanistischen Sprach- und Rhetorikunterrichts. Mit Ausnahme des Griechischen, das kontinuierlich zurückgedrängt wurde, nahm deren Umfang sogar deutlich zu. Außerdem gelangten erstmals auch Französisch und die deutsche Muttersprache in die Curricula. Einmalig war die von Rektor Damm am Cöllnischen Gymnasium eingeführte Zeitungslektüre, die – dem Beispiel Christian Weises folgend – die politische und geographische Bildung der Schüler befördern sollte. 20 An Bedeutung verloren dagegen die Deklamationsund Disputationsübungen und vor allem der Musikunterricht, der ganz den unteren Klassen vorbehalten blieb. Bei den beiden landesherrlichen Gelehrtenschulen zeigen sich folgende Entwicklungen: Tabelle 17 Wöchentliche Unterrichtsstunden in der Prima der landesherrlichen Gelehrtenschulen Joachimsthalsches Gymnasium 1607 1634 1657 1707 1714 Religionsunterricht
4
4
3
Latein
5
3
10
Griechisch
5
4
Hebräisch
1
Rhetorik
6
21
1734
Collège François 22
1703
6/6
8/8
8 4/10
9/16
6
4
2
2/2
7
2
2
1
2
2
2
2
2/2
Logik (Dialektik, Vernunftlehre)
2
2
2
2
2/2
Ethik
1
2
2
2/2
2/2 1/2 [4] 23
Metaphysik
17 Seit der Zeit von Rektor Weber war der Musikunterricht aus der regulären Stundentafel herausgefallen, obwohl er weiterhin stattfand. 18 Dieser Unterricht wurde alternativ zu Hebräisch angeboten. 19 Dieser Unterricht wurde alternativ zu Griechisch und Hebräisch angeboten. 20 Zu Christian Weise vgl. oben, Abschnitt B. V. 3. 21 Aufgeführt wird der Unterricht in Suprema und Prima.
270
E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Physik
1
Mathesis (Arithmetik, Geometrie)
2
2
Astronomie (Spherica)
1
2
Musik
2
2
4
2
2
4
1
Deklamations- und Disputationsübungen
2/2
2/-
-/2
-/4
1/-
2/2
Mythologie Universalgeschichte
1 1
2
Kirchengeschichte
2/2
4/4
2/-
3/-
Geographie
-/2
Französisch
2/-
Jus Naturae et Civile Summe
6/28
27
31
1
3/-
30 28/28 39/38
17
Demnach wuchs auch am Joachimsthalschen Gymnasium seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts der Anteil realistischer Lehrinhalte an. Besonders auffallend war der Zuwachs in den historischen Fächern. Zugleich wurden die Lehrpläne differenzierter. Eine Besonderheit bildete der umfangreiche juristische Unterricht. Am Collège François hielt man dagegen mit Ausnahme des Geographieunterrichts an einem ausschließlich altsprachlich angelegten Curriculum fest. Auffällig ist der hohe Anteil des Griechischen. Außerdem ist bekannt, daß in den Jahren nach 1702 vorübergehend Hebräisch und seit 1704 für einige Jahre auch Musik unterrichtet wurde. Der Religionsunterricht wurde außerhalb des regulären Unterrichts erteilt. 2. Privatunterricht als Ort zusätzlicher Wissensvermittlung Wenn die beiden Tabellen auch genau aufzeigen, wann welche Fächer in die Stundenpläne aufgenommen wurden, heißt das jedoch keinesfalls, daß nicht auch andere als die genannten Lehrinhalte an den Berliner Gelehrtenschulen unterrichtet wurden. Dies geschah im Rahmen des Privatunterrichts, welcher zusätzlich zu den lectiones publicae an allen Berliner Gelehrtenschulen gegen ein besonderes Entgelt angeboten wurden. 24 Da die Lectiones privatae der Kontrolle der 22 Aufgeführt wird der Unterricht in Suprema superior und inferior sowie Prima superior und inferior. Der Lektionsplan enthält vermutlich nicht nur die lectiones publicae, sondern auch die lectiones privates. 23 Der philosophische Unterricht wurde in einer besonderen Classe de Philosophie vorgetragen, die sich an den gymnasialen Kurs anschloß.
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
271
Aufsichtsorgane weitgehend entzogen blieben, gelangten vor allem auf diesem Wege neue Lehrinhalte zu den Schülern. Dies ist eine Entwicklung, wie sie auch andernorts zu beobachten ist. 25 Die Scheidung des Unterrichts in einen öffentlichen und in einen privaten stieß jedoch auch wiederholt auf Kritik. In dem bereits erwähnten Schreiben aus den 1660er Jahren beschwerte sich der Berlinische Rektor Tiburtius Rango darüber, daß die Privatlektionen der Kontrolle durch den Rektor entzogen würden. 26 Vierzig Jahre später wurde die Praxis des mehrgleisigen Unterrichts auch von dem damaligen Subrektor Sebastian Starck kritisiert 27: Die Schüler achteten wegen der Privatstunden die lectiones publicae nicht ausreichend und besuchten diese nur unregelmäßig. Außerdem fehle der methodische Zusammenhang zwischen den vermittelten Inhalten. Er schlug deshalb vor, die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Unterricht generell aufzuheben und den Schülern dafür regelmäßig Hausaufgaben zum behandelten Stoff aufzugeben, daß die leute vor sich privatim zu haus aller hände voll zu thun mögen haben und sich dort in stylo Historico, Poetico, Philosophico auch Oratorio humiliori gnugsam üben könnten. 28 Um den finanziellen Verlust für die Lehrer auszugleichen, sollte man von allen Schülern ein gemäßigtes Schulgeld verlangen. Wie bereits erwähnt, stieß Starck mit seinen Reformideen jedoch auf breite Ablehnung. Offensichtlich war der pietistisch und frühaufklärerisch beeinflußte Pädagoge seiner Zeit zu weit voraus. Anders als in den von Francke zum selben Zeitpunkt in Halle neugegründeten Schulen, wo eine allgemein verbindliche Stundentafel für alle Schüler galt, hielt man in Berlin an besonderen Privatstunden fest. Erst den späteren Aufklärungspädagogen Gedike und Büsching sollte es gelingen, durch die Einführung eines allgemeinen Schulgeldes den Privatunterricht an den Berliner Gelehrtenschulen abzuschaffen. 29 Bis dahin blieben an den städtischen Gelehrtenschulen Privatlektionen ein fester Bestandteil der Unterrichtspraxis. Die Schulgesetze des Cöllnischen Gymnasium sahen diesen Unterricht sogar ausdrücklich vor. 30 Von den Lehrern des
24 Um 1700 zahlte ein Schüler des Berlinischen Gymnasiums seinem Lehrer für Privatstunden 1 Taler im Quartal. Dies bedeutete für die Lehrer ein beachtlicher Nebenverdienst. ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 26. 25 Näheres zum Thema Privatunterricht an brandenburgisch-preußischen Gelehrtenschulen bei Neugebauer, Staat, S. 613ff. 26 ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 58. Vgl. auch Heidemann, Geschichte, S. 165. 27 Vgl. ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 21–28. 28 ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 23 u. 25. 29 Nach der Vereinigung der beiden Altberliner Gymnasien im Jahre 1767 wurde dort der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Lektionen aufgehoben und anstelle des Privatgeldes ein allgemeines Schulgeld eingeführt (vgl. Heidemann, Geschichte, S. 233). Auch am Friedrichswerderschen Gymnasium wurde nach der Abschaffung der Privatlektionen ein geringes Schulgeld eingeführt. Zum Wirken Gedikes am Friedrichswerderschen Gymnasium vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 744 u. Scholtz, Gymnasium.
272
E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Friedrichswerderschen Gymnasiums ist ebenfalls bekannt, daß sie zusätzliche Privatstunden erteilten. Nach dem Zeugnis von Joachim Lange wurde zu seiner Zeit zu einigen anderen Wissenschaften, wozu die öffentlichen lectiones nicht hinlangen, . . . in collegiis und lectionibus privatim Anweisung gegeben 31. Gemeint waren damit alle Lehrgegenstände, die nicht die Theologie, die Sprachen und die Philosophie betrafen. Am Berlinischen Gymnasium wurde der neue Rektor Johann Leonhard Frisch sogar explizit darauf verpflichtet, Privatlektionen zu erteilen. 32 Sein Nachfolger Joachim Christoph Bodenburg, der dem Privatunterricht kritisch gegenüberstand, veröffentlichte im Jahre 1744 einen neuen Lektionskatalog, in welchem er die öffentlichen und privaten Lektionen erstmals in einem Stundenplan vereinigte. 33 Hierbei folgte er seinem Kollegen Christian Tobias Damm vom Cöllnischen Gymnasium, der bereits im Jahre 1742 die lectiones publice et privatim in einem Plan zusammengestellt hatte. 34 Daß Rektoren in den von ihnen herausgegebenen Lehrplänen auch Privatlektionen anzeigten, war allerdings nicht neu. Schon Rektor Johannes Heinzelmann hatte in seinem 1653 gedruckten Plan einen besonderen Philosophiekurs für extraordinaire Primanis angekündigt. 35 Der Berlinische Lehrplan von 1713 informierte darüber, daß die Privatae täglich zwei Stunden nach dem öffentlichen Unterricht erteilt würden. 36 Insgesamt kommt man somit auf bis zu acht Stunden wöchentlich, welche zum regulären Unterricht hinzukamen. Genau diese Anzahl tauchte dann in den vierziger Jahren zusätzlich in den Stundentafeln auf. Anders als an den städtischen Schulen waren am Joachimsthalschen Gymnasium ursprünglich keine Privatlektionen erteilt worden. Weil der Unterricht an der Fürstenschule ein freies Beneficium sein sollte, hatten die Schulgesetze den dortigen Lehrern explizit untersagt, ihren Schülern gegen Bezahlung Privatunterricht zu erteilen. 37 Daran scheint man sich jedoch nachweislich seit den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts nicht mehr gehalten zu haben. 38 Auch am Joachims30
Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 11. Lange, Grammatica, S. 41. 32 LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6881, Bl. 7. 33 Anders als dies Heidemann vermutete, ist ein solcher Lehrplan tatsächlich abgefaßt worden und in handschriftlicher Form bis heute erhalten (LAB, A Rep. 020–02, Nr. 2413, Bl. 8). Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 212. 34 Nach einiger Zeit sei man von diesem Plan allerdings wieder abgegangen. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 986. 35 Vgl. Heinzelmann, Lectiones. 36 In einem Nachsatz zum Lektionsplan heißt es: Privatae quoque & privatissimae lectiones habentur a Docentibus. Privatim duabus quotidie horis post publicas statim lectiones docetur ubi Collegia stili elegantioris ex selectis auctoribus ashunc habit, praetera Epistolographicae, Oratoriae, Historico-Geographicae, Hebraeque exercitationes institutae : Itemque ex disciplinis philosophicis, quae cursum Academicum faciliorem reddunt, tradita sunt. In quibus & si qua alia diversi discentium profectus & desideria requirent, fideliter, Deo bene juvante, pergetur. Bodenburg, Catalogus, o. S. 31
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
273
thalschen Gymnasium avancierten die Privatstunden immer mehr zu einer anerkannten Unterrichtsform, bis sie schließlich in den offiziellen Unterrichtsbetrieb integriert wurden. Seit 1707 war es den Lehrern völlig freigestellt, nach ihrem gutbefinden und captu discentium privat-collegia in stilo, poesi, Graecis, Hebraicis, logicis, ethicis, auch in denen im catalogo der lectionum nicht enthaltenen stücken, als geographicis, antiquitatibus, physicis, ingleichen über einen und den anderen lateinischen historicum, Oratorem oder Poeten zu halten 39. Für diesen Privatunterricht standen die Vormittagsstunden von zehn bis elf sowie der Nachmittag ab vier Uhr zur Verfügung. 40 In einer besonderen Verordnung von 1709 wurden Ausmaß und Fachgebiete der Privatcollegia genau geregelt. Über ihren Unterricht sollten sich die Lehrer allerdings untereinander vergleichen. Außerdem wurde festgelegt, daß die Privatkollegien, in was Sprache oder disciplin absonderlich . . . begehrt wird, ohne Unterbrechung innerhalb weniger Wochen absolviert werden sollten. 41 Die Schüler sollten dafür soviel Geld entrichten, wie sie es für angemessen hielten. Daneben finden hier die Privatissima Erwähnung, die zu dieser Zeit den eigentlichen Privatunterricht bildeten. Im Unterschied zu den Privatcollegia wurde den Lehrern bei der Ausgestaltung der Privatissima völlig freie Hand gelassen. Erst in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurde, wie dies auch bei den städtischen Gelehrtenschulen der Fall war, die Trennung zwischen den privaten und öffentlichen Stunden wieder aufgehoben. 42 Im Gegensatz zu den deutschen Gelehrtenschulen liegen über die Unterrichtssituation am Collège François sehr wenige Quellen vor. Generell ist jedoch davon auszugehen, daß auch am französischen Gymnasium zusätzlich zum regulären Curriculum Privatstunden erteilt wurden. Dafür spricht neben der vergleichsweise schlechten Besoldungssituation auch der geringe zeitliche Umfang des dort gültigen Lektionsplanes, der viel Raum für Privatstunden ließ.
37 Vgl. Statuta bey der Fürstenschul Joachimsthal vom 24. August 1607, § 8 und Leges docentium et discentium in illustri vallis Joachimicae vom 24. August 1607, § 14 (Vormbaum, Schulordnungen Bd. 2, S. 72 u. 78). 38 In einem Schulprogrammen von 1692 werden Privatlektionen in Astronomie, Geographie und Politik explizit aufgeführt. Vgl. Gymnasmata lectionum, S. 5. 39 Beckmann, Nachrichten, Bl. 246. 40 Vgl. ebd. u. Neues Schul-Reglement zur Einweihung des Neu erbauten Collegii von 1718 (GStA PK, I. HA, Rep. 60, 1, 1). 41 Verordnung des Joachimstahlschen Schuldirectorio über die Abhaltung von Privatcollegia vom 23. September 1709 (Beckmann, Nachrichten, Bl. 595). 42 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 283.
274
E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
3. Die märkischen Lehrbücher als Grundlage eines einheitlichen Curriculums Neben dem Privatunterricht behinderte bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts auch die Vielzahl unterschiedlicher Lehrbücher die Ausbildung eines allgemein verbindlichen Curriculums. 43 Bereits in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts war im Cöllnischen Konsistorium die Forderung erhoben worden, für alle Trivialschulen des Territoriums einheitliche Lehrbücher einzuführen. Dies sollte dem Ziel dienen, den Schulwechsel von Schülern, die ansonsten mercklich in ihren Studien auffgehalten, wo nicht gar davon abgeschrecket werden 44, zu erleichtern. Dieser Vorschlag, der sich auf die Empfehlungen der Rektoren des Joachimsthalschen und der beiden Alt-Berliner Gelehrtenschulen stützte, war jedoch von der damaligen Landesherrschaft nicht umgesetzt worden. 45 Auch die Bemühungen Raues, von Kurfürst Friedrich Wilhelm als Generalschulinspektor eingesetzt zu werden, zielten nicht zuletzt auf die Einführung einheitlicher Lehrwerke. Einen erneuten Anstoß gab in dieser Frage kein geringerer als Leibniz im Zusammenhang der Gründung der Berliner Sozietät der Wissenschaften im Jahre 1700. Einer seiner Vorschläge für die Aufgaben der neuen Sozietät bestand darin, daß sie sich mit einer besonderen Aufsicht auf die behörige Information der Jugend beladen und wegen des Methodi docendi . . . gewisse rechtschaffene Bücher 46 verlegen solle, die geeignet wären, an allen Schulen eingeführt zu werden. Im Jahre 1704 konkretisierte Leibniz seinen Vorschlag dahingehend, Compendia, Tabulae und Systemata disciplinarum, auch Notitiae Historico-Geographico-Genealogico-Heraldicae, denn Grammatiken, dictionaria und . . . Editiones Autorum Classicorum zum Druck zu befördern. Dazu gehöhrten auch Schreib- und Rechenbücher, und sonderlich Catechismi, Compendia Theologica . . . Editiones des neuen Testaments auch der gantzen Bibel oder deren Theile in original und andern Sprachen. 47 Die Vorschläge von Leibniz sollten von Friedrich I. tatsächlich aufgenommen werden. Im Jahre 1708 berief der König eine Commission zu Errichtung der universalen Schulbücher 48, die aus den Rektoren des Joachimsthalschen Gymnasiums, Volckmann, des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, J. Chr.
43 Zum folgenden vgl. insbesondere Heubaum, Geschichte, S. 124–130 u. Neugebauer, Staat, S. 460–464. 44 Bonin, Versuche, S. 179. 45 Vgl. Neugebauer, Staat, S. 460. 46 Entwurf für die Einrichtung eines Bücherkommissariats für die Sozietät aus dem Jahre 1700. Zit. nach Heubaum, Geschichte, S. 125. 47 Zit. nach Brather, Leibniz, S. 156. Vgl. auch Fischer, Briefwechsel, S. XVI. 48 Dies geht aus einem Brief des Berliner Buchhändlers Papen an Leibniz vom 26. Mai 1708 hervor (abgedr. bei Harnack, Geschichte, Bd. 1,1. S. 151).
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
275
Bodenburg, und des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Lange bestand. Vom Cöllnischen Gymnasium kam kurz darauf Konrektor Rubin dazu. 49 Damit hatte sich hier erstmals die neue, von Frühaufklärung und Pietismus geprägte Generation von Lehrern über die konfessionellen Grenzen hinweg zusammengefunden. Auch Beckmann und Jablonski, die beiden damaligen Visitatoren des Joachimsthalschen Gymnasium, gehörten der gemischtkonfessionellen Kommission an. Ein Jahr später erhielten die vier Schulen das Druckprivileg für die Lehrbücher zugesprochen, damit nicht gewinnsüchtige Leute ihn an sich zogen, sich dadurch bereicherten . . . und durch hohen Preis die arme Jugend drückten 50. Die Einnahmen aus den Buchverkäufen sollten zur Aufbesserung der schulischen Witwenund Waisenkassen dienen. Leibniz, der von Frisch über den Fortgang der Dinge informiert worden war 51, mußte zur Kenntnis nehmen, daß die Herausgabe und der Vertrieb der Lehrbücher nicht der Sozietät, sondern ganz den Berliner Gelehrtenschulen überlassen blieb. Der Schwerpunkt der Buchproduktion, die in den folgenden Jahren einsetzte, lag vor allem auf neuen Grammatiken, Wörterbüchern und Klassikerausgaben. 52 Dabei bemühte man sich darum, solche Bücher abzufassen, daß die Jugend die ihnen in Schulen zu erlernenden Sprachen und Wissenschaften auf eine kurze und bequeme Art daraus begreifen möchte 53. Zur Abfassung historisch-geographischer Lehrbücher oder gar eines einheitlichen theologischen Compendiums kam es allerdings nicht. Diese Idee des unionistisch eingestellten Leibniz war offensichtlich zu optimistisch gewesen. Zu den wichtigsten Mitarbeitern und Autoren zählten in der Folgezeit neben den bereits genannten J. Chr. Bodenburg, Volckmann und Rubin vor allem Frisch und Diterich vom Berlinischen Gymnasium, Konrektor Dornmeyer vom Friedrichswerderschen Gymnasium und der Joachimsthalsche Konrektor Friedrich Muzelius. 54 Die reformierten Rektoren des Friedrichswerderschen Gymnasiums hielten sich dagegen zurück. Damit wurde die Lehrbucharbeit mehrheitlich von lutheri-
49 Der damalige Rektor des Cöllnischen Gymnasiums, Rotaridis, scheint nicht beteiligt gewesen zu sein. Seine Mitarbeit wird von Heubaum, der Einsicht in heute verlorene Akten hatte, jedenfalls nicht erwähnt. Vgl. Heubaum, Geschichte, S. 128. 50 Zit. nach Wetzel, Geschichte, S. 270. Das königliche Privileg für die einzuführenden Bücher stammt vom 24. Dezember 1709. Im Jahre 1717 wurde es von Friedrich Wilhelm I. bestätigt. Vgl. auch Neugebauer, Staat, S. 461. 51 Vgl. Fischer, Briefwechsel, S. 23 u. 29. 52 Dabei handelte es sich u. a. um die märkischen Grammatiken der griechischen, lateinischen und hebräischen Sprache, die märkische Rhetorik, eine Auswahl von Briefen des Cicero und des Plinius und die Ausgaben des Agapet, Theophrast und Päanius (genaue Titelangaben bei Fischer, Briefwechsel, S. 59f.). Zur Verbreitung der märkischen Lehrbücher vgl. Neugebauer, Staat, S. 462ff. 53 Aus einem Auftrag an die Kommission, zit. nach Heubaum, Geschichte, S. 128. 54 Vgl. dazu auch Harnack, Geschichte, Bd. 1,1. S. 151. Zu Muzelius und seinen Schriften vgl. Beckmann, Nachrichten, B. 405.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
schen Lehrern getragen, die dem halleschen Pietismus und der mitteldeutschen Frühaufklärung nahestanden. 4. Reformbemühungen um die angewandte Unterrichtsmethode Im Unterschied zur curricularen Situation, die man aus den jeweiligen Lehrplänen und den verwendeten Lehrbüchern ableiten kann, läßt sich die an den Berliner Gelehrtenschulen angewandte Unterrichtsmethode schwerer fassen. In den Schulgesetzen der Berliner Gelehrtenschulen bildete das Einprägen und Auswendiglernen sowie die imitatio der klassischen Autoren den Kern didaktischer Anweisungen. Im Mittelpunkt stand der Lehrervortrag, der kurz und klar gehalten und dem Fassungvermögen der Hörer entsprechen sollte. Vor ausgedehnten Kommentaren wurde gewarnt, außerdem sollte man den Stoff mit den Schülern häufig wiederholen. Die Auswahl des Lehrstoffes sollte allein von dessen Nützlichkeit geleitet sein. 55 Inwieweit die Lehrer diese administrativen Vorgaben in der täglichen Unterrichtspraxis tatsächlich umsetzten, ist schwer einzuschätzen. Vor allem fehlt es an Visitationsberichten, die Rückschlüsse auf die Schulwirklichkeit geben könnten. Nur für die Anfangsjahre des Joachimsthalschen Gymnasiums liegen solche Berichte vor. Im Ergebnis der großen Visitation von 1613 kritisierten die Visitatoren, daß die Schüler zu viel Zeit mit unfruchtbarem Auswendiglernen zubrächten und ihnen zu wenig Gelegenheit gegeben würde, das eigene Können zu bestätigen. Vor allem fehlte es an einer bestimmten Methodik des Unterrichts und seien die einzelnen Klassenpensen nicht aufeinander abgestimmt. 56 Ein Jahr später beklagten die Visitatoren erneut, daß den Lehrern keine bestimmte Methode
55 Im Artikel XVII der Statuten des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1607, der in unveränderter Form auch in den erneuerten Statuten von 1707 auftaucht, heißt es: Sonderlichen sollen die Praeceptores sich befleißigenn daß sie allein waß nutzlich ist lehren, und lange Commentarios zu dictiren vormeiden, die fürgegebenn lectiones, welche nicht großer sein sollen, alß ein Knabe auf einmahl faßen kan, fleißig repeptirn und recitirn laßen (Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2., S. 73 u. BLHA, Rep. 34, Nr. 1857, Bl. 28). Nach Artikel VIII der Leges Docentium sollte jede Unterrichtstunde nicht nur mit Diktaten, sondern auch mit Wiederholungen und Erklärungen verbracht werden: hora spacium ita metiantur, ne dictatis totum conficiant: sed partem eius repetitionibus et expositionibus attribuant (Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 77). Die Schulgesetze des Berlinischen Gymnasiums von 1673 legten in ähnlicher Weise folgendes fest: In docendo et proponendo, brevitati et perspicuitati studento, neque commentariis animos discentium oneranto, sed ad fundamenta et fontes eos deducunto, praecepta saepe et saepius inculcanto, et exemplis e probatis Autoribus petitis illustranto, addunto denique imitationes ex ijsdem. Exemplo enim proficimus. Affiduas eorum, quae praelegerunt, instituunto repetitiones, nec progrediuntor nisi prioribus repetitis (ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 193). 56 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 250f. Es handelte sich dabei um die Visitation, welche im Herbst 1613 unter Beteiligung des reformierten Theologen Abraham Scultetus stattgefunden hatte und die Einführung der „Zweiten Reformation“ an der Fürstenschule vorbereiten sollte.
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
277
vorgeschrieben sei. 57 Konsequenzen hatten diese Berichte allerdings keine. Weder wurden die Schulgesetze überarbeitet, noch ein neuer Lehrplan verabschiedet. Für die Unterrichtspraxis am Berlinischen Gymnasium bilden die Beschwerdeschriften der Lehrer, die bereits im Zusammenhang der Diskussionen um den Privatunterricht Erwähnung fanden, eine wichtige Quelle. So beklagte sich in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts Rektor Rango beim Berliner Rat ebenfalls darüber, daß am Berlinischen Gymnasium eine richtige und in allen Classibus gleichförmigen Didactica und Lehr Ahrt 58 fehle. Auch Starcks Beschwerdepunkte, mit denen er sich kurz nach 1700 an Propst Spener wandte, hoben vor allem auf den modus tractandi ab. Problematisch sei, daß man in Neben- oder gar unnützen dingen zu viel- in der Haupt-Sache aber zu wenig thut. In specie tractiren manche lauter dinge dadurch allein die Memoria der jugend beschweret, Ingenium aber und Judicium gar nicht geübet wird. Man dictirt jahr aus jahr ein, was . . . könnte discursive und examinative vorgetragen werden. 59 Außerdem fehle der Zusammenhang zwischen dem in den einzelnen Klassenstufen behandelten Lehrstoff. Man solle deshalb in allen Klassen die selben Autoren unter verschiedenen Gesichtspunkten behandeln, zunächst nur die Syntax und Etymologie und danach in ausführlicher Weise die historischen, moralischen und geographischen Aspekte der Texte. Eine Klasse müßte hierbei der anderen die Hand bieten 60. Rodigast lehnt diese Vorschläge jedoch mit dem Argument ab, daß sich eine solche Methode zu unserm Gymnasio . . . nicht schicket, als in welchen, so sonderlich in die obersten Classen viel Frembde ankommen, die die Lectiones in den untersten Classen nicht gehört. Überhaupt habe es mit dem Berlinischen Gymnasium als einem öffentlichen Gymnasio . . . eine andere bewandniß als mit der Meißnischen Fürsten Schule, wo Starck diese Methode wohl kennengelernt habe. 61 Wie bereits erwähnt, kam erst mit dem neuen Rektor Ch. F. Bodenburg, der nicht nur einen neuen Lehrplan herausgab, sondern auch die Schulgesetze überarbeitete, Bewegung in den Unterricht des Berlinischen Gymnasiums. In den neuen Leges Discentium von 1708 wiederholte Bodenburg zunächst die alten Bestimmungen, deutlich und klar vorzutragen, sich auf das Grundsätzliche zu konzentrieren, lan57
Der Visitationsbericht von 1614 befindet sich bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 624. Capita Gravaminum Generalium Gymnasii Berlinensis (ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 53). 59 Desiderata generalia des Konrektors Starck (Ebd., Bl. 52). 60 Ebd., Bl. 5. 61 Ebd., Bl. 20. Starck war tatsächlich ein Absolvent der Fürstenschule St. Afra in Meißen. Davon, daß man hier in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts tatsächlich eine solche neuartige Unterrichtsmethode praktizierte, ist nichts bekannt. Vielmehr befand sich die Schule nicht nur bezüglich ihrer Finanzen, sondern auch ihres Unterrichts bis zu ihrer Reorganisation nach 1701 in keinem guten Zustand (vgl. Falthe, Afra, S. 203ff.). Die pädagogischen Neuerungsimpulse hat Starck vermutlich vor allem während seiner Studienzeit durch die Pietistenkreise in Leipzig und Halle erhalten. 58
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
ge Kommentare zu unterlassen und im Stoff nicht vorwärts zu schreiten, ohne das zuvor Gelernte wiederholt zu haben. 62 Völlig neu war jedoch, daß Schülern, die in einzelnen Fächern besonders fortgeschritten oder zurückgeblieben waren, gestattet wurde, den entsprechenden Unterricht in der nächst höheren oder niedrigeren Klasse zu besuchen. 63 Möglicherweise wollte Bodenburg, dem das offene Hallesche Schulsystem bekannt gewesen sein dürfte, auch in Berlin das starre Klassensystem durchbrechen. Ein wirkliches Fachklassensystem war damit allerdings noch nicht erreicht. Die Einführung eines solchen durchlässigen Systems, welches auf die Ungleichheit der profectuum der ankommenden Schüler in den verschiedenen Disziplinen Rücksicht nehmen würde, diskutierte im Jahre 1716 auch der in Halle geprägte Konrektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Dornmeyer, in den Zufälligen Anmerckungen. 64 Der erste Berliner Gymnasiallehrer, der dem Vorbild der Franckeschen Schulen in Halle tatsächlich folgte und ein Fachklassensystem mit einem parallelen Stundenplan in allen Klassenstufen einführte, war Johann Jacob Wippel, der 1757 am Berlinischen Gymnasium das Rektorat übernahm. 65 Auch am vereinigten Berlinisch-Cöllnischen Gymnasium galt unter Büsching ein nach Leistungen differenziertes Fachklassensystem, welches den Schülern die Wahl zwischen verschiedenen Unterrichtsniveaus frei stellte. Dafür bot jeder Lehrer sein Hauptfach in mehreren Klassen oder Bildungsstufen an. 66 Dies war auch am Friedrichswerderschen Gymnasium unter Gedike der Fall, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Fachklassensystem von einer neuen Generation von Pädagogen wieder abgeschafft wurde. 67 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang außerdem, daß an den beiden Altberliner Gymnasien in den vierziger Jahren auch eine andere hallesche Neuerung eingeführt worden war: Sowohl der Lehrplan von Damm als auch der von J. Ch. Bodenburg sahen freitags eine besondere Stunde für ein Concilium praeceptorum oder eine Lehrerkonferenz vor, welche einer besseren Koordinierung der Unterrichsabläufe dienen sollte. Auch am Joachimsthalschen Gymnasium verstärkten sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts die Bemühungen, den Unterricht in methodischer Hinsicht zu verbessern. Wie bereits erwähnt, waren die beiden Visitatoren Beckmann und 62 Brevitati & perspicuitati in docendo studento. Praecepta saepius inculcata exemplis idoneis illustranto, exque auctoribus, quos versant, imitationes suppeditanto, cum exemplis optime proficere soleanius. Assiduas eorum, quae praelegerunt, instituunto repetitiones, nec progrediuntor, nisi prioribus repetitis (vgl. Bodenburg, Leges, o. S.). 63 Imperitioribus primanorum in uno vel altero scientiae genere ad lectiones quasdam in secunda classe audiendas, & solertioribus secundae classis discipulis nonnunquam ad primam, pace & arbitrio Rectoris, aditus pateat, & sic in caeteris classibus (vgl. Bodenburg, Leges, o. S.). 64 Vgl. Dornmeyer, Erleichterung, S. 91f. 65 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 219f. 66 Vgl. Nicolai, Beschreibung, S. 739f. 67 Vgl. Scholtz, Gymnasium, S. 23.
I. Allgemeine Unterrichtsstrukturen
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Jablonski im Zusammenhang der Säkularfeier damit beauftragt worden, den Lehrplan und die Schulverfassung neu zu überarbeiten. Die methodischen Vorgaben der neu herausgegebenen Leges docentium waren allerdings keineswegs alle neu. Beibehalten wurden die Bestimmungen, sich beim Unterrichten nach der Auffassungsgabe der Hörer zu richten und sich klar und deutlich auszudrücken, keine langen Kommentare zu diktieren und den Stoff regelmäßig zu wiederholen. 68 Auch der Nützlichkeitsgedanke, der in den erneuerten Statuten auftauchte und ausgesprochen gut in die Zeit der Frühaufklärung zu passen scheint, war bereits in den alten Statuten von 1607 enthalten gewesen. Neu war allerdings die Festlegung, daß die Unterrichtspensa ein geschlossenes systema doctrina zu bilden hatten und in einem halben oder einem ganzen Jahr abzuschließen waren. Am Ende sollten die öffentlichen Prüfungen stehen. 69 Außerdem wurde eine besondere Censur-Stunde eingeführt, in der sich die Kollegen mit dem Rektor über Probleme und Mißstände beraten sollten. 70 Daß die Visitatoren bereits wenige Jahre später diese Punkte erneut anmahnten, zeigt, wie schwierig die praktische Umsetzung dieser Forderungen war: Die Docentes sollten nicht so viel SUPERFLUA so wohl in denen ordinaren lectionen alß den Examinibus vorbringen,sondern letztlich bey dem was dociret wird kurtz . . . bleiben, und in allem sich nach dem CAPTU der Discentium richten. Außerdem sollten die Examen nicht docendo, sondern examinando und interrogando verrichtet werden und die Discentes auch nicht mit bloßem Ja und Nein, sondern mit gehöriger antwort auf die vorgegebenen Fragen expediren. 71 Offensichtlich sahen Jablonski und Beckmann vor allem in regelmäßigen Examina einen Weg, die Unterrichtsqualität zu heben. So wurde an derselben Stelle verlangt, die Prüfungen nicht nur, wie bisher auf einige wenige Schüler zu beschränken, sondern auf alle auszudehnen. Dies garantierte den Visitatoren nicht nur eine bessere Kontrolle der Schülerleistungen, sondern auch des von den Lehrern geleisteten Unterrichts. Wie die erhaltenen Ranglisten aus den Jahren seit 1707 zeigen, wurden die Prüfungen in der Folgezeit tatsächlich regelmäßig durchgeführt. 72 68 Wörtlich heißt es im Artikel VI der erneuerten Leges Docentium von 1707: Ab omnibus vero et singulis in hoc Regio Gymnasio docentibus exigimus . . . lectionum in Catalogo praescriptarum nullas neque intermittant, neque mutant; prolixis commentaribus abstineant, repetitiones frequenter instituant atque ut auditorum est captus, ita omnia proponant (BLHA, Rep. 34, Nr. 1857, Bl 36). In der Vorlage von 1607 hatte es geheißen: Omnibus vero et singulis in Gymnasio hoc illustri docentibus iniunctum esto . . . lectiones praescriptas nec intermittant nec mutent, prolixis commentariis discentes non onerent, repetitiones frequentes instituant, ad captum auditrum lubentes se accommodent (Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2, S. 77). 69 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 267. 70 Vgl. Erneuerte Statuten des Joachimsthalschen Gymnasiums. Vom Amt des Rectoris, Art. 9. (24. August 1707). BLHA, Rep. 34, Nr. 1857, Bl. 20. 71 Verordnung der Visitatoren Beckmann und Jablonski vom 20. Oktober 1713 (Beckmann, Nachrichten, Bl. 596).
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen 1. Die religiöse Unterweisung unter dem Einfluß von Konfessionalisierung und Pietismus Daß die Unterweisung in den sacra nicht nur das Kernstück des Unterrichts bildete, sondern die religiöse Erziehung als Grundlage für die ganze Bildung angesehen wurde, machen die Schulgesetze der Berliner Gelehrtenschulen wiederholt deutlich. Zu Beginn der Leges discentium des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1607 heißt es: Pietatem ante omnia, qua sine omnis σoφια est πανoγια studiose colant, et perpetuo cogitent, Sapientia initium esse Timorem Dei. Sacras literas ament, legant, ediscant, et in colloquiis sacris vel disputationibus ad normam S. Scripturae omnia referant. 73 Der Berlinische Rektor Weber stellte seinen erneuerten Schulgesetzen die Devise voran: Prima hominis societas cum Deo est, a quo rivuli verae Sapientiae manant . . . Deinde habeat conjunctam cum Pietate eruditionem. 74 Nicht nur in der Heiligen Schrift, sondern auch in den jeweiligen Bekenntnisschriften sollten die Schüler, die später vor allem in Kirchen und Schulen zu wirken hatten, bewandert sein. 75 Deshalb wurde von Beginn viel Wert auf den katechetischen Unterricht gelegt, der sich in den obersten Klassen zu einer ausführlichen theologischen Propädeutik ausweitete. Während in den untersten Klassen der Katechismus und die Bibel auch auf deutsch rezipiert wurden, geschah dies in den oberen Klassen ausschließlich in den alten Sprachen. Auch in den Deklamations- und Disputationsübungen nahmen theologische Fragen einen zentralen Stellenwert ein. Neben dem Religionsunterricht hatten natürlich auch Gottesdienste ihren festen Platz im Schulalltag. Wie sich die religiöse Unterweisung an den verschiedenkonfessionellen Gelehrtenschulen in der Zeit von Orthodoxie und Pietismus entwickelte und in welchen Fragen sie sich voneinander unterschied, soll im folgenden genauer untersucht werden. Am Gymnasium zum Grauen Kloster sollte ursprünglich der Berliner Propst die Lektionen in den sacra erteilen. 76 Diese Praxis scheint sich jedoch nicht lange gehalten zu haben. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts lag der Religionsunterricht ausschließlich bei den Präzeptoren der Schule. Der Rektor unterrichtete in 72
BLHA, Rep. 32, Nr. 5344. Vormbaum, Schulordungen Bd. 2, S. 78. 74 ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 191. 75 Im ersten Artikel der Weberschen Schulordnung von 1673 hieß es beispielsweise: Praeceptor itaque si docere vera et salutaria voluerit, ad Deum omnis doctrinae et Sapientiae fontem se converto, eique adhaereto Sincera pietate, quae cum vitae Sanctimonia veram fidem e Scriptura natam, et Symbolicis libellis, praecipue Augustana Confessione et Christiana Concordia explicatam complectitur (ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 191). 76 So sahen es die ältesten Schulgesetze von Steinbrecher vor. Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 78. 73
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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der Prima und seine Kollegen in den anderen Klassen. In den unteren Klassen erteilten die jeweiligen Kantoren den katechetischen Unterricht. Gegenstand dieses Unterrichts war hier Luthers Kleiner Katechismus, der in den unteren drei Klassen auf deutsch und latein, ab der Quinta ausschließlich in Latein und in der Sekunda und Prima außerdem in griechischer Übersetzung gelesen und auswendig gelernt wurde. Der Lehrplan des Berlinischen Gymnasium von 1591 sah in der Prima außerdem ein wöchentliches Examen theologicum über die fontibus Israelis nach Philipp Melanchthon vor. 77 Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde der theologische Unterricht in den oberen Klassen nach den Institutiones catecheticas des Gießener Theologen Conrad Dieterich (1575–1639) gegeben, während Luthers Katechismus ganz den unteren Klassen vorbehalten blieb. Das von Dieterich aus Luthers Katechismus entwickelte Lehrbuch war neben Leonhard Hutters Kompendium eines der meist gebrauchten dogmatischen Lehrbücher der lutherischen Orthodoxie und überdauerte mehr als ein Jahrhundert. 78 Am Berlinischen Gymnasium war das Lehrbuch von Dieterich bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts in Gebrauch. Wallmann meint, daß Spener bereits in Frankfurt mit diesem, auf alle Lehrstreitigkeiten eingehenden Lehrbuch „üble Erfahrungen“ 79 gemacht habe. Ungeachtet dessen war der mit Spener eng vertraute Starck in seinen Reformvorschlägen sehr wohl der Meinung, daß der Grund der Gottseeligkeit . . . durch Erklärung der Bibel und Institutionum Dieterici gelegt werden könne. 80 Die Rezeption lutherisch-orthodox geprägter Lehrbücher stellte für ihn offensichtlich kein Problem dar, solange dazu auch die Bibelexegese und eine praktische Frömmigkeit hinzutraten. 81
77 Vgl. Lipstorp, Leges, o. S. Auf welche Schrift von Melanchthon man sich dabei stützte, ist dem Unterrichtsplan nicht zu entnehmen. 78 Die vierundzwanzigste Auflage seiner Dogmatik erschien im Jahre 1722. Näheres dazu bei Fraas, Katechismustradition, S. 100f. 79 Wallmann, Spener in Berlin, S. 72. 80 Näheres zu den Reformvorschlägen vgl. oben, Abschnitt D. I. 1. Wörtlich heißt es in seiner Beschwerde: Weder der Grund der Gottseligkeit, ich meine die Erkenntnis, noch deren Praxis wird gebührend getrieben. Das erste solte geschehen durch Erklärung der Bibel und Institutionum Dieterici, das andere durch fleißige Paraeneses und der Vorgesezten Exempel. An beiden fehlt es (ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 52). 81 Um die Frömmigkeit wieder herbei zu bringen, solle man neben der Bibel und dessen analytische Erklärung, nicht synthetische menschen Künstelung (als die meistens nur eine Hinderung ist, daß man Gott nicht anders als nur . . . kann reden hören . . . ) und solche Bücher in Lectionibus Theologicis (In Superioribus Classibus) benutzen, die mehr die thesin und usum derselben in fide et vita als controversin an die Hand gäbe. Daß man auch also beflißen wäre, außer denen terminis (die auch nothwendig auffs beste müssen müssen erkläret werden, ut in juventute aliquando et ipsa alios eruditura in his rebus) mit ernst die Glaubenslehre und derselben Krafft der Jugend auszubilden. Pietas externa würde solcher gestalt ex interna wohl selbst schließen. ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 5.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Als Ephorus des Berlinischen Gymnasiums hat sich Spener im Jahre 1698 über die Bedeutung des Religionsunterrichts geäußert. Er tat dies in einer Leichenpredigt für den 1698 verstorbenen Rektor Weber. Man kann diese Gedanken, die zu den wenigen inhaltlichen Äußerungen Speners zum schulischen Bereich zählen, gleichsam als pädagogisches Programm für die übrigen Schulkollegen und den neuen Rektor lesen 82: So solle der Lehrer die ihm Anvertrauten nicht nur an dem Verstande, sondern auch am Willen bessern, darmit es bey ihnen nicht zu einem bloßen wissen, sondern dem rechtschaffenen wesen in Christo Jesu . . . gelange. Also sei es auch des schulamts pflicht, daß lehrer nicht allein . . . das geistliche allem weltlichen und dahin zielendem vorziehen, sondern auch in dem geistlichen sich darmit nicht vergnügen lassen, wo die jugend zu der erkäntnüß und Wissenschafft vieler geistlichen dinge gelanget, sondern darnach trachten, daß man auf die praxin und Ubung dessen, was gelehrte wird, so ernstlich treibe, als immer auf das wissen selbs, und der jugend immer beibringe, wie alles wissen auch der besten dinge, ohne solche auch zur that zu bringen, offters eher schädlich als nützlich seye. Natürlich sei auch eine rechte Gelehrtheit in den Wissenschaften nötig, denn was man lehren solle, muß man selbst erst gründlich wissen. Dies sei aber allein nicht genug, darzu gehöret ferner die wahre Gottseligkeit. So solle man die Schüler fleißig beten lassen und zum Gebet anhalten. Notwendig sei dabei eine Auffsicht nicht allein auf den gantzen hauffen, sondern auch jegliche dessen absonderliche glieder . . . daher auch schullehrer sich des zustandes, ingenii, zuneigung, gemühts und lebens eines ieden discipuli insonderheit nach vermögen zu erkundigen haben. Im Zentrum aller pädagogischen Bemühungen sollte demnach die religiöse Praxis stehen. Die individuelle religiöse Entwicklung der Schüler im pietistischen Sinne zu befördern, hatte am Berlinischen Gymnasium bereits Ernst Christian Wartenberg versucht. Dieser war im Jahre 1690, also ein Jahr vor Speners Amtsantritt, auf Empfehlung des Leipziger Theologieprofessors Joachim Feller (1638–1691) zum Subrektor berufen worden. Wartenberg hatte in Leipzig zur selben Zeit wie Francke, Lange und Starck studiert und dort seine pietistische Erweckung erlebt. Das Unterrichten bereitete Wartenberg allerdings solche Probleme, daß schließlich seine Entlassung unumgänglich wurde. Obwohl Weber und seine Kollegen nach eigener Aussage ihrem Subrektor beigestanden hätten, mußte Wartenberg im Jahre 1694, weil ihm die Schulearbeit auß einigen ursachen beschwerlich gefallen 83, seinen Rücktritt vom Dienst einreichen. Genaueren Aufschluß über die Hintergründe gibt ein Bericht, der sich in den Berliner Magistratsakten erhalten hat. 84 Sehr bildhaft beschreibt darin sein damaliger Rektor Weber, daß der Subrektor 82 Spener, Grund, o. S. Spener hat konkrete Aussagen zum schulischen Unterricht „meist verweigert und auf die Kompetenz anderer verweisen“ (Friedrich, Konzept, S. 35). 83 LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6880, Bl. 12. 84 LAB, A Rep. 020–02, Nr. 6880, Bl. 7.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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keinen Respekt bei seinen Schüler habe herstellen können. Er habe zu Wartenberg gesagt, er solte es nicht leiden, sondern zuschlagen, und zwar auff frischer that. Obwohl er ihm selbst einen Rohrstock in die Prima gebracht hätte, habe Wartenberg den Rohrstock nicht benutzen wollen. Offensichtlich lehnte dieser, wie auch A. H. Francke, härtere Strafen und Schläge ab. 85 Interessant ist vor allem die Aussage Webers, daß der Subrektor bisweilen vor den Schülern auf die Knie oder ausgestreckt auf die Erde gefallen sei und so gebetet habe, daß die Knaben ein Spott daraus getrieben, so daß aus dem Gebet ein gespötte geworden. Offensichtlich war es nicht zuletzt diese ungewohnte Frömmigkeitspraxis, die bei den Schülern Befremden und Ablehnung hervorgerufen hatte. Für eine solche Demutsgeste hatten die Schüler nur Spott übrig. Die Frage fehlenden Gehorsams und Respektes der Schüler gegenüber den Lehrern beschäftigte auch den späteren Konrektor Starck in der bereits mehrfach erwähnten Beschwerdeschrift über die Zustände am Berlinischen Gymnasium unter Rektor Rodigast. Die eigentliche Ursache vermutete Starck jedoch nicht in fehlender Strenge, sondern darin, daß die Kollegen nur schelten würden und mit ihren immer drastischeren Strafen die Jugend verhärteten. 86 Wie bereits dargestellt, sah er im Jahre 1705 seine mehrjährigen Bemühungen um eine Verbesserung der Situation als gescheitert an und trat von seinem Amt zurück. Die von ihm geforderte Bibelexegese und praktische Frömmigkeit fand jedoch schon kurz darauf in dem Lehrplan, den der neue Rektor Christoph Friedrich Bodenburg im Jahre 1708 herausgab, ihren Niederschlag. 87 In der Prima wurde neben der Lektüre des griechischen NT ein besonderer Unterricht eingeführt, in dem, beginnend mit dem Römerbrief, die paulinischen Briefe analytico-exegetice behandelt wurden. Außerdem wurde in allen Klassen jeden Morgen zu Beginn des Unterrichts eine Andacht abgehalten, bei der ein deutsches oder lateinischen Kirchenlied gesungen, gebetet und ein Abschnitt aus der Bibel gelesen wurde. Der Unterricht in theologischer Dogmatik fand, wie bereits zuvor, samstags statt. Auch wenn man sich hier nicht auf Speners Tabulae Catecheticae, sondern weiterhin auf das Kompendium von Dieterich stützte, läßt sich generell eine Veränderung des Religionsunterrichts in Richtung pietistischer Forderungen beobachten; stellte doch in der pietistischen Pädagogik die Übung in der „wahren Gottseligkeit“ den Kern der christlichen Unterweisung dar. 88 Wie bereits erwähnt, gab Ch. F. Bodenburg in seinen neuen Gesetzen auch den Bezug auf das Konkordienbuch auf, was zeigt, daß konfessionelle Streitfragen stärker in den Hintergrund traten. 89 Dieser Trend setzte sich in der Folgezeit weiter fort. Frisch hat vermutlich den Lehrplan des älteren Bodenburg weiter fortgeführt. Einen neuen Lektionsplan legte erst wie85 86 87 88
Vgl. Richter, Francke, S. 250 u. Oschlies, Arbeitspädagogik, S. 154. ZLB, GKl Archiv Nr. 7, Bl. 3. Zum folgenden vgl. Bodenburg, Designatio. Näheres dazu bei Schmalenberg, Pietismus.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
der der jüngere Bodenburg im Jahre 1744 vor. 90 Dieser sah in der Prima nicht nur einen exegetischen Unterricht, sondern auch Kirchengeschichte vor, die nach Buddeus gelehrt wurde. Im theologischen Unterricht, für dessen Behandlung drei Stunden zur Verfügung standen, wurde nun das Kompendium des halleschen Pietisten Freylinghausen herangezogen, welches auch von seinem Nachfolger, Johann Jacob Wippel, beibehalten wurde. 91 Mit den zwei Lektürestunden für das griechische Neue Testament kam man damit in der Prima auf insgesamt sieben Stunden theologischer Propädeutik, deutlich mehr als je zuvor. Dazu kam ein tägliches Gebet mit einer Bibellesung. Anders als am Berlinischen bleiben die Entwicklungen am Cöllnischen Gymnasium weitgehend im Dunkeln. Nach einer alten Notiz erteilte in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts der damalige Cöllnische Propst Andreas Fromm den theologischen Unterricht am Gymnasium. 92 Danach gibt erst wieder der Lehrplan von Christian Tobias Damm aus dem Jahre 1742 zum Religionsunterricht Auskunft. In der Prima nahm der biblisch-theologische Unterricht sechs Stunden ein: Jeweils zwei Stunden standen für den theologischen Unterricht, für die biblische Geschichte und die Lektüre des griechischen Neuen Testamentes zur Verfügung. 93 Auf welche Lehrbücher man sich dabei stützte und welchen Raum Andachten und Gebete im Schulalltag einnahmen, wird in dem Plan leider nicht vermerkt. Daß man seit den Rektoraten von Christian Rubin und Friedrich Bake, die beide stark pietistisch beeinflußt waren, auf die Verbindung von pietas und praxis großen Wert legte, ist allerdings mit Sicherheit anzunehmen. Bake, der bis 1727 am Friedrichswerderschen Gymnasium Konrektor gewesen war, hatte dort auch Speners katechetische Tabellen benutzt. 94 Es ist sehr wahrscheinlich, daß er dies auch am Cöllnischen Gymnasium tat. Auch der jüngere Bodenburg, der hier in den Jahren 1727 bis 1730 Konrektor war, wirkte sicherlich in pietistischem Sinne. 89 Im ersten Artikel der Berlinischen Schulordnung von 1708 heißt es nur: Praeceptor itaque si docere vera et salutaria voluerit, ad Deum omnis doctrinae et Sapientiae fontem se converto, eique adhaereto Sincera pietate, quae cum vitae Sanctimonia veram fidem e Scriptura natam. Gestrichen wurde der Zusatz: et Symbolicis libellis, praecipue Augustana Confessione et Christiana Concordia explicatam complectitur. (ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 191). 90 LAB, A Rep. 020–02, Nr. 2413, Bl. 8. 91 Vgl. Freylinghausen, Compendium. Im Rahmen von privatissimis lectionibus hatte J. Ch. Bodenburg schon in den dreißiger Jahren dieses theologische Kompendium benutzt (vgl. Bodenburg, Nobili, S. 13). Freylinghausen war seit 1727 zusammen mit Gotthilf August Francke Direktor des Waisenhauses in Halle und wurde vor allem durch sein Kirchengesangbuch berühmt. 92 Vgl. Schmidt, Geschichte, S. 13f. Näheres zu Fromm, der bis 1666 im Amt war, bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 124–137. 93 Vgl. Racho, Geschichte, Anl. 8. 94 Vgl. Bake, Felicem, o. S.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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Auch wenn für das Friedrichswerdersche Gymnasium ebenfalls nur ein Lehrplan erhalten geblieben ist, sind wir über den Religionsunterricht an dem dritten der städtischen Gymnasien durch die Sekundärliteratur und andere Quellen weitaus besser unterrichtet. 95 Aufgrund des bikonfessionellen Charakters der Schule gab es hier einen zweigleisigen Religionsunterricht: Der Lehrer, in dessen Hand die Schulleitung lag, gab den Religionsunterricht für die Schüler der eigenen Konfession. Die anderskonfessionellen Schüler wurden vom jeweiligen Friedrichswerderschen Prediger ihrer Konfession unterwiesen. 96 Der Lehrplan von Berger aus dem Jahre 1693 sah für die Prima eine Stunde Bibelkunde und eine Lektürestunde für das griechische Neue Testament vor. In drei weiteren Stunden wurden – wohl nur für die lutherischen Schüler – Dieterichs Institutiones Catecheticae behandelt. 97 Die reformierten Schüler wurden vermutlich im Heidelberger Katechismus unterrichtet. 98 Der Umfang des biblisch-theologischen Unterrichts entsprach damit in etwa demjenigen der anderen städtischen Gelehrtenschulen. Grundsätzliche Neuerungen inhaltlicher Art scheint es dann erst unter dem neuen Rektor Lange gegeben zu haben, der als erster an einer Berliner Gelehrtenschule Speners Tabulae catecheticae einführte. Die herkömmlichen theologischen Compendien lehnte Lange ab, weil sie zur Einpflanzung der Erkentniß und Furcht Gottes nicht einmal recht hinlänglich seyn. Denn es wird darin fast alles nur auf eine leere Theorie geführet. Darüber hinaus kritisierte er die verbreitete Unterrichtspraxis, die Schüler nur theologische Leitsätze, nebst den dazu gesetzten dictis biblicis in Lateinischer Sprache lernen und auswendig her beten zu lassen: so wird vollends nichts, oder wenig ausgerichtet. 99 Da Lange den Hauptmangel in der Hindansetzung der heiligen Schrift 100 sah, stellte er die Auseinandersetzung mit der Bibel ins Zentrum seines Religionsunterrichtes. Das griechische Neue Testament wurde nicht nur gelesen, sondern außerdem wöchentlich zweimal analytisch und exegetisch durchgegangen. Mit der Intensivierung des Bibelstudiums verfolgte Lange nicht nur ein textkritisches, sondern auch ein geistliches Interesse: Um seinen Schülern ein geistlicher Vater zu werden, war dieser Unterricht 95
Vgl. Berger, Catalogus u. Gedike, Geschichte. Vgl. Müller, Geschichte, S. 28. 97 Vgl. Berger, Catalogus, o. S. 98 Bereits im Jahre 1683 war dem reformierten Prediger Lambertus Ellert aufgetragen worden, den reformierten Schülern wöchentlich einige Stunden Theologie zu erteilen und dabei insonderheit den Heidelberger Katechismus [zu] tractiren (LAB, A Rep. 020–02, Nr. 9495, Bl. 4). Die Benutzung des Heidelberger Katechismus wurde für sämtliche reformierte Gymnasien und deutsche Schulen Brandenburg-Preußens in der Königlich Preußischen Evangelisch-Reformierten Inspections- Presbyrerial-Classical-Gymnasien- und Schul-Ordnung vom 24. Oktober 1713 erneut festgeschrieben. Vgl. Mylius, CCM T. 1, Abt. 1, Nr. 83, Sp. 449. 99 Lange, Grammatica, S. 11. 100 Ebd. S. 12. 96
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
immer auch auf die Erbauung gerichtet, wie Lange selbst schreibt. 101 Außerdem ließ er zu Beginn seines Unterrichts neben einem Gebet immer ein Stück aus der Bibel lesen. Daß Lange auch zu sich nach Hause einlud, um mit seinen Schülern auf die Erbauung gerichtete ascetische Übungen zu veranstalten, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. 102 Vom Religionsunterricht der drei folgenden reformierten Rektoren ist nicht viel bekannt. Man benutzte im reformierten Religionsunterricht den Heidelberger Katechismus und für die Kirchengeschichte, die insbesondere unter Meierotto sehr ausführlich gelehrt wurde, ein Lehrbuch des Leipziger Lutheraners Adam Rechenberg. Claessens Lehrplan soll zwei Stunden für exegetische und systematische Theologie und je eine für Kirchengeschichte und hebräische Altertümer vorgesehen haben. 103 Der konfessionell orthodox eingestellte Barckhusen hielt in seinem theologischen Unterricht sicherlich an einem herkömmlichen reformiertorthodoxen Lehrbuch fest. Den lutherischen Schülern gab der damalige pietistische Prediger auf dem Friedrichswerder, Reinbeck, Theologie- und Hebräischunterricht. 104 Nachdem dieser das Cöllnische Propstamt übernommen hatte, scheint Konrektor Bake, der 1719 an das Friedrichswerdersche Gymnasium gekommen war, den lutherischen Religionsunterricht übernommen zu haben. Er unterrichtete nach Dieterichs Lehrbuch, jedoch nicht mit auswendig lernen, sondern mit erklähren und discurriren 105. Wie bereits erwähnt, zog er auch Speners Tabulae Catecheticae heran. Offensichtlich konnten sich das umfangreiche dogmatische Lehrbuch und die übersichtlichen Tabellen Speners gegenseitig gut ergänzen. 106 Auch unter dem lutherischen Rektor Küster, der seit 1732 amtierte, blieb mit Hutters Compendium zunächst ein lutherisch-orthodoxes Lehrbuch in Gebrauch.
101 Ich ging die Paulinischen Briefe dergestalt durch, daß ich jedesmal ein gewisses pensum von etlichen Versen nach der eigentlichen Verbindung, zum Teil auch nach der aus dem Griechischen Texte gezeigten Emphasiologie erklärte, und sofort zu Erbauung anwendete, und auf das Gewissen meiner Zuhörer richtete . . . Auf diese Weise habe ich in zwölf Jahren die Briefe Pauli fast dreymal nach einander gantz kürtzlich erkläret, und meinen auditoribus zugleich ein Vorgeschmack vom studio exegetico gegeben. Lange, Lebenslauf, S. 60f. 102 Vgl. oben, Abschnitt D. I. 4. 103 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 42. Der originale Lehrplan von Claessen ist nicht erhalten. 104 Vgl. ebd., S. 39. 105 Bake, Felicem, o. S. 106 Diese Einstellung wurde allerdings nicht von allen Kollegen geteilt. Der lutherische Kantor Martin Heinrich Fuhrmann (geb. 1669), der von 1704 bis 1740 am Friedrichswerderschen Gymnasium tätig war, veröffentlichte unter dem Pseudonym Martin Hilarius Fridmann eine Theologische Goldwaage, in welcher er Speners Tabellen als richtig und wichtig, Hutters Compendium jedoch als zu leicht befand (Küster/Müller, Berlin, S. 1024). Durch sein Studium in Halle war Fuhrmann besonders stark vom Pietismus geprägt worden.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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Allerdings hat Küster später die Oeconomia Salutis evangelica, ein Buch seines akademischen Lehrers aus Halle, Joachim Lange, herangezogen. Im biblischen Unterricht stützte sich Küster auf die durch Fragen und Bilder didaktisch aufbereiteten Biblischen Historien von Hübner. 107 Die Verwendung dieser neuen Kompendien und Lehrbücher zeigt, daß sich der katechetische und Theologieunterricht in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nicht nur quantitativ, sondern auch thematisch und methodisch weiter ausdifferenziert hatte. Nicht nur an den städtischen Schulen, sondern auch an der landesherrlichen Fürstenschule erfuhr der Religionsunterricht im Prozeß der Konfessionalisierung und unter dem Einfluß des Pietismus weitreichende Veränderungen. In den Leges discentium des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1607 waren zunächst die im Konkordienbuch zusammengefaßten lutherischen Bekenntnisschriften als Grundlage des Religionsunterrichts festgelegt worden. 108 Die geänderten Schulgesetze von 1616 erwähnten das Konkordienbuch nicht mehr, stattdessen war nur allgemein vom corpus doctrinae christianae und den kirchlichen Glaubensbekenntnissen, wie sie von Melanchthon zusammengestellt worden seien, die Rede. Außerdem sollten die Schüler an das Leben der Reformatoren herangeführt werden. 109 Auffällig ist, daß hier der Heidelberger Katechismus als das wichtigste Unterrichts- und Bekenntnisbuch der Reformierten nicht erwähnt wird. Betont wird dagegen der evangelische Aspekt, was sicherlich mit Rücksicht auf die konfessionell gespannte Situation geschah. Die Grundlage des Religionsunterrichts, den der zum reformierten Glauben konvertierte Joachimsthaler Pfarrer weiterhin allen Schülern gemeinsam erteilte, bildete auch nach dem Religionswechsel das theologische Kompendium des Generalsuperintendenten der Mark, Gottfried Pelargus, aus dem der Verfasser jedoch sämtliche gegen den Calvinismus gerichteten Passagen entfernt hatte. 110 Nur im Rahmen der Gottesdienste trugen die Fürstenschüler einzelne Glaubenssätze aus dem Heidelberger Katechismus vor. 111
107 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 53 u. Müller, Geschichte, S. 46. Zu Hübner vgl. oben Abschnitt B. V. 3. 108 Laut Artikel 3 der Leges discentium sollten sich die älteren Schüler das Konkordienbuch beschaffen, um daraus zu lernen, welche Glaubensartikel zu glauben seien, und welche zurückgewiesen werden sollten. Librum Concordiae Christianae, veluti Symbolum quoddam Ecclesiarum sinceriorium, quae doctrinam fidemque D. Lutheri hactenus amplectuntur, adultiores sibi comparent : ut mature, quid in singulis articulis controuersis credendum, qui reiiciendum sit, addiscant. Vormbaum, Leges Bd. 2, S. 78. 109 Leges discentium Art. 3: „Librum, quem corpus doctrinae christianae appellant, a Phillipo Mel. conscriptum et veluti symbolum quoddam ecclesiarum sinceriorium, quae doctrinam fidemque evangelicam D. Lutheri aliorumque Dei servorum opera et ardenti zelo a sordibus pontificiis aliisque repurgatam hactenus amplectuntur, editum adultiores iuxta Biblia sibi comparent, ut mature . . . BLHA , Rep. 32, 4894, Bl. 30. (Neuerungen fett gesetzt).
