Danzig und die Städteordnung des Freiherrn vom Stein [Reprint 2021 ed.] 9783112486948, 9783112486931

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Danzig und die Städteordnung des Freiherrn vom Stein [Reprint 2021 ed.]
 9783112486948, 9783112486931

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DANZIG UND DIE STÄDTEORDNUNG

DES FREIHERRN VOM STEIN VON

ERICH HOFFMANN

tt

19

3

4

LEIPZIG / J. C. HINRICHS’SCHE BUCHHANDLUNG

KÖNIGSBERGER HISTORISCHE FORSCHUNGEN HERAUSGEGEBEN

VON

FRIEDRICH BAETHGEN u. HANS ROTHFELS

BAND 6

PRINTED IN GERMANY

Vorwort Die Anregung zu dieser Arbeit, die in ihren Grundzügen im Jahre 1930 geschrieben wurde, verdanke ich Herrn Professor Dr. Räth­ sels, Königsberg i. Pr. Ihm fühle ich mich auch tief verpflichtet für mannigfache Ratschläge und Hinweise aller Art, die zum Wachsen des Buches wesentlich beitrugen. Darüber hinaus gilt mein Dank dem Staats- und Stadtarchiv zu Danzig, dem Geheimen Preußischen Staatsarchiv in Berlin, dem Staatsarchiv zu Königsberg i. Pr., dem Preußischen Ministerium des Innern, dem Senat der Freien Stadt Danzig, der Danziger Stadtbürgerschast und dem Herrn Gra­ fen von Brünneck, die mir die Einsichtnahme in das einschlägige Aktenmaterial gestatteten. Zu den Belegstellen sei bemerkt, daß nur für die weiter zurückliegenden die zeitgenössische Rechtschreibung bei­ behalten worden ist. Im übrigen bin ich selbst dann zur heutigen Schreibweise übergegangen, wenn aus den Quellenveröffentlichungen hervorging, daß sie sich um die buchstabengetreue Wiedergabe der Ur­ schrift bemühen.

Danzig, September 1934.

E. H.

Abkürzungen Geh. St. A.

= Geheimes Staatsarchiv Berlin.

H.Z.

-- Historische Zeitschrift.

Konf. Prot.

= Konferenz-Protokoll; bis Ende 1817 ergänze der Repräsentanten-Versammlung, von da ab der Stadtverordneten-Versammlung.

M. d. W. G.

= Mitteilungen vereins.

St. A.

= Staatsarchiv; ergänze Danzig, wenn keine wei­ teren Angaben beigefügt sind.

Z. d. W. G.

= Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins.

des

Westpreußischen

Geschichts­

Inhalt Seite Vorwort......................................................................... Abkürzungen............................................................... IV Inhaltsverzeichnis..................................................... V Einleitung: Die Bedeutung der Steinschen Städte­ ordnung für Danzig .................................. 1 1. Kapitel: Die Verfassung der alten Reichsstadt . . 3 1. Grundkräfte der Danziger Entwicklung................. 2. Aufbau der Verfassung........................................ 3. Würdigung................................................................

3 7 23

2. Kapitel: Reformversuche des preuß. Absolutismus

27

Zusammenstoß zweier gegensätzlicherStaatsformen. . Neueinrichtung der DanzigerVerwaltung...................... Neformversuche.................................................................. Beteiligte Persönlichkeiten...............................................

27 30 39 56

3. Kapitel: „Wiederherstellung" der reichsstädtischen Verfassung ..................................................

61

1. Gründung der Freien Stadt........................................... 2. Scheinfreiheit Danzigs...................................................... 3. Siebenjährige Leidenszeit...............................................

61 65 71

4. Kapitel: Einführung der Steinschen Städteord­ nung; ihre Danziger Sonderform............

73

1. Rückkehr zu Preußen...................................................... 2. Einführung der Städteordnung ................................... 3. Widerhall in der Bürgerschaft.......................................

73 78 85

1. 2. 3. 4.

