„Crimes against Humanity“ Eine Ideengeschichte der Zivilisierung von Kriegsgewalt 1864–1945 9783506787750


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„Crimes against Humanity“ Eine Ideengeschichte der Zivilisierung von Kriegsgewalt 1864–1945
 9783506787750

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Krieg in der Geschichte (KRiG)

KRIEG IN DER GESCHICHTE (KRiG) Herausgegeben von Stig Förster, Bernhard R. Kroener, Bernd Wegner, Michael Werner

Band 102

„CRIMES AGAINST HUMANITY“

FERDINAND SCHÖNINGH

Kerstin von Lingen

„Crimes against Humanity“ Eine Ideengeschichte der Zivilisierung von Kriegsgewalt 1864–1945

FERDINAND SCHÖNINGH

Die Autorin: Titelbild:

Kerstin von Lingen ist seit 2017 Gastprofessorin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Wien und forscht am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg. Sitzung der UNWCC in London, Facts and Evidence Committee, unter Vorsitz von Marcel De Baer (Belgien, mit Schnurrbart), links Sir Robert L. Craigie (Großbritannien, Chairman of Finance Committee), April 1946. Courtesy of UN-ARMS (New York), Reel 171, 27426.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. ©2018 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-78775-0

Inhaltsverzeichnis Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung: ‚Civilized Warfare‘ und crimes against humanity, 1864–1945 . . . . . .

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I. Die Erfüllung der Martens-Klausel? Ansätze zum Konzept von crimes against humanity, 1864–1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.

2. 3.

4.

„The law of Nations, as it results from the usages established between civilized peoples“: Geltungsraum des Völkerrechts und Formierung der Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Der Standard der ‚Zivilisation‘ als Parameter der Verrechtlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Akteure: Internationalisten, Expertenzirkel und Friedensbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „The laws of humanity“: Internationalisierung der Debatte . . . . . . . . . 2.1. Kriegspraxis und Regulierung: Ausgangspunkte der Debatten . 2.2. Debatten um den Lieber-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „The dictates of the public conscience“: Transnationalisierung des Konzepts und die Rolle der Öffentlichkeit bei der Zivilisierung der Kriegsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Gründung des Roten Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Das Institut de Droit International und die Frage eines internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Diplomatische Konferenzen, 1864–1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Der Weg nach Den Haag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Zwei „Friedenskonferenzen“ in Den Haag: 1899 und 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Alternative Initiativen der Zivilgesellschaft zur Regulierung von Kriegsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1. Die geplante dritte Haager Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Das Carnegie Endowment for Peace und die Balkankriege 1912/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3. Die Weltfriedenskonferenz der Frauen (1915) . . . . . . . . . . . Der Testfall: Juristische Debatten im und nach dem Ersten Weltkrieg. . 4.1. Das Konzept Crimes against Humanity im Ersten Weltkrieg . . . 4.2. Versailles 1919: Debatten und Prozesse in Leipzig und Konstantinopel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Expertenzirkel und Gremien im Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 40 50 54 57 65 73 75 81 95 96 99 119 119 122 127 135 138 147 174 189

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INHALTSVERZEICHNIS

II. Expertengremien im ‚London hub‘: Die UNWCC und das Konzept von crimes against humanity, 1939–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

2.

3.

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Beginn einer globalen Kriegsverbrecherpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1.1. Die Erklärung von St James’s Palace im Januar 1942 . . . . . . . . . . . 211 1.2. Exiljuristen als Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1.3. Cambridge Commission und London International Assembly . . . 236 Umschwung in der Kriegsverbrecherdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.1. Die Moskauer Konferenz vom Oktober 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2.2. Gründung der UNWCC 1943/44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2.3. Auf dem Weg nach Nürnberg: Alliierte Positionen 1944 . . . . . . . 282 UNWCC-Debatten um crimes against humanity. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3.1. Definitionsprobleme: Was ist ein Kriegsverbrechen? . . . . . . . . . . 291 3.2. Crimes against humanity als Vorschlag in der UNWCC . . . . . . . . 296 3.3. Londoner Konferenz im August 1945: Eine Charta für Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 3.4. Anwendung des Konzepts in Nürnberg und Tokio . . . . . . . . . . . . 329

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen und juristische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Memoiren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitschriftenaufsätze (Quellen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

343 343 344 348 348 353

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank Die vorliegende Studie stellt die überarbeitete Version der Habilitationsschrift dar, die im Wintersemester 2016/17 von der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg angenommen wurde. Ich danke meinen Mentoren, Prof. Dr. Manfred Berg (Heidelberg), Prof. Dr. Madeleine Herren-Oesch (Basel) sowie Prof. Dr. Edgar Wolfrum (Heidelberg), der so freundlich war, das zweite Gutachten zu übernehmen, für Ihre Unterstützung und die anregende Kritik, die die Überarbeitung erleichtert hat. Die Arbeit entstand im intellektuellen Spannungsfeld einer interdisziplinären Nachwuchsgruppe am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg, die durch die DFG gefördert wurde und den Austausch mit den dortigen Kollegen und darüber hinaus in Großbritannien, den USA und Australien eröffnet hat. Die anregende Zusammenarbeit mit meinen Doktorandinnen Lisette Schouten, Valentyna Polunina, Anja Bihler und Ann-Sophie Schoepfel hat es mir ermöglicht, Verbindungen und globale Zusammenhänge zu verifizieren. Von der Unterstützung meiner studentischen Hilfskraft Raffaela Graf hat diese Arbeit vor allem in der Schlussphase sehr profitiert. Der Schoeningh Verlag nahm die Arbeit in die bewährten pofessionellen Hände, wofür ich Diethard Sawicki und Rainer Landvogt meinen Dank schulde. Zudem haben Gastprofessuren in Brüssel, Cambridge und Wien die Arbeit inspiriert und ihren Horizont erweitert. Stellvertretend für alle Kollegen, die mich auf vielfältige Weise unterstützt haben, gebührt mein Dank Tanja Penter, Sven Externbrink, Cord Arendes, Christian Förster, Fabian Klose, Cajetan v. Aretin, Sören Brinkmann,Wolfgang Form, Pieter Lagrou, Annette Weinke, Sönke Neitzel, Stig Förster, Oliver Rathkolb, Johanna Gehmacher, Robert Cribb, Sandra Wilson, Neil Boister, Milinda Banerjee, Barak Kushner, Jonathan Bush, Devin Pendas und Dirk A. Moses für viele anregende Gespräche und die Einladung in ihr Colloquium. Meiner Familie, David, Anastassia und Constantin von Lingen, danke ich für ihre Geduld und liebevolle Unterstützung. Gewidmet ist diese Studie den vielen, heute vergessenen Akteuren, Frauen wie Männern, die sich für eine Zivilisierung von Kriegsgewalt mit juristischen Mitteln einsetzten. Stellvertretend für sie alle stehen Bohuslav Ečer und Marcel De Baer, die aus dem Londoner Exil das Völkerrecht vorantrieben. Wien, am 30. Januar 2018

Kerstin von Lingen

Sitzung der UNWCC Facts and Evidence Committee unter Vorsitz von Marcel De Baer (Belgien, Mitte), April 1946. Links von De Baer der britische Delegierte, Sir Robert Craigie, Vorsitzender der Finanzkommission. Ganz links außen sitzt der Vorsitzende der UNWCC, Lord Robert Wright of Durley. Ganz rechts außen die belgische Delegierte, Miss Elizabeth Goold-Adams, M.A, eine der wenigen Frauen in der UNWCC. (Courtesy of UN-ARMS, New York, Reel 171, No. 27428)

Marcel de Baer (Belgien, Mitte) wurde von Bohuslav Ečer (Tschechoslowakei, rechts) eingeladen, am Prozess gegen SS-Obergruppenführer Karl Hermann Frank in Prag teilzunehmen, 22. Mai 1946. Frank, der stellvertretenden NS-Reichsprotektor Böhmens und Mährens und Hauptverantwortliche für die Massaker von Lidice und Ležaky, galt als Sudetendeutscher aufgrund seiner tschechischen Staatsangehörigkeit als Kollaborateur, der Prozess war daher für De Baer sehr interessant. (Bild aus dem Nachlass Marcel De Baer, London, Privatbesitz Laughton-Scott)

Vorwort zur Reihe „Der Krieg ist nichts als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit veränderten Mitteln. [...] Durch diesen Grundsatz wird die ganze Kriegsgeschichte verständlich, ohne ihn ist alles voll der größten Absurdität.“ Mit diesen Sätzen umriss Carl von Clausewitz im Jahre 1827 sein Verständnis vom Krieg als historisches Phänomen. Er wandte sich damit gegen die zu seiner Zeit und leider auch später weit verbreitete Auffassung, wonach die Geschichte der Kriege in erster Linie aus militärischen Operationen, aus Logistik, Gefechten und Schlachten, aus den Prinzipien von Strategie und Taktik bestünde. Für Clausewitz war Krieg hingegen immer und zu jeder Zeit ein Ausfluss der Politik, die ihn hervorbrachte. Krieg kann demnach nur aus den jeweiligen politischen Verhältnissen heraus verstanden werden, besitzt er doch allenfalls eine eigene Grammatik, niemals jedoch eine eigene Logik. Dieser Einschätzung des Verhältnisses von Krieg und Politik fühlt sich „Krieg in der Geschichte“ grundsätzlich verpflichtet. Die Herausgeber legen also Wert darauf, bei der Untersuchung der Geschichte der Kriege den Blickwinkel nicht durch eine sogenannte militärimmanente Betrachtungsweise verengen zu lassen. Doch hat seit den Zeiten Clausewitz’ der Begriff des Politischen eine erhebliche Ausweitung erfahren. Die moderne Historiographie beschäftigt sich nicht mehr nur mit Außenund mit Innenpolitik, sondern auch mit der Geschichte von Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, mit Kultur- und Mentalitätsgeschichte und, nicht zuletzt, mit der Geschichte der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. All die diesen unterschiedlichen Gebieten eigenen Aspekte haben die Geschichte der Kriege maßgeblich mitbestimmt. Die moderne historiographische Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg kann deshalb nicht umhin, sich die methodologische Vielfalt der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft zunutze zu machen. In diesem Sinne ist „Krieg in der Geschichte“ offen für die unterschiedlichsten Ansätze in der Auseinandersetzung mit dem historischen Sujet. Diese methodologische Offenheit bedeutet jedoch auch, dass Krieg im engeren Sinne nicht das alleinige Thema der Reihe sein kann. Die Vorbereitung und nachträgliche „Verarbeitung“ von Kriegen gehören genauso dazu wie der gesamte Komplex von Militär und Gesellschaft. Von der Mentalitäts- und Kulturgeschichte militärischer Gewaltanwendung bis hin zur Alltagsgeschichte von Soldaten und Zivilpersonen sollen alle Bereiche einer modernen Militärgeschichte zu Wort kommen. „Krieg in der Geschichte“ beinhaltet demnach auch Militär und Gesellschaft im Frieden. Geschichte in unserem Verständnis umfasst den gesamten Bereich vergangener Realität, soweit sie sich mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft erfassen lässt. In diesem Sinne ist „Krieg in der Geschichte“ (abgekürzte Zitier-weise: KRiG) grundsätzlich für Studien zu allen historischen Epochen offen, vom Altertum bis unmittelbar an den Rand der Gegenwart. Darüber hinaus ist Geschichte für uns nicht nur die vergangene Realität des sogenannten Abendlandes. „Krieg in der Geschichte“

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VORWORT ZUR REIHE

bezieht sich deshalb auf Vorgänge und Zusammenhänge in allen historischen Epochen und auf allen Kontinenten. In dieser methodologischen und thematischen Offenheit hoffen wir den spezifischen Charakter unserer Reihe zu gewinnen. Stig Förster

Bernhard R. Kroener

Bernd Wegner

Michael Wegner

Einleitung: ‚Civilized Warfare‘ und crimes against humanity, 1864–1945 Am 8. August 1945 wurde in London die Charta für den Nürnberger Internationalen Militärgerichtshof verabschiedet. Damit gingen Wochen intensivster Konsultationen zwischen den vier Siegermächten zu Ende: Gruppen von Ministerialbeamten, Juristen und Diplomaten aus Großbritannien, den USA, der Sowjetunion und Frankreich hatten wochenlang um jede Formulierung gerungen und wurden ihrerseits von Organisationen außerhalb des Regierungsspektrums, etwa Friedensverbänden oder Lobbyorganisationen wie dem World Jewish Congress, beeinflusst. Im Ergebnis würden sich Individuen vor einem internationalen Gerichtshof für Staatsverbrechen verantworten müssen: in Nürnberg Funktionäre des nationalsozialistischen Deutschland, in Tokio die Führungselite des japanischen Kaiserreichs. Es gab also erstmals eine globale und justizförmige Lösung für das Problem der Ahndung von Kriegsverbrechen und mit crimes against humanity einen opferzentrierten Straftatbestand. Die Idee, Staaten für Verbrechen an Zivilisten haftbar zu machen, war nicht neu. Wenn in dieser Arbeit die Frage nach einer ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Kontinuität der Debatte aufgeworfen wird, so geht es in der Analyse der epistemischen Neuausrichtung um eine Verschränkung von Ideengeschichte und akteurszentriertem Vorgehen, die auf die Herausbildung global wirksamer Narrative fokussiert und sich kritisch mit jenen Studien auseinandersetzt, die (verkürzend) auf die amerikanische Vorreiterrolle in Nürnberg verweisen. Die vorliegende Arbeit folgt der These eines langwierigen Internationalisierungs- und Verrechtlichungsprozesses, den Michael Walzer als „Legalistisches Paradigma des Krieges“ beschrieben hat.1 Es geht dabei um den Nachweis einer Kontinuitätsthese, die nicht auf die Weltkriege als auslösendes Moment setzt – obwohl die Frage auch 1919 diskutiert wurde und am amerikanischen Widerstand scheiterte. Die langen Linien der Debatte aus dem 19. Jahrhundert sollen vielmehr den Nachweis eines neuen Narrativs ermöglichen, das den Erfolg des Konzeptes von crimes against humanity weniger dem Diktat der Siegermächte zumisst und damit in einen militärischen Kontext stellt, sondern dem Einfluss der Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlicher Organisationen über ein Jahrhundert hinweg zuschreibt. Dieser Ansatz wird als Voraussetzung für die adäquate Berücksichtigung bisher marginalisierter Akteure und ihrer Netzwerke betrachtet. Kontinuität meint in diesem Sinne weniger ein kontinuierliches Entwicklungskonzept, sondern fokussiert auf die Notwendigkeit, die strukturellen Rahmenbedingungen einer zusehends global vernetzten Welt auch außerhalb militärischer Konflikte zu berücksichtigen. 1

Walzer, Michael: Just and Unjust Wars. A moral argument with historical illustrations, New York 4th ed.2006, S. 58–63. Die Definition geht zurück auf Shklar, Judith N.: Legalism. Law, morals, and political trials, Cambridge, Mass. Neuauflage 1986 (1964).

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EINLEITUNG

Diese These folgt den methodologischen und theoretischen Debatten der derzeit diskutierten global ausgerichteten intellectual history, deren Fokus auf die Herausbildung neuer Ideen, deren Verbreitung und deren Inhalte eine alternative Periodisierung erlaubt, anders als sie bislang in der Militär- und Rechtsgeschichte gebräuchlich war. Bei diesem Ansatz kommt den eher marginal eingeschätzten Haager Friedenskonferenzen eine zentrale Bedeutung für die Internationalisierung des Konzepts zu. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die beiden Haager Friedenskonferenzen zu einem historischen Moment wurden, an dem sich die bereits mit dem Lieber-Code 1863 sowie den Konferenzen in Genf, Brüssel und St. Petersburg begonnenen Argumentationsstränge zu einem diskursiven Konzept bündelten, das fortan die öffentliche Debatte prägte. Die Haager Friedenskonferenzen stellten Kristallisationspunkte der Debatten des 19. Jahrhunderts dar, deren Wirkungsmacht bis zur Londoner Konferenz von 1945 reichte. Mit den Haager Friedenskonferenzen – so die These – hatte die Verrechtlichungsdebatte eine neue Qualität erreicht, die über die Möglichkeiten diplomatischer Aushandlung hinausging und Resonanz in der Öffentlichkeit, insbesondere auch in neu entstandenen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie etwa den Friedens- und Frauenverbänden oder dem Carnegie Endowment for Peace fand. Nach Den Haag wurde evident, wie sich die Staatsräson erstmals Vertretern einer internationalen pazifistischen Zivilgesellschaft gegenüber zu rechtfertigen hatte. In der vorliegenden Arbeit wird diskutiert, ob und in welcher Form die Internationale der Juristen das Potential des Öffentlichkeitsbezuges als spezifische, politisch instrumentalisierbare Expertise zu nutzen verstand. Die Bedeutung dieses Ansatzes wird insbesondere in den Phasen der internationalen Neuordnung überprüft. Den Pariser Friedenskonferenzen von 1919 kommt eine besondere heuristische Bedeutung zu, ebenso den friedenssichernden Instrumenten des Völkerbundes in der Zwischenkriegszeit. Spezielle Berücksichtigung erfährt dabei die Herausbildung einer extrem vernetzten, transnational organisierten epistemic community der internationalen Rechtsexperten. Diese global vernetzten Rechtsexperten sollen hernach als zentrale Akteure für die Gestaltung der United Nations War Crimes Commission (UNWCC) thematisiert werden, wobei London als Ort der Debatten oder „intellectual hub“ eine zentrale Bedeutung zukommt. Mit ‚global‘ ist dabei der von den Akteuren generierte öffentliche Raum gemeint, also das Exil als Globalität vermittelnder Raum (um das Konzept des „third space“ von Homi Bhaba zu zitieren2). Es geht darum, Aufschluss zu erhalten über die systematische Struktur dieser transnationalen Zusammenkünfte, den Mechanismus der Herausbildung von Ideen und die persönlichen Spielräume, die den einzelnen Protagonisten gegeben sind. Besonderes Augenmerk liegt dabei auch auf der Form der Kommunikation und der Ausgestaltung dieses Raums (‚public sphere‘).3

2 3

Bhaba, Homi: The Location of Culture, London 1994. Geyer, Martin H./Paulmann, Johannes: Introduction. The Mechanics of Internationalism, in: The mechanics of internationalism. Culture, society, and politics from the 1840s to the First World War

EINLEITUNG

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Die eingangs zitierte Londoner Viermächtekonferenz von 1945 stand demnach in einer langen Reihe von Konferenzen, die man im Sinne der Internationalismusforschung als Plattformen des Aushandlungsprozesses begreifen kann und die für den Debattenfortschritt zentral waren. Sie werden im Folgenden als „Arena der Verrechtlichung“ bezeichnet. Der Konferenz gingen allerdings Ereignisse voraus, die in der Begrifflichkeit von Conrad und Sachsenmeier als ‚global moments‘4 zu verstehen sind. Erez Manela hat als Erster in seiner Studie zu den Versailler Verhandlungen vom ‚Wilsonian Moment‘ gesprochen, um die Zentralität zu betonen.5 In Analogie zu diesen Überlegungen könnte man genauso von einem ‚Hague Moment‘, einem ‚Versailles Moment‘ oder eben einem ‚London Moment‘ sprechen, wie dies neuere Studien, besonders Julia Eichenberg, tun.6 Bezogen auf die hier diskutierte Thematik lässt sich sagen, dass im Brennglas von Den Haag, Versailles und London nicht nur das juristische Konzept von crimes against humanity geschärft, sondern vor allem ein Bewusstsein für einen opferzentrierten Passus im Kriegsvölkerrecht möglich wurde. London als Knotenpunkt von Lebenswegen und Bildungsbiographien, als Ort der Exilregierungen und Aushandlungsprozesse der UNWCC, so die hier vertretene These, ermöglichte eine Bündelung von Debatten, die zuvor verstreut und zeitversetzt stattgefunden hatten, war also also eine zentrale Voraussetzung für die Herausbildung des Konzepts von crimes against humanity. Durch eine Synthese aus völkerrechtlicher und historischer Forschung geht diese Studie über die bisherige Forschung hinaus, indem sie eine globale Verflechtungsgeschichte auf zwei Ebenen bietet, zum einen auf der Ebene des Konzepts von crimes against humanity, zum anderen auf der Akteursebene, wobei besonders marginalisierte Akteure in den Blick genommen werden. Methodisch arbeitet sie mit den Mitteln der intellectual history, analysiert Debatten und beleuchtet Protagonisten, die dem Spektrum der „cultural internationalists“ zugeordnet werden können. Unter dem Begriff werden, Akira Iriye folgend, Bemühungen verstanden, „to link countries and peoples through the exchange of ideas and persons, through scholarly cooperation, or through efforts facilitating cross-national understanding“.7 Im vorliegenden Fall sind transnationale Akteursgruppen – etwa Juristen – gemeint, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlagen für das beginnende humanitäre

4 5 6

7

(Studies of the German Historical Institute London), hrsg. v. Martin H. Geyer/Johannes Paulmann, London, Oxford, New York 2001, S. 1–25. S. 11. Conrad, Sebastian/Sachsenmaier, Dominic (Hgg.): Competing Visions of World Order, New York 2007. Manela, Erez: The Wilsonian moment. Self-determination and the international origins of anticolonial nationalism, Oxford, New York 2007. An der Humboldt-Universität zu Berlin entsteht eine Habilitationsschrift von Julia Eichenberg unter dem Titel „The London Moment. Zur Zusammenarbeit europäischer Exilregierungen während des Zweiten Weltkriegs“, die jedoch eine andere Fragestellung als die vorliegende Arbeit verfolgt, vgl. die Projektskizze unter https://exilegov.hypotheses.org/. Bei Drucklegung war im Erscheinen: Julia Eichenberg, Macht auf der Flucht. Europäische Regierungen in London, 1940–1944, in: Zeithistorische Forschungen 3/2018, Flucht als Handlungsraum, hg. von Bettina Severin-Barboutie und Nicola Tietze. Iriye, Akira: Cultural internationalism and world order, Baltimore 1997, S. 3.

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EINLEITUNG

Kriegsvölkerrecht legten und aus verschiedenen Perspektiven um Lösungen zum Schutz von Kombattanten wie Zivilisten rangen. ‚Transnational‘ verstehe ich hier als Begriff, der deutlich macht, dass sich Akteure nicht im offiziellen gouvernementalen Auftrag, sondern gleichsam aus der zweiten Reihe, aber dennoch grenzüberschreitend, zu Gruppen zusammenfanden, weil sie ein gemeinsames Ziel verfolgten. Das vorgestellte Narrativ bedient kein lineares Fortschritts-Narrativ. Vielmehr soll gezeigt werden, dass statt einer linearen Entwicklung eine komplexe Überlagerung von kontroversen Versatzstücken aus unterschiedlichen historischen und räumlichen Kontexten das Bild prägte und eine strukturelle Neuausrichtung des Narrativs ermöglichte. Dabei sind selbst jene Debatten bedeutsam, die scheinbar erfolglos blieben, aber wie die publizistischen Vorarbeiten zur – letztlich nicht abgehaltenen – dritten Haager Friedenskonferenz den Diskurs nachhaltig beeinflussten. Der modernen intellectual history erscheint weder eine akteurszentrierte Netzwerkanalyse noch die Bündelung der öffentlichen Aufmerksamkeit in ‚global moments‘ hinreichend. Auch in dieser Arbeit wird angenommen, dass die Dynamik der Debatte dem öffentlichkeitswirksamen Platzieren von Schlüsselbegriffen zuzuschreiben ist. Das Verständnis von ‚humanity‘ bildet eine Art Scharnier, das die Anfänge der Bemühungen um die Zivilisierung von Kriegsgewalt aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, insbesondere die berühmte Präambel der Haager Landkriegsordnung, mit den juristischen Debatten des Zweiten Weltkriegs verbindet. Als konzeptionell strukturierende Begriffe werden im Folgenden die drei Elemente dieser sogenannten Martens-Klausel herangezogen: ‚law of civilized nations‘, ‚laws of humanity‘ und ‚public conscience‘. In diesem Dreiklang bündelte sich das Spannungsfeld eines Staats- und Völkerrechtsverständnisses zwischen Nationalismus und Internationalismus, das sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte und im 20. Jahrhundert zunächst im Völkerbund und dann in den United Nations Widerhall fand. Gerade die Spannung zwischen dem Versprechen von ‚humanity‘ und seinem noch nicht ausgeschöpften Potential ist bedeutsam, um die Wirkungsmacht in die Öffentlichkeit hinein zu erklären.8 Mit dieser Agenda war der Internationalismus im ausgehenden 19. Jahrhundert schnell an die Grenzen der staatlichen Ordnungsvorstellungen gestoßen.9 Daher kam der Herausbildung von Austauschbeziehungen als Alternative zur Machtpolitik besondere Bedeutung zu.10 Geyer und Paulmann sprechen in diesem Zusammenhang von „mechanics of internationalism“.11 Die kons8 9

10 11

Sluga, Glenda: Internationalism in the Age of Nationalism (Pennsylvania studies in human rights), Philadelphia 2013, S. 3. Vergleiche z.B. den Sammelband Bell, Duncan (Hrsg.): Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenth-century political thought (Ideas in context 86), Cambridge, New York 2007. Conrad, Sebastian: Globalgeschichte. Eine Einführung (Beck’sche Reihe 6079), München 2013. Iriye, Cultural internationalism and world order; Iriye, Akira: Global community. The role of international organizations in the making of the contemporary world, Berkeley 2002. Geyer, Martin H./Paulmann, Johannes: Introduction. The Mechanics of Internationalism, in: The mechanics of internationalism. Culture, society, and politics from the 1840s to the First World War (Studies of the German Historical Institute London), hrsg. v. Martin H. Geyer/Johannes Paulmann, London, Oxford, New York 2001, S. 1–25.

EINLEITUNG

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tituierenden Elemente der Debatten um ‚humanity‘ waren zum einen Expertenzirkel und diplomatische Konferenzen, zum anderen die entstehende Öffentlichkeit und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Frage der Zivilisierung von Kriegsgewalt beschäftigten. Die Problematisierung der Ahndung von Kriegsgewalt ist dabei eng verbunden mit der Herausbildung des Konzepts der Menschenrechte als Diskursfigur internationaler Politik, und es ist Annette Weinke zuzustimmen, die herausgearbeitet hat, dass sich völkerrechtliche Debatten und Menschenrechtsdiskurse gerade in den 1940er Jahren erstmals berührten12 und die Menschenrechtsthematik nicht erst im Gefolge der Studentenproteste und der neuen sozialen Bewegungen in den 1970er Jahren aufkam, wie Moyn betont hat.13 Betrachtet man die Debattenkultur von transnationalen Expertenzirkeln, so wird zudem deutlich, dass sich zusammen mit der Vision des zu erreichenden Ziels eine Art transnationale Gruppenidentität herausbildete.14 Erreicht wurde diese Metaebene zum einen durch die bereits genannten „Arenen der Verrechtlichung“, zum anderen durch eine gemeinsame Sprache und Rückgriff auf Schlüsselbegriffe und Narrative. Ein wesentlicher Begriff dieser Debatten war das ‚Zivilisationsparadigma‘, das den Rechtsraum des Völkerrechts anhand abstrakter Kriterien wie Rechtssicherheit und Staatsform ordnete. Für die Debatten zur Einhegung der Kriegsgewalt unter souveränen Staaten war die Denkfigur des ‚Zivilisationsstandards‘ ganz zentral. Sprache ist jedoch auch konkret als Parameter zu verstehen, zieht man in Betracht, dass gerade der direkte Austausch und die Einigung auf Englisch als Debattensprache vor Ort in London während des Zweiten Weltkriegs erstmals eine Diskussionsverdichtung und Bündelung von Argumentationen ermöglichten, die durch die bisherige akademische Korrespondenzkultur nicht hatten erreicht werden können. Crimes against humanity ist ein Konzept, dem der Kernbegriff ‚humanity‘ zugrunde liegt, der in viktorianischen Ordnungsvorstellungen des 19. Jahrhunderts wurzelt. Dieses Konzept transformierte sich, über eine moralische und eine politische Dimension während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Verlauf des Zweiten Weltkriegs durch die Beiträge der hier vorgestellten Akteure, in ein ‚legal tool‘. Die Wahl des Begriffs ‚humanity‘ für ein zur Strafverfolgung konzipiertes Instrument ist also nicht zufällig: Vielmehr schlug er die Brücke zwischen viktorianischen Ordnungsvorstellungen durch Recht, wie sie die Debatten der 1870er Jahre belebt hatten, und einem modernen, visionären Völkerrecht der 1940er Jahre, das, so die Hoffnungen des Sommers 1945, durch eine supranationale Institution wie die United Nations überwacht werden würde. 12 13 14

Weinke, Annette: Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016. S. 114. Moyn, Samuel: The last utopia. Human rights in history, Cambridge, Mass. 2010. Besonders der etwas enger gefasste Menschenrechtsbegriff und die Analyse auf S. 176–211. Vgl. hier Webster, Andrew: The Transnational Dream. Politicians, Diplomats and Soldiers in the League of Nations’ Pursuit of International Disarmament, 1920-1938, in: Contemporary European History 14/(4) (2005), S. 493–518. Laqua, Daniel: Transnational intellectual cooperation, the League of Nations, and the problem of order, in: Journal of Global History 6/(02) (2011), S. 223–247. S. 226.

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Bisher wurde die erste Verwendung des Begriffs crimes against humanity meist mit einer Protestnote gegen den Völkermord an den Armeniern 1915 in Verbindung gebracht, wie später ausgeführt werden wird.15 Zudem findet sich der Begriff in der Mantelnote der Alliierten an das Deutsche Reich vom Juni 1919, verschwand aber in der Folge der amerikanischen Intervention aus dem Entwurf und steht somit nicht in der Endfassung des Versailler Friedensvertrags. Der Begriff ist jedoch möglicherweise noch älter als bisher angenommen, wie Studien zum Beginn der humanitären Intervention nahegelegt haben.16 So hat Klose die Nutzung des Begriffs in der Anti-Sklaverei-Debatte der Abolitionisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts betont17 und den Gebrauch insbesondere in den Schriften des US-Juristen Henry Wheaton nachgewiesen, der über den Sklavenhandel schreibt: „… public opinion stigmatizing the traffic as a crime against humanity“.18 Jenny Martinez hat darauf hingewiesen, dass der Begriff auch in den sogenannten ‚mixed commissions‘ des 19. Jahrhunderts auftaucht, gemischt besetzten militärischen Gerichtshöfen, die Verbrechen im Zusammenhang mit Sklaverei verhandelten, und sieht hierin die Grundlagen des späteren (juristischen) Konzepts von crimes against humanity.19 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Konnotation dieser frühen Verwendung eine andere ist: Hier geht es um eine moralische Rechtfertigung zur politischen Intervention, nicht um ein Rechtskonzept, und das Interesse dieser Gerichtshöfe galt der Ladung der Sklavenschiffe, mithin der Ware, und keineswegs dem Leid der Menschen, also den Opfern. Begrifflich drehte sich die Debatte mit dem Ziel, den Krieg zu zivilisieren, um ‚war crimes‘ (wobei der Begriff, 1906 von Oppenheim definiert, als solcher bis zum Zwei15

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Peter Holquist war der Erste, der in einem (unveröffentlichten) Vortrag auf die älteren Wurzeln des Konzepts hingewiesen hat, vgl. Holquist, Peter: The Origins of “Crimes against Humanity”. The Russian Empire, International Law and the 1915 note on the Armenian Genocide, Harvard Global History Seminar. Klose, Fabian: The Emergence of Humanitarian Intervention. Three centuries of ‚enforcing humanity‘, in: The emergence of humanitarian intervention. Ideas and practice from the nineteenth century to the present (Human rights in history), hrsg. v. Fabian Klose, Cambridge, UK 2016, S. 1–30. Seine Habilitationsschrift, die leider bei Drucklegung noch nicht vorlag und daher nicht mehr rezipiert werden konnte, wird erscheinen unter dem Titel Klose, Fabian: „In the Cause of Humanity“. Eine Geschichte der humanitären Intervention im langen 19. Jahrhundert, Göttingen 2018. Klose, Fabian: „A War of Justice and Humanity“. Abolition and Establishing Humanity as an international Norm, in: Humanity. A history of European concepts in practice from the 16th century to the present (V&R academic 110), hrsg. v. Fabian Klose/Mirjam Thulin, Göttingen 2016, S. 169–186. Klose bezieht sich hier auf Wheaton, Henry: Enquiry into the Validity of the British Claim to a Right of Visitation and Search of American Vessel Suspected to be Engaged in the African Slave Trade, Philadelphia 1842, S. 4 und 6; erneut taucht der Begriff auf in Wheaton, Henry: History of the Law of Nations in Europe and America from the Earliest Times to the Treaty of Washington, 1842, Philadelphia 1845. S. 594. Ich danke Fabian Klose für den Hinweis. Vgl. Martinez, Jenny S.: Antislavery Courts and the Dawn of International Human Rights Law, in: The Yale Law Journal, 117/(No. 4) (2008), S. 550–641.; Martinez, Jenny S.: The Slave Trade and the Origins of International Human Rights Law, Oxford 2012, S. 115, 136. Für den Kontext vgl. Shaikh, Farida: Judicial Diplomacy. British Officials and the Mixed Commission Courts, in: Slavery, Diplomacy and Empire. Britain and the Suppression of the Slave Trade, 1807-1975, hrsg. v. Keith Hamilton/ Patrick Salmon, Brighton 2009, S. 42–64.

