Das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung [1 ed.] 9783428519354, 9783428119356

Der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz steht mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes vor se

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Das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung [1 ed.]
 9783428519354, 9783428119356

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TOBIAS LEDER

Das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 250

Das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung

Von

Tobias Leder

Cc

3J

V

Duncker & Humblot • Berlin

Die Bucerius Law School Hamburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-11935-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG). An ihr müssen sich die deutschen Vorschriften zur Verhinderung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung messen lassen. Gleichzeitig bedient sich die Arbeit des Rechtsvergleichs, und zwar vor allem mit den USA. Dabei wurde auf eine schlichte Gegenüberstellung der Regeln beider Rechtsordnungen verzichtet und stattdessen ein integrativer Ansatz gewählt. Dort, wo es für die Interpretation der europäischen Vorgaben sinnvoll ist, werden die U.S.-amerikanischen Erfahrungen zu Rate gezogen. Ein solcher Rückgriff ist angebracht. Denn die Rahmenrichtlinie ist zu stark an U.S.amerikanische Vorbilder angelehnt, als dass man bei ihrer Ausdeutung auf einen Blick in diesen Rechtskreis verzichten sollte. Die Arbeit entstand im Jahr 2003 während meines Forschungsaufenthaltes an der Duke Law School in Durham, North Carolina, USA. Anfang 2004 lag sie der Bucerius Law School in Hamburg als Dissertation vor; das Rigorosum fand im Juni 2005 statt. Die Veröffentlichung der Schrift wurde danach im Hinblick auf die sich abzeichnende Verabschiedung des Antidiskriminierungsgesetzes hinausgezögert. Nachdem diese mit dem vorzeitigen Ende des 15. Deutschen Bundestages scheiterte, wurde die Veröffentlichung auf den Weg gebracht. Die Arbeit geht zurück auf eine Anregung meines Doktorvaters, Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M., dem ich für seine Unterstützung und die mir zuteil gewordene Förderung herzlich danken möchte. Prof. Dr. Rüdiger Veil war so freundlich, das Zweitgutachten zügig anzufertigen. An der Duke Law School verdient Judy Horowitz besonderen Dank dafür, dass sie es mir ermöglichte, dort unter hervorragenden Forschungsbedingungen zu arbeiten. Bei Dipl.-Kfm. Stefan Patzer, LL.M., und Dr. Sascha Morgenroth, LL.M., bedanke ich mich von Herzen für ihre Unterstützung, ebenso bei meiner Mutter für das geduldige und kritische Lesen der Arbeit.

Hamburg, im Februar 2006

Tobias Leder

Inhaltsverzeichnis Einleitung

27

1. Kapitel Entwicklung des Diskriminierungsverbots wegen einer Behinderung A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie I. II.

29 30

Das gedankliche Fundament des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung

31

Schaffung einer primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage

34

1. Die Aufnahme von Art. 13 in den EG-Vertrag

35

2. Zur Frage der richtigen Ermächtigungsgrundlage

36

EL Die Richtlinie 2000/78/EG als beschäftigungspolitischer Hoffungsträger

37

1. Neues zum Begriff der Diskriminierung

38

2. Belästigung als Gleichbehandlungsproblem

39

3. Die fehlende Definition der Behinderung

39

B. Entwicklung in Deutschland

40

I.

Überblick über die Entwicklung seit dem 1. Weltkrieg

40

II.

Die Erweiterung des Grundgesetzes um das Benachteiligungsverbot . . .

42

III. Die Eingliederung des Schwerbehindertenrechts in das SGB IX

44

IV. Das ADG - ein überflüssiges Gesetz?

45

1. Der Weg zur Verabschiedung des ADG

45

2. Diskriminierungsschutz durch allgemeine Vorschriften

47

a) Diskriminierungsschutz durch zivilrechtliche Generalklauseln . . .

47

b) Arbeitsrechtlicher Benachteiligungsschutz

48

10

nsverzeichnis aa) Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen (§ 75 BetrVG)

49

bb) Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz

50

C. Vereinigte Staaten

51

I.

Der Rehabilitation Act of 1973

52

II.

Der Americans with Disabilities Act of 1990

53

1. Regelungsgehalt des Gesetzeswerkes

54

2. Der Wandel der öffentlichen Wahrnehmung des ADA

56

2. Kapitel Grundlagen und Reichweite des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts I.

Formelles GleichheitsVerständnis

60 61

1. Konzept

61

2. Von formeller Gleichbehandlung zum Diskriminierungsverbot

63

a) Funktionsweise eines Diskriminierungsverbots

64

b) Kennzeichen des Diskriminierungsverbots

65

c) Zur Notwendigkeit des Diskriminierungsverbots

66

aa) Ist der ADA ineffizient?

67

bb) Gründe der Behindertendiskriminierung

67

3. Wirkung und Grenzen des Diskriminierungsverbots

II.

59

69

a) Kein Garant rationaler Entscheidungen

70

b) Relativer Charakter formeller Gleichbehandlung

71

Materielles Gleichheitsverständnis

73

1. Ausprägungen des Gerechtigkeitselements

74

a) Ausgleich von Missständen

74

aa) Kollektiv-individuelle Ausprägung

75

bb) Zeitlich begrenzter Wirkungsbereich

76

cc) Wahrung des Rechts zur leistungsorientierten Arbeitnehmerauswahl

76

b) Verteilungsgerechtigkeit

77

nsverzeichnis 2. Das Ziel: Gleiche Ergebnisse oder - nur - gleiche Chancen? a) Ergebnisgleichheit

11 79 79

aa) Gruppenbezogene Ergebnisgleichheit

80

bb) Individuelle Ergebnisgleichheit

81

b) Chancengleichheit

81

aa) Präzisierung des Richtlinienziels

82

bb) Formelles Verständnis der Chancengleichheit

84

cc) Materielles Verständnis der Chancengleichheit

84

3. Begrenzter persönlicher Wirkungskreis materieller Gleichheit

85

III. Gleichheit, Würde und die Stellung der Belästigung in diesem System . 87 1. Bestimmung des gegenständlichen Geltungsbereichs des Diskriminierungsverbots

87

2. Inhaltliche Modifizierung des Gleichbehandlungsgebots

88

a) Absenkungsverbot bei Würde Verletzungen

88

b) Fortbildung des Diskriminierungs- zum Belästigungsverbot

88

B. Die Vergleichbarkeit als Anwendungsvoraussetzung des Gleichheitssatzes

90

1.

Objektive Geeignetheit zur Arbeitsleistung

90

IL

Begriff und Sinn der Beschränkung auf „wesentliche Arbeitsplatzfunktionen"

91

1. Hintergrund der Verengung der Vergleichsbasis

92

2. Konkretisierung am Beispiel des ADA

93

3. Kapitel Normative Erfassung der geschützten Personengruppe A. Zum Begriff der Behinderung als Voraussetzung des Diskriminierungsschutzes I.

II.

95

95

Der Behinderungsbegriff und die Grenzen des Gruppenprinzips

97

1. Normimmanente Konkretisierungsmaßstäbe

97

2. Besonderheiten des Anti-Diskriminierungsrechts

99

Ein europäischer Begriff der Behinderung - ein fernes Ziel?

99

1. Die Ambivalenz des Behinderungsbegriffs als europäisches Regelungsproblem

99

2. Entwicklungsstand des europäischen Behinderungsbegriffs

101

nsverzeichnis a) Das medizinische Verständnis der Behinderung

101

b) Der Übergang zum sozialen Modell der Behinderung

104

aa) Behinderung als soziales und kulturelles Konstrukt

104

bb) Konsequenzen für das Arbeitsrecht

106

c) Die Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Behinderungsbegriffs 107 Konturen eines europäischen Behinderungsbegriffs

108

1. Der richtige Bezugspunkt: soziale Wirkungen und medizinische Schädigungen 109 a) Anknüpfung an eine Schädigung im medizinischen Sinne

110

aa) Begriff der Schädigung im U.S.-amerikanischen und britischen Recht 110 bb) Probleme des Anknüpfens an eine medizinische Schädigung 111 (1) Veranschaulichendes Fallmaterial

111

(2) Defizite des medizinischen Lösungsansatzes

113

b) (Mangel an) Alternativen

116

aa) Substituierung der Schädigung durch „physisches Charakteristikum" 116 bb) Einbeziehung der gesellschaftlichen Wahrnehmung

117

c) Gefahren einer medizinisch fundierten Begriffsbestimmung

119

2. Gibt es eine Erheblichkeitsgrenze für das Bestehen einer Behinderung? 120 a) Die Notwendigkeit der Begrenzung der geschützten Personenklasse 121 b) Möglichkeiten der Eingrenzung der geschützten Personengruppe 121 aa) Eingrenzung über den Grad der Beeinträchtigung

122

(1) Sutton, Murphy und die Bedeutung von „mitigating measures" 123 (2) Die Argumentation des Supreme Court

124

(3) Kritik vom Standpunkt des sozialen Modells

125

bb) Die Schädigung als Ansatzpunkt einer Eingrenzung

126

3. Ausweitung des Behinderungsbegriffs auf Personen ohne eigene, aktuelle Behinderung 127 a) Fälle der unterstellten Behinderung aa) Unterstellte Beschränkung durch den Arbeitgeber

128 129

nsverzeichnis

13

bb) Unterstellte Beschränkungen durch dritte Personen

130

cc) Unterstellte Schädigung

131

b) Zukünftige Behinderungen

132

c) Der Schutz vor Benachteiligungen wegen der Assoziierung mit behinderten Menschen 133 aa) Assoziierung und Schutz der Privatsphäre

133

bb) Deutsche Schutzmechanismen

135

d) Blick in die Zukunft

136

IV. Der Begriff der Behinderung im ADG-E

137

1. Das verfassungsrechtliche Fundament

138

2. Die Definition des § 2 Abs. 1 SGB IX als Ausgangspunkt

139

a) Regelwidrige Abweichung von dem alterstypischen Zustand

140

b) Funktionsbeeinträchtigung

141

c) Beeinträchtigende Auswirkung

142

aa) Das Maß der Auswirkungen nach dem SchwbG

142

bb) Implementation des Teilhabekonzeptes

143

d) Zeitliche Grenze 3. Modifikationen im Dienste des Diskriminierungsschutzes

145 146

a) Wider der Anknüpfung an die (Schwer-)Behinderteneigenschaft . 146 b) Keine Einschränkung über die Schwere der Schädigung

148

c) Reichweite des Teilhabekonzepts im ADG

150

B. Grenzen des Gruppenprinzips - die Heterogenität des geschützten Personenkreises 152 I.

Arbeitnehmer als Opfer von Vorurteilen und Fehlvorstellungen (Gruppe 1) 153 1. Irrtum über die Produktivität des Beschäftigten a) Bloße Unwissenheit

153

b) Bewusste statistische Diskriminierung

154

2. Bewusst ineffiziente Entscheidungen II.

153

155

Auf eine Unterstützung durch den Arbeitgeber angewiesene Personen (Gruppe 2) 155 1. Formelle Gleichbehandlung ist nicht genug

156

2. Das Recht auf Vornahme angemessener Vorkehrungen

156

III. Grenzen der Beschäftigungsförderung durch Diskriminierungsschutz (Gruppe 3) 158

14

nsverzeichnis 4. Kapitel Allgemeiner Diskriminierungsschutz aufgrund einer Behinderung

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes I.

159 160

Persönlicher Geltungsbereich

160

1. Ausdehnung des Benachteiligungsverbots auf alle Beschäftigten

160

2. Das Erfordernis eines Beschäftigungsverhältnisses

161

a) Arbeits- und sonstige Beschäftigungsverhältnisse

161

b) Keine Kleinbetriebsklausel für das Anti-Diskriminierungsrecht .. 162 aa) Verstärkte Rechtsstellung des Arbeitgebers in Kleinbetrieben 163 bb) Systemgerechtigkeit des allumfassenden Diskriminierungsschutzes 164 cc) Mögliche Anwendungsbeschränkungen für Kleinbetriebe ... 165 II.

Gegenständlicher Geltungsbereich

165

1. Vorvertraglicher Bereich

166

a) Fragerecht des Arbeitgebers nach einer Behinderung aa) Überblick über die bisherige BAG-Rechtsprechung

167 167

bb) Auswirkungen des behinderungsspezifischen Benachteiligungsverbots 168 (1) Grundsätzlicher Ausschluss des Fragerechts

169

(2) Fortbestand bei fehlender Eignung des Bewerbers

171

b) Behinderungsneutrale Gestaltung des Bewerbungsvorgangs

173

2. Umfassender Schutz im laufenden Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis 174 a) Erweiterungen gegenüber dem geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbot 174 b) Verhältnis des Diskriminierungsschutzes zum Direktionsrecht . . . 175 3. Bedeutung des Diskriminierungsschutzes im Fall der Kündigung . . . 176 a) Verhältnis zum Kündigungsschutz nach dem KSchG aa) Auswirkungen auf die krankheitsbedingte Kündigung

177 177

bb) Zur Heranziehung einer Behinderung im Rahmen der Sozialauswahl 180 b) Verhältnis zum Kündigungsschutz nach dem SGB IX 4. Mitgliedschaft und Mitwirkung in Organisationen

182 182

nsverzeichnis

15

a) Erstreckung des Benachteiligungsverbots auf Tarifvertragsparteien 183 b) Einbeziehung von Betriebsräten und Sprecherausschüssen ID. Zeitlicher Geltungsbereich B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen I.

II.

184 185 185

Das Verbot unmittelbarer Diskriminierung

186

1. Aufgabe und Funktion unmittelbarer Diskriminierung

187

2. Einfügung in die deutsche Rechtsordnung

188

3. Schwierigkeit der Bestimmung einer Vergleichsperson

189

a) Hypothetische Vergleichsperson

190

b) Vergleichperson der Vergangenheit

192

c) Erweiterte Vergleichsbasis in den Fällen der Behinderung?

193

Das Verbot mittelbarer Diskriminierung

195

1. Aufgabe und Funktion mittelbarer Diskriminierung

196

2. Geringere Anforderungen an die Indizwirkung des Gruppenvergleichs 197 a) Zum Verzicht auf Statistiken

198

b) Alternative Anknüpfungspunkte zur Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung 201 ID. Der Schutz vor Belästigungen

202

1. Die Ausweitung des Belästigungsschutzes im U.S.-amerikanischen Recht 204 a) Der Ursprung des Belästigungsschutzes in Title VII und seine dogmatischen Grenzen 204 aa) Schutz der emotionalen und psychologischen Stabilität

204

bb) Schwierigkeiten der Fundierung im Gleichbehandlungsgebot 205 b) Ausdehnung des Belästigungsverbots auf das Merkmal der Behinderung 207 aa) Von der Rechtsprechung zugrunde gelegter Prüfungsmaßstab 208 (1) Angliederung an den Diskriminierungsschutz

208

(2) Schwere des belästigenden Verhaltens

209

bb) Kritische Stimmen zum Ansatz der Rechtsprechung

211

16

nsverzeichnis 2. Die Ausdeutung des Belästigungstatbestandes der Rahmenrichtlinie 212 a) Das Dilemma der dogmatischen Verankerung des Belästigungsschutzes 213 aa) Belästigung zwischen Gleichbehandlung und dem Schutz der Würde 213 (1) Persönlichkeitsschutz zweiter Klasse?

214

(2) Würdeverletzung als Bezugspunkt der Ungleichbehandlung 215 (3) Anderweitige Bezugspunkte der Ungleichbehandlung . . . 216 bb) Falsa demonstratio non nocet? b) Interpretation des Wortlauts der Rahmenrichtlinie

218 218

aa) Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Merkmal einer Behinderung 219 (1) Reichweite des behinderungsspezifischen Zusammenhangs 219 (2) Alle beliebigen Verhaltensweisen reichen aus

219

(3) Dauer der Belästigung

220

bb) Unerwünschtheit des Verhaltens und Würdeverletzung beim Betroffenen

220

(1) Beurteilungsperspektive

221

(2) Schwere des belästigenden Verhaltens

221

cc) Das „feindliche" Umfeld

222

dd) Erfordernis des ,3ezweckens" oder „Bewirkens"

224

IV. Die Anweisung zur Diskriminierung C. Rechtfertigungsmöglichkeiten allgemeiner Benachteiligungen I.

225 226

Rechtfertigungsmöglichkeiten nach der Rahmenrichtlinie

227

1. Sachliche Rechtfertigung der mittelbaren Benachteiligung

227

2. Kompensation durch die Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen 228

II.

a) Bedeutung für Arbeitgeber

229

b) Zweifelhafte Konsequenzen für behinderte Beschäftigte

229

Umsetzung durch das SGB IX

230

1. Defizite der ersten Rechtfertigungsmöglichkeit (§ 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 2 SGB IX) 230 a) Wider der Anleihe beim geschlechtsspezifischen Unverzichtbarkeitskriterium 231

nsverzeichnis

17

b) Keine Gleichsetzung mit beruflichen Anforderungen nach Art. 4 Abs. 1 RL 232 2. Defizite der zweiten Rechtfertigungsmöglichkeit (§81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX) 233 a) Verteilung der Darlegungs- und Beweislast

233

b) Widerlegung des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung .. 233

5. Kapitel Angemessene Vorkehrungen als besonderer Diskriminierungsschutz

234

A. Die Funktionen angemessener Vorkehrungen im System des Diskriminierungsschutzes 235 I.

Die Bestimmung der geschützten Personenklasse

235

1. Außerachtlassung der fehlenden formellen Vergleichbarkeit

236

2. Berücksichtigung der Heterogenität der geschützten Personengruppe 237 II.

Die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen als eine Form der Diskriminierung 238 1. Die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen als Fall der Diskriminierung 239 2. Angemessene Vorkehrungen und unmittelbare Diskriminierung

240

3. Angemessene Vorkehrungen und mittelbare Diskriminierung

242

4. Angemessene Vorkehrungen als Diskriminierungsform sui generis .. 244 III. Angemessene Vorkehrungen als Verteidigung des Arbeitgebers 1. Vorkehrung ist nicht geschuldet und wird nicht erbracht

245

2. Geschuldete Vorkehrung wird erbracht

245

B. Geltungsbereich des besonderen Diskriminierungsschutzes I.

245

Persönlicher Geltungsbereich

245 246

1. Fehlende Vergleichbarkeit als Anwendungsvoraussetzung von Art. 5 RL II.

246

2. Beschränkung auf Beschäftigte mit einer tatsächlichen Behinderung

246

Gegenständlicher Geltungsbereich

248

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes . . . 249 I.

Beschränkung der Förderung auf wesentliche Arbeitsplatzfunktionen . . . 251

nsverzeichnis II.

Beschränkung auf behinderungsspezifische Hindernisse

III. Modifikation des Anwendungsprofils

252 254

IV. Erlaubt Art. 5 RL eine bevorzugte Behandlung von „Menschen mit Behinderung"? 255 1. Die affirmative action Debatte a) Affirmative action als U.S.-amerikanisches Rechtskonzept

256 257

b) Zur Dichotomie von angemessenen Vorkehrungen und affirmative action 259 2. Angemessene Vorkehrungen im Spannungsfeld der Interessen dritter Arbeitnehmer

260

a) Rechtsprechung des U.S. Supreme Court

260

aa) Sachverhalt

260

bb) Zum Begriff der Bevorzugung

261

cc) Abwägung der Umstände des Einzelfalls

262

b) Vorzüge nach dem Konzept der Rahmenrichtlinie

264

aa) Wortlaut von Art. 5 RL

264

bb) Vereinbarkeit mit dem Behinderungsbegriff

266

cc) Verhältnis zu positiven Fördermaßnahmen nach Art. 7 RL .. 267

V.

dd) Ergebnis und Folgenabschätzung

267

c) Einfügung in die deutsche Rechtsordnung

268

Formelle Aspekte angemessener Vorkehrungen

269

1. Der „interaktive Prozess" 269 2. Praktische Auswirkungen auf den Auswahlprozess des Arbeitgebers 269 D. Unverhältnismäßige Arbeitgeberbelastung als Grenze

270

6. Kapitel Durchbrechungen des allgemeinen und besonderen Diskriminierungsschutzes A. Maßnahmen nach Art. 2 Abs. 5 RL I.

272 272

Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz

273

1. Die „direkte Bedrohung" im U.S.-amerikanischen Recht

273

a) Gesundheitsgefahren für dritte Personen

274

b) Gesundheitsgefahren für den behinderten Beschäftigen

274

nsverzeichnis

II.

19

2. Einfügung in die Rahmenrichtlinie

275

Schutz der Rechte und Freiheiten anderer

276

B. Berufliche Anforderungen gem. Art 4 Abs. 1 RL

277

C. Positive Maßnahmen nach Art. 7 RL

278

I.

Präzisierung des Förderungskonflikts beim Merkmal der Behinderung .. 279 1. Förderungen im Vergleich zu Nichtmerkmalsträgern

279

2. Förderungen innerhalb der Gruppe der behinderten Beschäftigten . . . 280 IL

Bestehender Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 RL

HI. Zur Garantie des bisherigen Schutzniveaus durch Art. 7 Abs. 2 RL

281 281

1. Neuorientierung durch den Behinderungsbegriff

282

2. Entwicklung von der Ergebnis- hin zur Chancengleichheit

282

3. Verbleibender Anwendungsbereich der Beschäftigungsquote

283

Literaturverzeichnis

284

Sachregister

305

Abkürzungsverzeichnis

A.2d aA ABl. abl. AcP ADA ADEA ADG ADG-E

A.-Drs. AHP

Akron L. Rev. Ala. L. Rev. Alb. L. Rev. Am. Behav. Sei. Am. Econ. Rev. Am. J. L. & Med. Anm. Annals AP App. ArbG AR-Blattei ArbStättV ARS

Atlantic Reporter, Second Edition andere Ansicht Amtsblatt ablehnend Archiv für die civilistische Praxis Americans with Disabilities Act Age Discrimination in Employment Act Antidiskriminierungsgesetz Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes in der am 17.7.2005 im Bundestag verabschiedeten Fassung, BTDrucks. 15/5717 Drucksache des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht Akron Law Review Alabama Law Review Albany Law Review American Behavioral Scientist The American Economic Review American Journal of Law & Medicine Anmerkung Annals of the American Academy of Political and Social Science Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts (seit 1954, vorher: Arbeitsrechtliche Praxis) Appendix Arbeitsgericht Arbeitsrecht-B lattei Arbeitsstättenverordnung Arbeitsrechtssammlung mit Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und der Arbeitsgerichte

22

AuA AuR ausf. BAG BB B.C. Third World L J. B.U.L. Rev. BeckRS Behav. Sci. & Law BehindR Berkeley J. Emp. & Lab. L. BetrVG BFH BGB BGB1. BGG BGH BKGG BPersVG BR-Drucks. BSG BSGE BT-Drucks. BVerwG BVerwGE BVG BYU J. Pub. L. Cal. Cal. L. Rev. Canadian Bar Rev. Cardozo L. Rev. C.D. C.F.R. Cir. C.L.J. C.L.Rev. CLS CML Rev. Cong Ct. App. DB

Abkürzungsverzeichnis

Arbeit und Arbeitsrecht, Zeitschrift Arbeit und Recht, Zeitschrift ausfuhrlich Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater, Zeitschrift Boston Third World Law Journal Boston University Law Review Beck Rechtsprechung Behavioral Sciences and the Law Behindertenrecht, Zeitschrift Berkeley Journal of Employment and Labor Law Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Behindertengleichstellungsgesetz Bundesgerichtshof Bundeskindergeldgesetz, Bundespersonalvertretungsgesetz Drucksache des Deutschen Bundesrates Bundessozialgericht Sammlung der Entscheidungen des BSG Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverwaltungsgericht Sammlung der Entscheidungen des BVerwG Bundesversorgungsgesetz Brigham Young University Journal of Public Law California California Law Review Canadian Bar Review Cardozo Law Review Central District Code of Federal Regulations Circuit Cambridge Law Journal Cambridge Law Review Consolidated Law Service Common Market Law Review Congress Court of Appeals Der Betrieb, Zeitschrift

Abkürzungsverzeichnis

D.C. Cir. D. Conn. DDA D.D.C. D.P.R. Def. Couns. J. Dick. L. Rev. DRV DStR Duke L. J. DVB1. E.D. EEOC EFZG EG

EGV Einl. E.J.S.S. E.L. Rev. Emory L.J. Empl. Prac. Dec. (CCH) EStG EU EuGH EuR Eur. J. Health Law Eur. L. J. EU-Verf EzA F. Fed. Appx. Fordham L. Rev. F. Supp. Ga.

23

U.S. Court of Appeals for the District of Columbia Circuit District of Connecticut Disability Discrimination Act of 1995 U.S. District Court for the District of Columbia District of Puerto Rico Defense Counsel Journal Dickinson Law Review Deutsche Rentenversicherung Deutsches Steuerrecht, Zeitschrift Duke Law Journal Deutsches Verwaltungsblatt, Zeitschrift U.S. District Court für den Eastern District des jeweiligen Staates Equal Employment Opportunity Commission Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Europäische Gemeinschaft(en); Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idF des Amsterdamer Vertrages Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idF des Maastrichter Vertrages Einleitung European Journal of Social Security European Law Review Emory Law Journal Employment Practices Decisions (CCH) Einkommensteuergesetz (Vertrag über die) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht European Journal of Health Law European Law Journal Vertrag über eine Verfassung für Europa Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Federal Reporter, in drei Reihen erhältlich (F., F.2d und F.3d) Federal Appendix Fordham Law Review Federal Supplement, in zwei Reihen erhältlich (F. Supp und F. Supp 2d.) Georgia

24

Ga. L. Rev. GdB Geo L.J. GewO GG GS Harv. C.R.-C.L. L. Rev. Harv. L. Rev. H.R. Rep. Hs. ICF ICIDH idF. ILJ Indus. & Lab. Rel. Rev. insb. Int. Econ. Rev. Int. J. CLLIR Iowa L. Rev. J. Hum. Res. J. Marshall L. Rev. J. Med. & Phil. J. Pol. Econ. JR J. Small & Emerging Bus. L. J. Soc. Phil. JuS JZ Lab. Law. LAGE Law & Ineq. M.D. MdE MedSach Mich. L. Rev. Minn. MJ N.C.

Abkürzungsverzeichnis

Georgia Law Review Grad der Behinderung Georgetown Law Journal Gewerbeordnung Grundgesetz ErfK Gemeinsamer Senat Harvard Civil Rights - Civil Liberties Law Review Harvard Law Review House of Representatives Report Halbsatz International Classification of Functioning, Disability and Health International Classification of Impairment, Disabilities and Handicaps in der Fassung Industrial Law Journal Industrial and Labor Relations Review insbesondere International Economic Review International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations Iowa Law Review Journal of Human Resources John Marshall Law Review Journal of Medicine and Philosophy Journal of Political Economy Juristische Rundschau Journal of Small and Emerging Business Law Journal of Social Philosophy Juristische Schulung, Zeitschrift Juristenzeitung The Labor Law Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Law and Inequality: A Journal of Theory & Practice Middle District Minderung der Erwerbsfähigkeit Der medizinische Sachverständige, Zeitschrift Michigan Law Review Minnesota Maastricht Journal of European and Comparative Law North Carolina

Abkürzungsverzeichnis

N.C.L. Rev. N.E.2d N.J. NJW No. Notre Dame L. Rev. n.v. NVwZ N.W.2d NWGO N.Y. N.Y.L. Sch. J. Int'l & Comp. L. NZA NZA-RR NZS Or. L. Rev. Oxford J. Legal Stud. Pa. Phil. & Pub. Äff. pt. Pub. L. RAG RdA RdJB RGBl. RiA rev'g SchwbBAG SchwbG S.C.R. S. Ct. S.D. Sess. S.E.2d SGb SozR

25

North Carolina Law Review North Eastern Reporter, Second Edition New Jersey Neue Juristische Wochenschrift number Notre Dame Law Review nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht North Western Reporter, Second Edition Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen New York New York Law School Journal of International & Comparative Law Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oregon Law Review Oxford Journal of Legal Studies Pennsylvania Philosophy and Public Affairs part Public Law Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit, Zeitschrift Recht der Jugend und des Bildungswesens, Zeitschrift Reichsgesetzblatt Recht im Amt, Zeitschrift reversed Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter Schwerbehindertengesetz Canada: Supreme Court Reports West's Supreme Court Report U.S. District Court für den Southern District des jeweiligen Staates session South Eastern Reporter, Second Edition Die Sozialgerichtsbarkeit, Zeitschrift Sozialrecht, Rechtsprechung und Schrifttum; Bearbeitet von Richtern des Bundessozialgerichts (Entscheidungssammlung)

26

SozSich SprAuG S. Rep. st. Rspr. Stan. L. & Pol'y Rev. Temp. L. Rev. Tex. Title VII TVG TzBfG U Chi L Sch Roundtable UBG U.C. Davis L. Rev. UCLA L. Rev. U. Chi. L. Rev. U. Colo. L. Rev. U. Pa. J. Lab. & Emp. L. U. Pa. L. Rev. U.S. U.S.C. U.S.C.C.A.N. Va. Vand. L. Rev. VB1BW VersorgVerw Vill. L. Rev. Wash. Wash. & Lee. L. Rev. Wash. L. Rev. W.D. WM Wm and Mary L. Rev. Yale L. & Pol'y Rev. Yale L. J. ZESAR ZfA ZfS ZIP ZRP

Abkürzungsverzeichnis

Soziale Sicherheit, Zeitschrift Sprecherausschussgesetz Senate Report ständige Rechtsprechung Stanford Law & Policy Review Temple Law Review Texas Title VII of the Civil Rights Act of 1964 Tarifvertragsgesetz Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge University of Chicago Law School Roundtable Unterbringungsgesetz U.C. Davis Law Review UCLA Law Review University of Chicago Law Review University of Colorado Law Review University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law University of Pennsylvania Law Review United States; United States Reports United States Code U.S. Code Congressional and Administrative News Virginia Vanderbilt Law Review Verwaltungsblätter für Baden-Würtemmberg, Zeitschrift Die Versorgungsverwaltung, Zeitschrift Villanova Law Review Western District of Washington Washington & Lee Law Review Washington Law Review U.S. District Court fur den Western District des jeweiligen Staates Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift William & Mary Law Review Yale Law & Policy Review Yale Law Journal Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das Recht der sozialen Sicherheit Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung Der Beginn des neuen Jahrtausends bescherte dem Schutz behinderter Menschen vor ungerechtfertigten Diskriminierungen im Erwerbsleben auf europäischer Ebene den lange verwehrten Durchbruch. War arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz spätestens seit Erlass der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen1 und ihrer Kodifizierung durch § 61 la BGB für annähernd 25 Jahre vielfach zum Synonym des Geschlechterkampfes geworden, weitete sich nunmehr das normative Bewusstsein. Gestützt auf Art. 13 EG schuf die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) im Jahre 2000 erstmalig ein gemeinschaftsweites Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung ein Schritt von historischer Tragweite auf dem Weg zur tatsächlichen Chancengleichheit behinderter Arbeitnehmer im Erwerbsleben.2 Die Notwendigkeit dieses Schrittes macht ein Blick auf das Zahlenmaterial aus jener Zeit verständlich: Schätzungsweise 36 Millionen Menschen oder 10% der Bevölkerung der europäischen Union galten im Jahr 2000 als behindert3, deutsche Statistiken verorten die Anzahl behinderter Menschen bei etwa acht Millionen Menschen.4 Die Zahlen jenseits des Atlantiks bieten nicht mehr Grund zum Optimismus. Der Americans with Disabilities Act (ADA) von 1990, wichtigstes U.S.-amerikanisches Gesetzeswerk auf diesem Gebiet, spricht selbst von 43 Millionen Menschen5; jüngere Erhebungen gehen sogar von knapp 1

RL 76/207/EWG v. 9.2.1976, ABl. Nr. L 39 v. 14.2.1976, S. 40. RL 2000/78/EG v. 27.11.2000, ABl. Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16. Neben dem Merkmal der Behinderung verbietet die Rahmenrichtlinie zudem die Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf. Eine Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft hatte der Rat bereits kurz zuvor durch die RL 2000/43/EG, ABl. Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22, verboten. Einen Überblick über beide Richtlinien geben Thüsing, ZfA 2001, 387; Wendeling-Schröder, in: FS Schwerdtner, S. 269. 3 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. Nr. C 204 v. 18.7.2000, S. 82. Dieser Zahl sollte vor dem Hintergrund der Ambivalenz des Behinderungsbegriffs und der Tatsache, dass der Ausschuss keine Begriffsbestimmung seiner Statistik zugrunde legt, mit Zurückhaltung begegnet werden. 4 Vgl. die Aussagen von Karl Hermann Haack, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Frankfurter Rundschau v. 15.2.2003, S. 4. Siehe auch BVerfG v. 1.10.2004, NJW 2005, 737. 5 42 U.S.C. § 12101 (a)(l) (2004). 2

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Einleitung

50 Millionen behinderten Menschen in den USA aus.6 Nicht nur diese absoluten Zahlen, sondern zugleich die Korrelation zwischen Behinderung und den Chancen auf dem Arbeitsmarkt ist ernüchternd. Die Wahrscheinlichkeit ein Opfer der Arbeitslosigkeit zu werden wird bei behinderten Menschen als bis zu dreimal höher als bei nichtbehinderten Arbeitnehmern geschätzt.7 Vielfältige Diskriminierungen im Erwerbsleben werden als eine der Hauptursachen für diesen Missstand ausgemacht.8 Dementsprechend hoch sind die Erwartungen, die in die Rahmenrichtlinie und ihre Umsetzung gesetzt werden.9 Eine erste Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf die Rahmenrichtlinie erfolgte alsbald. Noch lange vor dem Verstreichen ihrer Umsetzungsfrist zum 2. Dezember 2006 erließ er mit dem Sozialgesetzbuch I X sowie dem Behindertengleichstellungsgesetz Regelungen, die gerade auch zur Umsetzung der Rahmenrichtlinie dienen sollten.10 Zügiges Handeln, nicht immer ein Wesensmerkmal deutscher Gesetzgebung11, ist zu begrüßen, nicht aber, wenn es auf Kosten der Substanz erfolgt. 12 Ein Blick auf die Gesetzeswerke europäischer Nachbarn zur Gleichbehandlung behinderter Menschen hätte insofern zu mehr Besonnenheit mahnen müssen und auch aus den Erfahrungen der Vereinigten Staaten Vorreiter auf diesem Gebiet - hätte man lernen können. Beides ist nicht erfolgt, und viel Zeit wurde so vergeben. Erst das Antidiskriminierungsgesetz wird die bestehenden Schutzlücken schließen können.

6 Vgl. Census 2000 Brief, Disability Status: 2000, veröffentlicht im März 2003 vom U.S. Census Bureau, erhältlich über die Website http://www.census.gov. 7 Siehe Begründung zum Richtlinienvorschlag der Kommission, KOM (1999) 565 endg., S. 4. 8 42 U.S.C. § 12101 (a) (9) (2004); Begründung zum Richtlinien Vorschlag der Kommission, KOM (1999) 565 endg., S. 4. 9 In der Presse wird die damit eingeleitete Entwicklung gerne als „Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik" umschrieben, vgl. z.B. den Beitrag v. Issig in der Welt am Sonntag, 22.12.2002, S. 14. Kritisch diesbezüglich jedoch Pitschas , SGb 2003, 65, 71. Die Europäische Union selbst erklärte das Jahr 2003 zum „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen", siehe KOM (2001) 271 endg. 10 Nach Art. 18 RL hatte die Umsetzung der Rahmenrichtlinie grundsätzlich bis zum 2.12.2003 zu erfolgen. Für die Merkmale der Behinderung und des Alters können die Mitgliedstaaten jedoch eine Zusatzfrist von drei Jahren in Anspruch nehmen. 11 In Erinnerung zu rufen sind insbesondere die leidlichen Erfahrungen zu § 611a BGB. Der EuGH musste zweimal den deutschen Gesetzgeber zur Nachbesserung anhalten, bevor dieser eine mit der Gleichbehandlungsrichtlinie konforme Sanktionsregelung verabschiedete, vgl. EuGH, Urt. v. 10.4.1984 - Rs. 14/83, NJW 1984, 2021 (Colson/Kamann); EuGH, Urt. v. 22.4.1997 - Rs. C-180/95, NZA 1997, 645 (Draehmpaehl). Dazu auch Freis y NJW 1998, 2779; Raab, DStR 1999, 854. 12 Zu den Folgen der unvollkommenen Umsetzung der Rahmenrichtlinie siehe Thüsing , NJW 2003, 3441.

1. Kapitel

Entwicklung des Diskriminierungsverbots wegen einer Behinderung Über die Notwendigkeit des Schutzes behinderter Menschen vor ungerechtfertigten Diskriminierungen im Erwerbsleben besteht im internationalen Bereich weitreichender Konsens: Die Internationale Arbeitsorganisation1, der Europarat 2 sowie die Vereinten Nationen3 haben Regelwerke zur Verbesserung der beruflichen Stellung dieser mit der voranschreitenden Alterung der Bevölkerung wachsenden Personengruppe4 erlassen. Die anstehenden Ausführungen zeichnen die Entwicklungen auf diesem Gebiete aus europäischer, deutscher und U.S.-amerikanischer Perspektive nach und legen damit den Grundstein für ein Verständnis des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung. Im Fokus der Betrachtung stehen Maßnahmen zur Verbesserungen der beruflichen Stellung behinderter Menschen nach dem oder zum Eintritt in den Arbeitsmarkt. Die Darstellung widmet sich damit nur einem Teilausschnitt dessen, was an beschäftigungsfördernden Maßnahmen erforderlich ist, um die Beschäftigungssituation Angehöriger dieser Arbeitnehmergruppe dauerhaft zu verbessern.5 Die Lebenswirklichkeit ist dagegen komplexer: Behinderte Menschen erfahren viel1

Übereinkommen Nr. 159 sowie Empfehlung 168 der Internationalen Arbeitsorganisation über die berufliche Rehabilitation und die Beschäftigung der Behinderten vom 20.6.1983, ratifiziert durch Gesetz vom 9.1.1989, BGBl. II S. 2. Allgemein zur IAO vgl. Lörcher, RdA 1994, 284; Schzub/Sc haub § 7 Rn. 20 ff.; A. Wisskirchen , ZfA 2003, 691. 2 Teil I Nr. 15, Teil II Art. 15 der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961, siehe Zustimmungsgesetz v. 19.9.1964 (BGBl. II S.1261), wonach jeder behinderte Mensch ein Recht auf berufliche Ausbildung sowie auf berufliche und soziale Eingliederung oder Wiedereingliederung hat. Siehe auch Empfehlung Nr. R(92) 6 des Europarates für eine kohärente Politik für behinderte Menschen vom 9.4.1992. 3 Rahmenbestimmungen für die Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte, Resolution 48/96 der Generalversammlung vom 20.12.1993. Allgemein zu überstaatlichen Regelungen, vgl. Rosenthal/Sundram , 21 N.Y.L. Sch. J. Int'l & Comp. L. 469 (2002). 4 So ausdrücklich die dem Americans with Disabilities vorangestellte Feststellung des U.S.-amerikanischen Congress, 42 U.S.C. § 12101 (a) (1) (2004). 5 Ausf. zur begrenzten Wirkung des Anti-Diskriminierungsrechts zur Verbesserung der Beschäftigungschancen behinderter Menschen Bagenstos , 114 Yale L. J. 1, 23 ff. (2004).

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

fach bereits vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt Benachteiligungen - beispielsweise in Form einer schlechteren Ausbildung - , wodurch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt minimiert werden.6 Gleichzeitig vermag die von Arbeitgebern praktizierte Diskriminierung behinderter Menschen und die daraus resultierenden geringen Erfolgsaussichten auf dem Arbeitsmarkt diese Arbeitnehmer dazu veranlassen, weniger in ihr „human capital" zu investieren, worunter wiederum ihre Möglichkeiten im Erwerbsleben leiden.7 Diese komplexen Ursachenzusammenhänge sind, obgleich nicht Gegenstand dieser Arbeit, im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich ein vollständiges Bild von der beschäftigungspolitischen Situation behinderter Arbeitnehmer machen möchte.8

A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie Es steht außer Frage, dass die Verabschiedung der Rahmenrichtlinie den bislang nachdrücklichsten Schritt zur Verbesserung der Beschäftigungssituation behinderter Arbeitnehmer auf europäischer Ebene darstellt. Gleichwohl wäre es zu kurz gegriffen, die europäischen Bemühungen auf diesem Gebiet auf diesen einen Rechtsakt zu reduzieren. Eine Vielzahl von Initiativen vor allem des Rates9 und der Kommission haben, nicht selten angeregt durch Impulse der Ver-

6 Vgl. etwa den Current Population Survey von 1998, wonach annähernd 31% der behinderten Menschen über keinen High School Abschluss verfügten, im Vergleich zu 17,5% der nicht behinderten Bevölkerung. Einsehbar über das Internet über http://www.census.gov/hhes/www/disable. Aus US-amerikanischer Sicht siehe auch den Individuais with Disabilities Education Improvement Act of 2004, Pub. L. No. 108-446. Berichte über die rechtlichen Rahmenbedingungen betreffend behinderter Menschen u.a. in Schweden, Belgien, Niederlande, Italien, Spanien, Ungarn und Tschechien finden sich in Maydell/Pitschas/Schulte , Politik-und Rechtsvergleich, S. 57 ff. Einen kurzen Überblick gibt das Kompendium der Europäischen Kommission auf S. 63 ff. 7 Sunstein , in: Reassessing Civil Rights, 23, 29-30. 8 Siehe dazu die Mitteilung der Kommission zur Chancengleichheit ftir behinderte Menschen, KOM (96) 406 endg., S. 5 ff. Weiterführende Hinweise gibt auch Matzeder , BehindR 1999, 121. 9 Im Gegensatz zum Primär- und Sekundärrecht entfalten diese keine Bindungswirkung, können allerdings unter Umständen zur Auslegung des nationalen Rechts herangezogen werden, vgl. GK-SGB IX-Großmann, Einleitung Rn. 17. Dazu auch BSG v. 9.10.1987, BSGE 62, 209, das ein Aktionsprogramm des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Auslegung des Schwerbehindertenbegriffs gem. § 3 Abs. 1 SchwbG heranzieht. Vgl. neben den nachfolgend genannten insb. Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierung der Mitgliedstaaten vom 21.12.1981 über die soziale Integration der Behinderten, ABl. Nr. C 347 v. 31.12.1981, S. 1; Beschluss des Rates vom 18.4.1988 über ein zweites Aktionsprogramm der Gemeinschaft zugunsten der Behinderten (Helios), ABl. Nr. L 104 v. 23.4.1988, S. 38; Beschluss des Rates vom 25.2.1993 über ein drittes Aktionsprogramm der Gemeinschaft zugunsten der Behinderten (Helios II 1993-1996), ABl. Nr. L 56 v. 9.3.1993, S. 30. Jetzt auch Beschluss des

A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie

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einten Nationen, das europäische Bewusstsein vielmehr erst zu dem Punkt reifen lassen, an dem die Verabschiedung der Rahmenrichtlinie politisch möglich wurde. 10 Die Bedeutung dieser Initiativen ist keineswegs schlechthin rechtshistorischer Natur, sondern sie liefern in Teilbereichen einen wichtigen Schlüssel zur Ausdeutung des behinderungsspezifischen Benachteiligungsverbots in der Ausprägung, die es durch die Rahmenrichtlinie erfahren hat.11

I. Das gedankliche Fundament des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung Die erste für die Lage behinderter Arbeitnehmer bedeutsame Erklärung des Rates reicht mehr als drei Jahrzehnte zurück. Bereits im Januar 1974 bekundete der Rat in Anerkennung des Umstandes, dass die wirtschaftliche Expansion der Europäischen Gemeinschaften kein bloßer Selbstzweck ist, sondern dazu dienen muss, die Lebensqualität und den Lebensstandard zu verbessern, den Willen zur Ausarbeitung und Durchführung eines Programms zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung von behinderten Menschen.12 Maßgebliche Impulse erfuhr dieses Vorhaben durch die „Déclaration on the Rights of Disabled Persons"13 der Vereinten Nationen sowie der Verkündung des Jahres 1981 zum „Internationalen Jahr der Behinderten"14 durch die Generalversammlung. Noch im selben Rates v. 27.11.2000 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen (2001-2006), ABl. Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 23. 10 Für einen Überblick über die Situation der behinderten Menschen in der EU vgl. die periodischen Berichte von PöppU BehindR 1993, 1; ders., BehindR 1994, 49; ders., BehindR 1995, 53 sowie ders,, BehindR 1996, 158. 11 Abgesehen wird hingegen von der Darstellung der Förderprogramme und -systeme der EG. Zum HELIOS Programm, dem HANDYNET System sowie der Initiative HORIZON, siehe PöppU BehindR 1993, 1, 3 ff. 12 Entschließung des Rates vom 21.1.1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm, ABl. Nr. C 13 v. 12.2.1974, S. 1-4. Vgl. auch Entschließung des Rates vom 27.6.1974, ABl. Nr. C 80 v. 9.7.1974, S. 30-32 über das erste gemeinschaftliche Aktionsprogramm zur beruflichen Rehabilitation von Behinderten. 13 G.A. Res. 2433, U.N. GAOR, 30th Sess., 2433rd mtg., U.N. Doc. 20.7.1 (i)-(vi) (1975), wonach behinderten Menschen dieselben Bürgerrechte wie nicht behinderte Menschen zustehen und sie ein Recht auf Maßnahmen zur Stärkung ihrer Unabhängigkeit haben. Durchsetzüngsmechanismen sieht die Resolution dagegen keine vor. Vgl. zuvor bereits Art. 3 der Declaration of the Rights of Mentally Retarded Persons von 1971, G.A. Res. 2027, U.N. GAOR, 26th Sess., U.N. Doc. 20.7.1 (i)-(vi) (1971) („The mentally retarded person has a right to economic security and to a decent standard of living. He has a right to perform productive work or to engage in any other meaningful occupation to the fullest possible extent of his capabilities."). 14 G.A. Res. 31/123, U.N. GAOR, 31st Sess., Supp. No.39, at 104, U.N. Doc. A/31/39 (1976). Bedeutsamstes Ergebnis dieses Aktionsjahres war die Verabschiedung des „World Programme of Action concerning Disabled Persons" durch die Resolution 37/52 vom 3.12.1982 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, das sich

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

Jahr rief das Europäische Parlament u.a. die Kommission zu verstärktem Engagement auf diesem Gebiet auf. 15 Diese begann infolgedessen mit der Erarbeitung einer Richtlinie zur Förderung der Beschäftigung von Behinderten in der Gemeinschaft. Als die Kommission 5 Jahre später ihre Arbeit vorstellte, war diese jedoch zu einer bloßen unverbindlichen Empfehlung degradiert. 16 Stellvertretend für die Kommission rechtfertigte ihr Vizepräsident Manuel Marin diesen Gesinnungswechsel mit der Zuversicht, eine Empfehlung werde den effektiveren Weg zur Stärkung der Rechte behinderter Menschen auf europäischer Ebene darstellen; allein die erstmalige Formulierung einer gemeinschaftsweiten Politik zugunsten von Behinderten werde rasche Fortschritte auf der Ebene der Mitgliedstaaten mit sich bringen.17 Diese Aussage überrascht nicht nur aus heutiger Sicht, sondern ebenso vor dem Hintergrund der zu dieser Zeit bereits gesammelten Erfahrungen mit der Gleichbehandlung der Geschlechter.18 Nichtsdestotrotz bekundete die Empfehlung aus dem Jahre 1986 einen bedeutsamen Schritt zur Fortentwicklung der Behindertenpolitik, indem sie Gedanken, die in den USA bereits Eingang in den Rehabilitation Act von 1973 19 - Vorläufer des Americans with Disabilities Act 20 - gefunden hatten, erstmalig auf europäischer Ebene artikulierte. Erwähnung verdienen insoweit vor allem das Recht behinderter Arbeitnehmer auf Chancengleichheit in Berufsbildung und Beschäftigung sowie die Hervorhebung der Bedeutung positiver und kohärenter Maßnahmen zur ihrer Verwirklichung. Der der Empfehlung beigefügte „Orientierungsrahmen positiver Maßnahmen für die Beschäftigung und Berufsbildung von Behinderten", der Beispiele möglicher positiver Aktionen in diesen Bereichen anführt, enthält in seinem Katalog bereits die Feststellung, dass Arbeitsplätze den Bedürfnissen Behinderter angepasst werden sollten.21 Zu einem allgemeinen Konzept erhoben wird dieser Ansatz jedoch nicht; vielmehr ist er gegenständlich beschränkt auf den Einsatz neuer Technologien als Hilfsmittel zur Beschäftigung behinderter die Erarbeitung von Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für behinderte Menschen zum Ziel setzte. 15 ABl. Nr. C 77 v. 6.4.1981, S. 27. 16 Empfehlung des Rates vom 24.7.1986 zur Beschäftigung von Behinderten in der Gemeinschaft, ABl. Nr. L 225 v. 12.8.1986, S. 43. 17 Vgl. die schriftliche Frage von Raymonde Dury an die Kommission v. 2.9.1987, ABl. Nr. C 112, S. 32 sowie die dort wiedergegebene Antwort der Kommission. 18 Keine drei Jahre später musste der Rat deshalb anerkennen, „dass die Behinderten trotz der Bemühungen der Mitgliedstaaten weiterhin Schwierigkeiten haben, unter gleichen Bedingungen Zugang zur Berufsbildung und zur Beschäftigung zu finden." Siehe die Schlussfolgerungen des Rates vom 12.6.1989 über die Beschäftigung von Behinderten in der Gemeinschaft, ABl. Nr. C 173 v. 8.7.1989 S. 1. 19 29 U.S.C. §§ 701—796i (2004). Siehe dazu auch unten C. I. 20 42 U.S.C. §§ 12101-12213 (2004). Siehe dazu auch unten C. II. 21 ABl. Nr. L 225 v. 12.8.1986, S. 43.

A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie

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Menschen. Nicht vorhanden war überdies die Einbettung der positiven Aktionen in ein Anti-Diskriminierungskonzept. Bevorzugtes Förderungsmittel der Zeit blieb vielmehr die Quote, deren Festsetzung der Rat den Mitgliedstaaten antrug.22 Eher symbolischer Wirkung blieb die Aufnahme des Rechts behinderter Arbeitnehmer auf „konkrete ergänzende Maßnahmen" zur Förderung ihrer beruflichen und sozialen Eingliederung in die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer im Jahr 1989.23 Einen entscheidenden Impuls zur Fortentwicklung ihrer Behindertenpolitik erfuhr die Europäische Gemeinschaft 1993 durch die Verabschiedung der „Standard Rules on the Equalization of Opportunities for Persons with Disabilities" durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen.24 Vor dem Hintergrund der nur geringen legislativen Fortschritte zur Integration behinderter Menschen auf einzelstaatlicher Ebene seit dem Internationalen Jahr der Behinderten von 1981 verabschiedeten die Vereinten Nationen 22 Regeln zur Förderung der Chancengleichheit von behinderten Menschen in allen Lebensbereichen. Hierbei betonte die Generalversammlung die soziale Dimension der Behinderung: Nicht nur in der behinderten Person selbst liegende Umstände, sondern ebenso eine am Vorbild des durchschnittlich funktionierenden Individuums ausgerichtete Gesellschaft könne behindernd wirken. 25 Bereitet war mit diesem Paradigmenwechsel der Weg für das Konzept angemessener Vorkehrungen. Erst wenn man die unzureichende Integration von behinderten Menschen in die Arbeitswelt auch als ein Problem einer behindernd wirkenden Arbeitsumgebung begreift, macht es Sinn, den Arbeitgeber zu einer Veränderung derselben anzuhalten.26 Indossiert und zur „neuen Strategie der Europäischen Gemeinschaft" erkoren wurde dieser Ansatz durch die Mitteilung der Kommission vom 30. Juli 1996 zur Chancengleichheit für behinderte Menschen.27 In einer Proklamation, die in der englischen Fassung stark an die Erwägungsgründe zum U.S.-amerikanischen Americans with Disabilities Act erinnert, resümiert die Kommission, dass das traditionelle Verständnis von Normalität zu einer wohlgemeinten, aber ineffektiven Behindertenpolitik geführt hätte.28 Zusammen

22

ABl. Nr. L 225 v. 12.8.1986, S. 43. KOM (1989) 248 endg. Vgl. dazu auch die Mitteilung der Kommission über ihr Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte, KOM (1989) 568 endg. Dazu auch PöppU BehindR 1993, 1, 3. 24 G.A. Res. 48/96, A/RES/211 (III) (1993). 25 Ausf. zum sich wandelnden Begriffsverständnis der Behinderung vgl. im 3. Kapitel unter A. II. 2. 26 Dementsprechend enthält die Resolution in ihrer der Beschäftigung gewidmeten siebten Regel die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, Arbeitgeber zur Vornahme von angemessenen Vorkehrungen zu ermutigen. 27 KOM (1996) 406 endg., angenommen durch ABl. Nr. C 12 v. 13.01.1997, S. 1. 28 KOM (1996) 406 endg., S. 3, 7. 23

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

mit dem kurze Zeit zuvor bekundeten Willen zur Inkraftsetzung eines verbindlichen Verbots der Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer auf europäischer Ebene war damit der Rahmen für ein weiterreichendes Tätigwerden der Gemeinschaft geschaffen; was einstweilen fehlte, war eine vertragliche Ermächtigungsgrundlage.29

II. Schaffung einer primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage Das in den europäischen Gründungsverträgen - den sog. Römischen Verträgen30 - und ihren späteren Abänderungen enthaltene Primärrecht sah lange Zeit keine speziellen Regelungen betreffend der Rechtsstellung behinderter Arbeitnehmer vor. Aus arbeitsrechtlicher Sicht dominierte der ehemals in Art. 119 EGV (jetzt: Art. 141 EG) kodifizierte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit, der seinerseits durch etliche sekundärrechtliche Maßnahmen ergänzt und erweitert wurde.31 Diese legislative Enthaltsamkeit auf dem Gebiet des Anti-Diskriminierungsrechtes lässt sich vor dem Hintergrund erklären, dass selbst Art. 119 EGV ursprünglich nicht aus sozialpolitischen Erwägungen geschaffen wurde, sondern ausschließlich wirtschaftliche Ziele verfolgte: Mitgliedstaaten, die bereits vergleichbare nationale Regelungen implementiert hatten, sollten mit der gemeinschaftsweiten Ausdehnung des Verbots vor Wettbewerbsnachteilen gegenüber solchen Mitgliedstaaten geschützt werden, die eine geringere Vergütung für weibliche Arbeitnehmer gewähren ließen.32 Der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes durch Benachteiligungsverbote musste sich daher auf europäischer Ebene erst langsam herausbilden, bevor über eine Ausweitung der geschützten Personengruppen nachgedacht werden konnte.

29 Siehe dazu Europäische Sozialpolitik - Ein zukunftsweisender Weg für die Union - Weissbuch, KOM (1994) 333 endg. 30 Sie führten 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft. Beide Gemeinschaften wurden 1965 mit der bereits 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl verschmolzen. 31 Siehe z.B. RL 75/117/EWG v. 10.2.1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, ABl. Nr. L 45 v. 19.02.1975, S. 19; Richtlinie 76/207/EWG v. 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. Nr. L 39 v. 14/02/1976 S. 40. 32 Colneric , BB 1988, 968; Schlachter , NZA 1995, 393. Der EuGH sprach dieser Bestimmung allerdings schon frühzeitig neben ihrer wirtschaftlichen auch eine soziale Zweckbestimmung zu, EuGH, Urt. v. 8.4.1976 - Rs. 43-75, Slg. 1976, 455, Rz. 11 (Defrenne).

A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie

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1. Die Aufnahme von Art. 13 in den EG-Vertrag Zum Katalysator der Fortentwicklung des Anti-Diskriminierungsrechts wurden die Bemühungen der Gemeinschaft im Kampf gegen die Fremdenfeindlichkeit. 33 Nicht zuletzt dank der unablässigen Bemühungen der sog. Starting Line Gruppe, einer Koalition von beinahe 300 Organisationen aller Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet, erkannte die Kommission schließlich die Notwendigkeit eines allgemeinen Anti-Diskriminierungstatbestandes auf europäischer Ebene an. 34 Dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung Tribut zollend, wonach die EU nur die Kompetenzen innehat, die ihr in den Verträgen ausdrücklich zugestanden werden, wurde die Regelung des Art. 13 EG durch den Amsterdamer Vertrag in den EG-Vertrag aufgenommen. 35 Diese primärrechtliche Fundamentalnorm ermöglicht es dem Rat, „geeignete Vorkehrungen [zu] treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechtes, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen." Diese Formulierung bringt klar zum Ausdruck, dass Art. 13 EG keine materielle Regelung beinhaltet, sondern lediglich eine Kompetenzzuweisung darstellt; etwaige Rangverhältnisse wird man dementsprechend aus der Reihenfolge der geschützten Diskriminierungsmerkmale nicht herleiten können.36 Ansatzpunkte für das Bestehen einer entsprechenden Hierarchie beinhaltet allerdings der EG-Vertrag als solcher, zumindest in Hinblick auf die Gleichheit der Geschlechter. Nur jene wird an exponierter Stelle in Art. 2 Abs. 2 EG als ein Faktor genannt, dem bei allen Tätigkeiten der Gemeinschaft Rechnung zu tragen ist und der zudem nicht auf den bloßen Abbau von Ungleichheiten beschränkt ist, sondern auf die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen hinwirkt. Mögliche Hinweise auf eine hervorgehobene Bedeutung des Merkmals der Behinderung innerhalb des Katalogs der verbote-

33 Ausf. hierzu Bell/Waddington y 25 I U 320, 321-326 (1996). Siehe auch Jochum,, ZRP 1999, 279. 34 Bell, 6 MJ 5, 6-7(1999). 35 Der zweite Absatz wurde durch den Vertrag von Nizza hinzugefügt, vgl. ABl. Nr. C 80 v. 10.3.2001, S. 14. 36 Schiek allerdings sieht eine Hierarchie der verschiedenen Merkmale wegen ihrer unterschiedlich starken Schutzes durch internationales Recht gegeben, 8 Eur. L. J. 290, 308-309 (2002). Die Merkmale „Rasse" und „ethnische Herkunft" sollen dabei an der Spitze stehen, gefolgt vom Geschlecht. Zurückhaltender insofern aber Bell/Waddington, 28 E.L.Rev. 349, 362-363 (2003). Selbst wenn man im Anschluss an Schiek, a.a.O., S. 300, ein Rangverhältnis überdies aus den unterschiedlich weit gefassten Anwendungsbereichen der RL 2000/78/EG, RL 2000/43/EG und RL 2002/73/EG herleiten möchte, ist nicht ersichtlich, inwieweit dieser Umstand zur Rechtfertigung der Voranstellung eines Merkmals selbst innerhalb der übereinstimmenden Anwendungsbereiche der Richtlinien herangezogen werden kann.

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungserbots

nen Anknüpfungstatbestände lassen sich ebenso innerhalb des Amsterdamer Vertrags ausmachen, wenngleich an weniger prominenter Stelle. In der diesem Vertragswerk beigefügten - und zur Vertragsauslegung heranziehbaren - Erklärung Nr. 22 der Schlussakte heißt es, dass die Organe der Gemeinschaft bei der Ausarbeitung von Harmonierungsmaßnahmen (Art. 95 EG) den Bedürfnissen von Personen mit einer Behinderung Rechnung tragen. Der in Art. 13 EG zum Ausdruck kommende Schutz von Angehörigen dieser Personengruppe wird dadurch, wenn auch behutsam, verstärkt. 37

2. Zur Frage der richtigen Ermächtigungsgrundlage Sowohl der Rat als auch die Kommission stützen die Rahmenrichtlinie auf Art. 13 EG. 3 8 Zweifel an der Sachgerechtigkeit dieses Vorgehens wurden wiederholt vorgetragen, insbesondere unter Verweis auf die in jener Vorschrift anzutreffende Formulierung, der Rat könne „im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten" zur Bekämpfung von Diskriminierungen tätig werden.39 Bezeichnenderweise stellt die Rahmenrichtlinie ihren Geltungsbereich selbst ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass die Gemeinschaft hinsichtlich der erfassten Regelungsgegenstände die Zuständigkeit besitzen müsse (Art. 3 Abs. 1 RL). Im Schrifttum fehlt es folglich nicht an Stimmen, die darauf verweisen, dass Art. 137 Abs. 2 EG als Ermächtigungsgrundlage hätte heran gezogen werden müssen.40 Die Kommission selbst sah in dem Vorzug des Art. 13 EG als Ermächtigungsgrundlage gegenüber Art. 137 Abs. 2 EG eine rechtliche Notwendigkeit im Hinblick auf den gewünschten Geltungsbereich der Rahmenrichtlinie. Zum einen sei ihr sachlicher Geltungsbereich nicht auf die abhängige Beschäftigung beschränkt, sondern erfasse überdies die selbständige Erwerbstätigkeit sowie die freien Berufe. Zum anderen beschränke sich der persönliche Geltungsbereich der Rahmenrichtlinie nicht auf aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personen.41 Indirekt gibt die Kommission überdies zu erkennen, dass sie sich an der Wahl des Art. 137 Abs. 2 EG als Ermächtigungsgrundlage wegen Art. 137 Abs. 6 EG gehindert sah, wonach Art. 137 EG keine Anwendung auf den Be-

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Zuleeg , in: von der Groeben/Schwarze, Art. 13 EG, Rn. 19. KOM (1999) 565 endg., S. 2. Ausf. zu Art. 13 EG Bell, 6 MJ 5 (1999); Flynn , 36 CML Rev. 1127 (1999); Waddington , 28 I U 133 (1999). 39 Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 13 Rn. 4 EG; Whittle/BelU 27 EL. Rev. 677 (2002). Lenz, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 13 Rn. 11 EG, sieht in Art. 13 EG dagegen eine zusätzliche Ermächtigungsgrundlage. Einen guten Überblick über das Meinungsspektrum gibt Högenauer , Diskriminierungsrichtlinien, S. 74-82. 40 Bell, 8 Eur. L. J. 384, 393-394 (2002); Whittle/BelU 27 E.L.Rev. 677, 682 (2002). 41 KOM (1999) 565 endg., S. 8. 38

A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie

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reich des Arbeitsentgeltes findet. 42 Frei von Zweifeln ist die Argumentation der Kommission keineswegs.43 Entschärft werden kann die Kontroverse über die zugrunde zu legende Ermächtigungsgrundlage zumindest im Ergebnis jedoch dadurch, dass an der Kompetenz der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung kein Zweifel bestehen kann; lediglich im Rahmen der Diskussion des Belästigungsverbots soll diese Frage deshalb noch einmal thematisiert werden.44 Was im Übrigen von der Diskussion bleibt, ist vor allem ein politischer Impetus: Während im Rahmen von Art. 137 EG der Weg für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen frei gewesen wäre, stärkt Art. 13 EG die Rechte der einzelnen Mitgliedstaaten, weil auf Grundlage dieser Bestimmung erlassene Rechtsakte ihrer einheitlichen Zustimmung bedürfen. 45

III. Die Richtlinie 2000/78/EG als beschäftigungspolitischer Hoffungsträger Von Art. 13 EG als Ermächtigungsgrundlage hat der Rat mit Erlass der Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft 46 sowie der Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf 47 (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) Gebrauch gemacht.48 Letztere ist die wichtigste Sekundärrechtsquelle für behinderte Beschäftigte. 49 Sie verbietet in Art. 1 RL die Diskriminierung wegen der Religion oder der 42

KOM (1999) 565 endg., S. 11. Siehe vor allem Whittle/Bell, 27 E.L.Rev. 677, 683-687 (2002). 44 Vgl. dazu im 4. Kapitel unter B. III. 2. a) bb). 45 Der EuGH misst derartigen politischen Erwägungen keine Bedeutung bei, sondern betont, dass die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen müsse, siehe EuGH, Urt. v. 28.5.1998 - Rs. C22/96, Slg. 1998,1-3231 (Europäisches Parlament). 46 ABl. Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22-26. 47 ABl. Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16-22. 48 Einen Überblick über die beiden Richtlinien geben Leuchten, NZA 2002, 1254; Thüsing, ZfA, 2001, 387 und NZA 2001, 1061 sowie Wendeling-Schröder, in: FS Schwerdtner, S. 269 ff. 49 Praktisch bedeutsam ist darüber hinaus insb. die Richtlinie 97/81/EG vom 15.12.1997 zur Teilzeitarbeit, ABl. Nr. L 14 v. 20.1.1998, S. 9-14, sowie die Verordnungen 1612/68 über die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, ABl. Nr. L 257 v. 19.10.1968, S. 2-12 und 1408/71 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, ABl. Nr. L 149 v. 5.7.1971, S. 2-50. Zur Rechtsstellung der behinderten Menschen vgl. ebenso Art. 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1-22. 43

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf. Dass sich hierunter mehr als die bloße Ausdehnung des geschlechtlichen Diskriminierungsverbots der Gleichbehandlungsrichtlinie50 auf weitere Merkmale verbirgt, offenbart erst der Fortgang des Richtlinientextes. Bereits an dieser Stelle soll ein kurzer Überblick über die wichtigsten Aspekte der Rahmenrichtlinie erfolgen.

1. Neues zum Begriff der Diskriminierung Bereits Art. 2 RL ordnet das Anti-Diskriminierungsrecht neu, indem er nicht nur den Begriff der unmittelbaren Diskriminierung erstmalig auf europäischer Ebene einer Definition zuführt und der mittelbaren Diskriminierung einen veränderten Inhalt zudenkt, sondern überdies „unerwünschte Verhaltensweisen" sowie die Anweisung zur Diskriminierung dem Diskriminierungsbegriff unterstellt.51 Enger als die textliche Nähe dies zunächst vermuten lässt, fügt sich das in Art. 5 RL niedergelegte Konzept der angemessenen Vorkehrungen in diesen erweiterten „ D i s k r i m i n i e r u n g s b e g r i f f 4 - die englische Fassung der Richtlinie spricht pointierter von einem concept of discrimination - ein. Der Arbeitgeber hat hiernach geeignete und erforderliche Maßnahmen zu leisten, „um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten." Das Ziel dieser Verpflichtung ist schnell benannt: Gewährleistet werden soll „die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes" auf behinderte Arbeitnehmer. 52 Dass mit „Gleichbehandlung" tatsächlich jedoch etwas anderes gemeint ist als mit diesem Begriff landläufig assoziiert wird, offenbart ein Blick in die Erwägungsgründe der Rahmenrichtlinie. Dem Arbeitgeber wird dort aufgetragen, „den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten", ihn mithin gerade anders als vergleichbare, aber nicht behinderte Beschäftigte zu behandeln.53 Gleichbehandlung in Bezug auf 50

Richtlinie 76/207/EWG des Rates v. 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. Nr. L 39 v. 14.2.1976, S. 40-42 (im Folgenden: Gleichbehandlungsrichtlinie). Auf sie nimmt die Rahmenrichtlinie ausdrücklich im zweiten Erwägungsgrund Bezug. 51 Die RL 2000/43/EG wurde zwar kurz vor der Rahmenrichtlinie verabschiedet, ursprünglich aber zusammen mit dieser als Teil einer einheitlichen Richtlinie auf den Weg gebracht, vgl. KOM (1999) 565 endg. Da die tragenden Konzepte aus dem frühen gemeinsamen Entwurfsstadium stammen, ist es gerechtfertigt, beide Rahmenrichtlinien als zeitgleich in ihrer Entstehung anzusehen. 52 Art. 5 S. 1 RL. 53 Vgl. insb. Erwägungsgrund Nr. 20.

A. Der europäische Weg hin zu der Verabschiedung der Rahmenrichtlinie

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das Merkmal der Behinderung muss damit mehr als eine rein formal gleiche Behandlung beinhalten; wie weit der Arbeitgeber den formalen Gleichbehandlungsgrundsatz im Einzelfall außer Acht lassen darf oder sogar lassen muss, ist hingegen ungleich schwieriger zu beurteilen und wird von der Rahmenrichtlinie selbst nur in Ansatzpunkten vorgegeben. Ein Großteil der Anstrengungen zur Einpassung der Anforderungen der Rahmenrichtlinie in ein in sich stimmiges System des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung wird bei diesem Konzept angemessener Vorkehrungen vollbracht werden müssen.

2. Belästigung als Gleichbehandlungsproblem Nicht minder interessant und potentiell konfliktträchtig ist die Aufnahme der Belästigung in den Katalog verbotener Diskriminierungstatbestände. Sog. unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem der verbotenen Differenzierungsmerkmale in Zusammenhang stehen und bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein feindliches Umfeld geschaffen wird, nehmen zukünftig ihre Stellung neben dem Verbot unmittelbarer bzw. mittelbarer Diskriminierung ein (Art. 2 Abs. 3 RL). In Deutschland waren belästigende Verhaltensweisen im Arbeitsleben bereits bisher in gewissem Umfang durch das Beschäftigtenschutzgesetz sowie allgemeine zivilrechtliche Instrumente verboten und zwar deshalb, weil sie die Würde bzw. das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzten. Ist der Rat bei seiner Einsortierung des Belästigungsverbots in den Rahmen des Diskriminierungsschutzes beim Worte zu nehmen, wird ein europäischer Belästigungsschutz tatbestandlich dort nicht stehen bleiben können, sondern über die Würdeverletzung hinaus eine Ungleichbehandlung gerade wegen einer Behinderung fordern müssen. Dass dieser Weg gangbar, aber nur mit geringem Erkenntnisgewinn betreffend des Wesens der Belästigung bei gleichzeitig drohenden Brüchen innerhalb der Dogmatik des Diskriminierungsschutzes verbunden ist, wird ausführlich dargelegt werden.

3. Die fehlende Definition der Behinderung Anlässlich der zahlreichen Neuregelungen bedarf es eines zweiten Blickes, um zu entdecken, gerade in welchem Punkt der Rat Enthaltsamkeit geübt hat: Es fehlt in der Rahmenrichtlinie an einer Definition des Behinderungsbegriffs. Diese legislative Zurückhaltung ist verständlich, handelt es sich doch bei der sinnvollen Bestimmung der geschützten Personengruppe nicht nur um eine der schwierigsten Fragen des Benachteiligungsschutzes behinderter Beschäftigter überhaupt, sondern überdies um ein Spezifikum dieser Rechtsmaterie. Keines der weiteren durch die Rahmenrichtlinie auf die Bühne des europäischen AntiDiskriminierungsrechts getretenen Merkmale stellt den Rechtsanwender bereits

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

auf der begrifflichen Ebene vor vergleichbare Schwierigkeiten. Ist das Fehlen einer Definition damit verständlich, ist der Mangel an Interpretationshilfen im Richtlinientext angesichts der elementaren Wichtigkeit, über Inhalt und Reichweite des Behinderungsbegriffs alsbaldige Klarheit zu erzielen, kaum entschuldbar. Das Bewusstsein für die Problematik zu wecken, mögliche Problemfelder aufzuzeigen und einige erste Lösungsvorschläge zu ihrer Bewältigung zu erarbeiten, ist eines der wesentlichen Anliegen dieser Arbeit.

B. Entwicklung in Deutschland Der Schutz behinderter Arbeitnehmer vor Benachteiligungen im Erwerbsleben ist innerhalb der deutschen Rechtsordnung neu und bis zum heutigen Tage erst unzureichend verwirklicht. Während die gesetzgeberischen Bemühungen sich lange Zeit beschäftigungspolitisch erwiesenermaßen weitgehend unwirksamer Instrumente bedient haben, kranken die ersten Schritte auf dem noch unerprobten Gebiet des Diskriminierungsschutzes vor allem an einer nur halbherzigen Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben.

I. Überblick über die Entwicklung seit dem 1. Weltkrieg Die Pflicht des Arbeitgebers zur Beschäftigung behinderter Arbeitnehmer reicht zeitlich bis in die Anfänge der Weimarer Republik zurück. Unter dem Eindruck der großen Anzahl heimkehrender Kriegsopfer wurden Arbeitgeber gesetzlich bereits am 6.4.1920 zur dauerhaften Beschäftigung von schwerbeschädigten Arbeitnehmern verpflichtet. 54 Flankiert wurde diese Maßnahme durch die Pflicht zur Schaffung einer Schwerbeschädigtenvertretung sowie die Verankerung eines besonderen Kündigungsschutzes - die bis zum heutigen Tage intakt gebliebene Grundstruktur der Rechtsstellung schwerbehinderter Menschen war damit geschaffen. Zur Zeit des Nationalsozialismus nur formell in Kraft geblieben, knüpfte im Nachkriegsdeutschland das Schwerbeschädigtengesetz vom 16.6.1953 an dieses ehemalige Gesetzeswerk an.55 Konzeptuell handelte es sich auch dabei um ein Kriegsfolgengesetz. Neben Kriegs- und Unfallverletzten fielen grundsätzlich nur politisch Verfolgte und Blinde in seinen An54

Siehe das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter, RGBl. S. 458 sowie die geänderte Fassung vom 12.1.1923, RGBl. I S. 57. Bereits unmittelbar nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurden, zeitlich begrenzt, Arbeitgeber zur Einstellung Schwerbeschädigter verpflichtet, vgl. z.B. die Verordnung über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 9.1.1919, RGBl. S. 28. Siehe auch GK-SGB IX-Schimanski , Einleitung Rn. 56-60. Insb. zu Nachweisen früherer Gesetzgebung vgl. Neumann/?dh\tn, SchwbG, Einleitung Rn. 1-8. 55 Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter, BGBl. I 1953, S. 389.

B. Entwicklung in Deutschland

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Wendungsbereich, d.h. vorderrangig solche Personen, die „im Dienste der Allgemeinheit" geschädigt worden waren. 56 Abgesehen von der neu in den Gesetzestext aufgenommenen Ausgleichsabgabe für den Fall der Nichterfüllung der nunmehr auf 8% der Arbeitsplätze angehobenen Beschäftigungspflicht 57, wartete das Gesetz mit einem weiteren interessanten Novum auf. Nach § 8 SchwbeschG waren Witwen und Ehefrauen der Kriegs- und Arbeitsopfer im öffentlichen Dienst vor anderen Bewerberinnen bevorzugt einzustellen, ihre Eignung vorausgesetzt. Dem deutschen Recht ist es damit nicht fremd, Gesetze zum Schutz behinderter Menschen bisweilen in ihrem Anwendungsbereich über Angehörige dieser Personengruppe hinaus greifen zu lassen; diese Einsicht ist für die Ausdeutung der Rahmenrichtlinie im Hinterkopf zu bewahren.58 In der Praxis erwies sich der zu eng gezogene persönliche Anwendungsbereich des Schwerbeschädigtengesetzes von 1953 alsbald als ein großes Manko des Gesetzeswerkes. Einem Überhang an unbesetzten Pflichtplätzen stand eine Vielzahl schutzbedürftiger, aber vom Schwerbeschäftigtengesetz nicht erfasster behinderter Menschen gegenüber.59 Erhöht werden konnte die Anzahl anerkannter Schwerbehinderter erst durch das Schwerbehindertengesetz vom 29.4.1974 und der damit einhergehenden Neubestimmung des Schutzbereiches.60 Der bislang prägende Grundgedanke des Ausgleichs von Folgen des Krieges und der Arbeitsunfälle wurde endgültig aufgegeben. Mit dieser Abkehr vom Kausalitäts- zum Finalitätsprinzip wurden grundsätzlich alle Behinderten in den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen.61 Die Ursache der Behinderung wurde für die Anerkennung einer Schwerbehinderung bedeutungslos; maßgeblich war allein das Bestehen eines Grades der Behinderung von wenigstens 50. Unter der Neufassung des Gesetzes waren nunmehr wenigstes 6% der Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzten.62 Als Reaktion auf die seit Beginn der 80er Jahre zunehmend um sich greifende Rezession wurde mit dem Änderungsgesetz vom 24.7.1986 63 ein Versuch zur Verbesserung der Einstel56

Neumann/Pahltn, SchwbG, Einleitung Rn. 1, 18. Jüngst auch Bachmann, ZfA 2003, 43,46 in Fn. 17. 57 § 9 SchwbeschG. 58 Vgl. zur Frage der persönlichen Reichweite der Rahmenrichtlinie ausf. im 3. Kapitel unter A. sowie im 4. Kapitel unter A. I. 59 GK-SGB IX-Schimanski, Einleitung Rn. 67. 60 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft, BGBl. I 1974, S. 1005. Zur Entwicklung des SchwbG siehe Stork, BehindR 1996, 12. 61 Siehe dazu Jung, RdA 1974, 161. 62 § 4 Abs. 1 SchwbG. Zur Verfassungsmäßigkeit der Ausgleichsabgabe nach § 8 SchwbG (jetzt: §77 SGB IX), vgl. BVerfG v. 26.5.1981, BVerfGE 57, 139; v. 1.10.2004, NJW 2005, 737. 63 BGBl. I 1986, S. 1110. Die darauf folgende Novellierung des Schwerbehindertengesetzes vom 26.8.1986 ist abgedruckt unter BGBl. I 1986, S. 1421.

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

lungs- und Beschäftigungschancen der Schwerbehinderten unternommen. Die Erfolge blieben allerdings aus: Die Beschäftigungsquote der Schwerbehinderten sank kontinuierlich.64

IL Die Erweiterung des Grundgesetzes um das Benachteiligungsverbot Mit inspiriert durch die U.S.-amerikanischen Gesetzgebungsaktivitäten zum Schutz behinderter Menschen setzten sich die Behindertenorganisationen hierzulande seit Mitte der 80er Jahre verstärkt für die Einfügung von Gleichstellungsvorschriften in die deutsche Rechtsordnung ein. Der in diesem Rahmen viel diskutierte Vorschlag, das Grundgesetz um ein Benachteiligungsverbot zugunsten behinderter Menschen zu erweitern, erlangte im Zuge der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten und der damit einhergehenden Änderung des Grundgesetzes beträchtlichen Auftrieb. 65 Die SPD-Fraktion brachte schließlich den Vorschlag in die zur Überarbeitung des Grundgesetzes eingesetzte Gemeinsame Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates ein, Art. 3 Abs. 3 GG um einen neuen zweiten Satz zu erweitern: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden".66 Zwar konnte dieser Vorschlag zunächst innerhalb der Verfassungskommission nicht die für eine Empfehlung erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichen und galt damit schon als gescheitert,67 er wurde jedoch überraschend in dem dem Abschlussbericht nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren von der Regierungskoalition - es war Wahlkampfzeit erneut aufgegriffen und mit Unterstützung aller Parteien schlussendlich in Gesetzesform gegossen.68 Die mit der Grundgesetzerweiterung verbundenen Erwartungshaltungen variierten nicht nur innerhalb des politischen Spektrums,69 sondern auch die Reaktionen im Schrifttum hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können und spannten den Bogen von „äußerst problematisch"70 bis hin zu 64

Nachweise finden sich bei Stork , BehindR 1996, 12, 17. Zur Entwicklung vgl. Berliu RdJB 1996, 145; A. Jürgens , ZRP 1993, 129 und DVB1. 1997, 410; Sachs, RdJB 1996, 154, 155 ff. 66 Die Gemeinsame Verfassungskommission wurde kraft Art. 5 des Einigungsvertrages tätig, BGBl. II 1990, S. 889. Vgl. ebenso BT-Drucks 12/1590 sowie BT-Drucks. 12/1670. 67 BT-Drucks. 12/6000, S. 53. 68 Grundgesetznovelle vom 27.10.1994, BGBl. I 1994, S.3146. Vgl. BT-Drucks. 12/8423. 69 Vgl. BT-Drucks. 12/8165, S. 28 f. sowie bereits den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000, S. 53, in dem die Gegner des Vorschlags sich darauf beriefen, dass die Verantwortlichkeit der staatlichen Gemeinschaft gegenüber Behinderten zum Kern modemer Sozialstaatlichkeit gehöre und damit verfassungsrechtlich hinreichend über das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip abgesichert sei. 70 Engelken , DVB1. 1997, 762. 65

B. Entwicklung in Deutschland

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der Feststellung, dass sich die Rechtsposition Behinderter „entscheidend verbessert" habe.71 Ein Jahrzehnt nach der Grundgesetzänderung fällt für den hier interessieren Bereich des Arbeitsrechts das Resümee über die Auswirkungen von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auf die Rechtsstellung behinderter Arbeitnehmer ernüchternd aus.72 Zwar entfaltet das verfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot über die Generalklauseln des Bürgerlichen Rechts Wirkung im Bereich des Zivilrechts (sog. mittelbare Drittwirkung). 73 Allerdings besteht insofern ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers, der mit einer entsprechend geringen gerichtlichen Kontrolldichte einhergeht.74 Der Arbeitgeber selbst ist überdies, durch die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG nicht gebunden, so dass er beispielsweise seine Einstellungsentscheidungen daran nicht auszurichten hat.75 Dies veranlasste das BAG in einer viel beachteten Entscheidung aus dem Jahr 1995 zu dem Schluss, die Grundgesetzänderung habe an der Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers nichts geändert.76 Die Wirkung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ist im Zivilrecht damit vor allem appellativer Natur, d.h., die Verfassung wird zu einem Instrument der Bewusstseinsbildung eingesetzt.77

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G. Jürgens, NVwZ 1995,452,453. Von vielen enttäuschten Hoffnungen spricht dementsprechend Welti, SozSich 2001, 146. Zur Unzulänglichkeit der Grundrechtsdogmatik zur Bekämpfung von Benachteiligungen behinderter Menschen vgl. Degener, KJ 2000, 425, 428. Kritisch zur Diskrepanz von Regelungsziel und Regelungsmittel auch Sachs, RdJB 1996, 154, 161163. 73 BVerfG v. 28.3.2000, NJW 2000, 2658, 2659; OLG Köln v. 8.1.1998, NJW 1998, 763 mit kritischer Anm. von Lachwitz, NJW 1998, 881. Vgl. ebenso Hagmann, Verbot der Benachteiligung, S. 51 ff. 74 Siehe Maunz-Dürig/Sc/iö/z, Art. 3 Rn. 174, wonach „nur wenig Raum für Rechtsfolgen mittelbarer ... Drittwirkung" bleibt. Zur Rezeption durch die Rechtsprechung der Zivilgerichte vgl. Caspar, EuGRZ 2000, 135, 140 ff. Zum beschränkten Schutz durch Generalklauseln vgl. auch unten B. IV. 2. a). 75 Ausf. Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 98-103. Vgl. auch Boemke, NJW 1993, 2083, 2084; Sachs, RdJB 1996, 154, 161 f. Zur möglichen Sozialwidrigkeit einer Kündigung vgl. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sowie BAG, Urt. v. 20.1.2000 2 AZR 378/99, NJW 2001, 912. 76 BAG, Urt. v. 5.10.1995 - 2 AZR 923/94, BB 1996, 696. Kritisch hierzu Pahlen, RdA 2001, 143, 148 ff. 77 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 105; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 306. 72

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

IIL Die Eingliederung des Schwerbehindertenrechts in das SGB IX Zum 1. 7. 2001 wurde das Schwerbehindertenrecht als Teil 2 des Neunten Buches in das Sozialgesetzbuch (SGB IX) eingeordnet.78 Gleichzeitig wurden seine Vorschriften vor dem Hintergrund der rasant angestiegenen Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen grundlegend novelliert. Zur Verbesserung der Beschäftigungssituation besonders dringlich erscheinende Regelungen waren bereits im Jahr 2000 im Rahmen eines Vorschaltgesetzes mit dem plakativen Namen „Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter" auf den Weg gebracht worden. 79 Über diesen Regelungskomplex stellte sich die Bundesregierung unlängst selbst ein gutes Zeugnis aus: Es sei damit gelungen, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen von Oktober 1999 bis Oktober 2002 um rund 24 Prozent abzubauen.80 Nicht minder wichtig für das Anliegen und Selbstverständnis behinderter Beschäftigter wie für die Dogmatik des Diskriminierungsschutzes zugleich ist der mit dem SGB I X einhergehende politische Wille, herkömmlich begangene Pfade der Behindertenpolitik nicht länger beschreiten zu wollen. Im Mittelpunkt der politischen Anstrengungen sollen fortan nicht mehr die Fürsorge und die Versorgung von behinderten Menschen stehen, sondern ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung der Hindernisse, die ihrer Chancengleichheit entgegenstehen.81 Auf diesen Teilhabegedanken wird bei der Diskussion des Begriffs der Behinderung zurückzukommen sein.82 Mit der Einordnung des Schwerbehindertenrechts in das SGB I X wurde dieses ferner um das Verbot der Benachteiligung schwerbehinderter Menschen im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis erweitert (§ 81 Abs. 2 SGB IX). Durch das SGB I X soll damit - gleichsam dem für öffentliche Arbeitgeber geltenden Behindertengleichstellungsgesetz83 - dem im Grundgesetz verankerten Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen Geltung verschafft werden.84

78 Gesetz v. 19.6.2001, BGBl. 1 S. 1046. Vgl. dazu Fuchs , SozSich 2001, 150; Welti, NJW 2001, 2210. Erneute Änderungen wurden durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. 4. 2004 (BGBl I, 606) sowie die Dritte Verordnung zur Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung vom 16.1.2004 (BGBl I, 77) vorgenommen. Siehe dazu Gramer, NZA 2004, 698. 79 Gesetz v. 29.9.2000, BGBl. I. 2000, S. 1394. Dazu Gramer , DB 2000, 2217; DUwell , BB 2000, 2570; Kossens/Maaß , NZA 2000, 1025. 80 Anlass war der nach § 160 SGB IX vorzulegende Bericht v. 26.6.2003, BTDrucks. 15/1295. Vgl. dort auf S. 4. 81 BT-Drucks. 14/2913, S. 3; BT-Drucks. 14/5074, S. 92. 82 Siehe dazu im 3 A. II. 2. b). 83 Gesetz v. 27.4.2002, BGBl I 2002, 1468. Siehe hierzu Stähler , NZA 2002, 777. 84 Vgl. bereits die Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN v. 20.10.1998.

B. Entwicklung in Deutschland

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IV« Das ADG - ein überflüssiges Gesetz? Ein Zeitpunkt für die Verabschiedung des ADG war bei Drucklegung dieser Arbeit noch nicht absehbar. Die zahlreichen Anläufe, die zur Umsetzung der Rahmenrichtlinie bereits bis jetzt unternommen wurden, verdienen jedoch einige Hinweise. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass während des Umsetzungsprozesses wiederholt und verbreitet die - unzutreffende - These artikuliert wurde, eine Umsetzung der Richtlinienvorgaben sei bereits durch das SGB I X bzw. allgemein zivil- oder arbeitsrechtliche Grundsätze erreicht worden.

7. Der Weg zur Verabschiedung

des ADG

Erste Vorläufer des Gesetzes reichen bis in das Jahr 1998 zurück. Bereits am 20.1.1998 brachte die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen den Entwurf „eines Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung und zur Stärkung von Minderheitenrechten" in den Bundestag ein. 85 Die Vorgehensweise des Entwurfs war dabei eine zweistufige. In § 1 Abs. 1 S. 1 wurde zunächst jeder Person ein „Anspruch auf Gleichbehandlung im Rechtsverkehr" eingeräumt. Hieran schloss sich in S. 2 ein Diskriminierungsverbot „insbesondere" wegen der „ethnischen Abstammung, Herkunft oder Zugehörigkeit, Hautfarbe, Nationalität, religiösen Anschauung oder sexuellen Identität oder Behinderung" an. Sodann wurde in § 1 Abs. 2 handwerklich wenig überzeugend die Diskriminierung iS. des Gesetzes als ,jede nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung" definiert, womit die Grenze zwischen S. 1 und S. 2 zugleich wieder eingeebnet wurde. Keine zwei Monate später präsentierte die SPD Fraktion im März 1998 ihren eigenen, nicht minder unausgereiften, Entwurf „eines Gesetzes zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes des Artikels 3 Grundgesetz".86 Auch dort wurde unter der Überschrift ,3enachteiligungsverbot" ein allgemeiner Anspruch auf „Gleichbehandlung im Rechtsverkehr" normiert und sodann die Benachteiligung „insbesondere" bestimmter Gruppen verboten. Auf eine Charakterisierung dessen, was unter Benachteiligung zu verstehen sein sollte, wurde bezeichnenderweise ganz verzichtet. Nach Verabschiedung der beiden Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG im Juni bzw. September 2000 verging etwas mehr als ein Jahr bis das Bundesministerium der Justiz am 8. Oktober 2001 zunächst ein Eckpunktepapier und schließlich am 10. Dezember 2001 den „Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht" vorstellte. Kernstück die-

85 86

BT-Drucks. 13/9706. Entwurf vom 9.3.1998, BT-Drucks. 13/10081.

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

ses Entwurfs bildete die Aufnahme eines neu zu schaffenden fünften Untertitels nach § 319 BGB, der in den §§ 319a bis 319e BGB die „verbotene Benachteiligung" regeln sollte. Nach massiver Kritik im Schrifttum 87, die sich hauptsächlich gegen die Ausdehnung des Diskriminierungsverbots in das allgemeine Zivilrecht richtete, nahm Bundesjustizministerin Brigitte Zypries den Entwurf schließlich im März 2003 zurück; die Umsetzung sollte statt dessen nunmehr auf das europarechtlich absolut Notwendige begrenzt werden. Kampagnen der Interessenverbände von Angehörigen geschützter Gruppen bewirkten jedoch, dass im „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierungen" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 6.5.2004 von dieser Zielsetzung bereits wieder Abstand genommen wurde. Im Gegensatz zum Entwurf von 2001 wurde das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot jedoch auf die Merkmale der Rasse, ethnischen Herkunft und Behinderung beschränkt und die arbeitsrechtlichen Vorschriften in ein eigenes „Gesetz zum Schutz vor Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf 4 ausgegliedert. Offiziell vorgestellt wurde dieser Referentenentwurf am 24. Juni 2004. 88 Am 15. Dezember 2004 stellten die Regierungskoalitionen den „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien" vor 89 , der am 21. Januar 2005 in erster Lesung im Bundestag beraten wurde. 90 Bei der Anhörung von Sachverständigen aus Wissenschaft und Forschung durch den Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend traf der Entwurf am 7. März 2005 auf ein sehr geteiltes Echo.91 Ein Hauptstreitpunkt blieb der zivilrechtliche Kontrahierungszwang.92 Obgleich der Entwurf am 17. Juni 2005 in einer überarbeiteten Fassung den Bundestag passierte93 (im Folgenden: ADG-E), scheiterte das in den Vermittlungsausschluss überwiesene Gesetzesvorhaben mit dem vorzeitigen Ende des 15. Deutschen Bundestags.94

87 Siehe etwa Koppenfels , WM 2002, 1489, 1490 ff.; Picker , JZ 2003, 540; Säcker , ZRP 2002, 286; Wiedemann/Thüsing , DB 2002,463. 88 Vgl. hierzu Thüsing , in: Sonderbeilage zu NZA Heft 22/2004, S. 3 ff.; Wank , in: Sonderbeilage zu NZA Heft 22/2004, S. 16 ff. 89 Dazu siehe Bauer/Krieger , in: Beilage zu BB 2004, Heft 51, S. 20 ff.; Bauer/Thüsing/Schunder , NZA 2005, 32; Steinau-Steinrück/Schneider/Wagner, NZA 2005 28. 90 BT-Drucks. 15/4538. 91 Vgl. dazu insb. die Stellungnahmen von Armbrüster , A.-Drs. 15(12)440-E; Derleder , A.-Drs. 15(12)440-S; Eichenkofen A.-Drs. 15(12)440-1; Nickel , A.-Drs. 15(12)440-Q; Pfeiffer , A.-Drs. 15(12)440-H; Rieble, A.-Drs. 15(12)440-B; Säcker , A.Drs. 15(12)440-N; Thüsing , A.-Drs. 15(12)440-C sowie Wendeling-Schröder , A.-Drs. 15(12)440-G. 92 Armbrüsten ZRP 2005,41, 43. 93 BT-Drucks. 15/5717. 94 Zur Anrufung des Vermittlungsausschusses vgl. BR-Drucks. 445/05.

B. Entwicklung in Deutschland 2. Diskriminierungsschutz

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durch allgemeine Vorschriften

Die Entscheidung, dass und in welchem Rahmen Diskriminierungsschutz zu gewährleisten ist, wurde auf europäischer Ebene getroffen und soll an dieser Stelle nicht zur Diskussion gestellt werden. Eine andere Frage, die sich trotz und gerade nach der Verabschiedung der Richtlinien zu stellen lohnt, ist inwieweit bestehendes nationales Recht nicht ausreichenden Schutz vor eben jenen Benachteiligungen bietet, die europarechtlich fortan zu unterbleiben haben.

a) Diskriminierungsschutz durch zivilrechtliche Generalklauseln Nicht nur in der Politik 95 , sondern auch in Teilen des Schrifttums hält sich der Glaube, ein Schutz vor Diskriminierungen, wie das ADG ihn verwirklichen möchte, sei bereits nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften gewährleistet.96 Angesprochen sind hiermit zuvorderst die §§ 134, 138, 242, 307, 823, 826 und 1004 BGB. Der hierdurch erreichte Benachteiligungsschutz ist jedoch bestenfalls fragmentarisch. 97 Bestimmte Vorgaben der umzusetzenden Richtlinien, wie beispielsweise der Errichtung einer Antidiskriminierungsstelle gem. Art. 13 der RL 2000/43/EG, lassen sich von vornherein nicht durch Generalklauseln umsetzen. Aber selbst das Grundanliegen der Richtlinien, bestimmte Ungleichbehandlungen zu verbieten, lässt sich weder für Arbeitgeber noch Beschäftigte auch nur ansatzweise aus den jeweiligen Generalklauseln entnehmen. Damit widerspräche diese Art der Richtlinienumsetzung den Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des EuGH insoweit zu beachten sind. Dieser betont, dass die sich aus der Umsetzung ergebende nationale Rechtslage „hinreichend bestimmt und klar" sein muss.98 Selbst wenn man diese Rechtsprechung beiseite ließe, sind die Generalklauseln systemgerecht nur in höchst begrenztem Maße imstande, Diskriminierungsschutz zu gewährleisten.99 Dies gilt namentlich für den in den §§ 138, 826 BGB verwendeten Begriff der guten Sit-

95

Vgl. z.B. den Antrag der CDU Bundestagsfraktion v. 8.3.2005, BT-Drucks. 15/5019, wonach das ADG überflüssig sein soll. 96 Picker, JZ 2003, 540, 545; Säcker, in: Beilage zu BB 2004, Heft 51, S. 16, 17 ff.; Koppenfels, WM 2002, 1489, 1493. 97 Ebenso Armbrüster, ZRP 2005, 41; ders., A.-Drs. 15(12)440-E, S. 1 und 5; Nickel, A.-Drs. 15(12)440-Q, S. 5; Wendeling-Schröder, A.-Drs. 15(12)440-G, S. 4. Speziell in Hinblick auf die Belange behinderter Menschen Eichenhofer, A.-Drs. 15(12)440-1, S. 4. 98 EuGH, Urt. v. 23.3.1995, Rs. C-365/93, Slg. 1995, 1-499, Rz. 9 (Kommission/Griechenland); EuGH, Urt. v. 10.4.2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Rz. 17 (Kommission/Königreich der Niederlande); EuGH, Urt. v. 7.1.2004, Rs. C-58/02, Slg. 2004,1-0000, Rz. 26 (Kommission/ Königreich Spanien). 99 Vgl. etwa zum Schutzgesetzcharakter iSd. § 823 Abs. 2 BGB Rädler, NJW 1998, 1621, 1622; Wiedemann, in: FS Friauf, S. 135, 154.

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

ten, der allein eine besonders grobe Verletzung der Gleichbehandlungspflicht zu erfassen vermag. 100 Allenfalls ethnischen Diskriminierungen lässt sich daher unter Rückgriff auf die §§ 138, 826 BGB entgegentreten.101 Soweit zum Teil überdies in Art. 3 Abs. 3 GG ein Verbotsgesetz iS. des § 134 BGB gesehen wird 102 , ist dies unvereinbar mit der bloß mittelbaren Grundrechts Wirkung im Privatrecht. 103

b) Arbeitsrechtlicher Benachteiligungsschutz Das deutsche Arbeitsrecht gewährt bereits seit geraumer Zeit Schutz vor Diskriminierung. Es bedient sich dabei ganz unterschiedlicher Rechtsinstrumentarien. Die Benachteiligung eines Arbeitnehmers wegen seines Geschlechts ist seit 1980 durch § 611a BGB verboten, bezüglich der Schwerbehinderteneigenschaft ist sie seit 2001 durch § 81 Abs. 2 SGB IX untersagt. Beide Vorschriften beinhalten abschließende, nicht analogiefähige Sonderregelungen. Neben diesen arbeitnehmerbezogenen Benachteiligungsverboten unterwirft § 4 TzBfG bestimmte Formen der Vertragsgestaltung dem Gleichbehandlungsgebot: Absatz 1 verbietet die Schlechterstellung wegen der Teilzeitarbeit und Absatz 2 jene wegen der Befristung des Arbeitsvertrages. 104 Eine weitere Sonderregelung, die auch für arbeitsrechtliche Sachverhalte von Belang sein kann, enthält schließlich Art. 33 Abs. 2 GG. Verboten wird dort die eignungswidrige Benachteiligung beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Von ihrem Wirkungsbereich weiter angelegt sind die Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen nach § 75 BetrVG und der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Beide vermögen zwar das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung nach dem ADG nicht zu ersetzen, komplettieren es aber.

100

Siehe dazu bereits Hueck , Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 114. Bezzenberger , AcP 196 (1996), 395, 412 und 433; Staudinger/flor*, Vorbem zu §§ 145-156 BGB, Rn. 24. Aus der Rechtsprechung vgl. LG Karlsruhe v. 11.8.2000, NJW-RR 2002, 111 sowie KG Berlin v. 5.5.1992, NJW-RR 1993, 183. 102 Canaris , AcP 184 (1984), 201, 236. 103 Ausf. Hueck , Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 98-103; Boemke , NJW 1993, 2083, 2084. Dazu, dass das Verbot der Geschlechterdiskriminierung in Art. 3 Abs. 2 GG erst durch § 61 la BGB auf private Arbeitsbeziehungen erstreckt wird, siehe BVerfG v. 16.11.1993, NJW 1994, 647. 104 Eingehend hierzu Thüsing , ZfA 2002, 249. 101

B. Entwicklung in Deutschland aa) Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen

49 (§75 BetrVG)

Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.105 Diese Norm begründet Amtspflichten von Arbeitgeber und Betriebsrat, gewährt dem einzelnen Arbeitnehmer im Gegensatz zum ADG aber keine individuellen Rechtsansprüche.106 Zudem fehlt im Kreis der absoluten Diskriminierungsverbote, die für sich allein genommen nie eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen 107, das Merkmal der Behinderung. Zwar ist die Auflistung in S. 1, wie der Gebrauch des Wortes „insbesondere" erkennen lässt, nicht abschließend zu verstehen, doch genügt sie damit nicht den Erfordernissen an eine hinreichend klare und bestimmte Richtlinienumsetzung. Gleiches gilt für die Umschreibung der verbotenen Ungleichbehandlung. Der Vorschrift lässt sich weder entnehmen, welche Benachteiligungsformen verpönt sind, noch unter welchen Voraussetzungen eine Ungleichbehandlung ausnahmsweise gestattet ist. Bedeutungslos für behinderte Beschäftigte wird § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG allerdings auch fortan nicht sein. Mit der Verabschiedung des ADG geht vielmehr eine verstärkte Berücksichtigung ihrer Belange im Rahmen dieser Vorschrift einher. Hinter den „Grundsätzen von Recht und Billigkeit", über die Arbeitgeber und Betriebsrat zu wachen haben, verbirgt sich nämlich nicht weniger als die Einhaltung der Arbeitsrechtsordnung in ihrer Gesamtheit.108 Zu dieser zählt nunmehr ebenso das Benachteiligungsverbot des ADG. Im Ergebnis wird dem Betriebsrat damit ein erweitertes Instrumentarium zur Bekämpfung von Diskriminierungen iS. des ADG an die Hand gegeben. Stört beispielsweise ein Arbeitnehmer durch fortwährende Belästigungen den Betriebsfrieden, kann der Betriebsrat nach § 104 BetrVG seine Entlassung oder Versetzung verlangen. Unter Umständen kann der Betriebsrat überdies seine Zustimmung zu einer beabsichtigten Einstellung oder Versetzung gem. § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG verweigern, wenn andernfalls eine Störung des Betriebsfriedens durch eine grobe Verletzung der Grundsätze des § 75 BetrVG zu befürchten steht.

105 Eine inhaltsgleiche Regelung enthält § 27 Abs. 1 S. 1 SprAuG für Sprecherausschüsse und § 67 Abs. 1 S. 1 BPersVG für Personal Vertretungen. 106 BAG, Beschluss v. 3.12.1985 - 4 ABR 60/85, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; Boemke, NJW 1993, 2083, 2084; Fitting, § 75 BetrVG Rn. 20; Richardi-Richardi, § 75 BetrVG Rn. 8. AA DKK-Berg, § 75 BetrVG, Rn. 10. 107 BAG, Urt. v. 26.7.1988 - 1 AZR 156/87, NZA 1989, 25, 26; DKK-Berg, § 75 BetrVG, Rn. 11; Fitting, § 75 BetrVG Rn. 42; Richardi-Richardi, § 75 BetrVG Rn. 15. 108 ErfK-Kania § 75 BetrVG Rn. 5; DKK-Zterg, § 75 BetrVG, Rn. 1.