5. Kapitel: Überleitung in die neuenVerhältnisse

87

1. Zusammensetzung der städtischen Körperschaften und ihre erste Tätigkeit.................................................................. 87 2. Beschränkung des kommunalen Wirkungskreises .... 92 3. Erweiterung des örtlichen Umfanges der Stadtgemeinde 93 4. Abgrenzung zwischen staatlichen und kommunalen Be­ langen mit finanziellem Blickpunkt................................ 96 5. Durchführung liberaler Reformgesetze................................ 104 6. Bestrebungen auf Fortentwicklung der Stadtverfassung 109

III

Inhalt Seite

6. Kapitel: Vollständige Durchführung der Steinschen Städteordnung..................................................... 115 1. 2. 3. 4.

Hemmende und fördernde Strömungen............................ 115 Kampf um die unverkürzte Einführung............................ 120 Durchführung der Kabinettsorder vom 5. Mai 1817 . . 126 Eigenart der neuen Selbstverwaltungsorgane.....................132

7. Kapitel: Einleben in die neuen Verhältnisse 1. 2. 3. 4.

. .

137

Schwierigkeiten . ................................................................... 137 Ausgleich zwischen den städtischen Körperschaften . . . 140 Ausgleich zwischen den Stadt- und Staatsbehörden . . 145 Schön und die Weiterentwicklung der Danziger Stadt­ verfassung ...............................................................................151

8. Kapitel: Rückblick und Ausblick.................................. 155 Exkurs I. Die Einführung der Städteordnung in den wiedererworbenen westpreußischen Städten, die zum Großherzogtum Warschau gehört hatten............................ 163 Exkurs II. Hela...........................................................................164 Exkurs III. Die technischen und statistischen Voraus­ setzungen für die Stadtverordnetenwahl im Jahre 1817 166

Übersicht der benutzten Archivalien................................ 168

EINLEITUNG

Die Bedeutung der Steinschen Städte­ ordnung für Danzig Den preußischen Städten in den Grenzen des Tilsiter Friedens gewährte das große Reformgesetz Steins die Befreiung von staat­ licher Vormundschaft. Danzig brachte der Tag seiner Verkündung zu­ gleich den Verlust der staatlichen Selbständigkeit. Die altberühmte Weichselkönigin war eine „Freie Stadt", als die Städteordnung in Preußen eingeführt wurde, am Tage von Tilsit durch Napoleon ge­ schaffen, aber verankert in einer jahrhundertealten reichsstädtischen Tradition. So mußte hier das Reformgesetz auf andersartige Voraussetzungen treffen als sonst im altpreußischen Raum. Während vielen seiner Städte eine wuchtige Ordensburg das Gepräge gibt, wurde das Wahr­ zeichen Danzigs das prächtige Rathaus, dessen kühnschlanker Turm über das gleichmäßige Gewoge der behäbigen Bürgerhäuser und hochgiebligen Speicher emporragt. Das Haupt des Weichsellandes war zu einem Hochsitz deutschen Bürgerstolzes, nicht wie die Pregelstadt Königsberg zu einer Kraftquelle preußischen Verwaltungsgeistes ge­ worden. Keine strenge Zucht hatte den Boden für die neue kommu­ nale Freiheit vorbereiten helfen. Nur 14 Jahre war Danzig der preußischen Monarchie angegliedert gewesen, als Napoleon es ab­ trennte. Dem Bürgertum fehlte die harte Erziehung durch die großen absolutistischen Könige Preußens, und Jahrhunderte hindurch war die städtische Entwicklung getrennt von den Schicksalen des Deutschen Reiches verlaufen. Erst bei der Einführung der Städteordnung galt es, den selbstsüchtigen Sondergeist der einzelnen Stände gegenüber der Gemeinde, der ganzen Stadt gegenüber dem Staate zu überwinden, das Stadtbürgertum zum Staatsbürgertum zu erweitern. Hinzu kam, daß die Ausdehnung des Wirkungskreises der städtischen Behörden 1