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ten Weltkrieg fast nicht gebräuchlich war und auch die Dimension von Verstößen, die später virulent wurde, im 19. Jahrhundert noch nicht vorstellbar war20). Der Begriff ‚war crimes‘ wird heute von Historikern meist als Gattungsbezeichnung verwendet und betrifft die Ausprägung sowie juristische Ahndung von Kriegsgewalt, wobei kein Unterschied gemacht wird, ob diese Ahndung vor nationalen oder internationalen Strafgerichtshöfen erfolgt und ob Kriegsverbrechen im engeren Sinn, crimes against humanity oder Verbrechen gegen den Frieden verhandelt werden.21 Doch von Anfang an ging es in den Verrechtlichungsdebatten, die hier untersucht werden, um eine globale Vorstellung von Gewaltprävention. Zu Beginn der Debatten um die Zivilisierung von Kriegsgewalt standen vor allem Kombattanten im Fokus der Bemühungen, und erst im Verlauf der Debatten (und durch die Erfahrung mehrerer Kriege) zeigte sich, dass auch der Schutz von Zivilisten vor Kriegsgewalt zu regeln war. Die Wahl des Begriffes crimes against humanity stellte dabei eine Verbindung zum universalistischen Anspruch her, den die Präambel der Haager Landkriegsordnung (die nach ihrem Schöpfer benannte Martens-Klausel) von 1907 aufgestellt hatte und der besagte, dass diese Regeln für alle Verbrechenstypen Geltung hätten, die bisher noch nicht definiert seien oder sich zukünftig noch ergeben würden. Crimes against humanity und der dem Konzept innewohnende opferzentrierte Ansatz war daher seit Den Haag als übergreifendes Konzept implizit immer mitgedacht, auch wenn der Begriff erst in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs völkerrechtlich definiert wurde. Der universalistische Anspruch ist für die Verrechtlichungsdebatte von ganz zentraler Bedeutung. Gerade unter globalhistorischen Fragestellungen lassen sich die Ambivalenz und der Eurozentrismus von sozialwissenschaftlichen Begriffen problematisieren.22 Ein für das Verständnis der Debatten zentraler Begriff ist ‚Zivilisation‘ bzw. ‚Zivilisationsstandard‘. Mit ‚Zivilisation‘ wird in rechtshistorischer Perspektive der Geltungsbereich des Völkerrechts im 19. Jahrhundert umrissen, der bis weit ins 20. Jahrhundert auf sogenannte ‚zivilisierte Staaten‘ beschränkt blieb.23 Laqua be20 21

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Hierzu als Einstieg Münkler, Herfried: Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 2004. Simpson, Gerry J.: War Crimes: A Critical Introduction, in: The Law of War Crimes. National and International Approaches, hrsg. v. McCormack, Timothy L. H/Gerry J. Simpson, The Hague 1997, S. 1–30. S. 3. Daran gibt es Kritik, so betont Ahlbrecht, dass es unerlässlich sei, die Straftatbestände klar gegeneinander abzugrenzen. (Vgl. Ahlbrecht, Heiko: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, Berlin 1999. S. 3–4.) Auch Ball argumentiert, crimes against humanity werde heute als eigenständiger Straftatbestand begriffen und nicht mehr unter Kriegsverbrechen gefasst. (Vgl. Ball, Howard: War crimes and justice. A reference handbook, Santa Barbara, Calif. 2002. S. 5–19) Für eine Untersuchung unter der vorliegenden Fragestellung, die die longue durée in den Blick nimmt und die Genese des Konzepts von crimes against humanity untersucht, ist es jedoch legitim, crimes against humanity als logische Fortentwicklung der Debatte zu war crimes zu analysieren, denn insbesondere in der Debatte der 1940er Jahre werden alle drei Begriffe noch parallel gebraucht. Conrad, Globalgeschichte, S. 21. Duve, Thomas: Von der Europäischen Rechtsgeschichte zu einer Rechtsgeschichte Europas in globalhistorischer Perspektive, in: Rechtsgeschichte – Legal History 2012/20 (2012), S. 18–71. S. 19; Geyer, Martin H./Paulmann, Johannes: Introduction. The Mechanics of Internationalism, in: The mechanics of internationalism. Culture, society, and politics from the 1840s to the First World War

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tont: „Many protagonists of intellectual cooperation viewed global order as a dialogue between ‚civilizations‘“.24 Die Idee von Strafverfolgung vor einem internationalen Strafgericht bedrohte jedoch den Souveränitätsgedanken. Die Verbindung zwischen Souveränitätsprinzip und Zivilisationsparadigma ist ein wesentlicher Bestandteil des Völkerrechts im 19. Jahrhundert, und damit ist ein Hindernis der Verrechtlichungsdebatte klar benannt.25 Entscheidend für die Herausbildung eines ‚zivilisatorischen Standards‘ für Kriegsgewalt waren nicht allein völkerrechtlicher Debattenfortschritt und politische Einsicht, sondern die Herausbildung einer Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit (‚public conscience‘) für diese Fragen sowie der Gruppe von transnationalen Akteuren, die sich nach dem Ersten Weltkrieg oftmals in den Unterorganisationen des Völkerbunds zusammenfanden und damit nicht nur argumentativ, sondern – wie anhand personeller Kontinuitäten sichtbar wird – auch personell den Grundstock für die think tanks des Zweiten Weltkriegs bildeten, die wiederum zu Teilen in der UN-Bürokratie aufgehen sollten. Methodisch verweist dieser Befund auf zweierlei: Zum einen sind juristische Konzepte wie crimes against humanity auch von historischer Seite erklärungsbedürftig, insbesondere im Hinblick auf die starken Argumentationsstränge aus dem 19. Jahrhundert, die begrifflich darin erkennbar sind. Da Konzepte nicht nur rezipiert, sondern jahrelang diskutiert werden, ist darüber hinaus die Akteursebene von zentraler methodischer Bedeutung, denn auf ihr manifestiert sich der Transfer in den öffentlichen Raum. In den Debatten spiegelt sich ein Dialog zwischen Expertenmeinung und der politischen und diplomatischen Ebene, aber auch der Herausbildung einer kritischen Öffentlichkeit. Es wird also darum gehen, die Konzeptgeschichte mit der Akteursebene zu verbinden, um zu neuen Erklärungsansätzen zu kommen. Diese Verbindung anhand eines der bekanntesten völkerrechtlichen Konzepte der Nachkriegszeit neu zu denken ist Anliegen dieser Studie. Hilfreich ist der Ansatz der Global History in Bezug auf die Analyse transnationaler Netzwerke, die sich in der Verrechtlichungsdebatte formierten. Gemeinhin wird bei der Erforschung von Netzwerken nach deren Agenda, Entwicklung, Verbreitung und Funktionsweise gefragt.26 Global intellectual history legt den Schwerpunkt nun nicht nur auf die Erforschung des Netzwerks an sich, seiner Topographie und Funktionsweise, sondern auf die Vermittlung der Ideen, die Ansprechpartner

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(Studies of the German Historical Institute London), hrsg. v. Martin H. Geyer/Johannes Paulmann, London, Oxford, New York 2001, S. 1–25. S. 10. Laqua, Daniel: Transnational intellectual cooperation, the League of Nations, and the problem of order, in: Journal of Global History 6/(02) (2011), S. 223–247. S. 229. Fisch, Jörg: Internationalising Civilization by Dissolving International Society. The status of nonEuropean territories in Nineteenth-Century International Law, in: The mechanics of internationalism. Culture, society, and politics from the 1840s to the First World War (Studies of the German Historical Institute London), hrsg. v. Martin H. Geyer/Johannes Paulmann, London, Oxford, New York 2001, S. 235–257. S. 252. Moyn, Samuel/Sartori, Andrew: Approaches to Global Intellectual History, in: Global intellectual history (Columbia studies in international and global history), hrsg. v. Samuel Moyn/Andrew Sartori, New York 2009, S. 3–32. S. 13.

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und den Kreislauf, den die Debatte in Gang setzt und in den die Argumente zwischen verschiedenen Vermittlern eingehen.27 Georgios Varouxakis hat darauf hingewiesen, dass ‚kleine‘ Staaten (als Gegenüber von Großmächten) tatsächlich seit der Viktorianischen Zeit eine konkrete Kategorie internationaler Beziehungen darstellten.28 Vertreter der ‚kleineren‘ Staaten nutzten internationale Gremien wie den Völkerbund oder später die UNWCC als „Hintertüren zur Macht“ (um Madeleine Herrens Studie zu Einflussmöglichkeiten der Schweiz abseits der üblichen Wege zu zitieren) und standen damit in der Tradition des Internationalismus.29 Um als Diskussionsteilnehmer anerkannt zu werden, war lediglich die Zugehörigkeit zum Geltungsbereich des Völkerrechts und zur Gruppe der ‚zivilisierten Staaten‘ wichtig. Betrachtet man insbesondere den kontinuierlichen Beitrag beispielsweise belgischer Juristen zu den Debatten seit den 1870er Jahren, erhält diese These zusätzliches Gewicht, wie noch zu zeigen sein wird. ‚Kleinere‘ Nationen ist hier kein abwertender Begriff oder gar ein Verweis auf geographische Größe – vielmehr sei auf das Konzept Arnulf Becker Lorcas zur Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen verwiesen, das in dieser Arbeit zentral verwendet wird. Die Idee der ‚semi-peripheral states‘ bei Becker Lorca steht in der Tradition der Postcolonial Studies, am prominentesten vertreten durch Dipesh Chakrabarty30 und Anthony Anghie31, und wurde in den letzten Jahren auch in der global ausgerichteten Rechtswissenschaft diskutiert.32 Becker Lorca betont, dass gerade die Zugehörigkeit zu einem ‚semi-peripheral state‘,33 also einem kleineren, nicht unmittelbar an der Weltpolitik beteiligten Staat, Protagonisten die Gelegenheit gegeben habe, rechtliche Konzepte unabhängiger zu entwickeln, als dies Juristen aus den etablierten Großmachtstaaten Europas und aus den USA vielleicht möglich war. Diese intellektuelle Unabhängigkeit ist ein Aspekt, den auch Michael Goebel in sei27 28

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Moyn/Sartori, Approaches to Global Intellectual History, S. 13. Varouxakis, Georgios: ‚Great‘ versus ‚small‘ Nations. Size and National Greatness in Victorian Political Thought, in: Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenthcentury political thought (Ideas in context 86), hrsg. v. Duncan Bell, Cambridge, New York 2007, S. 136–158. Herren, Madeleine: Hintertüren zur Macht. Internationalismus und modernisierungsorientierte Außenpolitik in Belgien, der Schweiz und den USA 1865-1914 (Studien zur internationalen Geschichte Bd. 9), München 2000, S. 129. Chakrabarty, Dipesh: Provincializing Europe. Postcolonial thought and historical difference (Princeton studies in culture/power/history), Princeton, N.J. 2000. Anghie, Antony: Imperialism, Sovereignty, and the Making of International Law (Cambridge studies in international and comparative law 37), Cambridge, UK, New York, NY 2005. Fassbender, Bardo/Peters, Anne: Introduction: Towards a Global History of International Law, in: The Oxford handbook of the history of international law, hrsg. v. Bardo Fassbender/Anne Peters/ Simone Peter, Oxford 2012, S. 1–25. S. 9. Vgl. auch Zumbansen, Peer: Piercing the Legal Veil: Commercial Arbitration and Transnational Law, in: European Law Journal 8, 3 (2002), S. 400–432. Becker Lorca, Arnulf: Mestizo international law. A global intellectual history 1842-1933 (Cambridge studies in international and comparative law), Cambridge, United Kingdom 2014 S. 8. Becker Lorca analysiert Juristen des 19. Jahrhunderts aus Russland, Rumänien, Griechenland, Argentinien, Japan und China. Vgl. auch Anghie, Anthony: Finding the Peripheries. Sovereignty and Colonialism in Nineteenth Century International Law, in: Harvard International Law Journal Vol. 40/1 (1999), S. 1–80.

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ner Studie stark propagiert.34 Auch wenn Becker Lorca in seiner Untersuchung klar auf postkoloniale Akteure rekurriert, so scheint das Konzept doch – ohne unreflektierte Gleichsetzung betreiben zu wollen – auch brauchbar etwa für kleinere europäische Staaten wie Belgien oder die erst im Gefolge der Versailler Bestimmungen zur Unabhängigkeit gelangten kleineren Staaten Ostmitteleuropas, die ebenfalls von diplomatischen Entscheidungsprozessen der Großmächte weitgehend ausgeschlossen waren und daher in den 1920er Jahren die Gremienarbeit internationaler Organisationen als Bühne entdeckten. Gerade in völkerrechtlichen Diskursen besteht zudem ein enger Zusammenhang zwischen der Debatte um Kriegsverbrecherprozesse und postimperialen Forderungen nach Dekolonisierung und mehr politischer Partizipation, man denke hier etwa an die Debatte um Lemkins Genozidkonzept.35 Die meisten der Akteure waren nicht nur intellektuell vernetzt, etwa in berufsständischen Organisationen und über korrespondierende Akademien, sondern stellten sich in den Dienst der sich herausbildenden internationalen Organisationen, die somit zu think tanks des Austausches wurden.36 Wie Segesser herausgearbeitet hat, waren das Institut de Droit International, die International Law Association und die Association Internationale de Droit Pénal Ende des 19. Jahrhunderts vergleichbar einflussreich wie heute Human Rights Watch.37 Die Zivilisierung von Kriegsgewalt war eines dieser Projekte, die parallel auf der juristischen wie der politischen Agenda standen, die sich aber erst in den Exiljahren des Zweiten Weltkriegs wirksam entfalteten. Daniel Laqua hat mit Blick auf seine Studien zu einzelnen Völkerbundinstitutionen der 1920er Jahre darauf hingewiesen: „While these bodies were vessels for efforts to create order, they depended on existing hierarchies.“38 Bezogen beispielsweise auf den Kulminationspunkt der Debatten, die in der United Nations War Crimes Commission in den frühen 1940er Jahren in London stattfanden, lässt sich klar belegen, wie stark Hierarchien, die sich aufgrund der nationalen Zugehörigkeit ergaben, in diesen vornehmlich supranationalen Institutionen fortwirkten und zu Friktionen und Frustrationen führten. 34 35

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Goebel, Michael: Anti-Imperial Metropolis. Interwar Paris and the Seeds of Third-World Nationalism, New York 2015. Hierzu wird die Studie von Dirk Moses erwartet, die bei Drucklegung leider noch nicht vorlag, vgl. Moses, A. Dirk: The Problems of Genocide. Permanent Security and the Language of Transgression, Cambridge 2018. In früheren Schriften hat Moses wiederholt auf diesen Zusammenhang hingewiesen, so z.B. Moses, A. Dirk (Hrsg.): Empire, colony, genocide. Conquest, occupation, and subaltern resistance in world history (Studies on war and genocide 12), New York [u.a.] 2011. Webster, Andrew: The Transnational Dream. Politicians, Diplomats and Soldiers in the League of Nations’ Pursuit of International Disarmament, 1920-1938, in: Contemporary European History 14/ (4) (2005), S. 493–518. McCarthy, Helen: The Lifeblood of the League? Voluntary Associations and League of Nations Activism in Britain, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 187–208. Segesser, Daniel Marc: Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen fachwissenschaftlichen Debatte 1872-1945 (Krieg in der Geschichte 38), Paderborn 2010, S. 71. Laqua, Daniel: Transnational intellectual cooperation, the League of Nations, and the problem of order, in: Journal of Global History 6/(02) (2011), S. 223–247. S. 226.

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Wie Glenda Sluga mit Blick auf ihre Studie zum Universal Races Congress 1911 festgehalten hat, gaben internationale Organisationen vielen Protagonisten die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, während Letztere im Heimatland noch um Anerkennung von Grundrechten oder ihre Herkunftsstaaten um nationale Souveränität rangen.39 Jürgen Osterhammel betont in seinem Panorama der Welt im 19. Jahrhundert die Rechtsentwicklung, insbesondere im Völkerrecht, als globalisierten Aushandlungsprozess.40 Wie Gorman in seiner Untersuchung zur Herausbildung der internationalen Gemeinschaft in den 1920er Jahren ausführt, war es der Schock des Ersten Weltkriegs, der die Experten erstmals näher an die Exekutive heranbrachte und ein Feld eröffnete, auf welchem Staatsmänner den Kontakt zu Fachleuten suchten, um globale Probleme zu lösen.41 Isabel Hull wiederum hat in ihrer Studie den Blick auf die juristische Funktionselite in der Zeit des Ersten Weltkriegs gelenkt, die die Kodifizierung abseits des Rampenlichts vorantrieb. In ihrer vergleichenden Studie zum Rechtsverständnis britischer, französischer und deutscher Völkerrechtler diskutiert sie die Frage, inwieweit deutsche Völkerrechtstheorien mit dem universalistischen Verständnis unvereinbar waren, das etwa dem britischen oder dem französischen Ansatz zugrunde lag, und im Ergebnis darin gipfelten, deutsche Völkerrechtsverstöße wissenschaftlich als „Notwehr“ zu bemänteln.42 Eine wichtige Analysekategorie stellt auch die Bildungsbiographie der Protagonisten dar, viele davon aus Universitäten des untergehenden Habsburgerreiches mit seinen politischen und antisemitischen Spannungen.43 Thomas Duve betont in rechtshistorischen Studien den persönlichen Hintergrund der Akteure: „Mit ihren zwischen den Kontinenten verlaufenden Biographien waren auch die Wahrnehmungs- und Handlungshorizonte, die mental maps vieler Juristen, Kanonisten und Moraltheologen geprägt von Erfahrungen an verschiedenen Orten der europäischen Monarchie“.44 David Armitage sieht die internationale Vernetzung der Akteure als erstes transnationales Netzwerk der Intellektuellen dieser Zeit.45 Susan Pedersen kommt in ihrer Analyse zum Mandatssystem des Völkerbunds zu dem Schluss, dieser sei ein Vehikel des Internationalismus gewesen, in dem brennende Probleme der Gegenwart abseits der üblichen nationalstaatlichen Kanäle hätten diskutiert werden können.46 Im Hinblick auf die Ächtung des Angriffskrieges und die Schaffung 39 40 41 42 43 44 45

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Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism, S. 8. Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Historische Bibliothek der Gerda-Henkel-Stiftung), München 2011. Gorman, Daniel: The emergence of international society in the 1920s, Cambridge 2012, S. 2. Hull, Isabel V.: A scrap of paper. Breaking and making international law during the Great War, Ithaca 2014. S. 94 f. Hierzu vgl. Stadler, Friedrich (Hrsg.): Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, 1930-1940 (Emigration, Exil, Kontinuität Bd. 2), Münster Unv. Neuaufl.2004. Duve, Thomas: Von der Europäischen Rechtsgeschichte zu einer Rechtsgeschichte Europas in globalhistorischer Perspektive, in: Rechtsgeschichte – Legal History 2012/20 (2012), S. 18–71. S. 28. Armitage, David: Foundations of modern international thought, Cambridge, New York 2013; Armitage, David: The International Turn in Intellectual History, in: Rethinking modern European intellectual history, hrsg. v. Darrin M. McMahon/Samuel Moyn, Oxford, New York 2014, S. 232–252. Pedersen, Susan: The Guardians. The League of Nations and the crisis of empire, Oxford 2015, S. 4.

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des neuen Straftatbestands „Crimes against Peace“ hat Jonathan Bush in einem Aufsatz erstmals die Diskussionsstränge hinter den Kulissen amerikanischer Ostküstenuniversitäten, besonders Sheldon Glueck in Harvard, und Juristen der UNWCC in den Blick genommen, allerdings bezogen auf den Tatbestand „Aggression“.47 Zur Organisation und Interaktion der UNWCC hat Arie Kochavi 1998 eine erste Untersuchung vorgelegt, die erst in jüngster Zeit durch politikwissenschaftliche Studien von Daniel Plesch ergänzt wurde.48 Eine kontextbezogene, an den Debatten orientierte ideengeschichtliche Untersuchung der UNWCC steht jedoch noch aus, so dass die vorliegende Arbeit hier eine Lücke schließen und erste Thesen aufstellen will. Für das Konzept von crimes against humanity sind inhaltlich zwei Diskussionsstränge bedeutsam: zum einen das Zivilisationskonzept, mit dem der Geltungsraum von Recht beschränkt wurde, während es gleichzeitig zur Untermauerung eines universalistischen Geltungsanspruchs von Recht diente, zum anderen das Problem einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zur Einhaltung der neuen Standards, die durch das absolute Prinzip der staatlichen Souveränität lange in ihrer Entfaltung behindert wurde. Erst die Aufgabe des Zivilisationsstandards in der Zwischenkriegszeit sowie eine Einigung auf die Abkehr vom Souveränitätsprinzip in Fragen der Ahndung von Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs führten zu einem strafrechtlich nutzbaren Konzept von crimes against humanity. Die Vision von einem internationalen Strafgerichtshof weist zudem auf eines der zentralen Elemente der völkerrechtlichen Debatten hin, nämlich auf die Herstellung von juristischer Öffentlichkeit in einem institutionellen Rahmen, genauer: einem internationalen Tribunal. Crimes against humanity war ein Konzept, das aus dem Kontext transnationaler Akteure im Exil und unterschiedlicher Gewalterfahrungen in Europa und Asien mit universalistischem Ansatz und für alle Zukunft Gewalt gegen Zivilisten unter Strafe stellen sollte. Es ist dabei auch das erste Konzept des Kriegsvölkerrechts, das einen opferzentrierten Ansatz bietet. Eine Gruppe von transnationalen Juristen der 1940er Jahre, viele davon aus ‚semi-peripheral states‘ oder mit jüdischem Hintergrund, wurde entscheidend für den Erfolg des Projektes, da es ihnen gelang, aus der Exilsituation heraus Expertise mit politischer Durchsetzungskraft zu verbinden.49 Diese Expertenzirkel, die sich noch 47 48

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Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. Kochavi, Arieh J.: Prelude to Nuremberg. Allied war crimes policy and the question of punishment, Chapel Hill, London 1998; Plesch, Daniel: America, Hitler and the UN. How the Allies won World War II and forged a Peace, London 2011; Plesch, Daniel/Weiss, Thomas G.: Wartime origins and the future United Nations (Routledge global institutions series 94), London, New York 2015. Zur Exilforschung grundlegend Briegel, Manfred/Frühwald, Wolfgang (Hgg.): Die Erfahrung der Fremde. Kolloquium des Schwerpunktprogramms Exilforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Forschungsbericht, Weinheim 1988. Institut für Zeitgeschichte (Munich, Germany) (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933-1945. International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933-1945, München 1980. Stadler, Friedrich (Hrsg.): Vertriebene Vernunft I. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, 1930-1940 (Emigration, Exil, Kontinuität Bd. 1), Münster Unv. Neuaufl. (1987)2004. Krohn, Claus-Dieter/Kohlhaas, Elisabeth (Hgg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration, 1933-1945, Darmstadt 1998.

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während des Krieges am Knotenpunkt in London (‚London hub‘) zusammenfanden, formierten sich zu einer epistemic community und werden in dieser Studie verstanden als Akteure einer neuen, transnational wirkenden Politik.50 Durch ihre Lobbyarbeit tauchte im Sommer 1945 der Begriff crimes against humanity wieder in einem diplomatischen Dokument auf. Dabei stellt sich die zentrale Frage, wie der Transfer von der Expertenöffentlichkeit auf die politische Bühne gelang. Am 31. Juli 1945 findet sich der Begriff crimes against humanity erstmals in einem US-Entwurf für die Charta.51 Der US-Unterhändler Justice Robert Jackson erklärte zu dieser Neuerung, dass er einem Vorschlag des britischen Völkerrechtlers Hersch Lauterpacht folge,52 der Jackson einige Tage zuvor in sein Haus nach Cambridge eingeladen und dort offenbar den Begriff ins Spiel gebracht hatte.53 Da keine Mitschriften dieses Gartengesprächs existieren, ist dies bis heute die gängige völkerrechtliche Lesart; sie verschleiert jedoch die historische Genese des Begriffes und Lauterpachts Rolle als Transmitter, der intensive Debatten innerhalb der UNWCC sowie der London International Assembly (LIA) aus den frühen 1940er Jahren bündelte und Jackson vortrug. Zwar war das Konzept von crimes against humanity nicht von Lauterpacht selbst entwickelt worden,54 aber er hatte an Debatten teilgenommen, die besonders von Exiljuristen innerhalb der UNWCC, namentlich Bohuslav Ecer aus der Tschechoslowakei und Marcel De Baer aus Belgien, geführt worden waren und die vom US-Abgesandten Herbert Pell und dem australischen Delegationsleiter Lord Wright unterstützt wurden. Diese internen Debatten in UNWCC-Zirkeln hatten jedoch keinerlei Verbindung zur Exekutive. Lauterpacht war als Berater des britischen Delegationsführers Maxwell Fyfe im Sommer 1945 der Einzige, der eine juristische Expertendebatte auf die politische Ebene und damit in die Nähe der erfolgreichen Umsetzung heben konnte, indem er diesen Begriff und das dahinterstehende Konzept einem 50

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Lingen, Kerstin von: Setting the Path for the UNWCC: The Representation of European Exile Governments on the London International Assembly and the Commission for Penal Reconstruction and Development, 1941–1944, in: Criminal Law Forum (2014), S. 45–76. S. 46. Revision of Definition of „Crimes“, Submitted by American Delegation, 31.07.1945, abgedruckt in Jackson, Robert H.: Report to the International Conference on Military Trials London 1945, Washington 1947, S. 395. Koskenniemi, Martti: The gentle Civilizer of Nations. The rise and fall of International Law, 18701960, Cambridge, UK, New York 2002 betont, Lauterpacht habe eine zentrale Rolle für das britische Anklägerteam von Nürnberg gespielt, indem er die Eröffnungs- und Schlussrede für den Nürnberger Prozess schrieb, vgl. sein Kapitel: „Lauterpacht: The Victorian tradition in International Law“, bes. S. 388/389. Schabas betont, dass ein bekannter Wissenschaftler, den er als Lauterpacht identifiziert, den Begriff Jackson vorgeschlagen habe, vgl. Schabas, William: Unimaginable atrocities. Justice, politics, and rights at the war crimes tribunals, Oxford 2012, S. 51; diese Version wird durch die Schilderungen in den Erinnerungen des Sohnes an seinen Vater gestützt, vgl. Lauterpacht, Elihu: The Life of Sir Hersch Lauterpacht, Cambridge, New York 2010, S. 272. Zuletzt vertrat der Jurist Philippe Sands diese These, vgl. Sands, Philippe: East West Street: On the Origins of „Genocide“ and „Crimes Against Humanity“, London [u.a.] 2016. S. 109–111. Zumindest erwähnt Lauterpacht in seinem eigenen Memorandum zum Thema “Punishment of War Crimes”, das er 1942 in der LIA vorgelegt hatte, den Begriff nicht einmal, vgl. TNA, LCO 2/ 2973, Papers of the Cambridge Commission, Committee of Crimes against International Public Order, Memorandum of H. Lauterpacht on “Punishment of War Crimes”, 52 pages, (July 1942).

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gewichtigen Konferenzteilnehmer vorschlug, zu dem die Juristen aus den kleineren Exilnationen Europas keinen Zugang hatten, da die UNWCC-Vertreter an der Konferenz nicht teilnehmen duften. Auf der Londoner Konferenz wurde festgelegt, dass es in Nürnberg drei Straftatbestände geben werde, nach denen das Gericht urteilen würde: crimes against peace, war crimes und crimes against humanity. Nun würden also nicht nur Kriegsverbrechen im engeren Sinne sowie die Frage des Angriffskrieges verhandelt – zwei bekannte Teilbereiche des humanitären Kriegsvölkerrechts, das ius ad bellum und das ius in bello –, sondern auch Verbrechen gegenüber Zivilisten, die sich außerhalb der militärischen Kampfhandlungen ereignet hatten. Die Weltgemeinschaft antwortete damit auf eine Entwicklung der Kriegführung während des Zweiten Weltkriegs – in Europa, aber auch im Pazifikkrieg –, die darin bestand, Gruppen von Zivilisten systematisch zu verfolgen und zu töten oder durch andere Maßnahmen (etwa Zwangsarbeit oder Vertreibung) dauerhaft zu schädigen. Holocaust-Verbrechen waren darin zwar einbezogen, aber nicht der primäre Fokus des Konzepts, vielmehr war auch an politische Gegner und Zivilisten unter Okkupation gedacht. Artikel 6 (c) der Charta definierte crimes against humanity als „a distinct set of crimes, namely murder, extermination, enslavement, deportation, and other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war, or persecutions on political, racial and religious grounds in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the tribunal, whether or not in violation of the domestic law of the country where perpetrated“.55

Kernbestandteil des Konzepts ist der Nachweis, dass es sich um systematische, politisch gewollte Verbrechen an und Verfolgungen von Zivilisten, meist durch Staatsorgane, handelt.56 Insbesondere die letzte Formulierung war wichtig, denn sie legte die Vormachtstellung des Völkerrechts gegenüber nationalem Recht, also gegenüber souveränen Nationalstaaten, fest.57 Bruce Mazlish hat als einer der Ersten ‚Humanity‘ (mit großgeschriebenem Anfangsbuchstaben, um es als Konzept zu kennzeichnen) als ein Konzept bezeichnet, das aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts hervorgegangen sei. „The concept Humanity itself is a social construct, [...] changing over time and place and only taking on

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IMT Charter, Art 6 (c). Zitiert nach http://avalon.law.yale.edu/imt/imtconst.asp. Vgl. auch Geyer, Michael: Crimes against Humanity, online: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9781444338232. wbeow146 [14.02.2014]. sowie Schabas, William: War Crimes, Crimes against Humanity and the Death Penalty, in: Albany Law Review 60 (1996-1997), S. 733–770. S. 736. Werle, Gerhard: Die Entwicklung des Völkerstrafrechts aus deutscher Perspektive, in: Die Macht und das Recht. Beiträge zum Völkerrecht und Völkerstrafrecht am Beginn des 21. Jahrhunderts, hrsg. v. Gerd Hankel, Hamburg 2008, S. 97–126. S. 98. Luban, David: A Theory of Crimes against Humanity, in: The Yale Journal of International Law Vol. 29 (2004), S. 85–167. S. 91. van Schaack, Beth: The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, in: Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998-1999), S. 788–850. S. 791.

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legal and political actuality in the last half of the 20th century.“58 Das Konzept sei eine Folge der Ära der totalen Kriege, so Mazlish, in der das Bewusstsein für ‚Humanity‘ und universalistische Grundmaximen erstarkt sei: „The attempt to annihilate identified portions of humanity fosters an awareness for the opposite of such inhumanity: Humanity.“ McFarland betont ebenfalls die Verbindung zwischen der Herausbildung des Konzepts und der Erfahrung der Kriegsgewalt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.59 Diese Ansätze ziehen jedoch ältere Diskussionsstränge nicht ausreichend in Betracht.60 Auf die Frage, warum Staaten begannen, die Ahndung von Kriegsgewalt vor Gericht und damit den Vormarsch völkerrechtlicher Normen und Standards zu unterstützen, haben Historiker, Juristen und Politikwissenschaftler unterschiedliche Antworten gefunden, zuletzt die Historikerin Annette Weinke in ihrer Studie zu transnationalen Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert, die besonders die marginalisierten Beiträge jüdischer Protagonisten zur Debatte wieder ins Bewusstsein rückt.61 Die Arbeit entwirft in ihrer Analyse der Völkerrechtsdiskurse seit der Versailler Ära das Bild einer Debattenkultur und ihrer politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Aushandlungsprozesse, die für das 20. Jahrhundert konstituierend wurden.62 Der US-Historiker Mark Lewis untersucht in seiner Studie zur von ihm so bezeichneten „New Justice“ die Konzepte, die ausgehend von der Pariser Friedenskonferenz von Politikern und europäischen Juristen zwischen 1919 und 1950 diskutiert wurden.63 Lewis analysiert die Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen beteiligten Gruppen, für den Zweiten Weltkrieg insbesondere mit Blick auf marginalisierte Akteure und non-governmental organizations (NGOs) wie den World Jewish Congress. Hierin setzte sich ein Trend der Forschung zum humanitären Völkerrecht fort, der um 1980 begonnen hat. Einer der Ersten war Geoffrey Best, der, aufbauend auf seiner Studie zur Ideenwelt der Aufklärung, die These vertrat, dass die Juristen des 19. Jahrhunderts die Idee der Aufklärung, wonach unnötiges Leid zu vermeiden und „Humanität“ anzustreben sei, kodifizierten.64 Der Schweizer Historiker Daniel Marc Segesser griff diese These in seinen Schriften der 2000er Jahre auf und betont in seinem Hauptwerk, dass der Gedanke einer strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen Debatten aus dem 19. Jahrhundert bündelte, die vom Schweizer Pazifisten Gustave Moynier angestoßen worden waren und die Phase der Gründung des Roten Kreuzes begleitet hatten, aber in der Ära der Weltkriege an ihre Grenzen gestoßen 58 59 60 61 62 63 64

Mazlish, Bruce: The Idea of Humanity in a global Era (Palgrave Macmillan transnational history series), New York 2009, S. 32–36. Zitat S. 32. McFarland, Sam: The Slow Creation of Humanity, in: Political Psychology 32/(1) (2011), S. 1–20. S. 8. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 488. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit; Weinberg, Gerhard L.: A world at arms. A global history of World War II, Cambridge 1994; Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 11. Lewis, Mark: The birth of the new Justice. The internalization of Crime and Punishment, 1919-1950 (Oxford studies in modern European history), New York 2014, S. 1–2. Best, Geoffrey: Humanity in warfare, New York 1980.

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waren.65 Der Jurist Maarti Koskenniemi widmet sich dem Siegeszug des Völkerrechts als Disziplin und betont die Netzwerke rund um die Gründung des Institut de Droit International in Gent 1873, die die Grundlage für eine spätere Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts gelegt hätten.66 Für den Ersten Weltkrieg haben die Historiker Willis67, Lewis und Hankel68 Analysen vorgelegt, die die Probleme der strafrechtlichen Ahndung nach diesem Krieg zum Thema haben („Leipziger Verfahren“). In eine ähnliche Richtung geht die angekündigte Studie von Markus Payk, die jedoch bei Drucklegung noch nicht erschienen war und daher hier nicht rezipiert werden kann.69 Der US-Historiker Devin Pendas hat verschiedentlich zum Thema der Verrechtlichung von Kriegsgewalt und zu den Fortschritten in der Ahndung von Kriegsverbrechen im Kontext des Zivilisationsparadigmas publiziert70 und vertritt die These, dass insbesondere das Konzept von crimes against humanity zu einem Meilenstein wurde und den Zivilisationsgedanken, der frühere Rechtsdebatten umtrieb, noch am nachdrücklichsten weiterträgt.71 Zuletzt legte Dan Plesch eine Studie zur alliierten Kriegsverbrecherpolitik im Kontext des aufkommenden Menschenrechtsdiskurses vor.72 Der Jurist Theodor Meron spricht in seiner Studie zur Zivilisierung der Kriegsgewalt schließlich von einer im Lauf der Debatte entstandenen dezidierten „Semantik des humanitären Völkerrechts“, deren deutlichste Ausprägung die Genfer Konvention von 1949 geworden sei.73 Es wird im Folgenden darum gehen, die epistemic community der Völkerrechtler mit den Methoden der Ideengeschichte zu lokalisieren und ihre Argumentations65

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Segesser, Daniel Marc: Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen fachwissenschaftlichen Debatte 1872-1945 (Krieg in der Geschichte 38), Paderborn 2010. Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations. Willis, James F.: Prologue to Nuremberg. The politics and diplomacy of punishing war criminals of the First World War (Contributions in legal studies no. 20), Westport, Conn. 1982. Hankel, Gerd: Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003. Payk, Markus: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg, Berlin 2018. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53.; Pendas, Devin O.: Retroactive Law and Proactive Justice. Debating Crimes against Humanity in Germany, 1945-1950, in: Central European History 43/(No 3) (2010), S. 428–463.; Pendas, Devin O.: Auf dem Weg zu einem Globalen Rechtssystem? Die Menschenrechte und das Scheitern des legalistischen Paradigma des Krieges, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 226–255.; Pendas, Devin O.: Eichmann in Jerusalem, Arendt in Frankfurt. The Eichmann Trial, the Auschwitz Trial, and the Banality of Justice, in: New German Critique 34/(100) (2007), S. 77–109. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 53. Plesch, Daniel: Human rights after Hitler. The lost history of prosecuting Axis war crimes, Washington, DC 2017. Meron, Theodor: The humanization of international law (The Hague Academy of International Law monographs v. 3), Leiden, Boston 2006, S. 45.