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

bb) Der allgemeine arbeitsrechtliche

Gleichbehandlungsgrundsatz

Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nimmt eine zentrale Stellung im deutschen Arbeitsrecht ein. 109 Praktische Bedeutung erlangt er vor allem bei der Gewährung von Sonderleistungen, indem er dem Arbeitgeber die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage aufgibt und sachwidrig ausgeschlossenen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Leistungsgewährung gibt. 110 Sein Geltungsgrund bleibt umstritten, jedenfalls aber ist er gewohnheitsrechtlich anerkannt.111 Von den speziellen Diskriminierungsverboten unterscheidet er sich in verschiedener Hinsicht. Bereits sein Ziel ist ein anderes: Er dient der Verteilungsgerechtigkeit, d.h. der Schaffung gleicher Ergebnisse im Betrieb oder Unternehmen und nicht dem Schutz individueller Würde. 112 Seine andersartige Aufgabe bedingt einen unterschiedlich ausgestalteten Anwendungsbereich. Dieser ist einerseits weiter als jener der besonderen Diskriminierungsverbote. Verboten wird jede sachwidrige Ungleichbehandlung. Eine Anknüpfung an ein bestimmtes Differenzierungsmerkmal ist nicht vonnöten. Andererseits aber unterwirft der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nur solche Arbeitgebermaßnahmen dem Gleichbehandlungsgebot, die einen kollektiven Bezug aufweisen. Verboten ist allein die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe bzw. die sachfremde Gruppenbildung. Bei Individualvereinbarungen hat dagegen der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang vor der Pflicht zur Gleichbehandlung.113 In zeitlicher Hinsicht setzt die Wirkung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes später ein, da er ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraussetzt.114 Im für den Diskriminierungsschutz besonders wichtigen Vorfeld des Vertragsabschlusses spielt er damit keine Rolle. Unterschiedlich fallen auch die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung aus: Während die Diskriminierungsverbote nur in eng begrenzten Fällen eine Un-

109 Grundlegend RAG, Urt. v. 19.1.1938, ARS 33, 172 zum Ruhegeldanspruch ohne vertragliche Grundlage. Aus dem Schrifttum vgl. Bötticher , RdA 1953, 161; Buchner , RdA 1970,225; Hueck , DB 1956, 352; ders. y Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, passim; Nikisch, BB 1954, 809; Raiser , ZHR 111 (1948), 75; aus jüngerer Zeit statt vieler vgl. Wiedemann , Gleichbehandlungsgebote, S. 3, 8 f., 59 ff. 110 St. Rspr. vgl. nur BAG, Urt. v. 19.3.2003 - 10 AZR 365/02, NJW 2003, 2333, 2334; Urt. v. 21.3.2001 - 10 AZR 444/00, NJW 2001, 2276, 2277. 111 Zusammenfassend Marhold/Beckers , AR-Blattei SD 800.1 Rn. 7 ff. 112 Zöllner/Loritz , S. 216; MünchArbR/Richardi, § 14 Rn. 8. 113 BAG, Urt. v. 19.8.1992 -5 AZR 513/91, NJW 1993,679, 680. 114 FastricK RdA 2000, 65, 68; MünchArbR/Buchner, § 39 Rn. 118; Reichold , JZ 2004, 384, 386; siehe aber auch LAG Berlin, Urt. v. 19.3.2003 - 9 Sa 45/03, n.v. zur Zahlung von freiwilligen Abfindungen an gekündigte Arbeitnehmer.

C. Vereinigte Staaten

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gleichbehandlung erlauben, lässt der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits billigenswerte Gründe für eine Differenzierung genügen.115

C. Vereinigte Staaten Die europäische Rahmenrichtlinie ist nicht ohne Vorbild. Die Begründung des Kommissionsvorschlags sieht die Vorschriften über die Verwirklichung der Gleichbehandlung behinderter Menschen an einem „zentralen Konzept" orientiert, das zum Leitbild zeitgemäßer Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Diskriminierung behinderter Menschen erkoren wird; ausdrücklich verwiesen wird auf die Anti-Diskriminierungsgesetzte des Vereinigten Königreichs 116, Schwedens117 und Irlands 118 sowie auf einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Niederlanden 119. Auf internationaler Ebene sei dieses Konzept überdies anerkannt. 120 Obgleich die Kommissionsbegründung hierzu schweigt, fällt es nicht schwer, das gedankliche Fundament dieses Ansatzes auszumachen: mehr als 30 Jahre U.S.-amerikanischer Rechtssetzung und Rechtsprechung in diesem Bereich. 121 Allen voran der ADA hat weltweit, sowohl auf internationaler wie einzelstaatlicher Ebene, als Modell auf dem Weg zur Stärkung der Rechte behinderter Menschen gedient. Zu Recht erblickt der Deutsche Bundestag in ihm „einen entscheidenden Meilenstein zur Durchsetzung der Bürgerrechte für behinderte Menschen".122 Es vermag deshalb nicht zu verwundern, dass die von der Rahmenrichtlinie in bezug genommenen Gesetzeswerke und das dazu ergangene Schrifttum sich mit Blick auf ihren Ursprung weniger bedeckt halten. Alan C. Neal betont, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme angemessener Vorkehrungen („reasonable adaptation") unter dem englischen Dis115

BAG, Urt. v. 21.5.2003 - 10 AZR 524/02, NJW 2003, 3150. Disability Discrimination Act of 1995. 117 Gesetz über die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen von 1999 (FUDA). Einen Überblick über dieses Gesetzeswerk gibt Andreas Inghammar, Discrimination of People With Disabilities, in: Legal Perspectives on Equal Treatment and Non-Discrimination, 2001, S. 323, 328 ff. 118 Employment Equality Bill von 1997. 119 Gesetzentwurf zum Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung aufgrund einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit. 120 Unter Hinweis auf die UN-Rahmenbestimmungen für die Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte und Auslegung des im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthaltenen Diskriminierungsbegriffs durch den UNAusschuss für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (General Comment, 1994). 121 Erster Meilenstein für die Entwicklung der in der Rahmenrichtlinie zum Ausdruck kommenden Konzepte war der Rehabilitation Act of 1973, siehe hierzu Henry, 54 Alb. L. Rev. 123 (1989). 122 BT-Drucks. 14/7420, S. 18. 116

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

ability Discrimination Act of 1995 ihren Ursprung dem ADA verdankt. 123 Auch die Rechtsprechung des Vereinigten Königreichs gesteht dies freiumwunden ein. 124 Von dieser Warte kommen den U.S.-amerikanischen Erfahrungen mit dem Diskriminierungsschutz behinderter Arbeitnehmer besondere Bedeutung sowohl für die Interpretation der Rahmenrichtlinie als auch für die zukünftige Entwicklung in Deutschland zu.

I. Der Rehabilitation Act of 1973 Der Rehabilitation Act of 1973 ist das erste Gesetzeswerk, das behinderten Arbeitnehmern bedeutsame Rechte gewährt. 125 Im Wesentlichen enthält dieses Gesetz drei zur Durchsetzung der Chancengleichheit behinderter Arbeitnehmer bedeutsame Vorschriften. 126 Zunächst verlangt Section 501 (b) von bestimmten Bundesbehörden die Aufstellung von sog. affirmative action Plänen zur Förderung der Einstellung und des beruflichen Aufstiegs von behinderten Arbeitnehmern. Eine entsprechende Regelung trifft section 503 (a) für den Fall der Auftragsvergabe durch Bundesbehörden. In einem zwischen einem Privatunternehmer und einer solchen Behörde abgeschlossenen Vertrag über die Beschaffung von beweglichen Sachen oder Besorgung von gewissen Dienstleistungen hat sich dieser ab einem bestimmten Auftragswert zur bevorzugten Einstellung und Beförderung von behinderten Arbeitnehmern zu verpflichten. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot wegen der Behinderung enthält schließlich section 504 (a). Adressat desselben sind allerdings grundsätzlich nur solche Arbeitgeber, die finanziell aus Bundesmitteln unterstützt werden. Die Bestimmungen des Rehabilitation Act sind auch nach dem Inkrafttreten des ADA weiterhin gültig. Allerdings haben sie aufgrund ihrer Beschränkung auf solche private Arbeitnehmer, die in besonderer Weise mit Bundesmitteln in Berührung gelangen, viel an Bedeutung gegenüber dem insofern weiter greifenden ADA eingebüßt. Überdies sind beide Gesetzeswerke in ihren grundlegenden dogmatischen Konzepten ähnlich und bisweilen sogar identisch, so dass sich diese Arbeit in ihrem Fortgang weitgehend auf eine Analyse der Rechtslage zum ADA beschränken kann. Bedeutung wird der Rehabilitation Act jedoch

123

Disability Discrimination at Work, in: Legal Perspectives on Equal Treatment and Non-Discrimination, 2001, S. 351, 353. Vgl. ebenso Floyd/Curtis , 2 E.J.S.S. 303, 318 (2000). Zum irischen Schrifttum siehe Wiedemann/Thüsing , NZA 2002, 1234, 1236. 124 Vgl. die Entscheidung des Employment Appeal Tribunal Kenny v. Hampshire Constabulary , [1999] IRLR 76 v. 14.10.1998. 125 29 U.S.C. §§ 701-796Î (2004). 126 Einen ausf. Vergleich beider Gesetzeswerke unternimmt Henry , 54 Alb. L. Rev. 123 (1989).

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selbst innerhalb dieser Parameter erlangen, als innerhalb der Rechtsprechung127 wie auch im Schrifttum 128 weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass zum Rehabilitation Act ergangene Judikate zur Auslegung insbesondere der Termini „angemessene Vorkehrungen", „qualifiziertes Individuum mit einer Behinderung" oder der „unnötige Härte" ebenso für die Analyse des ADA fruchtbar gemacht werden können.

II. Der Americans with Disabilities Act of 1990 Der Americans with Disabilities Act (ADA) bildet als die umfassendste Rechtsquelle zum Abbau von Benachteiligungen wegen einer Behinderung den zentralen Bezugspunkt aller rechtsvergleichenden Betrachtungen dieser Arbeit. 129 Mit seiner Verabschiedung am 26. Juli 1990 wurden behinderte Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten zu einer der am umfassendsten vor Diskriminierungen am Arbeitsplatz geschützten Personengruppe. In Ergänzung der bereits bestehenden Regelungen des Rehabilitation Act of 1973, der Vietnam Era Veterans' Readjustment Assistance Acts of 1972 and 1974 130 sowie einzelstaatlicher Gesetze131 führte der ADA zu einer beträchtlichen Verstärkung der Rechte behinderter Arbeitnehmer. 132 Erklärtes Ziel des ADA ist die Gewährleis127 Für den Begriff der angemessenen Vorkehrungen vgl. etwa Wände Zande v. Wisconsin Dep't ofAdmin., 44 F.3d 538, 542 (7* Cir. 1995); Lyons v. Legal Aid Soc'y, 68 F.3d 1512, 1515 (2 nd Cir. 1995). 128 Zur identischen Auslegung des Begriffs der angemessenen Vorkehrungen siehe Neff, 64 Def. Couns. J. 110, 111 (1997). 129 42 U.S.C. §§ 12101-12213 (2004). 130 38 U.S.C. §§ 4211-4214 (2004). Im Kern legen diese Gesetze gleichsam § 503 des Rehabilitation Act of 1973 Trägem öffentlicher Verwaltung die Verpflichtung auf, beim Abschluss von Verträgen mit Privatunternehmen diese zu Durchführung von affirmative action zugunsten behinderter Arbeitnehmer zu verpflichten. Erfasst werden prinzipiell Veteranen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 30% oder solche Veteranen, die während des Vietnam Kriegs aktiv gedient haben. 131 Alle 50 U.S. Bundesstaaten, der District of Columbia und Puerto Rico verbieten die Diskriminierung behinderter Menschen im Erwerbsleben. Überwiegend wurde das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung in allgemeine Anti-Diskriminierungsgesetze aufgenommen, bisweilen wurden spezielle Regelwerke zum Schutze dieser Personengruppe erlassen. 132 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Regelungen des ADA weit über den eigentlichen Bereich des Arbeitsrechts, kodifiziert in Title I des ADA, hinausreichen. Title II verbietet es u.a. im öffentlichen Personennahverkehr öffentlich-rechtlichen Körperschaften, bei ihren Serviceleistungen aufgrund einer Behinderung zu diskriminieren, vgl. 42 U.S.C. §§ 12131-12165 (2004). Für Arbeitgeber bedeutsam ist Title III. Dieser verlangt u.a., dass alle neu errichteten oder in ihrer Struktur veränderten „commercial facilities" für behinderte Menschen frei zugänglich und benutzbar errichtet werden, vgl. 42 U.S.C. § 12183 (2004). Die meisten Arbeitsstätten fallen - ungeachtet ihrer Arbeitnehmerzahl unter den extrem breiten Begriff der „commercial facilities" mit der Folge, dass Arbeit-

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

tung von „Chancengleichheit, voller Teilnahme, unabhängigem Leben sowie wirtschaftlicher Unabhängigkeit" für behinderte Menschen.133 Um dies zu erreichen, sei es vonnöten, „die fortwährende Existenz von unfairer und nicht notwendiger Diskriminierung sowie von Vorurteilen" zu bekämpfen. 134 Der ADA will hierzu ein „klares und umfassendes nationales Mandat" bieten.135

7. Regelungsgehalt des Gesetzeswerkes Der Title I des ADA widmet sich dem Arbeitrecht. In seinem Zentrum steht ein Diskriminierungsverbot: Staatlichen wie privaten Arbeitgebern mit mindestens 15 Arbeitnehmern ist es danach verboten, „gegen ein qualifiziertes Individuum mit einer Behinderung bei der Bewerbung, Einstellung, Aufstieg, Entlassung, Bezahlung, Fortbildung oder sonstigen Arbeitsbedingungen oder Privilegien aufgrund dieser Behinderung zu diskriminieren." 136 Ins Auge fällt aus deutscher und spätestens seit Verabschiedung der Rahmenrichtlinie ebenso aus europäischer Sicht, dass der Begriff der Diskriminierung keine nähere Erläuterung erfahren hat. Obwohl anerkannt ist, dass der ADA vor verschiedenen Formen der unmittelbaren wie mittelbaren Diskriminierung sowie der Belästigung aufgrund einer Behinderung schützt, schweigt sich der Gesetzestext hierzu aus und hat die theoretische Entwicklung des Diskriminierungsbegriffes weitgehend den Gerichten anheim gestellt. Der ADA begnügt sich stattdessen mit der Aufführung von sieben nicht ennumerativ zu verstehenden Verhaltensweisen, die den Diskriminierungsbegriff erfüllen sollen.137 Der im Zentrum des ADA stehende Begriff der Behinderung hat dagegen, entsprechend dem erklärten Gesetzesziel eine möglichst klare Grundlage für die Bekämpfung ungerechtfertigter Diskriminierung darzustellen138, eine dreiteilige Definition erfahren. Erfasst werden Individuen mit (1) einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung, die durch eine oder mehrere bedeutsame Lebensakgeber oftmals sowohl unter Title I als unter Title III fallen. Ausführlich hierzu Stowe, 50 Duke L. J. 297 (2000). Title IV betrifft den Bereich der Telekommunikation, vgl. 47 U.S.C. § 225 (2004). Verschiedenartige Vorschriften sind in Title V zusammengefasst, darunter eine nicht abschließende Aufzählung jener Zustände, die nicht vom Begriff der Behinderung erfasst werden sollen, 42 U.S.C. § 12201-12213 (2004). 133 42 U.S.C. § 12101 (a) (8) (2004). 134 42 U.S.C. §§ 12102 (a) (9), (b) (2004). 135 42 U.S.C. § 12101 (b) (1) (2004). 136 42 U.S.C. §§ 12112(a), 12111 (5) (A) (2004). 137 42 U.S.C. § 12112 (b) (l)-(7) (2004). Einer Studie der U.S. Commission on Civil Rights zufolge hatte sich die EEOC bis einschließlich September 1998 mit insgesamt 47 verschiedenen Fragestellungen unter dem Diskriminierungsbegriff auseinanderzusetzen, vgl. United States Commission on Civil Rights, 284. 138 42 U.S.C. § 12101 (b) (2) (2004).

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tivitäten substantiell einschränkt sind, (2) mit einer vergangenen Beeinträchtigung oder (3) solche Individuen, die als beeinträchtigt angesehen werden. 139 Alle diese Elemente werden näher in den von der EEOC erlassenen Richtlinien definiert 140, so dass sich allein unter Zuhilfenahme des Gesetzestextes ein äußerst dezidiertes Bild des Behinderungsbegriffs ergibt. 141 Zu dem erhofften sicheren Boden für konsistente Entscheidungen hat dies allerdings nicht geführt. Noch ganze 8 Jahre nach der Verabschiedung des ADA stellte Ruth Colker fest, dass mehr als der Hälfte aller Prozesse über die Frage geführt werden, ob der Kläger als behindert iSd. ADA angesehen werden könne.142 Obwohl eine Reihe von höchstinstanzlichen Urteilen des Supreme Court einige Eckpfeiler der Statusfrage haben erkennen lassen, wird den Gerichten wohl auch in Zukunft die Arbeit auf diesem Gebiet nicht ausgehen.143 Nicht behinderte Arbeitnehmer schlechterdings, sondern nur solche Individuen, die zur Ausübung der Arbeitsstelle qualifiziert sind, werden vom Anwendungsbereich des ADA erfasst. 144 Unter einem „qualifizierten Individuum mit einer Behinderung" will das Gesetz jede Person verstanden wissen, die imstande ist, mit oder ohne Unterstützung durch angemessene Vorkehrungen, die wesentlichen Funktionen der Arbeitsstelle, die sie begehrt oder innehat, auszuüben.145 Die unauffällige Formulierung, mit welcher der Gesetzgeber das Konzept der Vornahme angemessener Vorkehrungen in den Gesetzestext einfließen lässt, täuscht. Tatsächlich handelt es sich hierbei um einen tragenden Pfeiler des Diskriminierungsschutzes behinderter Menschen mit weitreichenden Konsequenzen für die Arbeitgeberseite. Der Grund hierfür ist ein zweifacher. Auf der einen Seite gewährt dieses Konzept behinderten Arbeitnehmern einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Vornahme von Maßnahmen zur Berücksichtigung der Behinderung.146 Anders als der Gesetzeswortlaut insofern suggerieren mag, verpflichtet das Konzept angemessener Vorkehrungen einen Arbeitgeber nicht lediglich zur Duldung bestimmter unterstützender Maßnahmen, mit deren Hilfe sich ein behinderter Arbeitnehmer zur Ausübung der Arbeitsleistung in Stande zu versetzen vermag. Es nimmt den Arbeitgeber vielmehr aktiv in die Verantwortung. Hierin liegt zugleich der zweite Grund für die herausragende Bedeutung von angemessenen Vorkehrungen nach dem ADA: Sie sind nach der Ge-

139

42 U.S.C. § 12102 (2) (2004). Vgl. 29 C.F.R. § 1630.2 (2004). 141 Die Gerichte fühlen sich oftmals allerdings nicht an diese Richtlinien gebunden, vgl. insb. Sutton v. United Airlines, 119 S.Ct. 2139, 2145 (1999). 142 Ruth Colker, National Public Radio, All Things Considered, 30.3.1998. 143 Vgl. bereits Thüsing/Leder, NZA 2004, 1310, 1312 f. 144 Siehe 42 U.S.C. § 12112 (a) (2004). 145 42 U.S.C. § 12111 (8) (2004). 146 42 U.S.C. § 12112 (b) (5) (A) (2004). 140

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

setzeskonzeption äußerst weitreichend. Unter Umständen hat der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz umzustrukturieren, die Arbeitszeiten an die besonderen Bedürfnisse des behinderten Arbeitnehmers anzupassen, besondere Gerätschaften oder Vorleser bereitzustellen.147 Frei von dieser Verpflichtung wird er nur dann, wenn die Vornahme angemessener Vorkehrungen eine unnötige Härte für sein Unternehmen darstellen würde. 148 Unglücklicherweise hat sich der Gesetzgeber gerade in diesem wichtigen Gebiet einer Definition enthalten und das Konzept angemessener Vorkehrungen rein illustrativ anhand von Beispielen beleuchtet.

2. Der Wandel der öffentlichen

Wahrnehmung des ADA

Die Entschlossenheit, wirksame und umfassende Mechanismen für die Beseitigung der Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer zu setzen, spiegelt sich nicht nur im Text des A D A 1 4 9 , sondern ebenso bei der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament wider - der ADA wurde mit klaren Mehrheiten in beiden Häusern auf den Weg gebracht. 150 Aus heutiger Sicht vermag das zu überraschen; kaum ein Bereich des Anti-Diskriminierungsrechts ist heutzutage derart streitbefangen wie jene Vorschriften, die das Parlament seiner Zeit wie im Fluge hinter sich ließen. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte vermag zu einem Erklärungsversuch gereichen.151 Die reibungslose Verabschiedung des ADA ist eng verbunden mit der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Gesetzesmaterialen sind voll mit Hinweisen darauf, dass ein umfassendes Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen mit Verabschiedung des Title V I I des Civil Rights Acts of 1964 komplementieren wür-

147

42 U.S.C. § 12111(9) (B) (2004). 42 U.S.C. §§ 1211(b) (5) (A), 12111 (10) (2004). 149 Vgl. insb. 42 U.S.C. § 12101 (b) (2004). Im House of Representatives erhielt der ADA eine Mehrheit von 377 bei nur 28 Gegenstimmen, im Senat 91 zu 6 Stimmen. 151 Die maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Entstehung des ADA finden sich in insgesamt vier Berichten der sog. congressional committees. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf des Senats (S. 933) wurde von einem Bericht des Committee on Labor and Human Resources begleitet, vgl. Senate Report No. 116, 101st Cong., 1st Sess. (1989). Der Bericht des Houses of Representatives, vorgelegt anlässlich der Einbringung eines eigenständigen Entwurfes des ADA (H.R. 2273), findet sich unter H.R. Rep. No. 485, 101st Cong., 2d Sess. (1990). Für den zweiten Teil dieses insgesamt vierteiligen Berichts zeichnet sich das Education and Labor Committee verantwortlich. Ergangen sind des Weiteren zwei Berichte des conference committee , vgl. dazu H.R. Rep. No. 558, 101st Cong., 2d Sess. (1990) sowie H.R. Rep. No. 596, 101st Cong., 2d Sess. (1990). H.R. Rep. No. 596 sowie H.R. Rep. No. 485 sind auszugsweise abgedruckt unter 1990 U.S.C.C.A.N. 267, 563. Eine Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte gibt Feldblum, 64 Temp. L. Rev. 521, 523-530 (1991). 148

C. Vereinigte Staaten

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de. 152 Dieser moralische Imperativ war die wesentliche Triebkraft zur Verabschiedung des ADA. Dem entspricht die beinahe wörtliche Übernahme der Beschreibung ethnischer Minderheiten durch den Supreme Court aus dem Jahr 1938 in den Gesetzestext: „Individuen mit einer Behinderung sind eine für sich allein stehende, abgeschottete Minderheit, die sich lange Zeit Beschränkungen und Einschränkungen ausgesetzt sah, vorsätzlich ungleich behandelt wurde und auf eine Position der politischen Machtlosigkeit in unserer Gesellschaft verwiesen wurde, und zwar wegen Eigenschaften außerhalb ihrer Kontrolle und aufgrund von Vorurteilen, die nicht im Einklang mit ihrer Fähigkeit stehen, am Leben der Gesellschaft teilzunehmen und zu diesem beizutragen."153 Nicht unerheblich beigetragen haben zur reibungslosen Verabschiedung des ADA dürfte zudem die Übernahme vieler Vorschriften des Rehabilitation Act of 1973, der gerade von Arbeitgeberseite als wenig problematische Vorschrift wahrgenommen wurde. Dieses Bild der Harmonie hat sich seit dem Ende der 1990er Jahre dramatisch gewandelt. Die öffentliche Wahrnehmung wird seitdem durch den Eindruck bestimmt, dass zu viele Personen ungerechtfertigten Schutz unter dem ADA für sich reklamierten und eine sachlich nicht begründbare Sonderbehandlung erfahren würden. 154 Selbst die Gerichte können sich diesem Trend nicht verwehren und legen, wie eine Reihe von höchstinstanzlichen Judikaten der letzten Jahre eindrucksvoll belegt, den ADA eng aus. 1 5 5 Eine Angriffsfläche bildet dabei die Definition der Behinderung, deren Reichweite der Supreme Court im Jahr 1999 in drei am selben Tag ergangenen Entscheidungen unter energischem Protest der Vertreter der Behindertenverbände beträchtlich einschränkte.156 In jüngerer Zeit hat das Gericht zudem begonnen, seine restriktive Leseart des ADA auf die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen auszudehnen.157 Im Schrifttum ist deshalb verbreitet gar vom einem ,judicial backlash" die Rede. 158 Diese Entwicklung ist ernst zu

152

Vgl. z.B. H.R. REP. 101-485(111), 1990 U.S.C.C.A.N. 445, 454. 42 U.S.C. § 12101 (7) (2004); United States v. Carolene Products. Co., 304 U.S. 144, 152 Fn. 4 (1938). 154 Siehe ColJcer, 34 Harv. C.R.-C.L. L. Rev. 99 (1999) m.w.N. 155 Sutton v. United Air Lines, Inc., 527 U.S. 471 (1999); U.S. Airways v. Barnett, 122 S. Ct. 1516(2002). 156 Sutton v. United Air Lines, Inc., 527 U.S. 471 (1999); Murphy v. United Parcel Service, Inc., 527 U.S. 516 (1999); Albertson's, Inc. v. Kirkingburg, 527 U.S. 555 (1999). 157 Siehe U.S. Airways, Inc., v. Barnett, 122 S.Ct. 1516 (2002). 158 Siehe Maida, 27 Am. J.L. & Med. 301, 302 (2001); Diller, 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 19, 23 (2000); Stefan, 52 Ala. L. Rev. 271, 272-73 (2000) (,,[t]here is both a public and judicial backlash against the Americans with Disabilities Act"); Russell, 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 335, 352 (2000) („Whatever the reasons for this judicial 153

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1. Kapitel: Entwicklung des Diskriminierungsverbots

nehmen, drohen sie doch, das mit diesem Gesetz verfolgte Integrationsbemühen zu torpedieren; die Ursachen für diesen Gesinnungswechsel sind mannigfaltig und werden im Rahmen der Erörterung der einzelnen Teilstücke des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung aufzugreifen sein.

backlash, courts are clearly thwarting the congressional intent of the ADA by turning away disabled people who seek judicial remedies. ")•

2. Kapitel

Grundlagen und Reichweite des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes Das Verbot ungerechtfertigter Diskriminierung ist ein moralischer Imperativ.1 Einen Arbeitnehmer allein aufgrund seiner Behinderung nachteilig zu behandeln, ist dementsprechend unmoralisch.2 Gleiches gilt für die weiteren von der Rahmenrichtlinie erfassten Differenzierungsmerkmale; hierüber besteht auf der gesellschaftspolitischen Ebene weitgehender Konsens.3 Stellt man für den Moment die teilweise kontrovers diskutierte Frage zurück, ob und inwieweit es zur Erreichung dieses als richtig erkannten Anliegens eines regulierenden Eingriffes durch den Gesetzgeber bedarf und legt damit für den Bereich des Arbeitsrechts die Errichtung eines Diskriminierungsverbots als legitim zugrunde, so bietet dieser sozial ethische Minimalkonsens dem Rechtsanwender dennoch wenig Orientierung bei der Anwendung des Diskriminierungsverbots. Allein mit der Feststellung, dass ein Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer nicht aufgrund seiner Behinderung diskriminieren darf, ist nicht viel gewonnen. Im Abstrakten 1

Aus rechtsphilosophischer Sicht vgl. Habermas , Faktizität und Geltung, S. 135 ff., aus staatstheoretischer Perspektive Höffe , Politische Gerechtigkeit, S. 319 ff. Siehe aus dem U.S.-amerikanischen Schrifttum nur Paul Brest , 90 Harv. L. Rev. 1, 5 (1976); Hasnasy 71 Fordham L. Rev. 423, 428-430 (2002). Zur wirtschaftlichen Dimension des Diskriminierungsschutzes siehe unten A. I. 2. c) bb), seine integrative Bedeutung betonen Nickel , A-Drs. 15(12)440-Q, S. 1 ff. und Wendeling-Schröder , NZA 2004, 1320. 2 Hierzu gesellt sich das, was Richard Epstein mit dem Begriff „powerful insurance feature" umreist: Die Sorge eines jeden, zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft selber behindert zu sein und damit von entsprechender Gesetzgebung selbst zu profitieren, vgl. Forbidden Grounds, S. 481. 3 In den Vereinigten Staaten besteht ein entsprechender moralischer Konsens zumindest für die vom Civil Rights Act of 1964 erfassten Merkmale; gleichsam ist das Verbot aufgrund einer Behinderung zu diskriminieren tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Auf kontroversere, teils von einzelstaatlichen Diskriminierungsverboten erfasste Merkmale wie dies der sexuellen Orientierung, erstreckt es sich dagegen noch nicht. In Europa fehlt es derzeit noch an empirischen Daten, doch wird ein entsprechender Konsens zumindest im Abstrakten, d.h. auf der Ebene von Art. 13 EG bestehen. Überaus kontrovers ist hingegen die konkrete Implementierung dieser Diskriminierungsverbote in bestimmte Rechtsgebiete, wie die deutsche Diskussion über ein allgemeines zivilrechtliches Anti-Diskriminierungsgesetz beispielhaft verdeutlicht, siehe etwa Säcken ZRP 2002, 286; Picker , JZ 2003, 540.

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2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

ist der Begriff der Diskriminierung wertneutral: Er zeigt weder auf, wann eine ungleiche Behandlung moralisch zu beanstanden ist, noch unter welchen Umständen sie sogar geboten sein kann, um dem Ziel der Rahmenrichtlinie - der Herstellung der Chancengleichheit behinderter Menschen im Erwerbsleben gerecht zu werden.4 Bevor diesen und weiteren Fragen auf den Grund gegangen wird, sollen daher die grundlegenden Strukturen des Diskriminierungsschutzes beleuchtet werden. Nur vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Begriffsverständnisses einiger grundlegender Termini kann die Diskussion der Dogmatik und Implikationen des Diskriminierungsschutzes sinnvoll geschehen. Dies gilt in besonderer Weise für das Konzept angemessener Vorkehrungen, das, wie noch zu zeigen sein wird, den Rechtsanwender in mancher Hinsicht nötigt, die eingetretenen Pfade herkömmlicher Dogmatik zu verlassen. Die anstehenden Erörterungen sind damit vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der Schaffung einer gemeinsamen Ausgangsbasis zu sehen; einen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeinverbindlichkeit erheben sie nicht.5

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts Das Anti-Diskriminierungsrecht ist, wie der Name bereits erahnen lässt, untrennbar mit dem Gleichheitsideal und seinem Verständnis verwoben: Zu diskriminieren bedeutet dem Worte nach nichts anderes als zu unterscheiden, womit das Anti-Diskriminierungsrecht zu dem Recht wird, das es einem Arbeitgeber verbietet, seine Entscheidungen an bestimmte, vom Gesetzgeber als missbilligenswert gekennzeichnete Arbeitnehmermerkmale anzuknüpfen. Dem Arbeitgeber wird mit anderen Worten aufgegeben, Arbeitnehmer in einem gewissen Rahmen gleich zu behandeln. Ein Begriffsverständnis der Gleichheit besteht a priori jedoch nicht. Herausgebildet haben sich vielmehr verschiedene, bisweilen miteinander im Konflikt stehende Gleichheitsideale, die - zumindest implizit - die Basis jeglichen Rechtsarguments über die Aufgabe und Reichweite des Diskriminierungsschutzes bilden.6 Unglücklicherweise legt die AntiDiskriminierungsgesetzgebung ihren Normen selbst kein konsistentes Gleich4

Ausf. zum Diskriminierungsbegriff im Europäischen Gemeinschaftsrecht Plötscher , Begriff der Diskriminierung, S. 26 ff. 5 Weiterführend sei aus dem jüngeren deutschen Schrifttum speziell zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz auf Schiek , Differenzierte Gerechtigkeit, S. 48 ff. sowie Wiedemann , Gleichbehandlungsgebote, S. 8 ff. verwiesen. Aus allg. privatrechtlicher Sicht siehe Neuner , JZ 2003, 57. 6 Allg. zur Unterscheidung zwischen formeller und materieller Gleichheit vgl. Hepple/Barnard , 59 C.L.Rev. 562 (2000).

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

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heitsmodell zugrunde, sondern überlässt es dem Rechtsanwender, dieses im jeweiligen Sachzusammenhang zu bestimmen. Geöffnet ist damit ein Einfallstor für die verschiedensten politischen, gesellschaftlichen und wirtschafttheoretischen Anschauungen, die die Suche nach dem zugrunde zu legenden Gleichheitsverständnis zu einer der am kontroversesten diskutierten Fragen des gesamten Diskriminierungsschutzes haben werden lassen.7

L Formelles Gleichheitsverständnis 7. Konzept Formelle Gleichheit ist eines der ältesten Gerechtigkeitspostulate überhaupt.8 Bereits Aristoteles definierte Gerechtigkeit als formell gleiche Behandlung.9 Gleichheit in diesem Sinn bedeutet Rechtsanwendungsgleichheit: Eine Norm wird in gleicher Weise auf jeden angewandt, der in ihren Anwendungsbereich fällt. Aus der Perspektive des Normunterworfenen formuliert heißt dies, dass wenn ein bestimmter Sachverhalt oder eine bestimmte Person unter den Anwendungsbereich einer Norm fällt, so ist ein anderer, aber inhaltsgleicher Sachverhalt oder eine Person mit identischen Merkmalen ebenso erfasst. Gleiche Sachverhalte lösen nach diesem Verständnis dieselben Rechtsfolgen, ungleiche Sachverhalte verschiedenartige Rechtsfolgen aus.10 Nicht nur Rechtsnormen, sondern Handlungsnormen allgemein - Praktiken eines Arbeitsgebers beispielsweise - legen dieses Gleichheitsverständnis zugrunde. Ein Arbeitgeber wird bei der Einstellung, Beförderung oder sonstigen Maßnahmen im Arbeits-

7 Mustergültig für das Konfliktpotential des Gleichheitsverständnisses steht die nicht enden zu wollende Debatte über die Zulässigkeit von affirmative action in den USA sowie die Diskussion über die Legitimität der Frauenförderung durch positive Fördermaßnahmen auf europäischer Ebene. Vgl. etwa Beiton, 59 N.C.L. Rev. 531 (1981); Donohue, 92 Mich. L. Rev. 2583 (1994). 8 Vgl. grundlegend Dworkin, Sovereign Virtue, passim. 9 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V Kapitel 7 Ab. 1132a und b. Aristoteles sah jedoch keinen Widerspruch darin, einerseits formelle Gleichheit zu postulieren, gleichzeitig aber Frauen oder Sklaven der Anwendung derselben zu entrücken. Diese exklusive Gleichheitsideal blieb symptomatisch für die Entwicklung formeller Gleichbehandlung bis in die Anfänge des letzen Jahrhunderts, vgl. S. 40 f. Überblicksartig ebenso Fredman, Discrimination Law, S. 4 ff. 10 Siehe EuGH, Urt. v. 14.4.1994 - Rs. T-10/93, Slg. 1994, 11-179, Rz. 42; EuGH, Urt. v. 7.2.1991 - verb. Rs. T-18/89 und T-24/89, Slg. 1991,11-53, Rz. 68; EuGH, Urt. v. 23.4.1956, verb. Rs. 7 und 9/54, Slg. 1955/56, S. 53, 91.

62

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

Verhältnis von diesem Grundsatz geleitet sein. Formelle Gleichheit ist von dieser Warte allgemein ein Instrument der rationalen Verhaltenssteuerung.11 Bereits die Gewährleistung formeller Gleichheit allein entspricht unserem Gerechtigkeitssinn. Mehr noch: Sie ist ein integraler Bestandteil unserer Rechtsordnung, ihre Legitimität ist unstreitig.12 Trotz oder gerade aufgrund dieses intuitiv empfundenen Gerechtigkeitsgehalts ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Garantie formal gleicher Behandlung keine hinreichende Bedingung zur Erreichung einer - wie auch immer im Einzelnen gearteten - gerechten Entscheidung ist.13 Gleichheit als solche ist ein inhaltsleeres Konzept.14 Sie lässt sich im Abstrakten nicht bestimmen; hinzukommen muss vielmehr eine Vergleichsbasis. Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Arbeitnehmer niemals einfach nur gleich zu behandeln ist, sondern stets im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft im Vergleich mit einem anderen Arbeitnehmer. Diese notwendige Vergleichsbasis liefert der Tatbestand der Norm. Er bestimmt, welche Sachverhalte gleich bzw. ungleich sind. Ein Steuergesetz etwa mag an das Einkommen als Vergleichstatbestand anknüpfen und bestimmen, dass besser Verdienende mehr Steuern als weniger wohlhabende Personen zu zahlen haben und dass beide Personengruppen insofern ungleich zu behandeln sind. Nur unter der Bedingung, dass ebenso diese Vergleichsbasis gerecht ist, kann die Gewährleistung formeller Gleichheit zu gerechten Ergebnissen führen. Ein weiteres Beispiel mag das Gesagte verdeutlichen: Angenommen ein Arbeitgeber zahlt Frauen 70% des Lohnes, den männliche Arbeitnehmer in der entsprechenden Position erhalten. Wendet der Arbeitgeber diese selbstgesetzte Norm strikt an, handelt er in Übereinstimmung mit dem Grundsatz formeller Gleichheit. Beide Arbeitnehmergruppen sind im Hinblick auf ihr Geschlecht verschieden und damit nach Maßgabe des formellen Gleichheitsgebots ungleich 11

Vgl. dazu auch die Ansicht von Bötticher , RdA 1953, 161 ff. sowie RdA 1957, 317 wonach es zum Wesen einer Norm gehört, die ihr unterfallenden Sachverhalte gleich zu behandeln. In diese Richtung auch Nikisch , Arbeitsrecht, S. 430. 12 Siehe etwa BVerfG, Urt. v. 23.1.1957, BVerfGE 6, 84, 91 („selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz"). Beachtenswert ist, dass die Anwendung des formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes keine Bezugnahme auf einen mit dieser Konzeption verfolgten Zweck erfordert. Ihre Legitimität kann verschiedentlich begründet werden. Allgemein ist es Ausdruck der Menschenwürde einer Person, dass diese anhand ihrer individuellen Fähigkeiten anstatt von Gruppenmerkmalen beurteilt wird, vgl. die Entscheidung des Canadian Supreme Court Miron v. Trudel , [1995] 2 S.C.R. 418, 489. Vgl. auch Fredman , Discrimination Law. S. 17-19, die zu Recht daraufhinweist, dass dieser Ansatz vielfältige Interpretationsmöglichkeiten für die Bestimmung des Inhalts des Gleichheitsverständnisses zulässt. Zur Bedeutung formeller Gleichheit aus Sicht des demokratischen Prozesses vgl. Young , Justice and the Politics of Difference, S. 173 ff.; Ely , Democracy and Distrust, S. 103 ff. 13 Eine notwendige Bedingung ist die Gewährleistung formeller Gleichheit in diesem Sinne dagegen nicht. 14 Vgl. Westen , 95 Harv. L. Rev. 537, 596 (1982).

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

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zu behandeln. Die offenkundige Ungerechtigkeit dieser Praxis liegt nicht in der Frage der gleichmäßigen Anwendung einer Norm, sondern in der Anknüpfung an die Geschlechtszugehörigkeit, d.h. der Wahl einer missbilligenswerten Vergleichsbasis, begründet. Um dieser Ungerechtigkeit zu begegnen ist es notwendig, dem Arbeitgeber die Anknüpfung an die Geschlechtszugehörigkeit bei der Entlohnung zu verbieten, d.h. dazu zu verpflichten, beide Geschlechter gleich zu behandeln.

2. Von formeller

Gleichbehandlung zum Diskriminierungsverbot

Diese Funktion erfüllt ein Diskriminierungsverbot bzw. - inhaltsgleich aber ohne defensive Konnotation - ein Gleichbehandlungsgebot. Es entsteht aus der Erkenntnis, dass eine bestimmte Personengruppe zu ihrem Nachteil nicht vom Anwendungsbereich einer Norm erfasst wird. Schätzt der Gesetzgeber diese Ausgrenzung als inakzeptabel ein und sieht sich somit zur Intervention gezwungen, schafft ein Gleichbehandlungsgebot Abhilfe, indem es die Fähigkeit des Normgebers einschränkt zu bestimmen, welche Sachverhalte gleich sind und daher dem Tatbestand der Norm unterfallen. Dem Arbeitgeber wird mit anderen Worten aufgegeben, ein bestimmtes Merkmal der vom Gleichbehandlungsgebot geschützten Personengruppe zu ignorieren und Angehörige dieser Gruppe ebenso wie Arbeitnehmer einer bevorzugten Vergleichsgruppe zu behandeln, denen dieses Merkmal fehlt. 15 Das deutsche Arbeitsrecht kennt entsprechende Diskriminierungsverbote verschiedenster Art. Die Betriebspartner etwa werden durch § 75 Abs. 1 BetrVG zur gleichen Behandlung von Personen unterschiedlicher Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung, verschiedenen Geschlechtes oder sexueller Identität verpflichtet 16; die Tarifpartner sind jedenfalls an einen dem Art. 3 GG entsprechenden Gleichheitssatz gebunden.17 Arbeitnehmer können sich des Weiteren neben dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der anwendbar ist, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt18, auf eine Reihe von spezifischen

15 Aus dieser Perspektive lässt sich formelle Gleichheit als ein negatives Freiheitsrecht begreifen, d.h. die Freiheit von einem bestimmten Hindernis, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, vgl. etwa Westen, 95 Ethics 837, 839 (1985). 16 Zur Frage, inwieweit diese Bestimmung individuelle Rechtsansprüche begründet, vgl. BAG, Urt. v. 14.1.1986 - 3 AZR 456/84, BB 1987, 1535. Siehe auch Oetker, RdA 2004, 8, 13. 17 BAG, Urt. v. 4.4.2000 - 3 AZR 729/98, NZA 2002, 917 mit Anm. Dieterich, RdA 2001, 112; Söllner, in: FS Dieterich, S. 629, 632 ff. 18 St. Rspr. BAG, Urt. v. 21.5.2003 - 10 AZR 524/02, NJW 2003, 3150; Urt. v. 13.11.2002 - 4 AZR 428/01, NZA-RR 2003, 442, 444. Allg. zur Bedeutung und

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2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

Diskriminierungsverboten berufen. Neben dem geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbot aus § 611a BGB oder dem Verbot der Diskriminierung aufgrund der Teilzeitarbeit oder einer Befristung nach § 4 TzBfG, zählt hierzu insbesondere das im Fortgang dieser Arbeit noch eingehender zu beleuchtende Diskriminierungsverbot schwerbehinderter Beschäftigter gem. §81 Abs. 2 SGB IX.

a) Funktionsweise eines Diskriminierungsverbots Bei formaler Betrachtung beeinflusst ein Gleichbehandlungsgebot den Anwendungsbereich der Norm, nicht aber ihren Regelungsgehalt. Mehr noch, der Normgeber wird durch ein Verbot der Diskriminierung nie zum Normerlass gezwungen. Vielmehr steht es ihm von der Warte des Gleichbehandlungsgrundsatzes frei, die Norm in ihrer Gesamtheit zu beseitigen. Einem Arbeitgeber, der durch den Erlass eines Gleichbehandlungsgebotes beispielsweise gezwungen ist, eine Zusatzleistung auf eine bisher nicht berücksichtigte Gruppe seiner Arbeitnehmerschaft auszuweiten, bleibt es unbenommen, von der Leistung überhaupt abzusehen. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz tut der Arbeitgeber damit Genüge.19 Der Arbeitgeber, der verpflichtet wird bei der Entlohnung nicht länger an die Geschlechtsangehörigkeit anzuknüpfen, wird damit nicht zur gleichen Vergütung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer verpflichtet. 20 Lediglich die unterschiedliche Vergütung mit dem verschiedenen Geschlecht zu begründen, ist ihm verwehrt. Inhaltlich verbietet ein Gleichbehandlungsgebot die Anknüpfung an bestimmte irrelevante Arbeitnehmermerkmale, d.h. an solche Charakteristika, die mit der Erbringung der in Frage stehenden Arbeitleistung in keinem Zusammenhang stehen. Es fördert damit am Leistungsprinzip orientierte Arbeitgeberentscheidungen. Notwendigerweise bedingen tut es sie allerdings nicht, weil der Anwendungsbereich von Gleichbehandlungsgeboten gegenständlich beschränkt ist.21 So verbietet etwa die Rahmenrichtlinie nicht generell irrationale Entscheidungen, sondern nur bestimmte, an eine der ennumerativ aufgeführten Merkmale anknüpfende Maßnahmen. Dem Arbeitgeber bleibt es von daher unbenom-

Reichweite des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vgl. ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 713 ff.; Wiedemann , Gleichbehandlungsgebote, S. 9 ff. 19 Solange eine diskriminierende Regelung allerdings nicht beseitigt wurde, besteht die Verpflichtung, auf die Angehörigen der benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung anzuwenden, wie sie für die übrigen Arbeitnehmer gilt, siehe EuGH, Urt. v. 7.2.1991 - Rs. C-184/89, Slg. 1991, 1-297, Rz. 18 (Nimz). Vgl. auch EuGH, Urt. v. 28.9.1994-Rs. C-408/92, Slg. 1994,1-4435, Rz. 17 (Smith). 20 EuGH, Urt. v. 28.9.1994- Rs. C-408/92, Slg. 1994,1-4435, Rz. 21 (Smith). 21 Dies lassen Bell/Waddington , 28 E.L.Rev. 349, 351 (2003) außer Acht.

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

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men, seine Entscheidung mit einem vom Diskriminierungsverbot nicht erfassten, aber dennoch irrationalen Merkmal zu begründen. Während der Vorzug eines männlichen Bewerbers über eine besser qualifizierte weibliche Bewerberin beispielsweise auf europäischer Ebene gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie verstieße, wenn sie aufgrund des Geschlechtes erfolgte, müsste sie beanstandungslos bleiben, wenn der Arbeitgeber seine Entscheidung etwa mit seiner Verwandtschaft zum eingestellten Bewerber oder dem Umstand, dass beide Anhänger desselben Fußballvereins sind, begründen kann.

b) Kennzeichen des Diskriminierungsverbots Das Diskriminierungsverbot ist konzeptionell streng individualistisch.22 Zum Ausdruck kommt dies zum einen durch seinen transaktionsbezogen Charakter. Inwieweit einem Arbeitgeber der Vorwurf einer unerlaubten Benachteiligung unterbreitet werden kann, richtet sich stets danach, ob der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung selbst an ein verbotenes Differenzierungsmerkmal angeknüpft hat. Unerheblich für die Anwendung des Diskriminierungsverbots ist es dagegen, ob jemand anderes als der Arbeitgeber in der Vergangenheit gegen den Arbeitnehmer diskriminiert hat. Gesamtgesellschaftlichen Missständen, wie beispielsweise historisch erfolgter Diskriminierung und einer damit einhergehenden Unterrepräsentation Angehöriger einer vom Diskriminierungsverbot geschützten Personengruppe, wird mit dieser Konzeption nicht Rechnung getragen.23 Zum anderen gibt das Diskriminierungsverbot ein individuelles Recht auf Freiheit von arbeitgeberseitigen Entscheidungen unter Bezug auf ein verbotenes Anknüpfungsmerkmal. Dieses negative Freiheitsrecht wirkt nicht nur zugunsten vom Diskriminierungsverbot direkt geschützter Personengruppen, sondern gegenüber allen Arbeitnehmern. Formelle Gleichbehandlung wirkt symmetrisch und verbietet damit nicht nur eine nachteilige Behandlung bestimmter Arbeitnehmergruppen, sondern ebenso ihre Bevorzugung. Als Konzept ist formelle Gleichheit damit intolerant. Noch so plausible Gründe vermögen im Einzelfall keine Abweichung von der gleichen Anwendung einer Norm zu rechtfertigen.

22

Siehe Cax, Employment Discrimination, 6-5. Vgl. hierzu die Entscheidung des Supreme Court in Personal Administrator of Massachusetts v. Feeney, 442 U.S. 256 (1979), wonach die bevorzugte Einstellung von Kriegsveteranen gegenüber besser qualifizierten Nicht-Veteranen kein Fall der Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellt, obgleich Frauen durch diese Regelung überproportional benachteiligt werden. Zur Begründung stellt das Gericht maßgeblich darauf ab, dass der Begriff des Kriegsveteranen geschlechtsneutral sei, mithin sowohl männliche wie weibliche Veteranen umfasse. Siehe dort auf S. 275. Außen vorgelassen wird dabei freilich der Umstand, dass Frauen bereits beim Zugang zur Armee nachweislich benachteiligt wurden, weshalb die untersuchte Einstellungsregelung auf diese damalige Diskriminierung aufbaut und diese vertieft. 23

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

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Die praktische Umsetzung des formalen Gleichbehandlungsgebots gestaltet sich damit simpel. Insbesondere in der sich zukünftig stellenden Frage, wie Fallkonstellationen zu lösen sein werden, in denen Beschäftigte aus verschiedenen vom Diskriminierungsschutz besonders geschützten Personengruppen miteinander um eine Arbeitsstelle in Wettstreit treten, gibt es nicht mehr vor, als jeden Merkmalsträger ohne Rücksicht auf seiner Gruppenzugehörigkeit zu behandeln.

c) Zur Notwendigkeit des Diskriminierungsverbots Die Einsicht, dass männlichen und weiblichen Arbeitnehmern allein aufgrund ihres Geschlechtes nicht verschiedene Rechte und Pflichten zugeordnet werden können, kann heutzutage nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Entsprechendes gilt für die weiteren von der Rahmenrichtlinie erfassten Merkmale. Soweit sie in keinem Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung stehen, können sie schlechterdings nicht zur Grundlage einer Arbeitgeberentscheidung gemacht werden. Beeinflussen sie aber die Arbeitsleistung, dann ist es diese mangelnde Eignung und nicht die Gruppenzugehörigkeit, die ein Arbeitgeber als legitime Entscheidungsbasis zugrunde legen kann.24 Über das Ergebnis, zu dem die Gleichbehandlungsgebote führen - die Eliminierung besonders schutzunwürdiger Anknüpfungsmerkmale aus dem Entscheidungsprozess - besteht damit in der Praxis Einvernehmen. Nicht unumstritten ist allerdings, ob Gleichbehandlungsgebote zur Erreichung dieses als sachgerecht erkannten Resultats erforderlich oder aber die Kräfte eines freies Arbeitsmarktes genügen, um es zu erreichen. 25 Doch selbst wenn man so weit nicht gehen möchte und den Sinn sowie die Funktionstüchtigkeit arbeitrechtlicher Diskriminierungsverbote prinzipiell nicht in Abrede stellt, ist die Effektivität entsprechender Regelungen einer kritischen Kontrolle zu unterwerfen. Sie teilen nämlich, wie Lorenz Fastrich treffend beobachtet, „mit sonstigen Markteingriffen das Problem, dass die erzielten Wirkungen oft nicht den Absichten entsprechen".26 Das „Gute" droht dann zum lediglich „Gutgemeinten" zu werden.27

24

Zur Frage der mittelbaren Diskriminierung vgl. insoweit S. 148. Vgl. grundlegend zu dieser These Epstein, Forbidden Grounds, S. 484; Posner, 136 U. Pa. L. Rev. 513, 515-516 (1987). Liberalere Ansichten finden sich demgegenüber z.B. bei Donohue, 134 U. Pa. L. Rev. 1411, 1412 ff. (1986), ders., 136 U. Pa. L. Rev. 523 (1987) sowie McAdams, 108 Harv. L. Rev. 1003 (1995). 26 Fastrich, RdA 2000, 65, 81. 27 Picker JZ 2003,540, 541. 25

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

67

aa) Ist der ADA ineffizient? Eben jene Frage, d.h. die Auswirkungen des ADA auf die Beschäftigungssituation behinderter Menschen, wird in den USA zur Zeit lebhaft debattiert.28 Einigkeit konnte bislang nur insoweit erzielt werden, dass der ADA zumindest nicht zu der erhofften Verbesserung der Erwerbschancen geführt hat. Mitunter werden dem Gesetz nicht nur positive Beschäftigungsimpulse abgesprochen, sondern es wird sogar für einen Rückgang der Beschäftigungsquote dieser Arbeitnehmer verantwortlich gemacht.29 Entsprechende Aussagen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Das Gros der diesen Untersuchungen zugrunde gelegten Statistiken ist nur beschränkt aussagekräftig. Weder herrschte Klarheit über die zugrunde zu legende Behinderungsdefinition noch wurden die Vergleichsgruppen hinreichend groß gewählt, um repräsentative Ergebnisse zu garantieren. 30 Nahe liegender erscheint es deshalb, außerhalb des Anti-Diskriminierungsrechts liegende Faktoren wie etwa die zur Zeit der Verabschiedung des ADA vorherrschende Rezession zur Erklärung dieses Phänomens heranzuziehen.31 Befriedigend sind entsprechende Erklärungsversuche dennoch nur bedingt, weil sie einer zentralen Prämisse der Anti-Diskriminierungsgesetzgebung nicht gerecht werden. Sowohl der ADA wie auch die Rahmenrichtlinie stützen sich zur Rechtfertigung der mit ihnen verbundenen Eingriffe in die Unternehmensfreiheit der Arbeitgeber maßgeblich auch auf wirtschaftliche Erwägungen. Daran ist die Verteilung der Beweislast auszurichten: Erst wenn der Nachweis von positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation behinderter Menschen erbracht ist, ist ein Ziel dieser Gesetzgebung erreicht. Ihre bloße Wirkungsneutralität reicht dafür nicht aus.

bb) Gründe der Behindertendiskriminierung Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich Klarheit darüber zu verschaffen, weshalb Diskriminierungen im Erwerbsleben überhaupt existieren. Andernfalls lassen sich Vorschriften zum Abbau von Benachteiligungen behinderter Menschen nicht an ihrer Effizienz messen. Die Antwort hierauf füllt ihrerseits allerdings ganze Bücher und kann an dieser Stelle nicht mehr als angedeutet wer-

28 Zusammenfassend vgl. insb. Bagenstos, 25 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 527 (2004). Siehe dazu auch die Ausführungen im 3. Kapitel unter B. II. 2. 29 Acemoglu/Angrisu 109 J. Pol. Econ. 915 (2001); DeLeire, 35 J. Hum. Res. 693 (2000). 30 Vgl. dazu Schwochau/Blanck, 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 271 (2000). 31 Bagenstos, 25 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 527, 550 ff. (2004).

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2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

den.32 Worum es im Kern geht, ist schnell benannt: die wirtschaftliche Dimension des Diskriminierungsschutzes.33 Dass diese neben die moralische Ebene tritt und die Aufgabe sowie die Reichweite des Diskriminierungsschutzes als Leitbild mitformt, sollte aus europäischer Perspektive nicht überraschen, denn der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz entstand in Europa gerade als Teil der Wirtschaftsordnung. 34 Dessen ungeachtet wird die arbeitsrechtliche AntiDiskriminierungsgesetzgebung in Deutschland bislang kaum unter Effizienzgesichtspunkten hinterfragt. 35 Dies ist bedauerlich, lassen sich doch mit den zu gewinnenden Erkenntnissen viele Zweifelsfragen des Anti-Diskriminierungsrechts erhellen und versachlichen; hier liegt ein denkbarer Wirkungsbereich der Antidiskriminierungsstelle. 36 Bereits an dieser Stelle sollen deshalb die wesentlichen Erklärungsversuche des U.S.-amerikanischen Schrifttums zur Existenz von Diskriminierungen nach Eintritt in den Arbeitsmarkt kurz erwähnt werden. Die Folgerungen, die sich daraus für den Diskriminierungsschutz behinderter Beschäftigter ziehen lassen, werden dagegen zurückgestellt und im jeweiligen Zusammenhang zur Sprache gebracht. Einen guten Ausgangspunkt für das Verständnis der ökonomischen Diskriminierungstheorie bildet die Pionierarbeit von Gary Becker von 1957. 37 Seinem Modell zur Erklärung von Diskriminierungen liegt die Annahme zugrunde, dass verschiedene Teilnehmer am Marktgeschehen eine „Vorliebe zur Diskriminierung" haben, d.h. sich „so verhalten, als ob sie bereit wären, etwas dafür zu bezahlen bzw. eine Einkommensbuße dafür hinzunehmen, dass sie die Gesellschaft bestimmter Personen gegenüber derer anderer Individuen vorziehen."38 Diskriminierungen sind mit anderen Worten ineffizient, weshalb sie mit der Zeit in Industriezweigen, die dem freien Wettbewerb unterworfen sind, von al-

32 Neben den nachstehend erwähnten Werken sei insb. verwiesen auf Posner , Economic Analysis, S. 365 ff. Kritische Hinweise zur ökonomischen Analyse des Rechts geben Kaplow/Shavell , Economic Analysis, S. 78 ff. 33 Hierzu aus behinderungsspezifischer Sicht Blanck , 79 Iowa L. Rev. 853 (1994); BlancK 46 DePaul L. Rev. 877 (1997); Harris , 89 Iowa L. Rev. 123 (2003); Schwochau/Blanck, 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 271 (2000); Stein , 53 Duke L. J. 79 (2003). Zur Bedeutung im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie WendelingSchröder , NZA 2004, 1320. 34 Siehe dazu die Ausführungen zu Art. 141 EG im 1. Kapitel unter A. II. 35 Jetzt aber Thüsing, RdA 2003, 257. Vgl. auch BAG, Urt. v. 15.10.1992-2 AZR 227/92, NJW 1993, 1154, 1155, wonach es nicht Sache der Arbeitsgerichte sei, die Interpretation der auf der EWG-Richtlinie 76/207 beruhenden Vorschrift des § 611 a BGB an den Auswirkungen des Arbeitsmarktes zu orientieren. Ebenso Coester , Anm. zu AP Nr. 31 zu § 123 BGB, aA Hunold , NZA 1987,4. 36 Diese kann nach § 28 Abs. 4 S. 2 ADG-E Gutachten in Auftrag geben. 37 Im Folgenden zitiert nach der 2. Aufl. von 1971. 38 Becker , Economics of Discrimination, S. 14.

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

69

lein aufhören. 39 Zwar mögen Arbeitgeber nach Beckers Auffassung vorübergehend von der Einstellung von Arbeitnehmern einer Minderheitsgruppe absehen, weil sie aufgrund ihrer „Vorliebe zur Diskriminierung" die Kosten der Beschäftigung dieser Arbeitnehmer trotz objektiv gleicher Produktivität als höher einschätzen als die Kosten der Einstellung von Angehörigen der Mehrheitsgruppe. Infolgedessen würden jedoch die Gehaltskosten von Arbeitnehmern der Minderheitsgruppe sinken, woraufhin rational operierende Arbeitgeber nur noch aus dem Pool dieser Arbeitnehmer ihre Arbeitskräfte beziehen und so ihre Lohnkosten senken würden. Da nicht diskriminierende Arbeitgeber ihre Unternehmen im Ergebnis effizienter leiten könnten, würden solche Arbeitgeber, die ihre „Vorliebe zur Diskriminierung" nicht aufgeben, vom Markt verdrängt werden. Diskriminierungsverbote sind von dieser Warte, wenn überhaupt, dann nur temporär vonnöten. Speziell für den Diskriminierungsschutz behinderter Beschäftigter aufschlussreich ist der Versuch, das Bestehen von Diskriminierungen mit einem Informationsdefizit des Arbeitgebers zu erklären. 40 Arbeitgeber versuchen vor der Einstellung eines Arbeitnehmers seine zukünftige Produktivität abzuschätzen, dafür notwendige, individualisierte Informationen sind aber nur unter nicht unerheblichem Zeit- und Kostenaufwand erhältlich. Aus diesem Grund, so argumentieren die Vertreter dieses Modells, greifen Arbeitgeber auf generelle Leistungsindikatoren wie den erzielten Bildungsabschluss, die Dauer der Berufserfahrung aber eben auch auf das Geschlecht oder das Vorhandensein einer Behinderung zurück. Das Resultat ist eine sog. statistische Diskriminierung, d.h. Arbeitnehmer werden nicht einzeln nach ihren Fähigkeiten evaluiert, sondern allein anhand von vermeintlichen Gruppenmerkmalen beurteilt. Auch diese Form der Diskriminierung kann ineffizient sein, sofern die zukünftige Produktivität falsch eingeschätzt wird. Treten Fehlprognosen nicht zu Tage oder werden sie als vereinzelte Ausreißer klassifiziert, besteht jedoch die Gefahr, dass die vorgenommenen Charakterisierungen als zutreffend angesehen und beibehalten werden.41

3. Wirkung

und Grenzen des Diskriminierungsverbots

Aus den beschriebenen Eigenheiten des formellen Gleichbehandlungsgebots folgt zugleich seine begrenzte Effektivität zur Förderung der Beschäftigungssi-

39

Becker, Economics of Discrimination, S. 43-45. Phelps, 62 Am. Econ. Rev. 659 (1972); Aigner/Cain, 30 Indus. & Lab. Rel. Rev. 175, 180 (1977); Sattinger, 39 Int. Econ. Rev. 205 (1998). Siehe auch Schwochau/Blanck, 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 271, 278-279 (2000). 41 Schwochau/Blanck, 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 271, 279 (2000). 40

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2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

tuation geschützter Arbeitnehmergruppen. Unbestreitbar liegt zwar in der Gewährleistung formeller Gleichheit für bestimmte, als besonders schutzwürdig erachtete Personengruppen im Erwerbsleben ein nicht zu unterschätzender Erfolg arbeitsrechtlicher Anti-Diskriminierungsgesetzgebung. Zeiten, in denen etwa nur an männliche Bewerber gerichtete Stellenausschreibungen oder Lohnabschlagsklauseln für weibliche Arbeitnehmer als normal erachtet wurden, erscheinen damit der fernen Vergangenheit anzugehören.42 Bereits das Gebot formeller Gleichhandlung hat damit die Kraft, gesellschaftliche Einstellungen zu formen und zu verändern. Gleichsam allerdings gehört es zum gesicherten Erfahrungsschatz des Diskriminierungsschutzes, dass viele der Nachteile, die Angehörige der geschützten Personengruppen im Erwerbsleben erleiden, durch formelle Gleichbehandlung allein nicht überwunden werden konnten. In den Ländern der Europäischen Union machte man insbesondere im Bereich der Frauenförderung die Erfahrung, dass die Garantie formeller Gleichheit nicht ausreicht, um Männern wie Frauen die gleichen Ausgangschancen im Erwerbsleben zu garantieren; nach wie vor sind Frauen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft vor allem in Führungspositionen unterrepräsentiert. 43 Art. 141 Abs. 4 EG erkennt diese begrenzte Wirkung des formellen Gleichbehandlungsgebots ausdrücklich an, indem er „spezifische Vergünstigungen" zur „effektiven Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männer und Frauen" zulässt. Die Rahmenrichtlinie sieht in Art. 7 RL gleichfalls entsprechende „positive" Maßnahmen vor, Art. 5 der RL 2000/43/EG enthält eine entsprechende Vorschrift zur Verhinderung oder zum Ausgleich von Benachteiligungen aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft.

a) Kein Garant rationaler Entscheidungen Die Gründe der beschränkten Wirksamkeit formeller Gleichbehandlung sind schnell benannt. Zuvorderst steht die Relativität des Gleichbehandlungsgebots. Wie gezeigt, verbietet formelle Gleichheit weder irrationale bzw. ineffiziente Entscheidungen an sich noch lässt es eine gezielte Beförderung einzelner Arbeitnehmergruppen zu. Es gebietet ausschließlich die gleichmäßige Behandlung vergleichbarer Arbeitnehmer. Konfrontiert mit der Wahl, ob der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer allesamt entweder gleich gut oder gleich schlecht behandelt,

42 Zur Lohnabschlagsklausel siehe BAG, Urt. v. 23.3.1957 - 1 AZR 326/56, AP Nr. 16 zu Art. 3 GG. Dazu, dass der Arbeitgeber selbst für die veranlasste geschlechtsdiskriminierende Stellenausschreibung der Bundesagentur für Arbeit verantwortlich ist, siehe BAG, Urt. v. 5.2.2004 - 8 AZR 112/03, NJW 2004, 2112. 43 Aus der Fülle der Literatur vgl. hierzu nur Schlächter , Gleichberechtigung, S. 13 ff; Maidowski , Umgekehrte Diskriminierung, S. 37; Pfarr , Quoten und Grundgesetz, S. 122 ff. Zusammenfassend ebenso Laskowski , ZRP 2001, 504.

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

71

besteht damit stets die Gefahr, dass dieser sich zu Letzterem entscheidet.44 Die Garantie formeller Gleichheit kann bei dieser Interpretation sogar zur Verschlechterung der Situation der geschützten Arbeitnehmer führen, wie die Rechtsprechung des EuGH betreffend der Vereinbarkeit von Systemen der betrieblichen Altersversorgung mit Art. 141 EG eindruckvoll belegt. Infolge des Barber Urteils, wonach die Festsetzung eines je nach dem Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit verstößt45, sahen sich Arbeitgeber verschiedentlich zur Hochsetzung des Rentenalters für weibliche Arbeitnehmer gezwungen. Anstatt sie wie bisher in den Genuss der Betriebsrente bei Vollendung des 60. Lebensjahres kommen zu lassen, wurde der Erwerb des vollen Rentenanspruchs um fünf Jahre nach hinten verlegt und damit an die Situation männlicher Arbeitskollegen angeknüpft. Der EuGH segnete dieses Vorgehen ab: Maßnahmen, durch die die Gleichbehandlung im Wege der Einschränkung der Vergünstigungen der bis dahin bevorzugten Personen wiederhergestellt werde, verstießen nicht gegen Art. 119 EGV (jetzt Art. 141 EG). 46 Formelle Gleichheit war damit erreicht, zugleich aber hatte sich die Stellung weiblicher Arbeitnehmer verschlechtert und auch ihren männlichen Arbeitskollegen erging es dank der nunmehr verwirklichten Gleichbehandlung kein Stück besser als zuvor. Dafür, dass dieser Wesenszug des formellen Gleichbehandlungsgebotes bisweilen sogar noch größere Auswüchse annehmen kann, sei auf die an späterer Stelle noch eingehender thematisierte Figur des Equal Opportunity Harasser aus dem U.S.-amerikanischem Anti-Diskriminierungsrecht verwiesen47 Eine sexuelle Belästigung weiblicher Arbeitnehmer verliert nach dieser Konzeption ihre Rechtswidrigkeit, wenn die belästigende Person sein würdeverletzendes Verhalten auf männliche Arbeitskollegen ausdehnt und Angehörige beider Geschlechter damit gleichförmig behandelt. Zumindest hier scheint sie doch zu existieren, die „Gleichheit im Unrecht".

b) Relativer Charakter formeller Gleichbehandlung Die Notwendigkeit der Bestimmung einer Vergleichsbasis hat das Ringen um einen Katalog verbotener Anknüpfungsmerkmale zu einer der Hauptschwierig44 Vgl. ebenso den Sachverhalt der Entscheidung Palmer v. Thompson, 403 U.S. 217 (1971), in der die Stadt Jackson es vorzog, von ihr betriebene Schwimmbäder gänzlich zu schließen, anstatt neben weißen auch schwarzen Einwohnern den Zugang zu gewähren. Zum Einfluss der Menschenwürde als mögliches Korrektiv vgl. S. 59. 45 EuGH, Urt. v. 17.5.1990- Rs. C-262/88, Slg. 1990,1-1889, Rz. 32 (Barber). 46 EuGH, Urt. v. 28.9.1994 - Rs. C-408/92, Slg. 1994,1-4435, Rz. 21 (Smith). 47 Ausf. zu dieser Rechtsfigur und ihren Implikationen vgl. die Ausführungen zum Belästigungsverbot im 4. Kapitel unter B. III. 1. a) bb).

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

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keiten bei der praktischen Umsetzung formeller Gleichbehandlung im Erwerbsleben werden lassen. Genau welche Differenzierungsmerkmale als derart sozialwidrig einzustufen sind, dass dem Arbeitgeber die Anknüpfung hieran zu untersagen ist, ist nur sehr bedingt eine Frage der Logik, sondern vielmehr ein Produkt der historischen Erfahrungen und des kulturellen sowie moralischen Selbstverständnisses. Unterschiedliche Rechtsordnungen gehen daher verschiedene Wege. 48 Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass nach der Verabschiedung der Gleichbehandlungsrichtlinie annähernd 25 Jahre vergehen sollten, bevor der europäische Diskriminierungsschutz eine Erweiterung über das geschlechtsspezifische Differenzierungsverbot hinaus erfuhr. Ist über die gegenständliche Reichweite eines Diskriminierungsverbots erst einmal Einigkeit erzielt, hören die Schwierigkeiten hier noch lange nicht auf. Zwar sind damit aus dem Spektrum der Vergleichbarkeit zweier Beschäftigter bestimmte Merkmale ausklammert, die der Normgeber als illegitime Grundlage für arbeitsrechtliche Entscheidungen ausmacht. Bestehen bleibt jedoch davon unberührt das Erfordernis einer - ggf. hypothetischen - Vergleichsperson oder Vergleichsnorm. 49 Wie aber bestimmt sich die Vergleichbarkeit beispielsweise einer Arbeitnehmerin mit einem Arbeitnehmer in gleicher Stellung unter Außerachtlassung des Geschlechts, wenn man sich vergegenwärtigt, dass eben jenes Merkmal die gesellschaftliche, wirtschaftliche und persönliche Lage grundlegend mitprägt? Die Gefahr, sich zumindest unbewusst der Vergleichsnorm eines weißen, nicht behinderten, christlichen, heterosexuellen Mannes zu bedienen, ist unübersehbar. Treffliches Anschauungsmaterial hierfür liefern Fitnesstests als Einstellungsvoraussetzung, die wiederholt die Gerichte beschäftigt haben.50 Besonders illustrativ ist die für viel Aufsehen sorgende A/e/orw-Entscheidung, in der der kanadische Court of Appeal die Entlassung einer weiblichen Feuerwehrfrau für rechtmäßig erklärte, nachdem diese die Erfüllung einer unbestritten an der männlichen Physiologie ausgerichteten Fitnessnorm mehrmals knapp verfehlte. 51 Die entsprechende Problematik ist ebenso aus der Judikatur zur Schwangerschaft geläufig. Über die Offenkundigkeit, dass nur Frauen schwanger werden und damit von vornherein mit männlichen Arbeitnehmern nicht vergleichbar sind - und damit anders, d.h. ungleich behandelt werden dürfen konnte man sich nur mit der (nahe liegenden) Erkenntnis hinwegsetzen, dass die Verweigerung der Einstellung wegen Schwangerschaft nur Frauen gegenüber in Be48

Vgl. Thüsing , ZfA 2001, 397 m.w.N. Konkret hierzu im Rahmen der Diskussion der unmittelbaren Diskriminierung im 4. Kapitel unter B. I. 3. 50 Lanning v. SEPTA, 308 F.3d 286, 292 (3* Cir. 2002); Smith v. City of Des Moines, 99 F.3d 1466, 1475 (8 th Cir. 1996); Koger v. Reno, 98 F.3d 631, 639 (D.C. Cir. 1996); EEOC v. Kentucky State Police DepX 860 F.2d 665, 666 (6* Cir. 1989). 51 British Columbia (Public Service Employee Relations Commission) v. B.C.G.E.U (1997) 37 B.C.L.R. (3d) 317 aufgehoben durch den Canadian Supreme Court (1999) C.R.D.J. 410. 49

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

73

tracht kommt und deshalb ein Fall der unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sein muss.52 Hiermit war aber bereits ein Schritt zu einem weiter gefassten, materiellen Gleichheitsverständnis getan.

II. Materielles Gleichheitsverständnis Während formelle Gleichbehandlung die Unterschiede in der Ausgangssituation verschiedener Personen als gegeben hinnimmt und damit zum möglichen Anknüpfungspunkt unterschiedlicher Entscheidungen werden lässt, nimmt ein materielles Gleichheitsverständnis individuelle sowie gesellschaftliche Differenzen zur Kenntnis.53 Materielle Gleichheit ist damit weniger an dem Prozess als an dem Ergebnis, zu dem die Behandlung der Arbeitnehmer führt, interessiert. Als ein Konzept zur Förderung der Interessen besonders schutzwürdiger Personengruppen im Erwerbsleben nimmt das materielle Gleichheitsverständnis seinen Ursprung in der U.S.-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.54 Den Ausgangpunkt bildet der Kampf schwarzer U.S. Amerikaner für die Garantie gleicher Behandlung durch das Gesetz. Konnte die afroamerikanische Bevölkerung im Gefolge der berüchtigten Plessy v. Ferguson Entscheidung55 und ihres „separate but equal" Grundsatzes zumindest erste Erfolge auf ihrem Weg zu einer besseren Behandlung verzeichnen, brachte erst die Anerkennung der Vorstellung, dass dieses rein formalistische Gleichheitsverständnis ungenügend zur Erreichung wirklicher Gleichbehandlung sei, den Durchbruch auf dem Weg zu gleichen Bürgerrechten. In Brown v. Board ofEducation stellte ein einstimmiger Supreme Court fest, dass nach der Rasse getrennte Bildungseinrichtungen von Natur aus ungleich und daher als Verstoß gegen die equal protection clause des 1401 Amendment der U.S.-amerikanischen Bundesverfassung zu werten sind.56 Das Arbeitsrecht durchlief eine vergleichbare zweistufige Entwicklung.57 Wurde die formelle Gleichbehandlung Arbeitnehmer unterschiedlicher Rassen, Religionen oder Geschlechter beispielsweise zunächst als der Erfolg der Anti-Diskriminierungsgesetzgebung gefeiert, zeigte sich alsbald, dass eine Überwindung der in der so-

52

Grundlegend EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs.177/88, Slg. 1990, 1-3941, Rz. 12 (Dekker). 53 Der EuGH spricht im Rahmen der RL 76/207/EWG auch von „inhaltlicher Gleichheit", vgl. EuGH, Urt. v. 30.4.1998 - Rs. C-136/95, Slg. 1998, 1-2011, Rz. 26 (Thibault). Das Begriffspaar formelle und materielle Gleichheit findet sich in EuGH, Urt. v. 28.3.2000 - Rs. C-158/97, NJW 2000, 1549, 1551 (Badeck). 54 Zur Entwicklung in Großbritannien vgl. Fredman, Discrimination Law, S. 9, 92 f. 55 163 U.S. 537(1896). 56 347 U.S. 483, 495(1954). 57 Vgl. dazu Donohue, 92 Mich. L. Rev. 2583, 2606-2609 (1994).

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2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

zialen Wirklichkeit bestehenden Benachteiligungen allein durch diese Maßnahmen nicht immer erreicht werden konnte. Die Forderung nach einem weiter gefassten, ergebnisorientierten Gleichheitsverständnis wurde laut. In der Folgezeit waren Schrifttum wie Gerichte gleichermaßen bemüht, die Grenzen entsprechender Fördermaßnahmen abzustecken. Während sich jenseits des Atlantiks die Debatte am Merkmal der Rasse entwickelte, stand und steht in Deutschland, wie in Europa im Allgemeinen, die Frauenförderung im Vordergrund der Diskussion.58 Um die nachfolgende Diskussion zu kanalisieren und systematisieren, schlägt diese Arbeit eine inhaltliche Zweiteilung entsprechender Maßnahmen vor. Zweckmäßig ist es m.E., zwischen dem Ziel, dem ein materielles Gleichheitsverständnis entgegensteuert, und dem diesem Gleichheitsverständnis innewohnenden Gerechtigkeitselement, das zugleich die Triebfeder dieses Konzepts bildet - warum also die Erreichung des Ziels wünschenswert erscheint - zu unterscheiden. Unbestritten ist, dass materielle Gleichheit mehr als ein rein formales Konstrukt ohne zwingenden Gerechtigkeitsgehalt ist, sondern bereits ein Gerechtigkeitselement in sich trägt. Worin genau dieses Gerechtigkeitselement im Einzelfall zu liegen vermag, d.h. nach welchem Maßstab die Angleichung der Erfolgsaussichten bei einer Arbeitgebermaßnahme erfolgen kann, wird im Folgenden zunächst untersucht. Im Anschluss daran wendet sich die Darstellung dem Ziel von um die Herstellung materieller Gleichheit bemühter Maßnahmen zu. Vieles ist hier noch unklar. Grundsätzlich bewegen sich die Ansichten zwischen den Polen der - meist energisch abgelehnten - Herbeiführung gleicher Ergebnisse sowie der Verwirklichung von Chancengleichheit.59

7. Ausprägungen des Gerechtigkeitselements a) Ausgleich von Missständen Die Heranziehung materieller Gleichheit kann wünschenswert zum Ausgleich von bestimmten Missständen wie beispielsweise der historisch erfolgten Diskriminierung gegen Angehörige einer geschützten Personengruppe erscheinen. Das Paradebeispiel hierfür liefert die berühmte Griggs v. Duke Power Co.Entscheidung des Supreme Court, eines der aus arbeitsrechtlicher Sicht bedeut-

58

Ausführlich hierzu im 6. Kapitel unter C. Die Erkenntnis, dass Chancengleichheit und ein - materielles - Gleichheitsverständnis gemeinsame Bezugspunkte haben, ist verbreitet, obwohl die Gemeinsamkeiten und Unterschiede kaum jemals herausgearbeitet werden. Lesenswert zum gegenteiligen Standpunkt aus philosophischer Sicht ist die Abhandlung von Cavanagh, Against Equality of Opportunity, der ein Verständnis des Begriffs der Chancengleichheit unabhängig vom GleichheitsVerständnis postuliert. 59

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

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samsten Urteile des Gerichts überhaupt.60 Der Arbeitgeber, Duke Power, machte grundsätzlich sowohl einen High School-Abschluss als auch das Bestehen zweier Intelligenztests zur Voraussetzung der Beschäftigung in einer der höher vergüteten Abteilungen seines Betriebes. Im Ergebnis führte diese Praxis zur einer weit überdurchschnittlichen Beschäftigung schwarzer Arbeitnehmer in geringfügig vergüteten Positionen, wohingegen weiße Arbeitnehmer die begehrten Arbeitplätze in einem der besser bezahlten Abteilungen zugewiesen bekamen. Der District Court, wie auch der zuständige Court of Appeals, hatten diese Vorgehensweise unter anderem mit der Erwägung abgesegnet, dass Duke Power diese Beschäftigungsregel in formal gleicher Weise auf Arbeitnehmer jeder Hautfarbe anwende.61 Dem trat der Supreme Court entgegen: Dem äußeren Anschein nach neutrale Arbeitgeberpraktiken könnten dann nicht beibehalten werden, wenn sie im Ergebnis den Status Quo früher Diskriminierung zementieren. 62 Jener folgte aus dem Umstand, dass schwarze U.S.-Amerikaner zu Zeiten der Segregation eine minderwertige Ausbildung in einem getrennten Schulsystem genossen hatten63 und folglich die vom Arbeitgeber etablierten Beschäftigungsvoraussetzungen kaum zu erfüllen vermochten. Für die Angleichung der Erfolgsaussichten schwarzer Arbeitnehmer an jene ihrer Arbeitskollegen weißer Hautfarbe standen damit zwei Wege offen: Die Verbesserung der Bildungslage schwarzer U.S.-Amerikaner allgemein sowie das Verbot an Duke Power, seine Beschäftigungskriterien weiterhin zu verwenden, d.h. an die Auswirkungen der historischen Diskriminierung anzuknüpfen. Im Regelungsbereich des Arbeitsrechts liegt freilich nur letzterer Weg, weshalb der Supreme Court ihn beschritt.

aa) Kollektiv-individuelle

Ausprägung

Anhand der Griggs Entscheidung lassen sich die besonderen Charakteristika dieses materiellen Gleichheitsverständnisses herausarbeiten. Im Gegensatz zum stark individualistisch geprägten formalen Gleichheitsverständnis ist ein um Ausgleich bestimmter Missstände bedachtes Gleichheitsverständnis gruppenbezogen. Ausgelöst wird sein Anwendungsbereich nur durch die bestehende Disparität in den Erfolgsaussichten von Angehörigen zweier Personengruppen - in Griggs von schwarzen und weißen Arbeitnehmern - auf vorteilhafte Arbeitnehmerentscheidungen. Ein einzelner Bewerber schwarzer Hautfarbe hätte dagegen nicht die Modifizierung der Beschäftigungskriterien von Duke Power 60 401 U.S. 424 (1971). Die besondere Bedeutung dieser Entscheidung liegt vor allem in der Grundsteinlegung des Konzepts der mittelbaren Diskriminierung. 61 Griggs v. Duke Power Co292 F. Supp. 243, 250 (M.D. N.C. 1968); Griggs v. Duke Power Co., 420 F.2d 1225 (1970). 62 Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424, 430 (1971). 63 Vgl. dazu bereits Gasion County v. United States, 395 U.S. 285 (1969).

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

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durchzusetzen vermocht, selbst wenn er hätte darlegen können, dass er in der Vergangenheit zum Opfer von Diskriminierungen wurde und gerade aufgrund dieses Umstandes nicht zur Erfüllung der Auswahlkriterien imstande war. Trotz dieses Gruppenbezuges ist ein individualistischer Einschlag unverkennbar. Das individuelle Gruppenmitglied erfährt aufgrund der Bezugnahme auf seine Gruppenzugehörigkeit eine nachteilige Behandlung und eben dieser Missstand soll ausgeglichen werden. Die Gruppenzugehörigkeit wird zum Indiz einer individuellen Verletzung. Im Gegensatz zum streng individualistischen formellen Gleichheitsverständnis kann das ausgleichende Gleichheitsmodell damit als kollektiv-individuell charakterisiert werden.

bb) Zeitlich begrenzter Wirkungsbereich Aus der Ausgleichsfunktion dieses Gleichheitsverständnisses folgt zudem sein zeitlich begrenzter Wirkungsbereich. Nur solange die unterschiedlichen Erfolgsaussichten der Gruppenangehörigen das Produkt der früheren Verletzung des formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes sind, wird die erneute formelle Ungleichbehandlung legitimiert. Sind die Bildungschancen schwarzer und weißer U.S.-Amerikaner erst einmal angeglichen, d.h. werden beide Bevölkerungsgruppen in ihrem Zugang zum Erhalt eines High School Abschlusses formal gleich behandelt, entfällt damit zugleich die Rechtfertigung für ein Verbot daran anknüpfender Auswahlkriterien. Das Bestehen historischer Diskriminierung eröffnet damit die Tür zur Anwendung dieses Gleichheitsverständnisses, der Abbau dieser Benachteiligungen schließt sie. Zu einem weiteren Verständnis in diesem Punkt würde man nur unter Vertretung der Auffassung gelangen, dass die Disparität in den Erfolgsaussichten zwischen den Gruppenangehörigen per se zurückführbar auf das Bestehen historischer Diskriminierung ist. In jedem Fall aber wird unter Zugrundelegung dieses Gleichheitsverständnisses ab einem imaginären Zeitpunkt in der Zukunft formelle Gleichbehandlung zur Herstellung der Chancengleichheit im Erwerbsleben ausreichen.64

cc) Wahrung des Rechts zur leistungsorientierten

Arbeitnehmerauswahl

Von besonderem Interesse für das materielle Gleichheitsverständnis ist - unabhängig von dem der jeweiligen Konzeption zugrunde liegenden Gerechtigkeitselement - die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit es mit dem Arbeitgeberinteresse an der leistungsorientierten Auswahl seiner Arbeitnehmerschaft kollidiert. Unbestritten ist, dass der Diskriminierungsschutz den Arbeitgeber nie 64

Vgl. United Steelworkers concurring).

v. Weber, 443 U.S. 193, 216 (1979) (Justice Blackmun

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

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zur Beschäftigung ungeeigneter Arbeitnehmer nötigt.65 Inwieweit aber sein Interesse an der Auswahl des besseren zweier gleichsam geeigneter Arbeitnehmer geschützt wird, ist schwieriger zu beurteilen und hängt maßgeblich von dem gewählten Gleichheitsverständnis ab. Rein formelle Gleichbehandlung lässt meritokratische Entscheidungen stets gewähren.66 Das hier im Vordergrund stehende ausgleichende Gleichheitsverständnis hingegen kann gegen den Grundsatz der leistungsorientierten Auslese verstoßen, muss es aber nicht. In der Griggs Entscheidung etwa stellte der Supreme Court fest, dass weder das Erfordernis eines High School Abschlusses noch das Bestehen der Intelligenzteste nachweisbar mit der Fähigkeit zur erfolgreichen Absolvierung der Arbeitsleistung in Zusammenhang zu bringen war. 67 Die Geeignetheit der Arbeitnehmer war damit nicht in Frage gestellt. Für die wichtigere Frage nach der Zulässigkeit der Berücksichtigung des über das erforderliche Mindestmaß hinausgehenden Leistungsvermögens lässt sich daraus entnehmen, dass das Arbeitgeberinteresse an der Berücksichtigung formaler Leistungsindikatoren zumindest dann nicht geschützt wird, wenn es in keinem Zusammenhang mit der Arbeitsproduktivität steht.68

b) Verteilungsgerechtigkeit Materielle Gleichheit wird bisweilen konzeptionell weiter gefasst, indem von der Voraussetzung des Bestehens eines Missstandes abgesehen wird. 69 Erfolgsaussichten im Erwerbsleben sind nach diesem Modell gleichmäßig oder zumindest proportional zwischen Angehörigen verschiedener Personengruppen ohne Rücksicht auf deren individuelle Leistungsfähigkeit zu verteilen.70 In der Verteilung selbst und nicht in der Überwindung eines bestimmten Missstandes wird der Gerechtigkeitsgehalt dieser Maßnahmen erblickt. Freilich sind Überschneidungen möglich. Mit der in §71 Abs. 1 SGB IX festgeschriebenen Pflicht eines Arbeitgebers zur Beschäftigung einer gewissen Anzahl von

65 EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 177/88, Slg. 1990,1-3941, Rz. 14 (Dekker); BAG, Urt. v. 12.11.1998 - 8 AZR 365/97, AP Nr. 16 (§ 611a BGB); LAG Berlin v. 14.7.2004, NZA-RR 2005, 124, 125 (§ 61 la BGB); LAG Hamm v. 4.6.2004, AuA 2005, 56 (§ 81 Abs. 2 SGB IX); Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424, 430-431 (1971). Zur eventuellen Beschränkung der Geeignetheitsprüfung auf die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen vgl. im 1. Kapitel unter B. II. 66 Dazu, dass die Garantie formeller Gleichheit derartige Arbeitgeberentscheidungen nicht notwendigerweise bedingt, vgl. im 1. Kapitel unter A. I. 3. 67 Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424,431 (1971). 68 Zur entsprechende Debatte vgl. Fallon , 60 B.U.L. Rev. 815 (1980). 69 Becker, 53 U. Chi. L. Rev. 934, 937 (1986);te/man, 104 Harv. L. Rev. 1158, 1183-1198 (1991); Strauss, 79 Geo. L. J. 1619, 1644(1991). 70 Chamallas, 31 UCLA L. Rev. 305, 333 (1983).

78

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

schwerbehinderten Menschen will der Gesetzgeber beispielsweise die berufliche Integration von Angehörigen dieser Personengruppe fördern. 71 Mit zunehmender Beschäftigung und damit einhergehender stärkerer Berührung mit schwerbehinderten Menschen ist es aber nicht ausgeschlossen, dass Arbeitgeber eventuell bestehende Ängste, Abneigungen oder Vorurteile gegenüber diesen Menschen revidieren. Der eigentliche „Missstand", dessen Bekämpfung § 7 1 Abs. 1 SGB I X im Auge hat, ist jedoch die Überwindung der mangelnden Beschäftigung dieser Arbeitnehmer als solche; damit einhergehende Änderungen in den Einstellungen der Arbeitgeber sind nicht mehr als ein Reflex. Dementsprechend wird die Notwendigkeit einer Herauf- bzw. Herabsetzung dieser Pflichtquote allein an der Anzahl arbeitslos gemeldeter schwerbehinderter Menschen gemessen (§ 71 Abs. 2 SGB IX). Das Absehen von dem Erfordernis einer historischen Diskriminierung gegen Angehörige der geschützten Personengruppe, d.h. von einer in der Vergangenheit erfolgten formal ungleichen Behandlung, bringt wichtige Konsequenzen mit sich. Im Gegensatz zur ausgleichenden Variante des materiellen Gleichheitsverständnisses, das den Effekt historischer Diskriminierung als überwindbar und zu einem zukünftigen Zeitpunkt als tatsächlich überwunden zugrunde legt, fehlt diesem Ansatz die daraus resultierende zeitliche Begrenzung der Durchbrechung des formellen Gleichheitssatzes. Der Grund hierfür ist, dass die Disparität in den Erfolgsaussichten von Angehörigen verschiedener Personengruppen nach dieser Konzeption nicht die Folge eines unrechtmäßigen Zustandes ist, den es zu bekämpfen gilt. Zwei Erklärungsmodelle für dieses Phänomen sind prinzipiell denkbar. Entweder soll der Grund für die unterdurchschnittliche Repräsentation in einem bestimmten Sektor des Arbeitsmarktes gerade erhalten werden oder aber er wird von vornherein als nicht überwindbar erachtet. Ersteres kann der Fall sein, wenn z.B. unterschiedliche Wertvorstellungen oder kulturelle Differenzen eine ungünstigere Verteilung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt bedingen. Erblickt man dagegen in den unterschiedlichen Erfolgsaussichten der geschützten Arbeitnehmergruppe das Resultat eines nicht veränderbaren Zustandes, fehlt es bereits an der Möglichkeit eines Ausgleichs desselben; die Förderung der Beschäftigung hat sich auf die Herstellung gleicher Ergebnisse zu konzentrieren, d.h. bestimmte Beschäftigungsquoten sind einzuführen. Ein weiteres Spezifikum dieser Variante des materiellen Gleichheitsverständnisses besteht darin, dass ein arbeitgeberseitiges Recht zur leistungsorientierten Arbeitnehmerauswahl nicht besteht. Der Nichterfüllung der Beschäftigungsquote gem. § 71 Abs. 1 SGB I X kann dementsprechend nicht mit dem Einwand begegnet werden, es stünden keine ausreichend qualifizierten schwerbehinderten Bewerber zur Besetzung der Arbeitsplätze zur Verfügung. 72 Dass auch dieser

71 72

ErfK/Rolfs § 71 SGB IX Rn. 1; BVerfG v. 26.5.1981, NJW 1981, 2107, 2110. GK-SGB IX'Großmann, § 71 SGB IX Rn. 15.

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

79

Bereich des Anti-Diskriminierungsrechts dem steten Wandel der Anschauungen unterworfen ist, zeigt die Entwicklung zum Behinderungsbegriff. 73 Erfasst man eine Behinderung als einen außerhalb der Person liegenden und grundsätzlich veränderbaren Umstand, ist damit zugleich ein Wechsel hinweg von rein am Maßstab der Verteilungsgerechtigkeit orientierten Maßnahmen angedeutet.

2. Das Ziel: Gleiche Ergebnisse oder - nur - gleiche Chancen? Eng mit dem Verständnis der verschiedenen Gleichheitsmodelle verwoben, aber dennoch distinkt hiervon zu behandeln, ist eine Diskussion, deren Kern am besten mit dem Wortpaar der Chancen- bzw. Ergebnisgleichheit umschrieben werden kann.74 Hierbei geht es weniger um die soeben thematisierte Frage nach einem dem Gleichheitsverständnis immanenten Gerechtigkeitselement, als um die Bestimmung des Ziels, dem ein wie auch immer geartetes Gleichheitsverständnis entgegenstrebt.

a) Ergebnisgleichheit Der Forderung gleicher Ergebnisse liegt die Vorstellung zugrunde, dass formell gleiche Behandlung allein bestehende Ungleichheiten weiter verschärft, anstatt sie abzubauen.75 Statt Arbeitnehmer lediglich gleich zu behandeln, seien deshalb gleiche Ergebnisse zu schaffen und auf diese Weise auf die tatsächliche Gleichstellung benachteiligter Arbeitnehmergruppen hinzuwirken. Mit,»Ergebnissen" ist im Erwerbsleben vor allem eines gemeint: Die Verteilung von Arbeitsplätzen, d.h. Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten. Entsprechend groß ist die Kontroverse, die dieses Ansinnen hervorruft. Insbesondere im Kontext der Beurteilung von Frauenquoten wird nicht selten von „Gleichmacherei" gesprochen.76 Obgleich viele der angemeldeten Bedenken gewichtig und in der Sache

73

Ausf. hierzu im 3. Kapitel unter A. II. Zu möglichen Überschneidungen beider Konzepte siehe Schweizer, Gleichberechtigungssatz, S. 145 („ergebnisbezogene Chancengleichheit"). Dafür, dass diese Entscheidung an Brisanz verliere solle, wenn man Frauen aus der traditionellen Rollenverteilung befreit, jetzt auch Kocher, RdA 2002, 167, 170. Richtiger wird man das Aufbrechen entsprechender Rollenmodelle als Grundvoraussetzung für die Verwirklichung von Chancengleichheit verstehen müssen; die Schaffung gleicher Ergebnisse ist dagegen selbst unter Aufirechterhaltung überkommender Anschauungen denkbar. 75 Der Fall, dass formelle Gleichbehandlung notwendig zu gleichen Ergebnisse führt, dürfte rein theoretischer Natur sein, da er exakt gleiche Rahmenbedingungen voraussetzt die sich in der Realität des Arbeitslebens nicht finden lassen. Siehe auch Fredman, Discrimination Law, S. 11. 76 Kissel RdA 1988, 193; Sachs, NJW 1989, 553. 74

80

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

gerechtfertigt sind77, ist dieser Rhetorik der Vorwurf eines mangelnden Differenzierungsbewußtseins zu unterbreiten. Ein näherer Blick auf den Begriff der Ergebnisgleichheit offenbart, dass dieser keineswegs amorph ist: Die Herstellung gleicher Ergebnisse kann aus zwei grundsätzlich unterschiedlichen Perspektiven betrieben werden.78

aa) Gruppenbezogene Ergebnisgleichheit Zunächst kann das Augenmerk auf eine Gruppe geschützter Arbeitnehmer insgesamt gerichtet sein. In dieser Form ist mit dem Verlangen nach Ergebnisgleichheit die Forderung verbunden, Arbeitnehmer der geschützten Personengruppe in einer gewissen Kategorie proportional zu ihrer Verteilung in der Arbeitnehmerschaft oder Gesellschaft als Ganzes zu beschäftigen. Tragendes Gerechtigkeitselement dieser Konzeption wird überwiegend ein rein verteilendes, möglicherweise aber auch ein ausgleichendes Gleichheitsverständnis sein. Das Ziel eines Arbeitgebers kann danach beispielsweise darin bestehen, ebenso viele Frauen auf der Managementebene seines Unternehmens wie in Einstiegspositionen zu beschäftigen. Die Mittel hierzu können variieren. Als weitreichendste Maßnahme kommen feste Quoten in Betracht, wonach der Arbeitgeber bis zur Erreichung der Zielvorgabe ausschließlich Frauen auf diesen Positionen einstellt, ungeachtet eventuell besser qualifizierten männlicher Mitbewerber. In den USA kann in diesem Vorgehen eine zulässige affirmative action liegen79, nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt eine derartige automatische Bevorzugung gegenüber männlichen Bewerbern gegen Art. 2 Abs. 4 der Gleichbehandlungsrichtlinie.80 Dem Quotensystem zur Förderung schwerbehinderter Menschen hingegen wurde durch das BVerfG die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bescheinigt81, nunmehr hat es sich darüber hinaus an den Vorgaben der Rahmenrichtlinie zu messen. Denkbar sind ebenso weniger einschnei-

77

Vgl. zur affirmative action im 5. Kapitel unter C. IV. 1. Diese Kategorisierung wird dem Zweck der Darstellung am besten gerecht. Theoretisch denkbar sind noch detaillierte Aufgliederungen, vgl. etwa Engels , Chancengleichheit, S. 20 ff. 79 Johnson v. Transportation Agency , 480 U.S. 616 (1987). Näher zu den Voraussetzungen der affirmative action siehe auf S. 210. Einen Überblick über die Entwicklung gibt Brody , 29 Akron L. Rev. 291 (1996). 80 EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93, Slg. 1995, 1-3051, Rz. 22 f. (Kaianke). Zur möglichen Unterscheidung zwischen freiwilligen und auferlegten Fördermaßnahmen vgl. Hanau in: Gedächtnisschrift Lüderitz, S. 241 ff. Ausf. zur Zulässigkeit positiver Fördermaßnahmen nach EU-Recht, vgl. Erflü Schlachte r § 61 la BGB Rn. 18 ff; Thüsing , DB 2002, 1452; Uder , EzA RL 207/76 EGV 1999 Nr. 4. 81 BVerfG v. 26.5.1981, NJW 1981, 2107. 78

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

81

dende Mittel. 82 Das Zur-Verfügung-Stellen von Kinderbetreuungsplätzen für alle Arbeitnehmer beispielsweise mag die Verweildauer weiblicher Arbeitnehmer in Unternehmen und damit ihre Aufstiegschancen positiv beeinflussen; auch hierin kann eine auf die Herstellung gleicher Ergebnisse zielende Maßnahme erblickt werden.

bb) Individuelle

Ergebnisgleichheit

Ergebnisgleichheit kann darüber hinaus mit Blick auf individuelle Arbeitnehmer als Mitglieder der geschützten Personengruppe aber unter Außerachtlassung der übrigen Gruppenmitglieder gewollt sein. Konzeptuell harmoniert dieses Vorgehen zum einen mit dem ausgleichenden Gleichheitsverständnis, indem es den Gruppenstatus als Anlass für den Ausgleich eines individuell erfahrenden Nachteils nimmt. Gestattet der Arbeitgeber etwa einem Sikh das Tragen eines Turbans als Ausnahme zu dem ansonsten für Positionen mit Kundenkontakt platzgreifenden Verbot von Kopfbedeckungen, schafft dies gleiche Ergebnisse, da der entsprechende Arbeitnehmer nunmehr ebenso zur Wahrnehmung dieser Position befähigt ist wie alle anderen Arbeitnehmer auch. Die individuelle Herstellung gleicher Ergebnisse wird in diesem Fall durch das Gewähren einer bloßen Ausnahme erreicht, eine über den Einzelfall hinausreichende Veränderung der Arbeitsbedingungen erfolgt damit noch nicht. Verlangt man von einem Arbeitgeber die Modifizierung einer scheinbar neutralen Regel, damit ein bestimmter, von dem Erhalt einer Leistung anderweitig ausgeschlossener Arbeitnehmer in den Genuss derselben gelangt, schafft auch dieses Vorgehen gleiche Ergebnisse. Wird beispielsweise einem blinden Arbeitnehmer die Unterstützung durch einen Vorleser gewährt, mit der Folge, dass dieser besser qualifiziert ist als eventuelle Mitbewerber und folglich einen - für den Moment unterstellten - Anspruch auf Einstellung hat, ist auch dies ein Fall der Ergebnisgleichheit. Zur proportionalen Bevorzugung aller behinderten Menschen im Betrieb führt sie allerdings noch lange nicht.

b) Chancengleichheit Während die Schaffung gleicher Ergebnisse sowohl im Richtlinientext als auch in ihrer Begründung keine ausdrückliche Erwähnung findet, fehlt es in beiden Dokumenten nicht an expliziten Hinweisen auf die besondere Bedeutung der Chancengleichheit. Die Kommission selbst sieht die EU dem Prinzip der

82

Zu § 71 SGB IX vgl. auch im 1. Kapitel unter A. III. 1.

82

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

Chancengleichheit für alle Bürger „voll und ganz" verpflichtet. 83 Von daher verwundert es kaum, dass die Rahmenrichtlinie hervorhebt, dass Beschäftigung und Beruf ... Bereiche [sind], die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle ... von entscheidender Bedeutung sind."84 Chancengleichheit jedoch ist ein schillernder Begriff, der seinerseits vielfältige Interpretationsmöglichkeiten zulässt.85 Nähere Angaben darüber, was Chancengleichheit insbesondere für behinderte Menschen bedeutet und wie sie verwirklicht werden soll, enthält die Rahmenrichtlinie allerdings nicht. Ältere Aussagen zu diesem Thema bleiben vage. Im Zuge der Anerkennung der sozialen Dimension der Behinderung heißt es etwa, der Grundsatz der Chancengleichheit sei ein zentraler Wertbegriff, der „die Beseitigung jeglicher negativer Diskriminierung von Behinderten und die Verbesserung ihrer Lebensqualität" beinhalte.86 Dass Chancengleichheit mehr als das Nichtvorhandensein von Ungleichbehandlungen bedeuten kann, offenbart der Rat in seiner Entschließung betreffend gleicher Beschäftigungschancen für behinderte Menschen, die von der Rahmenrichtlinie in Bezug genommen wird. 87 Die Herstellung gleicher Chancen beinhaltet danach die Gewährung von angemessener Unterstützung, und zwar nicht nur hinsichtlich der Ausstattung des Arbeitsplatzes, sondern insbesondere auch beim Zugang zu demselben.88

aa) Präzisierung

des Richtlinienziels

Beiträge zur Chancengleichheit bedienen sich gerne der Metapher eines Wettlaufes: Gleichheit könne dann nicht erreicht werden, wenn die Läufer von verschiedenen Startpunkten aus dem gleichen Ziel entgegenzulaufen hätten. Chancengleichheit mache sich daher die Vereinheitlichung der Startbedingungen zur Aufgabe. 89 Gemeinsam mit Verfechtern der Schaffung gleicher Ergeb-

83

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, KOM (1999) 565 endg. Siehe ebenso die Mitteilung der Kommission zur Chancengleichheit fiir behinderte Menschen, KOM (1996) 406 endg. 84 Erwägungsgrund Nr. 9. 85 Vgl. hierzu die ausführliche Abhandlungen von Engels , Chancengleichheit, S. 20 ff. Zum Begriff der Chancengleichheit im Kartellrecht siehe EuGH, Urt. v. 19.3.1991 - Rs. C-202/88, Slg. 1991, 1-1223, Rz. 51 (Französische Republik); EuGH, Urt. v. 22.5.2003 - Rs. C-462/99, Slg. 2003,1-5197, Rz. 83 (Connect Austria). 86 Entschließung des Rates und der im Rat Vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20.11.1996 zur Chancengleichheit für Behinderte, ABl. Nr. C 12 v. 13.1.1997, S. 1. 87 Siehe den 27. Erwägungsgrund. 88 ABl. Nr. C 186 v. 2.7.1999, S. 3,4. 89 Statt vieler siehe nur Barnard/Hepple , Substantive Equality, 59 C.L.J. 562, 565566 (2000).