Königsb. hist. Forsch, a

1

Die Bedeutung der Steinschen Städteordnung für Danzig größer war als ehedem in den preußischen Städten. Darum mußte auch das Beschränken schmerzlicher empfunden werden und langwierige Auseinandersetzungen mit dem Staate bringen. Schließlich wirkten als Verschärfung des Gegensatzes die besonderen Umstände des Zeit­ raumes, in dem die neue Ordnung zur Gnführung gelangte. Sie er­ folgte nicht im fortreißenden Schwung der preußischen Reformgesetz­ gebung, sondem in den dumpfen Zeiten der Reaktion, als in der nord­ deutschen Nachbarschaft die Kleinstaaten ihren altständischen Bau wieder aufrichteten, und die Ritterschaft Schleswig-Holsteins den Kampf um ihr „altes Recht" führte. Aus alledem ergab sich ein Widerstreit zwischen dem stolzen bürger­ lichen Freiheitssinn und den straffen preußischen Regierungsformen, der die Einführung der Städte-Ordnung begleitet. Sie mußte sich unter anderen Bedingungen bewähren als denen, für die sie ursprüng­ lich erlassen worden war. Aber diese Spannung hat ihre sehr posi­ tive Seite. Gerade die eigene reichsstädtische Überlieferung Danzigs hat zugleich doch eine gewisse Empfänglichkeit für den Geist der Städte­ ordnung erwachsen lassen, die aus gemeinsamem altdeutschen Quell­ grund stammt; ja sie hat, wie sich zeigen wird, bestimmte Anregungen dem Gesetze Steins vermittelt. Von vornherein bestand eine Brücke zwischen Danzig und dem preußischen Reformwerk. Über diese Brücke hin, so wird sich weiter nachweisen lassen, hat ganz wesentlich die Steinsche Städteordnung in ihrem ausgeprägt deutschrechtlichen Cha­ rakter bei der glücklichen Wiedereinfügung der alten Hansestadt in einen größeren staatlichen Verband mitgewirkt. Sie war ein Punkt fruchtbaren Ausgleichs zwischen der preußischen Überlieferung und den Kräften, welche die Danziger Entwicklung bisher bestimmt hatten. Der Darstellung dieser Kräfte wenden wir uns zunächst zu.

1. KAPITEL

Die Verfassung der alten Reichsstadt 1. Grundkräfte der Danziger Entwicklung Danzig verdankt seine Entstehung der gewaltigen deutschen Volks» bewegung im Mittelalter, die slawisch überfluteten altgermanischen Heimatboden zurückgewann. Als zu Wasser und zu Lande die auf­ gestauten Kräfte über die Reichsgrenzen hinaus in den Ostraum strömten, trafen an der Weichselmündung drei Wogen der großen deutschen Ostwanderung aufeinander, eine mönchische, eine bürger­ liche und eine geistlich-ritterliche. Neben dem Kloster Oliva entstand die Kaufmannsniederlassung Danzig. Beide nahm die Staatsgründung des Deutschen Ritterordens am Baltischen Meer in sich auf und ge­ währte ihnen den festen Rückhalt zur gedeihlichen Entwicklung. So stieg Danzig zu einem der ersten europäischen Seehandels­ plätze empor, in dem sich ein selbstbewußter Bürgergeist und ein kräftiges Unabhängigkeitsgefühl entfalteten. Zugleich aber wurde die aufblühende Stadt auch die führende Macht des Sonderstrebens gegen­ über der Ordensherrschaft. Diese Auseinandersetzung endete mit dem Siege der deutschen Bürgerkraft über die an inneren Widersprüchen krankende geistlich-ritterliche Genossenschaft. Im Verein mit dem landsässigen Adel und mit Hilfe des slawischen Nachbarreiches er­ kämpften sich die westpreußischen Städte die Stellung selbständiger Republiken. Sie erkauften fteilich die „Freiheit" mit der Zerreißung des Preußenlandes und der Bindung seiner westlichen Hälfte an den polnischen Staat. Seit dem 15. Jahrhundert fügt sich damit Danzig in die doppelte Verflechtung ein, die seine Geschichte weithin bestimmt hat und sich in der Gegenwart erneuert: Es lebte — in rechtlich lockerer Form und durch die Tatsachen des Raumes — in Gemeinschaft mit dem slawisch beherrschten Hinterland. Das deutsche Danzig wurde das