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Erst in Berlin wurde der Heidelberger Katechismus auch im Religionsunterricht herangezogen. Da für Lutheraner – anders als am Friedrichswerderschen Gymnasium – weiterhin kein eigener Religionsunterricht vorgesehen war, sollten die lutherischen Knaben nur zu Lernung der Sprüche, aber nicht zu den Fragen angehalten worden 112. Zieht man in Betracht, daß im philippistisch geprägten Heidelberger Katechismus die reformierten Sonderlehren nur eine untergeordnete Rolle spielten, hielt sich der konfessionelle Druck auf die lutherischen Schüler – zumindest aus heutiger Sicht – in Grenzen. 113 Für die Zeitgenossen war jedoch die Tatsache, daß man keinen besonderen Religionsunterricht für die Lutheraner duldete, eine prinzipielle Frage, an der sich die Grenzen religiöser Toleranz deutlich ablesen ließen. Zugleich bestätigt sich hier, daß an der Fürstenschule primär ein reformierter Prediger- und Beamtennachwuchs herangezogen werden sollte. Von den lutherischen Schülern wurde höchste Loyalität erwartet. Daß sämtliche Schüler, also auch die lutherischen, wöchentlich einmal publice in Templo 114 vom reformierten Hofprediger abgefragt werden sollten, macht dies ebenfalls deutlich. Wie bereits erwähnt, hatten in der Zeit des Hofpredigers Kunsch lutherische Schüler, welche die in der Domkirche angestellte Catechisation nicht tolerieren wollten, die Fürstenschule wieder verlassen. 115 Bis in die achtziger Jahre lag der theologische Unterricht in den oberen Klassen bei einem der Hofprediger. Danach übernahmen, wie dies an den anderen Berliner Gymnasien üblich war, die jeweiligen Rektoren diesen Unterricht. Seit der Neueinrichtung der Schule in Berlin waren in jeder Klassenstufe zwei Stunden für den katechetischen und theologischen Unterricht vorgesehen, bei dem der Heidelberger Katechismus und in den unteren Klassen ein Lehrbuch des späteren Rektors Vechner herangezogen wurde. 116 Mit den fortgeschrittenen Schülern wurden die controversien ingleichen 110
Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 197 sowie Hering, Nachricht, S. 205f. Noch in den dreißger Jahren war das Compendium von Pelargus in beiden oberen Klassen in Gebrauch (Visitationsbericht von Gregor Franck vom 3. September 1632, BLHA, Rep. 32, 4894, Bl. 212ff.). 111 Zur Vesper sollten der Catechismus Lutheri, wie er ergänzet, in der Fürstenschul der Jugend vorgetragen, daneben auch etliche Fragstücke, welche sich darauf schicken, den Knaben ex Catechismo Heidelbergensi, von dem Diacono abgeschrieben gegeben, und von ihnen in der Kirche öffentlich recitiret werden. (Geänderte Kirchenordnung vom 23. April 1616. Abgedr. bei Hering, Verbesserungen, S. 91). Hering vermutet, daß von Luthers Katechismus vermutlich nur die (dogmatisch unproblematischen) Fragen zu den zehn Geboten behandelt wurden. (vgl. ders., Verbesserungen, S. 93). 112 Beckmann, Nachrichten, Bl. 113 So fehlt im Heidelberger Katechismus die Prädestinationslehre, die einen wichtigen Aspekt der reformierten Theologie ausmachte und in den konfessionalistischen Auseinandersetzungen häufig eine zentrale Rolle spielte. Vgl. Metz, Katechismus, S. 583. Näheres dazu außerdem bei Winter, Confessio, S. 47f. 114 Instruktion zur Bestallung des Hofpredigers Kunsch von Breitenwalde vom 16. Juni 1657 (GStA PK, I. HA, Rep 60, 2, Bl. 104). 115 Vgl. oben, Abschnitt C. III. 5.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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die gemeinste definitiones und distinctiones aus Ursini explicatione catecheseos Heidelberg. getrieben. 117 Dazu kam die bereits erwähnte öffentliche Katechismusstunde im Berliner Dom. Einen besonderen biblisch-exegetischen Unterricht hat es, ähnlich wie an den Berliner Gelehrtenschulen, zunächst nicht gegeben. Zwar war 1686 eine Verordnung an Rektor Wilhelmi ergangen, mit der Prima einen Text aus dem Neuen Testament zu analysieren, jedoch hatte er dies nicht lange getan. 118 Auch unter dem Rektorat des streng reformierten Vechner blieb der Schwerpunkt weiterhin beim dogmatischen Unterricht. Er führte noch in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts für diesen Unterricht das Kompendium des orthodoxen reformierten Theologen Johannes Wolleb (1586–1629) ein. 119 Ähnlich wie am Berlinischen und am Friedrichswerderschen Gymnasium kam es auch am Joachimsthalschen Gymnasium erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu grundsätzlichen Neuerungen im Lehrplan, die hier ebenfalls im Zusammenhang mit personellen Veränderungen standen. Sowohl der neue Rektor Volckmann als auch die neuen Visitatoren, unter ihnen der Hofprediger Jablonski, hatten daran ihren Anteil. In dem überarbeiteten Lehrplan von 1707 hielt man zwar am Heidelberger Katechismus und am theologischen Kompendium von Wolleb fest, jedoch traten zum bisherigen theologisch-katechetischen Unterricht drei weitere Stunden für das Bibelstudium hinzu, womit sich der Umfang des Religionsunterrichts verdoppelte. 120 Nach dem morgentlichen Gebet und Gesang sollte ein Kapitel aus der Bibel gelesen und erklärt werden. Beckmann berichtet, daß man jedem Schüler der beiden oberen Klassen eine Bibel in die Hand gegeben habe und sie fleißig aufschlagen 121 ließ. Um den Schülern der unteren Klassen die biblischen Geschichten besser nahe zu bringen, wurden seit 1714 eine Kinderbibel von Albrecht Wilhelm Melchioris (1685–1738) im Unterricht herangezogen. 122 In den zum Jubiläum überarbeiteten Schulgesetzen zeichneten sich ebenfalls Veränderungen im Bereich der sacra ab. So fällt bei genauerer Betrachtung eine Akzentverschiebung weg von dogmatischen Fragen hin zu mehr Frömmigkeitspraxis 116 Vgl. Lehrplan von 1653 (BLHA, Rep. 32, 63, Bl. 51). Das Lehrbuch, das in den Quellen unter der Bezeichnung Vestibulum Vechneri auftaucht, konnte bibliographisch nicht ermittelt werden. 117 Beckmann, Nachrichten, Bl. 197. 118 Vgl. ebd., Bl. 195. 119 Entsprechend einem Lektionsplan von 1692 wurden daraus die Erbsündenlehre und die Prädestination behandelt, die Kernfragen in der konfessionellen Diskussion darstellten. Vgl. Gymnasmata lectionum, S. 3. Näheres zum Kompendium bei Freudenberg, Wolleb, Sp. 47f. 120 Zum folgenden vgl. Lehrplan von 1707 (Wetzel, Geschichte, S. 266) und die erneuerten Statuten, Vom Ambte der Professoren und Collegen insgemein, Art. 4 (BLHA, Rep. 34, 1857, Bl. 25). 121 Beckmann, Nachrichten, Bl. 195. 122 Vgl. ebd., Bl. 196.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
auf. Beispielsweise zählen die Leges discentium keine dogmatischen Lehrgrundlagen mehr auf, sondern enthalten nur noch die generelle Aufforderung an die Schüler, pünktlich und eifrig den sacris in Templo zu folgen, das Vorgetragene zu wiederholen und die Gottesdienste mit ihrem Gesang zu unterstützen. Die reformierten Schüler sollten mit den Lehrern und die lutherischen Schüler mit einem dazu bestellten lutherischen Geistlichen regelmäßig und zur gleichen Zeit zum Abendmahl gehen. 123 Die neu aufgenommene Forderung an die Schüler, sich trotz der vorerst in Lehre und Kultus geschiedenen Konfessionen nicht gegeneinander zu ereifern, sondern in herzlicher Eintracht zu studieren, macht ebenfalls den Einfluß pietistischen und unionistischen Denkens deutlich. 124 Das Bemühen um eine Intensivierung der pietas zeigt sich auch darin, daß seit der Fertigstellung des neuen Internatsgebäudes im Jahre 1718 zusätzlich im Convictorio mittags und abends die Bibel gelesen und eine abendliche Betstunde durchgeführt wurde. 125 Die Abschaffung der orthodoxen Lehrbücher zog sich wie an den anderen Berliner Gelehrtenschulen über einen längeren Zeitraum hin. Daß Volckmann mit seinem Versuch, am Joachimsthalschen Gymnasium ein neues theologisches Kompendium einzuführen, scheiterte, wurde bereits an anderer Stelle dargestellt. 126 Erst unter seinem Nachfolger Elsner wurde im Jahre 1721 das orthodoxe Kompendium von Wolleb zugunsten eines neuen Lehrbuches des Zürcher Theologen Johann Heinrich Heidegger (1633–1698), der von Coccejus geprägt worden war und in dogmatischer Hinsicht wie Volckmann eine universalistische Position vertrat, abgeschafft. 127 Auch Rektor Heinius benutzte im theologischen Unterricht dieses Lehrbuch, bis er im Jahre 1733 den königlichen Befehl erhielt, die Theologia Marchica von Volckmann heranzuziehen. 128 Nicht nur in dieser Dogmatik des in Bremen geprägten ehemaligen Rektors Volckmann, sondern auch in den besonderen kirchengeschichtlichen Lektionen, in denen man sich auf Lampe stützte, wurden am Joachimsthalschen Gymnasium theologische Einflüsse aus Bremen wirksam. Da es sich bei dem Volckmannschen Lehrbuch um ein unvollständig gebliebenes Werk handelte, drängten Rektor Heinius und der neue Visitator und 123
Vgl. Leges discentium Artikel 3 bis 6 (BLHA, Rep. 34, 1857, Bl. 37). Wörtlich heißt es in den Leges discentium, Artikel 7: Interim in Religionis utriusque discrepantia, seu sit circa Intera et Doctrinam seu sit circa Externa et Ceremonias, neutra pars alterum sugillet, exagitetue; sed mutuo potius amori et concordiae saluis et in medio relictis utriusque partis sententiis, studeant. BLHA, Rep. 34, 1857, Bl. 38. 125 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 183f. Unter den Schulakten befinden sich mehrere deutsche Schulgebete, z. T. mit ausführlichen Kommentaren (Vgl. BLHA, Rep. 32, 345). 126 Vgl. oben, Abschnitt D. I. 3. 127 Vgl. Heidegger, Medulla. Näheres zu Heidegger bei Bautz, Heidegger. 128 Wörtlich heißt es in dem Befehl an das Schuldirektorium vom 22. Dezember 1733, es solle des Volckmanni Theologia Marchica als ein Systema erklähret werden (BLHA, Rep. 32, 329, Bl. 122). Leider ließ sich ein solcher Titel bibliographisch nicht ermitteln. In seinen Grundzügen wird das Buch wohl auf Volckmanns Theses Theologicae zurückgehen. 124
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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Hofprediger Cochius später darauf, dieses durch ein neues Lehrbuch zu ersetzen. 129 Hierbei handelte es sich um die gerade erschienene Dogmatik des späteren Marburger Theologieprofessors David Samuel Daniel Wyttenbach (1706–1779), der bereits der Aufklärungstheologie zugerechnet wird. 130 In den unteren Klassen wurde nach wie vor mit allen Schülern ausschließlich der Heidelberger Katechismus behandelt, den die Lutheraner allerdings nicht auswendig zu lernen hatten. Entsprechend einer Verordnung des Schuldirektoriums sollten die Lehrer den Heidelbergischen Cathechismus . . . dergestalt dociren, daß der Parallelismum aus Lutheri Catechismo . . . zwischen beiderseits Religionen angezeigt werde, von deren Controversen aber, welche ohnedem nicht ins Gymnasio gehören, gantzlich abstrahiren. 131 Auch in der Folgezeit wurde dies so eingehalten. 132 Der vom damaligen Rektor Heinius unterstützte Antrag lutherischer Eltern, ihre Söhne im lutherischen Katechismus zu unterrichten, kam dagegen noch im Jahre 1752 beim Schuldirektorium nicht durch. 133 Die konfessionelle Ausrichtung der Fürstenschule als eine reformierte Bildungseinrichtung wurde demnach bis weit in die Aufklärungszeit hinein von den verantwortlichen Aufsichtsorganen engagiert verteidigt. Auch die gezielte Zusammenfassung von ausschließlich reformierten Schülern in dem 1731 eingerichteten Seminarium Theologicum sollte diesem Ziel dienen. 134 Anders als bei den deutschen Gelehrtenschulen ist über den Religionsunterricht am französischen Collège wenig bekannt. Die Schulgesetze der Gründungszeit hatten wöchentlich eine Katechismusstunde in allen Klassen festgelegt. 135 Dafür gab es einen besonderen Katecheten, der direkt dem Französischen Konsistorium unterstand und von diesem bezahlt wurde. 136 In den oberen Klassen scheint der Religionsunterricht anfangs von den jeweiligen Klassenlehrern erteilt worden
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Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 268. Christian Johann Cochius (1688–1749) war 1741 als Nachfolger Jablonskis zum Visitator des Joachimsthalschen Gymnasiums berufen worden. Friedrich II., dem er früher Religionsunterricht gegeben hatte, schätzte Cochius sehr und beförderte seine Karriere nachhaltig. Vgl. Thadden, Hofprediger, S. 220f. 130 Vgl. Wyttenbach, Tentamen. Näheres zu diesem Autor bei Wenneker, Wyttenbach, Sp. 261. 131 Verordnung des Schuldirektoriums vom 28. Oktober 1713 (Beckmann, Nachrichten, Bl. 598). 132 Vgl. Verordnung des Schuldirektoriums Vom Ambt und Pflicht derer Professorum und Docenten im Königl. Gymnasio vom 8. Februar 1730 (Beckmann, Nachrichten, Bl. 606). 133 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 272. 134 Näheres zu diesem Seminar vgl. oben, Abschnitt D. II. 1. 135 Disciplina seu Leges Gymnasii Gallici à Serenissimo ac Potentissimo Electore Brandenburgico Friderico III. Berolini fundati & erecti die 12. Oct. anni 1689, abgedruckt bei Erman, Mémoire, S. 158. 136 Vgl. Erman, Mémoire, S. 123 u. Schulze, Bericht, S. 30f.
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zu sein. Dies läßt sich jedenfalls aus dem bereits oben erwähnten Fall von Jean Barbeyrac erkennen, der sich im Jahre 1699 ereignete. Dem Lehrer der zweiten Klasse wurde vorgeworfen, daß in seinem Katechismus, welchen er der jugend dictiret, . . . gefährliche Arminianische, Socinianische v. Sabellianische errores zu finden gewesen seien. Auch wenn man ihn als Lehrer am Collège behielt, sollte er in der Profession deß Catechismi vnt der Theologie 137 nicht mehr geduldet werden. Ob ein anderer Lehrer oder einer der hugenottischen Prediger seinen Religionsunterricht übernahm, ist ebenso wenig bekannt, wie die benutzten theologischen Lehrbücher. Vermutlich waren es diese Erfahrungen mit den theologisch liberal eingestellten Lehrern des Collège, die dazu führten, daß in dem Lektionsplan von 1703 der Religionsunterricht nicht mehr aufgeführt wurde. 138 Anders als an den deutschen Gelehrtenschulen sollte der Religionsunterricht kein integraler Bestandteil des Curriculums mehr sein. Das Collège war ganz auf seine sprachlich-humanistische Funktion zurückgeführt, wenn nicht sogar reduziert worden. Die nachgeordnete Stellung des theologischen Unterrichts zeigt sich auch darin, daß die veröffentlichten Disputationsschriften des Collège ausschließlich philosophischen Inhalts waren. Anders als an den deutschen Gelehrtenschulen, wo theologische Fragen immer eine zentrale Rolle behielten, war die gelehrte Bildung des Collège weitaus stärker auf eine philosophische Vorbildung ausgerichtet. Ob und wenn ja welche Lehrer des Collège in ihren Privatstunden Theologie unterrichteten, ist unbekannt. Daß die Inspektoren auf die strenge Einhaltung des französischen Glaubensbekenntnisses achteten, ist jedoch anzunehmen. 139 Möglicherweise boten die Inspektoren auch selbst einen theologischen Unterricht an. Immerhin befand sich die Schule seit 1702 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Französischen Konsistorium. 140 Auch über die Frömmigkeitspraxis ist wenig überliefert. Die Schulgesetze schrieben vor, daß zu Beginn und zum Ende des Unterrichts in den einzelnen Klassen gebetet werden sollte. In den unteren Klassen sollte dies auf französisch, in den oberen auf lateinisch und griechisch geschehen. Dem sonntäglichen Gottesdienst hatten die Schüler aufmerksam zu folgen und sich die wichtigsten Punkte einzuprägen. 141 Welchen Stellenwert am Collège ein exegetischer Unterricht und die Kirchengeschichte hatten, ist ebenfalls unklar. Daß 137 Stellungnahme der Untersuchungskommission vom 11. 9. 1699. Zit. nach Othmer, Berlin, S. 72f. 138 Abgedruckt bei Schulze, Bericht, S. 26–28. 139 In einer Verordnung an das Französische Oberkonsistorium wurde im Jahre 1716 für den Religionsunterricht an allen französisch-reformierten Schulen festgelegt, daß nur einer von denen Catechismis, welche hiebevor allemahl in Frankreich bey denen Reformirten Kirchen recipiret gewesen und gebrauchet worden, introduciret und hingegen alle und jede neuerliche verbothen werden sollte (Mylius, CCM T. 1, Abt. 1, Nr. 95, Sp. 526). 140 Auch Velder geht von einem „vom Collège unabhängigen philosophischen und theologischen Unterricht aus“. Vgl. ders., Gymnasium, S. 87. 141 Vgl. Erman, Mémoire, S. 151 u. 155.
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diese Disziplinen im regulären Unterrichtsplan überhaupt nicht auftauchten, zeigt jedoch zumindest deren untergeordneten Stellenwert an. Auch die Bibellektüre war im Lehrplan kaum verankert. In der Quinta las man die französische Bibel in der Übersetzung von Beza und in der Tertia das griechische Neue Testament. Von den vergleichsweise vielen Griechischstunden in den beiden oberen Klassen war keine für die neutestamentliche Lektüre vorgesehen. Da ein Hebräischlehrer nur wenige Jahre am Collège verblieb, kann die hebräische Bibel nur kurzzeitig gelesen worden sein. Auch wenn angesichts der unbefriedigenden Quellensituation ein abschließendes Urteil nicht gefällt werden kann, scheint der Religionsunterricht am Collège tendentiell stärker in alten Bahnen verlaufen zu sein. Anders als an den vom Pietismus beeinflußten deutschen Gelehrtenschulen läßt sich an der Schule der Hugenotten keine Hinwendung zum biblisch-exegetischen Unterricht ausmachen. 2. Der altsprachliche und rhetorische Unterricht als Kern des Curriculums Den Schwerpunkt des Unterrichts bildeten nach melanchthonischem Prinzip an allen Berliner Gymnasien die artes dicendi. Entsprechend dem rhetorischverbalen Bildungsideal des Humanismus lag das primäre Unterrichtsziel in der mühelosen Beherrschung des Lateinischen. In den oberen Klassen traten Griechisch und Hebräisch hinzu. Ein besonderer Rhetorikunterricht sowie regelmäßige Deklamations- und Disputationsübungen sollten der Ausbildung des lateinischen Stils und der Redefertigkeit dienen. Auch das Gebot, im Unterricht und untereinander ausschließlich Latein zu reden, welches an den Berliner Gelehrtenschulen bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts hinein Gültigkeit behielt, zielte auf die Ausbildung der Latinität. 142 Wie die Übersicht der Unterrichtsstunden zeigt, verschob sich im Laufe der Zeit das Verhältnis der Sprachen zueinander. Während zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Lateinunterricht den griechischen mit nur wenigen Stunden übertraf, war ein Jahrhundert später das Griechische ganz an den Rand gedrängt worden. Hebräisch wurde an allen Schulen nur in der Prima für maximal zwei Stunden wöchentlich unterrichtet. Der Umfang des 142 Inwieweit das Lateingebot in der Praxis tatsächlich eingehalten wurde, ist schwer einzuschätzen. Beckmann berichtet, daß Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums noch im Jahre 1713 ein Strafgeld von 6 Groschen zu entrichten hatten, wenn sie gegen das lateinische Sprachgebot verstießen. Nach und nach sei man jedoch von dieser mode ganz abgekommen. Nur in der Suprema werde noch lateinisch vorgetragen und müßten die Schüler auf lateinisch antworten, schreibt Beckmann im Jahre 1741 (vgl. ders., Nachrichten, Bl. 208). Am Gymnasiums zum Grauen Kloster wurden die Rektoren im Zusammenhang ihrer Bestallung noch in den Jahren 1726 und 1743 explizit dazu angewiesen, ihre Schüler zum Lateinreden anzuhalten (LAB A Rep. 20–02, Nr. 6881, Bl. 7). Zum Lateingebot an den protestantischen Gelehrtenschulen im allgemeinen vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 275–281.
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Lateinunterrichts nahm dagegen im Untersuchungszeitraum an allen Gymnasien kontinuierlich zu. Daß das Griechische im Laufe des 17. Jahrhunderts zu Gunsten des Lateinischen und anderer neuer Fächer zurückgedrängt wurde, entspricht ganz dem allgemeinen Entwicklungstrend im deutschen Gelehrtenschulwesen dieser Zeit. 143 Im Mittelpunkt des altsprachlichen Unterrichts stand die lateinische Sprache, deren herausragende Stellung als lingua franca bis zum Ende des Untersuchungszeitraums unangetastet blieb. Im Elementarunterricht der unteren Klassen wurden zunächst die lateinischen Vokabeln, Deklinationen und Konjugationen gelernt. Die fortgeschrittenen Schüler wurden danach in Syntax, Prosodie und Etymologie eingeführt. Dafür zog man am Berlinischen Gymnasium in den Anfangsjahren Melanchthonsche Lehrbücher heran. Im Elementarunterricht der unteren Klassen wurde, wie auch am Joachimsthalschen Gymnasium, die mittelalterliche Grammatik des Donat in der Bearbeitung des Humanisten Johannes Rhenius (1574–1639) benutzt. 144 In der Mitte des 17. Jahrhunderts hielten an den Berliner Gelehrtenschulen die neuen comenianischen Lehrbücher Einzug, welche den Sprachunterricht von der Muttersprache her begründeten. Am Joachimsthalschen Gymnasium benutzte man seit dem Umzug nach Berlin neben den herkömmlichen Sprachlehrbüchern das Vestibulum und die Janua des Comenius. 145 Beide Bücher wurden noch in den neunziger Jahren in den Lektionsplänen erwähnt. 146 Am Berlinischen Gymnasium tauchte das Comenianische Vestibulum ebenfalls zu Beginn der fünfziger Jahre auf. In den höheren Klassen beider Schulen war seit dieser Zeit außerdem ein Vestibulum des späteren Joachimsthalschen Rektors Vechner in Gebrauch, über dessen Aufbau und Charakter leider nichts bekannt ist. 147 Offensichtlich behinderte der Konfessionsunterschied den pädagogischen Austausch untereinander keineswegs. Die Tatsache, daß man im wesentlichen die gleichen Lehrbücher benutzte, macht darüber hinaus deutlich, daß man im Sprachunterricht die selben methodisch-didaktischen Ansätze verfolgte. Der Gebrauch
143
Vgl. Paulsen, Geschichte, Bd. 1, S. 487f. u. Seifert, Schulwesen, S. 334. In den dreißiger Jahren empfahlen die Rektoren des Joachimsthalschen, des Berlinischen und des Cöllnischen Gymnasiums einer Kommission des Kurmärkischen Konsistoriums, die Grammatica Latina von Rhenius an sämtlichen Lateinschulen des Territoriums als verbindliches Lehrbuch einzuführen. Vgl. Bonin, Versuche, S. 179. 145 Das Vestibulum taucht zuerst in einem Lehrplan von 1653 auf (Beckmann, Nachrichten, Bl. 191 u. Wetzel, Geschichte, S. 259). Daß mehrere Exemplare der Janua in den Jahren 1658/59 gekauft wurden, geht aus erhaltenen Bücherlisten hervor (vgl. BLHA, Rep. 32, Nr. 351, Bl. 3). 146 Vgl. Gymnasmata Lectionum, S. 20f. 147 Laut Lehrplan des Rektors Heinzelmann von 1653 wurde bis zur Quarta das Vestibulum und danach das Vestibulum Vechneri gebraucht. Der Webersche Plan von 1673 sah vor, das Vestibulum Comenii bis zur Quinta und danach das Vestibulum Vechneri zu benutzen. 144
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traditioneller und neuer Lehrbücher und Grammatiken ging dabei miteinander einher, neben den Comenianischen Lehrbüchern blieb der Donat in den Anfängerklassen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts in Benutzung. Auch am Collège der Hugenotten zog man im Elementarunterricht die Janua des Comenius heran. Außerdem stützte man sich in den unteren Klassen auf Grammatiken nach der Nouvelle Méthode der französischen Jansenisten. 148 Wie dies Ratke und Comenius in Deutschland verlangt hatten, gingen diese Grammatiken, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts in den Schulen von Port-Royal entwickelt worden waren, von der Muttersprache aus. Sie waren mit französischen Kommentaren in Versform abgefaßt, was das Erlernen ebenso erleichterte wie die Anwendung mnemotechnischer Methoden, darunter tabellarischer Übersichten oder verschiedenfarbiger Drucke. Daß die herkömmlichen Grammatiken den Bedürfnissen des Sprachunterrichts nicht mehr in ausreichendem Maße genügten, wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch an den deutschen Gelehrtenschulen immer deutlicher. Vor allem die neue Generation pietistischer Lehrer, darunter der Berlinische Konrektor Starck, sah hier einen dringenden Reformbedarf. In seiner Beschwerdeschrift forderte er, in Sprachen, sonderlich in Latein solche Grammatiken zu benutzen, die vollständig und so kurtz als immer möglich und lieber deutsch als Lateinisch wären 149. Als erster machte sich Joachim Lange an die Abfassung einer neuen Grammatik. Diese Grammatik, die im Jahre 1703 erschien, zeichnete sich neben ihrer Kürze vor allem dadurch aus, daß sie von der deutschen Sprache ausging. 150 In vier übersichtlichen Kapiteln wurde Formenlehre und Syntax behandelt. Auch in visueller Hinsicht bemühte sie sich um mehr Anschaulichkeit. Neu war, daß sie sowohl den Ansprüchen von Anfängern als auch von Fortgeschrittenen genügen sollte. Nicht nur die Grammatik des Rhenius, sondern auch die bisherigen Einführungsbücher, die Vestibuli, orbis picti und vocabularii wollte Lange damit ersetzen, wie er selbst in der Vorrede seiner Grammatik schreibt. 151 Offensichtlich fand die Langesche Grammatik eine schnelle Verbreitung. Am Joachimsthalschen Gymnasium wurde sie im Jahre 1709 eingeführt. Der ehemalige Joachimsthalsche Schüler Beckmann hebt in diesem Zusammenhang lobend hervor, daß die Schüler mit dieser Grammatik nicht durch Auswendiglernen, sondern durch regelmäßi148
Laut Lehrplan von 1703 fanden in den unteren Klassen die Grande Nouvelle Méthode und die Abrégé de la Nouvelle Méthode de Port-Royal Verwendung . Vgl. Schulze, Bericht, 26f. Näheres zum Jansenisten Claude Lancelot (1615–1695), der die Nouvelles méthodes entwickelte bei Brockliss, Philosophieunterricht, 520ff. 149 ZLB, GKl Archiv, Nr. 3. 150 Vgl. Lange, Grammatica. Demnach kam diese Grammatik, die Paulsen für eine „bemerkenswerte Neuerung des halleschen Unterrichts“ hielt, zuerst in Berlin und nicht in Halle in Gebrauch (Paulsen, Geschichte, Bd. 1, S. 568). Näheres zur Langeschen Grammatik auch bei Heubaum, Geschichte, S. 133–135. 151 Vgl. Lange, Grammatica, S. 48.
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ges Aufschlagen und lautes Vorlesen vertraut gemacht worden seien. 152 Nachdem Lange Berlin verlassen hatte, erarbeitete die oben erwähnte Berliner Schulbuchkommission in Anlehnung an die Langesche Grammatik eine neue Grammatica Marchia, die in einer ausführlichen und in einer gekürzten Fassung in den Jahren 1716 und 1718 erschien. Diese Grammatik sollte bis in die achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts an den deutschen Gelehrtenschulen der Residenz in Gebrauch bleiben. 153 Der Prozeß der Vereinheitlichung des Berliner Gelehrtenschulwesens war damit einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Neben der Grammatik war die Lektüre klassischer römischer Literatur ein integraler Bestandteil des Unterrichts in den artes dicendi. 154 Die Texte sollten dazu dienen, sich mit klassischen Mustern vertraut zu machen. Die Schüler der unteren Klassen wurden traditionell durch Cornelius Nepos, die sogenannten Distichen Catonis, einer kaiserzeitlichen Spruchsammlung und die Fabeln des Aesop in die lateinische Sprache und Literatur eingeführt. Wie allgemein üblich, bildeten in den oberen Klassen die Briefe und Reden Ciceros die wichtigste Prosalektüre. Cicero galt als das stilistische Vorbild schlechthin, das es durch imitatio zu erreichen galt. Die römische Dichtung war mit Vergils Aeneis und den Oden des Horaz vertreten. Außerdem wurde im gesamten Untersuchungszeitraum römische Geschichte nach Sallust rezipiert. Interessanterweise lassen sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts parallel an allen Berliner Gelehrtenschulen die gleichen Veränderungen erkennen. Seit dieser Zeit wurde der Lektürekanon der oberen Klassen um Tacitus, Cäsar und Sueton erweitert, deren Werke in den Lehrplänen des 17. Jahrhunderts nicht aufgeführt worden waren. Außerdem tauchten die römischern Historiker Vellejus Paterculus und Curtius Rufus neu auf. Am Collège der Hugenotten wurde neben Tacitus und Vellejus Paterculus auch Eutrops römische Geschichte gelesen. Dies weist auf ein gewachsenes historiographisches Interesse in der Zeit der Frühaufklärung hin. Neuer Bestandteil der Curricula wurden außerdem die Briefe des Plinius, welche wie die Cicero-Briefe von der Berliner Lehrbuchkommission im Jahre 1711 herausgegeben worden waren. 155 Im poetischen Unterricht zog man erstmals auch Ovids Metamorphosen heran. 152
Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 201. Zuerst erschien die kurze Fassung unter dem Titel Compendium Grammaticae Latinae oder kurzer Auszug aus der größeren Lateinischen Grammtica Marchica, danach folgte die Vollständige Lateinische Grammatica Marchica. Die Langesche und die beiden Märkischen Grammatiken konkurrierten in der Folgezeit in der Mark miteinander und blieben bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein weit verbreitet, bis sie in den achtziger Jahren durch die neuen Lehrbücher von Gedike abgelöst wurden. Vgl. Neugebauer, Staat, S. 464f. 154 Die folgenden Angaben stützen sich auf die gedruckten Lehrpläne der Berliner Gelehrtenschulen, wie sie zu Beginn dieses Kapitels aufgeführt wurden. Zusätzliche Angaben zur Lateinlektüre am Friedrichswerderschen Gymnasium finden sich bei Gedike, Geschichte. Eine genaue Übersicht, wann welche Autoren am Joachimsthalschen Gymnasium gelesen wurden, hat Beckmann zusammengestellt (ders., Nachrichten, Bl. 226ff.). 153
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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Auch wenn die pietistischen Lehrer den „heidnischen“ Autoren kritisch gegenüberstanden, wurden diese keinesfalls aus dem Unterricht verbannt. Vielmehr wurde das Repertoire an Schriftstellern deutlich erweitert. Joachim Lange wandte sich sogar explizit gegen den Verzicht auf die antiken Klassiker. 156 Für die Schüler des Friedrichswerderschen Gymnasiums gab er mehrere Anthologien heraus, darunter eine Auswahl aus den Werken von Ovid, Horaz und Vergil. 157 Freilich dienten diese Anthologien nicht zuletzt dem Ziel, ärgerliche und verführerische Passagen in den antiken Texten von den Schülern fernzuhalten. 158 Den einzigen antiken Stoff, den die pietistischen Lehrer konsequent ablehnten, bildeten die Komödien des Terenz. Vor allem an den lutherischen Schulen waren diese Komödien ein integraler Bestandteil des Curriculums gewesen. Bereits in den alten Schulgesetzen der Altberliner Gymnasien war ihre öffentliche Aufführung festgeschrieben worden. 159 Dementsprechend wurden hier von Beginn an Stücke von Terenz aufgeführt, seit der Mitte des 17. Jahrhunderts allerdings in der bearbeiteten Version des christlichen Terenz 160, der von anstößig und unsittlich empfundenen Stellen bereinigt worden war. 161 Am reformierten Joachimsthalschen Gymnasium hatte man in den Berliner Anfangsjahren den christlichen Terenz zwar im Lehrplan, von Aufführungen ist hier jedoch nichts bekannt. 162 Eine Auswahl von Terenz tauchte auch im Lehrplan des Collège von 1703 auf, öffentlich aufgeführt wurden die Komödien jedoch auch hier nicht. In den neuen Lehrplänen des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1707 fehlten die Komödien von Terenz dann ganz. Während man auf reformierter Seite an eine generelle theaterkritische Tradition anknüpfte, stellte die Abschaffung des Terenz an den drei städtischen Schulen einen starken Bruch mit den herkömmlichen Traditionen der lutherisch-orthodoxen Zeit 155 Vgl. Cicero, Epistolarum u. Plinius, Epistolarum. Ob diese Briefsammlungen auch am Collège benutzt wurden, ist nicht bekannt. 156 Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 63. 157 Der Titel dieser Antologie lautete Locutionum ac Sententiarum Latinarum Flores (vgl. Lange, Lebenslauf, S. 64). Eine andere Antologie mit lateinischen Redensarten war 1702 erschienen. Lange, Anthologia. 158 Lange, Lebenslauf, S. 63. 159 Vgl. Artikel 21 der Cöllnischen Leges de Praeceptorum Officio (Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 5). Auch die ältesten Schulgesetze des Berlinischen Gymnasiums sahen Komödien des Terenz vor. Vgl. Gudopp, Aufführungen, S. 5 (mit Quellenzitat). 160 Der Terentius christianus sive comoediae sacrae war im Jahre 1592 von dem Haarlemer Rektor Cornelius Schonaeus verfaßt worden. Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 311f. 161 Vgl. Gudopp, Aufführungen, S. 5 u. 11. Entgegen Gudopps Behauptung wurde am Berlinischen Gymnasium auch unter Rektor Weber nicht der „heidnische“, sondern der „christliche“ Terenz benutzt, wie der Lehrplan von 1673 zeigt (ZLB, GKl Archiv, Nr. 3, Bl. 188). 162 Vgl. Lehrplan von Wulstorp (1657). Beckmann meint, daß der Konrektor Vechner den Terenz mit änderung oder übergehung der anstößigen passagen nach Bergius rath ausgeleget hätte (ders., Nachrichten, Bl. 229).
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dar. 163 Als erster lutherischer Rektor lehnte Joachim Lange den Komödiendichter völlig ab. 164 Der Berlinische Rektor Bodenburg verzichtete zwar in seinem Unterricht nicht auf die Lektüre des Terenz, jedoch war die Aufführung der antiken Komödien in seinen überarbeiteten Schulgesetzen nicht mehr vorgesehen. Sein Kollege Dornmeyer vom Friedrichswerderschen Gymnasium sprach sich in den gemeinsam mit Bodenburg herausgegebenen Zufälligen Anmerckungen von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen generell dagegen aus, Terenz oder Plautus zur Grundlegung der Latinität zu verwenden. 165 Diese strenge Position sollte sich in der Folgezeit unter den Berliner Pietisten durchsetzen. Die Übung in der eloquentia latina gipfelte nach dem Abschluß der Grammatik im Rhetorikunterricht, der im gesamten Untersuchungszeitraum ganz auf das Lateinische bezogen blieb. 166 Die Ausbildung in der Latinität erfolgte in Schrift und Rede. In einer ersten Stufe des rhetorischen Unterrichts eigneten sich die Schüler bestimmte phrases und formula elegantores als exempla an, die in als Grundstock für eigene compositiones dienen sollten. In besonderen Stil- und Poetikübungen lernten die Schüler, in Anlehnung an die klassischen Vorbilder lateinische Briefe und Carmina zu verfassen. Mit dem freien Vortrag in monologischer oder dialogischer Form (ars declamatoria bzw. ars disputandi) wurde schließlich die Stufe der wirklichen eloquentia erreicht. In den frühesten Lehrplänen der Berliner Gelehrtenschulen stützte man sich im Rhetorikunterricht zunächst auf Melanchthons Institutiones Rhetoricae. Im Laufe des 17. Jahrhundert setzte sich dann die Rhetorik des Leidener Polyhistors und Rhetorikprofessors Gerhard Johannes Voss (1577–1649) durch. 167 Dessen Lehrbuch, das erstmals 1606 erschien, hatte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts an den protestantischen Gelehrtenschulen verbreitet und behielt dort bis ins 18. Jahrhundert hinein die Oberhand. 168 Am Joachimsthalschen Gymnasium wurde die Vossische Rhetorik nachweislich seit 1634 benutzt. Am Berlinischen Gymnasium drang sie erst später unter Weber im Jahre 1673 in den Lehrplan ein. Zuvor war hier eine Rhetorik von Johann Kirchmann (1575–1643) in Benutzung gewesen, die für das Lübecker Gymnasium verfaßt worden war. Am Collège der Hugenotten wurde die Rhetorik von Beginn 163
Näheres dazu vgl. auch unten, Abschnitt F. I. 2. Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 63. 165 In seinem Aufsatz unter dem Titel Ob Plautus und Terenz in Schulen zur Grundlegung der Latinität zu gebrauchen, kommt Dornmeyer zu dem Schluß, daß unabhängig von der sittlichen Verderbtheit der Komödien vor allem aus stilistischen Gründen auf die beiden Autoren verzichtet werden sollte. Vgl. Dornmeier, Plautus. 166 Grundlegend zur lateinischen Rhetorik an den protestantischen Gelehrtenschulen vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 258–320. 167 Näheres zu Verbreitung und Aufbau dieser Rhetorik ebd., S. 265–274. 168 Allein im 17. Jahrhundert erfuhr die Vossische Rhetorik 28 verschiedene Ausgaben. Vgl. ebd., S. 266. 164
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an nach Voss unterrichtet. Ähnlich wie beim Grammatikunterricht hatte die jeweilige konfessionelle Prägung für den Unterricht in der Rhetorik offensichtlich keinerlei Konsequenzen. Eine Ausnahme bildete der Unterricht am Friedrichswerderschen Gymnasium in der Zeit von Joachim Lange, der den Rhetorikunterricht auf wenige Stunden im Jahr beschränkte und dazu eine eigene kurze Anleitung in Tabellenform verfaßte, die er seinen Schülern an die Hand gab. 169 Das primäre Unterrichtsziel bestand für den vom Nützlichkeitsgedanken pietistischer Prägung geleiteten Lange nicht in einer falschberühmte Beredsamkeit und gedrechselten Eloquenz, sondern in der Erkenntnis allerley natürlicher Dinge und Wissenschaften. Generell galt ihm der Grundsatz: Denn wer wohl reden will, muß zuvor wohl denken lernen. 170 Ein bleibendes überkonfessionelles Interesse am Rhetorikunterricht zeigte sich nach Langes Weggang darin, daß die Berliner Lehrer gemeinsam die Märkische Rhetorik erarbeiteten, welche nach ihrem Erscheinen im Jahre 1714 an allen Berliner Gymnasien eingeführt wurde. 171 Interessanterweise wurde am Joachimsthalschen Gymnasium im Jahre 1737 der besondere lateinische Rhetorikunterricht ganz abgeschafft und in die Stilübungen integriert. Anstelle der zwei Rhetorikstunden wurden zwei Geographiestunden gegeben. 172 Damit kündigte sich in den Unterrichtszielen dieser Schule eine Umorientierung weg von der reinen Latinität an. Am Cöllnischen und Berlinischen Gymnasiums blieb die Märkische Rhetorik jedoch noch in den vierziger Jahren in Gebrauch. Der Griechischunterricht setzte an den Berliner Gelehrtenschulen gewöhnlich in der Tertia ein, wo man zunächst mit der Formenlehre begann, an die sich die Syntax anschloß. Zur Zeit seiner Gründung stützte man sich am Joachimsthalschen Gymnasium auf eine Grammatik des Tübinger Gräzisten Martin Crusius (1526–1607). Am Berlinischen Gymnasium benutzte man später eine Grammatik von Jacob Weller (1602–1664). 173 Wie bereits erwähnt, war der Anteil des Griechischen in den Lehrplänen zunächst recht hoch. Unter dem Rektor Wilhelm Hilden, der von 1581 bis 1586 amtierte, übertraf der Griechischunterricht in der Prima des Berlinischen Gymnasiums sogar den Lateinunterricht. Solange die Fürstenschule in Joachimsthal war, war dies hier ebenso der Fall. Nicht nur die Stundenzahlen, sondern auch die gelesenen Autoren waren bis in die ersten Jahr169
Vgl. Lange, Grammatica, S. 41. Ebd., S. 16f. An anderer Stelle führt Lange weiter aus: In der eloquentia kömmts auf sapientiam an, und diese erfordert solidam rerum cognitionem (ebd., S. 19). Modern gesprochen bildet für Lange demnach die materiale Bildung immer die notwendige Voraussetzung für jegliche formale Bildung. 171 Vgl. Rhetorica Latina. Ob die Märkische Grammatik auch am französischen Collège benutzt wurde, ist nicht bekannt. 172 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 225. 173 Vgl. Lehrplan von 1682. 170
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zehnte des 17. Jahrhunderts hinein zahlreich. Am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster las man anfangs Homer, Herodot und Thukydides sowie Platon und Demosthenes. 174 Am Joachimsthalschen Gymnasium wurde ebenfalls Homer und Demosthenes und außerdem Theognids Spruchsammlungen rezipiert. 175 Als im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts das Griechische immer mehr zurückgedrängt wurde, verschwanden viele dieser Autoren aus den lectiones publicae. Generell stand nun die Lektüre des Neuen Testaments im Vordergrund, das zum „Hauptunterrichtsbuch“ 176 avancierte, während die klassischen Autoren kaum eine Rolle mehr spielten. Der Griechischunterricht konzentrierte sich ganz auf die Vermittlung von Sprachkenntnissen, die zur neutestamentlichen Lektüre befähigen sollten. Mit Ausnahme des Lehrplans von Heinzelmann aus dem Jahre 1653, der Homer, Isokrates und Demosthenes berücksichtigte, fand seit den fünfziger Jahren nur noch Plutarchs Schrift über die Erziehung in den Berliner Lehrplänen Erwähnung. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts drangen erneut griechische Klassiker in die Lehrpläne ein. Am Joachimsthalschen Gymnasium wurden neben Plutarch wieder Texte von Homer, Theophrast und Isokrates sowie Hesiods Theogonie behandelt. 177 Auch Joachim Lange ließ am Friedrichswerderschen Gymnasium keineswegs nur das Neue Testament, sondern neben Plutarchs Erziehungsschrift auch Theophrasts Charakterlehre, die Reden des Isokrates, Theognids Sittensprüche und Hesiod lesen. 178 Die Berliner Lehrbuchkommission gab außerdem im Jahre 1712 Auszüge aus Theophrast, Agapetus und eine griechische Fassung der Historia romana von Eutrop für den Schulgebrauch heraus. 179 Dies zeigt deutlich, daß die Berliner Pietisten, im Gegensatz zur vorherigen lutherisch-orthodoxen Lehrergeneration, den griechischen Schriftstellern offener gegenüberstanden. Berühmt wurde vor allem die neue griechische Grammatik, die von Frisch in möglichster Symphonie 180 mit der lateinischen Grammatik verfaßt worden war. Das bedeutet, daß der Verfasser hier ebenfalls von der deutschen Muttersprache ausging und ohne den Umweg über des Latein in das Griechische einführte. Trotz dieser Neuerungen behielt der Griechischunterricht an den deutschen Gelehrtenschulen allerdings seine untergeordnete Stellung gegenüber dem Lateinischen.
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Vgl. Lehrpläne von 1581 und 1591. Vgl. Lehrpläne von 1607 und 1634. 176 Paulsen, Geschichte Bd. 1, S. 487. 177 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 211f. u. 230. 178 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 27. 179 Vgl. Fischer, Briefwechsel, S. 60. 180 So Frisch am 7. November 1710 in einem Brief an Leibniz. Vgl. Fischer, Briefwechsel, S. 29. 175
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Anders sah dies beim Collège der Hugenotten aus. In dessen Lehrplan von 1703 spielte das Griechische eine auffallend starke Rolle. Der Unterricht in dieser Sprache setzte hier bereits in der Quarta ein, wobei man eine Grammatik des oben erwähnten Voss benutzte. In der Prima übertraf die Anzahl der Griechischstunden sogar den Unterricht in Latein. Neben Demosthenes und Isokrates wurde vor allem Homer gelesen. Außerdem gab es einen besonderen Unterricht in der antiken Götterlehre. 181 Dies zeigt, daß man am Collège auf die Kenntnis der griechischen Antike einen besonderen Wert legte. Angesichts der spezifischen philosophischen Interesses der französischen Gelehrtenschullehrer verwundert dies keineswegs. In der Zeit der fortgeschrittenen Aufklärung sollte sich auch der Cöllnische Rektor Damm in besonderem Maße dem Griechischen und vor allem Homer widmen. Gleichwohl entwickelte sich auch hier das Griechische immer mehr zu einer Spezialdisziplin für angehende Theologiestudenten. Im Cöllnischen Lehrplan von 1742 wurde Griechisch bereits alternativ zu Französisch angeboten. Auch am Joachimsthalschen Gymnasium wurden seit den vierziger Jahren nach und nach dijenigen, so nicht Theologiam studiren oder die aus andern facultatibus nicht besondre lust dazu haben, vom Griechischen dispensiret 182. Diese Entwicklung betraf ebenso das Hebräische, das ausschließlich in den jeweiligen obersten Klassen der Gelehrtenschulen angeboten wurde. Seit den Anfangszeiten der Berliner Gymnasien standen dafür meist eine, höchstens zwei Stunden der lectiones publicae zur Verfügung. Der Hebräischunterricht, der in die alttestamentliche Lektüre einführen sollte, wurde traditionell vom jeweiligen Rektor erteilt. Nur am Collège der Hugenotten stellte man dafür in den Jahren 1704 bis 1714 den hugenottische Prediger Olivier Favin als Professor Hebraica Linguae 183 ein, über dessen Hebräischunterricht allerdings „wenig Erspriessliches“ 184 zu berichten ist. Danach scheint es am Collège keinen Hebräischunterricht mehr gegeben zu haben. Auch an den deutschen Gelehrtenschulen war das Hebräische lange vernachlässigt worden. Eine Ausnahme bildeten allerdings Lange und Starck, wie Diterich in seiner Berlinischen Schulhistorie hervorhebt. 185 Tatsächlich erfuhr das Hebräische in der Zeit des Pietismus und der Frühaufklärung eine deutliche Aufwertung. Lange ließ das hebräische Alte Testament alle zwei Jahre durcharbeiten und bediente sich dabei der kurz zuvor von Jablonski edierten hebräischen Bibel. 186 Unter Bodenburg wurde am Berlinischen Gymnasium der Hebräischun-
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Vgl. Lehrplan von 1703. Beckmann, Nachrichten, Bl. 215. 183 Vgl. Bestallungsurkunde vom 24. Juli 1704, in der es außerdem heißt, er solle solche profession allhier frey offentlich und privatim profitieren, collegia halten und die seiner information bedürfende und anvertraute jugend bestmöglich in obgemeldeter sprache unterweisen (GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 154). 184 Schulze, Bericht, S. 29. 185 Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 88. 182
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terricht um eine weitere Stunde erhöht. Außerdem begann unter seinem Direktorat der Unterricht bereits in der Sekunda. 187 Das Interesse an der zweiten biblischen Sprache war auch auf reformierter Seite nicht unerheblich. An der im Jahre 1699 auf Initiative von Jablonski gedruckten hebräischen Bibel war der Joachimsthalsche Lehrer Johann Heinrich Knebel als Bearbeiter unmittelbar beteiligt. 188 Die märkische hebräische Grammatik, die von der Berliner Lehrbuchkommission im Jahre 1722 herausgegeben wurde, soll zum größten Teil vom damaligen Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Volckmann, verfaßt worden sein. 189 Er selbst und sein Nachfolger Elsner boten Hebräisch jedoch vor allem als Privatlektion an. Nachdem das Theologische Seminar eingerichtet worden war, wurde nur noch den Seminaristen ein öffentlicher Hebräischunterricht erteilt. 190 Wie das Griechische entwickelte sich also auch das Hebräische zu einer fakultativen Spezialdisziplin für angehende Theologen, an deren Stelle immer häufiger das Französische trat. 3. Die philosophische Propädeutik Um dem Anspruch gerecht zu werden, die Schüler soweit wie möglich auf universitäre Anforderungen vorzubereiten, zählten neben dem Religions- und altsprachlichen Unterricht von Beginn an auch philosophische Disziplinen zum Curriculum der Berliner Gelehrtenschulen. Insbesondere für die angehenden Theologen gehörte die Schulphilosophie, wie sie sich in der Zeit der Orthodoxie seit dem späten 16. Jahrhundert herausbildete, zur Grundlagenbildung. 191 Sie lieferte das notwendige begriffliche Rüstzeug im dogmatischen Diskurs. Dabei wurde jedoch immer die Nachordnung der Philosophie gegenüber der Theologie betont. Im Verhältnis der beiden Disziplinen galt der lutherische Grundsatz von der Philosophie als Magd der Theologie. 192 Der Schwerpunkt des schulischen Philosophieunter186
Vgl. Lange, Lebenslauf, S. 67. Vgl. Lehrplan von 1708. 188 Vgl. Jablonski, Biblia. 189 Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 924. 190 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 215. 191 „Schulphilosophie“ bezeichnet die bis zur Zeit der Aufklärung an Universitäten und höheren Schule gelehrte Philosophie. Grundlegend zur frühneuzeitlichen Schulphilosophie und Schulmetaphysik in Deutschland: Wundt, Schulmetaphysik u. ders., Schulphilosophie sowie neuerdings Schmidt-Biggemann, Schulphilosophie; Sparn, Schulphilosophie u. Leinsle, Reformversuche. Zur Geschichte der frühneuzeitlichen Logik vgl. insbesondere Risse, Logik. 192 Die Schulgesetze des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1607 beinhalteten folgenden Absatz: Theologica et Philosophica ne commisceant, ne μιξισ illa vel μιγμα plus quam Anaxagoraeum confusiones pariat: ita vero coniungant: ut ancillari Philosophiam: praedominari ostendant Theologiam: illic rationes: hic autoritatem aestiment divinam (Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2. S. 77). Dieser Absatz blieb auch in den von Jablonski und Beckmann erneuerten Leges docentium von 1707 erhalten. 187
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richts lag bei der Logik (Dialektik), die im gesamten Untersuchungszeitraum ihren festen Platz im Stundenplan behielt. Daß man an den Berliner Gelehrtenschulen außerdem Fragen der Ethik, Metaphysik und Naturphilosophie behandelte, machen die zahlreichen Redeübungen und Übungsdisputationen, in denen die Schüler der obersten Klassen ihr erworbenes Wissen öffentlich präsentierten, deutlich. Wie die ältesten erhaltenen Lehrpläne der Berliner Gelehrtenschulen zeigen, herrschte hier – wie im lutherischen Schulwesen generell – zunächst die von Melanchthon ausgehende altprotestantische Schulphilosophie vor, die sich im wesentlichen auf Aristoteles stützte. 193 Sowohl am Berlinischen als auch am Joachimsthalschen Gymnasium zog man in den Anfangsjahren die Ethik und die Dialektik des Melanchthon heran. Erstere folgte im wesentlichen Aristoteles und Cicero. Letztere behandelte den herkömmlichen Inhalt der aristotelischen Logik: den Begriff, die Definition und Division, das Urteil, die Syllogistik, die Topik und die Fehlschlüsse. An der Joachimsthalschen Fürstenschule hinterließ jedoch auch die ramistische Logik, die mit ihrer radikalen Kritik der aristotelischen Beweislehre die bisherige Vorherrschaft des Aristotelismus seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in Frage stellte, ihre Spuren. Laut den Gründungsgesetzen von 1607 sollte hier die allgemein übliche melanchthonische und aristotelische Methode zur Anwendung kommen, im Falle der Analysis durften die Lehrer jedoch auch die ramistische Methode anwenden. 194 Dies stand in einem deutlichen Gegensatz zu den kursächsischen Entwicklungen, wo der vor allem vom Calvinismus transportierte Ramismus von Seiten der orthodoxen lutherischen Theologie bereits massiv unter Druck geraten war. 195 Mit der Einführung der „Zweiten Reformation“ scheint der Ramismus an der Fürstenschule eine weitere Aufwertung erfahren zu haben: Die nach dem Konfessionswechsel geänderten Leges schrieben jetzt eine „aristotelisch-ramistische“ Methode vor. 196 Offensichtlich strebte man hier eine Verbindung der beiden erkenntnistheoretischen Methoden an, wie dies vor allem im reformierten Deutschland der „Philipporamismus“ versuchte. 197
193 Zusammenfassendes zur bildungsgeschichtlichen Bedeutung der Schulphilosophie in der Bildungsgeschichte bei Paulsen, Geschichte, Bd. 1, S. 264–270 u. Seifert, Schulwesen, S. 335–340. 194 Omnibus vero et singulis in Gymnasio hoc illustri docentibus iniunctum esto: ut methodum observent usitatem, Philippicam et Aristotelicam, nisi forte Analyseos causa Ramaeam quandoque adiungi visum sit (Vormbaum, Schulordnungen, Bd. 2. S. 77). 195 Im Jahre 1603 war der Ramismus an der Wittenberger Universität verboten worden. Näheres zur Geschichte des Ramismus in Deutschland bei Wundt, Philosophie, S. 143f u. Seifert, Schulwesen, S. 337. Vgl. auch Coring, Gymnasium. 196 Omnibus vero et singulis in Gymnasio hoc illustri docentibus iniunctum esto:ut methodum observent passim nunc usitatem et juventuti utilisimam Aristotelico Rameam (BLHA, Rep. 32, Nr. 4894, Bl. 28).
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An den lutherischen Gelehrtenschulen fand der Ramismus, der vor allem eine calvinistische Erscheinung war, dagegen keine Förderer. 198 Der Berlinische Rektor Hilden stand dem Ramismus ebenso ablehnend gegenüber, wie sein Nachfolger Gutikus. Letzterer war zwar in seiner Jugend ein engagierter Verteidiger der ramistischen Logik gewesen, hatte sich seit seinem Studium in Wittenberg jedoch der aristotelischen Logik zugewandt und verteidigte sie gegenüber dem Ramismus. 199 Unter dem neuen Rektor Spengler wurde in den vierziger Jahren das Manuale Logicum des Wittenberger Theologen Scharff eingeführt, das sich ganz auf dem Boden des Aristotelismus bewegte. Bis in das 18. Jahrhundert hinein sollte dieses Lehrbuch am Berlinischen Gymnasium in Gebrauch bleiben. Parallel dazu gewann seit der Zeit von Gutikus die Metaphysik im philosophischen Unterricht des Gymnasiums zum Grauen Kloster an Bedeutung. Dies entsprach ganz dem allgemeinen Trend, wie er sich bereits an den von der lutherischen Orthodoxie geprägten Artistenfakultäten vollzogen hatte. 200 Rektor Spengler veranstaltete regelmäßig nicht nur Redeübungen zur Ethik, sondern auch Exercitationes metaphysicae. Außerdem verfaßte er eigene Bücher über Metaphysik, Ethik und Logik, die für Unterrichtszwecke bestimmt waren. 201 Wie Heidemann kritisch anmerkt, ließ auch sein Nachfolger Heinzelmann Probleme „aus den dunkelsten Regionen der Metaphysik“ 202 erörtern. Für die damaligen Zeitgenossen hatten diese „mittelalterlichen“ Fragen allerdings sehr wohl einen hohen Aktualitätsgehalt. Disputationen zu den aristotelischen Kategorien von Akzidenz und Substanz berührten beispielsweise wichtige Aspekte des lutherischen Abendmahlsverständnisses, welche in den konfessionellen Auseinandersetzungen von zentraler Bedeutung waren. 203 Im Jahre 1660 gab Heinzelmann 197 Noch im Jahre 1651 wurde beispielsweise für die Herborner Universität festgelegt, daß hier keine andere philosophia alß die Aristotelica-Ramea conjunctim vel seperatim gelehrt werden sollte (zit. nach Hammerstein, Universitäten, S. 103). 198 Zur Verbreitung des Ramismus an lutherischen Universitäten vgl. Wollgast, Philosophie, S. 143. 199 Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 154–165 (mit Titelangaben) u. Wundt, Schulmetaphysik, S. 113f. 200 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 152 u. 155f. Während Luther und Melanchthon der Metaphysik ablehnend gegenübergestanden hatten, gerieten in der Zeit der lutherischen Orthodoxie metaphysische Fragen wieder verstärkt in den Fokus der theologischen Diskussionen. Zur Rückkehr der Metaphysik im frühen 17. Jahrhundert vgl. Wundt, Schulmetaphysik, S. 34ff. u. Sparn, Wiederkehr. Zur Metaphysik bei Gutikus vgl. Wundt, Schulmetaphysik, S. 114 u. 242ff. 201 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 424. Die genauen Titel der Spenglerschen Einladungsschriften finden sich ebd., S. 427. 202 Heidemann, Geschichte, S. 157. 203 So lautete eine der im Jahre 1654 diskutierten Fragen: An accidens possit esse sine subjecto? (Vgl. Heinzelmann, Quaestione. Wie dies am Berlinischen Gymnasium zumeist der Fall war, enthält dieses Blatt leider nur einen kurzen Einladungstext und nicht den eigentlichen Disputationstext).
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ein Lehrbuch mit dem Titel Sciagraphia cursus metaphysicae verae heraus. 204 Seit dem Rektorat von Weber war die Metaphysik auch als eine selbstständige Lektion im Lehrplan vertreten. 205 In Privatlektionen behandelte Weber darüber hinaus philosophiegeschichtliche Fragen und die aristotelische Ethik. Auch am Cöllnischen Gymnasium, über das wir ansonsten kaum Nachrichten besitzen, ließ Rektor Samuel Müller in den fünfziger Jahren Disputationen zu metaphysischen Fragen abhalten. 206 Wie die von Bödiker und Rotaridis veröffentlichten Kataloge der Deklamations- und Disputationsübungen zeigen, hielt man auch im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts am Cöllnischen Gymnasium an Disputationen mit metaphysischen Schwerpunkten fest. Am Berlinischen Gymnasium sollte die Metaphysik unter Rektor Bodenburg wieder aus den regulären Curricula verschwinden. Seit dem Lehrplan von 1713 war sie in den lectiones publicae des Gymnasiums nicht mehr vertreten. Dies ist auf den Einfluß des Pietismus zurückzuführen, der metaphysischen Fragestellungen ebenso ablehnend gegenüberstand, wie den spitzfindigen dogmatischen Diskussionen innerhalb der orthodoxen Theologie. Im Logikunterricht, der von zwei auf eine Stunde reduziert wurde, hielt der ältere Bodenburg zunächst an Scharffs Lehrbuch fest, allerdings mit der Aussicht auf eine neue Logica Marchica, die erst noch abgefaßt werden sollte. 207 Dies scheint der Berliner Lehrbuchkommission jedoch ebenso wenig gelungen zu sein, wie die Abfassung eines gemeinsamen Katechismus. Im Lehrplan von 1713 tauchte Scharffs Logik, welche den lutherisch-orthodoxen Standpunkt vertreten hatte, nicht mehr auf. Welcher Autor an seine Stelle trat, ist nicht bekannt. 208 Die kritische Haltung der pietistischen Pädagogen gegenüber der aristotelischen Philosophie zeigt sich vor allem am Beispiel Joachim Langes. Er gehörte der ersten Generation von Pietisten an, die dem Philosophieunterricht besonders wenig abgewinnen konnte. In seinen Überlegungen Von Verbesserung des Schulwesens, die er seiner lateinischen Grammatik voranstellte, bezeichnet er die Aristotelischscholastische Metaphysic als eine Albernheit, die für die Schärfung des Verstandes ohne Nutzen sei. Die wahre und gute Metaphysik solte eigentlich von der theo-
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Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 159. Wie der Lehrplan von 1673 zeigt, stützte sich Weber dabei auf ein Lehrbuch seines ehemaligen Lehrers Johannes Sperling. 206 Müller, Disputationum. 207 Nach dem gedruckten Lehrplan von 1708 sollte die Logik des Scharff gebraucht werden, donec de Logica Marchica S. Regiae Majestatis jussu conscribenda, res conficiatur (Bodenburg, Designatio, o. S.). 208 Ob Bodenburg am Berlinschen Gymnasium die Medicina Mentis von Lange benutzte, ist nicht bekannt. Dafür spricht allerdings die Tatsache, daß er in seiner Abschiedschrift für Lange dessen Lehrbuch ausdrücklich gegen jede Kritik verteidigte. (vgl. Bodenburg, Epistola, S. 10). 205
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logia naturali handeln. 209 Die wahre Tugendlehre sei in den biblischen Schriften enthalten, während die Aristotelische Ethik nur grobe Heuchler und Feinde des innern rechtschaffenen Christenthums hervorbringe. Gegenüber der Logik bezieht er einen differenzierten Standpunkt. Zum einen spricht er von der gekünstelten Logic, der man sich nur noch an Universitäten und höheren Schulen als Zank Disziplin bei der Disputirkunst bediene, während die weltklügsten Leute völlig ohne einen Syllogismus auskämen, indem sie sich ihres natürlichen Verstandes bedienten. Damit die Schüler diese Logik, die als Kunstsprache in der gelehrten Welt weit verbreitet sei, verstehen könnten, sollten die Schüler allerdings trotzdem durch einen kurzen Weg in die Logik eingeführt werden. 210 Als Rektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums ersetzte Lange gleich nach seinem Amtsantritt die Logik von Scharff, die sein Vorgänger Berger benutzt hatte, durch die deutschsprachige Logik des Weise-Schülers Samuel Grosser (1664–1736). 211 Auch die unter Berger benutzte Metaphysik schaffte er ab. 212 Seit 1704 bediente sich Lange eines eigenen Lehrbuches, der Medicina mentis, das er für seine persönlichen Unterrichtszwecke verfaßt hatte und in dem der Pietismus völlig die Richtung angab. 213 Die enge Verbindung der Erkenntnis mit dem Moralischen und Religiösen erscheint an seiner philosophischen Propädeutik bis heute „bemerkenswert“ 214. Deutlich kommt die Abneigung gegenüber der scholastischen Philosophie aristotelischer Prägung zum Ausdruck. Die herkömmliche Metaphysik und Logik wurde nur in einem kurzen Anhang behandelt. Die theologische Ausrichtung des philosophischen Unterrichts hatte außerdem zur Folge, daß Lange in seinen Disputierübungen keine philosophischen, sondern ausschließlich theologische Thesen behandeln ließ. Daß der Konfessionswechsel im Rektorenamt unmittelbare Folgen für den Philosophieunterricht hatte, zeigt sich daran, daß die reformierten Nachfolger Langes dessen Medicina mentis bald wieder zur Seite legten. Entgegen Langes pädagogischen Grundsätzen ließ sein unmittelbarer Nachfolger Meierotto in seinen Disputierübungen genaueste „Spitzfindigkeiten der Dogmatik“ 215 behandeln. 209
Lange, Grammatica, S. 24f. u. 32f. Wörtlich heißt es: Weil ein Teil der sogenanten Gelehrten aus der Logic, oder fast überhaupt aus der Aristotelischen Philosophie, eine neue Kunstsprache gemacht hat; so hat man sich solche auch einiger massen bekant zu machen, um die gemeinen Philosophen zu verstehen und sie nach Gelegenheit von ihrem Labyrinth zu überzeugen. Lange, Grammatica, S. 23. 211 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 29. Grosser war seit 1712 Mitglied der kgl. Sozietät der Wissenschaften. 212 Berger hatte laut seinem Lehrplan von 1693 eine Metaphysik von Valentin Fromme (1601–1675) benutzt, der in Wittenberg studiert hatte und später Rektor in Brandenburg gewesen war. Zu Frommes Metaphysik vgl. Wundt, Schulmetaphysik, 255f. 213 Zum folgenden vgl. Wundt, Schulphilosophie, S. 76–82. 214 Ebd., S. 79. 210
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Unter dem orthodox eingestellten Barckhusen wurde im Philosophieunterricht ein Lehrbuch des Leidener Professors und calvinistischen Aristotelikers Franco Burgersdijk (1590–1635) herangezogen, welches zuvor auch am Joachimsthalschen Gymnasium in Benutzung gewesen war. 216 Damit hatte die aristotelische Scholastik am Friedrichswerderschen Gymnasium wieder die Oberhand gewonnen. Sein lutherischer Nachfolger Küster leitete im Jahre 1732 einen erneuten Wechsel ein. Er unterrichte Logik wieder nach Grosser und zog außerdem die Ideenlehren von Speccius und Romberg heran. 217 Wie ein Lehrplan aus dem Jahre 1770 zeigt, wurde spätestens am Ende des Küsterschen Rektorates die Logik nach Wolff gelehrt und damit die aristotelische Logik endgültig abgelöst. 218 Philosophische Disputationen ließ Küster nicht mehr durchführen. Die von seinen Schülern präsentierten Redeübungen befaßten sich vor allem mit philologischen und historischen Gegenständen. Auch an den anderen beiden städtischen Gymnasien hatte der Wolffianismus inzwischen Einzug gehalten. Wie bereits erwähnt, hatte Damm für die Schüler des Cöllnischen Gymnasiums im Jahre 1764 eine Sammlung der logischen, metaphysischen und moralischen Schriften von Wolff in deutscher Sprache für den Schulgebrauch zusammengestellt. 219 Am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster wurde bereits seit den frühen vierziger Jahre Wolffs Philosophie gelehrt. Wie dem Lehrplan von 1744 zu entnehmen ist, zog der jüngere Bodenburg nach seinem Aufstieg in das Rektorenamt die Vernunftlehre von Friedrich Christian Baumeister heran, die im wesentlichen ein Auszug aus Wolffs Werken darstellte. 220 Privat hatte er bereits zuvor nach Lehrbüchern des Übergangstheologen Buddeus unterrichtet, welcher im Gegensatz zur aristotelischen Scholastik eine auf die Betrachtung der res gerichtete, empirisch-anthropologisch und geschichtlich fundierte Philosophie vertrat. 221 Kehren wir nun zurück zu den Entwicklungen am Joachimsthalschen Gymnasium, wie sie sich hier seit dem Neubeginn von 1650 vollzogen haben. Während in Joachimsthal in allen Klassen Philosophie unterrichtet worden war, wurde in Berlin wie an den anderen Berliner Gelehrtenschulen zunächst nur noch in der Prima zwei mal wöchentlich Logik gegeben. 222 Unter dem ersten Berliner Rektor 215
Gedike, Geschichte, S. 39. Den Gebrauch dieses Lehrbuches zeigte Konrektor Bake in einer Schulschrift von 1719 an. Vgl. Bake, Felicem. 217 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 52f. 218 Müller, Geschichte, S. 47. 219 Vgl. oben, Abschnitt D, I, 2. 220 Zu Baumeisters Lehrbüchern vgl. Wundt, Schulphilosophie, S. 219f. u. Risse, Logik, Bd. 2, S. 638f. 221 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 205f. Näheres zu Buddeus bei Pältz, Buddeus, S. 316f. 216
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Wulstorp stützte man sich dabei auf den Heidelberger Philosophen Bartholomäus Keckermann (1571–1609), der von der philosophiegeschichtlichen Forschung als „bedeutendster calvinistischer Aristoteliker“ 223 eingeordnet wird. Schon in den letzten Joachimsthaler Jahren hatte man an der Fürstenschule die Logik von Keckermann benutzt. 224 Dies bedeutet, daß der Ramismus von der aristotelischen Scholastik wieder zurückgedrängt wurde. Die späteren Rektoren Vorstius, Wilhelmi und Vechner behielten die Keckermannsche Logik bei. Daneben wurde auch die aristotelische Logik von Burgersdijk herangezogen. 225 Metaphysik spielte, anders als an den lutherischen Gymnasium, im Unterricht des reformierten Joachimsthalschen Gymnasiums im gesamten 17. Jahrhundert keine größere Rolle. Der neue Rektor Volckmann stützte sich nach dem Jubiläum von 1707 in seinen lectiones publicae ebenfalls auf Burgersdijks Logik. Zugleich kam jedoch im Rahmen von Privatlektionen erstmals die Logik des Duisburger Cartesianers Clauberg in Gebrauch. 226 Das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium war damit die erste deutsche Gelehrtenschule der Berliner Residenz, an welcher der Cartesianismus Fuß fassen konnte. Bis dahin hatte man an der Fürstenschule ebenso wie an den lutherischen Schulen dem Cartesianismus ablehnend gegenübergestanden. Den privaten Unterricht in der Claubergschen Logik gab der damalige Subkonrektor Heinrich Salmuth, ein Absolvent der Universitäten von Heidelberg und Rinteln, der ein heftiger assecla des Cartesii 227 war und seit dem Jubiläumsjahr als Adjunkt und später als Philosophieprofessors an der Fürstenschule lehrte. Im regulären Curriculum wurde Burgersdijks Logik allerdings erst im Jahre 1723 (unter dem Rektorat von Elsner) durch Claubergs Logik abgelöst. 228 Dabei legte man weiterhin viel Wert darauf, daß in Logica . . . auch die Syllogismi und methodus disputandi recht gefaßet werden 229. Im Ethikunterricht, der erstmals im Jahre 1707 einen eigenen Platz im Curriculum bekam, wurden in traditioneller Art und Weise die Officina von Cicero gelesen. Daneben ließen die Visitatoren Beckmann und Jablonski die moderne Ethik des Berner Theologen Johann R. Rudolf (1646–1718) einführen. 230 Dabei handelte es sich um den Vertreter einer gemäßigten Orthodoxie, der seine Ethik unter dem Pseudonym Philaretus veröffentlicht 222
Zum folgenden vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 212f. Schmidt-Biggemann, Aristoteles, S. 283. 224 Dies läßt sich der ältesten erhaltenen Einladungsschrift des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1632 entnehmen. Vgl. Electoralis Gymnasii, o. S. 225 Schon im Jahre 1661 hatte man die Logik von Burgerdijk speziell für den Gebrauch an der Fürstenschule herausgegeben (Burgersdijk, Institutionum). 226 Nachweislich geschah dies mindestens seit 1714 (vgl. Beckmann, Nachrichten, S. 649). Näheres zu Clauberg vgl. oben Kapitel III. 227 Beckmann, Nachrichten, Bl. 413. 228 Vgl. ebd., Bl. 213. 229 So wörtlich aus einer Verordnung des Joachimsthalschen Schuldirektoriums aus dem Jahre 1727 mit Verbesserungsvorschlägen von Jablonski und Elsner (ebd., Bl. 603). 223
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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hatte. Metaphysik wurde auch nach 1707 nicht als eigener Unterrichtsgegenstand, sondern nur privat im Zusammenhang der Claubergschen Logik von Salmuth behandelt. 231 Die Wolffsche Aufklärungsphilosophie kam am Joachimsthalschen Gymnasium in der Mitte der dreißiger Jahre zum Durchbruch, unmittelbar nachdem es dem Kreis der Berliner Theologen um Reinbeck und Jablonski gelungen war, beim König ihre Rehabilitierung zu erreichen. 232 Wie der damalige Subrektor Beckmann in seiner Schulgeschichte berichtet, war er es selbst, der am Joachimsthalschen Gymnasium Lehrbücher von Wolff einführte. Schon kurze Zeit nachdem er im Jahre 1734 den Philosophieunterricht von Salmuth übernommen hatte, habe er damit begonnen, die Wolffsche Logik der jugend zum besten im Unterricht heranzuziehen. 233 Somit war die reformierte Fürstenschule die erste unter den Berliner Gelehrtenschulen, die sich dem Wolffianismus gegenüber öffnete. Rektor Heinius gab seit 1738 Privatstunden nach Baumeisters Institutiones Philosophiae Rationalis. 234 Im Jahre 1739 erging dann der königliche Befehl an den Rektor, nicht nur den Joachimsthalschen Supremanern, sondern auch den dortigen Inspektoren und reformierten Pfarramtskandidaten Unterricht in der Wolffschen Logik zu geben. 235 Dies sollte in einem besonderen öffentlichen Seminar geschehen, das auch übrigen sich alhier befindlichen Studiosis Theologiae offenstehen sollte. 236 In der Folgezeit wurde von Heinius ein solches Seminar zur Vernunfft-Lehre mit vier Stunden wöchentlich tatsächlich angeboten. 237 Allerdings fanden sich nach 230 Dies geht aus zwei Verordnungen des Joachimsthalschen Schuldirektoriums aus den Jahren 1713 und 1714 hervor. Vgl. ebd., Bl. 598 u. 600. 231 Vgl. ebd., Bl. 219. 232 Näheres dazu vgl. oben, Abschnitt B. III. 4. 233 Als Nachfolger von Salmuth habe er Claubergs Logik erklähret, wie wohl er sich nicht eben an demselben gebunden, sondern was neuerlicher Zeit in dieser disciplin geändert, sonderlich nach des Geh. R. Wolfs Logic, solches inculciret und der jugend zum besten angewendet, auch noch ietzo 1739 dergleichen Praecepta in calamum dictiret (Beckmann, Nachrichten, Bl. 213). 234 Vgl. ebd. 235 Königliche Ordre vom 7. März 1739 (BLHA, Rep. 32, Nr. 329, Bl. 185–187). 236 Schreiben des Evangelisch-Reformierten Kirchendirektorium an das Joachimsthalsche Schuldirektorium vom 15. Januar 1740 (BLHA, Rep. 32, Nr. 329, Bl. 179). An derselben Stelle heißt es, daß der König befohlen habe, daß alle Candidati Theologiae Logicam rechtschaffen erlernen sollten damit wenn sie dereinst zum Predigt ambt befordert werden, sie in ihren Predigten einer deutlichen erbaulichen und rechtbündigen Methode sich bedienen, und tüchtig sein mögen die in denen zu erklährenden Texten enthalten Wahrheiten nach Ihrem wahren Sinn einzusehen. 237 Im Jahre 1741 berichtete man in den Acta Scholastica darüber, daß Heinius ein öffentliches philosophisches Collegium auf deutsch lesen lasse, welches zu besuchen, und in der Vernunfft-Lehre Unterricht zu nehmen einem ieden umsonst freystehen soll. Offensichtlich wurde es als eine bemerkenswerte Tatsache angesehen, daß man an der renommierten Fürstenschule in Berlin die Vernunftlehre auf diese öffentliche Art und Weise anbot (Acta
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
dem Zeugnis von Beckmann weder Inspektoren und Kandidaten noch Theologiestudenten, sondern nur Joachimsthalsche Supremaner dazu ein. 238 Langfristig schlug das Bestreben, die landesherrliche Fürstenschule mit diesem besonderen propädeutischen Philosophiekurs für angehende Theologen weiter in Richtung einer hochschulartigen Ausbildungsstätte auszubauen, offensichtlich fehl. Anders als die deutschen Gelehrtenschulen der Stadt zeichnete sich das Collège der Hugenotten von Beginn an durch seine besondere Ausrichtung auf die Philosophie aus. Der hohe Stellenwert der philosophischen Ausbildung zeigte sich am Französischen Gymnasium zum einen darin, daß der jeweilige Schulleiter zugleich den Titel eines Philosophieprofessors innehatte. Außerdem wurde der Philosophieunterricht nicht in der Prima, sondern in einer besonderen Classe de Philosophie vorgetragen, die sich nach französischen Vorbildern an den gymnasialen Kurs anschloß. Seinen Abschluß fand der besondere Philosophielehrgang mit öffentlichen Disputationen vor einem auditorio philosophico. Ursprünglich war dieser Kurs auf zwei Jahre angelegt worden, in denen täglich zwei Stunden Philosophie unterrichtet werden sollten. 239 Unter Chauvin, der von 1696 bis zu seinem Tode im Jahre 1725 den Philosophieunterricht gab, wurde der Kurs auf ein Jahr mit vier wöchentlichen Stunden verkürzt. La Croze und sein Nachfolger Formey dehnten zwar den Philosophiekurs wieder auf zwei Jahre aus, unterrichteten jedoch ebenfalls nicht mehr als vier Stunden wöchentlich, zu denen die samstäglichen Disputationsübungen hinzukamen. 240 Wie der Vergleich mit den deutschen Gelehrtenschulen zeigt, überschritt der zeitliche Umfang des Philosophieunterrichts nur wenig das Maß des an deutschen Schulen üblichen. Das Joachimsthalsche Gymnasium zog nach 1707, seit dem hier vier Stunden Philosophie durch einen besonderen Professor gegeben wurden, mit dem Collège sogar gleich. Anders fällt der Vergleich mit den lutherischen Gymnasien seit der Zeit des Pietismus aus, wo die philosophische Bildung stark ins Hintertreffen geraten war und sich zeitweise auf nur eine Stunde wöchentlich beschränkte. Der Unterschied zwischen den französisch beeinflußten Frühaufklärern am Collège und den vom pietistischen Nützlichkeitsgedanken geprägten deutschen Scholastica Bd. 1, S. 109). Seit 1741 bot Heinius im Rahmen seines Philosophieunterrichts außerdem Gottscheds Vernunftlehre an (vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 213). 238 Beckmann sah die Ursache dafür darin, daß es das reformierte Kirchendirektorium versäumte, die angehenden Theologen zum Besuch dieses Seminars anzuweisen. Vgl. ders., Nachrichten, Bl. 213. 239 In der Schulordnung von 1689 heißt es wörtlich: Philosophiae Professor singulis diebus bis de die ante et post meridiem omnibus interesse licebit: hancque in suis placitis sectabitur doctrinam, quae sacrosanctis Fidei nostrae dogmatibus non adversetur (zit. nach Schulze, Bericht, S. 14). Zum Umfang des Philosophieunterrichts in späterer Zeit vgl. ebd. S. 17 u. 32. 240 Formey hat den Philosophiekurs bei La Croze nachweislich zwei Jahre lang besucht. Vgl. Küster/Müller, Berlin, S. 997.