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

83

nisse sehen Vertreter des Prinzips der Chancengleichheit die Gefahr, dass formelle Gleichbehandlung bestehende Ungleichheiten perpetuieren kann.90 Gleichzeitig jedoch sprechen sie diesem Gleichbehandlungsgrundsatz seine Bedeutung bei der Überwindung bestehender Ungleichheiten zu und sind deshalb bemüht, Abweichungen von dem Gebot formeller Gleichbehandlung auf ein Mindestmaß zu begrenzen.91 An näheren Konkretisierungen fehlt es aber zumeist. Präziser etwa definiert Peter Westen eine Chance als die Möglichkeit einer Person, ein Ziel in Abwesenheit eines Hindernisses oder einer Mehrheit von Hindernissen zu erreichen. 92 Chancengleichheit sei demzufolge die Möglichkeit einer Gruppe von Personen, dasselbe Ziel in Abwesenheit derselben Hindernisse zu erreichen. 93 Primärer Effekt von Maßnahmen, die auf eine Herstellung von Chancengleichheit abzielen, ist damit die Beseitigung von bestimmten Hindernissen. Gleichheit setzt nach diesem Verständnis gleiche Mittel voraus, d.h. die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Arbeitnehmer in den Genuss der Einstellung, Beförderung oder einer sonstigen vorteilhaften Arbeitgebermaßnahme gerät, muss angeglichen werden.94 Gleiche Ergebnisse sind damit nicht garantiert. 95 Einer Gruppe von Personen können daher gleiche Chancen bei der Bewerbung auf eine Arbeitstelle gewährt werden, obwohl nur einer von ihnen letztendlich die Stelle bekommt. Das Hauptproblem der Konkretisierung des vagen Begriffs der Chancengleichheit liegt damit auch nicht in seiner recht offenkundigen Abgrenzung zur Schaffung gleicher Ergebnisse, sondern in der Bestimmung jener Hindernisse, deren Beseitigung zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist. Wichtig ist es an dieser Stelle zu erkennen, dass mit der bloßen Benennung des Ziels der Chancengleichheit keine Festschreibung eines bestimmten Gleichheitsverständnisses verbunden ist - die Beseitigung von tat-

90

Fredman, Discrimination Law, S. 14. St. Rspr. des EuGH. In diesem Sinne die Aussage, der formelle Gleichbehandlungsgrundsatz verbürge ein individuelles Recht und sei deshalb eng auszulegen, siehe z.B. EuGH, Urt. v. 15.5.1986 - Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rz. 36 (Johnston). Siehe ebenso EuGH, Urt. v. 19.3.2002 - Rs. C-476/99, Slg. 2002, 1-2891, Rz. 33 (Lommers) mit Anm. Leder, EzA RL 207/76 EGV 1999 Nr. 4, wonach formell ungleich behandelnde Regelungen „Teil eines begrenzten Konzepts zur Verwirklichung der Chancengleichheit" sind (Hervorhebung durch den Verfasser). 92 Westen, 95 Ethics 837, 841 (1985). 93 Westen, 95 Ethics 837, 844 (1985). 94 Vgl. allg. auch Barnard/Hepple , 59 C.L.J. 562 (2000); Fredman , „A Critical Review of the Concept of Equality in U.K. Anti-Discrimination Law", Independent Review of the Enforcement of U.K. Anti-Discrimination Legislation, Working Paper No. 3, Cambridge Centre for Public Law and Judge Institute of Management Studies, November 1999; Dworkin , Sovereign Virtue, passim. Rosenfeld , 74 Cal. L. Rev. 1687 (1986). 95 Vgl. Rae/Yates, Equalities, S. 64: „Opportunities of power, right, and acquisition are to be equal; power, right, and acquisition themselves are not". 91

84

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

sächlich bestehenden Ungleichheiten ist ebenso unter Beachtung formeller Rechtsgleichheit denkbar wie unter Außerachtlassung dieses Prinzips.96 Dennoch ist es von besonderer Bedeutung, sich darüber Klarheit zu verschaffen, welches Gleichheitsverständnis zur Ausfüllung des Begriffs der Chancengleichheit herangezogen werden soll, denn die Wahl der Gleichheitskonzeption beeinflusst wiederum den Kreis jener Hindernisse, deren Beseitigung angestrebt wird.

bb) Formelles Verständnis

der Chancengleichheit

Als ein Minimum verlangt Chancengleichheit die Beseitigung formell ungleich behandelnder Gesetze.97 In einer Gesellschaft mit annähernd gleichem Wohlstandsniveau kann beispielsweise die Außerkraftsetzung eines ethnische Minderheiten am Erwerb von Grund und Boden hindernden Gesetzes ihnen gleiche Erwerbschancen garantieren. 98 Im Arbeitsrecht ist man bei einem derartigen rein formellen Verständnis der Chancengleichheit nicht stehen geblieben, sondern hat anerkannt, dass besondere, formal ungleich behandelnde Maßnahmen zur Erreichung gleicher Chancen im Erwerbsleben vonnöten sein können. Der Grundstein für ein solches weiter greifendes Verständnis der Chancengleichheit wurde im europäischen Arbeitsrecht durch die Gleichbehandlungsrichtlinie gelegt. Diese bestimmt in Art. 2 Abs. 4 ausdrücklich, dass „diese Richtlinie nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen" entgegensteht. Chancengleichheit muss damit mehr fordern als die Beseitigung formeller Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, denn dies verlangt bereits Art. 2 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie. Als Ausnahme von dem an dieser Stelle statuierten „Grundsatz der Gleichbehandlung" muss Chancengleichheit vielmehr ein weiter reichendes, materielles Gleichheitsverständnis zugrunde liegen.

cc) Materielles

Verständnis

der Chancengleichheit

Ein materielles Verständnis der Chancengleichheit verlangt, dass alle Personen gleiche Chancen zur Erfüllung jener Kriterien haben, von denen die Verga-

96 Ein formelles Verständnis von Chancengleichheit findet sich etwa bei Hepple , 10 Oxford J. Legal Stud. 408,412 f. (1990). 97 Selbst bei einem rein formellen Verständnis von Chancengleichheit fällt dieses inhaltlich nicht mit dem (formellen) Diskriminierungsverbot zusammen. Während letztes nur die Beseitigung jener Hindemisse gebietet, die gerade an die Zugehörigkeit zu der geschützten Personengruppe anknüpfen, geht ersterer Ansatz darüber hinaus. 98 Rosenfeld , 74 Cal. L. Rev. 1687, 1695 (1986).

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

85

be einer Leistung abhängig gemacht wird." Im Arbeitsrecht spielte jener Begriff bislang bei der Interpretation der Gleichbehandlungsrichtlinie eine maßgebliche Rolle. Ausnahmen vom prinzipiellen Verbot unmittelbarer bzw. mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts waren dort nach Abs. 2 Abs. 4 zulässig, soweit sie die Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen zum Ziel hatten. Entsprechende Maßnahmen fanden im Gefolge der Kalanke-Entscheidung als sog. positive Maßnahmen ihren Eingang in die Dogmatik zum europäischen Diskriminierungsrecht. 100 Obwohl beide Begriffe bereits nach dem Sprachgebrauch der Gleichbehandlungsrichtlinie keinesfalls deckungsgleich sind, stellte der EuGH lange Zeit kein besonderes Differenzierungsbewusstsein zur Schau: als zulässige positive Maßnahme qualifizierten im Wesentlichen jene Durchbrechungen des formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes, die unter dem Begriff der Chancengleichheit subsumierbar waren. 101 Chancengleichheit auf europäischer Ebene wurde damit bislang mit dem ausgleichenden Gleichheitsverständnis positiver Maßnahmen verbunden und folglich dessen spezifischen Grenzen unterworfen. Angemessene Vorkehrungen und positive Maßnahmen sind jedoch keinesfalls deckungsgleich. Stimmen damit sowohl die Gleichbehandlungs- als auch die Rahmenrichtlinie in ihrem Ziel der Verwirklichung der Chancengleichheit überein, können die jeweils eingesetzten Mittel durchaus divergieren.

3. Begrenzter persönlicher Wirkungskreis

materieller

Gleichheit

Sucht man allgemein nach den Grenzen von beschäftigungsfördernden Maßnahmen, die auf einem materiellen Gleichheitsverständnis aufbauen, erscheinen bereits an dieser Stelle zwei Beobachtungen angebracht. Zum einen stellt, von einem ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, ein Konzept materieller Gleichheit die Forderung an ein Anti-Diskriminierungsrecht, über das hinauszugehen, was ein idealer, d.h. effizienter, Markt gewährleisten würde. Besonderes anschaulich macht dies das Konzept angemessener Vorkehrungen, das einen Arbeitgeber erst dann von der Verpflichtung zur Anpassung der Arbeitsumgebung an die besonderen Bedürfnisse eines behinderten Beschäftigten freistellt, wenn er dadurch unverhältnismäßig belastet wird; unter dieser Schwelle liegende Belastungen hat er dagegen auf sich zu nehmen. Zum anderen kann materiel99

Williams, Ideaof Equality, S. 110. EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93, DB 1995, 2172. 101 EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93, Slg. 1995,1-3051, Rz. 22 f. (Kaianke); EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs.C-409/95, Slg. 1997, 1-6363, Rz. 26 f. (Marschall); EuGH, Urt. v. 28.3.2000 - Rs.C-158/97, Slg. 2000, 1-1875, Rz. 19 (Badeck). Einen Überblick über die Entwicklung positiver Fördermaßnahmen gibt Körner, NZA 2001, 1046, 1051. 100

86

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

le Gleichheit im Gegensatz zur rein formellen Gleichbehandlung nicht beliebig ausgeweitet werden. Einem aus anderen Rechtsordnungen bekannten generellen Diskriminierungsverbot 102 oder der Erweiterung der bestehenden formellen Gleichbehandlungsgebote um weitere schützenswerte Personengruppen103 stehen aus gleichheitstheoretischem Blickwinkel keine Bedenken gegenüber, d.h. eine Effektivitätsgrenze besteht nicht. 104 Sobald man aber die Beschäftigungssituation einer geschützten Personengruppe auf dem Arbeitsmarkt mit Hilfe eines auf einem materiellen Gleichheitsverständnis aufbauenden Konzepts fördert, ändert sich dieser Befund. Jede Ausweitung der geschützten Personengruppe birgt die Gefahr einer Verwässerung des bereits erreichten Schutzniveaus einer bereits besonders geförderten Personengruppe mit sich.105 Die besondere Förderung aller Arbeitnehmer entspricht im Ergebnis der Förderung keines Arbeitnehmers.106 Während die Gewährleistung formeller Gleichheit damit zumindest in der Theorie für alle Arbeitnehmer erreichbar ist, kann materielle Gleichbehandlung nur zahlenmäßig begrenzte Personengruppen aus der Menge der Arbeitnehmerschaft herausgreifen. Welche Gruppen besonderer Förderung würdig sind, ist eine politische Frage. An dieser Stelle soll nur festgehalten werden, dass nur begrenzter Schutz effektiver Schutz ist.

102 Vgl. z.B. Section 15 der Canadian Charter of Rights and Freedoms. Hinzuweisen ist darauf, dass aus arbeitsrechtlicher Sicht die Forderung nach einem generellen Diskriminierungsverbot zumindest missverständlich ist. Wie gezeigt, ist der Begriff der formellen Gleichheit ein relativer; die Forderung, alle Arbeitnehmer gleich zu behandeln, macht vor diesem Hintergrund wenig Sinn. Worum es in der Sache geht ist auch etwas anderes, nämlich es dem Arbeitgeber zu verbieten, bei seinen Entscheidungen auf sachfremde, d.h. mit der Arbeitsleistung in keinen Zusammenhang stehende, Kriterien abzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass selbst irrationale Entscheidungen grundsätzlich von der Privatautonomie geschützt werden. 103 Im U.S. Bundesstaat New York ist beispielsweise über das Bundesrecht hinausgehend die Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zum Militär, der genetischen Veranlagung oder dem Familienstand verboten, siehe NY CLS Exec § 296 (1) (a) (2004). 104 Rein praktisch mag dies anders sein, da eine Zunahme von Diskriminierungsstreitigkeiten nicht notwendigerweise zu einem korrekteren Umgang miteinander im Erwerbsleben führen muss, sondern umgekehrt gerade zur „Abstumpfung" betragen kann. Vgl. in diese Richtung auch Ford, 47 UCLA L. Rev. 1803, 1811 (2000) („The plaintiff grasping for analogies on this slippery slope threaten[s] to drag the more solidly grounded civil rights litigant along with her into the breach"). 105 Besonders instruktiv ist der Fall Personnel Administrator v. Feeney aus dem amerikanischen Recht, 442 U.S. 256 (1979), wo die bevorzugte Einstellung von Kriegsveteranen nach der „Massachusetts' veterans' preference statute" einer weiblichen Staatsangestellten den beruflichen Aufstieg faktisch unmöglich machte. 106 Vgl. Donohue, 92 Mich. L. Rev. 2583, 2590 (1994) („In the extreme case, affirmative action for all becomes affirmative action for no one").

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

87

III. Gleichheit, Würde und die Stellung der Belästigung in diesem System Spätestens mit Eingliederung des Belästigungsverbots in das System des Diskriminierungsschutzes der Rahmenrichtlinie und damit in den Zusammenhang der Gleichbehandlungsgebote sind einige Gedanken zur Beziehung von Würdeschutz und Diskriminierungsverbot angezeigt.107 Im Abstrakten besteht wenig Anlass, die enge Beziehung von Würde und Gleichheit in Zweifel zu ziehen, die sich im Anschluss an Paul Kirchhof wie folgt umschreiben lässt: Die Garantie gleicher Freiheit ist eine Bedingung zur Verwirklichung der Menschenwürde ebenso wie Gleichheit ihrerseits letztlich nur auf der Basis gleicher Würde bestehen kann. 108 Was bleibt, ist die Frage danach, ob und inwieweit sich aus dieser Wechselwirkung beider Prinzipien konkrete Folgerungen für das Anti-Diskriminierungsrecht ergeben, die ihrerseits den Diskriminierungsschutz wegen einer Behinderung zu formen und zu gestalten vermögen.

7. Bestimmung des gegenständlichen Geltungsbereichs des Diskriminierungsverbots Bei offenen Diskriminierungstatbeständen, d.h. solchen, die gleich der Canadian Charter of Rights and Freedoms die verbotenen Anknüpfungsmerkmale eines Benachteiligungsverbots nicht enumerativ auflisten 109, kann die Menschenwürde zur Bestimmung der Reichweite des Benachteiligungsverbots herangezogen werden. Der Canadian Supreme Court geht diesen Weg, wenn er hervorhebt, dass „Gleichheit bedeutet, dass unsere Gesellschaft gesetzliche Unterscheidungen nicht tolerieren kann, die bestimmte Personen als Bürger zweiter Klasse behandeln, sie erniedrigen, sie ohne guten Grund als weniger tauglich behandeln, oder die auf sonstige Weise die Menschenwürde verletzen". 110 Eine Person oder Personengruppe wird mit anderen Worten dann unerlaubt diskriminiert, wenn eine legislative Differenzierung ihnen das Gefühl vermittelt, sie wären als Menschen weniger Wert als andere Mitglieder der Gesellschaft. 111 Der Zweck der Gleichheitsgarantie liegt dementsprechend, wie das Gericht an anderer Stelle betont, darin, dass sie die Verletzung der Menschenwürde „durch die stereotype Anwendung von unterstellten Gruppenmerkmalen anstelle einer Be-

107

Zu dieser Thematik vgl. bereits Baer, Würde oder Gleichheit, S. 214 ff.; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 37 f. 108 Kirchhof, HStR, § 124 Rn. 99 ff. 109 Schedule B, Constitution Act, 1982, Part I, Section 15. Siehe ebenso Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 364 v. 18.12.2000 S. 1,13. 110 Egan v. Canada [1995] 2 S.C.R. 513. 111 Vriendv. Alberta [1998] 1 S.C.R. 493.

88

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

urteilung auf Grundlage von Verdienst, Leistungsfähigkeit oder der Einzelumstände" verhindere. 112 Was Paul Kirchhof für das Verfassungsrecht artikuliert hat, prägt hier unmittelbar das Anti-Diskriminierungsrecht.

2. Inhaltliche Modifizierung

des Gleichbehandlungsgebots

Der Einfluss der Menschenwürde auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beschränkt sich nicht auf die Möglichkeit, zur Aufzeigung der gegenständlichen Grenzen des Diskriminierungsverbots einen Beitrag zu leisten.

a) Absenkungsverbot bei Würdeverletzungen Sandra Fredman spricht der Menschenwürde darüber hinaus die Funktion zu, das Gleichheitsprinzip dahingehend zu modifizieren, dass die gleichermaßen schlechte Behandlung beider Vergleichsgruppen bzw. die Angleichung der Behandlung zweier Gruppen durch den Entzug des Vorteils für die bislang begünstigte Gruppe den Gleichbehandlungsgrundsatz verletze. 113 Ein derartiges »Absenkungsverbot" hat in der Rechtsprechung bislang keine Zustimmung gefunden 114 und selbst wenn eine entsprechende „Flucht nach unten" aus beschäftigungspolitischer Perspektive als unwillkommene Folge des Gleichbehandlungsgrundsatzes erscheinen muss, sind doch Zweifel daran anzumelden, ob der Weg über die Betonung des Menschenwürdegehalts zur Vermeidung dieses Ergebnisses der richtige ist. Zum einen wird kaum jede noch so geringe Verminderung eines ehemals gewährten Vorteils zur Annahme einer Würdeverletzung gereichen, will man den Begriff der Würde nicht völlig entleeren. Zweifelhaft ist zum anderen aber auch, ob allein in der Absenkung als solche eine entsprechende Beeinträchtigung der Würde gesehen werden kann. Liegt aber nicht im Vorgang, sondern nur im Ergebnis selbst die Würdeverletzung, bieten sich allgemeine zivilrechtliche Mechanismen eher zur Korrektur dieses unerwünschten Resultats an.

b) Fortbildung des Diskriminierungs- zum Belästigungsverbot Nichtsdestotrotz ist diese „materielle Untermauerung" des formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes durchaus in der Rechtsprechung auszumachen, mit be112

Miron v. Trudel [1995] 2 S.C.R. 418, 489. Fredman , Discrimination Law, S. 18. 1,4 Siehe nur EuGH, Urt. v. 28.9.1994 - Rs. C-408/92, Slg. 1994, 1-4435, Rz. 21 (Smith). 113

A. Die verschiedenen Gleichheitsmodelle des Anti-Diskriminierungsrechts

89

sonderer Deutlichkeit in jener des Vereinigten Königreichs. Dort hat der Einfluss der Menschenwürde auf das Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu einer Ausdehnung des Prinzips unmittelbarer Diskriminierung auf Fälle sexueller Belästigung geführt. 115 Das Verbot unmittelbarer Benachteiligungen beinhaltet nach dieser angelsächsischen Konzeption kein bloßes Gebot formeller Gleichbehandlung, sondern kann in Fallkonstellationen mit Menschenwürdebezug einen materiellen Gehalt beinhalten, mit der Folge, dass zur Feststellung eines Tatbestandes unmittelbarer Diskriminierung die Notwendigkeit eines Vergleichs mit einer Person des anderen Geschlechts in den Hintergrund tritt. 116 Ausreichen kann der Beweis, dass das Geschlecht des Belästigungsopfers die Ursache für die zurücksetzende Behandlung ist. Ob der belästigende Arbeitnehmer eine Person des anderen Geschlechts gleichermaßen schlecht behandelt hätte, bleibt dementsprechend ohne Belang. 117 Wird eine Arbeitnehmerin belästigt, kommt es für den Beweis des Tatbestandes der direct sex discrimination nach section l(l)(a) des Sex Discrimination Act 1975 somit nicht auf einen Vergleich zu der Behandlung an, die ein männlicher Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation erfahren hätte.118 Die Entwicklung zum Zusammenwachsen von Belästigungsverbot und Gleichbehandlungsgebot verlief in England - allgemein gesprochen - somit zweistufig. In einem ersten Schritt wurde die Wechselwirkung zwischen Würde und Gleichheit dazu benutzt, das Diskriminierungsverbot dahingehend zu erweitern, dass es Schutz vor Belästigungen bietet; nicht unähnlich der Rechtsprechung des Canadian Supreme Court hat man sich damit die tatbestandsbildende Wirkung der Menschenwürde zu eigen gemacht. In einem gedanklich sich daran anschließenden zweiten Schritt führte der Gedanke der Würdeverletzung zur Abkehr von der Notwendigkeit einer formellen Ungleichbehandlung. Der Gleichheitssatz war damit nicht mehr als bloßes Vehikel zur Herbeiführung des Schutzes vor Belästigungen. Zwingende Gründe inhaltlicher Natur dafür, bei einer Neukodifizierung des Belästigungstatbestandes sich am Gleichheitsgebot zu orientieren, gibt es damit nicht. 119 Eine Belästigung wird nämlich nicht dadurch rechtmäßiger, dass sie gleichbehandelt, d.h. unterschiedslos jeden Arbeitnehmer trifft. 120 Als „konsequent" kann man die Regelung des Belästi-

115

Vgl. Strathclyde Regional Council v. Porcelli [1986] IRLR 135 (CS). Fredman, Discrimination Law, S. 120. 117 British Telecommunications Plc v. Williams [1997] IRLR 668, 669. 118 Der Verzicht auf eine männliche Vergleichsperson befreit allerdings nicht von der Notwendigkeit darzulegen, dass die Belästigung gerade ,on the ground of her sex* stattfand, siehe jüngst die zusammen entschiedenen Fälle Macdonald v. Advocate General for Scotland und Pearce v. Governing Body of May field School [2003] IRLR 512. Die Richtlinie 2002/73/EG bleibt dabei noch unberücksichtigt. 119 Anders anscheinend Schiek, AuR 2003,44,47. 120 Thüsing, NZA 2001, 1061, 1064. 116

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

90

gungsverbots neben dem Tatbestand der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung innerhalb der Rahmenrichtlinie von dieser Warte aus kaum bezeich-

B. Die Vergleichbarkeit als Anwendungsvoraussetzung des Gleichheitssatzes Der formelle Gleichheitssatz und das auf ihm aufbauende Verbot unmittelbarer Diskriminierung (Art. 2 Abs. 2 lit. a RL) sind nur auf vergleichbare Beschäftigte anwendbar.122 Gleichbehandlung verlangen, bzw. Schutz vor ungerechtfertiger Ungleichbehandlung in Anspruch nehmen, kann ein Beschäftigter mit anderen Worten nur im Verhältnis zu einem anderen, vergleichbaren Arbeitnehmer. Der Frage, wann eben jene Vergleichbarkeit zweier Beschäftigter besteht, kommt vom Standpunkt des unmittelbaren Diskriminierungsschutzes infolgedessen elementare Bedeutung zu. Nichts anderes gilt für das Verbot mittelbarer Diskriminierung (Art. 2 Abs. 2 lit. b RL). Auch dieses Benachteiligungsverbot gründet auf einem formellen Gleichheitsverständnis, wenn auch auf einer gruppenbezogenen anstelle einer rein individuellen Ebene.123 Um Schutz vor mittelbaren Benachteiligungen zu erlangen, hat ein Beschäftigter zu beweisen, dass etwa ein bestimmtes Kriterium ungleiche Auswirkungen auf die Angehörigen zweier vergleichbarer Arbeitnehmergruppen hat.

I. Objektive Geeignetheit zur Arbeitsleistung Bezugspunkt der Vergleichbarkeit iSd. Rahmenrichtlinie ist die Geeignetheit des Beschäftigten zur Ausübung der geschuldeten Arbeit. 124 Sonstige, mit der Arbeitsleistung in keinem Zusammenhang stehende Eigenschaften oder Umstände haben bei der Betrachtung außen vor zu bleiben.125 Die Rahmenrichtlinie betritt auch in diesem Zusammenhang Neuland, indem sie erstmals das Merkmal der Geeignetheit auf europäischer Ebene konkretisiert. Einem Umkehrschluss aus den Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich entnehmen, dass ein 121

So aber Baer , ZRP 2001, 500, 502. Vgl. dazu bereits S. 30. Ebenso BVerfG v. 19.1.1999, NJW 1999, 1853, 1855; v. 8.10.1997, NJW 1998, 131, 132 f. 123 Näher zum Gruppenbezug des mittelbaren Diskriminierungsverbots im 4. Kapitel unter B. II. 2. 124 Zum Erfordernis gleicher Eignung siehe auch BVerfG v. 19.1.1999, NJW 1999, 1853, 1855; BSG v. 23.2.2000, BSGE 85, 298, 303 f.; BSG v. 24.4.1996, BSGE 78, 163, 167; Kokott , in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 127, 158. 125 BAG, Urt. v. 12.11.1998 - 8 AZR 365/97, NZA 1999, 371, 373; Erman/Edenfeld § 61 la Rn. 10; MüKo/Müller-Glöge § 61 la Rn. 13. 122

B. Die Vergleichbarkeit als Anwendungsvoraussetzung des Gleichheitssatzes

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Arbeitnehmer geeignet iS. der Rahmenrichtlinie ist, wenn er „für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes ... kompetent, fähig oder verfügbar ist". 126 Während im Rahmen der Gleichbehandlungsrichtlinie der EuGH zur Feststellung einer Diskriminierung bisweilen noch darauf abstellte, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer subjektiv für geeignet hält 127 , ist der Maßstab nunmehr ein objektiver. Dies entspricht der Rechtslage zu § 611 a BGB, wo anerkannt ist, dass nur ein objektiv zur Arbeit fähiger Arbeitnehmer Schutz vor geschlechtsspezifischen Benachteiligungen genießt.128

IL Begriff und Sinn der Beschränkung auf „wesentliche Arbeitsplatzfunktionen" Interessanter aus deutscher Sicht ist deshalb weniger die Beurteilungsperspektive als die Konkretisierung der Vergleichsbasis: Nicht mehr sämtliche Arbeitsplatzfunktionen, sondern nur noch die wesentlichen dürfen zur Grundlage des Vergleichs gemacht werden. 129 Damit zeigt sich die Rahmenrichtlinie in Übereinstimmung mit dem ADA, der ausdrücklich nur solche behinderten Arbeitnehmer in seinen Schutzbereich einbezieht, die zur Absolvierung der „essential functions" imstande sind. 130 Obwohl der 17. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie diese Verengung der Vergleichsbasis auf alle nach Art. 1 RL geschützten Merkmale anwendbar erscheinen lässt, wird es sich dabei wohl um ein Spezifikum des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung handeln; sechzigjährigen Arbeitnehmern oder Beschäftigten moslemischen Glaubens beispielsweise kann demzufolge auch zukünftig die Absolvierung aller Arbeitsplatzfunktionen abverlangt werden. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Beschränkung auf wesentliche Arbeitsplatzfunktionen letztlich nur im Zusammenspiel mit der Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen sinnvoll ist, jene aber allein zugunsten behinderter Menschen besteht (Art. 5 RL). Ein Blick auf den Ursprung dieser Verengung der Vergleichsbasis zeigt warum.

126

Vgl. den 17. Erwägungsgrund der RL. EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 177/88, Slg. 1990,1-3941, Rz. 14 (Dekker) („ein Arbeitgeber [verstößt] unmittelbar gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ..., wenn er es ablehnt, mit einer von ihm für geeignet befundenen Bewerberin einen Arbeitsvertrag zu schließen..."). 128 BAG, Urt. v. 12.11.1998 - 8 AZR 365/97, NZA 1999, 371, 373; Erman/Edenfeld § 61 la Rn. 10. 129 So auch Whittle, 27 E.L. Rev. 303, 314 (2002). 130 42 U.S.C. § 12111 (8) (2004). 127

92

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes 7. Hintergrund

der Verengung der Vergleichsbasis

Der Rehabilitation Act of 1973 verbietet in sec. 504 die Diskriminierung eines „otherwise qualified individual with a disability".131 Mit der Auslegung des Begriffs „otherwise qualified" hatte sich der Supreme Court erstmals in Southeastern Community College v. Davis auseinander zu setzen.132 Davis, die ihr Hörvermögen fast vollständig verloren hatte, wandte sich gegen ihre Nichtzulassung zu einem Schulungsprogramm für Krankenschwestern. Das Community College hatte ihr zuvor die Ausbildung aus Sicherheitsgründen versagt. Es gäbe im Alltag einer Krankenschwester viele Situationen, in denen das Ablesen der ärztlichen Instruktionen von deren Lippen nicht möglich sei, beispielsweise, wenn diese Masken im Operationssaal trügen. Zu Unrecht, befand die Ausgangsinstanz, denn „otherwise qualified" sei eine Person bereits dann, wenn sie die Anforderungen erfüllt, die sie trotz ihrer Behinderung erfüllen kann. 133 Da Davis gerade aufgrund ihrer Hörbehinderung zum Lippenablesen gezwungen ist, konnte ihr dieser Umstand nach der Argumentation des Fourth Circuit nicht entgegengehalten werden. 134 Der Supreme Court trat dieser zu weit greifenden Begründung zu Recht entgegen und befand, dass „otherwise qualified" nur diejenigen Person sind, die trotz ihrer Behinderung alle Stellenanforderungen erfüllen können.135 Interessanterweise bleibt das Gericht an dieser Stelle nicht stehen, sondern prüft, ob die Anforderungen des Community College an eine Krankenschwester „angemessen" sind. 136 Dies war nach Ansicht des Gerichts der Fall, so dass vorerst offen blieb, wie sich die Unangemessenheit einer Stellenanforderung auf die „otherwise qualified" Voraussetzung ausgewirkt hätte. Sechs Jahre später bot sich dem Supreme Court die Gelegenheit zur Präzisierung dieses Judikats. In Alexander v. Choate führte das Gericht aus, dass seiner Davis-Entscheidung eine Interessenabwägung zugrunde gelegen habe. Das gesetzlich verankerte Recht behinderter Menschen zur gesellschaftlichen Integration müsse in Einklang mit dem Interesse des aus Bundesmitteln finanzierten Programmbetreibers an der Erhaltung der Integrität seines Programms gebracht werden. 137 Letzterer müsse keine „fundamentalen" oder „substantiellen" Modifikationen, wohl aber „angemessene Vorkehrungen" für behinderte Menschen 131

29 U.S.C. § 794 (a) (2004). 442 U.S. 397 (1979). In der seinerzeit gültigen Fassung sprach § 504 noch vom Verbot der Diskriminierung gegen ein „otherwise qualified handicapped individual". Mit der Begriffsänderung durch den ADA wurde die Terminologie des Rehabilitation Act in diesem Punkt angeglichen. 133 Davis v. Southeastern Community College , 574 F.2d 1158 (4 th Cir. 1978). 134 Siehe dort auf S. 1162. 135 442 U.S. 397,406 (1979). 136 Siehe dort auf S. 407. 137 469 U.S. 287, 300(1985). 132

B. Die Vergleichbarkeit als Anwendungsvoraussetzung des Gleichheitssatzes

93

vornehmen. Hergestellt war der Zusammenhang mit dem Konzept angemessener Vorkehrungen. Der Bereich, in dem ein Arbeitgeber auf die Erfüllung seiner Auswahlkriterien beharren darf, deckt sich mit dem Bereich, innerhalb dessen er zur Vornahme angemessener Vorkehrungen verpflichtet ist. Die Beschränkung auf wesentliche Arbeitsplatzfunktionen ist damit ein zweischneidiges Schwert, selbst wenn es sich im Regelfall zugunsten behinderter Beschäftigter auswirkt. Einerseits kann der Arbeitgeber die Erfüllung sonstiger Arbeitsplatzfunktionen nicht verlangen, andererseits muss dieser allerdings einen behinderten Beschäftigten durch spezielle Maßnahmen auch nicht zur ihrer Ausübung befähigen; dies kann Zeit und Kosten sparen.

2. Konkretisierung

am Beispiel des ADA

Der ADA lässt den Rechtsanwender im Gegensatz zur Rahmenrichtlinie nicht völlig bei der Bestimmung der Grenze zwischen „wesentlichen" und „sonstigen" Arbeitsplatzfunktionen im Dunkeln. Das Gesetz selbst kommt Arbeitgebern entgegen, indem es ausdrücklich betont, dass der Arbeitgebereinschätzung darüber, ob eine Funktion wesentlich ist, Rechnung getragen werden soll. 138 Sofern der Arbeitgeber eine schriftliche Beschreibung der Arbeitsstelle angefertigt hat, soll diese darüber hinaus als Beweis für die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen gelten. Dies gilt wohlgemerkt allerdings nur, soweit die Beschreibung bereits vor der Ausschreibung der Stelle bzw. vor Abhaltung von Auswahlgesprächen existierte - Manipulationen sollen auf diese Weise verhindert werden. 139 Die EEOC konkretisiert den Begriff der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen in ihrer Interpretive Guidance on Title I näher und lässt sich dabei überwiegend vom gesunden Menschenverstand leiten. 140 Ob der Arbeitgeber tatsächlich die Ableistung der Funktion verlange, inwieweit ihr Hinwegdecken die Arbeitsstelle fundamental verändere oder ob die Arbeitsstelle nur zur Erfüllung der in Frage stehenden Position existiere, seien zu berücksichtigende Faktoren. Wird ein Beschäftigter etwa zum Korrekturlesen eingestellt, dann sei die Fähigkeit zum Korrekturlesen eine wesentliche Funktion der Arbeitsstelle, weil diese nur deshalb bestehe. Schon interessanter ist die Aussage der EEOC, dass die Anzahl der Arbeitnehmer, die zur Erledigung einer bestimmten Funktion zur Verfügung stehen, Berücksichtigung finden müsse. Diese Feststellung ist für die Interpretation der Rahmenrichtlinie interessant, bietet sie doch ein Einfallstor für die ansonsten

138 139 140

42 U.S.C. § 12111 (8) (2004). 42 U.S.C. § 12111 (8) (2004). Vgl. 29 C.F.R. app., pt. 1630, sec. 1630.2 (n).

94

2. Kapitel: Grundlagen des Gleichbehandlungsgebotes

außen vor bleibenden Belange kleinerer Unternehmen.141 In Treadwell v. Alexander zum Beispiel wurde einem Techniker die Einstellung in einem Park versagt, weil seine Herzprobleme es ihm unmöglich machten, mehr als eine Meile pro Tag zu Fuß zu gehen.142 Das Gericht lehnte die dagegen angestrengte Klage mit der Erwägung ab, die Fähigkeit, größere Entfernungen zu Fuß zu gehen, sei eine wesentliche Arbeitsplatzfunktion. Begründet wurde diese Annahme damit, dass zu jeder Zeit nur 2-4 Techniker zur Kontrolle des 60,000 Hektar großen Parks zur Verfügung standen und die Einstellung des Klägers diese unverhältnismäßig belastet hätte. Allgemein kann dieses Urteil als Ausdruck des Grundsatzes begriffen werden, dass es einem Arbeitgeber in kleinen Betrieben oftmals nicht zumutbar sein wird, die Arbeitsverteilung umzuorganisieren; der Umstand, dass jeder Arbeitnehmer allen Arbeitsplatzanforderungen genügt, gewinnt damit an Bedeutung. Funktionen, die in einem großen Betrieb nicht wesentlich sind, können es in einem kleinen Organisationsgefüge dementsprechend sehr wohl sein.143

141

Zur fehlenden Beschränkung der Anwendbarkeit der Rahmenrichtlinie auf Unternehmen einer Mindestgröße vgl. im 4. Kapitel unter A. I. 2. b). 142 707 F. 2d 473 (ll^Cir. 1983). 143 Siehe dazu auch 29 C.F.R. app., pt. 1630, sec. 1630.2 (n).

3. Kapitel

Normative Erfassung der geschützten Personengruppe Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht der Begriff der Behinderung als solcher samt seinen Implikationen für das Anti-Diskriminierungsrecht. Vorgegangen wird in zwei Schritten. In einem ersten Abschnitt wird die Frage thematisiert, wer „behindert" iSd. Rahmenrichtlinie ist und damit prinzipiell ihren Schutz für sich reklamieren kann. Im Anschluss daran wird die Heterogenität der geschützten Personen hervorgehoben und gezeigt, dass nicht alle Gruppenangehörigen in gleicher Weise von den durch die Rahmenrichtlinie zur Verfügung gestellten Schutzmechanismen profitieren.

A. Zum Begriff der Behinderung als Voraussetzung des Diskriminierungsschutzes Auf den ersten Blick stellt der persönliche Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie den Rechtsanwender vor keine besonderen Schwierigkeiten. Die Vorgaben scheinen eindeutig zu sein: Neben dem Bestehen eines Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnisses muss der Arbeitnehmer einer der in Art. 1 RL ennumerativ aufgeführten Gruppen angehören, um den Schutz der Richtlinie für sich reklamieren zu können. Die zum Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts gesammelten Erfahrungen bestätigen, dass entsprechende Feststellungen in der Praxis zumeist keine Schwierigkeiten bereiten. Rechtliche Probleme beginnen dort erst bei der Frage, ob eine Form der Ungleichbehandlung vorliegt bzw. inwiefern diese gerade „wegen" der Gruppenzugehörigkeit erfolgte. Die vorgelagerte Frage nach dem Gruppenstatus selbst stellte sich in der Vergangenheit im deutschen Anti-Diskriminierungsrecht dagegen nicht. Mit dem Erlass der Rahmenrichtlinie ändert sich dies. Zwar besteht zumindest aus rechtlicher Sicht über den normativen Gehalt der nunmehr unter dem Fächer des Diskriminierungsschutzes versammelten Merkmale wie der Rasse, der nationalen Abstammung, der Religion oder Weltanschauung, des Alters

9 6 3 .

Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

oder sexuellen Ausrichtung weitestgehende Klarheit.1 Gleiches lässt sich für das Merkmal der Behinderung nicht feststellen. Klarheit dürfte allenfalls über die Randbereiche der Skala möglicher Beeinträchtigungen herrschen. Dass etwa ein blinder oder auf einen Rollstuhl angewiesener Arbeitnehmer als behindert anzusehen ist, dürfte auf breite Zustimmung treffen. Bereits mit dem anderen Ende der Skala gestaltet es sich schwieriger. Sollen etwa Übergewicht2, Rückenbeschwerden3, Kurzsichtigkeit4 oder Bluthochdruck5 die Inanspruchnahme des Diskriminierungsverbots rechtfertigen? Pauschale Antworten werden hier kaum möglich sein, kommt doch jeder dieser Zustände mit einer Spannbreite möglicher Auswirkungen unterschiedlicher Intensität daher. Gerade für das Merkmal der Behinderung gilt, was Gustav Radbruch unlängst feststellte: Gleichheit ist immer nur eine Abstraktion von gegebener Ungleichheit.6 Der Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierungen stellt den Rechtsanwender damit bereits auf der definitorischen Ebene vor das Problem, die Reichweite der geschützten Personengruppe zu bestimmen. Leider bietet die Rahmenrichtlinie in diesem fundamentalen Aspekt keine Hilfestellung. Anstatt den Begriff der Behinderung zu definieren, setzt sie ihn voraus. Dem entspricht das ADG-E in § 1. Im Folgenden sollen erste Leitlinien für die Entwicklung eines speziellen anti-diskriminierungsrechtlichen Begriffs der Behinderung erarbeitet werden. Nach einigen Vorbemerkungen zur Schwierigkeit der Begriffsbildung in diesem Bereich wird der Stand der bisherigen europäischen Rechtsentwicklung erläutert. Im Anschluss daran werden die Konturen eines zukünftigen europäischen Behinderungsbegriffs aufgezeigt, wobei insbesondere von den zum ADA gemachten Erfahrungen profitiert werden soll; am Ende dieses Abschnitts stehen einige Bemerkungen zum deutschen Anti-Diskriminierungsrecht.

1

Begrifflich missglückt ist allerdings das Anknüpfen an den Begriff der „Rasse", weshalb die EU sich auch eindeutig distanziert von „Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen", vgl. den 6. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG. Zum U.S.-Recht siehe Robinson, 20 B.C. Third World L.J. 231, 233 (2000) sowie Hutchinson, 49 UCLA L. Rev. 1455, 1469-1476 (2002). Siehe ebenso Mandla v. Lee [1983] 1 All ER, 1062 zum Merkmal „race" nach Race Relations Act 1976 des Vereinigten Königreichs. 2 Cook v. Department of Mental Health, Retardation, & Hosps., 10 F.3d 17 (1st Cir. 1993); Francis v. City of Menden, 129 F.3d 281 (2 nd Cir. 1997). 3 McCarter v. West, 910 F. Supp. 519 (D. Kan. 1995). 4 Sutton v. United Air Lines, Sil U.S. 471 (1999); Champlin v. Wonewoc-Center School District, 72 Fed. Appx. 445 (7 th Cir. 2003); Roche v. St. Lukes Shawnee Mission Health Sys., 46 Fed. Appx. 867 (8 th Cir. 2002). 5 Murphy v. UPS, 527 U.S. 516 (1999). 6 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122.

A. Begriff der Behinderung

97

I. Der Behinderungsbegriff und die Grenzen des Gruppenprinzips Die Überschrift dieses Abschnitts selbst ist bereits erklärungsbedürftig, als sie etwas zu suggerieren scheint, was es mE nicht geben kann: „einen" Begriff der Behinderung. Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit, dass eine Behinderung kein amorpher Zustand, sondern ein Spektrum ist. Es mag „eine" bestimmte Religion, „ein" bestimmtes Alter oder „eine" sexuelle Ausrichtung geben - „eine" Behinderung aber existiert in der Realität nicht.7 Zudem ist die Zugehörigkeit zur „Gruppe" der behinderten Beschäftigten dynamisch. Zwar mag eine Person ihr seit Geburt angehören, häufiger aber wird sie zu einem späteren Zeitpunkt in die Gruppe eintreten und unter Umständen diese auch wieder verlassen. Das Unterfangen der begrifflichen Erfassung der „Gruppe" behinderter Menschen sieht sich deshalb der Herausforderung gegenüber, Menschen, die sich stark von einander unterscheiden, unter einen einheitlichen Oberbegriff zusammenzufassen. Für das Anti-Diskriminierungsrecht stellt sich mit der Aufnahme der Behinderung in den Katalog der verbotenen Anknüpfungsmerkmale damit ein konzeptuelles Problem. Aufgrund seiner Fundierung im formellen Gleichheitsverständnis baut es auf der Zusammenfassung von Arbeitnehmern zu Gruppen anhand von bestimmten Merkmalen8, eine solche Gruppe besteht in der Realität der Behinderung aber nur bedingt. Das Anti-Diskriminierungsrecht ist somit um den Willen seiner Funktionsfähigkeit zur Simplifizierung gezwungen: Es muss einheitliche Gruppen bilden, wo Einheitlichkeit fehlt. 9

7. Normimmanente Konkretisierungsmaßstäbe Dieses Problem ist von dieser allgemeinen Warte freilich kein Spezifikum des Anti-Diskriminierungsrechts. Sämtliche Regelungen betreffend der Rechtstellung behinderter Menschen kommen nicht um eine Bestimmung ihres persönlichen Anwendungsbereichs herum. Im Gegensatz zum Anti-Diskrimi7 Sofern im Folgenden dennoch schlechthin von der Gruppe der behinderten Beschäftigten gesprochen wird, ist dies der Einsicht geschuldet, dass ein formelles Gleichbehandlungsgebot nicht um die Bestimmung von Gruppenzugehörigkeiten umherkommt. Kritisch hierzu vom Standpunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes Tussmann/tenBroek 37 Cal. L. Rev. 341, 344 (1949) („The very idea of Classification is that of inequality"). Zur gegenläufigen Tendenz vgl. Schauer, Profiles, S. 75 ff. Lesenswert zum Gruppenansatz im Anti-Diskriminierungsrecht auch Note, 110 Harv. L. Rev. 1292 (1997). 8 Siehe dazu bereits im 2. Kapitel unter A. I. 2. 9 Diese Schwierigkeit lässt sich nicht dadurch umgehen, dass man den Behinderungsbegriff möglichst allumfassend gestaltet. Jede irgendwie geartete Beeinträchtigung unter den Behinderungsbegriff zu subsumieren, würde diese Gruppe der Uferlosigkeit preisgeben und damit bereits vom Standpunkt eines formellen Gleichheitsverständnisses argen Bedenken begegnen.

9 8 3 .

Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

nierungsrecht kommen andere Vorschriften jedoch in den Genuss eines nicht zu unterschätzenden Vorteils. Eine sinnvolle Beschränkung der potentiell sehr großen Anzahl der - in irgendeinem Aspekt - behinderten Menschen kann aus dem Normzweck hergeleitet werden. Dementsprechend variiert der dem Merkmal der Behinderung beizumessende Inhalt mit dem Rechtsgebiet.10 Eine auf die individuellen Unzulänglichkeiten einer Person abstellende Definition beispielsweise mag durchaus ihre Berechtigung im Bereich der klinischen Fürsorge haben, während sie in anderen Bereichen als unzulänglich empfunden wird. 11 Für die Ausdeutung des in § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB verwendeten Begriffs der Behinderung kann wiederum ohne Bedenken auf eine Einschränkung gerade der Wahrnehmungsfähigkeit abgestellt werden, denn die Vorschrift konkretisiert die Zumutbarkeit der Kenntnisnahme bei der Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen.12 Weitaus geringer ist der Erkenntniswert, wenn man allein auf beschreibende Zusätze der Behinderung als solcher blickt. Denn ob eine Behinderung „für Dritte erkennbar" oder „besonders schwerwiegend" ist, besagt für sich allein genommen nichts. Die Trennung von „körperlichen", „geistigen" oder „seelischen" Behinderungen ist klarer, bietet aber Raum für eine Bandbreite möglicher Interpretationsmöglichkeiten. Viele an das Merkmal einer Behinderung anknüpfende Normen erreichen eine tatbestandliche Konkretisierung desselben allerdings dadurch, dass sie zusätzlich den Eintritt einer Folge oder eines Umstands in der Person des Merkmalsträgers selbst verlangen. Nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG bzw. § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BKGG beispielsweise wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es wegen seiner Behinderung „außerstande ist, sich selbst zu unterhalten". Das Vormundschaftsgericht kann die Einwilligung eines Elternteils gem. § 1748 Abs. 3 BGB ersetzen, sofern dieser wegen einer Behinderung „zur Pflege und Erziehung des Kindes dauernd unfähig ist". Damit vergleichbar wird die Bestellung eines Betreuers für einen behinderten Menschen erst dann möglich, wenn dieser „seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann" (§ 1896 Abs. 1 S. 1 BGB). In all diesen Fällen bietet das

10

Das New Yorker Estates, Powers and Trusts Law sieht etwa spezielle Regeln für den Fall vor, dass ein trust zugunsten einer Person mit einer schweren, chronischen oder andauernden Behinderung errichtet werden soll, siehe NY CLS EPTL § 7-1.12 (2004). Für den Bereich des Bundesrechts vgl. z.B. 42 U.S.C. 423 (d) (1) (A) (2004) für den Social Security Act; 42 U.S.C. § 3602 (h) (2004) sowie United States v. Southern Mgmt. Corp., 955 F.2d 914, 922-23 (4 th Cir. 1992) für den Fair Housing Act, wonach beispielsweise ehemals drogenabhängige Personen unter den Behinderungsbegriff fallen. 11 Degener , 18 Berkeley J. Int'l L. 180, 186 (2000). Siehe ebenso Albrecht, Disability Business, S. 19. 12 BT-Drucks. 14/6040, S. 150; Erman/5. Roloff, § 305 BGB Rn. 40; MüKo/ Basedow, § 305 BGB Rn. 62; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 284 f.

A. Begriff der Behinderung

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Merkmal einer Behinderung nicht mehr als einen Ausgangspunkt zur Bestimmung der vom jeweiligen Tatbestand erfassten Personengruppe.13

2. Besonderheiten des Anti-Diskriminierungsrechts Das Anti-Diskriminierungsrecht kann von diesen Konkretisierungsmaßstäben nicht profitieren. Insbesondere kann der Normzweck der Rahmenrichtlinie bzw. des ADG nur bedingt als Leitbild der Auslegung herangezogen werden. Der Schutz der Menschenwürde, die Verbesserung der Beschäftigungssituation sowie die integrative Wirkung des Benachteiligungsverbots bleiben als Zielvorgaben im Abstrakten. Bis zu einem gewissen Grade widersprechen sie sich sogar: Während der Menschenwürdebegriff nach deutschem Verfassungsverständnis für eine enge Auslegung streitet, weist die mit dem Gesetzesvorhaben verfolgte Integrationswirkung in die entgegen gesetzte Richtung. Denknotwendig setzt das Anti-Diskriminierungsrecht deshalb ebenso wenig einen bestimmten Inhalt des Behinderungsbegriffs wie irgendeines anderen Gruppenmerkmals voraus. Dies gilt es zu erkennen und offen einzugestehen. Zugegebenermaßen mag die eine oder andere Definition je nach politischer Couleur sowie individueller Haltung zur Notwendigkeit und Nutzen des Diskriminierungsschutzes als vorzugswürdiger erscheinen - ein Gebot der Logik ist sie aber nicht. Hierin liegt ein Spezifikum des Anti-Diskriminierungsrechts. Es verwendet kollektive Bezeichnungen, ist ihnen gegenüber aber leidenschaftslos. Die Mechanismen des AntiDiskriminierungsrechts setzten einer Definition der Gruppeneigenschaft voraus.

IL Ein europäischer Begriff der Behinderung - ein fernes Ziel? 7. Die Ambivalenz des Behinderungsbegriffs als europäisches Regelungsproblem In der soeben beschriebenen Ambivalenz des Behinderungsbegriffs liegt zugleich das stärkste Argument zur Schaffung einer europaweit einheitlichen Umschreibung der geschützten Personengruppe. Stünde man den einzelnen Mitgliedstaaten insoweit die Regelungsbefugnis zu, bliebe es ihnen bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie gänzlich frei, nach Belieben die geschützten Merkmale mit Leben zu erfüllen. Divergierende Begriffsbestimmungen würden offensichtlich zu einer ungleichartigen Anwendung der Rahmenrichtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten führen und damit das tragende Prinzip der Arbeit-

13 Weitere Beispiele dieser Regelungstechnik finden sich in § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB, § 8 Abs. 1 SGB II, § 1 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 UBG.

100

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

nehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG) über Gebühr negativ beeinträchtigen.14 Zwar verbietet Art. 39 Abs. 2 EG seinem Wortlaut nach nur jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Verboten ist mit anderen Worten, einen EU-Bürger, der in einem anderen Mitgliedstaat Beschäftigung findet, dort insoweit schlechter als Inländer zu behandeln. Seit der Bosman Entscheidung des EuGH ist allerdings anerkannt, dass auch solche Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates daran hindern oder abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, selbst dann Art. 39 EG verletzen können, wenn sie unabhängig der Staatsangehörigkeit des betroffenen Arbeitnehmers gelten.15 Fällt ein behinderter Beschäftigter in seinem Herkunftsland unter den Behinderungsbegriff, nicht aber in einem anderen Mitgliedstaat, ist dies ein Mobilitätshindernis, dass nicht aus „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses" im Sinne dieser Rechtsprechung16 gerechtfertigt ist. Für eine Vereinheitlichung der Begrifflichkeiten könnte ferner Art. 11-81 Abs. 1 EU-Verf sprechen, der unter anderem die Diskriminierung wegen einer Behinderung verbietet. Allerdings ist insofern zweierlei zu beachten. Adressat dieser Bestimmung ist zum einen nicht der einzelne Beschäftigte, sondern die Mitgliedstaaten. Diesen steht bei der Richtlinienumsetzung aber gerade ein gewisser Handlungsspielraum zu. Zum anderen statuiert Art. 11-81 Abs. 1 EUVerf ein Rechtsgebiet unabhängiges Verbot der Diskriminierung. Sollte sich bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie ein spezifisch arbeitsrechtlich geprägter Behinderungsbegriff herausbilden, würde man diesem nicht unter Hinweis auf die weiter gefasste Verfassungsbestimmung die Geltung versagen können. Reagiert die Europäische Gemeinschaft nicht und überlässt die Umschreibung der geschützten Personengruppe den nationalen Gesetzgebern oder bei deren Enthaltsamkeit der Rechtsfortbildung durch die einzelstaatlichen Gerichte, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis der EuGH zur Intervention und Herausarbeitung einer europaweit gültigen Definition des Behinderungsbegriffs gezwungen wird. Der Weg, den der Gerichtshof dabei beschreiten wird, wird sich nicht nur an der bisherigen europäischen Entwicklung zum Behinderungsbegriff orientieren, sondern auch nach einem gemeinsamen Verständnis auf der Ebene der Mitgliedstaaten Ausschau halten. Wenn im Folgenden damit die Eckpunkte eines tragfähigen europäischen Behinderungsbegriffs aus anti-diskriminierungsrechtlicher Perspektive entwickelt werden, ist damit zugleich der Appell an den deutschen Gesetzgeber verbunden, der europäischen Entwicklung nicht hinter14

Vgl. dazu auch Nettesheim , NVwZ 1996, 342 sowie monographisch Roloff\ beitnehmerfreizügigkeit, passim. 15 EuGH, Urt. v. 15.12.1995 - Rs. C-415/93, Slg. 1995,1-4921, Rz. 96. 16 EuGH, Urt. v. 15.12.1995 - Rs. C-415/93, Slg. 1995,1-4921, Rz. 104.

Ar-

A. Begriff der Behinderung

101

herzulaufen, sondern diese durch vorausschauende Normsetzung aktiv mitzugestalten.

2. Entwicklungsstand

des europäischen Behinderungsbegriffs

Die Rahmenrichtlinie selbst gebraucht den Begriff der Behinderung ohne ihn zu definieren. Hier sollte die Europäische Union nachbessern und wenn nicht eine verbindliche Definition, so doch zumindest einen präzisen Rahmen schaffen, innerhalb dessen die zukünftige Entwicklung des Behinderungsbegriffs sich vollziehen kann. Wünschenswert erscheint dies vor allem aus der oben beschriebenen Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsentwicklung, ein entsprechendes Vorgehen ist aber auch sonst im Interesse aller Beteiligten. Ohne Klarheit in diesem für den Benachteiligungsschutz behinderter Beschäftigter fundamentalen Punkt blieben Beschäftigte auf absehbare Zeit im Ungewissen über ihre Rechte und Arbeitgeber betreffend dem Ausmaß ihrer Pflichten. Bis dies geschieht - bislang fehlen Anzeichen für einen entsprechenden Regelungswillen der EU - oder sich der Europäische Gerichtshof der Herausarbeitung der Kriterien des Merkmals der Behinderung angenommen hat, ist der Begriff der Behinderung allerdings auch auf europäischer Ebene keineswegs inhaltsleer. Die auf den Erlass der Rahmenrichtlinie hinauslaufende Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte offenbart vielmehr, dass sich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ein Verständnis des Phänomens der Behinderung herauskristallisiert hat, das - obgleich noch nicht zu einer subsumtionsfähigen Formel gereift - den Rahmen der zukünftigen Rechtsentwicklung bereits jetzt vorgibt.

a) Das medizinische Verständnis der Behinderung Mit beeinflusst durch die stärkere Aufmerksamkeit die den Belangen behinderter Menschen 1981 im Internationalen Jahr der Behinderten zuteil wurde 17, regte das Europäische Parlament - zunächst erfolglos - die Kommission zur Erarbeitung einer allgemeinen, in allen Mitgliedstaaten anzuwendenden Definition des Begriffs der „behinderten Person" an. 18 Die Empfehlung des Rates zur Beschäftigung von Behinderten in der Gemeinschaft vom 24. Juli 1986 sieht als gehinderte" - zum Zwecke dieser Erklärung - „alle Personen mit wesentlichen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen" an. 19 Worauf es dabei

17

Vgl. dazu bereits im 1. Kapitel unter A. I. ABl. Nr. C 77 v. 6.4.1981, S. 27, 31. 19 ABl. Nr. L 225 v. 12.8.1986, S. 43; die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Entwurf für eine Empfehlung des Rates über die Beschäftigung der Behinderten in der Europäischen Gemeinschaft enthielt noch einen Verweis auf die De18

102

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

ankommt, zeigt die englische Fassung der Empfehlung. Diese vermeidet, den Begriff gehinderte" mit Behinderungen" zu erklären, indem sie anstelle des letzteren Begriffs das Wort „impairment" gebraucht. Ausschlaggebend für das Vorliegen einer Behinderung ist damit eine „Schädigung" körperlicher, geistiger oder seelischer Natur. Wichtig ist zu erkennen, dass die Schädigung unter diesem Konzept nicht nur ein Teilaspekt der Behinderung ist, sondern mit dieser zusammenfällt; die Beeinträchtigung, die ein behinderter Mensch erfährt, ist die direkte und alleinige Konsequenz seiner Funktionsstörung. Diesem Konzept blieb die Europäische Gemeinschaft in der Folgezeit treu. Das »Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung der beruflichen Bildung und Rehabilitation, der wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung sowie einer eigenständigen Lebensführung der Behinderten" (Helios) übernahm 1988 in seinem Art. 2 die Definition der Empfehlung von 1986, schloss jedoch „seelische Beeinträchtigungen" aus dem Kreis möglicher Behinderungen aus.20 Die Fortsetzung des Aktionsprogramms (Helios II) führte zu einer detaillierten Begriffsbestimmung, wodurch die zentrale Bedeutung der „Schädigung" noch deutlicher hervortrat. 21 Als behindert wurden danach „Personen mit wesentlichen körperlichen, einschließlich sensorischen, geistigen oder psychischen Schädigungen, Benachteiligungen oder Behinderungen, die die Ausübung einer für einen Menschen als normal betrachteten Tätigkeit oder Funktion einschränken oder verbieten" angesehen. Es blieb damit bei dem eingangs umschriebenen Kausalzusammenhang: Die Schädigung führt zu einer Funktionsstörung, die wiederum eine Beeinträchtigung im sozialen Leben zur Folge hat. Diese Definitionsversuche spiegeln ein ideologisches Verständnis des Phänomens der Behinderung wieder, das in Studien zur Theorie der Behinderung als das sog. medizinische Modell bezeichnet wird. 22 Hierbei handelt es sich nicht um einen Versuch zur juristisch-präzisen Erfassung der Begriffsmerkmale einer Behinderung, sondern um eine Beschreibung dieses Phänomens in moralischer und philosophischer Weise mit Implikationen für die Behindertenpolitik

finition des Behinderungsbegriffs der WHO, die aber nicht in die Endfassung übernommen wurde, siehe ABl. Nr. C 189 v. 28.7.1986, S. 10, 12. 20 Beschluss des Rates vom 18.4.1988 über ein zweites Aktionsprogramm der Gemeinschaft zugunsten der Behinderten (Helios), ABl. Nr. L 104 v. 23.04.1988, S. 38. In der deutschen Version von Art. 2 umschließt die Definition des Begriffs „Behinderte" seelische Behinderungen und gleicht damit wortgenau der Definition der 86er Empfehlung. Dabei wird es sich um ein redaktionelles Versehen handeln, da sowohl die englische als auch diefranzösische Fassung seelische Beeinträchtigungen auslassen. 21 Beschluss des Rates vom 25.2.1993 über ein drittes Aktionsprogramm der Gemeinschaft zugunsten der Behinderten (Helios II 1993-1996), ABl. Nr. L 56 v. 9.3.1993, S. 30. 22 Grundlegend zum medizinischen Modell vgl. Albrecht, Disability Business, S. 6790. Zur Entwicklung vgl. insb. Stone, Disabled State, S. 90 ff. sowie Scotch, Civil Rights, passim. Siehe auch Thomas, 19 Disability & Society 569, 574 ff. (2004).

A. Begriff der Behinderung

103

im Allgemeinen. Maßgeblichen Einfluss nahm diese Charakterisierung der Behinderung nicht nur auf die frühen europäischen Gestaltungsmaßnahmen zur Behindertenpolitik, sondern beispielsweise ebenso auf das deutsche Schwerbehindertenrecht oder die U.S.-amerikanische Gesetzgebung vor Erlass des Rehabilitation Act von 1973. Selbst moderne Gesetzeswerke zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung werden durch das medizinische Modell maßgeblich geformt. Der britische Disability Discrimination Act gründet auf dieser Erfassung der Behinderung23 und auch der ADA wird von der Rechtsprechung bisweilen in medizinischen Dimensionen interpretiert. 24 Aufgrund dieser Dominanz des medizinischen Modells verwundert es kaum, dass obwohl dieses Verständnis der Behinderung in der Theorie inzwischen allgemein als überholt gilt - es zur Zeit immer noch die Basis für das bildet, was gemeinhin in weiten Teilen der Gesellschaft mit dem Begriff der Behinderung assoziiert wird. Eine Behinderung wird nach dem medizinischen Modell als eine individuelle, persönliche Eigenschaft der betreffenden Person begriffen 25. Durch einen unglücklichen Wink des Schicksals ist der behinderte Mensch biologisch anders 26; sein Problem liegt in seiner Schädigung27. Diese medizinische Erfassung von Behinderung ist beeinflusst durch das traditionelle Verständnis von Gesundheit bzw. Krankheit innerhalb der medizinischen Wissenschaft 28. Krankheit ist hiernach ein Zustand, der das normale Funktionieren der Organe negativ beeinflusst oder verhindert, wohingegen Gesundheit sich durch das Fehlen von Krankheit auszeichnet, mithin als ein Zustand verstanden wird, in dem alle körperlichen oder mentalen Funktionen eines Individuums im Bereich des Normalen liegen.29 Sowohl Gesundheit und Krankheit sind damit biologisch bestimmbare, objektiv messbare Zustände. Aus dieser Charakterisierung der Ursachen einer Behinderung ergeben sich eine Reihe wichtiger Konsequenzen für den Umgang mit behinderten Menschen. Zunächst wird die Feststellung einer Behinderung zur Aufgabe der medizinischen Wissenschaft gemacht. Der Arzt diagnostiziert und kategorisiert einen pathologischen Zustand eines Individuums und beurteilt dessen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der betreffenden Person. Ob der Arbeitnehmer sich selbst eingeschränkt und benachteiligt fühlt, 23 Doyle, Disability Discrimination, S. 9 f.; Wells, 32 ILJ 253, 257 f. (2003); James, 31 ILJ 156, 159 (2002). 24 Siehe hierzu unten A. III. 1. a) bb). 25 Pendo, 35 U.C. Davis L. Rev. 1175, 1192 (2002). 26 Crossley, 74 Notre Dame L. Rev. 621, 649 f. (1999). 27 Crossley, 74 Notre Dame L. Rev. 621, 651 (1999); Davy , SDSRV Nr. 49, S. 7, 12. 28 Vgl. ausfuhrlich zu den medizinischen Gesundheitsmodellen und ihrer Auswirkung auf den Diskriminierungsschutz Pendo, 35 U.C. Davis L. Rev. 1175, 1196 ff. (2002). 29 Dazu Boorse, 5 Phil. & Pub. Äff. 49 (1975).

104

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

ist dagegen irrelevant. Die positive medizinische Diagnose stellt das Bestehen einer Beschränkung verbindlich fest, ein negativer Krankheitsbefund wird zur unwiderlegbaren Vermutung der vollen Funktionsfähigkeit. Hieraus folgt zugleich der Ansatz zur Hilfe behinderter Menschen. Die Beschwerden dieser Menschen sind entweder medizinisch zu heilen bzw. zu lindern oder mit Hilfe von Rehabilitation ist es ihnen zu ermöglichen, die Auswirkungen ihrer Schädigung zu überkommen.30 Die Verantwortung der Gesellschaft als solcher ist dagegen gering, weil die Ausgrenzung und Einschränkungen, die behinderte Menschen im Alltagsleben erfahren, nicht gesellschaftlich, sondern biologisch bedingt sind.31

b) Der Übergang zum sozialen Modell der Behinderung Der bislang bedeutsamste Entwicklungsschritt zur Erfassung des Phänomens der Behinderung vollzog sich auf europäischer Ebene im Jahr 1996. In ihrer Mitteilung zur Chancengleichheit für behinderte Menschen zog die Kommission ein ernüchterndes Resümee über die praktischen Auswirkungen bisheriger europäischer Behindertenpolitik.32 Sie gesteht offen ein, dass sich die langjährigen Maßnahmen zur Einstellung behinderter Menschen allesamt als unzureichend erwiesen hätten. In vielerlei Hinsicht orientiere man sich am Maßstab des nicht behinderten Durchschnittsbürgers. Dies führe dazu, dass eine große Zahl von Bürgern von jenen Rechten und Chancen ausgeschlossen werde, über die die Mehrheit verfüge. Nur eine Veränderung der Art und Weise der gesellschaftlichen Organisation könne die Hindernisse, denen behinderte Menschen begegnen, beträchtlich reduzieren oder sogar abschaffen. 33

aa) Behinderung als soziales und kulturelles

Konstrukt

Im Gegensatz zum medizinischen Modell sieht dieses sog. soziale Modell der Behinderung die Ursache derselben nicht im Individuum selbst, sondern in der Gesellschaft verankert. 34 Behinderung ist mit anderen Worten kein biologi30

Pendo, 35 U.C. Davis L. Rev. 1175, 1192 (2002). Amundson., 23 J. Soc. Phil. 105, 113 (1992), Silvers, 21 J. Med. & Phil., 204, 209 (1996). 32 KOM (1996) 406 endg. Siehe auch Entschließung des Rates und der im Rat Vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20.12.1996 zur Chancengleichheit für Behinderte, ABl. Nr. C 12 v. 13.1.1997, S. 1. 33 KOM (1996) 406 endg., S. 3. 34 Diesen Ansatz teilt das soziale Modell mit dem sog. Bürgerrechts- bzw. Minderheitsmodell der Behinderung. Letzteres bleibt dort jedoch nicht stehen, sondern spricht behinderten Menschen ein Bürgerrecht auf Beseitigung der gesellschaftlichen Barrieren 31

A. Begriff der Behinderung

105

sches Phänomen, sondern ein soziales und kulturelles Konstrukt.35 Die Benachteiligungen, die behinderte Menschen im Alltagsleben erfahren, sind das Produkt mit Vorurteilen behafteter Einstellungen der Gesellschaft und nicht das bloße Resultat biologischer Faktoren.36 Ein geläufiges Beispiel ist das eines Rollstuhlfahrers. 37 Dieser erfährt in einem mit Rampen und Fahrstühlen ausgestatteten Gebäude praktisch keine Mobilitätseinschränkungen, wohingegen bereits ein paar Treppenstufen zu einem unüberwindbaren Hindernis werden können. Subtilere Beispiele lassen sich in allen Lebensbereichen finden. Bereits eine so alltägliche Tätigkeit wie das Einkaufen von Lebensmitteln kann Barrieren aufstellen und damit behindernd wirken, wenn der Supermarkt beispielsweise keine Möglichkeit bietet, sich für ein paar Minuten hinzusetzten und auszuruhen und damit schwächere Individuen von seiner Benutzung ausschließt.38 Obgleich das soziale Modell seinerseits nicht unumstritten ist 39 , hat die Europäische Gemeinschaft an diesem Weg bis in die Gegenwart festgehalten und betont seitdem unermüdlich die soziale Dimension des Behinderungsbegriffs. Die Europäischen Union, heißt es beispielsweise, sehe die Behinderung auch als soziales Konstrukt" an. 40 Umweltbarrieren stellten dementsprechend „ein größeres Hindernis für eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben der Gesellschaft dar als Funktionsbeeinträchtigungen", weshalb im Abbau von Hindernissen „erwiesenermaßen der Schlüssel zur Herstellung der Chancengleichheit für behinderte Menschen" liege.41 Die „ablehnende und entmündigende Haltung der Gesellschaft" allgemein sei „eine der größten Barrieren für Menschen mit Behinderungen" in der Gesellschaft. 42 Die Liste ließe sich fortführen, ohne dass damit jedoch ein Erkenntnisgewinn verbunden wäre. Konsequent ist die Europäische Gemeinschaft nämlich nicht nur in ihrem Beharren an einer am sozialen Modell ausgerichteten Rhetorik, sondern ebenso in ihrem Unterlassen, diese in die Form eines neuen Behinderungsbegriffs zu gießen. Verständlich, vielleicht sogar unumgänglich ist dies, ist die Behindertenpolitik doch ein weites Feld, zu. Sein Ziel liegt damit vergleichbar mit dem Civil Rights Movement - der U.S.amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre - in der politischen Mobilisierung von behinderten Menschen, vgl. Crossley, 74 Notre Dame L. Rev. 621, 659-665 (1999). Einen guten Überblick über das soziale Modell gibt Scotch , 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 213, 214-219 (2000). 35 Pendo, 35 U.C. Davis L. Rev. 1175,1193 (2002). 36 Davy , SDSRV Nr. 49, S. 7, 12 f.; Hahn, 14 Behav. Sei. & Law 41, 45 (1996). Siehe auch Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136. 37 Amundson, 23 J. Soc. Phil. 105, 109 (1992). 38 Crossley, 74 Notre Dame L. Rev. 621, 654 f. (1999). 39 Siehe Gabel/Peters, 19 Disability & Society 585, 587 ff. (2004) sowie Thomas, 19 Disability & Society 569, 574 ff. (2004) jeweils m.w.N. 40 KOM (2003) 650 endg., v. 30.10.2003, S. 5. 41 KOM (2000) 284 endg., v. 12.05.2000, S. 3. 42 KOM (2001) 271 endg., v. 29.05.2001, S. 2.

106

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

dessen Regelung der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft überwiegend entzogen ist.43

bb) Konsequenzen für das Arbeitsrecht Unabhängig von der Frage, in welche begriffliche Form ein an diesem sozialen Modell orientierter Behinderungsbegriff schlussendlich gegossen wird, sind bereits an dieser Stelle einige Bemerkungen über die Bedeutung dieser Konzeption für den Bereich des Arbeitsrechts angezeigt. Es bedarf keiner prophetischen Kräfte um zu erahnen, dass einige Fälle sozial geschaffener Behinderungen rechtlich leichter zu bewältigen sein werden als andere. Vergleichsweise einfach sind jene Fallkonstellationen zu lösen, in denen das sozial bedingte Hindernis unabhängig vom konkreten Arbeitsverhältnis besteht. Kann ein kleinwüchsiger Arbeitnehmer die in üblicher Höhe angebrachten Apparaturen nicht erreichen oder ein zuckerkranker Arbeitskollege aufgrund des Produktionsablaufs nicht die notwendigen Arbeitspausen einlegen, um sich Insulin zu spritzen, liegen hierin sozial konstruierte Beschränkungen, die prinzipiell zur Annahme einer Behinderung gereichen können. Schwieriger sind hingegen jene Fallkonstellationen zu bewältigen, bei denen es an einem gegenständlichen Hindernis fehlt. Zwar reicht das soziale Modell in seiner Zielsetzung über diese greifbaren Barrieren hinaus, indem es zugleich Vorurteilen und Fehlvorstellungen bezüglich behinderter Menschen den Kampf angesagt hat.44 Solange diese sich allerdings nicht in einer konkreten Arbeitgebermaßnahme niederschlagen, bleibt der Diskriminierungsschutz machtlos und selbst dort wo sie dies tun, werden sie im Regelfall nicht beweisbar sein. Ausweichen könnte man dieser Beweisnot, wenn die nachteilige Arbeitgebermaßnahme selbst als soziales Hindernis begriffen werden könnte. Kann mit anderen Worten, die persönliche Anwendbarkeit des Diskriminierungsschutzes gerade mit der Maßnahme begründet werden, zu deren Abwehr das Benachteiligungsverbot herangezogen werden soll? Im Regelfall wird dies zu verneinen sein. Eine fettleibige Person beispielsweise, die unter keinerlei medizinischen Beeinträchtigungen als Konsequenz ihres Übergewichts leidet, kann die Erfüllung der Vorgaben des Behinderungsbegriffs nicht allein damit begründen, der Arbeitgeber habe sie gerade wegen ihres Übergewichts nicht eingestellt und damit eine sozial konstruierte Beeinträchtigung geschaffen. Hier anders zu entscheiden, hieße den Behinderungsbegriff bereits im Ansatz sehr weit zu veranlagen. Dies ist deshalb bedenklich, weil Mechanismen zur sinnvollen Eingrenzung der geschützten Personengruppe im Übrigen nur begrenzt zur Verfügung stehen. 43

Siehe KOM (2000) 284 endg., v. 12.05.2000, S. 5. Siehe z.B. KOM (2001) 271 endg., v. 29.05.2001, S. 2 („ablehnende und entmündigende Haltung der Gesellschaft"). 44

A. Begriff der Behinderung

107

Eine weitere Orientierungshilfe auf diesem unwägbaren Terrain kann durch eine Anleihe beim U.S.-amerikanischen Anti-Diskriminierungsrecht gewonnen werden. Dort versucht man diese Fälle durch eine Sonderregelung zu lösen, die bei Sachverhalten, in denen die - soziale oder medizinische - Beschränkung allein die Fähigkeit zu arbeiten betrifft, einen strengeren Maßstab anlegt. Ausreichend eingeschränkt in der Fähigkeit zu arbeiten ist eine Person nur dann, wenn sie nicht zur Ausübung eines ganzen Berufsfeldes in der Lage ist; die Unfähigkeit zur Ausübung einer Arbeitsstelle reicht damit nicht aus.45 Ein sich um Anstellung bewerbender Maler etwa soll nach der Gesetzesbegründung zum ADA dann nicht behindert sein, wenn er eine leichte Allergie gegen eine von dem Arbeitgeber benutzte Spezialfarbe hat, sofern diese Farbe nicht generell in dem Bereich benutzt wird, in dem der Maler überlicherweise tätig ist.46 Denkbar sind allerdings auch Sachverhalte, bei denen bereits eine einzige nachteilige Arbeitgebermaßnahme als hinreichende soziale Beschränkung gelten muss. Wird beispielsweise eine Polizistin nach neun Jahren nur deshalb degradiert, weil sie inzwischen das vom Arbeitgeber vorgesehene Höchstgewicht überschreitet, für dessen Festsetzung es zudem keinen sachlichen Grund gibt, erscheint es wenig sachdienlich, ihr den schwer zu führenden Beweis aufzugeben, dass sie von einem anderen Arbeitgeber ebenfalls zurückgestuft worden wäre. 47

c) Die Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Behinderungsbegriffs Welche begriffliche Ausgestaltung das Merkmal der Behinderung im Einzelnen in der Zukunft auf europäischer Ebene erfahren wird, ist in erster Linie eine politische Entscheidung und bleibt als solche naturgemäß mit Unwägbarkeiten behaftet. Nichtsdestotrotz erscheint die Richtung unerschütterlich vorgegeben: Der Begriff der Behinderung wird (auch) eine soziale Komponente haben, d.h. als Behinderung wird man nicht nur ausschließlich einen in der Person liegenden Zustand samt den daraus folgenden medizinisch bedingten Beschränkungen begreifen können. Behindernd kann vielmehr ebenso die Interaktion der Person mit seiner vorgefundenen Umgebung wirken. Dass die Rahmenrichtlinie eine derartige soziale Interpretation selbst nahe legt, bestätigt sie indirekt durch die Aufnahme der arbeitgeberseitigen Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen. Die Pflicht zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes macht nur Sinn, wenn man außerhalb der Person liegende Umstände als behindert erkennt. Zumindest ausschließlich am medizinischen Modell orientierte Definitionen des

45

29 C.F.R. § 1630.2 (j) (3) (2004). H.R. Rep. No. 101-485, pt. 3, at 29 (1990). 47 Anders jedoch Smaw v. Virginia Department of State Police, 862 F. Supp. 1469 (E.D. Va. 1994). Kritisch hierzu Korn, 77 B.U.L. Rev. 25, 58-59 (1997). 46

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3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

Behinderungsbegriffs dürften demzufolge auf europäischer Ebene der Vergangenheit angehören. Trotz aller Euphorie, die durch die Durchsetzung dieser Erkenntnis zu Recht hervorgerufen wird, ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit dieser Modellwechsel für das Anti-Diskriminierungsrecht fruchtbar gemacht werden kann - oder sollte. Während die oben beschriebenen Modelle nämlich aus Disziplinen stammen, deren Aufgabe zuvorderst deskriptiver Natur ist, kann das Anti-Diskriminierungsrecht dort nicht stehen bleiben, sondern muss Kriterien liefen, die im Einzelfall eine klare Entscheidung der Frage zulassen, ob ein Individuum von seinem Anwendungsbereich erfasst wird oder nicht. Unklarheiten bei der Absteckung des persönlichen Anwendungsbereichs des Benachteiligungsschutzes wegen einer Behinderung gehen, das zeigen die U.S.-amerikanischen Erfahrungen, zu Lasten aller Beteiligten, vor allem aber drohen sie zu einer Rechtsverkürzung der behinderten Menschen selbst zu führen.

III. Konturen eines europäischen Behinderungsbegriffs Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, anhand der Entscheidung der Europäischen Union für ein soziales Verständnis des Phänomens der Behinderung die Konturen eines Behinderungsbegriffs zu erarbeiten. Ausgehend von der Erkenntnis, dass dem sozialen Modell vor allem phänomenologisch-deskriptive Bedeutung zukommt, wird zunächst der Frage nach gegangen, wie eine Abgrenzung der Gruppe der behinderten Arbeitnehmer erreicht werden kann. Es wird die These vertreten, dass eine medizinische Fundierung des Behinderungsbegriffs unerlässlich ist; gleichzeitig aber wird auf die Unzulänglichkeiten dieses Ansatzes und die Gefahr einer möglichen Fehlinterpretation hingewiesen. Im Anschluss wendet sich die Arbeit den beschränkenden Ursachen einer Behinderung zu, verortet diese sowohl im medizinischen als auch im sozialen Bereich und sucht nach Grenzen der Reichweite des Behindertenbegriffs. Als drittes wird eine Besonderheit des U.S.-amerikanischen ADA ins Auge genommen. Geschützt werden dort nicht nur aktuell behinderte Arbeitnehmer, sondern auch solche, die lediglich in der Vergangenheit einmal behindert waren bzw. gegenwärtig entweder zu Unrecht als behindert behandelt werden oder deshalb benachteiligt werden, weil sie mit behinderten Arbeitnehmern assoziieren. Diskutiert wird, ob diese Erweiterung des Schutzbereiches ein taugliches Modell für Europa ist, und falls ja, wie sie gerechtfertigt werden kann.

A. Begriff der Behinderung

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7. Der richtige Bezugspunkt: soziale Wirkungen und medizinische Schädigungen Legt man das soziale Modell der Behinderung als das Fundament einer zukünftigen Definition der Behinderung zugrunde, stellt sich augenblicklich eine Abgrenzungsfrage: Wie soll unter einem Ansatz, der die Behinderung maßgeblich aus der beschränkenden Konstruktion der Gesellschaft ableitet, eine abgrenzbare Personengruppe geschaffen werden, der dann wiederum ein Recht auf Beseitigung eben jener Barrieren zusteht? Die Schwierigkeit besteht mit anderen Worten in dem Umstand, dass das für die Gruppe konstitutive Gruppenmerkmal nach dem sozialen Modell außerhalb der Gruppe selbst zu liegen scheint - in den Einstellungen und Konstruktionen der Gesellschaft. Die soziale Betrachtungsweise ist damit zwar deskriptiv aufschlussreich, begriffsjuristisch aber nur begrenzt wertvoll. Als behindert alle jene Arbeitnehmer anzusehen, die durch die am Trugbild einer nicht existierenden Normalität ausgerichteten Gesellschaft Nachteile im Erwerbsleben hinnehmen müssen, würde nicht nur den Begriff der Behinderung um klare Konturen berauben, sondern überdies den Gruppenansatz des Anti-Diskriminierungsrechts auflösen. Unumgänglich ist es deshalb eine persönliche Eigenschaft des behinderten Arbeitnehmers als Anknüpfungspunkt für den Diskriminierungsschutz zu Grunde zu legen. Oft anzutreffen ist die Anknüpfung an das Merkmal der Schädigung („impairment"). Der U.S.-amerikanische ADA beispielsweise geht diesen Weg, indem er eine Behinderung definiert als entweder (1) eine körperliche oder geistige Schädigung, die zumindest eine bedeutsame Lebenstätigkeit des Individuums substantiell einschränkt, (2) eine entsprechende vergangene Schädigung oder (3) der Umstand, dass einem Individuum eine entsprechende Schädigung zugeschrieben wird. 48 Eine zentrale Stellung nimmt das Merkmal der Schädigung darüber hinaus in der an den ADA angelehnten Behinderungsdefinition des britischen Disability Discrimination Act von 1995 (DDA) ein. 49 Dessen vierteiliger Test verlangt ebenso zunächst (1) das Vorhandensein einer körperlichen oder geistigen Schädigung, die (2) zur Beeinträchtigung einer normalen, alltäglichen Betätigung fuhrt. Diese Beeinträchtigung muss (3) erheblich sowie (4) langfristig sein. Das Festhalten an einem physischen Charakteristikum als Anknüpfungspunkt für den Behinderungsbegriff wird auch nach dem Verständnis der Rahmenrichtlinie unumgänglich sein, will man an dem gruppenorientierten Diskriminierungsschutz festhalten. Dass dies durchaus unter Beachtung der sozialen Wirkungen der Behinderung geschehen kann, wird im Folgenden dargelegt. Hingewiesen wird zugleich auf mögliche Gefahren, die ein medizinisch fundiertes Verständnis des Behinderungsbegriffs mit sich bringt. 48 49

42 U.S.C. § 12102 (2) (2004). DDA 1995, s 1(1).

110

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe a) Anknüpfung an eine Schädigung im medizinischen Sinne

Die erste Möglichkeit, eine Abgrenzung der geschützten Personengruppe für das Merkmal der Behinderung zu erzielen, ist, dass man das Bestehen einer körperlichen, geistigen oder psychologischen - Schädigung zur Begriffsvoraussetzung des Behinderungsbegriffs erklärt. Unter einer „Schädigung" soll dabei ein medizinisch nachweisbarer Zustand verstanden werden. Es reicht mit anderen Worten nicht aus, wenn der Arbeitnehmer allein aufgrund eines körperlichen, geistigen oder psychologischen Merkmals eine nachteilige Behandlung erfahren hat; hinzukommen muss stets ein pathologischer Zustand beim Kläger, ein Krankheitswert.

aa) Begriff der Schädigung im U.S.-amerikanischen

und britischen Recht

Der ADA selbst enthält keine Erläuterung der Begriffe physical bzw. mental impairment. Die von der Equal Opportunity Employment Commission (EEOC) erlassenen regulations konkretisieren beide Ausdrücke, werfen aufgrund ihrer Weite allerdings neue Fragen auf. Eine körperliche Schädigung wird dort definiert als ,jede physiologische Funktionsstörung, jeder Zustand, kosmetische Entstellung oder anatomischer Schaden", die eines oder mehrere von insgesamt zwölf Körpersystemen beeinflusst. 50 Diese Formulierung ist extrem weitreichend: Jeder Zustand, der sich auf einen Teil des Körpers auswirkt, scheint auszureichen; insbesondere ein nachteiliger Effekt wird nicht verlangt. Ein wörtliches Verständnis der Vorschrift erfasst damit beispielsweise einen Sonnenbrand als einen Zustand, der sich auf die Haut einer Person auswirkt oder einen schlichten „Muskelkater" nach dem Sport als eine den Bewegungsapparat beeinflussende Erscheinung. Die Rechtsprechung bleibt hier nicht stehen, sondern betrachtet die Aufzählung körperlicher Schädigungen als nicht abschließend und hat beispielsweise die asymptomatische Infektion mit HIV unter diese Vorschrift subsumiert.51 Sogar noch umfassender ausgefallen ist die Umschreibung der mentalen Schädigung. „Jede" geistige oder psychologische Funktionsstörung soll hier ausreichen. Dieser augenscheinlichen Weite des ersten Teilstücks der Behindertendefinition des ADA begegnen die Gerichte damit, dass sie auf der nächsten Prüfungsebene, d.h. der Frage, ob diese Schädigung das erforderliche Maß an Intensität erreicht, entsprechend strenger verfahren. 52

50

29 C.F.R. §1630.2 (h) (1) (2004). Miterfasst sind beispielsweise Einflüsse neurologischer Art, auf das Atmungs- oder Herz-Kreislauf-System, den Bewegungs- oder Verdauungsapparat oder die Haut. 51 Bragdon v. Abbott, 524 U.S. 624, 637 (1998). 52 Siehe dazu unten A. III. 2. b).

A. Begriff der Behinderung

111

Der britische Disability Discrimination Act geht ähnliche Wege. Das Gesetz selbst beinhaltet keine Definition des Begriffs der „Schädigung", der ihm beigefügte Schedule enthält jedoch umfangreiches, nicht abschließend zu verstehendes Anschauungsmaterial. Dem Schädigungsbegriff unterstellt werden danach etwa Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der allgemeinen Beweglichkeit, der manuellen Geschicklichkeit oder betreffend der Fähigkeit, Gegenstände zu heben und zu tragen. In Stadien verlaufende Krankheiten werden generell als Schädigungen anerkannt: Krebs, multiple Sklerose oder die Infektion mit HIV beispielsweise werden ausdrücklich genannt. Die Rechtsprechung hat diesen Katalog erweitert und etwa das chronische Erschöpfungssyndrom 53, schwere, nicht näher diagnostizierbare Unterleibsschmerzen54, Depression55 oder schwerwiegende Rückenverletzungen56 dem Begriff der Schädigung unterstellt.

bb) Probleme des Anknüpfens an eine medizinische Schädigung Die Schwierigkeiten, die das Anknüpfen an den medizinischen Begriff der Schädigung in der Praxis der Rechtsanwendung mit sich bringen, können beispielhaft an der besonders anschaulichen wie aktuell brisanten Diskussion um die Einbeziehung fettleibiger Arbeitnehmer in den Anwendungskreis des ADA verdeutlicht werden. 57

(1) Veranschaulichendes Fallmaterial Erstmalig mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Fettleibigkeit dem Behinderungsbegriff von See. 504 des Rehabilitation Act of 1973 unterfällt, hatte sich ein Bundesgericht in Cook v. Rhode Island Department of Mental Health Retardation & Hosps. 5* Obwohl Bonnie Cook eine körperliche Einstellungsunter-

53

O'Neil v. Symm &. Co Ltd [1998] IRLR 233. Howden v. Capital Copiers Ltd [1998] IRLIB 586. 55 Kapedia v. London Borough of Lambeth [2000] IRLR 14; Leonard v. Southern Derbyshire Chamber of Commerce [2001] IRLR 19 (EAT). 56 Clark v. IDG Ltd t/a Novacold [1999] IRLR CA 318. 57 Die Zahl der als fettleibig einzustufenden U.S.-Amerikaner nimmt rasant zu. Allein von 1991 bis 1999 stieg die Anzahl fettleibiger Erwachsener um ca. 60% an, siehe National Center for Chronic Disease Prevention and Health Promotion, Obesity Continues Climb in 1999 Among American Adults, Press Release. Schätzungen gehen davon aus, dass gegenwärtig zwischen 44 und 60 Millionen U.S.-Amerikaner fettleibig sind. Vgl. z.B. Obesity, Diabetes continue to increase in the U.S., CDC says, The Wall Street Journal, Thursday, January 2, 2003 bzw. die Schätzungen der American Obesity Association, abrufbar im Internet unter http://www.obesity.org. 58 10 F.3d 17 (1st Cir. 1993). Die Definition der Behinderung in Sec. 504 ist deckungsgleich mit der im ADA verwendeten. 54

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3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

suchung erfolgreich absolviert hatte, lehnte der Arbeitgeber ihre Bewerbung auf eine Anstellung in seinem Heim für geistig behinderte Menschen unter Hinweis auf ihr Übergewicht ab - Frau Cook wog 145 kg bei einer Größe von 1,57 m. 5 9 Zur Begründung führte der Arbeitgeber an, dass Cooks Übergewicht nicht nur zukünftige Fehlzeiten und höhere Zahlungen an die Arbeitsunfallversicherung wahrscheinlicher mache, sondern überdies ihre Fähigkeit auf das Spiel setze, Patienten in Notfällen zu evakuieren. Die Jury zeigte sich von dieser Argumentation wenig beeindruckt, befand Frau Cook für „behindert" iSd. Rehabilitation Act von 1973 und sprach ihr Schadensersatzzahlungen in Höhe von $100.000 zu. Der First Circuit bestätigte das Urteil mit der Erwägung, dass eine Jury zu Recht davon ausgehen durfte, dass Frau Cook unter einem actual impairment litt - „schließlich litt sie zugegebenermaßen unter morbider Fettleibigkeit und konnte durch Sachverständige beweisen, dass es sich dabei um eine physiologische Funktionsstörung handelt".60 In einem weiteren Fall von morbider Fettleibigkeit - klassifiziert als ein Gewicht von 100% über dem Idealgewicht61 - zog der Supreme Court of California engere Grenzen. In Cassista v. Community Foods , Inc. urteilte das Gericht, dass morbide Fettleibigkeit nur dann als Behinderung eingestuft werden könne, wenn eine physiologische, systemische Basis für diesen Zustand bestehe.62 Der Supreme Court lehnte damit die Vorstellung ab, morbide Fettleibigkeit sei allein bereits ein impairment. Um als „behindert" zu gelten, hat ein Kläger nach dieser Ansicht damit zu zeigen, dass seine morbide Fettleibigkeit auf einer physischen Schädigung beruht. Diese Lösung wählen Gerichte überdies in den Fällen, in denen das Übergewicht des Klägers weniger als 100% über seinem Idealgewicht bleibt, d.h. nicht das Ausmaß von morbider Fettleibigkeit erreicht. 63 In Andrews v. State of Ohio beispielsweise urteilte der Sixth Circuit, dass Polizeibeamte, die die staatlichen Gewichtsgrenzen überschritten, nicht behindert iSd. ADA einzustufen seien, weil sie weder angeführt hätten, dass ihr Gewicht „den Bereich des Normalen" überschritten hat noch das

59

1 0 F.3d 17,21. 1 0 F.3d 17, 23. 61 Siehe 10 F.3d 17, 21 in Fn. 1; Cassista v. Community Foods, Inc., 5 Cal. 4 th 1050, 1062 in Fn. 12 (1993). Durchzusetzen scheint sich allerdings nunmehr die Bestimmung der Fettleibigkeit in Relation zu dem sog. „body mass index (BMI)", siehe Merck Manual, Section 12 Chapter 156. Das Körpergewicht in Kilogramm wird dabei dividiert durch die zum Quadrat genommene Körpergröße in Meter; ab einem BMI von 30 gilt ein Mensch danach als fettleibig. Unterschiede für die folgende Diskussion ergeben sich daraus jedoch nicht, so dass der von den Gerichten zugrunde gelegte Maßstab auch hier verwendet werden soll. 62 5 Cal. 4 th 1050, 1064 (1993). Das Urteil erging unter dem Fair Employment and Housing Act, einem Gesetz, dessen Behinderungsdefinition der des ADA nachgeahmt ist, vgl. Cal. Gov't Code § 12900 et seq. 63 Tudyman v. United Airlines, 608 F. Supp. 739 (C.D. Cal. 1984); Francis v. City of Menden, 129 F.3d 281, 282 (2 nd Cir. 1997). 60

A. Begriff der Behinderung

113

Resultat einer physischen Funktionsstörung sei.64 Eine Benachteiligung aufgrund einer „bloßen physischen Charakteristik" sei unzureichend, um einen Fall der Diskriminierung wegen einer Behinderung zu begründen.65

(2) Defizite des medizinischen Lösungsansatzes Einen gewissen Reiz kann man dieser Judikatur nicht absprechen, scheint sie doch auf den ersten Blick eine klare Abgrenzung zwischen verschiedenen Ausmaßen der Fettleibigkeit zu bieten und überdies medizinisch ohne weiteres überprüfbare Ergebnisse zu liefern. 66 Unterzieht man diese Judikatur einer kritischen Überprüfung am Maßstab des sozialen Modells, wird ihre Problematik allerdings offenkundig. Zunächst ist die Grenzziehung zwischen morbider Fettleibigkeit und geringeren Ausmaßen der Fettleibigkeit letztendlich willkürlich und ohne einleuchtenden Gerechtigkeitsgehalt. Wieso sollen Arbeitnehmer, deren Körpergewicht ihr Idealgewicht um 100% oder mehr überschreitet, in den Genuss des Diskriminierungsschutzes gelangen, nicht aber solche Individuen, deren Gewicht „nur" um 99% ihr Idealgewicht übersteigt? Unabhängig von der medizinischen Rechtfertigung für diese Grenzziehung macht es vom Standpunkt des Anti-Diskriminierungsrechts wenig Sinn, dass ein Prozent mehr oder weniger über die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots entscheiden sollte. Das Ausmaß der Vorurteile und Stereotypen, die übergewichtige Menschen im Erwerbsleben erfahren, hängt nicht von genauen medizinischen Klassifikationen, sondern von der fehlerhaften Wahrnehmung des Arbeitgebers ab; die Grenze des Diskriminierungsschutzes entlang eines festgesetzten Gewichtes zu ziehen, trägt dieser Wahrnehmung nicht Rechnung. Angesprochen ist damit eines der Kernprobleme des Benachteiligungsschutzes wegen einer Behinderung: Im Gegensatz zu den anderen von der Rahmenrichtlinie verbotenen Differenzierungsmerkmalen führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass eine klare Abgrenzung der geschützten Personengruppe bei diesem Merkmal kaum möglich ist und selbst bei einer medizinisch fundierten Begriffserfassung nicht ohne Willkür auskommt. Wohingegen ein bisschen weiblich, asiatisch oder katholisch nicht existiert67, sind die Übergänge bei einer Schädigung fließend. Morbide 64

104 F.3d 803, 805 (6 th Cir. 1997). 104 F.3d 803, 810 (6 th Cir. 1997). 66 Vgl. Brucoli, 28 Ga. L. Rev. 771, 798 (1994). 67 Diese Aussage bewahrheitet sich für die Mehrzahl der Fälle unter Title VII sowie dem ADEA. Vgl. aber auch Wright, 48 Vand. L. Rev. 513 (1995), der u.a. den Fall der Zwillinge Philip und Paul Malone anführt, die sich beide als Feuerwehrmänner in Boston bewarben, aufgrund ihrer niedrigen Testergebnisse aber nicht eingestellt worden. Zwei Jahre später bewarben sie sich erneut und wurden trotz gleich bleibend schlechter Testergebnisse eingestellt, weil sie nunmehr vorgaben, afroamerikanischer Abstammung zu sein und so von einem affirmative action Programm profitierten. Später führten die 65

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3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

Fettleibigkeit beispielsweise „unterscheidet sich von geringeren Graden der Fettleibigkeit ausschließlich durch zusätzliches Gewicht".68 Derselbe Befund lässt sich für viele andere Schädigungen treffen. Während ein blinder Mensch einwandfrei unter einer physiologischen Funktionsstörung der „special sense organs" leidet69 und eine Person mit voller Sehkraft sich offensichtlich nicht auf eine derartige Schädigung berufen kann, ist es weitaus schwerer zu beurteilen, wo die richtige Grenze zwischen diesen beiden Extremen zu verankern ist. Nur Fälle morbider Fettleibigkeit bzw. von Fettleibigkeit, die durch eine physiologische Funktionsstörung hervorgerufen wird, in den Schutzbereich des Diskriminierungsverbots einzubeziehen, begegnet darüber hinaus methodischen Bedenken. Die Differenzierung zwischen verschiedenen Graden des Übergewichts basiert auf der Vorstellung, dass die entsprechenden Arbeitnehmer allein anhand ihres Gewichts kategorisierbar und zusammenfassbar sind. Durch diese gruppenbezogene Betrachtung werden Fehlvorstellungen eher intensiviert als abgebaut, weshalb die zum ADA erlassenen regulations auch ausdrücklich die individuelle Beurteilung eines jeden Arbeitnehmers vorschreiben. 70 Dafür, dass die Rahmenrichtlinie gleichfalls das Augenmerk auf den einzelnen Beschäftigten und seine Behinderung legt, spricht Art. 5 RL. Der Arbeitgeber hat danach die „im konkreten Fall" erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, d.h. solche Vorkehrungen, die gerade auf die Behinderung des in Frage stehenden Beschäftigten abgestimmt sind. Wichtig ist dieser individuelle Ansatz in den hier thematisierten Fallkonstellationen, weil es keineswegs zutreffend ist, dass alle als morbid fettleibig geltenden Arbeitnehmer unter physiologischen Funktionsstörungen leiden, die ihre Einbeziehung unter das Benachteiligungsverbot rechtfertigt; die medizinische Klassifizierung hat allein das Körpergewicht im Auge, nicht aber damit möglicherweise einhergehende Symptome wie Bluthochdruck, Rückenbeschwerden oder dergleichen mehr. Das einzige was sie als Gruppe gemeinsam haben, das ihren Schutz vor Diskriminierungen rechtfertigen könnte, ist die Wahrnehmung dritter Personen, ihr Körpergewicht verwehre es ihnen, ihre Arbeit zufriedenstellend zu verrichten. Diese Fehlvorstellung beschränkt sich jedoch nicht auf morbid fettleibige Personen, sondern schließt viele übergewichtige Beschäftigte mit ein. Die Grenze - medizinisch bedingt - bei der morbiden Fettleibigkeit zu ziehen trägt dieser Wahrnehmung nicht Rechnung.

Brüder zur ihrer Rechtfertigung an, ihre Ur-Großmutter sei schwarz gewesen. Bemerkenswert insoweit die Aussage von Arnwine, der Direktorin des Lawyers' Committee for Civil Rights of the Boston Bar Association: „It's entirely possible to look white but be black", New York Time v. 9.10.1988, S. 54. 68 Crossley , Impairment and Embodiment, S. 119. 69 29 C.F.R. § 1630.2 (h) (1) (2004). 70 Vgl. 29 C.F.R. app., pt. 1630 at 337.

A. Begriff der Behinderung

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Es ist des Weiteren ein Irrtum zu glauben, dass der insbesondere den Behinderungsbegriff kennzeichnende und vielseitig kritisierte vage Wortlaut des ADA 7 1 , bei Zugrundelegung einer medizinischen Interpretation dieses Begriffes, sich schlechterdings in Luft auflösen würde. Dies anzunehmen, hieße den Erkenntniswert der medizinischen Wissenschaft zu überschätzen. Sogar Mediziner sind sich im Uneins darüber, was genau Fettleibigkeit verursacht, wie sie am effektivsten zu behandeln ist sowie ob sie als Krankheit, Essstörung oder schlechthin als das Resultat vorsätzlichen Handels ist.72 Wenn aber selbst die Medizin keine präzisen Entscheidungskriterien zur Verfugung stellen kann, gibt es keinen Grund dafür, ihr die Verantwortung der Feststellung darüber, wem Schutz vor Diskriminierungen im Erwerbsleben gewährt werden soll, zu übertragen. Ein letzter Punkt erscheint hervorhebenswert, weil auch er in seiner Bedeutung über das hier besprochene Fallmaterial hinausreicht: Die von den Gerichten vollzogene Differenzierung zwischen verschiedenen Graden der Fettleibigkeit klammert sich an die Vorstellung einer existierenden Normalität. Sowohl die regulations als auch verschiedene Spruchkörper weigern sich, körperliche Merkmale, die „im Bereich des Normalen" liegen, als Schädigung iSd. ADA einzustufen. 73 Diese Vorgehensweise begegnet Zweifeln in zweifacher Hinsicht. Erstens suggeriert die Idee einer Normalität zu Unrecht das Bestehen einer klaren Trennungslinie zwischen denjenigen Personen, die vom persönlichen Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots erfasst sind und jenen, die schutzlos bleiben müssen. Verkannt wird dabei, dass „Normalität" seinerseits kein medizinischer Begriff ist, sondern sozial konstruiert und damit variabel ist.74 Was normal und was unnormal ist, bestimmt sich nach den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen. Der Verlust eines Beines ist beispielsweise in einer agrarisch geprägten Gesellschaft weitaus nachteiliger als in einer hoch technisierten Gesellschaft, in der sowohl vorgeschrittene medizinische Behandlungsmethoden als auch eine größere Anzahl von Büroarbeitsplätzen zur Verfügung stehen. Selbst wenn man aber unterstellt, dass so etwas wie „Normalität" tatsächlich existiert, stellt sich zweitens die Frage, wie genau ein „Normalgewicht" ermittelt werden soll. Sowohl die Gerichte als auch die medizinische Wissenschaft

71 Locke, 68 U. Colo. L. Rev. 107, 108-109 (1997). Vgl. bereits die in der Gesetzesdebatte geäußerte Sorge der National Federation of Independent Business, dass „der vage Wortlaut des ADA" bei Kleinunternehmern die Vorstellung einer „Parade von Rechtsanwälten und Klagen" heraufbeschwören würde, siehe Americans With Disabilities Act of 1989: Hearings on H.R. 2273 before the House Committee, on the Judiciary and the Subcommittee on Civil and Constitutional Rights of the House Committee on the Judiciary, 101st Cong., 1 st Sess. 81, 82 (1989). 72 Korn, Fat, 77 B.U.L. Rev. 25, 48 (1997). 73 74

29 C.F.R. app., pt. 1630, sec. 1630.2 (h). Crossley, Impairment and Embodiment, S. 119.

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3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

müssen sich die Frage gefallen lassen, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, Normalität in der bislang praktizierten Weise als Abweichung von einem als ideal befundenen Körpergröße-Gewichtsverhältnis zu bestimmen, wenn 61% aller U.S.-Amerikaner ihr „Normalgewicht" überschreiten.

b) (Mangel an) Alternativen Die durch ein medizinisches Verständnis der Schädigung verursachten Schwierigkeiten sind nicht unerheblich. Was letztlich zur Beibehaltung dieses Kriteriums führen wird, ist damit auch weniger seine dogmatische Überzeugungskraft als der Mangel an in sich stimmigen und mit den Vorgaben der Rahmenrichtlinie konsistenten Alternativlösungen.

aa) Substituierung der Schädigung durch „physisches Charakteristikum Eine denkbare Alternative wäre, dieses Merkmal schlechterdings durch „physisches Charakteristikum" zu substituieren. Den Diskriminierungsschutz nach der Richtlinie könnte danach jeder Arbeitnehmer für sich in Anspruch nehmen, der aufgrund irgendeiner körperlichen oder geistigen Eigenschaft im Erwerbsleben benachteiligt wurde. Das Zusammenwirken von physischem Charakteristikum und körperlich bedingter oder sozial konstruierter Benachteiligung würde dann zur Erfüllung des Merkmals der Behinderung gereichen. Als potentieller Kläger käme damit grundsätzlich jeder Arbeitnehmer in Betracht: der klein Gewachsene wie der Kahlköpfige, der Arbeitnehmer mit blauen Augen wie derjenige mit Rückenbeschwerden. Schlechterdings jedwede physische Eigenschaft würde die Tore des Diskriminierungsschutzes öffiien. Das Obsiegen vor Gericht würde dann von dem Erbringen des Beweises abhängen, dass der Arbeitnehmer gerade „wegen" dieser Eigenschaft benachteiligt wurde. Der Nachteil erscheint dennoch offenkundig. Die „Gruppe" der behinderten Menschen wäre unbestimmbar groß, womit beinahe jede Streitigkeit in einem Arbeitsverhältnis potentiell zu einer Klage wegen Diskriminierung aufgrund einer Behinderung gereichen könnte. Derart besonders wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag, ist dieser Befund allerdings nicht. Ebenso hat jeder Arbeitnehmer eine Rasse, eine ethnische Herkunft, ein Alter oder eine sexuelle Ausrichtung und ist somit potentieller Kläger, ohne dass Befürchtungen vom Missbrauch des Benachteiligungsverbots insoweit kundgetan werden. Im Rahmen von § 611a BGB ist jedenfalls von Klagenwellen bislang nichts verlautet geworden, obwohl jeder Arbeitnehmer unabhängig seines Geschlechts den Diskriminierungsschutz für sich in Anspruch nehmen kann. Nicht weniger ist zu erwarten, dass alle Arbeitnehmer katholischen Glaubens die Gerichte überrennen werden, sobald das Diskriminierungsverbot wegen der Religion im Arbeitsrecht verankert ist.