1*

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Die Verfassung der alten Reichsstadt Auge, mit dem das Reich des Weißen Adlers in die Welt schaute. Seine Geschichte schließt fast die ganze Handelsgeschichte Polens in firf)1. 2 Gleichzeitig gab aber die Kampfesstellung gegen diesen Staat der städtischen Geisteshaltung die entscheidende Prägung. „Gnädiger Herr, der Erdboden im Lande kann es nicht leiden, daß die Polen über die Preußen regieren sollen und Gewalt an ihnen üben", so bekannte ein Danziger Bürger dem Polenkönige hundert Jahre nach dem An­ schluß an das Reich des weißen Adlers Man wird gewiß für die älteren Zeiten die nationale Seite dieses Abwehrkampfes nicht überschätzen dürfen. Er ordnet sich ein in das Widerspiel zwischen Ständen und Landesherrschaft, wie es schon in den letzten Jahrzehnten der Ordenszeit bestanden hatte und überall im 16. Jahrhundert hervortritt. Auch Danzig konnte sich dabei auf einen reichen Privilegienschatz stützen. Die fürstlichen Zugeständnisse bei der Übereignung der Hoheits­ rechte an die Polenkönige hatten die ausgedehnte Selbständigkeit der Stadt aus der Ordenszeit bedeutend verstärkt und ihr die wirtschaft­ liche und politische Freiheit verbürgt. Das Gemeinwesen war nicht nur innerlich gekräftigt durch die Vereinigung der vier städtischen Sonder­ gemeinden zu einem Großdanzig, das die Landeshauptstadt Warschau bis weit ins 17. Jahrhundert hinein bedeutend an Einwohnerzahl übertraf, sondern es war auch mit einem reichen Landgebiet begabt worden. Dieses wies über 100 Dörfer auf und war mit seinen 15 Quadratmeilen größer als das Territorium der drei Hansestädte Ham­ burg, Bremen und Lübeck zusammen. Das freie Verfügungsrecht über den Hafen und die Schiffahrt machten Danzig zum Herrn des ganzen Weichsechandels. Ungehindert konnte es seine günstige Lage am Ausfluß des mächtigen Stromes ausnutzen und, durch die gesamteuropäische Wirtschaftslage mächtig gefördert, eine gewinnbringende Vermittlerrolle spielen im Waren­ austausch zwischen den landwirtschaftlichen Erzeugnissen großer Gebiete Osteuropas und den Jndustrieprodukten des Westens. Dem reichen Handelsort boten eine eigene Militärmacht und Kriegsflotte sowie eine selbständig ausgebaute starke Stadtbefestigung den nötigen Schutz. 1 Moltke, Helmuth von, Darstellung der inneren Verhältnisse und des gesellschaftlichen Zustandes in Polen. Ges. Schriften II. Berlin 1892. S- 98. 2 Simson, Paul, Westpreußens und Danzigs Kampf gegen die polni­ schen Unionsbestrebungen in den Jahren des Königs Sigismund August (1568—1572) Z. d. W. G. 37. S. 18.

Grundkräfte der Danziger Entwicklung Diese realen Grundlagen der städtischen Unabhängigkeit wurden wirksam ergänzt durch die freie Selbstverwaltung mit unbeschränkter Steuer-, Zoll- und Münzhoheit sowie fast unabhängiger Rechtsprechung, sodaß die Polen klagten, es wären „sowohl auf dem Meer als in der Stadt keine Fußstapfen der königlichen Hoheit übrig geblieben"*. Auch hat Danzig zur Zeit seiner Angliedemng an das Reich des weißen Adlers meist eine von Polen unabhängige Außenpolitik getrieben. Die Stellung als Quartiervorort der Hanse im Osten bot dabei will­ kommenen Rückhalt. Danzig führte eine eigene Flagge, hatte be­ sondere Vertreter bei fremden Staaten und wurde von diesen als eine selbständige Macht betrachtet?.

So hat sich Danzig trotz formeller Abhängigkeit von Polen als mittelalterliches Gemeinwesen tatsächlich einer viel größeren Unab­ hängigkeit erfreut als etwa die Freie Stadt, die der Friedensvertrag zu Versailles schuf. Wie uns englische Gewährsleute aus dem Jahre 1653 berichten, befand sich am Tore nach Polen eine „ständige Wache der Stadt aus ungefähr 300 Soldaten, die alle mit ihren Kanonen und brennenden Lunten bereitstehen, damit der König von Polen weiß, er habe keinen Vorteil von ihrer Sanftmut zu erhoffen"^. Selbst eine so kraftvolle Herrscherpersönlichkeit wie Stephan Bathory konnte der Stadt seinen Willen nicht aufzwingen; er belagerte sie vergeblich. Alle Versuche, die Personalunion in eine Realunion zu verwandeln, scheiterten; ebenso mißglückte das Spiel des divide et impera, mit dem Polen in den Zeiten seines Niedergangs bald den Rat, bald einzelne Gruppen der Bürgerschaft begünstigte*. Spannung und Abwehr waren immer lebendig. Und wenn Danzig sich im 17. und 18. Jahrhundert mit allen Kräften einer Loslösung von seinem Hinterland widersetzte, so geschah dies ganz gewiß nicht aus Hinneigung zu Polen, sondern