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Lehrern zeigt sich neben dem quantitativen Umfang vor allem am inhaltlichen Profil des Philosophieunterrichts. Wie bereits ausführlich dargelegt, waren die ersten drei Philosophieprofessoren Sperlette, Chauvin und La Croze überzeugte Anhänger des Cartesianismus. 241 In seinen Lehrbüchern zur Logik, Metaphysik und Moralphilosophie versuchte Sperlette als erster Berliner Lehrer, den Cartesianismus mit der herkömmlichen Schulphilosophie zu verbinden. Auf deutscher Seite und insbesondere an den lutherischen Gymnasien stand man dagegen dem Rationalismus cartesianischer Prägung ablehnend gegenüber. 242 Auch am reformierten Joachimsthalschen Gymnasium wurde der Cartesianismus zunächst nur in Privatlektionen geduldet, um nach wenigen Jahren vom Wolffianismus ersetzt zu werden. Das Collège war und blieb demnach der einzige Ort in der Berliner Residenz, an dem der Cartesianismus auf längere Dauer zum Zuge kam. Die Tatsache, daß die französische Gelehrtenschule von vergleichsweise wenig Schülern frequentiert wurde, relativiert die Bedeutung des Collège für die Ausbreitung dieser philosophischen Richtung innerhalb der Berliner Residenz und der brandenburgisch-preußischen Gesellschaft um ein erhebliches Maß. 243 Unter Formey, der im Jahre 1746 die Elementa philosophiae Wolffianae herausgab, setzte sich dann wie an den anderen Berliner Gelehrtenschulen auch am französischen Collège der Wolffianismus als neue richtungsweisende Philosophie durch. 4. Die Stellung der Muttersprache und moderner Fremdsprachen Die humanistische Ausrichtung der Berliner Gelehrtenschulen brachte es mit sich, daß die Muttersprache zunächst nur in den unteren Klassen eine Rolle spielte. Dies betraf vor allem den Katechismusunterricht, der mit den Lateinanfängern zwangsläufig auf deutsch beziehungsweise französisch erfolgen mußte, und die Kalligraphie. Das Bewußtsein für die Notwendigkeit eines eigenständigen orthographischen, poetischen und rhetorischen Unterrichts in der Muttersprache kam erst langsam am Ende des 17. Jahrhunderts auf. Der Bereich, in den die Muttersprache zuerst eindrang, waren die öffentlichen Schulactus. Wie der Vergleich des vorhandenen Quellenmaterials zeigt, kam den drei städtischen Gelehrtenschulen dabei eine Vorreiterrolle zu. Als ein wichtiger Wegbereiter dieser sprachlichen Wende ist zunächst der kaiserliche Poet Michael Schirmer (1606–1673) zu nennen. Der aus dem kursächsischen Leipzig stammende Lutheraner Schirmer gilt
241
Vgl. Abschnitt D. I. 5. Problematisch war für die lutherische Theologie nicht zuletzt das cartesianische Prinzip der Trennung von Philosophie und Theologie. Vgl. Tholuck, Leben, Bd. 1,2, S. 249 u. S. Bohatec, Scholastik, S. 6. 243 Im Jahre 1695 traf man beispielsweise nur vier Schüler in der classe de Philosophie an. 242
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
als der erste Vertreter der deutschen Barockdichtung von Rang, der in Berlin wirksam wurde. 244 Als Konrektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster hatte er mit seinen zahlreichen Gelegenheitsgedichten einen entscheidenden Verdienst daran, daß die deutsche Kasualdichtung hier einen deutlichen Aufschwung nahm. 245 Seine Begeisterung für die deutschsprachige Kunstdichtung schlug sich jedoch auch im Schulbetrieb nieder. Ein von ihm verfaßtes Schultheaterstück, das in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts zur Aufführung kam, bildet das erste deutsche Drama eines Berliner Lehrers, das sich in den Berlinischen Quellen nachweisen läßt. 246 Schirmer war jedoch nicht der einzige, der seine Schüler in der Muttersprache agieren ließ. Auch unter dem damaligen Rektor Heinzelmann wurde im Jahre 1657 ein actus oratio-theatricum in deutscher Sprache vorgetragen. 247 In der Folgezeit kamen an den lutherischen Gymnasien der Stadt immer wieder deutsche Theaterstücke zur Aufführung. Einen Höhepunkt bildete das Stück von der Unschuld des Bellerophon, einer Gestalt aus Homers Ilias, das Rektor Weber anläßlich der Säkularfeier des Berlinischen Gymnasiums im Jahre 1674 in deutscher Sprache verfaßt hatte und im Berliner Rathaus aufführen ließ. Offensichtlich wuchs an den städtischen Gymnasien das Bedürfnis, sich nicht nur mit lateinischen, sondern auch mit deutschen Reden und szenischen Aufführungen einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren und die bisherige exklusive
244
Näheres zu Schirmer bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 373–395. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 380. Seinen Lob-Spruch der HochTeutschen Sprache aus dem Jahre 1672 kann man geradezu programmatisch auffassen (vgl. Schirmer, Reim-Gebät, o. S.): Wo ist ein Fremdeling in gantzer Welt zu finden/ Der andre Sprachen liebt/ und seine läst dahinden? Der Frantzmann lobet zwar der Teutschen Sprache Pracht/ Liebt aber seine Sprach mit besserem Bedacht. Er mischt kein frembdes Wort darunter/ wenn er schreibet: So machts der Welsche Mann / und bey der Sprache bleibet / Die seine Mutter ist. So thut der Spanier / und liebet seine Sprach/ und hält sie hoch und hehr, Wer aber Teutsch vermischt mit solcherleyen Worten/ Die ihrer ankunfft nach entstehn von frembden Orten; Der ist dem gleich/ der Korn mit linsen/Erbsen/Grütz Vermenget / daß man muß außlesen/solls seyn nütz. 246 Es handelt sich hierbei um das geistliche Drama: Der verfolgte David, das ist: Trauerspiel, aus dem ersten Buche Samuelis genommen, welches im Jahre 1660 im Druck erschien. Vgl. auch Gudopp, Aufführungen, S. 10 u. 22. Die Aufführung von Schultheaterstücken in deutscher Sprache war allerdings nicht völlig neu. Bereits am Joachimsthalschen Gymnasium sollen unter dem Rektorat des ersten Rektors Bumann vereinzelte Aufführungen in deutsch stattgefunden haben. Vgl. ebd., S. 6. 247 Vgl. ebd., S. 8. 245
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Latinität zu durchbrechen, weitaus früher als an der reformierten Fürstenschule. Soweit die vorhandenen Quellen ein Urteil darüber zulassen, spielte im gesamten 17. Jahrhundert die deutsche Muttersprache in den öffentlichen Actus des Joachimsthalschen Gymnasium kaum eine Rolle. Da das Schultheater, welches sich immer auch an ein Publikum ohne Lateinkenntnisse richtete, hier kaum gepflegt wurde, verwundert dies wenig. 248 Rektor Vorstius, der von 1660 bis 1676 amtierte, befaßte sich zwar wissenschaftlich mit germanistischen Fragen und veröffentlichte eine etymologische Studie über die Ursprünge des Deutschen; einen praktischen Niederschlag auf den Lehrbetrieb fand dies jedoch nicht. 249 Die ersten muttersprachlichen Spuren finden sich erst in Schulschriften aus den neunziger Jahren, in denen die gehaltenen wöchentlichen Redeübungen der Joachimsthalschen Schüler mitgeteilt wurden. Deutsche Reden machten dabei allerdings nur einen geringen Bruchteil aus. 250 Eine Anleitung zur Abfassung deutscher Verse fand an der Fürstenschule erstmals im Jahre 1696 statt. 251 An den städtischen Gymnasien waren dagegen schon seit den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts immer häufiger auch deutsche Reden und Carmina in den öffentlichen Actus vorgestellt worden. Beispielsweise waren ein Viertel der Redeübungen, die Subkonrektor Martin Busse im Jahre 1680 am Grauen Kloster vortragen ließ, bereits in deutscher Sprache abgefaßt. 252 Im selben Jahr ließ der Cöllnische Rektor Johann Bödiker einen seiner Primaner eine deutsche Rede halten mit dem programmatischen Titel Von der Macht Deutscher Sprache in Beredsamkeit. 253 Ebenso programmatisch kann man die Tatsache bewerten, daß Bödiker seine Schüler im Jahre 1676, also kurz nach der Übernahme des Rektorates, ausschließlich auf deutsch hatte deklamieren lassen. 254 Nicht mit Rücksicht auf die Zuhörer, sondern weil die Übung der Deutschen Sprachen . . . der Jugend nöthig 255 sei, ließ er auch seine Theaterstücke zum Teil in deutsch aufführen. Keiner der Berliner Gelehrtenschullehrer hatte der deutschen Sprache zuvor so viel Platz eingeräumt, wie der Weigel-Schüler Bödiker. In seinem langjährigen 248
Vgl. unten, Abschnitt F. I. 2. Näheres zu seinen etymologischen Einzeluntersuchungen, die 1669 unter dem Titel Observationes in linguam vernaculam erschienen, bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 455f. Interessanterweise war der Konvertit Vorstius, der sich als einziger Lehrer des reformierten Fürstenschule des 17. Jahrhunderts näher mit der deutschen Sprache beschäftigte, vor allem an lutherischen Universitäten geprägt worden. 250 Unter den 25 im Jahre 1694 gehaltenen Reden findet sich beispielsweise nur eine in deutscher Sprache. Vgl. Syllabus Lectionum. 251 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 244. 252 ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl Sch 158. 253 Catalogus Disputationum 1681, o. S. 254 Vgl. Catalogus Dissertationum, 1677. 255 So Bödiker in der Vorrede zu seinem Stück Der klagende und getröstete Rhein, in dem er die deutschen Flüsse als Redner auftreten ließ (Bödiker, Rhein, o. S.). 249
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pädagogischen Wirken sollte die mitteldeutsche Frühaufklärung Weigelscher Prägung in Berlin am unmittelbarsten zum Tragen kommen. Vor allem war Bödiker der erste, der die Notwendigkeit einer systematischen Einleitung in die deutsche Muttersprache erkannte. Seine Grund-Sätze der Deutschen Sprachen im Reden und Schreiben Samt einem Bericht vom rechten Gebrauch Der Vorwörter, die im Jahre 1690 erschienen und die er Der studierenden Jugend und allen Deutschliebenden zum Besten abgefaßt hatte, sollten nicht zuletzt seinem eigenen Unterricht dienen, aus dem sie erwachsen waren. Auch wenn aus dieser Zeit kein Lehrplan erhalten geblieben ist, kann man davon ausgehen, daß der erste reguläre grammatikalische und poetische Deutschunterricht in Berlin am Cöllnischen Gymnasium unter Bödiker stattfand. Die jüngere Generation pietistischer Lehrer, die seit der Jahrhundertwende an den lutherischen Berliner Gymnasien zum Zuge kam, nahm die muttersprachlichen Impulse weiter auf. Während unter Rektor Berger am Friedrichswerderschen Gymnasium deutsche Redeübungen nur selten stattgefunden hatten, erwies Lange der deutschen Sprache mehr Ehr, als ihr noch itzt in vielen großen Schulen . . . erwiesen wird 256, wie Gedike Jahrzehnte später lobend einschätzte. Tatsächlich schloß Langes Unterrichtsplan nicht nur lateinische, sondern auch deutsche Stilübungen mit ein. Weil ihm viel daran gelegen, daß die jungen Leute beyzeiten zur geschickten Verfertigung eines Lateinische und Teutschen Briefes angewiesen werden 257, setzte Lange wöchentlich eine Unterrichtsstunde dafür an. Auch der Unterricht in der deutschen Grammatik, bei dem er sich auf Bödikers GrundSätze stützte, wurde von ihm nicht vernachlässigt. Ebenso diente Langes Praxis, im altsprachlichen Unterricht viel ins Deutsche zu übersetzen, indirekt dazu, auch die muttersprachlichen Fähigkeiten seiner Schüler weiter auszubilden. 258 Unter den nachfolgenden reformierten Rektoren scheint dann die deutsche Muttersprache wieder aus dem regulären Unterricht verschwunden zu sein. Allerdings ließ Konrektor Bake, der einer der ersten Hallenser Absolventen an einem Berliner Gymnasium war, in den zwanziger Jahren weiterhin auch deutsche Redeübungen veranstalten. 259 Am Berlinischen Gymnasium bemühten sich seit der Jahrhundertwende vor allem Starck und Frisch um die Ausbildung der deutschen Sprache. 260 Anders als Lange, der ein ausgesprochener Gegner des Schultheaters war, bediente sich Frisch dabei auch der szenischen Actus. In seinem humorvollen Stück über Die 256 Gedike, Geschichte, S. 28. Zu den Themen der Redeübungen in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts vgl. Berger, Primitiae, S. 29, 32 u. 56. 257 Lange, Lebenslauf, S. 65. 258 Vgl. Gedike, Geschichte, S. 28. 259 Vgl. Bake, Audiendas u. ders. Felicem. 260 Für Starck bezeugt sein ehemaliger Schüler Diterich, daß sich dieser um die Beförderung der deutschen Sprachkultur bemüht habe (vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 311).
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entdeckte und verworffene Unsauberkeit der falschen Dicht- und Reim-Kunst ließ er seine Schüler auf sprachlich meisterhafte Weise die vielen Fehler vorführen, welche einen schlechten deutschen Stil ausmachen. Mit der Aufforderung Date Poesi Germanicae novum applausum! lud Frisch ebenfalls im Jahr 1700 zu einem reinen deutschen Redeactus ein, der sich ausschließlich mit theoretischen Aspekten der deutschen Poesie beschäftigte. 261 Daß Frisch die Bödikersche Grammatik neu bearbeitete, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. Auch sein deutschlateinisches Wörterbuch, das der Sprachforscher erst wenige Jahre vor seinem Tode herausgab, erwuchs nicht zuletzt aus den Bedürfnissen jahrzehntelanger Unterrichtspraxis. 262 Wenn auch in den lectiones publicae des Berlinischen Gymnasiums kein eigenständiger Unterricht in deutscher Orthographie oder Poesie vorgesehen war, kann die Muttersprache hier mitnichten eine unbedeutende Nebenrolle gespielt haben. Die Leges docentium des älteren Bodenburg hatten im Jahre 1708 sogar explizit festgelegt, daß der Unterricht im Stilo vernaculo vom Konrektor (Frisch) angeboten werden sollte, was offensichtlich in den Privatlektionen geschah. 263 Auch der Berlinische Subrektor Martin Diterich, ein Schüler von Starck und Frisch, war gegen einen formalen Latinismus eingestellt und unterstützte die Forderung nach einem zeitgemäßen muttersprachlichen Unterricht. 264 Im Jahre 1711 hielt er einen Actus De cultura linguae Germanicae ab. 265 In einen geregelten Unterrichtsplan wurde die deutsche Orthographie und Poesie erstmals vom jüngeren Bodenburg, der ebenfalls ein Schüler von Frisch und Absolvent der Hallenser Universität war, einbezogen. Sein Lehrplan von 1744 berücksichtigte die deutsche Stil- und Dichtkunst mit drei Unterrichtsstunden. Auch über den Realienunterricht hielt die deutsche Sprache in den Unterricht Einzug: So verfaßte Bodenburg ein Geschichtsbuch in deutscher Sprache, das er um des besseren Einprägens willen mit deutschen Reimen versah. 266 Auch das erste Theaterstück, welches im Jahre 1740 nach einer langen Zeit des Verbotes wieder zur Aufführung kam, war nicht in lateinischen, sondern in deutschen Versen abgefaßt worden. 267 Ein grundsätzlicher Wandel im Verhältnis zum Lateinischen drückt sich nicht zuletzt darin aus, daß der neue Konrektor Johann Jacob 261
Vgl. Frisch, Patronos. Vgl. oben, Abschnitt D. I. 1. 263 Vgl. Bodenburg, Leges, Artikel XII. 264 In einer seiner Reden äußerte er sich folgendermaßen: A multis multa in scholis desiderantur, in quorum numero est, exiguam admodum culturam linguae Germanicae, cujus summa utilitas sit in vita, adhiberi multosque Germanos latine doctissimos in ipsa Germania hospites esse! Zit. nach Heidemann, Geschichte, S. 184. 265 Diterich, Oratinculis. 266 Bodenburg, Entwurff. 267 Der Autor des Stückes, Konrektor Nathanel Baumgarten, hatte in Halle studiert und war ein Bruder des berühmten halleschen Theologieprofessors Siegmund Jacob Baumgarten. Vgl. Baumgarten, Verzeichnis. 262
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Wippel, der ebenfalls in Halle studiert hatte, seine Antrittsrede Von der Eitelkeit der Polyhistorie im Jahre 1744 auf deutsch vortrug. Aufgrund seines ausgeprägten Interesses für die deutsche Sprache gab er später eine eigene Bearbeitung der Bödikerschen Grammatik heraus. Daß dieses Vorhaben aus der täglichen Unterrichtspraxis erwuchs, ist anzunehmen. 268 Wie ein Blick in die Programmschriften des Berlinischen Gymnasiums zeigt, überwogen seit den vierziger Jahren deutschsprachige Redeübungen die lateinischen immer deutlicher. Nachdem Wippel in das Rektorat aufgerückt war, wurden fast nur noch deutsche Redeactus durchgeführt, bis sie schließlich im Rahmen der Unterrichtsreformen von Büsching ganz abgeschafft wurden. 269 Anders als am Berlinischen und am Friedrichswerderschen Gymnasium scheint am Cöllnischen Gymnasium das Deutsche nach Bödikers Tod zunächst wieder in den Hintergrund getreten zu sein. Die Programmschriften seines Nachfolgers Rotaridis vermitteln den Eindruck, daß deutsche Poesie und Rhetorik in dieser Zeit kaum eine Rolle spielten. Von den Rektoren Rubin und Bake liegen leider keine Schulschriften vor. Da letzterer als Konrektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums auch deutsche Redeübungen hatte durchführen lassen, wird er dies am Cöllnischen Gymnasium nicht anders praktiziert haben. Der damalige Konrektor Küster lud allerdings nur selten zu deutschen Redeübungen ein. 270 Der entscheidende Umschwung vollzog sich spätestens unter Damm, welcher seit den dreißiger Jahren am Cöllnischen Gymnasium tätig war. Wie sein Lehrplan von 1742 zeigt, führte er seine Schüler nicht nur in die deutsche Poesie ein, sondern veranlaßte sie auch zur Lektüre deutscher Zeitungen. Außerdem veranstaltete er fast nur noch deutsche Redeübungen. 271 Dies begründete er damit, weil ich meyne wargenommen zu haben, daß sich das Deutsche lieber hören und lieber lernen lässet. Ja es ist auch, zu Erreichung aller Absichten, die deutsche Sprache bey uns die geschickteste; und zugleich die, in welcher sich unsere Lernende künftig am meisten hören lassen müssen 272. Offensichtlich stellte für ihn die Pflege der deutschen Sprache ein wichtiges Erfordernis der Zeit dar, auf welches die Gelehrtenschulen zu reagieren hatten. Während an den meisten lutherischen Gelehrtenschulen seit der Jahrhundertwende unter dem Einfluß des Pietismus das Deutsche immer mehr an Bedeutung gewann, blieb der Unterricht am Joachimsthalschen Gymnasium stärker 268
Näheres zu den Bearbeitungen der Bödikerschen Grammatik bei Diedrichs, Grund-
Sätze. 269
Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 234. Vgl. Küster, Memorabilia. 271 Im Jahre 1747 soll Damm zu den lateinischen Reden bemerkt haben: „ . . . wenn die Zuhörer nicht gemartert werden sollen, müssen die Lehrer die Reden selbst ausarbeiten und sie thun daran jederzeit wohl“ (Zit. nach Bender, Geschichte, S. 153). 272 Damm, Anhörung, S. 6. 270
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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einem ausschließlich humanistischen Lehrplan verpflichtet. Nur selten wurden im Rahmen von Privatunterricht deutsche Verse gemacht. 273 Deutsche Orthographie tauchte zuerst im Lehrplan von 1714 auf, allerdings nur für die Quarta. Im selben Jahr sollten auf Vorschlag der Visitatoren gewisse Praecepta zu der Orthographia Germanica 274 gedruckt wurden. Genauere Überlegungen für einen besseren Unterricht in deutscher Stilkunde wurden von den Joachimsthalschen Aufsichtsgremien erst im Jahre 1731 angestellt. Kurz zuvor hatte der aus Halle stammende Heinius das Rektorat übernommen, der auf die Ausbildung der Muttersprache deutlich mehr Wert legte als seine Vorgänger. Unter Heinius wurden in allen Klassenstufen neben den lateinischen auch deutsche Stilübungen durchgeführt. 275 Außerdem benutzte man die deutschsprachigen Lehrbücher von Hübner im Geschichts- und Geographieunterricht. Daß das Deutsche auch in der philosophischen Propädeutik als Unterrichtssprache diente, zeigt ein öffentliches Colloquium über die Vernunfft-Lehre, zu dem Heinius im Jahre 1741 einlud. 276 Ein besonderes Unterrichtsfach für Deutsch wurde am Joachimsthalschen Gymnasium allerdings erst im Jahre 1761 eingerichtet. 277 Damit läßt sich eine Verspätung der reformierten Fürstenschule gegenüber den städtischen Schulen bei der Öffnung für einen muttersprachlichen Unterricht konstatieren. Auch am französisch-reformierten Collège François ist bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhundert hinein eine eher distanzierte Haltung gegenüber der Muttersprache festzustellen. Auch wenn man beim altsprachlichen Unterricht vom Französischen ausging, beschränkte sich der Umgang mit der Muttersprache auf die unteren Klassen. Sichere Französischkenntnisse wurden bei den neu aufgenommenen Schülern bereits vorausgesetzt. 278 Der Lehrplan von 1703 sah nur für die Anfängerklassen die Behandlung der Particules français und die Lektüre des Neuen Testaments in der Übersetzung von Beza vor. Muttersprachliche Stilkunde und Poesie, wie sie zu dieser Zeit an den lutherischen Gelehrtenschulen an Bedeutung gewannen, gehörten jedoch nicht zu den Ausbildungszielen des ausschließlich traditionell-humanistisch ausgerichteten Collège. Eigenständige muttersprachliche Aktivitäten der Lehrer, wie die Aufführung eines Stückes von Molière, wurden vom Conseil académique vielmehr unterbunden. 279 Das 273 Nach Beckmann hat Subrektor Meier im Jahre 1708 ein Privatum über deutsche Verse gehalten. Im selben Jahr ließ der Adj. Salmuth in Secunda deutsche verse machen, wiewohl seine deutsche Poesie nicht weit her war. A. 1714 u. 15 hat Meierotto darin den Primanern, vieleicht auch den Supremanern unterricht gegeben in einem privat collegio (Beckmann, Nachrichten, Bl. 224). 274 Beckmann, Nachrichten, Bl. 600. 275 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 273. 276 Vgl. Acta Scholastica, Bd. 1, S. 109. 277 Vgl. Wetzel, Geschichte, S. 278 u. 283. 278 Nach den Schulgesetzen wurde als Schüler nur aufgenommen, wer die französische Sprache fließend lesen und schreiben konnte. Vgl. Erman, Mémoire, S. 155.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Schultheater, welches an den lutherischen Schulen ein wichtiger Vermittler der neuen Muttersprachlichkeit war, fand in der Folgezeit am Französischen Gymnasium nicht mehr statt. Daß die Latinität am Collège unangefochten blieb, zeigen vor allem die erhaltenen philosophischen Disputationen, die sämtlich in lateinischer Sprache abgefaßt worden waren. In welchen Sprachen die Redeübungen abgehalten wurden, ist leider unbekannt. Auch die Inhalte des Privatunterrichts bleiben weitgehend im Dunkeln, allerdings soll Jean Barbeyrac, der von 1696 bis 1710 am Collège unterrichtete, seinen Fächerkanon schrittweise um littérature, historie und belles lettres erweitert haben. 280 Etienne Chauvin lud in den Jahren 1697 und 1698 zu öffentlichen Conférences sur la langue françoise 281 ein, an denen möglicherweise auch seine Schüler teilnahmen. Generell bleibt jedoch festzustellen, daß nur außerhalb der lectiones publicae eine Beschäftigung mit der Muttersprache möglich war. Wenn auch viele der Gelehrten im Umkreis des Collège durch ihre französischen Übersetzungen die Stellung des Französischen als neue lingua franca befördern halfen, blieb doch die Ausbildung der Latinität am Collège das primäre Ausbildungsziel. Wann hier das Lateinische als Unterrichtssprache abgelöst wurde, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Unklar ist, welche Sprache La Croze in seinem philosophischen Unterricht benutzte. 282 Daß sein Nachfolger Formey, der seine wissenschaftlichen Werke ausschließlich in französischer Sprache abfaßte, auch einen französischen Unterricht gab, ist anzunehmen. 283 Französische Stilkunde und Literatur wurden erst im Zuge der Lehrplanreformen von Erman als ordentliche Unterrichtsfächer etabliert. 284 Der Unterricht in Deutsch, den Erman ebenfalls einführen wollte, kam nicht zustande. Erst im 19. Jahrhundert wurde ein Deutschlehrer am Collège eingestellt. 285 Die Gründe für die unterschiedliche Stellung der Muttersprachen an den Berliner Gelehrtenschulen dürften zum einen auf den Einfluß der jeweiligen Aufsichtsorgane zurückgeführt werden. Wie oben erwähnt, wurde der Unterricht am Collège der Hugenotten in den ersten Jahrzehnten von einem Aufsichtsgremium kontrolliert, das in hohem Maße auf Rechtgläubigkeit und Tradition sah. Auch das Joachimsthalsche Schuldirektorium legte, was Veränderungen im Verhältnis von Latinität und Muttersprachlichkeit betraf, bis in die dreißiger Jahre des
279 280
Näheres dazu vgl. unten, Abschnitt F. I. 2. Dies berichtet Velder leider ohne eine genaue Quellenangabe (ders., Gymnasium,
S. 66). 281
Othmer, Berlin, S. 36. Der besondere Lehrplan, den La Croze für seinen Philosophieunterricht entwarf, ging leider verloren. Vgl. Velder, Gymnasium, S. 59. 283 Ein Verzeichnis seiner Schriften findet sich bei Müller/Küster, Berlin, S. 997f. 284 Zum neuen Lehrplan von Erman vgl. Schulze, Bericht, S. 37ff. u. Velder, Gymnasium, S. 127ff. 285 Vgl. Velder, Gymnasium, S. 128. 282
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
319
18. Jahrhunderts eher Zurückhaltung an den Tag. Die städtischen Gymnasien und ihre Rektoren waren dagegen freier in der Gestaltung ihrer Curricula. Die Ursachen für eine gewisse Verspätung der landesherrlichen Gymnasien bezüglich eines muttersprachlichen Unterrichts müssen vor allem in der unterschiedlichen universitären und wissenschaftlichen Prägung des jeweiligen Lehrpersonals gesucht werden. An den städtischen Gelehrtenschulen waren es vor allem die in Jena von der mitteldeutschen Aufklärung beeinflußten lutherischen Lehrer und danach vor allem Hallenser Absolventen, welche das Eindringen der deutschen Sprache in den vormals rein humanistischen Unterricht vorbereiteten. Am Joachimsthalschen Gymnasium verhalf erst Heinius, der als erster reformierter Lehrer der Stadt die Universität in Halle besucht hatte, der deutschen Muttersprache stärker zum Durchbruch. Interessanterweise gewann an den drei kursächsischen Fürstenschulen der muttersprachliche Unterricht ebenfalls erst im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. 286 Ein umfassendes Reformkonzept von Erhard Weigel hatte hier im Jahre 1681 durch die kursächsischen Stände eine deutliche Abfuhr erhalten. 287 Durch seinen Berliner Schülerkreis kamen die Weigelschen Reformvorstellungen demnach in der Brandenburgisch-Preußischen Hauptresidenz früher und nachhaltiger zum Durchbruch, als in Kursachen. Ebenso wie die deutsche Muttersprache, begann seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert auch das Französische als erste moderne Fremdsprache in die Privatlektionen der deutschen Gelehrtenschulen Berlins einzudringen. 288 Vorreiter war auch hier das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster. Die ersten Spuren eines Französischunterrichts finden sich in dem bereits erwähnten Schulspiel über die deutsche Dichtkunst des späteren Rektors Frisch aus dem Jahre 1700. 289 Diesen Unterricht gab vermutlich Frisch selbst, welcher ein ausgezeichneter Kenner der französischen Sprache war. Auch sein Nouveau dictionnaire des passagers français-allemand et allemand-français von 1712 erwuchs aus seinen eigenen Unterrichtsbedürfnissen. Es war von Frisch gezielt für den allgemeinen Gebrauch an den märkischen Schulen abgefaßt worden. 290 Daneben soll er auch
286
Vgl. Flathe, Afra, S. 226 u. Roessler, Grimma, S. 188f. Vgl. Flathe, Afra, S. 255. 288 Dies entsprach ganz dem generellen Trend im höheren Bildungswesen. Allgememein zur Entwicklung des Französischunterrichts in der Pädagogik des 17. Jahrhunderts und seiner Verbreitung insbesondere durch die deutschen Ritterakademien: Schmidt, Unterricht. 289 So heißt es hier im Text, daß jetzt in dieser Schul’ Französische Scribenten, Grammair und Dialogue sind in der Schüler Händen (Fischer, Schulspiel, S. 12). 290 In seiner Widmung an den Staatsminister und Präsidenten der Sozietät, Marquard Ludwig von Printzen, schreibt Frisch, daß er die Stunden für diese Arbeit neben seinen öffentlichen Berufs-Arbeiten . . . zum Besten der Jugend angewendet habe und bittet darum, dieses Wercklein unter denjenigen Büchern, welche, den Märckischen Schulen zum besten, zu verfertigen unter Handen sind, wozu ich auch ferner die erforderte Zeit und mühe 287
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
ein Kompendium französischer Sprichwörter und ein französisches Vokabular herausgegeben haben. 291 Leider lassen die vorhandenen Quellen keinen Rückschluß darauf zu, ob man an den anderen Berliner Gelehrtenschulen diese Bücher tatsächlich benutzt hat, wie man auch generell über die Verbreitung des Französischen im dortigen Privatunterricht wenig sagen kann. Ein Indiz dafür, daß die französische Sprache im Unterricht am Friedrichswerderschen Gymnasium unter Rektor Bake eine Rolle spielte, bildet eine im Jahre 1719 auf französisch gehaltene Schülerrede. 292 Möglicherweise gaben am Joachimsthalschen Gymnasium auch Vater und Sohn Naudé privat Französischlektionen. Davon abgesehen war es den Berliner Gymnasiasten natürlich auch möglich, in ihren Freistunden bei einem der vielen französischen Sprachmeister, die in der Stadt ihre Dienste anboten, Französischunterricht zu nehmen. In die regulären Lehrpläne der Berliner Gelehrtenschulen drang das Französische seit den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts ein. Als erstes wurde am Joachimsthalschen Gymnasium im Jahre 1724 ein besonderer Sprachmeister angestellt, der in öffentlichen Lektionen mit den Schülern der oberen Klassen französische Konversation treiben sollte. Neben Sprech- und Schreibübungen wurden Komödien von Molière gelesen, aber auch französische Zeitungen und politische Texte – darunter der Télémaque von Fénelon – rezipiert. 293 Nicht zuletzt die relativ vielen Schüler adliger Herkunft, die eine politische Karriere anstrebten, mögen an der Fürstenschule die Nachfrage nach einem französischen Sprachunterricht als Bestandteil einer „galanten Bildung“ verstärkt haben. Am Berlinischen Gymnasium gaben seit dem Beginn der dreißiger Jahre besondere Sprachmeister zusätzliche Privatstunden in Französisch. Neben Übungen im Briefeschreiben gehörte hier ebenfalls der Télémaque zur Lektüre. 294 Am Cöllnischen Gymnasium wurde nachweislich seit 1742 Französischunterricht angeboten. Weitere moderne Fremdsprachen drangen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die Curricula ein. 295 Wie die Lehrpläne der Berliner Gelehrtenschulen aus den vierziger Jahren zeigen, trat das Französische immer häufiger an die Stelle des Hebräischen und Griechischen. Angesichts der begrenzten Unterrichtskapazitäbegierigst mit anwenden werde, indessen gnädig mitlauffen zu lassen. Frisch, Dictionnaire, o. S. 291 Vgl. Biedermann, Acta, Bd. 3, S. 263. 292 Vgl. Bake, Felicem, o. S. 293 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 211. 294 Im Jahre 1730 unterrichteten zwei französische Sprachmeister Anfänger und Fortgeschrittene wöchentlich zwei Stunden (vgl. Bodenburg, Entwurff, Vorrede o. S.). Im Jahre 1734 gab ein französische Lehrer des Berliner Kadettencorps in einer besonderen selecta ingenia vier Unterrichtstunden pro Woche. Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 205. 295 Beispielsweise gab es am Berlinischen Gymnasium im Jahre 1759 neben zwei Französischlehrern auch einen für Italienisch. Als dritte Fremdsprache wurde darüber hinaus Englisch angeboten (vgl. Heidemann, Geschichte, S. 219).
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
321
ten leitete das Bedürfnis nach beruflich differenzierten Bildungsmöglichkeiten automatisch die Trennung zwischen einem stärker neusprachlichen und einen traditionellen altsprachlichen Zweig ein. Die dominante Stellung des Lateinischen wurde allerdings an den Berliner Gelehrtenschulen durch das Französische zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. 5. Das Eindringen realistischer Disziplinen in die Curricula der Berliner Gelehrtenschulen Neben der Muttersprache drangen in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verstärkt neue realistische Unterrichtsinhalte in die Lehrpläne der Berliner Gymnasien ein. Geschichte und Geographie begannen nicht mehr nur im Zusammenhang der antiken Texte, sondern auch bezüglich der Gegenwart eine Rolle zu spielen und etablierten sich als vollwertige Unterrichtsgegenstände mit eigenem Rang. Ebenso gewannen die aus dem Quadrivium erwachsenen Wissenschaften Mathesis, Physica und Spherica – also Astronomie – an Bedeutung. Darüber hinaus wurden an einzelnen Gelehrtenschulen auch Lehrinhalte der höheren Fakultäten, vor allem Grundlagen der Jurisprudenz, vermittelt. Der erste reguläre Geschichtsunterricht fand am Berlinischen Gymnasium im Jahre 1653 unter dem Rektorat von Heinzelmann statt. Dieser Unterricht, der den Schülern in der Prima erteilt wurde, bezog sich vor allem auf die Antiquitates: ausführlich wurde hier die klassische Antike durchgenommen. 296 Wie eine überlieferte Disputationsschrift zeigt, kam in Heinzelmanns Unterricht vereinzelt auch die deutsche Geschichte zur Sprache. 297 Ein systematisches Interesse für die Geschichte unter Einschluß der Neuzeit läßt sich zuerst bei Weber nachweisen, der bereits während seiner eigenen Schulzeit am Hallenser Gymnasium eine umfangreiche realistische Bildung erhalten hatte. Wöchentlich hielt Weber seinen Schülern einen Kurs zur Universalgeschichte unter Einschluß der Zeitgeschichte. Zu diesem Zweck hatte er ein neues historisches Lehrbuch in tabellarischer Form, die Linea Historia Universalis verfaßt, in welchem er die wichtigsten Ereignisse von der Erschaffung der Welt bis zum Jahre 1689 festgehalten hatte. Auch Geographia und Hydrographia zählten zu den lectiones publicae seines Lehrplanes. Zum besseren Verständnis des Cornelius Nepos brachte er ein Geographielehrbuch der römischen Zeit heraus. 298 Auch in den öffentlichen Actus und Schultheaterstücken, die Weber veranstaltete, wurde geschichtlichen Ereignissen viel Raum eingeräumt. An die Stelle mythologischer Figuren traten nun verstärkt historisch faßbare Gestalten, über die nicht zuletzt vaterländisch-patrio296 Der Lehrplan sah in der Prima zwei Stunden wöchentlich für die Historiam quartae Monarchiae vor. Vgl. Heinzelmann, Lectiones. 297 Vgl. Heinzelmann, Historiae. 298 Vgl. Weber, Geographia.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
tische Standpunkte transportiert wurden. Sein Nachfolger Rodigast scheint das Interesse für die realistischen Disziplinen weniger geteilt zu haben. Nur Geographie blieb im Lehrplan erhalten, ein Verlust, der den damaligen Konrektor Starck am Beginn des 18. Jahrhunderts zu der bereits erwähnten Klage veranlaßte, daß man an der Schule in realibus gute ignoranten heranziehen würde. Starck forderte darüber hinaus, daß man die auß der Schulen ietzt mit dem größten Schaden gantz ausgethane Mathematique wieder herbey . . . schaffen solle, die unter Rodigast offensichtlich nicht mehr unterrichtet wurde. 299 Der Mathematikunterricht war am Berlinischen Gymnasium von Beginn an ein fester Bestandteil des Curriculums gewesen. Während der älteste erhaltene Lehrplan von 1581 in Prima und Sekunda noch zwei Stunden wöchentlich in Arithmetik und in der Sekunda zwei weitere Stunden für die Pythagoras-Lektüre vorgesehen hatte, war im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts nur noch in der obersten Klasse eine Stunde Geometrie gegeben worden. 300 Einen neuen Aufschwung nahm der Mathematikunterricht dann in der Zeit von Weber, der in allen Klassen von der Quarta aufwärts einen solchen Unterricht erteilen ließ. Laut Lehrplan von 1673 unterrichtete der damalige Konrektor Friedrich Madeweiß, der in Jena bei Erhard Weigel studiert hatte, in der Prima Mathematik nach Weigels Pankosmos. 301 Besonders bemerkenswert ist dabei die Tatsache, daß in Kursachsen Weigels Lehrbücher erst nach 1700 eingeführt wurden. 302 Nach dem Weggang von Madeweiß im Jahre 1681 gab Weber in der Prima anstelle der Arithmetik wöchentlich eine Stunde Physik nach den Institutiones physicae seines ehemaligen Lehrers Johannes Sperling. Hierbei handelte es sich um eines der ersten Lehrbücher in Deutschland, in dem atomistische Auffassungen aufgetaucht waren. 303 Unter Rodigast entfliel dann auch dieser Physikunterricht. Daß für die Aufweichung des humanistischen Lehrplans der Nützlichkeitsgedanke pietistischer Prägung in besonderer Weise entscheidend war, wurde insbesondere seit dem Rektorat des älteren Bodenburg deutlich. In dessen Lehrplan von 1708 wurde die Mathesis in den beiden oberen Klassen wieder eingeführt. Dabei wurden die Primaner in die Arithmetik, Geometrie und Trigonometrie eingeführt. Außerdem kehrte unter dem Cellarius-Schüler Bodenburg die Historia Universalis, die jetzt allerdings bereits in der Sekunda gegeben wurde, zurück. Den historischen Unterricht gab der damalige Subrektor Diterich nach Schraders Geschichtstabellen. 304 Im Fach Erdkunde wurden die Primaner in die Geographia
299 Allerlei, besonders des Konrectors Starcke Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens (ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 27 u. 37). 300 Vgl. Lehrplan von 1581 und 1653. 301 Näheres zu Madeweiß vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 251–263. 302 Vgl. Roessler, Grimma, S. 186 u. Heyer, Pforte, S. 69. 303 Vgl. Wollgast, Philosophie, S. 445.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
323
Germaniae, Marchiae & aliarum Provinciarum eingeführt. Die Mathesis, die in Bodenburgs erneuertem Lehrplan von Jahre 1713 noch um die angewandten Disziplinen Statik und Mechanik erweitert wurde, gab der damalige Konrektor Frisch. Außerdem wurden die Primaner bei Subkonrektor Feller in Astronomia und Globi coelesti unterwiesen. Der Pietist Feller hatte bereits unter Rodigast mit einem solchen Unterricht begonnen, wie dessen Lehrplan von 1698 zeigt. Zuvor war Astronomie in den lectiones publicae des Gymnasiums zum Grauen Kloster nicht aufgetaucht, sondern nur privat gegeben worden. 305 Auch in der Person Fellers, der seinen jüngeren Kollegen als ein Stiller im Lande galt, zeigt sich die Verbindung einer pietistischen Glaubenseinstellung mit einem besonderen Interesse an den nützlichen Wissenschaften. 306 Trotz dieses qualitativen Zuwachses blieb der quantitative Anteil der realistischen Disziplinen an den lectiones publicae mit drei Stunden pro Woche zunächst bescheiden. Der Unterricht in historico-geographico spielte allerdings auch im Rahmen der Privatlektionen eine Rolle, wie man dem gedruckten Lehrplan von 1713 entnehmen kann. 307 In ihren Redeübungen ließen die Subrektoren Diterich und Henning die Schüler wiederholt Themen zur vaterländischen und märkischen Geschichte abhandeln. 308 Der begeisterte Naturforscher Frisch hatte außerdem ein eigenes Naturalienkabinett eingerichtet, durch das er seine Schüler in naturkundliche Fragen einführen konnte. Darüber hinaus unternahm er Exkursionen in die Berliner Umgebung, bei denen er seine Schüler allerley versteinerte Muscheln sammeln ließ. 309 Seit den dreißiger Jahren lag der Geschichtsunterricht in den Händen des jüngeren Bodenburg, der zu diesem Zwecke ein neues Lehrbuch in deutscher Sprache verfaßte. 310 Wie damals üblich, war auch dieses Lehrbuch in tabellarischer Form angelegt, damit sich der Leser durch Gegeneinanderhaltung der Geschichte . . . von allem einen soviel deutlichern Begriff machen könne, wie Bodenburg in der Vorrede seines Buches schreibt. Von besonderem Interesse sind
304
Vgl. Schrader, Tabulae. Vermutlich hat Weber, der sich intensiv mit Astronomie beschäftigte, einen solchen Unterricht gegeben. 306 In einer Standrede auf den verstorbenen Feller berichtet Diterich, daß Feller in erübrigten Neben-Stunden . . . Astronomica getrieben habe, welche nützliche Wissenschaft Er auff zwoen Dänischen Seefahrten durch allerhand Observationes vermehrte, und nachher in dem Berlinischen Sub-Con-Rectorat wol anwandte (Diterich, Stillen, o. S.). 307 Privatim duabus quotidie horis post publicas statim lectiones docetur ubi Collegia stili elegantioris ex selectis auctoribus ashunc habit, praetera Epistolographicae, Oratoriae, Historico-Geographicae, Hebraeque exercitationes institutae (Bodenburg, Leges 1717). 308 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 195. 309 Dies berichtet der Süßmilch-Biograph Johann Christian Förster im Jahre 1768 (Förster, Nachricht, S. 14f). 310 Zum folgenden vgl. Bodenburg, Entwurff. 305
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
die näheren Ausführungen des Autors zur Ordnung und Methode nach welcher die Historie und übrigen so wohl öffentlichen, als privat-Lectiones unter Göttlichen Beystande bisher sind tractirt worden. Beim Unterricht in der Historie gehe man am Berlinischen Gymnasium vom Allgemeinen zum Besonderen vor. Am Anfang würde mit mehrmaliger und veränderter Wiederholung ein generaler Begriff von der Historie gelegt. Erst danach nahm man die Spalten der Geschichtstabellen im Detail durch. Im Geographieunterricht sollte der natürliche Zusammenhang eines Landes dargestellt werden. Dazu zählten politische und historische Aspekte, die Landes-Größe und Beschaffenheit, Einwohner und Sitten, Regenten sowie Provinzen, Berge, Flüsse und Städte. Sogar der genaue Ablauf des Unterrichts wird von Bodenburg beschrieben: Im ersten Viertel der Unterrichtsstunde wiederholte man zunächst das vergangene Pensum durch Vorzeigung der Landkarten und genealogischen Tabellen. Darauf folgte ein halbstündiger Vortrag, der in der letzten Viertelstunde durch Frag und Antwort einschärfft wurde. Wie diese Äußerungen zeigen, bemühte man sich am Berlinischen Gymnasium um ein gezieltes methodisch-didaktisches Vorgehen. Wie sich in der Folgezeit das Verhältnis zwischen den traditionellen altsprachlich-humanistischen und den neuen realistischen Lehrinhalten weiter verschob, wird an dem Berlinischen Lektionsplan von 1744 deutlich, den Bodenburg als neuer Rektor herausgab. Fast ein Viertel des gesamten Unterrichtsvolumens der Prima war nun den realistischen Fächern vorbehalten: sechs verschiedene historische Lektionen wurden angeboten, zu denen noch zwei Mathematik- und eine Physikstunde kamen. Die Tatsache, daß man die herkömmlichen sprachlich-humanistischen Lehrinhalte nicht reduzierte, hatte allerdings die hohe Anzahl von insgesamt vierzig Unterrichtsstunden zur Folge. Ob die Schüler sämtliche öffentliche und Privatlektionen besuchten, ist nicht sicher, jedoch keineswegs unwahrscheinlich. Auch an der Franckeschen Lateinschule wurden an vier Tagen jeweils sieben bis acht Unterrichtsstunden gegeben. Dazu kamen zwei Repetitionstage mit jeweils sechs Stunden, woraus sich insgesamt ein Stundenvolumen von mehr als vierzig Stunden ergibt. 311 Anders als in Berlin machte in Halle der Anteil realistischer Disziplinen sogar über ein Drittel des gesamten Unterrichts aus. 312 Erst in der Zeit der späteren Aufklärung wurde am Berlinischen Gymnasium die
311
Vgl. Müller-Bahlke, Geschichte, S. 44. Der Anteil der Realien (Geschichte, Geographie sowie Mathematik und Physik) lag an der Halleschen Lateinschule bei täglich zwei bis drei Stunden gegenüber zwei Stunden in Latein, zwei Stunden in Griechisch, Hebräisch oder Französisch und einer Stunde Religion. Zurecht wurde unlängst darauf verwiesen, daß der Stellenwert der Realien am Pädagogium Regium in der Forschung gern überschätzt wird (vgl. Zaepernick, Bericht, S. 79). Hier war von täglich acht Stunden nur eine für die Realien vorgesehen. Zum regulären Unterricht traten jedoch noch zwei zusätzliche sogenannte Recreationsstunden, die sich vor allem naturkundlichen Inhalten widmeten. Näheres zu den Lehrplänen beider Schulen bei Richter, Francke u. Müller-Bahlke, Geschichte, S. 44. 312
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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Anzahl der Unterrichtsstunden wieder auf sechsundzwanzig Stunden reduziert. Mehr als die Hälfte davon blieb jetzt den Realien und technischen Fächern vorbehalten. Dafür kürzte Büsching in seinem Lehrplan erstmals den theologischen und altsprachlichen Unterricht. 313 Während beim Berlinischen Gymnasium die Genese des realistischen Unterrichts genau nachgezeichnet werden kann, ist dies für das Cöllnischen Gymnasium nicht möglich. Wann der Unterricht in den Realien hier in die Curricula eindrang, ist unbekannt. Daß Rektor Bödiker Kenntnisse in deutscher Geschichte und Geographie für wichtig erachtete, zeigt sein Theaterstück Der klagende und Getröstete Rhein, mit dem er nach eigener Aussage das Ziel verfolgte, daß auch die Deutsche Jugend durch solche Gelegenheit die Landbeschreibung des Deutschen Reiches erlerne 314. Am Ende des Untersuchungszeitraumes, in der Zeit des Rektors Damm, waren hier der Geographie- und der Geschichtsunterricht sowie die Mathematik mit immerhin fünf Stunden vertreten. 315 Neben römischen Altertümern und antiker Geographie wurde in die gelehrte Historie und moderne Geographie eingeführt, letzteres anhand der Lektüre deutscher Zeitungen. Bei der Frage nach der Bedeutung pietistischer Pädagogen für das Eindringen realistischer Lehrinhalte in die Berliner Curricula ist der Blick auf das Friedrichswerdersche Gymnasium von besonderem Interesse. Der erste erhaltene Lehrplan von Berger beschränkte sich ausschließlich auf sprachlich-humanistische Disziplinen. Obwohl sein Nachfolger Lange das studium geographicum und historicum als ein Spiegel göttlicher Providenz würdigte und Mathematik zur Schärfung des Verstandes 316 für nützlich erachtete, sah dessen Lehrplan einen solchen Unterricht für die Schüler des Friedrichswerderschen Gymnasium ebenfalls nicht vor. 317 Als historische Disziplin tauchte nur die Kirchengeschichte auf. Die im Jahre 1702 von Lange neu herausgegebene Physicae synopsis von Comenius, die man später auch in den Franckeschen Schulen benutzte, spielte nur bei der Behandlung der alttestamentarischen Schöpfungslehre eine Rolle. 318 Offensichtlich war beim 313
Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 234. Bödiker, Rhein, o. S. 315 Vgl. Lehrplan von Christian Tobias Damm aus dem Jahre 1742. 316 So Lange in der Vorrede seiner Grammatik mit dem programmatischen Titel: Von Verbesserung des Schulwesens (ders., Grammatica, S. 19). 317 Einschränkend ist festzustellen, daß sich diese Feststellung ausschließlich auf den Lehrplan für die Prima, den Lange bei seinem Amtsantritt 1698 verabschiedete, bezieht (vgl. Gedike, Geschichte, S. 29). Die Unterrichtsinhalte der anderen Klassen sind für die Zeit des Langeschen Rektorates nicht bekannt. 318 Vgl. Lange, Physicae. Dem Typ nach ist das Comenianische Lehrbuch, der es um die naturwissenschaftliche Interpretation des biblischen Schöpfungsberichtes ging, der „physikotheologischen“ Literatur zuzuordnen, die „im wesentlichen noch auf dem Boden der aristotelischen Physik, die neuplatonisch-alchemistisch überformt ist“, stehengeblieben war (Lind, Physik, S. 16). 314
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
Friedrichswerderschen Rektor, anders als bei seinen Kollegen vom Berlinischen Gymnasium, Bodenburg und Frisch, das Interesse an den Realien und den neuen Naturwissenschaften deutlich weniger stark ausgeprägt. 319 Den Schwerpunkt seines Unterrichts legte Lange vielmehr auf die religiöse und sprachliche Bildung. Erst die zweite Generation Berliner Pietisten verhalf den realistischen Disziplinen hier zum Durchbruch. Am Friedrichswerderschen Gymnasium waren es Dornmeyer und Bake, die erstmals in öffentlichen und Privatstunden Geographie und Geschichte nach Hübner und Cellarius unterrichteten. 320 Wann hier ein Mathematikunterricht eingeführt wurde, ist unbekannt. Am Joachimsthalschen Gymnasium verlief die Entwicklung des realistischen Unterrichts in vielem parallel zu den städtischen Berliner Gymnasien. Wie am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster wurde auch an der neugegründeten Fürstenschule in Joachimsthal den mathematischen Wissenschaften viel Aufmerksamkeit geschenkt. So sollten laut den Statuten von 1607 die initia Arithmetica, Astronomia et Geometria der Jugendt zum besten von dem dazu verordneten Lectore fleißig tractiret werdenn 321. Drei Stunden sah der Gründungslehrplan dafür in der Prima vor. Als wichtigster Mathematiklehrer der Joachimsthaler Zeit ist der Schlesier Benjamin Ursinus oder Behr (1587–1633) zu erwähnen, der von 1615 bis 1625 an der Fürstenschule tätig war, bis er eine Mathematikprofessur an der Frankfurter Viadrina antrat. 322 Die verantwortlichen reformierten Räte hatten Ursinus vom berühmten Beuthener Gymnasium in Schlesien nach Joachimsthal berufen. Einige Jahre zuvor war er als Hofmeister in Prag gewesen und hatte dort Keppler kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet. Mit Ursinus hatte man demnach einen hochkarätigen Mathematiker und Astronomen berufen, der ganz auf der Höhe der aktuellen Wissenschaftsdiskussion stand. In Berlin veröffentlichte er ein Buch zur Trigonometrie und einen verkürzten Nachdruck
319
Daß in seinen Privatlektionen vereinzelt auch realistische Lehrinhalte Berücksichtigung fanden, kann natürlich nicht ausgeschlossen werden. Lange gab täglich zwei zusätzliche Privatstunden, in denen zu einigen anderen wissenschaften, wozu die öffentlichen Lectiones nicht hinlangten, Anweisung gegeben wurde (Lange, Lebenslauf, S. 71). 320 Der Lehrplan von 1713 sah für die Secunda und Tertia einen Unterricht in Geschichte und Geographie nach Hübner vor, welchen vermutlich der Konrektor Dornmeier erteilte. Außerdem waren wöchentlich mehrere Stunden für die Tabellen des Cellarius vorgesehen. Bake gab laut einer Schulschrift aus dem Jahre 1719 publice Geographie und privatim Geschichte und Geographie nach Hübner und außerdem Historia Politica nach Sleidano de quatuor summis imperiis (vgl. Gedike, Geschichte, S. 42f. u. Bake, Felicem, o. S.). Bei letzterem handelte es sich um ein Lehrbuch des Straßburger Historikers Johannes Sleidanus (1506–1556), das die Weltgeschichte unter dem Gesichtspunkt der biblischen Lehre von den vier Weltreichen ordnete. 321 Statuta bey der Fürstenschul Joachimsthal vom 24. August 1607 (Vormbaum, Schulordnungen Bd. 2, S. 72). 322 Zum folgenden vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 423; Fritze, Verzeichnis, S. 2 u. Hofmann, Mathematik, S. 170.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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der Kepplerschen Logarithmentafeln. Außerdem gab er im Jahre 1619 ein besonderes Systema Arithmetices Practicae für den Gebrauch am Joachimsthalschen Gymnasium heraus. Nach dem Dreißigjährigen Krieg lag der Mathematikunterricht lange danieder. In den ersten Berliner Jahren wurde nur den Schülern der Sekunda vom Kantor eine Stunde Arithmetik gegeben. Erst als im Jahre 1687 ein besonderer Arithmeticus eingestellt werden konnte, gewann dieses Fach an Bedeutung. Hierbei handelte es sich um Philippe Naudé d. Ä., einem Hugenotten, der aus Metz stammte und schon frühzeitig in enger Verbindung mit deutschen Territorien gestanden hatte. 323 Die Jahre von 1666 bis 1670 hatte er als Page bei den Prinzen von Sachsen-Eisenach verbracht. Es ist anzunehmen, daß der Autodidakt Naudé, der nie eine Universität besucht hat, bei dieser Gelegenheit seine erste mathematische Bildung erhielt. Die hier gelegten Grundlagen sollten ausreichen, daß er nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt seine mathematischen Studien auf privater Basis fortsetzen konnte, bis ihn die politischen Ereignisse im Jahre 1687 schließlich nach Berlin führten. Demnach kam mit Naudé nicht nur französischhugenottischer, sondern vor allem auch sächsisch-ernestinischer Einfluß in Berlin zum Tragen. In seinem Unterricht führte Naudé seine Schüler in die Euklidische und Archimedische Geometrie ein, wobei er sich eines Lehrbuches des Jesuiten Andreas Tacquet (1612–1660) bediente. Die Mathematik wurde tum theoreticae, tum practicae getrieben. Neben der Geometrie widmete man sich auch der Trigonometriam, Logimetriam, Planimetriam & Stereometriam. 324 Anfangs mußte Naudé auch Calligraphie unterrichten, bis er im Zusammenhang des Jubiläums von 1707 zum Professor Matheseos erhoben und ein besonderer Schreibmeister eingestellt wurde. Bereits seit 1704 hatte Naudé, der einer der Gründungsväter der Berliner Sozietät gewesen war, eine Mathematikprofessur an der neuen Berliner Ritterakademie innegehabt. 325 Seine Erhebung zum außerordentlichen Professor des Joachimsthalschen Gymnasiums ist ein deutliches Zeichen dafür, daß man in der Zeit der Frühaufklärung der Mathematik an der Fürstenschule eine zunehmende Bedeutung zumaß. Auch Philippe Naudé jun., der im Jahre 1709 seinem Vater als Adjunctus zur Seite gestellt wurde, übernahm nach dem Tode seines Vaters die Position eines Mathematikprofessors. Wie ein Vergleich mit den kursächsischen Fürstenschulen zeigt, erfüllte die brandenburgische Fürstenschule damit eine besondere Vorreiterrolle. Der neue Lehrplan der kursächsischen Fürstenschule in Meißen sah noch im Jahre 1702 für die oberen Klassen keinen höheren Mathema-
323 Näheres zu Naudé bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 424f.; Fritze, Verzeichnis, S. 4 u. Velder, Gymnasium, S. 31–36. 324 Vgl. Gymnasmata lectionum, S. 21. 325 Er gab im Jahre 1705 eine Schrift über den grossen Nutzen Der Mathematischen Wissenschafften heraus, die einen genauen Einblick in die Inhalte und Ziele des dortigen Mathematikunterrichts erlaubt (vgl. Naudé, Nutzen).