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A. Begriff der Behinderung

117

Ein Unterschied zwischen einer weit verstandenen Gruppe der behinderten Arbeitnehmer und den weiteren vom Diskriminierungsverbot erfassten Arbeitnehmergruppen besteht dennoch. Nur im letzten Fall ist eine Anknüpfung an die Gruppenzugehörigkeit ausnahmslos sozialwidrig. Jede mit der Arbeitsleistung in keinen Zusammenhang stehende Differenzierung anhand des Geschlechts, der Rasse oder der Religion beispielsweise ist beanstandungsbedürftig, weil sie mit der Entscheidung des Normgebers entsprechende Klassifizierungen als unmoralisch zu kennzeichnen im Widerspruch steht. Ein weit verstandener Behinderungsbegriff büßt dagegen seine Indizwirkung für die Sozialwidrigkeit der Unterscheidung ein. Die Benachteilung eines Arbeitnehmers wegen seiner Augenfarbe mag in keinem Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehen und damit willkürlich erscheinen - vor Willkür allgemein aber schützt das AntiDiskriminierungsrecht nicht. Die Differenzierung anhand von physischen Charakteristika schlechthin erreicht damit nicht ein Niveau der Sozialschädlichkeit, das eine Intervention des Normgebers und eine damit einhergehende Beschränkung der Privatautonomie des Arbeitgebers zu rechtfertigen vermag. Als ein Anknüpfungskriterium des Diskriminierungsschutzes muss es deshalb ausscheiden.

bb) Einbeziehung der gesellschaftlichen

Wahrnehmung

Vorstellbar ist es, der fehlenden Erheblichkeit einer Vielzahl von physischen Charakteristika dadurch zu begegnen, dass man nur die Diskriminierung anhand von solchen Merkmalen erfasst, die verbreitet mit gesellschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Nachteilen assoziiert werden.75 Abgrenzungsprobleme werden dadurch allerdings nicht aus der Welt geschaffen, sondern lediglich verlagert. Anstatt die Grenzziehung der medizinischen Wissenschaft mit ihren eigenen Unwägbarkeiten zu übertragen, bliebe es den Gerichten überlassen, zu bestimmen, ob das entsprechende Charakteristikum landläufig mit Vorurteilen behaftet ist und einen als schwerwiegend genug erachteten Nachteil mit sich bringt. Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Gerichte ist freilich nichts ungewöhnliches und auch von einem behinderungspolitischen Standpunkt spricht in der Tat einiges für diesen Ansatz. Die symbolische Kraft eines nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechenden physischen Charakteristikums wird oft über die tatsächlichen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Individuums hinausgehen, und zwar unabhängig davon, ob dieses Charakteristikum das Ausmaß einer Schädigung erreicht oder nicht. Ein durch schwere Brandwunden entstellter, aber in seiner körperlichen Funktionsfahigkeit nicht beeinträchtigter Mensch mag beispielsweise mit Vorurteilen, Abneigung und

75

Crossley, 74 Notre Dame L. Rev. 621, 713 f. (1999).

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3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

Ausgrenzung in einem Ausmaß zu kämpfen haben, das das übersteigt, mit dem unter weniger offenkundigen Schädigungen leidende Menschen zu kämpfen haben. Ein sehr weites Verständnis der Behinderung in dem soeben skizzierten Ausmaße, entspringt der Kapitulation vor der Einsicht, dass es praktisch unmöglich ist, eine widerspruchsfreie Definition der Behinderung zu schaffen. Diese Erkenntnis ist nicht von der Hand zu weisen und der vorgeschlagene Weg einer Kombination von physischem Charakteristikum plus diesbezüglichen gesellschaftlichen Fehlvorstellungen ist ein gangbarer, um den Behinderungsbegriff für das Anti-Diskriminierungsrecht handhabbar zu machen. Bedenken dagegen, ihn in der Praxis auch zu beschreiten, entspringen allerdings der Befürchtung, dass er im Endeffekt zu einem geringerem Schutzniveau für behinderte Beschäftigte führen wird als ein medizinisch fundierter, aber sozial orientierter Behinderungsbegriff dies täte.76 Hierfür bestehen mehrere Gründe. Zunächst werden die Gerichte bei der Interpretation des Behinderungsbegriffs auf die Aussage der Kommission, dass „einer von zehn Bürgern in der Europäischen Union" behindert ist oder vergleichbares Zahlenmaterial rekurrieren. 77 Ein - wie der hier diskutierte - offener Begriff der Behinderung ist besonders anfällig dafür, dass diese zahlenmäßige Beschränkung der geschützten Personenklasse als Anlass für seine restriktive Interpretation herangezogen wird. Dies zeigen die Erfahrungen aus den USA. Der im ADA enthaltende Passus, wonach „um die 43 Millionen Amerikaner eine oder mehrere körperliche oder geistige Behinderungen haben"78, mag auf den ersten Blick weit reichend erscheinen und zu einer extensiven Interpretation des Behinderungsbegriffs einladen.79 In der Spruchpraxis der vergangenen Jahre erwies er sich jedoch als ein zentrales Argument zum Ausschluss ganzer Personenkreise vom Schutz des ADA. 8 0 Ein weiterer zur Verkürzung des Schutzniveaus beitragender Grund spricht noch deutlicher gegen die Sachdienlichkeit dieses Behinderungsbegriffs. Stellt man wie vorgeschlagen darauf ab, ob ein persönliches Merkmal „landläufig mit Vorurteilen" behaftet ist, kommt man nicht umhin, den maßgeblichen Ver-

76

Hiermit soll nicht suggeriert werden, dass Diskriminierungstatbestände im Zweifel extensiv, d.h. mit größtmöglicher Schutzwirkung für die Merkmalsträger ausgelegt werden sollen. Gegen in dubio pro libertate als Auslegungsgrundsatz im Diskriminierungsrecht vgl. oben A. I. 2. 77 KOM (1999) 565 endg. 78 42 U.S.C. § 12101 (a) (1) (2004). 79 In diesem Sinne noch die Ausforderung von Colker, 34 Harv. C.R.-C.L. L. Rev. 99, 126(1999). 80 Seit Sutton v. United Air Lines, 119 S. Ct. 2139, 2147 (1999), siehe etwa Toyota Motor Mfg., Ky. v. Williams , 534 U.S. 184, 197 (2002); Waldrip v. GE, 325 F.3d 652, 654 (5* Cir. 2003); Rodriguez v. Pfizer Pharmaceuticals , 286 F. Supp. 2d 144, 156 (D.P.R. 2003).

A. Begriff der Behinderung

119

kehrskreis für diese Auffassung zu bestimmen. Auf den einzelnen Arbeitgeber allein, der sich gegen den Vorwurf einer Diskriminierung zu Wehr zu setzen hat, kann man insofern nicht abstellen; andernfalls würde man im Ergebnis den bereits abgelehnten Versuch, allein an das Vorhandensein eines „physischen Charakteristikums" anzuknüpfen, in abgewandelter Form wieder auferstehen lassen.81 Zieht man den Kreis jener Personen, bei denen eine Fehlvorstellung über den Grad der aus dem jeweiligen körperlichen Merkmal entspringenden Einschränkungen bestehen muss, allerdings weiter, drohen weniger verbreitete oder nicht auf den ersten Blick ersichtliche Behinderungen vernachlässigt zu werden. Selbst wenn ihnen im Einzelfall massive Vorurteile entgegengebracht werden, schließt die geringe Verbreitung oder schwierige Erkennbarkeit des körperlichen Merkmals die Bildung einer darauf bezogenen verbreiteten Fehlvorstellung aus. Eine medizinisch fundierte Begriffsbildung verspricht insoweit sinnvolle Ergebnisse. Besteht erst einmal Klarheit über das Vorhandensein einer Schädigung, reicht es aus, wenn der Arbeitgeber selbst sie zum Anknüpfungspunkt seiner Entscheidung macht.

c) Gefahren einer medizinisch fundierten Begriffsbestimmung Erkennt man die Notwendigkeit des Festhaltens am Merkmal der „Schädigung" an und begreift man jenes zugleich in medizinischen Dimensionen, ist damit keine Abkehr von der Erkenntnis verbunden, dass eine Behinderung sich oft erst aus gesellschaftlichen Zwängen ergibt. Nur eines ist tunlichst zu vermeiden: das Zusammenwerfen von „Schädigung" und „Behinderung". Das Merkmal der „Schädigung" bezieht sich nach den obigen Grundsätzen auf den pathologischen Zustand selbst, nicht aber auf die aus diesem Zustand folgenden Beschränkungen. Während erster stets medizinischer Natur ist, können die beschränkenden Auswirkungen dieses Zustandes sowohl medizinisch bedingt als auch sozial konstruiert sein. Vernachlässigt man diese Trennlinie, legt man ein ausschließlich medizinisches Verständnis von Behinderung zugrunde, indem man die gesellschaftlichen Nachteile, die ein behinderter Arbeitnehmer erfährt, als exklusive Folge seines pathologischen Zustandes begreift; den europäischen Vorgaben wird man damit nicht gerecht.

81 Dort spielte die Motivation des Arbeitgeberhandels im Rahmen der Kausalität eine Rolle, d.h. bei der Frage, ob die Maßnahme gerade „wegen" des physiologischen Merkmals vorgenommen wurde.

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3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

2. Gibt es eine Erheblichkeitsgrenze

für das Bestehen einer Behinderung?

Von besonderem Interesse für die sinnvolle Bestimmung des geschützten Personenkreises ist die Frage, ob man für das Vorliegen einer Behinderung selbst das Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle zu verlangen hat. Muss, mit anderen Worten, die Schädigung besonders schwerwiegend sein oder die durch sie hervorgerufenen Beschränkungen den betreffenden Arbeitnehmer über Gebühr einschränken? Die Rahmenrichtlinie differenziert in diesem Punkt leider nicht, sondern knüpft schlichtweg an das Bestehen „einer Behinderung" an (Art. 1 RL). Sie scheint damit jede Behinderung unabhängig des Ausmaßes der Schädigung bzw. der durch diese verursachten Beschränkung in ihren Schutzbereich einzubeziehen. Das deutsche Recht geht im SGB I X den diametral entgegen gesetzten Weg, indem es nur den schwerbehinderten, nicht aber den „einfachbehinderten" Beschäftigten den Schutz des Benachteiligungsverbots gewährt. Dass entgegen des Richtlinienwortlauts eine MindestErheblichkeitsschwelle bestehen muss und auf welche Weise diese in den Behinderungsbegriff integriert werden kann, wird im Folgenden erörtert. In welcher Höhe diese genau anzusetzen ist, ist letzten Endes eine politische Frage und damit ungleich schwieriger festzustellen; einige Bemerkungen in diese Richtung werden deshalb bis zur Diskussion des deutschen Rechts zurückgestellt. Um die Suche nach einer Erheblichkeitsgrenze in den allgemeinen Zusammenhang der Rahmenrichtlinie zu stellen und damit weiter zu verdeutlichen, sei abschließend darauf hingewiesen, dass diese weitere Begrenzung des persönlichen Schutzbereichs kein Unikum der Behinderung ist. Übertragen auf andere vom Diskriminierungsverbot erfassten Merkmale wäre beispielsweise zu fragen, ob Diskriminierungen wegen des Alters erst ab dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze untersagt sind82 oder eine gewisse Intensität der religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugung zu fordern ist.83 In ihrer Komplexität bleibt sie bei den anderen von der Rahmenrichtlinie erfassten Merkmalen jedoch hinter den Anforderungen zurück, die das Merkmal der Behinderung an den Rechtsanwender stellt.

82 So der U.S.-amerikanische ADEA, der seinen Schutz auf Individuen beschränkt, die mindestens 40 Jahre alt sind, siehe 29 U.S.C. § 631 (a) (2004). 83 Die durch Art. 4 GG geschützte Freiheit des Einzelnen, sein Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten, verlangt zwar nicht, dass das infrage stehende Verhalten durch seinen Glauben zwingend vorgeschrieben wird, doch reichen bloß lose Bindungen nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Gläubige nur unter ernster Gewissensnot von der Befolgung der Glaubenshaltung absehen könnte, vgl. etwa BVerfG v. 15.1.2002, AP Nr. 2 zu Art. 4 GG Gewissensfreiheit; Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4, Rn. 13. Anders aber Kokott , in: Sachs, GG, Art. 4, Rn. 28 m.w.N.

A. Begriff der Behinderung

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a) Die Notwendigkeit der Begrenzung der geschützten Personenklasse Eine Behinderung iSd. Rahmenrichtlinie ist nach der hier vertretenen Konzeption eine medizinische Schädigung samt den hieraus folgenden Beschränkungen, medizinischer oder sozialer Art. Erst die Erfüllung beider Begriffsmerkmale eröffnet in ihrer Zusammenschau den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots. Bereits diese Definition der Behinderung legt nahe, den Begriff der Beschränkung qualifizierbar zu machen und damit ein weiteres Mal die Bestimmung der geschützten Personengruppe mit einer mehr oder minder willkürlichen Grenzziehung weiter zu verkomplizieren. Und dennoch wird man darauf nicht verzichten können: Sähe man davon ab, eine gewisse Intensität der - gleich auf welche Art - beschränkenden Auswirkungen einer Schädigung zu verlangen, würde der Behinderungsbegriff mit dem der Schädigung zusammenfallen. Dies macht bereits nach dem Text der Rahmenrichtlinie keinen Sinn, denn nicht jede Schädigung wirkt notwendigerweise behindernd, beide Begriffe sind mithin nicht deckungsgleich.84 Überdies würde das Ausreichenlassen jedweder Schädigung zur Erfüllung des Behinderungsbegriffs ähnlichen Einwänden begegnen wie das bereits abgelehnte Anknüpfen an ein physiologisches Charakteristikum als Voraussetzung des Benachteiligungsschutzes. Der Nichteinstellung eines Arbeitnehmers wegen einer einfachen Erkältung beispielsweise fehlt es am notwendigen Grad der Sozialwidrigkeit, der ihre Unterwerfung unter den Diskriminierungsschutz und die damit einhergehende Außerkraftsetzung der Privatautonomie des Arbeitsgebers rechtfertigen könnte. Eine Auswahl besonders schwerwiegender Einschränkungen aus dem Kreis aller Schädigungen ist damit unvermeidlich, um den Anforderungen des Behinderungsbegriffs gerecht zu werden. Unvermeidlich ist es dabei ebenso, besonderes Augenmerk auf die Art der Eingrenzung der geschützten Personengruppe zu legen, will man nicht die sozialen Implikationen des Behinderungsbegriffs außer Acht lassen.

b) Möglichkeiten der Eingrenzung der geschützten Personengruppe Bejaht man damit zutreffenderweise die Notwendigkeit einer Erheblichkeitsgrenze für die Annahme einer Behinderung, bieten sich zwei theoretische Möglichkeiten zur konstruktiven Umsetzung dieser Vorgabe an. Ansetzen kann man entweder bei der Schädigung selbst oder aber bei der aus dieser erst folgenden Beeinträchtigung.

84 Ein Beispiel hierfür mag die symptomlose HIV Infizierung sein, die der Arbeitgeber nicht zum Anlass sozial konstruierter Benachteiligungen nimmt.

122

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

aa) Eingrenzung über den Grad der Beeinträchtigung Der ADA wählt den letzteren Weg. Er fasst den Kreis möglicher Schädigungen denkbar weit und trifft die damit notwendig werdende Eingrenzung des geschützten Personenkreises bei der Untersuchung der beschränkenden Folgen einer Schädigung. Die Eingrenzung erfolgt dabei von zwei Seiten: Zum einen werden nur jene Schädigungen, die eine major life activity , d.h. einen wichtigen Lebensvorgang betreffen erfasst, zum anderen unterfallen sie nur dann dem Begriff der Behinderung, wenn sie diesen Lebensvorgang erheblich beeinträchtigen.85 Was unter einem wichtigen Lebensvorgang zu verstehen ist bzw. in welchem Ausmaß die Ausübung desselben eingeschränkt sein muss, bestimmt der ADA selbst nicht näher. Die regulations der EEOC illustrieren den Begriff der wichtigen Lebensvorgänge anhand von Beispielen: für sich selbst zu sorgen, die Ausübung manueller Fertigkeiten, gehen, sehen, hören, sprechen, atmen, lernen und arbeiten werden erfasst. 86 Diese Aufzählung ist, wie die Behörde in den von ihr zu diesem Punkt veröffentlichten interpretative guidelines selbst hervorhebt, nicht abschließend gedacht; insbesondere die Fähigkeit zu sitzen, zu stehen, zu heben oder zu greifen fielen weiterhin darunter. 87 Der Identifizierung eines wichtigen Lebensvorganges folgend hat der Kläger zu beweisen, dass die Funktion desselben erheblich eingeschränkt ist (sog. substantial limitation). Den regulations zufolge kann dies durch den Beweis geschehen, dass der Kläger entweder außerstande ist, eine major life activity auszuüben, die eine durchschnittliche Person zu verrichten vermag oder bezüglich der Art und Weise oder Dauer, in der er die Fähigkeit ausüben kann, maßgeblich eingeschränkt ist.88 Die Unfähigkeit zur Ausübung eines einzelnen, bestimmten Berufes soll dabei keine erhebliche Einschränkung eines wichtigen Lebensvorganges darstellen.89 Beschreitet man diesen Weg der Eingrenzung der geschützten Personengruppe, d.h. verlangt man ein gewisses Mindestmaß der Beeinträchtigung, ist darauf zu achten, dass dieses Vorgehen konsistent mit dem sozialen Modell der Behinderung bleibt. Wie schnell dieses Ziel aus den Augen geraten kann, zeigen die U.S-amerikanischen Erfahrungen zum ADA. Vor allem in diesem Bereich der Dogmatik zum Behindertenbegriff lassen sich die Gerichte vorschnell in ihren Erwägungen an medizinischen Maßstäben leiten. Aus der Unmenge an 85

42 U.S.C. § 12102 (2) (2004). 29 C.F.R. §1630.2 (i) (2004). 87 Vgl. 29 C.F.R. app., pt. 1630, sec. 1630.2 (i). Siehe ebenso S. Rep. No.116, 101st Cong., 1 st Sess. at 22 (1989); H.R. Rep. No.485 part 2, 101st Cong., 2d Sess. at 52 (1990) (House Labor Report); H.R. Rep. No.485 part 3, 101st Cong., 2d Sess. at 28 (1990) (House Judiciary Report). 88 29 C.F.R. § 1630.2 (j) (2004). Siehe dazu auch die Interpretive Guidance, Sec. 1630.2 (j). 89 29 C.F.R. § 1630.2 (j) (3) (1) (2004). 86

A. Begriff der Behinderung

123

Fallmaterial soll zur Verdeutlichung dieses Punktes eine Fallkonstellation herausgegriffen werden, die die rechtswissenschaftliche Diskussion zum Behinderungsbegriff in den USA wie kaum eine andere in den letzten Jahren beflügelt hat - das Problem der Einordnung von sog. mitigating measures.

(1) Sutton, Murphy und die Bedeutung von „mitigating measures" Insbesondere zwei Entscheidungen, in denen der Supreme Court sich vor kurzem mit der Frage nach der Beurteilung der einschränkenden Wirkungen einer Schädigung auseinanderzusetzen hatte, haben für Furore gesorgt und die Entwicklung des Behinderungsbegriffs in der USA maßgeblich geprägt: Sutton v. United Air Lines, Inc. 90 sowie Murphy v. United Parcel Service, Inc. 91 Im erstgenannten Fall verklagten Zwillingsschwestern United Air Lines, nachdem ihre Vorstellungsgespräche für eine Anstellung als Frachtpiloten abgebrochen wurden, als ihre starke Kurzsichtigkeit der Fluggesellschaft bekannt wurde. Obwohl sie alle übrigen Qualifikationen der Arbeitsstelle, wie die geforderte Ausbildung, Erfahrung oder Zertifikate der Luftfahrtbehörde, erfüllten und durch das Tragen einer Brille oder Kontaktlinsen die volle Sehkraft erreichten, verweigerte United Air Lines ihnen eine Anstellung, weil sie die vom Arbeitgeber vorausgesetzte volle Sehkraft (20/100 oder besser) im unkorrigierten Zustand nicht erreichten. Am gleichen Tag wie Sutton entschied der Supreme Court den ähnlich gelagerten Fall Murphy v. United Parcel Service, Inc 92. Murphy, der seit seinem zehnten Lebensjahr unter Bluthochdruck litt, war von UPS als Mechaniker angestellt wurden. Diese Position verlangte das Fahren von gewerblichen Kraftfahrzeugen, was wiederum die Erfüllung von bestimmten Gesundheitsvorschriften des Department of Transportation erforderte. Eine dieser Vorschriften verlangte, dass der Fahrer eines gewerblichen Fahrzeugs nicht gegenwärtig unter hohem Blutdruck leidet, der seine Fähigkeit, ein gewerbliches Kraftfahrzeug sicher zu betreiben, beeinträchtigt. Eine während des Arbeitsverhältnisses durchgeführte Untersuchung brachte Werte von 160/102 bzw. 164/104 zu Tage. UPS kündigte daraufhin Murphy in der Überzeugung, dass sein Blutdruck die vom Department of Transportation vorgesehene Höchstgrenze überschreitet93. Nach der Aussage seines Arztes konnte Murphy durch die Einnahme von Medikamenten ungehindert am Alltagsleben teilnehmen.

90

527 U.S. 471 (1999). 527 U.S. 516 (1999). 92 527 U.S. 516 (1999). 93 Ob Murphy tatsächlich die Vorgaben des Department of Transportation erfüllte, blieb zwischen den Parteien strittig, 527 U.S. 516, 522. 91

124

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

In beiden Fällen sah sich der Supreme Court mit der Frage konfrontiert, ob bei der Feststellung einer Behinderung mitigating measures , also die Schädigung kompensierende Mittel, Berücksichtigung finden sollten. Soll, mit anderen Worten, im Rahmen des ersten Teils der Definition des Behindertenbegriffs die Feststellung, ob eine Schädigung vorliegt, die einen wichtigen Lebensvorgang erheblich beeinträchtigt, vor oder nach der Einnahme von Medikamenten getroffen werden? Der Supreme Court entschied sich in den genannten Entscheidungen in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, dem Tenth Circuit, für die letztere Variante 94, mit der Folge, das keiner der Kläger, behindert iSd. ADA war. Weder der Bluthochdruck noch die starke Kurzsichtigkeit schränkte im behandelten Zustand irgendeinen wichtigen Lebensvorgang der Kläger substantiell ein.

(2) Die Argumentation des Supreme Court Der Auftakt des Urteils ist Ausdruck der generellen Skepsis des Supreme Court zur Aussagekraft der Richtlinien. Obwohl alle drei für die Interpretation des ADA zuständen Behörden in ihren regulations bzw. interpretive guidelines bestimmen, dass die Feststellung, ob eine Person in einem wichtigen Lebensvorgang erheblich eingeschränkt ist, ohne Rücksicht auf mitigating measures getroffen werden soll, hält das Gericht dies für eine nicht zulässige Interpretation des Gesetzestextes. Es sei vielmehr offensichtlich, dass derartige Maßnahmen bei der Feststellung einer Behinderung berücksichtigt werden müssten. Der Supreme Court stützt sein Ergebnis auf drei Argumente. Zunächst führt er an, dass der Ausdruck „substantially limits" nur in dem Sinn verstanden werden könne, dass die Einschränkung gegenwärtig und nicht nur potentiell oder hypothetisch bestehen müsse.95 Ein weiteres Wortlautargument gewinnt das Gericht aus dem einleitenden Satz der Behindertendefinition im ADA: „Der Begriff »Behinderung4 bedeutet, in Bezug auf ein Individuum ..." heißt es dort. 96 Diese individuelle Betrachtungsweise müsste bei einer Anknüpfung an eine unbehandelte Schädigung oftmals zugunsten einer vom Individuum losgelösten, generellen Betrachtungsweise aufgegeben werden. Ein Gericht hätte zur Feststellung einer Behinderung zu fragen, wie die Schädigung im unbehandelten Zustand üblicherweise ein Individuum beeinflussen würde. 97 Tragender Pfeiler der Annahme, dass die Feststellung einer Behinderung unter Außerachtlassung von mitigating measures zu treffen sei, ist jedoch der Hinweis auf den entsprechenden

94 95 96 97

Sutton v. United Air Lines, Inc., 527 U.S. 471, 482 (1999). 527 U.S. 471,482. 42 U.S.C. § 12102 (2) (2004). 527 U.S. 471,483.

A. Begriff der Behinderung

125

Willen des Kongresses. Die in den „findings and purposes" des ADA angeführte Zahl von 43 Millionen Amerikanern mit Behinderungen98 lasse sich mit der von den Klägern vorgebrachten Definition einer Behinderung nicht vereinbaren. 99 Hätte der Kongress die Erstreckung des Behindertenbegriffs auf alle Individuen mit korrigierten körperlichen Schädigungen beabsichtigt, wäre diese Zahl weitaus höher ausgefallen, zumal allein die Anzahl der Personen mit Sehstörungen 100 Millionen Personen umfasse. 100

(3) Kritik vom Standpunkt des sozialen Modells Die Begründung des sich überwiegend in reiner Begriffjuristerei verlierenden Supreme Court ist recht hölzern. Man beachte die Methodik des Gerichts: Die Eindeutigkeit des ADA ist tragendes Argument dafür, dass sich der Supreme Court nicht mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes auseinander zu setzen braucht, begründet wird sie aber hauptsächlich mit eben gerade einem Teil dieser Entstehungsgeschichte - den Hinweis auf den Willen des Congress, „nur" 43 Millionen Menschen als behindert anzusehen. Dieser Taschenspielertrick ermöglicht es dem Gericht, sich diejenigen Teile aus den Gesetzesmaterialien herauszusuchen, die dem gewünschten Ergebnis dienlich sind. Nichtsdestotrotz verdient das Urteil jedenfalls im Ergebnis Zustimmung: Eine Person, deren Schädigung ohne beeinträchtigende Wirkung bleibt, ist nicht behindert. 101 Außer Acht lässt das Gericht bei dieser Feststellung jedoch, dass die aus einer Schädigung folgende Beeinträchtigung keinesfalls medizinischer Art zu sein braucht, sondern ebenfalls in einem durch Medikamente nicht bekämpfbaren sozialem Hindernis zu liegen vermag. Der Gebrauch von mitigating measures verbannt damit nicht, wie der Supreme Court suggeriert, notwendigerweise die Behinderung aus dem Leben der betreffenden Person. Gerade die entschiedenen Sachverhalte zeigen dies. Eben jene Schädigungen, die der Arbeitgeber zur Grundlage seiner Entscheidung machte, weigerte sich der Supreme Court als Behinderung anzusehen, weil sie keine beschränkende Wirkung hätte - ein paradoxes Ergebnis. Ein in sich stimmigeres Ergebnis ließe sich erzielen, wenn man entgegen der Auffassung des Supreme Court eine Schädigung stets im unbehandelten Zustand zur Entscheidungsgrundlage über das Bestehen einer Behinderung machen würde. Die Einnahme von Medikamenten und anderer „lindernder Mittel" wäre dann im Rahmen der Frage, ob die Schädigung hinreichend beeinträchti98

42 U.S.C. § 12101 (a) (1) (2004). " 5 2 7 U.S. 471,484. 100 527 U.S. 471,488. 101 Anders für die Rahmenrichtlinie aber Brors, DB 2003, 1734, 1735.

126

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

gend wirkt, zu berücksichtigen. Anstatt das Bestehen einer Behinderung pauschal zu verneinen, würde dieses Vorgehen eine differenzierte Betrachtungsweise erlauben. Erforderlich sein kann diese, wenn man, wie bereits im Rahmen der Diskussion des sozialen Modells angedacht, ausnahmsweise in einer ungünstigeren Arbeitgebermaßnahme selbst das soziale Hindernis erblicken möchte. 1 0 2 Fälle, in denen der Arbeitgeber den Gebrauch von mitigating measures während der Arbeitszeit untersagt, könnten dann als eine behinderungsspezifische Benachteiligung untersagt werden. Ein Arbeitnehmer beispielsweise, dessen durch Medikamente kontrollierte Epilepsie durch flackerndes Licht ausgelöst wird, könnte dann ggf. die Entfernung der Neonbeleuchtung über seinem Arbeitsplatz verlangen, an welcher der Arbeitgeber aus ästhetischen Gründen festhalten möchte.103 Nicht zu übersehen ist schließlich die mit dieser Judikatur einhergehende negative Signalwirkung für das Selbstverständnis behinderter Menschen. John Hockenberry bringt diese Auswirkung des Behinderungsbegriffs nach Sutton treffend auf den Punkt:,,Nach dieser Definition bin ich nicht behindert, weil ich einen Rollstuhl zur Linderung der Auswirkungen meiner Querschnittslähmung benutze. Jemand sollte den Ärzten, die an einer Heilung von Rückenmarksverletzungen arbeiten, sagen, dass sie ihre Zeit verschwenden. Der Supreme Court hat dieses Problem vor ihnen gelöst."104

bb) Die Schädigung als Ansatzpunkt einer Eingrenzung Der zweite konstruktiv mögliche Weg zur Bestimmung des Kreises jener Behinderungen, die eine bestimmte Intensitätsschwelle überschreiten und somit dem Benachteiligungsverbot der Rahmenrichtlinie unterfallen, setzt nicht bei der Beschränkung, sondern der Schädigung selbst an. Eine Einschränkung des Kreises der potentiellen Kläger über das Merkmal der Schädigung kann dadurch erreicht werden, dass eine ennumerative Aufstellung aller körperlichen und geistigen Zustände geschaffen wird, die als Schädigungen iSd. Behinderungsbegriffs gelten sollen. Ein entsprechendes Vorgehen hatte der U.S.amerikanische Congress für den ADA noch mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit, die Vollständigkeit dieser Auflistung garantieren zu können, abgelehnt. 105 Vor dem Hintergrund der Judikatur der letzten Jahre, die unter steter Kritik des Schrifttums zunehmend um eine engere Auslegung der Behinde-

102

Vgl. dazu unter A. II .2. b) bb). Dieses und weitere Beispiele gibt Gozdowski Brown , 7 J. Small & Emerging Bus. L. 113, 116(2003). 104 New York Times v. 29.6.1999, S. 19 A. 103

105

H.R. Rep. No. 101-485, pt. 2,1990 U.S.C.C.A.N. 303, 333.

A. Begriff der Behinderung

127

rungsdefinition bemüht ist 106 , darf zumindest bezweifelt werden, ob nicht selbst eine nicht allumfassende Auflistung im Ergebnis nicht zu einem höheren Schutzniveau geführt hätte. Mit einer jährlichen Überarbeitung dieses Kataloges unter Einschaltung der Behindertenverbände könnte zudem der Sorge um die Vollständigkeit dieser Aufstellung begegnet werden. Eine bessere Handhabbarkeit des Behinderungsbegriffs ist mit diesem Vorgehen freilich nur dann verbunden, wenn gleichzeitig vom Erfordernis der gesonderten Bestimmung eines gewissen Beeinträchtigungsgrades abgesehen wird; allein mit der Einführung einer weiteren Grenzziehung wäre dem Anliegen einer sinnvollen Bestimmung der geschützten Personengruppe kein Gefallen getan. Unsicherheiten in der Begriffsbestimmung würden andernfalls addiert anstatt abgebaut werden. Mit dieser Erkenntnis tritt zugleich die Problematik dieses Ansatzes zutage: Die Aufnahme einer Schädigung in den Katalog stellt die unwiderlegbare Vermutung für das Bestehen einer hinreichend schweren Beeinträchtigung auf, die Nichtaufnahme bescheinigt spiegelbildlich das Fehlen einer derartigen Einschränkung. Gerade dies entspricht aber nicht der vielgestaltigen Realität der Behinderung. Die Mehrzahl aller Schädigungen hat vielmehr je nach den Umständen des Einzelfalls ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Arbeitnehmers. Dies mag weniger bei medizinischen Beschränkungen der Fall sein, die eine von den Umständen des Einzelfalls losgelösten Katalogisierung am ehesten zulassen, als bei sozial bedingten Hindernissen. Jene sind stark einzelfallbezogen, d.h. sie hängen - definitionsgemäß als außerhalb der Person des Arbeitnehmers liegende Beschränkungen - in ihrer konkreten Ausgestaltung weniger mit der jeweiligen Schädigung als mit der Verhaltensweise des Arbeitgebers zusammen. Die Eingrenzung der geschützten Personengruppe über das Merkmal der Schädigung stellt im Ergebnis somit nur unter einem ausschließlich medizinisch orientierten Behinderungsmodell einen gangbaren Weg dar.

3. Ausweitung des Behinderungsbegriffs auf Personen ohne eigene, aktuelle Behinderung Unter Verweis auf die Rechtslage nach dem ADA wird im Schrifttum vermehrt die Frage aufgeworfen, ob zukünftig auch solche Individuen Diskriminierungsschutz wegen einer Behinderung nach der Rahmenrichtlinie erfahren werden, die zwar gegenwärtig nicht behindert sind, dies aber in der Vergangenheit einmal waren bzw. gegenwärtig fälschlicherweise als behindert angesehen wer-

106

Siehe nur Toyota Motor Mfg., Ky. v. Williams, 534 U.S. 184, 197 (2002); Chevron U.S.A. v. Echazabal, 122 S. Ct. 2045 (2002); Waldrip v. GE, 325 F.3d 652, 654 (5 th Cir. 2003).

128

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

den. 107 Gedacht wird zudem an die Einbeziehung erst zukünftig behinderter Beschäftigter 108 oder solcher Personen, die sich mit behinderten Menschen assoziieren. 109 Konkrete Vorschläge zur Bewältigung dieser Fragestellungen wurden einstweilen allerdings noch keine unterbreitet. Die zitierten Werke begnügen sich mit dem Hinweis, dass der weite Richtlinienwortlaut eine derartige Erweiterung des Schutzbereiches zulasse und dieser „so weitreichend und so effektiv wie möglich" bestimmt werden sollte.110 Letzterer Trugschluss, namentlich, dass extensiver zugleich effektiver Diskriminierungsschutz sei, wurde bereits an anderer Stelle zurückgewiesen.111 Ausgeschlossen ist eine behutsame Ausweitung des Behinderungsbegriffs damit allerdings noch nicht, weshalb im Folgenden einige weiterführende Gedanken zu den angedeuteten Problemstellungen entwickelt werden sollen. Dabei wird sich zeigen, dass weniger der offene Wortlaut der Rahmenrichtlinie als die Entscheidung für ein soziales Modell der Behinderung als tragende Interpretationshilfe auf diesem Gebiet dienlich ist.

a) Fälle der unterstellten Behinderung Den Ausgangspunkt dieser mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten Reise in die Zukunft des europäischen Diskriminierungsschutzes soll das U.S.amerikanische Recht bilden. Der Behinderungsbegriff des ADA erstreckt sich auf solche Arbeitnehmer, die zwar keine aktuelle Schädigung haben, die aber vom Arbeitgeber als geschädigt angesehen werden. 112 Der Congress wollte mit diesem dritten Teil der Behinderungsdefinition drei Fälle abgedeckt sehen: Vom Diskriminierungsschutz erfasst werden sollten (1) Individuen mit einer Schädigung, die diese nicht substantiell einschränkt, vom Arbeitgeber aber so behandelt werden, als ob eine entsprechende Einschränkung bestehe, (2) Individuen mit einer Schädigung, die diese allein aufgrund der Einstellungen anderer substantiell einschränkt bzw. (3) solche Personen, die über keine Schädigung verfügen, vom Arbeitgeber aber entsprechend behandelt werden. 113 Die EEOC hat diese Erläuterung des dritten Teils der Definition der Behinderung in ihre 107

White , 27 E.L. Rev. 303, 321 (2002); Wells, 32 I.L.J. 253, 258-259 (2003). Hendriks , 9 Eur. J. Health Law 87, 91 (2002). 109 White, 27 E.L. Rev. 303, 321 (2002); Wells, 32 I.L.J. 253, 258-259 (2003). 110 White, 27 E.L. Rev. 303, 322 (2002). 111 Siehe dazu, dass nur begrenzter Diskriminierungsschutz effektiv ist, Kapitel 2. unter A. II. 3. 112 42 U.S.C. § 12102 (2) (2004). 113 H.R. Rep. No. 101-485, pt. 2, 1990 U.S.C.C.A.N. 303, 23. Siehe dazu auch School Board ofNassua County v. Mine, 480 U.S. 273 (1987). Der Begriff des Arbeitgebers wird hier stellvertretend für alle „covered entities" verwandt, welche „employment agencies", „labor organizations" sowie das »joint labor management committee" einschließen, vgl. 42 U.S.C. § 12111 (2) (2004). 108

A. Begriff der Behinderung

129

Interpretative Guidance übernommen.114 Diese Kategorisierung deckt die meisten der in der Praxis vorkommenden Fälle einer unterstellten Behinderung ab, weshalb sie als Modell zur Kanalisierung der nachfolgenden Überlegungen dienen soll. Nicht weiterverfolgt wird dagegen die im zweiten Teil der U.S.amerikanischen Behinderungsdefinition erfolgende Erstreckung des ADA auf Personen, die in der Vergangenheit einmal behindert waren. 115 Sofern diese Behinderung in der Gegenwart fortbesteht, gelten bereits die allgemeinen Regeln. Ist der betreffende Beschäftigte dagegen aktuell nicht behindert, glaubt der Arbeitgeber aber an ein Wiederauftreten der vergangenen Behinderung, dann ähnelt dieser Sachverhalt der sogleich zu besprechenden Konstellation einer unterstellten Beschränkung durch den Arbeitgeber; die gesonderte Erörterung dieses Falles ist damit verzichtbar.

aa) Unterstellte

Beschränkung durch den Arbeitgeber

Die erste Fall einer unterstellten Behinderung lässt sich mit dem hier vertretenen sozialen Verständnis des Behinderungsbegriffs abdecken. In dieser Konstellation besteht eine tatsächliche Schädigung, womit die erste Voraussetzung des Behinderungsbegriffs erfüllt ist. Die behindernden Wirkungen dieser Schädigung sind Ausfluss der Vorurteile des Arbeitgebers und damit sozial konstruiert. Die Bezeichnung als nur „wahrgenommene" oder „unterstellte" Behinderung ist in dieser Fallkonstellation deshalb aus der Perspektive des sozialen Modells unzutreffend; sie wird von der gewöhnlichen Definition der Behinderung erfasst und ist unter diese zu subsumieren. Schließt man die Problematik einer Erheblichkeitsgrenze mit in die Betrachtung ein, ergibt sich die Besonderheit, dass der Arbeitnehmer durch seine Schädigung gar nicht substantiell eingeschränkt wird - mithin weder in medizinischer Hinsicht noch durch die darauf bezogene Einstellung des Arbeitgebers - aber dennoch vom Arbeitgeber behandelt wird, als werde er entsprechend eingeschränkt. Anders ausgedrückt besteht in diesem Fall (1) ein Irrtum des Arbeitgebers über die Auswirkungen der Schädigung und (2) macht der Arbeitgeber diese Fehlvorstellung zur Grundlage seines Handelns. Ein Beispiel für diese Fallkonstellation bildet ein Arbeitnehmer, der seinen hohen Blutdruck durch Medikamente kontrolliert, aber dennoch vom Arbeitgeber nicht eingestellt wird, weil dieser zu Unrecht annimmt, der Arbeitnehmer werde durch seinen Bluthochdruck substantiell in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Vom Standpunkt des sozialen Modells ist dieser Irrtum belanglos. Was zählt ist, dass der Arbeitgeber die Fehlvorstellung zur Grundla-

114 115

29 C.F.R. pt. 1630, § 1630.2(1) (2004). 42 U.S.C. § 12102 (2) (B) (2004).

130

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

ge einer nachteiligen Entscheidung macht und dadurch eine soziale Barriere errichtet.116

bb) Unterstellte

Beschränkungen durch dritte Personen

Der zweite Fall der „nur angenommenen Behinderungen" setzt wiederum eine tatsächlich bestehende Schädigung voraus und sieht die behindernden Wirkungen dieser Schädigung sozial konstruiert, in diesem Fall in den Einstellungen anderer begründet. Nicht nur Vorurteile des Arbeitgebers, sondern schlechterdings von „anderen" Personen werden dadurch erfasst. Irrationale Ängste oder Vorurteile von Arbeitskollegen117 oder Kunden des Arbeitgebers 118 fallen unter diesen Teil der Behinderungsdefinition des ADA. Auch der Rahmenrichtlinie ist die Berücksichtigung der Einstellungen und Verhaltensweisen Dritter im Rahmen des Benachteiligungsverbots nicht fremd. Zwei Fälle werden hier zu trennen sein: Manifestieren sich die Einstellungen „anderer" in einer nachteiligen Arbeitgeberentscheidung, dann macht sich der Arbeitgeber diese zu Eigen und schafft damit eine sozial konstruierte Beschränkung. Der Fokus der diskriminierungsrechtlichen Betrachtung liegt in dieser Fallkonstellation weniger auf dem Behinderungsbegriff - der erfüllt ist - als auf der Frage, ob der Arbeitgeber „wegen" der Behinderung diskriminiert. Weigern sich etwa Arbeitnehmer mit einem durch Brandwunden entstellten, aber unter keinerlei Beschränkungen im medizinischen Sinne leidenden Kollegen gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten und versetzt der Arbeitgeber ihn daraufhin, dann reicht dies zur Erfüllung des Behinderungsbegriffs selbst dann, wenn der Arbeitgeber persönlich die Abneigung seiner Arbeitnehmer nicht teilt; ob derartige sog. customer preferences als Anlass für eine nachteilige Arbeitgeberentscheidung genommen werden können, ist dann im Rahmen der Rechtfertigung zu thematisieren.119 Anders zu behandeln sein mögen dagegen die Fälle, in denen der Arbeitgeber untätig 116

Eine Minderansicht in der Rechtsprechung zum ADA hält an dem medizinischen Modell unerschütterlich fest und verlangt, dass der Kläger selbst unter dem dritten Teil der Behinderungsdefinition eine „actual substantial limitation" in seiner Arbeitsfähigkeit demonstrieren müsse, vgl. Piascyk v. City of New Haven , 64 F. Supp. 2d 19, 32-33 (D. Conn. 1999); Welsh v. Tulsa , 977 F.2d 1415, 1419 (10th Cir. 1992). Dagegen zu Recht Mayerson , 42 Vill. L. Rev. 587, 591-598 (1997). 117 29 C.F.R. app., pt. 1630, sec. 1630.2 (1); School Bd. of Nassau County v. Arline , 480 U.S. 273, 286 n. 13 (1987). 118 29 C.F.R. app., pt. 1630, sec. 1630.2 (1); Chico Dairy Co., Store No. 22 v. West Va. Human Rights Comm'n , 382 S.E.2d 75, 77-78 (W. Va. 1989). 119 Vgl. zu dem Begriff der „customer preferences" siehe nur Thüsing , RdA 2003, 257, 263; ders ., NJW 2003, 405, 406. Aus dem U.S.-amerikanischem Recht vgl. grundlegend Diaz v. Pan American World Airways, Inc., 442 F.2d 385 (5 th Cir. 1971) writ of certiorari denied 404 U.S. 950 (1971). Kritisch hierzu Epstein, Forbidden Grounds, S. 300-309.

A. Begriff der Behinderung

131

bleibt, d.h. sich die Vorteile Dritter nicht zu Eigen macht. Hier bietet es sich an, die Erfüllung des Behinderungsbegriffs an die Entwicklung zum Belästigungsverbot anzugleichen.120 Bietet das Untätigsein des Arbeitgebers Anlass - die Gruppenzugehörigkeit unterstellt - zu einem Vorwurf wegen Belästigung, dann erscheint es gerecht, hierin ein soziales Hindernis zu erblicken, das seinerseits zur Erfüllung des Behinderungsbegriffs gereicht.

cc) Unterstellte

Sc heidig ung

Besondere Schwierigkeiten bereitet die dritte Fallkonstellation. Dort bezieht sich der Irrtum des Arbeitgebers nicht nur auf die beschränkenden Auswirkungen der Schädigung, sondern auf ihr Vorhandensein überhaupt. Ohne Schädigung aber fehlt es an der Grundvoraussetzung des diskriminierungsrechtlichen Behinderungsbegriffs, ein Missstand, den das an den Ursachen der Behinderung orientierte soziale Modell allein nicht zu überwinden vermag, denn dieses kommt nach der hier vertretenen Auffassung erst im Anschluss an die Feststellung einer Schädigung zum Zuge. Aufgeworfen ist damit die Frage, ob man den Irrtum des Arbeitgebers über das objektive Bestehen einer Behinderung für die Einbeziehung des Arbeitnehmers in den Schutzbereich der Richtlinie genügen lassen möchte, das Vorhandensein sozialer Beschränkungen vorausgesetzt. Die größte Relevanz wird diese Problematik aufgrund der Schwierigkeit der Bestimmung der Gruppenzugehörigkeit beim Diskriminierungsschutz behinderter Arbeitnehmer erlangen, ihrer Natur nach ist sie jedoch allgemeiner Bedeutung. Es geht, allgemein gesprochen, um die Frage, ob die Gruppenzugehörigkeit eines Beschäftigten objektiv bestehen muss, oder aber die bloß subjektive Unterstellung derselben durch den Arbeitgeber ausreicht, um die Tür zum Diskriminierungsschutz aufzustoßen. Kann beispielsweise ein Arbeitnehmer gegen einen Arbeitgeber vorgehen, wenn dieser einem Atheisten wegen seines irrtümlich unterstellten islamischen Glaubens die Einstellung versagt? Der mit dem AntiDiskriminierungsrecht verfolgte Erziehungszweck spricht dafür, handelt der Arbeitgeber in diesem Falle doch aufgrund eben jener Vorurteile, die mit Hilfe des Diskriminierungsschutzes gerade aus dem Bereich des Erwerbslebens verbannt werden sollen. Dass die deutsche Rechtsprechung bzw. Literatur dieser subjektiven Gesinnung große Bedeutung zusprechen wird, ist jedoch zweifelhaft. Im Rahmen des geschlechtsspezifischen Benachteiligungsverbots tat sie dies bislang jedenfalls nicht. Versagt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer die Einstellung (1) wegen seines Geschlechts sowie gleichzeitig (2) wegen seiner

120

Ausf. zur Belästigung im 4. Kapitel unter B. III.

132

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

fehlenden Eignung, dann liegt der h.M. zufolge mangels Kausalität kein Fall unmittelbarer Diskriminierung vor. 121

b) Zukünftige Behinderungen Zum Schutz vor zukünftigen Behinderungen sollen einige kurze Bemerkungen genügen. In den Blickpunkt verspricht hier die Frage nach der Behandlung von genetischen Merkmalen, d.h. etwa der Gebrauch von Gentests durch den Arbeitgeber, zu rücken. 122 Die arbeitsrechtliche Brisanz dieses Themas ist unverkennbar, die Angemessenheit seiner Bewältigung über den behinderungsspezifischen Diskriminierungsschutz aber zweifelhaft. 123 Der ersichtlich wertneutrale Ausdruck der „genetischen Merkmale" ist bereits auf der begrifflichen Ebene nur schwer mit dem eine negative Beeinträchtigung fordernden Behinderungsbegriff gleichzusetzen. Zudem unterscheidet die Europäischen Union beide Begriffe ausdrücklich im Katalog verbotener Anknüpfungsmerkmale des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 21 Abs. 1 der Charter der Grundrechte voneinander.124 Sie bei der Interpretation der Rahmenrichtlinie gleichzusetzen, hieße diese Differenzierung zu ignorieren. Gegen die Einbeziehung genetischer Merkmale als Prototyp zukünftiger Behinderungen spricht überdies, dass in diesen Fällen die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Anpassung des Arbeitsplatzes an die Bedürfnisse der Behinderung nach Art. 5 RL - das Kernstück des Diskriminierungsschutzes behinderter Beschäftigter - keinen Sinn macht, weil schlichtweg noch keine Behinderung existiert, deren Beschränkungen kompensiert werden müssten. Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Novellierung der Gewerbeordnung allerdings anders entschieden. In der Gesetzesbegründung zu § 106 S. 3 GewO, wonach der Arbeitgeber bei der Ermessensausübung im Rahmen seines Weisungsrechts „auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen" hat, heißt es, „die Behinderungen können sowohl genetisch als auch krankheits-, unfall- oder altersbedingt sein". Hieraus Rückschlüsse für die diskriminierungsrechtliche Begriffsbildung zu treffen, verbietet sich allerdings bereits wegen der mit dieser Formulierung verbundenen Indossierung des medizinischen Modells.

121 BAG, Urt. v. 12.11.1998 - 8 AZR 365/97, NZA 1999, 371, 373; Erman/Edenfeld § 61 la Rn. 10. 122 Siehe dazu Hendriks , 9 Eur. J. Health Law 87 (2002). 123 Für die Erstreckung des ADA auf Fälle der „genetic discrimination" vgl. jedoch Gostin, , 17 Am. J. L. and Med. 109, 124 (1991). Ebenso für Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Caspar , EuGRZ 2000, 135, 137; Davy, SDSRV Nr. 49, S. 7, 18 f. 124 ABl. Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1, 13.

A. Begriff der Behinderung

133

c) Der Schutz vor Benachteiligungen wegen der Assoziierung mit behinderten Menschen Nach dem ADA liegt ein Fall der unerlaubten Diskriminierung auch dann vor, wenn ein qualifizierter Arbeitnehmer oder Bewerber eine nachteilige Arbeitgeberentscheidung deshalb erfährt, weil dieser eine Beziehung oder eine Verbindung mit einem behinderten Individuum unterhält. 125 Erfasst wird hiervon beispielsweise der Fall, dass der Arbeitgeber die Einstellung eines Bewerbers nur deshalb ablehnt, weil dieser ein behindertes Familienmitglied hat und der Arbeitgeber aus diesem Grund mit häufigeren Fehlzeiten des Stellenbewerbers rechnet. Unzulässig wäre gleichfalls die Entlassung eines Beschäftigten allein deshalb, weil dieser in seiner Freizeit für HIV positive Menschen sorgt und der Arbeitgeber deshalb die Ansteckung durch dieses Virus fürchtet. 126 Rein begrifflich lassen sich diese Beispiele zwar unter den Gleichbehandlungssatz subsumieren, um einen klassischen Fall des arbeitrechtlichen Diskriminierungsschutzes handelt es sich bei diesen Fallkonstellationen aber nicht, denn weder ist der schutzsuchende Arbeitnehmer behindert noch der behinderte Mensch beim Arbeitgeber angestellt. Das Gruppenprinzip des Diskriminierungsschutzes sprengt hier endgültig seine Grenzen: Jeder Beschäftigte kann sich prinzipiell auf eine Benachteiligung wegen einer Behinderung berufen. Verboten wird eine Arbeitgeberentscheidung nämlich nicht, weil sie an ein besonderes schutzunwürdiges Merkmal des Arbeitnehmers anknüpft, sondern vielmehr deshalb, weil sie außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegende und damit private Umstände zur Grundlage einer benachteiligenden Entscheidung macht.

aa) Assoziierung und Schutz der Privatsphäre Die Bedrohung eben jener Privatsphäre durch den Arbeitgeber ist kein neues Phänomen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Ford, so wird berichtet, eine 100-Mann starke „soziologische Abteilung", die Arbeitnehmern Hausbesuche abstattete, um sicherzustellen, dass diese nicht zuviel trinken, ein makelloses Sexualleben führen, ihre Häuser rein halten und ihre Freizeit nützlich verbringen. 127 Doch auch aktuelle Beispiele zeigen, dass Arbeitgeber - bestärkt durch den in den USA praktisch nicht existierenden gesetzlichen Kündigungsschutz128 - häufig Umstände aus dem Privatleben zur Anknüpfung einer nachteiligen Entscheidung machen. Ein Arbeitnehmer wurde beispielsweise 125

42 U.S.C. § 12112 (b) (4) (2004); 29 C.F.R. § 1630.8 (2004). Siehe Interpretative Guidance on Title I, See. 1630.8. 127 Linowes/Spencer, 23 J. Marshall L. Rev. 591, 591 (1990). 128 Zum Kündigungsschutz in Deutschland und den USA aus rechtsvergleichender Perspektive, siehe den Überblick von Kittner/Kohler, BB Beilage 4, 30.02.2000. 126

134

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

nach fünf Jahren entlassen, nachdem er zugab, entgegen einer anders lautenden Klausel in seinem Arbeitsvertrag in seiner Freizeit Alkohol getrunken zu haben 129 ; ein sich in der Ausbildung befindlicher Feuerwehrmann wurde entlassen, weil er in seiner Mittagspause eine Zigarette rauchte 130; einem Mann wurde gekündigt, weil er sich weigerte, seine Freundin, mit der er zusammenlebte, zu heiraten 131; einem anderen Arbeitnehmer im Gegenteil gerade wegen seiner Weigerung, sich scheiden zu lassen.132 Das letzte Beispiel ist symptomatisch für die Behandlung derartiger Fälle durch die U.S.-amerikanischen Gerichte. Ausgehend von der grundsätzlich geltenden employment-at-will doctrine, wonach die Entlassung eines Arbeitnehmers jederzeit und ohne Angaben von Gründen möglich ist, stellte das Gericht zunächst fest, dass keine Ausnahme zu dieser Doktrin eingreife. Zwar seien Kündigungen rechtwidrig, wenn sie gegen eine entgegenstehende public policy verstießen, doch sei dieser Ausnahmetatbestand eng auszulegen und erfasse nicht den Fall der erzwungenen Scheidung.133 Was bleibt, sind die allgemeinen Rechtsbehelfe des common law, die jedoch nur einen schwachen Rekurs gewähren. Der Vorwurf der unerlaubten Handlung der intertional infliction of emotional distress scheiterte nach Ansicht des Gerichtes, weil das Verlangen der Scheidung nicht so unerhört war, um „in einer zivilisierten Gesellschaft schlichtweg unerträglich" zu sein.134 Eine invasion ofprivacy musste gleichfalls an deren hohem Standard scheitern.135 Vor diesem Hintergrund des nur geringen Schutzes der Privatsphäre im U.S.-amerikanischen Arbeitsrecht haben viele Bundesstaaten spezielle Gesetze zum Schutz der Privatsphäre außerhalb der Arbeitszeit erlassen136 oder die Anknüpfung beispielsweise an den Familienstand verboten. 137 Durch Bundesgesetz wurde Arbeitgebern zudem die Benutzung von „Lügendetektoren" untersagt138. Der Schutz vor Benachteiligungen wegen der Assoziierung mit behinderten Menschen ist als weiterer Baustein zum Schutz der Privatsphäre in diesem Zusammenhang zu sehen. Er entspricht damit der in den USA zu beobachtenden Tendenz, Arbeitnehmerschutz vorrangig über das Anti-Diskriminierungsrecht zu lösen, ein Vor-

129 Die Kündigung wurde wegen mangelndem Arbeitgeberinteresse an der Durchsetzung dieser Regel für rechtswidrig erklärt, siehe Best Lock Corp. v. Review Bd. of Dep 't ofEmpl. SL Training Servs., 572 N.E.2d 520 (Ind. Ct. App. 1991). 130 Zu Recht, wie das Gericht befand, s. Grusendorf v. City of Oklahoma City y 816 F.2d 539 (10th Cir. 1987). 131 State by Johnson v. Porter Farms , Inc., 382 N.W.2d 543 (Minn. Ct. App. 1986). 132 Frankel v. Warwick Hotel, 881 F. Supp. 183 (E.D. Pa. 1995). 133 Siehe dort auf S. 186. 134 Siehe dort auf S. 187. 135 Siehe dort auf S. 187-188. 136 Vgl. z.B. NY CLS Labor § 201-d (2004). 137 NY CLS Exec § 296 (2004). 138 Polygraph Protection Act of 1988, 29 U.S.C. § 2001 et seq. (2004).

A. Begriff der Behinderung

135

gehen, das verständlich erst vor dem Hintergrund wird, dass dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht weitgehend fehlt. 139

bb) Deutsche Schutzmechanismen Die rechtliche Ausgangslage in Deutschland ist eine andere. Der Bund hat über die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 12 GG umfassende Regelungsbefugnisse für das Arbeitsrecht, weshalb er sich bei der Regelung der soeben geschilderten Problemlagen an Zweckmäßigkeitserwägungen orientieren durfte. Jedenfalls bislang bestand deshalb kein Anlass zur Realisierung des Assoziierungsschutzes über den Gleichbehandlungssatz. Ein Blick auf die deutsche Arbeitsrechtsordnung offenbart, dass Beschäftigte bislang keinesfalls schutzlos gestellt sind. All jene Benachteiligungen wegen der Assoziierung mit behinderten Menschen, die zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses führen, werden hierzulande größtenteils über den Kündigungsschutz aufgefangen. Die Entlassung eines Arbeitnehmers allein deshalb, weil seine Frau beispielsweise unter Tuberkulose leidet, dürfte selbst außerhalb des Anwendungsbereiches des KSchG gegen den aus Art. 12 GG folgenden Mindestbestandschutz verstoßen und damit unzulässig sein. 140 Soweit es um Maßnahmen bei der Begründung eines Arbeitsverhältnis oder im laufenden Arbeitsverhältnis geht, erscheint der Weg über die Konkretisierung des aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber einer Erweiterung des Diskriminierungsschutzes vorzugswürdig. Jedem Individuum steht danach ein „Rückzugsbereich", d.h. ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er „in Ruhe gelassen werden darf". 141 Dieses Grundrecht wirkt nicht nur im öffentlichen Recht, sondern ebenso im Privatrechtsverkehr über die allgemeinen Generalklauseln auf vielfältige Weise. 142 Speziell im Arbeitsrecht erlangt es bei Auskünften des Arbeitnehmers Bedeutung.143 Fragen, an deren wahrheitsgemäßen Beantwortung der Arbeitgeber kein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse

139 Die Regelung des allgemeinen Vertragsrechts und damit weiter Teile des Arbeitsrechts fällt in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesstaaten. 140 Zu diesem sog. „Kündigungsschutz zweiter Klasse" siehe Hanau, in: FS Dieterich, S. 201, 207 ff. sowie die Ausführungen auf S. 123. Diese grundrechtliche Mindestbestandschutz ist nicht nur auf Arbeitsverhältnisse beschränkt, sondern erfasst ebenso die von der Rahmenrichtlinie mit abgedeckten Beschäftigungsverhältnisse. 141 BVerfG v. 5.6.1973, BVerfGE 35, 202, 220. 142 BVerfG v. 25.8.2000, NJW 2001, 594, 595; BAG, Urt. v. 27.3.2003 - 2 AZR 51/02, NJW 2003, 3436, 3437; Urt. v. 4.4.1990 - 5 AZR 299/89, NZA 1990, 933, 934; LAG Thüringen v. 15.2.2001, NZA-RR 2001, 577, 580. 143 BAG, Urt. v. 13.6.2002 - 2 AZR 234/01, NZA 2003, 265, 266; ErfK/Dieterich Art. 2 GG Rn. 54, 96 ff.

136

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

hat, haben nach gefestigter Rechtsprechung zu unterbleiben, weil sie die Privatsphäre des Arbeitnehmers verletzen. 144 Auskünfte über eventuelle Behinderungen von Familienmitgliedern oder Freunden und Bekannten muss ein Arbeitnehmer bereits nach dieser Rechtsprechung nicht leisten. Zuzugeben ist, dass dieser Schutz nur fragmentarisch ist und gegenüber einer Erweitung des Benachteiligungsverbots auf Fälle der Assoziierung zurück bleibt. Erlangt der Arbeitgeber zufällig Kenntnis von der Behinderung des Lebenspartners und macht sie zur Grundlage einer nachteiligen Entscheidung, steht dem Arbeitnehmer in Regelfall kein Rechtsbehelf zur Verfügung - ein allgemeines Willkürverbot ist dem deutschen Arbeitsrecht fremd. Letzteres ist allerdings nichts verwerfliches, sondern im Gegenteil gerade Ausdruck der Privatautonomie, die nichts anderes als das Treffen willkürlicher Entscheidungen

d) Blick in die Zukunft Die voranstehenden Ausführungen zeigen, dass eine Einbeziehung des Assoziierungsschutzes in das Anti-Diskriminierungsprogramm der Rahmenrichtlinie theoretisch möglich, aus deutscher Sicht praktisch aber nur dann vonnöten ist, wenn das Schutznetz zugunsten behinderter Menschen besonders eng geknüpft werden soll. Dennoch liegt die Möglichkeit einer derart weiten Interpretation der Rahmenrichtlinie angesichts ihres Wortlautes nicht fern. Verboten ist nach Art. 1 RL die Diskriminierung wegen „einer" Behinderung, nicht einer Person wegen „seiner" oder „ihrer" Behinderung. Will man den Vorzug des unbestimmten Artikels über ein Possessivpronomen nicht dem Willen zur geschlechtsneutralen Formulierung anheim stellen, deutet dies darauf hin, dass der Diskriminierungskläger selbst nicht behindert sein muss. Bestärkt wird diese Annahme durch Art. 5 RL, der ausdrücklich von „Menschen mit Behinderung" spricht. Diesem Unterschied im Wortlaut zwischen Art. 1 und Art. 5 RL wird man nur gerecht, wenn man den Behinderungsbegriff im Rahmen der angemessenen Vorkehrungen enger fasst als bei den übrigen Diskriminierungstatbeständen. Da jedoch „unterstellte Behinderungen" wie gezeigt dem Behinderungsbegriff als solchem unterfallen und zukünftige Behinderungen von vornherein nicht durch die Rahmenrichtlinie erfasst werden, bleibt zur Differenzierung allein der Fall der Assoziierung mit behinderten Menschen; diese Sachverhalte unterfallen allein Art. 1, 2 RL, nicht aber Art. 5 RL. Die Erweiterung des Diskriminierungsverbots um Fälle der Assoziierung wird demzufolge nicht nur

144

St. Rspr. vgl. nur BAG, Urt. v. 6.2.2003 - 2 AZR 621/01, NZA 2003, 848; Urt. v. 28.5.1998 - 2 AZR 549/97, NZA 1998, 1052, 1053. 145 Ausf. zur Privatautonomie im Arbeitsrecht jüngst Loritz , ZfA 2003, 629.

A. Begriff der Behinderung

137

durch den weiten Wortlaut des Art. 1 RL gestützt, sondern gibt zugleich der unterschiedlichen Formulierung in Art. 1 und Art. 5 RL erst ihren Sinn. Einige abschließende Gedanken mahnen dennoch zur Zurückhaltung. Zwar hat die Frage, ob die Einschränkung der Privatautonomie im Arbeitsrecht durch die mit dem Diskriminierungsschutz erhofften Vorteile aufgewogen wird, seit Verabschiedung der Rahmenrichtlinie praktisch ihre Relevanz verloren. Selbst wenn sich die Arbeitsmarktlage behinderter Menschen infolge der Rahmenrichtlinie nicht verbessern sollte, dürfte eine zukünftige Abkehr vom Diskriminierungsschutz ausgeschlossen sein, zumal sich dieser nicht auf wirtschaftliche Zielsetzungen beschränkt.146 Ob die privatautonome Entscheidungsfreiheit der Arbeitgeber durch eine nicht zwingend vorgegebene Erweiterung des Benachteiligungsverbots ein noch weiteres Stück zurückgedrängt werden sollte, ist hingegen eine davon getrennt zu entscheidende Frage. Zumindest solange über die beschäftigungsfördernden Impulse dieses neuen Kapitels im europäischen Arbeitsrecht keine empirische Gewissheit besteht, sollte eine Ausweitung der geschützten Personengruppe nur mit Bedacht geschehen.

IV. Der Begriff der Behinderung im ADG-E Die Rahmenrichtlinie bestimmt in Art. 1, 2 Abs. 1, dass „eine Person" weder unmittelbar noch mittelbar wegen „einer Behinderung" diskriminiert werden darf. Daran anknüpfend übernahm der deutsche Gesetzgeber bereits im Jahr 2001 ein Diskriminierungsverbot in § 81 Abs. 2 SGB IX, schränkte dabei jedoch gleichzeitig den persönlichen Geltungsbereich ein: Nicht „eine Person" schlechthin, sondern nur ein schwerbehinderter Beschäftigter wird geschützt. Dass dies hinter den europarechtlichen Anforderungen zurückbleibt, erscheint naheliegend, gibt doch der Wortlaut der Rahmenrichtlinie für eine Differenzierung zwischen „einfachbehinderten" und schwerbehinderten Menschen nichts her. Dies erkannte auch der Gesetzgeber und ließ diese Einschränkung im ADG-E entfallen. Durch die §§ 1, 7 Abs. 1 AGD-E wird schlechterdings die Diskriminierung „wegen einer Behinderung" verboten. Eine Definition des Begriffs der Behinderung enthält das ADG-E allerdings nicht, so dass sich die Frage stellt, ob diese Lücke nicht durch einen Rückgriff auf das Begriffsverständnis schließbar ist, das an anderen Stellen der deutschen Rechtsordnung bereits gefunden wurde. Aus der Vielfalt der an eine Behinderung anknüpfenden Vorschriften 147 bieten sich dabei zwei an: der Behinderungsbegriff des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) sowie der in § 2 Abs. 1 SGB IX verankerte.

146 147

Zum Ziel des Diskriminierungsschutzes vgl. S .34 ff. Vgl. dazu oben A. I. 1.

138

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe 1. Das verfassungsrechtliche

Fundament

Sucht man nach Auslegungshilfen für das Merkmal der Behinderung in § 1 ADG-E, drängt sich ein Blick auf die Verfassungsbestimmung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auf. Denn das Grundanliegen ist jeweils dasselbe: Bestimmte Formen von Diskriminierung sollen verboten werden. Auf die Frage, wer behindert iS. des Grundgesetzes ist, gibt der Verfassungstext jedoch keine Antwort. Ebenso wenig lässt sich den Gesetzesmaterialien zur Verfassungsreform des Jahres 1994 eine Definition der Behinderung entnehmen. Der Hervorhebung verdient in diesem Zusammenhang allerdings eine Feststellung, die in der Empfehlung des Rechtsausschusses zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vom 28.6.1994 der SPDFraktion zugeschrieben wird: „Die Gruppe der Behinderten sei mit den schon jetzt ausdrücklich vor Diskriminierung geschützten Personengruppen vergleichbar, hinreichend groß und - über das dauerhafte Merkmal der Behinderung klar erkenn- und eindeutig bestimmbar."148 Erklärbar ist diese Aussage wohl nur in politischen Dimensionen. Das BVerfG behalf sich in seiner grundlegenden Entscheidung vom 8.10.1997 in Angesicht dieser legislatorischen Enthaltsamkeit mit der Anknüpfung an das zum Zeitpunkt der Verfassungsänderung gebräuchliche Verständnis der Behinderung.149 Dieses habe „vor allem" in § 3 Abs. 1 S. 1 SchwbG seinen Ausdruck gefunden. Ergänzend verweist das Gericht auf den „Dritten Bericht der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation"150 sowie die international üblichen Begriffsabgrenzungen, denen dasselbe Begriffsverständnis zugrunde läge. Von dieser Definition sei bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auszugehen. Das Merkmal der Behinderung sei demnach als die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, zu verstehen. Ob der Behinderungsbegriff damit abschließend bestimmt ist, ließ das BVerfG ausdrücklich offen. Das Schrifttum folgt überwiegend dieser Auslegung der Verfassungsbestimmung.151 Insbesondere hat sich die Ansicht, nur schwerbehinderte

148

BT-Drucks. 12/8165, S. 29. BVerfG v. 8.10.1997, NJW 1998, 131. 150 BT-Drucks. 12/7148. 151 Caspar , EuGRZ 2000, 135, 136; Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 127; StarcK in: v. Mangold/Klein/Starck, GG I, Art. 3 Rn. 384; Gubelu in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 3 Rn. 104c; Osterloh , in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 309; Hoftnann , in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 3 Rn. 59. Zuvor bereits Dietze , JZ 1996, 1074, 1075; G. Jürgens, NVwZ 1995, 452; Sachs, RdJB 1996, 154, 163; abl. Degener , KJ 2000, 425, 426 f. 149

A. Begriff der Behinderung

139

Menschen fielen in den Schutzbereich von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, nicht durchzusetzen vermocht. 152 Für die Interpretation von § 1 ADG-E ist dieser Befund unbefriedigend. Denn der einfache Gesetzgeber hat den Behinderungsbegriff des SchwbG inzwischen als nicht mehr zeitgemäß verworfen und durch eine neue Definition in § 2 Abs. 1 SGB I X ersetzt. An einer Stellungnahme des BVerfG zu diesem Gesetzes» und Gesinnungswandel fehlt es zudem. All dies verbaut eine Anleihe beim verfassungsrechtlichen Begriff der Behinderung in der Ausprägung, die er durch das SchwbG gefunden hat, zwar nicht, erlegt dieser aber die Last näherer Begründung auf. Anstatt an dieser Stelle deshalb die einzelnen Merkmale des § 3 Abs. 1 S. 1 SchwbG einer näheren Konkretisierung zuzuführen, soll die Nachfolgeregelung des § 2 Abs. 1 SGB IX näher beleuchtet werden. In diesem Rahmen werden Abweichungen zur überkommenen Gesetzeslage herausgestellt und Konsequenzen für das Verständnis des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG angesprochen werden.

2. Die Definition

des § 2 Abs. 1 SGB IX als Ausgangspunkt

Der Rückgriff auf § 2 Abs. 1 SGB IX zur Auslegung des § 1 ADG-E entspricht der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum. 153 Das hat aus systematischen Gründen einiges für sich. Schließlich kodifiziert die Vorschrift nicht lediglich einen sozialrechtlichen, sondern überdies den arbeitsrechtlichen Behinderungsbegriff. Zwar ist die Legaldefinition im ersten Teil des SGB I X verankert, doch gilt sie ebenso für den darauf aufbauenden Teil 2. Dieser wiederum regelt die Arbeitsverhältnisse schwerbehinderter Menschen und ist damit Teil des (materiellen) Arbeitsrechts. Auf diese Weise enthält das Arbeitsrecht mit § 2 Abs. 1 SGB I X seine - einzige - eigenständige Definition dessen, was der Gesetzgeber unter dem Merkmal der Behinderung versteht. Andere arbeitsrechtliche Bestimmungen machen sich dies zueigen. Die Gewerbeordnung, die in § 106 S. 3 Arbeitgebern aufgibt, bei der Ermessensausübung im Rahmen des Weisungsrechts auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, definiert das Merkmal der Behinderung beispielsweise nicht eigenständig. In der Gesetzesbegründung heißt es jedoch, die Definition des Begriffs der Behinderung orientiere sich an § 2 Abs. 1 SGB IX. 1 5 4 Auch der Entwurf des Antidiskriminierungs- und Minderheitenrechtsgesetzes vom 20.1.1998, der als ein152

Sannwald, NJW 1994, 3313, 3314. Abi. neben den zuvor genannten auch A. Jürgens, DVB1. 1997, 410, 411; Schwidden, RiA 1997, 70, 71; Spranger, DVB1. 1998, 1058. 153 Mohn S. 205; Schieb NZA 2004, 873, 881; Wank, in: Sonderbeilage zu NZA Heft 22/2004, S. 16, 20; wohl auch Bauer/Thüsing/Schunder, NZA 2005, 32. 154 BT-Drucks. 14/8796, S. 24.

140

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

ziger Vorläufer des ADG eine eigenständige Definition der Behinderung beinhaltete, knüpfte an diese Begriffsbestimmung an. 155 Eine Hauptursache für die Breitenwirkung des § 2 Abs. 1 SGB IX liegt in der weiten Fassung seines Tatbestandes.

a) Regelwidrige Abweichung von dem alterstypischen Zustand Den Ausgangspunkt des Behinderungsbegriffs bildet die Regelwidrigkeit. Nach der Diktion des § 3 Abs. 1 S. 1 SchwbG war dies „ein regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand", der gem. S. 2 „von dem für das Lebensalter typischen abweicht." Vergleichbar spricht § 2 Abs. 1 SGB I X von einer Abweichung der „körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit oder seelischen Gesundheit... von dem für das Lebensalter typischen Zustand." Es muss mit anderen Worten ein gesundheitlicher Defekt bestehen, der eine medizinische Anomalie darstellt. 156 Wie im Krankenversicherungsrecht wird der gesunde Mensch zum Leitbild genommen157, anhand dessen die Abweichung zu messen ist. Rein ästhetische Makel wie Narben im Gesicht, abstehende Ohren, Silberblick oder Groß- bzw. Kleinwuchs genügen,158 denn auf das Ausmaß der Regelwidrigkeit kommt es nach der Rechtsprechung des BSG nicht an. 159 Im verfassungsrechtlichen Schrifttum werden dagegen bisweilen Intensitätsschwellen unterschiedlicher Art gefordert, ohne dass dabei eine spezifische Zuordnung zu einem der Begriffsmerkmale der Behinderung erfolgt. Mitunter werden „unterdurchschnittliche Beeinträchtigungen" wie Kurzsichtigkeit, Hörschäden, Höhenangst oder eine Rechenschwäche ausgeschlossen160, zum Teil schlechterdings ein Behinderungsbegriff, der am sozialem Wohlbefinden anknüpft. 161 Das Gesetz verlangt ferner eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand.162 Alterstypische Beeinträchtigungen sind somit vom sozialrechtlichen Behinderungsbegriff ausgeschlossen. Hierunter fallen beispielsweise

155

BT-Drucks. 13/9706, S. 3. Straßmair, Besonderer Gleichheitssatz, S. 166. 157 BSG v. 20.10.1972, BSGE 35, 10, 12; Neumann, NVwZ 2003, 897. 158 Ebenso Masuch , in: FS 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 199, 203; aA Neumann, NVwZ 2003, 897 sowie Eichenkofen Sozialrecht, Rn. 365 für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. 159 BSG v. 9.4.1997, ZfS 1998, 54. 160 Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 127. Zurückhaltend Davy, SDSRV Nr. 49, S. 7, 17. 161 Starck, in: v. Mangold/Klein/Starck, GG I, Art. 3 Rn. 384. Vgl. aber Spranger, DVB1. 1998, 1058, 1060 f., der für einen umfassenden Diskriminierungsschutz plädiert. 162 Siehe bereits die Regierungsbegründung zum Entwurf des Ersten Gesetzes zur Änderung des SchwbG vom 3.4.1985, BT-Drucks, 10/3138, S. 16. 156

A. Begriff der Behinderung

141

die altersbedingte allgemeine Verminderung der körperlichen Leistungsfähigkeit (weniger Kraft, Ausdauer, Belastbarkeit), eine leichte Verminderung der Beweglichkeit der Gliedmaßen und der Wirbelsäule, das altersentsprechende Nachlassen des Gedächtnisses, der geistigen Beweglichkeit und der seelischen Belastbarkeit oder die altersspezifischen Einschränkungen der Seh- und Hörfähigkeit.163 Entscheidend für die Qualifikation als alterstypisch ist regelmäßig, dass die jeweilige Beschränkung die ganz überwiegende Anzahl der Altersgenossen betrifft. 164 Diese Einschränkung ist nicht unumstritten.165 So wird die fehlende Gerechtigkeit des Ausschlusses älterer Menschen gerügt. Überdies werden Bedenken in Hinblick auf die Praktikabilität dieser Abgrenzung angemeldet. Und auch in der Rechtsprechung des BSG sind zurückhaltende Momente auszumachen. Im Rahmen der Zuerkennung von Nachteilsausgleichen hat das Gericht beispielsweise die Frage der alterstypischen Abweichung nach dem Zweck des Nachteilsausgleichs beurteilt. 166 Im verfassungsrechtlichen Schrifttum distanziert man sich überwiegend von einer Begrenzung auf altersbedingte Beeinträchtigungen, die für diese Lebensphase regelwidrig sind. 167 Dabei wird vor allem auf den Wortlaut der Verfassungsbestimmung verwiesen, dem eine solche Einschränkung fremd sei.

b) Funktionsbeeinträchtigung Die Regelwidrigkeit musste nach dem SchwbG ursächlich für eine „Funktionsbeeinträchtigung" sein. Auch dieses Element des Behinderungsbegriffs ist nur in medizinischen Dimensionen messbar. Die Neuregelung des Behinderungsbegriffs gibt sich hier differenzierter, ohne dass damit ein Unterschied in der Sache verbunden ist. Auch hier ist die Störung einer „körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit oder der seelischen Gesundheit" erforderlich. Angesprochen ist damit nicht lediglich ein medizinischer Defekt, sondern überdies eine daraus resultierende Funktionsbeeinträchtigung. Die ersten beide Elemente des Behinderungsbegriffs, die unter der Definition des § 3 Abs. 1 SchwbG noch in zwar klar trennbare Teilaspekte unterfielen, gehen nunmehr sprachlich ineinander über. Aus Regelwidrigkeiten können Funktionsstörungen körperlicher, geis-

163

BMGS, AHP, S. 21. N/PMP-Neumann, § 2 SGB IX Rn. 15. 165 Kritisch Welti, SozSich 2001, 146; Masuch/Gcte?, § 2 SGB IX, Rn. 12; Masuch, in: FS 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 199, 204; Pitschas, SGb 2003, 65, 69; GK-SGB IX-Schimanski, § 2 Rn. 45 ff. 166 BSG v. 12.2.1997, BSGE 80, 97. 167 Neumann, NVwZ 2003, 897, 898; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 310; Reichenbach, SGb 2002, 485; offen Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 127. AA Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136. 164

142

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

tiger oder seelischer Art resultieren. 168 Zu den körperlichen Beeinträchtigungen zählen beispielsweise solche des Stütz- oder Bewegungssystems, Sehstörungen bis zur Blindheit, Gehörlosigkeit oder eine Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit. Geistige und seelische Störungen sind am Kriterium der Messbarkeit abgrenzbar, obgleich die Übergänge oftmals fließend sind.169 Zu ersteren gehört etwa Debilität, Imbecillität, Idiotie, Demenz, Schizophrenie oder Psychosen. Letztere können ebenso wie Suchtkrankheiten auch als seelische Störungen eingeordnet werden, gleichsam mit Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen. Problematisch ist, ob allein in der gesellschaftlichen Reaktionen auf entstellende Merkmale wie z.B. Narben im Gesicht eine Funktionsstörung liegen kann. Das wird zum Teil verneint. 170 Das BSG urteilte indes in einem Fall, in dem eine Frau einen totalen Haarverlust erlitten hatte, anders.171 Eine körperliche Funktionsbeeinträchtigung liege nicht nur dann vor, wenn es sich um den Verlust oder um Funktionsstörungen von Körperteilen wie Gliedmaßen und Sinnesorganen (Augen, Ohren) handele; auch Krankheiten und Verletzungen mit entstellender Wirkung könnten hierunter fallen. Der krankheitsbedingte dauerhafte Verlust des Haupthaares beruhe auf der Einbuße der körperlichen Funktion „Neubildung und Wachstum der Haare". Die Krankheit habe bei Frauen eine entstellende Wirkung, die zwar nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führe, es einer Frau aber erschwere oder gar unmöglich mache, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen; eine kahlköpfige Frau ziehe „naturgemäß" ständig alle Blicke auf sich und werde so zum Objekt der Neugier.

c) Beeinträchtigende Auswirkung Im Mittelpunkt des Behinderungsbegriffs steht die beeinträchtigende Auswirkung einer oder mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen.

aa) Das Maß der Auswirkungen nach dem SchwbG Die überkommene Begriffsdefinition in § 3 Abs. 1 S. 1 SchwbG sprach insofern schlechterdings von einer „ A u s w i r k u n g " : Unter Behinderung iS. dieses Gesetzes wurden die Auswirkungen von Regelwidrigkeiten mit Funktionsbeein-

168

Vgl. dazu die GdB/MdE-Tabelle in BMGS, AHP, S. 37 ff. Ausf. auch GK-SGB YX-Schimanski, § 2 Rn. 56 ff. 169 GK-SGB IX-Schimanski, § 2 Rn. 56; N/P/MP-Neumann, § 2 SGB IX Rn. 10 f. 170 Masuch , in: FS 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 199, 207. 171 BSG v. 23.7.2002, SozR 3-2500 § 33 Nr. 45.

A. Begriff der Behinderung

143

trächtigungen verstanden. In welchem Lebensbereich die Auswirkungen zutage traten, war unerheblich.172 Die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz musste deshalb nicht betroffen sein. Ebenso gleichgültig war, auf welche Ursachen - beispielsweise einen Arbeitsunfall - die Auswirkung zurückzuführen war. Denn mit dem In-Kraft-Treten des Schwerbehindertengesetzes von 1974 und dem damit vollzogenen Wandel vom Kausalitäts- zum Finalitätsprinzip wurde die Ursache einer Behinderung insoweit irrelevant. 173 Entscheidend war unter Geltung des SchwbG allein, dass die Auswirkung Krankheitswert hatte. Nur dann war sie als Behinderung zu berücksichtigen.174 Festgelegt wurde das Ausmaß der Behinderung als Grad der Behinderung (GdB) unter Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung.175 Die AHP, die letztmalig im April 2004 vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegeben wurden, enthalten zu diesem Zweck eine GbB/MdE Tabelle. 176 Die beschränkenden Auswirkungen werden dort als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich bei den AHP um antizipierte Sachverständigengutachten, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen und nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden können.177

bb) Implementation des Teilhabekonzeptes Unter der Definition des § 2 Abs. 1 SGB I X musste der Begriff der »Auswirkung" der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" weichen. Das Merkmal der Behinderung erhält mit dieser expliziten Bezugnahme auf Kontextfaktoren eine soziale Komponente: Teilhabe meint das Einbezogensein in einer Lebenssituation oder einen Lebensbereich.178 Eine Beeinträchtigung derselben soll bereits bei einem Problem vorliegen, „das ein Mensch in Hinblick auf sein Einbezogensein in Lebenssituationen erleben kann".179 Dieses

172

BT-Drucks. 10/3138, S. 14; BSG v. 9.10.1987, BSGE 62, 209. Siehe dazu bereits im 1. Kapitel unter B. I. 174 BSG v. 9.4.1997, ZfS 1998, 54; v. 15.3.1979, BSGE 48, 82, 83. 175 BSG v. 9.4.1997, ZfS 1998, 54; v. 11.10.1994, BSGE 75, 176, 177; v. 23.6.1993, BSGE 72, 285, 286. 176 BMGS, AHP, S. 37 ff. Vgl. dazu Dolata , BehindR 2004, 1; Schillings , SuP 2003, 117. 177 BVerfG v. 6.3.1995, NJW 1995, 3049, 3050; BSG v. Urt. v. 9.4.1997, ZfS 1998, 54; v. 23.6.1993, BSGE 72, 285, 286 ff.; Näher zu den AHP Schillings , SuP 2003, 117; Straßfeld , VersorgVerw 2001, 36. 178 DIMDI, ICF, S. 94; Schuntermann , MedSach 2003, 94, 95. 179 DIMDI, ICF, S. 94. 173

144

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

manifestiert sich in der Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person und ihren Umweltfaktoren. 180 Auf den Nachweis einer Kausalbeziehung zwischen Funktionsstörung und behindernden Auswirkung wird verzichtet. Bereits die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs I Ol

soll genügen. Hinter dieser Modifikation des Behinderungsbegriffs verbirgt sich die gesetzgeberische Intention, die seinerzeit im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation stattfindende internationale Diskussion um eine Weiterentwicklung der International Classification of Impairment, Disabilities and Handicaps (ICIDH) für die Neufassung des SGB I X fruchtbar zu machen.182 Das Vorliegen einer Behinderung wurde nach der ersten Version der ICIDH aus dem Jahr 1980 (ICIDH-1) aus drei Faktoren geschlossen: Einem Gesundheitssschaden (impairment), einer funktionellen Einschränkung (disability) und der sozialen Beeinträchtigung (handicap). Diese Definition sah sich verschiedenen Kritikpunkten ausgesetzt, unter anderem dem Vorwurf einer zu medizinisch orientierten Ausrichtung.183 Die daraufhin notwendig gewordene Überarbeitung der ICIDH mündete 1997 in die Vorlage einer revidierten Fassung, der ICIDH-2. 1 8 4 Diese wiederum diente als Grundlage für die im Mai 2001 durch die Weltgesundheitsorganisation verabschiedete International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Wesentliche Aspekte der ICF wurden durch das SGB IX aufgegriffen. 185 Unter Behinderung wird dort als Oberbegriff jede beliebige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit einer Person verstanden.186 Das Vorliegen einer Funktionsstörung, eines Strukturschadens, einer Einschränkung einer Aktivität oder eine Beeinträchtigung der Teilhabe an einem Lebensbereich genügt demnach zur Annahme einer Behinderung.187 Dieses „neue Menschenbild" war Vorbild des neuen sozialrechtlichen Behinderungsbegriffs. 188 Gänzlich übernommen wurde es indes nicht. Allein das Teilhabekonzept wurde in § 2 Abs. 1 SGB I X kodifiziert. Deshalb ist die Definition der Behinderung in dieser Vorschrift wesentlich enger als jene der ICF. Mit der Übernahme des Teilhabekonzepts soll die Tür zu einer neuartigen konzeptuellen Erfassung des 180 181

DIMDI, ICF, S. 5. N/P/MP-Neumann, § 2 SGB IX Rn. 20. Enger GK-SGB IX-Schimanski, § 2

Rn. 5.

182

BT-Drucks. 14/5074, S. 94, 98. Siehe auch Langguth, DStR 2001, 1351, 1352. Schuntermann, DRV 1997, 529, 531; Niemann, NZS 2001, 583, 584. Siehe auch Crossley, 74 Notre Dame L. Rev. 621, 645 (1999). 184 Ausf. dazu Schuntermann, DRV 1997, 529. 185 DIMDI, ICF, S. 4; Masuch/Göize, § 2 SGB IX, Rn. 9. 186 DIMDI, ICF, S. 4; N/P/MP-Neumann, § 2 SGB IX Rn. 3; Masuch/Gcte?, § 2 SGB IX, Rn. 8; Center/lmparato, 14 Stan. L. & Pol'y Rev. 321, 343 (2003). 187 Schuntermann, DRV 2003, 52, 53. 188 Masuch/Göfz*, § 2 SGB IX, Rn. 8. 183

A. Begriff der Behinderung

145

Phänomens der Behinderung eröffnet werden: hinweg von der Orientierung an vermeintlichen - Defiziten und hin zur Förderung der Teilhabe an der Gesellschaft insgesamt und insbesondere am Arbeitsleben.189 Die Einfügung des Teilhabekonzepts in § 2 Abs. 1 SGB I X wirft die Frage auf, ob fortan nur noch solche Regelwidrigkeiten mit Funktionsstörung unter den Behinderungsbegriff fallen, die Auswirkungen gerade im sozialen Kontext der Teilhabe zeigen oder ob auch rein medizinische Auswirkungen ohne Teilhabebeschränkung genügen. Das BSG nimmt letzteres an: Gegenüber § 3 Abs. 1 und 2 SchwbG stelle das SGB I X für die Definition der Begriffe Behinderung und GdB nicht mehr allein auf Funktionsbeeinträchtigungen als Auswirkungen regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustände ab, sondern ergänzend als Folge davon als Beeinträchtigung des Betroffenen auf seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. 190 Das Gesetz enthalte deshalb jedenfalls keine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Feststellungspraxis. Dem entspricht zudem die Gleichsetzung des Ausmaßes der Teilhabebeschränkung mit dem GdB in den neuen AHP. 1 9 1 Im Regelfall wird damit aus jeder Funktionsstörung eine Teilhabebeeinträchtigung folgen. 192

d) Zeitliche Grenze Sowohl das SchwbG als auch das SGB IX schränken den Behinderungsbegriff durch die Aufnahme einer zeitlichen Komponente ein. Gedient wird damit primär der Abgrenzung von Behinderung als dauerhaften von der Krankheit als bloß temporärem Zustand. Das SchwbG ging diesbezüglich noch zweistufig vor. In § 3 Abs. 1 S. 1 verlangte es für eine Behinderung eine „nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung". Sodann präzisierte S. 3, dass als nicht nur vorübergehend ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten gilt. Das BVerfG verwies in seinem Urteil aus dem Jahr 1987 zur Auslegung von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG allein auf § 3 Abs. 1 S. 1 SchwbG.193 Man wird deshalb im Verfassungsrecht keine starre Grenze verlangen können.194 Der § 2 Abs. 1 SGB I X präzisiert die Vorgängerregelung durch die Klarstellung, dass die Abweichung „mit hoher Wahrscheinlichkeit" länger als sechs Monate andauern muss. Ausschlaggebend ist damit nicht, ob der Zustand schon sechs Monate besteht, son-

189

BT-Drucks. 14/5074, S. 94. BSG Urt. v. 7.11.2001-B 9 SB 1/01 R, n.v. 191 BMGS, AHP, S. 20. Davor bereits GK-SGB IX-Schimanski, § 2 Rn. 5. 192 So auch N/PMP-Neumann, § 2 SGB IX Rn. 18. 193 BVerfG v. 8.10.1997, NJW 1998, 131. 194 Neumann, NVwZ 2003, 897, 898. 190

146

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

dem eine entsprechende Prognoseentscheidung; dies entspricht der Rechtsprechung des BSG zu § 3 Abs. 1 SchwbG.195

5. Modifikationen

im Dienste des Diskriminierungsschutzes

Für die Interpretation von § 1 ADG-E kann die allgemeine Begriffsdefinition in § 2 SGB I X nicht mehr als einen ersten Anhaltspunkt vorgeben. Dies entspricht ihrer Funktion. Denn selbst innerhalb des weiteren sozialrechtlichen Leitungsrechts, für welches sie gem. § 7 S. 1 SGB IX ebenso gilt, bietet sie nicht mehr als einen - wenn auch zentralen - Ausgangspunkt. Für den Bereich der Arbeitsförderung etwa nimmt § 19 Abs. 1 SGB III zwar ausdrücklich auf die Legaldefinition des § 2 SGB I X Bezug, schränkt diese zugleich jedoch ein. Nur solche Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilnahme am Arbeitleben benötigen, werden erfasst. Ein Anspruch auf Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung besteht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V nur unter der Einschränkung, dass das Hilfsmittel weder als allgemeiner Gebrauchsgegenstand anzusehen ist noch durch Rechtsverordnung gem. § 34 Abs. 5 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen wurde. Für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung sind wiederum nach § 43 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 SGB V I Besonderheiten zu beachten, ebenso wie bei der Eingliederungshilfe von Kindern und Jugendlichen nach § 35a SGB VIII. Aber auch für das Benachteiligungsverbot in § 81 Abs. 2 SGB I X entspricht es dem gesetzgeberischen Willen, den Behinderungsbegriff des § 2 SGB I X nicht unmodifiziert zur Anwendung gelangen zu lassen, sondern gerade auf schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte Menschen zu beschränken.

a) Wider der Anknüpfung an die (Schwer-)Behinderteneigenschaft Mit der Verabschiedung des ADG hat der Gesetzgeber selbst bereits im Wortlaut des Diskriminierungsverbots zwei bedeutsame Modifizierungen gegenüber § 81 Abs. 2 SGB I X vorgenommen. Während im SGB I X die Benachteiligung „schwerbehinderter Beschäftigter" wegen „ihrer Behinderung" verboten ist, folgt aus den §§ 1, 7 ADG-E nunmehr allgemein ein Verbot der B e nachteiligung wegen einer Behinderung" aus. Diese Änderungen sind nicht rein sprachlicher Natur: Im Schrifttum zu § 81 Abs. 2 SGB I X war nämlich vor Er-

195

BSG v. 12.4.2000, SozR 3-3870 § 3 Nr. 9.

A. Begriff der Behinderung

147

lass des ADG, soweit der im Vergleich zur Rahmenrichtlinie verengte Anwendungsbereich des SGB I X überhaupt thematisiert wurde, die Feststellung verbreitet, dass § 81 Abs. 2 SGB I X eine Umsetzung der Rahmenrichtlinie hinsichtlich der schwerbehinderten Menschen und der ihnen gleichgestellten Personen darstelle, bezüglich der sonstigen behinderten Menschen jedoch noch Umsetzungsbedarf bestehe.196 Dies war im Ansatz richtig, griff aber zu kurz. Übersehen wurde dabei, dass das deutsche Recht nicht nur mit seiner Anknüpfung an die Schwerbehinderteneigenschaft, sondern überdies in der Formulierung, dass diese Personen nicht wegen „ihrer" Behinderung benachteiligt werden dürfen, von der Rahmenrichtlinie abwich. Diese Diskrepanz bleibt nicht ohne Konsequenz: Menschen, die wegen einer Behinderung diskriminiert werden, müssen nach den Vorgaben des Europarechts nicht zwangsläufig behinderte Menschen sein.197 Zu bemängeln war infolgedessen nicht nur das Außenvorlassen der behinderten Menschen, die nicht zu der Gruppe der schwerbehinderten Beschäftigten oder ihnen gleichgestellten Personen gehören. Den europarechtlichen Vorgaben wird man auf nationalstaatlicher Ebene vielmehr nur dann gerecht werden, wenn man den persönlichen Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots auf alle Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, erstreckt. Nicht nur behinderte Menschen, sondern jeder Beschäftigte hat ein Recht darauf, nicht wegen einer Behinderung diskriminiert zu werden. Dieser Unterschied mag auf den ersten Blick geringfügig erscheinen, kann sich aber als folgenschwer erweisen. 198 Die Ursache für Aussagen im Schrifttum, die allein auf die Notwendigkeit der Einbeziehung der - übrigen - behinderten Menschen hinweisen, wird in einer vorschnellen Übertragung der Erfahrungen zum Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechtes gem. § 611a BGB auszumachen sein. Diese Vorgehensweise liegt in der Tat so fern nicht: Wortlaut und Zweck der beiden Vorschriften zugrunde liegende Richtlinien liegen nahe beieinander, weshalb es nicht verwundert, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Schaffung des § 81 Abs. 2 SGB IX schlichtweg auf § 611a BGB verwies. 199 Außer Acht gelassen wird dabei jedoch, dass selbst die Umsetzung des Art. 2 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie200 durch §611a Abs. 1 S. 1 BGB unvollkommen war. In letztgenannter Bestimmung heißt es „der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei... nicht wegen seines Geschlechtes benachteiligen", wohingegen die 196

GK-SGB IX-Großmann §81 Rn.211; Rolfs/Paschke , BB 2002, 1260, 1261; Wank , in: Sonderbeilage zu NZA Heft 22/2004, S. 16, 20. 197 Vgl. dazu die Ausführungen zum Assoziierungsschutz unter A. III. 3. c). 198 Näher dazu unter A. III. 3. c) cc). 199 BT-Drucks. 14/5074, S. 113. 200 Richtlinie 76/207/EWG, ABl. Nr. L 39, S. 40 v. 14.2.1976. Die Formulierung in Art. 2 Abs. 1 wurde durch die Richtlinie 2002/73/EG, ABl. Nr. L 269, S. 15 v. 5.10.2002 zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie nicht berührt.

148

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

Gleichbehandlungsrichtlinie ausdrücklich ein Verbot der Diskriminierung „aufgrund des Geschlechts" fordert. Ohne praktische Konsequenzen blieb diese nunmehr ebenso bei der Umsetzung des Benachteiligungsverbots wegen einer Behinderung anzutreffende Diskrepanz im Wortlaut allein deshalb, weil beim Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts der persönliche Geltungsbereich übereinstimmt mit dem verbotenen Anknüpfungsmerkmal - dem Geschlecht. Zwar unterscheidet auch die Gleichbehandlungsrichtlinie zwischen Arbeitnehmern bzw. Beschäftigten auf der einen Seite und dem Anknüpfungsverbot an das Geschlecht auf der anderen Seite, doch fallen alle Arbeitnehmer unter dieses Merkmal, d.h. haben ein Geschlecht. Infolgedessen kann ohne Unterschied in der Sache davon gesprochen werden, dass eine Frau ein Recht darauf hat, nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt zu werden oder im Rahmen der Debatte über die Zulässigkeit positiver Fördermaßnahmen bemerkt werden, das Diskriminierungsverbot schütze auch einen Mann vor ungünstigeren Behandlungen aufgrund seines Geschlechts.201 Nur übersehen werden darf nicht, dass in diesen Fällen vom verbotenen Differenzierungsmerkmal (dem Geschlecht) auf den persönlichen Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots (alle Arbeitnehmer) rückgeschlossen wird. Überträgt man diese Vorgehensweise auf § 81 Abs. 2 SGB IX, beschneidet man den persönlichen Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots. Zwar haben alle Arbeitnehmer ein Geschlecht, nicht jedoch eine tatsächliche und gegenwärtige Behinderung. Das Benachteiligungsverbot wegen der Behinderung verlangt dem Rechtsanwender damit ein größeres Differenzierungsbewusstsein ab; eine am Vorbild des § 61 la BGB angelehnte Umsetzung wird dem nicht gerecht. Der Wortlaut der § § 1 , 7 ADG-E bringt dies nunmehr zum Ausdruck; dies ist bei seiner Auslegung zu beachten.

b) Keine Einschränkung über die Schwere der Schädigung Will man der sozialen Ausrichtung des Behinderungsbegriffs auf europäischer Ebene gerecht werden, verbietet sich eine Einschränkung des geschützten Personenkreises über das Merkmal der Schädigung. Denn selbst Funktionsstörungen, die medizinisch als geringfügig zu bewerten sind, können erhebliche Teilhabebeeinträchtigungen mit sich bringen. Entstellungen im Gesichtsbereich können beispielsweise, obgleich nicht rein ästhetischer Natur, medizinisch in nur geringem Umfang behandlungsbedürftig sein. Die Beeinträchtigung der Teilhabe liegt aber ungleich höher. Dieser Befund hat zwei unmittelbare Konsequenzen für die Anwendung des § 2 SGB IX. Zunächst schließt er eine Beschränkung des § 1 ADG-E auf schwerbehinderte Menschen iSd. § 2 Abs. 2 SGB I X oder diesen nach § 2 Abs. 3 SGB I X gleichgestellte Menschen aus.

201

Siehe nur Erman/Edenfeld

§ 61 la Rn. 15.

A. Begriff der Behinderung

149

Und zwar nicht allein deshalb, weil die Rahmenrichtlinie ihrem Wortlaut nach lediglich an „einfachbehinderte" Beschäftige anknüpft. 202 Die Verankerung einer Erheblichkeitsschwelle im Behinderungsbegriff entspricht im Gegenteil gerade dem Telos des Diskriminierungsschutzes.203 Entscheidend ist, dass beide Einschränkungen des § 2 Abs. 1 SGB I X mögliche Beeinträchtigungen der Teilhabe außer Acht lassen. Denn der jeweils maßgebliche Grad der Behinderung vermag diese nicht hinreichend genau widerzuspiegeln.204 Berechtigte Zweifel sind überdies daran angebracht, ob mit dem Abstellen auf eine „Schwerbehinderung" das richtige Maß an Intensität getroffen wäre. Obgleich die Festsetzung der Höhe der anzulegenden Messlatte nur begrenzt eine rechtliche ist 205 , wird die mit dem Schwerbehindertenbegriff implizierte „erhebliche Schwere der Behinderung*4206 wohl kaum zu verlangen sein. Nahe liegender ist es, ein Mindestmaß an beschränkenden Wirkungen ausreichen zu lassen, denn mehr fordert der Diskriminierungsschutz als solcher nicht. 207 Nicht vereinbar mit dem sozialen Behinderungsmodell ist überdies die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX, dass die Beeinträchtigung „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen muss/*208 Eine entsprechende Begrenzung mag ihre Berechtigung bei der Erbringung von Rehabilitationsleistungen haben, im Diskriminierungsrecht ist sie aber fehl am Platz. Nicht nur ist die Dauer von sechs Monaten frei gegriffen, sie setzt überdies nicht bei der Teilhabebeeinträchtigung, sondern bei der Funktionsstörung an. Allein die Abweichung vom Leitbild des gesunden Menschen muss nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB I X länger als sechs Monate bestehen. Sie harmoniert überdies nicht mit dem Sinn und Zweck des Diskriminierungsschutzes. Wird einem Arbeitnehmer beispielsweise die Einstellung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf seine gegenwärtige Behinderung versagt, ist es ein schwacher Trost, ihm mit auf dem Weg zu geben, seine Chancen im Erwerbsleben ständen in fünf Monaten als nicht mehr Behinderter wahrscheinlich besser - der Arbeitsplatz ist verloren. Zudem ist die Schutzunwürdigkeit des diskriminierenden Motivs unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung des Beschäftigten. Jene ist überdies selbst bei medizinischen Beeinträchtigungen oftmals kaum vorhersehbar, 209 auf soziale Hindernisse passt die-

202

LaskowskUWelti, ZESAR 2003, 215, 216; Rolfs/Paschke, BB 2002, 1260, 1261. Zur Erheblichkeitsschwelle siehe unter A. III. 2. 204 Vgl. auch Sprangen DVB1. 1998, 1058, 1061. 205 Siehe dazu die Ausführungen unter A. I. 206 Masuch/Göfze, § 2 SGB IX, Rn. 24. 207 Vgl. dazu im 2. Kapitel unter A. I. 2. 208 Womit der deutsche Gesetzgeber im Übrigen selbst von den Vorgaben der ICIDH-2 abweicht. 209 Siehe hierzu auch Welti, SozSich 2001, 146, 147. 203

150

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

ses Erfordernis von vornherein nicht. Wann nämlich ein Arbeitgeber seine benachteiligende Einstellung revidiert oder sonstige soziale Hindernisse in seiner Betriebsstätte beseitigt, ist kaum vorhersagbar und würde darüber hinaus zu Schutzbehauptungen dergestalt einladen, dass etwa die behinderungsgerechte Ausstattung des Gebäudes in fünf Monaten gewiss vollbracht werde.

c) Reichweite des Teilhabekonzepts im ADG Das Hauptproblem einer Anlehnung des in § 1 ADG-E niedergelegten Behinderungsbegriffs an § 2 Abs. 1 SGB IX stellt das dort implementierte Teilhabekonzept dar. Zwar bringt es Wichtiges auch für das Anti-Diskriminierungsrecht zum Ausdruck. In erster Linie korrespondiert der Teilhabegedanke mit der in der Rahmenrichtlinie vorgesehenen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme angemessener Vorkehrungen. Diese lässt sich stimmig als Verpflichtung zur Beseitigung von Teilhabebeschränkungen, die der Arbeitgeber selbst errichtet hat, begreifen, wohingegen sie unter einem rein medizinisch interpretierten Behinderungsbegriff kaum erklärbar ist. 210 Beide Modelle decken sich indes nicht: Auch solche Beschäftigte, zu deren Gunsten der Arbeitgeber keine angemessenen Vorkehrungen zu erbringen hat, können in den persönlichen Anwendungsbereich des ADG fallen. 211 Gleichzeitig aber ist das Teilhabekonzept wenig greifbar und teilt damit die bereits am sozialen Modell geübte Kritik. 212 Dies ist ein Manko, mit dem man sich im sozialen Leistungsrecht mag abfinden können, nicht aber im Anti-Diskriminierungsrecht. Gewährleistet werden muss dort vielmehr ein möglichst großes Maß an Vorhersehbarkeit der Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zu einer der geschützten Gruppen. Andernfalls kann das ADG seiner verhaltenssteuernden Funktion nicht nachkommen. Es muss deshalb ein Weg gefunden werden, den mit der ausufernden Weite des Teilhabekonzepts verbundenen Unsicherheiten aus anti-diskriminierungsrechtlicher Sicht zu begegnen. Zur Lösung dieses Problems scheinen zwei Wege als gangbar. Zum einen könnte man eine Teilhabebeeinträchtigung stets generalisierend als gegeben zu Grunde legen. Zur Annahme einer Behinderung würde demnach der Nachweis einer Regelwidrigkeit samt daraus resultierender Funktionsstörung ausreichen. Dem Vorwurf einer ausschließlich medizinischen Orientierung muss sich dieses Modell dann nicht aussetzen, wenn - wie oben ausgeführt - keine Einschränkung über die Schwere der Regelwidrigkeit bzw. der Funktionsstörung vorgenommen wird. Damit wird zugleich der Nachteil dieser Lösungsmöglichkeit offenbar: Es fehlt an einer Möglichkeit, die Größe

210 2,1 212

Siehe dazu bereits oben A. II. 2. a). Vgl. oben A. III. 1. Ausf. hierzu oben A. III. 1. b).