1 Simfon, a. a. O. S. 30. 2 Kaufmann, Joseph, Das staatsrechtliche Verhältnis Danzigs zu Polen von 1544—1793 und 1807—14. Danzig 1920. Schriften der Stadt Danzig 5. S. 10. Keyfer, Erich, Danzigs Geschichte. Danzig 1921, S. 60 ff. 3 Danzig in einem englischen Reisebericht aus dem Jahre 1653. M. d. W. G. 26, 3. 1927, S. 61. 4 Lengnich, Gottfried, Jus publicum civitatis Gedanensis, herausgeg. von Otto Günther. Danzig 1900, S. 25,558. Goldmann, Salla, Danziger Verfassungslämpfe unter polnischer Herrschaft. Leipzig 1901, S. 45, 58, 63 ff-, 95 ff.

Die Verfassung der alten Reichsstadt mit dem Vorbehalt, sich seine Freiheit unter den polnischen Königen zu erhalten. Aber dieses Pochen auf die ständisch-städtischen Gerechtsame und der Freiheitssinn der altdeutschen Gemeinde hatten im Danziger Fall doch ihren sehr besonderen Zug. Die Zusammenkoppelung mit einem Volks- und wesensfremden Staatswesen schuf eine andere Sachlage, als sie bei den Städten des deutschen Reichsgebietes und denen des östlichen Ordenslandes, dem späteren Herzogtum Preußen, bestand. Im polnischen Preußen befanden sich die bürgerlichen Gemeinwesen mit deutscher Sprache und deutschem Recht in naturgegebenem Gegen­ satz zur polnischen Adelsrepublik mit monarchischer Spitze. War schon dem Ordensstaat mit seinen landfremden Kreuzrittern das starke preußische Heimatbewußtsein zum Verhängnis geworden, so fühlten sich die Danziger den Polen gegenüber erst recht als Verteidiger heimat­ licher Besitzrechte, zumal sie sich ihrer höheren Kultur voll Stolz be­ wußt waren. Zur kulturellen, sozialen, rassischen und sprachlichen Ver­ schiedenheit trat im Lauf der Entwicklung die religiöse hinzu. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts war Danzig eine evangelische Stadt, stand aber unter einem katholischen König und war einem katholischen Lande angegliedert, das wie Spanien die religiöse Einheit zu einem „Charakteristikum der Nationalität" gemacht hatte*. Der Kampf um Sonderstellung und Privileg wurde so zu einem Kampf um das Deutschtum, wie andererseits die Bevorrechtung „das polnische Natio­ nalgefühl reizte". Diese Schicksalsverflechtung hatte die bedeutsame Folge, daß sich der Genossenschaftsgeist des mittelalterlichen Deutschtums, der im Reiche selbst verkümmerte, in Danzig lebendig erhielt. Die Verfassung der Stadt wurde zum Bollwerk völkischer Eigenart. Sie ruhte durch­ aus auf dem deutschen Recht. Getragen von der großen Bewegung der Ostkolonisation, war dieses zum unbeschränkten Herrn im Preußenlande emporgestiegen und hatte auch der Stadt Danzig Form und Gesetz des Lebens gegeben. Dem Wesen nach erhielt sich die Dan­ ziger Verfassung unverändert, seit die Niederlassung deutscher Kauf­ leute an der Weichselmündung zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Stadtgerechtigkeit erhielt. Nur die individuelle Ausprägung änderte sich. Dem Lübischen Recht folgte zunächst das Magdeburger und diesem 1 Hüppe, Siegfried, Verfassung der Republik Polen. S. 210.