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muster sowie Durchsetzungsmechanismen in Bezug auf die Begriffe ‚humanity‘ und ‚civilization‘ zu entschlüsseln, wobei die historische Analyse in den noch weitgehend unerforschten Papieren der United Nations War Crimes Commission (UNWCC) und ihrer Vorgängerorganisationen kulminieren wird. Diese Arbeit richtet ihren Fokus auf alternative Akteure, zum einen auf Juristen aus Exilstaaten, zum anderen auf zivilgesellschaftliche Organisationen, hierbei auch auf Frauenverbände, und auf ihre Rolle bei der öffentlichen Debatte um die Definition neuer völkerrechtlicher Prinzipien. Betrachtet man die langen Linien der Debatte seit dem 19. Jahrhundert, so ist die für eine historische Einordnung ausschlaggebende Frage weniger die völkerrechtlich vielleicht relevantere nach der juristischen Genese der Normen als die Frage, warum es zu einem bestimmten Zeitpunkt dann doch zur Einigung der widerstreitenden Interessen kam, obwohl es zunächst nicht danach aussah. Auf welche Weise bestand Verbindung zwischen den Akteuren, dem historischen Kontext und der Durchsetzung neuer Normen? Welche Motivationen lagen den Initiativen zugrunde, vor welchem nationalen Hintergrund agierten die Protagonisten der Debatte? Wie generierte eine bestimmte historische Situation neue juristische Konzepte, die dann in einem bestimmten politischen Umfeld entweder positiv oder negativ aufgegriffen wurden? Mit welchen Strategien warben Akteure um Unterstützung, um ihr Anliegen der Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen? Das durch den Zweiten Weltkrieg erzwungene Exil in London und die daraus entstehende epistemic community von Juristen aus verschiedenen Rechtstraditionen und unterschiedlichen Nationen schufen – so die Hypothese – eine Arena, in der Universalitätsansprüche an das Projekt zur Zivilisierung von Kriegsgewalt gestellt und eingefordert wurden. Durch diesen Kontext wurde eine rasche und möglichst umfassende, zukunftsträchtige Regelung erreicht, wie sie ohne die Exilgemeinschaft des Krieges wohl nicht möglich gewesen wäre. Es waren also zum einen die räumliche Nähe und der dadurch mögliche engere Austausch der Juristen, zum anderen die gemeinsame Erfahrung von Gewalt und Verfolgung sowie die deutliche Zunahme von Kriegsgewalt gegen Zivilisten während des Krieges, die dem Projekt der Verrechtlichung nach fast einem Jahrhundert 1945 zu einem vorläufigen Abschluss verhalfen. Die Arbeit teilt sich in zwei große Teile, die durch den Begriff ‚humanity‘ wie durch ein Scharnier verbunden sind: einen ersten Teil zu den Arenen der Verrechtlichung im 19. und frühen 20. Jahrhundert und ihren Akteuren, in dem die Debatte zur Ahndung von Kriegsgewalt anhand dreier Faktoren analysiert wird, die sich an den drei Elementen der Martens-Klausel orientieren; besonderes Augenmerk liegt auf den noch weitgehend unerforschten Quellenbeständen zur geplanten dritten Haager Friedenskonferenz und dem Weltfriedenskongress der Frauen in Den Haag 1915. In einem zweiten Teil wird der Debattenverlauf der 1940er Jahre analysiert, der in der Herausbildung des ‚legal tools‘ von crimes against humanity in London 1945 mündete; hier wird das Hauptaugenmerk auf die epistemic communities der Exiljuristen in der UNWCC gelegt. Quer zur chronologischen Untersuchung der Debatten und ihrer Wurzeln sind das Narrativ vom Zivilisationsstandard sowie die Frage nach der

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Ausgestaltung internationaler Strafgerichtsbarkeit – und damit die Zurückdrängung des Souveränitätsprinzips – Leitfragen der vorliegenden Untersuchung. Zunächst geht es um die Frage, was genau unter ‚civilized nations‘ und ‚humanity‘ im 19. Jahrhundert verstanden wurde, worauf sich der Geltungsraum des Völkerrechts erstreckte und welche Akteure an der Ausgestaltung dieses Rechts mitwirkten. Der erste Teil der Arbeit nutzt die berühmte Präambel aus der Haager Landkriegsordnung, die Martens-Klausel, und ihre drei Diskussionsstränge (‚humanity‘, ‚civilized nations‘ und Öffentlichkeit) als Strukturelement und weist diese Elemente vom Lieber-Code und der Gründung des Roten Kreuzes 1863 bis hin zu den großen Debatten der beiden Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 nach. Dabei wird insbesondere den Blindstellen in der Verrechtlichungsdebatte und den Hindernissen einer verbindlichen Regelung von Völkerstrafrecht nachgegangen. Diese Schwierigkeiten werden besonders evident an den Vorbereitungen zur dritten Haager Friedenskonferenz, geplant für 1915, die wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr stattfinden konnte und als deren Ersatz eine – später marginalisierte – Weltfriedenskonferenz der Frauen abgehalten wurde, sowie am Engagement von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie dem Carnegie Endowment for Peace in der Frage der Balkankriege 1912/13. Auf der Friedenskonferenz von Versailles 1919 standen die Haager Prinzipien erstmals auf dem Prüfstand, und es wurde deutlich, dass sich politische und rechtliche Visionen zwar an manchen Stellen kreuzten, jedoch keine Wirkungsmacht entfalteten und keinen strafrechtlich befriedigenden Mechanismus etablieren konnten. Besonders pointiert zeigt sich dies an der Zurückweisung des auf der Konferenz diskutierten Konzepts von crimes against humanity durch die amerikanische Delegation. Mit dem Völkerbund wurde dann in der Zwischenkriegszeit eine Richtung eingeschlagen, die zwar eher auf eine politische, nicht rechtsförmige Lösung des Problems setzte (etwa durch Rüstungsbeschränkung74 und Schiedsgerichtsbarkeit), aber gleichzeitig eine transnationale Gruppe von Protagonisten herausbildete, die als Akteure spätere Debatten mittragen sollten. Die Arbeit erforscht die Kernbegriffe, insbesondere ‚humanity‘, ‚civilized nations‘ und ‚public conscience‘, zum einen, um die Genese des Konzepts darzulegen, aufbauend auf der zeitgenössischen juristischen Literatur zur Verrechtlichung im 19. Jahrhundert und der Zeit des Ersten Weltkriegs, zum anderen durch Analyse von Primärquellen, darunter Korrespondenz und Sitzungsprotokolle der Weltfriedenskonferenz der Frauen 1915, Schriften des Carnegie Endowment und Protokolle aus Versailles, aber auch diplomatische Akten, die meist in gedruckter Form vorliegen. Befunde aus der Sekundärliteratur zur Erweiterung des Akteursspektrums und zur Herausbildung internationalistischer Organisationen (und mit ihnen einer Zivilgesellschaft), die sich vielfältig in den späteren Organisationen des 20. Jahrhunderts wiederfinden, ergänzen die Analyse. Die wichtigsten juristischen Regelwerke zum 74

Zur Frage der völkerrechtlichen Kontrolle des Waffenhandels und der Rüstungskontrolle in der Völkerbundära entsteht zur Zeit eine Habilitationsschrift von Daniel Stahl an der Universität Jena, vgl. http://www.nng.uni-jena.de/Forschungsprojekte/R%C3%BCstungsexporte.html.

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Kriegsvölkerrecht sind im Projekt „Avalon“ der Universität Yale digitalisiert, die Fachbücher ebenso online zugänglich wie die wichtigsten Publikationsorgane – etwa das American Journal of International Law oder die Revue de Droit international et de Législation comparée –, in denen die Debatte geführt wurde. Diese Quellen werden ergänzt durch diplomatischen Schriftwechsel, der in Quellensammlungen wie etwa den Foreign Relations of the United States (FRUS) allgemein zugänglich sind. Im zweiten Teil der Arbeit, der mit dem Kriegsbeginn 1939 einsetzt, geht es um die Akteursebene im Kontext des britischen Exils in London (im leider unübersetzbaren Knotenpunkt des ‚London hub‘, das eine Arena für die Debatten zur Verrechtlichung wurde). Hier bietet die Arbeit auf Basis unveröffentlichter Primärquellen eine Analyse der Debatten, die in der United Nations War Crimes Commission und ihren Vorgängerinstitutionen in London in den frühen 1940er Jahren geführt wurden, die Einordnung in den politischen Kontext, den Versuch einer biographischen Motivationsanalyse im Kontext des Exils sowie die Analyse der Aushandlung des Nürnberger Statuts auf der Londoner Konferenz. Zuletzt wird als Ausblick die Anwendung des Konzepts in den Internationalen Tribunalen in Nürnberg und Tokio diskutiert. Bei der Analyse spielt eine Rolle, dass selbst die epistemic community der Juristen im Exil keine homogene, konfliktfreie Gruppe darstellte. Vielmehr gab es jenseits des gemeinsamen Ziels zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts Grabenkämpfe und Marginalisierungen, bevor bestimmte Konzepte sich durchsetzen konnten.75 Die unterschiedlichen Akteure besitzen dabei nicht den gleichen Status, tendieren jedoch dazu, sich „zum Wohle der Sache“ auf gemeinsame Anstrengungen zu verständigen, wie Forschungen insbesondere der Legal Anthropology gezeigt haben.76 Die an solche Befunde anschließende Frage lautet daher, welche Faktoren geeignet waren, um Konzepten zum Durchbruch zu verhelfen, und welche Allianzen und Lobbygruppen dafür gebildet werden mussten. Ein primäres Quellencorpus für die Analyse der Debatten der 1940er Jahre bilden die Unterlagen der United Nations War Crimes Commission (UNWCC), die im Archiv in New York lagern (UN-ARMS) und bisher nicht systematisch ausgewertet wurden. Es hat die Abfassung dieser Studie sehr erleichtert, dass die UN diese bis dato nur sehr schwer zugänglichen Bestände im Jahr 2013 für das große völkerrechtliche Digitalisierungsprojekt ‚legal tools‘ freigegeben hat und die Protokolle inzwischen online mit einem permanent link (PURL) verfügbar sind, der das Datum der letzten 75

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Lewis, The birth of the new Justice, S. 5 unterscheidet für seinen Untersuchungsgegenstand der Zwischenkriegszeit beispielsweise einen pazifistischen, einen rechtstheoretisch ausgerichteten, einen völkerrechtlichen und einen Zweig mit Ausrichtung auf das internationale Strafrecht. Levi-Faur, David (Hrsg.): The Oxford handbook of governance (Oxford handbooks in politics & international relations), Oxford 2012 ; Zumbansen, Peer: Governance. An interdisciplinary perspective, in: The Oxford handbook of governance (Oxford handbooks in politics & international relations), hrsg. v. David Levi-Faur, Oxford 2012, S. 83–96.; Benda-Beckmann, Franz von/Benda-Beckmann, Keebet von/Eckert, Julia M.: Rules of law and laws of ruling. On the governance of law (Law, justice, and power), Farnham, Surrey, England, Burlington, VT 2009; Benda-Beckmann, Franz von/ Benda-Beckmann, Keebet von/Griffiths, Anne M. O.: The power of law in a transnational world. Anthropological enquiries, New York 2009.

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Anfrage überflüssig macht. Ebenfalls wurden Parallelüberlieferungen sowie diplomatische Korrespondenz aus dem National Archive London (TNA), dem National Archive in Washington (NARA) sowie dem National Archive of Australia in Canberra (NAA) ausgewertet. Lücken der Überlieferung wurden durch die interne Datenbank des Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse an der Universität Marburg (ICWC) geschlossen.77 Eine erste, quantitative Analyse von Memoranda und Transcripts der UNWCC und der beiden Vorgängerorganisationen hat dabei ergeben, dass der Begriff selbst in den 1940er Jahren im Zentrum vieler UNWCC-Debatten stand, lange bevor er in der Charta von Nürnberg niedergeschrieben wurde: In 29 UNWCC-Meetings vor 1945 erscheint der Begriff crimes against humanity sogar in der Überschrift, und in 72 Meetings werden die beiden Konzepte crimes against humanity und crimes against peace gemeinsam behandelt. Es ist daher unerlässlich, einen Blick auf diese Debatten zu werfen, um zu verstehen, in welcher Weise die Konzepte von ‚humanity‘ und ‚civilization‘ hier Widerhall fanden und frühere Debatten spiegeln, und um die langen Linien von Ordnungsvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert wieder deutlicher hervortreten zu lassen. Ein zentrales Quellencorpus zur Vorgeschichte der UNWCC betrifft die bisher in der Forschung völlig unbeachteten beiden Vorgängergremien, Cambridge Commission und London International Assembly, deren Akten, etwas versteckt zum Teil in der diplomatischen Korrespondenz der 1940er Jahre, im TNA London lagern, in anderen Teilen aber im Archiv der London School of Economics (LSE) sowie in der British Library zu finden sind.78 Darüber hinaus greift diese Arbeit exemplarisch auf die privaten Nachlässe und Handakten zweier Schlüsselfiguren, der Exiljuristen Marcel De Baer (Belgien) und Bohuslav Ecer, des tschechoslowakischen Delegierten, zurück, und wertet den Schriftwechsel des australischen Delegierten und späteren Vorsitzenden der UNWCC, Lord Wright, aus; sie bezieht zudem Forschungen zum US-Delegierten Herbert Pell mit ein.79 Alle vier Männer haben auf unterschiedliche Weise zu den Debatten der letzten Phase beigetragen, in jedem Fall aber an exponierter Stelle, als Leiter von Arbeitsgruppen oder mit direktem Zugang zu politischen Machtzentren; zudem legen ihre persönlichen Schriftwechsel nahe, dass sie sich gegenseitig schätzten, vielleicht sogar befreundet waren und diese Allianz der Durchsetzung des neuen Konzepts sehr dienlich war. Neben englischsprachigen Korrespondenzakten, die innerhalb der UNWCC vorhanden sind, konnten im Rahmen eines Pilotprojekts erstmals auch Handakten Ecers überblicksartig ausgewertet werden,80 die nur auf Tschechisch vor77 78 79 80

Ich danke Dr. Wolfgang Form, Geschäftsführer des ICWC Marburg, für den Zugang zu diesen Unterlagen. Ich danke Prof. William Schabas dafür, mir diesen Bestand zugänglich gemacht zu haben. Cox, Graham: Seeking Justice for the Holocaust: Herbert C. Pell Versus the US State Department, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 77–110. In diesem Sub-Projekt, das im Rahmen der JRG „Transcultural Justice“ am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg im Frühjahr 2014 durchgeführt wurde, ging es darum, die Argumentationskette Bohuslav Ecers nachzuvollziehen, ausgewählte Textpassagen zu übersetzen und nach biographisch relevanten Kommentaren zu Ecers Zeit in London zu

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liegen, aber, wie die Analyse ergeben hat, in weiten Teilen Übersetzungen seiner englischen juristischen Manuskripte darstellen. Die Erweiterung der Perspektive auf die Akteure von der europäischen ‚Semi-Peripherie‘ (um auf Becker Lorca zu verweisen) hat damit das Quellencorpus der UNWCC um die Binnensicht einiger ausgewählter Stichwortgeber der Debatten der 1940er Jahre ergänzt. Zuletzt sei noch eine begriffliche Vorbemerkung gestattet: Das Konzept von crimes against humanity, das im Folgenden ausführlich untersucht wird, wird im Deutschen gemeinhin mit „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ übersetzt. Dem hat Hannah Arendt in ihrer Reportage vom Eichmann-Prozess in Jerusalem prononciert widersprochen und als Übersetzung „Verbrechen gegen die Menschheit“ vorgeschlagen, denn der Begriff „Menschlichkeit“ suggeriere, dass es die Nationalsozialisten lediglich an jener hätten fehlen lassen; vielmehr handle es sich jedoch um Verbrechen gegen die Menschheit an sich.81 Diese Debatte wurde von Boris Barth82 und Uwe Makino83 weitergetragen und zugespitzt, was dazu geführt hat, dass beide Begriffe im Deutschen inzwischen parallel verwendet werden, meist zusammen mit einer Verengung auf Holocaust-Verbrechen.84 Daraus hat sich in der Presse der synthetische Begriff „Menschheitsverbrechen“ ergeben und umgangssprachlich eingebürgert, etwa zu beobachten in den Kommentaren zur Verurteilung des Serbenführers Radovan Karadžić durch das Jugoslawientribunal in Den Haag am 24. März 2016.85 Der Begriff „Verbrechen gegen die Menschheit“ wird dem universellen Anspruch und humanitären Inhalt des Konzepts sowie seinem juristischen Straftatbestand (Segesser hat dies überzeugend dargelegt86) nicht wirklich gerecht und daher in dieser Studie zurückgewiesen. Wie Bruce Mazlish formuliert hat, überlappen sich die Begriffe ‚humanity‘ und ‚humankind‘ zwar in ihrem Kern und werden daher auch oft synonym verwendet, unterscheiden sich aber in ihrer Konnotation erheblich.87 Im Folgenden wird hier dem englischen Originalbegriff der Vorzug gegeben, zum

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recherchieren. Ich danke meinen Mitarbeiterinnen, Petra Krupičková und Kateřina Morozová, Univ. Prag, für die Übersetzung einzelner Auszüge aus Ecers Schriften und seiner Hauptargumentationslinien, die so mit seinen englischen Publikationen verglichen werden konnten. Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen (Serie Piper 308), München 8. Aufl.1992, S. 305. Barth, Boris: Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert : Geschichte, Theorien, Kontroversen, München 2006. Makino, Uwe: Final solutions, crimes against mankind. On the genesis and criticism of the concept of genocide, in: Journal of Genocide Research 3/1 (2010), S. 49–73. Huhle, Rainer: Vom schwierigen Umgang mit „Verbrechen gegen die Menschheit“ in Nürnberg und danach, online: http://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Handlungsfelder/Handeln_fuer_Menschenrechte/Menschen_Rechte_Bilden/huhle-verbrechen_gegen_die_ menschheit.pdf [28.09.2015]. Z.B. Radiokommentar bei SWR 3, „Haftstrafe für ein Menschheitsverbrechen“, Anno Wilhelm, 24.3.2016. (http://www.swr3.de/aktuell/nachrichten/-/id=47428/did=3792872/vimnh4/index.html, letzter Zugriff 25.3.2016). Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 586. Mazlish, The Idea of Humanity in a global Era, S. 1.

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einen, um sich von der im Deutschen geführten, stark terminologisch gefärbten Debatte abzugrenzen, zum anderen, um die inhaltliche Konnotation des Begriffes, der in der seit der Aufklärung verwendeten Begrifflichkeit von ‚humanity‘ und ‚civilization‘ wurzelt, deutlicher hervortreten zu lassen sowie um den sich daraus ergebenden universalistischen Anspruch zu betonen.88 Wenn man die epistemologische Bedeutung betrachtet, dann ist crimes against humanity gewissermaßen übriggeblieben vom Zivilisationsverständnis des 19. Jahrhunderts. Der Völkerrechtler Hersch Lauterpacht, einer der Akteure der vorliegenden Studie, formulierte diesen Nexus zum Gedanken der Humanität im Kriegsvölkerrecht, dem das Recht zu dienen habe, kurz nach dem Krieg in einem Aufsatz unmissverständlich: „We shall utterly fail to understand the true character of the law of war unless we are to realize that its purpose is almost entirely humanitarian in the literal sense of the word, namely to prevent or mitigate suffering and, in some cases, to rescue life from the savagery of battle and passion. This, and not the regulation and direction of hostilities, is its essential purpose.“89

Selbst der seit den 1990er Jahren gestärkte opferzentrierte Ansatz in internationalen Strafverfahren kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte der Genese von crimes against humanity auch und vor allem eins ist: die Geschichte von den Grenzen des Rechts und von der Unmöglichkeit, jemals alle Formen von Gewalt zu ahnden, die im Krieg vorstellbar sind.

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Auch die aktuellen Strafgerichtsverfahren betonen diesen Aspekt, vgl. Wilson, Richard Ashby: When Humanity sits in Judgement. Crimes against Humanity and the Conundrum of Race and Ethnicity at the International Tribunal for Rwanda, in: In the name of humanity. The government of threat and care, hrsg. v. Ilana Feldman/Miriam Iris Ticktin, Durham [NC] 2010, S. 27–57. Lauterpacht, Hersch: The Problem of the Revision of the Law of War, in: British Year Book of International Law 29 (1952), S. 360–382. S. 363–364.

I. Die Erfüllung der Martens-Klausel? Ansätze zum Konzept von crimes against humanity, 1864–1938 Das Konzept crimes against humanity war mit seinem opferzentrierten Ansatz etwas Neues, baute jedoch auf einem universalistischen Grundverständnis und früheren Ansätzen zur Ahndung von Kriegsgewalt auf. Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie sich über die Zivilisierungsmission aus einem militärisch begründeten Kriegsrecht ein öffentlichkeitsorientiertes, völkerrechtliches Konzept entwickelte. Dies geschieht analytisch durch Rückgriff auf die drei Elemente der Martens-Klausel, die auch das Kapitel strukturieren: erstens die Definition des Geltungsraums des Völkerrechts sowie die Formierung der epistemic community, zweitens die Internationalisierung der Debatte um die Einhegung von Kriegsgewalt, die insbesondere am Lieber-Code nachvollzogen wird, und drittens die Transnationalisierung des Konzepts und die Herausbildung eines breiteren Akteursspektrums, der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit. Letzteres wird zum einen sichtbar an der Gründung des Roten Kreuzes sowie berufsständischer Zusammenschlüsse wie des Institut de Droit International in Gent, zum anderen an den „Arenen der Verrechtlichung“ in Form von Konferenzen. Kulminationspunkt des Zusammentreffens einer juristischen epistemic community und zivilgesellschaftlicher Gruppierungen waren die Haager Friedenskonferenzen, wobei dieses Kapitel auch die wegen des Krieges abgesagte dritte Haager Konferenz, die Weltfriedenskonferenz der Frauen sowie die Beiträge des Carnegie Endowment for Peace zu den Balkankriegen als bedeutende Debattenbeiträge noch mit berücksichtigt. Das Kapitel schließt mit einem vierten Teil, der eine Analyse der Debatten des Ersten Weltkriegs und der Versailler Friedenskonferenz, insbesondere des Gebrauchs des Konzepts von crimes against humanity in diplomatischen Schriftstücken dieser Phase bietet. Durch die Erfahrungen, die 1919 mit der Ahndung von Kriegsgewalt gemacht wurden, wurde ein Lernprozess angestoßen, der in den 1940er Jahren kulminiert. In der Zwischenkriegszeit aber versuchte der Völkerbund mit seinen Instrumentarien – Gremienzirkeln und Verträgen – das Problem der Kriegsgewalt auf anderem Wege zu lösen, scheiterte damit allerdings. Die Herausbildung einer transnationalen Expertenöffentlichkeit in dieser Phase wurde jedoch konstituierend für die Debatten der Exiljuristen der 1940er Jahre, die auf diese Netzwerke zurückgreifen konnten. Zentral für die Debatten sowie die langsame Herausbildung eines opferzentrierten Ansatzes war der Begriff ‚humanity‘, mit dem an juristische Ordnungsvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert angeknüpft wurde. Ebenso zentral war eine Definition des Begriffes ‚crimes‘ und die Diskussion darüber, in welcher Form die internationale Staatengemeinschaft die Einhaltung der neuen Standards überhaupt überwachen könne und ob dafür ein internationaler Strafgerichtshof geschaffen werden müsse. Als Strukturelement zur Analyse eines überaus heterogenen For-

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schungsfeldes bietet sich daher die sogenannte Martens-Klausel an, in der 1899 alle Elemente des humantitären Kriegsvölkerrechts und ein halbes Jahrhundert an Debatten und Konferenzen, Deklarationen und Konventionen prägnant gebündelt wurden. Das Konzept von crimes against humanity wurzelt begrifflich in der Präambel des Haager Abkommens von 1899, der sogenannten Martens-Klausel, die vom damaligen Chefunterhändler des Zarenhofes, dem Völkerrechtler Friedrich Fromhold (Fjodor) Martens, einem Deutschbalten, ausgearbeitet worden war und 1907 als „Haager Landkriegsordnung erneut verabschiedet und damit bekräftig wurde. Darin sind die konstituierenden Elemente des humanitären Völkerrechts mit folgenden Worten umrissen: „Until a more complete code of the laws of war is issued, the High Contracting Parties think it right to declare that in cases not included in the Regulations adopted by them, inhabitants and belligerents remain under the protection and empire of the principles of international law, as they result from the usages established between civilized nations, from the laws of humanity, and the requirements of the public conscience.“1

Mit dem vagen ersten Satz der Martens-Klausel werden ein universalistischer Anspruch formuliert und Regeln niedergelegt, die auch für alle zukünftigen Konflikte Anwendung finden sollten und dadurch zur Grundlage des späteren Konzepts von crimes against humanity werden konnten. Er ist jedoch auch als Synthese aller bisherigen Debatten zu lesen. Der universalistische Anspruch wurde auf der zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907 bestätigt, die Präambel leicht abgewandelt und sodann der dort verabschiedeten Haager Landkriegsordnung vorangestellt. Auch wenn es kleinere semantische Veränderungen gab (so wurde ‚inhabitants‘ durch ‚populations‘ ersetzt, ‚requirements‘ durch ‚dictates‘2), blieben die drei konstituierenden Elemente intakt: „the law of nations, as it results from the usages established between civilized peoples“, the „laws of humanity“ und „dictates of the public conscience“.3 Diese drei Elemente dienen der folgenden Analyse als Strukturelemente. Während mit dem ersten Teil der Geltungsbereich des Völkergewohnheitsrechts definiert ist, das auch unter dem Begriff ‚law of civilized nations‘ oder ‚international good faith‘4 firmiert, sind die beiden anderen Elemente schwerer zu fassen. „The laws of humanity“ umschreiben die inhaltliche Seite, also das humanitäre Völkerrecht, dessen Entstehungsgeschichte im 19. Jahrhundert nicht frei von Friktionen und Brüchen war. „Dictates (requirements) of the public conscience“ verweisen auf den öffentlichen Raum, der sich Ende des 19. Jahrhunderts herausbildete und in welchem 1

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Scott, James Brown: The Hague Peace Conferences 1899 and 1907. A series of lectures delivered before the Johns Hopkins University in the year 1908, Baltimore 1909. Gong, Gerrit W.: The standard of „civilization“ in international society, Oxford 1984, S. 71. Meron, “Martens Clause”, S. 79. Crawford, “Modern Relevance”, S. 6. Darauf verweist Hull, A scrap of paper. S. 1.

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das humanitäre Völkerrecht verhandelt wird. Dies schließt genau genommen zwei Perspektiven ein: Zum einen verweist es auf die öffentliche Meinung, die das Verhalten der Kriegsparteien in einem Konflikt mitbestimmt, zum anderen auf die Reflexion des juristischen Diskurses, also der opinio iuris.5 Anders gewendet ging es in den Debatten um eine zweifache Öffentlichkeit: einerseits um einen Mechanismus dafür, Verstöße öffentlich zu ahnden – etwa in einem internationalen Gerichtshof –, andererseits um die Rolle der Zivilgesellschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Frauen- und der Friedensbewegung, die zunehmend selbstbewusst Fortschritte auf dem Weg zur Zivilisierung von Kriegsgewalt anmahnte. Beide Elemente sind intentional vertreten in der Martens-Klausel, jedoch ist der moralistische Anspruch besonders deutlich erkennbar, die Öffentlichkeit quasi zum Richter über die Einhaltung von Regeln zu erheben. Die Wortwahl der Martens-Klausel griff auf Bewährtes zurück, insbesondere auf die formelhafte Inklusion der Themenfelder ‚humanity‘ und ‚civilization‘. Martens hatte hier quasi zusammengefasst, was Allgemeingut war. Diese Begrifflichkeit findet sich im 19. Jahrhundert nicht nur in diplomatischen Deklarationen, sondern auch in militärischen Handbüchern. Beispielsweise nehmen die Genfer Deklaration von 1864 wie auch die Deklaration von St. Petersburg 18686 darauf Bezug, wenn zumindest rhetorisch humanitäre Prinzipien angerufen werden.7 Das spanische Militärhandbuch von 1882 kann als Beispiel für den Gebrauch des Begriffs ‚humanity‘ in militärischen Regelwerken herangezogen werden; es heißt dort, die aufgelisteten Kriegsregeln folgten „the noble and eternal idea of humanity, justice and good faith“ (also dem Völkerrecht), das wiederum überwacht werde durch „the principal authority, the most impartial and respectable judge, the organ and regulator, [which] is public opinion.“8 Wie an diesem Beispiel deutlich wird, kam der öffentlichen Meinung dadurch eine normative, gesetzgebende Kraft zu.9 Michael Geyer betont, die Martens-Klausel sei eines der grundlegendsten Prinzipien westlicher Rechtstradition, auch wenn der zugrunde liegende universalistische Gedanke, eine Regel für alle zukünftigen Konflikte gleichsam auf Vorrat zu formulieren und unter dem Begriff ‚humanity‘ zu bündeln, nicht mehr zeitgemäß sei, nachdem die damit verknüpften Prinzipen – etwa des Zivilisationsstandards – nicht

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Meron, “Martens Clause”, S. 83. Die St. Petersburger Deklaration von 1868 schließt mit folgender Schlussformel: „The Contracting or Acceding Parties reserve to themselves to come hereafter to an understanding whenever a precise proposition shall be drawn up in view of future improvements which science may effect in the armament of troops, in order to maintain the principles which they have established, and to conciliate the necessities of war with the laws of humanity“, available at http://avalon.law.yale.edu/ 19th_century/decpeter.asp , abgedruckt in “Declaration Renouncing the Use, in Time of War, of Explosive Projectiles Under 400 Grammes Weight”, Dec. 11, 1868. Meron, “Martens Clause”, S. 84. Reglamentos para el servicio de Campaña, Art. 826 (1882), zitiert in Meron, “Martens Clause”, S. 85. Crawford, “Modern Relevance”, S. 13.

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mehr geläufig sind: „The notion of a set of crimes against all has prevailed, even as the idea of a ‚standard of civilization‘ has receded.“10 Dem Begriff ‚humanity‘ kommt in dieser Arbeit zentrale Bedeutung zu.11 Bruce Mazlish war einer der Ersten, die vorschlugen, den Begriff ‚humanity‘ und seine Umdeutung im Zuge der humanitären Interventionen seit dem 19. Jahrhundert als Konzept zu begreifen, sozusagen als „Humanity“ in Großbuchstaben.12 Der Gedanke der ‚Zivilisierung‘ der Kriegsgewalt ist eng verbunden mit dem Ideal eines ,zivilisierten Krieges‘, also eines Krieges unter ebenbürtigen, ‚zivilisierten‘ Gegnern. Die Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert markiert dabei den Beginn einer Ära, in der sich zeitgleich der Gedanke eines ‚totalen‘, alle Bereiche militärischen und zivilen Lebens umfassenden Krieges sowie Bestrebungen zur Ächtung und Ahndung kriegerischer Gewalt entfalteten. Das seit 1863 entstehende humanitäre Kriegsvölkerrecht spiegelt bereits in seinem Begriff und mehr noch in seiner Genese die Widersprüchlichkeit, einerseits den Krieg als legitimes Mittel zwischenstaatlicher Konflikte anzusehen und gleichzeitig andererseits die Bürger aller Staaten vor den Auswirkungen dieser Gewalt so weit wie möglich schützen zu wollen.13 Der Wunsch nach ‚civilized warfare‘ – eines der Schlagworte der Verrechtlichungsbestrebungen des 19. Jahrhunderts – ist daher von jeher ein Paradoxon.14 Es ist deswegen wichtig, die konstituierenden Elemente dieses Konstrukts zu benennen, wie dies anhand der drei Elemente der Martens-Klausel im Folgenden geschieht. An dieser Stelle soll nicht die juristische Fachdebatte weitergeführt werden, ob der Martens-Klausel selbst Rechtscharakter zukomme,15 die selbst in den 1940er Jahren noch einen Strang der Debatten um das Konzept von crimes against humanity bildete.16 Es ist jedoch zu betonen, dass die Präambel, die ja dezidiert einem technischen Regelwerk zur Kriegführung vorangestellt war, zweifellos Autorität für zukünftige kriegsvölkerrechtliche Regelungen entfaltete und als Richtschnur gedacht

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Van Schaack, “Definition of Crimes against Humanity”, S. 796; Michael Geyer, “Crimes against Humanity”, in: Gordon Martel (ed.), The Encyclopedia of War, Wiley Online Library, http://onlinelibrary. wiley.com/doi/10.1002/9781444338232.wbeow146 (published Nov 2011; zuletzt aufgerufen am 14.09.2016). Eine erste, philosophisch angelegte Untersuchung legte Glover, Jonathan: Humanity. A moral history of the twentieth century, New Haven, CT 2000 vor. Mazlish, The Idea of Humanity in a global Era, S. 32. Lingen, Kerstin von: Crimes against Humanity. Eine umstrittene Universalie im Völkerrecht des 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 373– 393, online: http://www.zeithistorische-forschungen.de/3-2011/id%3D4588 [16.07.2015]. S. 373. Hierzu ausführlich Münkler, Die neuen Kriege. Cassese, Antonio: The Martens Clause. Half a loaf or simply pie in the sky?, in: European Journal of International Law 11/(1) (2000), S. 187–216. S. 189–190. Ecer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, 7 Seiten, hier S. 4, PURL: https://www.legal-tools. org/doc/6335bd/. Ecer betonte: „Lord Cave in his article ‚War Crimes and their punishment‘“ (1923, Grotius Society Vol. 8, S. XXI) „designated the laws of humanity and the requirements of the public conscience of the Preamble as lex non scripta, i.e. as law, and says expressly that this law is to be extracted“, und zog den Schluss, die Martens-Klausel stelle somit Völkerrecht dar.

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war.17 Rein formal gesehen wirkte die Martens-Klausel aber vor allem durch Wiederholung, wurde sie doch außer in den Haager Konferenzen in der Genfer Konvention zum Schutz der Verwundeten von 192918 und in der Genfer Konvention von 1949 wieder aufgenommen.19 Hier wird die Hypothese verfolgt, dass das Konzept crimes against humanity vom 19. ins 20. Jahrhundert mehrere Entstehungsphasen durchlaufen hat, wobei es in verschiedenen Sphären mit neuer Bedeutung aufgeladen wurde.20 Von einem moralischen Verständnis in der Zeit der Abolitionisten des 19. Jahrhunderts, so die Hypothese, bewegte sich das Konzept in eine politische Sphäre, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Umfeld der Friedenskonferenzen von Den Haag und in Versailles 1919 manifestiert, wo der Begriff auch auftaucht, aber nicht in der Schlussfassung enthalten ist. In den 1940er Jahren in London erreichte das Konzept die rechtliche Sphäre, also die Nutzbarmachung als ‚legal tool‘, wie später genauer ausgeführt werden wird. Für eine Genealogie des Konzepts von crimes against humanity sind zwei Diskussionsstränge von Bedeutung: Zum Ersten geht es um die viktorianischen Ordnungsvorstellungen, die den Rahmen der juristischen Debatten und Denkfiguren um ‚humanity‘ bildeten, insbesondere um den ‚Zivilisationsstandard‘, zum Zweiten geht es um die Frage einer internationalen Strafverfolgung und damit um eine Zurückdrängung des Primats der absoluten staatlichen Souveränität. Bei der Untersuchung des Beitrags der Funktionseliten – der Juristen und alternativer Akteure und Akteurinnen – zur Frage der Ahndung von Kriegsgewalt sind auch globale Wechselwirkungen aufzuzeigen: Die Veröffentlichung des Lieber-Codes in den USA hatte direkte Rückwirkungen auf Europa, nicht nur in Form des Rechtsbuches von Bluntschli 1868, sondern auch auf politischer Ebene. So wurde erstmals 1864 in Genf in einer Konvention der Umgang mit Verwundeten geregelt und diese Konvention von zwölf Staaten unterzeichnet. Analytisch zu fassen sind die beiden Stränge der juristischen Denkfiguren durch Fragen zum Ersten nach der Art des Austausches der beteiligten Juristen und Internationalisten und deren Plattformen, zum Zweiten nach dem Selbstverständnis dieser neu entstandenen epistemic community, zum Dritten nach der staatlichen Rezeption der neuen Ideen in den verschiedenen Phasen und den – noch sehr 17

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Schwelb in seinem Bericht “Material for the Preparation of a Definition of” crimes against humanity”, compiled by Egon Schwelb, III/33, 22.03.1946, 14 Seiten, hier S. 1. PURL: https://www.legal-tools. org/doc/c52df5/. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 461. Crawford, Emily: The Modern Relevance of the Martens Clause, in: Yearbook of International Humanitarian and Refugee Law ISIL 6 (2006), S. 1–18. S. 1; vgl. auch Klose, Fabian: The Colonial Testing Ground. The International Committee of the Red Cross and the Violent End of Empire, in: Humanity: An International Journal of Human Rights, Humanitarianism, and Development 2/1 (2011), S. 107–126. S. 108. Lingen, Kerstin von: Fulfilling the Martens Clause. Debating „crimes against Humanity“, 1899-1945, in: Humanity. A history of European concepts in practice from the 16th century to the present (V&R academic 110), hrsg. v. Fabian Klose/Mirjam Thulin, Göttingen 2016, S. 187–208.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

beschränkten – Möglichkeiten der Durchsetzung von Konzepten auf dem politischen Parkett. Es geht um „das Verhältnis der Akteursgruppe in einem bestimmten Feld zu einem umfassenden Beziehungssystem“, dessen Analyse Paulmann fordert.21 Zwei der wichtigsten Vertreter dieser Debatten, die miteinander in engem Austausch standen, werden im Folgenden etwas ausführlicher beleuchtet: Johann Caspar Bluntschli (1808–1891) und der Verfasser des amerikanischen Militärgesetzbuches, Francis Lieber (1800–1872). Dabei ist eines der Kernanliegen der Arbeit, den Elementen der Martens-Klausel folgend insbesondere den Aspekt der ‚public conscience‘ und mit ihr einer transnational agierenden Zivilgesellschaft sowie die Verbreiterung der Akteursbasis im 19. Jahrhundert zu betonen. Zentral in dieser Analyse zum Verständnis von ‚humanity‘ sind die Orte der Debatten, ihre Institutionen, Organe und Konferenzen, Deklarationen und ersten Kodifikationen.