A. Begriff der Behinderung

151

der geschützten Personengruppe über die beeinträchtigenden Auswirkungen zu regulieren. Der mit dem ADG verbundene Eingriff in die Privatautonomie der Arbeitgeber erfordert jedoch eine derartige Begrenzung.213 Offen bliebe überdies, wie jene Fälle zu behandeln wären, in denen eine Teilhabebeeinträchtigung nachweislich ausscheidet. Die zweite Möglichkeit, das Teilhabekonzept für das Anti-Diskriminierungsrecht handhabbar zu machen, ist die Suche nach sinnvollen Begrenzungen möglicher Teilhabebeeinträchtigungen. Das Ziel muss es hierbei sein, die Teilhabebeeinträchtigung quantifizierbar zu machen und jene, die ein gewisses Mindestmaß nicht überschreiten, diskriminierungsrechtlich für irrelevant zu erklären. Dabei hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass das Teilhabekonzept schon auf der Ebene der Feststellung des Merkmals der Behinderung die Frage nach einer Beeinträchtigung notwendig macht. Diese Beeinträchtigung wiederum ist von der benachteiligenden Maßnahme iSd. § 3 ADG-E zu trennen. 214 Beides muss auseinander fallen. Eine Teilhabeeinbeeinträchtigung kann mit anderen Worten nie mit einem Verhalten des Arbeitgebers begründet werden, dass zugleich als diskriminierende Ungleichbehandlung untersagt werden soll. Darüber hinaus wird man zwischen gegenständlichen und mentalen Barrieren, d.h. Vorurteilen, zu unterscheiden haben. Im ersten Fall bestimmen sich die für die Beurteilung einer möglichen Teilhabebeeinträchtigung maßgeblichen Umweltbzw. Kontextfaktoren allein nach der konkreten Arbeitsumgebung. Hat ein Arbeitgeber einen Arbeitsplatz derart eingerichtet, dass er von Beschäftigten mit einer bestimmten Funktionsstörung ohne wesentliche Einschränkungen benutzt werden kann, sind diese nicht in ihrer Teilhabe beeinträchtigt. Es fehlt insofern an einer Behinderung iSv. § 1 ADG-E. Dass anderswo entsprechende Einrichtungen fehlen, d.h. die Personen außerhalb des Arbeitsplatzes Einschränkungen erfahren, ändert an diesem Befund nichts; der Behinderungsbegriff ist bezüglich gegenständlicher Barrieren relativer Natur. Durch Vorurteile hervorgerufene Teilhabebeeinträchtigungen lassen sich schwieriger abstrakt eingrenzen. Hier wird man lediglich nicht erkennbare und dem Arbeitgeber auch nicht bekannte Funktionsstörungen als Gegenstand möglicher Vorurteile von vornherein aus dem Behinderungsbegriff herausnehmen können. In allen anderen Fällen bietet sich eine abgestufte Darlegungs- und Beweislastverteilung im Rahmen der Feststellung einer benachteiligenden Handlung iSd. § 3 ADG-E an.

213 214

Siehe dazu unter A. III. 2. a). Näher dazu bereits oben A. II. b) bb).

152

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

B. Grenzen des Gruppenprinzips - die Heterogenität des geschützten Personenkreises Allein das Bestehen einer Behinderung schafft - im Gegensatz zum geschlechtsspezifischen Benachteiligungsverbot - keine Klarheit darüber, welche Schutzmechanismen zugunsten der benachteiligten Personen prinzipiell eingreifen können. Lediglich in den Fällen einer Belästigung (Art. 2 Abs. 3 RL) bzw. der Vornahme einer positiven und /oder spezifischen Fördermaßnahme (Art. 7 RL) ist der persönliche Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie mit der Feststellung einer Behinderung hinreichend klar umrissen.215 Im Übrigen kann, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, die im Rahmen der Feststellung der Behinderung fingierte Homogenität dieser Personengruppe selbst für den beschränkten Zweck des Anti-Diskriminierungsrechts nicht vollends aufrechterhalten werden. Es bietet sich an, die Gesamtheit der vom Gleichbehandlungsgebot behinderter Menschen erfassten Personen für die Zwecke des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes in drei Gruppen zu gliedern. Die erste Gruppe bilden jene Individuen, die die wesentlichen Funktionen der Arbeitsstelle, die sie innehaben oder begehren, ohne jegliche Unterstützung durch den Arbeitgeber ausüben können. In der zweiten Kategorie finden sich jene Personen, die zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsfunktionen zwar in der Lage sind, aber zu diesem Zwecke auf angemessene Vorkehrungen angewiesen sind. Behinderte Menschen, die auch nach der Vornahme angemessener Vorkehrungen nicht zur Ausübung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes in der Lage sind, bilden die dritte Gruppe. 216 Die Folgen dieser Heterogenität sind außerhalb der eingangs beschriebenen Fallgruppen weitreichend: Je nachdem in welche Kategorie ein Arbeitnehmer fallt, hat der Arbeitgeber entweder die Pflicht, ihn ebenso wie vergleichbare aber nicht bzw. anders behinderte Arbeitnehmer zu behandeln (Gruppe 1), die Pflicht, ihn besser als nicht bzw. anders behinderte Arbeitnehmer zu stellen (Gruppe 2) oder aber die Freiheit, ihn schlechter als nicht bzw. anders behinderte Arbeitnehmer zu behandeln (Gruppe 3). Im Folgenden sollen noch vor der Erörterung der einzelnen Diskriminierungstatbestände und damit gleichsam vor die Klammer gezogen einige Gedan-

215 Hinsichtlich des Belästigungsverbots gilt dies allerdings nur mit der Einschränkung, dass zwar alle behinderten Beschäftigten Belästigungsschutz genießen, dieser unter Umständen sich aber ebenso auf nicht behinderte Arbeitnehmer erstrecken kann. Vgl. dazu oben A. III. 3. a). 216 Der Grund für diese Dreiteilung liegt in der Unterscheidung zwischen wesentlichen und sonstigen - nicht wesentlichen - Funktion eines Arbeitsplatzes sowie der Beschränkung der Vornahme angemessener Vorkehrungen auf die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen. Zur Frage, wann eine Arbeitsplatzfunktion als wesentlich einzustufen ist, siehe oben im 2. Kapitel unter B. II.

B. Grenzen des Gruppenprinzips

153

ken zur Effektivität des Benachteiligungsverbots innerhalb dieser Gruppen artikuliert werden. Angeknüpft wird damit an die im zweiten Kapitel gewonnene Erkenntnis zu Grundlagen und Reichweite des arbeitrechtlichen Gleichbehandlungsgebots.

I. Arbeitnehmer als Opfer von Vorurteilen und Fehlvorstellungen (Gruppe 1) Die erste Gruppe bilden Menschen mit Behinderungen, die zur Ausübung der wesentlichen Funktionen eines Arbeitsplatzes in seiner gegenwärtigen Form in der Lage sind. Angehörige dieser Personengruppe werden Opfer von Formen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung nicht ungleich derer, unter denen Angehörige anderer geschützter Personengruppen zu leiden haben, d.h. sie erfahren eine anderweitige, nachteilige Behandlung des Arbeitgebers oder ihrer Kollegen aus zweierlei Gründen. Zum einen werden sie benachteiligt, weil Arbeitgeber irrtümlicherweise annehmen, der Arbeitnehmer könne aufgrund seiner Behinderung die ihm zugedachte Arbeit entweder überhaupt nicht oder nicht mit der erwünschten Effizienz ableisten. Der Arbeitgeber irrt mit anderen Worten über die Produktivität dieser Arbeitnehmer. Zum anderen erfahren jene behinderten Menschen Nachteile im Erwerbsleben aufgrund von Annahmen oder Einstellungen, die in keinem Zusammenhang mit der Produktivität stehen, und welche der Arbeitgeber zum Anknüpfungspunkt seiner Entscheidung macht.217

7. Irrtum über die Produktivität

des Beschäftigten

a) Bloße Unwissenheit Der Irrtum des Arbeitgebers über die wahre Produktivität eines behinderten Arbeitnehmers mag das Resultat bloßer Unwissenheit sein. Aufgrund von althergebrachten Mythen und Stereotypen sind viele Arbeitgeber der Ansicht, behinderte Arbeitnehmer seien weniger produktiv als sie tatsächlich sind. Allein auf diese Personen trifft Beckers Feststellung zu, dass „Unwissenheit sich schnell durch die Verbreitung von Information eliminieren lässt" und Diskriminierungen auf diese Weise ihr Ende finden. 218 Ein Beispiel von Beschäftigen, die in diese Gruppe fallen können, sind Personen mit asymptomatischer HIVInfektion, die der Arbeitgeber aus sachlich nicht begründeter Angst vor Anste217 Zu eng in dieser Hinsicht Cooper, 139 U. Pa. L. Rev. 1423, 1427 (1991) („may be caused by ... misconception about the protected group that is in no way related to that group's ability to perform"). 218 Becker, Economics of Discrimination, S. 16.

154

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

ckungsgefahren nicht einstellt. Hier können gezielte Informationskampagnen helfen. 219

b) Bewusste statistische Diskriminierung Schwieriger wird diese „Diskriminierungsbekämpfung durch Aufklärung", wenn der behinderte Arbeitnehmer zu einem Opfer statistischer Diskriminierung wird. 220 Der Irrtum über die wahrhaftige Produktivität hat in diesem Fall seine Ursache in der Zusammenfassung von Arbeitnehmern mit vergleichbaren Behinderungen zu bestimmten Gruppen. Fällt ein Arbeitgeber in eine entsprechende Kategorisierung und ist die durchschnittliche Produktivität innerhalb dieser Gruppe niedriger als bei Angehörigen einer vergleichbaren Gruppe nicht behinderter Arbeitnehmer, besteht die Gefahr, dass ein Arbeitgeber generell von der Einstellung dieser Arbeitnehmer absieht; das Vorhandensein einer bestimmten Behinderung wird sachwidrig zum Indikator der zukünftigen Arbeitsproduktivität erkoren. Verantwortlich für den Irrtum über die Leistungsfähigkeit ist damit die nicht erfolgte individuelle Evaluierung des betreffenden Arbeitnehmers, der tatsächlich weitaus produktiver als die übrigen Gruppenangehörigen ist. Der potentielle Nutzen einer Aufklärung über die wahre Produktivität von Arbeitnehmern mit bestimmten Behinderungen ist hier geringer, gerade weil die durchschnittliche Produktivität dieser Personen hinter den Anforderungen des Arbeitgebers zurückbleibt, d.h. von ihm durchaus zutreffend beurteilt wird. Eine Aufklärung müsste, um effektiv zu sein, auf jeden individuellen Beschäftigten mit einer bestimmten Behinderung zugeschnitten sein und zeigen, dass dieser überdurchschnittlich produktiv ist. Informationskampagnen können hier nicht helfen, der einzelne Arbeitgeber ist in die Verantwortung zu nehmen. Abhilfe schaffen kann hier die Garantie formeller Gleichbehandlung für behinderte Menschen oder, wie die U.S. Commission on Civil Rights es anschaulich formuliert, der Neutralität gegenüber Gruppenmerkmalen. 221 Sofern ihr ein beschäftigungsfordernder Impuls innewohnt, entfaltet dieser seine Wirkung ganz vorrangig für Angehörige dieser ersten Gruppe behinderter Menschen, denn sie zielt auf die Beseitigung dessen ab, was Becker als Diskriminierung umschrieben hat: Die unterschiedliche Behandlung gleich produktiver Arbeit-

219

Diskriminiert der Arbeitgeber selbst nach Aufklärung über die wirkliche Produktivität weiter, irrt er nicht länger, sondern trifft eine bewusst ineffiziente Entscheidung, siehe dazu sogleich. 220 Naheliegend ist dies vor allem bei jenen Behinderungen, die schwerlich einer generalisierenden Betrachtung zugänglich sind. Zum Begriff der statistischen Diskriminierung vgl. bereits im 2. Kapitel unter A. I. 2. c) bb). 221 U.S. Commission on Civil Rights, Accommodating the Spectrum of Individual Abilities, S. 153-154(1983).

B. Grenzen des Gruppenprinzips

155

nehmer. 222 Sie zwingt mit anderen Worten den Arbeitgeber gerade zur individuellen Bewertung der Fähigkeiten eines Beschäftigten und wirkt damit statistischer Diskriminierung entgegen. Verstärken lässt sich der Abbau statistischer Diskriminierung des Weiteren dadurch, dass man den Behinderungsbegriff weit fasst und ihm ebenso solche Individuen unterstellt, die nur fälschlicherweise als behindert angesehen werden oder mit behinderten Menschen sich assoziieren.223 Ob die Bekämpfung von statistischer Diskriminierung zu den von Richard Epstein generell prognostizierten „weitaus höheren Kosten" für Arbeitgeber führen 224 , lässt sich in dieser Allgemeinheit kaum sagen, sondern bedarf näherer empirischer Untersuchung. Nicht außer Acht gelassen werden sollte jedoch, dass auch statistische Diskriminierungen ineffektiv sein können225 und die individuell erfolgte Evaluierung des Beschäftigten damit durchaus Kostenvorteile mit sich bringen kann.

2. Bewusst ineffiziente

Entscheidungen

Behinderte Arbeitnehmer werden überdies Opfer von Vorurteilen und Fehlvorstellungen, die mit ihrer Produktivität in keinem Zusammenhang stehen. Das Unbehagen, mit dem viele Arbeitgeber Menschen mit Behinderung begegnen fällt hierunter. Im Unterschied zu den soeben geschilderten Fällen irrt der Arbeitgeber hier nicht über die wahrhaftige Produktivität des behinderten Beschäftigten, sondern entscheidet sich bewusst dazu, diese zu ignorieren. Die Aufgabe und Chance formeller Gleichbehandlung besteht aus dieser Perspektive darin, der geschützten Personengruppe diejenige Behandlung zu garantieren, die sie in einem rein leistungsorientierten Markt erfahren würde. Selbst wenn ein ineffizienter Markt wie der Arbeitsmarkt die Eliminierung von irrationaler Diskriminierung nicht selbst bedingt, so widerspricht die Herbeiführung dieses Zustandes doch zumindest nicht vollständig den Kräften desfreien Marktes.

II. Auf eine Unterstützung durch den Arbeitgeber angewiesene Personen (Gruppe 2) In die zweite Gruppe behinderter Arbeitnehmer fallen etwa ein blinder Arbeitnehmer, der zeitweise auf die Hilfe eines Vorlesers angewiesen ist, um seine Arbeit zu erledigen, oder ein querschnittgelähmter Mensch, der auf die Installa-

222 223 224 225

Siehe im 2. Kapitel unter A. I. 2. c) bb). Vgl. hierzu oben unter A. III. 3. a) und c). Epstein, Forbidden Grounds, S. 485. Siehe auch im 2. Kapitel unter A. I. 2. c) bb).

156

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

tion einer Rampe angewiesen ist, damit er mit seinem Rollstuhl die Betriebsstätte erreichen kann. Allgemein handelt es sich hier um jene Individuen, deren Behinderung es ihnen zwar unmöglich macht, die wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes ohne weitere Hilfsmittel auszuüben. Gleichzeitig sind sie aber mit Hilfe von angemessenen Vorkehrungen zur Ableistung der als wesentlich erkannten Arbeitsplatzfunktionen in der Lage.

1. Formelle Gleichbehandlung ist nicht genug Formelle Gleichbehandlung ist zur Verbesserung der Beschäftigungslage von Angehörigen dieser Gruppe direkt nicht geeignet, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, die wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes auszuüben. Diese Unfähigkeit zur Leistung des wesentlichen Teils der geschuldeten Arbeit stellt eine absolute Schranke für die Anwendung formeller Gleichbehandlung dar. Obwohl das Gleichbehandlungsgebot behinderter Menschen es dem Arbeitgeber verbietet, bei seinen Personalentscheidungen an das Merkmal der Behinderung anzuknüpfen, bleibt es ihm unbenommen, die aus einer Behinderung folgende mangelnde Eignung als Grund für seine Maßnahme heranzuziehen. Insbesondere für jene Arbeitnehmer dieser Gruppe, die sich um den Zugang zur Beschäftigung bemühen, macht es deshalb keinen Unterschied, ob es dem Arbeitgeber versagt ist, ihre Behinderung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Bereits ihre mangelnde Eignung erweist sich auf der Ebene formeller Gleichbehandlung als ein unüberwindbares Einstellungshindernis. Insgesamt liegt hierin eine weitere Besonderheit des Gleichbehandlungsgebotes behinderter Menschen. Wohingegen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion und dergleichen regelmäßig ohne Auswirkung auf die Fähigkeit zur Arbeitsleistung bleibt, wird eine Behinderung oftmals diese Leistungsfähigkeit beeinflussen. Dementsprechend ist ein rein formelles Gleichbehandlungsgebot zum Schutz behinderter Menschen weit weniger geeignet als für andere geschützte Personengruppen. Seine volle Wirkung entfaltet es nur für den Kreis derjenigen Personen, die von Haus aus zur Erfüllung aller wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen in der Lage sind. Die integrative Wirkung des Anti-Diskriminierungsrechts ist damit am größten für jene Individuen aus der Gruppe der behinderten Menschen, die seinem Schutz am wenigsten bedürfen.

2. Das Recht auf Vornahme angemessener Vorkehrungen Um die Situation jener Arbeitnehmer, die von sich aus nicht zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen in der Lage sind, im Erwerbsleben zu bessern, ist ein Bruch mit dem Grundsatz formeller Gleichbehandlung notwendig. Zu einem derartigen Schritt hat sich die EU in Art. 5 der Rahmenrichtlinie entschieden. Arbeitgeber werden danach verpflichtet, die geeigneten und im

B. Grenzen des Gruppenprinzips

157

konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, „ um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten." Ein Arbeitgeber wird mit anderen Worten verpflichtet, die Behinderung eines Arbeitnehmers nicht zu ignorieren, sondern im Gegenteil gerade besonders zu berücksichtigen. Angehörige dieser Personengruppe sind anders als andere Arbeitnehmer zu behandeln. Ein materielles, kein formelles Gleichheitsverständnis wird damit zum Leitbild der Arbeitgeberentscheidungen erkoren. Grund zum beschäftigungspolitischen Optimismus verbreitet die Rahmenrichtlinie vor allem in diesem Bereich. Erstes statistisches Material aus den USA deutet zumindest in die Richtung, dass der ADA seine Wirkung gerade in Hinblick auf die Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen entfaltet. Nach einer Studie der National Organization on Disability/Harris Survey of Americans with Disabilities von 2000 sehen sich 56% aller befragten Behinderten zur Arbeit in der Lage, verglichen mit nur 46% vor der Verabschiedung des ADA im Jahre 1986. 226 Diese positivere Selbsteinschätzung korrespondiert mit den Ergebnissen des SHRM Survey, wonach fast alle befragten Unternehmen angemessene Vorkehrungen zugunsten von behinderten Arbeitnehmern geleistet haben: 82% haben ihre Betriebsstätten behinderten Beschäftigen zugänglich gemacht, 67% die Anforderungen an Arbeitsstellen einschließlich der Arbeitszeit modifiziert und 61% die Arbeitsumgebung an die besonderen Bedürfnisse von behinderten Arbeitnehmern angepasst.227 Die übrigen an 100% fehlenden Unternehmen gaben an, diese Vorkehrungen bislang nicht haben erbringen zu müssen.228 Immerhin 57% der Unternehmen erwarben weiterhin spezielle oder modifizierten existierende Arbeitsmittel, 33% stellten darauf angewiesenen Beschäftigten Vorleser zur Verfügung und 29% erwarben spezielle oder modifizierten existierende Fortbildungsmittel.229 Untermauert wird dieses Zahlenwerk durch Hinweise darauf, dass gerade die Arbeitslosigkeit unter schwerer behinderten, aber mit Hilfe von angemessener Vorkehrung zurück in den Arbeitsmarkt holbaren Beschäftigten rückläufig ist. 230

226

Einsehbar über das Internet www.nod.org (zuletzt aufgerufen am 1.3.2004). SHRM Survey, S. 6. 228 Beachtenswert ist, dass sich fast kein einziges Unternehmen in diesen Bereichen darauf berief, die Vornahme einer verlangten Vorkehrung sei rein praktisch nicht möglich (weniger als 1%). Unklar ist allerdings, ob die Antwort „never needed to make this accommodation" lediglich die Fälle erfasst, in denen kein Arbeitnehmer auf die Vornahme einer entsprechenden Vorkehrung angewiesen war oder zudem Fälle der rechtmäßigen Verweigerung derselben - etwa wegen unverhältnismäßiger Kosten - beinhaltet. 229 SHRM Survey, S. 6. 230 Schwochau/Blanck , 21 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 271 (2000) m.w.N. 227

158

3. Kapitel: Normative Erfassung der geschützten Personengruppe

III. Grenzen der Beschäftigungsförderung durch Diskriminierungsschutz (Gruppe 3) Außen vor bleibt die dritte Gruppe behinderter Menschen: Jene Arbeitnehmer, die auch nach der Vornahme angemessener Vorkehrungen nicht zur Ausübung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes in der Lage sind. Ihr Schutz kann durch das Diskriminierungsverbot allein nicht erreicht werden. Die mangelnde Eignung Angehöriger dieser Personengruppe zur Ableistung der als wesentlich erkannten Arbeitsplatzfunktionen stellt vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen legitimen Anknüpfungspunkt für nachteilige Arbeitgeberentscheidungen dar. Diejenigen behinderten Beschäftigten, die die größte Ausgrenzung durch den Arbeitsmarkt erfahren, profitieren somit am geringsten von der Fortschreibung des europäischen Anti-Diskriminierungsrechts. 231 Abhilfe schaffen kann die gezielte Förderung dieser Individuen durch ein staatliches Quotensystem nach dem Vorbild des deutschen SGBIX.

231

Zur parallelen Lage in den USA siehe Baldwin , 549 Annais 37, 52 (1997).

4. Kapitel

Allgemeiner Diskriminierungsschutz aufgrund einer Behinderung Das anstehende Kapitel widmet sich unter der Überschrift „allgemeiner Diskriminierungsschutz" neben den bereits von § 611a BGB im Grundansatz geläufigen Formen der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung (Art. 2 Abs. 2 RL) mit den „unerwünschten Verhaltensweisen" (Art. 2 Abs. 3 RL) sowie der »Anweisung zur Diskriminierung" (Art. 2 Abs. 4 RL) zwei neuen Erscheinungsformen des europarechtlichen Diskriminierungsschutzes samt ihrer Umsetzung durch das SGB IX. Anschließend wird den „angemessenen Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung" nach Art. 5 RL als Form des besonderen Diskriminierungsschutzes ein eigenes Kapital gewidmet. Hinzuweisen bleibt vorab darauf, dass die terminologische Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Diskriminierungsschutz keine von der Rahmenrichtlinie vorgegebene ist, aus einer Reihe von Gründen allerdings aufgreifenswert erscheint. »Allgemein" sind die zuerst bezeichneten und allesamt gemeinsam in Art. 2 der Rahmenrichtlinie verankerten Instrumente des Diskriminierungsschutzes insofern, als sie ausnahmslos für alle Beschäftigten gelten.1 Der persönliche Geltungsbereich angemessener Vorkehrungen ist dagegen sehr viel enger: Entsprechende Maßnahmen sind augenscheinlich des Richtlinientextes nur zugunsten von „Menschen mit Behinderung" vorzunehmen, und selbst dort betreffen sie nur eine bestimmte Untergruppe. 2 Aus rechtsdogmatischer Sicht bringt die Differenzierung überdies Wichtiges zum Ausdruck: Zum einen wird entgegen der in diesem Punkt nicht eindeutigen Rahmenrichtlinie die Zugehörigkeit angemessener Vorkehrungen zum System des Diskriminierungsschutzes klargestellt; wichtig ist dies um zu betonen, dass dieses Konzept nicht bloßes Anhängsel der auf die Verwirklichung der Gleichbehandlung abzielenden Rahmenrichtlinie, sondern vielmehr elementarer Teil derselben ist. Zum anderen wird die Sonderstellung angemessener Vorkehrungen in diesem System deutlich: Sie verlangen

1

Angesprochen ist hiermit der Schutz vor Assoziierungen mit behinderten Menschen, vgl. im 3. Kapitel unter A. III. 3. c). 2 Siehe bereits die Ausführungen im 3. Kapitel unter B. II.

160

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

vom Arbeitgeber nicht mehr oder weniger als der allgemeine Diskriminierungsschutz, sondern schlechterdings etwas anderes.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes Am Anfang der Erörterung des allgemeinen Diskriminierungsschutzes soll die Betrachtung seines persönlichen, gegenständlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs stehen. Im Mittelpunkt steht dabei die in § 81 Abs. 2 SGB I X getroffene Regelung; die Vorgaben der Rahmenrichtlinie dienen der Ausdeutung des deutschen Rechts sowie der Kontrolle, ob und inwieweit Umsetzungsdefizite bestehen.3 Eine im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstigere, d.h. schutzintensivere Lösung bleibt dem deutschen Gesetzgeber freilich unbenommen.4

L Persönlicher Geltungsbereich In den persönlichen Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots nach § 81 Abs. 2 SGB I X fallen anlässlich seines ersten Satzes „schwerbehinderte Beschäftigte". Die beiden maßgeblichen Abgrenzungskriterien sind damit benannt: Die Schwerbehinderteneigenschaft sowie das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses hat der deutsche Gesetzgeber zur Anwendungsvoraussetzung des allgemeinen Diskriminierungsschutzes erkoren. Während das deutsche Recht mit dem zweiten Kriterium den Mindestanforderungen des Europarechts genügt, bleibt es mit dem Abstellen auf die Schwerbehinderteneigenschaft hinter der Rahmenrichtlinie zurück.

7. Ausdehnung des Benachteiligungsverbots

auf alle Beschäftigten

Der persönliche Geltungsbereich des § 81 Abs. 2 SGB I X bleibt mit seiner Anknüpfung an die Schwerbehinderteneigenschaft in vielfältiger Hinsicht hinter den Vorgaben der Rahmenrichtlinie zurück; auf die im Rahmen des Behinderungsbegriffs getätigten Ausführungen wird verwiesen.5 Im Kern ist die Anwendbarkeit der allgemeinen Diskriminierungstatbestände nach dem Konzept 3

Dies ist nicht gleichzusetzen mit dem Geltungsbereich der Richtlinie als solcher. Dieser findet zusätzliche Begrenzung durch die Wahl der verbotenen Differenzierungskriterien sowie der unerlaubten Diskriminierungstatbestände. 4 Dies folgt bereits aus dem Charakter der Richtlinie, vgl. Art. 249 Abs. 3 EG. Klarstellend insofern auch Art. 8 RL. 5 Ausf. dazu im 3. Kapitel unter A. III.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

161

der Rahmenrichtlinie nicht auf behinderte Beschäftigte beschränkt, sondern erstreckt sich vielmehr auf sämtliche sich in einem Beschäftigungsverhältnis befindliche Personen.

2. Das Erfordernis

eines Beschäftigungsverhältnisses

Eine Person muss, um in den persönlichen Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots wegen einer Behinderung zu fallen, sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden oder den Eintritt in ein solches anstreben. Die Rahmenrichtlinie bringt dies bereits in ihrem Titel zum Ausdruck, indem sie von der Verwirklichung der Gleichbehandlung in „Beschäftigung und Beruf 4 spricht. Das deutsche Recht folgt richtlinienkonform dieser weiteren Absteckung des Anwendungsbereichs mit der Anknüpfung an schwerbehinderte beschäftigte" in §81 Abs. 2 SGB IX. Damit ist der persönliche Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots wegen einer Behinderung weiter gezogen als derjenige des § 61 la BGB. Letzter umfasst nach seinem Wortlaut nur Arbeits-, nicht aber die sonstigen Beschäftigungsverhältnisse. 6 Auf der anderen Seite erfüllte der deutsche Gesetzgeber die europarechtlichen Vorgaben nicht überobligatorisch. Weder wurde der erweiterte Wirkungskreis der nur kurze Zeit zuvor verabschiedeten Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft übernommen7 noch den Rufen nach einem allgemeinen zivilrechtlichem Anti-Diskriminierungsgesetz Folge geleistet.8

a) Arbeits- und sonstige Beschäftigungsverhältnisse Das Arbeitsverhältnis fallt als Unterfall des Beschäftigungsverhältnisses in den Geltungsbereich des § 81 Abs. 2 SGB IX. Sein Vorhandensein bestimmt 6

Staudinger/Richardi/Annuß, § 611a Rn. 24; MünchArbRJRichardi § 11 Rn. 11 f. Vgl. auch Erman/Edenfeld, § 61 la Rn. 3, der ebenso arbeitnehmerähnliche Personen sowie leitende Angestellte dem Anwendungsbereich der Vorschrift unterstellt und ErfKfSchlachter § 61 la BGB Rn. 6, die zu Recht darauf hinweist, dass der Wortlaut der Gleichbehandlungsrichtlinie ebenso den Zugang zur „Beschäftigung" erfasst; eine analoge Anwendung auf Dienstverträge sei damit geboten. Siehe RL 76/207/EWG, ABl. Nr. 39 v. 14.2.1976, S. 40. Vgl. nunmehr auch die RL 2002/73/EG zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie, die in Art. 3 Abs. 1 ausdrücklich vom Verbot der Diskriminierung „für den Zugang zu unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit" spricht. 7 RL 2000/43/EG, ABl. Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22. 8 Zur entsprechenden Diskussion vgl. insb. die kritischen Stimmen von Säcker, ZRP 2002, 286; Picker, JZ 2003, 540; Wiedemann/Thüsing, DB 2002, 463. Siehe aber auch Wölfl ZRP 2003, 297.

162

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

sich nach den allgemeinen Vorschriften, die speziellen sozialrechtlichen Eingrenzungen greifen nicht.9 Ausgeschlossen sind mit anderen Worten weder vorübergehende noch kurzzeitige Arbeitsverhältnisse iSv. § 73 Abs. 3 SGB Di. Ein anderes Ergebnis wäre sinnwidrig und ohne Rückhalt in der Rahmenrichtlinie: Die Notwendigkeit des Diskriminierungsschutzes ist unabhängig von der Anzahl der wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden bzw. der Dauer des Arbeitsverhältnisses an sich; selbst beim nur angestrebten Arbeitsvertragsabschluss besteht zudem ein Recht auf Freiheit von Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung.10 Neben Arbeits- werden die „sonstigen Beschäftigungsverhältnisse" vom Benachteiligungsverbot erfasst (§ 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 1 SGB IX). Hierzu gehören zunächst die sonstigen vom SGB IX erfassten Rechtsverhältnisse, d.h. die der Beamten und Richter (§ 128 Abs.l, 3 SGB IX). Überdies wird man den Begriff der Beschäftigung weit auszulegen haben und arbeitnehmerähnliche Personen, leitende Angestellte, Organmitglieder juristischer Personen sowie sonstige Dienstverpflichtete dem Benachteiligungsverbot als unterstellt ansehen müssen.

b) Keine Kleinbetriebsklausel für das Anti-Diskriminierungsrecht Auch im Kleinbetrieb besteht Diskriminierungsschutz, ungeachtet des dort nur vermindert geltenden gesetzlichen Kündigungsschutzes. Eine Herausnahme von Kleinbetrieben aus dem Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots sieht weder die Rahmenrichtlinie noch § 81 Abs. 2 SGB I X vor. 11 Der U.S.amerikanische ADA beschreitet hier einen anderen Weg und nimmt Arbeitgeber mit weniger als 15 Arbeitnehmern aus seinem Anwendungsbereich aus.12 Das

9 Die Abgrenzung zum sonstigen Dienstverhältnis vollzieht sich von der Seite des Dienstverpflichteten aus: Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener,fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, st. Rspr., siehe nur BAG, Urt. v. 9.7.2003 - 5 AZR 595/02, NZA-RR 2004, 9, 10. Grundlegend zum Arbeitnehmerbegriff vgl. Hueck/Nipperdey I § 9 II. 10 Vgl. dazu unten A. II. 1. Aus Arbeitnehmerperspektive besteht dasselbe Bedürfnis an einer Anwendbarkeit des KSchG unabhängig der Anzahl der wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden. Dass das BVerfG dennoch die Freistellung solcher Betriebe vom gesetzlichen Kündigungsschutz als verfassungskonform absegnete, bei denen eine beliebig große Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt war, die wöchentlich zehn Stunden oder weniger arbeiteten, hängt mit der besonderen Schutzwürdigkeit des Arbeitgeberinteresses an einer vereinfachten Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Kleinbetrieb zusammen, vgl. BVerfG, 1 BvL 22/93 v. 27.1.1998, NJW 1998, 1478, 1479. 11 Mit dem Begriff des Kleinbetriebes wird im Folgenden derjenige des KSchG verwendet, vgl. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG. 12 42 U.S.C. § 12111 (5) (A) (2004).

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

163

Absehen von der Übernahme dieser Einschränkung des Geltungsbereichs durch die Rahmenrichtlinie ist prinzipiell zu befürworten.

aa) Verstärkte

Rechtsstellung des Arbeitgebers in Kleinbetrieben

Der Diskriminierungsschutz ist ein Stück weit funktionelles Äquivalent des Kündigungsschutzes, so dass die Erwägungen des BVerfG vom 27. Januar 1998 zur Rechtfertigung der Herausnahme von Kleinbetrieben aus dem sachlichen Anwendungsbereich des KSchG13 auch im Anti-Diskriminierungsrecht zum Tragen kommen und eine vergleichbare Begrenzung des Benachteiligungsverbots zumindest de lege ferenda als wünschenswert erscheinen lassen könnten.14 Die Herausnahme von Kleinbetrieben aus dem sachlichen Anwendungsbereich des KSchG hatte das Gericht in seinem viel beachteten Beschluss mit der Erwägung für verfassungskonform erachtet, dass in Kleinbetrieben die grundrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) besonders schwer wirkten. 15 Aufgrund der geringen Betriebsgröße hinge der Geschäftserfolg dort in besonderem Maße von der Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers ab; weniger leistungsfähiges oder benötigtes Personal mitzutragen, sei dem Arbeitgeber deshalb oftmals finanziell nicht möglich. Entsprechendes gilt nach Ansicht des Senats überdies für „weniger genehmes" Personal: kleine Teams seinen anfällig für Missstimmungen und Querelen. Störungen des Betriebsklimas und damit einhergehenden Einbußen der Arbeitsproduktivität seien durch diese Organisationseinheiten schwieriger auffangbar und träfen sie damit schwerer als Großbetriebe. Der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, belaste Kleinbetriebe zudem stärker.

13 BVerfG v. 27.1.1998 - 1 BvL 15/87 NJW 1998, 1475. Siehe auch BVerfG v. 27.1.1998 - 1 BvL 22/93 - NJW 1998, 1478. Ausf. zu diesen beiden Kleinbetriebsbeschlüssen vgl. die fundierte Darstellung von Stelljes, Kündigungsschutz, S. 15 ff. Zum Kündigungsschutz bei einer Konzernholding vgl. BAG, Urt. v. 13.6.2002 - 2 AZR 327/01, NJW 2002, 3349. 14 Zum Verhältnis von Kündigungs- und Diskriminierungsschutz vgl. ebenso unten A. II. 3. 15 BVerfG v. 27.1.1998 - 1 BvL 15/87 NJW 1998, 1475, 1476. Zur Rezeption durch das BAG vgl. Urt. v. 21.2.2001 - 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833 sowie Urt. v. 6.2.2003 - 2 AZR 672/01, NJW 2003, 2188. Dazu, dass in der begrenzten Anrechnung von Teilzeitkräften auf die Betriebsgröße kein Fall der Frauendiskriminierung liegt vgl. auch EuGH, Urt. v. 30.11.1993 - Rs. C-189/91, DB 1994, 50 (Kirsammer-Hack).

164

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

bb) Systemgerechtigkeit

des allumfassenden Diskriminierungsschutzes

Selbst innerhalb dieses Argumentationsrahmens vollzieht sich die Erstreckung des Diskriminierungsschutzes auf Kleinbetriebe systemgerecht, weil die seinerzeit vom Ersten Senat für die Einschränkung des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb ins Felde geführten Gründe im Bereich des Diskriminierungsschutzes mit deutlich geringerer Intensität wirken. Gänzlich unproblematisch gestaltet sich das Festhalten am arbeitgeberseitigen Recht zur Kündigung nicht mehr benötigten Personals; der Wegfall der Stelle ist in diesem Fall die Motivation zum Ausspruch der Kündigung, nicht die Anknüpfung an ein verbotenes Differenzierungsmerkmal. Soweit es um die Möglichkeit zum Ausspruch der Kündigung zulasten leistungsschwacher Arbeitnehmer geht, wird der Wirkungskreis des Benachteiligungsverbots dagegen berührt. Aus der Unfähigkeit der Absolvierung unwesentlicher Arbeitsfunktionen resultierende Effizienzverluste hat ein Arbeitgeber zukünftig zu tragen.16 Eine ungebührliche Belastung der verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtsposition des Arbeitgebers ist damit gleichwohl nicht verbunden, weil dieser unverändert auf der Erfüllung aller wesentlichen Stellenanforderungen beharren kann.17 Schlechterdings, wenn auch nur in einem Teilbereich, verzichten muss der Inhaber eines Kleinbetriebs nunmehr lediglich auf sein Recht zur Kündigung von „weniger genehmem Personal". Der Ausspruch einer Kündigung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer vom Diskriminierungsschutz erfassten Gruppe ist unzulässig und zwar selbst dann, wenn dies den Betriebsfrieden beeinträchtigen sollte.18 Gänzlich neu ist dies nicht: Ein Recht auf willkürliche oder auf sachfremden Motiven beruhende Kündigungen hatte ein Arbeitgeber - selbst im Kleinbetrieb - auch bislang nicht.19 Rechtsmissbräuchlich und damit nach § 242 BGB unwirksam ist nach dieser Rechtsprechung der Ausspruch einer Kündigung, wenn offensichtlich ist, dass der Arbeitgeber ohne entgegenstehende betriebliche Interessen einem Arbeitnehmer kündigt, der erheblich schutzwürdiger als vergleichbare, nicht gekündigte Arbeitnehmer ist. 20 Den Anforderungen der Rahmenrichtlinie wird man bei Beibehaltung dieser Rechtsprechung nur dann genügen, wenn die Zu-

16

Siehe bereits im 2. Kapitel unter B. I. Zu Einschränkungen, die sich insofern aus dem Konzept angemessener Vorkehrungen ergeben können, siehe auch im 2. Kapitel unter B. I. 18 Zur Frage einer möglichen Rechtfertigung siehe unter C. 19 BVerfG v. 27.1.1998 - 1 BvL 15/87 NJW 1998, 1475, 1476; BAG, Urt. v. 23.6.1994 - 2 AZR 617/93, NZA 1994, 1080 (Treuwidrigkeit einer Probezeitkündigung wegen Homosexualität); Urt. v. 2.11.1983 - 7 AZR 65/82, AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972 (Unsubstantiierter Verdacht des Haschischkonsums). Siehe auch Oetker , AuR 1997, 41, 47 ff. 20 BAG, Urt. v. 6.2.2003 - 2 AZR 672/01, NJW 2003, 2188; Urt. v. 21.2.2001 - 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833. Abi. gegenüber einer Ausweitung des Kündigungsschutzes über § 242 BGB Annuß, BB 2001, 1898. Diff. Preis , NZA 1997, 1256, 1266 ff. 17

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

165

gehörigkeit zu einer geschützten Personengruppe als gesetzlicher Fall der besonderen Schutzwürdigkeit klassifiziert wird.

cc) Mögliche Anwendungsbeschränkungen für Kleinbetriebe Das Absehen von einer Kleinbetriebsklausel für die Anwendung des Benachteiligungsverbots verträgt sich insgesamt mit der Judikatur des BVerfG zum KSchG. Allenfalls sofern die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes die Anzahl der geführten Prozesse in Kleinbetrieben zukünftig derart in die Höhe schnellen lassen sollte, dass das Maß des finanziell Tragbaren überschritten wird, ist eine Einschränkung des Diskriminierungsschutzes - auf politischer Ebene - in Erwägung zu ziehen. Die zu § 61 la BGB gesammelten Erfahrungen lassen dergleichen nicht unbedingt erwarten. 21 Vermag eine geringe Betriebsstärke damit zwar keine gänzliche Herausnahme aus dem Geltungsbereich des Diskriminierungsschutzes bewirken, ist diese keinesfalls bedeutungslos, sondern ein wesentlicher Faktor bei der Bestimmung des Ausmaßes der den Arbeitgeber treffenden Bestimmungen. Bedeutsam wird dieser Gesichtspunkt im Rahmen des besonderen Diskriminierungsschutzes behinderter Arbeitnehmer. Bei der Prüfung der Frage, ob die Vornahme angemessener Vorkehrungen zu übermäßigen Belastungen für den Arbeitgeber führen, sind u.a. die Größe, finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz des Unternehmens zu berücksichtigen.22

II. (Gegenständlicher Geltungsbereich Gegenständlich ist das Benachteiligungsverbot weit gefasst. Gleichsam § 61 la Abs. 1 S. 1 BGB spricht § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 1 SGB IX vom Verbot der Benachteiligung „bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme" und nennt beispielhaft die Begründung des Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnisses, den beruflichen Aufstieg, den Fall einer Weisung oder der Kündigung. Dass - wie bisweilen vertreten - diese Aufzählung ein Rankverhältnis der Wirkungsbereiche des Benachteiligungsverbots zum Ausdruck bringt 23, wird man 21

So jetzt auch Derleder, A.-Drs. 15(12)440-S, S. 1. Gleichwohl darf nicht vernachlässigt werden, dass mit der sich vollziehenden Ausweitung des Katalogs verbotener Anknüpfungsmerkmale der Einfluss des Diskriminierungsschutzes auf das Kündigungsrecht zunimmt. Zusammen mit der Tatsache, dass diese neuen Merkmale zum Teil deutlich schwerer zu fassen sind, ist auch in dieser Hinsicht vor einer vorschnellen Übertragung der Erfahrungen von § 61 la BGB zu warnen. 22 Vgl. den 21. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie. Näher hierzu im 5. Kapitel unter D. 23 GK-SGB IX-Großmann, § 81 Rn. 215.

166

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

wohl verneinen müssen, ist jedenfalls aber für die Frage des Geltungsbereichs ohne Bedeutung: Entweder der Gesetzgeber gestattet es dem Arbeitgeber an das Merkmal der Behinderung anzuknüpfen oder versagt es ihm. Quantifizierbar ist das Gleichbehandlungsgebot jedenfalls nicht. Ein bisschen Schutz vor Benachteiligungen wegen einer Behinderung bei Weisungen, mehr beim Aufstieg und vollen Schutz gar bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses gibt es nicht. Der Diskriminierungsschutz ist in gegenständlicher Sicht somit umfassender Natur, d.h. er erstreckt sich in gleicher Intensität auf alle Entwicklungsstadien eines Arbeitsverhältnisses.

1. Vorvertraglicher

Bereich

Der Schutz vor Diskriminierungen beginnt bei der Vertragsanbahnung - die Rahmenrichtlinie spricht insofern von den Zugangsbedingungen einschließlich der Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen (Art. 3 Abs. 1 lit. a RL). Bereits der Stellenbewerber hat danach ein Recht darauf, beim Auswahlprozess von Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung verschont zu bleiben. Dies ist dem Prinzip nach bereits von § 611a BGB bekannt24, so dass es zweifelhaft erscheint, ob sich das zum Teil pauschal prognostizierte „große Maß an Rechtsunsicherheit" im vorvertraglichen Bereich tatsächlich einstellen wird. 25 Nahe liegender ist die Annahme, dem Rechtsanwender erscheine die Ausweitung der zum geschlechtsspezifischen Benachteiligungsverbot gesammelten Erfahrungen auf die neuen Merkmale „lediglich ungewohnt".26 Nichtsdestotrotz bringt der Benachteiligungsschutz wegen einer Behinderung einige Neuerungen mit sich, die bei anderen Differenzierungsmerkmalen in dieser Form nicht auftreten und das Maß des bloß Ungewohnten überschreiten dürften. Im Übrigen wird vieles, dazu bedarf es keines Propheten, hier von der künftigen Entwicklung des Begriffs der Behinderung abhängen; je präziser und damit voraussehbarer dieser bestimmt werden kann, desto größer ist das erzielbare Maß an Rechtssicherheit. Praktische Konsequenzen und behinderungsspezifische Besonderheiten bringt die Erstreckung des Diskriminierungsschutzes auf das Merkmal der Behinderung im vorvertraglichen Bereich vor allem in zweierlei Hinsicht mit sich: beim Fragerecht des Arbeitgebers nach einer Behinderung sowie bei der Gestaltung des (übrigen) Bewerbungsvorganges.

24

BVerfG v. 16.11.1993, NJW 1994, 647; Erman/Edenfeld § 611a Rn. 3 ff; Abele, EuR 1990, 371. 25 Kummer , Umsetzungsanforderungen, S. 36; siehe auch Bauer , NJW 2001, 2672, 2673. 26 So Leuchten , NZA 2002, 1254, 1257 zum Fragerecht des Arbeitgebers nach dem Alter.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

167

a) Fragerecht des Arbeitgebers nach einer Behinderung Lediglich die wahrheitswidrige Beantwortung einer in zulässiger Weise gestellten Frage berechtigt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG den Arbeitgeber zur Anfechtung seiner auf Abschluss des Arbeitsvertrages gerichteten Willenserklärung. 27 Auf unzulässige Fragen dagegen darf ein Bewerber nicht nur schweigen, sondern bewusst mit der Unwahrheit antworten; ihm wird ein „Recht zur Lüge" zugestanden. Es fehlt in diesem Fall an der Rechtswidrigkeit der Täuschung, die Voraussetzung für eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB ist.

aa) Überblick über die bisherige BAG-Rechtsprechung Ein Fragerecht des Arbeitgebers bei der Vertragsanbahnung wird von der Rechtsprechung allgemein nur insoweit anerkannt, als der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat.28 Der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Bewerbers gebietet diese Einschränkung. Bei einer Behinderung unterschieden die Gerichte bislang zwischen der Frage nach einer Schwerbehinderung iSd § 2 Abs. 2 SGB I X und einer sonstigen Behinderung (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Nach letzterer durfte nach gefestigter Rechtsprechung nur dann gefragt werden, wenn die Behinderung die Eignung des Beschäftigten zur Ableistung der geschuldeten Tätigkeit „erfahrungsgemäß beeinträchtigt".29 Großzügiger zeigte sich das BAG dagegen bei der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft. Nachdem das Gericht sich ursprünglich für die uneingeschränkte Zulässigkeit dieser Frage ausgesprochen hatte30, deutete es zwar vorübergehend an, sie nur dann noch zulassen zu wollen, wenn „die Schwerbehinderungserkrankung für die auszuübende Tätigkeit von Bedeutung ist".31 Über ein obiter dictum wuchs dieser Ansatz jedoch nie heraus, und in der Folgezeit kehrte das Gericht zur vorbehaltslosen Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderung zurück. 32

27

BAG, Urt. v. 6.2.2003 - 2 AZR 621/01, NZA 2003, 848; Urt. v. 28.5.1998 - 2 AZR 549/97, NZA 1998, 1052, 1053; Urt. v. 11.11.1993 - 2 AZR 467/93, AP Nr. 38 zu § 123 BGB. 28 BAG, Urt. v. 7.6.1984 - 2 AZR 270/83, NJW 1985, 645. 29 Siehe nur BAG, Urt. v. 7.6.1984 - 2 AZR 270/83, NJW 1985,645. 30 BAG, Urt. v. 25.3.1976-2 AZR 136/75, DB 1976, 1240; BAG, Urt. v. 1.8.1985 2 AZR 101/83, BAGE 49, 214. 31 BAG, Urt. v. 11.11.1993 - 2 AZR 467/93, AP Nr. 38 zu § 123 BGB. 32 BAG, Urt. v. 3.12.1998 - 2 AZR 754/97, AP Nr. 49 zu § 123 BGB; Urt. v. 5.10.1995 - 2 AZR 923/94, NJW 1996, 2323.

168

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Als tragendes Argument für die Schlechterstellung von Schwerbehinderten gegenüber „einfach" behinderten Beschäftigten müssen die zahlreichen gesetzlichen Pflichten herhalten, die mit der Anerkennung als schwerbehinderter Mensch verbunden sind und die den Arbeitgeber während der gesamten Dauer des Beschäftigungsverhältnisses treffen. Bereits sie begründen nach Ansicht des B AG ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse, auf eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit soll es deshalb nicht ankommen.33 Untermauert wird dieser Befund durch den Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber im Gegensatz zu § 611a BGB kein Verbot von behinderungsspezifischen Benachteiligungen bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses normiert habe.34 Insgesamt besticht dieses Ergebnis durch seine Widersprüchlichkeit: speziell zum Schutz schwerbehinderter Menschen erlassene Gesetze führen zu ihrer Benachteiligung bei der Einstellung.

bb) Auswirkungen des behinderungsspezifischen

Benachteiligungsverbots

Seit der Einfügung des Diskriminierungsverbots in das SGB I X wird im Schrifttum ganz überwiegend von der Unhaltbarkeit der bisherigen Rechtsprechung ausgegangen.35 Zu Recht, ist dem BAG doch mit der Normierung von § 81 Abs. 2 SGB I X ein wesentliches Argument zur Rechtfertigung des pauschalen Fragerechts nach der Schwerbehinderung abhanden gekommen: der Hinweis auf den fehlenden Schutz schwerbehinderter Bewerber im Zeitpunkt der Vertragsanbahnung.36 Darüber, welche Auswirkungen das in § 81 Abs. 2 SGB I X / §§ 1, 7 ADG-E normierte Benachteiligungsverbot auf das Fragerecht des Arbeitgebers im Einzelnen hat, ist damit allerdings noch nichts gesagt. Die Antwort auf diese Frage wird maßgeblich davon abhängen, wie man Fragen im Zeitpunkt der Vertragsanbahnung zum Benachteiligungsverbot in Beziehung setzt. Denkbar sind prinzipiell zwei Wege. Bereits die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer geschützten Personengruppe könnte als Form der unmittelbaren Diskriminierung verboten sein. Vorstellbar ist aber auch, den Diskriminierungsschutz erst bei einer konkret nachteiligen Arbeitgebermaßnahme ansetzen zu lassen.

33

BAG, Urt. v. 5.10.1995 - 2 AZR 923/94, NJW 1996, 2323. BAG, Urt. v. 5.10.1995 - 2 AZR 923/94, NJW 1996, 2323. 35 Brors , DB 2003, 1734, 1735; Düwell, BB 2001, 1527, 1530; Messingschlager, NZA 2003, 301, 303; Rolfs/Paschke, BB 2002, 1260, 1261; Thüsing/Lambrich , BB 2002, 1146, 1149; aA aber Schaub, NZA 2003, 299, 300. 36 DüwelU BB 2001, 1527, 1530; Rolfs/Paschke, BB 2002, 1260, 1261. 34

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

169

(1) Grundsätzlicher Ausschluss des Fragerechts In letztere Richtung weist der Hinweis von Günter Schaub, dass die Frage nach der Schwerbehinderung allein „diskriminierungsneutral" sei.37 Dahinter verbirgt sich die These, dass eine Diskriminierung mehr fordert als das bloße Sammeln von Informationen. Erst die auf die Informationsgewinnung aufbauende konkrete Benachteiligung, d.h. die Nichteinstellung des Bewerbers wegen seiner Schwerbehinderung, kann als Diskriminierung angegriffen werden. Im Kern entspricht dies der U.S.-amerikanischen Rechtslage nach Title V I I of the Civil Rights Act of 1964. Erkundigungen des Arbeitgebers im Vorfeld des Vertragsschlusses nach der Rasse, ethnischen Herkunft, Hautfarbe, Religion oder dem Geschlecht des Bewerbers unterfallen nicht dem Diskriminierungsverbot dieses Gesetzes. Die EEOC erkennt in bestimmten Fällen sogar ausdrücklich ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse an der Sammlung entsprechender Informationen an. 38 Allerdings kommt dem Umstand, dass ein abgelehnter Bewerber nach seinem geschützten Status gefragt wurde, besondere Beweiskraft in einem späteren Prozess wegen unerlaubter Diskriminierung zu. 39 Anknüpfungspunkt für den Diskriminierungsvorwurf bildet aber die Nichteinstellung, nicht allein die Statusfrage. Ganz anders verfährt der ADA: Medizinische Untersuchungen oder Fragen nach einer Behinderung sind dort explizit verboten.40 Eine wichtige Ausnahme besteht allerdings bezüglich „arbeitsplatzrelevanter Funktionen".41 Nach der Fähigkeit des Bewerbers, diese - ggf. unter Zuhilfenahme angemessener Vorkehrungen - zu erfüllen, darf der Arbeitgeber sich erkundigen, ohne sich dem Vorwurf unerlaubter Diskriminierung auszusetzen.42 Um zur Verneinung des Fragerechts zu gelangen, hat man nach diesem Ansatz deshalb wie sonst auch den Weg über das Fehlen eines berechtigten Arbeitge37

NZA 2003, 299, 300. Vgl. insb. 29 C.F.R. § 1607.17(3)(e) (2004). Die Frage nach dem Alter ist ebenso prinzipiell zulässig, vgl. 29 C.F.R. § 1625.4(b) (2004). 39 Anderson v. City of Bessemer City, 470 U.S. 564 (1985); Barbano v. Madison County , 922 F.2d 139 (2d Cir. 1990). 40 42 U.S.C. § 12112(d)(2)(A) (2004). Zu möglichen Ausnahmen zur Erfüllung einer affirmative action nach § 503 des Rehabilitation Act vgl. EEOC Technical Assistance Manual on Title I of ADA, Chapter V, 5.5(c). Vgl. auch EEOC Interpretive Guidance, 29 C.F.R. Part 1630, App. § 1630.13(a). 41 Der ADA spricht insofern nicht von „essential", sondern, job-related functions". 42 42 U.S.C. § 12112 (d) (2) (B) (2004). Siehe ebenso EEOC Interpretive Guidance, 29 C.F.R. pt. 1630, App. § 1630.14(a), wonach der Arbeitgeber den Bewerber fragen darf, ob dieser eine Funktion ausüben kann, mit oder ohne Vornahme angemessener Vorkehrungen. Damit setzt sich die Behörde in Widerspruch zu ihrer eigenen Guidance on Reasonable Accommodation. Nach angemessenen Vorkehrungen darf sich der Arbeitgeber danach erst dann erkundigen, wenn er bereits vom Bestehen der Behinderung Kenntnis hat, vgl. dort Frage 12. Vgl. auch EEOC v. Texas Bus Lines, 923 F. Supp. 965 (S.D. Tex. 1996); Grenier v. Cyanamid Plastics Inc., 70 F.3d 667 (1st Cir. 1995). 38

170

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

berinteresses zu gehen.43 Dieses wird man im Regelfall, dies ist Ausdruck der wertsetzenden Bedeutung des Benachteiligungsverbots, dem Arbeitgeber absprechen müssen. Das Anti-Diskriminierungsrecht führt auf diese Weise einen indirekten Ausschluss des Fragerechts herbei. Allerdings lässt dieser Ansatz zugleich Raum für außerhalb des Diskriminierungsschutzes bestehende Wertungen. Höhere Beschäftigungskosten für schwerbehinderte Menschen blieben beispielsweise im Rahmen der Abwägung zur Feststellung eines berechtigten Arbeitgeberinteresses berücksichtigbar. Die bisherige Rechtsprechung des BAG könnte damit für Angehörige dieser Personengruppe beibehalten werden, sie müsste es aber nicht. Allein die Frage nach einer sonstigen Behinderung wäre unzulässig soweit der Diskriminierungsschutz reicht, denn ein überwiegendes arbeitgeberseitiges Informationsinteresse besteht hier nicht.44 Für diesen Ansatz spricht der Charme der Flexibilität. Insbesondere mit Anwachsen des Kataloges verbotener Differenzierungsmerkmale erscheint es schon aus Praktikabilitätsgründen wünschenswert, zwischen dem Einholen von Informationen und ihrer Verwendung als Grundlage einer diskriminierenden Arbeitgeberentscheidung zu differenzieren. Fälle, in denen beides untrennbar miteinander verbunden ist, kann durch eine Herabsetzung der Beweisanforderungen an den Diskriminierungstatbestand begegnet werden. Allerdings wird mit dem Wortlaut der Rahmenrichtlinie bzw. des ADG eine solche Interpretation nicht zu vereinbaren sein. Der Benachteiligungsschutz beginnt nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) RL bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ADG-E bereits bei den Zugangsbedingungen zur Erwerbstätigkeit. 45 Unter die darin eingeschlossenen Auswahlkriterien werden Statusfragen fallen. Die Frage nach einer Behinderung allein wird damit bereits dem Diskriminierungsverbot der Rahmenrichtlinie unterstellt werden müssen. Dieses Ergebnis liegt zudem auf der Linie der Judikatur des BAG zu § 611a BGB, wonach die Frage nach der Schwangerschaft vor Einstellung einer Arbeitnehmerin „in der Regel eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts enthält".46 Mit der Einordnung der Statusfrage als Fall unmittelbarer Diskriminierung entfällt gleichzeitig die Möglichkeit, die vom BAG bislang ins Felde geführten besonderen Arbeitgeberverpflichtungen zugunsten schwerbehinderter Menschen nach dem SGB IX zugunsten des Arbeitgebers zu be-

43

Zum berechtigten Arbeitgeberinteresse vgl. BAG, Urt. v. 13.6.2002 - 2 AZR 234/01, NZA 2003, 265; LAG Nürnberg v. 9.12.2003, BeckRS 2004, 40512; ArbG München v. 24.10.2000, NZA-RR 2001, 296; Schaub/Schaub § 26 Rn. 11; ErfK/Preis §611 BGB Rn. 333. 44 Zu den Grenzen vgl. sogleich unter A. II.l. a) (2). 45 § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB IX sprach dagegen von der Benachteiligung bei „einer Vereinbarung oder Maßnahme". 46 BAG, Urt. v. 15.10.1992 - 2 AZR 227/92, NJW 1993, 1154. Siehe ebenso BAG, Urt. v. 6.2.2003 - 2 AZR 621/01, NZA 2003, 848, wonach die entsprechende Frage „regelmäßig gegen die Richtlinie 76/207/EWG verstößt".

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

171

rücksichtigen. Das unmittelbare Diskriminierungsverbot ist als Ausprägung des formellen Gleichheitssatzes intolerant; selbst im Einzelfall begründete Kostenerwägungen vermögen seine Nichtanwendung nicht zu legitimieren.47 Sowohl die Frage nach einer Behinderung wie diejenige nach einer Schwerbehinderung sind damit grundsätzlich unzulässig.

(2) Fortbestand bei fehlender Eignung des Bewerbers Aufgezeigt sind damit aber zugleich die Grenzen vom Ausschluss des Fragerechts. Da der Diskriminierungsschutz den Arbeitgeber nicht zur Einstellung objektiv ungeeigneter Arbeitnehmer verpflichtet 48, muss es dem Arbeitgeber nach wie vor gestattet sein, sich nach der Fähigkeit des Bewerbers zur Ableistung der wesentlichen Arbeitplatzfunktionen zu erkundigen.49 Fehlt es hieran, greift das behinderungsspezifische Benachteiligungsverbot nicht ein, mit der Folge, dass das Interesse des Arbeitgebers an seiner Frage nach der Behinderteneigenschaft wieder aufleben kann.50 Ein „Recht zur Lüge" besteht damit allein im Hinblick auf sonstige, nicht wesentliche Funktionen; hier kann der Bewerber fälschlicherweise vorgeben, sie erfüllen zu können, ohne sich der Gefahr einer Anfechtung des Arbeitsvertrages gem. § 123 Abs. 1 BGB aussetzen zu müssen. Verkompliziert wird diese Grenzziehung durch Art. 5 RL. Die hiernach zu leistenden Vorkehrungen sind bei der Beurteilung, ob ein behinderter Beschäftigter zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen in der Lage ist, mit zu berücksichtigen.51 Im - gedachten - Idealfall könnte ein behinderter Beschäftigter bei der Beantwortung der Frage des Arbeitgebers, ob er denn die wesentlichen Funktionen der Arbeitsstelle ausüben könne, bereits diese Verpflichtung in seine Antwort mit einbeziehen. Ein ,ja, unter der Bedingung, dass" würde dann zum schlichten ,ja, ich kann" werden. Der Vorteil für den behinderten Bewerber ist offenbar: Der Arbeitgeber erführe von der Behinderung erst nach der Einstellung, womit die Gefahr einer Diskriminierung bei Vertragsabschluss erfolgreich gebannt wäre. Ein derartiges nachträgliches Informationsrecht ist zudem nicht ohne Vorbild. Die Gewerkschaftszugehörigkeit darf 47

Vgl. dazu bereits im 2. Kapitel unter A. 1. 2. b). Ausf. hierzu im 2. Kapitel unter B. I. 49 Zur Einschränkung auf „wesentliche" Arbeitsplatzfunktionen siehe im 2. Kapitel unter B. II. 50 Wollte man es dem Arbeitgeber dennoch versagen, sich nach dem Bestehen einer (Schwer-) Behinderung zu erkundigen, muss auf jenseits des Diskriminierungsverbots liegende Wertungen zurückgegriffen werden. Die sinngebende Funktion des § 81 Abs. 2 SGB IX für das Fragerecht endet an seinem Anwendungsbereich. 51 Zu den Funktionen angemessener Vorkehrungen siehe im 5. Kapitel unter A. 48

172

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

beispielsweise bei der Einstellung verschwiegen werden und muss erst dann offenbart werden, wenn der Arbeitnehmer - nach erfolgter Einstellung - Entlohnung nach Tarif verlangt. 52 Scheitern wird dieser Ansatz in der Praxis allerdings aufgrund der Komplexität der Bestimmung, welche Vorkehrungen im Einzelfall angemessen sind. Insbesondere dem Stellenbewerber wird es im Regelfall an dem notwendigen Einblick in den Betrieb fehlen, um abschätzen zu können, ob der Arbeitgeber zur Vornahme einer entsprechenden Vorkehrung verpflichtet ist. Kann der Bewerber damit die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen nur mittels angemessener Vorkehrungen erfüllen, muss er dies dem Arbeitgeber offenbaren. 53 Trotz dieser Offenbarungspflicht ist, worauf Christiane Brors zu Recht hinweist, für den Diskriminierungsschutz von Beschäftigten der zweiten Gruppe 54 bei der Vertragsanbahnung damit schon einiges gewonnen, denn der Arbeitgeber hat seine Einstellungsentscheidung „zu rationalisieren". 55 Er muss, mit anderen Worten, die Möglichkeit der Vornahme einer angemessenen Vorkehrung prüfen und ist insofern verhindert, dem behinderten Bewerber die Einstellung aus schlichtem Vorurteil oder unter Rückgriff auf negative Stereotypen zu versagen. Statistischer Diskriminierung kann so entgegengewirkt werden.56 Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der hier vertretene Fortbestand des Fragerechts bei fehlender Eignung des behinderten Bewerbers nicht im Konflikt mit der EuGH-Rechtsprechung zur Diskriminierung schwangerer Arbeitnehmerinnen steht. Der Gerichtshof hatte zwar in Tele Danmark die Frage nach der Schwangerschaft selbst dann für unzulässig erklärt, wenn die Arbeitnehmerin fast ihr gesamtes befristetes Beschäftigungsverhältnis schwangerschaftsbedingt nicht arbeiten kann und damit berechtigte Zweifel an ihrer Eignung angemeldet werden können.57 Doch liegt selbst dann nach Ansicht des EuGH in der Anknüpfung an die Schwangerschaft eine unmittelbare Diskriminierung.58 Der ungeeignete behinderte Beschäftigte wird aber gerade nicht vom Diskriminierungsverbot erfasst. 59 52

Ehrich , DB 2000, 421, 426; MünchArb/Büchner, §41 Rn. 18. Hierauf weisen Thüsing/Lambrich , BB 2002, 1146, 1149 hin. 53 In diese Richtung, wenn auch ohne Differenzierung zwischen wesentlichen und sonstigen Arbeitsplatzftinktionen, Brors , DB 2003, 1734, 1735f. 54 Auf Grundlage der Kategorisierung im 3. Kapitel, siehe dort unter B. 55 Brors , DB 2003, 1734, 1736. 56 Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Kapitel unter A. I. 2. c) bb). 57 EuGH, Urt. v. 4.10.2001 - Rs. C-109/00, NJW 2002, 123 mit Anm. Thüsing, DB 2001,2451. 58 NJW 2002, 123, 124 in Rz. 31. 59 Prinzipiell gilt dies ebenso für die schwangere Beschäftigte, doch fordert dort die gesamtgesellschaftlich herausragende Bedeutung der Schwangerschaft Schutz, wo der formelle Gleichbehandlungsgrundsatz ihn an sich nicht gewähren würde.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

173

b) Behinderungsneutrale Gestaltung des Bewerbungsvorgangs Der Einfluss des behinderungsspezifischen Benachteiligungsverbots auf den Bewerbungsprozess geht über das Verbot der Einholung von Auskünften über das Bestehen einer Behinderung hinaus. ,3ehinderungsneutrale" Gestaltung des Bewerbungsvorganges meint mit anderen Worten mehr als den bloßen Verzicht, sich über eventuelle Beschränkungen und Defizite zu erkundigen, sofern sie in keinem Zusammenhang mit den wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen stehen.60 Verlangt man von Beschäftigten mit einer Behinderung zukünftig nur die Erfüllung wesentlicher Arbeitsplatzfunktionen und untersagt dem Arbeitgeber insoweit zugleich, sich nach dem Bestehen einer Behinderung zu erkundigen, dann muss dies zwangsläufig den gesamten Bewerbungsvorgang beeinflussen. Die praktischen Konsequenzen wären enorm: Bewerbungsunterlagen, Einstellungstests sowie vergleichbare Verfahren zur Feststellung der Eignung eines Bewerbers im Vorfeld der Einstellung hätten sich zukünftig auf die Erlangung von Informationen zu wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen zu beschränken. Widersinnig ist dieses Ergebnis insofern, als der Arbeitgeber von nicht behinderten Arbeitnehmern die Erfüllung sämtlicher Arbeitsplatzanforderungen verlangen darf und dementsprechend die Möglichkeit besitzen muss, sich danach im Bewerbungsprozess zu erkundigen. Freilich wird man sich zukünftig daran gewöhnen müssen, dass der Diskriminierungsschutz ebenso auf Beschäftigte übergreift, die im Auswahlprozess nicht oder nur ausnahmsweise schutzwürdig erscheinen. Mit dem Verbot, sich nach dem Alter des Bewerbers im Bewerbungsbogen zu erkundigen61, wird zum Beispiel regelmäßig der über 50-jährige und nicht der 30 Jahre alte Bewerber geschützt. Dessen ungeachtet dürfen die Bewerbungsunterlagen auch bei diesem nicht nach dem Alter fragen. Allerdings sind in diesem Beispiel alle Bewerber Träger des Merkmals ,Alter" und haben danach prinzipiell ein Recht darauf, dieses nicht preisgeben zu müssen. Gleiches gilt für die Beschränkung auf wesentliche Arbeitsplatzfunktionen aber gerade nicht: nur behinderte Arbeitnehmer können diese für sich in Anspruch nehmen.62 Selbst wenn sich der Schutz dieser Beschäftigten am effektivsten dann verwirklichen lässt, wenn der Bewerbungsvorgang betreffend der Arbeitsplatzfunktionen neutral ausfällt, fehlt hierfür demzufolge die Basis in der Rahmenrichtlinie. Schutzlos müssen behinderte Bewerber damit nicht gestellt werden. Denkbar ist es, ihnen ein Recht zur Lüge betreffend ihrer Fähigkeit zur Absolvierung unwesentlicher Arbeitsplatzfunktionen zuzustehen.

60

Vgl. zum Fragerecht oben A. II. 1. a) sowie betreffend der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen im 2. Kapitel unter B. II. 61 Hierzu Leuchten, NZA 2002, 1254, 1257. 62 Vgl. bereits im 2. Kapitel unter B. II sowie im 5. Kapitel unter A.

174

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Eine behinderungsneutrale Gestaltung des Bewerbungsvorgangs kann eine gesonderte Behandlung von behinderten Bewerbern hinsichtlich der Auswahltechniken als solcher beinhalten, denn bereits in diesem Stadium hat ein behinderter Beschäftigter ein Anrecht auf Vornahme von angemessenen Vorkehrungen. Für Arbeitgeber hat das zur Konsequenz, dass sie grundsätzlich zur Anpassung ihres Bewerbungsvorganges an die besonderen Bedürfnisses Angehöriger dieser Personengruppe verpflichtet sind.63 Ist ein Teilstück des Bewerbungsprozesses beispielsweise ein schriftlicher Test, kann ein blinder Bewerber ein Anrecht darauf haben, dass ihm ein Vorleser zur Verfügung gestellt wird, der die gegebenen Antworten anschließend niederschreibt; denkbar ist in diesem Fall ebenso eine Modifikation des Testformats hin zu einem mündlichen Auswahlgespräch. Letzteres kann ebenso angezeigt sein, wenn der Bewerber Sprachschwierigkeiten hat und deshalb - spiegelbildlich - um einen schriftlichen Test anstelle des mündlichen Auswahlgespräches bittet. Im Fall eines hyperaktiven oder unter Konzentrationsschwäche leidenden Stellenbewerbers ist zudem an eine Verlängerung der Testzeit zu denken, eine auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesene Person hat ein Recht auf ein Vorstellungsgespräch an einem für sie zugänglichen Ort - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Hinzuweisen bleibt auf eine wichtige Grenze: Ist die Fähigkeit zu lesen, zu sprechen oder beispielsweise in einem bestimmten Tempo zu arbeiten gerade eine wesentliche Arbeitsplatzfunktion, entfällt naturgemäß das Recht darauf, in diesem Punkt die Anpassung des Bewerbungsvorganges verlangen zu können.

2. Umfassender Schutz im laufenden Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis Der Schutz vor Benachteiligungen im laufenden Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis ist gleichfalls umfassender Natur, d.h., er erstreckt sich auf sämtliche Vereinbarungen und einseitigen Maßnahmen im Vertragsverhältnis.

a) Erweiterungen gegenüber dem geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbot Neues bringt die Rahmenrichtlinie allerdings auch in diesem Bereich, sofern sie nunmehr in Art. 3 Abs. 1 lit. b ihren gegenständlichen Geltungsbereich ausdrücklich auf die „praktische Berufserfahrung" erstreckt. Ein entsprechender Hinweis fehlte noch in der §611a BGB zugrunde liegenden Gleichbehandlungsrichtlinie.64 Eingang in den Richtlinientext fand diese Änderung erst am 63

Der ADA hebt die Bedeutung der behindertengerechten Gestaltung von Einstellungstesten gesondert hiervor, siehe 42 U.S.C. § 12112 (b) (7) (2004). 64 Vgl. Art. 4 RL 76/207/EWG, ABl. Nr. L 39 v. 14.2.1976, S. 40. Die RL 2002/73/EG zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie nimmt in ihrem Art. 1 Nr. 3

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

175

Ende des Verfahrens zur Verabschiedung der Richtlinie durch den geänderten Richtlinienvorschlag der Kommission.65 Klargestellt ist damit, dass auch Praktika und andere Konzepte zur Sammlung von Berufserfahrung unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. 66 Jenseits dieses Bereichs können die zum geschlechtbezogenen Benachteiligungsverbot gemachten Erfahrungen entsprechend herangezogen werden.67

b) Verhältnis des Diskriminierungsschutzes zum Direktionsrecht Nach § 106 S. 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Diskriminierungsschutz wird hierdurch nicht gewährleistet. Während dieser nämlich ein Anknüpfungsverbot statuiert, genügt es für die Ausübung billigem Ermessens, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind.68 Das Diskriminierungsverbot greift damit früher, indem es bereits die Einstellung eines geschützten Merkmals in die Interessenabwägung untersagt, die die Grundlage der Weisung bildet. Dennoch wird die Begrenzung des Direktionsrechts gem. § 106 S. 1 GewO auch nach der Verabschiedung des ADG noch Bedeutung für Arbeitnehmer mit einer Behinderung behalten. Dabei sind vor allem zwei Fallgruppen denkbar. Zum einen ist es möglich, dass sich die Behinderungsbegriffe des ADG und des § 106 S. 3 GewO bzw. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auseinander entwickeln. Da die von § 106 S. 1 GewO geforderte Billigkeit inhaltlich durch

nunmehr eine Angleichung der Geltungsbereiche beider Richtlinien vor, vgl. ABl. Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15. 65 KOM (2000) 652 endg. v. 12.10.2000, S. 11. Anders noch der ursprüngliche Kommissionsverechlag, vgl. dazu ABl. Nr. C 177 E/42 v. 27.6.2000, S. 44. Umgesetzt wird damit der Änderungsantrag 30 des Europäischen Parlaments, vgl. den Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 21.9.2000, A5-0264/2000 endg. 66 Vgl. die Begründung zum Änderungsantrag 31 des Europäischen Parlaments im Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft vom 16.5.2000, A5-0136/2000 endg. 67 Zum Aufstieg und Beförderung vgl. Bertelsmann/Pfarr, DB 1984, 1297; Buglass/Heilmann , AuR 1992, 353; einen Überblick gibt weiterhin Kummer, Umsetzungsanforderungen, S. 35-39. 68 BAG, Urt. v. 23.9.2004 - 6 AZR 567/03, NZA 2005, 359, 361; Urt. v. 13.3.2003 6 AZR 557/01, NZA 2004, 735, 737; Urt. v. 7.12.2000 - 6 AZR 444/99, NZA 2001, 780, 782 f.

176

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

die Grundrechte mitbestimmt wird 69 und hierzu auch die Behinderung gehört 70, kann es auf diese Weise zu unterschiedlichen Anwendungsbereichen beider Vorschriften kommen. Denkbar ist ebenso, dass bei Vorliegen einer Behinderung das Verhalten des Arbeitgebers nicht die Merkmale des Diskriminierungsbegriffs erfüllt oder gerechtfertigt ist. Auch dann bleibt es beim Rückgriff auf § 106 S. 1 GewO. Eigenständige Bedeutung wird S. 3 der Vorschrift, der bestimmt, dass bei der Ermessungsausübung „auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen" ist, wohl nicht erlangen. Eine derartige Rücksichtnahmepflicht bestand schon zuvor im Rahmen des § 315 BGB; das „auch" macht überdies deutlich, dass eine qualitative Verbesserung der Rechtsstellung behinderter Arbeitnehmer damit nicht verbunden ist.71

3. Bedeutung des Diskriminierungsschutzes

im Fall der Kündigung

Das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung durchzieht als europa- und verfassungsrechtliches Gebot die gesamte deutsche Arbeitsrechtsordnung und damit ebenso das Kündigungsrecht. Wie auch sonst gilt, dass der formelle Gleichbehandlungsgrundsatz den Gesetzgeber nicht zum Normerlass zwingt.72 Damit mag die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes zwar als Anlass dafür genommen werden, über eine Aufbrechung der althergebrachten Grundsätze der Beendigung von Arbeitsverhältnissen nachzudenken; notwendig bedingen tut es ein entsprechendes Reformvorhaben jedoch nicht.73 Diskriminierungs- und Kündigungsschutz können durchaus nebeneinander bestehen. Ersterer ist transaktionsbezogen, letzterer gewährleistet Bestandsschutz. Einmal geht es um den Schutz vor Maßnahmen, die auf besonders schutzunwürdigen Motiven beruhen. Das andere Mal steht das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes im Vordergrund. Das Benachteiligungsverbot dagegen hat selbst im Beendigungszeitraum nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Auge. Diese Grenzziehung entbehrt aber nicht von der Beantwortung der Frage, ob nicht dort, wo künftig Überschneidungen auftreten, Abstimmungen vorzunehmen sind. Es wird beispielsweise zu hinterfragen sein, ob es rechtspolitisch sinnvoll ist, bei diskriminierenden Kündigungen einer nach dem 69 BAG, Urt. v. 10.10.2002 - 2 AZR 472/01, NJW 2003, 1685, 1686; Urt. v. 24.5.1989 - 2 AZR 285/88, NJW 1990, 203, 204; Urt. v. 20.12.1984, NZA 1986, 21. 70 Siehe auch LAG Köln v. 26.7.2002, LAGE § 611 BGB 2002 Direktionsrecht Nr. 1 zur Berücksichtigung der Behinderung des Sohnes der Arbeitnehmerin. 71 AA Schöne, NZA 2002, 829, 831. Wie hier Bauer/Opolony , BB 2002, 1590, 1591; GewO/Tettinger-Wank, § 106, Rn. 40. Kritisch gegenüber der Bedeutung von S. 3 auch Ge wO/Leinemann-Lwczafc, § 106, Rz. 34. 72 Hierzu auch im 2. Kapitel unter A. I. 2. a). 73 Auf die Chance zur Reformierung des Kündigungsrechts im Rahmen der Umsetzung der Rahmenrichtlinie weist Leuchten , NZA 2002, 1254, 1260 f. hin.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

177

KSchG zu zahlenden Abfindung einen Schadensersatzanspruch nach § 15 ADG-E zur Seite zu stellen. Ebenso wird der sog. Kündigungsschutz zweiter Klasse, d.h. außerhalb des Anwendungsbereichs von § 1 KSchG, zu hinterfragen sein.74 Es ist zu überlegen, inwieweit der Gesetzgeber seine aus Art. 12 GG folgende Pflicht, Schutz vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu gewährleisten, nicht bereits durch das ADG erfüllt hat. Ungeachtet dieser bedenkenswerten Abstimmungen, muss fortan jedenfalls eines gewährleistest sein: Bestehende Regelungen im Kündigungsrecht dürfen nicht wegen einer Behinderung diskriminieren. Aufgrund der herausragenden praktischen Bedeutung dieses Teilaspekts des gegenständlichen Anwendungsbereichs des Benachteiligungsverbots, sollen seine Implikationen sowohl für den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG als auch für den besonderen sozialrechtlichen Kündigungsschutz anhand einiger Beispiele illustrativ verdeutlicht werden.

a) Verhältnis zum Kündigungsschutz nach dem KSchG Kündigungen, die unmittelbar oder mittelbar wegen einer Behinderung diskriminieren, sind gem. § 134 BGB i.V.m. §§ 1, 7 ADG-E nichtig.75 Um einen Fall der Sozialwidrigkeit der Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG handelt es sich dabei nicht, so dass die dreiwöchige Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts keine Anwendung findet (§§ 4 S. 1, 13 Abs. 3 KSchG). Ebenso wenig macht die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots bei der Vertragsauflösung vor Kleinbetrieben halt 76 oder unterliegt den sonstigen Einschränkungen des KSchG. Das Kündigungsrecht beeinflusst den Anwendungsbereich des Diskriminierungsschutzes nicht. Umdrehen lässt sich diese Feststellung hingegen nicht: Vorschriften des KSchG, die gegen das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung verstoßen, sind europarechtswidrig. Brisant wird diese Feststellung bei zwei Berührungspunkten beider Rechtsinstrumente: der Frage nach der Zulässigkeit einer Kündigung im Krankheitsfall sowie der Berücksichtigung des Merkmals der Behinderung bei der Sozialauswahl.

aa) Auswirkungen auf die krankheitsbedingte

Kündigung

Der praktisch wichtigste Unterfall einer nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG prinzipiell zulässigen Kündigung wegen Gründen, die in der Person des Arbeitneh74

Grundlegend BVerfG v. 27.01.1998, BVerfGE 97, 169. Siehe dazu bereits im 4. Kapitel unter A. I. 2. a). 75 Vgl. auch Schiek/Horstkötter, NZA 1998, 863, 867 zu § 61 la BGB. 76 Vgl. die Ausführungen oben A. I. 2. b).

178

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

mers liegen, ist die krankheitsbedingte Kündigung.77 In diesem Bereich kann es zu einer Überlagerung und teilweisen Verdrängung des KSchG durch das behinderungsspezifische Benachteiligungsverbot kommen, sofern der kündigungsrechtliche Krankheitsbegriff zugleich die Begriffsmerkmale einer Behinderung iSd. Rahmenrichtlinie erfüllt. Selten werden diese Fälle nicht sein, interpretieren doch Rechtsprechung und Schrifttum - das KSchG hat sich einer Definition enthalten - den Krankheitsbegriff in Anlehnung an das Entgeltfortzahlungsgesetz weit: Unter einer Krankheit iSd. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG wird überwiegend jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand verstanden.78 Ausschlaggebend ist danach allein, dass ein Arbeitnehmer aus nicht vorwerfbaren Gründen in seiner Person psychisch oder physisch gehindert ist, die geschuldete Leistung ordnungsgemäß zu erbringen. 79 Als Krankheit anerkannt sind deshalb beispielsweise Alkohol-80 oder Drogenabhängigkeit81, Zeugungsunfähigkeit 82, Fettleibigkeit 83 oder AIDS. 8 4 Ebenso sollen epileptische Anfälle eines Arbeitnehmers zur Kündigung gereichen können.85 Decken sich Behinderungs- und Krankheitsbegriff, verbietet der Diskriminierungsschutz die Kündigung wegen dieses Zustandes, sofern darin zugleich eine Benachteiligung wegen einer Behinderung liegt. Zu beachten ist insoweit, dass nicht jedes Anknüpfen an eine Behinderung bzw. Krankheit einen Fall unmittelbarer Diskriminierung darstellt und damit gegen das in § 81 Abs. 2 SGB I X 77

Allg. zur krankheitsbedingten Kündigung vgl. APS/Dörner § 1 KSchG Rn. 134 ff.; ErkK/Ascheid § 1 KSchG Rn. 206 ff. KR-Etzel § 1 KSchG Rz. 319 ff. 78 BAG, Urt. v. 19.11.2003 - 10 AZR 127/03, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt; Urt. v. 15.12.1999 - 10 AZR 638/98, NZA-RR 2000, 443; APS/Dörner § 1 KSchG Rn. 135; Schdxib/Linck § 98 Rn. 9. Ausf. zum Begriff der Krankheit Lepke, NZA-RR 1999, 57. 79 BAG, Urt. v. 25.6.1981 - 6 AZR 940/78, AP Nr. 52 zu § 616 BGB; ErfK/Ascheid § 1 KSchG Rn. 192. 80 BAG, Urt. v. 17.6.1999 - 2 AZR 639/98, NJW 2000, 2762, 2763; Urt. v. 26.1.1995 - 2 AZR 649/94, NJW 1995, 1851, 1852; v. 9.4.1987 - 2 AZR 210/86, NJW 1987, 2956. Bengelsdorf,\ NZA 1999, 1304, 1308; Hemming , BB 1998, 1998. 81 LAG Düsseldorf v. 19.4.1972, DB 1972, 1073; APS/Dörner § 1 KSchG Rn. 228; KR-Etzel § 1 KSchG Rz. 383. 82 BGH v. 12.11.1997, NJW 1998, 824, BFH v. 18.6.1997, NJW 1998, 854, 855; Lepke , NZA-RR 1999, 57; Reinecke , DB 1998, 130, 131; abl. Müller-Roden , NZA 1989, 128, 130. 83 Lepke , NZA-RR 1999, 57, 58. Zur Frage inwieweit in diesen Fällen eine Behinderung vorliegen kann, vgl. im 3. Kapitel unter A. III. 1. a) bb) (2). 84 ErfK/Ascheid § 1 KSchG, Rn. 245; Lepke , DB 1987, 1299, 1300; Löwisch, DB 1987, 936, 942; Richardi, NZA 1988, 73, 79. 85 LAG Baden-Württemberg v. 14.10.1963, BB 1964, 135; v. 16.11.1965, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG. Zur Nichterteilung wegen vermuteter epileptischer Anfälle siehe LAG Köln v. 27.6.1997, NZA-RR 1998, 533, betreffend der Möglichkeit einer Anfechtung des Arbeitsvertrages aus diesem Grund vgl. BAG, Urt. v. 14.12.1979 - 7 AZR 38/78, AP Nr. 4 zu § 119 BGB.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

179

niedergelegte Benachteiligungsverbot verstößt. Ist der zu kündigende Arbeitnehmer infolge seiner Behinderung nicht zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen in der Lage, entfällt der Schutz des Benachteiligungsverbots und der Weg ist frei für die Anwendung des KSchG. Entsprechendes wird beim Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung regelmäßig der Fall sein, bildet doch nach herrschender Ansicht die Krankheit als solche keinen hinreichenden Kündigungsgrund86; hinzukommen muss vielmehr die negative Prognose, dass auch in Zukunft mit weiteren Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist. 87 Diese Negativprognose wird zukünftig dahingehend zu präzisieren sein, dass durch die Störung zumindest die Fähigkeit zur Ableistung einer wesentlichen Arbeitplatzfunktion entfallen muss; unbenommen bleibt es, vom Standpunkt des Kündigungsschutzes mehr zu verlangen, weniger hingegen würde die Rahmenrichtlinie verletzen. Weitere Änderungen im Kündigungsschutzrecht könnte insofern der verschiedene Beurteilungszeitpunkt mit sich bringen: für eine Kündigung muss die Störung zukünftig bestehen, das Benachteiligungsverbot schaut dagegen auf den Zeitpunkt der Vornahme der Arbeitgebermaßnahme. Da eine unmittelbare Diskriminierung nach zutreffender Sichtweise nicht rechtfertigbar ist 88 , kann der Arbeitgeber dem Vorwurf einer derartigen Benachteiligung nicht den Umstand entgegensetzen, dass zukünftig mit einer Störung des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist das Anti-Diskriminierungsrecht fordert Fakten, keine Prognosen. In der Praxis wird der unterschiedliche Beurteilungszeitraum häufig dennoch ohne Konsequenz bleiben, insbesondere bei Fällen der dauernden oder zumindest lang andauernden Leistungsunfähigkeit werden beim Ausspruch der Kündigung zumeist beide Voraussetzungen erfüllt sein. Abzuwarten bleibt dagegen die Entwicklung bei den sog. häufigen Kurzerkrankungen, d.h. sich häufig wiederholenden Leistungsausfällen von kürzerer Dauer. 89 Vieles spricht dafür, die regelmäßige Anwesenheit am Arbeitsplatz als wesentliche Arbeitsplatzfunktion anzusehen90, ob die Rechtsprechung diesen Weg zukünftig auch beschreiten wird, ist zur Zeit jedoch noch ungewiss.

86 St. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 12.4.2002 - 2 AZR 148/01, NJW 2002, 3271, 3273; Hoß, MDR 1999, 777; APS/Dörner § 1 KSchG Rn. 136. 87 St. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 12.4.2002 - 2 AZR 148/01, NJW 2002, 3271, 3273; Urt. v. 29.4.1999 - 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978, 979; ErfYUAscheid §1 KSchG, Rn. 195; krit. dazu Kasper, NJW 1994, 2979, 2980 ff. 88 Vgl. zu den Rechtfertigungsmöglichkeiten der allgemeinen Diskriminierungstatbestände siehe unter C. 89 Zur kündigungsrechtlichen Behandlung dieser Sachverhalte vgl. BAG, Urt. v. 7.11.2002 - 2 AZR 599/01, NZA 2003, 816; Urt. v. 20.1.2000 - 2 AZR 378/99, NJW 2001, 912, 913; Urt. v. 5.7.1990 - 2 AZR 154/90, NZA 1991, 185, 186; LAG Berlin v. 28.8.2001, NZA 2002,465. 90 Siehe hierzu auch im 2. Kapitel unter B. II.

180

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Hinzuweisen ist abschließend auf eine weitere sich in der EuGH Rechtsprechung andeutende Differenzierungsmöglichkeit an der Schnittstelle von Kündigungsrecht und Diskriminierungsschutz. Während soeben das Zusammenfallen von Behinderung und Krankheit thematisiert wurde, sind ebenso Fälle denkbar, in denen die Behinderung die Merkmale des Krankheitsbegriffs nicht selbst erfüllt, sondern diese erst bedingt. In die Richtung, dass beide Fallkonstellationen aus kündigungsrechtlicher Sicht verschieden behandelt werden könnten, deutet die EuGH Rechtsprechung zur parallelen Fragestellung beim geschlechtbezogenen Benachteiligungsverbot.91 Hiernach können schwangerschaftsbedingte Krankheiten zum Anlass für eine Kündigung genommen werden, sofern die Abwesenheit vom Arbeitsplatz nicht während des in Art. 10 der Mutterschutzrichtlinie92 bestimmten Zeitraumes auftritt. Macht man diese Rechtsprechung für das behinderungsspezifische Benachteiligungsverbot fruchtbar, ist in derartigen Fallkonstellation das Augenmerk auf die Frage zu richten, ob nicht behinderte Arbeitnehmer einem entsprechenden Krankheitsrisiko in gleichem Maß ausgesetzt sind bzw. ob der Arbeitgeber nicht behinderte Arbeitnehmer wegen derselben Krankheit ebenso entlassen würde. Sind beide Fragen zu bejahen, verstößt die Kündigung des behinderten Arbeitnehmers wegen einer Krankheit weder unmittelbar noch mittelbar gegen das Benachteiligungsverbot aus § 81 Abs. 2 SGB IX.

bb) Zur Heranziehung einer Behinderung im Rahmen der Sozialauswahl Wird einem Arbeitnehmer betriebsbedingt gekündigt, so ist diese Kündigung nach § 1 Abs. 3 KSchG dennoch sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.93 Im Gegensatz zu den übrigen Kriterien, die sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Arbeitnehmers in die Sozialauswahl eingehen können94, verstärkt das Vorhandensein einer Schwerbehinderung stets die Schutzwürdigkeit des betreffenden Arbeitnehmers, d.h., diesem Personenkreis wird ein erweiterter Bestand91

EuGH, Urt. v. 29.5.1997 - Rs. C-400/95, DB 1997, 1282 (Forbund i Danmark 2). Siehe auch EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. C-179/88, DB 1991, 226 (Forbund i Danmark - 1). 92 ABl. Nr. L 348 v. 19.10.1992, S. 1. 93 Diese Vorschrift wurde zuletzt geändert durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003, BGBl. I 2003, 3002. 94 Während beispielsweise ein niedriges Lebensalter die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers mindert, verstärkt ein hohes Alter dieselbe im Regelfall. Zur Vereinbarkeit mit dem nunmehr bestehenden Benachteiligungsverbot wegen des Alters vgl. Leuchten , NZA 2002, 1254, 1259 f.

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

181

schütz im Zeitpunkt der Vertragsauflösung gewährt.95 Das in § 81 Abs. 2 SGB I X niedergelegte Benachteiligungsverbot zwingt nicht zu dieser besonderen Berücksichtigung behinderter Menschen im Rahmen der Sozialauswahl - schlichte Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern in dem Sinne, dass gerade das Merkmal der Behinderung nicht zum Grund der Kündigung erhoben wird, genügt dem Diskriminierungsverbot. Das deutsche Verfassungsrecht mag hier weiter gehen: Aus Art. 12 Abs. 1 GG iVm. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG resultierende Schutzpflichten mögen dem Gesetzgeber die Heranziehung der Schwerbehinderung - so man denn den verfassungsrechtlichen Behinderungsbegriff dergestalt interpretieren wollte - als Sozialauswahlkriterium aufgeben, sofern dieser im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative nicht der Auffassung ist, dass gerade der Ausschluss aus der Sozialauswahl dieser Personengruppe verbesserte Chancen am Arbeitsmarkt einräumen würde. 96 Begründungsansatz sind in diesem Fall jedoch besondere Schutzpflichten und nicht die Durchsetzung der Gleichbehandlung. Die Rahmenrichtlinie fordert damit nicht die besondere Berücksichtigung einer Behinderung im Rahmen der Sozialauswahl, weshalb es insofern unerheblich ist, dass das KSchG an das Bestehen einer Schwerbehinderung anstatt schlechterdings einer Behinderung anknüpft. Allerdings wird, ungeachtet der genauen Ausprägung, die der Behinderungsbegriff durch den EuGH zukünftig erfahren wird* zumindest ein Teil der schwerbehinderten Menschen gleichzeitig die Voraussetzungen des diskriminierungsrechtlichen Behinderungsbegriffs erfüllen. Diese Individuen werden dementsprechend gegenüber „einfachbehinderten 44 Arbeitnehmern gleichheitswidrig durch den erweiterten Bestandsschutz bevorzugt; aufgeworfen ist damit die Frage nach der Zulässigkeit von Differenzierungen innerhalb der Gruppe der behinderten Beschäftigen. Im Ergebnis wird in der Unterscheidung zwischen schwer- und „einfachbehinderten 44 Arbeitnehmern im Rahmen der Sozialauswahl eine positive Maßnahme iSv. Art. 7 RL liegen; zur Begründung wird auf das 6. Kapitel verwiesen.97

95

Der ursprüngliche Entwurf des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt der Regierungsfraktionen hatte noch auf eine gesonderte Aufnahme der Schwerbehinderung in den Katalog des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG verzichtet, gleichzeitig aber festgestellt, dass „der bisherige soziale Schutz bei Schwerbehinderung" erhalten bleibt, siehe BT-Drucks, 15/1204, S. 5, 8. Um diesen Schutz im KSchG festzuschreiben, regte der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit die Aufnahme des Kriteriums der Schwerbehinderung an, siehe BT-Drucks, 15/1587, S. 31. Bereits unter der alten Fassung des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG wurde die mit einer Schwerbehinderung einhergehende schwierigere Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt, vgl. EtfKJAscheid § 1 KSchG, Rn. 500 m.w.N. 96 DüwelU DB 2003, 1574; Dörnen in: FS Dieterich, S. 83, 95. Gegen die Einbeziehung der Schwerbehinderteneigenschaft in die Sozialauswahl aber Löwisch, NZA 1996, 1009, 1010; v. Heuningen-Huene/LincK DB 1997, 41, 42. 97 Vgl. dort unterC.

182

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes b) Verhältnis zum Kündigungsschutz nach dem SGB I X

Zum Verhältnis von Diskriminierungsverbot und dem besonderen Kündigungsschutz nach dem SGB Dt gilt das zur Sozialauswahl Gesagte entsprechend: Von der Rahmenrichtlinie wird diese Bevorzugung nicht gefordert, als zulässig positive Fördermaßnahme allerdings ebenso wenig verboten.

4. Mitgliedschaft

und Mitwirkung

in Organisationen

Rechtliches Neuland betritt die Rahmenrichtlinie, indem sie den Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots über das einzelne Beschäftigungsverhältnis hinaushebt und auf die Mitgliedschaft und Mitwirkung in bestimmten Organisationen sowie die Inanspruchnahme von Leistungen solcher Organisationen erstreckt (Art. 3 Abs. 1 lit. d RL). Ein Schutz vor Diskriminierung wegen einer Behinderung muss nach den europarechtlichen Vorgaben demnach fortan ebenso in „Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen", d.h. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, sowie sonstigen Organisationen, „deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören" bestehen. Diese Vorgabe nimmt nicht nur eine Sonderstellung innerhalb der Rahmenrichtlinie selbst ein - der persönliche Geltungsbereich ist im Übrigen begrenzt auf die Anbahnung, Durchführung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses 98 sondern ist überdies ohne Vorbild in der Landschaft des europäischen Diskriminierungsschutzes. Dem geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbot war bislang ein über das konkrete Beschäftigungsverhältnis hinausgehender Diskriminierungsschutz ebenso fremd wie anderen europarechtlichen Diskriminierungsverboten.99 Anleihen können allerdings beim U.S.-amerikanischen Recht gemacht werden. Zum Kreis der durch den ADA verpflichteten Personen zählen neben dem einzelnen Arbeitgeber überdies employment agencies 10** > labor organizations 101 sowie joint labor-management committees 102. Ein vergleichbar weit ge-

98

Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a bis c RL. Für das Merkmal des Geschlechts sieht nunmehr jedoch die Gleichbehandlungsänderungsrichtlinie, RL 2002/73/EG, ABl. Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15 eine entsprechende Angleichung des persönlichen Anwendungsbereiches vor. 100 Hierunter fällt jede Person oder deren Vertreter, die es regelmäßig unternimmt, einem Arbeitgeber Arbeitnehmer zu vermitteln, vgl. 42 U.S.C. § 12111 (2) (2004) iVm 29 C.F.R. § 1630.2 (c) (2004), 42 U.S.C. §2000e (c) (2004). 101 Dieser Begriff wird sehr weit verstanden; erfasst ist jede Art von Organisation, die sich zumindest auch der Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen verschreibt, siehe 42 U.S.C. § 12111 (2) (2004) iVm 29 C.F.R. §1630.2 (c) (2004), 42 U.S.C. § 2000e (d) (2004). 102 Diese Gremien können zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite geschaffen werden. 99

A. Geltungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsschutzes

183

fasster Geltungsbereich ist überdies in Title V I I des Civil Rights Act of 1964 103 sowie im Age Discrimination in Employment Act zu finden. 104 Doch auch dem deutschen Juristen dürfte der Wunsch zum Ausbau des persönlichen Geltungsbereichs von Benachteiligungsverboten nicht unbekannt sein; die seinerzeit im Rahmen der Schaffung eines allgemeinen zivilrechtlichen Anti-Diskriminierungsgesetzes vorgeschlagene Neuschöpfung eines § 319a BGB sah eben jenes vor. 105

a) Erstreckung des Benachteiligungsverbots auf Tarifvertragsparteien Ein Schutz vor Benachteiligungen bezüglich der Mitgliedschaft oder Mitwirkung in bzw. der Inanspruchnahme von Leistungen von Arbeitgeberorganisationen bedeutet einen Diskriminierungsschutz zugunsten der Arbeitgeber; nur sie sind in den entsprechenden Organisationen vertreten. 106 Auf den ersten Blick mag dies verwundern, denn Arbeitgeber werden freilich durch ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht selbst zum Arbeitnehmer, so dass sie insofern des Benachteiligungsschutzes bedürften, sondern haben die Rechtsstellung eines Vereinsmitglieds.107 Durch den Abschluss von Tarifverträgen schaffen sie jedoch die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen Arbeitnehmer regelnde Rechtsnormen und werden damit mittelbar „in Beschäftigung und Beruf* iSv. Art. 1 RL tätig. Dies macht die ausdrückliche Erstreckung der Rahmenrichtlinie auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sinnvoll und notwendig, fehlt es doch nicht an Hinweisen auf Benachteiligungen von Minderheiten im verbandsinternen Willensbildungsprozess.108 Zudem harmoniert dieses Vorgehen mit der deutschen Rechtslage: Unabhängig davon, ob die Tarifjparteien unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind 109 oder sie zwar keine Grundrechtsadressaten sind, die Grundrechte aber im Zuge der Ausgestaltung der Tarifautonomie durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu berücksichtigen sind 110 , be-

103

42 U.S.C. § 2000e (2004). 29 U.S.C. §623 (2004). 105 Vgl. den Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht des BMJ vom 10.12.2001. 106 Allg. zur Stellung und Aufgaben der Arbeitgeberverbände vgl. Esser, ZfA 1980, 301; Kempen!Zachert, §2 TVG, Rn. 75 ff.; Oetker y in: Wiedemann, §2 TVG, Rn. 171 ff. 107 Arbeitgeberverbände werden traditionell als Vereine organisiert, siehe Oetker, in: Wiedemann, § 2 TVG, Rn. 198; Zöllner/Loritz, § 8 III 2, S. 112. 108 Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 310 ff. 109 St. Rspr. seit BAG, Urt. v. 15.1.1955 - 1 AZR 305/54, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; Wiedemann , in: Wiedemann, Einl., Rn. 198 ff.; Belling , ZfA 1999, 547, 576. 110 Jetzt auch einige Senate des BAG, vgl. das obiter dictum des dritten Senats, Urt. v. 4.4.2000 - 3 AZR 729/98, NZA 2002, 917, 918 betreffend Art. 12 GG; das Urteil des 104

184

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

steht im Ergebnis Einvernehmen darüber, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber(-verbände) im Zuge ihrer Normsetzung durch Tarifverträge (§ 1 Abs. 1 TVG) weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen die speziellen Diskriminierungsverbote aus Art. 3 GG verstoßen dürften. 111 Schutz vor sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen genießt insofern nicht nur der Tarifvertrag als Endprodukt, sondern ebenso der Meinungsbildungsprozess innerhalb der Verbände als solcher. 112 Die Vorgaben der Rahmenrichtlinie passen sich von diesem Blickwinkel als Konkretisierung der Grenzen der Tarifautonomie durchaus stimmig in die deutsche Rechtsordnung ein; eine ausdrückliche Aufnahme in § 81 SGB I X erscheint verzichtbar.

b) Einbeziehung von Betriebsräten und Sprecherausschüssen Auch Betriebsräte und Sprecherausschüsse sind Arbeitnehmerorganisationen iSd. Rahmenrichtlinie; dieser Befund korrespondiert mit der in ihr verstärkt zum Ausdruck kommenden Überzeugung, dass effektiver Rechtsschutz vor Diskriminierungen nur unter Zuhilfenahme von Verbänden oder anderen Organisationen besteht.113 Eine ebensolche Aufgabe nehmen diese beiden Organe nach deutschem Recht bereits bislang im Rahmen ihrer Überwachungspflicht betreffend der Grundsätze von Recht und Billigkeit wahr (§ 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, § 27 Abs. 1 S. 1 SprAuG). Die in diesen Vorschriften enthaltenen Diskriminierungsverbote sind um das Merkmal der Behinderung zu erweitern. 114 Bei einer „stillen" Erweiterung im Wege der Auslegung unter dem Hinweis darauf, dass die dortige Aufzählung verbotener Anknüpfungsmerkmale nicht abschließend gemeint ist („insbesondere"), sollte man es wegen der mit diesen Vorschriften verbundenen Appellfunktion allerdings nicht belassen. Zur Bewusstseinsschärfung und sinnvollen Steuerung der Zusammenarbeit im Betrieb ist eine aus-

vierten Senats, Urt. v. 30.8.2000 - 4 AZR 563/99, NZA 2001, 613 sowie das des siebten Senats, Urt. v. 11.3.1998 - 7 AZR 700/96, NZA 1998, 716, 718. Dies entspricht der h.M. im Schrifttum, siehe Münch Arb/Richardi § 10 Rn. 22; EriKI Dieterich Art. 10 GG Rn. 20 m.w.N. 111 Siehe nur Dieterich , in: FS Wiedemann, S. 229, 237 m.w.N. 112 Kempen!Zachert, Einl., Rn. 159. 113 Vgl. den 29. Erwägungsgrund der Richtlinie sowie Art. 9 Abs. 2, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung sich an der Durchsetzung der nach der Rahmenrichtlinie bestehenden Ansprüche beteiligen können. 114 Erfasst werden von diesen „Grundsätzen für die Behandlung der Betriebsangehörigen bzw. der leitenden Angestellten" nicht nur die betreffenden Personen als Individuen, sondern ebenso der Betriebsrat/Sprecherausschuss als Organ, siehe ErfK/Kania § 75 BetrVG Rn. 2; Fitting § 75 BetrVG Rn. 8; Kreutz. , GK-BetrVG, § 75 BetrVG Rn. 9.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

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drückliche Erwähnung der Schutzbedürftigkeit behinderter Arbeitnehmer wünschenswert.