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Berlin 1867,

Aufbau der Verfassung 1343 die aus ihm hervorgegangene in Kulm gehandhabte Form, die im Ordensgebiet vorherrschte. Der genossenschaftliche Geist dieser Rechtssatzungen mußte gerade im bedrohten Grenzgebiet das Zu­ sammenhalten der Einwohnerschaft erleichtem und gemäß dem Prinzip der „Korporation" ihrem Abschluß nach außen festen Rückhalt verleihen. Und doch ließen die Satzungen des Kulmischen Rechtes Bewegungsfteiheit genug, sich dem jeweiligen Entwicklungszustand anzupassen. Die Verfassung bildete sich fort gemäß den wirtschaftlichen und ge­ sellschaftlichen Umschichtungen der Bevölkemng; die Stadtgrundgesetze der polnischen Könige von 1526,1678 und 1750 waren dabei nur äußere Marksteine. In den königlichen Bestimmungen kommt lediglich das zum formal-rechtlichen Ausdruck, was in der Bürgerschaft bereits orga­ nisch gewachsen war. Ja es ist bezeichnend, daß tatsächlich gehandhabte Grundsätze der Verfassung auch ohne königliche Bestätigung und ohne schriftlichen Niederschlag sich einbürgerten. So war es etwa beim Ausschluß der Katholiken von den Stadtämtern, der niemals die Billigung des polnischen Königs finden konnte. Man stellte in solchen Fällen „alles Gott und der Zeit anheim" Dies Verfahren floß aus der Abneigung gegen das formal-rechtliche Denken und aus dem Vertrauen auf die selbstschöpferische Kraft der deutschen Rechtsgewohn­ heit, wie es der Historiker Danzigs, der Stadtsyndikus Lengnich, sehr bezeichnend festgehalten hat: „Exempel, die gegen die Regel sind, werden, wenn man sie einige Male wiederholt, zur Regel, inson­ derheit, wo man sich, so wie es zu Danzig geschieht, nach Exempeln richtet und daraus gleichsam Gesetze macht"

2. Aufbau der Verfassung Der Danziger Stadtstaat ruhte auf der Grundlage des Bürger­ tums. Auch hier kannte man, wie in anderen deutschen Städten, da­ mals keine offene Einwohnergemeinde; vielmehr hoben sich aus den städtischen Bewohnern die Bürger heraus, welche die alleinigen Träger des deutschen genossenschaftlichen Gemeinwesens und seines macht­ vollen kulturellen Willens waren. Der hohen Aufgabe in ftemdstämmiger Umgebung entsprechend, ging der Gnbürgerung eine sorgfältige Prüfung voraus. Man hielt vor allem darauf, daß der Aufgenommene „guter deutscher Art und

1 Lengnich a. a. O. S. 277.

2 Derselbe a. a. O. S. 128.

Die Verfassung der alten Reichsstadt Zungen" war und ließ nur vereinzelt polnisches Blut ju1. 2 Juden wurde das Bürgerrecht gänzlich verweigert, überhaupt verlieh man es bloß in außerordentlichen Fällen einem „Fremden"3. 4 Eine wichtige Rolle spielten bei der Zulassung ferner sittlich-religiöse Erwägungen. Nur ehelich und frei Geborenen, nur den Angehörigen der drei Haupt­ religionen, der lutherischen, reformierten und römisch-katholischen, konnte der Bürgername zuerkannt werden. Deutlich wird auch der pädagogische Gedanke. Die der Aufnahme für würdig Befundenen mußten eine Bewährungsfrist durchmachen. Das Bürgerrecht wurde bloß auf ein Jahr erteilt, „damit man indessen des neuen Bürgers Sitten und ob er der Stadt dienlich sei, erkennen sönne"3. Endlich sprachen auch wirtschaftliche Gesichtspunkte mit. Da den städtischen Kollegien die Entscheidung über die Gewährung oder die Verweigemng des Bürgerrechtes zustand, war die Möglichkeit in ihre Hand gegeben, den Ort vor einer Überflutung durch zu viele Mitbewerber zu schützen. So verknüpfte man die Gewinnung des Bürgerrechtes mit beträchtlichen Kosten, deren Höhe sich mit der jeweiligen Lage des städtischen Wirtschaftslebens ändertet Das Wesentliche dieser Ordnung war jedoch nicht die Einnahme für die städtischen Kassen, sondern wie bei allen anderen Maßnahmen die Sorge für die Hochschätzung des Bürgernamens. Er verlieh einen sittlichen Ehrentitel und bekundete die Aufnahme in eine Gemeinschaft, in der viele Glieder durch edle und gemeinnützige Taten hervorleuch­ teten. Lag damals allgemein etwas Anziehendes und Erhebendes in dem Bewußtsein, sich als Bürger unter seinen Mitbürgern zu befinden, so galt es für eine besondere Ehre, Bürger einer so hervorragenden