1. „The law of Nations, as it results from the usages established between civilized peoples“: Geltungsraum des Völkerrechts und Formierung der Akteure Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie sich aus einem militärisch begründeten Kriegsrecht ein öffentlichkeitsorientiertes völkerrechtliches Konzept entwickelte. Dabei spielte die Zivilisierungsmission eine zentrale Rolle, denn eines der Grundelemente des Völkerrechts und ein erstes Element der Martens-Klausel stellt der Geltungsbereich dar, der nur ‚zivilisierte Staaten‘ einschloss. Im Folgenden geht es daher zum einen um den sogenannten Zivilisationsstandard, der den Raum absteckte, in dem alle diskutierten Regeln zukünftig Geltung haben sollten (was auch den Kreis derjenigen definierte, die an der Ausgestaltung der neuen Richtlinien mitarbeiten durften). Zum anderen werden die Akteure eines sich ständig erweiternden Feldes vorgestellt, das neben der Fachöffentlichkeit und der Politik bald auch zivilgesellschaftliche Organisationen umfasste. Das Völkerrecht, und dabei ist das entstehende Kriegsvölkerrecht oder humanitäre Völkerrecht mit eingeschlossen, war nicht konzipiert als ein ius gentium, wie die Römer bereits formuliert hatten, ein Gesetz für alle Völker, sondern gedacht als ein Gesetz für alle ,zivilisierten‘ Völker.22 Völkerrecht wurde im 19. Jahrhundert ausschließlich verstanden als Regulativ für Beziehungen zwischen ‚zivilisierten‘ Staaten, was allein souveräne Nationalstaaten meinte.23 Dies impliziert umgekehrt jedoch, dass 21

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Paulmann, Johannes: Reformer, Experten und Diplomaten. Grundlagen des Internationalismus im 19. Jahrhundert, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel (Externa Bd. 1), hrsg. v. Hillard von Thiessen/Christian Windler, Köln, Weimar, Wien 2010, S. 173–197. S. 190. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 39. Pendas, „The Magical Scent of the Savage“, S. 38–39.

1. GELTUNGSRAUM DES VÖLKERRECHTS UND FORMIERUNG DER AKTEURE

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statt rechtlichem Pluralismus die Unterwerfung anderer Völker, insbesondere ihre Kolonialisierung, genuin im Zivilisationsprinzip mit angelegt war.24 Ungefähr seit der Jahrhundertwende setzte sich für das öffentliche Recht Europas der Begriff des „law of ,civilized‘ nations“ durch. Es ging also unter dem Begriff ‚Zivilisationsstandard‘ um ein (legalistisches) Weltbild, um ein System aus Inklusion und Exklusion, das außereuropäische Völker aufgrund des kulturellen Arguments aus der Rechtsgemeinschaft ausschloss, sie aber gleichzeitig der Fürsorgegemeinschaft der europäischen Völker anbefahl. Diese wiederum würden sie dann in einer als humanitäre Intervention verbrämten Mission ‚zivilisieren‘, indem sie sie kurzerhand zu weitgehend rechtlosen Untertanen machten.25 Das Völkerrecht oder „law of nations“ war im 19. Jahrhundert Gegenstand von Aushandlungsprozessen. Zu beachten ist, dass rechtliche Rhetorik politische Debatten formt, Gesellschaften ordnet und Begründungen mehr Glaubwürdigkeit gibt.26 Es sind in den Debatten zwei Ebenen zu unterscheiden, auf denen das Recht Verhalten zwischen den Völkern legitimiert: Einerseits gilt das Befolgen von Rechtsgrundsätzen generell als hohes Gut, und souveräne Staaten können durch rechtskonformes Verhalten ihre Legitimität erhöhen; dies tun sie, indem sie ihre Handlungen durch Verweise auf deren Rechtmäßigkeit untermauern. Andererseits beeinflusst das Recht die öffentliche Wahrnehmung von Rechtmäßigkeit. Dadurch ist es zum einen möglich, die Akzeptanz von bestehender politischer und sozialer Macht zu unterstreichen, zum anderen werden diese Machtstrukturen dann wieder ins Recht selbst eingeschrieben und neu definiert.27 Ein weiteres Strukturelement ist die enge Wechselbeziehung zwischen politischer und intellektueller Macht im 19. Jahrhundert.28 Es kam zu einer Entwicklung im Justizwesen, die, ausgehend von nationalen Gesetzbüchern für zumeist christliche Gesellschaften, ein Rechtssystem für alle ‚ziviliserten Völker‘ erschaffen wollte, und eine der Folgen davon war die Ausdehnung des souveränen Staatensystems.29 Übertragen auf Ordnungskonfigurationen bedeutet dies konkret, dass nationalstaatliche Interessen sich tendenziell über international wünschenswerte Interessen durchsetzen. Es ist daher die Frage, 24

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Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 44. Hoffmann, Stefan-Ludwig: Einführung. Zur Genealogie der Menschenrechte, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. StefanLudwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 7–40. S. 19; Koskenniemi, Martti: Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919. Conference paper for „Whose International Community? Universalism and the Legacies of Empire“, Columbia Department of History, April 2005, S. 23–24. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 57–58. Franck, Thomas M.: Legitimacy in the International System, in: The American Journal of International Law 82 (1988), S. 705–759. S. 705. Sylvest, Casper: The Foundation of Victorian International Law, in: Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenth-century political thought (Ideas in context 86), hrsg. v. Duncan Bell, Cambridge, New York 2007, S. 47–66. S. 47. Sylvest, The Foundation of Victorian International Law, S. 47.

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inwiefern der Zusammenschluss der Akteure in Netzwerken sowie die Herstellung von Öffentlichkeit für Themen von nationalstaatlichem Interesse – und dazu gehört das Kriegführen zweifellos – sich auf den Debattenfortschritt auswirkten. 1.1. Der Standard der ‚Zivilisation‘ als Parameter der Verrechtlichung Der Nexus zwischen ‚Zivilisation‘ und Völkerrecht ist eine der Hauptargumentationslinien der Verrechtlichungsdebatten des 19. Jahrhunderts, und es ist unerlässlich, diese Diskussion in die vorliegende Untersuchung mit einzubeziehen.30 Denn die Zugehörigkeit zum Kreis ‚zivilisierter Staaten‘ bestimmte den Geltungsbereich des Völkerrechts, war also ein Faktor der Inklusion oder Exklusion.31 Als das definierende Prinzip, das ,zivilisierte‘ von ,unzivilisierten‘ Staaten unterschied, galt die Theorie vom Zivilsationsstandard, der an juristischen Parametern bzw. an der nach westlichen Maßstäben entwickelten Rechtsordnung gemessen wurde.32 Die Unterscheidung zwischen ,zivilisiert‘ und ,unzivilisiert‘ wurde zum bestimmenden Merkmal der ersten Phase der Verrechtlichung im 19. Jahrhundert.33 Es kam zu einer intensiven Entwicklung von Rechtsvorstellungen, die den Begriff ,Zivilisation‘ anklingen ließen, jedoch verschiedene Dinge bedeuteten und das Konzept dadurch verwässerten. Das Ziel der Völkerrechtler, den Fortschritt liberaler Ideen in Europa voranzutreiben sowie die Zivilisation in die Kolonien europäischer Staaten hineinzutragen,34 wirft die Frage auf, was genau im Viktorianischen Zeitalter unter Humanität und Zivilisation verstanden wurde und in welcher Verbindung diese Vorstellungen zum Kriegsvölkerrecht standen. Der Begriff ‚Zivilisation‘ ist eng verknüpft mit dem Gedanken einer ‚civilizing mission‘ im Zeitalter der europäischen Expansion,35 die zunächst auch tatsächlich eine Mission im religiösen Sinne war, um das Christentum zu verbreiten.36 Zwischen 1760 und 1830, in der sogenannten „Sattelzeit“ (Koselleck), kam es zu einer Phase der kulturellen Implementierung westlicher Vorstellungen und kultureller Normen, die als vermeintlich höherwertig exportiert werden sollten (Osterhammel spricht hier vom „Zeitalter der Implementierung“37). Dieser folgte die Ära des Imperialismus und ihr Verständnis von der ,civilizing mission‘, „an ever-shifting set of ideas and practices that was now used to justify and legitimize the establishment and continuation of 30 31 32 33 34 35 36 37

Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 212. Anghie, Imperialism, Sovereignty, and the Making of International Law, S. 52–64. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 7. Robertson, Geoffrey: Crimes against humanity. The struggle for global justice, London 4th ed.2012, S. 252. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 1. Falser, Michael: Cultural Heritage as Civilizing Mission: Methodological Considerations, in: Cultural Heritage as Civilizing Mission, hrsg. v. Michael Falser, Heidelberg, New York 2015, S. 1–32. S. 3. Vgl. White, Owen/Daughton, J. P.: In God’s empire. French missionaries in the modern world, New York 2012. Osterhammel, Jürgen: Europe, the ‚West‘ and the Civilizing Mission, London 2006, S. 13.

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overseas colonies, both to subject peoples and to citizens or subjects in the homeland“.38 Im Hinblick auf die Intention, westliche Rechtssysteme in den Kolonien zu verankern, spricht Edward Said von „cultural or scientific imperialism“.39 ‚Zivilisation‘ galt in diesem Verständnis als ein Zustand, der nicht nur die Entfaltung aller Fähigkeiten des Menschen, sondern auch die Verbreitung von Rechten fördern sollte.40 Dem stand die ‚unzivilisierte‘ Welt gegenüber, meist ein Sammelbegriff für die nichtchristlichen Völker außerhalb Europas, deren rechtlicher Status schwach blieb. Der ‚civilizer‘ hatte in diesem Weltbild nicht nur das Recht, sondern die moralische Pflicht, seine Kultur an die zu zivilisierenden Völker weiterzugeben.41 Dazu gehört die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit, die oft als Begründung für das eigene Engagement für die ‚civilizing mission‘ dient, und die Erwartung einer gewissen Aufnahmebereitschaft seitens der zu Zivilisierenden.42 Urs Bitterli urteilt: „Das einschlägige Schrifttum der Aufklärungszeit misst den Kolonisten nicht mehr an der wagemutigen Pioniertat im Dienst des Glaubens und des Vaterlands; wichtig wird nun die Frage, inwieweit er dank persönlicher Vorbildlichkeit und der Uneigennützigkeit seines Bestrebens zur sittlichen Erziehung, zur ‚Zivilisierung‘ des als perfektibel erkannten Eingeborenen beizutragen imstande ist.“43

‚Zivilisation‘ wurde so zum Leitbegriff der imperialen Expansion der europäischen Staaten insbesondere nach Asien und Afrika. Die Kolonialisierung weiter Teile der Welt, die die ökonomische Unterwerfung anderer Weltregionen zum Ziel hat, wurde als zivilisatorische Sendung der Europäer verbrämt und erhielt so (zumindest rhetorisch) einen „humanitären“ Aspekt.44 Insbesondere die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist dadurch gekennzeichnet, dass sich diejenigen Völker, die sich durch christliche und europäische Werte definierten, durch den Begriff der Zivilisation von anderen, die als ‚barbarisch‘ bezeich38

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Watt, Carey Anthony: Introduction: The Relevance and Complexity of Civilizing Missions c. 18002010, in: Civilizing missions in colonial and postcolonial South Asia. From improvement to development, hrsg. v. Carey Anthony Watt/Michael Mann, London, New York 2011, S. 1–34. S. 1. Said, Edward W.: Culture and imperialism, London 1994. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 43. Falser, Michael: Cultural Heritage as Civilizing Mission: Methodological Considerations, in: Cultural Heritage as Civilizing Mission, hrsg. v. Michael Falser, Heidelberg, New York 2015, S. 1–32. S. 18. Osterhammel, Jürgen: ‚The Great Work of Uplifting Mankind.’ Zivilisierungsmission und Moderne, in: Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert (Historische Kulturwissenschaft Bd. 6), hrsg. v. Boris Barth/Jürgen Osterhammel, Konstanz 2005, S. 363–427. S. 365. Daran schließt sich nicht selten der Vorwurf der Undankbarkeit an, wenn die Aufnahme nicht den Erwartungen des ‚civilizers‘ entspricht. Vgl. Bitterli, Urs: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 3. Aufl. 2004, S. 433. Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 433. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 38.

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net wurden, kulturell abzugrenzen versuchten.45 Als wesentliche Kennzeichen des Zivilisationsprozesses gelten der Aufbau eines Rechtssystems, von Technik und Wissenschaft, eines Staatsapparats und der Diplomatie und einer Wirtschaftsorganisation; Alfred Weber zählte darüber hinaus noch die Bereiche Kunst, Philosophie, Religion und Mythen dazu.46 Der Theorie nach zeichnete sich die ‚zivilisierte‘ Welt dadurch aus, dass in ihr um politische Partizipation gekämpft wurde und Streitigkeiten zunehmend rechtlich geregelt und diese Regeln kodifiziert wurden.47 Der Begriff der Zivilisation wurde in Frankreich und Großbritannien Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend gebräuchlich und fand im Zuge der Aufklärung weitere Verbreitung. „Er bezeichnete sowohl den Prozess, durch den aus Barbarei ‚Humanität‘ hervorging, als auch im Weiteren den Zustand einer zivilisierten Gesellschaft, insbesondere das Gefühl einer gewissen Sicherheit von Person und Eigentum“, so Mazower.48 Der Wiener Kongress 1815 fungierte hier als eine Art Weichenstellung für den Weg in eine neue Ära internationalen Regierens, basierend auf einem System aus Bündnissen. Abbé Dufour de Pradt schrieb 1815 rückblickend zu den politischen Entscheidungen über die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress, dass sich die Zivilisation hier als „neue Macht erhoben“ habe, was der Gebrauch der neuen Rhetorik eindrucksvoll belegt, die seit der Französischen Revolution ubiquitär geworden war.49 Der Begriff der Zivilisation wurde in der Folge in Europa als politisch-liberales Programm verstanden und kennzeichnete die Politik zwischen als gleichwertig oder nicht gleichwertig empfundenen Partnern, also zumeist souveränen oder nicht voll souveränen Staaten; dies manifestierte sich beispielsweise im Hinblick auf das Osmanische Reich, aber auch im Hinblick auf China und Japan. Das koloniale Selbstverständnis bezog einen wesentlichen Bestandteil seiner Legitimierung aus der Dichotomie Zivilisation–Barbarei sowie der Trennung zwischen Mutterland und Kolonie.50 Barbarisch im Sinne dieser Distinktion sind demnach diejenigen Völker, die noch keine Staatlichkeit aufweisen („pre-state peoples“).51 Völkerrecht kommt dann zur Anwendung, wenn zwei im Status gleiche Partner sich anerkennen und keiner der beiden eine dritte Macht über sich hat; dieses Verhältnis bewirkt in der Theorie, dass sie sich nach rechtsstaatlichen Grundsätzen behan45 46 47

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Fisch, Jörg: Zivilisation, Kultur, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner, Stuttgart 1992, S. 679–774. Weber, Alfred: Kulturgeschichte als Kultursoziologie, Leiden 1935. Hoffmann, Stefan-Ludwig: Einführung. Zur Genealogie der Menschenrechte, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. StefanLudwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 7–40. S. 18. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 43. Mazower, Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte, S. 42. Hall, Catherine: Civilising subjects. Metropole and colony in the English imagination, 1830-1867, Cambridge, UK 2002, S. 10. ‚The right to colonial rule was built on the gap between metropole and colony: civilization here, barbarism/savagery there.“ Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 38.

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deln und sich an diese gegenseitige Verpflichtung gebunden fühlen.52 Völkerrechtliche Beziehungen waren aber auch zwischen ‚wilden‘ oder ‚barbarischen‘ Gruppen möglich, solange diese sich gegenseitig als gleichwertig anerkannten.53 Das viktorianische Völkerrecht teilte die Welt entsprechend ihrem Zivilisationsstandard ein. Demzufolge galten Europa und von Europa kolonisierte Gebiete als zivilisiert, denn sie besaßen Eigentumsrechte, Rechtsstaatlichkeit, staatliche Verwaltung sowie Gewissensfreiheit, und Krieg wurde nur durch reguläre Armeen bestritten. In diesem Bereich war es die Funktion des Völkerrechts, „Konflikte zwischen souveränen Staaten ohne einen darüberstehenden Souverän zu lösen“.54 Außerhalb dieses Bereichs hingegen zielte das Völkerrecht darauf ab, „Bedingungen festzulegen, unter denen Souveränität […] gewährt werden könne.“ Dadurch diente das Zivilisations-Paradigma dazu, andere Weltregionen von der Teilhabe an Macht und Wohlstand dezidiert auszuschließen.55 Hinter der Praxis, internationale Abkommen auch mit als unzivilisiert geltenden Völkern abzuschließen, stand der Gedanke der Abgrenzung und Verstärkung des eigenen Rechtssystems.56 Dies spiegelt sich zum einen in den Verträgen des 19. Jahrhunderts, die europäische Staaten mit außereuropäischen Staaten unterzeichneten, zum anderen in den Texten der Völkerrechtler. Die Verträge zeigen dabei das Bemühen des europäischen Rechtssystems, die Staatenpraxis auf unterschiedliche Bedürfnisse und verschiedene Anwendungsgebiete außerhalb von Europa anzupassen, insbesondere in Handelsfragen. Sie stellten somit ein wichtiges Dokument für den zweistufigen Prozess dar, mit dem einerseits der Zivilisationsstandard kodifiziert, andererseits als rechtliche Norm propagiert wurde. Ein Spezifikum der Verträge (oft auch treffend als „ungleiche Verträge“ bezeichnet) war die Tatsache, dass europäische Staaten sich für ihre Bürger zusichern ließen, dass diese auch an ihrer Wirkungsstätte im Ausland unter extraterritorialem (europäischen) Recht stünden. Der Begriff ‚gunboat diplomacy‘ bezeichnet die Androhung militärischer Gewalt bei Nichtbefolgung der „Vorschläge“ und ist heute als Synonym für Druck auf staatlich Schwächere etabliert.57 Nach der Theorie des ‚Zivilisationsstandards‘ ergeben sich für die betroffenen Völker drei Möglichkeiten, in den Kreis der zivilisierten Völker aufzusteigen: durch Religion (Konvertierung zum Christentum), durch Handel sowie durch Angleichung der Rechtsvorstellungen.58 Recht wurde dadurch zu einem Vehikel des Fortschritts. Der Lackmustest, ob ein Staat ‚zivilisiert‘ war und demzufolge Anerkennung als 52 53 54

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Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 219. Schwarzenberger, The Standard of Civilization in International Law, S. 219. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 47. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 220. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 6–7 und S. 58. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 67. Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 433.

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internationaler Partner erhalten konnte, war die Frage, ob seine Regierung stabil genug wäre, verbindliche Verpflichtungen im Sinne des Völkerrechts einzugehen, und ob diese Regierung fähig und auch willens sei, Leben, Freiheit und Besitz von Ausländern zu schützen.59 Da die globale Gültigkeit des Völkerrechts als Grundvoraussetzung für internationale Beziehungen angesehen wurde, hatten China und Japan sich den europäischen Rechtsvorstellungen angeglichen und versucht, in die internationale Gemeinschaft Eingang zu erhalten.60 Japan stellte nach der Öffnung im Gefolge der Meiji-Restauration nach 1868 zunächst sein Rechtssystem um und stellte damit die Gleichsetzung von Zivilisation und Christentum erstmals ernsthaft in Frage. 1894 erlangte das Land als Folge der Modernisierung die Aufhebung ungleicher Verträge und die Kontrolle über Zölle zurück und etablierte sich durch den Sieg über Russland 1905 zudem als Großmacht.61 Das Beispiel zeigt, dass der Status der zivilisierten Macht auch für nichtchristliche, nichteuropäische Staaten erreichbar war, bleibt jedoch als Erscheinung einzigartig.62 Der Krieg zwischen Japan und China von 1894/95 konfrontierte die westliche Welt zudem mit der Frage, welche Prinzipien eigentlich bei Konflikten zwischen ,halb zivilisierten‘ Staaten gelten sollten.63 Die meisten Völkerrechtler neigten eher der Meinung von Henry Bonfils und Paul Fauchille zu, die 1898 argumentierten, dass das Völkerrecht sich nur auf Beziehungen zwischen (vollständig) zivilisierten Staaten beziehen könne.64 Festzuhalten ist, dass sich das internationale System zwar globalisierte, die Standards sowie die Kerninstitutionen aber weiterhin von Europäern bestimmt wurden.65 Die akademischen Texte wiederum zeigen, wie führende Völkerrechtler der Zeit dabei mithalfen, den Gedanken des Zivilisationsstandards aufrechtzuerhalten und die ‚zivilisierte‘ westliche Welt von der vorgeblich ‚unzivilisierten‘ zu separieren. Der Philosoph John Stuart Mill ist neben François Guizot einer der Hauptvertreter einer normativen Legitimierung kolonialer Macht und vertrat zeitlebens die Position, Kolonialismus generiere Zivilisation, Frieden und Wohlstand, die zivilisatorische Mission sei daher ein humanitäres Projekt.66 Nach der Definition von John Stuart Mill aus dem Jahr 1840 bedeutet Zivilisation

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Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 220. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 39. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 48. Mazower, Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte, S. 49. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 62. Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations, S. 102. Die Definition besagte: „International law applies to relations between states which have attained this level of civilization.“ Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 38. Tunick, Mark: Tolerant Imperialism. John Stuart Mill’s Defense of British Rule in India, in: The Review of Politics 68/04 (2006), S. 586–611. Bell, Duncan: John Stuart Mill on Colonies, in: Political Theory 38/1 (2010), S. 34–64.

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„A multiplication of physical comforts; the advancement and diffusion of knowledge; the decay of superstition; the facilities of mutual intercourse; the softening of manners; the decline of war and personal conflict; the progressive limitation of the tyranny of the strong over the weak.“67

In der Logik von John Stuart Mills Theorie von 1840 hatten „Barbaren kein Recht zur Nation“ und mussten mithilfe der bereits entwickelten Völker erst auf einen Zustand der Zivilisation und Staatlichkeit – meist synonym verwendet – gebracht werden.68 Mill betonte insbesondere den kulturellen Aspekt – er spricht von ‚culture‘ nur in Bezug auf Individuen, während die Kultur der Gruppe unter ‚civilization‘ subsumiert wird – sowie den wirtschaftlichen Aspekt der Zivilisationsmission, den er „Wettbewerb“ nennt (‚competition‘), während andere Autoren hier relativ unverbrämt die Forderung nach Einführung des Kapitalismus stellen.69 Der Begriff ‚Zivilisationsstandard‘ wird gemeinhin in zwei Richtungen verwendet, die Gong unterscheidet: Zum einen beschreibt er die fünf Voraussetzungen (nach Mills), die ‚zivilisierte‘ Staaten erfüllen mussten, unter anderem die Sicherung von Grundrechten (insbesondere für Ausländer), die Einhaltung des Völkerrechts und diplomatische Kontakte; zum anderen bezieht sich der Begriff aber „in allgemeinerer Weise auf das Gebiet des Völkerrechts und definiert dadurch die Grenzen der ‚zivilisierten‘ internationalen Gemeinschaft sowie deren Identität“.70 Das Zivilisationstheorem ist insbesondere aufgrund des Wirtschaftseffekts breit von marxistischen Theoretikern aufgegriffen und weiterentwickelt bzw. kritisiert worden. Völkerrechtler haben sich die Unterscheidungen von Mills zu eigen gemacht und daraus rechtliche Theoreme abgeleitet.71 Die Publizisten des 19. Jahrhunderts folgten dieser akademischen Linie und unterteilten die Welt in ,zivilisierte‘, ‚barbarische‘ und ‚wilde‘ Sphären. Henry Wheaton, William E. Hall, und T. E. Holland sind die bekanntesten juristischen Verfechter dieser Richtung; sie unternahmen es auch, Kriterien aufzustellen, durch deren Erfüllung es bisher ‚unzivilisierten‘ Staaten gelingen sollte, den Zustand rechtlich voll anerkannter Partnerschaft und ‚Zivilisation‘ zu erreichen.72 Gong argumentiert, nachdem sich der ständige Verweis auf einen Zivilisationsstandard in den Rechtswissenschaften durchgesetzt hatte, sei es Juristen vorbehalten geblieben, Standardwerke der Abschottung zu formulieren und die Politik des Imperialismus zu festigen. Einer

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Williams, Raymond: Keywords. A vocabulary of culture and society, New York 1983, S. 58. Hoffmann, Stefan-Ludwig: Einführung. Zur Genealogie der Menschenrechte, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. StefanLudwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 7–40. S. 19. Mill, John Stuart: The Collected Works of John Stuart Mill. Volume XVIII – Essays on Politics and Society Part I (On Liberty; Civilization; 1836), Toronto 1977. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 23. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 30–32. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 25–26.

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der wichtigsten Vertreter wurde Henry Wheaton mit seiner Schrift Elements of International Law.73 Auch das spätere Institut de Droit International in Gent beteiligte sich in den 1880er Jahren an den Debatten und hob das Zivilisationsparadigma somit auf eine institutionell sanktionierte Ebene. Der schottische Jurist James Lorimer, einer der Gründerväter des Instituts, unterteilte in dieser Zeit die Menschheit noch in drei Kategorien und verwendete hierfür ebenfalls die politische Staatsform als Richtschnur. Er unterschied ‚zivilisiert‘, ‚barbarisch‘ und ‚wild‘ – und verband drei damit korrespondierende Anerkennungsstufen: ‚vollständig politisch‘; ‚teilweise politisch‘; ‚im Naturzustand‘ bzw. ‚nur im biologischen Sinne menschlich‘.74 Das Institut verfasste auf seine Anregung hin eine Studie zu „orientalischen“ und „christlichen“ Staaten und ihrer Staatlichkeit; dabei ging es um die Frage, ob es bei der rechtlichen Behandlung von Ausländern Übereinstimmungen gab und ob Letztere die Aufnahme in die Gemeinschaft der Rechtsstaaten rechtfertigen könnten.75 Die Studie kam zu dem Schluss, dass es mehrere Stufen der Zivilisation gebe, und bilanzierte, Völkerrecht sei bei nichteuropäischen Völkern nicht voll anwendbar. Das Institut definierte, dass aus völkerrechtlicher Sicht für den Zustand der Zivilisation ein formal anerkanntes Weltreich (empire) nötig sei, das Handel regulieren und die Einheimischen schützen könne; es sei wünschenswert, dass das Empire nach und nach den Einheimischen selbst Rechte zurückgebe, und zwar in dem Maße, in welchem diese sich ‚ziviliserten‘; am Ende dieses fortschreitenden Prozesses solle die vollständige Zivilisation der gesamten Menschheit stehen. Der britische Jurist Lassa Oppenheim (1858–1919), aufgrund von Diskriminierungen und Antisemitismus aus Frankfurt 1895 nach England immigriert und 1908 in Cambridge auf den Whewell-Lehrstuhl berufen,76 wurde mit seinen Schriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts wegweisend. Oppenheim definierte das Völkerrecht in International Law als „the body of customary and conventional rules which are considered legally binding by civilised States in their intercourse with each other“.77 Erst in der Überarbeitung von 1955 verschwand das Wort ‚civilized‘ aus dem Text, ab dann hieß es: „The body of customary and treaty rules which are considered legally binding by States in their intercourse with each other“.78 Oppenheim gab auch eine De73 74

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Wheaton, Henry: Elements of International Law with a Sketch of the History of the Science, Philadelphia 1836. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 44. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 23–24. Die biographischen Informationen stützen sich auf Schmoeckel, Mathias: Lassa Oppenheim, in: Jurists uprooted. German-speaking émigrée lawyers in twentieth-century Britain, hrsg. v. J. Beatson/Reinhard Zimmermann, Oxford, New York 2004, S. 583–599. Nach einem Studium in Göttingen, Berlin, Heidelberg und Freiburg bei den bekanntesten Juristen seiner Zeit (u.a. Jhering, Bluntschli) sowie einer Professur in Basel hatte sich Oppenheim zur Emigration nach England entschlossen und dabei auch seine fachliche Ausrichtung von Strafrecht zu Völkerrecht verändert. Oppenheim, Lassa Francis Lawrence: International Law. A Treatise, London 1905. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 82–83.

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finition von Zivilisation selbst; demnach ist Zivilisation „no particularly Christian civilisation, but civilisation of such kind only is conditional as to enable the respective State and its subjects to understand and to act in conformity with the principles of the Law of Nations“. Er führte das Osmanische Reich und Japan als positive Beispiele solcher „Entwicklungen“ an, betonte jedoch: „But as yet they have not accomplished this task, and consequently they are not yet able to be received as full members into the ‚Family of Nations‘. Nevertheless, the example of Japan can show them that it depends entirely upon their own efforts to be received as full members into that family.“ Weiter formulierte er mit Blick auf die ,Anwärterstaaten‘: „Persia, Siam, China, Abyssinia, and the like were certainly civilised states, and Abyssinia is even a Christian State.“ Doch trotz dieser „kind of civilisation“, die Oppenheim anerkannte, seien Zweifel angebracht, ob diese Staaten schon in der Lage seien, das Völkerrecht anzuwenden: „Their civilisation has not yet reached that condition which is necessary to enable their Government and their populations in every respect to understand and to carry out the command of the rule of International Law. Nevertheless, ‚all of them make efforts to educate their populations, to introduce modern institutions and to raise thereby their civilisation to the level of the Western‘.“79

Gong bilanziert zu dieser Haltung und der Vorreiterrolle der Völkerrechtler bei dieser Form der Diskriminierung: „Still, without question, the benefits of international law were primarily intended for its ‚civilized‘ subjects and not for those which were made its objects.“80 Eine wirkliche Angleichung war jedoch nicht intendiert, so Gong. „Like Sisyphus, the less ,civilized‘ were doomed to work toward an equality which an elastic standard of ,civilization‘ put forever beyond their reach.“81 Die Studien Oppenheims haben Generationen von Völkerrechtlern bis weit ins 20. Jahrhundert beeinflusst und wirkten sich auch auf die internationale Staatenpraxis aus – etwa wenn es darum ging, wer an den Friedenskonferenzen von Den Haag teilnehmen durfte und wer nicht, wie noch gezeigt werden wird. In gewisser Weise schloss Oppenheims Werk International Law dort an, wo Wheatons Elements of International Law aufgehört hatte. Sein Werk begann mit einer Definition des Zivilisationsstandards und diskutierte dessen Bedeutung. Neuerungen, die sich durch die Pariser Friedensverhandlungen von 1919 ergaben, fügte er noch selbst kurz vor seinem Tod ein,82 danach wurde es mit Überarbeitungen bis zur achten Edition (1955) von seinen Schülern weitergeführt (zunächst Arnold McNair, dann Hersch Lauter-

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Zitiert nach Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 57. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 58. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 63. Schmoeckel, Mathias: Lassa Oppenheim, in: Jurists uprooted. German-speaking émigrée lawyers in twentieth-century Britain, hrsg. v. J. Beatson/Reinhard Zimmermann, Oxford, New York 2004, S. 583–599. S. 585.

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pacht).83 Anschließend nahm Georg Schwarzenberger die Oppenheim’schen Gedanken in sein Werk A Manual of International Law von 1947 auf und trug sie bis zur sechsten Auflage des Buches im Jahr 1976 weiter.84 Der Völkerrechtler Schwarzenberger schrieb noch 1955, eine Gruppe sei als ‚zivilisiert‘ definiert, wenn sie über einen ausgereiften Vernunfts- und Handlungsapparat verfüge („apparatus of thought and action“) und sich dadurch auszeichne, dass ihr Handeln weitgehend von rationalen Verhaltensmustern geprägt sei.85 Dieser rationale Aspekt ist insbesondere von Oppenheim und Westlake immer wieder hervorgehoben worden.86 In diesem völkerrechtlichen Sinne meint ‚Zivilisation‘ den Gegensatz zu Gruppen, die einen weniger rationalen Charakter haben, und die Begriffe ‚Vernunft‘ und ‚Organisation‘ sind die hervorstechendsten Ordnungsprinzipien dieses zivilisierten Staatsverständnisses.87 Oswald Spengler,88 Arnold Toynbee,89 Alfred Weber90 und Norbert Elias91 haben diese Thesen in ihren Forschungen wiederholt aufgegriffen und kritisch hinterfragt. Hans Peter Duerr bezog sich wiederum auf die Kultursoziologie von Elias, den er zu widerlegen suchte.92 Betont wurde insbesondere ein Kernelement des Zivilisationskonzeptes, nämlich seine immanente Brüchigkeit und Bedingtheit, die sich an einem Ideal orientiert, dieses aber in der Praxis kaum erreicht (Toynbee weist in diesem Zusammenhang darauf hin, Zivilisation sei mehr eine Bewegung denn ein Zustand).93 Es gibt heute drei grundlegende rechtliche Problemstellungen zum zwischenstaatlichen Umgang, die gemeinhin mit dem Zivilisationskonzept verbunden sind: Anerkennung von Staaten und von generellen Rechtsgrundlagen (General Principles 83

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Schmoeckel, Lassa Oppenheim S. 586. Lauterpacht gab insgesamt vier weitere Neuauflagen des Lehrbuchs von Oppenheim heraus und gab der Studie damit seine ganz eigene Handschrift; die veränderte Schwerpunktsetzung ist bis heute beibehalten worden, und das Buch wird nach wie vor in regelmäßigen Abständen aktualisiert, um mit den Entwicklungen des Völkerrechts Schritt zu halten. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 82. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 215. Oppenheim, Lassa Francis Lawrence (Hrsg.): The Collected Papers of John Westlake on Public International Law, Cambridge 1914, S. 139. Wright, Quincy: A study of war, Chicago 2nd ed.1965, Vol. 1, S. 152. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234.; Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 216. Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München 1922. Spengler hatte insbesondere den Gedanken immerwährenden Fortschritts kritisiert und einen logischen Rückgang in einem steten Kreislauf von Aufstieg und Verfall prognostiziert. Toynbee, Arnold J.: A study of History, London 1946 und 1957;Toynbee, Arnold J.: War and Civilization, London 1950; Toynbee, Arnold J.: Civilization on trial, New York 1948. Toynbee sieht Zivilisation als ergebnisoffenen Prozess und betont insbesondere die unterschiedlichen Fähigkeiten von Kulturen, auf Herausforderungen zu reagieren, die den Grad einer Weiterentwicklung bestimmten. Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Basel 1939. Duerr, Hans Peter: Der Mythos vom Zivilisationsprozess, Frankfurt 1988-2002. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 217. Toynbee, Civilization on trial, S. 55.