III. Zeitlicher Geltungsbereich Die Vorschrift des § 81 Abs. 2 SGB I X trat am 1. Juli 2001 in Kraft. 115 Vor diesen Zeitpunkt liegende Sachverhalte unterfallen damit nicht dem Benachteiligungsverbot, Besonderheiten bestehen insofern nicht. Hervorhebung verdient dagegen der Umstand, dass die Rahmenrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber in Art. 18 bezüglich des Merkmals des Alters und der Behinderung einen verlängerten Umsetzungszeitraum zugesteht. Anstatt den Erfordernissen der Richtlinie bereits zum 2.12.2003 nachkommen zu müssen, können die Mitgliedstaaten bei Inkenntnissetzung der Kommission eine zusätzliche Frist von drei Jahren in Anspruch nehmen; spätestens zum 2.12.2006 muss das deutsche Recht demzufolge den Vorgaben des Europarechts genügen. Bedeutsam kann diese Verlängerungsoption für die Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung eines VertragsverletzungsVerfahrens gem. Art. 226,227. EG sein oder um eventuellen Schadensersatzansprüchen Privater aus dem Weg zu gehen, deren Rechtstellung durch die unzureichende Umsetzung der Richtlinie negativ betroffen ist. 116 Unberührt davon bleibt die Pflicht der nationalen Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung des § 81 Abs. 2 SGB IX; diese besteht bereits vor dem Verstreichen der - ggf. verlängerten - Umsetzungsfrist. 117

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen Der deutsche Gesetzgeber hat ein allgemeines Diskriminierungsverbot wegen der Schwerbehinderung in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB I X verankert: ,Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen" heißt es dort. Genaueres regelt der sich anschließende zweite Satz, der dank der Untergliederung in fünf Ziffern - übernommen wurden weitgehend die

115

Vgl. Art 68 des SGB IX Änderungsgesetzes, BGBl. 12001,1046. Eine entsprechende vertikale Direktwirkung hatte der EuGH für die Gleichbehandlungsrichtlinie zunächst verneint, vgl. EuGH, Urt. v. 10.4.1984 - Rs. 14/83, AP Nr. 1 zu § 61 la BGB (Colson/Kamann), war später von dieser Judikatur jedoch abgerückt, siehe EuGH, Urt. v. 12.7.1990 - Rs. C-188/89, Slg. 1990,1-3313, Rz. 20 (Foster). Vgl. ebenso EuGH, Urt. v. 5.3.1996 - verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996,1-1029 (Brasserie du Pecheur/The Queen), Urt. v. 14.7.1994 - Rs. C-91/92, Slg. 1994, 1-3325 (Facini Dori); Urt. v. 19.11.1991 - verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, 1-5357 (Francovich/Bonifaci). 117 EuGH, Urt. v. 8.10.1987 - Rs. 80/86, Slg. 1987, S. 3969, Rz. 14 (Kolpinghuis Nijmwegen); Kerwer,, NZA 2002, 1316, 1320 f.; Weber, AuR 2002,401,405. 116

186

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

fünf Absätze des § 611a BGB - erfreulich übersichtlich ausgefallen ist. Die Nr. 1 regelt den hier in Frage stehenden Tatbestand der Diskriminierung. Ein schwerbehinderter Beschäftigter darf nach Satz 1 dieser Ziffer innerhalb des bereits umschriebenen Geltungsbereichs dieser Vorschrift nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Welche Erscheinungsformen eine durch die §81 Abs. 2 S. 1 SGB Dt verbotene Benachteilung annehmen kann, bestimmte der Gesetzgeber nicht näher; damit gleicht die Vorschrift dem § 611a BGB, dessen Wortlaut erkennbar Modell für die Formulierung des neuen Benachteiligungsverbots stand. Die Rahmenrichtlinie ist in diesem Punkt präziser und nennt vier Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen: die unmittelbare und mittelbare Diskriminierung, „unerwünschte Verhaltensweisen" sowie die »Anweisung zur Diskriminierung".

I. Das Verbot unmittelbarer Diskriminierung Das Verbot unmittelbarer Diskriminierung ist der greifbarste aller Diskriminierungstatbestände: Unmittelbar diskriminiert derjenige, der ein verbotenes Differenzierungskriterium zum unmittelbaren Anknüpfungspunkt einer benachteiligenden Maßnahme macht.118 Dies mag ausdrücklich oder dem Inhalt nach geschehen. Wer sich offen weigert, behinderte Arbeitnehmer einzustellen, erfüllt diesen Tatbestand ebenso wie derjenige Arbeitgeber, der seine Entscheidung auf ein mit einer bestimmten Behinderung in Verbindung gebrachtes Stereotyp gründet. 119 Obwohl § 81 Abs. 2 SGB I X ein Verbot unmittelbarer Diskriminierung nicht ausdrücklich erwähnt, nimmt man in der Literatur zu Recht an, dass dieser elementare Diskriminierungstatbestand von der Vorschrift erfasst wird - das unmittelbare Benachteiligungsverbot ist der unverzichtbare Kern jeglichen Diskriminierungsschutzes. Mit Vorsicht sollte man dagegen einer kaum weniger häufig anzutreffenden Feststellung begegnen, wonach aufgrund der augenscheinlichen Ähnlichkeit dieser Vorschrift zu § 611a BGB die zum Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts ergangene Rechtsprechung und entsprechendes Schrifttum insge-

118

EuGH, Urt. v. 30.6.1998 - Rs. C-394/96, Slg. 1998, 1-4185, Rz. 16 (Brown); BAG, Urt. v. 18.2.2003 - 9 AZR 272/01, AP Nr. 22 zu § 611a BGB; ErfK/Schlachter § 611a BGB Rn. 12. 119 Paradigmatisch für diese „verdeckte" unmittelbare Diskriminierung im Bereich der geschlechtsspezifischen Benachteiligung ist etwa die pauschale Ablehnung einer Arbeitnehmerin unter Hinweis auf ihre - nicht überprüfte - geringe Körperkraft. Siehe dazu Schiek/Horstkötter , NZA 1998, 863. Stellt der Arbeitgeber dagegen generell nur Arbeitnehmer mit einem von Frauen generell nicht erreichbaren Maß an Körperkraft ein, liegt ein Fall bloß mittelbarer Diskriminierung vor. Zur Abgrenzung der verdeckten zur mittelbaren Benachteiligung siehe auch Wiedemann , in: FS Friauf, S. 135, 138.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

187

samt auf § 81 Abs. 2 übertragbar sind.120 Zwar scheint auch der Gesetzgeber diese Einschätzung zu bestätigen, denn in der Begründung des Fraktionsentwurfs der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen zum SGB I X heißt es lapidar, dass § 81 SGB I X gegenüber der ansonsten inhaltsgleich übernommenen Vorgängerfassung des § 14 SchwbG um ein Benachteiligungsverbot sowie eine dem §611a BGB entsprechende Entschädigungsregelung in Abs. 2 erweitert wurde und „ i n s o w e i t " auch der Umsetzung der Rahmenrichtlinie diene.121 Außer Acht gelassen wird dabei jedoch, dass die Rahmenrichtlinie erstmalig auf europäischer Ebene eine Definition des Tatbestandes der unmittelbaren Diskriminierung liefert und diese keine bloße Kodifizierung der zur unmittelbaren Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ergangenen EuGH-Rechtsprechung beinhaltet.122 Dieser Fortschreibung des Tatbestands der unmittelbaren Diskriminierung nehmen sich die folgenden Ausführungen insoweit an, als sie zu einer Abkehr von den im Rahmen des geschlechtsspezifischen Benachteiligungsverbots gesammelten Erkenntnissen zwingen können; im Übrigen kann ruhigen Gewissens auf Darstellungen zu § 611a BGB, an denen kein Mangel herrscht, verwiesen werden. 123

1. Aufgabe und Funktion unmittelbarer

Diskriminierung

Nach der Rahmenrichtlinie wird eine Person unmittelbar diskriminiert, wenn sie „wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde" (Art. 2 Abs. 2 lit. a RL). 1 2 4 Konstruktiv baut dieses Verbot unmittelbarer Diskriminierung auf dem formellen Gleich-

120

N/P/MP-Neumann, § 81 SGB IX Rn. 11. BT-Drucks. 14/5074, S. 113. 122 Vgl. aber auch Art. 2 Abs. 2 lit. a der RL des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22, 24. Die RL 97/80/EG über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts enthielt dagegen zwar eine Definition der mittelbaren, nicht jedoch der unmittelbaren Diskriminierung. 123 Zum Tatbestand der Diskriminierung bezüglich des Geschlechts vgl. Schlachter, Gleichberechtigung, S. 156 ff. 124 Bereits die Gleichbehandlungsrichtlinie differenzierte zwischen dem Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Geschlechts ohne diese Begriffe allerdings näher zu konkretisieren, vgl. Art. 2 Abs. 1 RL 76/207/EWG. Ihren Ursprung nimmt diese Unterscheidung in der bereits an anderer Stelle angesprochenen U.S. Supreme Court Entscheidung Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424 (1971), siehe dazu bereits auf S. 42. Für das Merkmal des Geschlechts vgl. Dothard v. Rawlinson, 433 U.S. 321 (1977). Aus der Rspr. des EuGH vgl. nur Urt. v. 12.2.1974 - Rs. 15273, Slg. 1974, S. 153 (Sotgiu) zur Staatsangehörigkeit sowie Urt. v. 13.5.1986 - Rs 170/84, Slg. 1986, S. 1607 (Bilka-Kaufhaus) für das Merkmal des Geschlechts. 121

188

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

heitsverständnis sowie dem daraus fortentwickelten Diskriminierungsverbot auf, entspricht beiden Prinzipien aber nicht vollends. Während formelle Gleichheit allgemein zur gleichmäßigen Anwendung einer Norm auf gleiche Sachverhalte verpflichtet und das Diskriminierungsverbot den Kreis identischer Sachverhalte weiter zieht, verbietet das Verbot unmittelbarer Diskriminierung lediglich die im Vergleich ungünstigere Behandlung; unbenommen bleibt es dem Arbeitgeber damit, beide Arbeitnehmer gleich gut oder eben gleichermaßen schlecht zu behandeln.125 Bevorzugende Maßnahmen diskriminieren geschützte Arbeitnehmer nicht, behandeln sie aber formell ungleich.126 Die formell ungleiche und die diskriminierende Behandlung sind damit aus der Perspektive eines Merkmalsträgers nicht deckungsgleich. Anders ist die Auswirkung für nicht vom Diskriminierungsverbot geschützte Beschäftigte. Diese werden durch eine gezielte Bevorzugung einer geschützten Person sowohl unmittelbar diskriminiert als auch formell ungleich behandelt. Ungeachtet dieser Unterschiede, teilt das unmittelbare Diskriminierungsverbot mit dem formellen Gleichbehandlungsgrundsatz seine Ausrichtung am Prozess der Behandlung, nicht an ihrem Inhalt. Solange der Arbeitgeber in der Behandlung seiner Beschäftigten konsistent ist, genügt er beiden Grundsätzen.

2. Einfügung in die deutsche Rechtsordnung Das in § 81 Abs. 2 SGB IX kodifizierte Benachteiligungsverbot schwerbehinderter Menschen dient nicht nur der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben der Rahmenrichtlinie 127, sondern erfüllt überdies den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag zugunsten behinderter Menschen aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. 1 2 8 Rechnung getragen wird mit der Verankerung eines allgemeinen Benachteiligungsverbots wegen der Behinderung dem Willen des Verfassungsgebers, den Schutz für Angehörige dieser Personengruppe zu verstärken und damit einen ,Anstoß für einen Bewusstseins wandel"129 zu geben.130 Das Benachteiligungsverbot fügt sich zudem nahtlos in das System des SGB IX ein. Es präsentiert sich von dieser Warte als ein weiteres Teilstück in dem durch die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28

125

Zum möglichen Einfluss der Menschenwürde als Korrektiv vgl. im 2. Kapitel unter A. III. 2. a). 126 Vgl. die Definition in Art. 2 Abs. 2 lit. a RL, wonach eine unmittelbare Diskriminierung die im Vergleich weniger günstige Behandlung ist. 127 BT-Drucks. 14/5074, S. 113. 128 BT-Drucks. 14/5074, S. 92. 129 BT-Drucks. 12/6000 S. 53. 130 SGB IX-Schröder § 81 Rn. 13.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

189

Abs. 1 GG) abgesicherten und in SGB IX tief verankerten Rechts behinderter Menschen auf Teilhabe am Arbeitsleben.131

3. Schwierigkeit

der Bestimmung einer Vergleichsperson

Aus dem individuellen Charakter des formellen Gleichheitsverständnisses folgt die Notwendigkeit der Bestimmung einer Vergleichsperson. 132 Praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung von Diskriminierungsverboten lagen in der Vergangenheit überwiegend in diesem Bereich. Unproblematisch zu lösen waren lediglich jene Fallgestaltungen, in denen ein wegen vermeintlicher Diskriminierung klagender Arbeitnehmer auf einen Arbeitskollegen verweisen konnte, dem, obwohl er eine vergleichbare Tätigkeit verrichtete, eine bevorzugte Behandlung durch den Arbeitgeber zuteil wurde. Das Augenmerk richtete sich alsdann auf die Frage, ob dem klagenden Arbeitnehmer eine gleichwertige Behandlung gerade „wegen" seiner Gruppenzugehörigkeit vorenthalten wurde. Schwierigkeiten bereitete hingegen die Lösung von Fällen, bei denen es an einer entsprechenden, „greifbaren" Vergleichsperson fehlt. Die Gründe hierfür können verschiedentlich sein: Die benachteiligende Behandlung mag beispielsweise eine Position betreffen, die aufgrund ihrer Einmaligkeit dem allgemeinen Wettbewerb gänzlich entzogen ist. Verbreitet sind überdies Fallgestaltungen, in denen Arbeitgeber wegen seiner geringen Betriebsstärke nur eine Person in dem betreffenden Bereich beschäftigt. Illustrativ ist die Judikatur zum Grundsatz der Entgeltgleichheit.133 Hatte der EuGH im Jahre 1976 noch recht unbekümmert unmittelbare Benachteiligungen iSd. Art. 141 EG (ex Art. 119 EGV) als „offene Diskriminierungen, die sich schon an Hand der in der Vorschrift verwendeten Merkmale gleiche Arbeit und gleiches Entgelt allein feststellen lassen" charakterisiert 134, wurde alsbald die Schwierigkeit der Vergleichsgruppenbildung offenbar. Bereits die Bestimmung der Gleichwertigkeit zweier Tätigkeiten kann, wenn sich etwa eine Logopädin mit einem Apotheker vergleicht 135, derartig kompliziert ausfallen, dass dieses Unterfangen Wißmann ernüchternd konstatieren ließ, es herrsche im Ergebnis Ratlosigkeit.136 Die Schwierigkeiten nehmen zu, wenn die Vergleichsperson gar nicht existiert, d.h., eine Arbeitnehmerin zum Beispiel einen Anspruch auf das

131

Auf. hierzu GK-SGB IX-Großmann, Einl, Rz. 40-45 und 48-50. Vgl. bereits im 2. Kapitel unter A. 1.3. b). 133 Zur Frage, wann von gleichwertiger Arbeit gesprochen werden kann, vgl. insb. Thüsing, NZA 2000, 570. 134 EuGH, Urt. v. 8.4.1976 - Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455, Rz. 16 (Defrenne). 135 EuGH, Urt. v. 27.10.1993 - Rs. C-127/92, Slg. 1993,1-5535 (Enderby). 136 Wissmann, in: FS Schaub, S. 793, 799. 132

190

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Entgelt erhebt, das ein männlicher Arbeitnehmer in entsprechender Position beanspruchen könnte und in dem fraglichen Betrieb kein Mann angestellt ist, der eine vergleichbare Arbeit verrichtet. In jenen Konstellationen auf die Figur eines „hypothetischen männlichen Arbeitnehmers" abzustellen, lehnte der EuGH in der Macarthys Entscheidung ausdrücklich ab. 137 Eine vergleichende Untersuchung bei Fällen tatsächlicher Diskriminierung sei vielmehr „auf Vergleiche beschränkt, die sich anhand konkreter Bewertungen durchführen lassen."138 Inzwischen hat der EuGH seine Rechtsprechung im Bereich der Entgeltgleichheit etwas aufgelockert und erkennt an, dass die Reichweite des Art. 141 EG nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen Männer und Frauen ihre Arbeit für ein und denselben Arbeitgeber verrichten. 139 Nicht gelöst werden damit freilich jene Fälle, in denen selbst bei einem anderen Arbeitgeber keine Vergleichsperson auszumachen ist. An diesem Punkt setzt die Rahmenrichtlinie an und lässt nunmehr eine ungünstige Behandlung im Vergleich zu einem hypothetischen dritten Arbeitnehmer zur Erfüllung des Tatbestandes der unmittelbaren Diskriminierung genügen. Darüber hinaus können nunmehr auch jene Personen zum Vergleich heran gezogen werden, die zwar nicht mehr gegenwärtig, aber zumindest in der Vergangenheit in einer vergleichbaren Tätigkeit nachgingen.

a) Hypothetische Vergleichsperson Für den Schutz behinderter Menschen ist die Möglichkeit zur Heranziehung einer hypothetischen Vergleichsperson von nicht zu überschätzender Bedeutung. Angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Behinderungen samt ihren beeinträchtigenden Auswirkungen wäre es andernfalls oftmals unmöglich, eine geeignete Vergleichsperson zu finden. Bedient sich der Vergleich einer tatsächlichen Vergleichsperson, ist zu fragen, ob eine Person, die sich in der gleichen oder wesentlichen gleichen Lage wie der Kläger befindet, dieselbe benachteiligende Behandlung erfahren hätte; nur wenn dies zu verneinen ist, kann die Klage Erfolg haben. Der Kläger hat mit anderen Worten nach einer Person Ausschau zu halten, die ihm in allen tätigkeitsrelevanten Aspekten möglichst gleicht, nicht aber sein Gruppenmerkmal teilt. Eine Arbeitnehmerin beispielsweise, die nach dem Ende der Probezeit nicht übernommen wurde, weil sie viermal zu spät zur Arbeit erschien, müsste nach einem männlichen Arbeitnehmer suchen, dem ein dauerndes Beschäftigungsverhältnis angeboten wurde,

137

EuGH, Urt. v. 27.3.1980 - Rs. 129-79, Slg. 1980, S. 1275, Rz. 14. EuGH, a.a.0, Rz. 15. Vgl. ebenso EuGH, Urt. v. 28.9.1994 - Rs. C-200/91, Slg. 1994,1-4389, Rz. 103 (Coloroll Pension Trustees Ltd). 139 EuGH, Urt. v. 17.9.2002 - Rs. C-320/00, Slg. 2002, 1-7325, Rz. 17 (A.G. Lawrence). Vgl. dazu Thüsing , DB 2002, 2600 f. So jetzt auch die Ergänzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2002/73/EG, ABl. Nr. L 269, S. 15 v. 5.10.2002. 138

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

191

obwohl auch er sich wiederholt verspätete. Wenn dieses Unterfangen von Erfolg gekrönt sein sollte, dann vor allem deshalb, weil Verschlafen nicht geschlechtsspezifisch ist, sich Männer wie Frauen mithin gleichermaßen häufig verspäten. Ganz anders ist dies bei Behinderungen: deren beschränkende Auswirkungen werden nicht gleichermaßen von Gruppenmitgliedern wie Nichtmerkmalsträgern geteilt. Angenommen, ein Arbeitgeber muss an jedem Arbeitstag seine Arbeit mehrmals für etwa 3 Minuten unterbrechen, um seinen Blutzuckerspiegel zu kontrollieren und wird aus diesem Grund nicht befördert. Sieht man Diabetes als Behinderung an, hängt der Erfolg einer Klage des nicht beförderten Arbeitnehmers maßgeblich davon ab, ob er einen vergleichbaren Arbeitnehmer präsentieren kann, der dennoch befördert wurde. Denkt man wiederum das Gruppenmerkmal hinweg, müsste er nach einem nicht behinderten Arbeitnehmer Ausschau halten, der trotz vergleichbarer Pausen befördert wurde - ein kaum erfolgversprechendes Unterfangen, war doch gerade die Behinderung der Grund für die Notwendigkeit, Pausen einzulegen. Andere, dem Kläger in arbeitsplatzspezifischer Hinsicht ähnliche, aber nicht behinderte Arbeitskollegen, werden nicht gefehlt haben. Helfen kann hier allein das Abstellen auf einen hypothetischen Arbeitnehmer, die nicht behindert ist, aber ebenso lange Arbeitspausen mit gleicher Häufigkeit einlegt. Bereits dieses im Tatsächlichen einfach gelagerte Beispiel zeigt, dass die Möglichkeit zur Hinzuziehung einer hypothetischen Vergleichsperson in Fällen der behinderungsspezifischen Benachteiligung nicht lediglich eine bloße Erleichterung für den Kläger darstellt, sondern angesichts der partikularen Wirkungen von Behinderung oftmals eine praktische Notwendigkeit ist. Sämtliche Probleme werden damit allerdings nicht gelöst. Bestehen bleibt insbesondere die Gefahr, dass die hypothetische Vergleichperson in Wirklichkeit zum Spiegelbild der Mehrheitsauffassung oder Charakteristik wird. Gerade im feministischen Schrifttum wird hervorgehoben, dass der Arbeitsplatz am Leitbild des männlichen Arbeitnehmers organisiert ist. 140 Ein besonders deutliches Beispiel für einen Missgriff bei der Wahl der richtigen Vergleichsgruppe aus einem anderen Bereich bildet überdies die Wards Cove Entscheidung des U.S. Supreme Court. Die Arbeitnehmerschaft war dort fast komplett in zwei Gruppen geteilt: weiße Arbeitnehmer erledigten sämtliche anspruchsvollen Tätigkeiten während Angehörige verschiedener ethnischer Minderheiten die schlecht bezahlte, ungelernte Arbeit verrichteten. Die Ausgangsinstanz wertete allein diese augenscheinliche Diskrepanz als ein ausreichendes Indiz für das

140 Grundlegend dazu MacKinnon , Sexual Harassment; Dolkart, 43 Emory L.J. 151, 173-174 (1994). Siehe ebenso Kocher, RdA 2002, 167, 169 f.

192

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Bestehen unerlaubter Diskriminierung 141, der Supreme Court hingegen urteilte, dass es nicht sachgerecht sei, die Minderheitsarbeiter ohne Ausbildung mit den besser qualifizierten weißen Arbeitnehmern zu vergleichen.142 Stattdessen könnten nur diejenigen Angehörigen ethnischer Minderheiten mit ihren weißen Arbeitskollegen verglichen werden, die über dieselben Qualifikationen verfügten diese Arbeitnehmer gab es aufgrund vergangener Diskriminierung gerade nicht. Denkbar sind darüber hinaus Fälle, in denen selbst die Zuhilfenahme einer hypothetischen Vergleichsperson nicht möglich ist. Letztere Problematik ist aus den Fällen der Diskriminierung wegen einer Schwangerschaft geläufig - eine tatsächliche oder hypothetische schwangere männliche Vergleichsperson existiert nicht. Infolgedessen weis etwa der U.S. Supreme Court den Vorwurf unmittelbarer Diskriminierung wegen des Geschlechts in den Fällen der Differenzierung anhand der Schwangerschaft zunächst zurück. 143 Der Gesetzgeber reagierte und suchte die Lösung in dem Vergleich einer schwangeren Arbeitnehmerin mit Personen „not so affected but similar in their ability or inability to work". 144 Der EuGH wählte einen anderen Weg und unternahm Schritte hin zur gänzlichen Lossagung von dem Erfordernis einer Vergleichsperson: Die Verweigerung der Einstellung einer Arbeitnehmerin wegen ihrer Schwangerschaft komme nur Frauen gegenüber in Betracht und sei aus diesem Grunde eine Diskriminierung wegen des Geschlechts.145

b) Vergleichperson der Vergangenheit Das Heranziehen einer Person zur Begründung des Diskriminierungsvorwurfs, die in der Vergangenheit in einer vergleichbaren Position tätig wurde und eine bessere Behandlung erfuhr, ist der Sache nach nichts Neues. Bereits 1980 hat der EuGH ausgeführt, dass eine Arbeitnehmerin sich zur Begründung eines Verstoßes gegen den Entgeltgleichheitsgrundsatz nach Art. 141 EG sich des Vergleichs mit einem Arbeitnehmer bedienen darf, der vor ihrer Einstellung eingestellt war und der für den Arbeitgeber die gleiche Arbeit geleistet hat. 146

141

Atonio v. Wards Cove Packing Co., 1983 U.S. Dist. LEXIS 11994, 66 (W.D. Wash. 1983). Trotzdem ließ das Gericht die Klage der Arbeitnehmer im Ergebnis scheitern. 142 Wards Cove Packing Co. v. Atonio , 490 U.S. 642 (1989). 143 General Elec. Co. v. Gilbert , 429 U.S. 125, 139 (1976); Geduldig v. Aiello , 417 U.S. 484,497 in Fn 20 (1974). 144 Pregnancy Discrimination Act von 1978, 42 U.S.C. 2000e (k) (2003). 145 EuGH, Urt. v. 8.11.1990 -Rs. 177/88, Slg. 1990,1-3941, Rz. 12 (Dekker). 146 EuGH, Urt. v. 27.3.1980 - Rs. 129-79, Slg. 1980, S. 1275, Rz. 16 (Macarthys Ltd).

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

193

Diese Rechtsprechung wird durch Art. 2 Abs. 2 lit. a RL nunmehr ausdrücklich für die neu hinzugekommenen Differenzierungsmerkmale festgeschrieben.

c) Erweiterte Vergleichsbasis in den Fällen der Behinderung? Ungeachtet der Frage, ob die Vergleichsperson aktuell fassbar ist, nur in der Vergangenheit zur Verfügung stand oder schlichtweg rein hypothetischer Natur ist, gehörte sie im Rahmen von § 611a BGB - mit Ausnahme der Benachteiligung wegen einer Schwangerschaft - stets dem anderen Geschlecht an. 147 Dieser Umstand darf nicht zu der Annahme verleiten, der Vergleichsperson müsse stets das geschützte Gruppenmerkmal fehlen, aufgrund dessen der Kläger geltend macht, eine benachteiligende Behandlung erfahren zu haben. Es muss, hierfür sprechen Wortlaut und Zweck der Rahmenrichtlinie, vielmehr genügen, wenn Kläger und Vergleichsperson sich im Hinblick auf das verbotene Differenzierungsmerkmal unterscheiden. Ein wegen Diskriminierung aufgrund seiner Religion klagender Muslim hat demzufolge nicht notwendigerweise einen Atheisten zum Vergleich heranzuziehen, sondern kann auch dann mit seiner Klage Erfolg haben, wenn er ungünstiger als ein Arbeitnehmer christlichen Glaubens behandelt wurde. Ausschlaggebend ist allein, dass „eine Religion" Grund für verschiedene Arbeitgebermaßnahmen war, denn dies verbietet die Rahmenrichtlinie im Regelfall. Für das Merkmal der Behinderung ist diese Erkenntnis aufgrund der Vielgestaltigkeit der Behinderungen praktisch besonders bedeutsam, zugleich aber weniger offenkundig. Ein Vergleich kann nämlich nach Art. 2 Abs. 2 lit. a RL nicht nur zwischen einem behinderten und einem nicht behinderten Arbeitnehmer gezogen werden, sondern ebenso etwa zwischen einem dauerhaft und einem nur vorübergehend behinderten Beschäftigten, dem blinden Arbeitnehmer sowie seinem zuckerkranken Kollegen oder einer farbenblinden Bewerberin und einem hypothetischen querschnittgelähmten Stellensucher. Gerade wegen der stark variierenden Beeinträchtigungen scheint es nahe zu liegen, dem Arbeitgeber in diesen Fällen eine Differenzierungsbefugnis zuzustehen. In der Tat gibt es viele einleuchtende Gründe, Menschen mit verschiedenartigen Behinderungen unterschiedlich zu behandeln.148 Nicht ver-

147

EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93, DB 1995, 2172 (Kaianke); EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs. C-409/95, DB 1997, 2383 (Marschall); EuGH, Urt. v. 28.3.2000 Rs. C-158/97, NJW 2000, 1549 (Badeck); EuGH, Urt. v. 6.7.2000 - Rs. C-407/98, AP Nr. 22 zu EWG-RL 76/207 (Abrahamsson); EuGH, Urt. v. 19.3.2002 - Rs. C-476/99, Slg. 2002,1-2891 (Lommers). 148 Zur Angemessenheit der unterschiedlichen Behandlung von vorübergehend und dauerhaft behinderten Arbeitnehmern bei der Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und der Suche der richtigen Vergleichsgruppe siehe das Urteil des Canadian Supreme Court in Granovsky v. Canada (Minister of Employment and Immigration[2000] 1 S.C.R. 703. Vgl. auch Eldridge v. British Columbia, [1997] 3 S.C.R. 624.

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4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

gessen werden darf jedoch, dass der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz allein die Fähigkeit der Ableistung aller wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen im Auge hat. Ist die genannte farbenblinde Bewerberin hierzu in der Lage, ist der Differenzierungsspielraum des Arbeitgebers verbraucht. Im deutschen Verfassungsrecht wird ein anderer Ansatz vertreten. Die maßgebliche Vergleichsgruppe soll dort immer die der nicht Behinderten sein. 149 Aufgabe des Art. 3 Abs. 3 GG ist es nach Ansicht von Michael Sachs nicht, Benachteiligungen wegen bestimmter Verwirklichungsformen der Kategorie »Behinderung* gegenüber anderen Verwirklichungsformen zu verbieten." 150 Diese These stützt er auf zwei Erwägungen: Erstens drohe der Begriff der Behinderung bei einem anderen Verständnis mehrdeutig zu werden. Die Anknüpfung an spezifische Behinderungen berge zweitens weniger die Gefahr, dass sie aufgrund irrationaler Vorurteile erfolge, sondern könne „durchaus lediglich aus der ,Natur der Sache4 folgenden Notwendigkeiten Rechnung tragen, deren Berücksichtigung bei anderer Auslegung größte Probleme aufwirft." Jedenfalls für die Interpretation der Rahmenrichtlinie ist dem nicht zu folgen. Denn die Frage, ob eine Person das Merkmal der Behinderung erfüllt und damit in den persönlichen Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots fällt, ist logisch vorrangig und unabhängig von Auswahl der Vergleichsperson zu beantworten. Die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung wird mit anderen Worten durch eine Modifizierung der Vergleichsbasis weder leichter noch schwieriger. Allein die Anforderungen an den Beweis einer Benachteiligung steigen mit abnehmender Verschiedenheit der Vergleichspersonen. Dass Vorurteile überdies sehr wohl gerade an spezifische Erscheinungsformen einer Behinderung anknüpfen, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt.151 Letztlich bleibt die Einbeziehung verschiedener Abstufungen unterschiedlicher Behinderungen auch deshalb handhabbar, weil die Eignung zur Absolvierung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen als Filter zur Verfügung steht.

149

Siehe etwa Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 3 Rn. 104d; Osterloh , in: Sachs, GG, Art. 3 Rn.311. Vgl. auch BVerfG v. 19.1.1999, NJW 1999, 1853, 1855 („Behinderte werden zum Beispiel benachteiligt, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu deijenigen nicht behinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird..."). 150 Sachs, RdJB 1996, 154, 164. Freilich übersieht Sachs nicht den fehlenden Gerechtigkeitsgehalt einer solchen Auslegung sowie die daraus resultierende Gefahr einer Umgehung des Diskriminierungsverbots. Er verweist insofern aber auf Art. 1 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz. Dazu auch Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 349 ff. 151 Siehe dazu im 3. Kapitel unter B.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

195

II. Das Verbot mittelbarer Diskriminierung Das Verbot mittelbarer Diskriminierung nimmt seinen dogmatischen Ursprung in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung zur sog. disparate impact discrimination. 152 Die dortige Leitentscheidung des U.S. Supreme Court in Griggs v. Duke Power Co. von 1971 153 wurde bereits wenige Jahre später vom englischen Gesetzgeber rezipiert und als sog. indirect discrimination in den Sex Discrimination Act 1975 eingebunden154, bevor sie im Folgejahr als mittelbare Diskriminierung Einzug in die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie hielt. 155 Überließ man seinerzeit die inhaltliche Klärung des Begriffs der mittelbaren Diskriminierung noch der Rechtsprechung156, knüpft die Rahmenrichtlinie in Art. 2 Abs. 2 lit. b) RL nunmehr an die Formulierung der Beweislastrichtlinie an, die in Anerkennung der besonderen Beweisschwierigkeiten der mittelbaren Diskriminierung erstmals eine Definition dieses Tatbestandes in das Gemeinschaftsrecht einführte. 157 Erforderlich war danach, dass „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen". Nunmehr genügt es für einen Fall der mittelbaren Diskriminierung, wenn „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit ..., einer bestimmten Behinderung, ... gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können", sofern nicht einer der beiden sich im Richtlinientext anschließenden Ausnahmetatbestände eingreift. Um zu erkennen, weshalb dieser neue Ansatz

152 Zu dieser Rechtsfigur und ihrem Einfluss auf internationale Rechtssysteme vgl. Hunter/Shoben, 19 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 108 (1998). Aus dem deutschsprachigen Schrifttum siehe nur Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, passim; Hanau/Preis, ZfA 1988, 177. 153 401 U.S. 424 (1971). Zum Inhalt und ihren Implikationen für das materielle Gleichheitsverständnis vgl. im 2. Kapitel unter A. II. 154 In der Debatte zur Sex Discrimination Bill wurde offen auf Griggs Bezug genommen, siehe Official Report, SD Bill, Standing Committee B, 22 Apr. 1975, col. 48. Ausf. zur Theorie der indirect discrimination siehe Morris, 15 Oxford J. Legal Stud. 199 (1995). 155 Art.2 Abs.l RL 76/207/EWG, ABl. Nr. L 39 v. 14.2.1976, S. 40. Der genaue Ursprung der mittelbaren Diskriminierung im Gemeinschaftsrecht ist allerdings nur wenig geklärt, siehe Wiedemann, in: FS Friauf, S. 135, 136. 156 Grundlegend sind insb. EuGH, Urt. v. 31.3.1981 - Rs. 96/80, Slg. 1981, S. 911 (Jenkins); Urt. v. 13.5.1986 - Rs. 170/84, Slg. 1986, S. 1607 (Bilka), Urt. v. 27.10.1993 - Rs. C-127/92, Slg. 1993, 1-5535 (Enderby) sowie Urt. v. 15.12.1994 - verb. Rs. C399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93 und C-78/93, Slg. 1994, 1-5727 (Stadt Lengerich u.a.). 157 Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Nunmehr wurde die Definition der RL 2000/43/EG und 2000/78/EG für die Beweislastrichtlinie übernommen und gilt damit ebenso für die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, siehe RL 2002/73/EG, ABl. Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15.

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4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

zur Bestimmung von Fällen mittelbarer Benachteiligungen für den Diskriminierungsschutz behinderter Beschäftigter eine sinnvolle Fortentwicklung darstellt, zugleich aber (bislang) tragende Prinzipien dieser Diskriminierungsform in Frage stellt, sind einige einleitende Bemerkungen zur Aufgabe und Funktion dieses Benachteiligungstatbestandes angezeigt.

L Aufgabe und Funktion mittelbarer

Diskriminierung

Die Verbote unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung sind zwei Mittel mit dem gleichen Ziel 1 5 8 , weshalb es nicht an Vorschlägen fehlt, beide Diskriminierungsformen gleich zu behandeln.159 In beiden Fällen soll verhindert werden, dass Beschäftigte allein wegen des Innehabens eines bestimmten, vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig eingestuften Merkmals, bewusst schlechter behandelt werden. Der Diskriminierungsschutz greift somit beim Beweis zweier Elemente: ein Differenzierungsbewusstsein wegen eines bestimmten Merkmals und das Ergebnis der Schlechterstellung sind vom Kläger darzutun. 160 Beides ist in den Fällen der unmittelbaren Diskriminierung vergleichsweise offenbar, insbesondere erübrigt sich der Beweis des arbeitgeberseitigen Differenzierungsvorsatzes wegen der direkten Anknüpfung an das verbotene Merkmal. Das Verbot mittelbarer Diskriminierung wurde hingegen seinerzeit aus der Kapitulation vor der Einsicht geschaffen, dass Arbeitgeber, sobald ihnen die offene Diskriminierung verboten wird, subtilere Wege zur Benachteiligung nicht erwünschter Arbeitnehmergruppen suchen und finden. 161 Ein schein-

158

Thüsing , NZA 2000, 570, 571. Vgl. insbesondere die sich im Anschluss an das Dekker-Urteil des EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 177/88, Slg. 1990, 1-3941 anschließende und bis zum heutigen Tag fortdauernde Diskussion, ob die Benachteiligung schwangerer Arbeitnehmerinnen als ein Fall unmittelbarer oder mittelbarer Benachteiligung aufgefasst werden soll. Siehe Honeyball, 29 I U 43, 47 ff. (2000); McGlynn , Legal Perspectives, S. 205; Kirsten , RdA 1990, 282. Kritisch zum Konzept der mittelbaren Diskriminierung überdies KR-Pfeiffer, § 611a BGB Rn. 45. 160 Die Anforderungen der subjektiven Seite der Diskriminierungstatbestände werden unterschiedlich beurteilt. Diskutiert werden sie zumeist im Rahmen der Kausalität, d.h. ob eine Benachteiligung gerade „wegen" der Gruppenzugehörigkeit erfolgte. Richtigerweise kommt es auf das Vorhandensein einer Benachteiligungsabsicht nicht an, siehe nur ErfK/Schlachter § 61 la BGB Rn. 9. Anders noch die frühere das BVerfG v. 24.9.1965, BVerfGE 19, 119, 126; v. 22.5.1975, BVerfGE 39, 334, 368; v. 8.4.1987, BVerfGE 75,40, 70. Siehe nunmehr allerdings BVerfG v. 28.1.1992, BVerfGE 85,191, 206; v. 16.11.1993, 89, 276, 288f. Gänzlich absehen kann man von einem subjektiven Element hingegen selbst bei der mittelbaren Diskriminierung nicht, weil sie ein wichtiges Element zur Begründung ihrer Rechtfertigungsmöglichkeit ist. Aus verfassungsrechtlicher Sicht, vgl. Rüfner , in: FS Friauf, 1996, S. 331, 332 ff. 161 Grundlegend Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424 (1971). Siehe zu diesem Urteil bereits im 2. Kapitel unter A. II. 1. a). 159

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

197

bar objektives Kriterium ist in diesen Fällen „in Wirklichkeit nur ein indirektes Mittel" zur Diskriminierung, der Arbeitgeber kaschiert mithin seinen Differenzierungsvorsatz. 162 Von dieser Warte dient das Verbot mittelbarer Diskriminierung vor allem der Beweiserleichterung 163, indem es dem Kläger gestattet, allein die unterschiedliche Betroffenheit zweier Arbeitnehmergruppen darzulegen, ihn vom weitaus schwieriger zu erbringenden Beweis eines Differenzierungsvorsatzes aber freistellt. Aufgrund der typischerweise Angehörige einer geschützten Personengruppe treffenden nachteiligen Wirkung der Regelung wird vielmehr vermutet, dass die Gruppenzugehörigkeit Grund für die Differenzierung war. 164 Einhergehend mit der Enthebung des Klägers vom Sachvortrag zur subjektiven Seite des mittelbaren Diskriminierungstatbestandes gingen bislang entsprechend höhere Anforderungen an seine Darlegungen zur tatsächlichen Diskrepanz der negativen Auswirkungen auf zwei verschiedene Arbeitnehmergruppen - das U.S.-amerikanische Anti-Diskriminierungsrecht bringt diese Verlagerung des Analyseschwerpunktes mittelbarer Benachteiligungen trefflich bereits in der Bezeichnung dieser Fallgruppe als disparate impact discrimination zum Ausdruck.

2. Geringere Anforderungen

an die Indizwirkung

des Gruppenvergleichs

An diesem Punkt setzt die Rahmenrichtlinie an, indem sie die Maßstäbe zur Beurteilung, wann eine hinreichend große Diskrepanz in den negativen Auswirkungen einer Arbeitgebermaßnahme vorliegt, in verschiedener Hinsicht modifiziert. Nach der Konzeption der Beweislastrichtlinie vollzog sich der Beweis einer mittelbaren Diskriminierung noch in drei Schritten: (1) Zunächst mussten zwei Vergleichsgruppen gebildet werden und anschließend (2) waren die unterschiedlichen Auswirkungen der - scheinbar - neutralen Regel auf diese beide Gruppen zu demonstrieren, bevor (3) schlussendlich eine Bewertung des Ausmaßes der unterschiedlichen Betroffenheit vorgenommen wurde; nur unter der Voraussetzung, dass ein „wesentlich höherer" Teil von Angehörigen eines Ge162

EuGH, Urt. v. 31.3.1981 - Rs. 96/80, NJW 1981, 2639 (Jenkins). Zu weiteren Erklärungsansätzen der mittelbaren Diskriminierung siehe Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 41 ff., die weiterhin die Perpetuierung bestehender Ungleichheiten, die gleiche Wirkung beider Benachteiligungstatbestände, den Gedanken der Systembekämpfung und Verteilungsgerechtigkeit sowie die Unbeachtlichkeit funktionaler Unterschiede der Geschlechter nennt. Aus U.S.-amerikanischer Perspektive vgl. nur Rutherglen, 73 Va. L. Rev. 1297 (1987) sowie Hunter/Shoben, 19 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 108 (1998) mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 164 St. Rspr. des EuGH, vgl. nur Urt. v. 9.9.1999 - Rs. C-281/97, Slg. 1999,1-5127, Rz. 19 (Krüger); Urt. v. 27.10.1993 - Rs. C-127/92, Slg. 1993,1-5535, Rz. 14 (Enderby); Urt. v. 13.5.1986 - Rs. 170/84, Slg. 1986, S. 1607, Rz. 31 (Bilka); BAG, Urt. v. 20.8.2002 - 9 AZR 750/00, NZA 2003, 861, 863; Urt. v. 5.3.1997 - 7 AZR 581/92, NZA 1997, 1242, 1243; Kort, RdA 1997, 277, 280. 163

198

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

schlechte nachteilig betroffen wurde, lag ein Fall mittelbarer Diskriminierung vor. 165 Auf die Erbringung des zweiten Nachweises einer konkreten Diskrepanz verzichtet die Rahmenrichtlinie nunmehr. Ausreichen soll, dass eben jene scheinbar neutralen Faktoren geschützte Arbeitnehmer „gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können".166 Verbunden ist mit dieser Änderung im Wortlaut der Wunsch, den Beweis mittelbarer Diskriminierung unabhängig von dem Nachweis einer statistischen Diskrepanz in den Auswirkungen der neutralen Regelung zu gestalten.167

a) Zum Verzicht auf Statistiken Der ins Auge gefasste Verzicht auf statistische Nachweise zum Beweis einer mittelbaren Diskriminierung ist, wie die Begründung des Richtlinienvorschlags der Kommission offenbart, keine intellektuelle Neuschöpfung des Rates.168 Die dortige Formulierung „eine Person oder Personengruppe aufgrund eines der ... genannten Gründe benachteiligen können" war der Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit angelehnt.169 Diese bedient sich zur Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit eines dreiteiligen Ansatzes.170 Erfasst und als mittelbare Benachteiligung verboten werden danach solche scheinbar neutralen Vorschriften, die entweder (1) „im wesentlichen"171 oder „ganz überwiegend"172 Wanderarbeitnehmer betreffen oder (2) „von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern". 173 Genügen soll (3) schließlich „die Gefahr", dass sich anschei-

165

Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80/EG. Art. 2 Abs. 2 lit. b RL. 167 KOM (1999) 565 endg., S. 9. 168 Vorschlag für eine Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, KOM (1999) 565 endg. 169 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. b der Entwurfsfassung, KOM (1999) 565 endg., S. 20 f. Zur Begründung siehe KOM (1999) 565 endg., S. 9. 170 Ausdrücklich zitiert wird die Entscheidung EuGH, Urt. v. 23.5.1996 - Rs. C237/94, Slg. 1996,1-2617 (O'Flynn). 171 EuGH, Urt. v. 15.1.1986 - Rs. 41/84, Slg. 1986, S. 1, Rz. 24 (Pinna); Urt. v. 30.5.1989 - Rs.33/88, Slg. 1989, S. 1591, Rz. 12 (Allu£ u. a.). 172 EuGH, Urt. v. 20.10.1993 - Rs.C-272/92, Slg. 1993,1-5185, Rz. 18 (Spotti) sowie im Ergebnis Urt. v. 17.11.1992 - Rs. C-279/89, Slg. 1992, 1-5785, Rz. 42 (Kommission/Vereinigtes Königreich). 173 EuGH, Urt. v. 4.10.1991 - Rs.C-349/87, Slg. 1991, 1-4501, Rz. 23 (Paraschi); Urt. v. 10.3.1993 - Rs. C-l 11/91, Slg. 1993,1-817, Rz. 10 (Kommission/Luxemburg). 166

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

199

nend neutrale Vorschriften besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken.174 Gefolgt ist der Rat dem Vorschlag der Kommission zur Übernahme dieser Judikatur in das Regelwerk der Rahmenrichtlinie zu Recht nur bedingt. Beifall verdient insbesondere die Abstandnahme in der endgültigen Fassung der Richtlinie von der stark individualistischen Formulierung der Entwurfsfassung. Es gereicht damit nicht länger zur Erfüllung des Tatbestandes der mittelbaren Diskriminierung, wenn „eine Person" durch neutrale Vorschriften etc. benachteiligt werden kann. Vonnöten ist stets, dass „Personen" mit einem geschützten Charakteristikum gegenüber „anderen Personen" benachteiligt werden können. Dies ist sachgerecht, war dieses Vorgehen zur Aufweichung der verbreitet als zu streng empfundenen Anknüpfung an das Bestehen einer „wesentlich stärkeren Belastung" nicht notwendig.175 Zudem handelt es sich bei dem Verbot mittelbarer Diskriminierung um keinen Anwendungsfall formeller Gleichheit, der eine derartige individualistische Betrachtungsweise bedingen würde. 176 In die Endfassung der Rahmenrichtlinie übernommen wurde dagegen die Absenkung der Anforderungen an das Maß der unterschiedlichen Betroffenheit sowie der Gedanke, dass die bloße Möglichkeit einer entsprechenden Diskrepanz ausreichen muss, um die Indizwirkung für das Vorliegen einer behinderungsspezifischen Benachteiligung auszulösen. Prinzipiell ist die sich hierhinter verbergende Lossagung von dem Erfordernis der Erbringung eines signifikanten statistischen Beweises für die Benachteiligung der Angehörigen einer geschützten Personengruppe zu begrüßen. Die Erbringung exakter statistischer Beweise kann zum einen - hierfür liefern die in den USA gesammelten Erfahrungen hervorragendes Anschauungsmaterial177 - derart kompliziert ausfallen, dass sie für individuelle Kläger kaum präzise durchführbar und für die Gerichte damit nur von beschränktem Nutzen ist. 178 Ein District Court in den USA brachte es unlängst auf den Punkt: „Zu viele Personen nutzen Statistiken wie einen Laternenpfahl - als Stütze und nicht zur Erleuchtung".179 Dieser allgemeingültige Befund gilt wiederum in gesteigertem Maße für das Merkmal der Behinderung. Die Fortführung des bereits bei der unmittelbaren Diskriminierung gegebenen 174 EuGH, Urt. v. 8.5.1990 - Rs. C-175/88, Slg. 1990,1-1779, Rz. 14 (Biehl); Urt. v. 28.1.1992 - Rs. C-204/90, Slg. 1992,1-249, Rz. 9 (Bachmann). 175 Zur Frage des anzulegenden Maßstabs vgl. Barnard/Hepple, 58 C.L.J. 399 (1999). 176 Etwas Gegenteiliges ergibt sich ebenso wenig aus der von der Kommission ins Feld geführten Entscheidung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, siehe EuGH, Urt. v. 23.5.1996-Rs. C-237/94, Slg. 1996,1-2617 (O'Flynn). 177 Zu den verschiedenen Tests siehe nur Lee/Liu, 6 U Chi L Sch Roundtable 195, 196 ff. (1999) m.w.N. 178 Siehe auch Waddington/Bell, 38 CML Rev. 597 (2001). 179 Keely v. Westinghouse Electric Corp., 404 F. Supp. 573, 579 (E.D. M.O. 1975).

200

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Beispiels zeigt warum: Versucht die farbenblinde Bewerberin die Klage gegen ihre Nichteinstellung damit zu begründen, dass der Arbeitgeber gerade gegenüber farbenblinden Bewerbern, unter Umständen sogar im Vergleich zu Bewerbern mit bestimmten anderen Behinderungen, mittelbar diskriminiert, wird sie hierfür weder auf existierendes Zahlenmaterial zurückgreifen können noch erscheint die Sammlung desselben erfolgversprechend. Statistiken können zum anderen nämlich die ihnen zugedachte Funktion, ein hinreichendes Indiz für den Arbeitgeberwillen zur Differenzierung anhand eines verbotenen Merkmals zu liefern, nur dann erfüllen, wenn die Vergleichsgruppen ausreichend groß sind. 180 Speziell für die mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung sind Statistiken aufgrund der nur geringen Repräsentation von Beschäftigten mit einer bestimmten Behinderung in der jeweiligen Vergleichsgruppe jedoch nur von geringer Aussagekraft. Spiegelbildlich hierzu schießen strenge Anforderungen an einen statistischen Nachweis über das Ziel hinaus, wenn die Vergleichsgruppen sehr groß sind. Bereits geringe prozentuale Abweichungen können dann eine ausreichend große Anzahl von Merkmalsträgern benachteiligen und die Vermutung einer bewussten Differenzierung anhand des geschützten Merkmals rechtfertigen. 181 Die Rahmenrichtlinie will diesen Bedenken gegen die Sinnhaftigkeit statistischer Nachweise dadurch begegnen, dass sie zunächst vom Erfordernis einer „wesentlich höheren" Diskrepanz in den Auswirkungen einer Arbeitgebermaßnahme absieht.182 Nicht übernommen wurde allerdings die ursprünglich von der Kommission vorgesehene Möglichkeit einer - beliebigen - Benachteiligung; sie musste der Benachteiligung „in besonderer Weise" weichen. Diese Änderung ist zu begrüßen. Während eine „beliebige Benachteilung" aus den genannten Gründen nicht für die Begründung der Vermutung einer mittelbaren Diskriminierung ausreicht, ermöglicht die nunmehr kodifizierte Absenkung des Betroffenheitsmaßes die Abkehr von einer rein formalen hin zu einer inhaltlichen Beurteilung der tatsächlichen Auswirkungen einer Arbeitgebermaßnahme. Eine Benachteiligung „in besonderer Weise" ist eine an den Umständen des Einzelfalls gemessene bedeutsame Abweichung der Verteilung in den Auswirkungen einer Maßnahme. Diese Abweichung kann zahlenmäßig belegt werden, muss es aber nicht. Mit dieser Fortschreibung des mittelbaren Diskriminierungstatbe180 Andernfalls besteht die Gefahr, dass Zufälligkeiten und konjunkturelle Schwankungen das Ergebnis beeinflussen, siehe EuGH, Urt. v. 27.10.1993 - Rs. C-127/92, Slg. 1993, 1-5535, Rz. 17 (Enderby). Zur Aussagekraft des statistischen Nachweises siehe ebenso Wissmann , in: FS Wlotzke, S. 807, 813 ff. 181 Das BAG betont dementsprechend, dass es nicht allein auf einen bestimmten Prozentsatz ankommt, sondern auf die Signifikanz der Abweichung gemessen an der zu erwartenden Normalverteilung der Geschlechter auf die Vergleichsgruppen, siehe nur BAG, Urt. v. 20.8.2002 - 9 AZR 750/00, NZA 2003, 861, 863 m.w.N. 182 Anders noch Art. 2 Abs. 2 der Beweislastrichtlinie, RL 97/80/EG idF. v. 13.6.1998.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

201

standes hat der Rat einen Schritt in die richtige Richtung getan, unglücklicherweise allerdings hat er es damit nicht bewenden lassen.183 Genügen soll fortan nicht nur eben jene Benachteiligung „in besonderer Weise", sondern überdies die bloße Möglichkeit derselben. Allein mit dem Wunsch, die mittelbare Diskriminierung von den Zwängen statistischer Nachweise zu befreien, lässt sich dies nicht rechtfertigen. Diskriminierungsklägern kommt man mit dieser Formulierung auf Kosten der Arbeitgeber zu weit entgegen, indem man ihnen den Beweis einer mittelbaren Benachteiligung nicht nur erleichtert, sondern weitestgehend abnimmt; das Auslösen der Vermutungswirkung von tatsächlich bestehenden Diskrepanzen abzutrennen ist nicht sachgerecht, denn ein hinreichend aussagekräftiges Indiz für eine behinderungsspezifische Benachteiligung ist in diesen Fällen nicht vorhanden. Die praktische Konsequenz dieser Formulierung im Richtlinientext ist, sofern die Rechtsprechung diesen Weg zukünftig tatsächlich beschreiten wird, die Verlagerung des Analyseschwerpunktes bei Fällen mittelbarer Diskriminierungen von der Tatbestandsseite hin zur Frage der Rechtfertigung.

b) Alternative Anknüpfungspunkte zur Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung Die Mitgliedstaaten werden durch die Rahmenrichtlinie nicht daran gehindert, auch zukünftig den Beweis von mittelbaren Diskriminierungen an die Erbringung statistischer Beweise zu knüpfen. 184 Der kategorische Ausschluss von Statistiken wäre auch wenig sinnvoll, bieten sie doch - ihre Verfügbarkeit vorausgesetzt - in Teilbereichen wegen ihrer höheren Beweiskraft ein taugliches Mittel zur Darlegung einer mittelbaren Diskriminierung. Dort, wo ihre Aussagekraft allerdings nur beschränkt ist, heißt es nach Alternativen zur Darlegung einer Benachteiligung „in besonderer Weise" Ausschau zu halten. Substituiert man quantitative durch qualitative Standards, ist damit stets ein höheres Maß an Unsicherheit verbunden und dennoch sollten sich wage Maßstäbe, wie das Abstellen auf den „gesunden Menschenverstand", vermeiden lassen. Vergleichbar dem britischen Sex Discrimination Act erscheint es möglich, die Messlatte beispielsweise bei einer beträchtlichen Diskrepanz anzusetzen, die Auswirkungen der Maßnahme aber lediglich zu überschlagen, anstatt sie numerisch präzise zu erfassen. Viele Fälle werden sich auf diese Weise sachgerecht lösen, denn oftmals wird es eindeutig sein, dass behinderte Menschen durch eine scheinbar neutrale Regel stärker negativ betroffen sind als Arbeitskollegen, die diese bestimmte Behinderung nicht haben. Verlangt eine Stellenbeschrei183

Die Neuregelung begrüßen Schmidt/Senne, RdA 2002, 80, 83; kritisch dagegen SchieK AuR 2003, 44,47. 184 So ausdrücklich der 15. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie.

202

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

bung beispielsweise den Besitz eines Führerscheins, braucht man keine statistischen Erhebungen anzustellen, um zu erkennen, dass diese Regel blinde Beschäftigte überproportional belastet. Ungeachtet der genauen Formulierung, die eine Prüfungsformal zur Erfassung einer Benachteiligung „in besonderer Weise" zukünftig erfährt, ist der Weg für eine materielle Betrachtung damit vorgegeben.

III. Der Schutz vor Belästigungen Der Schutz vor Belästigungen ist im deutschen Arbeitsrecht kein neues Thema. 185 Allgemein und in augenscheinlich geringem Differenzierungsbewusstsein zu den bisher vorgestellten allgemeinen Diskriminierungstatbeständen sprachen die deutschen Gerichte bereits bislang vom sog. Mobbing als „dem systematischen Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte". 186 Im U.S.-amerikanischen oder britischen Recht ruft dieser vermeintlich dem angelsächsischem Rechtsraum entnommene Begriff allerdings nur Achselzucken hervor, denn dort werden entsprechende Verhaltensmuster - sprachlich korrekt - unter dem Stichwort des harassment diskutiert. 187 Das deutsche Schrifttum hat sich von den fragwürdigen etymologischen Wurzeln des „mobbing" jedenfalls nicht beirren lassen, sondern im Gegenteil den juristischen Wortschatz um weitere Anglizismen bereichert: Rössing" soll „mobbing" eines Vorgesetzten gegenüber den ihm unterstellten Mitarbeitern sein, „Staffing" dagegen spiegelbildlich den Fall betreffen, dass die Mitarbeiter einen höherrangigen Kollegen schikanieren.188 Im ersten Fall wird ebenso von „Abwärts-Mobbing", im letzteren von „Aufwärts-Mobbing" gesprochen. 189 Gemeint ist in all diesen Fällen eine unangemessene, herabwürdigende Behandlung eines Menschen durch andere. 190 Ein für die Praxis besonders

185

Zum „Mobbing" vgl. Aigner , BB 2001, 1354; Däubler , BB 1995, 1347; Haller/Kock , NZA 1995, 356; Rieble/Klumpp , ZIP 2002, 369; Wilhelm, AuA 1995, 234; Zur sexuellen Belästigung siehe Hohmann, ZRP 1995, 167; Schlachter , NZA 2001, 121; Worzalla , NZA 1994, 1016. Allg. zur Thematik siehe ebenso Fromm , BB 1997, 1946; Hoyningen-Huene , BB 1991, 2215; Krummel/Küttner, NZA 1996, 67. 186 BAG, Beschluss v. 15.1.1997 - 7 ABR 14/96, AP Nr. 118 zu § 37 BetrVG 1972; Siehe auch LAG Hamm v. 25.6.2002, NZA-RR 2003, 8, 9; LAG Schleswig-Holstein v. 19.3.2002, DB 2002, 1056; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.8.2001, NZA-RR 2002, 121, 122; LAG Thüringen v. 15.2.2001, NZA-RR 2001, 577, 579; v. 10.4.2001, BB 2001, 1358. 187 Zur Begriffsschöpfung des „Mobbing" siehe Kollmer , AR-Blattei, Mobbing, SD 1215, Rn. 4 ff. 188 Schaub/Schaub § 108 Rn. 57. 189 Rieble/Klumpp , ZIP 2002, 369, 370. 190 Rieble/Klumpp , ZIP 2002, 369, 370.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

203

wichtiger Teilbereich entsprechender Verhaltensmuster hat unlängst eine spezialgesetzliche Normierung im Beschäftigtenschutzgesetz (BeschG) erfahren: der Schutz Beschäftigter vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. 191 Einigkeit besteht ungeachtet des Bezugspunktes des belästigenden Verhaltens darin, dass entsprechende Verhaltensweisen die Würde des Arbeitnehmers verletzen und diesem daher gewisse Abwehrrechte zur Verfügung gestellt werden müssen. Diese wurden bislang im allgemeinen Zivilrecht verortet und dort vorrangig als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts diskutiert, für den Spezialbereich der sexuellen Belästigung verstärkt durch ein Abwehrrecht nach § 2 BeschSchG. Mit der Aufnahme des Verbots von Belästigungen in die beiden Richtlinien 2000/78/EG sowie 2000/43/EG hält die fortschreitende Europäisierung des deutschen Arbeitsrechts auch in diesen Bereich Einzug. Auffallend ist dabei vor allem die Einbettung des Belästigungsschutzes in das System des Diskriminierungsrechts. Anstatt den Schutz von Beschäftigten vor bestimmten, ihre Würde verletzenden Verhaltensweisen als ein außerhalb der Gleichbehandlungsdogmatik liegendes Problem zu verorten, wurde das Belästigungsverbot in den Kanon der allgemeinen Diskriminierungstatbestände des Art. 2 RL aufgenommen und bestimmt, dass entsprechende Verhaltensmuster fortan als Diskriminierung iSd. Rahmenrichtlinie gelten. Gänzlich überraschend kommt diese Entwicklung nicht: Bereits 1990 stellte der Rat unter Bezug auf die Rechtsprechung „einiger Mitgliedstaaten" fest, „unerwünschtes Verhalten sexueller Natur ..., das die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beeinträchtigt, einschließlich des Verhaltens von Vorgesetzten und Kollegen, ist unannehmbar und kann unter Umständen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung" im Sinne der Gleichbehandlungsrichtlinie verstoßen.192 Impliziert wird damit der Gedanke, dass entsprechende Handlungen nur zuletzt deshalb zu unterbleiben haben, weil sie eine ungerechtfertigte Andersbehandlung der belästigten Arbeitnehmer gegenüber sonstigen Beschäftigten beinhalten.193 Dieser Weg, dem sich das deutsche Recht bislang mit guten Gründen enthielt, wird ebenso im U.S.-amerikanischen Anti-Diskriminierungsrecht beschritten, auf das der Rat an anderer Stelle ausdrücklich Bezug nimmt. 194 Aus diesem

191

Gesetz v. 24.6.1994, BGBl. I 1994, 1406, 1412. Entschließung des Rates vom 29.5.1990 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, ABl. Nr. C 157 v. 27.6.1990, S. 3 ff. 193 Siehe dazu die Feststellung der Kommission, wonach Belästigungen zu verhindern sind, weil sie „die Integrität des Beschäftigten verletzen und eine Diskriminierung darstellen", KOM (1999)565 endg., v. 25.11.1999, S. 10 unter Bezugnahme auf entsprechende Vorschriften in Irland und Schweden (Hervorhebung durch den Verfasser). 194 Zur Rechtfertigung der Aufnahme des Verbots sexueller Belästigung in die Gleichbehandlungsrichtlinie hebt der Rat hervor, dass „manche Drittstaaten" - verwiesen wird ausdrücklich of Title VII - „über Rechtsvorschriften verfügen, die sexuelle Be192

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4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Grund sowie Dank des dortzulande bereits bestehenden Veranschauungsmaterials zur Belästigung wegen einer Behinderung, soll ein Blick über den Atlantik hinweg am Beginn dieses Abschnitts stehen. Anschließend wird ein erster Versuch zur Ausdeutung des Belästigungsbegriffs innerhalb der Rahmenrichtlinie unternommen, wobei zugleich auf eventuell bestehende Umsetzungsdefizite im deutschen Belästigungsschutz hingewiesen werden soll.

7. Die Ausweitung des Belästigungsschutzes im U.S.-amerikanischen Recht Der Schutz vor Belästigungen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe wird im U.S.-amerikanischen Arbeitsrecht über das AntiDiskriminierungsrecht realisiert. Alsrichterrechtliche Fortschreibung des Diskriminierungsschutzes nahm das Belästigungsverbot dort seinen Ursprung in Title V I I of the Civil Rights Act of 1964 195 , bevor es in jüngerer Zeit zu einer Ausweitung des Schutzesbereiches des ADA geführt hat.

a) Der Ursprung des Belästigungsschutzes in Title V I I und seine dogmatischen Grenzen Die Wurzeln des Schutzes vor belästigenden Verhaltensweisen im Erwerbsleben liegen in Section 703(a)(l) des Title V I I of the Civil Rights Act of 1964. In dieser Fundamentalnorm des U.S.-amerikanischen Anti-Diskriminierungsrechts wird „das Unterlassen oder Verweigern der Einstellung oder die Entlassung eines Individuums sowie jedes sonstige Diskriminieren eines Individuums in Hinblick auf seine Vergütung oder Arbeitsbedingungen wegen seiner Rasse, Hautfarbe, Religion, Sex oder nationalen Abstammung" zu einem unlawfiil employment practice erklärt und damit verboten.

aa) Schutz der emotionalen und psychologischen Stabilität Bereits wenige Jahre nach dem Inkrafttreten von Title V I I begann sich - der Supreme Court hatte erst einige Monate zuvor die Rechtsfigur der mittelbaren

lästigung ausdrücklich untersagen" sowie darauf, dass „in diesen Staaten sexuelle Belästigung als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesehen" werde, siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG, KOM (2000) 334 endg, v. 7.6.2000, S. 6. Dazu, dass dies mit Blick auf die U.S.-amerikanische Rechtslage nur bedingt zutrifft, siehe sogleich. 195 42 U.S.C. § 2000e-2 (a) (1) (2004).

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

205

Diskriminierung erschaffen 196 - auf der Ebene der Bundesgerichte die Erkenntnis durchzusetzen, dass diese Bestimmung Ausdruck eines „weit reichenden Konzeptes" sei, dass das Schaffen eines „mit diskriminierenden Handlungen aufgeladenen Arbeitsumfeldes" in seinen Schutzbereich einschließe - das Verbot des hostile environment harassment war geboren.197 Tragendes Argument zum Verbot dieser Belästigungsform war seinerzeit und ist bis zum heutigen Tage, dass Title V I I Arbeitnehmern ein Recht darauf gewährt, in einem Arbeitsumfeld „frei von diskriminierenden Einschüchterungen, Spott und Beleidigungen" zu arbeiten. 198 Die gegebene Begründung unmittelbar leuchtet ein: Das Beziehungsgeflecht eines Arbeitnehmers zu seinem Arbeitsumfeld sei von solcher Bedeutung, dass es des gesetzlichen Schutzes bedürfe und eine „diskriminierende Atmosphäre" dem Diskriminierungsverbot zumindest dann unstellt werden müsse, wenn sie „vollends die emotionale und psychologische Stabilität der Arbeitnehmer einer Minderheitsgruppe" zerstöre. 199 Seinen Ursprung nahm diese Entwicklung beim Verbot von Belästigungen wegen der Rasse200 und wurde erst später durch eine Reihe von Entscheidungen des D.C. Circuit auf Benachteiligungen wegen des Geschlechtes ausgeweitet, jenem Gebiet, in dem heutzutage der praktische Schwerpunkt dieser Rechtsfigur liegt. 201

bb) Schwierigkeiten

der Fundierung im Gleichbehandlungsgebot

Mit der Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes auf geschlechtsbezogene Belästigungen traten die Schwierigkeiten der Lösung dieser Sachverhalte als Gleichbehandlungsproblem in den Vordergrund. In Fällen einer sexuellen Belästigung wurde verbreitet ein geschlechtsneutrales Phänomen gesehen, weil sich das belästigende Verhalten sowohl gegen Männer als auch Frauen, mithin gegen Angehörige beider Geschlechter zu richten vermag. Damit könne aber -

196 197

(1972). 198

Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424 (1971). Rogers v. EEOC, 454 F.2d 234, 238 (5 th Cir. 1971), cert, denied , 406 U.S. 957

Vgl. nur Meritor Sav. Bank FSB v. Vinson , 477 U.S. 57, 65 (1986). Rogers v. EEOC, 454 F.2d 234, 238 (5 th Cir. 1971). 200 Rogers v. EEOC, 454 F.2d 234, 238 (5 th Cir. 1971); Gray v. Greyhound Lines, East , 545 F.2d 169, 176 (1976); Firefighters Institute for Racial Equality v. St. Louis , 549 F.2d 506, 514-515, cert . denied sub nom. Banta v. United States , 434 U.S. 819 (1977). Zur Religion siehe Compston v. Borden, Inc., 424 F. Supp. 157 (SD Ohio 1976), zur nationalen Abstammung Cariddi v. Kansas City Chiefs Football Club, 568 F.2d 87, 88 (8 th Cir. 1977). 201 Williams v. Saxbe, 413 F. Supp. 654 (D.D.C. 1976), rev'd sub nom. Williams v. Bell, 587 F.2d 1240 (D.C. Cir. 1978); Barnes v. Costle, 561 F.2d 983 (D.C. Cir. 1977); Bundy v. Jackson, 641 F.2d 934 (D.C. Cir. 1981). Siehe zur Entwicklung MacKinnon, 90 Geo L.J. 813 (2002). 199

206

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

einer zu dieser Zeit häufig anzutreffenden Argumentationslinie zufolge - kein Fall der Andersbehandlung gerade wegen des Geschlechts vorliegen. 202 Diese aus der Einbettung des Belästigungsverbots in das Anti-Diskriminierungsrecht resultierenden Schwierigkeiten sind selbst 30 Jahre nach den ersten Gehversuchen auf dem Terrain des Belästigungsschutzes und seiner prinzipiellen höchst instanzlichen Absegnung durch den Supreme Court 203 nicht vollends überwunden. In Argumentationsnöte geraten die Gerichte beispielsweise immer noch in jenen Fallkonstellationen, in denen die belästigende Person ihr Verhalten auf Angehörige beider Geschlechter ausdehnt (sog. „equal opportunity harasser"). Verharrt man hier in einer strikt am Gleichbehandlungsgrundsatz orientierten Betrachtung liegt kein Fall sexueller Belästigung vor, obwohl die unrechtmäßige Behandlung eines Arbeitnehmers nicht dadurch geheilt wird, dass der Arbeitgeber sein Verhalten auf Angehörige des anderen Geschlechts ausdehnt.204 Besondere Sorgen bereitet den Spruchkörpern überdies die Feststellung, dass eine sexuelle Belästigung „wegen" des Geschlechts vorliegt, wenn sowohl der belästigende als auch der betroffene Arbeitnehmer demselben Geschlecht angehören 205 und ersterer nicht homosexuell ist 206 . In einem vom Sixth Circuit zu entscheidenden Fall war ein männlicher Arbeitnehmer nach den Worten des Gerichts „Ekel erregenden" und „vulgären" Handlungen seiner gleichfalls männlichen Mitarbeiter ausgesetzt, unter anderem fortlaufenden unsittlichen Berührungen an seinem Geschlechtsorgan.207 Dem Gericht genügte dies zur Feststellung einer Belästigung nicht: Das Gesetz knüpfe an Diskriminierungen am Arbeitsplatz und nicht an Moral oder Anstößigkeiten an - ein allgemeines „antiharassment"-Verbot enthalte Title V I I mithin nicht.

202 Tomkins v. Public Serv. Elec. & Gas Co., 422 F. Supp. 533 (D. N.J. 1976), rev'd, 568 F.2d 1044 (3 rd Cir. 1977); Garber v. Saxon Indus., Inc., 14 Empl. Prac. Dec. (CCH) 7586 (E.D. Va. 1976), rev'd sub nom. Garber v. Saxon Business Prods., Inc., 552 F.2d 1032 (4 th Cir. 1977); Corne v. Bausch & Lomb, Inc., 390 F. Supp. 161, 163 (D. Ariz. 1975), vacated on procedural grounds, 582 F.2d 55 (9 th Cir. 1977). 203 Vgl. insb. Meritor Savings Bank v. Vinson, 477 U.S. 57 (1986); Harris v. Forklift Sys ., Inc., 510 U.S. 17 (1993); Oncale v. Sundowner Offshore Serv., Inc., 523 U.S. 75 (1998). 204 So nunmehr auch Brown v. Henderson, 257 F.3d 246 (2 nd Cir. 2001). Anders noch die Vorinstanz siehe Brown v. Henderson , 115 F. Supp. 2d 445, 451 (S.D.N.Y. 2000). 205 Zum „same-sex sexual harassment" vgl. Oncale v. Sundowner Offshore Services, 523 U.S. 75 (1998). 206 Andernfalls könne wenig Zweifel daran bestehen, dass eine Belästigung „because of sexual attraction" dem Merkmal „because of sex" genüge, vgl. Yeary v. Goodwill Industries- Knoxville, 107 F.3d 443,448 (6 th Cir. 1997). 207 EEOC v. Harbert-Yeargin, Inc., 266 F.3d 498 (6 th Cir. 2001), reh'g en banc denied 2002 U.S. App. LEXIS 18785.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

207

b) Ausdehnung des Belästigungsverbots auf das Merkmal der Behinderung Der ADA gibt in seiner gesetzlichen Umschreibung des Diskriminierungsbegriffs keinen Hinweis auf belästigende Verhaltensweisen als einen möglichen ^AO

AAA

Diskriminierungstatbestand. Gleichwohl herrscht in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehende Einigkeit darüber, dass entsprechende Verhaltensmuster als ein Fall der unzulässigen Benachteiligung auch nach dem ADA zu verbieten sind. Zur dogmatischen Herleitung dieser Erweiterung des Diskriminierungsschutzes stützt man sich überwiegend auf den recht formalen Hinweis, dass der ähnliche Wortlaut von Title V I I gleichfalls dergestalt interpretiert werde 2 1 0 , dass er ein Verbot von belästigenden Verhaltensweisen umschließe.211 Inhaltlich verbirgt sich hinter dieser Erweiterung der Reichweite des ADA das Eingeständnis, dass ein Belästigungsverbot notwendig ist, um Lücken im Diskriminierungsschutz zu schließen, die aus legislativen Versäumnissen überwiegend im - kaum existierenden - Kündigungsschutzrecht212 resultieren: „Eine anderweitige Entscheidung", gemeint ist das Absehen von der Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes, „führt zu dem unlogischen Ergebnis, dass ein Arbeitgeber zwar für die Entlassung eines qualifizierten Arbeitnehmers wegen einer Behinderung zur Verantwortung gezogen werden kann, der skrupellose Arbeitgeber aber, der den »sicheren Weg4 der Belästigung beschreitet, um den Arbeitnehmer selbst zur Kündigung zu veranlassen, unberührt bleibt".213 Zwingende sachliche Gründe gerade für die Angliederung des Belästigungsverbots an den Diskriminierungsschutz bestehen somit auch im U.S.-amerikanischen Recht nicht, ausgenommen von der Kapitulation vor der Einsicht der prakti-

208

42 U.S.C. § 12112 (b) (2004). Eine Entscheidung des U.S. Supreme Court in dieser Frage steht noch aus. Unter den Court of Appeals setzt sich in jüngster Zeit allerdings die Auffassung zunehmend durch, dass belästigende Verhaltensweisen unter den Diskriminierungsbegriff des ADA fallen, vgl. Shaver v. Indep. Stove Co., 350 F.3d 716 (8* Cir. 2003); Flowers v. Southern Reg'l Physician Servs., Inc., 247 F.3d 229 (5* Cir. 2001), Fox v. General Motors Corp., 247 F.3d 169 (4* Cir. 2001). Oftmals wird ein Recht auf Abwehr von belästigendem Verhalten nach dem ADA unterstellt, vgl. Walton v. Mental Health Ass'n, 168 F.3d 661, 667 (3^ Cir. 1999) („In der Tat haben wir nicht eine einzige Gerichtsentscheidung gefunden, derzufolge ein entsprechender Anspruch nicht auf den ADA gestützt werden kann"). 210 Die Gerichte machen bei der Entscheidung von ADA Fällen häufig Anleihen bei Title VII, siehe Baird v. Rose, 192 F.3d 462, 470 (4* Cir. 1999); Miranda v. Wisconsin Power & Light Co., 91 F.3d 1011, 1017 (7* Cir. 1996); Newman v. GHS Osteopathie, Inc., 60 F.3d 153, 157 (3 r i Cir. 1995). 211 Haysman v. Food Lion, 893 F. Supp. 1092, 1106 (S.D. Ga. 1995). Vgl. auch Myers, BYU J. Pub. L. 265, 282-283 (2003) m.w.N. 212 Einen Überblick über den Kündigungsschutz in den USA geben Kittner/Kohler, BB 2000, Beilage zu Heft 13. 213 Haysman v. Food Lion, 893 F. Supp. 1092, 1106-1107 (S.D. Ga. 1995). 209

208

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

sehen Unmöglichkeit einer anderweitigen Schließung der wahrgenommenen Schutzlücken. Dass diese dogmatische Verankerung im Diskriminierungsschutz zwar weniger Schwierigkeiten beim Merkmal der Behinderung als in den Fällen sexueller Belästigung nach sich zieht, zur selben Zeit jedoch das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer nur unzulänglich schützt, sollen die nachstehenden Ausführungen zeigen.

aa) Von der Rechtsprechung zugrunde gelegter Prüfungsmaßstab Die U.S-amerikanischen Bundesgerichte stützen sich bislang bei der Analyse von Fällen der Belästigung wegen einer Behinderung einheitlich auf die im Rahmen von Title V I I zum sexual harassment gewonnenen Erkenntnisse. Obwohl diese jüngste Ausdehnung des Belästigungsverbots noch in der Entwicklung begriffen ist und Stellungnahmen einiger circuits nach wie vor ausstehen, zeichnet sich bereits ein erstes Prüfungsmuster ab. In Anlehnung an die Fallvariante des hostile environment harassment wird dem Kläger im Allgemeinen der Beweis von fünf Elementen abverlangt: (1) dass der Kläger in den persönlichen Geltungsbereich des ADA fällt; (2) dass er wegen seiner Zugehörigkeit zu der geschützten Personengruppe belästigt wurde; (3) dass die Belästigung unerwünscht und (4) schwerwiegend genug war, um sich auf seine Arbeitsbedingungen auszuwirken; (5) dass der Arbeitgeber für das belästigende Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann. 214

(1) Angliederung an den Diskriminierungsschutz Schutz vor behinderungsspezifischen Belästigungen erfordert an erster Stelle den Beweis eines prima facie case of discrimination, d.h nur ein zur Ausübung der infrage stehenden Tätigkeit qualifizierter Arbeitnehmer kann mit seiner Klage Erfolg haben.215 Die diesen Punkt nachfolgenden beiden Elemente des Prüfungsrasters werden von den Gerichten kaum thematisiert. Dass der Kläger gerade wegen seiner Behinderung belästigt wurde, ist der Mehrzahl der Gerich-

214

Shaver v. Indep . Stave Co350 F.3d 716 (8* Cir. 2003); Fox v. GMC, 247 F.3d 169, 177 (4 th Cir. 2001). Unterschiede bestehen zumeist nur in der Formulierung des fünften Elements. Einigkeit besteht dabei zumindest insofern, dass die Arbeitgeberverantwortlichkeit besteht, wenn ein Vorgesetzter sich des belästigenden Verhaltens schuldig gemacht hat, siehe nur Silk v. City of Chicago, 194 F.3d 788, 804 (7* Cir. 1999). 215 Cody v. Cigna Healthcare of St. Louis, Inc., 139 F.3d 595, 598 (8* Cir. 1998); siehe jedoch Rocafort v. IBM Corp., 334 F.3d 115 ( l s t Cir. 2003), wo das Gericht es ausdrücklich offen ließ, ob die prima facie Anforderungen einer Klage wegen Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen auf einen Fall des disability harassment übertragen werden können.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

209

te kaum eines Satzes wert. 216 Keine Gedanken machen sich diese damit - im Gegensatz zu Klagen wegen sexueller Belästigung - über die Notwendigkeit der Heranziehung einer nicht behinderten Vergleichsperson, die keine entsprechende Behandlung erfahren hat oder zumindest erfahren hätte; zu offensichtlich ist zumeist die Anknüpfung an das Merkmal der Behinderung. Dies ist zu begrüßen, befreit es doch die Belästigung zumindest ein Stück weit von ihrer unsäglichen Angliederung an den Diskriminierungsschutz und schärft den Blick damit für das Wesentliche - die Frage, ob die Belästigung gerade wegen einer Behinderung oder aus sonstigen Gründen erfolgte. Bestätigt wird damit zugleich aber die intuitive Annahme, dass Belästigungsschutz und der Gleichbehandlungsgrundsatz wenig miteinander gemein haben. Keine Schwierigkeiten im Kontext der behinderungsspezifischen Belästigung bildet überdies die Frage, ob das Verhalten unerwünscht war oder nicht - das dritte Kriterium der Prüfungsformel. In der Tat macht dieses Kriterium, das der Supreme Court in der grundlegenden Meritor Savings Bank v. Vinson Entscheidung zur Voraussetzung des Vorwurfs der sexuellen Belästigung nach Title V I I erkor 217 , beim Merkmal der Behinderung keinen Sinn. Zugrunde liegt dieser subjektiven Komponente des Belästigungsschutzes die Einsicht, dass objektiv als sexuell belästigend interpretierbares Verhalten in manchen Fällen sich dennoch einverständlich vollzieht. Dass behinderungsspezifische Belästigungen in dergleichen Weise jemals willkommen sein könnten, ist kaum vorstellbar. Ob all dies den Schluss zulässt, dass Belästigungen wegen einer Behinderung in dogmatischer Hinsicht weniger Probleme als solche sexueller Natur aufwerfen, ist noch zu früh zu beurteilen. Bislang konnten jene Spruchkörper, die sich im Ergebnis gegen die Annahme einer Belästigung wegen der Behinderung aussprachen, den argumentativ weniger aufwendigen Weg beschreiten, die Klage an der fehlenden Intensität des feindlichen Arbeitsumfeldes scheitern zu lassen. Doch auch in den weniger häufigen Fällen, in denen der Kläger mit seinem Vorwurf der behinderungsspezifischen Belästigung Gehör fand, lag dort fast ausnahmslos der Schwerpunkt der Erörterung.

(2) Schwere des belästigenden Verhaltens Einigkeit besteht unter den Gerichten, dass das belästigende Verhalten „schwer und anhaltend genug sein muss, um eine objektiv feindliche oder belei-

216 Denkbar sind allerdings Komplikationen dadurch, dass eine Behinderung im Gegensatz zum Geschlecht mitunter nicht erkennbar ist, siehe Eichhorn, 77 Wash. L. Rev. 575, 624 (2002). 217 477 U.S. 57, 68(1986).

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4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

digende Arbeitsumgebung zu schaffen 218; übernommen wird damit der entsprechende Maßstab der sexuellen Belästigung.219 Der anzulegende Maßstab ist somit ein objektiver: Es reicht nicht aus, dass der Kläger subjektiv sein Arbeitsumfeld als feindlich ansieht, sondern ein objektiver Dritter („a reasonable person") muss diese Einschätzung teilen. 220 Bloß „unhöfliches, ruppiges, unfreundliches oder taktloses Verhalten" soll hierfür nicht genügen - der Diskriminierungsschutz sei kein „Höflichkeitskodex". 221 Den Gebrauch eines beleidigenden Spitznamens beispielsweise erreichte nach Ansicht des Eighth Circuit deshalb nicht die notwendige Schwere, obwohl er sich über einen Zeitraum von über zwei Jahren hinzog und trotz der Bitte des betroffenen Arbeitnehmers, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen, von Arbeitskollegen wie Vorgesetzen gleichermaßen praktiziert wurde. Es fehlte, so das Gericht, an der Gefahr, dass das belästigende Verhalten zu einer Änderung der „terms, conditions, and Privileges of employment" führen könnte.222 Allgemein zeigen sich die Gerichte wenig gewillt, bei rein verbalen Belästigungen für den Kläger zu entscheiden.223 Selbst körperliche Bedrohungen können unbeanstandet bleiben, wie der Fall Silk v. City of Chicago des Seventh Circuit illustriert. 224 Silk leistete als Polizist Dienst für die Chicagoer Polizeibehörde. Diese setzte ihn, wie dort allgemein üblich, auf einem rotierenden Schichtsystem ein, bis er infolge einer schweren Schlafapnoe - einem Zustand, der durch wiederholten Atemstillstand gekennzeichnet ist und vom Gericht als Behinderung iSd. ADA anerkannt wurde - auf Anraten seines Arztes und mit Einverständnis seines Arbeitgebers nur noch einen „eingeschränkten Dienst" während der Tagesschicht leistete. Dies wiederum rief das Missfallen seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten hervor, die Silk wegen seiner angeblich nicht existenten Beschwerden wiederholt verbal schikanierten, ihn körperlich bedrohten und ihm fortan nur noch die unbeliebten Aufgaben zuwiesen. Nach Ansicht des Gerichts sei keine der belästigenden Handlungen für sich alleine genommen schwerwiegend genug gewesen, um die Annahme einer feindlichen Arbeitsumgebung zu rechtfertigten: „[Einfache Sticheleien, Bemerkungen aus dem Stegreif sowie isolierte Vorfälle" genügten

218 Shaver v. Indep. Stave Co., 350 F.3d 716, 721 (8 th Cir. 2003); Walton v. Mental Health Ass'n of South East Pennsylvania, 168 F.3d 661 (3 rd Cir. 1999). 219 Harris v. Forklift Sys., Inc., 510 U.S. 17, 21-22 (1993). 220 Fox v. General Motors Corp., 247 F.3d 169, 178 (4 th Cir. 2001); Keever v. City of Middletown, 145 F.3d 809, 813 (6 th Cir. 1998). 221 Shaver v. Indep. Stave Co., 350 F.3d 716, 721 (8 th Cir. 2003). 222 Siehe dort auf S. 722. 223 Siehe z.B. Walton v. Mental Health Ass'n of South East Pennsylvania, 168 F.3d 661 (3d Cir. 1999); Keever v. City of Middletown, 145 F.3d 809 (6 th Cir. 1998). 224 194 F.3d 788 (7 th Cir. 1999).

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

211

nicht.225 Interessanterweise bleibt das Gericht hier nicht stehen, sondern erschafft die Pflicht des Belästigungsopfers, sich selbst betriebsintern um Abhilfe zu bemühen: Silk hätte entweder die Belästigungen nicht hinreichend bei seinem Arbeitgeber gerügt bzw. soweit er dies getan habe, seien diese durch nachfolgende Entschuldigungen ungeschehen gemacht wurden. Leichter haben es solche Kläger vor Gericht, die körperliche Verletzungen erleiden. Der 4 0 1 Circuit hatte den Fall eines Arbeitnehmers zu entscheiden, der nach einer Rückenverletzung nur noch leichte Tätigkeiten verrichten durfte und sich dadurch den Unmut seiner Vorgesetzten und Arbeitskollegen zuzog. 226 Im Gegensatz zu Silk v. City of Chicago ließen diese es nicht bei verbalen Attacken bewenden, sondern wiesen dem Kläger absichtlich solche Arbeiten zu, die seine Rückenverletzung verschlechterten. Dem Gericht genügte dieser Umstand zu der Annahme einer Belästigung, weil das angegriffene Verhalten „häuftig, schwerwiegend, gesundheitsgefährdend war und seine Fähigkeit beeinträchtigte, seine Arbeit zu erledigen". 227

bb) Kritische Stimmen zum Ansatz der Rechtsprechung Die Ausweitung des Belästigungsschutzes auf das Merkmal der Behinderung ist noch zu jung, um eine nennenswerte Rezeption durch das Schrifttum hervorgerufen zu haben. Dennoch bleibt die Ausdehnung des ADA keinesfalls unwidersprochen. Kritik aus dem Arbeitgeberlager findet sich bislang allerdings nur spärlich, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass angesichts der hohen Anforderungen an die Schwere der feindlichen Arbeitsumgebung die Vielzahl der Belästigungskläger vor Gericht unterliegt. Soweit sie artikuliert wird, hat sie jedoch wenig Substanz. Den Einwand, dass ein Arbeitgeber, der einer Anforderung des ADA genügt, indem er angemessene Vorkehrungen für einen behinderten Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, dabei gleichzeitig das Tor zu einer Klage wegen Belästigung öffnet, weil er damit Unmut unter den Arbeitskollegen über die vermeintlich bevorzugende Behandlung schürt 228, darf man nicht gelten lassen. Es ist umgekehrt gerade die vorrangige Pflicht eines Arbeitgebers, eine gesetzlich geschuldete Anpassung des Arbeitsplatzes an die Bedürfnisse eines behinderten Beschäftigten nicht dadurch zu konterkarieren, dass er es unterlässt, einer daraus eventuell resultierenden Beeinträchtigung des

225 194 F.3d 788, 805, 807 unter Hinweis auf Faragher v. City ofBoca Raton, 118 S. Ct. 2275, 2283 (1998). 226 Fox v. General Motors Corp., 247 F.3d 169 (4 th Cir. 2001). 227 Siehe dort auf S. 179. 228 Vgl. Neagle, 3 U. Pa. J. Lab. & Emp. L. 715, 729 (2001) m.w.N. zu dieser Ansicht.

212

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Betriebsklimas entgegenzutreten. Richtigerweise wird man diese Verpflichtung noch als Teil der ohnehin geschuldeten Vorkehrung begreifen müssen, mit der Folge, dass ein Arbeitgeber, der es in Folge einer angemessenen Vorkehrung zu Unstimmigkeiten im Betrieb kommen lässt, seiner Verpflichtung nach § 102 (a) des ADA bzw. Art. 5 RL noch nicht nachgekommen ist. Ebenso wenig ist es dem Arbeitgeber zu gestatten, hinter dem Datenschutzbedürfnis eines behinderten Arbeitnehmers Zuflucht zu suchen.229 Selbst wenn man es einem Arbeitgeber zu Recht nicht gestatten will, beispielsweise die zusätzlichen Arbeitspausen für einen Beschäftigten, der seine Schädigung nicht offen legen möchte, gegenüber dessen daran Anstoß nehmenden Arbeitskollegen unter Hinweis auf dessen Behinderung zu rechtfertigen, bringt dies den Arbeitgeber nicht in eine unüberwindbare Konfliktsituation. Für das Verbot würdeverletzenden Verhaltens ist ein Arbeitgeber seiner Arbeitnehmerschaft keine Rechenschaft schuldig. Auf der anderen Seite des literarischen Spektrums bilden bedauerlicherweise Stimmen, die die Notwendigkeit eines Belästigungsschutzes nicht in Abrede stellen, sich aber zugleich gegen die dogmatische Ansiedlung des Belästigungsverbots im Diskriminierungsschutz wenden, eine noch seltenere Ausnahme.230 Die entsprechenden Stellungnahmen sind stark gesetzesspezifisch, so dass die Auseinandersetzung mit ihnen im Rahmen dieser Arbeit verzichtbar ist.

2. Die Ausdeutung des Belästigungstatbestandes

der Rahmenrichtlinie

Welchen Anforderungen eine Verhaltensweise einer durch die Rahmenrichtlinie verpflichteten Person genügen muss, um als Belästigung qualifizierbar zu sein, bestimmt Art. 2 Abs. 3 RL. Verlangt werden danach nicht weniger als fünf Voraussetzungen: Das angeprangerte Verhalten muss (1) im Zusammenhang mit einem der verbotenen Differenzierungsmerkmale stehen, (2) der betreffenden Person unerwünscht sein und (3) ihre Würde verletzen sowie (4) ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld schaffen. Die beiden zuletzt genannten Merkmale müssen schlussendlich (5) vom Adressaten des Belästigungsverbots „bezweckt oder bewirkt" worden sein.

229

Siehe ebenso Vgl. Neagle , 3 U. Pa. J. Lab. & Emp. L. 715, 729 (2001). Ein Versuch zur Umsetzung des Belästigungsverbots über das im ADA implementierte Maßregelungsverbot findet sich bei Weber , 14 Stan. L. & Pol'y Rev 241, 249 (2003). Kritik an der unreflektierten Übertragung der Voraussetzungen der Feststellung des Belästigungstatbestands im Fall der sexuellen Belästigung auf das Merkmal der Behinderung übt Ravitch , 15 Cardozo L. Rev. 1475 (1994). 230

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

213

Bezweckt ist damit ein Schutz vor einem Bündel in ganz unterschiedlicher Art und Weise an das Merkmal der Behinderung benachteiligend anknüpfender Verhaltensweisen, „angefangen bei sprachlichen Äußerungen und Gesten bis hin zum Verfassen, Zeigen oder Verbreiten von schriftlichen Äußerungen, Bildern oder sonstigem Material." 231 Trotz der augenscheinlichen Anhäufung von Wesenmerkmalen dieser Diskriminierungsform ist hiermit nicht mehr als ein europarechtlicher Rahmen geschaffen; die genaue Definition des Belästigungsbegriffs stellt die Rahmenrichtlinie den Mitgliedstaaten anheim (Art. 2 Abs. 3 S. 2 RL). 2 3 2

a) Das Dilemma der dogmatischen Verankerung des Belästigungsschutzes In welchem Maße die Mitgliedstaaten den ihnen durch Art. 2 Abs. 3 RL eröffneten Rahmen mit Leben erfüllen können, hängt maßgeblich davon ab, ob der Rat mit der Eingliederung des Belästigungsverbots in den Rahmen der allgemeinen Diskriminierungstatbestände ernst gemacht hat. Keine andere Interpretation des Richtlinienwortlauts zum Belästigungsverbot wird einen vergleichbar großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Dogmatik in diesem Bereich besitzen, wie die Frage danach, ob Belästigungen europarechtlich nur dann beanstandungsfähig sind, wenn sie geschützte Arbeitnehmer im Vergleich zu sonstigen Beschäftigten ungleich behandeln.

aa) Belästigung zwischen Gleichbehandlung und dem Schutz der Würde Das Belästigungsverbot verlangt - insofern lässt der Wortlaut der Rahmenrichtlinie keinen Raum für Zweifel - den Eintritt einer Würdeverletzung beim Belästigten. Rückte man dieses Merkmal in das Zentrum des europäischen Belästigungstatbestandes und deutete die übrigen Begriffsmerkmale dahingehend, dass sie Ausmaß und Bezugspunkt dieser Würdeverletzung näher konkretisierten, wäre man so weit von der bisherigen deutschen Rechtslage nicht entfernt. Das Belästigungsverbot wäre vollends dem Schutz der Würde und des Persönlichkeitsrechts des beeinträchtigten Beschäftigten verpflicht, wenn auch nur in einem Teilbereich, d.h. soweit das belästigende Verhalten gerade auf ein verbotenes Anknüpfungsmerkmal Bezug nimmt. Aufgrund der Einordnung in den Katalog der allgemeinen Diskriminierungstatbestände gem. Art. 2 RL ist allerdings

231

KOM (1999) 565 endg., v. 25.11.1999, S. 10. Angegeben ist damit ein illustrierendes Spektrum allgemein möglicher, nicht speziell auf das Merkmal der Behinderung bezogener Belästigungen. Eine enumerative Aufzählung verbirgt sich dahinter nicht. 232 An einer entsprechenden Regelung für die anderen Diskriminierungstatbestände fehlt es.

214

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

die Frage zu beantworten, ob diese aus deutscher Sicht nahe liegende, da vertraute Interpretation des Belästigungstatbestands tatsächlich dem Willen des europäischen Richtliniengebers entspricht oder aber ob die bewusste Angliederung an den Diskriminierungsschutz nicht auch zu einer Veränderung des Prüfungsmaßstabes führen muss.

(1) Persönlichkeitsschutz zweiter Klasse? Die klassischen juristischen Interpretationshilfen zeichnen ein ambivalentes Bild. Der Wortlaut des Art. 2 Abs. 3 RL spricht gegen eine grundlegende Modifizierung des Prüfungsmaßstabes, entbehrt er doch im Gegensatz zum Verbot der unmittelbaren bzw. mittelbaren Diskriminierung jedes ausdrücklichen Hinweises auf die Notwendigkeit eines Vergleichs. Untermauert wird dies durch den Gebrauch einer Fiktion: unerwünschte Verhaltensweisen „gelten" als Diskriminierungen iSv. Art. 2 Abs. 1 RL, sind es mit anderen Worten aber nicht. 233 Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift auf der anderen Seite deuten in die Richtung der Notwendigkeit einer dogmatischen Neuorientierung. An verschiedenen Stellen betonte der Rat, dass Belästigungen deshalb zu verbieten sind, weil sie „die Würde einer Person verletzen und eine Diskriminierung darstellen".234 Respektiert man diesen Willen, wird man nicht umhinkommen, neben der Würdeverletzung eine unrechtmäßige Ungleichbehandlung, d.h. eine weniger günstige Behandlung des belästigten Beschäftigten im Vergleich zu einem anderen Beschäftigten, der das geschützte Merkmal nicht teilt, zu verlangen. Ein Beschäftigter mit einer Behinderung würde dementsprechend dann belästigt werden, wenn er - ,4m Zusammenhang mit" der Behinderung - an seiner Würde verletzt wird und überdies „wegen der Behinderung" eine im Vergleich zu nicht behinderten Arbeitskollegen ungünstigere Behandlung erfahren würde. Belästigungsschutz wäre „Diskriminierungsschutz-Plus": Erst das Unrecht einer Ungleichbehandlung und das in der Würdeverletzung liegende Unrecht zusammengenommen würden den Tatbestand der Belästigung erfüllen. Im Vergleich zur bisherigen deutschen Rechtslage, die den Belästigungsschutz allein an eine

233

Es sei zugegeben, dass dieses Argument nicht das stärkste ist, da sich die Fiktion auch in dem Sinne deuten lässt, dass unerwünschte Verhaltensweisen gleich der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung behandelt werden sollen, obwohl sie einen Fall der Diskriminierung sui generis darstellen. 234 Siehe dazu KOM (2000) 334 endg., v. 7.6.2000, S. 6 m.wN. Vgl. nunmehr auch KOM (2002) 213 endg., v. 24.4.2002, S. 14 zur Änderung des Status der Beamten der Europäischen Gemeinschaften („Sexuelle Belästigung wird wie eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ... behandelt").

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

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Verletzung des Persönlichkeitsrechts knüpft 235, wäre damit ein europäischer Belästigungsschutz zweiter Klasse geschaffen. Während eine entsprechende Interpretation der Rahmenrichtlinie aus den genannten Gründen denkbar erscheint, ist zweifelhaft und bedarf eingehender Untersuchung, ob sie ebenso aus teleologischen Gründen vertretbar ist.

(2) Würdeverletzung als Bezugspunkt der Ungleichbehandlung Unklar ist zunächst, worin genau die zusätzliche Ungleichbehandlung liegen sollte. Als möglicher Anknüpfungspunkt bietet sich zunächst die Würdeverletzung selbst an: Eine Belästigung läge dann nur vor, wenn die Würde des Klägers, nicht aber diejenige der Vergleichsperson durch die entsprechenden Verhaltensweisen verletzt werden würden. Dass eben diese Prämisse bei der Belästigung wegen des Geschlechts widersinnig ist, wurde bereits am Beispiel der Figur des equal opportunity harasser im U.S.-amerikanischen AntiDiskriminierungsrecht demonstriert. 236 Eine Verhaltensweise wird dort nicht dadurch rechtmäßiger, dass die belästigende Person sie auf Angehörige beider Geschlechter ausdehnt, d.h. nicht in Hinblick auf die Geschlechtszugehörigkeit diskriminiert. Die Würdeverletzung kann im Kontext des geschlechtsspezifischen Benachteiligungsverbots damit gerade nicht zum Bezugspunkt der Ungleichbehandlung gemacht werden, will zukünftig nicht den anwaltlichen Rat provozieren, belästigende Verhaltensweise nach Möglichkeit doch auf Angehörige beider Geschlechtes zu erstrecken. Entsprechendes gilt für das Merkmal der Behinderung, doch muss hier für die Begründung etwas weiter ausgeholt werden. Verkompliziert wird die Rechtslage dadurch, dass sich dort die Ausdehnung einer würdeverletzenden Verhaltensweise auf Angehörige der geschützten Personengruppe sowie Nichtmerkmalsträger schwieriger gestaltet. Bei der geschlechtsbezogenen Benachteiligung bedarf es keiner außerordentlichen Phantasie, um sich Verhaltensweisen, etwa obszöne Gesten, vorzustellen, die sowohl weibliche wie männliche Arbeitnehmer gleichermaßen geschlechtsspezifisch in ihrer Würde verletzten. Beim Merkmal der Behinderung hingegen erscheint es kaum denkbar, dass ein und dieselbe Verhaltensweise zur gleichen Zeit sowohl „im Zusammenhang mit", d.h. behinderungsspezifisch die Würde eines behinderten Beschäftigten verletzt, gleichzeitig aber ebenso eine Würdeverletzung nicht behinderter Arbeitskollegen bedingt. Während in den Fällen der geschlechtsbezogenen Benachteiligung alle Beschäftigten das in Frage stehende Merkmal teilen und damit naturgemäß leichter an der belästigenden Ver-

235 Siehe Schlachter, NZA 2001, 121 für den Fall der sexuellen Belästigung sowie Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 371 ff. für die Fälle des sog. Mobbings. 236 Vgl. dazu oben unter B. III. 1. a) bb).