1 Die meisten „Polen", die das Danziger Bürgerrecht erhielten, ent­ stammten dem deutschen Bürgertum aus den Städten des polnischen Staats­ verbandes. Recke, Walther, Bon Danzigs Bürgertum in alter Zeit. Rasse, Kultur, Erziehung. Danzig 1933, S. 26 f. 2 Geh. St. A. R 74, I 9, Nr. 12. Beständige jüdische Niederlassungen wurden nicht geduldet. Die wenigen vorhandenen Familien waren auf be­ stimmte kleine Gewerbe, besonders auf den Trödelkram, beschränkt, dursten aber keine eigentlich kaufmännischen Geschäfte treiben, keine Häuser erwerben und dursten nur in einigen Straßen wohnen. 3 Lengnich, a. a. O. S. 115. 4 Das Bürgergeld, das an neun verschiedene Kassen gezahlt wurde, war vielfach abgestuft nach den Berechtigungen, die es gewährte, nach der Herkunft und dem Beruf des Vaters. Abgesehen von einer Verschossung des Vermögens, die 2% für alle nicht einheimischen Bürgersöhne ausmachte, stieg das Bürgerrechtsgeld bis zu 3000 Gulden. Zur Zeit des vollkommenen

Aufbau der Verfassung Stadt wie Danzig zu heißen und zu feilt*1. 2 Aus 3 diesem Hochgedanken erwuchs auch ein Pflichtgefühl der Stadt gegenüber. Der Kern der Bürgerschaft empfand das Gemeinwesen als das seine und war bereit, ihm alles zu opfern. Auswärtige lobten übereinstimmend das soziale Verantwortungsgefühl der Danziger, das sich in zahlreichen milden Stiftungen bekundetet Zeigte sich der Genossenschaftsgeist positiv in gegenseitigem Dienen und Helfen, so negativ in der Abwehr des Fremden. Die dauernde Abwehrstellung gegen Polen und das Aufsichselbstgestelltsein bei Angriffen äußerer Feinde hatten die mittelalterliche Selbst­ tätigkeit der Bürger und ihren wehrhaften Sinn lebendig erhalten. Die städtischen Kollegien wetteiferten miteinander in dem Bestreben, die Festungswerke in gutem Zustand zu erhalten und auszubauen. Seit alters her waren die Bürger zum Waffendienst für die Stadt verpflichtet; selbst diejenigen, die ihr Amt davon befreite wie die Syndiken und Sekretäre, mußten beim Bürgerwerden mit Flinte, Patronentasche und Degen vor der Wette erscheinen und schwören, daß dies „Gewehr" ihr eigen sei und sie es nicht vermindern, sondern vielmehr vermehren und verbessern wollten t Den Bürgerpflichten entsprachen Bürgerrechte. Die Bürger besaßen nicht nur die alleinige Wahlfähigkeit zu den Stadtämtem, sondern wurden auch im städtischen Erwerbsleben bevorzugt. Dabei waren die wirtschaftlichen Berechtigungen nach drei Klassen von sehr verschiedenem Umfang abgestuft, wenn man auch die Bezeichnungen Groß- und Kleinbürger seit dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts vermiede Das Bürgerrecht auf einen Kaufmaun verlieh die BefugDaniederliegens des Wirtschaftslebens vor der preußischen Besatzung mußten alle unqualifizierten Fremden, wozu sämtliche Außenhansische gehörten, gegen 1400 Gulden für das Bürgerrecht „auf einen Kaufmann" zahlen. Der niedrigste Satz für den „Bürger auf einen Arbeitsmann" betrug damals 45 Gulden.