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of Law Recognised by Civilised Nations) sowie das Kriegsvölkerrecht oder humanitäre Völkerrecht.94 Der Zivilisationsstandard war seit der Zwischenkriegszeit keine Vorbedingung mehr, um Anerkennung als souveräner Staat zu erhalten. Im Völkerbund wurde deshalb später der Status einer funktionsfähigen Regierung zur Grundlage dafür, neue Mitglieder aufzunehmen:95 „‚Unabhängigkeit‘ wurde dadurch zum neuen Paradigma der Anerkennung eines neuen Staates, und seine effektive Kontrolle über den Staatsapparat der Test für die Anerkennung einer neuen Regierung.“96 Verstärkt wurde diese Marginalisierung auch durch die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und den 14 Punkten des amerikanischen Präsidenten Wilson geweckten Hoffnungen auf staatliche Souveränität. Diese Bewegung verlief in zwei Phasen, zum einen in der Zwischenkriegszeit, zum anderen in der Dekolonisierungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg. Immer ging es jedoch um die Frage der Teilhabe an der internationalen Gemeinschaft und damit implizit auch um die Frage nach dem Geltungsbereich des Völkerrechts. 1933 setzte die Montevideo-Konvention dem Paradigma vom ‚Zivilisationsstandard‘ offiziell ein Ende, indem sie eine formale Definition von ‚Staat‘ an die Stelle der Zivilisations-Doktrin setzte und damit das Völkerrecht auf eine neue Grundlage stellte.97 Als neues Unterscheidungsmerkmal anstelle von ‚Zivilisation‘ setzte sich seit der Zwischenkriegszeit nach und nach ‚Souveränität‘ durch. Um Regierungen wegen Verfehlungen aus der internationalen Gemeinschaft auszuschließen, erschien es als Sanktion möglich, dem Staat die Anerkennung als souveräner Staat zu verweigern.98 Angesichts des Umgangs mit dem faschistischen Italien und später dem nationalsozialistischen Deutschland zeigte sich jedoch, dass weder der Zivilisationsstandard noch die Aberkennung der Souveränität wirklich genutzt wurden, um Staaten, die sich nicht einmal an Minimalstandards hielten, zu disziplinieren bzw. am Austritt zu hindern.99 Bezogen auf das Kriegsvölkerrecht ist festzuhalten, dass der Inhalt des Konzepts der zivilisierten Staaten von den Entwicklungen der positivistischen Doktrin unberührt blieb, die das Völkerrecht im Verlauf der ersten Dekaden veränderten. Positivistische Rechtsbegriffe unterstrichen die Zulässigkeit von Krieg und sonstiger, nichtmilitärischer Gewalt als Vorrecht der souveränen Macht, die gleichzeitig auf die Einhaltung von Standards wie Diplomatie, Recht und Handel pochte.100 Das positive Völkerrecht sanktionierte die selektive Anwendung von Gewalt gegenüber als unzivilisiert eingestuften Völkern und definierte in einer Art Zirkelschluss diejenigen 94 95 96 97 98 99 100

Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 225. Schwarzenberger, Georg: The League of Nations and World Order, London 1936, S. 32 f. und 87. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 226. Becker Lorca, Mestizo international law, S. 8. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 225. Schwarzenberger, The Standard of Civilization in International Law, S. 225. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 43.

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Länder als unzivilisiert, die sich nicht gegen militärische Angriffe zur Wehr setzen konnten, so dass der Effekt solcher Doktrin sich nicht grundlegend von den rechtsphilosophischen Vorstellungen von Naturrecht unterschied, die Francisco de Vitoria als zulässig empfand.101 Koskenniemi urteilt, bei den ersten Kodifizierungsversuchen und Konferenzen sei eine „amateurhafte Sentimentalität“ am Werk gewesen, die ein „Glauben an die intrinsische Güte der europäischen Zivilisation“ ausgezeichnet habe.102 Das Jahrhundert der Verrechtlichung, das Mitte des 19. Jahrhunderts begann, ist gleichbedeutend mit dem Niedergang des Zivilisationskonzepts als „Ordnungsprinzip der internationalen Politik“103, und dies wirkte sich auch auf die Bestrebungen aus, den Krieg selbst zu ,zivilisieren‘. Generelle Rechtsgrundlagen, die unter zivilisierten Nationen anerkannt sind (General Principles of Law Recognised by Civilised Nations) erhielten in der Zeit, in der das Völkerrecht mit dem Zivilisationsprinzip verschmolz, eine Bedeutung, die der des angelsächsischen Begriffs ‚rule of law‘ entsprach.104 Krieg und Frieden wurden zwischen 1870 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 zu bestimmenden Axiomen mit politischer Wirkungsmacht.105 Die Bewegung hin zu einer Verrechtlichung der Kriegsgewalt wurde maßgeblich durch dieses Klima bestimmt. 1.2. Akteure: Internationalisten, Expertenzirkel und Friedensbewegung Die Debatte über die Einhegung der Kriegsgewalt im 19. Jahrhundert wurde durch zwei Faktoren beeinflusst: einerseits durch die Staatenpraxis, andererseits durch theoretische Schriften der Akteure. Diese Strömung firmiert in der Forschung unter Internationalismus. Internationalisten vertraten die Auffassung, dass aller Austausch und alle persönlichen Begegnungen über die Grenzen hinweg geeignet seien, um Verständnis füreinander zu entwickeln und so ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.106 Der Internationalismus war dadurch ein Teil der Friedensbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts: eine gut organisierte Bewegung, die die Errungenschaften der Friedensbewegung pries und förderte.107 Die Vorschläge der oft als ‚Publizisten‘ bezeichneten Juristen wurden jedoch von politischen, diplomatischen

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Wolfrum, Edgar: Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2012, S. 13; Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 44. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 5. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 42. Schwarzenberger, The Standard of Civilization in International Law, S. 227. Best, Humanity in warfare, S. 138. Best, Humanity in warfare, S. 132–134. Herren, Madeleine: Internationale Organisationen seit 1865. Eine Globalgeschichte der internationalen Ordnung (Geschichte kompakt : Neuzeit), Darmstadt 2009, S. 42–49.

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und militärischen Funktionsträgern als nichtbindend betrachtet oder nur schleppend in das Gewohnheitsrecht überführt.108 Es muss also in der Analyse um den gesellschaftlichen Resonanzraum und Kontext der Akteure dieser Bewegung gehen, die die Herausbildung von „Arenen der Verrechtlichung“ begünstigten, sowie um die Grundannahmen, von denen aus sich die Debatte entwickelte. Zu unterscheiden sind institutionelle Neuerungen sowie personelle Netzwerke, die transnational angelegt waren. Das 19. Jahrhundert war eine Zeit radikalen Wandels, in politischer, sozialer und kultureller Hinsicht. In der Aufklärung entstand die Vorstellung von verschiedenen Stufen einer Gesellschaft, die sich organisatorisch von ‚Familie‘ über ‚Nation‘ zu universalistischer ‚humanity‘ fortentwickeln würde.109 Der Aufstieg der Nationalstaaten und ihre Bündnispolitik im „Konzert der Völker“, das Zeitalter der Industrialisierung mit der Herausbildung einer selbstbewussten, international vernetzten Arbeiterschaft sowie technische Neuerungen ließen die Menschen global enger zusammenrücken. Der Wiener Kongress 1815 und das dort etablierte System der Bündnisse („Konzert“) sowie die Überzeugung, den Frieden auch in Zeiten internationaler Krisen bewahren zu wollen, führten zu einer fast 40-jährigen Phase des Friedens, die erst vom Krimkrieg (1853–1856) unterbrochen wurde.110 Doch das 19. Jahrhundert war auch ein Jahrhundert der kulturellen Neuerungen und Erfindungen, insbesondere zwischen 1860 und 1914, was nicht ohne Auswirkungen auf die völkerrechtlichen Debatten blieb.111 Die Schaffung oder Weiterentwicklung so verschiedener Kommunikationssysteme wie Schifffahrt und Eisenbahn, Telegraphie und Druckwesen führte zu einem immensen Zuwachs im Austausch von Ideen, Gütern und Menschen.112 Zusammenarbeit war en vogue und wurde zum Ende des Jahrhunderts intensiviert und institutionalisiert, was sich beispielsweise in Abkommen zum Postverkehr, zur Telegraphie, im Gesundheitswesen sowie im Eisenbahnnetz äußerte.113 Eine Begleiterscheinung der Frühindustrialisierung war die Forderung nach sozialen und politischen Reformen, am prominentesten vorgetragen von Vertretern der Arbeiterschaft – die erste (1864) und zweite kommunistische Internationale (1889) reflektieren diesen Anspruch. Abgesehen von nationalistischen oder kommunistischen Vorschlägen zu Reformen waren es vor allem liberale Ideen, vorgebracht von Männern wie Frauen der gebildeten Mittelschicht, die sich an vielen Orten in internationalen Verbänden or108 109 110

111 112

113

Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 62. Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism, S. 4. Baumgart, Winfried/Duchhardt, Heinz: Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen. Europäisches Konzert und nationale Bewegung (1830-1878) (Band 6), Paderborn [u.a.] 1999, S. 18. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 46–49. Paulmann, Johannes: Reformer, Experten und Diplomaten. Grundlagen des Internationalismus im 19. Jahrhundert, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel (Externa Bd. 1), hrsg. v. Hillard von Thiessen/Christian Windler, Köln, Weimar, Wien 2010, S. 173–197. S. 190. Paulmann, Reformer, Experten und Diplomaten S. 190.

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ganisierten und daher in der Forschung unter „Internationalisten“ gefasst werden, um ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit globalem Charakter zu unterstreichen.114 Es fanden internationale Zusammenkünfte religiöser Richtung statt, allen voran das Erste Vatikanische Konzil von 1869/70 und die Lambeth-Konferenzen des Pan-Anglican Congress seit 1878; es gab den Kongress der sozialistischen International Working Men‘s Assocition 1866 in Genf, politische Zusammenkünfte wie die liberale „Inter-Parlamentary Union“ (IPU) seit 1889, die Gründung freiwilliger philanthropischer Verbände wie der Young Men’s Christian Association (YMCA) sowie die Gründung des Institut de Droit International 1873 und die darauf folgenden akademischen und politischen Konferenzen.115 Sluga spricht hier von einer „invisible moral order“, die die Visionen der internationalen Zivilgesellschaft begleitet habe.116 Frauen aus der gebildeten Mittelschicht beanspruchten seit Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls einen Platz in der öffentlichen Debatte um soziale Reformen, nicht zuletzt in der Frage gesellschaftlicher Neuorganisation und der Partizipation durch Wahlrecht. Während es auf der Anti-Slavery-Konferenz von 1840 in London Frauen noch explizit verboten war, an den Beratungen teilzunehmen, und auch eine Mitgliedschaft in der YMCA dezidiert Männern vorbehalten blieb, gründeten sich neben Frauengruppierungen zur Friedensbewegung 1888 der International Council of Women und schließlich 1904 die International Woman Suffrage Alliance. Getrieben von einer wachsenden zivilen Öffentlichkeit, drohenden militärischen Auseinandersetzungen sowie unter dem Eindruck von Kriegsgräueln zwischen als gleichwertig anerkannten Gegnern wuchs Mitte des 19. Jahrhunderts auch das Bedürfnis nach Regeln für den Krieg. Die Protagonisten waren sich einig in ihrer Zustimmung zu den Idealen der Aufklärung und in ihrem Fortschrittsglauben, teilten eine paternalistische humanitäre Gesinnung sowie die Vorstellung, dass die menschliche Gesellschaft durch Regeln und Bürokratie zu steuern sei.117 Dabei teilten sich die Denkschulen zu ‚Krieg‘ und ‚Frieden‘ in zwei Bereiche auf, die sich teilweise überlappten und miteinander in Konkurrenz standen. Die eine Richtung befürwortete den Frieden, die andere hielt den Krieg für das Mittel der Wahl.118 Als drittes staatliches Mittel der Friedenssicherung stand zudem die diplomatische Entscheidung für eine sanktionierte Neutralität (Schweiz, Belgien) bzw. eine freiwillige Neutralität (Niederlande, Dänemark, USA) zur Verfügung, die hier aber unberücksichtigt bleiben muss.119 Der wachsende Nationalismus des 19. Jahrhunderts wirkte gleichzeitig als Kriegsgrund wie auch als kriegsverschärfend.120 Letztlich lösten Erfahrungen brutaler Kriegführung, etwa im Krimkrieg oder im Deutsch114 115 116 117 118 119

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Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism, S. 5. Best, Humanity in warfare, S. 134. Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism, S. 9–13 (auch im Folgenden). Lewis, The birth of the new Justice, S. 14. Best, Humanity in warfare, S. 131. Als Überblick über die Möglichkeiten der Neutralität als Mittel zur Stabilisierung internationaler Beziehungen im 19. Jahrhundert vgl. Abbenhuis, Maartje M.: An age of neutrals. Great power politics, 1815-1914, Cambridge, UK 2014. Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit, S. 14.

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Französischen Krieg 1870/71, die mit den Idealen der Aufklärung nicht mehr kompatibel schienen, die juristischen Modernisierungsbestrebungen aus. Es führte also nicht ein Rest mittelalterlicher Ritterideale zum wachsenden Bemühen um eine Einhegung von Kriegsgewalt, sondern vielmehr die Erfahrung der Brutalität der Französischen Revolution wie auch der Napoleonischen Kriege. Technische Veränderungen, die die Kriegführung verschärften, sowie die aufgeheizten Rivalitäten zwischen neu entstandenen Nationalstaaten, ließen es geraten erscheinen, die Kriegsregeln grundlegend zu überarbeiten.121 Insbesondere nach den Erfahrungen der Kolonialkriege des 18. Jahrhunderts und den Napoleonischen Kriegen sowie den Wirtschaftsblockaden des angehenden 19. Jahrhunderts waren sich Juristen, Regierungsvertreter und Bankiers einig, dass Kriege vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht katastrophal waren: Kriege unterbrachen den Handel, führten zu Produktionsengpässen und vernichteten Kapital.122 Die wirtschaftliche Entwicklung und der industrielle Aufschwung gehörten zu den zentralen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts, wie etwa die Weltausstellungen belegen, und die Vorstellung von freiem Handel und ungebremstem Fortschritt ließ sich nur im Frieden realisieren. Je mehr Errungenschaften die Menschheit durch einen Krieg zu verlieren drohte, je enger ihre internationalen Verbindungen durch Handel, Investitionen und Arbeitsteilung wurden, umso mehr erhielt die Idee des friedlichen Zusammenlebens und der gewaltfreien Konfliktlösung Aufschwung.123 Diese Denkfigur findet sich auch 50 Jahre später noch in den Verhandlungen von Den Haag. So betonte etwa der US-Delegierte Choate während der Haager Friedenskonferenz 1907, dass der Handel die „Amme des Friedens und der internationalen Freundschaft“ sei und daher Regeln zur Einhegung der Kriegsgewalt formuliert werden sollten.124 Die religiös motivierten Friedensfreunde, allen voran die Quäker, stimulierten die Gründung nationaler Friedensvereinigungen, die regelmäßig erscheinende Zeitschriften herausgaben, und setzten schon früh auf die Zusammenkunft in internationalen Konferenzen, um die Argumente der Friedensbewegung zu diskutieren. Sie beförderten damit den institutionellen Rahmen von Konferenzen als „Arena der Verrechtlichung“. Die Friedensbewegung des 19. Jahrhunderts erhielt also ihre Gestalt in den 1830er Jahren und erlebte eine neue Blütenzeit ab den 1870er Jahren. Zunächst waren Quäker, Mennoniten oder radikale protestantische Gruppierungen ihre Vertreter.125 Sie war besonders erfolgreich in den angelsächsischen Ländern, wo sie eine Massenbewegung schuf, die Frauen und Männer einschloss. Sie teilte sich in zwei Lager: Bei den einen herrschten religiöse Motive vor, bei den anderen waren 121

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Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 63. Vgl. grundlegend Armitage, David/Subrahmanyam, Sanjay: The age of revolutions in global context, c. 1760-1840, Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York 2010. Lewis, The birth of the new Justice, S. 19. Best, Humanity in warfare, S. 131. Scott, James Brown: The Hague Peace Conferences 1899 and 1907. A series of lectures delivered before the Johns Hopkins University in the year 1908, Baltimore 1909, Vol. 3. S. 767, 762. Best, Humanity in warfare, S. 131. Vgl. auch Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit, S. 90.

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es eher wirtschafts- und sozialtheoretische Argumentationsmuster.126 Der Grundsatz, dass Krieg wirtschaftlich unsinnig sei, wurde zu einem zentralen Argument der „Friedensfreunde“, besonders prononciert vorgetragen von Richard Cobden. 1843 gab es den ersten Friedenskongress in London, 1848 einen in Brüssel, 1849 in Paris, 1850 in Frankfurt und 1851 erneut in London. Viele Industriemagnaten stellten sich in den Dienst der Sache und förderten die Friedensbewegung nicht nur ideell, sondern auch finanziell, man denke an die Auslobung des Friedensnobelpreises (1897) sowie die Gründung des Carnegie Endowment for International Peace (1910). Humanitäres Völkerrecht oder Kriegsvölkerrecht galt daher schon bald als Instrument zur Friedenssicherung in allen öffentlichen Angelegenheiten.127 Es entstanden verschiedene Initiativen, ein internationales Rechtssystem zu schaffen, die als Vorläufer der Entwicklung im 20. Jahrhundert von Bedeutung sind. Beispielsweise gab es gemischt besetzte internationale Gerichtshöfe, die die Verfolgung des Sklavenhandels zum Ziel hatten; die Ausarbeitung internationaler Konventionen, die Regeln für den Umgang im Krieg festlegen sollten; den Vorschlag, einen internationalen Gerichtshof ins Leben zu rufen; Vorstöße, internationale Schiedsgerichtsbarkeit einzuführen, um zwischenstaatliche Streitfragen zu klären; und den Beginn einer transnationalen Polizeizusammenarbeit, um anarchistischen oder sozialistischen Terrorismus zu unterbinden.128 Doch die Versuche, Völkerrecht und Strafverfolgung weiterzuentwickeln, stießen schnell an Grenzen: Das ideologische Dogma der Staatssouveränität dominierte die internationalen Beziehungen. So war es Standard, nach einem Krieg Gefangene auszutauschen und Amnestie zu gewähren, aber nicht, den Gegner für Verletzungen des Kriegsrechts und Verbrechen an Zivilisten strafrechtlich zu verfolgen. Die Idee, dass Staaten in ihrem eigenen Interesse rechtliche Grundsätze zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik teilen könnten, war ein revolutionär neues Prinzip, das nur nach und nach Eingang in internationale Institutionen erhielt. Die Grundlage der Strafverfolgung wiederum bildete der Imperialstaat, der Nationalstaat, der Stadtstaat, aber eine internationale Behörde zur Überwachung, wie es sie später gab, war noch undenkbar.

2. „The laws of humanity“: Internationalisierung der Debatte Mit den ‚laws of humanity‘ wird in der Martens-Klausel die inhaltliche Seite umschrieben, daher soll es im Folgenden um wesentliche Elemente der Verrechtlichungsdebatte des 19. Jahrhunderts in Bezug auf die Ahndung von Kriegsgewalt und ihre Internationalisierung gehen, wie anhand des Lieber-Codes erkennbar wird. Es wird auch beleuchtet, wie der Begriff crimes against humanity im Kontext der De126 127 128

Baumgart/Duchhardt, Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, S. 75. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 23. Best, Humanity in warfare, S. 129. Lewis, The birth of the new Justice, S. 14, auch im Folgenden.

2. „THE LAWS OF HUMANITY“: INTERNATIONALISIERUNG DER DEBATTE

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batte um die Abschaffung der Sklaverei bereits 1836 einmal auftauchte, damals aber noch generisch verwendet wurde. Das humanitäre Völkerrecht hat sich im 19. Jahrhundert anhand verschiedener Faktoren fortentwickelt: Zum einen ging es um Kodifizierungsversuche von Juristen und internationale Deklarationen, die diese Vorschläge aufgriffen, zum anderen schlossen sich berufsständische Organisationen zu Gremien zusammen und unterhielten Plattformen regelmäßigen Austausches, etwa Konferenzen oder Fachzeitschriften. Ziel dieser Initiativen war es, kontinuierlich für die Umsetzung von Prinzipien zu werben, die nicht auf Anhieb politische Fürsprecher fanden, etwa weil sie dem nationalstaatlichen Sicherheitsinteresse entgegenstanden (dies zeigte sich vor allem beim Thema Rüstungsbeschränkungen). Wegmarken dieser Entwicklung waren die Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts im Amerikanischen Bürgerkrieg, die Gründung des Institut de Droit International 1873 in Gent sowie eine Reihe von Konferenzen und Konventionen, deren bekannteste die beiden sogenannten Friedenskonferenzen in Den Haag sind (1899 und 1907). Im Folgenden liegt der Fokus auf der Internationalisierung der Debatte. Im Jahr 1863 lagen mit dem sogenannten Lieber-Code, einem für den Amerikanischen Bürgerkrieg vom deutschstämmigen Juristen Franz Lieber konzipierten Kriegsregelwerk, erstmals in 157 Abschnitten grundlegende Regeln der Kriegführung vor.129 Erst auf der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 sollten diese Gedanken wieder aufgenommen werden, doch auch hier blieben die formulierten Grundsätze freiwillige, nicht bindende Verpflichtungen, und die humanitären Prinzipien bewirkten keinesfalls, dass auch nur eine einzige Waffe von militärischem Belang verboten wurde.130 Parallel zu diesen Entwicklungen kam es zur Gründung bzw. zu weiteren Initiativen internationaler Organisationen der Zivilgesellschaft (die bekannteste ist das Rote Kreuz), die jedoch den dritten Aspekt der Martens-Klausel im Blick hatten, die Herstellung von Öffentlichkeit, und daher erst im folgenden Kapitel behandelt werden. Die Hauptargumente der Debatte werden dabei anhand der juristischen Fachliteratur sowie der diplomatischen Deklarationen nachvollzogen, wobei besonderes Augenmerk auf dem Gebrauch des Paradigmas von ‚humanity‘ und ersten Definitionen des Begriffs ‚crimes‘ liegen wird. Das 19. Jahrhundert wird als Ära des humanitären Fortschritts gepriesen, in welcher die Kriegsgewalt erstmals juristischen Regeln unterworfen wurde. Selbst wenn man dies nur auf Europa bezieht und die Kolonialkriege unbeachtet lässt, ist diese Aussage problematisch, denn sie verschleiert den Konflikt zwischen Rechtsvorstellungen und der Realität militärisch-politischer Zielvorgaben. Es ging um nichts we129

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Zum Bürgerkrieg grundlegend Berg, Manfred: Geschichte der USA (Oldenbourg-Grundriss der Geschichte 42), München 2013, S. 34–39, zu den wirtschaftlichen Folgen 40-44. Zum Lieber-Code vgl. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. Der Originaltext online unter Lieber, Francis: Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field (Lieber Code). 24 April 1863, online: https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/ INTRO/110?OpenDocument (15.09.2015). Baumgart/Duchhardt, Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, S. 80–81.

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niger als die Rivalität zwischen nationalstaatlichen und internationalen Ordnungsvorstellungen und den Primat der Sicherheitspolitik. Das Hauptproblem der ersten Verrechtlichungsphase war, dass es kaum Möglichkeiten gab, die Einhaltung der neu ausgehandelten Konventionen in Kriegen zu überwachen, geschweige denn Fehlverhalten nach dem Krieg zu sanktionieren. Robertson spricht daher davon, dass die Konventionen des 19. Jahrhunderts, die das neue Recht kodifizieren sollten, ohne ausreichend ausgestattete Exekutive zu einem „Friedhof leerer Worte“ degeneriert seien.131 Dennoch muss der Beginn der Debatte Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst einmal positiv gesehen werden. Allein schon die Überzeugung, dass Recht der Kriegsgewalt Grenzen setzen könne, hatte Konsequenzen für die Art und Weise, in der Kriegsgewalt begriffen wurde, und demzufolge auch Einfluss darauf, in welchem rechtlichen Rahmen Kriege später geführt wurden.132 Dabei war der völkerrechtliche Rahmen zur Regulierung von Kriegsgewalt zunächst eng gesteckt: einerseits durch Einschränkung der Möglichkeiten, überhaupt Krieg zu führen, und andererseits durch Regeln, wie der Krieg möglichst ‚zivilisiert‘ geführt werden sollte.133 Es geht um das ius ad bellum, also das Recht zum Führen eines Konflikts (eine Spielart dieses Rechtsbereichs ist die Problematik des bellum iustum, des „gerechten Krieges“, auf die in dieser Arbeit jedoch nicht eingegangen wird), und das ius in bello, also Regeln zum Umgang mit Kombattanten und Zivilisten.134 Das ius in bello wird zumeist als Kriegsvölkerrecht oder als humanitäres Völkerrecht bezeichnet und legt, verkürzt gesprochen, Regeln für den Krieg fest; es unterteilt sich dabei in Genfer Recht („Geneva Laws“), das den humanitären Aspekt abdeckt und etwa dem Schutz von Kriegsopfern verpflichtet ist, und auf der anderen Seite in Haager Recht („The Hague Laws“), das die Kriegführung regelt.135 Die Entwicklung zeigt, dass wesentliche Impulse für die Zivilisierung des Krieges vom ius in bello ausgegangen sind.136 Doch erst mit dem Konzept von crimes against humanity entstand ein opferzentrierter Ansatz. Zunächst ging es darum, grundlegende Regeln für Kombattanten aufzustellen.

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Robertson, Crimes against humanity, S. 246. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 56. Robertson, Crimes against humanity S. 246. Hierzu ausführlich Crowe, David: War Crimes, Genocide and Justice. A Global History, New York 2014. Thürer, Daniel: International humanitarian law. Theory, practice, context (Pocketbooks of the Hague Academy of International Law), [The Hague] 2011. S. 40. Thürer, International humanitarian law, S. 40. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 52. Rensmann, Thilo: Die Zivilisierung des Völkerrechts durch das ius in bello – Von der Martens’schen Klausel zur “Responsibility to Protect”, in: Zeitschrift für allgemeines öffentliches Recht 68 (2008), S. 111–128. S. 111.

2. „THE LAWS OF HUMANITY“: INTERNATIONALISIERUNG DER DEBATTE

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2.1. Kriegspraxis und Regulierung: Ausgangspunkte der Debatten In den Debatten des 19. Jahrhunderts flossen kulturelle Codes und Kriegsvorstellungen verschiedener Denkschulen und Jahrhunderte ineinander. Dem humanitären Völkerrecht liegt die Annahme zugrunde, dass eine Zivilisierung der Kriegsgewalt durch den Ausgleich der Interessen von militärischer Notwendigkeit einerseits und dem Bedürfnis nach Mäßigung andererseits erfolgen müsse. Dabei geht es um Unterscheidung und Verhältnismäßigkeit.137 Mit ‚Unterscheidung‘ ist das Prinzip gemeint, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden und nur Erstere anzugreifen. ‚Verhältnismäßigkeit‘ beschreibt die Vorschrift für die kriegführenden Parteien, Zerstörungen zu vermeiden, die in keinem Verhältnis zum militärischen Nutzen stehen. Im Folgenden wird es daher um die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung und den Präferenzen des humanitären Völkerrechts gehen, das sich zunächst dem Schutz von Kombattanten zuwandte. Ab wann spricht man von einem Kriegszustand?138 Für einen solchen ist gemeinhin eine offizielle Kriegserklärung nötig, der üblicherweise der Abbruch diplomatischer Beziehungen vorausgeht. Unterschieden werden heute zudem symmetrische und asymmetrische Kriege.139 Der zwischenstaatliche, symmetrische Krieg, im 19. Jahrhundert noch der Regelfall, ist durch Grenzüberschreitung und Souveränitätsverletzung gekennzeichnet.140 Zur Kriegspraxis ist festzuhalten, dass Krieg in der Antike als „Kriegskunst“ galt. Regeln gab es insbesondere für Beginn und Beendigung von Konflikten.141 Einklagbare Rechte für Kombattanten existierten nicht; Cicero schreibt: „Inter armas silent leges“ (im Krieg schweigt das Recht), was den Bruch positiven Rechts in Kriegszeiten meinte.142 Der Krieg war schon damals von Verbrechen begleitet, die vor allem an sogenannten Nichtkombattanten, aber auch an Kriegsgefangenen verübt wurden; Beispiele hierfür führt der römische Chronist Tacitus an, der das Verhalten der römischen Armee in Britannien beschrieb oder die Zerstörung Karthagos im Dritten

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Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 50. Pictet, Jean: Development and Principles of International Humanitarian Law, Amsterdam 1985. Vgl. als Überblick Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Münkler, Die neuen Kriege, S. 13–58. Detter de Lupis Frankopan, Ingrid: The law of war, Cambridge [u.a.] 2nd ed.2000, S. 5. Es gibt jedoch eine Grauzone von Konflikten, wo noch ein Rest politischer Kontakte fortbesteht, obwohl es bereits zu konflikthaften Übergriffen kommt – diese Konflikte werden oft unter Begriffen wie „Polizeiaktion“ oder „lawful aggression under UN Charta“ geführt. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 31. Marcus Tullius Cicero, aus der Rede Pro T. Annio Milone, 52 v. Chr.; zitiert nach Wright, A study of war, S. 863.

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Punischen Krieg.143 Im Mittelalter war der Krieg gekennzeichnet als ‚Privatkrieg‘.144 Geregelt wurden die Kriege durch „Royal Ordinances“. Meron situiert hier den Punkt, an dem der Gedanke der Humanität ins Recht Eingang fand, etwa durch die neue Regelung Karls I. von 1640, dass feindliche Soldaten zu schonen seien.145 Allerdings wird oft übersehen, dass sich dieses Ideal nur auf privilegierte Gruppen, insbesondere auf adelige Krieger, bezog und für die Fußtruppen, aber auch für besiegte Gegner (insbesondere Nichtchristen und Angehörige fremder Ethnien) nicht galt, die keine Schonung zu erwarten hatten.146 Zwischen 1648 und 1763 war die Zeit der dynastischen „Kabinettskriege“, in denen professionelle Kämpfer auf eng begrenztem geographischen Gebiet miteinander um die Vorherrschaft rangen.147 Für Krieg gegen einen als „ungleich“ angesehenen Gegner galten keine Regeln, und als Begründung wurde hier oftmals das bereits beschriebene Paradigma des ‚Zivilisationsstandards‘ herangezogen. Nur wenig Verpflichtung ergab sich für die mittelalterliche Christenheit aus der christlichen Ethik und der Ritterlichkeit, wenn es um Krieg gegen „Ungläubige“ oder Häretiker ging, wie man etwa an den Kreuzzügen und den Ritterschlachten gegen die Sarazenen sieht.148 Noch im 18. Jahrhundert zeigte sich dies beispielsweise, als Großbritannien während der Eroberung Nordamerikas systematisch Verbrechen an amerikanischen Ureinwohnern beging. Im 19. Jahrhundert wurde schließlich deutlich, dass auch die koloniale Expansion wenig christliche Verpflichtung in der Kriegführung mit sich brachte.149 Gleichzeitig tauchte in der Debatte um den Sklavenhandel das Motiv der Humanität und christlicher Werte durchaus auf, das in der Kriegführung jedoch nicht galt. Interessanterweise gab es in der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Sklaverei auch einen starken Diskussionsstrang, der wirtschaftlichen Argumentationsmustern folgte, so dass nicht klar entschieden werden kann, welcher Aspekt schließlich den Ausschlag für den Erfolg der Bewegung brachte.150 Gemeinhin mit dem Begriff ,humanitäre Interven-

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Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 29. Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, München 2. Aufl. 2006, S. 365. Meron, Theodor: War crimes Law comes of Age. Essays, Oxford, New York 1998, S. 9. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 60. Vgl. hierzu ausführlich Asbach, Olaf/Schröder, Peter: War, the state, and international law in seventeenth-century Europe, Burlington, VT 2010. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 221. Schwarzenberger, The Standard of Civilization in International Law S. 221. Drescher, Seymour: Public Opinion and the Destruction of British Slavery, in: Slavery and British society, 1776-1846, hrsg. v. James Walvin, Baton Rouge 1982, S. 22–48.; Farrell, Stephen/Unwin, Melanie/Walvin, James: The British slave trade. Abolition, Parliament and People: including the illustrated Catalogue of the parliamentary exhibition in Westminster Hall, 23 May – 23 September 2007, Edinburgh 2007.

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tion‘ verbunden, gilt die Aufhebung der Sklaverei im British Empire 1833 (Abolitionismus) jedenfalls rückblickend als eine der Wegmarken des Fortschritts.151 Abscheu vor manch ausufernder Kriegspraktik des 17. Jahrhunderts, die rationale Strategie von Militärtheoretikern im 18. Jahrhundert sowie die Formierung von Berufsheeren bestimmten die Vorstellung, dass Krieg als eine Art Spiel betrachtet werden könne, das nach festen Regeln zu spielen sei, und so galt er gemeinhin als legitime, wiewohl gewalttätige Methode zur Lösung internationaler Konflikte.152 Bis zur Neuzeit waren Kriegsregeln zudem an religiöse Vorstellungen gebunden gewesen.153 Ab dem 16. Jahrhundert kam es durch die Schriften von Hugo Grotius, Alberico Gentilini,154 Jean-Jacques Rousseau und Emer de Vattel zu ersten Verschiebungen im Verständnis der Frage, welche Mittel zur Anwendung im Krieg legitim seien.155 Doch was genau wurde unter Kriegsgewalt verstanden? Die rechtliche Bewertung musste sich dabei an den Kriterien orientieren, die vom Militär aufgestellt wurden. Der preußische Generalmajor Carl von Clausewitz ist hier einer der bekanntesten Autoren, und seine Formulierung vom Krieg als „Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“ galt im 19. Jahrhundert als Grundmaxime.156 Er beschreibt damit einen zwischenstaatlichen Krieg, den klassischen europäischen Kriegstypus.157 Krieg galt den politisch Handelnden im 19. Jahrhundert, bilanziert Nipperdey, als ein „durch-

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Klose, Fabian (Hrsg.): The emergence of humanitarian intervention. Ideas and practice from the nineteenth century to the present (Human rights in history), Cambridge, UK 2016; Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 221; Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“ S. 430. Frankreich hatte die Sklaverei zwar schon 1794 aufgehoben, dies wurde jedoch von Napoleon 1802 wieder rückgängig gemacht, sie danach jedoch auch abgeschafft, vgl. Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 431. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 221. Als Überblick hierzu vgl. Baumgart, Winfried/Duchhardt, Heinz: Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen. Europäisches Konzert und nationale Bewegung (1830-1878) (Band 6), Paderborn [u.a.] 1999; Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit, S. 13. Auf Gentilini, der sich insbesondere der Frage nach dem gerechten Krieg widmet und eine Klassifizierung vornimmt, wird hier nicht gesondert eingegangen. Vgl. Wilson, George Grafton: Grotius: Law of War and Peace, in: American Journal of International Law 35 (1941), S. 205–226. S. 219. Vgl. hier ausführlich Asbach, Olaf: Die Zähmung der Leviathane. Die Idee einer Rechtsordnung zwischen Staaten bei Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau (Politische Ideen Bd. 15), Berlin 2002. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 588. Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz, Berlin 1832. Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit, S. 15, unterscheidet hier vier Typen: erstens die Durchsetzung des Territorialstaats, der das Monopol des Krieges durch eine reguläre Armee vertritt, zweitens die Unterscheidung zwischen Polizei im Innern und Militär zur Sicherung nach außen, drittens die Trennung zwischen Kriegszeiten und Friedensperioden (ein Krieg beginnt mit einer Kriegserklärung und endet mit einen Waffenstillstand) und viertens die Trennung zwischen Schlachtfeld und Hinterland, sowie zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. Für die strafrechtliche Beurteilung, ob es sich bei einer Tat um ein Kriegsverbrechen handelt und wie sie zu bewerten ist, sind insbesondere die letzten beiden Kategorien von Bedeutung.