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
tikunterricht vor. 326 Erst in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurden an den Schulen von Meißen, Grimma und Schulpforte besondere Mathematiklehrer angestellt. 327 In den neuen Lehrplänen von 1707 und 1714 blieben Geometrie und Arithmetik in den oberen Klassen fest verankert. Seit dem Schuljubiläum gab der jüngere Naudé außerdem erstmals einen öffentlichen Astronomieunterricht. 328 Ähnlich wie am Berlinischen Gymnasium, wo dieses Fach im Jahre 1708 in eine reguläre Lektion umgewandelt wurde, war Astronomie zuvor nur in Privatstunden angeboten worden. Physik wurde bis 1734 weiterhin nur im Rahmen von Privatlektionen erteilt. 329 Rektor Vechner hatte seit den Anfängen in Berlin bis zum Jubiläum die Physik nach Sperlings Institutiones physicae unterrichtet, wie dies auch sein Kollege Weber am Berlinischen Gymnasium getan hatte. 330 Nach 1707 wurden am Joachimsthalschen Gymnasium Lehrbücher des Zürchers Johann Heinrich Suicer (1644–1705) und des Franzosen Antoine le Grand benutzt, die beide stark vom Cartesianismus beeinflußt worden waren. In den zwanziger Jahren kam darüber hinaus mehrmals ein privates Physicum experimentale zustande, welches der damalige Konrektor Friedrich Muzelius (1684–1753) erteilte. 331 Seit dem Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts wurde dabei Martin Gotthelf Löschers Physica Theoretico-Experimentales zu Grunde gelegt. 332 Beim Unterricht in angewandter Mathematik hielt man an der Euklidischen Geometrie nach Tacquet fest, bis im Jahre 1733 das Joachimsthalsche Schuldirektorium der Einführung der Wolffschen Mathematischen Anfangs-Gründen 333 zustimmte. Dies war auf Drängen des neuen Rektor Heinius geschehen, dem das in deutscher Sprache abgefaßte Lehrbuch von Wolff wegen seines Praxisbezuges und der didaktischen Aufbereitung des Stoffes weitaus geeigneter erschien als die traditionellen Lehrbücher. 334 326
Vgl. Flathe, Afra, S. 205. Vgl. ebd., S. 230; Roessler, Grimma, S. 186 u. Heyer, Pforte, S. 75. 328 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 212. 329 Dies war in den erneuerten Statuten des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1707 so festgelegt worden. Vgl. BLHA, Rep. 34, Nr. 1857, Bl. 28. 330 In Physicae Sperlingi Explicatione Partis specialis, de Corporis naturalis Speciebus, Caelestibus, Elementis & eorum Qualitatibus; de . . . Mineralibus in Genere, de Metallis in specie sic dictis (Gymnasmata lectionum, S. 4). Näheres zur Entwicklung des Physikunterrichts bei Beckmann, Nachrichten, Bl. 222. 331 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 222. Näheres zu Suicer oder Schweizer und le Grand bei Jöcher, Gelehrten-Lexicon, Bd. 2, Sp. 1124 u. Bd. 4, Sp. 932f. 332 Vgl. BLHA Rep. 32, Nr. 329, Bl. 152 u. Beckmann, Nachrichten, Bl. 222. Näheres dazu außerdem bei Wetzel, Geschichte, S. 273. 333 Bei dem in den Quellen so bezeichneten Lehrbuch handelte es sich wahrscheinlich um die von Wolff für den Schulgebrauch verfaßte Kurzfassung, die erstmals im Jahre 1713 unter dem Titel Auszug aus den Anfangs-Gründen aller mathematischen Wissenschaften, zu bequemeren Gebrauche der Anfänger auf Begehren verfertiget erschienen war. Näheres zu Wolffs Lehrbuch bei Lind, Physik, S. 25ff. 327
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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Damit war am Joachimsthalschen Gymnasium ein Wolffsches Lehrbuch bereits zwei Jahre vor der generellen Zulassung seiner Schriften in Gebrauch. 335 Nicht nur die neuen Naturwissenschaften, sondern auch historische und geographische Lehrinhalte drangen zu Beginn des 18. Jahrhunderts verstärkt in die Curricula des Joachimsthalschen Gymnasium ein. 336 Wie an den lutherischen Gymnasien der Stadt hatten in den Jahrzehnten zuvor Geschichte und Geographie vor allem bei der Rezeption der antiken und biblischen Texte eine Rolle gespielt. In der frühen Joachimsthaler Zeit zog man dabei die Chronica von Melanchthon heran. Wie die wenigen erhaltenen Joachimsthalschen Schulschriften zeigen, beschäftigte man sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zunehmend auch mit Ereignissen der neueren und deutschen Geschichte. 337 Ein ausgeprägtes historisches Interesse zeichnete Rektor Wilhelmi aus, der in den achtziger Jahren ein mehrbändiges Werk zur Historia Universalis in deutscher Sprache herausgab, womit In kleinen Periodis oder Exercitiolis der Jugend das Studium Historicum . . . vorgebildet werden sollte. 338 Dieser Unterricht fand jedoch ausschließlich im Rahmen von Privatlektionen statt. Vergleicht man die Entwicklungen am Joachimsthalschen Gymnasium mit denjenigen an den lutherischen Gelehrtenschulen der Stadt, läßt sich ähnlich wie beim muttersprachlichen Unterricht eine gewisse Verspätung der Fürstenschule feststellen. Während am Gymnasium zum Grauen Kloster die Fächer Geschichte und Geographie bereits seit den achtziger Jahren zu den lectiones publicae zählten, wurde am Joachimsthalschen Gymnasium Historia erst im Jahre 1707 zu einem regulären Unterrichtsfach, welches in der Prima zweimal wöchentlich gegeben wurde. Im Jahre 1714 kamen 334 Wörtlich heißt es in einem Schreiben des Heinius an das Schuldirektorium vom 17. Juni 1733: Es ist bishero von dem Hhn. Professore Naude in der Mathematischen Lection des Euclidis Geometrie gebraucht worden. Weilen aber dieser Autor hier wenig, oder gar nicht zu bekommen; überdies vor iede Anfänger ganz unbequem zu gebrauchen, auch viele dinge hat, die anitzo leichter können demontirt werden, endlich die bloße Theorie, und fast nichts von der praxi abhandelt; habe man in der letzten Conferentz einen andern hiezu dienlichen Autorem vorgeschlagen, nemlich Wolfens Mathematische Anfangs-Gründe welche überdieß ordentlich, und deutlich geschrieben, auch im begriffen der jugend gemäß eingerichtet sind. Da nun dießes von denen Herrn Visitatoribus sämtlich approbiert worden, habe er das . . . Schuldirektorium hiermit unterthänig ersuchen wollen, gnädig zu erlauben, daß dießes buch vom professore Matheseos der jugend zum besten möge gebraucht werden. (BLHA, Rep. 32, Nr. 329, Bl. 120.) 335 Vgl. oben, Abschnitt B. III. 2. 336 Zur Geschichte der beiden Unterrichtsfächer Geschichte und Geographie vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 211f. 337 Der damalige Konrektor Vechner veranstaltete beispielsweise im Jahre 1658 einen Actu Oratorio-Historico über die Kaiserwahl Karls V. (Vechner, Caesaris). 338 Dieses Werk, das im Jahre 1696 eine zweite Neuauflage erlebte, behandelte nicht nur die alte Geschichte, sondern reichte bis in die jüngste deutsche Reichsgeschichte hinein. Darüber hinaus wurde auch die moderne Geschichte Spaniens, Dänemark und Schwedens sowie Englands und Schottlands abgehandelt. Vgl. Wilhelmi, Historia.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
noch zwei Stunden Kirchengeschichte hinzu. Geographica blieb dagegen noch bis 1718 eine Privatlektion. Danach unterrichtete man in der Prima zwei Stunden wöchentlich Geographie nach Hübner und Cellarius. 339 Wie der überterritoriale Vergleich zeigt, war man damit in Brandenburg-Preußen deutlich schneller als in Kursachsen. Vor 1700 wurde in den Fürstenschulen von Grimma, Meißen und Schulpforte überhaupt keine Universalgeschichte vorgetragen. 340 In Grimma drang ein regulärer Geschichtsunterricht erst im Jahre 1718 ein. 341 Für die Öffnung der regulären Joachimsthalschen Lehrpläne gegenüber den neuen realistischen Disziplinen waren vor allem die Visitatoren Jablonski und Beckmann verantwortlich, welche die neuen Curricula erarbeitet hatten und in der Folgezeit weitere Empfehlungen zur Unterrichtsgestaltung gaben. 342 Gleichwohl stand auch der neue Rektor Volckmann, der den Kreisen der Berliner Frühaufklärung angehörte, dem Realienunterricht aufgeschlossen gegenüber. Er selbst erteilte Kirchengeschichte und anfangs auch Privatstunden in Geographie. Nachdem dieses Fach in eine öffentliche Lektion umgewandelt worden war, ging der Geographieunterricht an Naudé jun. und andere Kollegen über. Universalgeschichte gaben seit 1707 die neu eingestellten Adjunkten Heinrich Christoph Salmuth, der bereits erwähnte Barckhusen und der ehemalige Jesuit Michael Bernard von Wencko. Diese Lehrer zogen in ihrem Unterricht sowohl die Lehrbücher von Hübner als auch von Cellarius heran. Friedrich Muzelius benutzte außerdem ein von ihm selbst verfaßtes Lehrbuch mit Geschichtstabellen. In den folgenden Jahren differenzierte sich der Geschichtsunterricht immer stärker. Auf die Universalgeschichte folgte seit 1726 ein besonderer Kurs in märkischer Geschichte. Im Lehrplan von Rektor Heinius umfaßte der geschichtliche und geographische Unterricht in oberen Klassen mindestens sechs Stunden. Als man im Jahre 1737 den Rhetorikunterricht abgeschafft hatte, kamen zwei weitere Geographiestunden hinzu. 343 Zusammen mit dem naturwissenschaftlichen Unterricht machten die realistischen Disziplinen damit in den obersten Klassen mindestens zehn von insgesamt fast vierzig Unterrichtsstunden aus. Dies entspricht interessanterweise genau dem Stundenanteil, welcher auch am Cöllnischen und am Berlinischen Gymnasium den neuen Disziplinen gewidmet war. In einem Punkt unterschied sich jedoch der Unterricht am Joachimsthalschen Gymnasium deutlich von demjenigen der städtischen Gelehrtenschulen. Dies war der umfangreiche juristische Unterricht, der an der Fürstenschule seit dem Jubi-
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Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 211. Dies wurde im Rahmen einer großen Visitation der drei kursächsischen Fürstenschulen im Jahre 1700 kritisch angemerkt (vgl. Flathe, Afra, S. 229). 341 u. Roessler, Grimma, S. 187. 342 Vgl. Schreiben von Jablonski und Beckmann (Beckmann, Nachrichten, Bl. 596). 343 Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 225. 340
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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läum von 1707 angeboten wurde. Nachdem bereits Vechner im Rahmen seines Ethikunterrichts natur- und völkerrechtliche Fragen behandelt hatte, erhielt die Jurisprudenz nun einen selbstständigen Platz im Curriculum zugeteilt. 344 Wie der überterritoriale Vergleich mit den kursächsischen Fürstenschulen zeigt, handelte es sich dabei um einen ausgesprochen frühen Zeitpunkt. An der Schule St. Afra in Meißen wurde ein juristischer Unterricht erst nach 1722 eingerichtet. 345 Die Einführung dieses besonderen Lehrangebots dürfte vor allem auf den gewachsenen Anspruch der Schule zurückzuführen sein, angehende politische Entscheidungsträger heranzubilden. Im juristischen Unterricht wurde sowohl das Jus Naturae als auch das Jus Civile behandelt. 346 Bis 1715 erteilte Barckhusen den juristischen Unterricht. Laut Lehrplan von 1714 unterrichtete er in der Suprema wöchentlich vier Stunden Zivil- und zwei Stunden Naturrecht, wobei er sich auf Lehrbücher des Frankfurter Juraprofessors Heinrich von Cocceji (1644–1719) und des Leidener Naturrechtlers Philipp Reinhard Vitriarius (1647–1720) stützte. Sein Nachfolger Conrad Christoph Neuburg wurde bereits unter dem Titel eines Professoris Juris extraordinarius angestellt, was die gewachsene Bedeutung dieses Faches deutlich macht. 347 In den Curricula der städtischen Gymnasien tauchten dagegen juristische Inhalte nicht auf. Es ist nur bekannt, daß der jüngere Bodenburg am Berlinischen Gymnasium privatissime Lektionen zum Natur- und Völkerrecht abgehalten hat. 348 Wenn sich auch die Curricula der Berliner Gelehrtenschulen in vielem glichen, wird bei der Frage der juristischen Bildung die spezifische Ausrichtung des Joachimsthalschen Gymnasiums als landesherrlichen Fürstenschule in besonderem Maße deutlich. Welche Rolle der Realienunterricht am französischen Collège der Hugenotten als der jüngsten der hier untersuchten Berliner Gelehrtenschulen spielte, soll abschließend dargestellt werden. Wie bereits erwähnt, sah die Gründungsurkunde des Collège vor, die Schüler nicht nur in der lateinischen Sprache, Eloquenz und Philosophie, sondern auch in den Mathematischen wissenschaften 349 zu informieren. Da der dafür bestallte Lehrer Philippe Naudé sen. seinen Dienst am Französischen Gymnasium vermutlich nie angetreten hat, sondern am Joachimsthalschen Gymnasium verblieben war, hat es wohl von Beginn an einen solchen Unterricht am Collège nicht gegeben. Diese Vermutung wird vor allem dadurch bestärkt, daß
344 Dies läßt sich aus dem gedruckten Lektionsprogramm von 1694 entnehmen (Syllabus Lectionum o. S.). 345 Vgl. Flathe, Afra, S. 242. 346 Zum folgenden vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 212. 347 Näheres zu Neuburg ebd., Bl. 434. 348 In einer Schulschrift aus dem Jahre 1734 kündigte J. Chr. Bodenburg an: Die Veneris selectis quibusdam ingeniis privatissime . . . Juris vero Naturae & Gentium bis sunt proposita (Bodenburg, Nobili, S. 14). 349 Zitiert nach Schulze, Bericht, S. 6.
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E. Das Lehrprofil der Berliner Gelehrtenschulen
der im Jahre 1703 neu herausgegebene Unterrichtsplan – im Gegensatz zu den in der selben Zeit erneuerten Lehrplänen der deutschen Gelehrtenschulen – keinen mathematischen Unterricht für die oberen Klassen vorsah. Vielmehr scheint es am Collège nur einen elementaren Rechenunterricht in den unteren Klassen gegeben zu haben. 350 Angesichts der cartesianischen Prägung der dortigen Päzeptoren und Inspektoren fällt die Abwesenheit von höherer Mathematik im Lehrplan des Collège natürlich besonders auf. Dabei ist jedoch in Betracht zu ziehen, daß sich auch in Frankreich die Mathematisierung der Physik im cartesianischen Philosophiekurs erst langsam im Laufe des 18. Jahrhunderts durchsetzte. 351 Erman führt vor allem fehlende Geldmittel als Ursache dafür an, daß vor 1768 kein Mathematiklehrer am Collège angestellt werden konnte. 352 Anders als an den meisten deutschen Gelehrtenschulen der Stadt war es den Schülern des Collège nur auf privater Basis möglich, mathematische Bildung zu erlangen. 353 Daß man am Collège im Rahmen des cartesianischen Philosophiekurses physikalische Probleme erörterte, ist dagegen mit Sicherheit anzunehmen. Im Rahmen der Sabbatines bot Chauvin in den neunziger Jahren ein College d’expériences an, zu dem er im November 1696 auch Leibniz einlud. 354 In den frühen Lehrplänen des Collège, die sich weitgehend auf ältere französische Vorbilder stützten, fanden neben mathematischen auch historisch-geographische Lehrinhalte kaum Beachtung. Nur Geographie, welche nach Cellarius gelehrt werden sollte, taucht im Lehrplan von 1703 auf. Der Antrag eines Berliner Hugenotten, am Collège Geschichte und Geographie unterrichten zu dürfen, stieß im Jahre 1713 im Conseil académique auf Ablehnung. Seit 1720 sollte Geographie immerhin einmal wöchentlich in allen drei oberen Klassen unterrichtet werden. 355 Wie das Beispiel von Jean Barbeyrac zeigt, wurde das traditionelle Ausbildungsprofil selbst von Lehrern des Collège kritisch bewertet. In der Vorrede seiner 350
In Ermans Schulgeschichte werden mehrere Lehrer der Calligraphie et Arithmétique aufgelistet, die jedoch nur in den unteren Klassen unterrichteten. Vgl. ders., Mémoire, S. 121. 351 Mathematik wurde als besondere Wissenschaft betrachtet, die nicht zum Philosophiekurs gehörte. Der eigentliche Physikkurs des frühen 18. Jahrhunderts war „nicht im geringsten mathematisch“ (Brockliss, Philosophieunterricht, S. 30). Näheres dazu außerdem bei Brockliss, Education, S. 382. 352 Vgl. Erman, Mémoire, S. 120. 353 Eine solcher Unterricht wurde seit der Zeit um 1709 in Berlin nachweislich von La Croze angeboten, der damals noch königlicher Bibliothekar war. Leibniz schreibt in einem Brief vom Dezember 1709, daß La Croze zu Berlin . . . viel junge Edelleute und vornehmer Leüte Kinder . . . nicht nur in Historia et linguis eruditis sondern auch philosophia et rudimentis Mathematicis unterwiesen habe (zit. nach Brather, Leibniz, S. 322f.). Daß er dies „seit 1704 auch aushilfsweise und nebenamtlich innerhalb des Collège“ getan habe, behauptet Velder, ohne dies aus den Quellen belegen zu können (ders., Gymnasium, S. 60). 354 Vgl. Leibniz, Briefwechsel Bd. 13, Nr. 222, S. 332. 355 Vgl. Schulze, Bericht, S. 28f. u. Erman, Mémoire, S. 125.
II. Die Genese der einzelnen Unterrichtsdisziplinen
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französischen Übersetzung von Pufendorffs Natur- und Völkerrecht verwies er darauf, welche besondere Bedeutung einer Ausbildung in naturrechtlichen Grundsätzen der Moral, der Jurisprudenz und der Politik zukäme. 356 Offensichtlich hatte ihn nicht zuletzt die Tatsache, daß diese Unterrichtsinhalte am Collège nicht vertreten waren, zu seiner Pufendorff-Ausgabe bewogen. Obwohl die Quellenbelege dafür fehlen, kann man allerdings annehmen, daß Barbeyrac am Collège bis zu seinem Abgang im Jahre 1710 naturrechtliche Privatlektionen angeboten hat. Abschließend läßt sich feststellen, daß das Collège der Hugenotten von der damaligen bildungsgeschichtlichen Wende hin zu den Realien deutlich weniger ergriffen wurde als die deutschen Gelehrtenschulen. Dies betrifft zumindest den regulären Lehrbetrieb, wie er sich in den veröffentlichten Lehrplänen wiederspiegelt. 357 Interessanterweise findet dies seine Entsprechung in dem bereits von Durkheim im Vergleich zum Reich konstatierten generellen Rückstand Frankreichs gegenüber der realistischen Pädagogik. 358 Vorstellungen von einem generellen „Modernitätsfortschritt“ der französischen Hugenottenschule sind demnach keineswegs gerechtfertigt. Vielmehr scheint am Collège nicht nur bezüglich der Muttersprachlichkeit sondern auch hinsichtlich der Realien ein primär an den alten Sprachen ausgerichteter Humanismus vorherrschend gewesen zu sein. Die Gründe für das Ausbleiben einer wirklichen ‚realistischen Wende‘ am Französischen Gymnasium müssen zum einen bei den Aufsichtsorganen des Collège gesucht werden. Anders als dies bei den Visitatoren und Inspektoren des Joachimsthalschen Gymnasiums der Fall war, fehlte es den Mitgliedern des Conseil académique offensichtlich am notwendigen Reformwillen, den mathematischen und historischgeographischen Unterricht zu stärken. Obwohl die Direktoren des Collège philosophisch der französischen Frühaufklärung nahe standen, fehlte auch ihnen das Interesse für die realistischen Disziplinen. Möglicherweise ist dies auf ihr vorgerücktes Lebensalter zurückzuführen, in dem sie die Schulleitung übernahmen. Daß man unter vergleichbar bescheidenen finanziellen Bedingungen sehr wohl einen umfangreichen realistischen Unterricht anbieten konnte, zeigt das Beispiel des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster. Dessen Vorreiterrolle bei der Öffnung des humanistischen Lehrplanes ist vor allem auf den Nützlichkeitsgedanken der realistischen Pädagogik zurückzuführen, wie ihn vor allem die von der mitteldeutschen Aufklärung in Jena beeinflußten Lehrer und später die pietistisch geprägten Absolventen der Reformuniversität Halle nach Berlin transportierten.
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Näheres dazu bei Othmer, Berlin, S. 130. Angesichts der Tatsache, daß eine Vielzahl von hugenottischen Gelehrten im Umkreis des Collège ein ausgeprägtes historisch-kritisches Forschungsinteresse hatten, ist die Vermittlung historischer Kenntnisse an interessierte Schüler im Rahmen von Privatunterricht sehr wohl anzunehmen. Leider ermöglicht die dürftige Quellenlage zu diesem Problem keine Aussagen. 358 Vgl. Durkheim, Pädagogik, S. 266. 357
F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz I. Die Aufgaben der Berliner Gymnasien im religiösen und kulturellen Leben der Stadt 1. Die musikalische Begleitung des kirchlich-religiösen Lebens Zu den vornehmsten Aufgaben der Berliner Gelehrtenschulen innerhalb der Berliner Residenz zählte die musikalische Begleitung des kirchlich-zeremoniellen Lebens. 1 Da man auf eine qualitativ hochstehende Kirchenmusik großen Wert legte, gehörte es von Beginn an zu den Aufgaben der Berliner Gelehrtenschulen, zu jedem Gottesdienst einen gut ausgebildeten Knabenchor zur Verfügung zu stellen. Die Bedürfnisse liturgisch-musikalischer Gestaltung erstreckten sich jedoch auch auf andere Bereiche der öffentlichen Alltagskultur wie Leichenbegängnisse, Hochzeiten und Kindtaufen. Insbesondere die Begräbnisse, die wie Geburt und Hochzeit in der frühen Neuzeit wichtige gesellschaftliche Ereignisse waren, konnten je nach Stand und Ansehen des Verstorbenen durch die Mitwirkung von Schulchören aufgewertet werden. Die dabei erzielten Einnahmen spielten für die städtischen Schulen eine wichtige Rolle, konnten doch damit die knappen Lehrergehälter ausgebessert und unbemittelte Knaben unterstützt werden. Diesem Zwecke dienten auch die sogenannten Rekordationen, das regelmäßige Singen religiöser Lieder auf den Straßen und vor den Häusern der Bürger, für das die Mitglieder der schulischen Kurrenden zuständig waren. Zu besonderen Anlässen, wie dem Martins- und Neujahrstag sowie dem Gregoriustag, dem Tag des Schutzheiligen der Schulen, waren daran alle Schüler einschließlich der Lehrer beteiligt. Bereits in den frühesten Visitationsabschieden für Berlin und Cölln aus dem Jahre 1541 war festgelegt worden, daß die Schulmeister und ihre Gesellen an hohen festen mit allen schulern am abende die vespern vnd am festtage das ambt vnd vesper singen sollten. An Sonntagen und etlichen Wergktagen in der wochen sollten sie des morgens vor der predigt . . . etliche psalmen vnd lectiones vnd nachmittags die vesper vnd Complet singen vnd lesen lassen. 2 Genaue Auskunft darüber, was die Schule im Kirchenregiment zu leisten schuldig seyn solle, gibt 1 Zur städtischen und höfischen Musikgeschichte Berlins in der Frühen Neuzeit vgl. insbesondere Sachs, Musikgeschichte u. ders., Musik. 2 Kuhn, Visitationsabschiede, S. 7 u. 9.
I. Die Aufgaben der Berliner Gymnasien im kulturellen Leben der Stadt
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uns die erste Schulordnung des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster aus den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts. 3 Die erste Pflicht der Rektoren und sämtlicher Kollegen bestand darin, wenn sie zum Begräbnis der Herrschaften oder des Hoffgesindes gen Hoffe, oder sonst gefordert werden, mit den Schülern mit Fleiße 4 aufzuwarten und dort zu singen. An zweiter Stelle folgte die Verpflichtung, den gottesdienstlichen Gesang an St. Nikolai und St. Marien sowie an der Klosterkirche abzusichern. An den beiden Berliner Hauptkirchen sollte jeweils ein Knabenchor des Sonnabends die Vesper, alle Sonn- und Festtage die Metten, Messe und Vesper, wie gewöhnlich 5 singen. In der Marienkirche wurde für die Schüler des Grauen Klosters auch eine neue Chorempore eingebaut. 6 Die Leitung hatten die jeweiligen Kantoren der beiden Kirchen, die zugleich dem Lehrkörper des Berlinischen Gymnasiums angehörten. Der Oberkantor oder Cantor Nicolaitana begleitete einen Chor zur Nikolaikirche, der Unterkantor oder Cantor Mariana den anderen zur Marienkirche. Dabei sollten jeweils dieselben Stücke zu Gehör gebracht werden, die der Oberkantor zuvor gemeinsam eingeübt hatte. Zu den Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen traten die Predigtgottesdienste, die an den Werktagen morgens (Mette) und abends (Vesper) stattfanden. Der Visitationsabschied von 1574 hatte dazu allerdings einschränkend festgelegt, daß zu diesen Gottesdiensten nur die Schüler einer Klasse gehen sollten und daß sie, so bald die Predigt angefangen, wieder nach der Schule gehen und ihre Studia gewarten 7. Mittwochs fand ein eigener Schulgottesdienst in der Klosterkirche statt. Ob die Berlinischen Schüler in der Folgezeit tatsächlich zu allen Gottesdiensten herangezogen wurden, ist nicht bekannt. 8 Die späteren Schulordnungen äußerten sich zum Gottesdienst weniger konkret. In Webers Gesetzen werden nur die samstägliche Vesper und die Gottesdienste an den Sonn- und Feiertagen angeführt. 9 Auch die Schulgesetze des Cöllnischen Gymnasium, die in den Beginn des 17. Jahrhunderts zurückreichen, erwähnen nur die sonn- und feiertäglichen Gottesdienste in der Petrikirche. 10 Dies läßt darauf schließen, daß im Laufe des 17. Jahrhunderts
3 Eine detaillierte Beschreibung des Berlinischen Kantorats auf der Grundlage der Berlinischen Schulordnungen bietet Fischer-Krückeberg, Kantorat. Vernachlässigbar ist der Aufsatz von Allihn, der sich im wesentlichen auf Fischer-Krückeberg stützt (vgl. dies., Kantorat). 4 Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 40. 5 Ebd. Bl. 41. 6 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 76. 7 Zit. nach Sachs, Musikgeschichte, S. 103. 8 Zum wöchentlichen Morgengottesdienst sangen die Berlinischen Schüler bereits seit 1611 nicht mehr. Vgl. Fischer-Krückeberg, Kantorat, S. 16. 9 ZLB, GKl Archiv Nr. 3, Bl. 126. 10 Leges de Praeceptorum Officio, Art. 4 und Tertius Ordo De Symphoniacorum Officio, Art. 4. (Album Coloniense, LAB, A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 1f. u. 31).
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
die Beanspruchung der Schüler durch Gottesdienstverpflichtungen nachgelassen hatte. Die Auswahl der gottesdienstlichen Gesänge war ganz der traditionellen liturgischen Praxis verpflichtet, die sich in Brandenburg auch nach der Reformation eng an den katholischen Ritus anlehnte 11: So sollten die Knabenchöre des Berlinischen Gymnasiums die Christlichen löblichen gesänge, Antiphona und Responsoria de tempore, welche in der H. Schrift gegründet und durch die alten Väter daraus gezogen seien, einüben. Ohne den ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten durfte daran nichts geändert werden, denn wo sie aus der Kirche weggetan, würde es eine große Zerrüttung und Verwüstung in der Religion bringen, wie man in andern Ländern und Fürstenthümern allbereit wohlerfahren 12 habe. Zu den Aufgaben der Chöre gehörte jedoch von Beginn an nicht nur das Singen der traditionellen Liturgie, sondern auch die Aufführung mehrstimmiger Figuralmusik. Als einziger bedeutender Berliner Komponist von Figuralmusik in der Zeit zwischen 1570 bis 1730 gilt Johann Crüger (1598–1662), der von 1622 bis zu seinem Tode Nikolaikantor war. 13 Von den Berliner Kantoren, die mit eigenen Kompositionen hervortraten, ist außer Crüger nur dessen Nachfolger Johann Georg Ebeling zu erwähnen, der allerdings Berlin nach sechs Jahren wieder verließ. Crüger gelang es in den vier Jahrzehnten seines Kantorenamtes, die Berliner Schul- und Kirchenmusik zu einer besonderen Blüte zu führen. Wie ein Verzeichnis der Notenbestände der Nikolaikirche aus dem Jahre 1650 zeigt, war das von Crüger gepflegte Repertoire von internationalem Zuschnitt. Sämtliche wichtigen Komponisten der niederländischen, italienischen und deutschen Vokalpolyphonie des 16. und frühen 17. Jahrhunderts waren darin vertreten. 14
11 Näheres über die in Berlin in der Zeit der lutherischen Orthodoxie praktizierte Liturgie bei Sachs, Musikgeschichte, S. 108f. 12 Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums. LAB, A Rep. 020–02, Nr. 11386, Bl. 42. 13 Vgl. Krickenberg, Kantorat, S. 156. Die Bedeutung Crügers für die allgemeine Musikgeschichte kann hier nicht ausführlicher behandelt werden. Neben seinem kompositorischen Schaffen trat Crüger als Musiktheoretiker hervor. Als erste vollständige Kompositionslehre des 17. Jahrhunderts, die bis in die Zeit von Johann Sebastian Bach hinein wirkte, gilt seine Synopsis Musica Continens Rationem Constituendi & Componendi Melos Harmonicum von 1730. Zu Crüger vgl. zuletzt Bunners, Crüger u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 103–117. Eine Gesamtdarstellung über Crüger und sein Werk wurde bisher nicht vorgelegt. Die Dissertation über Crüger von Fischer-Krückeberg aus dem Jahre 1919 ist leider verschollen. Es liegen allerdings mehrere Aufsätze von ihr vor (vgl. dies., Lebensgeschichte u. dies., Kantorat). 14 Das Verzeichnis, das Crüger selbst angelegt hatte, enthielt Werke von Josquin, Orlandus Lassus, Regnart, Lechner und Riccio ebenso wie von Michael Praetorius, Vulpius und Melchior Franck sowie allerneueste Kompositionen von Scheidt, Schütz und Hammerschmidt. Vgl. Bunners, Crüger, S. 65.
I. Die Aufgaben der Berliner Gymnasien im kulturellen Leben der Stadt
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Berühmt wurde Crüger vor allem durch seine eigenen Melodieschöpfungen und Choralbearbeitungen, bei denen er in hohem Maße auf Dichtungen von Berliner Lehrern und Theologen zurückgriff. Darunter sind vor allem der Konrektor des Berlinischen Gymnasiums Michael Schirmer und der Berliner Propst Paul Gerhardt zu nennen, dessen Entdecker und „musikalischer Deuter“ Crüger war. 15 Viele seiner Kompositionen haben in sein berühmtes lutherisches Kirchengesangbuch 16, das nach seinem ersten Erscheinen im Jahre 1640 unter dem Titel Praxis Pietatis Melica fast 50 Nachauflagen erleben sollte, Eingang gefunden. 17 Während bis dahin Gesangbücher ausschließlich für den privaten Gebrauch herausgegeben wurden, hat Crüger seine Praxis Pietiatis Melica auch für den Gottesdienst konzipiert. Dies entsprach ganz der lutherischen Lehre, welche im Gegensatz zur reformierten Auffassung nicht nur die biblischen Psalmen, sondern auch das nicht wörtlich an die Bibel gebundene Lied als Verkündigung anerkannte. 18 Für den Gottesdienstgebrauch hat Crüger mehr als 150 mehrstimmige Sätze komponiert, die er im Jahre 1649 unter dem Titel Geistliche Kirchenmelodien herausgab. Auch diese Choräle waren vermutlich unmittelbar aus den gottesdienstlichen Bedürfnissen der Berliner lutherischen Gemeinden erwachsen. Die jüngere Forschung, die sich mit dem Verhältnis von lutherischer Orthodoxie und Pietismus beschäftigt, sieht im Crügerschen Gesangbuch „textlich und musikalisch einen Zusammenhang von lutherisch-orthodoxer Frömmigkeit und frühpietistischer Andachtshaltung“ 19. Tatsächlich knüpfte Spener sechzig Jahre später mit einer Neuausgabe der Praxis Pietatis Melica – die er allerdings um zahlreiche Lieder mit pietistischer Prägung erweiterte – unmittelbar an Crüger an. 20 Ungeachtet dieser Bezugnahme auf die Musikkultur der lutherischen Orthodoxie hielt es Spener jedoch nicht für angemessen, die Figuralmusik im eigentlichen Gottesdienstablauf beizubehalten. Die Aufführungen von mehrstimmiger Chormusik fanden unter Spener
15
Vgl. Bunners, Crüger, S. 69 u. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 106. Der ausführliche Titel der Erstauflage lautete: Newes vollkömliches Gesangbuch Augspurgischer Confession, Auff die in der Chur- und Marck Brandenburg Christliche Kirchen fürnemlich beyder Residentz Städte Berlin und Cölln gerichtet, in welchem nicht allein vornemlich des Herrn Lutheri und anderer gelehrten Leute . . . sondern auch viel schöne newe Trostgesänge . . . zu finden . . . in richtige Ordnung gebracht, und mit beygesetzten Medlodien, nebest dem Gen. Bass, Wie auch absonderlich, nach eines oder des andern beliebung in 4 Stimmen verfertiget. 17 In den späteren Auflagen des Crügerschen Gesangbuches wuchs die Anzahl der Lieder nach Texten Paul Gerhardts auf fast 90 an. Insgesamt sind von Crüger etwa 100 Melodien oder Melodiebearbeitungen überliefert (vgl. Bunners, Crüger, S. 69f. u. Noack/ Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 107). 18 Vgl. Noack/Splett, ebd. 19 Bunners, Spener, S. 106. Wallmann ordnet dagegen das Crügersche Werk einer eigenen orthodoxen Pietas zu, welche von der Frömmigkeitsbewegung Arndts sowie vom Pietismus Speners zu unterscheiden sei (vgl. ders., Pietas). 20 Näheres zu Speners Beziehung zum Crügerschen Werk bei Bunners, Spener. 16
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nicht mehr in der sonntäglichen Hohmeß, sondern nur noch alle zwei Wochen nach dem Abschluß der Vesperpredigt statt. 21 Die in der Zeit der lutherischen Orthodoxie am Berlinischen Gymnasium intensiv gepflegte Kirchenmusik hatte unter dem Einfluß des Pietismus demnach deutlich an Bedeutung eingebüßt. Auf dem Friedrichswerder läßt sich der erste Schülerchor für das Jahre 1682 nachweisen. 22 Offensichtlich kam es gleich zu Beginn zu Spannungen zwischen dem Friedrichswerderschen und dem Cöllnischen Chor, welcher bis dahin auch auf dem Werder gesungen hatte. In einer kurfürstlichen Verordnung wurde schließlich festgelegt, daß die Cöllnischen Schüler zwar gemeinsam mit der Friedrichswerderschen Kurrende auf dem Schloßplatz, jedoch nicht auf der Schloßfreiheit neben dem Schloß und jenseits der Spree singen sollten. 23 Umgekehrt stieß der Friedrichswerdersche Chor im Jahre 1690 in der Dorotheenstadt auf Widerstände, nachdem dort eine eigene Schule gegründet worden war. 24 Zum Gottesdienst sangen die Werderschen Schüler in der im Jahre 1701 auf dem Friedrichswerder neu erbauten Simultankirche. Als Kantor wurde zunächst der Lutheraner und Pietist Fuhrmann angestellt. Seine Einstellung hatte man interessanterweise damit begründet, daß man damit die Lutherischen Zuhörer so vielmehr zu besuchung des Reformirten Gottesdienstes, und christlicher löblicher Verträglichkeit bewegen könnte. Außerdem würde es sich für einen reformierten Kantor nicht schicken, die Lutherischen Lieder bey dem heyl. Abendmahl abzusingen, und auch sonsten bey hinsingung der öffentlichen leichen 25. Demnach bestanden zwischen beiden Konfessionen weiterhin wichtige Differenzen in der Liedauswahl. Langfristig wurde am Friedrichswerder ein zweiter reformierter Kantor angestellt. Um die Jahrhundertwende trat eine wichtige Änderung bei den Rekordationen, den öffentlichen Singeumzügen in den Straßen, ein. So beschloß der neue Rektor Lange, daß sich
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Der pietistische Kantor Fuhrmann vom Friedrichwerderschen Gymnasium empfahl im Jahre 1728 generell, man sollte die Musik „des Sonntags nach der geschloßnen VesperPredigt verlegen (also lassen auch die Herren Reformirten einiger Orten alsdenn figuraliter musiciren). Und eben also hat auch D. Spener sel. Gedächtniß, in der Haupt-Kirche St. Nicolai zu Berlin die anfenglich in der Hohmeß übliche Figural-Musique in die VesperPredigt verlegt, da denn der Cantor nach geschlossener Predigt zum Final . . . seine Musique alle 14 Tage machet, so lange er will.“ (Fuhrmann, Wag-Schal, S. 40, zit. nach Krickenberg, Kantorat, S. 214, Fußnote 504). 22 Vgl. Müller, Geschichte, S. 12. 23 Vgl. Konsistorialbeschluß vom 11. September 1683 (Bonin, Entscheidungen, S. 60). 24 Bei diesem Streit kam es sogar zu ernsthaften Handgreiflichkeiten: So waren die Werderaner in harte Bedrängnis geraten, als die Bürger der Dorotheenstadt nebst den Stallknechten sich zusammenrottiret gehabt, ihnen das Singen verwehret, sie mit Spiessen und Stöcken angefallen, auf sie losschlagen und die Mäntel ihnen nehmen wollen (Klage des Magistrats vom 18. August 1690. Zit. nach Müller, Geschichte, S. 17). 25 Schreiben des Magistrates an den König vom 21. 3. 1704 (GStA PK, I. HA, Rep. 47, F 12, 2. Paket, Bl. 216). Zum Steit über die Einstellung von Fuhrmann vgl. auch oben, Abschnitt C. IV. 2.
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daran nicht mehr alle Lehrer beteiligen sollten, sondern nur noch der Kantor. Die Schüler, die keinem der drei Friedrichswerderschen Chöre angehörten, sollten während der Rekordationszeit einen ordentlichen Unterricht erhalten. 26 Damit verfolgte der pietistische Reformer Lange das Ziel, seine Schüler von den traditionellen Aufgaben innerhalb der Stadtgemeinde stärker zu entlasten. Im Jahre 1714 wurde die Anzahl der Rekordationen auf jährlich vier festgelegt. 27 Der Trend, die städtischen Singedienste aus dem Schulalltag auszulagern, zeichnete sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts auch am Berlinischen Gymnasium ab. Hier wurde im Jahre 1704 die Kurrende zu einer halb selbstständigen Einrichtung umgebildet, die nun direkt unter der Aufsicht des Berliner Propstes stand. 28 Für die 24 Kurrendaner wurde auf dem Klosterkirchhof ein eigenes Alumnat errichtet. Außerdem schaffte der neue pietistische Rektor Bodenburg im Jahre 1708 die ausgedehnten Festlichkeiten zum Michaelis- und Gregoriustag ab. Die Größe der Cöllnischen Kurrende schwankte in den zwanziger und dreißiger Jahren zwischen 28 und 48 Sängern. 29 In dieser Zeit bemühte sich Rektor Bake darum, auch am Cöllnischen Gymnasium die traditionellen Chorverpflichtungen, welche immer auf Kosten des Schulunterrichts gingen, weiter zurückzuschrauben. Bei Ordinationen neuer Pfarramtskandidaten sollte beispielsweise nicht mehr, wie bisher, der Cöllnische Chor singen, sondern stattdessen vier Konzertisten musizieren. 30 Zugleich kamen nach 1740 neue Aufgaben auf die Chorschüler zu. So wirkten geeignete Mitglieder des Berlinischen Chores an Aufführungen im königlichen Opernhaus mit. Der Aufklärungspädagoge Büsching, der im Jahre 1766 sein Amt als Rektor des neuen vereinigten Berlin-Cöllnischen Gymnasium antrat, versuchte zunächst umsonst, dagegen anzugehen. 31 Dies betraf ebenso die Verpflichtung zum öffentlichen Singen, die auf den besonderen Befehl Friedrichs I. weiterhin erhalten blieb. 32 Allerdings gelang Büsching im Jahre 1778 die 26
Vgl. Müller, Geschichte, S. 23. Vgl. ebd., S. 31. 28 Vgl. Diterich, Schulhistorie, S. 229; Heidemann, Geschichte, S. 188 u. Schwartz, Schulmusik, S. 52. Im sog. Codex Porstianus aus der Zeit des Berliner Propstes Johann Porst war festgelegt, daß der Praepositus über die Currende-Knaben . . . das Directorium haben und dafür sorgen sollte, daß die Gelder in der Wochen richtig aufgeschrieben, nach Michaelis die Kinder gekleidet und die Zahl der Abgegangenen widerum ersetzet werde. Zit. nach Aland, Spener-Studien, S. 205. 29 LAB, A Rep. 020–02, Nr. 47 u. 48. 30 Vgl. Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09, Nr. 82, Bl. 87. 31 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 235. Seit wann dies praktiziert wurde, ist nicht bekannt. Nach einer Zeitungsnotiz von 1911 soll man jedoch später davon abgegangen sein, Kurrendesänger an der Oper einzusetzen, weil man mit ihnen disziplinarische Schwierigkeiten bekam (vgl. LAB, A Rep. 20–02, Nr. 45, Bl. 89). 32 Eine Kommission unter der Leitung des Propstes Spalding hatte im Jahre 1766 im Zusammenhang der Vereinigung der beiden Altberliner Gymnasien auch das Umhersingen auf der Straße abschaffen wollen. Der König versah die Vorschläge der Komission jedoch 27
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Trennung zwischen dem Kantoren- und Lehramt. Die endgültige Ausgliederung der Kurrende aus dem vereinigten Berlin-Cöllnischen Gymnasium sollte erst im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts erfolgen. 33 Neben der liturgisch-musikalischen Ausgestaltung der Gottesdienste und dem öffentlichen Kurrendesingen zählte vor allem die Begleitung von Beerdigungen zu den zentralen Aufgaben der städtischen Gelehrtenschulen. Über die Praxis der Leichenbegängnisse geben die Berlinischen Schulordnungen von Lipstorp, Weber und Bodenburg genauere Auskunft. Generell wurde zwischen funeribus generalibus und specialibus unterschieden. In welcher Größe der chorus symphoniacus die Leichenzüge der „Generalleichen“ begleitete, entschied der Rektor, während die Begleitung der „Spezialleichen“ vom Kantor organisiert wurden. Auch die Schulgesetze des Cöllnischen Gymnasium enthielten genaue Regelungen für die Leichenbegängnisse. Es gab auch hier Generalia, Specialia und Sub-Specialia funera, die von sämtlichen Kollegen, vom Kantor oder nur vom untersten Kollegen, dem Infimus, begleitet werden sollten. 34 Die Tarife reichten von einem Taler für jeden Lehrer bei einer Adelichen Leiche mit der gantzen Schulen bis zu einzelnen Groschen für einfache Begräbnisse. 35 Die Schüler verdienten sich dabei das sogenannte „Stützgeld“, indem sie den Leichenzug mit Stützen begleiteten, auf denen die Sargträger den Sarg unterwegs ablegen konnten. 36 Der Konfessionsunterschied spielte bei Beerdigungen offensichtlich keine Rolle. Die städtischen Schulchöre begleiteten sowohl lutherische als auch reformierte Verstorbene. Allerdings gab es bei der Praxis der Leichenzüge konfessionelle Spezifika. Im Jahre 1682 beschwerte sich der Friedrichswerdersche Magistrat beim Kurfürsten darüber, daß die Cöllnischen Schüler, wenn sie die lutherischen Leichen zum Friedrichswerder begleiteten, kein Holzkreuz vor sich her tragen sollten. 37 Dem stark von Reformierten dominierten Werderschen Magistrat war diese typisch lutherische Sitte offensichtlich ein Dorn im Auge. Die Leichenzüge von besonders vornehmen Persönlichkeiten wurden von allen städtischen Schulen begleitet, wie im Falle des kurmärkischen Statthalters Graf zu Saynmit dem Vermerk: „Das Singen muss bleiben, das Uebrige ist gut. Friedrich“ (zit. nach Heidemann, Geschichte, S. 225). Wie Büsching in einem Werk über Friedrich I. schrieb, habe der König dem Cöllnischen Chor, wenn dieser vor dem Schlosse sang, gern aus dem Fenster zugehört. Vgl. ebd. 33 Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 236. Büsching hatte dies zuvor in einer besonderen Schrift über die Geschichte der Kurrende empfohlen. Vgl. ders., Abhandlung. 34 Leges de Praeceptorum Officio, Art. 55–59 (Album Coloniense, LAB, A Rep. 020–09 Nr. 82, Bl. 12f.). 35 Revidirte und confirmirte Kirchen-Ordnung, wie es in beyden Pfarrkirchen zu Berlin in St. Nicolai und Marien mit den Stühlen, Begräbnissen, Geleuthe und andern künfftig soll gehalten werden (3. November 1649). Mylius, CCM, T. 1, Abt. 2, Nr. 13, Sp. 58ff. 36 Vgl. Schwartz, Schulmusik, S. 53. 37 Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, F 12, 1. Paket, Bl. 237.
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Wittgenstein. 38 Erst recht traf dies auf Mitglieder der Herrscherfamilie zu. Am Leichenbegängnis für die im Jahre 1667 verstorbene Kurfürstin Luise Henriette nahmen selbstverständlich Vertreter aller Berliner Gelehrtenschulen, einschließlich des Joachimsthalschen Gymnasiums, das ansonsten bei Leichenbegängnissen nicht einbezogen wurde, teil. 39 Auch in der Folgezeit waren sämtliche Berliner Schulen an den kurfürstlichen und königlichen Leichenbegängnissen beteiligt. 40 Vom Singen auf Beerdigungen ging man erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts langsam ab. 41 Im Gegensatz zu den städtischen Gelehrtenschulen sahen die Gründungsdokumente des Joachimsthalschen Gymnasiums für die Fürstenschüler deutlich weniger Aufgaben im kirchlich-religiösen Bereich vor. Dies ist zum einen auf die großzügige finanzielle Ausstattung der Fürstenschule zurückzuführen. Die vergleichsweise hohen Gehälter für die Lehrer und die freie Versorgung der Schüler machten zusätzliche Einnahmen durch Kurrendesingen und Leichenbegängnisse von vornherein überflüssig. Zum anderen fehlte es in Joachimsthal an einer repräsentativen Gemeinde, welche auf die musikalischen Dienste der Fürstenschüler hätte zurückgreifen wollen. Zwar sollten die Schüler auch hier im sonntäglichen Gottesdienst singen. Dies diente jedoch vor allem dem Zweck, die Knaben mit den Liedern und geistlichen Gesängen bekannt zu machen. 42 Der Konfessionswechsel führte dabei zu grundlegenden Änderungen 43: Während die Schüler in der lutherischen Zeit die Lieder auf deutsch und die Meßgesänge und Psalmen auf lateinisch gesungen hatten, sah die revidierte Kirchenordnung von 1616 neben deutschen Liedern ausschließlich deutschsprachige Meß- und Psalmengesänge vor. Die deutschen Lieder Luthers wurden vorerst beibehalten. Bei den Psalmen stützte man sich auf den Genfer Psalter in der damals üblichen deutschen Ausgabe von Ambrosius Lobwasser (1515–1585). 44
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Daß es dabei wegen der Rangfolge zwischen beiden Schulen zu Streitigkeiten kam, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt (Abschnitt C. II. 1). 39 Vgl. Kupferstichfolge im GStA PK, BPH 35 R I, Nr. 2a. 40 Dies läßt sich auch anhand der Kupferstichfolgen mit den Leichenprozessionen des Großen Kurfürsten und Friedrichs I. und seiner ersten Frau Sophie Charlotte nachweisen. Am Leichenbegängnis für die Kurfürstin Sophie Charlotte im Jahre 1705 waren 200 (!) Berliner Gymnasiasten, davon 60 Schüler des Joachimsthalschen, 50 Schüler des Berlinischen und je 45 des Cöllnischen und Friedrichswerderschen Gymnasiums, beteiligt. Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 360. Zur Geschichte der Trauerzüge am brandenburgischpreußischen Hof vgl. Komander, Tod. 41 Vgl. Sachs, Musikgeschichte, S. 106. 42 Kirchenordnung des Kurfürsten Joachim Friedrich für Joachimsthal vom 5. Mai 1608 (abgedr. bei Klinkenborg, Archiv, Bd. 1, S. 509f.). 43 Zum folgenden vgl. Geänderte Kirchenordnung des Kurfürsten Johann Sigismund vom 23. April 1616 (abgedr. bei Hering, Verbesserungen, S. 91). 44 Näheres zum Psalmenlied bei Henkys, Kirchenlied, S. 612.
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Mit der Neueinrichtung der Fürstenschule in der Berliner Residenz sollte sich die Situation grundsätzlich ändern. Der jungen reformierten Hofgemeinde kam der Umzug des Joachimsthalschen Gymnasiums in die unmittelbare Nähe des Hofes sehr recht. Während die lutherische Kirchenmusik mit Paul Gerhardt eine besondere Blütezeit erlebte und es an den städtischen Kirchen ein lebendiges Musikleben mit wohlgeübten Knabenchören gab, lag die Kirchenmusik an der Cöllner Domkirche zu diesem Zeitpunkt völlig danieder. Bereits die Einführung der reformierten Konfession durch Johann Sigismund hatte hier „jeder breiteren Musikpflege innerhalb des Gottesdienstes ein Ende“ 45 bereitet. Die besondere Hofkantorei, die seit der Einführung der Reformation am Domstift zu Cölln gesungen hatte, war unter Kurfürst Georg Wilhelm aufgelöst worden. An ihre Stelle sollten nun die Joachimsthalschen Schüler treten. Dies entsprach im besonderen dem Wunsch des neuen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der sich wegen der Neueinrichtung der Kirchenmusik im Jahre 1653 von Cleve aus an das Joachimsthalsche Gymnasium wandte. Dabei legte er explizit fest, daß die Psalmen und Gesänge vierstimmig gesunden werden sollten und darunter neben der Orgel von unsern Musikanten gespielet und von der gantzen Gemeinde mitgesungen werden 46. Anders als dies vom strengen Calvinismus verlangt wurde, wollte der neue Kurfürst im Gottesdienst offensichtlich nicht auf eine polyphone Chormusik und die Begleitung durch die Orgel verzichten. 47 Um die Kirchenmusik am Berliner Dom auf eine neue Grundlage zu stellen, beauftragte Friedrich Wilhelm außerdem den Nikolaikantor Johann Crüger mit der Neubearbeitung eines reformierten Gesangbuches. Dies stellte für den konfessionell gemäßigt eingestellten Crüger offensichtlich kein Problem dar: Schon im Jahre 1658 erschienen seine Psalmodia Sacra mit mehrstimmigen Choralbearbeitungen der Lobwasserpsalmen, die er dem Kurfürsten und seiner Gattin Luise Henriette widmete. 48 Die reformierte Hofgemeinde nahm die Verbesserung der kirchenmusikalischen Situation äußerst positiv auf. 49 Sämtliche Alumnen des Joachimsthalschen Gymnasiums hatten von Beginn an ohne Berücksichtigung des Standes und der Konfession in der benachbarten Domkirche zu singen. 50 In Ermangelung eines 45
Sachs, Musik, S. 56. Zit. nach Sachs, Musik, S. 56. 47 Näheres zu den rund 2000 (!) überlieferten mehrstimmigen Bearbeitungen des Genfer Psalters und seiner Aufführungspraxis im 16. und 17. Jahrhundert bei Jenny, Beitrag. 48 Den Chorälen hatte Crüger außerdem einen fünfstimmigen obligaten Bläserchor beigefügt. Vgl. Fischer-Krückeberg, Lebensgeschichte, S. 59. 49 Im Jahre 1670 betonten die Mitglieder der reformierten Hofgemeinde den Nutzen, den man aus der Existenz der Schule in der Berliner Residenz habe ziehen können. So würde ihnen darin sehr gedienet seyn, daß die Schulknaben im Dom iederzeit mit singen auffwarten. Denn sonst das singen in der Kirchen eben so schlecht als Vormahls würde bestellet werden. (Rationes pro et contra wegen Transferirung der Schule GStA PK, I. HA, Rep 60, 1, 2. Bl. 208). 46
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qualifizierten reformierten Kirchenmusikers wurden sie dabei zunächst von dem Lutheraner Johannes Havemann angeleitet. 51 Nach Havemanns Tod im Jahre 1683 übernahm Gottlieb Peträus, der als ehemaliger Schüler des Cöllnischen Gymnasiums ebenfalls stark von der lutherischen Musikkultur geprägt worden war, für die nächsten vierzig Jahre das Kantorenamt. Laut Lektionsplan von 1692 übten seine Schüler die Psalmenmelodien nach Lobwasser mit Chorsätzen von Johann Crüger und Andreas Hammerschmidt ein. 52 Wie ein anderer Lektionsplan zeigt, umfaßte das von Peträus vermittelte Repertoire nicht nur Psalmengesänge. Auch zweibis vierstimmige Motetten verschiedener italienischer Meister, darunter auch einige mit Instrumentalbegleitung, wurden von den Joachimsthalschen Schülern eingeübt. 53 Sicherlich kann man davon ausgehen, daß diese Stücke später auch im Gottesdienst erklangen. Die bisherige Forschungsmeinung, daß man am Dom schon zu Lebzeiten Friedrich Wilhelms zum einstimmigen Chorgesang zurückgekehrt sei 54, ist auf keinen Fall zutreffend. Erst im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts ließ am Joachimsthalschen Gymnasium das Interesse an der Kirchenmusik nach. Nachdem der Musikunterricht im Jahre 1707 von vier auf zwei Stunden reduziert worden war, nahmen in den folgenden Jahrzehnten besonders die älteren Schüler diese Stunden nur noch freiwillig wahr. Außerdem wurde die bisher allgemein verbindliche Pflicht, 50 Beckmann schreibt, daß von Anfang an in Berlin die jugend zum singen angehalten worden sei; insonderheit damit der gesang im dohm möchte bestellet werden. Und zwar haben alle ohn unterschied so wohl zum singen tüchtigen, als untüchtige, bürgerlichen oder adelichen standes, so viel ihrer das beneficium genossen, in der öffentlichen singestunde erscheinen, oder einer strafe gewärtig sein müssen. Wie sie denn auch alle, ohne unterschied des standes und der religion im dohm sich stellen mußten, und sowohl die ausbleibende als die spätkommende bestrafet wurden. Beckmann, Nachrichten, Bl. 220. Zur Existenz eines besonderen Schüler-Chors, von dem aus die Joachimsthalschen Schüler im Dom sangen, vgl. ebd., Bl. 102. 51 Über das damalige Repertoire des Joachimsthalschen Chores gibt eine Sammlung italienischer Meister (darunter Monteverdi, Finatti und Rovetta) Auskunft, die Havemann im Jahre 1659 herausgegeben hat. Vgl. Sachs, Musik, S. 162. Ob seine deutsche Nachdichtung von Bibelsprüchen, die im Jahre 1684 unter dem Titel Kreutz-Klage und Göttlicher Trost, Das ist Biblisches Gespräch eines in Noth, Kreutz und Elend steckenden Christen erschien, der Text zu einer „Art Oratorium“ (Schneider, Geschichte, S. 215) gewesen war, das im Dom zur Aufführung gekommen ist, oder eine ausschließlich „poetische Arbeit“ (Sachs, Musik, s. 163), muß offenbleiben. 52 Primanos cum Secundanis conjunctos in Melodiis Psalmorum Davidis, prout eos Lobwasserus germanicis Rhythmis expressit, cum annexis Crugeri & Hammerschmidii Mutetis, sedulo exercet: in eum finem, ut in Coetu Ecclesiae publico, cum Psalmi isti canuntur, non muti & elingves adstent. Gymnasmata Lectionum, o. S. 53 In Musicis, compositas a variis iisque optimis Italicis Auctoribus, duarum, trium & quatuor Vocum Motetas, adhibitis simul Instrumentis, cum Primanis & Secundanis exercui & aeque ac antea, pro ratione temporis occasitionibusque, seorsim etiam, Instrumentalis Musicis amatoribus, opellam meam addixi. Gymnasii Electoralis, o. S. 54 Vgl. Sachs, Musik, S. 59.
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im Gottesdienst zu singen, aufgehoben. Dies ist wie an den städtischen Schulen vor allem auf die zunehmende Differenzierung der Curricula in der Zeit der Frühaufklärung zurückzuführen, welche weniger Raum für eine musikalische Bildung ließ. Zum anderen mag der in königlicher Zeit gestiegene Anspruch der Fürstenschule, auch eine Standesschule für den Adel zu sein, die liturgischen Verpflichtungen stärker an den Rand gedrängt haben. Nach der Einschätzung Beckmanns hat es gleichwohl doch selten, oder niemahls unter den jungen leuten an liebhabern der music gefehlt, und hats noch immer einen gegeben, welcher Praecentor in den behtstunden und bei tische sein können. 55 Wie die Bestallungsurkunde des Nachfolgers von Peträus, Johann Friedrich Scheid, zeigt, mußten die Kantoren dagegen weiterhin nicht nur beim Gottesdienst in der Domkirche, sondern auch wenn es erfordert wird, in der Königl. Capelle und Gemächer in denen gewöhnlichen Tagen und Zeiten mit Vorsingung des Gesangs fleißig und ordentlich aufwarten 56. Diese Aufgabe zeigt noch einmal, welche wichtige Stellung den Kantoren des Joachimsthalschen Gymnasiums im geistlichen Leben der Herrscherfamilien zukam. Am Collège der Hugenotten stellte sich die Situation völlig anders dar. Während an den deutschen Gelehrtenschulen die musikalischen Aufgaben im Kirchenregiment erst im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts an Bedeutung verloren, kamen dem Collège im kirchlich-religiösen Leben der französischen Hugenottengemeinde von Beginn an keine besonderen Aufgaben zu. Dies ist ursächlich auf den Charakter des französisch-reformierten Gottesdienstes zurückzuführen, in dem man sich auf das Singen der Psalmen beschränkte und jede Mehrstimmigkeit verboten war. Tatsächlich war in den Lehrplänen des Collège kein Musikunterricht vorgesehen. Erst im Jahre 1704 wurde am Collège ein Maitre de Musique eingestellt, der zugleich das Amt des Lecteur et Chantre de l’Eglise innehatte und in den Gottesdiensten der Hugenottengemeinde auch als Vorsänger tätig war. 57 Lange blieb der Musikunterricht am Collège jedoch nicht erhalten. 58 Offensichtlich empfand man dies später als Mangel, denn das Inspektorenkollegium bemühte sich im Jahre 1730 beim Geheimen Rat um die Neueinstellung eines Kantors. Der Antrag wurde jedoch wegen Etatknappheit abgelehnt. 59 Daß die Schüler des Collège in der Hugenottengemeinde liturgische Aufgaben erfüllten, ist nicht nur wegen der fehlenden musikalischen Ausbildung unwahrscheinlich. Auch die geringe Anzahl der Schüler mag die Aufstellung eines Chores unmöglich gemacht haben. Darin unterschied sich das Collège nicht nur von den städtischen Gelehrtenschulen, sondern auch vom Joachimsthalschen Gymnasium. Die Tatsache, daß 55 56 57 58 59
Beckmann, Nachrichten, Bl. 221. BLHA, Rep. 32, Nr. 122, Bl. 5. GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 150f u. 175. Vgl. Erman, Mémoire, S. 124. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 122. 7 a II. Nr. 1, Vol. 1, Bl. 229f.
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man in der Hugenottengemeinde langfristig ohne einen qualifizierten Knabenchor auskam, verweist zugleich auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Berliner Konfessionskulturen. 60 2. Verbreitung und Praxis des Schultheaters Die öffentliche Aufführung von Theaterstücken zählte neben dem Chorgesang zu einem weiteren Bereich der städtischen Alltagskultur, für welchen im Besonderen die Gelehrtenschulen zuständig waren. 61 Die Anfänge des Schultheaters werden in Berlin auf die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts datiert. 62 Seit der Einführung der Reformation entwickelte sich das Schultheater wie in anderen lutherischen Territorien immer mehr zu einer festen Institution. 63 Dies geschah ganz im Sinne des Wittenberger Reformators, der das Spielen von Komödien aus zweierlei Gründen für gut geheißen hatte: Zum einen sollten die Schüler den freien Vortrag in der lateinischen Sprache üben und zum anderen könnte der Zuhörer erinnert und vermahnet werden, was einem Knecht, Herrn, jungen Gesellen und Alten gebühre, wol anstehe, und was er thun soll 64. Neben der auf die Schülerschaft gerichteten pädagogisch-didaktischen Intention und der auf das Publikum zielenden moralischen Belehrung spielten bei der Ausbreitung des Schultheaters auch Präsentations- und Schaubedürfnisse eine Rolle. So boten die szenischen Actus, zu denen nicht nur die Eltern, sondern auch die städtischen Honoratio-
60 Später wurde die Begleitung des Gemeindegesangs von einzelnen Knaben der französischen Gemeindeschulen geleistet. Im Jahre 1723 unterstützten beispielsweise 6 Chorkinder den Kantor der französischen Friedrichstadtkirche mit ihrem Psalmengesang. Vgl. Birnstiel/Reinke, Hugenotten, S. 144, Fußnote 41. 61 Einen guten Überblick über das Schultheater im Humanismus und Barock bieten Maassen, Drama und vor allem Brauneck, Welt, Bd. 1, S. 538–553 u. Bd. 2, S. 358–412. Dem Schultheater als Teil des schulischen Eloquentia-Betriebs widmet sich außerdem Barner, Barockrhetorik, S. 302–320. 62 Vgl. Gudopp, Aufführungen, S. 4. Die Behauptung von Plümicke (ders., Entwurf, S. 23), daß bereits im 14. Jahrhundert von Klosterschülern in Berlin Dramen aufgeführt worden seien, wird hier von Gudopp widerlegt. 63 Das Schultheater war zunächst vor allem eine Erscheinung im lutherischen Bereich. Zu Hochburgen des protestantischen Schultheaters entwickelten sich vor allem Mitteldeutschland (Sachsen-Thüringen) und das Elsaß (Straßburg). Jedoch führte man auch an einigen Orten der calvinistischen Schweiz (Basel und Zürich) Schuldramen auf. Später entwickelte sich Schlesien (Breslau) zu einem weiteren Zentrum des protestantischen Schultheaters. Das katholische Schultheater blühte erst seit dem späten 16. Jahrhundert mit der Ausbreitung der Jesuitenschulen auf. (vgl. Brauneck, Welt, Bd. 1, S. 547 u. Bd. 2, S. 361). Zum Schultheater im sächsisch-thüringischen Raum und speziell in Freiberg im 17. Jahrhundert vgl. Hünecke, Schuldramen, S. 482–492. 64 Luther, Tischreden, Bd. 1, S. 431.
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ren eingeladen wurden, eine willkommene Möglichkeit, der residenzstädtischen Öffentlichkeit über Können und Fortschritte der Schüler Rechenschaft abzulegen und das eigene Prestige zu heben. 65 Umgekehrt befriedigte das Schultheater die Unterhaltungsbedürfnisse der städtebürgerlichen Bevölkerung. Darüber hinaus hatten die Aufführungen auch einen finanziellen Nebeneffekt, dienten doch die Eintrittsgelder als zusätzliche Einnahmequelle. Wie bereits erwähnt, gehörten von Beginn an die antiken Stücke des Terenz zum Repertoire der Altberliner Gymnasien. 66 Darüber hinaus kamen jedoch auch eigene Bearbeitungen antiker und biblischer Stoffe zur Aufführung. Im Zeitalter der Reformation boten die alt- und neutestamentlichen Parabeln die wichtigste stoffliche Vorlage für eine Vielzahl neuer Dramata sacra. Entgegen dem reformatorischen Trend, auf die großen heilsgeschichtlichen Ereignisse der Geburt, Passion und Auferstehung Christi zu verzichten 67, hielt man in Berlin auch nach der Einführung der Reformation mit besonderer Vorliebe an solchen Themen fest. Im Jahre 1541 kam am Cöllnischen Gymnasium beispielsweise ein schönes und nützliches Stück von der lieblichen Geburt unseres Herrn Jesu 68 zur Aufführung. Die öffentlichen Passionsdarstellungen, die in Berlin traditionell am Palmsonntag gebräuchlich waren und an denen sich auch Berliner Schüler beteiligten, wurden erst unter Kurfürst Joachim Friedrich abgeschafft. Da ihm und seinen theologischen Beratern die geistlichen Schaustellungen zu stark in der Tradition der altkirchlichen Mysterienspiele verhaftet schienen, fielen sie der großen Liturgiereform von 1598 zum Opfer. 69 Während das Schultheater anfangs in der Fastenzeit und am Gregoriustag stattgefunden hatte, wurde am Berlinischen Gymnasium bald der Stiftungstag der Schule zum wichtigsten Anlaß für dramatische Aufführungen im ehemaligen Franziskanerkloster. Obwohl im dortigen Auditorium ausreichend Platz zur Verfügung stand, kam es auch im Berlinischen Rathaus zu szenischen Vorstellungen. Das Cöllnische Gymnasium wich für seine Schultheateraufführungen sogar regelmäßig auf das Cöllnische Rathaus aus. Dafür erhielten die Lehrer vom Rat eine „Entschädigung“ gezahlt. Später gingen die Schulen generell dazu über, von den Zuhörern Spenden einzusammeln. Von besonderem Interesse ist die Nachricht, daß im Jahre 1603 Cöllnische Schüler vor Ihre Churfürstl. Gnaden im Schlosse eine Comödie agiret 70 hätten. Offensichtlich griff man zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch bei Hofe auf das schauspielerische Können der städtischen
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Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 292. Vgl. oben, Abschnitt E. II. 2. Vgl. Brauneck, Welt, Bd. 1, S. 538. Gudopp, Aufführungen, S. 5. Vgl. Schwebel, Schuldrama, S. 242. Zit. nach Gudopp, Aufführungen, S. 5.