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4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

haltensweise Anstoß finden, lässt sich dieses für den Fall der Behinderung gerade nicht feststellen. 237 Jemand, der nicht behindert ist, wird mit anderen Worten durch eine Verhaltensweise, die gerade an eine Behinderung anknüpft, nicht unmittelbar in seiner Würde verletzt. Möglich ist lediglich, dass nicht behinderte Beschäftigte eine gleichsam „mittelbare" Würdeverletzung dergestalt erfahren, dass sie sich durch das Miterlebenmüssen der Belästigung in ihrer Würde verletzt werden. Selbst wenn man diese mittelbaren Wirkungen noch dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterstellen wollte, würde dies dem Belästigungsverbot jeglicher Praktikabilität und Sinnhaftigkeit berauben: Je sensibler die Arbeitskollegen im jeweiligen Fall wären, desto geringer fiele der Schutz des behinderten Beschäftigten vor Belästigungen aus. Beschränkt man sich folglich auf unmittelbare Würdeverletzungen nicht behinderter Beschäftigter, fehlt es praktisch an Fällen, in denen die Belästigung wegen einer Behinderung zugleich nicht benachteiligend wirkt. Damit käme dem Merkmal der Ungleichbehandlung im Rahmen des Belästigungstatbestandes keine eigenständige Bedeutung neben der Würdeverletzung zu, womit es überflüssig wäre. Dies mag man begrüßen, wäre auf diese Weise zumindest eine konzeptionelle, wenn auch weitgehend inhaltsleere Einbindung des Belästigungsverbots in den Diskriminierungsschutz möglich. Prüfungstechnisch wäre nach der Bejahung des Belästigungstatbestandes jeweils die Kontrollüberlegung anzustellen, ob die behinderungsspezifische Belästigung nicht auch nicht behinderte Arbeitskollegen in ihrer Würde unmittelbar verletzt. Zumal dies, wie gezeigt, kaum jemals der Fall wäre, bliebe es rein praktisch dabei, dass mit der Feststellung der Würdeverletzung beim behinderten Beschäftigten der Belästigungstatbestand erfüllt ist. Was bleibt, ist der berechtigte Einwand, dass der Fall der Würdeverletzung von vornherein keiner Betrachtung auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes zugänglich ist, weil Diskriminierungsverbote nur das Unrecht zu vermeiden suchten, das gerade daraus resultiere, dass ein an sich legitimes Verhalten durch gleichheitswidrige Unterscheidung ungerecht werde. 238

(3) Anderweitige Bezugspunkte der Ungleichbehandlung Sucht man angesichts dieser Schwierigkeiten einen anderen Anknüpfungspunkt für die im Rahmen des Belästigungstatbestandes zu verlangende Ungleichbehandlung, muss am Anfang dieser Überlegungen die Erkenntnis stehen, 237

Der Befund, dass zwar alle Beschäftigten ein Geschlecht, nicht aber eine Behinderung haben, wurde bereits an verschiedenen Stellen dieser Arbeit als Besonderheit des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung herausgestellt, vgl. insb. im 3. Kapitel unter A. I. 238 Wiedemann/Thüsing , DB 2002, 463, 466.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

217

dass es sich verbietet, insofern den gleichen Maßstab wie bei den Tatbeständen der unmittelbaren bzw. mittelbaren Diskriminierung anzulegen. Denn in diesem Fall wäre die Belästigung nicht länger ein Aliud, sondern ein Mehr im Vergleich zur unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung, womit diese wegen der Rechtsfolgenidentität aller allgemeiner Diskriminierungstatbestände überflüssig wäre. Als nicht fernliegend erscheint es deshalb, den Unterschied in der Ungleichbehandlung zwischen diesen Diskriminierungsformen in der Art des ungleich behandelnden Verhaltens festzumachen. Das deutsche Recht könnte sich in der Tat dahingehend interpretieren lassen. Unmittelbar oder mittelbar benachteiligt werden darf ein Beschäftigter nach § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB I X nicht bei „einer Vereinbarung oder einer Maßnahme". Die Verhaltensweisen, die das Belästigungsverbot im Auge hat, werden sich unter keinen dieser Begriffe subsumieren lassen. Beleidigungen, Anfeindungen und dergleichen mehr betreffen eine andere Ebene menschlicher Verhaltensweisen. Die Rahmenrichtlinie selbst gibt jedoch für eine entsprechende Differenzierung innerhalb der in Art. 2 RL zusammengefassten Tatbestände nichts her, wie bereits die getrennte Regelung des gegenständlichen Anwendungsbereichs in Art. 3 RL verdeutlicht. Übrig bleibt der Versuch einer Abgrenzung auf der subjektiven Seite der allgemeinen Diskriminierungstatbestände, doch betritt man dort dogmatisch noch unwägbares Terrain. Weitgehend außer Zweifel dürfte lediglich der Verzicht auf ein subjektives Element bei der mittelbaren Diskriminierung stehen.239 Im Gegensatz zum U.S.-amerikanischen Recht, wo die unmittelbare Diskriminierung stets Vorsatz erfordert 240, macht man im deutschen Schrifttum dagegen überwiegend das Vorliegen dieses Diskriminierungstatbestandes nicht vom Nachweis einer Benachteiligungsabsicht abhängig; der EuGH selbst hält sich zu dieser Frage noch bedeckt.241 Hielte man daran fest, dürfte sich eine Abgrenzung des Belästigungstatbestandes auf der subjektiven Seite kaum bewerkstelligen lassen. Doch selbst bei einer Neuordnung des Anti-Diskriminierungsrechts sind angesichts der augenscheinlichen Weite des Belästigungsverbots, das es genügen lässt, wenn seine Merkmale „bezweckt" oder „bewirkt" werden, Zweifel an der Gangbarkeit einer subjektiven Abgrenzung der allgemeinen Diskriminierungstatbestände angebracht.

239 Lipinski, NZA 2002, 75, 77; MtiKo/Miiller-Glöge, § 611a BGB Rn. 16; Pfarr/Bertelsmanriy Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 115 f., 120; Schlachter, NZA 1995, 393, 394; Stmidmgcr/Richardi/Annuß, § 611a Rn. 35; Moritz, NZA 1987, 329, 336; Wiedemann , Gleichbehandlungsgebote, S. 32. Anders aber Adomeit, DB 1980, 2388; Walker, DB 1987, 273, 277. 240 Hazen Paper Co. v. Beggins, 507 U.S. 604, 609; Connecticut v. Teal , 457 U.S. 440, 458 (1982); Int'l Brotherhood of Teamsters v. United States , 431 U.S. 324, 335 in Fn. 15 („Proof of discriminatory motive is critical"). 241 ErfKJ Schlachter § 611a BGB Rn. 9; MilKo/Mülle r-Glöge, § 611a BGB Rn. 16; Schlachter, NZA 1995, 393, 395.

218

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

bb) Falsa demonstratio non nocet? Die voranstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass sich die dogmatische Verankerung des Belästigungsverbots im System des Diskriminierungsschutzes keineswegs anbietet und, wenn überhaupt, dann nur unter Umschiffung einiger dogmatischer Klippen zu bewerkstelligen sein dürfte. Ob sich dieses Unterfangen lohnen würde, darf schon angesichts des damit aller Voraussicht nach nur geringen Erkenntniszuwachses über den Gehalt der Belästigung bezweifelt werden. Bereits die Umschreibung des Belästigungstatbestandes durch die Rahmenrichtlinie verdeutlicht, dass sie mit einem Diskriminierungsschutz in dem hier zugrunde gelegten Sinne nichts gemein hat. Darauf, ob der belästigte Arbeitnehmer gerade im Gegensatz zu seinen nicht behinderten Arbeitskollegen in seiner Würde verletzt und einer feindlichen Arbeitsumgebung ausgesetzt wurde, kommt es nämlich überhaupt nicht an. Um entsprechende Missverständnisse bei der Interpretation dieser Bestimmung zu vermeiden und in den USA zu beobachtende Fehlentwicklungen von vornherein auszuschließen, wäre es deshalb wünschenswert gewesen, das Belästigungsverbot - wenn schon nicht in einer gesonderten Richtlinie - so doch zumindest in einem eigenen Artikel der Rahmenrichtlinie festzuschreiben. Sorgen um eine taugliche Ermächtigungsgrundlage mögen, gepaart mit dem Verlangen, endlich handeln zu wollen 242 , dies verhindert haben; auf Art. 13 EG, der seinem Wortlaut nach nur zur Bekämpfung von Diskriminierungen bevollmächtigt, hätte man nicht rekurrieren können. Es bleibt damit zu hoffen, dass wie auch an anderen Stellen unserer Rechtsordnung eine Falschbezeichnung dann nicht schadet, wenn sich der andere Teil über die wahren Beweggründe im Klaren ist, d.h. der Rechtsanwender sich in diesem Falle nicht von der vermeintlichen Angliederung an den Gleichbehandlungsgrundsatz blenden lässt.

b) Interpretation des Wortlauts der Rahmenrichtlinie Im Folgenden wird der Versuch unternommen, der noch unklaren Entwicklung des europäischen Belästigungsverbots bereits einige Konturen zu verleihen.

242 Besonders deutlich kommt dies im Kommissionsvorschlag zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie zum Ausdruck, in dem diese bemängelt, dass (sexuell) belästigendes Verhalten bislang vom Gesetzgeber sowohl auf nationaler Ebene wie auch auf Gemeinschaftsebene „weitgehend ignoriert" wurde, siehe KOM (2000) 334 endg., v. 7.6.2000, S. 5.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen aa) Verhaltensweisen

219

im Zusammenhang mit dem Merkmal einer Behinderung

(1) Reichweite des behinderungsspezifischen Zusammenhangs Die unerwünschten Verhaltensweisen müssen dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 3 RL zufolge „mit einem der Gründe nach Artikel 1 in Zusammenhang stehen" - einen allgemeinen Belästigungsschutz gleich dem des deutschen Mobbings enthält die Rahmenrichtlinie damit nicht. Dies ist die zwangsläufige Konsequenz der Verknüpfung des Belästigungsverbots mit dem gegenständlich begrenzten Diskriminierungsschutz; selbst schwerwiegendste Beeinträchtigungen der Würde und des Umfeldes genießen demzufolge keinen Schutz nach der Rahmenrichtlinie, sofern es an einem hinreichend engen Bezug zu einem der Merkmale des Art. 1 RL fehlt. Nichtsdestotrotz ist die Formulierung des Belästigungsverbots in diesem Punkt, zumindest verglichen mit den übrigen allgemeinen Diskriminierungstatbeständen, denkbar weit: Die Belästigung muss weder „wegen einer Behinderung" erfolgen (unmittelbare Diskriminierung) noch zwangsläufig „Personen einer bestimmten Behinderung" betreffen (mittelbare Diskriminierung), sondern lediglich „im Zusammenhang mit" einer Behinderung stehen. Der europäische Belästigungsschutz ist somit ergebnisorientiert auf das Vorliegen einer Würdeverletzung und eines feindlichen Umfeldes ausgerichtet. Ob der belästigte Beschäftige selbst behindert ist, war bzw. es zukünftig sein wird oder sich mit einem behinderten Menschen assoziiert, spielt deshalb keine Rolle. Ausreichend - aber auch notwendig, um die Verankerung innerhalb der Rahmenrichtlinie zu rechtfertigen - ist, dass eine Behinderung zumindest Teil des Motivbündels war, das Anstoß für die belästigende Verhaltensweise gab. Zu streng sollte man in diesem Punkt nicht verfahren und es insbesondere bei aneinander anknüpfenden und aufeinander aufbauenden Verhaltensweisen ausreichen lassen, dass eine Behinderung an irgendeiner Stelle entlang des Weges Motiv für unangemessenes Verhalten war.

(2) Alle beliebigen Verhaltensweisen reichen aus Gegenständlich setzt die Rahmenrichtlinie den in Frage kommenden Verhaltensweisen keine Grenze; sie entspricht damit der Rechtsprechung hierzulande, die prinzipiell zunächst einmal jede Handlung für einen möglichen MobbingVorwurf ausreichen lässt.243 Erfasst sind damit beispielsweise Tätlichkeiten, ehrverletzende Handlungen, die grundlose Herabwürdigung der Leistung, vernichtende Beurteilungen, Isolierung, Abkopplung von der betrieblichen Infor243 Prägnant in diesem Punkt ArbG Kiel v. 27.2.1997, NZA-RR 1998, 212, wonach Mobbing vom schlechten Scherz über Drohungen bis zum Rufmord reicht. Zustimmend in diesem Punkt auch Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 371.

220

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

mation und Kommunikation, die Zuteilung nutzloser bzw. unlösbarer Aufgaben oder sonstiger schikanöser Anweisungen, Durchführung von Maßnahmen, denen vergleichbare Mitarbeiter nicht unterworfen sind und dergleichen mehr. 244

(3) Dauer der Belästigung Die Rahmenrichtlinie hat die zur Annahme einer Belästigung führenden Verhaltensmuster ins Plural gesetzt: „unerwünschte Verhaltensweisen", ein einzelner Fehltritt genügt nicht. Nicht zwangsläufig verbunden sein muss damit jedoch eine das deutsche Mobbing kennzeichnende andauernde Beeinträchtigung. Gerade in diesem systematischen Herabwürdigungsprozess, der sich oftmals in einer Gesundheitsschädigung des Beschäftigten niederschlägt, liegt der wesentliche Unrechtsgehalt des Mobbings und seine eigenständige Bedeutung gegenüber sonstigen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; bildhafte Charakterisierungen dieser Erscheinung als „schleichendes Gift" 245 , „dauernde Zermürbung" 246 oder „Krieg am Arbeitsplatz4*247 veranschaulichen dies bestens. Volker Rieble und Steffen Klumpp bringen es mit ihrem Resümee auf den Punkt: Mobbing sei eine Art der Persönlichkeitsrechtsverletzung, „deren verletzungscharakteristische Begehung der länger währende Prozess ist." 248 Der Fokus der Rahmenrichtlinie liegt hingegen auf der Schaffung des feindlichen Umfeldes, welches keines entsprechenden Prozesses bedarf, um erschaffen zu werden.

bb) Unerwünschtheit

des Verhaltens und Würdeverletzung

beim Betroffenen

Die die Grundlage einer Inanspruchnahme des Belästigungsverbots bildenden Verhaltensweisen müssen für den belästigten Beschäftigen sowohl unerwünscht sein als ihn auch an seiner Würde verletzen. Um beide Begriffe handhabbar zu machen, sind zwei Fragenkreise strikt voneinander zu trennen: das zu verlangende Maß an Intensität des belästigenden Verhaltens sowie die Frage nach der Perspektive, aus welcher dies beurteilt wird.

244 245 246 247 248

LAG Thüringen v. 10.4.2001, BB 2001, 1358. Kerst-Würkner , AuR 2001, 251. Rieble/Klumpp , ZIP 2002, 369, 372. Haller/KocK NZA 1995, 356. Rieble/Klumpp , ZIP 2002, 369, 373.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

221

(1) Beurteilungsperspektive Der Begriff der Belästigung ist, wie Jobst-Hubertus Bauer zutreffend zur sexuellen Belästigung nach der geänderten Gleichbehandlungsrichtlinie resümiert, zwar „subjektiv eingefärbt'* 249, ob die Schwelle zur Belästigung überschritten wird, muss damit aber noch nicht zur alleinigen ,frage der Sensibilität der beteiligten Personen" werden. 250 Stattdessen ist es sachgerecht, einen subjektivobjektiven Maßstab an die Belästigung anzulegen: Das belästigende Verhalten muss subjektiv unerwünscht sein und objektiv die Würde des Beschäftigten verletzen. Erstere Voraussetzung wird in den Fällen der Belästigung wegen einer Behinderung keine Bedeutung erlangen. Diese Voraussetzung stammt ursprünglich aus der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung zur sexuellen quid pro quo Belästigung251 und sollte auf derartige Fallkonstellationen beschränkt bleiben. Die damit wichtigere Frage nach dem Vorliegen einer Würdeverletzung sollte wie im Übrigen auch beim Mobbing 252 - zur besseren Handhabbarkeit des Belästigungstatbestandes auf der Perspektive eines objektiven Dritten beurteilt werden; dass sich der behinderte Beschäftige in seiner Würde bloß beeinträchtigt fühlt, kann nicht genügen.

(2) Schwere des belästigenden Verhaltens Bereits in dem ursprünglichen Richtlinienentwurf stellt die Kommission klar, dass entsprechende Verhaltensweisen schwerwiegend sein müssen.253 Mit Blick auf die zu verlangende Schwere der Würdeverletzung - die „Unerwünschtheit" des Verhaltens ist nicht quantifizierbar - lassen sich nur die äußeren Grenzen abstecken; die Herausarbeitung von einzelnen Fallgruppen bleibt den Gerichten überlassen. Nicht verlangen können wird man eine Intensität des belästigenden Verhaltens, die in ihrem Ausmaß an das für eine Verletzung der Menschenwürde iSv. Art. 1 GG oder für einen Angriff auf die Menschenwürde gem. § 135 StGB er249

Bauer, NJW 2001, 2672, 2676. So aber Kummer, Umsetzungsanforderungen, S. 18. Die Problematik der „Häufung subjektiver Elemente" betonen ebenso Schmidt/Senne, RdA 2002, 80, 83. 251 Meritor Savings Bank v. Vinson , 477 U.S. 57, 60 (1986) („the gravamen of any sexual harassment claim is that the alleged advances were »unwelcome*"). 252 Dazu Rieble/Klumpp , ZIP 2002, 369, 373. 253 KOM (1999) 565 endg., vom 25.11.1999, S. 10. Die ursprüngliche Fassung des Art. 2 Abs. 3 RL lautete: „Belästigungen einer Person, die im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Gründe stehen und mit denen die Schaffung eines durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Beleidigungen oder andere Beeinträchtigungen geprägten Arbeitsumfelds bezweckt oder bewirkt wird, sind als Diskriminierungen im Sinne von Absatz 1 anzusehen.", vgl. ABl. Nr. C 177 E/42 v. 27.6.2000, S. 44. 250

222

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

forderliche Niveau heranreicht; andernfalls wäre der Belästigungstatbestand kaum jemals einschlägig.254 Um wieviel niedriger die Schwelle möglicher Würdeverletzungen anzusetzen ist, lässt sich schwieriger prognostizieren. Vieles spricht jedoch dafür, dass der europäische Belästigungsschutz in diesem Punkt weit reichender als sein U.S.-amerikanisches Pendant greift. Zwar trennt der Richtlinientext zwischen zwei Auswirkungen einer „unerwünschten Verhaltensweise", nämlich (1) dem Herbeiführen einer Würdeverletzung sowie (2) der Verursachung eines durch „Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen" gekennzeichneten Umfeldes, so dass man nicht vom Vorliegen einer der letzteren Umstände zwingend auf das Bestehen einer Würdeverletzung schließen kann. Die Richtlinie zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie geht in diesem Punkt einen anderen Weg. Bei einer sexuellen Belästigung kann die Würde der belästigten Person „insbesondere" dadurch verletzt werden, dass „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird". 255 Dennoch wäre es voreilig daraus den Schluss zu ziehen, dass eine Würdeverletzung stets mehr als eine dieser Verhaltensweisen voraussetzt. Denn es sind gerade diese Handlungen, die die Prototypen „unerwünschter Verhaltensweisen" im Arbeitsalltag darstellen; hier mehr zu verlangen, hieße den Schutz der Würde gerade an der Stelle zu beschneiden, wo er am stärksten gefordert ist.

cc) Das „feindliche"

Umfeld

Die Kommission hatte in der ursprünglichen Entwurfsfassung gefordert, dass die unerwünschten Verhaltensweisen eine insgesamt störende oder feindselige Arbeitsumgebung bewirken müssen.256 Zwar wurde im Fortgang des Verabschiedungsprozesses der Begriff der Belästigung breiter gefasst - insbesondere wurde die Formulierung „gekennzeichnetes Umfeld" dem Begriff des „geprägten Arbeitsumfeldes" vorgezogen - doch war dieses Vorgehen getragen von dem Wunsch zur Angleichung des Belästigungsbegriffs an jenen der Richtlinie 2000/43/EG. 257 Dass kein unmittelbarer Bezug des belästigenden Verhaltens zu den arbeitsrechtlichen Pflichten bestehen müsse, wird man daher nicht annehmen können.258 Bei dieser Ansicht wird vernachlässigt, dass sich auch uner254

Ebenso Nickel , NJW 2001, 2668, 2670. Siehe Art. 1 Nr. 2 (2) der RL 2002/73/EG v. 23.9.2002, ABl. Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15 ff. 256 KOM (1999) 565 endg., v. 25.11.1999, S. 10. 257 Vgl. die Begründung des Änderungsantrags 23 des Europäischen Parlaments im Bericht v. 21.9.2000, A5-0264/2000 endg., S. 18. 258 So aber Kummer , Umsetzungsanforderungen, S. 20. 255

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

223

wünschte Verhaltensweisen in den Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 1 RL einzufügen haben. Ebenso wie unmittelbare oder mittelbare Diskriminierungen nur dann verboten sind, wenn sie beispielsweise den Zugang zum Beruf (Art. 3 Abs. 1 lit. b RL) oder die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (Art. 3 Abs. 1 lit. c RL) betreffen, sind nur jene Belästigungen tatbestandsmäßig, die eine Veränderung dieser Faktoren bezwecken oder bewirken. Mit dieser Erkenntnis ist zugleich der Maßstab für die Bestimmung der Dauer bzw. der Intensität des auf das Umfeld einwirkenden Verhaltens vorgegeben. Obwohl in Hinblick auf den Wortlaut von Art. 2 Abs. 3 RL („unerwünschte Verhaltensweisen") einmalige verbale Entgleisungen kaum genügen dürften, um ein „normales" Umfeld in ein feindliches zu verwandeln 259, wird man die Messlatte nicht viel höher anzusetzen haben. Entscheidend ist allein die Auswirkung auf die Arbeitsbedingungen. Diese fordert nicht zwingend einen langwierigen Zermürbungsprozess, wie der vom Seventh Circuit entschiedene Fall Rodgers v. Western-Southern Life Ins. Co. zeigt. 260 Das Gericht ließ dort den zweimaligen Gebrauch des Wortes „nigger" zur Annahme einer Belästigung wegen der Rasse genügen. Obwohl die Gerichte ansonsten gewöhnlich zurückhaltend sind, bei rein verbalen Attacken eine Belästigung anzunehmen261, zeigt die Entscheidung, dass sich feste Grenzen bei der Bestimmung der Feindlichkeit des Umfeldes kaum ausmachen lassen. Auch bei der Anwendung der Rahmenrichtlinie wird deshalb das Leitbild die Frage danach sein müssen, ob die unerwünschten Verhaltensweisen als schwerwiegend genug zur Änderung der in Art. 3 Abs. 1 RL angeführten Arbeitsbedingungen angesehen werden können. Am sachgerechtesten wird sich dies, vergleichbar mit der Rechtsprechung des Supreme Court zur sexuellen Belästigung262, wiederum unter Rückgriff auf einen subjektivobjektiven Maßstab bewerkstelligen lassen. Erfährt der Belästigte das beanstandete Verhalten als rein soziales Ärgernis, nicht aber als Beeinträchtigung seines Beschäftigungsverhältnisses, bietet die Rahmenrichtlinie ihm demzufolge keinen Schutz. Andernfalls würde der Hinweis der Rahmenrichtlinie auf die Umfeldbeeinträchtigung sinnentleert werden. Umgekehrt darf man die bloß subjektive Annahme eines feindlichen Umfeldes zur Begründung eines Belästigungsvorwurfs nicht ausreichen lassen, um ange-

259 Dahingehend anscheinend Baer, ZRP 2001, 500, 502 zur wortgleichen Bestimmung in der RL 2000/43/EG. 260 12 F. 3d 668 (7th Cir. 1993). Ähnlich Taylor v. Metzger, 706 A.2d 685 (N.J. 1997). Vgl. aber auch LAG Köln v. 14.8.1998, ZTR 1999, 274, wonach rassistische und sexistische Witze allein kein Kündigungsgrund sind. 261 Zur sexuellen Belästigung vgl. z.B. Skouby v. Prudential Ins. Co., 130 F.3d 794 (7th Cir. 1997); Black v. Zaring Homes, Inc., 104 F.3d 822 (6* Cir. 1997). 262 Harris v. Forklift Systems, Inc., 510 U.S. 17, 21 (1993).

224

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

sichts der Tatbestandsalternative des ,3ewirkens" den Arbeitgeber nicht der Gefahr einer unter Umständen uferlosen Haftung auszusetzen.

dd) Erfordernis

des „Bezweckens" oder „Bewirkens"

Die beanstandeten Verhaltensweisen müssen sowohl die Würdeverletzung als auch das Entstehen eines feindlichen Umfeldes „bezwecken oder bewirken" (Art. 3 Abs. 3 S. 1 RL). Nimmt man die Rahmenrichtlinie hier beim Wort, ist die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers nicht auf solche Belästigungen beschränkt, die er schuldhaft herbeigeführt hat. In diese Richtung weist die Ergänzung des voluntativ geprägten Begriffs des ,3ezweckens" durch den rein deskriptiven Terminus des ,3ewirkens" - das unbeabsichtigte Herbeiführen eines feindlichen Umfeldes bzw. einer Würdeverletzung der belästigten Person muss unter Zugrundelegung dieser Formulierung genügen.263 Eine „missverständliche Ausdrucksweise" wird man dem Rat insofern nicht vorhalten können.264 Rückhalt findet diese Einschätzung in einem Vergleich mit dem Entstehungsprozess der Gleichbehandlungsänderungsrichtlinie.265 Dort hatte sich das Europäische Parlament dafür ausgesprochen, dass eine sexuelle Belästigung nur dann vorliegt, wenn sich der Belästigende seines Verhaltens bewusst ist oder bewusst sein müsste266 , die Kommission übernahm diese Vorschläge allerdings nicht. Zwar begründet das Belästigungsverbot allein eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers oder sonstigen Richtlinienadressaten und niemals derer Beschäftigter, doch heißt dies nicht, dass nur der Arbeitgeber oder seine Vertreter belästigen können. Der vom Wirtschafts- und Sozialausschuss geforderten Beschränkung auf Sachverhalte, die eindeutig im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers liegen und in denen dieser von einer Belästigung Kenntnis hat, jedoch deren Fortsetzung duldet, wurde bei der Verabschiedung von Art. 2 Abs. 3

263 Kummer , Umsetzungsanforderungen, S. 26; Högenauer , Diskriminierungsrichtlinien, S. 137 ff. 264 Hadder, NZA 2003, 77, 78 bezüglich derselben Begriffe der Gleichbehandlungsänderungsrichtlinie. 265 Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15 ff. 266 Vgl. Änderungsanträge 4 und 5 der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments zum gemeinsamen Standpunkt des Rates v. 24.10.2001, A5-0358/2001, S. 3. 267 Sie berief sich dabei auf Praktikabilitätserwägungen sowie die Notwendigkeit der Gewährleistung der Kohärenz zu den RL 2000/43/EG und RL 2000/78/EG, siehe Stellungnahme der Kommission v. 27.11.2001, KOM (2001) 689 endg., S. 5. Dazu auch Högenauer , Diskriminierungsrichtlinien, S. 139.

B. Tatbestände allgemeiner Benachteiligungen

225

RL nämlich keine Folge geleistet.268 Das Belästigungsverbot gilt damit auch für das belästigende Verhalten der Beschäftigten untereinander 269 und zwar selbst dann, wenn der Arbeitgeber hiervon keinerlei Kenntnis hat. 270 Obgleich diese weite Haftungsmöglichkeit des Arbeitgebers auf den ersten Blick hart erscheinen mag, entspricht sie dem klaren Fokus der Richtlinie auf das Vorliegen der Würdeverletzung sowie des feindlichen Umfeldes. Nimmt man letzteres zudem richtigerweise nur bei einer Auswirkung des unerwünschten Verhaltens auf einen der in Art. 3 Abs. 1 RL genannten Faktoren an, wird es überdies nur in Ausnahmefällen in dieser Konstellation zu einer Haftung kommen. Belästigungen der Beschäftigten untereinander werden nämlich kaum jemals die »Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen" (Art. 3 Abs. 1 lit. a RL) oder „den Zugang der Berufsberatung" (Art. 3 Abs. 1 lit. b RL) beeinflussen können. Nichts anderes gilt aber prinzipiell auch für die ,3eschäftigungs- und Arbeitsbedingungen" (Art. 3 Abs. 1 lit. c RL), denn auch diese geben einem Beschäftigten nicht der Recht zur Arbeit unter „angenehmen Bedingungen", sondern beinhalten ausschließlich die Vertragsgrundlage konkretisierende Vereinbarungen und Weisungen; der beispielhafte Hinweis auf die Entlassungsbedingungen oder das Arbeitsentgelt verdeutlicht das.

IV. Die Anweisung zur Diskriminierung Deutlich weniger unwägbares, aber gleichwohl neues Terrain betritt die Rahmenrichtlinie mit der Aufnahme der Anweisung zur Diskriminierung in den Katalog der allgemeinen Diskriminierungstatbestände. 271 Sensationelles verbirgt sich dahinter nicht, insbesondere sind keine Besonderheiten gerade für den Diskriminierungsschutz behinderter Beschäftigter ausmachbar. Diskriminiert ein „Untergebener" bei der Einstellung, muss der Arbeitgeber - oder eine sonst durch die Rahmenrichtlinie verpflichtete Person - dieses Verhalten bereits nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen gegen sich gelten lassen; dementsprechend ist im Rahmen von § 61 la BGB anerkannt, dass sich der Arbeitgeber die Benachteiligungsabsicht eines Mitarbeiters zurechnen lassen muss.272 Ein „Ver-

268

ABl. Nr. C 204/82 v. 18.7.2000, S. 87. Ebenso Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 134. 270 Bewusstes Fehlverhalten fordert jedoch Hadeler in Bezug auf die Gleichbehandlungsänderungsrichtlinie, siehe NZA 2003, 77, 78. 271 Ihre Aufnahme erfolgte auf Anregung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, vgl. ABl. Nr. C 204/82 v. 18.7.2000, S. 87. Dem schloss sich das Europäische Parlament an, das damit Situationen berücksichtigt sehen wollte, „in denen z.B. ein Vorgesetzter seinen Untergebenen ermutigt, bei Einstellungen zu diskriminieren", siehe Bericht v. 21.9.2000, A5-0264/2000, S. 18 f. 272 Vgl. z.B. Enrnn/Edenfeld, § 61 la Rn. 6 („nach Maßgabe des §166 BGB"). 269

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4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

stecken hinter Untergebenen4*273 war damit bereits nach der alten Rechtslage nicht möglich. Diese Grundsätze werden durch die Neuregelung nicht berührt, sondern bestehen fort. 274 Inwieweit der EuGH bei der Interpretation der Anweisung der Diskriminierung über die klassischen zivilrechtlichen Zurechnungsnormen der §§ 166, 278, 831 BGB hinausgehen wird, bleibt abzuwarten. Ein jüngst vom BAG gefälltes Urteil zeigt jedoch, dass die deutsche Rechtsprechung bereits jetzt den Verantwortungskreis für diskriminierendes Verhalten weit zieht. Ein Arbeitgeber hatte danach gem. § 611a Abs. 2 BGB wegen geschlechtsdiskriminierender Stellenausschreibung einzustehen, obwohl nicht er, sondern die Bundesagentur für Arbeit die Stellenanzeige aufgab. 275

C. Rechtfertigungsmöglichkeiten allgemeiner Benachteiligungen Ob neue Arbeitsplätze geschaffen werden bzw. frei werdende neu zu besetzen sind oder schlechterdings wegfallen, entscheidet der Arbeitgeber kraft der ihm grundgesetzlich verbürgten Unternehmensfreiheit 276 unbestritten und zu Recht selbst und allein. 277 Entsprechendes gilt im Grundsatz für die Frage, mit wem freie Arbeitsplätze neu zu besetzen sind, mit der wichtigen Einschränkung, dass in diesem Rahmen kein Arbeitnehmer wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf. Kommt es dennoch bei der Begründung, Beendigung oder sonstigen Vereinbarung oder Maßnahme zu einer entsprechenden Benachteiligung, kann allein das Bestehen einer Rechtfertigungsmöglichkeit ausnahmsweise das unmittelbare oder mittelbare Anknüpfen an die Behinderung legitimieren. Terminologisch unterscheidet die Rahmenrichtlinie zwischen einer zulässigen, da gerechtfertigten - formellen - „Ungleichbehandlung44 und einer „Diskriminierung44, die zu verbieten ist, weil es an einer entsprechenden Rechtfertigung fehlt. 278 Hiervon zu trennen sind jene Fallkonstellationen, die die Rahmenrichtlinie außerhalb der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes stellt. Letztere werden im sechsten Kapitel gesondert besprochen, wohingegen die möglichen Rechtfertigungsmöglichkeiten der allgemeinen Diskriminierungstatbestände in den Zusammenhang dieses Kapitels gehören. Dabei soll zunächst auf die Vorgaben der Rahmenrichtlinie geschaut werden, bevor die Umsetzung durch das SGB IX in den Blickpunkt rückt. 273

Kummer , Umsetzungsanforderungen, S. 31. Siehe auch Art. 8 Abs. 2 RL, wonach die Umsetzung der Richtlinie keinesfalls zu einer Absenkung des bereits garantierten Schutzniveaus führen darf. 275 BAG, Urt. v. 5.2.2004 - 8 AZR 112/03, NJW 2004, 2112. 276 Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG. Vgl. dazu insb. BVerfG v. 1.3.1979, NJW 1979, 699. 277 BVerfG v. 27.1.1998, BVerfGE97, 169, 175 f. 278 Vgl. den 25. Erwägungsgrund zum Diskriminierungsverbot wegen des Alters. 274

C. Rechtfertigungsmöglichkeiten allgemeiner Benachteiligungen

227

I. Rechtfertigungsmöglichkeiten nach der Rahmenrichtlinie Die Rahmenrichtlinie sieht lediglich zwei Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Diskriminierung vor: das Bestehen eines rechtmäßigen Ziels sowie die Vornahme angemessener Vorkehrungen (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. b i) und ii) RL). Bereits die systematische Stellung beider Rechtfertigungsmöglichkeiten zeigt, dass diese zwar für den Tatbestand der mittelbaren, nicht aber der unmittelbaren Diskriminierung gem. Art. 2 Abs. 2 lit. a RL gelten. Letzterer gilt somit einschränkungslos. Weniger offenbar, aber nach dem Regelungsgefüge der Richtlinie konsequent ist, dass sowohl Anweisungen zur Diskriminierung als auch Belästigungen diese beiden Rechtfertigungsmöglichkeiten für sich in Anspruch nehmen können. Diese beiden neuen Diskriminierungstatbestände gelten jeweils „als Diskriminierung im Sinne von Absatz 1" (vgl. Art. 2 Abs. 3 und 4 RL) und damit je nach den Umständen des Einzelfalls auch als mittelbare Diskriminierung. Bei Anweisungen zur Diskriminierung ist deshalb zu unterscheiden. Wird auf Anweisung unmittelbar diskriminiert, ist die Anweisung nicht rechtfertigbar. Ist die erfolgte Diskriminierung dagegen nur eine mittelbare, ist die entsprechende Anweisung gerechtfertigt, wenn die mittelbare Benachteiligung selbst eine der beiden Rechtfertigungstatbestände erfüllt. Entsprechendes gilt dem Grundsatz nach ebenso für die Belästigung: Nur solche unerwünschten Verhaltensweisen, die zugleich mittelbar diskriminierend wirken, können über Art. 2 Abs. 3 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 RL rechtfertigbar sein. Die Unsinnigkeit der Einordnung des Belästigungsverbots unter die allgemeinen Diskriminierungstatbestände tritt auch an dieser Stelle offen zutage, denn „unerwünschte Verhaltensweisen" sind bereits begrifflich keine „dem Anschein nach neutralen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren".

7. Sachliche Rechtfertigung

der mittelbaren Benachteiligung

Die Rahmenrichtlinie sieht die Verwirklichung des Tatbestandes der mittelbaren Diskriminierung als sachlich gerechtfertigt an, wenn die dem Anschein nach neutralen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren ein rechtmäßiges Ziel verfolgen und die dazu eingesetzten Mittel sowohl angemessen als auch erforderlich sind (Art. 2 Abs. 2 lit. b ii) RL). Hiermit wird die Formulierung dieser Rechtfertigungsmöglichkeit im Vergleich zum Wortlaut der Beweislastrichtlinie näher konkretisiert. 279 Dort waren mittelbar diskriminierende Vorschriften, Kri-

279 Siehe Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80/EG v. 15.12.1997, ABl. Nr. L 14 v. 20.1.1998, S. 6, 7. Diese Formulierung wurde inzwischen angeglichen, siehe RL 2002/73/EG, ABl. Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15, 17.

228

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

terien oder Verfahren dann gerechtfertigt, wenn sie „angemessen sind und notwendig und durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt sind". Die Präzisierung ist insbesondere in Hinblick auf die nicht immer ganz konsistent ausfallende Rechtsprechung des EuGH auf diesem Gebiet zu begrüßen. So hatte der Gerichtshof noch jüngst die Rechtfertigungsschwelle für eine weibliche Arbeitnehmerin mittelbar benachteiligende nationale Rechtsregel vergleichsweise niedrig angesetzt und es ausreichen lassen, dass die unterschiedliche Behandlung „einem legitimen sozialpolitischen Ziel dienen, für die Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sind".280 Implementiert dagegen ein Arbeitgeber selbst eine mittelbar diskriminierende Regelung, soll dies nur unter der strengeren Voraussetzung zulässig sein, dass „die zu diesem Zweck gewählten Mittel einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind."281

2. Kompensation durch die Verpflichtung angemessener Vorkehrungen

zur Vornahme

Folgenreicher für den Diskriminierungsschutz wegen einer Behinderung ist die zweite Rechtfertigungsmöglichkeit einer mittelbaren Diskriminierung. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. b ii) RL ist eine entsprechende Benachteiligung behinderter Beschäftigter dann erlaubt, wenn eine Person „aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet ist, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen Grundsätzen vorzusehen", um die sich durch die mittelbar diskriminierende Vorschrift, Kriterium oder Verfahren ergebenen Nachteile zu beseitigen. Ein Arbeitgeber darf mit anderen Worten Personen mit einer bestimmten Behinderung mittelbar benachteiligende Vorschriften dann einführen und beibehalten, wenn er die daraus resultierenden Nachteile für Angehörige dieser Personengruppe individuell abfängt. 282

280

mann). 281

EuGH, Urt. v. 26.9. 2000 - Rs. C-322/98, Slg. 2000, 1-7505, Rz. 30 (Kachel-

EuGH, Urt. v. 13.5.1986- Rs. 170/84, Slg. 1986, S. 583, Rz. 37 (Bilka). Zwar stellt die Rahmenrichtlinie nur darauf ab, ob der Arbeitgeber zur Vornahme angemessener Vorkehrungen „verpflichtet" ist. Wenn dies der Fall ist, wird man den Richtlinienwortlaut allerdings dahingehend zu präzisieren haben, dass der Arbeitgeber auch tatsächlich tätig werden muss. Die bloße Verpflichtung allein legitimiert die Aufrechterhaltung einer mittelbaren Diskriminierung damit nicht. 282

C. Rechtfertigungsmöglichkeiten allgemeiner Benachteiligungen

229

a) Bedeutung für Arbeitgeber Ob es einer derartigen Vorschrift aus Arbeitgebersicht tatsächlich bedurft hätte, hängt von der zukünftigen Ausdeutung der ersten Rechtfertigungsmöglichkeit durch den EuGH ab. Zwar gibt es viele Vorschriften wie zum Beispiel Arbeitszeitregelungen, deren Beibehaltung man einem Arbeitgeber selbst dann zubilligen muss, wenn sie im Einzelfall einen behinderten Beschäftigten benachteiligen. Doch gilt insofern für behinderte Beschäftigte nicht anders als für die übrigen durch Art. 1 RL geschützten Beschäftigtengruppen: Sofern die mittelbar diskriminierende Regelung sachlich gerechtfertigt ist, wird sie bereits nach Art. 2 Abs. 2 lit.b i) RL aufrechterhalten; des Rückgriffs auf die zweite Rechtfertigungsmöglichkeit bedarf es nicht. Den Handlungsspielraum des Arbeitgebers erhöht diese Vorschrift allerdings in den Fällen, in denen es an einer sachlichen Rechtfertigung fehlt. Diese Flexibilisierung des Anti-Diskriminierungsrechts ist zu begrüßen, solange den Interessen behinderter Beschäftigter tatsächlich durch angemessene Vorkehrungen Rechnung getragen wird.

b) Zweifelhafte Konsequenzen für behinderte Beschäftigte Ob die zweite Rechtfertigungsmöglichkeit ebenso aus der Perspektive der behinderten Beschäftigten zu einer Verbesserung ihrer Rechtsposition führt, ist zweifelhaft. Erste Stellungnahmen in der Literatur bejahen dies mit der Erwägung, dass dem behinderten Menschen, der gegen die mittelbar diskriminierende Vorschrift vorgeht, ein Recht auf die Beseitigung der durch sie errichteten Barrieren zusteht.283 Dies kann in der Tat günstiger sein als eine bloße Entschädigung in Geld, wie sie bei der Verletzung des mittelbaren Diskriminierungsverbots vorgesehen ist (vgl. § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB IX). Allerdings gewährt die zweite Rechtfertigungsmöglichkeit behinderten Menschen nicht mehr als ihnen ohnehin zusteht, denn die Vorschrift knüpft den Beseitigungsanspruch eben gerade an das Bestehen eines Anspruchs auf angemessenen Vorkehrungen. Sie scheint die Rechtsposition dieser Beschäftigten damit im Gegenteil gerade dadurch zu schwächen, dass sie einem behinderten Menschen die Wahlmöglichkeit nimmt, sich entweder auf das mittelbare Benachteiligungsverbot zu berufen oder aber eine angemessene Vorkehrung nach Art. 5 RL zu verlangen. Im Einzelfall kann es nämlich durchaus günstiger sein, wenn der einzelne behinderte Beschäftigte sich allein auf das mittelbare Benachteiligungsverbot beruft. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn abzusehen ist, dass der Arbeitgeber im Angesicht des Diskriminierungsvorwurfs von sich aus die mittelbar diskriminierende Vorschrift beseitigt - etwa, um weiteren Klagen auf Vor283

Wells, 32 I U 253, 270 (2003); Whittle, 27 E.L.Rev. 303, 310 f. (2002).

230

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

nähme angemessener Vorkehrungen vorzubeugen. Tut er dies, ist damit nicht nur ein Vorteil für einen behinderten Beschäftigten gewonnen - denjenigen, der die Vorkehrung erhält sondern alle jetzigen und zukünftigen Beschäftigten mit dieser bestimmten Behinderung profitieren von der Aufhebung der diskriminierenden Vorschrift. Gerade dieses Charakteristikum des mittelbaren Diskriminierungsverbots, Vorteile für die gesamte Gruppe der Merkmalsträger herbeifuhren zu können, lässt die zweite Rechtfertigungsmöglichkeit leer laufen. Von daher verwundert es kaum, dass diese Rechtfertigungsmöglichkeit ursprünglich in der Rahmenrichtlinie überhaupt nicht vorgesehen war, sondern erst in letzter Minute auf das Drängen Englands in diese aufgenommen wurde. Es sollte damit auf nationaler Ebene die Wahl zwischen der Umsetzung des Konzepts angemessener Vorkehrungen und dem mittelbaren Diskriminierungsverbot möglich werden. 284 Da eine derartige Wahlmöglichkeit richtigerweise jedoch nicht bestehen kann 285 , büßt dieser Rechtfertigungstatbestand seine eigentliche Legitimität größtenteils ein. Will der deutsche Gesetzgeber ihn trotzdem wegen der möglichen Vorteile für Arbeitgeber in das nationale Recht übernehmen, sollte er zumindest behinderten Menschen die Möglichkeit offen halten, anstelle einer angemessenen Vorkehrung das mittelbare Diskriminierungsverbot in Anspruch zu nehmen.

II. Umsetzung durch das SGBIX Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Übernahme der europarechtlichen Vorgaben die klare Differenzierung der Rahmenrichtlinie bedauerlicherweise nicht zu Eigen gemacht. Dem allgemeinen Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung nach § 81 Abs. 2 S.2 Nr. 1 S. 1 SGB I X lässt er in den Sätzen zwei und drei zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten folgen, die ihrem Wortlaut nach auf sämtliche Benachteiligungsformen anwendbar zu sein scheinen.

7. Defizite der ersten Rechtfertigungsmöglichkeit (§ 81 Abs. 2 S.2 Nr. 1 S. 2 SGB IX) Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung ist nach § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 2 SGB I X gerechtfertigt und damit zulässig, soweit eine Vereinbarung oder eine Maßnahme die Art der von dem schwerbehinderten Beschäftigen auszuübenden Tätigkeit zum Gegenstand hat und eine bestimmte

284

Näher hierzu im 5. Kapitel unter A. II. 3. Ausf. zur Eigenständigkeit des Konzepts angemessener Vorkehrungen im 5. Kapitel unter A. 285

C. Rechtfertigungsmöglichkeiten allgemeiner Benachteiligungen

231

körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für diese Tätigkeit ist.^86

a) Wider der Anleihe beim geschlechtsspezifischen Unverzichtbarkeitskriterium Diese Formulierung gleicht der des § 61 la Abs. 1 S. 2 BGB, mit dem Unterschied, dass das geschlechtsbezogene Benachteiligungsverbot eine Ausnahme vom formellen Gleichbehandlungsgebot nur dann zulässt, wenn ein bestimmtes Geschlecht „unverzichtbare" Voraussetzung der in Frage stehenden Tätigkeit ist. Ungeachtet dieser Differenz im Wortlaut ist das Anliegen der Vorschrift dasselbe: Bereits im Rahmen des geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbots wurde ihr der Zweck zugesprochen, eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts ausnahmsweise zu legitimieren. 287 Für mittelbare Benachteiligungen soll dagegen der weitergehende Ausnahmetatbestand des §611a Abs. 1 S. 2 BGB gelten, der weitgehend unverändert Eingang in § 81 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 Var. 1. SGB I X gefunden hat. Im Mittelpunkt der Kritik des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB steht seit jeher seine unglückliche Wortwahl. „Unverzichtbar" ist, wie Adomeit unlängst spöttelnd bemerkt hat, das Geschlecht eigentlich nie. 288 Einigkeit bestand demgemäß bezüglich der Notwendigkeit einer äußert restriktiven Auslegung der Vorschrift. Der Gesetzgeber dachte beispielsweise an die Einstellung eines Mannes für eine männliche Schauspielerrolle 289 wohingegen im Schrifttum überwiegend die Funktion einer Amme als Paradebeispiel 290

bemüht wurde. Erforderlich ist das Unverzichtbarkeitskriterium bereits im Rahmen von § 611a BGB nicht, denn was der Gesetzgeber damit zum Ausdruck bringen will, ist aus der Perspektive des formellen Gleichheitsverständnisses nicht weniger als eine Selbstverständlichkeit: Sofern es an einer Vergleichbarkeit einer weiblichen und eines männlichen Arbeitnehmers fehlt, ist die Bevorzugung des einen kein Fall einer unmittelbaren Diskriminierung der anderen - mangels Vergleichbarkeit fehlt es bereits an der Anwendungsvoraussetzung des Diskriminierungsverbots. Dass man sich dennoch zu einer Aufnahme des Unverzichtbarkeitskriteriums entschlossen hat, dürfte in erster Linie mit der zutreffenden, doch lange Zeit keineswegs selbstverständlichen Erkenntnis zusammenhängen, 286

Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für diesen Fall ist in § 81 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX geregelt. 287 Staudinger/Richardi/Annuß, §611 a Rn. 52 („Rechtfertigung"); ErfK/Schlachter § 611a BGB Rn. 12 (»Ausnahmevorschrift"). 288 Adomeit, DB 1980, 2388 unter Hinweis auf Eich, NJW 1980, 2329, 2331. 289 BT-Drucks. 8/3317, S. 9. 290 Fritsch, BB 1992, 701, 706 in Fn. 59; Preis, Arbeitsrecht, S. 343; Thüsing, RdA 2001,319.

232

4. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

dass Frauen wie Männer grundsätzlich über dieselben Fähigkeiten verfügen. Widerlegt wird diese soziale Vermutung nur in atypisch gelagerten Ausnahmefällen - nichts anderes wird mit dem Verzichtbarkeitskriterium zum Ausdruck gebracht. Für das Merkmal der Behinderung besteht eine entsprechende Vermutung für eine Gleichwertigkeit der Arbeitsleistung aber nicht in dieser Ausprägung.291 Klargestellt werden sollte deshalb in § 81 Abs. 2 SGB IX, dass unmittelbare Diskriminierungen behinderter Beschäftigter nicht rechtfertigbar sind. Die Rahmenrichtlinie bringt dies durch das Absehen von einer entsprechenden Ausnahmevorschrift zutreffend zum Ausdruck und dieser Weg sollte ebenso vom deutschen Gesetzgeber beschritten werden. 292 Der Grund hierfür liegt darin, dass das Verbot unmittelbarer Diskriminierung der Durchsetzung des formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes für bestimmte Merkmalsträger dient. 293 Das Gleichbehandlungsgebot ist in dieser Ausprägung absolut. Wertungen lässt es nicht zu, so dass keine noch so plausible Erwägung im Einzelfall den einmal erfolgten Gleichheitsverstoß zu rechtfertigen vermag.

b) Keine Gleichsetzung mit beruflichen Anforderungen nach Art. 4 Abs. 1 RL Unglücklich ist ferner, dass mit dem Begriff der „wesentlichen beruflichen Anforderungen" gerade ein Begriff an die Stelle des Unverzichtbarkeitskriteriums getreten ist, den die Rahmenrichtlinie in anderem Kontext verwendet. Nach Art. 4 RL können entsprechende Anforderungen zur Nichtanwendung des unmittelbaren wie mittelbaren Diskriminierungsverbots führen. 294 Im Gegensatz zum Unverzichtbarkeitskriterium, das zum Nachteil des geschützten Arbeitnehmers arbeitet, legitimiert Art. 4 RL jedoch nur Ungleichbehandlungen zugunsten behinderter Beschäftigter. Eben dieser Unterschied droht vor dem Hintergrund des geschlechtsspezifischen Benachteiligungsverbots durch § 81 Abs. 2 S.2 Nr. 1 S. 2 SGB I X verkannt zu werden. Art. 4 RL sollte deshalb durch eine getrennte Vorschrift umgesetzt werden, damit zukünftig nicht der Eindruck entsteht, berufliche Anforderungen könnten eine unmittelbare Diskriminierung behinderter Beschäftigter rechtfertigen.

291

Vgl. dazu bereits auch im 3. Kapitel unter B. Vgl. das 6. Kapitel zu den bereits erwähnten Durchbrechungen des allgemeinen Diskriminierungsschutzes und ihrer Bedeutung für den Fall der unmittelbaren Diskriminierung. 293 Ausf. hierzu oben B. I. 1. 294 Näher zu den beruflichen Anforderungen im 6. Kapitel unter B. 292

C. Rechtfertigungsmöglichkeiten allgemeiner Benachteiligungen

233

2. Defizite der zweiten Rechtfertigungsmöglichkeit (§ 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX) a) Verteilung der Darlegungs- und Beweislast Der § 81 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 Var. 1. SGB I X regelt zunächst die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei der Verletzung des Benachteiligungsverbots und dient damit der Umsetzung von Art. 10 Abs.l der Rahmenrichtlinie: Macht im Streitfall der schwerbehinderte Beschäftigte Tatsachen glaubhaft, heißt es in §81 SGB IX, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, so trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für diese Tätigkeit ist. Anleihe hat der Gesetzgeber bei dieser Formulierung abermals bei § 611a BGB genommen, dessen Abs. 1 S. 3 weitgehend wortlautgetreuen Einzug in das SGB I X gehalten hat.

b) Widerlegung des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung Anlass zur Kritik bietet diese Vorschrift, soweit sie zur Umsetzung der Rechtfertigung von mittelbaren Diskriminierungen dienen soll. Dass diese nicht nur bei „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen rechtfertigbar sind, gibt die Rahmenrichtlinie vor (Art. 2 Abs. 2 lit. b i) RL); zur Umsetzung dieser Vorgaben reicht § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 2 SGB I X allein damit nicht. Ob Satz 3 dieser Vorschrift allerdings weitergehende Rechtfertigungsmöglichkeiten bereithält, war bereits im Rahmen des entsprechenden Passus in § 61 la Abs. 1 S. 3 BGB umstritten.295 Doch selbst wenn man aus Mangel an Alternativen die europarechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Benachteiligungen in diese Vorschrift hineinliest, wird die dezidierte Prüfungsformel der Rahmenrichtlinie durch den Begriff des „sachlichen Grundes" nur ungenügend erfasst. Sollte der deutsche Gesetzgeber von den reichlichen Anlässen zur Umschreibung des § 81 SGB I X Gebrauch machen, wäre es wünschenswert, auch an dieser Stelle mehr Präzision walten zu lassen.

295

Pro: Erman!Edenfeld § 61 la Rn. 6; Contra: ErfK/Schlachter

§61 la BGB Rn. 24.

5. Kapitel

Angemessene Vorkehrungen als besonderer Diskriminierungsschutz Neben der Frage nach der Reichweite des Behinderungsbegriffs stellt das Konzept der Vornahme angemessener Vorkehrungen den dogmatisch interessantesten Teil des Diskriminierungsschutzes behinderter Menschen dar. Worum es sich dabei handelt, bestimmt Art. 5 S. 2 der Rahmenrichtlinie. Angemessene Vorkehrungen werden dort definiert als die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme der geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen, „um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen." Der Arbeitgeber wird mit anderen Worten verpflichtet, den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten.1 Die potentielle Tragweite dieser Pflicht ist beträchtlich. Sie beinhaltet beispielsweise „eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgerätes, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen."2 Frei wird der Arbeitgeber von dieser Verpflichtung nur dann, wenn sie ihn unverhältnismäßig belastet.3 Diese Formulierungen im Text der Rahmenrichtlinie erinnern an § 81 Abs. 3 und 4 SGB I X und provozieren die Frage, ob diese Vorschrift nicht schon jetzt den Umsetzungsanforderungen der Rahmenrichtlinie genüge. Die Rede ist dort etwa von der „behindertengerechten Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten" oder „der Gestaltung der Arbeitsplätze". In der Tat können Teilbereiche des Konzepts angemessener Vorkehrungen durch eine entsprechende richtlinienkonforme Interpretation dieser Vorschrift bereits jetzt zufrieden stellend gelöst werden. Diese Feststellung darf jedoch den Blick nicht darauf verstellen, dass § 81 Abs. 4 SGB I X keineswegs zur Umsetzung des Art. 5 RL erschaffen wurde; die einzelnen in ihr zusammengefassten Bestimmungen sind vielmehr alte Bekannte des Schwerbehindertenrechts und reichen teilweise in ihrem Ur1 2 3

Vgl. den 20. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie. So der 20. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie. Art. 5 S. 2 RL. Siehe dazu auf den 21. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie.

A. Funktionen

235

sprung bis zum Schwerbeschädigtengesetz von 1953 zurück. Infolgedessen überrascht es nicht, dass § 81 Abs. 3 und 4 SGB IX in wichtigen Aspekten hinter dem Konzept angemessener Vorkehrungen zurück bleibt, in anderen Punkten dagegen vom Arbeitgeber schlechterdings etwas anderes verlangt als ein im Gleichbehandlungsgrundsatz fundierter Diskriminierungsschutz diesem zur Aufgabe macht. Was diesen Vorschriften fehlt - und zwar selbst in den Bereichen, in denen beide Regelungskomplexe in der Praxis zu gleichen Ergebnissen führen mögen - ist ihre konzeptionelle Anbindung an den Diskriminierungsschutz. Die textliche Nähe des § 81 Abs. 3 und 4 SGB IX zum neu geschaffenen Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung trügt, denn zumindest bislang stehen beide Regelungskomplexe recht selbständig nebeneinander. Selbst wenn sich der deutsche Gesetzgeber einer durchaus empfehlenswerten selbständigen Regelung der Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen enthalten sollte, führt an einer Modifikation des § 81 Abs. 3 und 4 SGB I X in Teilbereichen sowie einer kritischen Neubewertung der in diesem Rahmen ergangenen Rechtsprechung damit kein Weg vorbei. Der Gang der Erörterung dieses fünften Kapitels folgt im Aufbau der Darstellung des allgemeinen Diskriminierungsschutzes aufgrund einer Behinderung. Einigen Bemerkungen zum Geltungsbereich angemessener Vorkehrungen folgt die Diskussion der tatbestandlichen Reichweite dieses Rechtsinstruments bevor schließlich die Grenzen dieser Verbindlichkeit in den Blickpunkt rücken; auf Umsetzungsdefizite des deutschen Rechts wird im jeweiligen Zusammenhang hingewiesen.

A. Die Funktionen angemessener Vorkehrungen im System des Diskriminierungsschutzes Das Konzept der angemessenen Vorkehrungen spielt in drei verschiedenen Zusammenhängen innerhalb der Richtlinie sowie des ADA eine Rolle. Erstens bei der Umschreibung der geschützten Personenklasse, d.h. im Rahmen der Bestimmung des Anwendungsbereichs des allgemeinen Diskriminierungsschutzes. Die ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitgebers, angemessene Vorkehrungen vorzunehmen, stellt zweitens einen Fall der Diskriminierung dar. Letztendlich vermag das Konzept angemessener Vorkehrungen als eine Verteidigung des Arbeitgebers gegen den Vorwurf ungerechtfertigter Diskriminierung dienen.

I. Die Bestimmung der geschützten Personenklasse Der Zweck der Rahmenrichtlinie liegt gem. Art. 1 RL in der Bekämpfung von Diskriminierungen u.a. wegen einer Behinderung. Letzterer Begriff ist damit determinativ für die Bestimmung des Kreises jener Arbeitnehmer, die den

236

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

Schutz der Richtlinie für sich in Anspruch nehmen können: Diejenigen Personen, die die Begriffsmerkmale einer Behinderung iSd. Rahmenrichtlinie nicht erfüllen, fallen nicht in ihren Anwendungsbereich.4 Umkehren lässt sich diese Feststellung allerdings nicht. Nicht alle Arbeitnehmer, die als behindert iSd. Rahmenrichtlinie gelten, kommen auch in den Genuss ihres Schutzes. Hinzukommen muss stets noch ihre Eignung für die in Frage stehende Arbeitsstelle. Ein objektiv ungeeigneter Arbeitnehmer kann demzufolge nicht „wegen" seiner Behinderung diskriminiert werden. Dies entspricht sowohl der Rechtsprechung des EuGH zur Geschlechterdiskriminierung nach der Gleichbehandlungsrichtlinie5 als auch der zu § 611 a BGB vertretenen Auffassung 6. In den Vereinigten Staaten ist man noch deutlicher: Nur ein „qualified individual with a disability" genießt den Schutz des ADA. 7

7. Außerachtlassung der fehlenden formellen

Vergleichbarkeit

Das Erfordernis der objektiven Eignung führt im Rahmen des Diskriminierungsschutzes behinderter Arbeitnehmer unweigerlich zu der Frage, ob die Feststellung ihrer Eignung vor oder nach der Vornahme angemessener Vorkehrungen nach Art. 5 RL erfolgen soll. Ist, mit anderen Worten, ein Arbeitnehmer, der zur Ausübung der in Frage stehenden Position objektiv nicht in der Lage ist, dennoch in den Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie einzubeziehen, mit der Folge, dass der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen bereitstellen muss? Diese Frage ist mit der Einschränkung zu bejahen, dass die fehlende Eignung des Arbeitnehmers auf diese Weise überwunden werden muss. In der Tat liegt gerade in der Erweiterung der geschützten Personengruppe auf jene Individuen, die potentiell zur Ableistung der Arbeit in der Lage sind, das Wesensmerkmal der angemessenen Vorkehrungen. Die Rahmenrichtlinie selbst bringt dies zum Ausdruck, indem sie in Art. 5 S. 1 RL davon spricht, dass derartige Vorkehrungen zu treffen sind, „um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten". Unter „Gleichbehandlungsgrundsatz" wiederum will die Rahmenrichtlinie das Verbot unmittelbarer bzw. mittelbarer Diskriminierung verstanden wissen (Art. 2 Abs. 1 RL). Angemesse4

Ausf. zum Begriff der Behinderung siehe im 3. Kapitel unter A. III. EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 177/88, Slg. 1990, 1-3941, Rz. 14 (Dekker) („ein Arbeitgeber [verstößt] unmittelbar gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ..., wenn er es ablehnt, mit einer von ihm für geeignet befundenen Bewerberin einen Arbeitsvertrag zu schließen ..."). 6 BAG, Urt. v. 15.10.1992 - 2 AZR 227/92, NJW 1993, 1154, 1155; Urt. v. 1.7.1993 - 2 AZR 25/93, NJW 1994, 148; Staudinger/Richardi/Annuß, § 61 la Rn. 25. 7 42 U.S.C. § 12111 (8) (2004). Hierin liegt ein Fortschritt zu der unglücklich gewählten Formulierung „otherwise qualified" des Rehabilitation Act of 1973, siehe 29 U.S.C § 794 (a) (2004). 5

A. Funktionen

237

ne Vorkehrungen sind demzufolge zum Schutz behinderter Beschäftigter vor unmittelbaren bzw. mittelbaren Benachteiligungen vorzunehmen. Dies überrascht auf der ersten Blick, steht doch die prinzipielle Anwendbarkeit dieser beiden Diskriminierungstatbestände auf „ M e n s c h e n mit Behinderung" nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 RL ohnehin fest. Der Ratio letzter Bestimmung zeigt dementsprechend auch, dass etwas anderes gemeint ist: Die Vorschrift hat solche Maßnahmen im Auge, die die Vergleichbarkeit zwischen behinderten Menschen und ihren nicht behinderten Arbeitskollegen im Hinblick auf die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen herstellen, die ihrerseits wiederum Anwendungsvoraussetzung des formellen Gleichheitssatzes und damit des allgemeinen Diskriminierungsschutzes ist.8 Sichergestellt werden soll damit die Erfüllbarkeit einer Voraussetzung der allgemeinen Diskriminierungstatbestände - die formelle Vergleichbarkeit - und nicht lediglich die bloße Anwendbarkeit dieser Benachteiligungsverbote. Der besondere Diskriminierungsschutz steht von dieser Warte im Dienste der allgemeinen Diskriminierungstatbestände. Rückhalt findet diese Erkenntnis an anderer Stelle der Rahmenrichtlinie. In ihren Erwägungsgründen heißt es, dass unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, nicht die Einstellung [...] einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes [...] nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist."9 Dieser Befund steht im Einklang mit der U.S.amerikanischen Rechtslage unter dem ADA. Um in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes zu fallen, muss ein Arbeitnehmer zwei Voraussetzungen erfüllen. Er muss zum einen darlegen, dass er unter den Begriff des „individual with a disability" fällt 10 , zum anderen muss er mit oder ohne Hilfe angemessener Vorkehrungen zur Ableistung der wesentlichen Funktionen der Arbeitsstelle in der Lage sein11. Hier wie dort erweitern angemessene Vorkehrungen damit den Kreis der durch die allgemeinen Diskriminierungsverbote geschützten Arbeitnehmer auf solche Individuen, die andernfalls mangels formeller Vergleichbarkeit nicht von ihnen erfasst würden.

2. Berücksichtigung

der Heterogenität

der geschützten Personengruppe

Rechnung getragen wird damit dem Umstand, dass behinderte Arbeitnehmer in einem größeren Ausmaß als dies bei anderen von der Rahmenrichtlinie ge-

8

Vgl. dazu bereits im 3. Kapitel unter B. II. 2. So der 17. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie (Hervorhebung durch den Verfasser). 10 42 U.S.C.§ 12102 (2) (2004). 11 42 U.S.C.§ 12111 (8) (2004). 9

238

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

schützten Personengruppen der Fall ist ohne die Beseitigung von - vom Standpunkt des sozialen Modells der Behinderung aus gesprochen - beschäftigungsspezifischen Hindernissen nicht zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage sind; die Vermutung grundsätzlich gleicher Leistungsfähigkeit gilt für Angehörige dieser Personengruppe nur eingeschränkt.12 Gleichzeitig wird zutreffend berücksichtigt, dass die der Vergleichbarkeit und damit der Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes entgegenstehenden Barrieren in der Vielzahl der Fälle mit vergleichsweise geringerem Aufwand seitens des Arbeitgebers überwunden werden können. Das Konzept angemessener Vorkehrungen lässt sich demnach als notwendige Konsequenz der im dritten Kapitel beschriebenen Heterogenität der geschützten Personengruppe begreifen.

II. Die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen als eine Form der Diskriminierung Entspricht der Arbeitgeber dem Begehren eines behinderten Arbeitnehmers nach der Vornahme einer geeigneten, erforderlichen sowie - im Übrigen - verhältnismäßigen Maßnahme nach Art. 5 RL nicht, dann diskriminiert er diesen, genauso wie jener Arbeitgeber, der etwa die Einstellung eines behinderten Arbeitnehmers unter ausdrücklichem Hinweis auf dessen Behinderung ablehnt oder scheinbar neutrale Vorschriften implementiert, die zum sachlich nicht gerechtfertigten Ausschluss behinderter Arbeitnehmer führen. Die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen stellt mit anderen Worten eine Form der Diskriminierung dar, vergleichbar dem überkommenen Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung. Erfreulich eindeutig in dieser Hinsicht präsentiert sich die U.S.-amerikanische Regelung: Die „Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen zugunsten einer bekannten körperlichen oder geistigen Beschränkung eines ansonsten qualifizierten Individuums"13 beziehungsweise das Versagen von ,3eschäftigungschancen" aufgrund der Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen wird im ADA ausdrücklich als ein Fall der Diskriminierung benannt.14 Der Rahmenrichtlinie fehlt diese Präzision. Obwohl sie erstmalig den Begriff der Diskriminierung auf europäischer Ebene definiert 15 und ihn über die herkömmlich darunter subsumierten Fälle der unmittel-

12

Siehe hierzu die Ausführungen zum Unverzichtbarkeitskriterium des geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbots im 4. Kapitel unter C. II. 1. a). 13 42 U.S.C. § 12112 (5) (A) (2004). 14 42 U.S.C. § 12112 (5) (B) (2004). 15 Zusammen mit der ursprünglich als einheitliches Maßnahmepaket geplanten, dann aber getrennt und kurze Zeit zuvor erschienenen Richtlinie zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, RL 2000/43/EG, ABl. Nr. L I 80 v. 19.7.2000, S. 22.

A. Funktionen

239

baren wie mittelbaren Diskriminierung um Belästigungen" wie die Anweisung zur Diskriminierung erweitert, fehlt die direkte Bezugnahme auf das Konzept angemessener Vorkehrungen. 16 Im Folgenden wird die These vertreten und begründet, dass die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen eine Form der Diskriminierung nach dem Verständnis der Rahmenrichtlinie darstellt. Argumentiert wird weiterhin, dass diese zwar Gemeinsamkeiten mit den tradierten Instrumenten des Diskriminierungsschutzes - dem Verbot der unmittelbaren sowie der mittelbaren Diskriminierung - teilt, dennoch aber als eine Diskriminierungsform sui generis einzuordnen ist. Durch diese Einordnung wird nicht nur Licht auf das Konzept der angemessenen Vorkehrungen allgemein geworfen, sondern überdies dem in jüngster Zeit in den USA wie Großbritannien zu verzeichnendem Bestreben, die Unterschiede beider Konzepte zu nivellieren, entgegengetreten; die entsprechende Diskussion ist für die Entwicklung hierzulande fruchtbar zu machen, wo überwiegend nicht einmal die Zugehörigkeit angemessener Vorkehrungen zum Gesamtsystem des Diskriminierungsschutzes gewürdigt wird. 17 Betont wird die Eigenständigkeit der Verpflichtung angemessener Vorkehrungen nicht zuletzt deshalb, um die damit einhergehende Notwendigkeit zu verdeutlichen, Probleme mit diesem Konzept einer eigenen Lösung zuzuführen. Nicht minder bedeutsam ist die aus der Eigenständigkeit folgende Chance, die Grenzen sowie Unzulänglichkeiten herkömmlicher Dogmatik hinter sich zu lassen und damit behinderten Arbeitnehmern ein taugliches Instrument zur Erreichung der ihnen lange verwehrten Chancengleichheit im Erwerbsleben zur Verfügung zu stellen.18

7. Die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen als Fall der Diskriminierung Der Kommissionsentwurf zu den Gleichbehandlungsrichtlinien brachte die Zugehörigkeit des Konzepts allgemeiner Vorkehrungen zum Diskriminierungsbegriff noch unmissverständlich zum Ausdruck: Die Definition des Diskriminie16

Vgl. Art. 2 der RL sowie der RL 2000/43/EG, ABl. Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22. Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 90 ff.; Kummer , Umsetzungsanforderungen, S. 5 ff. 18 In den USA erlangt die Frage nach der dogmatischen Verortung angemessener Vorkehrungen Bedeutung überdies aus verfassungsrechtlicher Perspektive. Im Grunde geht es dabei um die Frage, ob der Congress im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz die Bundesstaaten zur Zahlung von Schadenersatz bei Verletzung des ADA gegenüber ihren Bürgern verpflichten kann. Dagegen steht die den Bundesstaaten nach Maßgabe des l l t h Amendment der Bundesverfassung grundsätzlich gewährte Immunität. Außer Kraft gesetzt wird diese unter anderem jedoch dann, wenn der Erlass des ADA als Ausübung der Befugnisse von See. 5 des Amendment der Bundesverfassung begriffen werden kann, vgl. dazu Alabama v. Garrett , 531 U.S. 356 (2001). 17

240

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

rungsbegriffs führte unter entsprechender Überschrift neben der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung sowie der Belästigung das Erfordernis der Vornahme angemessener Vorkehrungen auf. 19 In der endgültigen Fassung der Rahmenrichtlinie wurde die Formulierung angemessener Vorkehrungen ausgearbeitet, weiter präzisiert und in einem eigenen Artikel innerhalb der Richtlinie verankert. Das ist im Grunde zu begrüßen. Hervorgehoben wird damit nicht nur die zentrale Bedeutung dieses Konzepts, sondern zugleich ihre dogmatische Vielgestaltigkeit. Im Gegensatz zu den anderen in Art. 2 RL aufgeführten allgemeinen Diskriminierungshandlungen gehen angemessene Vorkehrungen in ihrer Bedeutung über ein alleiniges Diskriminierungsverbot hinaus. Gleichzeitig aber, und dies hätte durch einen entsprechenden Hinweis in Art 2 RL klargestellt werden sollen, unterfallen sie - auch - dem Diskriminierungsbegriff der Rahmenrichtlinie. Verdeutlicht wird dies durch den Eingangssatz, der, obgleich nunmehr aus dem Zusammenhang mit Art. 2 RL genommen, inhaltlich unverändert das Ziel angemessener Vorkehrungen umschreibt: Die Sicherung der »Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes" auf behinderte Arbeitnehmer, d.h. die Gewährleistung des Schutzes vor unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Begreift man das Konzept angemessener Vorkehrungen damit als integralen Bestandteil der allgemeinen Benachteiligungsverbote, macht es keinen Unterschied, ob ein Arbeitgeber ein Diskriminierungsverbot nach Art. 2 RL direkt verletzt oder indirekt dadurch, dass er es unterlässt, angemessene Vorkehrungen bereit zu stellen und damit seine tatsächliche Anwendung ausschließt. In beiden Fällen diskriminiert er. 20 Offen ist aber, ob ein Fall der Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen eine unmittelbare bzw. mittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung darstellt oder als Diskriminierungsform sui generis anzusehen ist.

2. Angemessene Vorkehrungen

und unmittelbare Diskriminierung

Nach zutreffender Ansicht erfordert eine unmittelbare Diskriminierung zwar keine Benachteiligungsabsicht, wohl aber den Willen, eine Differenzierung anhand eines geschützten Merkmals zu treffen. 21 Rein begrifflich ist es damit möglich, im Unterlassen einer Differenzierung ebenso einen Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung zu sehen und damit den Fall, dass der Arbeitgeber zu Unrecht die Vornahme einer angemessenen Vorkehrung verweigert -

19

Art. 2 der Entwurfsfassung, KOM (1999) 565 endg., S. 20 f. Für die Einordnung der Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen als Fall der Diskriminierung ebenso Waddington/Hendriks , 18 Int. J. CLLIR 403, 420-426 (2002); Whittle, 27 E.L. Rev. 303, 312 (2002). In diese Richtung auch Wells, 32 ILJ 253, 268 (2003). 21 Vgl. dazu im 4. Kapitel unter B. III. 2. a) aa) (3). 20

A. Funktionen

241

d.h. es unterlässt, eine Differenzierung zu treffen - als Fall der unmittelbaren Diskriminierung zu begreifen. 22 Die größte Bestärkung erfährt diese These durch die Rechtsprechung des EuGH zur Benachteiligung von Arbeitnehmerinnen wegen einer Schwangerschaft. 23 In der Dekker Entscheidung befand der Gerichtshof, dass die Verweigerung einer Einstellung wegen Schwangerschaft nur Frauen gegenüber in Betracht kommt und daher eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.24 Die Verweigerung der Vornahme einer angemessenen Vorkehrung kommt gleichfalls nur behinderten Beschäftigten und nicht unterschiedslos allen Arbeitnehmern gegenüber in Betracht, so dass diese einen Fall der unmittelbaren Diskriminierung iSd. EuGH Rechtsprechung darstellen könnte.25 Außer Acht gelassen wird bei dieser Argumentation, dass bereits die Lösung der Fälle einer Benachteiligung wegen einer Schwangerschaft über das unmittelbare Diskriminierungsverbot vom Ergebnis her zwar gesamtgesellschaftlich begrüßenswert, von der Methode aber gleichheitsdogmatisch unbefriedigend ist. Eine Arbeitnehmerin, die aufgrund ihrer Schwangerschaft zur Ausübung der Arbeit - ggf. überhaupt! - nicht in der Lage ist, ist für den Zeitraum ihrer Schwangerschaft stets weniger geeignet als ein männlicher Mitbewerber und damit nicht vergleichbar iSd. formellen Gleichheitssatzes. Hier nichtsdestotrotz Schutz durch das unmittelbare Benachteiligungsverbot zu gewähren, ist nicht mehr als eine Hilfskonstruktion, die bei Beschäftigten mit einer Behinderung dank Art. 5 RL gerade nicht gegangen werden muss. Dies entspricht dem Wesen beider Diskriminierungstatbestände am besten: Während das Konzept angemessener Vorkehrungen den Arbeitgeber zur besonderen Berücksichtigung eines bestimmten Arbeitnehmermerkmals anhält, zwingt das Diskriminierungsverbot diesen zur Außerachtlassung eben jener Charakteristika, weil sie ohne Auswirkung auf die Fähigkeit zur Ableistung der geschuldeten Arbeit bleiben. Überdies lädt die Konstruktion des unmittelbaren Diskriminierungsverbots in Art. 2 Abs. 2 lit. a) RL nicht zur Anwendung auf die Fälle unterlassender Vorkehrungen ein. Der Grund hierfür ist ein methodischer: Ein entsprechendes Unterfangen würde bedeuten, ein am materiellen Gleichheitskonzept orientiertes Modell an ausschließlich formellen Grundsätzen zu messen. Infolgedessen würde die Behandlung der unterlassenen Vorkehrung als unmittelbare Benachteiligung mit dem Grundsatz brechen, dass der Tatbestand einer unmittelbaren Dis-

22 23

hin.

24

Waddington/Hendriks, 18 Int. J. CLLIR 403, 423 (2002). Hierauf weisen ebenso Waddington/Hendriks, 18 Int. J. CLLIR 403, 424 (2002)

EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 177/88, Slg. 1990,1-3941, Rz. 12. Waddington/Hendriks, 18 Int. J. CLLIR 403, 424 (2002) halten eine Ausdehnung der entsprechenden Rechtsprechung zur Benachteiligung wegen einer Schwangerschaft auf das Merkmal der Behinderung deshalb für möglich. 25

242

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

kriminierung durch keinerlei Erwägungen rechtfertigbar ist - das formelle Gleichheitsprinzip ist intolerant26, angemessene Vorkehrungen aber erlauben Ausnahmen, da sie zumindest bei übermäßigen Arbeitgeberbelastungen nicht vorzunehmen sind. Weitere Konstellationen, in denen ein Arbeitgeber eine an sich für den behinderten Beschäftigten vorteilhafte Vorkehrung nach Art. 5 RL nicht schuldet, sind darüber hinaus denkbar.27 Mit der Anerkennung jeder einzelner dieser Ausnahmen würde das wesentliche Charakteristikum der unmittelbaren Diskriminierung weiter verwässert, namentlich, dass sein Tatbestand mit dem Beweis der Anknüpfung an das verbotene Merkmal allein erfüllt ist. Unklar ist weiterhin, wie das auf dem formellen Gleichheitsverständnis resultierende Erfordernis einer Vergleichperson mit Art. 5 RL vereinbar sein soll. Letztere Vorschrift hat allein den betreffenden Beschäftigten bei der Frage im Blickpunkt, ob dieser ein Recht auf eine bestimmte Vorkehrung hat. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. a) RL muss dagegen eine ungünstigere Behandlung im Vergleich zu einer anderen Person vorliegen.

5. Angemessene Vorkehrungen

und mittelbare Diskriminierung

Im U.S.-amerikanischen und englischen Schrifttum finden sich Hinweise auf Bestrebungen, insbesondere die Unterschiede zwischen dem Konzept angemessener Vorkehrungen und dem mittelbaren Diskriminierungsverbot zu nivellieren. 28 In Großbritannien entstammen entsprechende Bemühungen der Motivation, den Disability Discrimination Act of 1995, der kein Verbot indirekter Diskriminierung enthält, vor dem Verdikt der Europarechtswidrigkeit zu bewahren. Argumentiert wird deshalb, das Gesetz genüge den Mindestanforderungen der Rahmenrichtlinie, weil die Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen („reasonable adaptation'4) weit reichender sei.29 Zudem zeige die Möglichkeit, mittelbare Diskriminierungen durch die Vornahme angemessener Vorkehrungen zu rechtfertigen (Art. 2 Abs. 2 lit. b) ii) RL), dass die Rahmenrichtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen der Erschaffung eines Verbots mittelbarer Diskriminierung und der Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen lasse.30

26

Ausf. hierzu bereits im 2. Kapitel unter A. I. 2. b). Siehe dazu im 6. Kapitel. 28 Jolls , 115 Harv. L. Rev. 642, 652-666 (2001); Rabin-Margalioth , 1 Berkeley J. Emp. & Lab. L. 111 (2003). Dagegen Schwab/Willborn , 44 Wm and Mary L. Rev. 1197, 1227 ff. (2003). 29 Vgl. Neal, Legal Perspectives, S. 351, 353 f. 30 Vgl. Wells, 32 ILJ 253, 268 (2003) m.w.N., die ebenso daraufhinweist, dass diese Rechtfertigungsmöglichkeit mittelbarer Diskriminierung erst „auf das Geheiß" der briti27

A. Funktionen

243

Das kann nicht richtig sein. Vergleichsweise offenkundig sollte sein, dass man das Konzept angemessener Vorkehrungen nicht im Verbot mittelbarer Diskriminierungen aufgehen lassen kann, weil seine Funktion gerade auch darin besteht, erst die tatsächliche Anwendung dieses allgemeinen Diskriminierungstatbestandes zu ermöglichen. Würde man von der Vornahme angemessener Vorkehrungen absehen, liefe das mittelbare Benachteiligungsverbot für viele Beschäftigte mit einer Behinderung leer. Doch auch der umgekehrte Ansatz, mittelbare Diskriminierungen im Konzept angemessener Vorkehrungen aufgehen zu lassen, würde folgenreiche Unterschiede beider Diskriminierungstatbestände einebnen. Allen voran ist der Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung selbst in der Ausgestaltung, die er durch die Rahmenrichtlinie gefunden hat, nach wie vor auf einen Vergleich mit anderen Beschäftigten zur Feststellung des benachteiligten Effekts angewiesen.31 Zwar wird behinderten Beschäftigten die Anstellung des notwendigen Vergleichs insbesondere durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf hypothetische Vergleichspersonen erleichtert 32, notwendig bleibt er aber nichtsdestotrotz. Das Konzept angemessener Vorkehrungen ist hingegen strikt individuell. Zu fragen ist stets, ob der konkrete Beschäftigte aufgrund seiner Behinderung durch eine Vorkehrung zur Ableistung aller wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen befähigt werden kann; ein Vergleich ist - zum Vorteil des behinderten Beschäftigten - obsolet. Dieser Unterschied bedingt, dass der Vorwurf mittelbarer Diskriminierung nur dann greift, wenn tatsächlich Unterschiede in der Verteilung der Erfolgschancen im Erwerbsleben zwischen Angehörigen einer geschützten Personengruppe und sonstigen Arbeitnehmern bestehen, angemessene Vorkehrungen dagegen schon dann vorzunehmen sind, wenn der Status eines einzelnen individuellen Arbeitnehmers die Veränderung von Arbeitsplatzregelungen oder Praktiken verlangt. Bisweilen kann allerdings das Verbot mittelbarer Diskriminierung für behinderte Menschen aufgrund seines Gruppenbezugs vorteilhafter sein. Nimmt ein Arbeitgeber selbst - etwa aus der Befürchtung weiterer Klagen gegen seine diskriminierende Praxis - von dem mittelbar wegen einer Behinderung diskriminierenden Kriterium Abstand, so hat dies positive Auswirkungen auf den Abbau von Diskriminierungen für Angehörige der geschützten Personengruppe insgesamt. Verlangt Duke Power beispielsweise für die Beförderung nicht mehr die Erfüllung jener Kriterien, die der Supreme Court als diskriminierend brandmarkte 33, ist damit nicht nur eine Verbesserung der Beschäftigungssituation des

sehen Regierung in den Richtlinientext aufgenommen wurde, um auf diese Weise den rechtlichen Rahmen des DDA zu bewahren. 31 Siehe im 4. Kapitel unter B. II. 2. 32 Zur hypothetischen Vergleichsperson siehe im 4. Kapitel unter B. I. 3. a). 33 Zum Sachverhalt der Duke Power Entscheidung des U.S. Supreme Court vgl. im 2. Kapitel unter A. II. 1. a).

244

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

individuellen Klägers, sondern aller afroamerikanischen Arbeitnehmer in diesem Unternehmen gewonnen. Vergleichbare Wirkung wird angemessenen Vorkehrungen aufgrund ihres stark individuellen Charakters in der Vielzahl der Fälle nicht zukommen. Zwar mag vereinzelt von ihnen eine rein tatsächliche Wirkung über den konkreten Einzelfall hinaus ausgehen. Die Ausstattung des Eingangs zu einer Betriebsstätte mit einer Rampe für einen auf einen Rollstuhl angewiesenen Arbeitnehmer beispielsweise macht diesen Betrieb insgesamt für Rollstuhlfahrer zugänglicher. Im Regelfall aber wird es zu keiner derartigen überindividuellen Regelbildung oder Umgestaltung des Arbeitsumfeldes kommen. Die überwiegende Anzahl angemessener Vorkehrungen entfaltet unmittelbare Wirkung nur für denjenigen Arbeitnehmer, zu dessen Gunsten sie vorgenommen werden. Der Ansatz, einen Arbeitgeber nur zur Anpassung des Arbeitsumfeldes an die Bedürfnisse individueller Arbeitnehmer zu verpflichten, wird bisweilen folglich auch dafür kritisiert, die überkommenen Handlungs- und Denkmuster, die zu einer Gesellschaft führten, die nur für einige ihrer Mitglieder zugänglich gestaltet sei, nicht anzugreifen. 34 Dies erlaube denjenigen, die sich als „normal" einschätzten, weiterhin ihre Umgebung nach ihrer Vorstellung zu konstruieren, solange sie angemessene Vorkehrungen für jene Individuen vornehmen, die sich gegen dieses Konstrukt wenden.35

4. Angemessene Vorkehrungen

als Diskriminierungsform

sui generis

Die Nichtvornahme angemessener Vorkehrungen ist damit ein Fall der Diskriminierung sui generis. Für Deutschland wie auch für die anderen Mitgliedstaaten hat dies zur Konsequenz, dass mit der alleinigen Ausdehnung des unmittelbaren bzw. mittelbaren geschlechtsspezifischen Diskriminierungsverbots auf das Merkmal der Behinderung den Besonderheiten von Art. 5 RL nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Speziell an den deutschen Gesetzgeber ist mit der Forderung heranzutreten, die über ein halbes Jahrhundert alten Regelungen der §§81 Abs. 3 und 4 SGB I X grundlegend zu reformieren und dabei im Wortlaut hinreichend klar zu stellen, dass die Anpassung des Arbeitsplatzes an die Bedürfnisse des behinderten Beschäftigten nicht bloßer Ausfluss der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht ist, sondern notwendig, um eine Diskriminierung dieser Personen zu verhindern. Der Unrechtsgehalt liegt aber weniger in einer im Vergleich ungünstigeren Behandlung, sondern in der Vorenthaltung einer Leistung, die der Arbeitgeber ohne übermäßige Anstrengungen erbringen könnte.

34

Day/Brodsky , 75 Canadian Bar Rev. 433,462 (1996). Vgl. hierzu insb. das Meiorin Urteil des Canadian Supreme Court, British Columbia (Public Service Employee Relations Commission) v. B.C.G.EU , 1999 C.R.D.J. 410. 35

B. Geltungsbereich des besonderen Diskriminierungsschutzes

245

IIL Angemessene Vorkehrungen als Verteidigung des Arbeitgebers 7. Vorkehrung

ist nicht geschuldet und wird nicht erbracht

Der Umstand, dass ein behinderter Arbeitgeber zur Ausübung der wesentlichen Arbeitplatzfunktionen nur mit Vorkehrungen imstande ist, die den Arbeitgeber übermäßig belasten oder in sonstiger Weise nicht in den Tatbestand von Art. 5 RL fallen, kann als eine Verteidigung gegen den Vorwurf dienen, der Arbeitgeber diskriminiere gegen den Arbeitnehmer aufgrund seiner Behinderung. In diesem Fall ist es dem Arbeitgeber gestattet, die Behinderung als unmittelbaren Anknüpfungspunkt für eine nachteilige Entscheidung zu nehmen; die Vornahme einer angemessenen Vorkehrung wird nicht geschuldet. Zu beachten ist, dass es sich hierbei nicht etwa um eine Rechtfertigungsmöglichkeit einer unmittelbaren Diskriminierung handelt, sondern um die Freistellung des Arbeitgebers von der Verantwortlichkeit für die fehlende formelle Vergleichbarkeit des behinderten Beschäftigten mit anderen Arbeitskollegen. Nach dem Richtlinientext ist der Arbeitgeber in dem Fall, dass er keine Vorkehrung nach Art. 5 RL schuldet, nicht zur Beibehaltung mittelbar benachteiligender Vorschriften, Kriterien oder Verfahren befugt. Eine derartige Diskriminierung ist nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) ii) RL nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber „verpflichtet ist", entsprechende Maßnahmen vorzunehmen.

2. Geschuldete Vorkehrung

wird erbracht

Erbringt der Arbeitnehmer die nach Art. 5 RL geschuldete Vorkehrung, wird eine eventuell damit einhergehende mittelbare Diskriminierung aufgrund der Behinderung gerechtfertigt, Art. 2 Abs. 2 lit. b ii) RL. 3 6 Dies gilt selbst dann, wenn die behinderten Beschäftigten durch sachlich nicht gerechtfertigte Vorschriften in besonderer Weise benachteiligt werden, sofern dies durch Vorkehrungen nach Art. 5 RL, § 81 Abs. 4 SGB IX aufgefangen wird.

B. Geltungsbereich des besonderen Diskriminierungsschutzes Der persönliche, gegenständliche und zeitliche Geltungsbereich des besonderen und allgemeinen Diskriminierungsschutzes sind in Teilbereichen deckungsgleich, in wichtigen Aspekten weichen sie jedoch voneinander ab. Allein jene Unterschiede beider Erscheinungsformen des Diskriminierungsschutzes sind

36

Zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung siehe auch im 4. Kapitel unter C.

246

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

Gegenstand der nachfolgenden Erörterung; im Übrigen gelten die im Rahmen des vierten Kapitels gemachten Ausführungen entsprechend.37

I. Persönlicher Geltungsbereich 7. Fehlende Vergleichbarkeit

als Anwendungsvoraussetzung

von Art. 5 RL

Einen Anspruch auf Vornahme angemessener Vorkehrungen haben nur jene Beschäftigten, die aufgrund ihrer Behinderung nicht zur Ausübung zumindest einer wesentlichen Arbeitsplatzfunktion imstande sind. In diesem zum Verständnis des Konzeptes angemessener Vorkehrungen grundlegenden Aspekt unterscheidet sich Art. 5 RL diametral von den allgemeinen Diskriminierungstatbeständen des Art. 2 RL. Während letztere aufgrund ihrer Fundierung im formellen Gleichheitsverständnis nur dann eingreifen, wenn ein ansonsten in allen tätigkeitsrelevanten Punkten vergleichbarer Beschäftigter allein wegen einer Behinderung benachteiligt wird, hat Anspruch auf die Vornahme einer angemessenen Vorkehrung nur derjenige Beschäftigte, der (1) aufgrund seiner Behinderung gerade nicht vergleichbar mit einem dritten Beschäftigten ist, aber (2) durch die Vornahme der Vorkehrung vergleichbar wird. 38 Nur behinderte Beschäftigte, die in die im dritten Kapitel vorgestellte zweite Gruppe der geschützten Personen fallen, profitieren damit von Art. 5 RL. 3 9

2. Beschränkung auf Beschäftigte mit einer tatsächlichen Behinderung Der Wortlaut von Art. 5 RL deutet auf eine weitere Besonderheit des persönlichen Geltungsbereichs angemessener Vorkehrungen hin: Entsprechende Maßnahmen sind nach S. 1 dieser Vorschrift zugunsten von „Menschen mit Behinderung" zu leisten, wohingegen die allgemeinen Diskriminierungstatbestände schlichtweg Schutz „wegen einer Behinderung" bieten (Art. 1, 2 Abs. 1 RL). Um diesem Unterschied im Wortlaut gerecht zu werden, wird man Klägern, die allein aufgrund ihrer Assoziierung mit behinderten Menschen in den Schutzbereich der allgemeinen Diskriminierungsverbote fallen 40, ein Recht auf Vornah-

37

Siehe dort unter A. I. bis III. Bzgl. der Vergleichbarkeit als Anwendungsvoraussetzung der allgemeinen Diskriminierungstatbestände, siehe die Ausführungen im 2. Kapitel unter B. Zur Heterogenität der geschützten Personengruppe vgl. überdies im 3. Kapitel unter B. 39 Näher im 3. Kapitel unter B. II. 40 Zum Schutz vor Benachteiligungen wegen der Assoziierung mit behinderten Menschen vgl. bereits im 3. Kapitel unter A. III. 3. c). 38

B. Geltungsbereich des besonderen Diskriminierungsschutzes

247

me von angemessenen Vorkehrungen versagen müssen.41 In der Mehrzahl der Fälle ist dieser Befund unmittelbar einleuchtend und wird zudem durch den Sinn und Zweck von Art. 5 RL gestützt. Erfahrt ein Beschäftigter eine Benachteilung etwa deshalb, weil sein Lebenspartner auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen ist oder unter Sprachstörungen leidet, dann hat dieses Verhalten je nach seiner Ausprägung als unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung bzw. Belästigung zu unterbleiben. Dem Interesse des Beschäftigten ist mit der bloßen Abstandnahme von der Anknüpfung an die Behinderung des dritten Menschen genüge getan, denn sie allein verkörperte das beschäftigungsspezifische Hindernis. Anders liegt dies in Fällen, in denen die Benachteiligung wegen einer Behinderung in der Vorenthaltung einer Leistung - im weitesten Sinne - liegt. Verlangt eine Beschäftigte beispielsweise die Modifizierung ihrer täglichen Arbeitszeit, um auf diese Weise besser für ihren behinderten Mann sorgen zu können und versagt der Arbeitgeber ihr dieses Begehren unter Hinweis auf das Fehlen einer Gleitzeitregelung im Betrieb, dann hilft ihr ein Verweis auf die allgemeinen Diskriminierungstatbestände im Regelfall nicht weiter. 42 Allein eine Ausnahme von dem Arbeitszeitsystem in Gestalt einer angemessenen Vorkehrung kann hier Abhilfe schaffen, der Wortlaut des Art. 5 S. 1 RL spricht jedoch dagegen, ihr diese zu gewähren. Rückhalt findet dieses Ergebnis in den Wertungen des deutschen Rechts, das außerhalb der Person des Arbeitnehmers liegenden Arbeitshindernissen nur beschränkten Tribut zollt. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 EFZG besteht beispielsweise nur bei Erkrankungen des Arbeitnehmers selbst, nicht aber, sofern sich dieser um kranke Angehörige zu kümmern hat. Gewisse Abhilfe schafft § 616 BGB, der den Vergütungsanspruch bei vorübergehender Verhinderung des zur Dienstleistung Verpflichteten aufrechterhält und insofern die Pflege naher Angehöriger als persönliches Leistungshindernis anerkennt.43 Allerdings ist auch dieser auf eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" beschränkt und damit eng gefasst. 44

41 Siehe dazu im 3. Kapitel unter A. III. 3. c) cc). Dies entspricht der Rechtslage nach dem ADA, vgl. See. 1630.8 der Interpretive Guidance on Title I. 42 Der Vorwurf einer unmittelbaren Diskriminierung wird schon an der fehlenden Anknüpfung an die Behinderung scheitern, eine eventuelle mittelbare Benachteiligung wird zumindest gerechtfertigt sein, wenn für die Einhaltung der Arbeitszeiten ein betriebliches Bedürfnis besteht. Mangels Würdeverletzung bzw. feindlichem Umfeldes fehlt es ebenso an einer Belästigung. 43 BAG, Urt. v. 20.6.1979 - 5 AZR 392/78, AP Nr. 51 zu § 616 BGB mit Anm. Herschel; ErfKIDörner § 616 BGB Rn. 13; Staudinger/tfefter § 616 Rn. 56 ff. 44 Grundlegend hierzu BAG, Großer Senat, Beschluss v. 18.12.1959 - GS 8/58, AP Nr. 22 zu § 616 BGB.

248

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

Selbst bei schwerwiegenden Umständen soll der Anspruch deshalb auf nur wenige Tage beschränkt sein.45

II. Gegenständlicher Geltungsbereich Der gegenständliche Geltungsbereich von Art. 5 RL erstreckt sich nach dem zweiten Satz dieser Vorschrift auf „den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen". Jeweils in die Pflicht genommen wird ebenso wie in §§ 81 Abs. 3, Abs. 4 S. 1 SGB I X allein „der Arbeitgeber". Im Verhältnis zu Art. 3 RL ist Art. 5 S. 2 RL damit lex specialis, so dass beispielsweise weder ein Recht auf Vornahme angemessener Vorkehrungen zur Ermöglichung der Mitgliedschaft und Mitwirkung in Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen (Art. 3 Abs. 1 lit. d) RL) besteht noch außerbetriebliche Berufsberatungsbzw. Aus- und Weiterbildungsträger verpflichtet werden.46 Nichts anderes folgt aus Art. 2 Abs. 2 lit. b) ii) RL. Zwar heißt es dort, dass „der Arbeitgeber oder jede Person oder Organisation auf die diese Richtlinie Anwendung findet" sich gegen den Vorwurf der mittelbaren Diskriminierung mit der Vornahme einer angemessenen Vorkehrung verteidigen kann, doch gilt dies nur, sofern „aufgrund des einzelstaatlichen Rechts" eine entsprechende Verpflichtung besteht. Die Ausdehnung des Geltungsbereichs von Art. 5 auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. d) genannten Organisationen ist folglich fakultativ. Trotz dieses im Vergleich zu den allgemeinen Diskriminierungstatbeständen eingeschränkten Geltungsbereichs bleibt das deutsche Recht in einigen wichtigen Punkten hinter den europäischen Vorgaben zurück. Auffallend ist zuvorderst, dass § 81 Abs. 4 SGB I X den vorvertraglichen Bereich völlig aus seinem Wirkungsbereich ausblendet. Unterstützung wird überhaupt nur gewährt bei der Beschäftigung" (Nr. 1), bei inner- sowie außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen (Nr. 2, 3), der Einrichtung der Arbeitsstätte (Nr. 4) sowie der Ausstattung des Arbeitsplatzes (Nr. 5). Ungeachtet der für den Moment zurück gestellten Bedenken an der materiellen Angemessenheit dieses Kataloges47, fehlt es damit an der Umsetzung angemessener Vorkehrungen für den Bereich des „ Z u g a n g s zur Beschäftigung" (Art. 5 S. 2 RL). Gerade im vorvertraglichen Bereich besteht aber ein besonderes Bedürfnis an entsprechenden Maßnahmen, insbesondere mit Blick auf Einstellungs- und Auswahltests.48 Keine Abhilfe ist insoweit

45

ErfK/Dörner § 616 BGB Rn. 15; StaudingerlOetker § 616 Rn. 97; aA BGH v. 6.4.1995, ZIP 1995, 1280 f.; Schaub/Linck § 97 Rn. 16; Schaub, AuA 1996, 82. 46 Im Ergebnis ebenso Whittle, 27 E.L. Rev. 303, 315 (2002). 47 Hierzu sogleich unter C. 48 Vgl. die Beispiele im 4. Kapitel unter A. II. 1. b).

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

249

von § 81 Abs. 3 SGB I X zu erwarten. Zwar ist diese Bestimmung weiter gefasst, weil sie dem Arbeitgeber generell aufgibt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass schwerbehinderte Menschen eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden. Allerdings ist diese Vorschrift überindividuell gefasst, d.h. sie knüpft nicht an ein einzelnes, sich anbahnendes Beschäftigungsverhältnis und die konkreten Bedürfnisse des jeweiligen Bewerbers an, sondern verpflichtet den Arbeitgeber allgemein zur behinderungsgerechten Einrichtung und Organisation des Betriebsablaufs, der Arbeitsplätze und sonstiger Betriebsvorrichtungen. 49 Bezugspunkt von § 81 Abs. 3 SGB I X ist mit anderen Worten der Betrieb als solcher und nicht der einzelne behinderte Beschäftigte. Zudem gilt diese Vorschrift lediglich für nach § 71 Abs. 1 S. 1 SGB I X beschäftigungspflichtige Arbeitgeber und nicht schlechthin für sämtliche Arbeitgeber wie Art. 5 RL dies fordert. 50 Eine Umsetzung der Vorgaben der Rahmenrichtlinie für den vorvertraglichen Bereich steht damit noch aus.

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes Der vor mehr als zweihundert Jahren von Johann Gottlieb Fichte artikulierte Gedanke, es sei Aufgabe der Technik, die Welt als Wohnung des Menschen einzurichten, scheint zu Beginn des 21. Jh. Eingang in die europäische Rechtssetzung gehalten haben: angemessene Vorkehrungen verlangen von einem Arbeitgeber, den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten.51 Im Gegensatz zum Metier des Philosophen, das es ihm gestattet, mit seinen Ideen im Abstrakten zu verharren, hat sich die Rechtsetzung um ein Mindestmaß an Konkretheit zu bemühen, damit ihre Normen für den Rechtsanwender handhabbar werden. Unglücklicherweise hält sich die Rahmenrichtlinie jedoch gerade in diesem neuen Bereich des europäischen Anti-Diskriminierungsrechts vornehm zurück. Anhand des Wortlauts von Art. 5 RL lässt sich kaum abschätzen, welche Anstrengungen ein Arbeitgeber im Einzelnen zur Einrichtung des Arbeitsplatzes für behinderte Beschäftigte zu unternehmen hat.

49

GK-SGB IX'Großmann, § 81 SGB IX Rn. 290; ErfK/Rolfs § 81 SGB IX Rn. 12. Im Wortlaut des § 81 Abs. 3 SGB IX kommt dies durch die Formulierung zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber wenigstens für „die vorgeschriebene Zahl" schwerbehinderter Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit findet. Eine entsprechende Einschränkung lässt die Rahmenrichtlinie nicht zu, vgl. 4. Kapitel unter A. I. 2. b). 51 So ausdrücklich der 20. Erwägungsgrund. 50

250

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

Nur auf den ersten Blick orientiert sich das Konzept der „angemessenen" Vorkehrungen eng am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der spätestens seit der Lommers-Entscheidung des EuGH seinen Einzug in die europäische Gleichbehandlungsdogmatik zu nehmen scheint.52 Der Leitbegriff der „angemessenen Vorkehrung" wird in Satz 2 von Art. 5 RL legal definiert als alle „geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen" innerhalb des bereits beschriebenen gegenständlichen Anwendungsbereichs, sofern diese den Arbeitgeber nicht „unverhältnismäßig belasten". Selbstständige Bedeutung scheint die »Angemessenheit" einer Vorkehrung nach dem Wortlaut des Art. 5 RL damit nicht zu haben.53 Ähnliches gilt für den Begriff der Erforderlichkeit, der nicht als Hinweis auf den Grundsatz des Interventionsminimums zu verstehen ist, wie die englische Version der Rahmenrichtlinie verdeutlicht. Im englischsprachigen Richtlinientext heißt es an der entsprechenden Stelle, eine Vorkehrung sei vorzunehmen, „where needed in a particular case" - die Notwendigkeit einer entsprechenden Maßnahme ist damit an den Umständen des Einzelfalls zu messen. Eine „angemessene Vorkehrung" ist demzufolge eine im konkreten Einzelfall geeignete, d.h. „wirksame und praktikable" Maßnahme54, sofern sie die Grenzen der unverhältnismäßigen Arbeitgeberbelastung nicht erreicht. Die Effektivität einer Maßnahme zur Beseitigung behinderungsspezifischer Beschäftigungshindernisse ist damit der grundlegende Maßstab zur Beurteilung der Reichweite angemessener Vorkehrungen. 55 Untersucht werden soll im Folgenden, ob ungeachtet dieses extrem weiten Wortlauts von Art. 5 RL Leitlinien zur Konkretisierung des Begriffs der „wirksamen und praktikablen" Maßnahme gewonnen werden können; der Maßstab der unverhältnismäßigen Arbeitgeberbelastung wäre in diesem Fall von der Verantwortung befreit, das einzige eingrenzende Merkmal des Konzepts angemessener Vorkehrungen zu sein. Zur Bewerkstelligung dieses Vorhabens wird neben den in Kapitel 2 gewonnenen Erkenntnissen zur Dogmatik des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf den Rechtsvergleich mit den USA, dem Ursprungsland dieses Rechtskonzepts, gesetzt. Wer sich von dem Blick über den Atlantik hinweg vorgefertigte, zur Übernahme bereitstehende Antworten auf die Fragen, die Art. 5 RL aufwirft, erwartet, wird allerdings enttäuscht. In der sachgerechten Bewältigung von Fällen angemessener Vorkehrungen wird vor allem im dortigen Schrifttum nach wie vor die große ungelöste Frage des ADA gesehen.56 Ganz anders im Bereich der Rechtsprechung: Die Gerichte geben sich wenig 52

EuGH, Urt. v. 19.3.2002 - Rs. C-476/99, Slg. 2002, 1-2891 (Lommers) mit Anm. Uder , EzA RL 207/76 EGV 1999 Nr. 4. 53 Ebenso Wells , 32 I U 253, 264 (2003). 54 Der Begriff der Geeignetheit ist im 20. Erwägungsgrund definiert. 55 Wells, 32 I U 253, 264 (2003). 56 Vgl. nur Schwab/Willborn , 44 Wm and Mary L. Rev. 1197, 1201 (2003); Kar lan/Rutherglen, 46 Duke L. J. 1, 8 (1996).

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

251

bekümmert um der mangelnden Herausbildung allgemein gültiger Prinzipien und lösen diese Fälle unbeirrt stark einzelfallbezogen. Trotzdem haben sich im Laufe der letzten 12 Jahre einige Fallkonstellationen als besonders problemträchtig herauskristallisiert, die alsbald den europäischen Rechtsanwender ebenso beschäftigen dürften.