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aus legitimes Mittel der Politik“, mit dem man Ziele notfalls durchzusetzen suchte.158 Bestritten wurde die Legitimität des Krieges Mitte des Jahrhunderts allenfalls von der noch unbedeutenden Friedensbewegung.159 Im Fokus der Regulierung des Völkerrechts standen Exzesse von Einzelnen gegenüber Kriegsgefangenen, wenn diese Bürger eines souveränen Nationalstaates waren. Es limitierte jedoch auch, wer für die Durchsetzung dieser Ansprüche zuständig war: die souveränen Staaten jeweils für ihre eigenen Truppen.160 Im Zusammenhang mit Studien zum Beginn der sogenannten humanitären Intervention161 taucht nun auch der Begriff crimes against humanity erstmals auf, allerdings mit der Konnotation eines Gattungsbegriffs.162 So hat Klose die Nutzung des Begriffs in der Anti-Sklaverei-Debatte der Abolitionisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts betont163 und den Gebrauch insbesondere in den Schriften des Juristen Henry Wheaton nachgewiesen. Wheaton schreibt 1842: „[…] a traffic so justly stigmatized by every civilized and Christian powers as a crime against humanity“, und an anderer Stelle: „[…] public opinion stigmatizing the traffic as a crime against humanity“.164 In seiner früheren Schrift hatte Wheaton den Begriff noch nicht verwendet und 1836 geschrieben: „The African slave trade, once considered not only a lawful, but desirable branch of commerce, a participation in which was made the object of wars, negotiations, and treaties between different European states, is now denounced as an odious crime by the almost universal consent of nations.“165 Jenny Martinez geht in ihrer Studie zu den Anti-Sklaverei-Gerichtshöfen sogar so weit, diese als ersten Hinweis auf die Bewegung zum Schutz der allgemeinen Menschenrechte zu sehen.166 Martinez urteilt, dass hier das Konzept von crimes against 158 159 160

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Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 783. Riesenberger, Dieter: Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933 (Sammlung Vandenhoeck), Göttingen 1985. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 39. Klose, Fabian: The Emergence of Humanitarian Intervention. Three centuries of ‚enforcing humanity‘, in: The emergence of humanitarian intervention. Ideas and practice from the nineteenth century to the present (Human rights in history), hrsg. v. Fabian Klose, Cambridge, UK 2016, S. 1–30; Klose, Fabian: Humanitäre Intervention und internationale Gerichtsbarkeit. Verflechtungen militärischer und juristischer Implementierungsmaßnahmen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift (MGZ) 72 (2013), Heft 1 (2013), S. 1–21. Klose, „In the Cause of Humanity“. Eine Geschichte der humanitären Intervention im langen 19. Jahrhundert, Göttingen: V&R, 2018. Klose, Fabian: „A War of Justice and Humanity“. Abolition and Establishing Humanity as an international Norm, in: Humanity. A history of European concepts in practice from the 16th century to the present (V&R academic 110), hrsg. v. Fabian Klose/Mirjam Thulin, Göttingen 2016, S. 169–186. Wheaton, Enquiry into the Validity of the British Claim to a Right of Visitation and Search of American Vessel Suspected to be Engaged in the African Slave Trade. S. 4 und 6; erneut taucht der Begriff auf in Wheaton, History of the Law of Nations in Europe and America from the Earliest Times to the Treaty of Washington, 1842, S. 594. Ich danke Fabian Klose für den Hinweis auf diese Quelle. Wheaton, Elements of International Law with a Sketch of the History of the Science, S. 114–115. Martinez, The Slave Trade and the Origins of International Human Rights Law.

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humanity in der ursprünglich intendierten Form angewandt worden sei.167 Die gemischten Gerichtshöfe (‚mixed courts‘ oder ‚mixed commissions‘), die Großbritannien zwischen 1817 und 1871 mit Portugal, Spanien, den Niederlanden, Brasilien und den USA als binationale Gerichtshöfe einrichtete, sind als Vorläufer eines internationalen Rechtssystems bisher wenig erforscht.168 Diese Gerichtshöfe sollten den Sklavenhandel verfolgen und unterdrücken, den die genannten Länder zwischen 1807 und 1830 geächtet hatten.169 Gerichtshöfe existierten in Rio de Janeiro, Havanna, Surinam und Freetown (Sierra Leone) und an weiteren Orten. Ihre Aufgabe war es zu klären, ob die Beschlagnahme eines Sklavenschiffes legal war und ob die afrikanischen Gefangenen an Bord befreit werden konnten. Bethell urteilt, die Gerichtshöfe hätten dabei großen Erfolg gehabt, es seien über 600 Schiffe aufgebracht und dabei an die 80.000 Sklaven befreit worden.170 Martinez sieht diese Gerichtshöfe als Beleg für ein frühes Engagement von privaten transnationalen Gruppen für die Menschenrechte an, eine Bewegung, die nicht von Regierungen, sondern von non-state actors aus dem Kreis der Abolitionisten getragen wurde, also von Politikern, Unternehmern und kirchlichen Gruppen. Sie stellt dabei die These auf, dass hier bereits Vorläufer des späteren Konzepts der crimes against humanity zu erkennen seien, wenn man es aus dem Kontext des Zweiten Weltkriegs herauslöst und es als Konzept zur Ahndung von Verbrechen an Individuen begreift.171 Diese These ist jedoch nicht schlüssig: Die Konnotation dieser frühen Verwendung ist eine völlig andere, hier geht es um eine moralische Rechtfertigung der politischen und juristischen Intervention, nicht um ein Rechtskonzept, und das Ziel des Prisengerichtshofs war die Ladung der Sklavenschiffe, also die „Ware“, und nicht das Leid der Menschen. Es ist auch wichtig, im Blick zu behalten, dass das beschriebene Rechtssystem nicht international war, denn nur Großbritannien stellte die Marinepatrouillen, die nach den Schiffen suchten und diese aufbrachten; die Mannschaft des Schiffes wurde den jeweiligen Heimatstaaten für einen Prozess übergeben.172 Insofern ist es zum einen nicht zutreffend, von einem „internationalen“ Rechtssystem zu sprechen, denn die ‚mixed commissions‘ hingen ganz wesentlich von der damals 167 168

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vgl. Martinez, Jenny S.: The Slave Trade and the Origins of International Human Rights Law, Oxford 2012, S. 115, 136. Shaikh, Farida: Judicial Diplomacy. British Officials and the Mixed Commission Courts, in: Slavery, Diplomacy and Empire. Britain and the Suppression of the Slave Trade, 1807-1975, hrsg. v. Keith Hamilton/Patrick Salmon, Brighton 2009, S. 42–64. Bethell, Leslie: The Mixed Commissions for the Suppression of the Transatlantic Slave Trade in the Nineteenth Century, in: The Journal of African History 7/(01) (1966), S. 79–93. Martinez, Jenny S.: Antislavery Courts and the Dawn of International Human Rights Law, in: The Yale Law Journal, 117/(No. 4) (2008), S. 550–641. Lewis, The birth of the new Justice, S. 14. Bethell, Leslie: The Mixed Commissions for the Suppression of the Transatlantic Slave Trade in the Nineteenth Century, in: The Journal of African History 7/(01) (1966), S. 79–93. S. 79. Martinez, Jenny S.: Antislavery Courts and the Dawn of International Human Rights Law, in: The Yale Law Journal, 117/(No. 4) (2008), S. 550–641. S. 632. Blyth, Robert J.: Britain, the Royal Navy and the Suppression of Slave Trades in the Nineteenth Century, in: Representing slavery. Art, artefacts and archives in the collections of the National Maritime Museum, hrsg. v. Douglas J. Hamilton/Robert J. Blyth, Aldershot [England], Burlington, VT, London 2007, S. 78–91.

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führenden maritimen Großmacht Großbritannien ab, die nicht international, sondern unilateral agierte. Zudem stellten diese ‚mixed courts‘ auch keinen internationalen Gerichtshof dar, der die Verantwortlichen vor Gericht gebracht hätte.173 Verboten war lediglich der Handel mit Sklaven, nicht jedoch das System der Sklaverei an sich. Im 19. Jahrhundert stand also, ungeachtet der politischen Rhetorik um ‚Humanität‘, keineswegs die Ahndung kriegerischer Gewalt gegen Zivilisten im Mittelpunkt, sondern die Kodifizierung des Kriegsrechts selbst. Wenn von crimes against humanity gesprochen wurde, wurde an die moralische Intervention gegenüber einem Verstoß gegen die hergebrachten Sitten der ‚zivilisierten Völker‘ appelliert, aber es war nicht an die Regelung von Kriegsgewalt gegen Zivilisten gedacht. Als Francis Lieber seinen Code verfasste, der als erste Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts gilt, griff er insbesondere auf die Theorien von Grotius, Hobbes und Clausewitz zurück, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Hugo Grotius (1583– 1645) war einer der Ersten, die den Krieg als ein von der Politik zu verantwortendes Phänomen ansahen, dem man demzufolge durch Regeln beikommen könne. Diese Sichtweise wurde im 19. Jahrhundert richtungsweisend. Grotius formulierte, dass die Beziehungen zwischen Staaten auf die Regeln der Vernunft gegründet seien, und diese seien durch das Naturrecht bestimmt, eine Rechtsordnung, die weder von Souveränitätsgedanken noch von nationaler Rechtsprechung beeinträchtigt werden könne und die den Gedanken des positiven Rechts zurückweist. In seiner Schrift De jure belli ac pacis, einem dreibändigen Werk von 1625,174 widmete sich Grotius insbesondere im dritten Band dem Krieg.175 Grotius ging bei seinen Rechtsvorstellungen von Recht aus, das zwischen gleichwertigen Staaten bestehe und sie zu einer Gemeinschaft verbinde, so dass man von einem ius gentium sprechen könne.176 Er nahm damit die Definition von souveränen Staaten, die eine gemeinsame Rechtsvorstellung teilten, sowie wesentliche Elemente des Zivilisationskonzepts implizit vorweg. Grotius bestand darauf, dass Krieg durch Regeln begrenzt werden müsse; dafür müsse ein neues Recht, ein Kriegsvölkerrecht, geschaffen werden: „Es schweigen zwar unter den Waffen die Gesetze; aber nur die des Verkehrs, der Gerichte und des Friedens, aber nicht jene ewigen und für alle Zeiten geltenden Gesetze.“177

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Lewis, The birth of the new Justice, S. 15. Grotius, Hugo: Drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens. Aus dem Lateinischen Urtext übersetzt, mit erläuternden Anmerkungen, von J. H. von Kirchmann, Berlin 1869 (Original 1625). Lauterpacht, Hersch: The Grotian Tradition in International Law, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 360–382.S. 375. Wilson, George Grafton: Grotius: Law of War and Peace, in: American Journal of International Law 35 (1941), S. 205–226. S. 205. Er formulierte mit Blick auf die Staatspraxis, dass in ihr das Naturrecht die Vernunft des Menschen am besten repräsentiere. Wilson, Grotius: Law of War and Peace, Prolegomena Grotius, S. 212–217. Grotius, Drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens, S. 43.

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Einige Absätze später schreibt Grotius, dieses neue Kriesgvölkerrecht müsse für beide Rechtsfragen, also für ius ad bellum und ius in bello, gelten. Es sei eine Schande, dass christliche Völker im Krieg keinerlei Zurückhaltung mehr besäßen: „Ich sah in den christlichen Ländern eine Kriegführung, derer sich selbst rohe Völker geschämt haben würden; man greift aus unbedeutenden oder gar keinen Gründen zu den Waffen, und hat man sie einmal ergriffen, so wird weder das göttliche noch das menschliche Recht geachtet, gleichsam als wenn auf Befehl die Wuth zu allen Verbrechen losgelassen worden wäre.“178

Ein Jahrhundert nach Grotius sollte Rousseau dieses Prinzip betonen, wenn er schrieb, dass die „Natur der Dinge“ die Kriegsführenden verpflichte, Kombattanten von Nichtkombattanten zu unterscheiden und Angriffe auf bewaffnete Feinde zu beschränken.179 Thomas Hobbes ergänzte die Position des Souveräns als Angelpunkt der Rechtsordnung; die Doktrin der Staatssouveränität ist auf ihn zurückzuführen. Hobbes hat in seiner Schrift Leviathan 1651 argumentiert, dass der Souverän immun sei, da er ja die Untertanen repräsentiere, die sich ihm qua Herrschaftsvertrag unterworfen hätten: „Because every subject is by this institution author of all the actions and judgments of the sovereign instituted; it follows that whatsoever he doth, it can be no injury to any of his subjects; nor ought he to be by any of them accused of injustice.“180 Dieser rigiden Vorstellung ist von John Locke bis zur US-Verfassung verschiedentlich widersprochen worden, die Kritik bezieht sich aber meist auf innerstaatliche Politik.181 Für die völkerrechtliche Problematik galt das Prinzip der staatlichen Souveränität in der Folge als sakrosanktes Prinzip, was bei der Ahndung von Kriegsverbrechen zum Problem werden sollte, wie noch zu zeigen sein wird. Grotius unterstrich, es sei Aufgabe der Herrschenden, für die Einhaltung des Rechts zu sorgen. Insbesondere wies er die Praxis unbegrenzter Gewalt zurück und betonte, alle Maßnahmen müssten im Rahmen militärischer Notwendigkeit erfolgen, und zwar nur so weit, bis das militärische Ziel des Konflikts erreicht sei.182 Dabei verband Grotius die Idee von einem raschen Feldzug mit dem Ideal der Menschlichkeit im Kriege und behauptete, alles, was den Krieg schneller beende, sei legitim.183 178 179 180

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Grotius, Drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens, S. 48. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 61. Hobbes, Thomas: Leviathan. (1651), New York 1968, S. 232. Eine Analyse findet sich bei Norrie, Alan: Thomas Hobbes and the Philosophy of Punishment, in: Law and Philosophy 3/(2) (1984), S. 299– 320. S. 304. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 41. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 61. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 33. Auch im Folgenden.

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Pendas urteilt, dass Grotius damit in gewisser Weise europäischer Realpolitik entsprach, in der die Gewaltlogik die Logik des Rechts übertraf. Durch diese Logik der Gewalt und Gegengewalt wurde die Praxis der Kriegführung jedoch weit mehr geregelt als durch juristische Überlegungen. Diese Entwicklung findet ihre Entsprechung in den Schriften von Carl von Clausewitz. Grotius wurde somit zur Grundlage für Clausewitz, der sich in seinem Werk Vom Kriege (1832) mit der Frage der Wahl der Mittel auseinandersetzte, was wiederum ein zentrales Element in Liebers Schriften wurde. Clausewitz war der Meinung, dass die militärische Logik und der Zwang der Notwendigkeit dabei stets über die Möglichkeiten des Rechts zur Regulierung der Kriegsgewalt hinausgingen. Clausewitz wandte sich explizit gegen Milde mit dem Gegner („Gutmütigkeit“) und betonte das bereits von Grotius bekannte Prinzip, ein kurzer Krieg sei der menschlichste Krieg: „Nun könnten menschenfreundliche Seelen sich leicht denken, es gebe ein künstliches Entwaffnen oder Niederwerfen des Gegners, ohne zuviel Wunden zu verursachen, und das sei die wahre Tendenz der Kriegskunst. Wie gut sich das auch ausnimmt, so muß man doch diesen Irrtum zerstören, denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die Irrtümer, welche aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten. Da der Gebrauch der physischen Gewalt in ihrem ganzen Umfange die Mitwirkung der Intelligenz auf keine Weise ausschließt, so muß der, welcher sich dieser Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes bedient, ein Übergewicht bekommen, wenn der Gegner es nicht tut. Dadurch gibt er dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum äußersten, ohne dass es andere Schranken gäbe als die der innewohnenden Gegengewichte.“184

Clausewitz wird oft mit dem Grundsatz der Kriegsraison in Verbindung gebracht, der als typisch preußische Tugend gilt und mit dem Ausspruch „Kriegsraison geht vor Kriegsmanier“ verbunden ist.185 Gemeint war damit, dass der Grundsatz militärischer Notwendigkeit stets Vorrang haben müsse vor Beschränkungen rechtlicher Art, um den Erfolg zu sichern.186 Lieber griff diesen Gedanken in seinen Schriften auf. Sich im Kriege zurückzuhalten sei ein Verdienst zivilisierter Völker, so Clausewitz weiter (er benutzt hier den Begriff „gebildet“): „Sind die Kriege gebildeter Völker viel weniger grausam und zerstörend als die der ungebildeten, so liegt das in dem gesellschaftlichen Zustande, sowohl der Staaten in sich als unter sich. Aus diesem Zustande und seinen Verhältnissen geht der Krieg hervor, durch ihn wird er bedingt, eingeengt, ermäßigt. […] Bei rohen Völkern herrschen die dem Gemüt, bei Gebildeten die dem Verstande angehörenden Absichten vor; allein dieser Unterschied liegt nicht in dem Wesen von Rohheit und Bildung selbst, sondern in den sie begleitenden Umständen, Einrichtungen usw.: er ist also nicht notwendig in jedem einzelnen 184 185 186

Clausewitz, Vom Kriege. Erstes Kapitel, Abschnitt 3, S. 14. Best, Humanity in warfare. Zum Konzept der Kriegsraison, S. 145–175. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 63.

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Fall, sondern er beherrscht nur die Mehrheit der Fälle, mit einem Wort: auch die gebildetsten Völker können gegeneinander leidenschaftlich entbrennen.“187

Clausewitz hatte darin das Verständnis der militärischen Eliten seiner Zeit gebündelt, und dies war die Ausgangslage, als Francis Lieber im Amerikanischen Bürgerkrieg sein Handbuch zu den Kriegsregeln verfasste. 2.2. Debatten um den Lieber-Code Allgemein gilt Francis Liebers Schrift von 1863, bekannt als General Order No. 100 oder Lieber-Code, als Beginn des modernen humanitären Völkerrechts. Der Code bündelte die damals gebräuchlichen Regeln erstmals schriftlich188 und wurde zum Vorbild vieler Militärgesetzbücher des 19. Jahrhunderts.189 Der Lieber-Code bereitete die Martens-Klausel nicht nur inhaltlich vor, sondern verschob den Kontext, indem nun im klassischen Militärhandbuch ein völkerrechtlicher Diskurs Einzug hielt und dieser Ansatz transnationale Verbreitung fand. In zehn Abschnitten und 157 Artikeln behandelt Lieber Kriegsregeln, Fragen des Partisanenkriegs und der Okkupation.190 Er entwickelte darin frühere Ansätze weiter, insbesondere sein Manual of Political Ethics von 1838/39,191 zudem rezipierte er Cicero, Grotius, Vitoria, Pufendorf und Vattel, um nur einige wenige zu nennen.192 Frank Friedel charakterisierte den Code daher auch als „less a rigid legal code than a persuasively written essay on the ethics of conducting war.“193 Liebers Verdienst ist die Unterscheidung in Kombattanten und Zivilisten. Er hinterließ jedoch auch eine Ambivalenz:194 zum einen die Frage, ob die Kriegsregeln sich gegenüber militärisch-strategischen Erwägungen durchsetzen könnten (meist gefasst durch den Begriff ‚military necessity‘), zum anderen das Problem der Durch187 188

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Clausewitz, Vom Kriege, S. 15. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 34. Neben dem preußischen Militärgesetzbuch 1870 (vgl. den Vermerk bei Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 218) beispielsweise auch das serbische Militärgesetzbuch von 1879, vgl. Robertson, Crimes against humanity, S. 252. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 53. Lieber, Francis: Manual of Political Ethics, Boston 1839. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 49. Friedel, Frank: Francis Lieber. Nineteenth century Liberal, Baton Rouge 1947, S. 335. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 53.

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setzbarkeit von Kriegsregeln bzw. der Ahndung von Verstößen. Teile des LieberCodes sind auch heute noch für die Rechtsprechung von Den Haag als Grundlage des Völkergewohnheitsrechts von Bedeutung.195 Obwohl der Lieber-Code in den USA entstand, ist es legitim, in ihm die Weiterführung von Debatten zu sehen, deren Grundlagen nach dem Wiener Kongress 1815 in Europa gelegt worden waren und mit denen der junge Lieber als Offizier in preußischen Diensten in Berührung gekommen war. In Liebers Texten findet sich eine starke Anlehnung an Hugo Grotius’ Schrift von 1625 Über das Recht des Krieges und des Friedens, eine Grundlage des späteren Völkerrechts, oder an Immanuel Kants Abhandlung Vom ewigen Frieden von 1795, in der dieser die Idee eines friedlichen Miteinanders der Völker entwickelte. Die von Lieber formulierte „Instruction for the Governmental Arms of the United States in the Field“ wurde am 24. April 1863 von Präsident Lincoln offiziell erlassen.196 Damit gilt der Amerikanische Bürgerkrieg als erster Konflikt, während dessen ein modernes Völkerrecht kodifiziert wurde, welches offiziell von einer der Kriegsparteien anerkannt wurde.197 Es ist hier festzuhalten, dass diese erste Kodifizierung von Kriegsregeln jedoch in einem Punkt einem Missverständnis unterliegt, da sie nicht für den Konfliktfall zwischen souveränen Staaten, sondern für einen Bürgerkrieg entwickelt worden war. Der Lieber-Code wird dennoch allgemein als Blaupause für alle nachfolgenden Versuche gesehen, den Krieg einzuhegen, indem es ihm gelungen sei, für die Kriegführung verbindliche Regeln vorzugeben und erstmals abweichendes Handeln unter Strafe zu stellen. Zunächst geht es daher um die Frage der Regeln der Kriegführung. Hierbei stellte Liebers sehr offene Definition dessen, was eine ‚militärische Notwendigkeit‘ konstituiere, ein Problem dar. Es sind sehr deutlich Clausewitz’sche Anklänge an Kriegsraison zu entdecken, die eher dem Leitsatz folgen, dass kurze Kriege humanere Kriege sind. Artikel 29 des Lieber-Codes formuliert: „[T]he more vigorously wars are pursued, the better it is for humanity. Sharp wars are brief.“198 Auch gab Lieber das später von Feldmarschall von Moltke übernommene Diktum vor, dass der Krieg dazu diene, die besten Eigenschaften des Mannes hervortreten zu lassen: „All that is noblest in man, is connected with his sociality, his denial of self, and his living and striving closely united with others [...] sacrificing one’s self for another, or one’s children, one’s country, for truth.“199 Die Nähe zu Clausewitz ist möglicherweise bildungsbiographisch begründet. Lieber war 1800 als Franz Lieber in Berlin geboren worden und hatte als Kind den Einzug Napoleons in Berlin miterlebt, nachdem dieser in der Schlacht bei Jena und 195 196 197 198 199

Robertson, Crimes against humanity, S. 252. Solis, Gary D.: The law of armed conflict. International humanitarian law in war, Cambridge [Eng], New York 2010, S. 39. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 65. Lieber, Francis/Hartigan, Richard Shelly: Lieber’s Code and the law of war, Chicago 1983, § 1, arts. 14– 19. S. 48. Online unter http://avalon.law.yale.edu/19th_century/lieber.asp#sec1 . Lieber, Manual of Political Ethics, S. 644.

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Auerstedt gegen Preußen gesiegt hatte.200 Fünfzehnjährig hatte sich Lieber dem Kolberg-Regiment angeschlossen und mit diesem unter dem preußischen Feldmarschall Blücher bei Waterloo gegen Napoleon gekämpft, wenn auch nur kurz.201 Als preußischer Soldat war er mit der Logik des Militarismus, wie sie Clausewitz vertrat, vertraut.202 Zudem hielt er Krieg nicht nur für ein erlaubtes Mittel der Politik, sondern für ein nötiges, um Fortschritt zu erzielen. In seinem Manual of Political Ethics schrieb er später: „War’s moral virtues were the auxalities of energy and independence of thought, elevation and firmness of character, intensity of action“, und unterstrich: „War brought out in men a peculiar attribute of greatness and intellect.“203 Lieber sympathisierte zunächst mit der liberalen Bewegung, was ihn im Zeitalter der Restauration bald in Konflikt mit dem preußischen Staat brachte.204 Er ging 21-jährig nach Griechenland, wo er sich der Befreiungsbewegung gegen die osmanische Herrschaft anschloss, kehrte jedoch 1823 nach Berlin zurück.205 Aufgrund seiner liberalen Ideen erneut in Schwierigkeiten und mit Haft bedroht, emigrierte er 1826 zunächst nach London, von dort 1827 nach Boston. Er wurde bereits 1835 Professor für Geschichte und Politikwissenschaften am South Carolina College und 1857 Professor am Columbia College New York (heute Columbia University), ebenfalls für Geschichte, Politikwissenschaften sowie für International, Civil and Common Law.206 In seiner neuen Heimat engagierte sich Lieber erneut politisch; er war ein leidenschaftlicher Befürworter der Abschaffung der Sklaverei und stellte sich früh auf die Seite der Union.207 Bereits 1861 und 1862 gab er für die US-Armee seine Einschätzung zu der Frage ab, wie Kriegsgefangene der Konföderation behandelt werden sollten oder wie mit irregulären Kämpfern umzugehen sei. Dabei war es für die Regierung Lincolns wichtig, dass Lieber eine Argumentationslinie vorgab, die unbedenklich 200 201

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203 204 205 206 207

Röben, Betsy: Johann Caspar Bluntschli, Francis Lieber und das moderne Völkerrecht, 1861-1881 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts Bd. 4), Baden-Baden 2003, S. 15. Witt, John Fabian: Lincoln’s code. The laws of war in American history, New York 2012, S. 174. Aus seinen Aufzeichnungen, die Witt nutzt, ist ersichtlich, wie stark Lieber von der Notwendigkeit von Kriegen als Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen überzeugt war. Shepard, William S.: One Hundredth Anniversary of the Lieber-Code, in: Military Law Review 21 (1963), S. 157–162. S. 157. Ringmar, Erik: Francis Lieber, Terrorism and the American Way of War, in: Perspectives on Terrorism 3/(No. 4) (2009), online: http://www.terrorismanalysts.com/pt/index.php/pot/article/view/82/ html [09.08.2015]. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 35. Lieber, Manual of Political Ethics, Vol. 2, S. 632. Vgl. auch Witt, Lincoln’s code, S. 177. Meron, War crimes Law comes of Age S. 131. Friedel, Frank: Francis Lieber. Nineteenth century Liberal, Baton Rouge 1947, S. 147–51, 332–35. Röben, Johann Caspar Bluntschli, Francis Lieber und das moderne Völkerrecht, 1861-1881, S. 19. Meron, War crimes Law comes of Age, S. 131. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 47. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231.

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war. Lieber argumentierte, dass die Regierung die Rechte der konföderierten Kriegsteilnehmer unter Berufung auf humanitäre Erwägungen respektieren könne, dies aber nicht impliziere, die Legitimität der anderen Regierung anzuerkennen.208 Doch Lieber ging es um eine grundsätzliche Kodifizierung von Kriegsgewalt. Bereits 1862 war er, seine inoffiziellen Kontakte zum War Department nutzend, an den Generalstab mit dem Vorschlag herangetreten, der Präsident solle eine Reihe von Regeln und Definitionen erlassen, die die drängendsten Probleme des Kriegsrechts beträfen. Lieber schlug ein Komitee aus drei Fachleuten vor, das diese Vorschläge ausarbeiten solle.209 Schließlich wurde Lieber selbst aufgefordert, sich zu beteiligen; er arbeitete eine erste Fassung aus, während sich die anderen Mitglieder damit begnügten, Kommentare oder kleinere Änderungsvorschläge zu Liebers Entwurf beizusteuern.210 Nachdem Lincoln den abschließenden Entwurf gebilligt hatte, wurde er am 24. April 1863 veröffentlicht.211 Liebers Code zeichnet sich durch eine klare Argumentationsstruktur aus: Er unterscheidet zwischen Kombattanten und Zivilisten und fordert, unnötige Zerstörungen zu vermeiden.212 Dabei geht er von der Annahme aus, dass Kriege zwischen souveränen Staaten, anders als in früheren Zeiten, von gewissen Regeln bestimmt werden: Dieser Krieg ist – „as civilization has advanced during the last centuries“ (Art. 22) – ein „public war“ oder „a state of armed hostility between sovereign nations or governments“ (Art. 20).213 Zivilisten seien zu schützen: „The unarmed citizen is to be spared in person, property, and honor“ (Art. 22), und die Verweigerung dieses Schutzes gilt als ‚unzivilisiert‘ (Art. 24). Der Lieber-Code war aber nicht primär als humanitäre Antwort auf steigende Kriegsgewalt konzipiert, sondern hatte vor allem eine pragmatische Dimension: Der Sieg einer Armee hing von interner Disziplin und von Kontrolle über die eigenen Soldaten ab, und die Letzteren benötigten Instruktionen für einen geregelten Umgang mit auftretenden Fragen wie solchen im Zusammenhang mit feindlichem

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210 211 212

213

Vgl. Witt, Lincoln’s code ; Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 214. Brief von Lieber an Henry W. Halleck (Nov. 13, 1862), abgedruckt in Lieber/Hartigan, Lieber’s Code and the law of war, S. 79. Major General Henry W . Halleck hatte selbst ebenfalls eine Abhandlung zum Völkerrecht veröffentlicht, so dass Lieber ihn als „Soldaten und Juristen“ ansprach. Vgl. auch Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 48. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 215. Lieber/Hartigan, Lieber’s Code and the law of war, S. 106–107. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 54. Lieber, Francis: Lieber-Code, online: https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/INTRO/110?Open Document, bzw. bei Avalon unter http://avalon.law.yale.edu/19th_century/lieber.asp.

2. „THE LAWS OF HUMANITY“: INTERNATIONALISIERUNG DER DEBATTE

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Eigentum und Gefangenen.214 Die US-Armee war im Laufe des Bürgerkriegs enorm angewachsen und das bisherige Verfahren des persönlichen Mentorings zwischen älteren und jüngeren Offizieren längst nicht mehr ausreichend. Vor dem Bürgerkrieg hatte die US-Armee aus 13.000 Berufssoldaten bestanden, im Verlauf des Krieges expandierte sie zu einem Massenheer von einer Million Mann.215 Bei Kriegsregeln den Überblick zu behalten war im Eifer des Gefechts nicht leicht: Selbst Offiziere, die im Zivilberuf Rechtsanwälte waren, zeigten sich nicht vertraut mit dem Kriegsrecht. Die Ausarbeitung von verbindlichen Regeln war daher auch eine Antwort auf die Herausforderungen eines Massenheeres. Neben der Abfassung des Lieber-Codes, der primär der Weiterbildung und Information der Offiziere diente, gab es jedoch auch strukturelle Reformen der US-Armee, beispielsweise die Schaffung eines militärischen Generalstaatsanwaltes (Judge Advocate General) sowie die Beiordnung von Stabsoffizieren mit kriegsrechtlicher Ausbildung in die Armeeoberkommandos. Im Lieber-Code finden sich erstmals auch Absätze zur Strafbarkeit bzw. Strafpraxis, charakteristisch sind drakonische Strafen gegen die eigenen Soldaten bei Überschreitung der Regeln. So führt Artikel 44 explizit aus: „All wanton violence committed against persons in the invaded country, all destruction of property not commanded by the authorized officer, all robbery, all pillage or sacking, even after taking a place by main force, all rape, wounding, maiming, or killing of such inhabitants, are prohibited under the penalty of death, or such other severe punishment as may seem adequate for the gravity of the offense. A soldier, officer or private, in the act of committing such violence, and disobeying a superior ordering him to abstain from it, may be lawfully killed on the spot by such superior.“216

Auch Artikel 47 fasste nochmals die Liste aller Grausamkeiten – der Begriff Kriegsverbrechen tauchte erst mit Oppenheim 1906 auf und setzte sich bis zum Zweiten Weltkrieg nur zögerlich durch – zusammen: „Crimes punishable by all penal codes, such as arson, murder, maiming, assaults, highway robbery, theft, burglary, fraud, forgery, and rape, if committed by an American soldier in a hostile country against its inhabitants, are not only punishable as at home, but in all cases in which death is not inflicted, the severer punishment shall be preferred.“217

Die Strafklauseln des Lieber-Codes sind bemerkenswert. Dahinter stand der in den meisten Militärhandbüchern der Welt seitdem verfochtene Gedanke, dass nur eine disziplinierte Armee schlagkräftig und Eigenmächtigkeit einzelner Soldaten unbedingt zu vermeiden sei. 214

215 216 217

Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 50. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 215. Lieber-Code, Art. 44. http://avalon.law.yale.edu/19th_century/lieber.asp. Lieber-Code, Art. 47. http://avalon.law.yale.edu/19th_century/lieber.asp.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

Liebers bekanntester Beitrag zum modernen Völkerrecht war jedoch das Konzept der „militärischen Notwendigkeit“, das er als generelles Prinzip zur Einhegung von Kriegsgewalt einführte, sollten keine expliziten Regeln existieren.218 Artikel 14 führt aus: „Military necessity, as understood by modern civilized nations, consists in the necessity of those measures which are indispensable for securing the ends of the war, and which are lawful according to the modern law and usages of war.“219

Dieses Prinzip erhielt später mit der Deklaration von St. Petersburg 1868 noch einmal Bestätigung und internationale Affirmation.220 Allerdings führte das Prinzip in der Folge zu schweren Konflikten, da Lieber keine Hinweise gab, ob im Ernstfall die Priorität bei humanitären Grundsätzen oder bei militärischen Notwendigkeiten zu setzen wäre.221 Er ließ offen, ob die militärische Notwendigkeit durch humanitäre Kriegsregeln eingegrenzt werden sollte oder ob die Einschränkung umgekehrt wirkte. Die Beantwortung dieser Frage hing infolgedessen ganz grundsätzlich davon ab, ob eine Führung den Krieg als legitimes Mittel der Lösung zwischenstaatlicher Konflikte ansah.222 Zumindest Mitte des 19. Jahrhunderts war die Beantwortung dieser Frage klar gegen die neuen Standards gerichtet: Feldmarschall von Moltke hatte sogar explizit davor gewarnt, sich durch Regeln zu beschränken, denn Krieg sei „ein Element der göttlichen Weltordnung“ und im Kriege könnten sich die besten Tugenden des Mannes entfalten: Mut, Selbstlosigkeit, Treue, Opferbereitschaft. Ohne den Krieg, so Moltke, würde die Welt stagnieren und „sich in Materialismus verlieren“.223 Die Soldaten der Armee der Vereinigten Staaten wurden angewiesen, sich an die ,zivilisierten‘ Standards zu halten, die „das Kennzeichen der modernen, üblichen Kriege der Europäer und ihrer Abkömmlinge überall auf der Welt“ seien.224 Insbesondere der Begriff der Zivilisation wird von Lieber noch weiter ausgeführt sowie als Begründung für die Notwendigkeit zur Befolgung von Kriegsregeln genutzt, wenn er in Artikel 22 schreibt:

218 219 220

221

222 223 224

Carnahan, Lincoln, Lieber and the Laws of War, S. 213. Lieber-Code, Art 14 unter http://avalon.law.yale.edu/19th_century/lieber.asp und Carnahan, Lincoln, Lieber and the Laws of War, S. 215. Schindler, Dietrich/Toman, Jiří: The laws of armed conflicts. A collection of conventions, resolutions, and other documents (Scientific collection of the Henry Dunant Institute), Dordrecht, Norwell, MA, USA 3rd ed.1988. Hier: Declaration Renouncing the Use, in Time of War, of Explosive Projectiles under 400 Grammes Weight, St. Petersburg, 29.11. – 11.12.1868, S. 101. Best, Humanity in warfare, S. 160. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 68. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 60. Krakau, Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, S. 61. Brief Moltke an Bluntschli, 1878. Abgedruckt in Bluntschli, Johann Caspar: Denkwürdiges aus meinem Leben, Nördlingen 1884, Vol. 2, S. 471–472. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 74–75.