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Gelehrtenschulen zurück. Dieser Situation sollte der Dreißigjährige Krieg ein vorläufiges Ende bereiten. In den Jahren 1623 und 1629 verbot Kurfürst Georg Wilhelm wegen des Kriegsgeschehens nicht nur jegliches Musizieren, sondern auch das Schultheater. 71 Als unter dem neuen Kurfürsten Friedrich Wilhelm dieses Verbot wieder aufgehoben wurde, blühte das Schultheater an den beiden städtischen Gelehrtenschulen neu auf. Das erste Stück, welches Gott vornehmlich zu Ehren, der lieben Jugend zum Besten und der löblichen Bürgerschafft zu sonderbaren Gefallen 72 im Cöllnischen Rathaus zur Aufführung kam, war der Friedenssieg von Justus Georg Schottelius (1612–1676), anläßlich der Feiern zum Westfälischen Frieden. 73 Der Aufwand, der für das Schultheater getrieben wurde, nahm in dieser Zeit zu. So suchte man, die Attraktivität der Aufführungen durch musikalische Einlagen und komische Szenen zu erhöhen. 74 Durch Inhaltsangaben in deutscher Sprache wurde es auch denjenigen, die kein Latein verstanden, möglich gemacht, den Stücken zu folgen. Außerdem ging man in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts häufig dazu über, ein und dasselbe Stück an einem Tag in lateinischer und am anderen für ein größeres Publikum in deutscher Sprache aufzuführen. Wie bereits dargestellt, brachten die von der deutschen Sprachbewegung erfaßten Gelehrtenschullehrer verstärkt auch eigene Stücke in der deutschen Muttersprache zur Aufführung. Neben Schirmer taten sich dabei vor allem Bödiker und Frisch hervor, unter denen das deutschsprachige Schultheater in Berlin seinen Höhepunkt erreichen sollte. 75 Daneben lassen sich im Laufe des 17. Jahrhunderts auch inhaltliche Verschiebungen feststellen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde an den lutherischen Gymnasien der Stadt zunächst vor allem das geistliche Drama gepflegt. Rektor Spengler brachte in den vierziger Jahren am Berlinischen Gymnasium mehrere solcher Stücke zur Aufführung, darunter ein Drama Sacrum quod Lapsum Adamiticum und ein Exercitium scholasticum de nativitate Jesuli. 76 Auch das erste deutsche Stück des dortigen Konrektors Schirmer, Der verfolgete David, nahm sich eines biblischen Stoffes an. 77 Wie der oben geschilderte „Fall Rösner“ am Berlinischen Gymnasium zeigt, geriet das religiöse Schultheater in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts in die heftigen Auseinandersetzungen zwischen 71 Vgl. Sachs, Musik, S. 51. Nach Gudopp wurde das Theaterverbot am Berlinischen Gymnasium nur für eine kurze Zeit tatsächlich eingehalten. Vgl. ders., Aufführungen, S. 8. 72 Aus der Einladungsschrift von Subrektor Höpner zit. nach Küster, Memorabilia, S. 52. 73 Vgl. Plümicke, Entwurf, S. 47f. 74 Für Stücke des Berlinischen Prorektors Samuel Rosa hat beispielsweise der damalige Nikolaikantor Koch die Musik komponiert. Vgl. ebd., S. 52. 75 Vgl. oben, Abschnitt E. II. 3. 76 Vgl. Gudopp, Aufführungen, S. 8. 77 Schirmer, David.
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lutherischer Orthodoxie und reformierter Landesherrschaft. In der konfessionell gespannten Situation erregte das am Gymnasium zum Grauen Kloster präsentierte Passionsspiel die massive Kritik der reformierten Obrigkeit. 78 Das harte Vorgehen der reformierten Konsistorialräte muß vor allem darauf zurückgeführt werden, daß man von refomierter Seite die Anknüpfung an die besonderen altkirchlichen Traditionen des brandenburgischen Luthertums endgültig unterbinden wollte. Die öffentliche Schulbühne sollte auf keinen Fall lutherisch-orthodoxen Positionen als Plattform dienen. Dieser Konflikt bildetete dann auch den „tragischen Abschluß“ 79 des geistlichen Schuldramas in Berlin. Tatsächlich traten in den letzten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts biblischreligiöse Stoffe zugunsten von historisch-patriotischen Stoffen stärker in den Hintergrund. Auf ein gestiegenes historisches Interesse verweisen eine Vielzahl von Dramen aus der alten Geschichte. Außerdem rückten zeitgeschichtliche Ereignisse, wie die Türkenkriege und die Belagerung von Wien, in den Blick der Berliner Dramendichter. 80 Das Vordringen der Truppen Ludwigs XIV. im Westen des Reiches bis zum Rhein verarbeitete Bödiker 1689 in seinem Stück vom Klagenden und getrösteten Rhein. Der Berlinische Subkonrektor Peter Bredow hatte bereits 1670 ein nationales Schulspiel vom Triumph Germanias über die Barbarei nach dem Vorbild des Hamburger Dramatikers Johann Rist (1607–1667) verfaßt. Auch größere außenpolitischen Erfolge Brandenburgs, wie die Einnahme Stettins im Jahre 1677, wurden am Berlinischen Gymnasium mit besonderen dramatischen Actus bedacht. 81 Eine patriotische Gesinnung drückte sich auch darin aus, daß am Geburtstag des Kurfürsten und anderer Mitglieder des Herrscherhauses Festvorstellungen gegeben wurden. So ließ der Berlinische Subrektor Samuel Rosa im Jahre 1671 anläßlich des Geburts- und Namenstages des Kurprinzen Carl Emil ein allegorisches Stück vom Tapfferen und sieghafften Alexander aufführen. 82 Zum Tode des Großen Kurfürsten veranstaltete Bödiker am Cöllnischen Gymnasium einen Actus tragicus de obitu et exequiis potentissimi principis Augusti Nestoris, in dem er den Tod und das Leichenbegängnis des verstorbenen Kurfürsten thematisierte, es jedoch in das homerische Zeitalter verlegte. Dies zeigt, daß die
78
Vgl. oben, Abschnitt C. I. 2. Gudopp, Aufführungen, S. 10. 80 Vgl. Plümicke, Entwurf, S. 56f. 81 Madeweis, Triumph-Geschütz. 82 Offensichtlich fanden diese Theateraufführungen beim städtischen Publikum einen großen Zuspruch. In dem Festprogramm vermerkte Rosa, daß der Prolog und der Epilog auf die kurfürstliche Herrschaft bezug nehmen werde, dannhero derjenige, so zur unterthänigsten Devotion gegen Dieselbige erscheinen wil, stracks zu anfang dar seyn und bis zu Ende auswarten muß. Wer aber nicht alsbald im Anfang dar seyn kan, der wird belieben, durch einen Diener ihm einen Platz bei Zeiten praeoccupiren und verwahren zu lassen. Zit. nach Gudopp, Aufführungen, S. 17. 79
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konfessionelle Differenz der Verehrung des Herrscherhauses keinerlei Abbruch mehr tat. Ungeachtet dieser Blüte des Schultheaters wurden im ausgehenden 17. Jahrhundert die Stimmen immer lauter, die eine Abschaffung der dramatischen Actus forderten. Vorgetragen wurde diese Forderung vor allem von pietistischen Theologen und Lehrern, die hier die Gefahr sittlicher Verwahrlosung und Abkehr von Gott durch „weltliche Lüste“ befürchteten. Anders als der Schulreformer Weise, dem das Schultheater und das Sich-Aufführen als konstitutives Mittel zur Heranbildung des homo politicus galt, zielten die Pietisten allein auf die Ausbildung des „inwendigen Christentums“. 83 Als erster wandte sich der Cöllnische Subrektor Georg Grabow am Ende der siebziger Jahre gegen das Schultheater. 84 Seiner Meinung nach würden dabei Unfläterey, schändliche Worte, Narretheidungen und Schertz, und vieles andere, was die heilige Schrift allen verbeut und untersaget 85, verbreitet. Problematisch waren dem Spener-Freund nicht nur die heidnische(n) Hurenjäger und Schandlappen Ovidius, Terentius und Virgilius, sondern auch die närrische Christ-Comoedie als einem Werk der geistliche(n) Finsterniß. 86 Wie die Reformierten stießen sich die lutherischen Pietisten vor allem am geistlichen Drama, weil es religiöse Inhalte auf spielerische Weise darbot und mit Verkleidungen arbeitete. Als problematisch wurde insbesondere aufgefaßt, daß man Christus in sichtbarer Gestalt auftreten ließ. Als Berliner Propst wandte sich auch Spener gegen das Komödienspiel. Seine Kritik zielte dabei vor allem auf das professionelle Schauspiel durch fahrende Komödianten, wie es wenige Jahre zuvor in Berlin Einzug gehalten hatte. 87 Dem Schultheater stand er nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. 88 Dies betraf auch Frisch, der trotz einer pietistischen Prägung noch im Jahre 1700 einen dramatischen Actus für seine Schüler verfaßte. 89 Erst nach dem Amtsantritt des älteren Bodenburg im Jahre 1708, brach man am Berlinischen Gymnasium endgültig mit der Tradition des Schultheaters der lutherisch-orthodoxen Zeit. An die Stelle von szenischen traten nun ausschließlich rhetorische Actus. Wann man am Cöllnischen Gymnasium mit dem Schultheater brach, läßt sich nicht eindeutig festlegen. Auf jeden Fall war der pietistische 83 Zur theologischen Kritik am Schultheater vgl. Hövel, Kampf u. Thomke, Kritik. Ausführlich zu den Argumenten der pietistischen Theatergegner, insbesondere des Pietisten Gottfried Vockerodt, bei Martens, Officina. 84 Näheres zu Grabow vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 165–173. 85 Grabow, Urtheil, S. 12f. 86 So Grabow in zwei Schriften aus dem Jahre 1679. Zit. nach Noack/Splett, BerlinCölln 1640–1688, S. 166f. 87 Auszüge aus einer Bittschrift Speners an den König aus dem Jahre 1703, das Komödienspiel im Berlinischen Rathaus zu unterbinden, finden sich bei Plümicke, Entwurf, S. 77. Vgl. auch Grünberg, Spener, Bd. 1, S. 357. 88 Vgl. Martens, Officina, S. 191. 89 Frisch, Unsauberkeit.
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Konrektor Rubin, der hier seit 1709 tätig war, ein leidenschaftlicher Gegner des Schultheaters. 90 Ganz im Gegensatz zu dem an den lutherischen Schulen stark ausgeprägten Schultheater waren an den reformierten Schulen dramatische Actus kaum zur Aufführung gekommen. Dies ist auf die generelle theaterkritische Haltung des Calvinismus zurückzuführen, wie sie sich seit der Synode von Dordrecht (1618/ 19) weitgehend durchgesetzt hatte. 91 An der landesherrlichen Fürstenschule hatte man nur in der Zeit vor der Einführung der „zweiten Reformation“ Komödien aufgeführt. 92 Für die Berliner Zeit sind nur zwei Aufführungen bekannt, an denen Joachimsthalsche Schüler mitwirkten. Diese Komödien wurden auch nicht in der Schule, sondern im kurfürstlichen Schloß dargeboten. 93 Offensichtlich standen die Berliner Reformierten dem Theater als einem Teil höfischer Kultur weniger ablehnend gegenüber. 94 Mit der Herausbildung der königlichen Hofoper und eines professionellen Schauspielerstandes sollte dann im 18. Jahrhundert jegliche Unterhaltungsfunktion der Fürstenschule überflüssig werden. Auch an der
90 In den Zufaelligen Anmerckungen von 1718 veröffentlichte Rubin einen Artikel darüber, was von Comödien in christlichen Schulen zu halten sei. Hier wiederholen sich die bekannten Argumente: der Ursprung sei heidnisch und unchristlich und Komödien deshalb Wercke der Finsternis. Man sehe dort Frechheit, Hoffart und Uppigkeit, so daß alle Zucht und disziplin, so man bey der Schul-Information eingepflantzet, bey Seite gesetzet und den Schülern nicht Tugenden sondern Laster eingeflößt würden (Rubin, Comödien, S. 473f.). Ein besonderes Licht auf das Menschenbild, welches dieser Theaterkritik zugrunde lag, wirft der folgende Satz: Junge Leute sind ja ohnedem von Natur zum Bösen geneigt, sie sind wie ein Zunder, welche das Böse, so sie selbst repraesentiren müssen, bald auffangen und zu ihrer Seelen Verderben einnehmen. Sie sind wie ein Wachs, darin die Laster eher als die Tugenden bekleben bleiben. Man darff ihnen das Böse und unartige nicht vormahlen und zu repräsentiren geben (ebd., S. 478f.). Die mit Theaterspielen unnütz verbrachte Schulzeit müsse man deshalb zugunsten des Unterrichts einsparen. 91 Einer der führenden Kritiker am Theater und Drama, das bisher in der calvinistischen Schweiz noch geduldet wurde, war der Zürcher Theologe Jacob Breitinger (1575–1645). Breitinger wandte sich in Dordrecht nicht nur gegen die heidnischen Komödien, sondern besonders gegen Bibeldramen und Märtyrerspiele. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein blieb das Theaterverbot in der Eidgenossenschaft erhalten. Vgl. Thomke, Drama, S. 395–397. 92 Nach einem autobiographischen Bericht von 1648 wurden unter dem lutherischen Rektor Baumann in Joachimsthal die schönsten Comödien auss dem Plauto, Aristophane und Terentio . . . dem Auditorio präsentiret, dazu sich zuweilen vornehme spectatores, auch wol von Hofe auss, funden. (Schultze, Gartenlob, S. 10. Zit. nach Gudopp, Aufführungen, S. 6.) 93 Eine davon wurde unter Vechner im so genannten großen saal im Chfl. Schloße aufgeführt. Außerdem sollen einige Joachimsthalsche Schüler im Jahre 1708 zu der vor S. K. Mth. Friedrich dem I. bei gelegenheit des beilagers vorgestellten comödie gezogen worden sein (vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 239). 94 Generell kann man feststellen, daß auch an anderen reformierten Höfen im Reich, wie beispielsweise in Hessen-Kassel und in der Pfalz, das Theater keineswegs verboten war, sondern weiter gut gedieh. Vgl. Thomke, Drama, S. 394.
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zweiten landesherrlichen Schule, dem Collège der Hugenotten, wurde das Schultheater nur kurzzeitig praktiziert. Im Jahre 1700 hatte Chauvin die Aufführung einer Komödie von Molière veranlaßt. Wegen der Tatsache, daß er die Knaben als Frauen verkleidet auftreten ließ, handelte er sich daraufhin bei seinen orthodoxen Kollegen im Französischen Konsistorium ein Untersuchungsverfahren ein. 95 Danach fanden hier Schultheateraufführungen offenbar nicht mehr statt. Am Friedrichswerderschen Simultaneum wurden von vornherein keine dramatischen Actus aufgeführt. 96 Nicht nur die reformierten Rektoren, sondern vor allem der lutherische Pietist Lange standen dem Schultheater kritisch gegenüber. In der Vorrede zu seiner lateinischen Grammatik schreibt Lange: die dramatischen Aufzüge sind nichts nütze, ja höchst schädlich; sonderlich wie sie heut zu tage und insgemein gebrauchet werden. Comödianten und homiletische Kunst- Gunstund Dunstredner kann man dadurch wol ziehen, aber keine weise und ernsthafte Oratores, sonderlich ecclesiasticos 97. Später äußerte sich auch der Friedrichswerdersche Kantor Fuhrmann in mehreren polemischen Abhandlungen negativ zum Schultheater. 98 Die Bemühungen gegen das Schultheater hatten unter dem neuen König Friedrich Wilhelm I. einen durchschlagenden Erfolg. Im Jahre 1718 wurden auf königlichen Befehl an allen Schulen Brandenburg-Preußens Comoedien und Actus dramatici verboten, dadurch nur Kosten verursachet und die Gemüther vereitelt werden 99. Von diesem Schlag sollte sich das Berliner Schultheater nicht mehr erholen. Zwar veranstaltete man gleich nach dem Tode Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1740 am Berlinischen Gymnasium wieder einen dramatischen Actus, zu weiteren Vorstellungen sollte es jedoch nicht mehr kommen. Am Cöllnischen Gymnasium kamen die letzten Theaterstücke in den fünfziger Jahren zur Auf führung. 100 Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, daß sich gegenüber der Zeit des Barock ein deutlicher Geschmackswandel vollzogen hatte. Seitdem für die Befriedigung der städtischen und höfischen Schaubedürfnisse ein professioneller Schauspielerstand zur Verfügung stand, waren die Ansprüche des Publikums deutlich gestiegen. 101 Darüber hinaus lehnte man es auch von Seiten der 95 Hinweise auf diesen Fall finden sich in den Actes du Consistoire de l’Eglise françoise reformée de Berlin im AFG, Rep. 04, I, 2, Bl. 453f. 96 Vgl. Plümicke, Entwurf, S. 83. 97 Lange, Grammatica, S. 30. In einer früheren Auflage seiner Grammatik kritisiert Lange an dieser Stelle explizit das rhetorische Bildungskonzept des Zittauer Schuldirektors Weise. Vgl. Horn, Weise, S. 183. 98 Dabei bediente er sich des Pseudonyms Marco Hilario Frischmuth. Näheres dazu bei Plümicke, Entwurf, S. 79–83. Vgl. auch Wendland, Kirchengeschichte, S. 114. 99 Königliche Verordnung wegen der studirenden Jugend vom 30. September 1718. Zit. nach Martens, Officina, S. 186. 100 Vgl. Damm, Bürgschaft u. ders., Rachis. 101 Allgemein dazu Barner, Barockrhetorik, S. 318.
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Aufklärungspädagogik ab, die Schüler durch oratorische und dramatische Actus übermäßig zu beanspruchen. 102 Wie im Falle der Kirchenmusik läßt sich demnach auch beim Schultheater während der ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein Funktionswandel beobachten. In der Zeit der Frühaufklärung und des Pietismus verloren die Berliner Gelehrtenschule ihre Monopolstellung bezüglich der städtischen Theaterkultur. Dies betraf besonders die lutherischen Gelehrtenschulen, an denen in der Zeit der lutherischen Orthodoxie das Schultheater ebenso wie die Chormusik in besonderem Maße gepflegt worden war. 3. Die außerschulische Wirksamkeit von Schülern und Lehrern als Privaterzieher Auch auf pädagogischem Gebiet erfüllten die Berliner Gelehrtenschulen besondere Funktionen innerhalb der städtischen Alltagskultur. Zum üblichen Broterwerb gehörte für unbemittelte Knaben nicht nur das Kurrendesingen, sondern auch die Tätigkeit als sogenannter „Pädagoge“. Dabei kümmerten sich fortgeschrittene Gymnasialschüler gegen freie Kost und Logis um die kleineren Söhne wohlhabender Bürger. Dies ermöglichte vor allem Schülern von außerhalb und aus weiter entfernten Territorien, ihren Aufenthalt in der Berliner Residenz zu finanzieren. Zugleich konnten die jugendlichen Hauslehrer erste Erfahrungen auf pädagogischem Gebiet sammeln. Wie dies auch in anderen protestantischen Schulordnungen der Fall war, waren Aufgaben und erzieherische Pflichten der Pädagogen in den erhaltenen Schulordnungen der beiden Altberliner Gymnasien genau verankert. 103 Den Paedagogis des Berlinischen Gymnasiums wurde aufgetragen, die anbefohlne Knaben mit aller Treue zu unterweisen, mit gutem Exempel zu erbauen, zur Kirche und Schule zu führen, im Catechismo zu üben und bey jedem GlockenSchlag beten zu lassen 104. Außerdem sollten sie mit den ihnen anvertrauten Knaben die Schullektionen zu Hause nochmals durchgehen. Dies bedeutet, daß die Pädagogen keinesfalls den Schulbesuch der Knaben überflüssig machen, sondern nur für die häusliche Nachhilfe da sein sollten. Zuweilen sollten sie auch in der Haushaltung hülfliche Hand leisten. Allerdings durften die Gasteltern oder Hospites die Paedagogos nicht als Haus-Knechte und Tagelöhner, sondern nur als Schüler und Anführer ihrer Kinder behandeln. Umgekehrt sollten die Pädagogen
102 Die zeitraubenden öffentlichen Redeübungen und Schulactus wurden von Büsching im Zuge der Vereinigung der beiden Altberliner Gymnasien im Jahre 1767 generell abgeschafft. Vgl. Heidemann, Geschichte, S. 234. 103 Allgemein zur Rolle der „Pädagogen“ in den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts vgl. Kreiker, Armut, S. 190ff. 104 Schulordnung des Berlinischen Gymnasiums von 1577. Zit. nach Diterich, Schulhistorie, S. 66.
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ihren Herren und Frauen als einheimische Kinder ihren Eltern gehorsam sein. Auch die späteren Schulgesetze von Lipstorp aus dem Jahre 1591 ermahnten die Pädagogen, sich gegenüber ihren Hospites ehrfürchtig zu verhalten. 105 In den Schulgesetzen des Cöllnischen Gymnasiums war dem Amt des Pädagogen sogar ein besonderer Abschnitt gewidmet. Dies verweist darauf, daß es sich dabei offensichtlich um eine weit verbreitete Praxis gehandelt haben muß. 106 Die Cöllnischen Regelungen entsprachen im wesentlichen denen des Berlinischen Gymnasiums: Die Pädagogen sollten die ihnen anvertrauten Knaben zur Schule und Kirche begleiten. Wenn sie mit den Knaben die Lektionen wiederholten, sollten sie keine Lehrgegenstände als die behandeln, welche zuvor in der Schule getrieben worden seien. In der Schule gegenüber ihren Knaben einzuschreiten, gehörte nicht zu den Pflichten der Pädagogen. Wichtig war vor allem eine gute Disziplin: Den Bürgern gegenüber, die ihnen freien Unterhalt gewährten, hatten sich die Pädagogen respektvoll zu benehmen. Abends sollten sie nicht länger als bis neun Uhr ausbleiben und keine Mitschüler in die Hospitiis mitnehmen. Daß der Schulbesuch durch auswärtige Schüler in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den in der Berliner Residenz vorhandenen privaten Unterkünften stand, zeigt eine Eingabe der Berlinischen Lehrer aus den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Als wichtiger Beschwerdepunkt wurde dabei von Rektor Rango und seinen Kollegen angeführt, daß es in der Stadt so viele Privatlehrer gäbe, welche die Pädagogen als Betreuer der Bürgerkinder überflüssig machten. Den superioris Classes auditoribus würden damit die hospitia verloren gehen, ja, durch einen praeceptorem privatum werden 2, 3, 4 Hospitia abgeschnitten. Es seien noch diese tage 2 unangegeben davon gezogen, weil sie keine Hostpitia haben erhalten können. Was ist denn Wunder, das unsere benke einmahl lehr bleiben werden. 107 Diese Befürchtung Rangos sollte sich vorerst allerdings nicht bewahrheiten. Wie ein Blick auf die Immatrikulationen seines Nachfolgers Weber zeigt, kamen in den folgenden Jahrzehnten fast drei Viertel der dortigen Schüler von außerhalb. 108 Da die Anzahl der Plätze in der Schülerkommunität gering war, müssen sich viele dieser Schüler als Pädagogen in der Stadt verdingt haben. Dies ist ebenso am Cöllnischen Gymnasium der Fall, wo bis zur Jahrhundertwende zwei Drittel der Schüler nicht aus der Residenz stammten. 109 Seit dem Umzug der Fürstenschule in die Berliner Residenz waren neben den Schülern der städtischen Gymnasien auch Joachimsthalsche Schüler als Päd105
Caput II: De Reverentia erga superiores & praeceptores. Lipstorp, Leges, o. S. De paedagogum officio, Art. 1–13. In: Album Coloniense, LAB A Rep. 020–09, Nr. 82, Bl. 28–30. 107 Capita Gravaminum Generalium Gymnasij Berlinensis. ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 58. 108 Vgl. oben, Abschnitt D. III. 3. 109 Vgl. ebd. 106
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agogen in Berliner Familien tätig. Bei den Verhandlungen mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. wegen der Rückverlegung der Fürstenschule nach Joachimsthal führte dies die Reformierte Gemeinde als besonderen Standortvorteil an. 110 So könnten sich die Schüler in Berlin bei feinen, auch vornehmen Leuten aufhalten. Armen Studierenden würde in der Stadt dadurch geholfen, daß sie hier durch Unterrichten etwas zu ihrer Nothdurft hinzuverdienen und mit vornehmen Patronos . . . welche ihnen ferner auf Universitäten verhelffen, und sie nachmahls in gewieße Ämbter und Dienste unterbringen können 111 in Kontakt kommen. Umgekehrt würde den Refomirten Einwohnern, so nunmehr in Cölln und Berlin sich mercklich mehren . . . großer dienst damit geschehen, daß man sie mit Paedagogis habe versehen können 112. Offensichtlich zogen es die Berliner Reformierten vor, Schüler der Fürstenschule als Pädagogen in ihre Häuser aufzunehmen. Gerade in den ersten Jahrzehnten, in denen sämtliche Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums bei Privatpersonen untergebracht werden mußten, mag die hier beschriebene Art der sozialen Verflechtung und Klientelbildung unter den Reformierten weit verbreitet gewesen sein. Auch wenn mit der Einrichtung des Alumnats im Jahre 1717 die Anzahl der privat untergebrachten Schüler deutlich sank, gab es mit den sogenannten Hospiten weiterhin Schüler, die in der Berliner Residenz als jugendliche Hauslehrer wirksam waren. 113 Nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer der Berliner Gelehrtenschulen konnten zusätzlich zu ihrem schulischen Unterricht als Privatlehrer innerhalb der Berliner Residenz tätig sein. Hinweise dafür gibt es bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. 114 Entsprechend ihrem pädagogischen und wissenschaftlichen Renommee wurden sie in adlige Häuser, bis hin zum brandenburgisch-preußischen Herrscherhaus, gerufen. 115 Der Hugenotte Etienne Chauvin soll am Ende des 17. Jahrhunderts den kurfürstlichen Prinzen Physiklektionen gegeben haben. 116 In den Jahren, bevor Mathurine Veyssière de La Croze als Philosophieprofessor am Collège antrat,
110 Rationes pro et contra wegen Transferirung der Schule. GStA PK, I. HA, Rep 60, 1, 2. Bl. 201–208. 111 Ebd. Bl. 205. 112 Ebd. Bl. 202. 113 Dabei kann man von etwas mehr als 100 Hospiten ausgehen. Vgl. oben Abschnitt D. III. 1. 114 Der Berlinische Konrektor Friedrich Madeweiß unterrichtete in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts nebenher privat Nachkommen einiger hoher kurfürstlich-brandenburgischer Beamten, darunter die Söhne des Generalfeldmarschalls Georg Freiherr von Derfflinger (vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 255). Im Jahre 1737 wurde Philippe Naudé d. J. als Lehrer für Geographie und Geschichte an einen Generalmajor von Dönhoff vermittelt. BLHA Rep. 32, Nr. 329, Bl. 150f. 115 Allgemein zur Prinzenerziehung am brandenburgisch-preußischen Hof vgl. Weinland, Dienste. 116 Vgl. Erman, Mémoire, S. 17.
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unterrichtete er nicht nur Kinder adliger Familien, sondern auch den Kronprinzen Friedrich in cartesianischer Philosophie. 117 Daneben ist als Prinzenerzieher nur noch Jacob Elsner bekannt, allerdings nicht in der Funktion als Joachimsthalscher Rektor, sondern erst nachdem er in das Pfarramt der neuen reformierten Parochialkirche übergewechselt war. 118 Insgesamt bilden die Fälle von häuslichem Privatunterricht wohl eher die Ausnahme. Dies erklärt sich vor allem daraus, daß es den Berliner Gelehrtenschullehrern frei stand, innerhalb der Schulen Privatlektionen anzubieten, um ihr Gehalt aufzubessern. Die Bildungsfunktionen, welche die Gelehrtenschulen für die residenzstädtische Bevölkerung erfüllten, betrafen nicht nur den Privatunterricht. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts versuchten sie, auch ihren regulären Lehrbetrieb gegenüber der residenzstädtischen Bevölkerung zu öffnen. Ein besonderes Beispiel bilden die sogenannten Sabbatines, samstägliche Vorlesungen, die von Chauvin in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts am Collège angeboten wurden und interessierten Berlinern offenstanden. 119 Am Berlinischen Gymnasium bemühte sich Konrektor Starck zu Beginn des 18. Jahrhunderts darum, die lectiones publicae für ein breiteres Publikum zu öffnen. Er schlug vor, zu diesem Zwecke sonderlich in classe prima Stühle für Fremde bereitzuhalten. 120 Sein damaliger Rektor Rodigast gab zu bedenken, daß die gesetzten Stühle . . . sehr leer bleiben, doch wenn iemand etliche Stühle darzu nehmen will, wollen wir auch gerne gelehrte leute darauf sizen und zuhören lassen 121. Die erneuerten Statuten des Joachimsthalschen Gymnasiums von 1707 sahen ebenfalls vor, daß es auch künftig sowohl honoratioribus alhie, als den fremden, beydes Geistliche und weltliche frey stehen soll, bey währenden lectionibus publicis das Gymnasium zu besuchen und die Doctrinas beydes der Docentium und Discentium, anzuhören. Dazu sollten gewiße Stühle alzeit . . . bereit gehalten werden. Den Ankommenden sollten die Schüler mit gebührenden respect begegnen. 122 Ob und in welchem Ausmaß die Berliner Bevölkerung von diesem Angebot tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist nicht bekannt. Der negative Quellenbefund bestärkt allerdings die Vermutung, daß man über diese ambitionierten Pläne nicht hinauskam. Einen öffentlichen 117
Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713. S. 228. Vgl. Beckmann, Nachrichten, Bl. 391. 119 Näheres dazu vgl. unten, Abschnitt F. II. 1. 120 Sein Vorschlag lautete folgendermaßen: Die Lectiones publice selbst könnten mit solcher freyheit eingerichtet werden, daß nicht nur den Collegen frey gegeben würde derer andere Lectionen als auditores beyzuwohnen, sondern auch ordinis Stul vor fremde sonderlich in classe prima gesetzt würden. So daß sowohl der Herr Inspector, die H. Patroni, Herrn Geistl. und andere hiesige erudit. sondern auch wohl auch . . . Gelehrte tunlich gelegenheit hätten, allhier der docentium . . . labores, ingl. auch den zustand der discentium zu beobachten. ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 10. 121 ZLB, GKl Archiv, Nr. 7, Bl. 20. 122 BLHA Rep. 34, Nr. 1857, Bl. 28. 118
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Vorlesungsbetrieb größeren Ausmaßes hat es an den Berliner Gelehrtenschulen zu keinem Zeitpunkt gegeben. 4. Die Berliner Gelehrtenschullehrer als Gelegenheitsdichter Einen Bereich der Berliner Alltagskultur, der in besonderem Maße von den Berliner Gelehrtenschullehrern geprägt wurde, stellt die Gelegenheitsdichtung dar. Kasualliteratur entstand zu den verschiedensten Anlässen städtischen und höfischen Lebens. 123 Dazu zählten vor allem Begräbnisse und Hochzeiten, aber auch Ereignisse wie Geburtstage und akademische Qualifikationen. Darüber hinaus nahmen die Berliner Lehrer besondere politische und familiäre Anlässe im brandenburgischen Herrscherhaus zum Anlaß, mit Huldigungstexten (Panegyrik) hervorzutreten. Natürlich kann und soll hier keine umfassende literaturgeschichtliche Aufarbeitung des Berliner Gelegenheitsschrifttums geleistet werden. Gleichwohl lassen sich aus den vorhandenen Quellen für unsere Fragestellung nach den Beiträgen der Berliner Gelehrtenschulen zum kirchlich-kulturellen Leben der Residenzstadt und des Hofes wichtige Rückschlüsse ziehen. Da von den Friedrichswerderschen Lehrern und vom Collège kaum beziehungsweise überhaupt keine Gelegenheitsschriften überliefert sind, beschränken sich die folgenden Beobachtungen auf die drei ältesten Gelehrtenschulen Berlins. 124 Das Gelegenheitsschrifttum des Gymnasiums zum Grauen Kloster reicht bis in die fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts zurück. Viele der Abdanckungs-Reden und Leichencarmina (Epicedia) sowie Hochzeitsglückwünsche (Epithalamia) und Abschiedsgedichte waren den eigenen Kollegen und Absolventen des Berlinischen Gymnasiums sowie deren Anverwandten gewidmet. Daneben wurden jedoch auch die Familien der Berliner Pröpste und anderen Prediger sowie Angehörige der Berliner Bürgerschaft mit Gelegenheitsdichtungen bedacht. 125 Auch kurfürstliche Kammergerichtsadvokaten und vereinzelt auch höhere landesherrliche Amtsträger waren unter den Adressaten, wobei es sich hier überwiegend um Lutheraner handelte. Neben den lutherisch-orthodoxen Rektoren Heinzelmann, Rango und Weber ist als Berlinischer Autor vor allem auf den berühmten Barockdichter und langjährigen Konrektor Michael Schirmer zu verweisen, der seit den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts mit zahlreichen Epicedia und Glückwunschcarmina hervortrat. 126 Von seinen späteren Nachfolgern betätigte sich vor 123
Allgemein zur barocken Kasuallyrik vgl. Stockinger, Kasuallyrik. Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf die bibliographischen Angaben bei Noack und Splett. Vgl. dies., Berlin-Cölln 1640–1688 u. Berlin-Cölln 1688–1713. 125 Unter den Berufsgruppen und Ämterbezeichnungen, die genannt wurden, waren beispielsweise Kramerin, Handelsmann, Rats-Cämmerer oder Rahtsverwandter. 126 Schirmers Schriftenverzeichnis umfaßt ungefähr einhundert Kasualschriften. Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 373–395. 124
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allem Friedrich Madeweiß auf dem Feld der Gelegenheitsdichtung. 127 Die beeindruckende Anzahl der Epicedia verweist darauf, daß die lutherische Bevölkerung im 17. Jahrhundert offensichtlich in hohem Maße auf die theologisch und dichterisch versierten Gelehrtenschullehrer zurückgriff. 128 Von reformierter Seite wurde in der Zeit des Konfessionskonfliktes nur Schirmer in Anspruch genommen, der als einziger der Berlinischen Gelehrtenschullehrer engere Beziehungen zur Hofgesellschaft pflegte und sich aus den konfessionellen Streitigkeiten heraushielt. 129 Für gelehrte Personen wurden die Reden in Latein abgefaßt, während man sich sonst der deutschen Sprache bediente. Häufig beteiligten sich mehrere Schulkollegen oder auch die städtischen Prediger an den Gelegenheitsschriften. 130 Zu Beginn das 18. Jahrhunderts scheint am Gymnasium zum Grauen Kloster die Gelegenheitsdichtung unter dem Einfluß der pietistischen Lehrer wieder an Bedeutung verloren zu haben. 131 Dies ist vermutlich auf die stärkere Trennung von Schul- und Pfarramt zurückzuführen, wie sie sich mit dem gewachsenen Selbstbewußtsein des Lehrerstandes immer stärker durchsetzte. Vom Cöllnischen Gymnasium liegen Gelegenheitsdichtungen erwähnenswerten Umfanges erst seit der Zeit von Johann Bödiker vor. Anders als seine Kollegen am Berlinischen Gymnasium brachte der Cöllnische Rektor seine ungewöhnlich langen Casualia als Einzeldrucke ohne die Mitarbeit seiner Kollegen heraus. Mehr als zweihundert Abdankungen und andere Gelegenheitsschriften hat Bödiker, der
127
Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 258–262. Rektor Heinzelmann veröffentlichte Gedenkschriften auf den Hof- und Kammergerichtsrat Erasmus Seidel (1594–1655) und den Konsistorialrat und Vizekanzler Andreas Kohl (1568–1655). Rango, Weber und Schirmer verfaßten im Jahre 1667 Leichencarmina für den Geheimen Rat und Landeshauptmann Johann Friedrich von Löben (1595–1667). Von Rodigast ist eine Lob-Denck und Danck-Rede auf den kurfürstlichen Amtskammerrat Johann Wernicke (1630–1684), bei dem es sich ebenfalls um einen Luteraner handelte, überliefert. (Vgl. Heinzelmann, Luna; Rango, Perpetuam u. Rodigast, Glücks-Ring). 129 Aus dem Jahre 1640 liegt beispielsweise ein Epicedium für den reformierten Landeshauptmann der Altmark, Levin von dem Knesebeck (1597–1638) vor. Im Jahre 1662 verfaßte Schirmer außerdem ein Epicedium für den reformierten Geheimen Rat und Lehnssekretär Johann Tornow, der ein Mitglied des Joachimsthalschen Schuldirektoriums gewesen war. (Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 385 u. 392). Über Schirmers gute Beziehungen zum Hof vgl. ebd., S. 377. 130 Die Trawerklagen Uber den Frühzeitigen und jämmerlichen Hintritt Des Frommen Knabens Joachim Friedrich Spenglers, M. Adam Spenglers, Rect. Hertzgeliebten Sohnes aus dem Jahre 1650 enthalten beispielsweise auch ein Gedicht des damaligen Berliner Propstes Paul Gerhardt. (Vgl. ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl Sch 1, Nr. 27). 131 Während Rodigast häufig Abdankungen für die residenzstädtische Bürgerschaft verfaßt hat, sind von den pietistischen Lehrern Frisch und Chr. F. Bodenburg nur sehr wenige Epicedia für ausschließlich persönlich nahestehende Kollegen, Theologiestudenten und städtische Geistliche überliefert. Von Starck gibt es nur ein Epicedium für den berühmten lutherischen Leibarzt Martin Willich (1643–1697). Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 85f., 152f., 393ff. u. 462. 128
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damit als der produktivste Kasualdichter unter den Berlinischen Rektoren gelten kann, hinterlassen. 132 Viele dieser Casualia waren nicht nur Angehörigen aus angesehenen Berliner und Cöllner Familien, sondern auch hohen kurfürstlichen Amtsträgern gewidmet. Auch für berühmte Gelehrte, wie Johann Raue und Samuel Pufendorf, verfaßte Bödiker Leichenreden. Eine konfessionelle Trennung hat es für Bödiker, der starren orthodoxen Standpunkten eher fern stand, nicht gegeben. Dies zeigen beispielsweise die Epicedia für den Kurfürstlichen Geheimen Kriegssekretär Dietrich Butten (1631–1675), die Witwe des reformierten Berliner Bürgermeisters Gottfried Schardius, Katharina Weiler (1624–1680), und den reformierten Leibarzt Cornelius Bontekoe (1647–1685). 133 Bödikers Nachfolger Rotaridis verfaßte ebenfalls in den beiden letzten Jahrzenten des 17. Jahrhunderts regelmäßig Epicedia. Wie am Berlinischen Gymnasium brach diese Tradition jedoch auch am Cöllnischen Gymnasium im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts weitgehend ab. 134 Mit panegyrischen Texten tat sich von den Lehrern der städtischen Gymnasien neben Schirmer vor allem Bödiker hervor. Die ältesten uns bekannten Huldigungstexte gegenüber dem kurbrandenburgischen Herrscherhaus sind zwei Schriften, die Schirmer in den frühen vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts anläßlich des Todes von Kurfürst Georg Wilhelm und des Einzuges des neuen Kurfürsten Friedrich Wilhelms in der Berliner Residenz verfaßt hat. 135 Die lutherisch-orthodox geprägten Lehrer des Berlinischen Gymnasiums hielten sich mit panegyrischen Texten ansonsten auffällig stark zurück. Erst der Berlinische Konrektor Madeweiß, der einen Aufstieg in kurfürstliche Dienste anstrebte, verlegte sich wieder auf dieses Genre. Er verfaßte unter anderem eine patriotische Dichtung über die Einnahme Stettins durch die Truppen des Kurfürsten Friedrich Wilhelms im Jahre 1677. 136 Anders als sein damaliger Kollege Weber tat sich der Cöllnische Rektor Bödiker, dem offensichtlich viel daran lag, sich der Gunst des Hofes zu versichern, reichlich mit Huldigungstexten auf die kurfürstliche Familie hervor. Neben den Geburtsund Namenstagen der Landesherren und ihren außenpolitischen Siegen dienten
132
Bödikers Schriften finden sich bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 39–64. Wie aus der Schrift für Bontekoe deutlich wird, hatte man dessen Leichnahm mit einem hochansehnlichem Gefolg des Churfürstl. Hofes und dieser Haupt- und ResidentzStadt in der Schloß-Kirchen zur Heil. Dreyfaltigkeit Christlich beigesetzet (Bödiker, TrauerFall). 134 Dieser Bruch mit der bisherigen Tradition vollzog sich am Cöllnischen Gymnasium erstaunlicherweise trotz einer personellen Kontinuität. Während in der Zeit bis 1707 Rotaridis und der Subkonrektor Jacob Butten regelmäßig Gelegenheitsschriften verfaßt hatten, liegen für die Zeit danach so gut wie keine mehr vor. Vgl. Noack/Splett, BerlinCölln 1688–1713, S. 95–97 u. 393–397. Von dem pietistischen Konrektor Christian Rubin liegt leider keine Bibliographie vor. 135 Vgl. Schirmer, Gebühr u. ders. Landes-Freude. 136 Vgl. Madeweis, Triumph-Geschütz. 133
I. Die Aufgaben der Berliner Gymnasien im kulturellen Leben der Stadt
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Bödiker auch einfache Jahreswechsel als Anlaß für panegyrische Schriften, die er in unterthänigster Demuth und Gehorsam seinen Herrschern widmete. 137 Im Jahre 1684 beschrieb er den Einzug und das Feuerwerk, das in der Berliner Residenz zu Ehren des Thronfolgers Friedrich und seiner neuen Ehefrau Sophie Charlotte veranstaltet wurde. 138 Außerdem verwandte Bödiker in seinen dichterischen Werken kunstvolle Emblemata höchster Qualität. 139 Der erste Rektor, der am Berlinischen Gymnasium mit panegyrischen Schriften hervortrat, war Samuel Rodigast. Anläßlich der Königskrönung des Jahres 1701 entwarf er einen Lobspruch, in dem die Stadt Berlin als „Licht der Welt“ das Vergehen des Kurfürsten und die Auferstehung des Königs bezeugt: Vidit nunc MARCHIA MARCHIAEque CAPUT BEROLINUM, ORBI severa LUMEN, quod antea vidit nunquam: vidit Electorem egressum, Regem ingressum. 140 Offensichtlich hatte man am Berlinischen Gymnasium die gewisse Distanz zum Herrscherhaus, wie sie in der Zeit des Konfessionskonfliktes spürbar gewesen war, inzwischen überwunden. Den Umfang der Gelegenheitsschriften der beiden Altberliner Gymnasien haben die Lehrer der landesherrlichen Fürstenschule nie erreicht. Gleichwohl erlaubt auch die am Joachimsthalschen Gymnasium produzierte Gelegenheitsdichtung interessante Aufschlüsse über die Einbindung der dortigen Lehrer in das höfische und residenzstädtische Leben sowie die verschiedenen konfessionellen Netzwerke. Die meisten der Joachimsthalschen Gelegenheitsschriften, die uns heute vorliegen, stammen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nach dem Schuljubiläum von 1707 wurden kaum noch Epicedia oder andere Schriften verfaßt. Dies entspricht ganz dem Trend, wie er sich auch am Berlinischen und am Cöllnischen Gymnasium abzeichnet. 141
137 So Bödiker in einem Neujahrsgruß an den Kurfürsten Friedrich Wilhelm aus dem Jahre 1680. Vgl. ders., Princeps. 138 Bödiker, Einzug. 139 Hinzuweisen ist insbesondere auf Bödikers ersten emblematischen Einblattdruck, den er im Jahre 1675 anläßlich des Todes des kurfürstlichen Prinzen Carl Emil entwarf. Vgl. ders., Emblemata. 140 Rodigast, Serenissimo. 141 Die meisten Gelegenheitsschriften stammen von den Rektoren Vechner und Wilhelmi. Einige andere wurden von Vorstius und Subrektor Mülner sowie Konrektor Posth verfaßt. Von Rektor Volckmann sind kaum Epicedia überliefert. Vgl. die Angaben bei Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688 u. dies., Berlin-Cölln 1688–1713.
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
Unter den von den Joachimsthalschen Rektoren und Lehrern verfaßten Schriften befinden sich natürlich solche für die reformierten Hofprediger und ihre Familien sowie für Mitglieder der entsprechenden Schulaufsichtsorgane. Erwartungsgemäß waren auch Angehörige der führenden reformierten Amtsträgerschaft, darunter die Familien von Dönhoff, von Schwerin, von Danckelmann und Mieg, Empfänger von Kasualdichtungen der Lehrer. 142 Daneben wurden jedoch auch die reformierten Amtskammerräte und residenzstädtischen Bürgermeister Gottfried Schardius (1661–1667), Hoyer Friedrich Striepe (–1670) und Meinhard Neuhaus (gest. 1680), die mit landesherrlicher Unterstützung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in ihre Ämter gekommen waren, mit Epicedia bedacht. 143 Sicherlich verfaßten die Lehrer der landesherrlichen Fürstenschule vereinzelt auch Epicedia für bei Hofe angesehene Lutheraner. 144 Wie die Zusammensetzung des vorliegenden Gelegenheitsschrifttums zeigt, waren persönliche Kontakte zu lutherischen Kreisen der Berliner Residenz jedoch rar. Unter den erhaltenen Gelegenheitsschriften der Fürstenschule befinden sich von Beginn an auch Epicedia und panegyrische Texte für den Kurfürsten Friedrich Wilhelm und den preußischen König Friedrich I. sowie deren Anverwandten. Schon die Geburt des Erbprinzen Carl Emils im Jahre 1656 wurde von Vechner im einem lyrischen Glückwunsch bedacht. Die Qualität der Bödikerschen Schriften konnten die Texte der Joachimsthalschen Lehrer allerdings nicht erreichen.
II. Die Bedeutung der Berliner Gymnasien für die Berliner Gelehrtenrepublik 1. Die Berliner Gymnasiallehrer als Akteure in Berliner Theologenkreisen und Gelehrtengesellschaften Die Gelehrtenschullehrer zählten neben den Berliner Predigern, Juristen und Medizinern zu den zentralen Gestalten, die durch ihre wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten die Berliner Gelehrtenrepublik entscheidend mitgeprägt haben. 145 Nachdem auf die besonderen wissenschaftlichen Leistungen der ein-
142 Solche Epicedia und sind von Gersom Vechner, Balthasar Mülner und Ferdinand Posth überliefert. 143 Näheres dazu vgl. unten Teil B. Stadt. 144 Vechner brachte beispielsweise ein Epicedium für den lutherischen Geheimrat Johann Georg Reinhard (1606–1672) und Wilhelmi für den Hofmedikus Johann Elsholtz (1623–1688) heraus. 145 Der Quellenbegriff Reipublica Berlinensis taucht in Schulschriften des Berlinischen Gymnasiums erstmals unter Rektor Gutikus in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts auf (ZLB, Historische Sondersammlungen, GKl Sch 4, Nr. 2 u. 4). In der Literatur findet der Begriff der ‚Berliner Gelehrtenrepublik‘ im Sinne der Res publica litteraria u. a. bei Othmer Erwähnung. Vgl. dies., Berlin, S. 25.
II. Die Bedeutung für die Berliner Gelehrtenrepublik
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zelnen Rektoren bereits an anderer Stelle eingegangen wurde, soll im Folgenden insbesondere die Einbindung der Gelehrtenschullehrer in die personellen und institutionellen Strukturen des wissenschaftlichen Lebens einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Die Beziehungen untereinander lassen sich am besten anhand der verschiedenen Theologen- und Intellektuellenkreise darlegen, wie sie sich in der Berliner Residenz seit dem Ende des 17. Jahrhunderts verstärkt zusammenfanden. 146 In der Zeit des Konfessionskonfliktes scheint es zwischen den Lehrern der städtischen Schulen und der landesherrlichen Fürstenschule nur wenige Berührungspunkte gegeben zu haben. Wie die Religionsgespräche von 1662/63 zeigen, standen sich lutherisch-orthodoxe und reformierte Lehrer in zwei gegnerischen Lagern gegenüber. Die Gemeinsamkeit bestand nur darin, daß man sich über dieselben dogmatischen Fragen stritt. Zu den Geistlichen, welche der Landesherrschaft gegenüber den lutherischen Standpunkt vertraten, zählten der ehemalige Berlinische Konrektor Martin Lubath d. Ä. (1621–1690), jetzt Archidiakon an St. Marien und der vormalige Rektor des Berlinischen Gymnasiums, Jacob Hellwig, der inzwischen zum zweiten Diakon an St. Marien berufen worden war. Auf reformierter Seite nahmen neben den Berliner Hofpredigern Stosch und Kunsch auch die Joachimsthalschen Rektoren und Konrektoren Vorstius und Vechner teil. 147 Anders als die Berlinischen Theologen war der Cöllnische Rektor Müller konfessionell eher gemäßigt eingestellt. Mit seinen reformierten Kollegen am Joachimsthalschen Gymnasium scheint er sogar in einem guten Verhältnis gestanden zu haben. 148 Diese Zurückhaltung im Konfessionskonflikt entspricht ganz der generellen Linie der Cöllnischen Theologenschaft, die stärker auf einen Ausgleich zwischen beiden Konfessionen ausgerichtet war. 149 Seitdem der Pietismus in der Berliner Residenz Einzug hielt, bildeten sich neue Verbindungen unter den lutherischen Lehrern heraus. Dabei ist vor allem ein Kreis zu nennen, der in der Zeit um die Jahrhundertwende wöchentlich im Hause des Freiherrn von Canstein zusammenkam, um über die kirchliche Lage und die Besetzungspolitik zu beraten. Mitglieder dieser Runde waren neben Canstein und dem General Gneomar Dubislav von Natzmer (1654–1739) die Berliner pietistischen Theologen Spener, der damalige Diakon an St. Nikolai, Johann Rau 150 146 Aufgrund der spärlichen Quellenlage bleibt das gelehrte Leben vor 1640 hier unbeachtet. Einen allgemeinen Überblick bietet Moehsen, Beschreibung. 147 Neben Stosch unterzeichneten Vorstius und Vechner beispielsweise ein theologisches Gutachten zu den Abendmahls-Thesen des Berlinischen Ministeriums von 1662. Vgl. Beeskow, Kirchenpolitik, Bd. 2, S. 180–183. 148 Auf die Tatsache, daß der Joachimsthalsche Rektor Vorstius für den verstorbenen Cöllnischen Rektor Samuel Müller im Jahre 1674 ein Epicedium schrieb, wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen (vgl. unten, Abschnitt D. I. 1). 149 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 91.
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
(1673–1733), der ein Schwager von Lange war, und der Friedrichswerdersche Rektor selbst. 151 Außerdem ist der ehemalige Berlinische Konrektor Grabow, der im Jahre 1692 aus Frankfurt a. M. nach Berlin zurückgekehrt war, dieser Gruppe zuzuordnen. 152 Auch Starck, der mit Johann Rau befreundet war, stand diesem Kreis vermutlich nahe. 153 Die Berufung des Hallenser Absolventen Dornmeyer zum Friedrichswerderschen Konrektor ging nachweislich auf die Bemühungen von Canstein zurück. 154 Auch die Bestallung seines Kommilitonen Chr. F. Bodenburg zum Berlinischen Konrektor im Jahre 1705 dürfte die Gruppe um Canstein und Lange veranlaßt haben. Der Cöllnische Rektor Rotaridis, der dem Pietismus distanziert gegenüberstand, hielt sich von diesen Kreisen dagegen fern. Für die Annäherung von deutsch-reformierten und hugenottischen Gelehrten waren die bereits erwähnten Spanheim-Konferenzen entscheidend, die der Diplomat und Kurator der Französischen Kolonien, Ezechiel Spanheim, von 1690 bis 1697 in seinem Hause veranstaltete. 155 An dem wöchentlichen Gedankenaustausch nahmen neben den hugenottischen Geistlichen Gaultier, Lenfant und Beausobre, dem Juristen Charles Ancillon und dem Philosophen Chauvin auch deutsche Gelehrte, darunter der Berliner Hofprediger D. E. Jablonski und Samuel Pufendorf, sowie der preußische Staatsminister von Printzen teil. 156 Lehrer der deutschen Gelehrtenschulen tauchen allerdings unter den uns bekannten Teilnehmern nicht auf. 157 Mit seinen Conférences sur la langue françoise, zu denen 150
Zu Rau vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1688–1713, S. 378–384. Vgl. Wendland, Leben, S. 168. Lange schreibt im Nachwort des von ihm neu herausgegebenen Cansteinschen Spener-Lebenslaufes: Er [Canstein A. W.] hielte mit mir und dem Herrn Prediger, Johann Rauen, wöchentlich eine solche vertrauliche Conferenz, darinnen er mit uns bedacht war, wie etwas Gutes zu befördern sei, insonderheit durch Vorschlagung rechtschaffener Leute, wenn hie und da Vacanzen in Kirchen=Ämtern vorfielen, und uns kund worden waren. Da sich nun bey uns auch gemeiniglich ein wohlgesinneter Königlicher Bedienter, der bey Sr. Excell. Dem damaligen Staatsminister und Directori aller Kirchen=Sachen, dem Freyherrn von Fuchs grossen Eingang hatte, mit einfand, so konnte zuweilen etwas Gutes ausgerichtet werden; zumal da auch der sel. D. Spener mit seiner Recommendation dazu kam. Canstein, Muster, S. 404. 152 Vgl. Noack/Splett, Berlin-Cölln 1640–1688, S. 169. 153 Im Jahre 1708 half Rau dabei, Starck die Stelle als Rektor der Brandenburger Ritterakademie zu vermitteln. Vgl. Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4718/2515, Bl. 25. 154 Dies wird aus einem Brief Cansteins an Francke vom Oktober 1705 deutlich. Vgl. Schicketanz, S. 308. 155 Vgl. oben Abschnitt B. III. 3. 156 Vgl. Kvačala, Spanheim-Conferenz u. Brather, Akademie, S. 400, Fußnote 29. Über die Teilnehmer der Spanheimkonferenzen wissen wir wenig. Die wichtigste Quelle, die darüber Auskunft geben könnte, sind die Tagebücher von D. E. Jablonski, die leider verschollen sind. Nur Kvačala hat diese Tagebücher auswerten können. 157 Vorstellbar ist allerdings, daß der Orientalist Starck, den Spanheim im Jahre 1696 nach Berlin geholt hatte, diesem Kreis angehört hat. Immerhin wurden bei den SpanheimKonferenzen neben philosophisch-theologischen Fragen auch philologische und histori151
II. Die Bedeutung für die Berliner Gelehrtenrepublik
363
Etienne Chauvin in den Jahren 1697 und 1698 einlud, hat der Direktor des Collège die Spanheim-Konferenzen möglicherweise fortsetzen wollen. 158 In einem seiner Briefe an Leibniz hatte Chauvin bereits im November 1696 zu einem öffentlichen College d’ expériences eingeladen. 159 Die Teilnahme Jablonskis an den von Chauvin veranstalteten experimentalen Collegiis ist jedenfalls überliefert. 160 Vermutlich handelte es sich hierbei um die öffentlichen Veranstaltungen, die am Collège unter der Bezeichung Sabbatines bezeugt sind und nach dem Bericht von Erman sogar von Personen beiderlei Geschlechts besucht wurden. 161 Mit seinen Sabbatines war Chauvin zeitweise gelungen, was sich auch einige deutsche Gelehrtenschullehrer für ihre Gymnasien wünschten: einen öffentlichen Vorlesungsbetrieb. 162 Eine rein französische Angelegenheit war die Société anonyme, die spätestens im Jahre 1717 von Lenfant ins Leben gerufen wurde. 163 Auch Chauvin wurde später Mitglied dieser Gelehrtengesellschaft. Der persönliche wissenschaftliche Austausch zwischen lutherischen sowie deutsch- und französisch-reformierten Gelehrtenschullehrern über die konfessionellen und nationalen Grenzen hinweg setzte erstmals mit der Gründung der Berliner Sozietät der Wissenschaften im Jahre 1700 ein. 164 Zu den ersten anwesenden Mitgliedern der neuen Berliner Gelehrtengesellschaft zählten neben dem Berlinischen Konrektor Starck (1701), der Berlin bereits 1705 wieder verließ, der damalige Subrektor Frisch (1701/06), der heute als der „vielleicht vielseitigste Berliner Wissenschaftler in der damaligen Sozietät“ 165 gilt. Von reformierter Seite kamen der Joachimsthalsche Mathematiklehrer Naudé d. Ä. (1701) sowie der Philosophieprofessor Etienne Chauvin (1701) vom Collège der Hugenotten dazu. Auch dessen späterer Nachfolger, der königliche Bibliothekar La Croze, wurde bereits 1701 zum anwesenden Mitglied der Akademie gewählt. In den Jahren 1710 und 1711 wurden noch der neue Joachimsthalsche Rektor Volckmann und
sche Themen zum klassischen Altertum erörtert. Mit Jablonski, den er privat in arabisch unterrichtete, stand Starck ebenfalls in persönlichem Kontakt. 158 Diese Konferenzen wurden von Chauvin in seinem Nouveau Journal des Sçavans besprochen (vgl. Othmer, Berlin, S. 36). Brather läßt die Frage, ob es sich hierbei um eine Fortsetzung der Spanheim-Konferenzen handelte, offen. Vgl. ders., Leibniz, S. 401. 159 Vgl. Leibniz, Briefwechsel Bd. 13, Nr. 222, S. 332f. 160 Jablonski berichtete darüber in seinen Tagebüchern. Vgl. Kvačala, Spanheim-Conferenz, S. 42, Anm. 95. 161 „En 1696 il [Chauvin, A. W.] avoit introduit, sous le nom de Sabbatines, des confèrences publiques, qui se tenoient le Samedi dans l’auditoire du Collège, & auxquelles assistoient des personnes de distinction de l’un & autre sexe“ (Erman, Mémoire, S. 17f.). 162 Vgl. auch oben Abschnitt F. I. 3. 163 Vgl. Brather, Leibniz, S. 399 u. Grau, Savans, S. 253f. 164 Zum folgenden vgl. die Mitgliederverzeichnisse bei Harnack, Geschichte, Bd. 1, S. 243f. u. Brather, Leibniz, S. 338–365. 165 Grau, Akademie, S. 80.
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
Philippe Naudé d. J. in die Akademie aufgenommen. Auffällig ist, daß die ersten lutherischen Lehrer in der Akademie zugleich dem Pietismus nahe standen. Das Interesse an einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit innerhalb der neuen Gelehrtengesellschaft war bei Frisch und Starck dabei stärker als bei Lange, der zwar ebenfalls wissenschaftlich tätig war, jedoch wie Spener in Distanz zur Akademie blieb. Die anderen Berliner Gymnasialrektoren der Jahrhundertwende, Rodigast und Rotaridis und Vechner, gehörten noch einer älteren Gelehrtengeneration an, die mit der Frühaufklärung kaum in Berührung gekommen war. Sie verfügten offensichtlich nicht über das notwendige wissenschaftliche Format für die Arbeit in der Sozietät. Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens machten die Berliner Gelehrtenschullehrer an der Sozietät ein Sechstel der anwesenden Mitglieder aus. 166 Als die Sozietät im Jahre 1711 damit begann, in Klassen zu arbeiten, traf Frisch in der physikalisch-medizinischen Klasse auf Chauvin, in der mathematischen Klasse auf Naudé und in der deutschen Klasse auf Volckmann. In der orientalischen Klasse war neben Volckmann und Frisch auch La Croze tätig. 167 Auch die späteren Rektoren des Joachimsthalschen Gymnasium und des Collège, Elsner und Heinius sowie Formey, wurden ausnahmslos Akademiemitglieder. Rektor Elsner war von 1740 bis 1742 sogar Direktor der philologisch-orientalischen und von 1744 bis 1750 Direktor der historischen Klasse. Heinius hatte in den Jahren 1744/45 den Vorsitz der philosophischen Klasse inne. 168 Formey war später für viele Jahre Sekretär der Akademie. Von den lutherischen Lehrern waren seit dem Ende der zwanziger Jahre der Berlinische Konrektor Carl Andreas Henning (1693–1729) und der Friedrichswerdersche Rektor Georg Gottfried Küster, die vor allem mit historiographischen Arbeiten hervorgetreten waren, in die Sozietät aufgenommen worden. Durch die Akademie initiiert, aber von ihr unabhängig, fanden sich seit 1708 außerdem die wichtigsten Rektoren und Lehrer der deutschen Gelehrtenschulen in der oben erwähnten Kommission für die Abfassung neuer märkischer Lehrbücher zusammen. 169 Angesichts des gewachsenen wissenschaftlichen und reformpädagogischen Interesses hatte die Distanz zwischen städtischen und landesherrlichen Gelehrtenschullehrern ein Ende gefunden. 2. Die publizistische Wirksamkeit der Berliner Gelehrtenschullehrer Die Aktivitäten der Berliner Lehrer beschränkten sich seit dem Beginn der Frühaufklärung nicht nur auf die Teilnahme an den verschiedenen Gelehrten166
Vgl. Brather, Akademie, S. 364. Vgl. ebd., S. 402 ff. Hier auch Einzelheiten zu den Arbeitsaufgaben der einzelnen Klassen. 168 Vgl. Hartkopf , Akademie, S. 86. 169 Vgl. oben, Abschnitt E. I. 3. 167
II. Die Bedeutung für die Berliner Gelehrtenrepublik
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zusammenkünften. Um die wissenschaftliche Diskussion und Forschungsarbeit voranzutreiben, wurden sie darüber hinaus publizistisch wirksam. Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert beschränkten sich die Lehrer dabei nicht mehr auf schulinterne Veröffentlichungen, wie zum Beispiel die Einladungsschriften zu den Schulactus, sondern bedienten sie sich neuer, eigenständiger Publikationsorgane. Vorreiter waren dabei die von der französischen Aufklärung beeinflußten Berliner Hugenotten. Als eigenständiger Herausgeber trat zuerst Etienne Chauvin mit seinem Nouveau Journal des Sçavans, dressé à Berlin hervor, das in Anlehnung an Pierre Bayles Nouvelles de la republique des Lettres als eine Art Rezensionszeitschrift angelegt war und die gelehrte Welt auf dem Laufenden halten sollte. Für die Berliner Residenz war diese erste wissenschaftliche Zeitschrift, die von 1696 bis 1698 erschien, „eine Neuheit ersten Ranges“ 170. Zu ihren Beiträgern zählten neben Chauvins damaligen Mitarbeitern vom Collège, Jean Audouy und Jean Barbeyrac auch Charles Ancillon und La Croze sowie Spanheim. Damit läßt sich das Nouveau Journal in den Umkreis der Spanheimgesellschaft einordnen, auch wenn es sich hier nicht um deren spezifisches Publikationsorgan handelte. 171 Auch Leibniz beteiligte sich an dieser Zeitschrift. 172 Die vorwiegend auf Arbeiten einheimischer Autoren ausgerichtete Zeitschrift war überkonfessionell ausgerichtet und besprach zu ungefähr gleichen Teilen französische und lateinische Werke, die für die Gesellschaft der Frühaufklärer relevant waren. 173 Das schnelle Ende der Zeitschrift hing vermutlich mit dem Fall Danckelmanns zusammen, der dieses journalistische Unternehmen persönlich gefördert hatte. 174 Erst einer weiteren französischen Rezensionszeitschrift, die seit 1720 im Umkreis der Société anonyme, erschien, war eine längere Lebensdauer beschieden. Die Bibliothèque Germanique ou Historie littéraire de l’Allemagne et des pays du Nord, die in Amsterdam gedruckt, aber in Berlin redigiert wurde, sollte sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar zu einer der führenden Zeitschriften entwickeln. 175 Sie berücksichtigte die Literatur der deutschsprachigen Länder Mitteleuropas und umfaßte sowohl Theologie und alte Sprachen als auch die Belles Lettres und die neuen Wissenschaften einschließlich Medizin und naturrechtliche Fragen. Darüber hinaus berichtete sie aus dem gelehrten Leben der verschiedendsten deutschen Städte, darunter natürlich auch aus Berlin. Auch Schriften
170
Vgl. Othmer, Berlin, S. 33. Vgl. Böger, Spanheim-Kreis, S. 210. 172 Vgl. Schröcker, Leibniz. 173 Der erste rezensierte Titel war Pufendorfs kurz zuvor erschienene Geschichte des Großen Kurfürsten. Näheres zu den besprochenen Büchern bei Othmer, Berlin, S. 30f. 174 Vgl. ebd., S. 39. 175 Vgl. Grau, Savans, S. 253. 171
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
von Chauvin und Naudé d. J. wurden hier besprochen, die Herausgeberschaft lag jedoch bei den hugenottischen Predigern Lenfant und Beausobre und nicht bei einem der Lehrer des Collège. Die deutschen Gelehrtenschullehrer veröffentlichten eigene wissenschaftliche Beiträge erstmals in dem neuen Publikationsorgan der Berliner Sozietät. Für den ersten Band der Miscellanea Berolinensia 176, der im Jahre 1710 erschien, hatten Frisch und Chauvin Beiträge in der Abteilung Physica et Medica, Naudé in der mathematischen und La Croze in der literarischen Abteilung abgefaßt. 177 Auch in den späteren sechs Bänden der Miscellanea, die von 1723 bis zur Reorganisation der Akademie im Jahre 1744 herauskamen, veröffentlichten Berliner Gelehrtenschullehrer als Mitglieder der Berliner Sozietät eine Vielzahl von Beiträgen zu den unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten. 178 Eine weitere Zeitschrift, mit der die Berliner Lehrer an die gelehrte Öffentlichkeit traten, waren die Zufaelligen Anmerckungen von allerhand zum SchulWesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehoerigen Sachen 179, die in sechs unregelmäßigen Heften von 1715 bis 1718 erschien. Anders als die oben erwähnten Journale wurde sie ausschließlich von lutherischen Gelehrtenschullehrern getragen, die sämtlich dem Pietismus nahe standen. Diese Zeitschrift verdient darum besondere Beachtung, weil es sich hierbei um das älteste Periodikum im deutschen Sprachgebiet handelte, das sich ausschließlich pädagogischen Fragen widmete. Da sie von der neueren Forschung bisher nicht wahrgenommen wurde, soll sie im Folgenden genauer vorgestellt werden. 180 In der Vorrede des ersten Heftes stellen die Herausgeber das Fehlen einer Zeitschrift zum Schul Wesen als der Mutter der übrigen Gelahrtheit als unverantwortlichen Mangel heraus. 181 Anders als die herkömmlichen Schul-Historien seien 176
Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarium Societatis Regiae Scientiarum exhibitis edita, cum figuris aeneis et indice materiam. Berolini 1710. 177 Da man für den Druck eines arabischen Aufsatzes von Starck über keine passenden Lettern verfügte, konnte dessen Beitrag leider nicht erscheinen. Vgl. Brather, Akademie, S. 280–282. 178 Einen genauen Überblick über die in den Akademieschriften veröffentlichten Aufsätze bietet Harnack, Geschichte, Bd. 3. 179 Ein Exemplare der Zeitschrift befindet sich in der Abteilung Historische Drucke der Berliner Staatsbibliothek. 180 Vorgestellt wurde sie bisher nur in einer Geschichte der pädagogischen Presse aus dem Jahre 1928. Die hier aufgeworfene Frage, ob die Zufaelligen Anmerckungen eine „Schriftenfolge gemischten Inhalts“ oder ein wirkliches „Journal“ gewesen seien, erscheint für eine Zeit, die noch über keine festgefügten publizistischen Formen verfügte, anachronistisch. Vgl. Marx, Entstehung, S. 36. 181 Denn da bißhero wohl kein einiger Theil der höhern Gelahrtheit gewesen, so nicht seine vielfältigen Collectores und Observatores gefunden hat, so deucht es uns fast unverantwortlich und einiger Undanckbarkeit ähnlich zu seyn, wenn man das Schul Wesen als die
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die Zufaelligen Anmerckungen nicht auf die Biographien und Werke bedeutender Schulleute ausgerichtet, sondern auf das Schulwesen überhaupt . . . auf dessen Einrichtung, Methode, Arbeit, Tugend und Fehler, Mittel der Verbesserung, Ursachen der Verschlimmerung und deren Ursprung; auch Nutzen, Notwendigkeit der Schulen, Würde, Stand und Unterhalt der Schul Lehrer in der Republik, &c.. 182 Programmatisch darf man dabei die Tatsache verstehen, daß sich die Editoren in ihrem Vorwort der deutschen Sprache bedienten. Neben einigen lateinischen waren die meisten Artikel der Zeitschrift auf deutsch abgefaßt. Die Herausgeber des ersten Heftes waren der Rektor des Berlinischen Gymnasiums, Christoph Friedrich Bodenburg, und Andreas Julius Dornmeyer, Konrektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums. Später kamen Martin Diterich und Johann Leonhard Frisch vom Berlinischen und Christian Rubin vom Cöllnischen Gymnasium dazu. Damit waren genau die Lehrer an dem Journal beteiligt, die sich in der Berliner Kommission zur Abfassung einheitlicher märkischer Lehrbücher zusammengefunden hatten. 183 Nicht unter den Beiträgern der neuen Zeitschrift vertreten waren die reformierten Kollegen der Lehrbuchkommission, Volckmann und Muzelius, sowie der reformierte Rektor des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Barckhusen. Dies läßt den Schluß zu, daß die reformpädagogische Diskussion unter den vom Pietismus geprägten lutherischen Gelehrtenschullehrern besonders intensiv geführt wurde. Mit drei Mitarbeitern kam dem Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster dabei die größte Bedeutung zu. Gemäß dem in der Vorrede gesetzten Vorhaben, neue und alte Schriften recensiren zu wollen, bestand ein beträchtlicher Teil der Abhandlungen aus Rezensionen. Zu den besprochenen Schriften zählten solche von bereits verstorbenen Gelehrten, wie dem Wittenberger Professor der Beredsamkeit, August Buchner (1591–1661), oder dem Juristen Hermann Conring (1606–1681), die sich auf das Unterrichtswesen bezogen. Von Christoph Cellarius wurde ein Urtheil von denen in Schulen zu tractirenden Lateinischen und Griechischen scriptoribus 184 rezensiert. Auch Werke unbekannter Zeitgenossen, wie die Abhandlung eines Prenzlauer Konrektors, Warum das Schul-Ampt eben so ehrwürdig, als das Predigt-Ambt sei 185, oder ein Bericht über Unterrichtsreformen in der Schule von Aschersleben im Halberstädtischen wurden vorgestellt. 186 Die mit Abstand umfangreichsten Besprechungen galten den Schriften des ehemahligen gelehrten und berühmten Didactici, Johann
Mutter der übrigen Gelahrtheit hierin gantz übergehen wollte. Zufaellige Anmerckungen, 1. Stück, Vorbericht, o. S. 182 Zufaellige Anmerckungen, Vorbericht, o. S. 183 Vgl. oben Abschnitt E. I. 3. 184 Zufaellige Anmerckungen, S. 190–196. 185 Ebd., S. 455–462. 186 [J. J. S.] Nachricht von der neuen Einrichtung der Lectionen in der Schulen zu Aschersleben. Halberstadt. Ebd., S. 207–212.