I. Beschränkung der Förderung auf wesentliche Arbeitsplatzfunktionen Eine erste Interpretationshilfe für Art. 5 RL lässt sich aus dem Zweck dieser Vorschrift gewinnen: Geschuldet werden nur solche Vorkehrungen, die formelle Vergleichbarkeit der Beschäftigten gerade im Hinblick auf die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen herzustellen.57 Maßnahmen, die einen behinderten Beschäftigten die Ausübung sonstiger Arbeitsplatzfunktionen ermöglichen, braucht der Arbeitgeber dagegen nicht vorzunehmen. Die Abgrenzung zwischen wesentlichen und sonstigen Arbeitsplatzfunktionen nimmt auf dieser Ebene damit eine zentrale Rolle ein. 58 Darauf, dass eine Vorkehrung einem Beschäftigten die Ausübung der Arbeit als solche erleichtern oder sogar erst ermöglichen würde, kommt es dagegen nicht an. Schwierigkeiten können Fälle verursachen, in denen das Versagen einer Vorkehrung zugunsten einer sonstigen Funktion sich mittelbar auf die Fähigkeit zur Ableistung einer wesentlichen Arbeitsplatzfunktion auswirkt. In Harmer v. Virginia Elec. & Power Co. beispielsweise versagte das Gericht einem lungenkranken Arbeitnehmer sein Begehren nach Durchsetzung eines Rauchverbots in seiner Arbeitsumgebung, obwohl er den medizinischen Beweis dafür erbrachte, dass der Zigarettenrauch seine Atemwegserkrankung verschlimmerte. 59 Tragendes Argument war die Erwägung, dass der Arbeitnehmer die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen auch ohne Rauchverbot durchführen konnte.60 Dies ist zugegebenermaßen recht formalistisch argumentiert: Gibt man dem Arbeitnehmer auf, mit seiner Klage solange zu warten bis seine Gesundheit sich derart verschlechtert hat, dass er wesentliche Arbeitsplatzfunktionen nicht mehr ausüben kann, hat er nicht nur sein Wohlbefinden, sondern auch seinen Arbeitsplatz verloren. Ein Arbeitnehmer, der zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen nicht (mehr) in der Lage ist, kann sich auf den Diskriminierungsschutz nämlich nicht berufen. Nichtsdestotrotz sollte man überlegen, ob das Konzept angemessener Vorkehrungen tatsächlich zum Auffangbecken sämtlicher Versäumnisse einer Arbeitsrechtsordnung erkoren werden sollte; zumindest für das

57 58 59 60

Zum Zweck der angemessenen Vorkehrungen oben unter A. Hierzu im 2. Kapitel unter B. II. 831 F. Supp. 1300 (E.D. Va. 1993). Siehe dort auf S. 1307.

252

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

Anliegen einer möglichst präzisen Fassung des Art. 5 RL ist damit jedenfalls nichts gewonnen. Näher liegt es, Fälle wie den vorliegenden über das Arbeitsschutzrecht zu lösen.61 Gehen vom Passivrauchen konkrete Gesundheitsgefahren aus, verspricht im Einzelfall § 3a Abs. 1 ArbStättV Abhilfe. 62 Der Arbeitgeber hat danach die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nichtrauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind. Darüber hinaus kann § 618 Abs. 1 BGB den Dienstberechtigten beim Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen verpflichten. 63 Die Anwendung von Art. 5 RL wird man deshalb auf jene Fälle beschränken können, in denen die Fähigkeit der Ableistung einer wesentlichen Arbeitsplatzfunktion unmittelbar in Frage steht.

II. Beschränkung auf behinderungsspezifische Hindernisse Angemessene Vorkehrungen sind nur zugunsten von behinderten, nicht aber zugunsten aller übrigen Beschäftigten vorzunehmen. Aus diesem Grund könnten auf die Überwindung der fehlenden Vergleichbarkeit abzielende Maßnahmen auf die Beseitigung von behinderungsspezifischen Hindernissen beschränkt sein. Solche Barrieren, die hingegen für alle Beschäftigten unabhängig einer Behinderung bestehen, wären dann nicht vom Tatbestand des Art. 5 RL erfasst, weil auch ein behinderter Beschäftigter sie ungeachtet seiner Schädigung prinzipiell erfüllen kann. Die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen würde nach dieser Ansicht zunächst die Beseitigung von physischen Barrieren umfassen, d.h. etwa die Zugänglichkeit der Betriebsstätten für Rollstuhlfahrer oder die Bereitstellung eines Podestes für einen kleinwüchsigen Arbeitnehmer wären zu gewährleisten. Aber auch sonstige Hindernisse wären erfasst, solange sie lediglich allein aufgrund der Behinderung bestehen. Denkbar ist beispielsweise, einem Beschäftigten mit einer Sehstörung zusätzliche Zeit für die Absolvierung eines schriftlichen Einstellungstests zu gewähren. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 5 RL lägen vor allem 61 Vgl. insb. die RL 89/654/EWG des Rates v. 30.11.1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten, ABl. Nr. L 393 v. 30.12.1989 S. 1 sowie die RL 89/391/EWG des Rates v. 12.6.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, ABl. Nr. L 183 v. 29.6.1989 S. 1. Für weitere Nachweise zum europäischen Arbeitsschutzrecht vgl. nur StaudingerlOetker § 618 Rn. 40-58. 62 Im Zuge der geplanten Novellierung der Arbeitsstättenverordnung hat das Bundeskabinett am 2.9.2003 den Entwurf einer Verordnung zur Novellierung der Verordnung über Arbeitstätten beschlossen. Die Regelung des § 3a Abs. 1 ArbStättV wird darin unverändert in § 5 Abs. 1 ArbStättV übernommen. 63 BAG, Urt. v. 17.2.1998 - 9 AZR 84/97, AP Nr. 26 zu § 618 BGB; LAG München v. 27.11.1990, NZA 1991, 521. Allg. zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz vgl. aus jüngerer Zeit Cosack , DB 1999, 1450; Künzel, ZTR 1999, 531.

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

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jene Maßnahmen, die eine Ausnahme von einem Senioritätssystem oder vergleichbaren, behinderungsneutralen Arbeitgeberregelung erforderten. Werden etwa betriebsinterne Versetzungen vom Außen- in den Innendienst bei einer freien Stelle jeweils dem Arbeitnehmer mit der längsten Betriebszugehörigkeit gewährt, könnte ein behinderter Beschäftigter keine Ausnahme von diesem Verteilungssystem als Vorkehrung gem. Art. 5 RL verlangen, es sei denn, die Behinderung würde ihn ausnahmsweise die Erreichung der notwendigen Seniorität unmöglich machen. In den USA wurde diese Leseart des Konzepts angemessener Vorkehrungen jüngst von Justice Scalia in seinem Sondervotum zu der Entscheidung U.S. Airways v. Barnett artikuliert. 64 Dort ging es um die Frage, ob Barnett auf seinem bisherigen Arbeitsplatz als „angemessene Vorkehrung" selbst dann verbleiben durfte, wenn andere Arbeitnehmer aufgrund ihres höheren Dienstalters und einer entsprechenden Vereinbarung mit U.S. Airways ein Vorrecht auf diese Stelle hatten. Nach Scalias Auffassung war dieses Begehren schon deshalb zu verneinen, weil das in Frage stehende Senioritätssystem kein behinderungsspezifisches Hindernis darstelle. Argumentativ konnte diese These auf den Wortlaut des ADA gestützt werden. Dieser verbietet nicht die Diskriminierung gegen behinderte Beschäftigte generell, sondern - was Scalia betont - nur die Diskriminierung „wegen der Behinderung eines solchen Individuums".65 Angemessene Vorkehrungen müssen überdies nur hinsichtlich „der bekannten physischen oder mentalen Einschränkungen" eines behinderten Beschäftigten vorgenommen werden.66 Die Bereitstellung einer nicht behinderungsspezifischen Maßnahme wäre folglich eine Vorkehrung zugunsten des behinderten Beschäftigten selbst, nicht aber seiner Behinderung. Der Wortlaut der Rahmenrichtlinie lässt eine vergleichbare Interpretation der Verpflichtung zur Vornahme angemessener Vorkehrungen als fernliegend erscheinen. Im Gegensatz zum U.S.-amerikanischen Recht setzt diese gerade nicht bei der Behinderung an, sondern gibt dem Arbeitgeber auf, „den Arbeitsplatz" als solchen der Behinderung entsprechend einzurichten.67 Was zählt, ist die Effektivität der Maßnahme zur Herstellung der formellen Vergleichbarkeit, nicht aber, ob sie gerade ein Hindernis beseitigt, das einzig und allein wegen der Behinderung besteht. Art. 5 S. 1 und 2 RL bestätigen dies. Maßgebliches Kriterium ist danach, ob eine Vorkehrung zur Gewährleistung der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erforderlich ist. Die Notwendigkeit, die Anwendung des unmittelbaren bzw. mittelbaren Diskriminierungsverbots nach Art. 2 Abs. 2 RL zu gewährleisten, besteht jedoch unabhängig davon, ob die 64 65 66 67

535 U.S. 391,412 (2002). Näher zu dieser Entscheidung unten C. IV. 2. Siehe a.a.O. unter Hinweis auf 42 U.S.C. § 12112 (a) (1994). Siehe dort auf S. 412-413 unter Hinweis auf 42 U.S.C. § 12112 (b) (5) (A) (1994). Vgl. den 20. Erwägungsgrund.

254

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

fehlende Vergleichbarkeit aufgrund eines behinderungsspezifischen oder sonstigen Hindernisses fehlt. Die Unterscheidung zwischen behinderungsspezifischen und sonstigen Barrieren verspricht damit zwar eine klare Abgrenzungslinie in den Tatbestand der angemessenen Vorkehrungen einzufügen, dem Konzept der Rahmenrichtlinie entspricht sie aber nicht.

III. Modifikation des Anwendungsprofils Das Konzept angemessener Vorkehrungen wird auf der Ebene des Tatbestands durch einen weiteren Umstand gekennzeichnet, der zur Bestimmung seiner Reichweite fruchtbar gemacht werden kann: Maßnahmen nach Art. 5 RL lassen sich nur dann stimmig in das Gesamtsystem des Diskriminierungsschutzes einsortieren, wenn man erkennt, dass diese Maßnahmen nicht eine Modifikation des Anforderungsprofiis der Arbeitsstelle zum Ziel haben, sondern den Beschäftigten dazu befähigen sollen, die unverändert bestehen bleibenden wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen auszuüben. Dies bedeutet nicht nur, dass ein Arbeitgeber nicht zum Verzicht auf eine wesentliche Arbeitsplatzfunktion der in Frage stehenden Stelle gezwungen werden kann, sondern umgekehrt auch nicht freiwillig auf die Ausübung einer solchen Funktion verzichten darf, wenn er ebenso gut ihre Ausübung dem behinderten Beschäftigten durch die Vornahme einer angemessenen Vorkehrung ermöglichen könnte. Für das deutsche Recht lässt sich dieses Ergebnis durch § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB I X absichern, wonach ein Arbeitgeber einen schwerbehinderten Beschäftigten nicht nur tatsächlich zu beschäftigten hat, sondern dies in einer Weise tun muss, bei der der Beschäftigte seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann.68 Mit der Abwertung des ausgeschriebenen Arbeitsplatzes braucht sich ein behinderter Beschäftigter damit nicht zu begnügen. Neben einem negativen Effekt auf das Selbstwertgefühl dieser Arbeitnehmer wäre damit auch für die Förderung der Beschäftigung dieser Menschen nichts gewonnen, da sich überkommene Vorurteile über ihre Leistungsfähigkeit durch die Zuweisung von ihren Fähigkeiten nicht entsprechender Beschäftigung nicht vermindern, sondern im Gegenteil zu verfestigen drohen. Untermauert wird die Richtigkeit dieser These aus anti-diskriminierungsrechtlicher Sicht durch den Sinn und Zweck von Art. 5 RL. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Ist etwa das Bewegen von Ware eine wesentliche Voraussetzung der in Frage stehenden Arbeitsstelle und wird diese bislang in 15 kg schweren Kisten verpackt, können beispielsweise das Gewähren einer Tragehilfe oder die Verteilung des Gewichts auf mehrere Kisten eine angemessene Vorkehrung zugunsten eines Beschäftigten mit einem Rückenleiden darstellen. Der 68

Vgl. hierzu auch BAG, Urt. v. 9.8.1984 - 2 AZR 374/83, BB 1985, 399.

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

255

arbeitgeberseitige Verzicht auf die Ausübung dieser Funktion ist dies hingegen nicht, weil diese Maßnahme zu einer Änderung des Stellenprofils in Hinblick auf die wesentlichen Arbeitsfunktionen führen würde und damit nicht die Herstellung der Vergleichbarkeit des Beschäftigten mit einem Mitbewerber auf dieselbe Stelle bewirkt. Aus dem Blickwinkel des Diskriminierungsschutzes wäre der behinderte Beschäftigte damit schutzlos gestellt: Hat der Arbeitgeber die Wahl zwischen einem Arbeitnehmer, der alle wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes ausüben kann und einem anderen, der dazu wegen einer Behinderung nicht im Stande ist, kann der Arbeitgeber den zuerst genannten Arbeitnehmer vorziehen, ohne sich dem Vorwurf unerlaubter Diskriminierung aussetzen zu müssen. Ganz anders löst sich dieser Fall, wenn die Wahl zwischen einem Arbeitnehmer besteht, der die 15 kg schweren Kisten von vornherein zu bewegen vermag und einer Person, die dazu erst nach Umverteilung des Gewichts auf drei 5 kg schwere Kisten in der Lage ist. Nunmehr sind beide Arbeitnehmer vergleichbar iSd. formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes, womit die Nichteinstellung der letzteren Person unter Hinweis auf die Notwendigkeit zur Umverteilung der Ware einen Fall der „verdeckten" unmittelbaren Diskriminierung darstellt.

IV. Erlaubt Art 5 RL eine bevorzugte Behandlung von „Menschen mit Behinderung"? Angemessene Vorkehrungen nach Maßgabe von Art. 5 RL erfordern zumindest eine unterschiedliche Behandlung jener Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer Behinderung nicht zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen in der Lage sind, denn nur diese Beschäftigten haben einen Anspruch auf Vornahme entsprechender Maßnahmen.69 Mit dieser unstreitigen Feststellung ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob und gegebenenfalls bis zu welchem Grade angemessene Vorkehrungen zu einer bevorzugten Behandlung behinderter Arbeitnehmer verpflichten. Auf den ersten Blick mag diese Feststellung überraschen: Ist es nicht offenkundig, dass das Konzept angemessener Vorkehrungen eine bevorzugte Behandlung behinderter Arbeitnehmer allein deshalb verlangt, weil derartige Vorkehrungen nur für behinderte Arbeitnehmer, nicht aber für andere Arbeitnehmergruppen bereit zu stellen sind? Dass dem nicht so sein muss, zeigt der britische Disabilty Discrimination Act. Im Rahmen seiner Regelung über angemessene Vorkehrungen 70 bestimmt das Gesetz ausdrücklich, dass ein Arbeitgeber durch diese Vorschriften nicht verpflichtet wird, eine behinder69 Zur Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen behinderter Arbeitnehmer vgl. im 3. Kapitel unter B. 70 Genauer spricht das Gesetz von „adjustments", die ihrerseits „reasonable" sein müssen, vgl. DDA 1995, s 6.

256

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

te Person „mehr zu bevorzugen" als er andere Personen behandelt oder behandeln würde.71 Bereits diese Formulierung legt nahe, dass eine unterschiedliche Behandlung nicht notwendigerweise eine bevorzugte zu sein braucht. Aus zwei Gründen ist es unerlässlich, darüber Klarheit zu erlangen, ob bzw. inwieweit angemessene Vorkehrungen nach der Konzeption der Rahmenrichtlinie zur bevorzugten Behandlung behinderter Beschäftigter zwingen bzw. diese zumindest ermöglichen. Zum einen wird mit der Gewährung von Vorzügen immer wieder die Vornahme sog. affirmative action verbunden.72 Solche Maßnahmen sind in Europa unzulässig73 und in den USA nur unter einschränkenden Voraussetzungen möglich.74 Zum anderen wird die Frage einer möglichen Bevorzugung dann relevant, wenn eine Maßnahme nach Art. 5 RL nicht nur Arbeitgeberinteressen belastet, sondern in den Rechtskreis anderer Beschäftigter übergreift.

7. Die affirmative

action Debatte

In den USA rücken Verfechter einer restriktiven Auslegung des ADA gerne ein Argument in den Mittelpunkt: Die Vornahme angemessener Vorkehrungen sei keine Form von affirmative action.75 Eine Bevorzugung behinderter Arbeitnehmer sei folglich nicht mit dem ADA zu vereinbaren. Aus europäischer Perspektive überrascht dieser Einwand nicht: Von Beginn der Debatte um die Zulässigkeit positiver Fördermaßnahmen nach der Gleichbehandlungsrichtlinie an wurde versucht, ihre Legitimität unter Hinweis auf den zweifelhaften Gerechtigkeitsgehalt von affirmative action in Frage zu stellen.76 Umso bemerkenswer-

71

DDA 1995, s 6(7). Zum Begriff der affirmative action vgl. aus dem deutschen Schrifttum Schlachter, Gleichberechtigung, S. 244 ff. und S. 345 ff.; Suerbaum, Der Staat 28 (1989), 419. 73 Der Begriff der positiven Maßnahme bzw. positiven Diskriminierung ist nicht deckungsgleich mit dem der affirmative action. Vgl. nur Teles , 41 Am. Behav. Sei. 1004 (1998). 74 Siehe Gruner v. Bollinger, 123 S. Ct. 2325 (2003). 75 EEOC v. Humiston-Keeling, Inc., 227 F.3d 1024, 1028 (7 lh Cir. 2000); Connolly v. Bidermann Indus. U.S.A., Inc., 56 F. Supp. 2d 360, 365 (S.D.N.Y. 1999). Andere Spruchkörper scheinen dagegen eher in die andere Richtung zu tendieren, siehe Davoll v. Webb, 194 F.3d 1116, 1137 Fn. 14 (10th Cir. 1999) (der Gebrauch des Begriffs affirmative action ist im Zusammenhang mit der behinderungsspezifischen Benachteiligung „missverständlich", denn angemessene Vorkehrungen verlangen einen „affirmative act on the part of the employer"); Woodman v. Runyon, 132 F.3d 1330, 1339 Fn. 8 (10th Cir. 1997) (Sec. 501 des Rehabilitation Act legt dem Arbeitgeber „affirmative action duties" auf); Juvelis by Juvelis v. Snider, 68 F.3d 648, 653 (3 rd Cir. 1995) (angemessene Vorkehrungen verlangen „some affirmative steps" des Arbeitgebers). 76 Vgl. die Ausführungen von Generalanwalt Tesauro v. 6.4.1995 in der KaiankeEntscheidung des EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93, Slg. 1995, 1-3051. Siehe 72

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

257

ter ist es, dass diese Kritik am ADA vergleichsweise junger Natur ist. Obwohl affirmative action in den Vereinigten Staaten oftmals als „überaus unbeliebt" bezeichnet wird 77 und seine Zulässigkeit die Gerichte fortlaufend beschäftigt 78, blieb diese Debatte lange Zeit ohne Auswirkung auf den ADA. Im Gegenteil, das Konzept angemessener Vorkehrungen blieb trotz seiner Verabschiedung zu einer Zeit als affirmative action zusehends in die Kritik geriet aufgrund seines „anerkannten Gerechtigkeitsgehalts" über lange Zeit weitestgehend unkontrovers. 79 Erst in jüngerer Zeit hat die Rhetorik aus der affirmative action Debatte Einzug in gerichtliche Entscheidungen zum ADA gehalten und wurde als Argument dafür verwandt, den Anwendungsbereich dieses Gesetzes zu beschränken.80 Bisweilen wird der ADA gar als „the most radical affirmative action program in the nation's history" tituliert. 81 Dass eine vergleichbare Argumentation mit Umsetzung der Rahmenrichtlinie in Europa Einzug hält, ist vor dem Hintergrund der zur Entwicklung positiver Fördermaßnahmen gemachten Erfahrungen so unwahrscheinlich nicht.82 Um eine solche Entwicklung tunlichst zu vermeiden, werden im Folgenden einige Gedanken zur Beziehung von affirmative action und angemessenen Vorkehrungen artikuliert. Dabei wird deutlich werden, dass beide Konzepte verschiedene Berührungspunkte teilen, letztlich aber distinkt voneinander zu behandeln sind.

a) Affirmative action als U.S.- amerikanisches Rechtskonzept Affirmative action ist ein U.S.-amerikanisches Rechtskonzept83, der EuGH selbst nimmt diesen Begriff nicht in Gebrauch. Verwendung findet dieser Terminus dagegen wiederholt - in unterschiedlichen Zusammenhängen - in den Schlussanträgen der Generalanwälte. In der Rechtssache Delauche 84 beispielsweise, die die Klage einer Kommissionsbeamtin gegen die Beförderung eines -

auch die ausdrückliche Regelung im englischen Disability Discrimination Act, DDA 1995, s 6 (7). 77 Schuck, 20 Yale L. & Pol'y Rev. 1, 2 (2002). 78 Aus jüngster Zeit vgl. nur die viel Aufsehen erregende Entscheidung des Supreme Court in Gruner v. Bollinger, 123 S, Ct. 2325 (2003). 79 Levitsky, 18 Law & Ineq. 85 (1999); Long, 77 Or. L. Rev. 1337, 1344 (1998). 80 Befort/Donesky, 57 Wash. & Lee. L. Rev. 1045, 1048-1049 (2000). 81 Lawrence/Matsuda, Affirmative Action, S. 108; Levitsky, 18 Law & Ineq. 85, 85 (1999). In diese Richtung tendieren auch Tung Yin , 17 Lab. Law. 107, 113 (2001); Davis, 107 Dick. L. Rev. 503, 507 (2003). 82 Whittle, 27 E.L. Rev. 303, 313 (2002). 83 Vgl. grundlegend United Steelworkers of America v. Weber, 443 U.S. 193 (1979); Johnson v. Transportation Agency, 480 U.S. 616 (1986). 84 EuGH, Urt. v. 16.12.1987 - Rs. C-l 11/86, Slg. 1987, S. 5345.

258

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

nach ihrem Sachvortrag gleich qualifizierten - männlichen Mitbewerbers um eine höher gruppierte Stelle zum Gegenstand hatte, anerkennt Generalanwalt Darmon zwar das Bedürfnis, „eine positive Aktion - eine »affirmative action4 zugunsten der Frauen zu unternehmen", spricht sich zugleich aber gegen die „Proklamation eines Prioritätsrechts" aus:, Jede spezifische Maßnahme zugunsten einer Minderheitsgruppe würde den Grundsatz der formalen Gleichheit verletzen".85 Unantastbar sei dieser Grundsatz nicht, doch fehle es an einer entsprechenden Vorschrift. 86 Jene meint Darmon zwei Jahre später in Art. 2 Abs. 3 der Gleichbehandlungsrichtlinie zu erkennen.87 In den verbundenen Schlussanträgen zur den Rechtssachen Dekker 88 und Handels- OG Kontorfunktionaerernes ForburuP verkündet der Generalanwalt, unter diese Vorschrift fallen „insbesondere ... Maßnahmen, die im amerikanischen Recht unter der Bezeichnung „affirmative action" bekannt sind."90 Richtigerweise ist jedoch zwischen positiven Fördermaßnahmen europäischer Machart und U.S.-amerikanischem affirmative action zu unterscheiden.91 Während erstere eine Bevorzugung eines Beschäftigten nur bei gleicher Qualifikation zulassen92, ist eine affirmative action auch zugunsten minder qualifizierter Beschäftigter möglich. Der Schwerpunkt der Analyse liegt bei freiwillig ergriffenen affirmative action Plänen demzufolge allein darauf, ob diese „patterns of discrimination" beseitigen, nur vorübergehender Natur sind, sowie die Rechte nicht bevorzugter Arbeitnehmer nicht unnötig beschneiden.93 An letzterer Voraussetzung soll es fehlen, wenn die Entlassung von Arbeitnehmern angeordnet wird, um auf diese Weise Angehörigen einer Minderheitsgruppe die Beschäftigung zu ermöglichen oder der berufliche

85

A.a.O. in Rz. 14. A.a.O. in Rz. 14, 15. 87 Die Bestimmung lautet: „Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen." 88 EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 177/88, Slg. 1990,1-3941. 89 EuGH, Urt. v. 8.11.1990 - Rs. 179/88, Slg. 1990,1-3979. 90 A.a.O. in Rz. 26. 91 Anders aber Kocher, RdA 2002, 167, 169. 92 Vgl. hierzu ausf. im 6. Kapitel unter C. 93 United Steelworkers of America v. Weber , 443 U.S. 193, 208 (1979); Johnson v. Transportation Agency , 480 U.S. 616, 639 (1986). Der im Rahmen dieser Arbeit Verwendung findende Begriff der affirmative action ist aus dem Kontext des Arbeitsrechts entnommen und dort auf freiwillig durch den Arbeitgeber vorgenommene Maßnahmen beschränkt. Title VII lässt darüber hinaus auch durch ein Gericht zwangsweise angeordnete affirmative action Maßnahmen zu, um einer Verletzung dieses Gesetzes zu begegnen, siehe 42 U.S.C. 2000e-5 (g) (1) (2004). Diese sind jedoch an strengere Voraussetzungen gebunden, vgl. Wygant v. Jackson Board of Education , 476 U.S. 267, 274 (1986); Local 28 of Sheet Metal Workers International Association v. EEOC, 478 U.S. 421, 476 (1986). Für eine weiterreichende Diskussion der affirmative action auch in anderen Zusammenhängen siehe Deborah C. Malamud , 95 Mich. L. Rev. 1668, 16911694(1997). 86

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

259

Aufstieg von nicht bevorzugten Arbeitnehmern dauerhaft ausgeschlossen wird. 94

b) Zur Dichotomie von angemessenen Vorkehrungen und affirmative action Bereits aus den vorgenannten Ausführungen folgen die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten von affirmative action und angemessenen Vorkehrungen. Beide Konzepte - für angemessene Vorkehrungen soll dies für den Moment unterstellt werden - verpflichten innerhalb gewisser Parameter zur bevorzugten Behandlung bestimmter Individuen. Zumindest aber geben sie einem Arbeitgeber die Vornahme von Maßnahmen zugunsten Angehöriger einer geschützten Personengruppe auf, die dieser für Nichtmerkmalsträger nicht zu erbringen braucht95 und entstammen damit der gemeinsamen Grundüberlegung, dass - mit den Worten von Justice Blackmun gesprochen - einige Personen nur dann gleich behandelt werden, wenn sie unterschiedlich behandelt werden. 96 Im Gegensatz zu positiven Maßnahmen machen sie dabei die prinzipielle Gleichwertigkeit der Qualifikation von dem bevorzugten und übergangenen Beschäftigten nicht zur Förderungsvoraussetzung. Bei genauem Hinsehen enden die Gemeinsamkeiten in diesem Punkt jedoch.97 Am bedeutsamsten für die hier referierte Debatte über die Zulässigkeit von Beförderungen im Diskriminierungsschutz wegen einer Behinderung ist der Umstand, dass angemessene Vorkehrungen das Meritokratieprinzip 98 im Gegensatz zu affirmative action nicht verletzen. Letztere Maßnahmen führen nicht selten zur Gewährung von Vorteilen im Erwerbsleben zugunsten minder qualifizierter Beschäftigter. Wird aber der vermeintlich besser qualifizierte Arbeitnehmer nicht eingestellt, befördert oder auf andere Weise nicht seiner höheren Leistungsfähigkeit entsprechend behandelt, sorgt gerade dieser Umstand für Missfallen. Schnell und verbreitet werden derartige Vorzüge als „unfair" angesehen und aus diesem Grunde mitunter selbst von Angehörigen der bevorzugten Minderheitsgruppen abgelehnt.99 Dieses Unbehagen tritt zutage, wenn Gerichte sich gegen Vorzüge im Rahmen angemessener Vorkehrungen unter Hinweis auf die Unzulässigkeit von affirmative action aussprechen.

94

United Steelworkers of America v. Weber, 443 U.S. 193, 208 (1979). Vgl. in diese Richtung auch Davis, 107 Dick. L. Rev. 503, 507 (2003). 96 Regents of the University of California v. Bakke, 438 U.S. 265, 407 (1978). 97 Zu weiteren, im gegebenen Kontext nicht unmittelbar relevanten Berührungspunkten vgl. Cooper , 139 U. Pa. L. Rev. 1423, 1431-1432 (1991); Travis , 78 N.C.L. Rev. 901,961 (2000). 98 Vgl. hierzu auch im 2. Kapitel unter A. II. 1. a) cc). 99 Vgl. etwa NY Times v. 27.6.2001, Section A, S. 20. 95

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

260

Angemessene Vorkehrungen können gleich „affirmative action" die Vornahme einer Bevorzugung eines minder qualifizierten Beschäftigten aussprechen. Das Ergebnis ist allerdings ein anderes: Während im letzten Fall der bevorzugte Arbeitnehmer schlechter qualifiziert bleibt, ist der behinderte Beschäftigte nach der Vornahme der angemessenen Vorkehrung zumindest gleich qualifiziert - der Grundsatz der leistungsgerechten Auslese wird damit nicht verletzt. Dies ergibt sich aus dem Zweck angemessener Vorkehrungen, die nach der hier vertretenen Ansicht nur zur Herstellung der formellen Vergleichbarkeit zwischen einem behinderten und einem nicht behinderten Beschäftigten vorzunehmen sind. Gereicht die Maßnahme nicht zur Herstellung dieser Vergleichbarkeit und damit der gleichen Qualifikation beider Arbeitnehmer, wird sie nach Art. 5 RL nicht geschuldet. Erfüllt sie dagegen dieses Ziel, bekommt im Ergebnis ein gleich oder besser qualifizierter Beschäftigter die Arbeitsstelle, nie aber ein minder qualifizierter, wie dies bei der affirmative action der Fall sein kann. Festzuhalten bleibt damit, dass im Rahmen von Art. 5 RL im Einzelfall gewährte Vorzüge keine Form der affirmative action nach U.S.-amerikanischem Vorbild sind und einem behinderten Beschäftigten damit nicht unter Hinweis auf diese Rechtsfigur vorenthalten werden können.

2. Angemessene Vorkehrungen im Spannungsfeld der Interessen dritter Arbeitnehmer a) Rechtsprechung des U.S. Supreme Court Zum Katalog möglicher angemessener Vorkehrungen zählt der ADA die Versetzung auf einen anderen, freien Arbeitplatz. 100 Mit dem Konflikt zwischen dem Interesse eines behinderten Arbeitnehmers auf Zuweisung eines solchen Arbeitsplatzes und den Interessen anderer Arbeitnehmer, die nach den internen Regeln des Arbeitgebers die Zuweisung auf diese Stelle beanspruchen können, hatte sich der Supreme Court erstmals in U.S. Airways , Inc. v. Barnett eingehend auseinanderzusetzen.101

aa) Sachverhalt Der Fall hatte die Klage des Arbeitnehmers Barnett zum Gegenstand, welcher, angestellt bei U.S. Airways im Bereich der Frachtabfertigung, während der Arbeit eine Rückenverletzung erlitt. Diese Verletzung ließ Barnett die Fort100 101

42 U.S.C. § 12111 (9) (B) (2004). 122 S. Ct. 1516(2002).

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

261

Setzung seiner bisherigen Tätigkeit unmöglich werden. Infolgedessen versetzte ihn U.S. Airways mit seinem Einverständnis auf einen körperlich weniger anspruchsvollen Arbeitsplatz in der Poststelle. Diese Position fiel in den Geltungsbereich eines von U.S. Airways implementierten Senioritätssystems, das es Arbeitnehmern in gewissen Zeitabschnitten ermöglichte, sich auf bestimmte Arbeitsplätze betriebsintern zu bewerben und Arbeitnehmer mit geringem Dienstalter von diesen Stellen zu verdrängen. In der Folgezeit erfuhr Barnett, dass zwei andere Arbeitnehmer mit höherem Dienstalter Interesse für seine Arbeitsstelle zeigten. Er bat U.S. Airways deshalb als eine angemessene Vorkehrung nach dem ADA eine Ausnahme von seinen Senioritätssystem zu machen, um ihm so seinen Arbeitsplatz zu erhalten. U.S. Airways hingegen versagte Barnett seinen Wunsch und begründete seine Ablehnung in dem folgenden Prozess mit dem Argument, dass der ADA zwar „Gleichbehandlung" nicht aber die bevorzugte Behandlung von behinderten Arbeitnehmern verlange. 102

bb) Zum Begriff der Bevorzugung Im Ergebnis zu Recht versagte der Supreme Court dieser Argumentation in einem knappen 5:4 Votum die Gefolgschaft. Das Gericht bescheinigte U.S. Airways zwar, dass sein Einwand „linguistisch logisch" sei, betonte aber zugleich die Notwendigkeit einer bevorzugten Behandlung behinderter Arbeitnehmer, um das Ziel des ADA - die Herstellung von Chancengleichheit am Arbeitsplatz - zu erreichen. 103 Anstatt diesen Gedanken näher auszuführen, lässt sich die von Justice Breyer verfasste Urteilsbegründung unglücklicherweise vorschnell zu der apodiktischen Aussage hinreißen, dass ,jede besondere Vorkehrung per definitionem den Arbeitgeber zu einer unterschiedlichen, d.h. bevorzugten, Behandlung eines behinderten Arbeitnehmers verpflichtet." Diese Gleichsetzung von „unterschiedlich" mit „bevorzugt" setzt bereits ein bestimmtes Verständnis einer bevorzugten Behandlung voraus, dessen Gültigkeit im Kontext des ADA keinesfalls so offensichtlich ist, wie das Gericht dem Leser Glauben machen möchte. Nicht zuletzt angesichts der großen Brisanz dieses Themas wäre eine eingehendere Beschäftigung mit diesem verbreitet anzutreffenden Einwand durch die Mehrheit wünschenswert gewesen. Zum Zwecke des besseren Verständnisses der Rahmenrichtlinie soll dieses Versäumnis hier nachgeholt werden. Der Supreme Court unterlässt es zu betonen, dass der Ausdruck „bevorzugt" ein relationaler Begriff ist. Webster's Dictionary beispielsweise definiert B e vorzugung" als „das Einräumen von Vorteilen für einige über andere Personen." 102 103

Siehe dort auf S. 1520-1521. Siehe dort auf S. 1521.

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

262

Eine Bevorzugung findet somit nicht in einem Vakuum statt, sondern stets im Verhältnis von zwei Personen oder Personengruppen. Im Arbeitsrecht bietet sich als mögliche Vergleichsbasis zuvorderst entweder der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer an. In Barnett beschreitet der Supreme Court letzteren Weg, wenn er anhand eines Beispiels sein Postulat der bevorzugten Behandlung zu verifizieren versucht: Behinderte Arbeitnehmer nicht bevorzugende Regeln zur Bürovergabe würden automatisch die Beschäftigung eines Arbeitnehmers verhindern, dessen Behinderung es ihm nur gestattet, im Erdgeschoss zu arbeiten. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob das notwendigerweise der Fall sein muss. Wandelt man das Beispiel des Supreme Courts geringfügig ab, wird dies offensichtlich. Angenommen ein behinderter Arbeitnehmer kann nur dann zu seinem Arbeitsplatz gelangen, wenn eine Rampe für seinen Rollstuhl neben der Treppe installiert wird. Nimmt man weiter an, dass nach deren Installation noch genügend Treppenraum übrig bleibt, um anderen Arbeitnehmern die Benutzung der Treppe zu ermöglichen, ist schwer ersichtlich, worin die bevorzugende Behandlung des behinderten Arbeitnehmers liegen soll. Zwar wird ihm etwas gewährt was anderen Arbeitnehmern vorenthalten bleibt - hier: die Rampe - , doch wird nicht behinderten Arbeitnehmern durch diese Vorkehrung weder etwas genommen noch hätten sie ein Interesse am Erhalt einer entsprechenden Vorkehrung. Angemessener erscheint es in diesem Zusammenhang von einer unterschiedlichen anstatt von einer bevorzugenden Behandlung des behinderten Arbeitnehmers zu sprechen.

cc) Abwägung der Umstände des Einzelfalls Selbst wenn man diese Unterscheidung zwischen einer bloßen unterschiedlichen und tatsächlich bevorzugenden Behandlung als rein semantisch beiseite lassen wollte und dem Supreme Court bei seiner Charakterisierung der infrage stehenden Maßnahmen als „bevorzugende Behandlung44 behinderter Arbeitnehmer folgte, gewinnt das Diktum des Gerichts nicht viel an Momentum. Eine „bevorzugende Behandlung44 scheint das Gericht nur in den Bereichen abzusegnen, in denen es zu keinem Konflikt mit den Interessen anderer Arbeitnehmer kommt. Dieser Einschätzung entspricht es, wenn der Supreme Court seine allgemeinen Erwägungen zur bevorzugten Behandlung wie folgt zusammenfasst: „Die schlichte Tatsache, dass eine Vorkehrung eine ,Bevorzugung4 in dem Sinne gewährt, dass dem behinderten Arbeitnehmer die Verletzung einer Regel erlaubt wird, die andere einhalten müssen, reicht für sich genommen nicht aus, um die Vorkehrung als unangemessen anzusehen.44104

104

Hervorhebung im Original.

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

263

Dass sich der Supreme Court schließlich doch, wenn auch leise und unter weiser Außerachtlassung der affirmative action Debatte, zur bevorzugten Behandlung unter dem ADA bekennt, folgt erst aus dem Fortgang der Urteilsbegründung.105 Zwar kreiert das Gericht die Vermutung, dass die nach einem Senioritätssystem begründeten Rechte im Konfliktfall Vorrang vor dem Anspruch eines behinderten Arbeitnehmers auf Vornahme einer angemessenen Vorkehrung haben, doch - und hier liegt die eigentliche Bedeutung des Urteils 106 lässt es eine Ausnahme von diesem Grundsatz zu: Wenn der Arbeitnehmer das Vorliegen besonderer Umstände darzulegen vermag, kann er die Versetzung auf einen Arbeitsplatz auch dann verlangen, wenn ein anderer Arbeitnehmer mit höherem Dienstalter ein Anrecht auf diese Arbeitsstelle nach dem vom Arbeitgeber etablierten Senioritätssystem inne hat. 107 Die „besonderen Umstände", auf die der Supreme Court Bezug nimmt, sind solche Faktoren, die die Erwartung der dienstälteren Arbeitnehmer auf eine „gleichmäßige Anwendung" des Senioritätssystems „modifizieren". 108 Wichtig ist es zu erkennen, was das Vorliegen „besonderer Umstände" damit nicht erfordert: Weder der gänzliche Wegfall der Arbeitnehmererwartungen auf eine gleichförmige Anwendung des Senioritätssystems noch der Wegfall des Anspruchs auf Versetzung als solchen macht der Supreme Court zur Bedingung einer bevorzugten Berücksichtigung des Rechts auf Vornahme einer Versetzung als angemessene Vorkehrung. Die „besonderen Umstände" müssen demzufolge die Erwartungshaltung der in Bezug auf die Arbeitstelle im Wettbewerb stehenden Arbeitnehmer nicht nivellieren, bevor der ADA eine „bevorzugende" Behandlung behinderter Arbeitnehmer möglich macht. Für zulässig scheint das Gericht die Versetzung auf einen freien Arbeitsplatz als angemessene Vorkehrung vielmehr selbst dann zu halten, wenn an sich ein anderer Arbeitnehmer diese Stelle beanspruchen könnte. Hiermit geht der Supreme Court eindeutig über das hinaus, was eingangs noch vorsichtig als „unterschiedliche" Behandlung betitelt wurde - an der Erkenntnis, dass der ADA

105

Siehe dort auf S. 1524-1525. Dies verkennt Cox, Employment Discrimination, 10.02, wenn er feststellt, dass sich aus der Bamett Entscheidung „vielleicht nichts" für künftige Fallgestaltungen entnehmen lasse, da unklar sei, wie der Supreme Court die widerstreitenden Interessen zwischen Arbeitgeber, behindertem Arbeitnehmer sowie dritten Arbeitskollegen in Einklang bringen werde. Dennoch lasse die Entscheidung es als „gut möglich" erscheinen, dass eine Bevorzugung behinderter Arbeitnehmer nunmehr erforderlich sei. Diese Argumentation verwischt den Unterschied zwischen der - erfolgten - prinzipiellen Anerkennung einer bevorzugten Behandlung und der sich erst im Anschluss hieran stellenden Frage, genau unter welchen Umständen sie Platz greift. 107 Siehe 122 S. Ct. 1516,1525 (2002). 108 Siehe dort auf S. 1524. 106

264

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

zur Bevorzugung behinderter Arbeitnehmer verpflichten kann, wird man unter Zugrundelegung des Mehrheitsvotums nicht mehr umhin kommen.109

b) Vorzüge nach dem Konzept der Rahmenrichtlinie Ob bzw. inwieweit Maßnahmen zur Herstellung der formellen Vergleichbarkeit behinderter Beschäftigter in Europa zukünftig auch zu Lasten anderer Beschäftigter zulässig sein sollen, ist derzeit noch unklar und wird wohl eine der spannendsten Fragen der zukünftigen Entwicklung des Diskriminierungsschutzes behinderter Menschen werden. Fest steht zum jetzigen Zeitpunkt lediglich, dass mit dem pauschalen Verweis auf die Unzulässigkeit von affirmative action im europäischen Anti-Diskriminierungsrecht einer entsprechenden Interpretation des Art. 5 RL nicht begegnet werden kann. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass der Umstand, dass selbst der ansonsten den ADA restriktiv handhabende Supreme Court Vorzüge nicht generell ausschließt, den EuGH gegen einen pauschalen Ausschluss jeglicher Bevorzugung im Rahmen des Art. 5 RL entscheiden lassen. Blickt man auf die Rahmenrichtlinie, kommen einige weitere Argumente in den Sinn, die zur Lösung dieser Problematik fruchtbar gemacht werden können.

aa) Wortlaut

von Art. 5 RL

Den Ausgangspunkt der Betrachtung der Rahmenrichtlinie soll ihr Wortlaut bilden; ausdrücklich nimmt sich dieser nicht der Frage danach an, ob angemessene Vorkehrungen eine bevorzugte Behandlung behinderter Arbeitnehmer verlangen. Auffallend ist jedoch, dass Art. 5 S. 2 RL die Grenze nur für solche Vorkehrungen setzt, die den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Für Rechte dritter Arbeitnehmer scheint im Rahmen der Abwägung kein Raum zu sein. Dies legt zwei Möglichkeiten nahe: Entweder spielen Rechte dritter Arbeitnehmer im Rahmen von Art. 5 RL schlechterdings keine Rolle oder aber diese Vorschrift lässt von vornherein keine Maßnahmen zu, die den Rechtskreis dritter Arbeitnehmer nachteilig beeinflussen können. Die erste Interpretation erscheint abwegig. Sogar das U.S.-amerikanische Musterbeispiel bevorzugender Maßnahmen, affirmative action, lässt schützenswerte Rechtspositionen dritter Arbeitnehmer nie aus den Augen. 110 Überdies ist es dem Ziel der „sozialen und 109

Noch eindeutiger fällt der Dissent der Richter Souter und Ginsburg aus, die argumentieren, dass die Versetzung auf eine andere Stelle nach den Fakten der Entscheidung sehr wohl „angemessen" gewesen wäre, vgl. 122 S. Ct. 1516, 1534 (2002). 110 United Steelworkers of America v. Weber, 443 U.S. 193, 201 (1979); Johnson v. Transportation Agency , 480 U.S. 616, 638 (1986).

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

265

wirtschaftlichen Eingliederung ... von Menschen mit Behinderung"111 erkennbar abträglich, wenn im Rahmen der Integration behinderter Arbeitnehmer eventuelle Rechte ihrer Kollegen vollends außer Betracht bleiben würden. Näher liegt daher schon die Vermutung, dass Art. 5 RL keine Beeinträchtigung von Rechten anderer Arbeitnehmer gestattet. Anderseits zeigt der 20. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie, dass die Interessen dritter Arbeitnehmer durch die Vornahme angemessener Vorkehrungen zumindest tangiert werden können. Dessen Beispielkatalog möglicher Vorkehrungen nennt unter anderem die Anpassung des Arbeitsrhythmus oder der Aufgabenverteilung an die Bedürfnisse des behinderten Arbeitnehmers. Beides kann nicht in einem Vakuum geschehen. Verlangt eine Stelle die Erledigung einer Reihe bestimmter - und vor allem wesentlicher - Aufgaben und ist ein behinderter Arbeitnehmer zur Erledigung einiger dieser Funktionen außerstande, wird der Arbeitgeber zweifelsohne andere Arbeitnehmer zur Wahrnehmung dieser Aufgaben heranziehen; angemessene Vorkehrungen werden damit aus rein praktischer Perspektive mitunter die Interessen von Arbeitskollegen beeinträchtigen. Als Beleg dafür, dass diese Fälle so selten nicht sind, sei auf die ihm Rahmen des Belästigungsverbots referierte Judikatur verwiesen. Dort griffen Arbeitskollegen gerade deshalb zum verbotenen Mittel der Würdeverletzung, weil sie sich durch die Behandlung eines behinderten Beschäftigten in ihren Interessen ungerechtfertigt beeinträchtigt fühlten. 112 Unter Berücksichtigung der im 20. Erwägungsgrund beispielhaft angeführten Maßnahmen wird man den Wortlaut von Art. 5 RL deshalb dahingehend interpretieren müssen, dass er Interessen dritter Beschäftigter Rechnung trägt. Konstruktiv kann dies über die Aufwertung des Merkmals der „Angemessenheit" zum eigenständigen Interpretationsmaßstab geschehen.113 Ist der Wortlaut von Art. 5 RL damit erst einmal für die Berücksichtigung der Interessen dritter Beschäftigter bei der Vornahme angemessener Vorkehrungen geöffnet, ist eine Bevorzugung von „ M e n s c h e n mit Behinderung" nicht mehr per se ausgeschlossen.

111

6. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie. Siehe insb. den Fall, in dem ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Behinderung nur noch zur Ableistung der Tagesschicht imstande war, Silk v. City of Chicago, 194 F.3d 788 (701 Cir. 1999). Dies war eine vom Arbeitgeber vorgenommene Vorkehrung, die wiederum den Effekt hatte, dass seine Arbeitskollegen häufiger die unbeliebten Spätund Nachtschichten antreten mussten. Ausf. zum Belästigungsverbot vgl. im 4. Kapitel unter B. III. 113 Dazu, dass der Wortlaut von Art. 5 RL diesem Merkmal seiner eigenständigen Bedeutung zu berauben scheint, siehe oben C. 112

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

266 bb) Vereinbarkeit

mit dem Behinderungsbegriff

Widerspruch gegen die These, das Konzept angemessener Vorkehrungen verpflichte den Arbeitgeber zur Bevorzugung behinderter Menschen, findet sich nicht nur in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung, sondern wird überdem von Vertretern des sozialen Behinderungsbegriffs artikuliert. 114 Jene Autoren betonen, dass die Funktion angemessener Vorkehrungen allein in der Beseitigung von Barrieren zur Verwirklichung der individuellen Chancengleichheit liege. Sobald aber diese Barrieren beseitigt seien, könnten behinderte Arbeitnehmer die in Frage stehende Tätigkeit ebenso gut, wenn nicht sogar besser ausüben. Das Konzept angemessener Vorkehrungen nötige den Arbeitgeber mit anderen Worten zu der Einsicht, dass es seine Gestaltung des Arbeitsplatzes sei, die behindernd wirke. Diese Argumentation kann nicht von der Hand gewiesen werden: Der Abbau von Barrieren, die für andere Beschäftigte nicht existieren, bevorzugt nicht. Verkannt wird bei dieser Argumentation jedoch, dass es weniger um die Frage geht, ob eine bestimmte Barriere abgebaut wird, als darum, ob dies unter Beeinträchtigung von Interessen dritter Beschäftigter geschehen darf. Die von Vertretern des sozialen Behinderungsbegriffs vorgetragenen Bedenken gegen die Verwendung des Begriffs der Bevorzugung" sind demgemäß dahingehend zu präzisieren, dass eine solche dann nicht vorliegt, wenn Drittarbeitnehmerinteressen nicht tangiert werden. In diesem Fall wird allein ein behinderungsspezifisches Hindernis beseitigt. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Ein Arbeitgeber sucht eine Schreibkraft mit möglichst hoher Anschlagsrate und zwei Personen bewerben sich auf die Stelle. Ein Arbeitnehmer mit einer Behinderung erreicht 50 Anschläge die Minute während ein nicht behinderter Kollege 75 Anschläge erreicht. Dem Arbeitgeber ist es erlaubt, den Arbeitnehmer mit der höheren Anschlagszahl einzustellen, vorausgesetzt die Schreibgeschwindigkeit steht im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung. Erreichen beide Arbeitnehmer dieselbe Anschlagszahl, der behinderte Arbeitnehmer aber benötigt ein Telefon mit akustischer Verstärkung, um seiner Schwerhörigkeit gerecht zu werden, dann ist es dem Arbeitgeber verwehrt, den nicht behinderten Arbeitnehmer deshalb vorzuziehen, weil dieser keine Modifizierung des Telefons zur Erreichung derselben Schreibgeschwindigkeit benötigt.115 Eine Bevorzugung liegt hier in der Herstellung der Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmer nicht. Das ändert sich, wenn man den Fall abwandelt. Angenommen, die neu eingestellte Schreibkraft leidet unter einer Epilepsieform, die durchflackerndes Licht ausgelöst wird, und ist deshalb außerstande, in dem für sie vorgesehenen Büro 114

Neff, ; 64 Def. Couns. J. 110, 111 (1997); Travis , 78 N.C.L. Rev. 901,959 (2000). Dieses Beispiel ist angelehnt an ein Beispiel aus der Gesetzgebungsgeschichte des ADA, vgl. H.R. Rep. 101, 485, pt. 2, 56. 115

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

267

ohne Fenster bei Neonlicht zu arbeiten. Als mögliche Vorkehrung kommt aber der Bürotausch mit einer Arbeitskollegin in Betracht, die aufgrund ihrer längeren Betriebszugehörigkeit in einem Büro mit ausreichend Tageslicht sitzt. Hier greift die Beseitigung der behinderungsspezifischen Barriere in den Rechtskreis der dienstälteren Arbeitnehmerin über, indem sie diese zum Verzicht auf ein ihr nach der betriebsinternen Verteilungsregelung zustehendes Interesse abverlangt. Die behinderte Beschäftigte wird ihr gegenüber hiermit bevorzugt. Ob diese Außerachtlassung der höheren Seniorität durch das Bedürfnis an der Vornahme der Vorkehrung aufgewogen wird, ist Frage des Einzelfalls und hat mögliche anderweitige Vorkehrungen im Auge zu behalten.

cc) Verhältnis

zu positiven Fördermaßnahmen nach Art. 7 RL

Bevorzugende Behandlungen von behinderten Beschäftigten im Rahmen von Art. 5 RL müssen nicht den Anforderungen des Art. 7 RL genügen, um zulässig zu sein.116 All jene Maßnahmen, die lediglich die Vergleichbarkeit herstellen, fallen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 RL. Erst ab dem Zeitpunkt, in dem ein behinderter und ein nicht behinderter Beschäftigter formell vergleichbar sind, ist die Gewährung einer Bevorzugung nach dieser Vorschrift möglich. Dabei handelt es sich dann allerdings nicht mehr um eine angemessene Vorkehrung, weil diese nur auf die Herstellung der formellen Vergleichbarkeit abzielt, nicht aber darüber hinaus reicht.

dd) Ergebnis und Folgenabschätzung Die besseren Argumente und die Einsicht in praktische Notwendigkeiten sprechen dafür, eine bevorzugte Behandlung von behinderten Beschäftigten im Rahmen von Art. 5 RL zuzulassen. Vergegenwärtigen sollte man sich in diesem Zusammenhang, dass hier die Frage im Gegensatz zur Diskussion über die Zulässigkeit positiver Fördermaßnahmen nicht ist, ob eine weitere Abkehr vom formellen Gleichbehandlungsgrundsatz hinnehmbar ist oder nicht. Angemessene Vorkehrungen entspringen diesem Gleichheitsverständnis von vornherein nicht; für die vom EuGH verkündete Maxime, Abweichungen vom Individualrecht der Gleichbehandlung auf ein Minimum zu begrenzen ist damit kein Raum. 117 Vielmehr muss es Anliegen der Rechtsprechung sein, eine vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Abkehr vom formellen Gleichbehandlungs116 Ausf. zu den positiven und spezifischen Maßnahmen nach Art. 7 RL vgl. im 6. Kapitel unter C. 117 EuGH, Urt. v. 19.3.2002 - Rs. C-476/99, Slg. 2002,1-2891 (Lommers) mit Anm. Uder, EzA RL 207/76 EGV 1999 Nr. 4.

268

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

prinzip möglichst effektiv zu gestalten und damit das Ziel der Rahmenrichtlinie bestmöglich zu verwirklichen. Bevorzugungen bei der Herstellung der formellen Vergleichbarkeit können ein durchaus adäquates Mittel hierzu sein. Wichtig vom gleichheitstheoretischen Standpunkt ist überdies, dass Bevorzugungen im Rahmen von Art. 5 RL nur einen geringen Prozentsatz aller Fälle betreffen werden, in denen Beschäftigte Diskriminierungsschutz nach der Rahmenrichtlinie reklamieren können - eventuelle Effektivitätsbedenken bestehen vom Standpunkt des materiellen GleichheitsVerständnisses damit nicht. 118 Erfasst wird nämlich von vornherein nicht nur ein begrenzter Teil aller von der Rahmenrichtlinie geschützten Personen, sondern sogar nur ein Teilausschnitt der Beschäftigten mit einer Behinderung, nämlich jene Personen, die in die zweite Personengruppe fallen. 119 Selbst bei Angehörigen dieser Personengruppe wird vielfach kein Eingriff in schützenswerte Interessen anderer Beschäftigter mit der Vornahme einer angemessenen Vorkehrung einhergehen.

c) Einfügung in die deutsche Rechtsordnung Der Befund, dass angemessene Vorkehrungen zu einer bevorzugten Behandlung behinderter Beschäftigter führen können, spiegelt sich mangels der Existenz einer entsprechenden Verpflichtung im deutschen Recht nicht in der deutschen Rechtordnung wieder. Die grundgesetzlich durch Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit gewährt zwar behinderten Menschen weder einen Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes noch eine Bestandsgarantie für die gewählte Arbeitsstelle 120, beinhaltet jedoch eine staatliche Schutzpflicht. 121 Zusammen mit dem Sozialstaatsprinzip gebietet die Berufsfreiheit deshalb ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme, soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist. 122 Anerkannt war deshalb schon bisher, dass „der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber den Vorrang vor einem nicht besser qualifizierten nicht behinderten Mitbewerber einzuräumen" hat. 123 Gerade an dieser gleichen Qualifikation fehlt es aber in den Fällen von Art. 5 RL.

118

Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Kapitel unter A. II. 3. Siehe hierzu die im 3. Kapitel unter B. erstellte Unterteilung der geschützten Personengruppen. 120 BVerfG v. 27.1.1998, BVerfGE 97, 169, 175. 121 BVerfG v. 24.4.1991, BVerfGE 84, 133, 146 f. 122 BVerfG v. 24.4.1991, BVerfGE 84, 133, 146f, 154 ff.; BAG, Urt. v. 19.1.1995 8 AZR 914/93, BAGE 79, 128, 138. 123 GK-SGB IX-Großmann , Einleitung Rn. 41. 119

C. Tatbestandliche Reichweite des besonderen Diskriminierungsschutzes

269

V. Formelle Aspekte angemessener Vorkehrungen Der Arbeitgeber ist nur bei Kenntnis von der Behinderung des Beschäftigten zur Bereitstellung von angemessenen Vorkehrungen verpflichtet. 124 Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut von Art. 5 S. 2 RL, wonach Vorkehrungen nur „im konkreten Fall" zu leisten sind, sondern bereits aus der rein praktischen Erwägung, dass der Arbeitgeber auf ihm unbekannte Behinderungen gar nicht reagieren kann. Der ADA wird in diesem Punkt noch deutlicher, wenn er als unerlaubte Diskriminierung nur die Nichtvornahme einer angemessenen Vorkehrung betreffend der „bekannten physischen oder mentalen Einschränkungen" eines behinderten Beschäftigten festschreibt. 125

1. Der „interaktive

Prozess "

In vielen Fällen wird der Arbeitgeber um die Behinderung wissen und von sich aus auf den Arbeitnehmer zugehen. Bleibt ihm die Behinderung dagegen verborgen, hat der Arbeitnehmer ihn über diese zu unterrichten, will er die Verpflichtung nach Art. 5 RL auslösen. In beiden Fällen wird es notwendig sein, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammensetzen und gemeinsam über mögliche Vorkehrungen beraten, sofern diese nicht offenkundig sind. Dieser Prozess wird im U.S.-amerikanischen Recht als der Interactive process bezeichnet126, was anschaulich zum Ausdruck bringt, dass beide Parteien gefordert sind. Allein der Arbeitgeber wird oftmals wissen, welche Vorkehrungen betriebstechnisch realisierbar sind, der Beschäftigte wiederum weiß am besten um die Einschränkungen, die er durch seine Schädigung erfährt. Erst aus der Zusammenschau aller Erkenntnisse kann eine angemessene Vorkehrung identifiziert werden, die der Arbeitgeber anschließend gem. Art. 5 RL verpflichtet ist umzusetzen.

2. Praktische Auswirkungen auf den Auswahlprozess des Arbeitgebers Für Arbeitnehmer mit Behinderungen ist die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs der Rahmenrichtlinie durch das Konzept der angemessenen Vorkehrungen die vielleicht größte Errungenschaft. Nicht zu verkennen sind allerdings die erheblichen Auswirkungen dieser Erweiterung der geschützten Personengruppe auf die Arbeitnehmerseite. Wie bereits gezeigt wurde, 124

Ebenso Whittle, 27 E.L. Rev. 303, 312 (2002). 42 U.S.C. § 12112 (b) (5) (A) (2004). 126 US Airways v. Barnett, 535 U.S. 391, 406 ("2002) (Justice Stevens concurring); Loulseged v. Akzo Nobel Inc., 178 F.3d 731, 735 (5* Cir. 1999). 125

5. Kapitel: Angemessene Vorkehrungen

270

zwingt der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz Arbeitgeber nicht zur Berücksichtigung ungeeigneter Arbeitnehmer bei ihren Maßnahmen.127 Sobald die Feststellung getroffen ist, dass beispielsweise ein Bewerber für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet ist, steht gleichsam fest, dass dieser keinen Schutz vor Diskriminierung in Anspruch nehmen kann. Im Rahmen des Diskriminierungsschutzes behinderter Arbeitnehmer ist die Frage der Anwendbarkeit des Diskriminierungsschutzes schwieriger zu beantworten. Einer Feststellung der fehlenden Eignung des Arbeitnehmers hat als ein zweiter Schritt stets die Untersuchung zu folgen, ob die mangelnde Eignung durch die Vornahme angemessener Vorkehrungen überwunden werden kann. Während die erste Feststellung oftmals problemlos zu treffen sein wird, kann der zweite Schritt unter Umständen beträchtlich mehr Schwierigkeiten bereiten. Bedenkt man, dass Art. 5 RL bereits bei der Vertragsanbahnung eingreift, können auf einen Arbeitgeber bereits in diesem Stadium nicht unerhebliche Kosten zukommen. Unter Umständen kann er gezwungen sein, mehr an Zeit und Ressourcen in die Evaluierung des behinderten Bewerbers zu investieren als er ursprünglich für den Bewerbungsprozess veranschlagt hat, will er sich nicht dem Vorwurf unerlaubter Diskriminierung aussetzen. Auffallend ist, dass die Rahmenrichtlinie diesen Kosten nicht Rechnung zu tragen scheint. Die Grenze der unverhältnismäßigen Arbeitgeberbelastung in Art. 5 S. 2 RL knüpft nur an die Vornahme der Vorkehrung selbst an, nicht aber an den zur ihrer Ermittlung notwendigen Aufwand an. Für die Mehrzahl der Fälle wird dies genügen, im Übrigen ist an eine entsprechende Anwendung dieser Grenze auf die zur Ermittelung einer Vorkehrung notwendigen Kosten zu denken.

D. Unverhältnismäßige Arbeitgeberbelastung als Grenze Die Verpflichtung eines Arbeitgebers, angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung bereitzustellen, ist nicht grenzenlos. Die in der Rahmenrichtlinie verankerte Grenze ist allerdings eine hohe: Erst wenn der Arbeitgeber darlegen kann, dass die angemessene Vorkehrung ihn unverhältnismäßig belasten würde, wird er von seiner Pflicht nach Art. 5 RL frei. Dem Arbeitgeber eventuell gewährte staatliche Unterstützungsleistungen sind in diese Betrachtung mit einzubeziehen (Art. 5 S. 3 RL). Entsprechend wird man bei solchen Vorkehrungen verfahren müssen, die - zumindest teilweise - bereits nach anderen Vorschriften vorzunehmen sind. 128 Ist der Arbeitgeber beispielsweise bereits nach dem geltenden Arbeitsschutzrecht an die Anpassung des Arbeitsplatzes an

127

Zum Erfordernis der Vergleichbarkeit im Hinblick auf die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen vgl. im 2. Kapitel unter B. II. 128 mittle, 27 E.L. Rev. 303, 314 (2002).

D. Unverhältnismäßige Arbeitgeberbelastung als Grenze

271

die Bedürfnisse eines behinderten Beschäftigten verpflichtet, sind die hierfür aufzuwendenden Kosten nicht in die Abwägung nach Art. 5 S. 3 RL einzustellen. Diese wiederum vollzieht sich stets einzelfallorientiert. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere der mit einer Maßnahme verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Unternehmensgröße und seine finanziellen Ressourcen einschließlich des Gesamtumsatzes.129 Nicht außer Acht gelassen werden darf überdies, inwieweit eine Maßnahme neben dem betrieblichen Nutzen noch im Privatleben des Beschäftigten eine Rolle spielt. Vorkehrungen, die wie etwa ein Rollstuhl oder Blindenhund vorwiegend für den persönlichen Nutzen der betreffenden Person sind, kann man einen Arbeitgeber selbst dann nicht finanzieren lassen, wenn sie zur Erfüllung wesentlicher Arbeitsplatzfunktionen vonnöten sind. 130 In anderen Fällen ist über eine Teilfinanzierung nachzudenken. Hat der Arbeitgeber die Wahl zwischen mehreren gleich effektiven Vorkehrungen, darf er jene wählen, die ihn am wenigsten belastet. Selbst in dem Fall, dass eine mögliche Vorkehrung den Bedürfnissen des behinderten Beschäftigten in besonderer Weise entspricht, kann der Arbeitgeber eine andere Maßnahme vorziehen, solange diese den Beschäftigten zur Ausübung der wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen befähigt. Ein Anrecht auf die bestmögliche Vorkehrung hat ein Beschäftigter dementsprechend nicht. Denkbar sind überdies Fälle, in denen eine Vorkehrung an sich den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würde, der Beschäftigte jedoch die Übernahme eines Teiles ihrer Kosten anbietet. Wird damit die Belastungsschwelle des Art. 5 S. 3 RL unterschritten, ist dem Beschäftigten ein Recht auf Vornahme der Vorkehrung zuzusprechen. Hierfür spricht der in Satz 3 dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende Gedanke, dass für die Beurteilung einer unverhältnismäßigen Belastung kompensatorische Mittel Berücksichtigung finden sollen.

129

Vgl. den 21. Erwägungsgrund. Zur entsprechenden Ansicht der EEOC für den ADA vgl. Interpretive Guidance on Title I, See. 1630.9. 130

. Kapitel

Durchbrechungen des allgemeinen und besonderen Diskriminierungsschutzes Das letzte Kapitel der Besprechung der Grundlagen und Implikationen des Diskriminierungsschutzes wegen einer Behinderung ist einem Thema gewidmet, das sich anschaulich mit dem Begriff der „Durchbrechungen des allgemeinen und besonderen Diskriminierungsschutzes" umschreiben lässt. Erfasst sind damit drei verschiedene Regelungsbereiche der Rahmenrichtlinie: Einzelstaatliche Maßnahmen iSv. Art. 2 Abs. 5 RL, berufliche Anforderungen nach Art. 4 RL sowie die positiven und spezifischen Maßnahmen nach Art. 7 RL. Am weitesten greifen die beiden zuerst genannten Maßnahmebündel, als sie sich weder in eine formell noch materiell orientierte Gleichheitskonzeption einfügen; der Gleichbehandlungsgrundsatz in allen seinen Ausprägungen wird in diesen Bereichen schlechterdings beiseite gelassen, einmal im öffentlichen Interesse, ein anderes Mal mit Rücksicht auf schützenswerte Arbeitgeberinteressen. Soweit gehen positive Maßnahmen zur gezielten Förderung von Beschäftigten wegen einer Behinderung nicht. Zwar lassen sie sich nicht unter Rückgriff auf den Diskriminierungsschutz in seiner allgemeinen und besonderen Ausprägung rechtfertigen und durchbrechen diesen somit, doch haben sie ihr Fundament in einer materiellen Interpretation des Gleichbehandlungsgrundsatzes.1

A. Maßnahmen nach Art. 2 Abs. 5 RL Die Rahmenrichtlinie stellt im fünften und letzten Absatz ihrer Aufzählung der einzelnen allgemeinen Diskriminierungstatbestände nach Art. 2 RL ausdrücklich fest, dass sie die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, der Verteidigung der Ordnung und der Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind, unberührt lässt. Ein derart breit gefasster Ausnahmetatbestand fand sich bislang lediglich in den Vorschriften der Europäischen

1

Vgl. dazu im 2. Kapitel unter A. II.

. Maßnahmen nach Art.

RL

273

Menschenrechtskonvention, ist jedoch in der Landschaft des europäischen Diskriminierungsrechts ohne Vorbild. 2 Entsprechend hoch sollte die Skepsis sein, die man dieser neuartigen Durchbrechung des Diskriminierungsschutzes entgegenbringt. Eine extensive Auslegung dieser Vorschrift würde nicht nur den Zweck der auf eine möglichst umfassende Gleichbehandlung abzielenden Rahmenrichtlinie konterkarieren, sondern überdies die feinstimmigen Abwägungsinstrumente des Diskriminierungsschutzes umgehen. Für den Bereich der Behinderung sind aus dem Katalog des Art. 2 Abs. 5 RL vor allem die Merkmale des Gesundheitsschutzes sowie der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer von Bedeutung. Im Folgenden soll zugleich auf einige legitime Anwendungsbereiche der Ausnahmevorschrift in diesen Bereichen hingewiesen werden als auch vor möglichen, aus der Perspektive eines effektiven Anti-Diskriminierungsrechts wenig wünschbaren, Fehlentwicklungen bei der Interpretation dieser Vorschrift gewarnt werden.

I. Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz Bereits im Rahmen des allgemeinen Diskriminierungsschutzes sind der Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz Faktoren, die dem Eingreifen des allgemeinen wie besonderen Benachteiligungsschutzes entgegenstehen können, sofern sie die Fähigkeit des Beschäftigten zur Ableistung der wesentlichen Arbeitsfunktionen beseitigen. Einen eigenen Anwendungsbereich hat Art. 2 Abs. 5 RL jedoch in solchen Fallkonstellationen, in denen der Beschäftigte die entsprechenden Funktionen der in Frage stehenden Arbeitsstelle zwar tatsächlich auszuüben vermag, damit jedoch ein Gesundheits- oder Sicherheitsrisiko entweder für den Beschäftigten selbst oder seine Arbeitskollegen bzw. Dritte verbunden ist.

7. Die „ direkte Bedrohung " im US-amerikanischen Recht Das U.S.-amerikanische Recht regelt derartige Fallkonstellationen mit Hilfe der Rechtsfigur des sog. direct threat? Hierunter versteht der ADA ein bedeutsames Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit von anderen, das selbst mit Hilfe von angemessenen Vorkehrungen nicht beseitigt werden kann.4 Ist eine derartige Gefahr mit einer Behinderung verbunden, kann der Arbeitgeber die Einstellung des betreffenden Arbeitnehmers ablehnen oder sonst benachteili2 3 4

Vgl. insb. Art. 8 Abs. 2, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2, 11 Abs. 2. Ausf. dazu Kaplan, 106 Dick. L. Rev. 389, 396 (2001). 42 U.S.C. § 12111 (3) (2004).

. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes gend an die Behinderung anknüpfen. Bedeutsam wird diese Verteidigungsmöglichkeit gegen einen prima facie Fall der Diskriminierung in den Fällen, in denen sowohl (1) das bestehende Gesundheits- oder Sicherheitsrisiko nicht schon die Eignung des Arbeitnehmers zur Ableistung der wesentlichen Arbeitsfunktionen entfallen lässt sowie (2) dieser Gefahrenzustand aus einer Behinderung resultiert. Fehlt es an einer dieser beiden Voraussetzungen, kann der Arbeitgeber bereits aus allgemeinen diskriminierungsrechtlichen Erwägungen die Einstellung des betreffenden Arbeitnehmers ablehnen, ohne sich dem Vorwurf unerlaubter Diskriminierung auszusetzen.

a) Gesundheitsgefahren für dritte Personen Das Paradebeispiel für die eigene Berechtigung der direct threat Verteidigung bilden damit Sachverhalte vergleichbar demjenigen, den der Supreme Court in School Board of Nassau County v. Arline zu entscheiden hatte.5 Dort wurde eine Grundschullehrerin entlassen, nachdem sie ihren dritten Rückfall in eine Tuberkulose Erkrankung erlitt. Die Richter bestätigten die Auffassung der Vorinstanz, wonach allein die mit dieser Krankheit verbundene Ansteckungsgefahr ihrer Qualifikation zur Ausübung der Lehrtätigkeit nicht entgegenstand, weshalb sie bedingt durch die mit der Krankheit einhergehenden Beeinträchtigung ihres Atmungssystems als behindert im Sinne des Gesetzes angesehen werden müsste; die Entlassung der Lehrerin wegen der durch ihre Krankheit verursachten Ansteckungsgefahr war damit unmittelbar diskriminierend. Eine Trennung zwischen Behinderung und den von diesem Zustand ausgehenden Gefahren findet nicht statt. Von der Hand zu weisen ist diese Argumentation nicht, sind doch sowohl die Ansteckungsgefahr als auch die körperliche Beeinträchtigung das Resultat der Tuberkulose und damit nur schwerlich voneinander zu trennen. Das ohne Frage vorrangig zu bewertende Interesse der Schüler an der Vermeidung einer Ansteckung wird durch das Durchgreifenlassen der direct threat Verteidigung gewahrt.

b) Gesundheitsgefahren für den behinderten Beschäftigen Möglich erscheint es nach der Konzeption der Rahmenrichtlinie überdies, einem behinderten Beschäftigten die Berufung auf den Benachteiligungsschutz dann zu versagen, wenn seine eigene Gesundheit, nicht aber die dritter Personen, durch die Tätigkeit beeinträchtigt zu werden droht.6 Mit einer entspre5

480 U.S. 273(1987). Hingewiesen sei auf die vergleichbare Problemstellung im deutschen Recht zum Nachtarbeitsverbot von Frauen. Das BVerfG stellte dazu fest, dass das geschlechtsspezi6

. Maßnahmen nach Art.

RL

275

chenden Fallkonstellation hatte sich in den USA der Supreme Court jüngst in Chevron U.S.A. v. Echazabal auseinanderzusetzen.7 Nachdem Echazabal über ein Drittunternehmen mehrere Jahre in einer Chevron Raffinerie gearbeitet hatte, bewarb er sich direkt bei Chevron. Eine medizinische Untersuchung ergab, dass Echazabal unter Leberschäden litt, die sich durch den weiteren Aufenthalt im Raffinerieumfeld zu verschlimmern drohten. Daraufhin verweigerte Chevron nicht nur seine Anstellung, sondern bewegte das Drittunternehmen dazu, Echazabal dort nicht mehr zu beschäftigen, was schließlich zu seiner Entlassung führte. Der von Echazabal daraufhin unter dem ADA angestrengten Klage setzte Chevron entgegen, dass dieser eine „direkte Gefahr" für seine eigene Gesundheit darstelle. Unter energischem Protest vieler Vertreter der Behindertenverbände und Abkehr von der Entscheidung des Ninth Circuits8, gab der Supreme Court dieser Argumentation statt, obgleich der ADA seinem Wortlaut nach eine entsprechende Verteidigung nur bei Gefahren für „andere Individuen" zulässt.9 Angeschlossen hat sich das Gericht damit der Auffassung der EEOC, die sich in ihren Richtlinien bereits bislang in diesem Punkt über den Wortlaut des ADA hinwegsetzte.10 Hebt man den Blick über das Anti-Diskriminierungsrecht, ist diese Entscheidung durchaus sinnvoll, würde der Arbeitgeber andernfalls doch mit den Vorschriften zum Arbeitsschutz in Konflikt zu geraten drohen.11 Zur Verwirklichung der Sicherheit am Arbeitsplatz primär durch die Beseitigung der Arbeitnehmer anstelle der betrieblichen Gefahrenquelle darf diese Argumentation freilich nicht führen. Vieles wird hier vom zukünftigen Umgang der Gerichte mit der Entscheidung abhängen. Erste Stellungnahmen lassen allerdings bereits befürchten, dass Arbeitgeber die ausgeweitete direct threat Verteidigung als unerlaubtes Mittel zur Abschiebung ungenehmer Arbeitskräfte missbrauchen könnten.12

2. Einfügung in die Rahmenrichtlinie Entsprechende Fallkonstellationen können auf europäischer Ebene zukünftig mittels Art. 2 Abs. 5 RL bewältigt werden. Geht es dagegen um die gezielte, formell gleichheitswidrige Förderung von Beschäftigten wegen einer Behinderung, so sieht bereits Art. 7 Abs. 2 S. 1 RL eine Grenzziehungsbefugnis der fische Diskriminierungsverbot das Recht beinhalte, sich durch Nachtarbeit gesundheitlich zu schädigen, siehe BVerfG v. 1.10.1991, BVerfGE 85, 191. 7 122 S. Ct. 2045 (2002). 8 226 F.3d 1063 (9 th Cir. 2000). 9 42 U.S.C. § 12113(b) (2004). 10 29 C.F.R. § 1630.15 (b) (2) (2001). 11 Geregelt im sog. Occupational Safety and Health Act, 29 U.S.C. § 651-678 (2000). 12 Knutson v. AG Processing, Inc., 273 F. Supp. 2d 961, 989-990 (C.D. Iowa 2003).

276

. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

Mitgliedstaaten vor. Diesen wird dort ausdrücklich das Recht verbürgt, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen. Besonderes Augenmerk ist in all jenen Fällen, in denen benachteiligend an eine Behinderung angeknüpft wird, um Gesundheitsgefahren zu vermeiden, darauf zu richten, dass eine entsprechende Gefahr tatsächlich besteht. Zum Einfallstor von Vorurteilen und Stereotypen darf diese überaus sinnvolle Ausnahmevorschrift nicht werden. Dass dieser Hinweis nicht als selbstverständlich abgetan werden sollte, zeigen die in Großbritannien zum DDA gesammelten Erfahrungen. Noch einige Jahre nach der Verabschiedung dieses Gesetzeswerkes ließen die Gerichte dort oft das bloße Wort des Arbeitgebers für das Bestehen einer Gesundheitsgefahr genügen, in anderen Fällen wurden eigene Untersuchungen zwar angestellt, jedoch nur oberflächlich betrieben.13

II. Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Das Recht der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen vom Diskriminierungsschutz der Rahmenrichtlinie freizustellen, droht mit dem Konzept zur Vornahme angemessener Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung nach Art. 5 RL zu kollidieren. Zu Recht weist Richard Whittle 14 in diesem Zusammenhang auf einen möglichen Konflikt mit den Eigentumsrechten Dritter hin. Der irische Supreme Court beispielsweise interpretierte die in den nationalen Gleichbehandlungsgesetzen15 verankerte Pflicht des Arbeitgebers zur Vornahme angemessener Vorkehrungen unter Berücksichtigung des in der irischen Verfassung verankerten Eigentumsrechts16 restriktiv dahingehend, dass dieser nicht mehr als nominale Kosten zu tragen habe. 17 Obwohl diese Rechtsprechung sich vor dem Hintergrund der Rahmenrichtlinie nicht als bestandskräftig erweisen dürfte 18, zeigt sie doch die Möglichkeit auf, dass über Art. 2 Abs. 5 RL neue Grenzsetzungen in das Regelungsgefüge von Art. 5 RL eingeführt werden können. Zu hoffen bleibt insoweit, dass diese Vorschrift nicht dazu missbraucht wird, durch den weiten Wortlaut des Art. 5 13 Davies/Davies , 29 ILJ 347, 352 (2000). Die Autoren verweisen auf die folgenden Gerichtsentscheidungen: Franklin v Vernon Carus Ltd (1998); Matty v Tesco Stores (1997); Hodgkiss v John Port School (1998); Calvert v Jewelglen Nursing Home (1997) (all unreported). 14 27 EL. Rev. 303,318(2002). 15 Vgl. § 16 (3) (c) des Employment Equality Act (1998) sowie §4(2) des Equal Status Act (2000). 16 Art. 43. Ein entsprechendes Recht findet sich ebenso auf europäischer Ebene, siehe z.B. Art. 17 und 21 der European Union Charter of Fundamental Rights. 17 Re Employment Equality Bill, 1996, [1997] 2 I.R. 321, 355. 18 Zur Grenze der unverhältnismäßigen Arbeitgeberbelastung vgl. 5. Kapitel unter D.

B. Berufliche Anforderungen gem. Art. 4 Abs. 1 RL

277

RL mögliche Einzelfallabwägungen durch pauschale Wertungsmaßstäbe zu ersetzen. Insbesondere ist zu vermeiden, dass die Berufung auf diese Ausnahmevorschrift zum generellen Ausschluss einer im Einzelfall durchaus sinnvollen Bevorzugung behinderter Beschäftigter bei der Vornahme angemessener Vorkehrungen führt. 19

B. Berufliche Anforderungen gem. Art. 4 Abs. 1 RL Der mit Beruflichen Anforderungen" überschriebene Art. 4 RL wendet sich an die Mitgliedstaaten und gibt diesen die Möglichkeit, bestimmte Sachverhalte vom unmittelbaren bzw. mittelbaren Diskriminierungsverbot des Art. 2 Abs. 1 und 2 RL freizustellen. Einem Arbeitgeber kann die Anknüpfung an eine Behinderung danach dann nicht versagt werden, wenn die Behinderung (1) aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, (2) diese Anforderung selbst angemessen ist und (3) mit der Anknüpfung an die Behinderung ein rechtmäßiger Zweck verfolgt wird. Grundlegend für das Verständnis dieser Vorschrift ist die Erkenntnis, dass mit ihr nur Diskriminierungen zugunsten eines behinderten Beschäftigten legitimiert werden. Sie soll es dem Arbeitgeber oder einer sonstigen durch die Rahmenrichtlinie verpflichteten Person ermöglichen, gerade das Vorhandensein eines geschützten Merkmals zu verlangen, es mit anderen Worten zur beruflichen »Anforderung" zu erklären. 20 Bezogen auf das Merkmal der Behinderung bedeutet dies, dass Art. 4 Abs. 1 RL nur diejenigen Ungleichbehandlungen legitimiert, die das Bestehen einer Behinderung positiv zur Voraussetzung machen. Auf den Kopf stellen lässt sich diese Bestimmung dagegen nicht: Das Fehlen einer Behinderung kann nie eine berufliche Anforderung iSv. Art. 4 Abs. 1 RL sein. Fälle, in denen das Vorhandensein einer Behinderung eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" darstellt, werden in der Praxis selten sein. In Anlehnung an die Rechtsprechung zur unverzichtbaren Anforderung hinsichtlich des Geschlechtes21 ist etwa an die Einrichtung der Stelle eines Behindertenbeauftragten zu denken. Das hauptsächliche Wirkungsfeld dieser Vorschrift dürfte dementsprechend auch eher in anderen Bereichen liegen, wie die

19

Die Möglichkeit von bevorzugenden Maßnahmen im Rahmen von Art. 5 RL wird im 5. Kapitel unter C. IV. besprochen. 20 Siehe auch die Begründung der Kommission zur Entwurfsfassung, KOM (1999) 565 endg, S. 11. 21 Beachte aber BAG, Urt. v. 12.11.1998 - 8 AZR 365/97, NZA 1999, 371, wonach das weibliche Geschlecht keine unverzichtbare Voraussetzung der Bestellung zur Gleichstellungsbeauftragten gem. § 5 NWGO ist. Vgl auch EuGH, Urt. v. 26.10.1999 Rs. C-273/97, Slg. 1999,1-7403 (Sirdar).

278

. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

U.S.-amerikanische Rechtsprechung nahe legt. Anerkannt ist eine „bona fide occupational qualification" Verteidigung dort nur bezüglich der Merkmale Religion, Geschlecht, nationale Abstammung22 sowie für das Alter 23 .

C. Positive Maßnahmen nach Art. 7 RL Die Rahmenrichtlinie lässt in Art. 7 Abs. 1 in Anlehnung an Art. 141 Abs. 4 EG die Einführung oder Beibehaltung spezifischer Maßnahmen zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben zu, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Art. 1 Abs. 1 RL genannten Diskriminierungsgrundes verhindert oder ausgeglichen werden. Neu ist dieser Gedanke nicht: Bereits die Gleichbehandlungsrichtlinie ermöglicht in Art. 2 Abs. 4 entsprechende „positive Fördermaßnahmen".24 Insbesondere bei Maßnahmen, die den Berufszugang betreffen und für behinderte Menschen damit besonders bedeutsam sind, gibt sich der EuGH bislang zu Recht jedoch streng. Lediglich solche Fördersysteme, die nur bei gleicher Qualifikation des bevorzugten Beschäftigten eingreifen und zudem die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung (sog. Öffnungsklausel) vorsehen, haben vor seinen Augen Bestand.25 Die mögliche Übernahme dieser Rechtsprechung für das Merkmal der Behinderung hätte weitreichende Konsequenzen für die in den Mitgliedstaaten verbreitete quotale Förderung von behinderten Menschen gehabt. Eine Pflichtquote gleich der in §71 Abs. 1 S. 1 SGB I X normierten wäre als sog. starre Quote dem Verdikt der Europarechtswidrigkeit zum Opfer gefallen. 26 Dieser Umstand führte in letzter Minute zur Erweiterung von Art. 7 RL um einen zweiten Absatz. In dieser sich ausschließlich an „Menschen mit Behinderung" 27 richtenden Vorschrift wird klargestellt, dass Bestimmungen oder Vorkehrungen zur Förderung der Eingliederung von behinderten Beschäftigten

22

42 U.S.C. § 2000e-2 (e) (2004); Dothard v. Rawlinson , 433 U.S. 321 (1977). 29 U.S.C. § 623 (f) (1) (2004); W. Air Lines, Inc. v. Criswell, 472 U.S. 400, 42223 (1985). 24 EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93, DB 1995, 2172 (Kaianke); EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs. C-409/95, DB 1997, 2383 (Marschall); EuGH, Urt. v. 28.3.2000 Rs. C-158/97, NJW 2000, 1549 (Badeck); EuGH, Urt. v. 6.7.2000 - Rs. C-407/98, AP Nr. 22 zu EWG-RL 76/207 (Abrahamsson); EuGH, Urt. v. 19.3.2002 - Rs. C-476/99, Slg. 2002,1-2891 (Lommers). 25 Vgl. dazu insb. EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs. C-409/95, DB 1997, 2383 (Marschall). 26 Eine sehr gute Besprechung der verschiedenen Spielarten von Förderquoten liefert Hanau, in: Gedächtnisschrift Lüderitz, S. 241 ff. 27 Diese Formulierung ist entsprechend derjenigen in Art. 5 S. 1 RL auszulegen. Vgl. dazu im 3. Kapitel unter A. III. 3. c) cc). 23

C. Positive Maßnahmen nach Art. 7 RL

279

auch weiterhin zulässig sein sollen.28 Die Entwicklung positiver Fördermaßnahmen zugunsten behinderter Menschen wird sich damit zumindest ein Stück weit von der Förderung Angehöriger anderer geschützter Personengruppen abkoppeln. Dass Art. 7 Abs. 1 RL infolgedessen nicht jeglicher Bedeutung beraubt wird und zudem Zweifel daran bestehen, ob die bloße Fortschreibung bisheriger Behindertenpolitik unter dem Deckmantel von Art. 7 Abs. 2 RL nach dem Konzept der Rahmenrichtlinie sinnvoll ist, soll im Folgenden dargelegt werden.

I. Präzisierung des Förderungskonflikts beim Merkmal der Behinderung Vorhab ist auf eine Besonderheit von formell gleichheitswidrigen Fördermaßnahmen zugunsten behinderter Beschäftigter hinzuweisen. Sowohl Art. 2 Abs. 2 RL als auch § 81 Abs. 2 SGB I X verbieten die nachteilige Anknüpfung an eine Behinderung. Im Gegensatz zum Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts nach § 61 la BGB, das sich allgemein dem Abbau von Diskriminierungen anhand des Geschlechtes verschrieben hat und damit der gezielten Bevorzugung weiblicher Arbeitnehmerinnen bereits seinem Wortlaut nach entgegensteht, fehlt es dem Diskriminierungsverbot behinderter Arbeitnehmer an einer entsprechenden Reziprokität. Die Förderung von Arbeitnehmerinnen stellt stets eine Durchbrechung des § 611a Abs. 1 S. 1 BGB dar, selbst wenn sie beispielsweise zum Ausgleich früherer Benachteiligungen erfolgt. Denn auch in diesem Fall benachteiligt der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer wegen ihres Geschlechts, zwar nicht die Frauen, wohl aber seine männlichen Arbeitnehmer. Dies entspricht der grundlegenden Funktionsweise des formellen Gleichbehandlungsgrundsatzes: In der Bevorzugung der Gruppenangehörigen liegt stets spiegelbildlich die Benachteiligung der Nichtmitglieder.29

7. Förderungen

im Vergleich zu Nichtmerkmalsträgern

Entsprechendes gilt für das Benachteiligungsverbot wegen der Behinderung nicht. Zweck und Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 RL bzw. § 81 Abs. 2 SGB I X stehen einer bevorzugten Behandlung schwerbehinderter Arbeitnehmer nicht entgegen. Zwar liegt vom Standpunkt des formellen Gleichheitsprinzips in der Förderung behinderter Arbeitnehmer zugleich eine Benachteiligung nicht behinderter Arbeitskollegen, doch werden diese nicht vom Diskriminierungsver28 Dies steht im Einklang mit dem in Art. 8 Abs. 2 RL bekundeten Willen, die Umsetzung der Rahmenrichtlinie zu keiner Absenkung des bereits bestehenden Schutzniveaus herhalten zu lassen. 29 Vgl. ausf. dazu im 2. Kapitel unter A. I. 2. b).

280

. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

bot geschützt. In diesem Punkt unterscheidet sich der Diskriminierungsschutz wegen einer Behinderung von den anderen durch die Rahmenrichtlinie geschützten Merkmalen. Jeder Beschäftigte hat ein bestimmtes Alter, eine sexuelle Ausrichtung, Weltanschauung oder Religion - das Recht, nicht zu glauben wird man ebenso durch dieses Merkmal geschützt ansehen müssen. ,»Nicht behindert zu sein" wird dagegen nicht gesondert durch die Rahmenrichtlinie geschützt. Damit soll nicht suggeriert werden, dass die positive Förderung behinderter Beschäftigter grenzenlos zulässig wäre. Bei der Vergabe knapper Güter, wie es Arbeitsplätze und sonstige Beschäftigungschancen in Zeiten hoher struktureller Arbeitslosigkeit mehr denn je sind, können berechtigte Interessen anderer Marktteilnehmer nicht übergangen werden. Deutlich wird durch diese Beobachtung allerdings, dass § 81 Abs. 2 SGB IX im Gegensatz zu §611a Abs. 1 BGB kein einschränkungsloses Diskriminierungsverbot aufgestellt. 30 Obwohl das im SGB IX niedergelegte Benachteiligungsverbot die Regelung des Art. 7 RL nicht ausdrücklich in seinen Wortlaut aufnimmt, ist § 81 Abs. 2 SGB I X einer entsprechenden richtlinienkonformen Auslegung damit zugänglich.31 Aufschlussreich ist die Nichterfassung von nichtbehinderten Beschäftigten vom Diskriminierungsverbot des 81 Abs. 2 SGB I X aber noch aus einem anderen Grunde. Sie legt nahe, dass vom Standpunkt der Gleichbehandlungssätze betreffend der positiven Förderung behinderter Menschen mit zweierlei Maß zu messen ist: Der Diskriminierungsschutz scheint der positiven Förderung von behinderten Beschäftigten eher zugeneigt als dies bei Ungleichbehandlungen innerhalb der Gruppe der behinderten Menschen der Fall ist.

2. Förderungen innerhalb der Gruppe der behinderten Beschäftigten Positive Förderkonflikte entstehen beim Merkmal der Behinderung innerhalb der Gruppe der behinderten Beschäftigten selbst. Hat ein Arbeitgeber beispielsweise eine scheinbar neutrale Regelung getroffen, die tatsächlich Beschäftigte mit einer bestimmten Behinderung gegenüber Personen mit einer anderen Behinderung bevorzugt, greift das behinderungsspezifische Benachteiligungsverbot ein. Nur in diesem Fall trifft zu, was bei § 61 la BGB stets zur Rechtfertigung nötigt: Die Förderung des einen Beschäftigten benachteiligt spiegelbildlich den anderen. Bedeutsam ist diese Erkenntnis ebenso für gesetzliche Schutzmechanismen, die nicht schlechterdings alle behinderten Beschäftigten im Auge haben. Die deutsche Pflichtquote nach § 71 Abs. 1 S. 1 SGB IX oder

30

Zu § 61 la BGB vgl. Thüsing, RdA 2001, 319, 324. Anders für § 61 la BGB, siehe St&udinger/ Richardi/Annuß § 611a Rn. 48; MüKo/Müller-Glöge, § 61 la, Rn. 11. Kritisch dazu Schiek, AuR 1996, 128, 134. 31

C. Positive Maßnahmen nach Art. 7 RL

281

der besondere Kündigungsschutz nach den §§ 85 ff SGB IX haben lediglich schwerbehinderte Menschen zum Adressaten und bevorzugen diese damit formell gleichheitswidrig gegenüber allen anderen behinderten Beschäftigten.

IL Bestehender Anwendungsbereich von Art 7 Abs. 1 RL Die Regelung des Art. 7 Abs. 1 RL würde selbst bei der prinzipiellen Übernahme der EuGH-Rechtsprechung zur Zulässigkeit von positiven Fördermaßnahmen nach Art. 2 Abs. 4 der Gleichbehandlungsrichtlinie nicht ohne Anwendungsbereich für behinderte Beschäftigte bleiben. Präzisiert man die vom EuGH für die zum Zugang zum Beruf verlangte Qualifikationsgleichheit dahingehend, dass diese nur in Hinblick auf die wesentlichen Arbeitsplatzfunktionen bestehen muss, kämen Angehörige der ersten Personengruppe - nach der im dritten Kapitel entwickelten Klassifizierung 32 - ohne weiters in den Genuss positiver Fördermaßnahmen. Entsprechendes gilt für Angehörige der zweiten Personengruppe33, sofern ihre Vergleichbarkeit mit Maßnahmen nach Art. 5 RL hergestellt werden kann. Lediglich Angehörige der dritten Personengruppe34 könnte keine bevorzugte Behandlung nach Art. 7 Abs. 1 RL zuteil werden. Eine grundsätzliche Neuorientierung des EuGH ist zur Erzielung dieses Ergebnisses nicht vonnöten. Die Fortschreibung seiner Rechtsprechung zur grundsätzlichen Qualifikationsgleichheit bei positiven Fördermaßnahmen dahingehend, dass diese Analyse lediglich auf wesentliche Arbeitsplatzfunktionen zu beziehen ist, wird durch die Rahmenrichtlinie vorgegeben.35 Sie nicht nur bezüglich der Anwendbarkeit des Diskriminierungsschutzes behinderter Menschen zum Zuge kommen zu lassen, sondern auch bei seiner Durchbrechung, ist folgerichtig.

III. Zur Garantie des bisherigen Schutzniveaus durch Art 7 Abs. 2 RL Nach Wortlaut und Intention der Rahmenrichtlinie wird sowohl der besondere Kündigungsschutz zugunsten schwerbehinderter Beschäftigter als auch die Pflichtquote zugunsten dieser Personengruppe (§71 Abs. 1 S. 1 SGB IX) unter Rückgriff auf Art. 7 Abs. 2 RL weiterhin zulässig bleiben. Eine andere Frage ist jedoch, inwieweit insbesondere das unveränderte Festhalten an einer starren Be-

32 33 34 35

Vgl. im 3. Kapitel unter B. I. Vgl. im 3. Kapitel unter B. II. Vgl. im 3. Kapitel unter B. III. Ausf. dazu im 2. Kapitel unter B. II.

282

. Kapitel: Durchbrechungen des Diskriminierungsschutzes

schäftigungsquote zugunsten behinderter Menschen mit der Rahmenrichtlinie im Übrigen harmoniert.

7. Neuorientierung

durch den Behinderungsbegriff

Erste Zweifel an einer vom Anti-Diskriminierungsrecht methodisch völlig entkoppelten Fortführung der Beschäftigungsquote wirft das gewandelte Verständnis zum Begriff der Behinderung auf. Die Quote stammt aus einer Zeit, in der eine Behinderung in medizinischen Dimensionen erfasst und als ein nur falls überhaupt, dann nur begrenzt überwindbarer Zustand angesehen wurde. 36 Folglich kam als vorrangiges Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Einstellung einer gewissen Mindestanzahl von Angehörigen dieser Personengruppe in Betracht; herzustellen war mit anderen Worten Verteilungsgerechtigkeit. 37 Nunmehr werden aber viele Barrieren, die behinderte Beschäftigte im Arbeitsalltag erfahren, zu Recht als ausschließlich sozial konstruiert und damit überwindbar begriffen. Wird aber die Hindernisbeseitigung zum primären Anliegen des Behindertenrechts erhoben, verliert die Quote damit zugleich ein Stück weit unweigerlich ihre Rechtfertigung.

2. Entwicklung

von der Ergebnis- hin zur Chancengleichheit

Eingeleitet wird mit der Rahmenrichtlinie zugleich ein Übergang von der reinen Verteilungsgerechtigkeit hin zu mehr feinsinnigen materiellen Gleichheitsverständnissen. Insbesondere das Konzept angemessener Vorkehrungen (Art. 5 RL) zeigt, dass ein modernes Anti-Diskriminierungsrecht zur differenzierten Abstimmung der widerstreitenden Interessen im Stande ist. Eine Pflichtquote verträgt sich hiermit nicht. Weder respektiert sie das arbeitgeberseitige Recht an einer leistungsorientierten Auswahl noch erfährt sie die jenem Gleichheitsverständnis immanente zeitliche Begrenzung. Abzuwarten bleibt überdies inwieweit eine Umstellung von der quotalen Förderung zum Diskriminierungsschutz von behinderten Menschen tatsächlich zu einer Verbesserung führt; ein entsprechender Versuch sollte aber unternommen werden, nicht zuletzt in Anbetracht der in der Vergangenheit zur Quote gesammelten Erfahrungen.

36

Siehe zum medizinischen Begriff der Behinderung im 3. Kapitel unter A. II. 2. a). Vgl. im 2. Kapitel unter A. II. 1. b) zur Bedeutung der Verteilungsgleichheit innerhalb der verschiedenen Gleichheitskonzeptionen. 37

C. Positive Maßnahmen nach Art. 7 RL 5. Verbleibender

283

Anwendungsbereich der Beschäftigungsquote

Gänzlich ihrer Berechtigung beraubt wird die Beschäftigungsquote damit nicht. Im Gegenteil stellt sie nach wie vor das einzige Mittel zur Förderung der Beschäftigung von Angehörigen der dritten Gruppe behinderter Menschen dar der Diskriminierungsschutz allein vermag ihre Stellung nicht zu verbessern. Die Beschränkung der quotalen Förderung behinderter Menschen auf Angehörige dieser Personengruppe, und nicht wie bislang pauschal auf alle schwerbehinderten Beschäftigten, trägt zudem der Erkenntnis Rechnung, dass das formelle Gleichbehandlungsgebot innerhalb der Gruppe der behinderten Beschäftigten wirkt. Durchbrechungen sind damit nicht ausgeschlossen, doch müssen sie einen sachlichen Grund vorzuweisen haben. Die schlichte Unterscheidung zwischen schwerbehinderten Menschen und sonstigen, „einfach" behinderten Beschäftigen reicht hier nicht, weil sie vom Standpunkt des Diskriminierungsschutzes aus gesehen willkürlich ist. Sinnvoll ist einzig und allein die Trennung von solchen Individuen, die in den Genuss des Schutzes der allgemeinen und besonderen Instrumente des Benachteiligungsschutzes kommen und jenen, die außen vor bleiben. Allein für letztere Personen sollte der deutsche Gesetzgeber eine Beschäftigungsquote bereithalten, nicht zuletzt deshalb, damit diese Individuen nicht in den Wettbewerb um Pflichtplatzstellen mit besser geschützten behinderten Beschäftigten treten müssen.

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Sachregister

Absenkungsverbot 88 Affirmative action 257 Americans with Disabilities Act 32 f , 53 ff., 57, 284 f., 287, 291 f., 297, 299 ff. Antidiskriminierungsgesetz - Begriff der Behinderung 137 ff. - Entstehungsgeschichte 45 ff. Angemessene Vorkehrungen - als Diskriminierungsform 238 ff. - als Verteidigung des Arbeitgebers 245 ff. - Anwendungsprofil 254 -Auswahlprozess 269 - Behinderungsbegriff 235 ff. - Bevorzugung 255 ff. - Funktionen 235 ff. - Geltungsbereich 245 ff. - Grenzen 270 - interaktiver Prozess 269 - Interessen Dritter 260 ff. - Reichweite 249 ff. - wesentliche Arbeitsplatz-funktionen 251 Anweisung zur Diskriminierung s. Diskriminierung Behinderung - Ambivalenz 99 ff. -Assoziierung 133 ff. - Erheblichkeitsgrenze 120 ff. - europäischer Begriff 99 ff. -Gruppenprinzip 97 ff. - gesellschaftliche Wahrnehmung 117 ff. - medizinisches Modell 101 ff. - mitigating measures 123 -Schädigung 110 ff, 126

- soziales Modell 104 ff. -unterstellte 128 ff. -zukünftige 132 Belästigung -als Ausprägung des Gleich-behandlungsgebots 87 ff, 213 ff. - als Diskriminierungsform 202 ff. -Dogmatik 213 ff. - feindliches Umfeld 222 ff. -Persönlichkeitsschutz 214 - T i t l e V I I 204 - Würdeverletzung 87 ff, 215 f. Berufliche Anforderungen 277 Beschäftigungsförderung 158 Beschäftigungsquote 42, 67, 78, 282 f. Bewerbungsvorgang 166 ff, 173 f. Canadian Charter of Rights and Freedoms 86, 87 Chancengleichheit 30, 32 f, 44, 51 f , 60, 74, 76, 79, 80 ff, 104 f , 239, 261, 266, 282 Customer preferences 130 Disability Discrimination Act 22, 51, 103, 109, 111,242, 257 Diskriminierung - angemessene Vorkehrungen s. angemessene Vorkehrungen -Anweisung zur 38, 159, 186, 225, 239 - Belästigung s. Belästigung - concept of discrimination 38 -mittelbare 195 ff. -Rechtfertigung 226ff. - statistische 69, 154, 155 -unmittelbare 186 ff. -Vorliebezur 68

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Sachregister

Entscheidungen - Alexander v. Choate 92 - Andrews v. State of Ohio 112 -Barber 70 -Bosman 100 - Brown v. Board of Education 73 -Cassista v. Community Foods, Inc. 112 -Chevron U.S.A. v. Echazabal 126, 276 - Cook v. Rhode Island Department of Mental Health Retardation & Hosps. 111 -Dekker 72, 76, 90, 193, 196, 237, 242, 259 - Delauche 259 -Griggs v. Duke Power Co. 74ff., 188, 195, 197, 205 -Handels- OG Kontorfunktion-aerernes Forbund 259 -Harmer v. Virginia Elec. & Power Co. 252 - Lommers 83, 193, 251, 268, 279 -Macarthys 190, 193 -Meiorin 72,245 -Meritor Savings Bank v. Vinson 206, 210, 222 -Murphy v. United Parcel Service, Inc. 57, 123 - Plessy v. Ferguson 73 -Rodgers v. Western-Southern Life Ins. Co. 224 - School Board of Nassau County v. Arline 275 - S i l k v. City of Chicago 209, 211, 266 - Southeastern Community College v. Davis 91 - Sutton v. United Air Lines, Inc. 57, 123, 124 -Tele Danmark 172,302 - Treadwell v. Alexander 93 -U.S. Airways v. Barnett 57, 254, 291 -Wards Cove 192 Entwicklung -Deutschland 40 ff.

- Europa 30 ff. - U S A 51 ff. Effizienz 67, 153, 301 Equal Opportunity Harasser 71 Ergebnisgleichheit 79, 80, 81 Formelle Gleichheit s. Gleichheit Fragerecht 167 ff Fragerecht 167 ff Geeignetheit zur Arbeitsleistung 11, 90 Gerechtigkeit 74 ff. Geschichtliche Entwicklung s. Entwicklung Gleichbehandlungsgrundsatz 50 f. Gleichheit - formelle 61 ff., 90,157, 188, 242 - materielle 73 ff., 84, 86,195 Gruppenzugehörigkeit 66, 76, 95, 117, 131, 189,196,197 Heterogenität 95, 152, 237, 238, 246 Hostile environment harassment 205, 208 ICIDH 147 ICF 147 f. Informationsdefizit 69 Interactive process 269 Interpretive Guidance on Title I 93, 247, 271 Kleinbetrieb 162, 164 Kündigungsschutz 135, 162 ff., 163, 176 ff. Materielle Gleichheit s. Gleichheit Menschenwürde 62, 71, 87 ff., 99,

188, 221

Meritokratieprinzip 259 Mittelbare Diskriminierung s. Diskriminierung Pflichtquote 78, 278 ff. Positive Fördermaßnahmen 182, 272, 278 fr.

61, 85,

Sachregister Produktivität 69,153 ff.

Unmittelbare Diskriminierung Diskriminierung

s.

Quid pro quo harassment 221 Richtlinie 2000/78/EG 37 ff. Rehabilitation Act 32, 51 ff, 92, 111, 169, 236, 256 Statistische Diskriminierung s. Diskriminierung Teilhabekonzept 44 ff, 146 ff.

Vergleichsperson - erweiterte Vergleichsbasis 193 ff. - hypothetische - 190 ff. - vergangene ~ 192 Verteilungsgerechtigkeit 77 ff. Wesentliche Arbeitsplatzfunktionen 18, 91, 93 f , 173 f , 251,254, 281 Würde s. Menschenwürde