2. „THE LAWS OF HUMANITY“: INTERNATIONALISIERUNG DER DEBATTE

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„As civilization has advanced during the last centuries, so has likewise steadily advanced, especially in war on land, the distinction between the private individual belonging to a hostile country and the hostile country itself. . […] The almost universal rule in remote times was, and continues to be with barbarous armies, that the private individual of the hostile country is destined to suffer every privation of liberty and protection, and every disruption of family ties. Protection was and still is with uncivilized people, the exception.“225

Dem noblen Plädoyer zur Einhaltung von Minimalstandards im Krieg, die unter zivilisierten Nationen üblich seien, folgt jedoch im Abschnitt zur militärischen Notwendigkeit sogleich die Einschränkung. Hier führt Lieber Beispiele an, etwa das Töten von Gefangenen aus militärischer Notwendigkeit heraus: „It is against the usage of modern war to resolve, in hatred and revenge, to give no quarter. No body of troops has the right to declare that it will not give, and therefore will not expect, quarter; but a commander is permitted to direct his troops to give no quarter, in great straits, when his own salvation makes it impossible to cumber himself with prisoners.“226

Zitate wie dieses brachten James Seddon, den Kriegsminister der konföderierten Armee, dazu, den Lieber-Code als einseitige Schrift zu disqualifizieren, in welcher ein „barbarous system of warfare under the pretext of a military necessity“ propagiert werde.227 Es ist nicht überraschend, dass der Lieber-Code auf Seiten der Konföderierten nicht als Fortschritt, sondern als „moralische Nebelschwaden“ und propagandistischer Trick der Union gewertet wurde, insbesondere nachdem es vor allem unter General Sherman zu Übergriffen gekommen war.228 Offiziell wurde im Amerikanischen Bürgerkrieg der fundamentale Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten respektiert, der in späteren Kriegen verwischte.229 Es gab jedoch schon Grauzonen, und auch aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg sind Übergriffe auf Zivilisten oder die indianischen Ureinwohner bekannt. Zudem scheinen die Kommandeure der Union nicht alle Regeln verinnerlicht zu haben oder blendeten diese zugunsten der bereits beschriebenen ‚militärischen Notwendigkeit‘ aus.230 Besonders berüchtigt wurde General Shermans Marsch auf 225 226

227 228

229 230

Lieber-Code, Art. 22. http://avalon.law.yale.edu/19th_century/lieber.asp. Meron, War crimes Law comes of Age, S. 134. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 34. Lieber/Hartigan, Lieber’s Code and the law of war, S. 123. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 64 zitiert hier James A. Seddon, Confederate Secretary of War, Brief vom 24. Juni 1863 an Ould. Vgl. auch Lieber/Hartigan, Lieber’s Code and the law of war, S. 120– 130. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 227. Friedel, Francis Lieber, S. 337.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

Atlanta oder die Kampagne von General Sheridan durch das Shenandoah Valley.231 Sherman hat sich rückblickend gerechtfertigt, Humanität im Krieg sei unsinnig, und erklärt: „War is cruelty, and you cannot refine it.“232 Auch wenn erste Ansätze einer öffentlichen Empörung und eines Dringens auf mehr Zurückhaltung im Bürgerkrieg erkennbar sind, muss darauf verwiesen werden, dass dies nur für gleichberechtigte Kriegsparteien galt: US-Truppen hatten generell kein Problem damit, Kriegsregeln in Kämpfen mit indianischen Stämmen oder Mexikanern zu verletzen. Doch Brutalitäten gegenüber Soldaten der Südstaaten schienen aus politischen Gründen, also im Hinblick auf eine spätere Versöhnung der Nation, nicht angebracht.233 Lieber hatte seinen Code universalistisch angelegt. In Artikel 16 wird explizit Grausamkeit als „unnötig“ abgelehnt sowie als Hindernis für einen späteren Friedenschluss gebrandmarkt. Hier heißt es: „Military necessity does not admit of cruelty – that is, the infliction of suffering for the sake of suffering or for revenge, nor of maiming or wounding except in fight nor of torture to extort confessions. It does not admit of the use of poison in any war, nor of the wanton devastation of a district. It admits of deception, but disclaims acts of perfidy and, in general, military necessity does not include any act of hostility which makes the return to peace unnecessarily difficult.“234

Der Lieber-Code galt in den USA bis 1914.235 Er wurde zum Anknüpfungspunkt späterer Kodifikationen: Er findet sich paraphrasiert in der Deklaration von Brüssel 1874, in den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907, in den Genfer Konventionen von 1929, 1949 und 1977 sowie in der Charta der Londoner Konferenz von 1945. Viele Staaten nutzten den Code als Muster, so Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, die Schweiz, Serbien, Spanien, Portugal und Italien. 1870 machte Preußen den Lieber-Code zur Grundlage des neuen Militärgesetzbuches;236 jedoch zeigte sich schon in der Fassung von 1902 die Perversion der ursprünglichen Idee: Aus Liebers Konzept von der militärischen Notwendigkeit war die Doktrin der Kriegsraison geworden, die es beispielsweise Preußen gestattete, mit Hinweis auf die militärische Notwendigkeit Kriegsregeln zu verletzen.237 Auch andere Elemente finden sich wieder: Ein schneller Krieg sei humaner, heißt es ebenfalls im Preußischen Mi231 232 233 234 235

236 237

Witt, Lincoln’s code, S. 278–279. Sherman, William Tecumseh: Memoirs of General W. Sherman, written by himself, New York 41891, S. 126. Robertson, Crimes against humanity, S. 252. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 215. Krakau, Knud: Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, in: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Schäfer/Karl Schmitt, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 45–72. S. 64. Krakau, Francis Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts, S. 65–66. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 218.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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litärhandbuch von 1902, und weiter: „Härten“ seien im Kriege nicht zu vermeiden, und man diene der Menschlichkeit am ehesten, indem man Grausamkeiten schnell beende.238 Der preußische General von Hartmann betonte in einer Reihe von Aufsätzen, die strikte Überwachung militärischer Disziplin und Effizienz sei am besten geeignet, humane Kriegführung sicherzustellen.239 Selbst moderate Befürworter der Doktrin der Kriegsraison waren sich einig, dass das Recht nicht über strategischen Erwägungen der militärischen Notwendigkeit stehen dürfe.240 Im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg steigerte sich diese Entwicklung bis zum Exzess, und so war es eines der Grundanliegen der Gerichtshöfe nach dem Zweiten Weltkrieg, diese extreme Auslegung des Konzepts der militärischen Notwendigkeit juristisch eindeutig und für alle Zukunft zurückzuweisen.241

3. „The dictates of the public conscience“: Transnationalisierung des Konzepts und die Rolle der Öffentlichkeit bei der Zivilisierung der Kriegsgewalt Die Öffentlichkeit oder, wie es in der Martens-Klausel heißt, ‚the pulic conscience‘ wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Faktor der Debatte zur Zivilisierung von Kriegsgewalt, der bisher in der Forschung wenig Beachtung gefunden hat. Die Akteure des 19. Jahrhunderts folgten dabei der Maxime eines friedlichen Miteinanders der Völker, einer Idee, die im Gefolge der Aufklärung in die bürgerlichen Salons und Debattierclubs gelangt war. Dadurch entstand um 1860 die gesellschaftliche Erwartung, dass es möglich sein müsse, verbindliche Kriegsregeln aufzustellen. Mithilfe der Öffentlichkeit, bestehend aus Expertenzirkeln, internationalen Verbänden und Organisationen, wurde eine institutionelle Plattform geschaffen, die die Debatte transnationalisierte. Neben der nationalstaatlichen Öffentlichkeit entstand gleichzeitig ein internationales Kraftfeld, in welchem wichtige Fragen grenzübergreifend diskutiert wurden. Die bereits erprobten Plattformen des Austausches, internationale Konferenzen, zogen nun auch zivilgesellschaftliche Akteure an, die von außen versuchten, in die Debatten einzugreifen und ihre eigenen Vorstellungen ebenfalls zu Gehör zu bringen. Die Interaktion der Akteure mit Entscheidungsträgern in Politik, Diplomatie und Militär ist hier zu untersuchen, ebenso wie 238

239 240 241

Deutscher Generalstab: Kriegsbrauch im Landkriege (Kriegsgeschichtliche Einzelschriften Vol. 31), Berlin 1902, zitiert nach Best, Humanity in warfare, S. 145. Ebenso in Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 63. Best, Humanity in warfare, S. 145. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 63. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 219.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

die Netzwerke, die unter den verschiedenen Verbänden sowie einzelnen Akteuren bestanden. Es ist eine der zentralen Thesen dieser Arbeit, dass es die Fortschritte des Kriegsvölkerrechts ohne die Wechselwirkung von Fachdebatten und Öffentlichkeit so nicht gegeben hätte, und dies gilt nicht erst für die Zeit des Zweiten Weltkriegs, sondern in ganz besonderem Maße für die Debatten des 19. Jahrhunderts. Beleg für die wachsende Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie den Wunsch nach mehr Öffentlichkeit liefert zum einen die Gründung des Roten Kreuzes 1863, zum anderen die des Institut de Droit International 1873. Diese Institutionen und ihre Vertreter, etwa Bluntschli, Westlake, Moynier und Rolin-Jaequemyns, sorgten in breit rezipierten Schriften dafür, dass das Thema Teil der öffentlichen Debatten wurde. Zu einem ersten Höhepunkt kam die Debatte in der Öffentlichkeit mit den beiden Haager Friedenskonferenzen, in denen sich das Akteursspektrum erweiterte, das neben außereuropäischen Juristen nun auch zivilgesellschaftliche Akteure sowie Frauen mit umfasste. Erst durch den Ersten Weltkrieg wurde die stark gewachsene Bedeutung der Zivilgesellschaft in der Verrechtlichungsdebatte unterbrochen, wodurch auch die Anfänge eines opferzentrierten Ansatzes des Konzepts crimes against humanity zurückgedrängt wurden, um die es im nächsten Kapitel dann gesondert gehen wird. Den ersten Impuls zu einer Kodifizierung des Kriegsrechts gab mit Lieber zwar ein Jurist, die Schärfung des öffentlichen Interesses erfolgte jedoch durch eine Mediendebatte,242 ausgelöst durch den Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant. Nach der Schlacht von Solferino 1859, die in den Kontext der italienischen Einigungskriege gehört und in der tausende verletzter Soldaten unversorgt auf dem Schlachtfeld liegen geblieben waren, hatte Dunant die katastrophalen Zustände beschrieben. Sein Buch fand weite Verbreitung, und eine der Folgen war, dass der Genfer Jurist Gustave Moynier die Idee eines zivilisierten Krieges aufgriff und ein einheitliches Vorgehen aller Kriegsparteien zum Schutz der Verwundeten forderte. Um dies umzusetzen, gründete er 1863 zusammen mit Gleichgesinnten das spätere „Internationale Komitee vom Roten Kreuz“. Gustave Moynier gehörte zu einer Gruppe von Juristen, die sich 1873 im belgischen Gent zum Institut de Droit International zusammengeschlossen hatten und sich – in Abgrenzung zum Zeitalter des Nationalismus – als internationale Juristen verstanden. Für sie wird in der vorliegenden Studie der Begriff ,transnationale Akteure‘ vorgeschlagen, um deutlich zu machen, dass sie nicht im Regierungsauftrag handelten. Die Untersuchung ihres Kontextes zeigt aber auch, dass viele von ihnen machtpolitisch gesehen zu Vertretern der ‚semi-peripheral states‘, also der kleineren Staaten, gehörten, von denen bedeutende Impulse ausgingen. Sie wurden „mit ihren Ideen, moralischen Werten und dem dezidierten Interesse an politischem Engage-

242

Bussmann, Walter/Schieder, Theodor: Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts (Handbuch der europäischen Geschichte / hrsg. von Theodor Schieder Bd. 5), Stuttgart 2. Aufl.1998, S. 54.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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ment zu Vorbildern für spätere Generationen von Völkerrechtlern“, wie Lewis ausgeführt hat.243 Im Folgenden geht es daher um den Aspekt der Öffentlichkeit und den Einfluss der Internationalisten in der Frage der Verrechtlichung von Kriegsgewalt: die Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Gründung von berufsständischen Zusammenschlüssen sowie den Einfluss dieser Faktoren auf die großen internationalen und diplomatischen Konferenzen der Zeit, wobei besonders die Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 im Zentrum der Analyse stehen. Das Teilkapitel schließt mit dem Verweis auf den Zusammenbruch der bisherigen Diskussionskanäle durch den Kriegsbeginn sowie auf alternative Versuche während des Ersten Weltkrieges, strafrechtliche Regeln für Kriegsverbrechen zu institutionalisieren, die jedoch scheiterten, aber den Beginn der konstitutiven Bedeutung zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit markieren. 3.1. Die Gründung des Roten Kreuzes Der Einfluss der öffentlichen Meinung in der Verrechtlichungsdebatte wird an der Gründungsgeschichte des Roten Kreuzes besonders deutlich. Henry Dunants Schrift Un Souvenir de Solferino (1862) markiert dabei den Ausgangspunkt und wurde zwei Jahre später zur Grundlage der ersten Genfer Konvention, die den Umgang mit Verletzten auf dem Schlachtfeld regelte.244 Weitere vier Jahre später kam es zu einem ersten multilateralen Abkommen, das den Gebrauch bestimmter Waffen verbot.245 Parallel war bereits, wie beschrieben, 1863 mit dem Lieber-Code in den USA eine erste Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts entstanden.246 1859 hatte der Schweizer Geschäftsmann Henri Dunant die Realität des Krieges in der Schlacht von Solferino erlebt. Beim Zusammentreffen österreichischer und italienischer Kampfeinheiten waren 6.000 Soldaten getötet worden, 40.000 verletzt.247 Dunant war damit betraut, ein Behelfslazarett einzurichten, und erkannte schnell die Hauptprobleme, die einer Linderung der Leiden im Wege standen: Die Verwundeten und Sterbenden blieben tagelang auf dem Schlachtfeld liegen, da keine Möglichkeit bestand, sie zu transportieren; es gab zu wenig Ärzte, und Verwundete, die sich mit letzter Kraft in Ortschaften in der Nähe des Schlachtfeldes gerettet hatten, lagen dort unversorgt mehr oder weniger auf der Straße. In Briefen an Freunde zu243 244 245 246 247

Lewis, The birth of the new Justice, S. 14–28, Zitat S. 21. Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded in Armies in the Field, Aug. 22, 1864, reprinted in Schindler/Toman, The laws of armed conflicts, S. 279. Declaration Renouncing the Use, in Time of War, of Explosive Projectiles under 400 Grammes Weight, Nov. 29/Dec. 11, 1868, reprinted in Schindler/Toman, The laws of armed conflicts, S. 101. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 213. Heudtlass, Willy: J. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, Urheber der Genfer Konvention. Eine Biographie in Dokumenten und Bildern, Stuttgart 3. Aufl.1980, S. 70; Lewis, The birth of the new Justice. S. 15.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

hause in Genf bat er um Sachspenden und Unterstützung – ein Appell, der ungeahnte Resonanz fand.248 In seinem Buch, das zwei Jahre später erschien, propagierte Dunant eine neutrale Organisation, durch eine internationale Konvention anerkannt, die sich zukünftig um die Verwundeten kümmern solle. Im Unterschied zu Francis Lieber, der sich mit seiner Kodifizierung direkt an militärische und juristische Fachleute gewandt hatte, war Henry Dunants Schrift Erinnerung an Solferino mit seinem Appell an „noble and compassionate hearts and chivalrous spirits“249 dazu gedacht, Öffentlichkeit herzustellen.250 Wie viele Akteure des 19. Jahrhunderts berief sich Dunant auf die Ideale der Aufklärung, leitete daraus jedoch eine konkrete Handlungsanweisung ab. Insbesondere die drastische Beschreibung des Leidens auf dem Schlachtfeld von Solferino nutzte Dunant als Mittel, um die Öffentlichkeit wachzurütteln und für humanitäre Ziele zu gewinnen.251 Dies verweist auf die eingangs in der Analyse der Martens-Klausel bereits erwähnte Rolle der öffentlichen Meinung („the dictates of the public conscience“) als Faktor bei der Reglementierung von Kriegsgewalt bzw. auf die Strategie, eine solche Öffentlichkeit herzustellen, um dieses Ziel zu erreichen. Es war nicht Dunants Intention, den Krieg an sich abzuschaffen, denn dies schien keine realistische Forderung, sondern sein Grundgedanke war, das Leiden der Kombattanten zu lindern und die kriegführenden Parteien davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse sei, freiwilliges Sanitätspersonal als Nichtkombattanten zu behandeln und unter Schutz zu stellen.252 Um diese Idee durchzusetzen, formierte Dunant 1863 zusammen mit Gustave Moynier sowie Schweizer Ärzten calvinistischer Prägung ein „Genfer Komitee“, das sich den Opfern des Krieges verpflichtet fühlte und später in „Internationales Komitee vom Roten Kreuz“ (IKRK) umbenannt wurde.253 Der Name ist insofern irreführend, als sich das Komitee bis 1923 ausschließlich aus Genfer Bürgern rekrutierte, meist Mitgliedern des protestantischen, liberalkonservativen Bürgertums; das „international“ verweist allenfalls auf die internationale Ausrichtung. Die Verwendung des Kreuzes, das als weißes Kreuz schweizerisches Staatsemblem ist, betonte, dass das IKRK eine ambivalente Stellung besaß und sowohl eine internationale Vereinigung als auch eine durch Staatsverträge völkerrechtlich sanktionierte Organisation darstellte, als deren Hüterin die neutrale Schweiz fungierte.254 248 249 250 251 252 253 254

Heudtlass, J. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, Urheber der Genfer Konvention. S. 46. Dunant, Solferino, S. 118. Carnahan, Burrus M.: Lincoln, Lieber and the Laws of War. The Origins and Limits of the Principle of Military Necessity, in: American Journal of International Law Vol. 92/2 (1998), S. 213–231. S. 213. Carnahan, Lincoln, Lieber and the Laws of War, S. 213. Lewis, The birth of the new Justice, S. 15. Forsythe, David P.: The humanitarians. The International Committee of the Red Cross, Cambridge, UK, New York 2005. Riesenberger, Dieter: Für Humanität in Krieg und Frieden. Das Internationale Rote Kreuz 1863-1977 (Sammlung Vandenhoeck), Göttingen 1992, S. 21; Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Neutralität. Vier Jahrhunderte eidgenössischer Aussenpolitik 1), Basel 5. Aufl.1970, S. 352.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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Dunant suchte bewusst die Öffentlichkeit,255 um die Idee der Verwundetenpflege, die er schon seit 1849 hegte und zunächst „Samariter des Friedens“ getauft hatte, zu propagieren.256 Das Problem war schon länger als solches erkannt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es kaum Vorkehrungen der kriegführenden Parteien für Verwundete gegeben, was die schnelle Aufnahme von Dunants Idee erklärt. Florence Nightingale, eine britische Krankenschwester, die seit 1853 ein Krankenhaus in London leitete, 257 hatte sich, aufgerüttelt durch Presseberichte in der Times über die katastrophale Lage der Verwundeten im Krimkrieg (1853–1856 zwischen dem Osmanischen Reich, Russland und Großbritannien geführt), mit einem Team aus Krankenschwestern aufgemacht,258 vor Ort Verwundete in den britischen Feldlazaretten zu pflegen; insbesondere Cholera und Kälte hatten dort zeitweise zu einer Sterblichkeit von 40 % geführt. Nightingale steht dabei jedoch stellvertretend für eine breitere philanthropische Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, die das Sanitätswesen und insbesondere die Krankenpflege zu reformieren und als Berufsbild zu etablieren versuchte. Dabei war erstmals auch das Los verwundeter Soldaten in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten.259 Die Idee, die hinter Nightingales Ansatz stand, war die Pflege der Verwundeten durch freiwillige Ärzte und Pflegekräfte, und zwar ab dem Punkt, an dem die Soldaten in Lazarette eingeliefert wurden. Nach ihrer Rückkehr von der Krim wurde Nightingale für die Krankenpflege in allen englischen Lazaretten zuständig und verbesserte in den Folgejahren zusammen mit dem Kriegsminister die Verhältnisse auch in Kasernen und Krankenhäusern der britischen Armee.260 Eine breite Presseberichterstattung begleitete ihre Tätigkeit. Dunant entwickelte seine Idee im Umfeld der sehr aktiven Genfer philanthropischen Bewegung nun weiter, indem er weitergehende Regelungen anmahnte, damit die Verwundeten überhaupt vom Schlachtfeld bis in die Lazarette gelangen, also aus der Gefahrenzone gebracht werden konnten.261 Bisher stellte es ein Problem dar, dass Sanitätskräfte auf dem Schlachtfeld den gleichen Todesgefahren ausgesetzt waren wie die Soldaten selbst, zudem gab es zu wenige Sanitäter. Auch Lazarette und Ambulanzwagen genossen wenig Schutz; sie wurden beschossen, beschädigt oder sogar sequestriert, und Einwohner der umgebenden Orte, die den Verwundeten zu Hilfe kommen wollten, standen unter Verdacht der Kollaboration mit dem Feind. Dunant forderte ausgebildete, neutrale Sanitätskräfte, die jederzeit in Konflikten einsatzbereit und von den Kriegsparteien anerkannt seien.262 Anders als Nightingale setzte er somit nicht auf die Verbesserung des Heeressanitätswesens, 255 256 257 258 259 260 261 262

Bussmann/Schieder, Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, S. 54. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 18; Heudtlass, J. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, Urheber der Genfer Konvention, S. 133. Zum Leben und Wirken Nightingales vgl. Cook, Edward: The Life of Florence Nightingale, London 1913. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 14. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 23. Best, Humanity in warfare, S. 142. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 15. Best, Humanity in warfare, S. 148–149. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 16–18.

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sondern auf eine supranationale, neutrale Organisation zur Versorgung der Verwundeten. Dunants Grundgedanke einer neutralen Organisation setzte sich schließlich durch. Er entsprach den humanitären Vorstellungen breiter bürgerlicher Kreise, die auch die Zustimmung führender Militärärzte und Offiziere fanden. Die Angliederung von Rotkreuzeinheiten an die Armeen spiegelt die Einwilligung der militärischen Kreise und ist niedergelegt in der Gründungsresolution vom Oktober 1863 (auch wenn die humanitäre Idee, die hinter der Gründung des Roten Kreuzes stand, eigentlich breiter gedacht war). Aber die Allianz mit den Interessen des Militärs schien in den 1860er Jahren politisch am ehesten durchsetzbar zu sein und versprach zudem eine schnelle Verbreitung der Idee. Militärische Denkweise steht auch hinter der Betonung des Prinzips der Neutralität aller Sanitätskräfte, die sich um die Verwundeten kümmern und deswegen vor der Verwicklung in Kampfhandlungen geschützt werden sollten.263 Die „Kongruenz von humanitärem Anliegen und militärischen Zweckinteressen ist charakteristisch für die Gründungsjahre der Rotkreuzbewegung und erklärt ihre überraschend schnelle Ausbreitung in den europäischen Staaten“, bilanziert Riesenberger.264 Die Schlacht von Solferino war dabei eher der Katalysator, der Dunants schon länger gehegte Pläne „aktualisierte […] und zu deren Verwirklichung beitrug.“ Der neutrale Status von Sanitätspersonal tauchte 1906 in der revidierten Fassung der Genfer Konvention noch einmal auf, und der Rotkreuzdienst wurde unter Aufsicht der jeweiligen nationalen Heeresleitung gestellt. Ein Nebeneffekt dieser Eingliederung in den militärischen Zuständigkeitsbereich war, dass zunehmend nicht nur Frauen, sondern auch Männer – die etwa wegen ihres Alters oder aus anderen Gründen nicht zum Militärdienst geeignet waren – in einem Dienst bei den Sanitätstruppen einen Weg erkannten, ihrem Land zu dienen; dies erhöhte die Attraktivität des Rotkreuzdienstes beträchtlich.265 Die Richtlinien, die sich die neue Organisation vom Roten Kreuz gab, ordneten die Organisation der Staatenpraxis unter, insbesondere dem Souveränitätsprinzip sowie der Dominanz des Militärischen: So wurde vorgeschlagen, Rotkreuzeinheiten der Weisung und Militärgerichtsbarkeit der sie begleitenden Armee zu unterwerfen, und versichert, die „Korps von Helfern sollen sich der Nachhut der Armeen eingliedern, ohne die geringste Störung oder irgendwelche Unkosten zu verursachen“.266 Auch spiegelt sich das Paradigma vom Zivilisationsstandard darin, dass ernsthaft erwogen wurde, die Neuerungen „nur auf europäische Kriege zu beschränken“.267 Man erkennt an diesen Forderungen eines der Grundprobleme der beginnenden Zivilgesellschaft im 19. Jahrhundert: dass sie immer dann mit internationalistischen 263 264 265 266 267

Best, Humanity in warfare, S. 142. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 18–19. Best, Humanity in warfare, S. 142–143. Protokoll der 2. Sitzung am 17.3.1863, zitiert bei Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 23. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 23.

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Bestrebungen an ihre Grenzen stieß, wenn dadurch nationalstaatliche Interessen berührt wurden. Zunächst war geplant, Dunants Vorschläge auf einer internationalen Konferenz zu präsentieren, die für Oktober 1863 anberaumt wurde. Es ist vielleicht ein Charakteristikum für die Dynamik der internationalistischen Epoche Mitte des 19. Jahrhunderts, dass Dunant sich selbst auf den Weg machte, an verschiedenen europäischen Königshäusern für sein Anliegen zu werben und parallel dazu die Konferenzidee auf einem anderen Kongress, nämlich dem „Weltkongress für Statistik“ in Berlin im September, vorzustellen, wo er auch eine weitere Denkschrift zur Neutralität der neuen Sanitätsorganisation in Umlauf brachte. Mit all diesen Maßnahmen erzeugte er eine ungeheuer rasche und breite Resonanz.268 Der Berliner Statistik-Kongress war auch deshalb eine gute Wahl, weil es dort in einer Sektion um die Sterblichkeitsrate von Zivil- und Militärpersonen ging. In Militärkreisen war man dem Vorschlag aus Genf gegenüber besonders aufgeschlossen und drang bei den regionalen Monarchen auf Gründung von freiwilligen Hilfsorganisationen, da man sich dadurch Vorteile versprach: Zum einen würden die Verbesserungen nichts kosten und den militärischen Verwaltungsapparat nicht belasten, zum anderen bot sich hier Gelegenheit, „Teile der Zivilbevökerung schon in Friedenszeiten auf den Krieg vorzubereiten.“269 Dieser Aspekt wurde wiederum von Teilen der Friedensbewegung kritisch gesehen und führte zu harscher Kritik. Es zeigte sich deutlich der unterschiedliche Ansatz: Während es der Friedensbewegung der 1860er Jahre um die Ächtung des Krieges selbst ging,270 ging es dem Roten Kreuz um Linderung der Leiden im Krieg – welcher selbst als unvermeidlich angesehen wurde.271 Zur Genfer Konferenz im Oktober 1863 kamen 36 Vertreter aus 16 Ländern und verabschiedeten zehn Leitsätze zur Arbeit der neuen Hilfsorganisation; zudem wurde als Emblem das rote Kreuz auf weißer Armbinde festgelegt.272 Auch wurde die Unterordnung unter staatliche und militärische Behörden nochmals bestätigt und damit die Suprematie des Nationalstaats über internationale Bestrebungen festgeschrieben. Die Folge der Genfer Konferenz vom Oktober war die Gründung von zehn nationalen Rotkreuzgesellschaften in rascher Folge, so dass die Frage des Schutzes der neuen Hilfsorganisation dringlicher wurde. Da die Rotkreuzgesellschaft über keinerlei Rechtstitel verfügte, musste nun auf diplomatischem Wege und auf völkerrechtlicher Ebene auf einer internationalen Konferenz eine Lösung gefunden werden.273 Dies war der Ausgangspunkt für eine Konferenz ein Jahr später, bei der die sogenannte (erste) Genfer Konvention verabschiedet und von zwölf Staaten unterzeich268 269 270 271 272 273

Heudtlass, J. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, Urheber der Genfer Konvention, S. 58. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 25. Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland, S. 33. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 26. Heudtlass, J. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, Urheber der Genfer Konvention. S. 66; Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 27. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 28.

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net wurde. Ihre Eckpunkte bestanden darin, dass sie Angriffe auf verletzte Soldaten verbot, die kriegführenden Mächte verpflichtete, auch für verwundete Soldaten des Gegners zu sorgen, und Übergriffe auf Sanitätspersonal ächtete.274 Die Bedeutung der Konferenz und der auf ihr verabschiedeten Konvention kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, war sie doch „die erste internationale Staatenkonferenz, die sich ausschließlich mit Fragen der Zivilisierung des Krieges befasste“.275 Der Rolle des Roten Kreuzes waren allerdings enge Grenzen gesetzt. So bot die Genfer Konvention von 1864 keinen Schutz für Kriegsgefangene (dies gelang erst mit der Haager Landkriegsordnung, die auf der zweiten Friedenskonferenz von 1907 verabschiedet wurde) noch gab es Schutzzusagen für Zivilisten in besetzten Gebieten oder in der Kampfzone.276 Auch für diese Gruppe wurden erst auf der Haager Konferenz von 1907 rudimentäre Zusagen gemacht; die Praxis, Geiseln zu nehmen oder Strafexpeditionen (reprisals) durchzuführen, wurde jedoch nicht verboten. Der Hauptzweck des Roten Kreuzes bestand im Schutz von Verwundeten sowie in der Durchsetzung von Regeln, die diesen Schutz garantierten. Es war jedoch noch nicht darüber nachgedacht worden, wie Übertretungen geahndet werden konnten. Die Arbeit des Roten Kreuzes war vor allem praktisch ausgerichtet, und der DeutschFranzösische Krieg von 1870/71 war der erste Testfall, aber generell ist zu sagen, dass die Organisation vor dem Ersten Weltkrieg keine einheitliche Politik verfolgte, wie die Verletzungen und Übertretungen der Genfer Konvention zu ahnden wären.277 Erst die Genfer Konvention von 1906 legte bindende internationale Richtlinien fest, die beispielsweise den Missbrauch des Rotkreuzemblems unter Strafe stellten, um die Ausplünderung und Misshandlung von verwundeten Soldaten zu verhindern.278 Dies waren letztendlich die praktischen Ergebnisse der Bemühungen von Moynier und seinen Mitstreitern, ein halbes Jahrhundert zuvor unternommen, um dem zunehmend totalen Kriegsgeschehen mit strafrechtlichen Sanktionen entgegenzutreten.279 Allerdings bezog sich die Genfer Konvention von 1906 auf Verwundete. Der Schutz von Zivilisten, wie er im Konzept von crimes against humanity später gefordert wurde, war damit nicht angesprochen. Jedoch leisteten die Genfer Konventionen einen wichtigen Beitrag dazu, dass die öffentliche Meinung sich des Problems des Leidens im Krieg bewusst wurde und mehr und mehr die Nichtkombattanten ins Zentrum der Verrechtlichungsdebatte 274

275 276 277 278 279

Heudtlass, J. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, Urheber der Genfer Konvention, S. 77–79; Bugnion, Francois: The International Committee of the Red Cross and the Protection of War Victims, Oxford 2003; Lewis, The birth of the new Justice, S. 15. Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden, S. 31. Lewis, The birth of the new Justice, S. 16. Bugnion, The International Committee of the Red Cross and the Protection of War Victims, S. 51; Lewis, The birth of the new Justice, S. 16. Der Text der Konvention von 1906 findet sich bei Schindler/Toman, The laws of armed conflicts, S. 239. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 357.

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rückten. Dabei gab es graduelle Erfolge: Das Kriegsvölkerrecht vor 1914 sah tatsächlich die Möglichkeit vor, fremde Staatsangehörige zu schützen und sich dabei auf die Prinzipien der Zivilisation zu berufen, wie dies die Martens-Klausel der Haager Landkriegsordnung von 1907 forderte.280 3.2. Das Institut de Droit International und die Frage eines internationalen Strafgerichtshofs Juristen als Vertreter der Zivilgesellschaft sind bisher noch wenig als Akteure in der Forschung wahrgenommen worden, wobei es erste Ansätze gibt.281 Völkerrechtler, oder international lawyer, war eine völlig neue Berufsbezeichnung für eine selbstbewusste, Ende der 1870er Jahre bereits gut organisierte Gruppe von transnational vernetzten Juristen, die nicht nur den Militärs Richtlinien an die Hand geben wollten, sondern ihre Aufgabe vor allem darin sahen, Regierungen in der Frage zu beraten, wie man Soldaten kontrollieren und disziplinieren könne.282 Die beteiligten Juristen – viele davon aus ‚semi-peripheral states‘ – nannten sich selbst „internationale Juristen“.283 Wie bereits erwähnt, kulminierten diese Netzwerke 1873 in der Gründung des Institut de Droit International, das nicht als Universität oder Akademie gedacht werden muss, sondern eher als Plattform des Austausches beschrieben wird, da es keinen institutionellen Rahmen hatte, sondern in Form von jährlichen Kongressen und fachlichen Arbeitsgruppen funktionierte, die mittels Korrespondenz organisiert waren.284 Betrachtet man das 19. Jahrhundert als die Phase des Nebeneinanders von nationalstaatlicher und internationaler Öffentlichkeit, dann nehmen die Völkerrechtler hier eine interessante Zwischenrolle ein: Zum einen verstanden sie sich strikt nationalstaatlich, zum anderen befeuerten sie durch die Art ihres Austausches und die dezidiert enge Zusammenarbeit über Grenzen hinweg die internationale Debatte. Das Staatsverständnis, das „die Männer von 1873“ (Koskenniemi) vertraten, war nationalistisch, verbunden mit dem Wunsch nach staatlicher Einheit ihres Heimatlandes – es war die Zeit der Nationalstaatsgründungen.285

280 281

282 283 284 285

Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 229. Einen bemerkenswerten Überblick, der auch Kurzbiographien beinhaltet, bietet jedoch das Völkerrechts-Handbuch von Fassbender, Bardo/Peters, Anne/Peter, Simone (Hgg.): The Oxford handbook of the history of international law, Oxford 2012. Aus historischer Perspektive, mit Schwerpunkt auf den internationalistischen Strömungen, vgl. den Sammelband von Bell, Duncan (Hrsg.): Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenth-century political thought (Ideas in context 86), Cambridge, New York 2007. Best, Humanity in warfare, S. 144. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 2. Münch, Fritz: Das Institut de Droit International, in: Archiv des Völkerrechts 28/(1/2) (1990), S. 76– 105. S. 76. Lewis, The birth of the new Justice, S. 22.