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
Raue. 187 Ausführlich wurde Raues Schreiben an den Kurfürsten von Sachsen aus dem Jahre 1652 von wegen seiner neuen Lehr Art und Verbesserung des Methodi in Schulen 188 vorgestellt. Auch der apologetische Discursus de emendatione Rei Scholasticae contra methodum docenti Ravanam 189 des Pommerschen Generalsuperintendenten Große und Raues Erwiderung darauf 190, fand Aufnahme in die Zeitschrift. Diese Dokumentation zeigt, daß die Herausgeber ganz bewußt an die reformpädagogische Diskussion des 17. Jahrhunderts anknüpfen wollten. Den größten Raum nahmen in den Zufaelligen Anmerckungen eigene Beiträge der Berliner Lehrer zu pädagogischen, schulhistorischen und sprachwissenschaftlichen Themen ein. Programmatischen Charakter hatte der erste Artikel Bodenburgs vom Grund und Kern aller Lehre 191. Aus der unmittelbaren Unterrichtspraxis erwuchsen solche Themen, wie die Nützliche Anwendung der Scriptorum Classicorum in studio eloquentiae 192 oder Wie ein Lehrer in Auctorität bey seinen Untergebenen kommen könne 193. Allgemeinere Fragestellungen waren die Vorteile öffentlicher Schulbildung gegenüber dem Privatunterricht, der Nutzen des Leistungsklassensytems, wie man es von Halle her kannte und die Kritik des Schultheater. 194 Religiös-konfessionelle Standpunkte wurden in Artikeln Von der nöthigen, aber in Schulen gemeiniglich verabsäumten Meditation 195 und über die Frage, Ob es rathsam sey, daß Evangelische ihre Kinder in Jesuiter-Schulen schicken 196, diskutiert. Aus Anlaß des Reformationsjubiläums wurde ein Aufsatz darüber, Was das Schul-Wesen von der gesegneten Reformation für Vortheils und Nutzen habe 197, veröffentlicht. Besonders umfangreich waren mehrere Vorabdrucke von Diterichs Summarischer Schul-Historie des Berlinischen Gymnasii. Sprachwissenschaftliche Themen handelte vor allem Frisch in seinen Beiträgen ab. Das1 Echo der gelehrten Welt auf die neue Zeitschrift aus Berlin war trotz der Aktualität und pädagogischen Relevanz der behandelten Themen bescheiden. Zwar wurde die Zeitschrift im Jahre 1716 in den Leipziger Post-Zeitungen von gelehrten Neuigkeiten 198 rezensiert, jedoch scheint hier das Urteil nicht nur posi187
Näheres zu Raue vgl. oben B. V. 3. Zufaellige Anmerckungen, S. 43–54. 189 Ebd., S. 425. 190 Animadversiones ad emendationem rei scholasticae a. Cr. Grossio, Superintend. Pomeraniae susceptam. & consiliis Ravianis oppositam. Ebd. S. 429–445. 191 Der Grund und Kern aller Lehre. Zufaellige Anmerckungen, S. 1 – 9. 192 Ebd., S. 197 – 201. 193 Ebd., S. 22 – 26. 194 Vgl. oben Abschnitte E. I. 1 und F. I. 2. 195 Zufaellige Anmerckungen, S. 245 – 253. 196 Ebd., S. 94 – 100. 197 Ebd., S. 340 – 351. 198 Vgl. Post-Zeitungen, 27. Februar 1716 (Nr. 9), S. 35 f. 188
II. Die Bedeutung für die Berliner Gelehrtenrepublik
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tiv ausgefallen zu sein. 199 Der Aufforderung an die Leserschaft, eigene Beiträge einzuschicken, kamen, wie erwähnt, nur zwei Schulmänner aus Halberstadt und Prenzlau nach. Daß innerhalb von drei Jahren nur 6 Hefte erschienen, zeigt, auf welch schwachen Beinen das Berliner Editionsprojekt gestanden hat. Die genauen Hintergründe für das Ende der Zufaelligen Anmerckungen sind nicht bekannt. Auch wenn das Unternehmen der Einschätzung Bodenburgs nach viele vornehme und gelehrte Gönner 200 hatte, fehlte es wohl an einem ausreichend großen Publikum mit den entsprechenden Lesegewohnheiten, das für den nötigen Umsatz hätte sorgen können. 201 Ungeachtet dessen haben die Zufaelligen Anmerckungen viele Fragen und Probleme angesprochen, die innerhalb der Berliner Gelehrtenrepublik und insbesondere unter den Gelehrtenschullehrern diskutiert wurden und deren Lösung in der Zeit des Pietismus und der Fühaufklärung anstanden. 3. Gelehrtenschullehrer als kurfürstliche und königliche Bibliothekare Die Bedeutung der Berliner Gymnasiallehrer für das gelehrte Leben in der Berliner Residenz ist nicht erschöpfend erklärt, ohne deren Tätigkeit in der kurfürstlichen und später königlichen Bibliothek zu erwähnen. 202 Als erster Bibliothekar der Churfürstlichen Bibliothek zu Cölln an der Spree hatte Johann Raue im Jahre 1659 seine Bestallung erhalten. 203 Er führte zunächst eine Revision des Bestandes durch und begann damit, Kataloge für die einzelnen Fächer zu erstellen. Außerdem überwachte er den Umzug der Bibliothek in den sogenannten Apothekenflügel des Schlosses, wo die Bibliothek seit dem Jahre 1661 interessierten Geistlichen, Professoren und Gelehrten sowie höheren Hofchargen und Offizieren offenstand. 204 Kurz darauf, im Jahre 1662, wurde ihm der reformierte Theologe und Joachimsthalsche Rektor Johann Vorstius an die Seite gestellt, der bei der Erschließung der philosophischen Literatur half und einen eigenen theologischen Katalog erstellte. Wegen seiner schulischen Beanspruchung scheint er jedoch den Erwartungen, die ursprünglich an seine bibliothekarische Arbeit gestellt wurden, nicht in ausreichendem Maße entsprochen zu haben. 205 Bereits 1663 stellte der 199 Dies läßt sich zumindest der Erwiederung Bodenburgs auf die Kritik entnehmen. Vgl. Zufaellige Anmerckungen, S. 134 – 136. 200 Zufaellige Anmerckungen, Vorrede zum 3. Stück, o. S. 201 Die erste pädagogische Zeitschrift, der es auf Dauer gelang, sich überregional zu behaupten, waren die Acta Scholastica, die seit 1741 vom Naumburger Konrektor Johann Gottlieb Biedermann (1705–1772) herausgegeben wurden. Näheres dazu bei Marx, Entstehung, S. 36 – 73. 202 Zu den Anfängen der Berliner Staatsbibliothek vgl. Oelrichs, Entwurf; Wilken, Geschichte; Tautz, Bibliothekare; Paunel, Staatsbibliothek u. Tacke, Anfänge. 203 Zum Folgenden vgl. Tautz, Bibliothekare S. 23ff. 204 Zur Datierung und zum Benutzerkreis vgl. Paunel, Staatsbibliothek, S. 17f.
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F. Die Berliner Gelehrtenschulen und die Residenz
Kurfürst deshalb einen weiteren Bibliothekar ein. Ein anderer Berliner Lehrer, der zugleich eine Anstellung als kurfürstlicher Bibliothekar inne hatte, war in den frühen achtziger Jahren der Friedrichswerdersche Rektor Lambertus Ellert. Auch in seinem Fall handelte es sich um einen reformierten Theologen. 206 Im Jahre 1683, drei Jahre nach seinem Amtsantritt als Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, wandte sich auch Wilhelmi mit der Bitte an den Kurfürsten, man möge ihn zum kurfürstlichen Bibliothekar ernennen und ihm die entsprechende Gehaltszulage gewähren. Die Tatsache, daß Wilhelmi keine weiteren Spuren in den Katalogen der Bibliothek hinterlassen hat, verweist darauf, daß der ihm verliehene Bibliothekarstitel wohl eher dazu diente, ihm eine Gehaltszulage und das Privileg des freien Zutritts zur Bibliothek mittels eines eigenen Schlüssels zu verschaffen. Da das Joachimsthalsche Gymnasium zu diesem Zeitpunkt über keine eigene Bibliothek verfügte, mag letzteres für den Rektor umso wichtiger gewesen sein. Als Paul Volckmann im Jahre 1707 das Joachimsthalsche Rektorat übernahm, wurde auch ihm der Titel eines königlichen Bibliothekars zugesprochen. Wie im Falle Wilhelmis finden sind jedoch von einer wirklichen bibliothekarischen Tätigkeit keinerlei Nachrichten. Die eigentliche Arbeit dürfte von den anderen Bibliothekaren La Croze und Ernst Sigismund Crellius (geb. 1652) beziehungsweise Philipp Anton Brusenius (gest. 1723) geleistet worden sein. Anders als die Joachimsthalschen Rektoren, die das Amt des Bibliothekars wohl nur noch nominell ausübten, war der Orientalist Sebastian Gottfried Starck an der Beschaffung und Erfassung von Bibliotheksbeständen unmittelbar beteiligt. 207 Er sollte der erste und einzige Lutheraner sein, der seit Raue in der landesherrlichen Bibliothek eine Anstellung fand. Wie bereits erwähnt, hatte ihn Spanheim hier untergebracht, nachdem es nicht gelungen war, Stark in das Rektorenamt des Cöllnischen Gymnasiums zu bringen. 208 Im Jahre 1696 bekam Starck den Auftrag, gegen den Lohn von jährlich 100 Talern einen Katalog der orientalischen, vor allem arabischen Handschriften zu erstellen. Nachdem er zum Konrektor des Berlinischen Gymnasiums berufen worden war, setzte er seine Arbeit bis zur Fertigstellung seines Kataloges im Jahre 1705 weiter fort. Auch von Greifswald und Brandenburg a. H. aus führte er die Betreuung der orientalischen Handschriftenbestände weiter. Seit 1697 war außerdem der Hugenotte Mathurin Veyssière de la Croze provisorisch für die Verwaltung der Handschriftensammlung angestellt. Im Jahre 1702 wurde La Croze zum königlichen Bibliothekar erhoben, was ihm ein bescheidenes, aber regelmäßiges Einkommen sicherte. Außer der Betreuung der Handschriften diente der Polyhistor und Universalgelehrte La Croze bis zu seinem Lebensende „gleichsam als Auskunftsstelle der Bibliothek“ 209. Neben 205 206 207 208
Vgl. ebd., S. 45–47. Vgl. ebd., S. 139–141. Näheres zu Starcks bibliothekarischer Tätigkeit ebd., S. 187–189. Vgl. oben Abschnitt C. II. 2.
II. Die Bedeutung für die Berliner Gelehrtenrepublik
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ihm erlangte im Jahre 1723 der Joachimsthalsche Juraprofessor Conrad Christoph Neuburg die Stellung eines zweiten königlichen Bibliothekars. 210 Dies sollte der letzte unter den Berliner Gelehrtenschullehrern sein, der neben seinem Schulamt an der königlichen Bibliothek tätig war.
209 210
Paunel, Staatsbibliothek, S. 27. Vgl. ebd., S. 37.
G. Ergebnisse Vom späten 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durchlief das höhere Berliner Schulwesen verschiedene Entwicklungsphasen, welche in enger Korrelation zu den jeweiligen konfessionellen Formierungsprozessen der Berliner und brandenburgisch-preußischen Gesellschaft standen. Zunächst läßt sich eine Phase der Ausprägung verschiedenkonfessioneller Gelehrtenschulen erkennen, die von Distanz und Konfrontation geprägt war und in der Zeit des Großen Kurfürsten ihren Höhepunkt fand. Aufgrund der Konfessionsdifferenz kamen an den landesherrlichen und städtischen Gelehrtenschulen unterschiedliche Einflüsse zur Geltung, was nicht nur in personeller, sondern auch in curricularer Hinsicht seinen Niederschlag fand. An den städtischen Schulen wurden vor allem mitteldeutschsächsische und an den landesherrlichen Schulen westdeutsche und westeuropäische Einflüsse wirksam. Trotz dieser unterschiedlichen Prägungen setzte am Ende des 17. Jahrhunderts parallel an allen Berliner Gelehrtenschulen eine Phase beschleunigten Wandels ein, welche unmittelbar auf das Eindringen des Pietismus und der Frühaufklärung zurückzuführen ist. Auf institutionell-administrativer Ebene läßt sich zunächst folgendes feststellen: Bereits die Neugründung des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster als erste kurbrandenburgische Landesschule ist auf die landesherrlichen Bemühungen für eine umfassende lutherisch-orthodoxe Kirchenreform zurückzuführen. Auch bei der Einrichtung einer neuen Fürstenschule in Joachimsthal spielten konfessionspolitische Motive eine Rolle. Nach dem Übertritt der Hohenzollern zum reformierten Bekenntnis geriet diese Schule als Instrument zur Verbreitung des Reformiertentums in besonderem Maße in den Fokus landesherrlichen Interesses. Mit dem Umzug der Fürstenschule in die Berliner Hauptresidenz entwickelte sie sich zu einem Kristallisationskern der Berliner reformierten Konfessionsgesellschaft. Die geistliche Schulaufsicht übten die kurfürstlichen und königlichen Hofprediger aus. Umgekehrt übernahmen das Cöllnische und vor allem das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster in enger Verbindung mit der lutherischorthodoxen Geistlichkeit wichtige Funktionen für die Stärkung der lutherischen Identität des städtischen Bürgertums. Aufgrund ihrer lutherisch-orthodoxen Prägung gerieten beide Schulen zwangsläufig in Konkurrenz zur landesherrlichen Fürstenschule. Die Gründung einer ersten Simultanschule unter reformierter Leitung in dem mehrheitlich von Lutheranern bewohnten Stadtteil Friedrichswerder zeigt ebenfalls das Interesse der Territorialherrschaft an der Etablierung des Reformiertentums an. Auch die Einrichtung einer besonderen Gelehrtenschule für
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die französisch-reformierten Hugenotten ist als ein unmittelbares Ergebnis der landesherrlichen Konfessionspolitik anzusehen. In der administrativen Praxis ist eine deutliche Abgrenzung der lutherischen und reformierten Bereiche zu beobachten. Dies hing natürlich primär mit den Patronatsverhältnissen zusammen. Standen doch die reformierten Schulen unter kurfürstlichem respektive königlichem und die lutherischen Schulen unter städtischem Patronat. Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, daß das landesherrliche Schulregiment, das ein integraler Bestandteil des landesherrlichen Kirchenregimentes war, gegenüber den beiden altstädtischen Schulen insbesondere in der Zeit des Konfessionskonfliktes nur in einem begrenzten Maße ausgeübt wurde. Nachdem sich die Territorialherrschaft seit der Gründung der Fürstenschule in Joachimsthal von der Administration der Berlinischen Gymnasien zurückgezogen hatte, blieb den beiden altstädtischen Magistraten hier völlig freie Hand in ihren Verwaltungsentscheidungen. Dies entsprach ganz der Situation im sonstigen kurbrandenburgischen Bildungswesen, das im wesentlichen den ständisch-lokalen Obrigkeiten überlassen blieb. Das zentralstaatliche Element spielte offensichtlich auch an den lutherischen Gelehrtenschulen der brandenburgisch-preußischen Hauptresidenz bis in das 18. Jahrhundert hinein keine tragende Rolle. Gegen das Votum der Berliner und Cöllner Magistrate konnte in Bestallungsfragen nichts entschieden werden. Trotz Unterstützung von Seiten des kurmärkischen Konsistoriums gelang es auch Spener anfangs nicht in jedem Falle, seine pietistische Berufungspolitik gegenüber dem Berliner Magistrat durchzusetzen. Der Cöllnische Magistrat setzte sich in Bestallungsfragen sogar über den ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten hinweg. Anders sah es in den von Reformierten dominierten Magistraten der Neustädte aus: Wie die Anstellung des ersten lutherischen Rektors des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Joachim Lange, zeigt, setzte sich der Kurfürst gegenüber dem Friedrichswerderschen Magistrat von Beginn an völlig problemlos durch. Die Tatsache, daß sich hier der Pietismus am schnellsten etablierte, war also eine unmittelbare Folge der stärkeren Abhängigkeit dieser kurfürstlichen Neustadt vom Landesherrn. Völlig uneingeschränkt kam das dem Landesherrn als summus episcopus zustehende Schulregiment nur bei den beiden reformierten Schulen der Stadt zum Tragen, die als kurfürstliche und königliche Stiftungen unmittelbar der landesherrlichen Verwaltung unterstanden. Ansprüche der lutherischen Ständevertreter und lutherischen Geistlichkeit, an das als Landesschule konzipierte Joachimsthalsche Gymnasium auch lutherische Lehrer zu berufen, wehrte der Landesherr rigoros ab. Vielmehr beharrte er darauf, dieses Gymnasium als eine spezifische Standesschule des Reformiertentums zu erhalten. Auch gegenüber dem französisch-reformierten Konsistorium wurde das landesherrliche Schulregiment uneingeschränkt durchgesetzt. In die Leitungsangelegenheiten sowohl des Joachimsthalschen als auch des Französischen Gymnasiums waren die jeweiligen preußischen Staatsminister unmittelbar mit einbezogen. Zu Mitgliedern der eigens eingerichteten
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Schulaufsichtsorgane wurden aus der jeweiligen deutsch- bzw. französisch-reformierten Gemeinde bevorzugt führende Mitglieder der höheren Beamtenschicht berufen. Damit war die Verschränkung von konfessionellem, politischem und Bildungsbereich perfekt. Auch in finanzieller Hinsicht konzentrierte sich das landesherrliche Engagement ganz auf den reformierten Bereich. Keine andere höhere Schule des Territoriums war durch Grundbesitz, Abgaben und Rechte in seiner Existenz so gut abgesichert wie das Joachimsthalsche Gymnasium. Die regelmäßigen Einkünfte der Fürstenschule ermöglichten nicht nur großzügige Gehaltszahlungen an die dortigen Lehrer, sondern auch ein breiteres Stellenprofil und den Aufbau eines leistungsfähigen Stipendiatensystems. Für die städtischen Schulen gab es zwar staatliche Zuschüsse aus Steuergeldern, die eigentliche Finanzlast lag jedoch bei den städtischen Magistraten. Die Lehrer an den städtischen Schulen verdienten zum Teil weniger als die Hälfte dessen, was die Lehrer der landesherrlichen Schulen erhielten. Das zwang sie dazu, ihren Schülern zusätzlichen Privatunterricht anzubieten. Zugleich zeigt das Beispiel des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster ein enorm hohes Engagement der städtischen Bürgerschaft, sich mit großzügigen Stiftungen und Spenden für eine Verbesserung des städtischen Schulwesens einzusetzen. Unter den Wohltätern der Schule finden sich sowohl Angehörige von Berliner Kaufmannsfamilien und der außerhöfischen Berliner Ratsbürgerschaft als auch Vertreter der Berliner Honoratiorenschicht, die durch ihre Tätigkeit im Kammergericht in einer lockeren Verbindung zum landesherrlichen Hof standen. Führende Staatsoder Hofbeamte waren allerdings nicht darunter. Auch die langfristige Konsolidierung der Finanzen des Berlinischen Gymnasiums im späteren 18. Jahrhundert ging ganz auf die eigenverantwortliche Initiative eines städtebürgerlichen Stifters zurück. Die Tatsache, daß es sich bei den Spendern ausschließlich um Lutheraner handelte, stellt die mentale Spaltung der residenzstädtischen Bevölkerung nach Konfessionen auf neue Weise unter Beweis. Auf sozialgeschichtlich-personeller Ebene ergibt der Vergleich der Berliner Gelehrtenschulen ebenfalls prägnante Unterschiede. Dies betrifft insbesondere die Herkunftsgebiete und die universitäre Prägung der jeweiligen Lehrerschaft. Als Folge des Konfessionalisierungsprozesses haben wir es bis weit in das 18. Jahrhundert hinein an den Berliner Gelehrtenschulen mit konfessionell geschlossenen Lehrerkollegien zu tun. Nur am Friedrichswerderschen Gymnasium kam es durch Lehrerwechsel von und zu den anderen Berliner Gymnasien zu einer gewissen konfessionellen Durchmischung. Damit bildete die Schule seit den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts einen der wenigen Orte interkonfessionellen Austausches. Wie der Vergleich der geographischen Herkunftsgebiete zeigt, ergibt sich zwischen den Lehrern lutherischen und reformierten Bekenntnisses ein völlig unterschiedliches Bild. Drei Viertel der lutherischen Lehrer waren Einheimische,
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die aus Berlin und der Kurmark Brandenburg stammten. Nicht wenige von ihnen waren Angehörige alteingesessener Berliner Rats- und Pfarrergeschlechter. Nur eine Minderheit kam aus anderen Territorien, vor allem aus dem benachbarten lutherischen Sachsen, sowie aus Schlesien und Böhmen. Genau umgekehrt sah es bei den reformierten Lehrern aus. Nur zwanzig Prozent von ihnen waren einheimischer Abstammung. Sechzig Prozent kamen dagegen aus anderen, vor allem reformierten Territorien des Reiches und weitere zwanzig Prozent waren ausländischer Herkunft. Ein Teil der Lehrer war durch den Besuch der Landesuniversität in Frankfurt nach Brandenburg-Preußen gekommen und wurde von dort direkt nach Berlin empfohlen. Die häufigsten Herkunftsgebiete waren abgesehen von Frankreich – im Falle der hugenottischen Lehrer – neben dem benachbarten Anhalt vor allem weiter entfernte reformierte Territorien Westdeutschlands. Damit werden nicht nur die Wege, über welche das Reformiertentum nach Brandenburg kam, transparent. Das getrennte Herkunftsprofil bekräftigt zugleich die allgemeine These von einem Import reformierter „Ausländer“ zum Aufbau einer von der brandenburgischen Bevölkerung unabhängigen Politik- und Kulturelite. Ein anderes wichtiges Ergebnis des prosopographischen Vergleiches bezieht sich auf die akademische Prägung der Berliner Lehrerschaft. Hierbei konnte nachgewiesen werden, daß sich die Lehrer im Laufe ihres Philosophie- und Theologiestudiums ausnahmslos innerhalb ihrer jeweiligen konfessionellen Netzwerke bewegt haben. Abgesehen von der Frankfurter Landesuniversität, an der bis 1680 auch einige Lutheraner studierten, ergeben sich bei den von den lutherischen und reformierten Lehrern besuchten Universitäten keine Überschneidungen. Die neue Landesuniversität in Halle wurde von Reformierten fast überhaupt nicht frequentiert. Anders als man vermuten könnte, beschränkten sich auch Konversionen zum reformierten Bekenntnis nur auf wenige Einzelfälle. Bei den Studienorten der lutherischen Lehrer, die zunächst vor allem an der Frankfurter Landesuniversität und in Wittenberg studiert hatten, gewannen nach dem landesherrlichen Konfessionswechsel die sächsischen Universitäten immer stärker an Bedeutung. Das kurfürstliche Verbot, die lutherisch-orthodoxe Universität von Wittenberg zu besuchen, führte in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verstärkt dazu, daß die Brandenburger auf die Universitäten von Jena und Leipzig auswichen. Diese „staatliche Studienlenkung“ hatte völlig unbeabsichtigt zur Folge, daß an den städtischen Berliner Gymnasien am Ende des 17. Jahrhunderts eine von der mitteldeutschen Frühaufklärung und vom Pietismus geprägte Lehrerschaft zum Zuge kam. Bei ihren Studienaufenthalten in Jena war ein Teil dieser Lehrer mit Erhard Weigel und seinem mathematisch-naturwissenschaftlichen und reformpädagogischen System in Berührung gekommen. Andere hatten in den achtziger Jahren zusammen mit August Hermann Francke in Leipzig studiert und waren dort mit der jungen pietistischen Bewegung in Kontakt gekommen. Seit den neunziger Jahren wurde eine ganze Generation neuer Lehrer aus Halle, dem neuen Zentrum des Pietismus und der Frühaufklärung, an die städtischen
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Berliner Gelehrtenschulen berufen. Im Ergebnis einer gezielten pietistischen Personalpolitik wurden innerhalb der ersten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts fast alle höheren Lehrerstellen mit Absolventen der Hallenser Universität besetzt. Als wichtiger Forschungsbefund kann damit für Berlin festgestellt werden, daß man es hier bereits relativ früh mit einem pietistisch durchdrungenen Lehrerstand zu tun hatte. Die Weichenstellungen dafür wurden bereits in den neunziger Jahren, also weitaus früher als bisher gedacht, gestellt. In diesem Prozeß ist die Rolle Speners weitaus positiver einzuschätzen, als dies bisher geschehen ist. An den reformierten Schulen wurden vor allem westdeutsche und westeuropäische Einflüsse spürbar. Wenn auch Frankfurt die am häufigsten besuchte Universität war, hatte ein weitaus größerer Teil der reformierten Lehrer an reformierten Universitäten und Hohen Schulen Westdeutschlands studiert. Die meistbesuchte dieser Hochschulen war das Bremer Gymnasium Illustre, wo ein Teil der Berliner Lehrer in den achtziger und neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts mit dem frühen reformierten Pietismus in Berührung kam. Mit deutlichem Abstand folgten das Gymnasium Illustre im benachbarten Zerbst sowie Heidelberg und Herborn. Auffällig ist bei den reformierten Lehrern der vergleichsweise häufige Besuch niederländischer und englischer Universitäten. Dieser Unterschied im Radius der peregrinatio academica bestätigt den generellen Eindruck einer weitaus höheren Mobilität unter den Reformierten. Eine starke westeuropäische Prägung ist vor allem bei den hugenottischen Lehrern festzustellen: neben verschiedenen calvinistischen Hugenottenakademien hatten die französischen Lehrer auf ihrem Weg ins Exil auch Bildungseinrichtungen in der Schweiz und den Niederlanden besucht und waren dort mit der westeuropäischen Frühaufklärung in Berührung gekommen. Auch die vergleichende Analyse der Schülerschaft an den Berliner Gelehrtenschulen hat wichtige Forschungsergebnisse zu Tage gefördert. In quantitativer Hinsicht läßt sich feststellen, daß trotz geringerer finanzieller Mittel das Ausbildungsvolumen der beiden städtischen Schulen dasjenige der landesherrlichen Fürstenschule im gesamten 17. Jahrhundert übertraf. In den Zeiten des Konfessionskonfliktes trug der reformierte Charakter des Joachimsthalschen Gymnasiums dazu bei, daß die Schülerzahl dort vergleichsweise gering blieb, während die lutherischen städtischen Schulen deutlich mehr Zulauf erhielten. Allerdings gelangten von den Joachimsthalschen Absolventen eine weitaus größere Anzahl in wichtige staatliche Ämter und Positionen, was letztlich für den Erfolg dieser schmalen Elitebildung spricht. Erst seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nahm das Joachimsthalsche Gymnasium ebenso viele Schüler auf, wie das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, das sich langfristig zur leistungsfähigsten der städtischen Gelehrtenschulen entwickelte. An dritter Stelle stand das Cöllnische Gymnasium, das jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts wie das Friedrichswerdersche Gymnasium immer mehr an Zulauf verlor. Mit deutlichem Abstand folgte das Französische Gymnasium, dem für die Berliner Bildungslandschaft bis zur Mitte
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des 18. Jahrhunderts eine deutlich geringere Bedeutung zuzumessen ist als bisher angenommen. Als generelles Forschungsergebnis kann festgestellt werden, daß spätestens seit dem Ende des 17. Jahrhunderts Berlin mit seinen fünf Gelehrtenschulen der bedeutendste Ort gymnasialer Bildung in Brandenburg-Preußens war. Auch der neue Bildungsstandort Halle erreichte nicht das Ausbildungspotential der brandenburgisch-preußischen Hauptresidenz. Die Konfessionalisierung des Berliner Gelehrtenschulwesens machte sich primär an der eindeutigen Bekenntnisbindung der einzelnen Gymnasien fest. An den beiden Altberliner Gymnasien war das lutherische Bekenntnis konstitutiv und betraf nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schüler. Die feste Integration dieser Schulen in die lutherische Konfessionskultur läßt sich vor allem für das 17. Jahrhundert anhand mehrerer Konfliktfälle eindeutig belegen. Ebenso fest eingebunden waren die Schüler des Französischen Gymnasiums in die französischreformierte Hugenottengemeinde. Die effektive Wirksamkeit der „unsichtbaren Grenze“ zwischen den Konfessionen zeigt sich daran, daß die städtischen Schulen kaum von französischen Hugenotten frequentiert wurden. Umgekehrt wurde auch das Collège François von keinen Lutheranern besucht. Die landesherrliche Fürstenschule stand dagegen trotz einer reformierten Lehrerschaft auch lutherischen Schülern offen. Dies war zum einen ein Zugeständnis an die brandenburgischen Landstände, zum anderen wird hier das Kalkül deutlich, ein dem Landesherrn loyal gegenüberstehendes Luthertum zu stärken. Insofern, als das Joachimsthalsche Gymnasium neben einer neuen reformierten Elite auch ein loyales Luthertum beförderte, fungierte die Fürstenschule nicht nur als ein Konfessionalisierungsinstrument, sondern arbeitete sie zugleich in effektiver Weise dem traditionellen Konfessionskonflikt entgegen. Auch die Einrichtung des Friedrichswerderschen Gymnasiums als Simultaneum diente diesem Ziel. Diese Dialektik macht die prinzipielle Verschränkung konfessioneller und machtpolitischer Motive in der landesherrlichen Bildungspolitik in besonderem Maße deutlich. Von besonderem Interesse bei der Untersuchung der Folgen der Konfessionalisierung erweist sich die Frage nach der regionalen Herkunft der Schüler. Generell gilt, daß nicht nur die geographische Reichweite der landesherrlichen Fürstenschule, sondern auch die der städtischen Gelehrtenschulen weit über die Berliner Residenz hinausging. Dies betraf insbesondere die ersten Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Krieg. Seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert nahm freilich mit dem Zuwachs der Berliner Bevölkerung auch der Anteil gebürtiger Berliner unter den Schülern zu. Gleichwohl erfüllten sämtliche Gelehrtenschulen weiterhin eine wichtige Zentralitätsfunktion für die gesamte Mark Brandenburg. Hinsichtlich der geographischen Einzugsgebiete zeichnen sich jedoch auch wichtige Unterschiede zwischen den lutherischen und den reformierten Gelehrtenschulen ab: Zum einen war unter der Schülerschaft des Joachimsthalschen Gymnasiums der Anteil von Nichtbrandenburgern und Ausländern doppelt so
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hoch wie an den lutherischen Schulen. Zum anderen lassen sich unter den Nichtbrandenburgern je nach konfessioneller Ausrichtung grundsätzlich andere Herkunftsgebiete unterscheiden. Während die fremden Schüler an den städtischen Schulen aus benachbarten lutherischen Gebieten wie Sachsen, Thüringen und Mecklenburg kamen, stammten die Fremden am Joachimsthalschen Gymnasium vor allem aus Anhalt und Schlesien sowie aus weiter entfernten reformierten Territorien Westdeutschlands, ja auch von außerhalb des Reiches. Diese größere geographische Reichweite der landesherrlichen Fürstenschule hing primär mit dem reformierten Charakter der Schule zusammen. Sie diente keinesfalls mehr als Landesschule im herkömmlichen Sinne, die für die innerbrandenburgische Elitenbildung zuständig war, sondern immer auch als Instrument der landesherrlichen Religionspolitik zur Stärkung einer neuen reformierten Elite, die sich vor allem aus fremden Zuwanderern rekrutierte. Auch die Einrichtung besonderer Freistellen für reformierte Litauer, Polen und Siebenbürger war ein integraler Bestandteil der landesherrlichen Konfessionspolitik. Erst dadurch konnte sich das Berliner Gelehrtenschulwesen zu einer besonderen Drehscheibe für Protestanten aus Ostmitteleuropa entwickeln. Auch hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung der Schüler lassen sich zwischen den landesherrlichen und den städtischen Schulen Unterschiede erkennen. So wurde das Joachimsthalsche Gymnasium eindeutig stärker von Adligen besucht, als dies bei den städtischen Schulen der Fall war. Dieser Befund ist vor allem auf den besonderen Rang des Joachimsthalschen Gymnasiums als Fürstenschule zurückzuführen. Daß sich märkische Adlige in den Jahrzehnten des Konfessionskonfliktes mit einem Schulbesuch deutlich zurückhielten, mag jedoch auch konfessionelle Gründe gehabt haben. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nahm der Anteil Adliger jedoch generell zu und entwickelte sich das Joachimsthalsche Gymnasium immer stärker in Richtung einer adligen Standesschule. Zugleich wurde es immer mehr zur Standesschule für die weltlichen und geistlichen Führungsschichten Brandenburg-Preußens. Überproportional viele Schüler gehörten kurfürstlichen und königlichen Amtsträger- und Hofpredigerfamilien an. Von den Nachkommen dieser weltlichen und geistlichen Führungsschichten schlugen nicht wenige als Staats-, Hof- und Kammergerichtsräte, Juristen, Theologen, Professoren und Mediziner selbst eine erfolgreiche Karriere ein. Somit war das Bemühen der brandenburgischen Landesherrschaft, am Joachimsthalschen Gymnasium langfristig einen neuen einheimischen Amtsträgernachwuchs heranzubilden, tatsächlich von Erfolg gekrönt. Die Bedeutung der lutherischen städtischen Gelehrtenschulen für die Rekrutierung brandenburgisch-preußischer Amtsträger war dagegen gering. Gleichwohl haben sich viele ihrer lutherischen Absolventen für die Brandenburgische Kirchen- und Wissenschaftsgeschichte verdient gemacht. Ob und in welchem Maße sich die unterschiedlichen akademischen Prägungen der Berliner Gelehrtenschullehrer in der pädagogischen Praxis niederschlugen, bildete eine dritte untersuchte Dimension der vorliegenden Arbeit. Grundsätzlich
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ist festzustellen, daß sich die angewandten Methoden und vermittelten Lehrinhalte an den Berliner Gelehrtenschulen im 17. Jahrhundert insofern wenig voneinander unterschieden, als sämtliche Schulen dieselben Unterrichtsziele verfolgten: nämlich die Schüler im richtigen Bekenntnis zu festigen und sie die mühelose Beherrschung der alten Sprachen, insbesondere des Lateinischen, zu lehren. Wie im frühneuzeitlichen Gelehrtenschulwesen generell, so stand auch an den Berliner Schulen eine religiös-sittliche und eine sprachlich-humanistische Bildung im Mittelpunkt des Unterrichts. Die ersten realistischen Lehrinhalte drangen in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts vor allem im Rahmen von Privatlektionen in das Berliner Gelehrtenschulwesen ein. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts läßt sich unter dem Einfluß des Pietismus und der Frühaufklärung, die die pädagogischen Konzepte der realistischen Bewegung aufgenommen hatten, ein deutlicher Trend zur stärkeren Differenzierung der Lehrpläne feststellen. Als Reaktion auf die Erfordernisse der sich modernisierenden Gesellschaft wurden neue Lehrinhalte, wie die aus dem Quadrivium herausgewachsenen Wissenschaften Mathematik, Physik und Astronomie sowie neue realistische Fächer wie Geschichte und Geographie, in die Lehrprogramme aufgenommen. Daneben gelangten als erste moderne Fremdsprache Französisch sowie die deutsche Muttersprache in die Curricula. An den landesherrlichen Schulen ist außerdem ein ambitionierter Ausbau der Oberstufe zu beobachten, in dessen Rahmen am Joachimsthalschen Gymnasium Unterricht in Natur- und Zivilrecht und am Collège der Hugenotten cartesianische Philosophie angeboten wurde. Neben der allmählichen Erweiterung der curricularen Profile kamen seit der Jahrhundertwende unter den Berliner Lehrern verstärkt Bestrebungen um curriculare Vereinheitlichungen auf. Primäres Ziel einer neuen Generation von deutschen Lehrern im Umkreis der neugegründeten Sozietät der Wissenschaften war die Abfassung einheitlicher Lehrbücher, die für das ganze Territorium Geltung haben sollten. Diese Gemeinschaftsarbeit, an der sich maßgeblich die Lehrer der beiden führenden Gymnasien, des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster und des Joachimsthalschen Gymnasiums, beteiligten, bildete zugleich die erste überkonfessionelle Zusammenarbeit unter den Berliner Gelehrtenschullehrern. Darüber hinaus verstärkten sich in der Zeit des Pietismus und der Frühaufklärung die Bemühungen, den Unterricht an den Berliner Gelehrtenschulen in methodischer Hinsicht zu verbessern. Am Gymnasium zum Grauen Kloster gab es Versuche, das starre Klassensystem durch Ansätze eines Fachklassensystems durchlässiger zu machen. Außerdem sollten regelmäßige Prüfungen und Lehrerkonferenzen die Unterrichtsqualität verbessern helfen. Wie die Herausgabe einer neuartigen pädagogischen Zeitschrift zeigt, wurde die reformpädagogische Diskussion unter den vom Pietismus geprägten lutherischen Gelehrtenschullehrern besonders intensiv geführt.
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Im gesamten Untersuchungszeitraum bildete der Religionsunterricht, der sich in den obersten Klassen zu einer ausführlichen theologischen Propädeutik ausweitete, ein Kernstück des Unterrichts. Infolge des Konfessionalisierungsprozesses wurden an den Berliner Gelehrtenschulen Katechismen und Lehrbücher benutzt, die dem jeweiligen Bekenntnisstand der Schulen entsprachen. Zur Internalisierung der jeweiligen Konfession stützte man sich an den beiden altstädtischen Schulen auf Luthers Katechismus und auf die üblichen lutherisch-orthodoxe Dogmatiken, während man am Joachimsthalschen Gymnasium den Heidelberger Katechismus und reformiert-orthodoxe Kompendien heranzog. Daß man den lutherischen Fürstenschülern keinen eigenen Religionsunterricht zugestand, verdeutlicht in besonderem Maße das landesherrliche Kalkül, die Lutheraner näher an das Reformiertentum heranzuziehen. Nur am Friedrichswerderschen Gymnasium gab es aufgrund seines bikonfessionellen Charakters einen doppelt gearteten Religionsunterricht. Der Pietismus hat hier seine frühesten Spuren hinterlassen. Bereits im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts wurde am Friedrichswerderschen Gymnasium ein Lehrbuch von Spener benutzen. Außerdem verstärkte man den biblischen Unterricht, was nicht nur im Blick auf die Bibelexegese, sondern auch zur Übung geistlicher Erbauung geschah. Am Berlinischen und Cöllnischen Gymnasium setzte der Generationswechsel hin zum Pietismus ungefähr ein Jahrzehnt später ein. Dies schlug sich ebenso in einer verstärkten Bibellektüre und der Einführung exegetischen Unterrichts nieder. Dennoch hielt man hier zunächst an den traditionellen lutherisch-orthodoxen Lehrbüchern fest. Erst seit den zwanziger Jahren benutzte man auch pietistische Lehrbücher. Die Verwendung dieser neuen Kompendien zeigt ebenso wie das neue Fach Kirchengeschichte, daß sich der katechetische und Theologieunterricht in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nicht nur quantitativ, sondern auch thematisch und methodisch weiter ausdifferenzierte. Auch an der reformierten Fürstenschule läßt sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß einer vom reformierten Bremer Pietismus geprägten neuen Lehrergeneration die Intensivierung der theologischen Propädeutik und des biblischen Unterrichts beobachten. Wie an den anderen Berliner Gelehrtenschulen rückte außerdem die religiöse Praxis stärker ins Zentrum der pädagogischen Bemühungen. Daß sich die Abschaffung der orthodoxen Lehrbücher bis in die zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts hinein hinzog, zeigt, wie nachhaltig auch auf reformierter Seite die traditionelle orthodoxe Prägung war. Zugleich wird deutlich, daß die Überwindung der engen konfessionellen Fixierung zugunsten einer stärker biblisch fundierten Frömmigkeitserziehung unabhängig von der jeweiligen Konfession ein länger andauernder Prozeß war. Während die religiöse Unterweisung in den Lehrplänen der deutschen Schulen konstitutiv war und seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts in Richtung einer theologischen Propädeutik weiter verstärkt wurde, blieben theologische Fächer am
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Collège der Hugenotten von vornherein stärker im Hintergrund. Einen besonderen Schwerpunkt des Unterrichts bildete stattdessen der philosophische Unterricht. Offensichtlich verfolgten die von der französischen Frühaufklärung geprägten Direktoren vor allem das Ziel, ein Ort philosophischer Propädeutik zu sein. Neu für die Residenzstadt Berlin war der Cartesianismus, der hier seit den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts gelehrt wurde und am Collège einen besonderen Stellenwert genoß. An den deutschen Gelehrtenschulen, die traditionell vom Aristotelismus geprägt waren, tauchte der Cartesianismus erst zwanzig Jahre später und nur am Joachimsthalschen Gymnasium auf. Seine Wirkungszeit am deutschreformierten Gymnasium sollte jedoch nicht von Dauer sein, da er bereits in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts von der Wolffschen Aufklärungsphilosophie abgelöst wurde. Das Französische Gymnasium blieb somit der wichtigste Ort für die Verbreitung des Cartesianismus in der Berliner Residenz, bis in den vierziger Jahren auch hier der Wolffianismus zum Durchbruch kam. Die lutherischen Lehrer der städtischen Schulen standen dem Rationalismus cartesianischer Prägung dagegen im gesamten Untersuchungszeitraum skeptisch gegenüber. Seit der Zeit der Konfessionalisierung herrschte an den städtischen Schulen, wie im protestantischen Gelehrtenschulwesen allgemein, die aristotelische Schulphilosophie vor, die sich neben der Logik und Ethik in besonderem Maße mit metaphysischen Fragen befaßte. Dieser besonderen Blüte der aristotelischen Metaphysik hatte auch der Ramismus als konkurrierende schulphilosophische Richtung nichts anhaben können. Ein wichtiges Untersuchungsergebnis der Arbeit bildet dabei die Tatsache, daß auch am Joachimsthalschen Gymnasium der Ramismus, der vor allem eine calvinistische Erscheinung war, nur kurzzeitig in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts zum Zuge kam. Langfristig hielt man auch hier an der aristotelischen Logik fest, lehnte allerdings – anders als an den lutherischen Schulen – die aristotelische Metaphysik weitgehend ab. An den städtischen Berliner Gelehrtenschulen bereitete dagegen erst die vom Pietismus und der Frühaufklärung beeinflußte neue Lehrergeneration der aristotelischen Metaphysik ein Ende. Unter den jungen pietistischen Theologen verlor hier der Philosophieunterricht generell an Bedeutung, bis auch hier in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Aufklärungsphilosophie Wolffs Einzug hielt. Wie diese unterschiedlichen Entwicklungswege zeigen, stand das jeweilige Profil des Philosophieunterrichts in unmittelbarer Beziehung zur jeweiligen konfessionellen Prägung der Schulen. Westeuropäische Einflüsse wie der Ramismus und der Cartesianismus wurden nur an den reformierten Gymnasien wirksam; allerdings am deutsch-reformierten Joachimsthalschen Gymnasium weitaus geringer als am französisch-reformierten Collège der Hugenotten. Der allgemeine Durchbruch der Wolffschen Aufklärungsphilosophie in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts bereitete dann jeglichen konfessionellen „Sonderwegen“ ein Ende. Anders als für die theologische und philosophische Propädeutik lassen sich für den altsprachlichen und rhetorischen Unterricht an den verschiedenen Ber-
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liner Gelehrtenschulen nur wenige Differenzen ausmachen. Entsprechend dem rhetorisch-verbalen Bildungsideal des Humanismus lag der Schwerpunkt der Ausbildung an allen Schulen auf der mühelosen Beherrschung des Lateinischen. Ein intensiver Sprach- und Rhetorikunterricht mit entsprechenden öffentlichen Redeübungen gehörte im gesamten Untersuchungszeitraum zum gemeinsamen Kern der Curricula. Das Griechische wurde dagegen – was dem allgemeinen Trend im deutschen Gelehrtenschulwesen entsprach – im Laufe des 17. Jahrhunderts an den deutschen Berliner Gymnasien immer stärker in den Bereich des Privatunterrichts abgedrängt. Ein wichtiger Unterschied läßt sich jedoch zum französischen Collège feststellen: Die Tatsache, daß man hier deutlich mehr Unterricht im Griechischen gab, läßt auf eine weitaus stärkere humanistische Prägung dieser französischen Bildungseinrichtung schließen. An den deutschen Schulen nahm erst im Laufe des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß von Pietismus und Frühaufklärung das Interesse am Griechischen wieder zu. Parallel dazu erfuhr unter den pietistischen Lehrern das Hebräische als zweite biblische Sprache eine deutliche Aufwertung. Von der comenianischen Reform des humanistischen Unterrichts wurden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts alle deutschen Berliner Gelehrtenschulen unabhängig von der Konfession gleichermaßen erfaßt. Auch am hugenottischen Collège stützte man sich neben den Sprachlehrbüchern der französischen Jansenisten auf Lehrbücher des Comenius. Grundsätzliche Neuerungen vollzogen sich im altsprachlichen Unterricht erst wieder unter dem Einfluß der neuen pietistischen Lehrergeneration, die in überkonfessioneller Gemeinschaftsarbeit neue muttersprachlich angelegte Sprachlehrbücher und klassische Textausgaben herausbrachte, die den altsprachlichen Unterricht im gesamten 18. Jahrhundert bis weit über die Mark Brandenburg hinaus prägen sollten. Die Lehrer des Collège waren daran nicht beteiligt. Gleichwohl bedeutete die Abfassung der neuen märkischen Lehrbücher einen wesentlichen Schritt hin zur Vereinheitlichung des Berliner Gelehrtenschulwesens. Während sich beim altsprachlichen Unterricht also kaum Differenzen ausmachen lassen, war die Offenheit gegenüber den modernen Sprachen an den drei städtischen Schulen weitaus größer als an den landesherrlichen Schulen. Am Berlinischen und Cöllnischen Gymnasium wurde insbesondere das Schultheater zu einem wichtigen Mittler der deutschen Muttersprache. Die Ursachen für die deutliche Verspätung der landesherrlichen Gymnasien bezüglich eines muttersprachlichen Unterrichts müssen vor allem in der unterschiedlichen universitären und wissenschaftlichen Prägung des Lehrerpersonals gesucht werden. An den städtischen Gelehrtenschulen waren es vor allem die von der mitteldeutschen Frühaufklärung und insbesondere in Jena geprägten lutherischen Lehrer, die seit den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts das Eindringen der deutschen Sprache in den vormals rein humanistischen Unterricht vorbereiteten. Die neue Generation pietistischer Lehrer, die seit der Jahrhundertwende an den städtischen Berliner
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Gymnasien zum Zuge kam, nahm diese muttersprachlichen Impulse auf und führte sie weiter. Am Joachimsthalschen Gymnasium und mehr noch am Collège der Hugenotten blieb man dagegen bis in die dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts hinein einem ausschließlich altsprachlich-humanistisch ausgerichteten Curriculum verpflichtet. Damit sind die entscheidenden Modernisierungsimpulse, die im Bereich des muttersprachlichen Unterrichts wirksam wurden, unmittelbar auf ernestinisch-sächsische und pietistische Einflüsse zurückzuführen. Wie ein vergleichender Blick nach Kursachsen zeigt, drang an den dortigen Fürstenschulen die deutsche Sprache ebenfalls sehr viel langsamer vor. Einen weiteren zentralen Untersuchungsaspekt bildeten die Auswirkungen des pädagogischen Realismus auf die Erweiterung der Berliner Curricula um neue realistische und Wissenschaftsdisziplinen. Auch hier läßt sich eine gewisse Verspätung der beiden landesherrlichen Schulen gegenüber den städtischen Schulen konstatieren. Dies betrifft insbesondere den Geschichts- und Geographieunterricht. Der Trend zu einer systematischen historischen Bildung unter Einschluß der Zeitgeschichte wurde zuerst an den städtischen Schulen von einer lutherisch geprägten Lehrergeneration eingeleitet. Vorreiterfunktion hatten dabei wiederum Absolventen der Jenaer Universität. Die pietistischen Lehrer, die sich durch ein besonderes Interesse an den nützlichen Wissenschaften auszeichneten, konnten später daran anknüpfen. Beim Mathematikunterricht zeigt sich ein etwas anderes Bild. Nachdem ein Jenaer Weigelschüler diesen Unterricht am Grauen Kloster bereits in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts intensiviert hatte, zog die landesherrliche Fürstenschule wenig später mit einem besonderen Mathematicus nach, der im ernestinischen Sachsen und in Frankreich geprägt worden war. Seitdem hatte diese Disziplin hier ihren festen Platz im Curriculum. An den lutherischen Schulen führten erst die pietistisch geprägten Lehrer die Mathematik endgültig als ein reguläres Fach ein. Im Unterschied dazu wurde die höhere Mathematik am Französischen Collège lange Zeit vernachlässigt. Damit bestätigt sich der allgemeine Befund, daß die Schule der Hugenotten von der bildungsgeschichtlichen Wende hin zu den Realien deutlich später ergriffen wurde, als die deutschen Gelehrtenschulen der Stadt. Vorstellungen von einem generellen „Modernitätsfortschritt“ der französischen Hugenottenschule sind demnach keineswegs gerechtfertigt. Ein weiterer Befund betrifft den Vergleich mit Kursachsen: Soweit sich anhand der bisherigen Forschung sagen läßt, wurden auch die kursächsischen Fürstenschulen von der realistischen Bewegung vergleichsweise später erfaßt. In den achtziger Jahren hatte man hier die Weigelschen Reformvorschläge ausdrücklich abgelehnt, während an den lutherischen Schulen Berlins Jenaer Absolventen und Weigelschüler den pädagogischen Realismus bereits voranbrachten. Vor allem fehlten dort jedoch die pietistischen und frühaufklärerischen Impulse, die in Berlin seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wesentlich zu einer Modernisierung der
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Curricula beitrugen. Im Vergleich mit Kursachsen reagierte man an den Berliner Gelehrtenschulen offensichtlich weitaus schneller auf die Bedürfnisse der sich modernisierenden Gesellschaft. Dies betrifft nicht zuletzt den umfangreichen juristischen Unterricht, den die Fürstenschüler des Joachimsthalschen Gymnasiums erhielten. In der Zeit des Pietismus und der Frühaufklärung hatte sich demnach das Verhältnis von Sachsen und Brandenburg gegenüber der Reformationsepoche, in welcher das kursächsische Bildungswesen das innovative gewesen war, grundsätzlich umgekehrt. Eine letzte untersuchte Dimension des Berliner Gelehrtenschulwesens betrifft dessen Bedeutung für das kirchlich-religiöse und kulturell-wissenschaftliche Leben in der Berliner Residenz. Beim konfessionsspezifischen Vergleich lassen sich zum einen wichtige funktionale Äquivalenzen der einzelnen Schulen innerhalb der jeweiligen Berliner Konfessionskulturen ausmachen. Dies betrifft insbesondere die liturgisch-musikalische Ausgestaltung der Gottesdienste durch die von den Schulen gestellten Knabenchöre. Nicht zuletzt der konfessionellen Konkurrenzsituation in der Stadt mag es zuzurechnen sein, daß sich im 17. Jahrhundert auch an der reformierten Domkirche eine vom Landesherrn geförderte reichhaltige Musikkultur entwickelte, die von den Joachimsthalschen Schülern getragen wurde. Im Gegensatz dazu scheinen die Schüler des französischen Collège im Gottesdienst ihrer streng calvinistischen Gemeinde nicht in Erscheinung getreten zu sein. Die Differenzen in der konfessionellen Prägung hatten somit nicht nur personelle und curriculare Konsequenzen, sondern bestimmten auch die religiöse Alltagskultur der jeweiligen Schülerschaft in hohem Maße. Dies betrifft im Besonderen das Schultheater. Während in der Zeit der Orthodoxie das barocke Schultheater an den lutherischen Schulen als wichtiges Schauund Repräsentationsmedium eine besondere Blüte erlebte, wurden szenische Auf führungen an den reformierten Gymnasien nur in geringem Maße gepflegt. Nicht von ungefähr geriet in der Zeit des Großen Kurfürsten das städtische Schultheater, das sich in traditioneller Weise auch geistlichen Stoffen widmete, in die heftigen Auseinandersetzungen zwischen lutherischer Orthodoxie und reformierter Landesherrschaft. Erst als zur Zeit des Pietismus das Schultheater aufgrund seiner Sinnesfreudigkeit auch unter den Lutheranern in Verruf geriet, hob sich dieser konfessionell bedingte Unterschied auf. Eine weitere funktionale Differenz zwischen landesherrlich-reformierten und städtisch-lutherischen Schulen bezieht sich auf die Leichenbegängnisse und das Singen der Schülerkurrenden auf den Straßen der Stadt. Daß dies von Beginn an ganz eine Domäne der städtischen Schulen war, ist zum einen auf die lutherisch-orthodoxe Begräbnistradition zurückzuführen, die sich im Gegensatz zur reformierten durch eine besondere Reichhaltigkeit auszeichnete. Im Falle des Joachimsthalschen Gymnasiums muß man jedoch vor allem den besonderen Rang und den gesicherten finanziellen Status der Schule als landesherrliche Fürsten-
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schule dafür verantwortlich machen, daß deren Schüler nur bei herausgehobenen Anlässen öffentlich in Erscheinung traten. Die gelehrte und wissenschaftliche Wirksamkeit der Berliner Lehrer läßt sich ebenfalls mit den Konfessionalisierungsprozessen in einen unmittelbaren Zusammenhang bringen. Aufgrund ihres sprachlichen Könnens waren die studierten Theologen vor allem als Produzenten von Gelegenheitsdichtung bedeutsam. Dabei läßt sich feststellen, daß die Adressaten dieser Causalia in der Regel der eigenen Konfessionskultur zugehörten. Eine Ausnahme bildeten allerdings die panegyrischen Texte für das reformierte Herrscherhaus, die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts immer häufiger auch von lutherischen Lehrern verfaßt wurden. Zugleich fällt als ein konfessionelles Spezifikum auf, daß die deutschsprachige Kasualdichtung von Rang ausschließlich von lutherischen Lehrern verfaßt wurde. Auch in ihrer Funktion als Privatlehrer bewegten sich die Berliner Pädagogen in getrennten Kreisen. In Häuser der höfischen Führungsschichten bis hin zum brandenburgisch-preußischen Herrscherhaus wurden ausschließlich Lehrer der beiden landesherrlichen Schulen gerufen. Die Funktion als kurfürstliche respektive königliche Bibliothekare übten trotz eines vergleichbaren wissenschaftlichen Renommees ebenfalls fast ausschließlich reformierte Gelehrtenschullehrer aus. Die Tatsache, daß sich im Prozeß der Konfessionalisierung die Distanz zwischen städtischen und landesherrlichen Gelehrtenschullehrern verstärkte, wird auch auf wissenschaftlichem Gebiet deutlich. Als studierte Theologen waren die Lehrer in der Zeit des Großen Kurfürsten in besonderem Maße in die konfessionellen Auseinandersetzungen involviert, in denen sie engagiert den jeweiligen konfessionellen Standpunkt verteidigten. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es zwischen den unterschiedlichen Kreisen der Berliner Gelehrtenrepublik kaum Berührungspunkte. Erst in der Zeit des Pietismus und der Frühaufklärung, als angesichts des gemeinsamen wissenschaftlichen und reformpädagogischen Interesses die konfessionellen Grenzen immer mehr an Bedeutung verloren, setzte der persönliche und fachliche Austausch zwischen lutherischen sowie deutschund französisch-reformierten Gelehrtenschullehrern ein. Damit läßt sich für das Berliner Gelehrtenschulwesen das endgültige Ende des konfessionellen Zeitalters auf die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts datieren. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Geschichte der Berliner Gelehrtenschulen in der Frühen Neuzeit maßgeblich vom besonderen Prozeß der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen bestimmt war. Dies betrifft die Herausbildung eines mehrkonfessionellen höheren Bildungswesens in der brandenburgisch-preußischen Hauptresidenz ebenso, wie die jeweiligen personellen und pädagogischen Weichenstellungen sowie die Funktionen der Gelehrtenschulen innerhalb der verschiedenen Berliner Konfessionskulturen. Die konfessionelle Dynamik zwischen städtisch-lutherischer und höfisch-reformierter Gesellschaft, die permanente Konkurrenzsituation, die den Bildungssektor nicht verschonte
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und die vor allem in der Zeit des Großen Kurfürsten verfolgte landesherrliche Politik, das reformierte Element bevorzugt zu fördern, schufen direkt und indirekt die institutionellen und personellen Voraussetzungen für eine Blüte des höheren Bildungswesens, die in der Zeit des Pietismus und der Frühaufklärung einen vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte.
Quellen- und Literaturverzeichnis I. Ungedruckte Quellen Berlin: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) I. HA Geh. Rat, Rep. 47: Geistliche Angelegenheiten Fasz. 19 Geistliche Angelegenheiten 1670–1702 B 4, Fasz. 7 Geistliche Angelegenheiten von Berlin 1641–1670 B 4, Fasz. 20 Geistliche Angelegenheiten von Berlin C 4, [ohne Nr.] Geistliche Angelegenheiten von Cölln 1525–1699 C 4, Fasz. 15792 Geistliche Angelegenheiten von Cölln C 4, Fasz. 15793 Geistliche Angelegenheiten von Cölln F 12 Geistliche Angelegenheiten vom Friedrichswerder I. HA Geh. Rat, Rep. 60: Joachimsthalsches Gymnasium Nr. 1, 1 Generalia des Joachimsthalschen Gymnasiums Nr. 1, 2 Fundation, Reduction und Translation des Joachimsthalischen Gymnasiums 1607–1701 Nr. 1, 5 Acta betreffend die Schulverbesserung des Johann Raue (1654) Nr. 2 Visitationen, Examen und lectiones theologicae 1613–1773 Nr. 5, 1 Acta wegen Anrichtung einer reformirten Schule in der hiesigen Residenz Nr. 15 Verzeichnis der Schulknaben Nr. 17, 1 Bitten um Aufnahme und Gewährung der Freitische Nr. 17, 2 Wegen des Tumultes und Schlägerei zwischen dero Joachimsthalschen und Berlinischen Schülern dabey dem einen die linke Hand ist abgeschlagen worden Nr. 17, 3 [unbenannt] Nr. 25 Rectorat I. HA Geh. Rat, Rep. 76 alt, Abt. V: Acta des Evangelisch-Reformierten Kirchendirectoriums Nr. 172: Fundation, auch An- und Verordnungen für die Candidaten 1714–1809. I. HA Rep. 92: Nachlaß Beckmann III, 11: [Bernhard Ludwig Beckmann] Nachrichten von dem kgl. Joachimsthal. Gymnasio, welche dessen Zustand vom ersten Anfang bis auf gegenwärtige Zeiten in einen Zusammenhang vorstellen . . . Ao. 1741. [zit. Beckmann, Nachrichten] I. HA Rep. 122: Französisches Kolonie-Departement 7 a II. Nr. 1, Vol. 1: Acta betr. Das Französische Gymnasium
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Quellen- und Literaturverzeichnis
BPH: Brandenburg-Preußisches Hausarchiv 35 R I, Nr. 2a.: Kupferstichfolge zum Leichenbegängnis für Kurfürstin Luise Henriette im Jahre 1667. Potsdam: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Rep. 23 A Kurmärkisches Ständearchiv Nr. B 37: Allgemeine Landessachen Nr. B 563: Kirchen-, Visitations- und Religionssachen Rep. 32: Joachimsthalsches Gymnasium Nr. 1 Wiederanrichtung der Schule 1640–1686 Nr. 40 Einsetzung und Bestallung der Räte und Chefs des Schuldirectoriums 1646–1757 Nr. 63 Bestallung Wulstorff Nr. 64 Bestallung Wihelmi Nr. 65 Bestallung Vechner Nr. 68 Bestallung Elsner Nr. 69 Bestallung Heinius Nr. 78 Bestallung Posthius Nr. 84 Bestallung Meierotto Nr. 87 Bestallung Muzel Nr. 114 Kollegen Zieselmeier, Leporinus und Conrad Nr. 115 Kantor Petraeus Nr. 200 Gewährung eines Darlehens von 6000 Talern an die Berliner Ritterkademie 1720–1764 Nr. 304 Jährliche Zahlung von 600 RT aus der Kasse des Gymnasiums als Stipendiengelder für reformierte Kandidaten 1714, 1787 (1808) Nr. 305 Die Besoldung einiger Berliner reformierter und lutherischer Prediger aus der Hauptkasse des Joachimsthalschen Gymansiums und die Zahlung von 1000 T jährlich „ad montem pietatis“ 1717–1753 Nr. 308 Jährliche Zahlung von 3360 RT an Berliner Kadettenkorps 1721–1790 Nr. 329 Statuten und Gesetze, Einrichtung des theologischen Seminars (1731–1743) Nr. 345 Acta des Kgl. Jtschen Schuldirectorii verschiedene Verfügungen wegen des Gebets im Auditorio & Convictorio und Kirchen-Gehens betreffend Nr. 351 Bibliothek 1658–1732 Nr 448 Verpachtung der Communität Nr. 539 Bestimmung der numeri alumnorum 1675–1807. Nr. 1781 Koststellenregister der Fürstenschule Nr. 3497 Besoldung der Professoren, Inspektoren, sonst. Lehrkräfte und Aufsichtspersonen 1604–1806 Nr. 3529 Aufnahme zum Alumnat 1666–1809 Nr. 4894 Anhang Gregor Franck Nr. 5344 Ranglisten
I. Ungedruckte Quellen
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Rep. 34: Provinzial-Schulkollegium Berlin (I) Nr. 1857 Abschriften der Stiftungs- und sonstigen Urkunden des Joachimsthalschen Gymnasiums (1607–1803) Berlin: Landesarchiv (LAB) A Rep. 020–02: Deputation für die äußeren Angelegenheiten der städtischen höheren Lehranstalten Nr. 2227 Acta wegen den zwischen den Rectoren und übrigen Lehrern des Berlin. und Cöllnischen Gymnasii . . . entstandenen Streitigkeiten Nr. 2413 Acta betreffend die öffentlichen Examina des Berlinisch-Cöllnischen Gymnasii und der Cöllnischen Schule Nr. 6138 Rectorat bey dem Cöllnischen Gymnasio (1696–1820) Nr. 6139 Acta des Magistrats zu Berlin in Kost oder Tischgelder in Berlinischer und Cöllnischer Schule Nr. 6880 Subrectorat bey dem Berlinischen Gymnasio betreffende Acta Nr. 6881 Sub-Con-Rectorat bey dem Berlinischen Gymnasio betreffende Acta Nr. 9495 Vocation der Rectoren beim Friedrichswerderschen Gymnasium 1681–1779 Nr. 9668 Acta des Magistrats zu Berlin betreffend die Lehrer-Wittwen-Kasse des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums Vol. I. 1713–1831 Nr. 9761 Acta die Vocation derer Prorectorum bei dem Friedrichs-Werderschen Gymnasio betreffend 1718–1798 Nr. 11386 Acta des Magistrats zu Berlin betr. die Stiftung und Organisation des Berlinischen Gymnasiums Nr. 14393 Acta betreffend den Sub-Rectoren am Friedrichswerderschen Gymnasio 1705–1717 Nr. 15418 Simonisches Legatum A Rep. 020–09: Köllnisches Gymnasium Nr. 47 Chorgeld Rechnungen 1728–1742 Nr. 48 Ausgabenbuch des Cöllnischen Chores 1730–1825 Nr. 82 Album Coloniense (Film 4289) A Rep. 04–02: Magistrat der Stadt Berlin (Kirchendeputation) Nr. 1, 1 Acta des Magistrats der Stadt Berlin betr. das Jus patronatus 1631–1826 Berlin: Zentral- und Landesbibliothek, Historische Sondersammlungen, Archiv des Gymnasiums zum Grauen Kloster (ZLB GKl Archiv) Nr. 3 [unbenannt] Nr. 7 Allerlei, besonders des Konrectors Starcke Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens Nr. 9 [unbenannt] Nr. 11 Acten, die Verlegung des Gymnasiums nach einem andern Ort betreffend. Nr. 13 Urkunden, die freie Accise und Ziese der Kollegen und wittwen betreffend,
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III. Literatur vor 1800
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Histoire de L’Etablissement des François Refugiez dans les Etats de son Altesse Electorale de Brandebourg, Berlin 1939. Bake, Friedrich: Ad Audiendas Orationes Tam Versas, quam Prorsas, Quibus Gymnasium Fridericianum D. 6. Martii, 1722 ab Hora X ad XII Genethlia ac Nominalia sua XXXIX . . . celebrabit . . . Berlin 1722 . Bake, Friedrich: In Felicem Educationem Liberorum Eli, Felicem contra Samuelis ex I. Sam. I.II.III. Sermonibus Brevioribus in Gymnasio Friderico-Werderano . . . Nonulli Ingenui Juvenes et Adolescentes Illustrabunt, Berlin [1719]. Bake, Friedrich: Den XXXVIII. Gedächtniß-Tag Von dem Anfange des hiesigen FriedrichsGymnasii . . . wird morgen, den 7. Martii Anno 1721 Mit einer Lateinischen Oratio De Utilitate Scholis, in quibus diversorum sacrorum Praeceptores una docent, propria; feierlich begehen, Friedrichswerder 1721. Bake, Friedrich: Nachricht von dem Umfange einer Cöllnischen Schul-Bibliothek, ingleichen von den Redübungen, Berlin 1741. Baumgarten, Nathanael: Verzeichnis einiger Reden, Welche nebst der Vorstellung eines Trauerspiels vom sterbenden Socrates den 14. des Christmonats 1740 zur feyerlichen Begehung des hundertsechsundsechzigsten Stiftungs-Tages der Berlinischen KlosterSchule daselbst . . . sollen gehalten werden, Berlin 1740. Beckmann, Johann Christoph: Notitia Universitatis Francofurtanae, in: Jobst, Wolfgang: Kurtze Beschreibung der Alten löblichen Stat Franckfurt an der Oder, Frankfurt a. O. 1706. Beckmann, Johann Christoph: Historie des Fürstenthums Anhalt. Bd. 7. Zerbst 1716. Berger, Joachim Ernst: Biblische Einleitung zur kurzen und nützlichen Behandlung des kleinen Catechismi Lutheri, Berlin 1724. Berger, Joachim Ernst: Catalogus Lectionum Publicarum, Pro Primae Classis Auditoribus in Schola Fridericana, Quae hodie in Metropolitana Urbe Berolini floret, Cölln 1693. Berger, Joachim Ernst: Frauenzimmer-Bibliotheckgen oder thuelicher Vorschlag wie und auff was Art für ein deutsches Frauenzimmer mäßigen Vermögens unterschiedene auserlesene und recht nützliche Bücher . . . angeschaffet werden können, Güstrau 1705. Berger, Joachim Ernst: Für Augen gemahlter Christus Jesus, d. i. die Heilige Erkäntnis Der Göttl. Wahrheit von Jesu Christo Zu einen kräftigen Gottseligen Wesen, 3. Aufl. Berlin 1705. Berger, Joachim Ernst: Primitiae Berolinenses. h. e. programmata varii selectique argumenti, exercitiis Oratoriis ante praemissa, nunc collecta ac iunctim edita, Berlin 1696. Biedermann, Johann Gottlieb (Hg.): Acta Scholastica, Worinnen Nebst einem gründlichen Auszuge derer auserlesensten Programmata Der gegenwärtige Zustand Derer Berühm-
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Quellen- und Literaturverzeichnis
testen Schulen und der dahin gehörigen Gelehrsamkeit entdeckt wird, Bde. 1–8, Leipzig/ Eisenach 1741–1748. Bodenburg, Christoph Friedrich: Catalogus Lectionum Publicarum In duabus superioribus Classibus Gymnasii Berolinensis Favente supremo Numine Post Festum Paschatis Anno MDCCXIII, Et deinceps, habendarum in Usum Eorum quorum interest, editus a Christophero FridericoBodenburg, Gymnasii Rectore, Berlin 1713. Bodenburg, Christoph Friedrich: Designatio Lectionum in Gymnasii Berolinensis Classibus Prima & Secunda Sub auspiciis Summi Numinis ab anno 1708 post diem Michaelis & deinceps habendarum in Usum Eorum quorum interest edita a Christophero Friderico Bodenburg, Gymnasii Rectore, Berlin 1708. Bodenburg, Christoph Friedrich: Epistola Gratulatoria ad virum Maxime Reverendum & Celeberrimum Joachimum Langium, e Rectoratu Gymnasii Fridericiani & Pastoratu Berolinensi vocatum Professorem Theologiae ordinarium in Academia Halensi cui Stricturas quasdam in disputationem Wittenbergensem, Medicinae mentis Langianae oppositam adjecit Christoph Fridericus Bodenburg, Gymnasii Berolinensis Rector, Berlin 1709. Bodenburg, Christoph Friedrich: Leges docentium in Gymnasio Berolinensi olim Patronum iusque autoritate impressae Nunc vero iisdem auspiciis revisae, renovatae et conformatae et cuique Collegarum scriptae traditae Anno O. R. MDCCVIII, Berlin 1708. Bodenburg, Christoph Friedrich: Leges docentium in Gymnasio Berolinensi olim Suprema Electorali auctoritate concessae, Patronorum jussu aliquoties impressae; Anno Autem 1708. Iisdem auspiciis revisae, renovatae & promulgatae, denuoque typis excusae Anno MDCCXVII, Berlin 1717. Bodenburg, Joachim Christoph: Entwurff der allgemeinen Historie Von Erschaffung der Welt Bis auf Christum Nach sieben Haupt-Veränderungen Mit eingestreuten Anmerckungen, und kurtzer Einleitung vor die Anfänger, Berlin 1730. Bodenburg, Joachim Christoph: Nobili prosapia editis Ornatissimis & politissimis Juventibus Philippo Christian de Pulian Equiti Magdeburgico, Paulo Ant. Frid. Bodenburg Beroliensi, Wolff Henr. de Nauendorf Equiti Varisco & Hartwic. Christian de Platen Equiti Marchico, Ex Gymnasio Berolinensi cujus per aliquot annos Probi & assidui Cives fuerunt Ad Academiam cum laude abeuntibus, Berlin 1734. Bödiker, Johannes: Catalogus Dissertationum et Declamationum . . . A Discipulis Primi Ordinis in Gymnasio Svevo-Colonensi, Cölln 1677–1679. Bödiker, Johannes: Catalogus Dissertationum et Declamationum . . . A Discipulis Primi Ordinis in Gymnasio Petrino Coloniae, Cölln 1679–1684. Bödiker, Johannes: Christlicher Bericht Von Cometen, Cölln 1681.
III. Literatur vor 1800
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Bödiker, Johannes: Dissertatiuncula De Medicina. Cum Programmata Invitationis, Berlin o. J. Bödiker, Johannes: Einzug und Feuerwerck, als Friderich, Marggr. zu Brandenb. . . . Seine Gemahlinn, Sophia Charlotta . . . heimführete, Cölln 1684. Bödiker, Johannes: Emblemata Exequiarum Hieroglyphica Serenissimi Principis, Caroli Aemilii, Marchionis, Haeredis Electoral. Brandenburg. mature, proh dolor! . . . [Cölln] 1675. Bödiker, Johannes: Grund-Sätze der Deutschen Sprachen im Reden und Schreiben Samt einem Bericht vom rechten Gebrauch Der Vorwörter Der studierenden Jugend und allen Deutschliebenden zum Besten Vorgestellet, Cölln 1690. Bödiker, Johannes: Der klagende Und getröstete Rhein, Cölln 1689. Bödiker, Johannes: Sereniss. Ac Potentiss. Princeps Ac Dom. Dn. Fridericus Wilhelmus Vivat! Vivat! Vivat! Cölln 1680. Bödiker, Johannes: Seliges Ende Der Wol-Edlen, Hoch-Ehr- und Tugendreichen Frauen, Fr. Catharina Weilerin, Sel. Herrn Gottfried Schardii . . . hinterbliebene Wittib, Cölln 1680. Bödiker, Johannes: Trauer-Fall und Ehren-Schall dem HochEdlen, Vesten, Hochgelahrtund Hocherfahrnem Herrn, Herrn Cornelio Bontekoh . . . Als derselbe . . . sein Leben frühzeitig . . . geendet, und der Leichnahm mit einem hochansehnlichem Gefolg des Churfürstl. Hofes und dieser Haupt- und Residentz-Stadt in der Schloß-Kirchen zur Heil. Dreyfaltigkeit Christlich beigesetzet wurde . . . In einer Stand-Rede und Abdankung vorgestellet, Cölln 1685. Büsching, Anton Friedrich: Abhandlung von den Current-Schülern. Berlin 1791. Büsching, Anton Friedrich: Geschichte des Berlinischen Gymnasii im grauen Kloster, nebst einer Einladung zum Jubelfest desselben, Berlin 1774. Büsching, Anton Friedrich: Ausführliche Nachricht von der jetzigen Verfassung des Berlinischen Gymnasii, Berlin 1768. Burgersdijk, Franco: Institutionum Logicarum Synopsis, Sive Rudimenta Logica in quibus praecipue definitiones, divisiones & regulae, ad artem Logicam pertinentes . . . In Usum Gymnasii Electoralis Joachimici, quod nunc Coloniae ad Spream est recusa, Berlin 1661. Canstein, Carl Hildebrand: Das Muster eines rechtschaffenden Lehrers In der erbaulichen Lebens-Beschreibung Des um die gantze Evangelische Kirche hochverdienten Theologi, D. Phil. Jacob Speners . . . Von dem seligen Herrn Carl Hildebrand Freiherrn von Canstein Verfasset . . . Mit Anmerckungen . . . zum Druck befördert von D. Joachim Langen, Halle 1740.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Chauvin, Etienne (Hg.): Disputatio Philosophica De Existentia et Essentia Corporis, quam publico examini proponunt Adolphus à la Costa, Gallo-Cenomannensis, Petrus Mazot, Claromontanus Occitano-Gallus, sub Praesido . . . Stephani Chauvin . . . Cölln 1697. Chauvin, Etienne (Hg.): Disputatio philosophica, Generalem Disciplinae Moralis Synopsin exhibens. Publico eam examini proponit Christopherus Wilhelmus à Brandt, Eques Marchicus, sub praesidio . . . Stephani Chauvin, Cölln 1697. Chauvin, Etienne (Hg.): Disputatio Philosophica Secunda, de Logica in genere, quam publico examini proponunt Arnoldus Tydo Eger à Dieffenbruck, Baro Frisiae Orientalis, Carolus le Cointe, Elbovicensis . . . sub Praesidio . . . Stephani Chauvin, Cölln 1696. Chauvin, Etienne (Hg.): Disputatio Prima Philosophica. In qua Quid ipsa sit Philosophia, genuinaque Philosophandi ratio expenditur. Publico eam examini proponunt Joh. Christopherus Theodorus Baro à Willich & Lottum, Cliviensis, Claudius Gaultier, Petrus Gaultier, Monspelienses Occitano-Galli . . . sub Praesidio . . . Stephani Chauvin, Cölln 1696. Chauvin, Etienne (Hg.): Exercitatio Ethica De Actione Humana quam Sub Praesidio Stephani Chauvini . . . Publico subjicit examini Friedericus à Brandt, Eques Neo-Marchicus, Autor et Respondens, Cölln 1700. Chauvin, Etienne: Lexicon rationale sive thesaurus philosophicus, Rotterdam 1692. [Cicero, M. Tullius]: M. Tullii Ciceronis Epistolarum in Usum Incipientis et Proficientis Iuventutis Marchicae Selectarum Libri duo. Berlin 1711. Compendium Grammaticae Latinae oder kurzer Auszug aus der größeren lateinischen Grammtica Marchica, Berlin 1716. Cyprean, Ernst Salomon: Abgetrungener Unterricht von kirchlicher Vereinigung der Protestanten. Bd. 2. Leipzig 1726. [Damm, Christian Tobias]: Betrachtungen über die Religion. Durch C. T. D, Berlin 1773. Damm, Christian Tobias: Rede des Marcus Tullius Cicero für den Beklagten Sextus Roscius in Sachen eines angeschuldigten Vater-Mordes vor dem höchsten Gerichte in Rom, Berlin 1731. Damm, Christian Tobias: Damons Bürgschaft. Ein Gesprächspiel in drey Handlungen, Berlin 1755. Damm, Christian Tobias: Erklärungen aus der Weltweisheit, zum Gebrauche der Jugend zusammengetragen, Berlin 1764. Damm, Christian Tobias: Einleitung in die Götter-Lehre und Fabel-Geschichte der alten Griechischen und Römischen Welt, Berlin 1768. Damm, Christian Tobias: Kleines Griechisch-Deutsches Wörterbuch für Homer-Texte, [Berlin] 1735.
III. Literatur vor 1800
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Damm, Christian Tobias: Krieg der Mäuse mit den Fröschen, beschrieben von Homerus. Der Griechische Text, mit vollständigem Griechisch-Deutschen Register, und Erzehlung des Inhalts. Zum Gebrauch der Griechischlernenden durch Christian Tobias Damm, Berlin 1735. Damm, Christian Tobias (Hg.): Das Neue Testament, von neuem übersetzt und mit Anmerckungen begleitet, Teil 1–3, Berlin 1764/65. Damm, Christian Tobias: Novum Lexicon Graecum Etymologicum et Reale, [Berlin] 1765. Damm, Christian Tobias: Rachis im Kloster. Eine historische Vorstellung in drey Handlungen, Berlin 1759. Damm, Christian Tobias: Vestibulum Comenii. Griechisch und Deutsch, Berlin 1731. [Damm, Christian Tobias]: Vom historischen Glauben. Von C. T. D, 2 Teile, Berlin 1772/ 1773. Damm, Christian Tobias: Zu geneigter Anhörung einer öffentlichen deutschen Red-Übung, die den 27. Merz, Vormittags um 9 Uhr im Cöllnischen Gymnasio angestellet werden wird, ladet alle Hochgeschätzte Patronen, Gönner und Freunde ergebenst ein Christian Tobias Damm, Rector, Berlin 1747. Danck-Altar Darauff Das Opffer der Schuldigkeit Vor den Thron Göttlicher Maiestat / Denen Hochschätzbaren Wolthätern / Welche Zur Erhaltung der studirenden Jugend so im Convictorio Des Berlinischen Gymnasii auffgenommen ist/ Die verflossenen Jahre reichlich beygetragen/ mit hertzlichen Wunsch alles Wolseins und reichlichen Segens von gott zum angehenden Neuen Jahr / Demüthigst und andächtig dargereicht wird von Denen Sämptlichen Des Convictorii Anwesenden gliedern, Cölln 1686. Dieterich, Conrad: Institutiones catecheticae, Leipzig 1614. Disciplina seu Leges Gymnasii Gallici à Serenissimo ac Potentissimo Electore Brandenburgico Friderico III. Berolini fundati & erecti die 12. Oct. anni 1689. Cölln [1689]. Disciplina, seu leges, item Distinctio Classium, et ordo lectionum Scholae Sedanensis. Sedan 1615. Diterich, Martin: Berlinische Closter- und Schul-Historie, welche die Stifftung und Merckwürdigkeiten des Franciscaner-Closters in Berlin, die Aufrichtung des Gymnasii in demselben, ingleichen die Rectores, Magistros und Schulcollegen wie auch die sonderbahre Veränderungen und Begebenheiten im Schulwesen . . . in sich fasset, Berlin 1732. Diterich, Martin: Berlinische Kloster- und Schulhistorie. Eingel. u. mit einem Personenregister bearb. von Peter P. Rohrlach, Berlin 1997 (Berlinische Historiographie im 18. Jahrhundert ; 2). Diterich, Martin: Moderante Deo! Gymnasii Berolinensis Natalis CXXXVIItus Oratinculis quibusdam de Cultura Linguae Germanicae, Die III. Decembris A. S. MDCCXI. . . . ce-
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Quellen- und Literaturverzeichnis
lebrabitur, Ad quem Actum Literarum Patronus, Fautores ac Cultores, Viros Nobilitate, Autoritate, Prudentia Doctrinaque excellentes & ornatos invitat . . . Martinus Diterich, Berlin 1711. Diterich, Martin: Die Stillen im Lande, Wurden Am Beerdigungs=Abend Des Weyland Wol=Edlen Vorachtbaren und Wolgelahrten Herrn, Herrn Georg Fellers Treu=verdienten SUB-CON-RECTORIS und 36jährigen Collegen des Berlinischen Gymnasii, Anno MDCCXIV Den 14. Maji bey ansehnlicher Trauer=Versammlung In einer geringfügigen Stand-Rede einger massen abgeschildert Von Martin Diterich, Gymnasii Sub-R., Berlin 1715. Dornmeyer, Andreas Julius: Kleines Lexicon Elegantioris Latinitatis, Berlin 1710. [Dornmeyer, Andreas Julius]: Von Erleichterung der Schul-Arbeit, in: Zufällige Anmerckungen Von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen. Anderes Stück, Berlin 1716, S. 82–93. [Dornmeyer, Andreas Julius]: Ob Plautus und Terenz in Schulen zur Grundlegung der Latinität zu gebrauchen, in: Zufällige Anmerckungen Von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen, 1. Stück, Berlin [1715], S. 26–31. Electoralis Gymnasii, Quod est in Valle Joachimica Lectiones, Disputationes, Declamationes, Quibus recollecto coetu, quem metus contagij dissiparat, Electoralis alumni, ad artes & linguas addiscendas exercebantur, Berlin 1633. [Elert, Nicolaus]: Minervale Wan, wo und bey wem fromme und getrewe Schulherrn ihren wolverdienten Solt zugewarten By geführter Trawrklage uber den unverhofften frühzeitigen Todesfall des Ehrnvesten Vorachtbarn und Hochgelarten Herrn M. Georgii Gutkii . . . Erörtert und außgeführet Durch Nicolaum Elerdum . . . Berlin 1635. Elsner, Jacob: Oratio inauguralis de eruditione cum pietate conjugenda, Berlin 1722. Erman, Jean Pierre: Mémoire historique sur la fondation du Collège François de Berlin, Berlin 1789. Erneuerte Verordnungen und Gesetze für das Königl. Joachimsthalsche Gymnasium, Berlin 1767. Förster, Johann Christian: Nachricht von dem Leben und Verdiensten des Herrn Oberconsistorialraths Johann Peter Süßmilch, Berlin 1768. Formey, J. H. Samuel: Anti-Emile, Berlin 1762. Formey, J. H. Samuel: Elementa Philosophiae seu Medulla Wolffianae, Berlin 1746. Formey, J. H. Samuel: Notice sur mes ouvrages, in: Ders.: Conseils pour former un bibliothèque, Berlin 1755, S. 104–122. Freylinghausen, Johann Anastasius: Compendium oder kurzer Begriff der ganzen christlichen Lehre in 34 Artikeln, Halle 1707.
III. Literatur vor 1800
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Frisch, Johann Leonhard: Dnn. Patronos Studiorumque nostrorum Fautores Ad Actum Publicum . . . De detectis & rejectis Artis Poeticae, Metricae & Rhythmicae in Lingua Germanica Sordibus extantioribus, Per Juventutem nostram rhythmice in eadem Ligua exhibebitur . . . invitat Johann. Leonhard Frisch, SubRector. Berolini, Berlin 1700. Frisch, Johann Leonhard: Die entdeckte und verworffene Unsauberkeit der falschen Dichtund Reim-Kunst. Am 22. Nov. Anno 1700 Als am 126. Gedächtniß-Tag der Auffrichtung des Berlinischen Gymnasii In einem einfältigen Schul-Spiel vorgestellet . . . von Johann Leonhard Frisch, Berlin [1700]. Frisch, Johann Leonhard (Hg.): Joh. Bödikeri Grundsätze der Teutschen Sprache, meistens mit ganz anderen Anmerkungen und einem völligen Register der Wörter, die in der teutschen Uebersetzung der Bibel einige Erläuterung erfordern, auch zum Anhange mit einem Entwurf und Muster eines teutschen Haupt-Wörter-Buchs verbessert und vermehrt von J. L. Frisch, Berlin 1723. Frisch, Johann Leonhard: Nouveau Dictionnaire des passagers francois-allemand et allemand-francois, Oder Neues Frantzösisch-Teutsches und Teutsch-Frantzösisches Wörter-Buch, Worinnen alle Frantzösische Wörter, auch der Künste und Wissenschaften, aus den vollkommensten und neuesten Dictionariis, nebst den nöthigsten Constructionen und Redens-Arten, durch kürtzlich gezeigete Etymologie, und durch das gebräuchlichste, auch reineste Teutsche erkläret worden Im Teutschen Teile aber eine so große Verbesserung und Vermehrung geschehen, daß die Liebhaber beyder Sprachen dieses Buch mit grossem Nutzen gebrauchen können. Leipzig 1712. [Frisch, Johann Leonhard]: Vollständige Griechische Grammatik nach der Lehr-Ordnung der Lateinischen Märkischen Grammatik eingerichtet, Berlin 1730. Fuhrmann, Martin Heinrich: Gerechte Wag-Schal, Altona 1728. Gedike, Friedrich: Gesammlete Schulschriften, 2 Bde, Berlin 1789–1795. Gedike, Friedrich: Geschichte des Friedrichswerderschen Gymnasiums, Berlin 1781. Gedike, Friedrich: Nachricht von Siegismund Streit und seiner Stiftung für das Berlinische Gymnasium, Berlin 1794. Gedike, Friedrich: Nachtrag zu der Geschichte sowohl des Friedrichswerderschen als des Berlinisch-Kölnischen Gymnasiums, Berlin 1793. Gedike, Lampert: Lob und Preiß Der Schulen, Berlin 1701. Grabow, Georg: Urtheil und Gutachten Von Comoedien Und andern Theatralischen Aufzügen und Schauspielen, Zu nützlichem Unterrichte ins Deutsche übersetzt, und mit Herrn M. Nicolai Haasens . . . Fragen vor der itzigen Schul-Comoedien, Auch mit einiger Zugabe begleitet Von M. Joh. Paul Gumprechten, Rectore des Lycei in Lauban, Leipzig 1715. Grosser, Samuel: Gründliche Anweisung zur Logica vor adeliche und andere junge Leute. Berlin 1712 4.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Gymnasii Electoralis Brandenburgo Joachimici Lectionum et Declamationum Ab Octobr. MDCXCVIII Ad Octobr. MDCXCIX Absolutarum & Habitarum Catalogus, cum Tractendi et Proponendi Methodo. Cölln [1699]. Gymnasmata Lectionum et Declamationum in Electorali Gymnasio Brandenburg. Joachimico Publice & privatim proposita & instituta. Cölln [1692]. Heidegger, Johann Heinrich: Medulla Medullae Theologiae christianae, Zürich 1697. Heinsius, Martin: Erkäntnis Jesu Christi, das neheste Mittel zur Seeligkeit. Epistel ad Philipp. 3 V. 7. 8. Bey christlicher Leich-Begängnüß Des Weyland Wohl=Ehrwürdigen Großachtbaren und Hochgelahrten Herrn Gregorii Francken, Frankfurt a. O. [1651]. Heinzelmann, Johannes (Hg.): Historiae De Germanis Imperatoribus A Carolo M. Ad Ferdinandum III. Gloriosiss. Memor. Cursus Sylloge Controversiarum Monita & Exempla Quae Praeside M. Joh. Heinzelmano, G. B. R. Respondendo defendet Christianus Augustus Maurer. Berlin 1658. Heinzelmann, Johannes: Lectiones Gymnasii Berlinensis, Berlin 1653. Heinzelmann, Johannes: Luna Spendorum A Sole Brandenburgico Mutuata, Redditum Eidem . . . Frankfurt a. O. 1657. Heinzelmann, Johannes (Hg.): Quaestione Miscellaneae Loco Exercitii Disputatorii a privatim repententibus Gymnasii Berlinensis Alumnis ac Ruminantibus Lectiones Publicas Propositae Praesidem Johanne Heinzelmano Rectore Gymnasii, Respondente Hodie et Proponente Johanne Ernesto Pfuel Berolinsi Marchico, Berlin 1654. Hering, Daniel Heinrich: Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Reformierten Kirche in den Preußisch-Brandenburgischen Ländern, 2 Bde, Breslau 1784/85. Hering, Daniel Heinrich: Historische Nachricht von dem ersten Anfang der EvangelischReformirten Kirche in Brandenburg, Halle 1778. Hering, Daniel Heinrich: Verbesserungen und Zusätze zur Historischen Nachricht von dem ersten Anfang der evangelisch-reformirten Kirche in Brandenburg und Preußen, Halle 1783. Hübner, Johann: Kurtze Fragen aus der Oratoria zur Erleichterung der Information abgefasset, Leipzig 1705. Hübner, Johann: Kurtze Fragen aus der Politischen Historia, den Lehrenden und Lernenden zur Erleichterung aufgesetzet, 4 Bde., Leipzig 1697–1701. Hübner, Johann: Kurtze Fragen Aus der Alten und Neuen Geographie. Biß auf gegenwärtige Zeit continuiret, Leipzig 1712. Hübner, Johann: Zweymal zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien, der Jugend zum Besten abgefasset, Leipzig 1714. Jablonski, Daniel Ernst (Hg.): Biblia Hebraica cum Notis Hebraicis Et Lemmatibus Latinis ex recensione Danielis Ernesti Jablonski. . . . Edita Opera & Impensis Johannis Henrici Knebelii, Berlin 1699.
III. Literatur vor 1800
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Kayser, Johannes: Parnassus Clivensis oder Clevischer Musen-Berg und Seine darauff gewachsene Poetische Früchte, Bd. 1, Kleve 1698. König, Anton Balthasar: Versuch einer Schilderung der Hauptveränderungen der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Künste, Wissenschaften etc. der Residenzstadt Berlin seit den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1792, 5 Bde., Berlin 1792–1799. Küster, Georg Gottfried: Bibliotheca Historica Brandenburgica Scriptores Rerum Brandenburgicarum, Berlin 1743. Küster, Georg Gottfried: Marchiae Litteratae. Spezimen I-XXII, Berlin 1740–1762. Küster, Georg Gottfried: Memorabilia Coloniensia, Berlin 1727. Küster, Georg Gottfried / Müller, Johann Christoph: Altes und Neues Berlin, 2 Bde., Berlin 1737/52. La Croze, Mathurin Veyssière: Historie du christianisime des Indes, Halle, 1724. Lange, Joachim: Anthologia sive latinae linguae flosculi e classicis auctoribus, Berlin 1702. Lange, Joachim: Catalogus Lectionum publicarum cum docendi Methodo ac legibus scholasticis, pro primi ordinis discipulis in Gymnasio Fridericiano, Berlin 1689. Lange, Joachim: D. Joachim Langens, Der Theologischen Facultaet zu Halle Senioris und des Semin. Theolog. Direct. Lebenslauf, zur Erweckung seiner in der Evangelischen Kirche stehenden, und ehemal gehabten vielen und wehrtesten Zuhörer, Von ihm selbst verfaßet, und mit einigen Erläuterungen, auch eingeschalteten Materialien, ausgefertiget. Nebst einem Anhange Väterlicher Warnung, an die Thologie ergebene studirende Jugend, vor dem Herrenhutischen Kirchenwesen und Mißionswercke, Halle u. Leipzig, 1744. Lange, Joachim: Medicina Mentis, qua secundum sanioris philosophiae principia aegrae mentis sanatio . . . Berlin 1704. Lange, Joachim: Joachim Langes Verbesserte und Erleichterte Lateinische Grammatica mit einem paradigmatischen und dialogischen Tirocinio, (1. Aufl., Berlin 1703) 59. Aufl., Halle 1816. Lange, Joachim: Oeconomia Salutis evangelica, in iusto articulorum nexu, methodo demonstrativa digesta, et uti acuendo spirituali iudico, in iuvandaequae memoriae, sit etiam christianae praxi accommodata, Halle 1729. Lange, Joachim (Hg.): Physicae Comenianae ad lumen divinum reformatae theses, . . . in gratiam studiosae juventutis ob sanioris physicae defectum seorsim concinnatae ac editae, Berlin 1702. Lipstorp, Hermann: Leges Gymnasii Berolinensis, Reverendi Ministerii, Amplissimi Senatus, nec non inspectorum ac prouisorum iussu & approbatione conscriptae atque promulgatae a M. Hermanno Lipstorpio Gymnasiarcha, Berlin 1591.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Lubath, Martin: Herbarium Salutare, Quod Rectore Clarissimo, Dn. M. Adamo Spenglero, Neukirchae-Varisco, Sub Novi Anni auspicium, Strenarum Loco, Singulis Statibus Discipuli nostri d. IV. Jan. à XII. pomeridianie distribuent, Berlin 1649. Madeweis, Friedrich: Triumph-Geschütz, aus welchem auff Feindes-Wällen Freuden-Salven gegeben wurden, als . . . Friedrich Wilhelm, Markgr. zu Brandenb. die Stadt Stettin eroberte, Cölln 1677. Moehsen, Johann Carl Wilhelm: Beschreibung einer Berlinischen Medaillen-Sammlung nebst einer Geschichte der Wissenschaften in der Mark Brandenburg . . . 2. Theil, Berlin u. Leipzig 1781. Müller, Johann Christoph / Küster, Georg Gottfried: Altes und Neues Berlin, Th. 1–4, Berlin 1737–1769. Müller, Samuel: Disputationum Metaphysicarum Quarta, explicans Partis Generalis Caput Tertium, De Entis Affectionibus In Genere, Berlin 1656. Müller, Samuel: Disputationum Metaphysicarum Sexta, explicans Partis Generalis Caput Quintum De Veritate, Berlin 1657. Naudé, Philippe: Kurtze Vorstellung, Den grossen Nutzen Der Mathematischen Wissenschafften betreffend, Mit welchem Denen Durchlauchtigen, Hoch- und Wohlgehohrnen Herren Academicis, Seine bey der Von Sr. Königl. Majestät in Preussen u. Unserm allergnädigsten König und Herrn Angelegten Fürsten- und Ritteracademie, Uber die Fundamenta der Geometrie Anfänglich zu haltende Lectiones anzeiget Philippe Naudé, Professor Matheseos, Cölln [1705] Nicolai, Friedrich: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Neudr. der Originalausgabe der 3. Auflage 1786, Berlin 1968. Notification Derer bey der Königlichen Preußischen Fürsten- und Ritter-Academie Das halbe Jahr von Ostern bis Michaelis Anno 1706 zuhaltender Lectionen In denen Studiis und Exercitien, Cölln [1706]. Oelrichs, Johann Carl Conrad: Entwurf einer Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Berlin 1752, ND Leipzig 1986. [Plinius]: C. Plinii Caecilii Secundi Epistolarum in Usum Incipientis et Proficientis iuventutis Marchicae selectarum libri duo, Berlin 1711. Plümicke, C. M.: Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin, nebst allgemeinen Bemerkungen über den Geschmack, hiesige Theaterschriftsteller und Behandlung der Kunst, in den verschiedenen Epochen, Berlin u. Stettin 1781, ND Leipzig 1975. Rango, Conrad Tiburtius: Neue Qväckerey In der Qvietisterey. Das ist Kurtze Beschreibung des Ursprungs, Lehre und ietzigen Zustandes der alt-neuen Schwärmerey der auf den Berg der Vollkommenheit steigenden Qvietisten von D. Michael Molinos erreget, Frankfurt u. Leipzig 1688.
III. Literatur vor 1800
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Rango, Conrad Tiburtius: Perpetuam Memoriam Reverendiss. . . . Dn. Joh. Friderico S. R. I. Libero Baroni de Loeben/ Dn. de Schönfeld . . . Electoris Brandenburgici Consilario Intimo, Berlin [ca. 1667] Rhetorica Latina Praeceptis exemplisque sufficientibus eloquentiam non adfectatam docens, Regio Jusso in Usum iuventutis praesertim Marchicae, Conjuncto nonnullorum studio adornata, Berlin 1714. Rodigast, Samuel: Hoher Bedienten Kostbarster Glücks-Ring Bey Volckreicher und ansehnlicher Beerdigung des . . . Hn. Johann Wernicken . . . in einer dabey gehaltenen . . . Lob-Denck und Danck-Rede fürgestellet, Berlin 1684. Rodigast, Samuel: Serenissimo Potentissimoque Principi ac Domino, Domino Friderico in Borussia Regi, S. R. I. Archicamerario et Electori &c.&c.&c. Fautissimis Auspiciis Regiam suam ingresso . . . Berlin 1701. Rodigast, Samuel: Syllabum Lectionum, In Gymnasii Berolinensis Classe Prima et Secunda Per Semestre aestivale hujus anni MDCXCIIX. arque in posterum sub divini Numinis auspiciis a Docentibus cum Discentibus tractandarum Superiorum jussu in usum eorum, quorum interest, publicatus d. XI. Maji dicti anni a M. Samuele Rodigast, Rectore, Berlin 1698. [Rubin, Christian]: Was von Comödien in christlichen Schulen zu halten sei, in: Zufällige Anmerckungen Von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen, 6. Stück, Berlin 1718, S. 468–484. Schirmer, Michael: Landes-Freude und Segenswunsch, Als die göttliche Majestät unsre gnädigste Landesobrigkeit, Herrn Friedrich Wilhelm, in guter Gesundheit in Dero Churfürstl. und ordentliche Residentz allergnädigst geführet, begleitet und geholfen, Berlin 1643. Schirmer, Michael: Letzte Gebühr und Ehrenpflicht dem weiland Durchl. Hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Georg Wilhelm, Christlöblichen Gedenckens, Als desselben verblichener Leichnam den 11/1 Mart. zu Königsberg in Preussen erhoben und mit hochansehnlicher Versammlung und Begleitung abgeführet und im gantzen Lande der chur- und Mark Brandenburg mit schuldiger Begängnis geziret wurde, Berlin 1642. Schirmer, Michael: Biblische Lieder und Lehrsprüche in allerhand gebräuchliche ReimArten verfasset, Berlin 1650. Schirmer, Michael: Reim-Gebät für die Gemeine Wolfahrt wider den Türcken und Feinde der Christenheit . . . Ein Lob-Spruch der Hoch-Teutschen Sprache Zum lieben NeuenJahr außgefertiget und herfür gegeben Vom M. Michael Schirmer, Cölln 1672. Schirmer, Michael: Der verfolgte David, Das ist: Trauerspiel, Aus dem ersten Buche Samuelis genommen und Schrifftlich vorgestellet, Von M. Michael Schirmern, Poeten, Berlin 1660.
404
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster
Name
Herkunft
Studienort
Lehramt
Jahr
Jacobus Bergemann (1546–1615)
Bernau
Frankfurt
Rektor
1574/75
Michael Kilian
Oldenburg
R
1575
Hieronymus Brunner (–1606)
Berlin
Frankfurt
CR
1576–1581
Benjamin Boner (–1598)
Liegnitz (Schlesien)
Frankfurt
R
1577–1581
SR
um 1577
SCR
um 1577
Frankfurt Leipzig
R
1581–1586
Frankfurt Wittenberg
SR
1583–1588
Altdorf Wittenberg
CR R
1582–1588 1588–90
Johann Cernitz Martin Krumkrüger Wilhelm Hilden (1551–1587)
Cölln
Nicolaus Pascha (1561–) Lorenz Creide o. Creidius
Culmbach (Franken)
David Görlitz (–1587)
Frankfurt
R
1587
Hermann Lipstorp Lübeck (1565–1610)
Rostock Frankfurt Wittenberg
R
1590–1597
CR
1590–1592
CR
1592
R
1598–1604
Benedictus Möller Andreas Angelus (–1598)
Strausberg
Karl Baumann o. Bumann (1550er–1610)
Neu-Haldensleben (Magdeburg)
Frankfurt
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern Joachim Nisaeus (1574–1634)
Spandau
Johannes Raue (1578–)
Seehausen (Altmark)
Joachim Massow
Ruppin
Wittenberg
Helmstedt
Martinus Praetorius Joseph Goetze (1566–1621)
Jägerndorf (Schlesien)
Wittenberg
Jacobus Scultetus Crossen
441
SR
1600–1605
SR
1608
SCR SR
1604– 1608–1617
CR
1604–1606
R
1605–1610
R
1611–1612
Andreas Hellwig (1572–1643)
Mecklenburg
Rostock Frankfurt
R
1613–1614
Peter Vehr d. Ä. (1585–1656)
Brandenburg
Wittenberg
R
1614–1618
Georg Gutikus (1589–1634)
Cölln
Frankfurt Wittenberg Jena
R
1618–1634
Georg Weber (1585–1662)
Berlin
Wittenberg
SR
1617–1629
CR
?–1630
SCR CR
1621–1629 1630–1634
Constantin Brandenburg Bercovius (–1630) Johannes Bercovius (1600–1651)
Brandenburg
Jacob Praetorius
Havelberg
Bacc. sup. SR
1623–1631 1631–1636
Georg Milde
Zittau (Lausitz)
Bacc. inf. SCR SR
1633–1636 1636–1643 1643–1652
Johann Bornemann (1604–1636)
Halberstadt
Wittenberg
R
1634–1636
Johann Poltz
Böhmen
Wittenberg
R
1636–38
Bernhard Kohlreif Uckermark
CR R
1635–1639 1639–1640
Petrus Thesendorf Landsberg/Warthe Frankfurt (1603–1661) (Neumark)
CR
1639–1648
Wittenberg Leipzig
442
Anlagen SR CR
1636–1641 1651–1668
Wittenberg
R
1641–1651
Wittenberg Rostock
SCR
1645–1651
Martin Lubath Beelitz d. Ä. (1621–1690)
Wittenberg
CR
1648–1651
Johannes Heinzelmann (1626–1687)
Wittenberg
R
1651–1658
SR
1652
Michael Schirmer Leipzig (1606–1673)
Leipzig
Adam Spengler (1612–1665)
Siebenbrunn (Vogtland)
Christoph Hindenberg (1621–1671)
Wusterhausen (Ruppin)
Breslau
Jsaac Pölmann Gotthilf Treuer (1632–1711)
Beskow
Frankfurt Altdorf Wittenberg (?)
SCR SR
1652–1653 1653–1660
Peter Bredow (1633–1689)
Berlin
Wittenberg Frankfurt (?)
Bacc. SCR SR
1654– 1668– 1673–1689
Jacob Hellwig d. J. (1631–1684)
Pritzwalk
Frankfurt Rostock
R
1658–1662
Gottfried Rösner (1631–)
Berlin
SCR
1660–1661
Gottfried Weber (1632–1698)
Berlin
Jena Wittenberg
SR R
1660–1668 1668–1698
Samuel Rosa (–1702)
Perleberg
Wittenberg Frankfurt
SCR SR
1662–1668 1668–1673
Conrad Tiburtius Rango (1639–1700)
Kolberg (Pommern)
Jena Gießen Altdorf (?) Wittenberg
R
1662–1668
Peter Vehr d. J. (1644–1701)
Berlin
Jena
CR
1668–1671
Friedrich Madeweiß (1648–1705)
Arnswalde (Neumark)
Jena
CR
1671–1681
SCR
1673–1678
Michael Buchardi Cölln
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern Martin Busse (1654–)
Cölln
Leipzig Frankfurt
Georg Feller (1645–1714)
Blanckenfelde b. Berlin
Rostock
Samuel Rodigast (1649–1708)
bei Jena
Jena
443
SCR
1678–1681
Bacc. sup. SCR
1678–1695 1695–1714
CR R
1680–1698 1698–1708
Bacc. inf. SCR
1682–1685 1685–1690
Johannes Musaeus Petershagen (1652–1708)
Wittenberg
Joachim Ernst Berger (1666–1734)
Uckermark
Rostock Leipzig Jena
SR
1689–1690
Ernst Christian Wartenberg (1665–1742)
Leipzig
Leipzig
SR
1690–1694
Georg Ungnad (1663–1704)
Seehausen (Altmark)
Frankfurt Leipzig
SCR
1690–1694
SR
1694–1698
Heinrich Schmidt Hamburg (1663–1698)
Jena
Heinrich Hasse (1662–1729)
Sternberg (Mecklenburg)
Jena Rostock (?)
SCR
1714–1729
Johann Leonhard Frisch (1666–1743)
Sulzbach b. Nürnberg
Altdorf Jena Straßburg
SR CR R
1698–1708 1708–1727 1727–1743
Sebastian Gottfried Starck (1668–1710)
Freiberg (Sachsen)
Leipzig Halle
CR
1698–1705
Christoph Friedrich Bodenburg (1678–1726)
Croppenstädt b. Halberstadt
Helmstedt Halle
CR R
1705–1708 1708–1726
Martin Diterich (1681–1749)
Aulosen (Altmark)
Leipzig Halle
SR
1708–1719
Carl Andreas Henning (1693–1729)
Tangermünde
Leipzig Jena
SR CR
1720–1727 1727–1729
Jena
SR
1727–1739
SCR SR
1729–1740 1740–1743
Martin Georg aus Franken Christgau (1698–) Christian Wilhelm Magdeburg Grotjan (1705–)
444 Nathanael Baumgarten (–1762)
Anlagen
Berlin
Halle (?)
SR
1739–1740
Joachim Christoph Croppenstädt b. Bodenburg Halberstadt (1690–1759)
Halle Jena
„Prorektor“ R
1729–1743 1743–1759
Johann Jacob Wippel (1714–1765)
Halle
CR R
1743–1759 1759–1765
Lehramt
Jahr
R
1540–?
R
1544–1546
R
1546–1566
R
1577–1580
Jacob Sommerfeld Eberswalde (–1618)
CR R
1578–1580 1580–1585
Nicolaus Albertus
CR R
1580–1585 1585–1586
Daniel Mehrmann
R
1586
R
1587–1595
CR
1585–1588
Bieren b. Magdeburg
Cöllnisches Gymnasium Name
Herkunft
Heinrich Knaustinus Paul von Eizen
Hamburg Hamburg
Sebastian Brunnemann (–1579)
Neuruppin
Peter Hafftiz (um 1530–1601)
Jüterbog
Andreas Geiersberg (–1595)
Studienort
Wittenberg
Frankfurt
Wittenberg
Laurentius Herzberg Erdmann Gnewikow
Bernau
CR
1588–?
Georg Schivitius (–1628)
Trebbin
CR
?
Johannes Heintze o. Henze
Bernau
CR
1603–?
CR R
??
Samuel Gervasius
Frankfurt
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern
445
Martin Greiffenhagen (ca. 1564–1609)
Altenberg
CR R
? 1600–1603
Johann Fischer (–1608)
Berlin
CR R
? 1603–1608
Michael Henfferling
Cölln
CR
1604–1618
Matthias Harder (1580–1608)
Arnswalde (Neumark)
SR
1606–1607
Barthold Cratippus o. Cratius
SR
1607–?
Paul Tegdener
SR
?–1618
R
1609–1612
R
1612–1640
Joachim Stegemann (–1633)
SR
1618–1619
Christian Jahn
SR
1620
Christian Cölln Crabatius (–1636)
SR
1621–1626
Joachim Duncker (–1630)
Trebbin
SR
1627–1628
Michael Fahrenholz (1604–1656)
Berlin
SR
?–1632
Johann Robach
Berlin
CR
?–1630
CR
?–1639
Martin Willich (1583–1633)
Frankfurt
Berlin
Adam Romanus (–1643)
Frankfurt (?)
Wittenberg
Sebastian Krieger Cremnitz (–1639) (Ungarn) Christian Rosa (1609–1667)
Mittenwalde
Wittenberg
SR
1632–1633
Christian Eilert o. Eilardus (1609–1675)
Beskow
Frankfurt
SR
1637–?
Stefan Gressius (–1656)
Böhmen
Wittenberg
CR
1639–1656
446 Samuel Müller (1610–1674)
Anlagen Ruppin
Johann Höpner (–1680)
Frankfurt Rostock
R
1640–1674
Rostock
SR
1642–1650
Sebastian Welle (–1672)
Altmark
SR CR
1650–1656 1656–1673
Christoph Rhewend (1632–1677)
Dorf Zechlin
SR
1656–1660
Christian Samuel Teuber (1639–1690)
Schlesien
Wittenberg
SR
1660–1664
Georg Grabow (1637–1707)
Wilsnack
Frankfurt
SR CR
1666–1675 1675–1685
Johann Bödiker (1641–1695)
bei Stettin
Jena
CR R
1673–1675 1675–1695
Johann Georg Cölln Zeitz (1648–1695)
Jena
SR
1675–1681
Paul Lütkemann (–1707)
Rostock
SR
1681–1683
Christian Ungarn Rotaridis (–1723)
Leipzig
SR CR R
1683–1691 1691–1696 1696–1723
Bernhard von der Linden (1646–1722)
Perleberg
Jena Rostock
CR
1684–1685
Johann Pambo (1656–1716)
Zilenzig (Neumark)
Frankfurt
CR
1685–1690
Jacob Butten (1662–1739)
Stargart (Pommern)
Wittenberg
Bacc. sup. SCR
1688–1702 1702–1739
Johann Homann (1653–1716)
Magdeburg
SR
1691–1694
SR
1696–1700
Spandau
Valentin Wernicke Soldin (Pommern) (–1700) Theodor Rhewend Spandau (–1709)
Halle
SR CR
1694–1696 1696–1709
Martin Severin (1665–1730)
Wittenberg
SR
1700–1730
Luckau (Lausitz)
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern Christian Rubin (1668–1727)
Cölln
Frankfurt Leipzig
Friedrich Bake (1686–1742)
Wittstock
Georg Gottfried Küster (1695–1776)
Halle
447
CR R
1709–1723 1723–1727
Jena Halle
R
1728–1742
Halle
CR
1723–1727
Joachim Christoph Croppenstädt b. Bodenburg Halberstadt (1690–1759)
Halle
CR
1727–1729
Christian Tobias Damm (1699–1778)
Leipzig
Halle
CR R
1730–1742 1742–1767
Gottfried Hesse (1697–1742)
Nordhausen
SR
1730–1737
SR
1737–1741
Lehramt
Jahr
R
1607–1610
CR
1607–1613
SCR
1607–1610
Georg Gottfried Würfel
Joachimsthalsches Gymnasium Name
Herkunft
Karl Bumann o. Baumann (1550er–1610)
Neu-Haldensleben (Magdeburg)
Johannes Voitus (1574–1618)
Frankfurt
Studienort
Frankfurt
Jacobus Scultetus Crossen Samuel Dresemius Mazra in (1578–1638) Dithmarschen
Frankfurt
R
1610–1636
Tobias Magirus (1586–1652)
Frankfurt
SR CR
1610–1613 1613–1615
Joh. Barth
SR CR
1613–1615 1615–1618
Christoph Guldenius
SR
1615–1619
Mathematicus
1615–1620
Benjamin Ursinus o. Behr (1587–1633)
Angermünde
Marburg
448 Martin Martinius (–1628)
Anlagen Guben (Lausitz)
Wilhelm Patersberg (–1625)
SR
1619–1628
CR
1619–1625
Georg Mellemann Salzwedel (–1661)
Frankfurt
CR
1626–1636
Johann Baptista Martinus (1601–1654)
Guben (Lausitz)
Frankfurt
CR
1628–1654
Martin Quelmalz (–1663)
Zerbst
Zerbst
SCR
1647 (?)–1660
Caspar Böher (–1693)
Schlesien
Quartus SCR
1647 (?)– 1661–1686
SR
1650–1656
Johann Hubert Gobelius Ernst Wulstorp (1595–1665)
Trier Zerbst
Zerbst Frankfurt
Rektor
1653–1658
Gersom Vechner (1629–1708)
Beuthen (Schlesien)
Frankfurt
CR [Interim] R
1654–1688 [1676–1680] 1688–1707
Balthasar Mülner (–1691)
Schlesien
SR
1656–1691
Lic. theol. Johannes Vorstius Flensburg (1623–1676)
Wittenberg Helmstedt Jena Rostock Utrecht Leiden
R
1659–1676
Johann Gerlach Wilhelmi (1636–1687)
Marburg
Heidelberg Belgien
R
1680–1687
Johann Heinrich Knebel (–1729)
Nassau
Herborn Frankfurt Duisburg Heidelberg
Adjunctus SCR SR
1686–1693 1693–1712 1712–1726
Ferdinand Posth (1657–1712)
Herborn
Herborn Marburg
CR
1689–1711
Mathematicus Prof. Math.
1689– 1707–1713
Philippe Naudé keine Metz (Lothringen) d. Ä. (1654–1729) Universität
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern
449
Johannes Meier (–1713)
Bremen
Bremen
SR
1692–1712
Christian Friedrich Leporinus (1670er–1745)
Spandau
Bremen Franeker
Adjunctus SCR
1703–1742
Dr. theol. Paul Volckmann (1669–1721)
Bremen
Bremen Frankfurt
R
1707–1721
Conrad Heinrich Barckhusen (1677–1732)
Detmold
Frankfurt
Adj. Ia u. I
1707–1715
Heinrich Christoph Salmuth (–1734)
Heidelberg
Heidelberg Rinteln
Adj. II SCR Prof. Phil. SR
1707–1712 1712–1726 1715 1726–1734
Philippe Naudé d. J. (1684–1745)
Metz (Lothringen)
Berlin (JG; privat)
Adjunctus Prof. Math.
1708–1715 1715–1745
Johann Conrad Franck (–1745)
Rinteln
Rinteln
Adj. II u. III
1709–1715
Dr. theol. et phil. Michael Bernard de Wencko
Böhmen
Adjunctus Prof. phil. Prof. hist. pol.
1712 1717 1719
Heinrich Meierotto (1671–1717)
Bremen
CR
1712–1717
Adj. II u. III
1715–1722
Adj. Ia u. I Prof. jur. extraord.
1715 1716–1755
CR
1718–1753
R
1722–1729
Französischlehrer
1725–?
Christian Zerbst Friedrich Scheurer
Bremen Zerbst
Conrad Christoph Westfalen Neuburg M. Friedrich Muzelius (1684–1753)
Grafschaft Wied
Dr. theol. Jacob Elsner (1692–1750)
Königsberg Saalfeld (Preußen) Utrecht Leiden
Jacobus Carolus Liege
Herborn Marburg
450
Anlagen
Bernhard Ludwig Beckmann Dessau (1694–1760)
Frankfurt
Dr. theol. Johann Philipp Heinius (1688–1775)
Bremen Halle
Kassel
SCR SR CR
1726–1734 1734–1754 1754–1760
R
1730–1772 1722–1727 1727–1734 1734–1754 1754–1772 1772–1775 1734–1742
Johann Michael Schmid (1698–1782)
Schwedt
Frankfurt
Adj. II u. III Adj. I u. II SCR SR Rektor
Georg Ludwig Noltenius (–1742)
Cölln
Frankfurt Bremen Halle
Adj. I u. II
Friedrichswerdersches Gymnasium Name
Konf. Herkunft
Gabriel Zollikofer (–1722)
Ref.
Lambertus Ellert
Ref.
Johann Hermann Schlüter
Ref.
Detmold (Lippe)
Barthold Holtzfuß (1659–1716)
Ref.
Rügenwalde (Neumark)
Johann Heinrich Kerstein
Ref.
Lemgo (Westfalen)
Christoph Becherer (1659–1692)
Luth. Spandau
Martin Werkmeister (1656–1713)
Ref.
Johann Carl Luth. Müller (–1690)
Studienort
Lehramt
Jahr
R
1681–1682
R
1683–1684
SR
1683–1684
Frankfurt Oxford
R
1684–1685
Hamm Bremen
SR
1684
Jena
Prorektor
1684–1689
Zerbst Frankfurt
SR
1684–1698
Prorektor
1690
Schweiz
Zerbst
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern
451
Joachim Ernst Berger (1666–1734)
Luth. Uckermark
Rostock Leipzig Jena
Prorektor
1690–1697
Joachim Lange (1670–1744)
Luth.
Gardelegen (Altmark)
Leipzig Halle
Prorektor Rektor
1698– 1700–1710
Johann Wahrendorf (1668–1738)
Ref.
Bremen
Bremen Groningen
SR Conrektor Prorektor
1697– 1700– 1707–1709
Martin Lubath d. J. (–1714)
Luth. Berlin
Wittenberg Frankfurt Halle
Prorektor
1700–1707
Gottfried Schultesius (1678–1746)
Ref.
Bremen Frankfurt
SR
1702–1703
Königsberg Bremen Franeker Cambridge
SR
1704–1732
Helmstedt Halle
CR
1708–1717
Bremen
R
1710–1713
Berlin
Wilhelm Schleemüller
Ref.
Andreas Julius Dornmeyer (1675–1717)
Luth. Hannover
Heinrich Meierotto (1671–1717)
Ref.
Bremen
Dr. theol. Dietrich Siegfried Claessen (1685–1743)
Ref.
Frankfurt/O.
Frankfurt Leiden
R
1713–1715
Conrad Heinrich Barckhusen (1677–1732)
Ref.
Detmold (Westfalen)
Frankfurt
R
1715–1732
Königsberg Altdorf Wittenberg Halle Leipzig
CR
1717–1718
Jena Halle
CR
1719–1728
Königsberg
Friedrich Grunak
Luth. Berlin
Friedrich Bake (1686–1742)
Luth. Wittstock
452
Anlagen
Georg Gottfried Küster Luth. Halle (1695–1776)
Halle
CR R
1727– 1732–
Johann Sebastian Taubenspeck
Halle
CR
1733–1741
Frankfurt
SR
1732–1750
Lehramt
Jahr
Prof. philosophiae Principal
1689–1695 1691–1695
Luth. Halle
Joh. Friedrich Wilhelm Siegel Ref. (–1750)
Magdeburg
Collège François Name Jean Sperlette de Montguyon (1661–1725)
Herkunft Champagne
Studienort Reims Leiden
Jacques Collin
Jean Audouy (1659–1737)
Saumur
Saumur
Gauthier Bosquet (1625–1702)
Sedan
Sedan (?)
Etienne Chauvin (1641–1725)
Nîmes
Nîmes Saumur
Jean de Barbeyrac Béziers (1674–1744) (Languedoc)
Jean Rossal (1670–1750)
Montalban
Pierre Crégut (um Nîmes 1760–1733) Daniel Durean o. Duncan
Lausanne Genf
Berlin (CF)
Nîmes (?)
Regent 2. Classe Prof. eloquentiae (Regent 1. Classe) Principal
1689–1696
1690–1737 1695–1737
Regent 3./4. Classe
1691–1702
Prof. philosophiae und Directeur
1695–1725
Regent 2. Classe
1696–1710
Regent 5./6. Classe Regent 2. Classe Prof. eloquentiae und Principal
1696–1711 1711–1739 1739–1746
Regent 3./4. Classe
1699–?
Prof. Medizina
1699
Anlage 1: Verzeichnis der Berliner Lehrer in höheren Lehrämtern
453
Pierre de Pennaveire (–1711)
Languedoc
Regent 3./4. Classe
1702–1711
Olivier Favin (–1735)
Orange
Prof. Hebraica (extraord.)
1704–1714
Isaac Vogny o. Voigny
Maitre de Musique
1704
Annibal Vigut (–1749)
Regent 5./6. Classe Regent 3./4. Classe Regent 2. Classe
1711–1733 1733–1739 1739–1749
Regent 3./4. Classe
1710–1713
Prof. philosophiae und Directeur
1725–1739
Berlin
Regent 3./4. Classe Regent 2. Classe
1734–1750 1750–
Berlin
Prof. eloquentiae und Principal Prof. philosophiae und Directeur
1737–1739 1739–1790
Orange
Berlin (JG)
Pierre Borelli de Provence Raisonnel (–1713) Mathurin Veyssière de la Croze (1661–1739) Benjamin Breton (–1768)
Jean Henri Samuel Formey (1711–1797)
Nantes
Saumur Paris Basel
Berlin (CF u. privat)
Ungnad
Subrektor
Konrektor
Prorektor
Rektor
Müller
= lutherisch
Werkmeister
Berger
Rotaridis Homann
Subrektor
Subkonrektor
Pambo
Schmidt
Wahrendf
Lange
Wernicke
Rodigast
Schultesius
Wahrendorf
Lubath
Dornmeyer
= lutherisch / pietistisch
Wahrendf
Grunak
Schleemüller
Claessen
Meierotto
Butten
Severin
Rubin
Bake
Küster
J.C. Bodenburg
Bake
= reformiert
Barkhusen
Küster
Rubin
Reinbeck
Hasse
Frisch Christgau
Frisch
Rau
1730
Henning J.C. Bog
Henning
Porst
1720
C.F. Bodenburg
Diterich
Schnaderbach
Rotaridis
C.F. B‘burg
Lange
Rhewend
1710 Blanckenberg
Lichtscheid
Feller
Frisch
Starck
1700
Spener
Lütkens
Rotaridis
Bödiker
Musaeus
Konrektor
Rektor
Propst (Cölln)
Subkonrektor
Berger Wartenberg
Rodigast
Konrektor
Subrektor
Weber
Rektor
Teuber
1690
Anlage 2: Lehrer der städtischen Gelehrtenschulen nach Konfession
Propst (Berlin)
Berlinisches Gymnasium
Cöllnisches Gymnasium
Friedrichswerd. Gymnasium
454 Anlagen
Anlage 2: Lehrer der städtischen Gelehrtenschulen nach Konfession
Personenregister Abbadie, Jean 72 Aeschard, Johannes (Aeschartus) 168 Aland, Kurt 49 Albinus, Bernhard 69, 74 Albrecht Achilles, Kurfürst von Brandenburg 112 Aleborn, Christian 262 Allihn, Ingeborg 335 Alstedt, Johann 81 Ancillon, Charles 18, 160, 162, 203, 204, 362, 365 Anton, Paul 50, 61 Arndt, Johann 47, 337 Arndt, Johannes 36 Arnim, Bernd v. 137f. Arnold, Gottfried 73, 97, 103 Audouy, Jean 202f., 204, 206, 209, 365, 452 Bach, Johann Sebastian 336 Bahl, Peter 23, 40, 260, 262 Bake, Friedrich 22, 116, 119, 155f., 182f., 199, 200, 215f., 232, 239, 284, 286, 307, 314, 316, 320, 326, 326, 339, 447, 452, 454 Barbeyrac, Jean 163, 163, 226, 233, 292, 318, 332f., 365, 452 Barckhusen, Conrad Heinrich 188f., 199, 234, 243, 286, 331, 367, 449, 451 Barner, Wilfried 85 Bartholdi, Christian 260, 261 Bartholdi, Christian Friedrich 261 Basedow, Johann Bernhard 83 Baumann, Karl 350 Baumeister, Friedrich Christian 307f. Baumgarten, Nathanael 315
Baumgarten, Siegmund Jacob 64, 315 Bayle, Pierre 203, 205, 209, 365 Beausobre, Isaac de 163f., 204, 206, 206, 266, 362, 366 Becherer, Christoph 192, 450 Beckmann, Bernhard Ludwig 23, 28, 29, 88, 137, 138f., 142, 149, 185, 190, 215, 232, 233, 234, 235, 236, 242, 259, 265, 289, 293, 295, 296, 297,309f., 310, 317, 343, 344, 450 Beckmann, Johann Christoph 28, 64, 67, 67, 69, 74, 144, 188, 193, 194, 275, 278f., 303, 330 Bellermann, Johann Joachim 120, 212 Bercovius, Johannes 217 Berger, Joachim Ernst 192f., 192, 194, 243, 266, 285, 306, 306, 314, 325, 443, 451, 454 Bergius, Georg Konrad 143f. Bergius, Johann d. Ä. 68, 141, 141, 143f., 184, 262 Bergius, Johann d. J. 262 Bergius, Paul 261 Beza, Theodor 293, 317 Biedermann, Johann Gottlieb 369 Bismarck, Christoph v. 127, 140 Blanckenberg, Conrad Gottfried 55, 102, 454 Blumenthal, Freiherr Christoph Caspar 106 Bodenburg, Christoph Friedrich 98, 103, 175f., 179, 223, 237, 238, 238, 265, 277f., 298, 301, 305, 305, 315, 322ff., 326, 339, 340, 349, 357, 362, 367, 368, 369, 369, 443 Bodenburg, Joachim Christoph 178f., 178, 181, 196, 213, 223, 230, 230, 237f.,
456
Personenregister
238, 254, 265, 272, 275, 278, 284, 284, 305, 315, 323, 331, 444, 447 Bödiker, Johannes 114, 177, 180f., 192, 223, 236, 239, 253, 305, 313f., 313, 315, 316, 325, 347, 348, 357ff., 359, 360, 446, 454 Bonin, Christian Ulrich v. 261 Bontekoe, Cornelius 66, 358, 358 Bornhak, Conrad 66, 67, 69 Bose, Johann Andreas 59, 173, 180 Böttticher, Otto 138 Brand, Christian 127 Brandt, Friedrich v. 258 Brandt, Wilhelm Christoph v. 258 Brather, Hans-Stephan 72, 363 Brecht, Martin 48, 57 Bredow, Peter 348, 442 Breithaupt, Joachim Justus 61 Breitinger, Jacob 350 Brügel, Julius 83 Bruning, Jens 22 Brunnemann, Johann 179, 263, 444 Brunner, Hieronymus 229, 440 Brusenius, Philipp Anton 370 Buchner, August 171, 367 Buddeus, Johann Franz 64, 198, 307 Bugenhagen, Johannes 75 Bumann, Carl 124, 124, 440, 447 Buntebart, Johann 262f. Burgersdijk, Franco 307f., 308 Burgsdorf, Konrad v. 140f. Büsching, Anton Friedrich 109, 110, 247, 271, 278, 316, 325, 339f., 340, 352 Busse, Martin 228, 313 Butten, Dietrich 358 Butten, Jacob 358 Calov, Abraham 169, 171 Calvin, Jean 214 Canitz, Friedrich Ludwig Rundolph Freiherr von 51, 154, 194f., 194
Canstein, Freiherr Carl Hildebrand von 51, 194, 361f., 362 Carl Emil, Kurprinz 348, 359, 360 Carl Gustav (König v. Schweden) 172 Cellarius, Christoph 61, 175, 198, 322, 326, 330, 332, 367 Chauvin, Etienne 72, 74, 161, 165, 203f., 209, 226, 244, 310f., 318, 332, 351, 354f., 362ff., 363, 452 Christgau, Martin Georg 228, 443, 454 Chwalkowski, Samuel von 51 Claessen, Dietrich Siegfried 198f., 232, 286, 286, 451, 454 Clauberg, Johannes 65, 201, 308f. Cocceji, Heinrich von 49, 66f., 290, 331 Cochius, Christian Johann 291, 291 Comenius, Johann Amos 14, 18, 80ff., 87f., 88, 144, 294f., 325, 325, 382 Conrad, Carl Ludwig 262 Conring, Hermann 367 Crausius, Wilhelm 262 Crell, Christian Friedrich 250, 262 Crell, Johann 68, 250 Crell, Samuel 250 Crell, Wolfgang 260 Crellius, Ernst Sigismund 250, 370 Crüger, Johann 336ff., 336, 342f., 342 Crusius, Martin 299 D’Ingenheim, Louis 204 Dalton, Hermann 42, 52, 202 Damm, Christian Tobias 113, 116, 120, 183f., 183, 223, 239, 266, 269, 272, 278, 284, 301, 307, 316, 316, 325 Danckelmann, Daniel Ludof 51 Danckelmann, Eberhard Christoph von 49, 71, 138, 163, 164, 250, 360, 365 Danckelmann, Friedrich Carl von 202 Danckelmann, Sylvester Jacob von 51 Denzer, Horst 72 Deppermann, Klaus 49, 57 Derfflinger, Georg Freiherr v. 354 Descartes, René 59, 61, 63, 65, 66
Personenregister Dieffenbruck, Arnold v. 258 Dieterich, Conrad 193, 281, 283, 286 Dieterich, Samuel 263 Dippel, Johann Conrad 52 Distelmeyer, Lampert 95f. Distelmeyer, Christian 98, 121 Diterich, Martin 175, 175, 236f. , 263, 275, 301, 314, 315, 322, 323, 323, 367, 368 Doerfel, Marianne 22, 92 Dohna, Abraham von 35 Dolch, Josef 80 Döring, Detlef 71, 73 Dornmeyer, Andreas Julius 154, 198, 198, 223, 275, 278, 298, 326, 362, 367, 451, 454 Dorwat, Reinhold August 110 Dremesius, Samuel 125, 125, 447 Droysen, Johann Gustav 34, 37 Duhan de Jandun, Charles Egide 204, 266 Durkheim, Emile 333 Ebeling, Johann Georg 336 Elisabeth Charlotte, Kurfürstin von Brandenburg 141 Ellert, Lambertus 192, 285, 370, 450 Elsholtz, Johann 360 Elsner, Jacob 189f., 190, 206, 234, 241, 242, 290, 302, 308, 355, 364, 449 Erman, Jean-Pierre 167, 207, 232, 245, 266, 312, 318, 332, 332, 363 Ernst I. (der Fromme), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 82f. Evenius, Sigismund 81f., 171 Falz, Raimond 119 Favin, Olivier 301, 453 Feller, Joachim 282, 323, 323 Fénelon, François 320 Fertig, Ludwig 83 Feyl, Othmar 59, 69 Fischer-Krückeberg, Elisabeth 335, 336 Flaskamp, Franz 41
457
Fleck, Johannes 121 Fleiner, Fritz 117 Flemming, Hans Heinrich von 106, 107, 158 Formey, Jean Hernri Samuel 190, 206f., 226, 244, 310, 310, 318, 364 Förster, Johann Christian 179, 323 Francke, August Hermann 50, 56ff., 62, 84, 90, 91, 92, 102, 155, 173, 175, 177, 181, 182, 183, 193, 194f., 196, 197, 205, 211, 223, 247, 263, 271, 283, 324, 362, 375 Francke, Gotthilf August 284 François, Etienne 23 Frank, Gregor 68, 127, 137f., 139f., 187, 221 Freylinhausen, Johann Anastasius 179, 284, 284 Friedeborn, Johann Jacob 260, 263 Friedrich I. (III.) 13, 23, 45f., 50, 70, 71, 73, 89, 105, 107, 133, 144, 149, 153, 160, 214f., 250, 251, 274, 339f., 341, 355, 360 Friedrich II. 58, 120, 291 Friedrich Wilhelm I. 13, 46f., 54, 63, 64, 69, 74, 154, 154, 189, 204, 211, 221, 223, 252, 258, 275, 351 Friedrich Wilhelm II. 191 Friedrich Wilhelm III. 215 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 13, 23, 37ff., 65, 73, 88f., 96, 100, 104, 126, 127, 128ff., 133ff., 135, 136ff., 140, 145, 146, 156, 186, 214, 221, 251, 256, 256, 274, 341, 342, 343, 347, 354, 358, 360, 372, 385f. Frisch, Johann Leonhard 74, 103, 176ff., 177, 178, 181, 196, 205, 223, 237, 238, 238, 272, 275, 283, 300, 300, 314f., 319, 319, 323, 325, 347, 349, 357, 363, 364, 366, 367, 368 Frischmuth, Marco Hilario 351 Fromm, Andreas 114f., 114, 262, 263, 284 Fromme, Valentin 306 Fuchs, Paul von 51, 52, 52, 66, 71f., 116, 138, 152, 152, 163, 204, 249, 362
458 Fuhrmann, Martin Heinrich 338, 338, 351 Füssel, Martin 139
Personenregister 153, 286,
Gaultier de St. Blancard, François 163, 362 Gedicke, Lampert 56, 152, 264 Gedike, Friedrich 23, 110, 200, 247, 271, 278, 296, 314, 314 Gedike, Simon 121, 152, 154, 197, 198 Geiger, Ludwig 23 Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 97, 125, 127, 141, 347, 358 Gerhardt, Paul 44, 249, 337, 337, 342, 357 Gerresheim, Johann Wilhelm 263 Götze, Friedrich v. 138, 259 Götze, Johann Wolfgang 119 Grabow, Georg 181f., 349, 362, 446 Grand, Antoine le 328 Grebenitz, Elias 263 Große, Christian 88, 368 Grosser, Samuel 306, 306, 307 Grotius, Hugo 59, 66, 67f., 72 Grunack, Friedrich 155 Grünberg, Paul 49 Gudopp, Ernst 297, 345, 347 Gueintz, Christian 171, 171 Gundling, Nicolaus H. 62 Gutke (Gutikus), Georg 26, 168f., 304, 360, 441 Hafftiz, Peter 179, 444 Hammerschmidt, Andreas 336, 343 Hammerstein, Notker 58, 62 Harnack, Adolf von 51, 72, 74, 176, 205 Hase, Cornelius de 48, 187, 190 Havemann, Johannes 215, 343, 343 Havighorst, Johannes 191 Hecker, Johann Julius 91, 92, 120, 159, 242 Heidegger, Johann Heinrich 290, 290 Heidemann, Julius 23, 169, 272, 304
Heinius, Johann Philipp 191, 200, 211, 215, 221, 241, 290f., 309, 309, 317, 319, 328, 329, 330, 364 Heinrich, Gerd 32, 40, 44, 67 Heinsius, Martin 140, 140, 263 Heinzelmann, Johannes 44, 88, 169, 170, 229, 265, 272, 293, 300, 304, 312, 321, 356, 357 Hellwig, Jacob 98, 104, 169, 217, 229, 361 Henning, Carl Andreas 323, 364, 443, 454 Hering, Daniel Heinrich 24, 124, 143, 229, 288 Hestermeyer, Wilhelm 81, 83 Heubaum, Alfred 21, 142, 275, 295 Hilden, Wilhelm 229, 265, 299, 304, 440 Hinrichs, Carl 51, 57, 60, 60 Hintze, Otto 34, 36, 37 Hoffmann, Friedrich 61 Hoffmann, Johann Heinrich 74 Holtz, Sabine 48 Holtzfuss, Barthold 68, 192, 232 Hübner, Johann 85f., 287, 330 Hutter, Leonhard 123, 123, 281, 286 Jablonski, Daniel Ernst 45, 52, 69, 71, 72, 73, 74, 144, 148f., 174, 188, 188, 197, 202, 211, 215, 250, 252, 260, 275, 279, 289, 291, 301, 302, 308, 330, 362, 362, 363, 363 Jablonski, Paul Ernst 69 Joachim Friedrich, Kurfürst von Brandenburg 33, 87, 121ff., 214, 346 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 31, 86 Johann Casimir von Sachsen-Coburg 79 Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg 12, 30, 31ff., 35, 86, 93, 98, 140, 342 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 12, 30, 31, 33, 34ff., 87, 104, 124, 132, 138, 214, 342 Johann VI. von Nassau Dillenburg 78 Jordan, Charles Etienne 206
Personenregister Jorenius, Johannes 148 Jungius, Joachim 185 Kaiser, Marianne 85 Kaufmann, Thomas 55, 55 Kayser, Johannes 70 Keckermann, Bartholomäus 308 Kilian, Michael 97, 440 Kirch, Gottfried 74 Kirchmann, Johann 298 Kluck, Johann Eberhard 262 Klueting, Harm 34 Knebel, Johann Heinrich 233, 302 Knesebeck, Levin v. 357 Knesebeck, Thomas v. d. Ä. 125, 127, 140, 259, 357 Knyphausen, Friedrich Ernst 139 Kohl, Andreas 357 König, Anton Balthasar 23, 199 Köpke, Balthasar 263 Kornmesser, Joachim Friedrich 119 Kühnel, Martin 63, 194 Kunsch von Breitenwald, Johann 142ff., 260 Kunsch, Carl Emil 184, 185, 186, 261, 361 Kunsch, Johannes 261 Küster, Georg Gottfried 23, 114, 116, 154, 158, 159, 185, 191, 199f., 201, 206, 223, 230, 243, 244, 286, 287, 307, 311, 364 La Croze, Mathurin Veyssière de 74, 190, 192, 204ff., 205, 206, 226, 233, 244, 310f., 310, 318, 318, 332, 354, 363ff., 370f., 453 Lackner, Martin 128 Lampe, Friedrich Adolf 48f, 190f., 191, 264, 290 Lancelot, Claude 202, 295 Landwehr, Hugo 40 Lange, Joachim 50, 55f., 63, 63, 85f., 152f., 153, 154, 158, 159, 173, 175, 181, 182, 194ff., 194, 197, 197, 198, 200, 223, 232, 243, 244, 245, 263, 263, 266, 266,
459
272, 274, 285, 287, 295ff., 295,296, 299, 305f., 305, 311, 325, 325, 326, 338f., 352, 362, 362, 364, 373 Lange, Nikolaus 194 Leibniz, Gottfried Wilhelm 52, 58, 59, 63, 70f., 73f., 84, 177, 177, 197, 203, 205, 274f., 274, 300, 332, 332, 363, 365 Leinsle, Ulrich Gottfried 201 Lenfant, Jacques 163, 206, 206, 362f., 366 Leporinus, Christian Friedrich 260, 449 Lichtscheid, Ferdinand Helfreich 55, 107, 119, 454 Lipsius, Justus 37 Lipstorp, Hermann 98, 114, 265, 340, 353 Löben, Friedrich v. 357 Lobwasser, Ambrosius 153, 341ff. Locke, John 174 Löscher, Martin Gotthelf 328 Lubath, Martin d. Ä. 169, 186, 229, 442 Lubath, Martin d. J. 217, 263, 361, 454 Ludewig, Johann Peter von 62 Ludolf, Daniel 51 Ludwig XIV. 348 Luise Henriette, Kurfürstin v. Brandenburg 251, 341f. Luther, Martin 214, 281, 304, 341, 345 Lütkens, Franz Julius 55, 115f., 454 Madeweiß, Friedrich 172f., 223, 228, 322, 354, 356ff., 442 Magirus, Tobias 125, 447 Marti, Hanspeter 161 Martini, Jacob 168f. Martinius, Mattthias 225, 448 Meier, Albert 317 Meierotto, Heinrich 197, 232, 243, 260, 286, 306f., 317, 449, 451, 454 Meinders, Franz 51, 259 Melanchthon, Philipp 75, 214, 281, 284, 294, 298, 303, 304, 329 Melchioris, Albrecht Wilhelm 289 Mendelsohn, Moses 184 Menk, Gerhard 76, 78, 79, 79
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Personenregister
Mentzel, Christian 263 Mentzel, Friedrich-Franz 22, 102 Mieg, Ludwig Heinrich 260 Molière, Jean-Baptiste 317, 320, 351 Molinos, Michael 170 Moltmann, Jürgen 34 Moritz von Sachsen 77 Mühlpfordt, Günter 59, 59, 69 Müller, Andreas 102 Müller, Johann Christoph 200 Müller, Samuel 179, 180, 305, 361, 361, 445 Mülner, Balthasar 359, 360, 454 Mulsow, Martin 205 Musaeus, Johann 171, 228, 443, 454 Musculus, Andreas 31 Muzelius, Friedrich 275, 328, 330, 367, 449 Nachama, Andreas 41 Natzmer, Gneomar Dubislav v. 361 Naudé, Philippe d. Ä 209, 209, 219, 226, 260, 320, 327, 331, 363 Naudé, Philippe d. J. 219, 226, 320, 327, 329, 330, 354, 364, 366 Nepos, Cornelius 296, 321 Neuburg, Conrad Christoph 331, 371, 449 Neugebauer, Wolfgang 15, 87, 229 Neuhaus, Meinhard 360 Nicolai, Friedrich 23, 109, 110, 120, 159, 184 Nischan, Bodo 22, 36, 123, 133, 141 Noack, Lothar 24, 43, 71, 175, 180, 201 Noltenius, Johann Arnold 211, 212, 219, 260 Noltenius, Ludwig Samuel 262 Notnagel, Christoph 171 Oestreich, Gerhard 37, 66, 67 Opgenoorth, Ernst 38 Othmer, Sieglinde C. 74 Otto, Johann Christoph 261
Panckow, Johann 263 Pascal, Barthélemi 205 Paulsen, Friedrich 21, 23, 65, 295 Pelargus, Christoph 33, 68, 121, 124f., 125, 127, 139, 287, 288 Peltre, Johann 262 Petersen, Johann Wilhelm 52 Peträus, Gottlieb 343, 344 Pfuel, Curt Bertram v. 260 Philippson, Martin 40 Placentius, Johann 65f., 65, 66 Plümicke, Carl Martin 345 Plütschau, Heinrich 264 Porst, Johann 55f., 102, 107, 263, 339, 454 Posth, Conrad Ferdinand 262 Posth, Ferdinand 187, 260, 359, 360, 454 Printzen, Marquard v. 138f., 155, 191, 319, 362 Pruckmann, Friedrich 35, 125, 260 Pufendorf, Samuel 52, 58, 59, 60, 62, 72, 84, 163, 172, 333, 358, 362, 365 Raabe, Paul 90 Racho, Rudi 22, 111, 114 Rahden, Lucius von 42, 138, 250 Ramm, Ludwig 262 Ramus, Petrus 78, 168 Rango, Conrad Tiburtius 81, 169f., 169, 171, 271, 277, 353, 356, 357, 442 Ransleben, Christoph 263 Ratke (Ratichius), Wolfgang 14, 18, 80f., 83, 171, 174, 295 Rau, Johann 55, 361f., 362, 454 Raue, Johann 87f., 142, 142, 179f., 274, 358, 367f., 369, 370, 441 Rechenberg, Adam 50, 174, 194, 286 Rehwend, Theodor 115, 223, 446, 454 Reichel, Friedrich 127 Reinbeck, Johann Gustav 55f., 64, 116, 183, 263, 286, 309, 454 Reinhard, Johann Georg 262, 360 Reinhard, Wolfgang 11f.
Personenregister Reyher, Andreas 14, 82f. Rhenius, Johannes 294, 295 Richter, Karl 90, 247 Richter, Wilhelm 135 Rist, Johann 348 Röber, Paul 169 Rochow, Wolf Dietrich v. 138 Rodigast, Samuel 103, 172f., 172, 176, 237f., 238, 254, 265, 277, 283, 322f., 355, 357, 359, 364, 443, 454 Rohrlach, Peter 26, 210 Roloff, Michael 55, 64, 154f., 263 Romanus, Adam 179, 231, 445 Romberg, Johannes 307 Rosa, Samuel 228, 347, 348, 348, 442 Rösner, Gottfried 100f., 217, 347, 442 Rössler, Wilhelm 20 Rotaridis, Christian 116, 181, 239, 255, 275, 305, 316, 358, 358, 362, 364, 446, 454 Rousseau, Jean Jacques 20 Rubin, Christian 116, 181f., 192, 223, 239, 275, 284, 316, 350, 350, 358, 367, 447, 454 Rudolf, Johann R. 308 Sack, Samuel Gottfried 262 Sagittarius, Caspar 60, 172, 192 Salmuth, Heinrich Christoph 260, 308f., 308, 317, 330, 449 Sayn-Wittgenstein, Johann Reichsgraf von 112, 340f. Schade, Johann Caspar 50, 53f., 193, 196 Schaller, Klaus 80, 81, 82 Schardius, Conrad 261, 261 Schardius, Gottfried 358, 360 Schardius, Levin 261, 261 Scharff, Johannes 169, 171, 304ff., 305 Scheid, Johann Friedrich 344 Schicketanz, Peter 49 Schilling, Heinz 11f., 12 Schindler, Johann 263 Schindler, Maria Rosina 109
461
Schirmer, Michael 263, 311f., 337, 347, 356ff., 356, 357, 442 Schlee, Hildgart 84 Schmettau, Heinrich 74, 260 Schmettau, Thimotheus 261 Schmettau, Wolfgang 261 Schmid, Andreas 263, 450 Schmidt, Heinrich 103, 443, 454 Schmidt, Martin 51, 111 Schmitz, Christian 23 Schnaderbach, Georg Friedrich 200, 454 Schneiders, Werner 59, 60 Schneppen, Heinz 58, 226 Schöffler, Heinz 59, 59 Schönbeck, Christoph 106, 119 Schönhausen, Joachim 127 Schottelius, Justus Georg 347 Schrader, Christoph 322 Schultz, Helga 23, 44 Schulze, Georg 202, 206 Schweinitz, Georg Rudolph von 51 Schwerin, Otto Graf v. 260 Scultetus, Abraham 35, 124, 276, 441, 447 Seidel, Erasmus 357 Seifert, Arno 78 Semler, Johann Salomo 64, 84, 92 Severin, Martin 116 Simon, Andreas 106 Sleidanus, Johannes 326 Slevogt, Paul 171 Snethlage, Bernhard Moritz 240 Sophie Charlotte, Kurfürstin und Königin in Preußen 52, 70, 341, 359 Sophie Elisabeth, Herzogin von Braunschweig 256 Spalding, Johann Joachim 339 Spanheim, Ezechiel von 71f., 115, 160, 162, 174, 201, 202, 205, 362, 362, 365, 370 Spanheim, Friedrich 201, 205 Speck (Speccius), Christoph 307 Spener, Christian Maximillian 74
462
Personenregister
Spener, Philipp Jacob 14, 16, 22, 45, 47, 48, 49ff., 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55f., 56, 58, 73, 74, 99, 99, 102f., 102, 103, 116, 154, 154, 155, 171, 172f., 172, 174, 177, 181, 183, 194ff., 223, 263, 277, 281, 282, 282, 283, 285, 286, 337, 349, 349, 361, 364, 373 Spengler, Adam 169, 171, 304, 347, 442 Sperlette de Montgyon, Jean 63, 72, 161, 201f., 201, 204, 226, 233, 244, 311, 452 Sperling, Johannes 171, 305, 322, 328 Splett, Jürgen 24, 43, 71 Stahl, Georg Ernst 61 Starck, Sebastian Gottfried 103, 115f., 172ff., 175f., 175, 181, 182, 193, 205, 223, 228, 271, 277, 277, 281, 283, 295, 301, 314, 314, 315, 322, 355, 357, 362ff., 362, 366, 370 Steinbrecher, Joachim 95ff., 96, 106, 280 Stichweh, Rudolf 226 Stone, Lawrence 20 Stosch, Bartholomäus 260f. Stosch, Bernhard 100f. Stosch, Friedrich Wilhelm 73, 186, 261, 361, 361 Stosch, Heinrich 261 Stosch, Johann Christoph 261 Streit, Sigismund 109 Striepe, Hoyer Friedrich 360 Striepe, Sebastian Friedrich 261, 261 Strimesius, Samuel 68, 188, 262 Stryck, Samuel 62, 66 Sturm, Johann 75 Sturm, Leonhard Christoph 69, 74 Suicer, Johann Heinrich 328 Süßmilch, Johann Peter 117, 120, 178, 263 Tacquet, Andreas 327 Taubenspeck, Johann Sebastian 232, 452 Teissier, Antoine 72 Teller, Wilhelm Abraham 159 Teuber, Christian 231, 446
Thadden, Rudolf von 24, 34, 36, 43, 74 Tholuck, August 68 Thomasius, Christian 59, 60, 61, 62f., 84, 92, 194, 200 Thomson, Jacob 189 Tieffenbach, Johann Christian von 101, 106f. Tornow, Johann 138, 357 Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von 60 Tütken, Johannes 20 Ursinus, Benjamin 326, 447 Ursinus von Bär, Benjamin 252, 260 Ursinus, Simon 41, 127 Van Dülmen, Richard 20 Van Gelderen, Martin 38 Vechner, Gersom 146, 186f., 233, 240, 288, 289, 294, 297, 308, 318, 329, 331, 350, 359, 360f., 360, 361, 364, 448 Vehr, Irinäus 263 Vehr, Peter d. Ä. 101, 217, 229, 441 Vehr, Peter d. J. 101, 217, 442 Velder, Christian 22, 110, 161, 202, 202, 206, 292, 318, 332 Vitriarius, Philipp Reinhard 331 Voitus, Gisbert 48 Volckmann, Paul 187ff., 191, 197, 199, 242, 274, 275, 289, 290, 308, 330, 359, 363f., 367, 449 Vorstius, Johann 179, 185ff., 187, 215, 226, 233, 240, 260, 308, 313, 313, 359, 361, 361, 369, 448 Voss, Gerhard Johannes 298f., 301 Wahrendorf, Johann 232, 451, 454 Wallmann, Johannes 22, 48, 52, 55, 102, 281, 337 Wartenberg, Ernst Christian 102f., 103, 182, 223, 282 Wartenberg, Johann Kasimir Kolb zu 164, 204, 223, 282f., 443, 454 Weber, Georg 171, 217, 229, 230f., 441
Personenregister Weber, Gottfried 66, 81, 98, 170ff., 172, 217, 229, 236f., 237, 238, 239, 247f., 252f., 265, 267, 269, 280, 282, 293, 298, 304f., 305, 312, 321f., 323, 335, 340, 356, 357, 358, 442, 454 Wegner, Gottfried 262 Weigel, Erhard 14, 59, 83f., 172, 180, 192, 223, 319, 322, 375, 383 Weiler, Katharina 358 Weise, Christian 84f., 84, 269, 306, 349 Weise, Martin 14, 106, 263, 351 Weller, Jacob 299 Wencko, Michael Bernhard v. 234, 330, 449 Wendland, Walter 24 Wernicke, Johann 357, 446, 454 Wetzel, Erich 23, 126, 135, 191, 265 Wiese, Ludwig 247 Wilhelmi, Johann Gerlach 186f., 235, 240f., 289, 308, 329, 359, 360, 370, 448 Willich, Martin 231, 357, 445 Winckelmann, Johann Joachim 183
463
Winter, Agnes 22, 23 Winter, Eduard 59 Winterfeldt, Christian Ludwig v. 127 Wippel, Johann Jacob 105, 105, 106, 177, 278, 284, 316 Wittich, Christoph 65 Wolff, Christian 59, 63, 63, 65, 72, 179, 191, 197, 205, 207, 307, 309, 328, 328, 381 Wolleb, Johannes 189, 289f. Wollgast, Siegfried 58, 59, 59, 60 Wulstorp, Ernst 142, 184f., 187, 187, 234, 240, 240, 241, 256, 297, 308, 448 Wundt, Ernst 59, 59 Wylich und Lottum, Johann Christoph Theodor Baron v. 258 Wyttenbach, David Samuel Daniel 291 Ziegenbalg, Bartholomäus 264 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 92 Zollikofer, Gabriel 151, 192, 218, 450
Ortsregister Altdorf 177, 222, 440, 442, 443, 451 Altmark 194, 229, 357, 441, 443, 446,451 Angermünde 193, 441 Anhalt 43, 79, 79, 81, 169, 184, 219, 229, 225, 256, 257, 357, 378
Dambeck 137f., 144f. Danzig 142, 234, 262 Drossen 262 Duisburg 64ff. 89, 90, 224, 225, 236, 262, 308, 448
Basel 205, 345, 453 Bernburg 262 Beuthen 187, 326, 448 Böhmen-Mähren 39, 48, 67, 69, 76, 217, 218, 225, 234, 256, 259, 375, 441, 445, 449 Brandenburg (Mark) 30,30, 31, 33, 35, 37, 38, 39, 43, 55, 72, 86, 87, 93, 94, 97, 136, 169, 182, 187, 212, 217, 218, 219, 222, 225, 227, 228, 231, 253, 254, 255, 257, 263, 336, 337, 375, 382, 384, 441 Brandenburg (Stadt) 87, 206, 246, 306, 370 Brandenburg-Preußen 11ff., 21, 24, 30ff., 37f., 44ff., 49ff., 54, 57, 64, 66, 67, 70, 85, 87, 141, 156, 160, 164, 189, 199, 212, 217, 219, 221, 223, 225, 226, 233, 236, 238, 246, 247, 254, 257, 258, 285, 330, 351, 375, 377, 378, 385 Bremen 39, 43, 48, 49, 68, 78, 187, 188, 190, 191, 197, 219, 220, 224, 225, 257, 290, 376, 380, 449, 450, 451 Breslau 64, 93, 345, 442
Emden 185 England 20, 39, 43, 58, 80, 145, 211, 224, 225, 329, 376 Erfurt 194
Cambridge 225, 451 Coburg 79, 121, 126 Cöslin 195 Croppenstädt b. Halberstadt 444, 447 Crossen 182, 262, 441, 447
175, 443,
Flensburg 185, 448 Franeker 222, 225, 449, 451 Franken 68, 218, 440, 443 Frankfurt a. M. 52, 53, 54, 181, 182, 362 Frankfurt a. O. 14, 28, 33, 35, 38, 41, 62, 64, 65ff., 65, 66, 67, 68, 70, 73, 74, 86, 89f., 89, 94, 94, 97, 121, 121, 123, 123, 124, 124, 125, 126, 126, 127, 128, 129, 130, 133, 133, 139, 140, 145, 148, 162, 168f., 179, 184, 187, 188, 189, 192, 193, 197, 198, 199, 217, 221, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 228, 229, 232, 246, 246, 251, 263, 281, 326, 331, 375, 376, 440, 441, 442, 443, 444, 445, 446, 447, 448, 449, 450, 451, 452 Frankreich 39, 43, 48, 70, 140, 160, 161, 177, 201, 203, 205, 207, 218, 219, 220, 226, 248, 251, 25, 267, 292, 332, 375, 383 Gießen 222, 281, 442 Golzow 144f. Görlitz 93 Gotha 82, 83, 91, 171 Greifswald 228, 370
Ortsregister Groningen 65, 66, 185, 222, 233, 451 Guben 228, 448
Halberstadt 43, 50, 143, 145, 175, 218, 253, 256, 261, 367, 369, 441, 443, 444, 447 Halle a. S. 14, 15, 43, 50, 51, 55, 56, 57, 57, 60, 62, 62, 63, 64, 66, 69, 70, 74, 81,90, 90, 91, 91, 92, 92, 99, 102, 103, 115f., 152, 154, 155, 155, 157, 161, 162, 168, 171, 174, 175, 178, 179, 182, 183, 191, 194, 195, 197, 198, 200, 202, 205, 211, 212, 216f., 218, 221, 222, 223f., 225, 226, 232, 233, 246, 247, 263, 264, 271, 277, 278, 284, 286, 287, 295, 314, 315, 315, 316, 319, 321, 324, 324, 333, 362, 368, 375, 377, 443, 444, 446, 447, 450, 451, 452 Hamburg 50, 78, 78, 174, 177, 185, 231, 256, 348, 443, 444 Hamm 89, 90, 224, 450 Hanau 78 Hannover 218, 451 Heidelberg 66, 67, 81, 186, 221, 224, 225, 289, 308, 376, 448, 449 Helmstedt 182, 185, 212, 226, 233, 441, 443, 448, 451 Herborn 65, 78, 79, 81, 88, 199, 224, 225, 304, 376, 448, 449 Herzogtum Preußen 39 Hessen-Kassel 20, 219, 225, 350 Hildesheim 218
Jena 59, 60, 62, 64, 102, 155, 171, 173, 177, 178, 180, 182, 185, 192, 193, 222, 223, 226, 319, 322, 333, 375, 382, 383, 441, 442, 443, 444, 446, 447, 448, 450, 451 Joachimsthal 87, 103, 121ff. 130, 131, 133, 134, 135, 144f., 217, 232, 235, 299, 307, 326, 329, 341, 350, 372, 373 Jüterbog 179, 444
465
Kleve-Mark 48. 70, 89, 90, 134, 138, 156, 256, 258, 261, 342 Königsberg 89, 189, 222, 224, 225, 246, 256, 262, 449, 451 Kursachsen 76, 84, 93, 122, 253, 267, 303, 311, 319, 322, 327, 330, 331, 383, 384 Küstrin 89, 221, 261 Landsberg 89, 441 Lausitz 217, 218, 220, 253, 256, 258, 441, 446, 448, Leiden 48, 49, 65, 66, 69, 185, 189, 189, 198, 201, 225 298, 307, 331, 448, 449, 451, 452 Leipzig 43, 44, 59, 60, 62, 140, 173, 174, 175, 181, 182, 183, 193, 194, 197, 222, 223, 277, 282, 286, 311, 368, 375, 440, 441, 442, 443, 446, 447, 451 Lingen 190 Lippe-Detmold 48, 220, 225, 256, 450 Litauen 67, 70, 251, 252, 254, 256, 257, 378 Lübben 262 Lübeck 218, 256, 298, 440 Magdeburg 50, 89, 90, 91, 93, 142, 177, 218, 220, 247, 253, 256, 440, 443, 444, 446, 447, 452 Marburg 186, 224, 291, 447, 448, 449 Mecklenburg 137, 218, 218, 222, 253, 253, 378, 441, 443 Meißen 77, 129, 173, 277, 327, 328, 330, 331 Minden 22, 145, 145 Nantes 201, 205, 453 Nassau 78, 219, 220, 448 Neumark 30, 251, 253, 256, 258, 441, 442, 445, 445, 450 Neuruppin 86, 182, 231, 231, 444 Niederlande 33, 38, 48, 58, 58, 66, 67, 68, 145, 177, 183, 185, 190, 201, 222, 224, 225, 226, 226, 336, 376
466
Ortsregister
Nîmes 203, 226, 452 Oberrhein 39, 43 Oldenburg 218, 440 Osteuropa, Ostmitteleuropa 57, 65, 70, 217f., 217, 254, 378 Ostfriesland 48, 257, 258 Ostpreußen 253, 256, 256, 257 Oxford 68, 73, 189, 192, 225, 430 Paris 160, 205, 260, 453 Pfalz, Kurpfalz 33, 35, 39, 43, 124, 219, 220, 256, 257, 350 Polen 66, 67, 69, 70, 73, 245, 251, 252, 252, 254, 256, 257, 259, 378 Pommern 43, 88, 170, 180, 218, 220, 253, 256, 256, 259, 261, 368, 442, 446 Prenzlau 86, 89, 367, 369 Pritzwalk 221, 442 Reims 201, 226, 452 Rheinland 34 Rinteln 224, 308, 449 Rostock 169, 179, 193, 222, 223, 226, 229, 440, 441, 442, 443, 446, 448, 451 Saalfeld/ Pr. 189, 449 Sachsen 14, 50 59, 59, 71, 76, 77, 79, 81, 83, 86, 87, 91, 92, 115, 123, 174, 217, 218, 220, 221, 223, 253, 257, 327, 345, 368, 375, 378, 83, 384, 443 Salzwedel 93, 228, 229, 448 Saumur 162, 202, 203, 205, 226, 266, 267, 452, 453
Schlesien 39, 43, 65, 67, 187, 217, 218, 219, 220, 253, 256, 257, 259, 260, 326, 345, 375, 378, 440, 441, 446, 448 Schleswig-Holstein 220 Schottland 39, 43, 329 Schweiz 151, 177, 192, 218, 220, 225, 226, 257, 345, 350, 376, 450 Sedan 162, 202, 226, 452 Siebenbürgen 67, 69, 70, 251, 256, 372 Spandau 86, 192, 221, 441, 446, 449, 450 Stendal 86, 92, 262 Stettin 170, 348, 358, 446 Stockholm 101 Stralsund 102 Strausberg 121, 440 Tangermünde 200, 443 Uckermark 122, 126, 145, 253, 441, 443, 451 Ungarn 67, 69, 70, 171, 181, 217, 218, 225, 234, 254, 256, 257, 445, 446 Utrecht 48, 185, 189, 225, 347, 449 Wien 177, 234, 348 Wittenberg 41, 41,46, 46, 67, 79, 99, 102, 116, 123, 140, 155, 155, 169, 171, 185, 186, 222, 223, 226, 303, 304, 306, 345, 375, 440, 441, 442, 443, 444, 445, 446, 448, 451 Wittstock 182, 447, 451 Zerbst 79, 184, 221, 224, 225,376, 448, 449, 450 Zittau 84, 85, 351, 441 Zwickau 93
Sachregister Absolutismus, absolutistische Herrschaft 13,32, 37f., 42, 85, 157 Actus, Schulactus 24, 85, 100, 168, 180, 190, 266, 311, 312, 313ff., 321, 345, 348ff, 365 Adel, Aristokratie 18, 32, 38, 40, 51, 57, 79, 85, 91, 94f, 108, 122, 129, 258f., 344 Adjunctus 102, 168f., 173, 178, 188, 199, 208, 221, 234, 308, 327, 330 Akademie der Künste 71 Akzise, 104, 108, 117, 118, 145, 156, 165 Alumnat, Alumnen, Kommunität 91, 118f, 145, 147f. 152, 195 Amtskammer 124, 137f, 141, 357 Amtsträgerschaft 13, 18, 32, 38, 39, 40, 51, 106, 123, 138, 259, 260, 260, 261ff., 356, 358, 360, 378 Arabisch 174, 363, 370 Archive 25ff. – Archiv der Französischen Gemeinde Berlin 29, 166, 351 – Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam 27, 28 – Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem 23, 25, 27, 28, 29, 153, 165 – Landesarchiv Berlin 22, 27, 96, 153, 183 – Schularchive 25ff., 28, 29, 98, 121,193, 210 Aristotelismus, aristotelische Metaphysik, Schulphilosophie 49, 60, 63, 64f., 78, 196, 201, 302, 302, 303ff., 303, 311, 325, 381 Arithmetik 19, 84, 178, 268, 270, 322, 326f, 328, 332
Astronomie, Spherica 82, 83, 84, 171, 268, 269, 270, 273, 321, 323, 323, 326, 328, 379 Aufklärung 13, 20, 20, 55, 58, 59, 60, 60, 63, 64, 70, 73, 75, 80, 83f., 120, 167, 205, 207, 291, 301, 302, 319, 324f., 333, 365 Aufklärungstheologie 159, 179, 183f., 291 Aufnahmealter, Altersstruktur 235f., 236 Augsburgische Konfession, Confessio Augustana 31, 34, 35, 68, 97, 101, 114, 123, 129, 212, 213, 214, 214, 280, 284, 337 Ausbildungsvolumen 16, 23, 152f., 210f., 234ff., 377 Berliner Societät der Wissenschaften, Akademie der Wissenschaften 18, 19, 71, 72, 148, 174, 192f., 200, 203, 274, 322, 363f., 366 Berliner Unionsgespräch, „Collegium charitativum“ 52 Berufskarrieren 18, 105, 227ff., 258ff., 320, 378 Bibel, Bibelstudium 115, 182, 195, 269, 274, 280, 281, 281, 283f., 285f., 287, 289f., 293, 329, 380 Bibliotheken – Berliner Staatsbibliothek 25, 29, 194, 195, 366, 369 – Kurfürstliche bzw. königliche Bibliothek 71, 142, 174, 186, 188, 192, 332, 369ff. 385 – Schulbibliotheken 16, 26, 26, 27, 107, 119, 148, 158 – Zentral- und Landesbibliothek Berlin 26
468
Sachregister
Bildungslandschaft(en) 11, 15, 30ff., 34ff., 41ff., 47f. 56ff., 58ff., 60ff., 64ff., 70ff., 75ff., 77ff., 80ff. 86ff., 93ff., 110ff., 121ff., 150ff., 159ff., 370 Calvinismus 13, 17, 33, 34, 34, 35, 37f., 37, 40, 42, 44, 48f., 76, 78, 79, 89, 97, 123, 125, 134, 144, 169, 180, 186, 199, 214, 216, 224, 225, 226, 249, 287, 303, 304, 342, 345, 350, 350, 376, 381, 384 Cartesianismus, cartesianische Philosophie 18, 58, 59, 61, 63, 65,66, 66, 69, 72, 74, 92, 161, 196, 201, 203, 205, 308, 311, 328, 332, 355, 379, 382 Coccejanismus 49, 66f, 197, 190, 191, 197, 290, 331 Confessio Sigismundi 34,43, 214, 215, 249 Conseil académique 164, 164, 209, 317f., 332, 333 Deutsch 59, 60, 80, 81, 83, 84, 85, 85, 100, 171, 174, 177f., 180f., 183, 183, 188, 196, 269, 280f., 295, 300, 307, 309, 311ff., 314, 328, 329, 341, 347, 357, 366f., 379, 382f. Dialektik 78, 168f., 268, 269, 302, 303, 377 Didaktik 75, 81, 82, 82, 83, 88, 171, 176, 210f. 276, 287, 294f, 324, 328, 345 Disputation(en) 24f., 25, 29, 102, 161, 168, 180, 180, 181, 182, 182, 186, 196, 197, 201f., 201, 204, 207, 258, 267, 268, 269, 270, 280, 292, 293, 302f., 304f., 306f., 310, 318 Domkirchen-Direktorium 42 Einkünfte der Lehrer 28, 95, 104f., 104, 113, 115, 117f., 120, 122, 145, 146, 156f., 165f., 207, 209, 233, 273, 353, 370, 374 Einzugsgebiete 252ff. Elementarunterricht 22, 82, 93, 134f., 135, 160, 294f., 332 Emblematik 359
Ethik 62, 161, 168, 199, 268, 269, 302, 303, 304, 308, 331, 381 Examen, Prüfungen 68, 97, 102, 143, 155, 163, 164, 190, 204, 241f, 250, 267, 279, 281, 379 Fachklassensystem 91, 278, 280ff., 293ff., 311ff., 321ff., 368, 379 Festkultur 42, 112f., 119, 148f., 334ff., 340f., 348, 356f., 384f. Franckesche Stiftungen, Franckesche Schulen 56ff., 81, 89ff., 90, 91, 92, 154, 171, 182, 183, 193, 211f., 246f., 247, 271, 278, 324, 324, 325 Französisch 91, 177, 207, 245, 268, 269, 270, 292, 295, 301, 302, 311, 317ff, 324, 365, 379 Französisches (Ober)Konsistorium 16, 29, 46, 160, 162ff, 165, 166, 291, 292, 292, 351, 373 Freitische, Freistellen, Koststellen 28, 79,94, 95, 104, 109, 119, 122, 125, 136, 147, 158, 241, 242, 250f., 256, 259, 378 „Friedrichsschulen“ 89, 90, 188, 197, 198, 221, 246, 247 Frühaufklärung 12ff., 17, 24, 55, 58ff., 58, 59, 64ff., 70ff., 80, 83, 84, 92, 144, 161, 163, 173, 174, 176, 180, 188, 192, 196f., 203ff., 209, 223, 226f., 247, 269, 271, 275f., 279, 296, 301, 310, 314, 327, 330, 333, 344, 352, 364f., 372, 375f., 379, 382ff., 385f. Frühmoderner Staat 12, 13, 21, 23, 35, 36, 38, 74f., 79, 87, 93, 226, 373 Fürstenschulen 11, 14, 16, 22, 23, 28, 77ff., 87, 99, 121ff, 126, 128f., 131f., 134, 135, 136, 139f., 142, 143, 145, 147f., 150, 184, 186f., 190, 199, 208, 209, 211, 214, 215ff., 221, 227, 231, 233ff., 240, 241, 243, 246, 248ff., 251, 257ff., 262f., 272, 276, 277, 287f, 288, 299, 303, 308ff., 309f., 313, 317, 319f., 326, 327, 329ff., 341, 342, 344, 350, 353, 359ff., 372f., 376ff., 380, 383, 384f. Gebet(e) 282, 286, 289, 290, 292
Sachregister Gegenreformation 35f., 39, 123 Geheimer Rat 16, 27, 29, 33, 35, 36, 42, 51, 124, 127, 131, 138, 139, 160f., 248, 261, 344, 357 Geistliche Schulaufsicht 15, 36, 39, 41, 96ff., 113ff., 139ff., 152ff., 162ff., 265, 361, 372f. Gelegenheitsschriften 19, 66, 85f., 106, 140, 171, 172, 175, 179, 180, 298, 312, 313, 337, 356ff., 385 Geographie 19, 90, 178, 193, 199, 209, 268, 269, 270, 298, 317, 321, 324, 325, 326, 326, 329, 330, 332, 379, 383 Geometrie 19, 84, 268, 270, 322, 327, 328 Geschichte, Historie 61, 80, 83, 183, 191, 197, 198f., 208, 209, 210, 235, 268, 270, 271, 272, 274, 277, 284, 292, 296, 321, 322, 323f., 324, 325f., 326, 329f., 329, 332, 348, 354, 379, 380, 383 Gottesdienst(e) 118f., 149,152, 153, 153, 250, 280, 287, 292, 334, 335ff., 340ff., 384 Grammatik 80, 83, 174, 176, 177, 182, 189, 194, 196, 196, 234, 274, 275, 275, 294ff., 294,295, 296, 298ff., 305, 314, 315, 316, 351 – Grammatica Marchia 296 Griechisch 78, 169, 177, 177, 195, 203, 268, 269, 270, 275, 281, 283ff., 292ff., 299ff., 320, 324, 382 Gymnasium Illustre 48, 78, 82, 90, 94, 170, 184, 197, 197, 203, 211, 225, 246, 247, 376 Hausaufgaben 267, 271 Hebräisch 69, 78, 162, 174, 195, 208ff., 228, 268ff., 275, 286, 293, 301f., 320, 324, 382 Heckersche Realschule 91, 92, 120, 120, 159, 212 Heidelberger Katechismus 151, 285, 285, 286ff., 288, 291 Hof- und Domprediger 24, 38, 43, 45, 52, 64, 72, 73, 74, 95, 100, 121, 135, 137, 139ff., 148, 149, 154, 163, 164f., 174,
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185, 186, 188, 189, 189, 197, 199, 211, 211, 212, 219, 232, 251, 252, 260, 261, 262, 288f., 291, 360, 361, 372, 378 Hof, Hofgesellschaft 14, 23, 32f., 35f., 35, 38, 39, 41ff., 51f., 54, 58, 68, 70, 72, 73, 95f. 107, 119, 130, 134, 143, 148f., 150, 160, 260f., 262, 335, 342f., 346, 354, 356ff., 374, 378 Hospiten 241, 242, 250, 353, 354, 354 Hugenotten 16, 19, 23, 24, 25, 45, 45, 46, 63, 72ff., 78, 89, 151, 159ff.,162, 193, 202f., 206, 207, 208, 209, 216, 218f., 226, 233, 244ff., 248, 248, 251, 253, 257, 293, 295f., 298f., 301, 310, 318, 331, 333, 344f., 351, 363, 365, 372f, 375, 376, 377, 379, 381, 382, 383 Humanismus 11, 14, 154, 18, 37, 67, 75, 80 80, 85, 110, 148, 161, 169, 208, 245, 269, 292, 293, 294, 311, 317, 319, 322, 324, 325, 333, 345, 379, 383 Indigenatsrecht 127, 129 Inspektoren, Inspektorensystem 49, 53, 56, 97, 99, 102, 113f., 142, 154ff., 163f., 169, 172, 204, 204, 211f., 212, 216, 219, 245, 266, 274, 292, 309f. 332, 333, 344 Instrumentum Pacis Osnabrugense 38, 130, 132 Irenismus, Irenik 68, 69, 140, 185 Ius Reformandi 38, 41 Jansenismus, Jansenisten 101, 202, 295, 382 Joachimsthalsches Schuldirektorium 137ff., 143, 145, 185, 185, 191, 211, 221, 221, 233, 250, 250, 263, 290, 291, 291, 308, 309, 318, 328, 329, 357 Jurisprudenz 19, 61, 62, 146, 150, 222, 228, 232, 270, 321, 330, 331, 333 Kadettenanstalt 145, 320 Kantor 99, 99, 111f., 118, 146, 151, 152, 153, 153, 156, 207f., 225, 281, 327, 335, 335,336, 338ff., 342ff., 351
470
Sachregister
Katholizismus 20, 30, 31, 33, 34, 76, 128, 234, 251, 336 Kirchenhistorie, Kirchengeschichte 61, 191, 197, 268, 270, 284, 286, 290, 292, 325, 329f., 380 Kirchenmusik 19, 334ff., 342ff., 352 Kirchenordnung(en) 31, 43, 45, 75, 121, 125, 160, 213f., 216, 266, 288, 341, 352 Kirchenregiment, Geistliches Regiment, Kirchenpatronat 36, 46, 86, 122, 334, 373 Klassengrößen, Klassenfrequenzen, Klassenstärken, Anzahl der Schüler 17f., 23, 77, 105, 110, 111f, 111, 135, 151, 158, 165, 166, 197, 234ff., 248, 252, 252, 253,254, 256, 258, 259, 259, 276, 311, 353, 376, 377 Knabenchöre, Kurrenden 27, 334ff, 342, 345, 352, 384 Konfession, Konfessionalität 11, 12, 13, 15ff., 18, 33, 34, 36, 40, 40, 42, 46, 47, 48, 49, 52, 54f., 55, 61, 67, 69, 69, 70, 74f., 75ff., 89f. 100, 108, 114, 115, 120, 123f., 127f., 129f., 133f., 136, 137, 144, 150, 154, 158, 178f., 189, 192, 197, 199, 212ff., 217f., 220, 222f., 233, 240, 247ff., 249f., 251, 258, 258, 261, 266, 275, 285, 290f., 294, 303, 340, 342, 344f., 348f., 358, 361, 368, 372, 374, 377, 380, 382, 384, 385f. Konfessionalisierung 11f., 12, 14f, 20, 23, 30ff., 34ff., 37ff., 41ff., 44ff., 77, 84, 86f., 93ff., 137ff., 144, 150ff., 159, 169, 179, 185, 189, 212ff, 219f., 247ff., 280ff., 303f., 357, 359, 361, 372f., 374, 377f., 380, 381ff., 385f. Konfessionelle Netzwerke 16, 76, 226, 359, 375 Konfessionseid 61 Konfessionswechsel 12, 34, 34, 35, 35, 36, 100, 125, 131, 133, 185, 216, 223, 233, 287, 303, 306, 375 Konkordienformel, Konkordienbuch 32, 34, 34, 35, 41, 43, 115, 123, 179, 222f., 283, 287, 287
Konsistorium 14, 27, 32, 35, 36, 39, 41, 42, 43, 46, 47, 53, 55, 87, 96, 98, 100f., 107, 109, 112, 115, 116, 155, 158, 160, 162ff., 165, 166, 178, 274, 291, 292, 292, 294, 351, 373 Kryptocalvinismus 32, 68, 97, 185 Kurmärkische Stände 95, 99, 127, 130, 249 Landesherrliches Kirchenregiment 36, 46, 334, 373 Landesherrschaft 41, 98, 105, 107, 114, 126, 152, 157, 162ff, 274, 348, 378 Landesschule(n), Fürstenschule(n) 14, 16, 18, 22, 23, 27, 28, 77ff., 86ff, 87, 94f., 94, 103, 112, 121ff., 128, 129, 131f., 134, 135, 136, 139, 140, 142, 143, 145, 147, 148, 149, 150, 173, 184, 186, 187, 190, 199, 208, 209, 211, 214, 215, 216, 217, 221, 227, 231, 233, 234f., 240, 241, 243, 246, 248, 249ff., 256ff., 259, 260, 262, 263, 272, 276, 277, 277, 287f., 299, 303, 308ff., 312f., 317, 319, 320, 326, 327, 329ff., 341f., 344, 350, 353f., 359f., 361, 372, 373, 374, 376, 377, 378, 379, 382, 383ff. Landstände 13, 31, 36, 38, 41, 73, 77, 87, 122, 123, 126ff., 377 Latein, Lateinunterricht 78, 80, 83, 91, 93, 100, 146, 160, 161, 174, 196, 203, 208, 234, 235, 268, 269, 281, 285, 292, 293f., 293, 295, 296, 298, 300, 301, 311, 312f., 314, 316, 317, 318, 33, 345, 347, 379, 382 Lectiones publicae 78, 168, 270, 271, 272, 276, 300, 301, 305, 308, 315, 318, 321, 323, 326, 329, 355, 355 Lehrbuch, Lehrbücher 20, 24, 80, 82, 82, 88 148, 158, 159, 176, 181, 183, 189, 193, 274f., 276, 281, 284, 287, 290, 292, 294f., 296, 307, 309, 311, 317, 322, 328, 330, 331, 364, 367, 379f., 382 Lehrplan, Lehrpläne, Lektionsplan, Stundentafel 17, 18, 19, 20, 23, 24, 25, 75, 78, 83, 84, 85, 91, 117, 141, 144, 166,
Sachregister 168ff., 171, 175f., 178, 182, 183, 184f., 188, 191, 193, 195, 200, 204, 207, 210, 247, 265ff., 272, , 274ff., 278, 281, 283, 285f., 289, 293fff., 300f., 303ff., 307, 315, 316ff., 320, 321ff., 325, 326, 327, 328, 330ff., 379, 380f. Lehrerbildung 17f., 57, 75ff., 80ff., 86ff., 92, 103, 168ff., 179ff., 184ff., 192ff., 201ff., 212, 217ff., 375f., 380, 381, 382 Leichenbegängnisse 25, 105, 112f., 149, 334, 340f., 341, 348, 384 Lipsianismus 37, 38, 66 Logik 69, 78, 83, 161, 168, 201, 207, 268, 269, 302, 303ff., 381 Lutherische Konfessionskultur 15, 42, 48, 54, 55, 55, 247, 345, 377, 384f. Lutherische Orthodoxie 12f., 16, 22, 31, 33, 41, 45, 46f, 48, 50, 52, 54, 55, 55, 56, 57, 60, 67f., 88, 88, 97, 99, 114, 123, 133, 155, 163, 169, 171, 175, 179, 185, 189, 193, 204, 209, 213, 314, 223, 248, 280, 282, 286, 297f., 302ff., 336, 337, 338, 347f., 349, 352, 356, 358, 361, 372, 375, 380, 384 „Märkischer Prädestinationsstreit“ 188f., 192, 199 Mathematik 63, 65, 71, 80, 83, 84, 161, 170, 171, 173, 174, 176, 193, 196, 199, 208, 268, 269, 270, 321, 322, 323, 324, 324ff., 331f., 375, 379, 383 Mathematiklehrer, Mathematicus 146, 171, 176, 208, 209, 209, 326, 328, 332, 363 Medizin 61, 71, 162, 181, 208, 222, 364, 365 Metaphysik 83, 161, 168, 170, 268, 269, 302, 304, 305, 308f, 311 Miscellanea Berolinensia 366 Modernisierung, Modernisierungsprozeß 18, 32, 62, 87, 333, 379, 383f. Musik 19, 84, 118, 207, 269, 269, 269, 270, 334ff., 342ff., 347, 347, 352, 384 Muttersprache 80, 82, 83ff., 160, 176, 178, 180, 188, 196, 269, 294, 295, 300, 311ff., 321, 329, 333, 347, 379, 382f.
471
Mythologie 183, 270, 321 Naturrecht, Jus naturae 58, 59, 61, 62, 66, 67, 72, 72, 163, 208, 226, 235, 270, 331, 333, 365, 379 Neustoizismus, Neostoizismus 37, 38, 58, 67, 67 „Niederländische Bewegung“, niederländischer Späthumanismus 18, 37, 38, 66, 67 Nouveau Journal des Sçavans 72, 203, 363, 365 Nouvelle Méthode 202, 295 Orthographie 15, 317 Pädagogium Regium Halle 90ff, 186, 324 Patronat 11, 15, 16, 22, 27, 37, 56, 79, 86, 88f., 95, 98ff, 108, 113, 115, 116f., 149, 152, 155, 165, 215, 220, 323, 266, 267, 354, 355, 373 Peregrenatio academica 58, 59, 76, 225f, 227, 376 Pfarramt 105, 118, 154, 157, 169, 188, 193, 209, 212, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 355, 357 Philippismus 33, 68, 69, 79, 124f, 288 Philosophie 66, 72, 83, 146, 150, 161f., 161, 162, 165, 168, 169, 181, 182, 191, 196, 201f., 201, 203ff., 244, 258, 270, 272, 302ff., 317, 318, 318, 331, 332, 332, 379, 381 Physik 63, 161, 171, 181, 202, 268, 269, 270, 322, 324, 324, 328, 328, 332, 332, 354, 379, 381 Pietismus 12, 13, 14, 15, 16, 19, 22, 24, 45, 47ff., 49ff., 60, 60, 61, 62, 63, 64, 85, 85, 92, 102f., 115, 133, 144, 151, 152, 154, 155f, 170, 171f., 173f., 176, 177, 178, 181f., 183, 190, 191, 193, 194, 195f., 197, 198, 200, 210, 213, 223f., 247, 263f., 269, 271, 275, 277, 280ff., 287, 290, 293, 297f., 299, 305f., 310f., 316, 322f., 325f., 337, 349f, 352, 361f., 364, 366, 372, 373, 375f., 379f., 381ff.
472
Sachregister
– Hallischer Pietismus 15, 17, 47, 56ff., 64, 99, 175, 182, 183, 191, 194, 196f., 216f., 223, 246f., 264, 275f., 277, 284, 286, 333 Politik 80, 273, 333 Privatlehrer, Privatinformation, Hauslehrer 19, 165, 178, 182, 194, 195, 197, 202, 204, 221, 238, 261, 292, 304f., 309, 352ff., 385 Privatunterricht, Privatstunden, Lectiones privates 82, 96, 104, 117, 120, 162, 165, 170, 178, 178, 183, 187, 202, 204, 210, 245, 268, 270ff., 277, 284, 301, 302, 304f., 308f., 311, 315, 316ff., 319f., 323, 324, 326, 326, 328, 329f., 331, 332, 333, 333, 355, 368, 374, 379, 382 Professionalisierung 80ff., 103, 109, 111, 142f., 207ff., 217ff., 276ff., 376f., 378, 382f. Propst 14, 22, 44, 45, 49, 53, 55f., 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 113, 113, 114, 114, 115, 116, 117, 119, 152, 154, 172, 178, 183, 200, 217, 231, 263, 264, 277, 280, 284, 286, 337, 339, 339, 349, 357 Prüfung, Examina 68, 97, 102, 143, 155, 163, 164, 190, 204, 241f, 250, 267, 279, 281, 379 Ramismus 18, 78, 79, 303f., 303, 304, 308, 381 Rangslisten 28, 241f., 251, 257f., 257, 258, 259, 259, 260, 260, 279 Realien, „realistische Bewegung“, pädagogischer Realismus 18f., 58, 80ff., 88, 91f., 120, 120, 171, 173f., 175f., 178, 180, 188, 193, 196, 199, 208, 210, 269f., 315, 321ff., 379, 383 Realschule(n) 83, 83, 84, 92, 120, 159 Rechenunterricht 332 Redeübungen 20, 176, 181, 182, 187, 192, 193, 196, 256, 302f., 304, 307, 313, 314, 316, 318, 323, 352, 382 Reformation 11, 14, 20, 30, 35, 47, 75, 80, 93, 128, 140, 179, 336, 342, 345, 346, 368, 384
Reformierte Domgemeinde 42, 43, 44, 134, 135, 135, 342 Reformierte Domschule 134, 135, 135, 235 Reformiertes Domkandidatenstift 145 Reformiertes Kirchendirektorium 16, 46f., 139, 191, 309, 310 Religionsfreiheit 127, 133 Religionsunterricht, Katechismusunterricht , religiöse Unterweisung 53, 53, 78, 125, 142, 143, 144, 153, 163, 178, 184, 195, 207, 266, 268, 269, 270, 280ff., 284, 285ff., 287ff., 291ff., 311, 380f., 386 Respublica litteraria 58, 360 Rhetorik 28, 80, 83, 84, 85, 85, 123, 161 170, 180, 268, 269, 275, 293ff., 298f., 311, 316, 330, 351, 381f. Ritterakademie 165, 319 – Berlin 145, 176, 203, 209, 327 – Brandenburg 228, 246, 362 Sabbatinen, Sabbatines 72, 332, 335, 363 Saldrina Brandenburg 85, 92, 246 Schreibmeister 152, 269, 327 Schreibunterricht 146, 267, 274, 314, 317, 320 Schülerkommunität 105f., 108, 109, 119, 130, 147, 147, 157, 235f., 241, 242, 249, 250, 353 Schülermatrikel 22, 25, 26, 27, 28, 110, 125, 125, 126, 126, 170f., 174, 180, 203, 222, 234, 236, 236, 237, 238ff.,240, 243ff., 248, 252, 252, 253,254, 256, 258, 259, 259, 353 Schulabgänger 18, 126, 236, 238, 238, 242, 243 Schulbibliotheken 16, 26, 27, 107, 108, 119, 148, 158 Schulbücher 20, 24, 80, 82, 82, 88, 148, 158, 159, 176, 181, 183, 189, 193, 198, 274f., 276, 281, 284, 287, 290, 292, 294f., 296, 307, 309, 311, 317, 322, 328, 330, 331, 364, 367, 379f., 382
Sachregister Schulgeld 91, 95, 108, 117, 120, 245, 271, 271, 273 Schuldgesetze, Schulordnung, Schulverfassung 17, 22, 24, 25, 26, 27, 32, 47, 82, 91, 93, 94, 96, 96, 97ff., 113f., 113, 114, 121, 125, 144, 151f., 170f., 175f., 180, 183, 195, 195, 202, 202, 212ff., 247, 250, 250, 252, 265, 266, 266, 267, 271f., 276ff., 276, 279, 280, 280, 284, 289, 291f., 298, 303, 310, 317, 334f., 335, 340, 352, 353 Schuljubiläum 25, 147, 148, 187, 188, 235, 240, 241, 256, 289, 308, 327, 328, 330f., 359 Schulschriften 24, 26, 27, 28f., 29, 94, 110, 155, 180, 182f., 183, 186, 187, 190, 192f., 199, 200, 252, 258, 266, 267, 277, 292, 307, 313, 316, 326, 329, 331, 357, 357, 359f., 360, 365 Schultheater, Schulkomödien 19, 25, 85, 85, 169, 178, 180, 181, 182, 196, 297f., 312f., 314f., 317f., 321, 325, 345ff., 368, 382, 384 Seminarium selectum Praeceptorum 92 Sozialdisziplinierung 32, 139, 173, 190, 199, 350 Sozianer, Sozianismus 73, 73, 184, 214, 214, 215, 250 Spätaufklärung 159 Spanheim-Konferenzen 71, 72, 362f., 362f., 365 Staatskirchentum 36, 42, 45, 57, 79, 164 Staats- und Völkerrecht 61, 62, 66 Stiftungen 15, 27, 77, 79, 91, 94, 119, 122ff., 137, 142, 145, 158, 164, 251, 256, 259, 373 – Kornmessersche Stiftung 119 – Schindlerische Kommunität 109 – Stiftung „Mons Pietatis“ 145 – Streitsche Stiftung 26, 109 Stipendien, Stipendiaten 18, 69, 70, 119, 126, 126, 131f., 145, 158, 167, 249, 251, 258, 374 Studierverbot 41, 41, 46, 46, 155, 155, 222f., 223, 375
473
Stundenzahl 83, 85, 207, 266f., 268ff., 272f., 284ff., 299, 301, 310f., 315f., 320, 321ff., 324, 328, 343 Summus episcopus 46, 165, 373 Suprema 150, 235, 235, 242, 251, 269, 293, 309, 310, 317, 331 Synodalverfassung 48, 164 Theologie 32, 33, 34f., 41, 43, 44, 45, 48, 49, 52, 55f., 55, 56f., 56, 58, 60f., 62ff., 67, 68, 71, 73, 76, 142ff., 173f., 177, 181, 182, 186, 188, 189, 190f., 191, 198, 207, 210ff., 212, 266, 269, 272, 280ff., 285ff., 287ff., 291ff., 306, 325, 362f., 365, 380f. Toleranz, Toleranzpolitik 31, 33, 35, 40f., 44, 44, 46f., 50, 61, 67, 68, 101, 126ff., 133, 133, 209, 215, 250, 288 Universalismus, Partikularismus 35, 67, 68, 68, 81, 81, 188, 189, 192, 199, 290 Universitäten, Hohe Schulen, Akademische Gymnasien, Gymnasia Illustra – Altdorf 177, 222 – Bremen 48, 68, 187, 191, 197, 219, 220, 224, 225, 225, 290, 376 – Coburg 79, 121, 121 – Cambridge 225 – Duisburg 64ff., 89, 89, 90, 224, 225, 262 – Franeker 222, 225 – Frankfurt a. O. 14, 33, 35, 35, 36, 41, 64ff., 68ff., 70, 74, 78, 86, 89, 90, 94, 97, 97, 121, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 133, 140, 145, 148, 162, 179, 182, 184, 187, 188, 192, 197, 199, 217, 217, 221, 222, 223, 225, 226, 232, 246, 246, 251, 263, 326, 375, 376 – Gießen 222 – Greifswald 228, 370 – Groningen 65, 66, 185, 222, 233 – Halle 14, 52, 55, 56, 56, 57, 60ff., 66, 69f., 74, 89f. 91, 115f., 154, 155, 157, 161, 162, 168, 171, 174, 175, 178, 179, 182, 183, 191, 194, 195, 197, 200, 202,
474
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Sachregister
211f., 221, 222, 223f., 225, 226, 233, 247, 271, 278, 315, 319, 321, 324, 333, 368, 375, 376, 377 Hamm 89, 90, 224 Heidelberg 35, 66f., 81, 186, 221, 224, 225, 308, 376 Helmstedt 182, 185, 222, 226, 233 Herborn 65, 78, 79, 82, 88, 199, 224, 225, 304, 376 Jena 59, 60, 62, 64, 83, 102, 155, 171, 173, 177, 178, 180, 182, 185, 192, 193, 222, 223, 226, 319, 332, 333, 375, 382, 383 Königsberg 89, 189, 189, 222, 224, 225, 246, 256, 262 Lausanne 226, 233 Leiden 48, 49, 65, 66, 69, 185, 189f., 189, 198, 201, 225, 298, 307, 331 Leipzig 50, 59, 60, 140, 173, 181, 182, 193, 194, 197, 222, 223, 282, 286, 375 Marburg 224, 291 Nimes 162, 203, 226 Oxford 68, 73, 189, 192, 225 Reims 201, 226 Rinteln 224, 308 Rostock 169, 179, 193, 222, 223, 226, 229 Saumur 162, 202, 203, 205, 226, 267 Sedan 162, 202, 226 Straßburg 75, 169, 177, 222, 326
– Wittenberg 41, 41, 46,46, 79, 99, 102, 116, 140, 155, 155, 169, 171, 185, 222, 223, 226, 303, 304, 375 – Zerbst 79, 184, 221, 224, 225, 376 Unterrichtsmethode(n) 15, 18, 20, 59, 60, 65, 75, 80ff., 86ff., 91, 110, 144, 159, 170, 171, 173, 176, 196, 271, 276ff., 282f., 294, 303, 324f., 378ff. Visitation(en) 12, 16, 20, 25, 28, 31f., 36, 54, 79, 86, 88, 93, 99f., 111, 113, 114f., 114, 117, 121, 124, 125, 125, 137, 139ff., 146, 154f., 158, 184, 190, 199, 221, 249, 261, 263, 265, 275, 276f., 276, 278f., 289, 290f., 291, 308, 317, 329, 330, 333, 334 Vokationsrecht, Berufungsrecht 28, 98, 115, 116, 126ff., 131, 132f., 142, 217, 221, 376 Winkelschulen 96, 96, 236 Witwen- und Waisenkasse 107, 119, 146, 158, 175, 275 Wolffianismus, Wolffsche Philosophie 63f., 63, 179, 183, 191f., 196, 197, 207, 307, 309, 311, 328f., 328, 381 Zeitungslektüre 85, 268, 269, 316, 320, 325 Zivilrecht, Ius civile 208, 270, 331, 379 Zoologie 177 „Zweite Reformation“ 34ff., 223, 267, 303, 356