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Die Männer handelten im Kontext ihrer Zeit, in der das Thema der Kriegsgewalt wachsendes Interesse fand. Die Kriege der 1860er Jahre in Europa hatten, wie auch der Amerikanische Bürgerkrieg, deutlich gemacht, dass eine Mechanisierung der Kriegführung sowie die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu einer „Demokratisierung des Tötens“ führte, die erstmals alle Bürger treffen konnte.286 Die Wehrpflicht und das daraus entstehende Massenheer brachten zwangsläufig einen enormen Anstieg der Kriegstoten mit sich und damit die Notwendigkeit für die Mächtigen, die Kriegführung vor der Öffentlichkeit zu legitimieren.287 Die Kriegführung ließ in vielen Bereichen die Grenzen zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten verschwimmen (man denke etwa an die Franktireurbewegung des 1870er Krieges oder an Plünderungen von Städten). Dies führte in der Öffentlichkeit zu einem wachsenden Bewusstsein für Kriegsleid, einem Bewusstsein, das in vielerlei Engagement für den Frieden mündete – bringt man die drei Elemente der MartensKlausel ins Spiel, dann sind hier „the dictates of the public conscience“ direkt angesprochen. So wurde die Berichterstattung bzw. die Medienöffentlichkeit zu einem moralischen Faktor in der Beurteilung der Kriegsparteien. Es erschien also geraten, sich aus zwei Gründen an Kriegsregeln zu halten: um die eigenen Soldaten in der Hand des Feindes nicht zu gefährden und um den nationalen Ruf nicht zu riskieren. Die Völkerrechtler waren sich des Drucks, der durch das Interesse der Öffentlichkeit entstand, bewusst. Dabei standen zunächst nicht konkrete Regeln in der Diskussion, sondern die Politik – es handelte sich also eher um ein öffentliches Engagement gegen den Krieg an sich. Montague Bernard, Chichele Professor of International Law and Diplomacy in Oxford, hielt 1868 mehrere Vorlesungen zum Thema. Er betonte, die Ausgestaltung der Schiedsgerichtsbarkeit habe bereits große Erfolge in der Zurückdrängung der Kriegsgefahr gebracht, und dabei sei der öffentlichen Meinung eine zentrale Rolle zugekommen: „The practice of referring to arbitration disputes of secondary importance – and a great number of wars have been wholly caused by such quarrels – has made just so much progress as to warrant the hope that it will make more. But if history has any lesson for us, it is this, that less is to be hoped from any direct endeavours to abolish wars or diminish their frequency than from the silent growth of interests, habits of life, modes of government, and a public opinion, favourable to peace.“288

Die öffentliche Meinung sei jedoch janusköpfig, und Staaten stünden in der Gefahr, unter Umständen erst durch die Hysterie der Öffentlichkeit in einen Krieg getrieben zu werden – hier müsse die Politik also wachsam sein. Bernard schloss seine Überlegungen mit dem Hinweis, neben allen politischen Überlegungen dürfe man auch 286

287 288

Hoffmann, Stefan-Ludwig: Einführung. Zur Genealogie der Menschenrechte, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. StefanLudwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 7–40. S. 20. Wright, A study of war, S. 291–328. Bernard, Montague: Four Lectures on Subjects connected with Diplomacy, London 1868 , Lecture II, ‚Systems of Policy‘, S. 61–109, S. 101.

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wirtschaftliche Aspekte nicht aus den Augen verlieren. Die Vorteile friedlichen Handels dürften nicht durch Profite in Kriegszeiten übertroffen werden, damit kein wirtschaftliches Interesse an der Kriegführung entstünde. Der Jurist John Westlake war kritisch gegenüber dieser Friedensbegeisterung breiter Massen als Movens für die Verrechtlichungsdebatte, da er die Öffentlichkeit für unmündig, nicht ausreichend informiert und zudem in ihrer Unterstützung für unbeständig hielt. Außerdem sah er in den internationalistischen Friedensbemühungen eine Gefahr für den Primat des Nationalstaats und seiner Interessen. Er schrieb: ,,The pity which is effectual to work great changes is that which, in running at once through millions of men, is intensified by the enthusiasm which masses engender. But pity for suffering in war is liable in democratic times to encounter other feelings of equal extent and opposite tendency, the consciousness that the war in which the nation is engaged has been willed by it, and the national determination to triumph at any cost.“289

Der Begriff der ‚militärischen Notwendigkeit‘ für Kriegsgewalt scheint hier durch; er sollte sich noch als die größte Hürde in den Debatten erweisen. Die „Männer von 1873“ (Koskenniemi) einte eine ihrer Zeit entsprechende „humanist vision of European civilization“.290 Sie gehörten einer Gruppe gleichgesinnter europäischer Publizisten an, wobei „Publizisten“ den Sammelbegriff für Juristen, Humanisten und politische Aktivisten bildete. Die einen wurden zum Engagement bewogen, weil sie nach den Ausschreitungen des Deutsch-Französischen Krieges Grund zum (juristischen) Handeln sahen, andere wurden durch den Internationalismus inspiriert, der in Europa Ende des 19. Jahrhunderts die zweite Welle von Industrialisierung, Urbanisierung, transnationaler Migration und Wirtschaftsliberalisierung begleitete.291 Die Männer von 1873 betrieben daher kein rein akademisches Projekt (Sylvest spricht vom „well-connected intellectual-cum-political stratum“292): Als Internationalisten waren sie bemüht, Fortschritt und Ordnung in die internationale Sphäre zu bringen, was sich besonders an Begriffen wie ‚civilization‘ und ‚rule of law‘ festmachen lässt.293 Ausgelöst durch den Deutsch-Französischen Krieg kam es 1873 auf Initiative des belgischen Juristen Gustave Rolin-Jaequemyns zur Gründung des Institut de Droit International in Gent, das 1904 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Gründungsagenda des Instituts setzte diesem zum Ziel, die Entwicklung des Völkerrechts voranzutreiben, das zum „rechtlichen Gewissen der zivilisierten Welt“ werden solle.294 Das Institut zielte damit zum einen auf den Aufbau einer Plattform 289 290 291 292

293 294

Westlake, John: Chapters on International Law, Cambridge 1894, S. 280. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 14. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 42–49; Lewis, The birth of the new Justice, S. 21. Sylvest, Casper: The Foundation of Victorian International Law, in: Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenth-century political thought (Ideas in context 86), hrsg. v. Duncan Bell, Cambridge, New York 2007, S. 47–66. S. 47. Sylvest, The Foundation of Victorian International Law, S. 48. Gründungsakt vom 10.9.1873, zitiert nach Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War.

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des Austausches für die akademische Welt, zum anderen aber gleichzeitig auf die Schaffung von Öffentlichkeit sowie auch auf eine supranationale Beratungsfunktion für Staaten – heute würde man dies vielleicht NGO nennen. Im Ersten Weltkrieg spaltete sich die Bewegung in verschiedene nationale Strömungen,295 aber „vervielfachte sich auch in verschiedene neue intellektuelle Trends des Völkerrechts“.296 Das Institut verstand sich nicht als universitäre Kaderschmiede, sondern verfolgte dezidiert die politische Mission, den gesellschaftlichen Transformationsprozess zu beschleunigen: Die Gründungsväter wollten zu „liberalen Reformen und Frieden in Europa beitragen“ und dabei „östliche Völker im Sinne der europäischen Modernität verwandeln“.297 1880 brachte das Institut mit dem Oxford Manual of the Laws of War das erste Regelwerk zur Kriegführung heraus, das jedoch vor allem als Vorschlag an die Regierenden gedacht war, die Regeln in nationales Recht zu überführen. Es gelang den beteiligten Experten erst auf den Friedenskonferenzen von Den Haag 1899 und 1907, ihre Vorschläge einer breiteren Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen und einige der Regeln in die Schlusserklärung – die sogenannte Haager Landkriegsordnung – Eingang finden zu lassen. Gemeinhin gelten die Gründer des Instituts auch als Gründerväter des modernen Völkerrechts, und zwar der bereits genannte Gustave Rolin-Jaequemyns (1835–1902), Jurist und Politiker aus Belgien, John Westlake (1828–1913), Rechtsanwalt in London, Tobias Asser (1838–1913), Rechtsanwalt in Amsterdam, Gustave Moynier (1826–1910), einer der Gründer des Roten Kreuzes aus Genf, Johann Caspar Bluntschli (1808–1881), ein Schweizer Professor, der in Heidelberg lehrte, Friedrich Fromhold (Fjodor) Martens (1845–1909), ein Deutschbalte aus dem heutigen Estland, der in St. Petersburg lehrte und in diplomatischen Diensten des Zaren stand (zuletzt im Außenministerium), sowie Pasquale Mancini (1817–1888), Professor an den Universitäten Turin und Rom und später Außenminister Italiens.298 In dieser Gruppe befindet sich eine Mehrzahl von Männern, die nach der Definition Becker Lorcas aus ‚semi-peripheral states‘ stammten. Die erste Initiative ging von Juristen aus Belgien aus und wurde durch die Kollegen aus der Schweiz unterstützt. Es sind also gerade nicht Juristen aus politisch mächtigen Staaten (wie England oder Preußen) oder Juristen von den größeren Universitäten Europas wie etwa Wien oder Paris gewesen, die auf einen Zusammenschluss drangen. Es ist dabei eine offene Frage, ob nationale Interessen oder starke nationale Zugehörigkeitsgefühle eine dezidiert supranationale Initiative wie die Gründung des Instituts für die Ak-

295 296 297 298

Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/ Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 356. (… the organ of the ‚civilized world’s legal conscience.‘) Zum Schicksal des Instituts im Ersten Weltkrieg vgl. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 24–25. Lewis, The birth of the new Justice, S. 21. Münch, Fritz: Das Institut de Droit International, in: Archiv des Völkerrechts 28/(1/2) (1990), S. 76– 105. S. 76. Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations, S. 65–79. Münch, Fritz: Das Institut de Droit International, in: Archiv des Völkerrechts 28/(1/2) (1990), S. 76–105. S. 76–77.

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teure aus mächtigeren Staaten weniger zwangsläufig machten als für Akteure aus kleineren Staaten, die sich davon möglicherweise mehr Mitsprachemöglichkeiten erhofften. Die Mitglieder des Instituts begriffen Recht als antiformalistisch, „an intrinsic part of the social organism“, und hielten die konstante Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie ein Verständnis für die historischen Wurzeln für zentral. Hierin spiegelte sich der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts, der auch in anderen Bereichen als der Rechtswissenschaft manifest wurde. In dieser Epoche stellte die Frage der Strafverfolgung bzw. Durchsetzbarkeit neuer Regeln ein Problem dar. Im 19. Jahrhundert waren Staaten nach wie vor Hüter des absoluten Souveränitätsprinzips, was die Herausbildung internationaler Gerichtsbarkeit entscheidend erschwerte. Zwar hatte es im Vertrag von Paris 1856 einen erneuten Versuch gegeben, eine Schiedsgerichtsbarkeits- oder Mediationsklausel als zwischenstaatliche Konfliktregulierung festzuschreiben, doch blieb es letztlich bei rhetorischen Bekenntnissen. Die Juristen sahen sich hierbei in der Tradition von Kants Diktum von der „allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ und waren überzeugt, dass Recht kulturell konnotiert sei. Ihrer Meinung nach bestand ihre Pflicht darin, den Zivilisationsgedanken durch Recht zu stärken („to give legal expression to the progressive nature of European civilization“).299 Gemeinsam ist diesen Männern, dass sie einer neuen akademischen Disziplin angehörten.300 Zwar war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vereinzelt in universitären Vorlesungen und akademischen Zirkeln der Begriff des Völkerrechts aufgetaucht, es gab aber noch keine eigenständige Fachrichtung und auch keine Gelehrten, die sich als Völkerrechtler im Sinne eines „juristischen Gewissens der zivilisierten Welt“ verstanden, wie dies später der Fall war.301 Völkerrecht wurde als eine Möglichkeit gesehen, politischen Idealen und einer modernen Staatspraxis den Weg zu ebnen und insbesondere Dispute zwischen Staaten auf friedlichem Weg zu lösen.302 Dabei entwickelte es sich bis ca. 1860 aus der engen Verbindung mit moralisch-religiösen Argumentationen, die aus dem Naturrecht schöpften. In der Folge, insbesondere in den 1870–80er Jahren, kam es aber zu einer starken Hinwendung zum positiven Recht, das als analytische Rechtswissenschaft galt und religiös-moralische Begründungen ablehnte.303 Es ist insbesondere am Begriff ‚humanity‘ erkennbar, wie sich in dieser Zeit die Bedeutung verschob (von einer eher moralisch argumentierenden auf eine politische Ebene). Mit der Etablierung des Völkerrechts als Wissenschaftszweig stieg die Zahl der Veröffentlichungen sowie der neuen Fachbereiche an Universitäten. An europäischen Universitäten wurde Ende des 19. Jahrhunderts internationales Privatrecht 299 300 301 302 303

Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 11–12. Lewis, The birth of the new Justice. S. 21.Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations, S. 65–79. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 2. Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism, S. 19. Sylvest, Casper: The Foundation of Victorian International Law, in: Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenth-century political thought (Ideas in context 86), hrsg. v. Duncan Bell, Cambridge, New York 2007, S. 47–66. S. 51.

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und Völkerrecht gelehrt, und es erschienen die ersten Lehrbücher.304 Die völkerrechtlichen Auffassungen unterschieden sich Mitte des 19. Jahrhunderts dabei von Land zu Land.305 Die Niederlande waren am fortschrittlichsten und galten als Verfechter des Internationalismus, dort gab es eine effektive Bewegung zur Kodifizierung von internationalem Privatrecht. In Deutschland wie auch in der Schweiz ging die Bewegung zur rechtlichen Reform oft von protestantischen oder antikatholischen Kreisen aus, und es ist auffällig, dass insbesondere protestantische Juristen die Speerspitze der jungen völkerrechtlichen Disziplin bildeten. In Italien bewegte sich die Rechtsauffassung dagegen innerhalb der Doktrin von Guiseppe Mazzini, die dem Prinzip der Nationalitäten verpflichtet war.306 Für Großbritannien gilt John Westlake als Wegbereiter des Völkerrechts, und in Frankreich wurde diese Rolle von Louis Renault übernommen; beide hatten auch großen Einfluss auf internationale Debatten, etwa während der Haager Friedenskonferenzen.307 Die Gründungsväter des Instituts waren sich einig, dass insbesondere die weitere Brutalisierung des Krieges Anlass zur Sorge bot und umfassendere Regeln entwickelt werden müssten. Mit ihren Reformideen wollten sie nicht nur Verträge und Kriegsregeln revidieren, sondern generell ihre internationalistische Ausrichtung unterstreichen – in Dokumenten ist daher oft vom ésprit d’internationalité die Rede. Tobias Asser hatte bereits 1868 zusammen mit Gustave Rolin-Jaequemyns und John Westlake als Plattform des Austausches die Zeitschrift Revue de Droit international et de Législation comparée gegründet.308 Zwar hatten Asser und Rolin-Jaequemyns den „spririt of internationality“ im Blick, als sie die Zeitschrift gründeten, doch wurde dieser von Westlake als utopisch zurückgewiesen. Er befand: „[T]he humanization of national policies and development of a liberal spirit was unsustainable, utopian and irreconcilable with the realisms of state-based international law“.309 RolinJaequemyns selbst nutzte die Zeitschrift gezielt, um Einfluss auf aktuelle Debatten zu nehmen; so publizierte er 1888 etwa zur Frage der Abschaffung der Sklaverei und deren Auswirkungen auf die koloniale Politik der Großmächte, was im Kontext der Vorbereitung der Brüsseler Anti-Sklaverei-Konferenz von 1890 zu sehen ist.310 Eine zweite bedeutende Zeitschrift wurde vom französischen Völkerrechtler Edouard Clunet gegründet (später bekannt geworden als Verteidiger der Spionin Mata Hari): 304 305 306

307 308 309 310

Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 18. Ich stütze mich hier und im Folgenden auf die Analyse von Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 8–10. Mazzini ist ein Vertreter des liberalen Nationalismus und gilt mit seiner Schrift als Wegbereiter des vereinten Italien 1860. Er gründete 1830 die Partei ‚Junges Italien‘ und veröffentlichte 1852 seine Schrift „On Nationality“, mit der er für eine Neuordnung Europas auf Grundlage der ethnischen Grenzen eintrat; vgl. für einen kurzen Überblick http://legacy.fordham.edu/halsall/mod/ 1852mazzini.asp [26.08.2015]. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 10. Louis Renault “established himself internationally as one of the most respected practitioners in the field“. Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism, S. 19. Westlake wird zitiert nach Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations, S. 13. Rolin-Jaequemyns, Gustave: La politique coloniale et le mouvement antiesclavagiste, in: Revue de Droit International e de Législation Comparée 20 (1888).

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Mit dem Journal de droit international verschrieb er sich der Erforschung der Beziehung zwischen Individuen und der internationalen Sphäre.311 Clunet publizierte auch zu Fragen des Kriegsvölkerrechts312 und trat während des Ersten Weltkriegs erneut mit seiner Expertise in dieser Frage hervor.313 Johann Caspar Bluntschli, der Schweizer Völkerrechtler und Hochschullehrer aus Heidelberg, stellte seinem Werk Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten als Rechtsbuch dargestellt 1868 statt einer Einleitung seinen Briefwechsel mit dem amerikanischen Kollegen Francis Lieber (1800–1872) voran, der wenige Jahre zuvor für den Amerikanischen Bürgerkrieg das erste Kriegsregelwerk entworfen hatte. Bluntschli schrieb: „Ihr glücklicher Gedanke, der amerikanischen Armee ein kurz gefasstes Kriegsrecht als Instruction ins Feld mitzugeben, und mit den Mahnungen des Rechts die wilden Leidenschaften des Krieges möglichst zu zähmen, hat mich zuerst zu dem Vorsatze angeregt, die Grundzüge des modernen Völkerrechts in Form eines Rechtsbuchs darzustellen, und Ihre Briefe haben mich ermuthigt, dieses Wagnis durchzuführen.“314

Er machte damit zweierlei deutlich: Zum einen stellte er seine Schrift als Frucht des akademischen Austauschs über Kontinente hinweg dar und betonte damit eine Art „Internationale der Juristen“, zum anderen erhob er das viktorianische Paradigma des ‚Zivilisationsstandards‘ in den Rang einer für Juristen handlungsleitenden Kategorie. Die Korrespondenz mit Zeitgenossen belegt, wie zwiespältig die Öffentlichkeit die Bemühungen der Juristen aufnahm. So war Bluntschli mit wichtigen Militärs seiner Zeit in Briefwechsel getreten, um für das Projekt einer Kodifizierung des Kriegsrechts auf internationaler Basis zu werben. Feldmarschall Helmuth von Moltke hatte Bluntschli geantwortet (dieser Briefwechsel wurde später veröffentlicht, unter anderem in der Times315), er halte nicht viel von dem Versuch: „Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzungn des Lebens. […] Die größte Wohlthat im Kriege ist die schnelle Beendigung des Krieges, und dazu müssen alle nicht 311 312 313

314 315

Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 18 (“private international relationship“). Clunet, Edouard: Offenses et actes hostiles commis par des particuliers contre un état étranger, Paris 1887. Clunet, Edouard: La Presence des Allies en France et l’Exterritorialite, in: Jounal de Droit International 45 (1918), S. 514–517.; Clunet, Edouard: Les Criminels de guerre devant le Reichsgericht à Leipzig, in: Jounal de Droit International 48 (1921), S. 440–447. Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, als Rechtsbuch dargestellt, Nördlingen 1868 S. V-VI. Bluntschli hatte den Brief damals veröffentlicht in der Zeitschrift des Instituts, vgl. Revue de Droit international et de Législation comparée, vol. 13, 1881, S. 79–84. Der Jurist T. E. Holland hatte diese Übersetzung daraufhin in der Londoner Times vom 1. Februar 1881 publiziert. Vgl. auch Best, Humanity in warfare, S. 144.

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geradezu verwerflichen Mittel freistehen. Ich kann mich in keiner Weise einverstanden erklären, dass die ‚Schwächung der feindlichen Streitmacht‘ das allein berechtigte Vorgehen im Kriege sei. Nein, alle Hilfsquellen der feindlichen Regierung müssen in Anspruch genommen werden, ihre Finanzen, Eisenbahnen, Lebensmittel, selbst ihr Prestige.“316

Bluntschli postulierte ein Interventionsrecht der Staaten bei Verstößen und betonte, dass die Staaten verpflichtet seien, die Rechte der Menschen durch ihre Autorität zu schützen und Soldaten für Überschreitungen der Regeln zu bestrafen.317 Bluntschli selbst hatte sich nicht mit Kriegsrecht beschäftigt, sondern lediglich Liebers Code ins Deutsche übersetzt.318 Er schreibt: „Liebers Kriegsartikel sind vielfältig und zum Theil wörtlich benutzt worden. Überdem ist auch die internationale Convention über die Sorge für verwundete Krieger vom Jahre 1864 in die Darstellung aufgenommen worden.“319 Nach Bluntschlis Tod 1881 legte Friedrich Fromhold Martens in seinem Werk Völkerrecht. Das internationale Recht der civilisierten Nationen (1881/82) eine eigene Theorie des Völkerrechts vor, die sich jedoch eng an Bluntschli, seinen akademischen Lehrer aus Heidelberg, anlehnte. Nationalstaatlichkeit wurde als Grundlage der internationalen Gemeinschaft akzeptiert, indem Nationalismus in seiner positiven und seiner negativen Ausprägung – als „l’esprit national“ und als „le préjuge national“ – unterschieden wurde.320 Bluntschli sah keinen Widerspruch zwischen nationalstaatlichen und individuellen Rechten und betonte insbesondere den Schutz grundlegender Menschenrechte als Hauptanliegen des Völkerrechts. Die Initiative von ‚semi-peripheral states‘ wie Belgien und der Schweiz zielte jedoch auf eine globale Vision von Gerechtigkeit. Einig waren sich die Mitglieder darin, dass nationale Gesetze aber nicht ausreichend seien, um zwischenstaatliche Konflikte zu regeln. Im Standpunkt Mancinis lässt sich ein Ansatz erkennen, der völlig im Gegensatz zur Theorie einer für kleinere Staaten gegebenen verbesserten Einflussmöglichkeit in internationalen Organisationen steht und dagegen Italiens Großmachtanspruch unterstreicht. Pasquale Mancini, als Jurist wie auch als Außenminister seines Landes ein einflussreicher Mann, verband hier juristische mit politischen Ansätzen. Er vertrat in seiner Schrift Della Vocazione del nostro Secolo per la Riforma e la Codificazione del Diritto delle Genti e per l’Ordinamento di una Giustizia internazionale (1874) die Theorie, dass die Nationszugehörigkeit das Zentrum des Völkerrechts bilden müsse. Er unterschied drei Ebenen des Rechts: „the public law of the State should govern political relations“, „necessary ‚private‘ law would capture a person’s national background“, „vo316 317

318 319 320

Moltke, Helmuth von: Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten (Vol. 5), Berlin 1892. S. 194. Vgl. auch Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, Vol. 2, S. 471–472. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 588. Vgl. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, als Rechtsbuch dargestellt, S. 265, 270, 305, 325. Röben, Johann Caspar Bluntschli, Francis Lieber und das moderne Völkerrecht, 1861-1881, S. 11. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, als Rechtsbuch dargestellt, Vorwort, S. III-IV. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 13–15.

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luntary private law (contracts) would give effect to the autonomy of the will“.321 Bei Mancini ist der Primat des Nationalen deutlich erkennbar, was wahrscheinlich auf seine Doppelfunktion zurückzuführen ist: Als Außenminister seines Landes sprach er mehr als Politiker denn als rein akademischer Diskussionspartner. Das juristische Ziel der Bemühungen der Völkerrechtler um Öffentlichkeit musste daher in letzter Konsequenz die Schaffung eines Gerichtshofes sein. Die schon damals geführte Debatte um einen internationalen Strafgerichtshof, wie er sich 1945 in Nürnberg dann erstmals manifestierte, ist hier sehr aufschlussreich. Die Völkerrechtsverletzungen, etwa im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, ließen den Gedanken einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zur Kontrolle der Kriegsparteien aufkommen. Hierin ist nun die zweite Dimension der Martens’schen Forderung nach ‚public conscience‘ zu erkennen. Für die beteiligten Juristen war die Herstellung größtmöglicher Öffentlichkeit in einem internationalen Gerichtsverfahren erreicht, das über zwischenstaatliche Verstöße urteilen würde. Der Gedanke eines internationalen Strafgerichtshofs war bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zunächst im Gewand der sogenannten Schiedsgerichtsbarkeit aufgetaucht. Richard Cobden fungierte hierbei als Bindeglied zwischen den Gruppen der Juristen und der Friedensverbände, beispielsweise durch seine Forderung nach Abbau von Wirtschafts- und Handelsschranken, durch welchen in letzter Konsequenz auch politischer Streit zwischen den Völkern obsolet werde.322 1849 brachte er im englischen Unterhaus einen Antrag ein, der die Verpflichtung zu internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zwischen den Völkern (Arbitration) vorschlug. Der Antrag wurde abgelehnt, und Cobden erhielt zur Antwort, dass Fragen, welche die höchsten Interessen eines Landes beträfen, nicht einer unabhängigen Instanz zur Entscheidung vorgelegt werden könnten.323 Allerdings wurden durch Schiedsgerichtsbarkeit tatsächlich einige Konflikte gelöst, bevor sie sich zu einem militärischen Konflikt ausweiten konnten; meist ging es um Grenz- und Territorialstreitigkeiten.324 Das berühmteste Beispiel ist der sogenannte Alabama-Fall, benannt nach einem in England gebauten Schiff, das während des Amerikanischen Bürgerkriegs als Kaperschiff, wiewohl unter einem amerikanischen Kapitän, in den Konflikt eingriff und zahlreiche Schiffe der Union versenkte. Den Fall einem Schiedsgericht vorzulegen wurde von England vehement abgelehnt, unter Verweis auf die eigene Neutralität im Konflikt sowie mit der Weigerung, sich als souveräner Staat dem Schiedspruch einer dritten Macht zu unterwerfen. Erst lange nach Beendigung des Krieges kam es doch zu einem Verfahren, in dem die Entscheidung 1872 fiel. Das Gremium (das Gericht setze sich zusammen aus je einem Vertreter Englands und der USA sowie einem Schweizer, einem Italiener und einem Brasilianer) urteilte, England habe seine Neutralitätspflichten tatsächlich verletzt; 321 322 323 324

Zu Mancini vgl. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 17–18. Baumgart/Duchhardt, Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, S. 76. Hansard’s Parliamentary Debates, Third series, Vol. 106 (1849), Sp. 112. Baumgart/Duchhardt, Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, S. 77–80.

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eine Geldbuße wurde verhängt. Diese Entscheidung gilt rückwirkend als wichtige Etappe in der Entwicklung des Völkerrechts, da sie bis dahin unbestimmt formulierte Neutralitätsgrundsätze präzisierte. Im bereits erwähnten Oxford Manual of the Laws of War wurde der Gedanke ebenfalls aufgegriffen. Mit dem Text stellte das Institut ein Handbuch zur Regelung der Kriegsgewalt vor, das als europäische Antwort auf den Lieber-Code gelten kann; es gilt als einer der Meilensteine auf dem Weg zu modernen Kriegsregeln.325 Moynier hatte, mit Unterstützung gewichtiger Völkerrechtler wie Johann Caspar Bluntschli, Jacobus Catharinus Cornelis den Beer Poortugael und Friedrich Fromhold (Fjodor) Martens, seine Institutskollegen überzeugt, im Oxford Manual eine Klausel einzuschließen, die die Ahndung von Verstößen durch das Strafrecht vorsah: „offenders against the laws of war are liable to the punishments specified in the penal law.“326 Dieser Gedanke war zunächst einmal revolutionär, denn er setzte eine international akzeptierte rechtliche Grundlage sowie einen ständigen Gerichtsort voraus; Moynier war seiner Zeit damit weit voraus. Wie Segesser herausgearbeitet hat,327 unterstützten vor allem zwei prominente Juristen den ersten Vorschlag im Institut mit längeren Memoranda. Einer von ihnen war der belgische Jurist und radikal-liberale Politiker Gustave Rolin-Jaequemyns, der andere war Gustave Moynier selbst; die ersten Unterstützer kamen also wiederum aus ‚kleineren‘ Staaten. Rolin-Jaequemyns schlug 1871 vor, dass entweder ein internationaler Gerichtshof oder eine internationale Untersuchungskommission Verletzungen der Konvention überwachen solle. Die Idee ging zurück auf die Anschuldigungen der deutschen Seite im Deutsch-Französischen Krieg, die Franzosen hätten das Zeichen des Roten Kreuzes missbraucht, während die Franzosen beklagten, die Preußen hätten es nicht respektiert. 1872 bereits verfasste Moynier, der damals Präsident des Internationalen Rotkreuzkomitees war, das Statut für einen solchen Gerichtshof. Seine Idee war, dass die Gruppe der Richter (die sich aus Vertretern der kriegführenden Mächte und Richtern aus neutralen Staaten zusammensetzen sollte) über Fälle zu Gericht sitzen sollten, in denen die Genfer Konvention von 1864 verletzt worden war. Das Gericht würde über Schuld oder Unschuld des Angeklagten befinden, jedoch der Staat, der das angeklagte Individuum in Haft genommen hatte, die Bestrafung ausführen.328 Festzuhalten ist, dass mit Moynier hier der Schweizer Vertreter den Vorschlag machte. Moynier erklärte nach den Erfahrungen des Deutsch-Französischen Krieges, es sei unklar, ob die bisherigen Bestimmungen, insbesondere die Genfer Konvention von 1864, ausreichend seien, denn viele sähen in Letzterer „a purely moral sanction to ease unleashed passions“.329 Man müsse versuchen, das Problem der ‚war crimes‘ 325 326 327 328 329

Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 75. Schindler/Toman, The laws of armed conflicts S. 47. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 90–94. Lewis, The birth of the new Justice, S. 16–17. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruc-

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auf internationaler Ebene zu lösen, und zwar justizförmig.330 Er zeigte sich aber überzeugt, dass die Konvention in Zukunft respektiert werde: „Generally speaking, the Convention will be observed in the future and that precautions taken to obtain this result will not prove to have been in vain.“ Er machte zudem auf ein weiteres Problem aufmerksam (das im Übrigen bis zum Zweiten Weltkrieg ungelöst blieb), und zwar auf das der Auslieferung von Tätern an das internationale Gericht. Der deutsche Völkerrechtler Franz von Holtzendorff wies darauf hin, dass es kein Abkommen gebe, das Staaten verpflichte, ihre Bürger für Gerichtsverfahren auszuliefern, weder in Friedens- und noch weniger in Kriegszeiten.331 Juristen aus Italien und Spanien begrüßten die Idee eines internationalen Strafgerichtshofs, während Vertreter aus den hegemonial führenden Mächten wie Francis Lieber (USA) und John Westlake (Großbritannien) skeptisch waren, da sie eine Beschränkung staatlicher Souveränität fürchteten. Anders als Moynier gab Lieber der nationalen Gerichtsbarkeit den Vorzug, die zugegebenermaßen jedoch für die Ahndung von Kriegsgewalt unzureichend sei, und lehnte einen internationalen Gerichtshof offen ab: „An international tribunal would be neither desirable nor efficient“.332 Er ermutigte die Kollegen allerdings, eine Lösung auf internationaler Ebene zu suchen.333 Moynier richtete daraufhin einen Appell an die Regierungen, die Verletzung der Genfer Konvention in den jeweiligen nationalen Gesetzbüchern unter Strafe zu stellen.334 Obwohl Moynier also mit seinem Vorschlag zur Schaffung eines internationalen Gerichtshofs gescheitert war, entwickelte sich aus seiner Idee alternativ eine Art Schiedsgerichtshof zur Konfliktlösung. Dieser sollte typische Konfliktfälle behandeln, die oft Kriege ausgelöst hatten: Konflikte um den Verlauf von Grenzen, um das Recht, Schiffe zu beschlagnahmen, um die Auslegung von Verträgen. In all diesen Fällen sollte ein neutrales Gericht die Klagen und Argumente beider Seiten anhören und dann einen Urteilsspruch fällen, dem sich die Streitparteien freiwillig unter-

330

331 332

333 334

tion, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 355. Moynier fragte: ,,How can one prevent brutal manifestations of righteous anger among an overexcited population when a whole nation mobilizes in defense of homes? How can one ensure that the sentiments of law or humanity prevail?“ Englisches Zitat nach Segesser, On the Road to Total Retribution? S. 355. Segesser verweist hier auf Moynier, Gustave: Ètude sur la Convention de Genève pour l’Amélioration du Sort des Militaires Blessées dans les Armées en Campagne, Paris 1870, S. 303. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 93. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 355. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 93. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 356.

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werfen würden. Dies sei der sicherste Weg, Kriege in Zukunft zu vermeiden, so die Juristen. Die Idee fand politische Unterstützung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wachsenden globalen Handelsbeziehungen zwischen Europa, Nord- und Südamerika.335 Tatsächlich gab es bereits positive Beispiele: So waren vor verschiedenen Schiedsgerichtshöfen zwischen 1815 und 1900 200 zwischenstaatliche Dispute geregelt worden. Dies war einer der Gründe, warum es später auf den Friedenskonferenzen von Den Haag um die Frage der Schiedsgerichtsbarkeit ging. Es hatte sich jedoch bei diesen Gerichten meist um bi- oder multilateral eingerichtete, nicht um ständige Gerichtshöfe gehandelt; ihr Spruch war nicht bindend gewesen, und sie hatten nur solche Fälle verhandeln können, die keine nationalen Interessen berührten („involving neither honor nor essential interests“). Das bedeutete umgekehrt: Sobald die staatliche Sicherheit, die wirtschaftlichen Grundlagen oder der Status eines Staates berührt wurden, war dieser nicht verpflichtet, dem Urteilsspruch zu folgen. Hierin zeigt sich also erneut die Suprematie des Nationalen über die internationale Sphäre. Dies findet sich auch in öffentlichen Kommentaren. So äußerte der Historiker Heinrich von Treitschke im Rahmen seiner Berliner Vorlesungen Skepsis: „Der Krieg wird niemals aus der Welt geschaffen werden durch internationale Schiedsgerichte. In den großen Lebensfragen einer Nation ist Überparteilichkeit bei den übrigen Mitgliedern der Staatengesellschaft einfach unmöglich. […] Daher die bekannte Erscheinung, daß internationale Congresse wohl fähig sind, die Resultate des Krieges zu formulieren, juristisch zu ordnen, daß sie aber nicht einen drohenden Krieg verhindern können. Nur in Fragen dritten Ranges kann ein fremder Staat unparteiisch sein.“336

Moynier drängte nach dem Scheitern der Initiative darauf, wenigstens eine juristische Übereinkunft zu erzielen, die nicht nur die Regierungen verpflichten würde, ihr nationales Strafgesetzbuch an die Genfer Konvention anzupassen, nachdem diese ratifiziert war, sondern die auch eine internationale Kommission ins Leben rufen würde, die die Verletzung der Konvention überwachen sollte.337 Ihm ging es um die Implementierung einer Strafklausel. Dagegen gab es starken Widerstand, insbesondere von Kollegen, aber auch von Militärs und Politikern. Im Deutschen Reich waren Offiziere unwillig, Einschränkungen des Prinzips der militärischen Notwendigkeit hinzunehmen und durch Kriegsregeln ihre Kräfte in irgendeiner Weise zu beschränken.338 Viele Juristen, insbesondere aus den mächtigeren Staaten, waren 335 336

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338

Lewis, The birth of the new Justice, S. 19. Auch im Folgenden. Treitschke, Heinrich von: Politische Vorlesungen, gehalten an der Universität zu Berlin (Vol. 2), Leipzig 1898. S. 553. Vgl. hierzu auch Baumgart/Duchhardt, Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, S. 82. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 357. Ausführlich hierzu Messerschmidt, Manfred: Völkerrecht und „Kriegsnotwendigkeit“ in der deutschen militärischen Tradition seit den Einigungskriegen, in: German Studies Review 6/2 (1983), S. 237–269.

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ihrerseits unwillig, das Prinzip der nationalen Souveränität durch Schaffung einer supranationalen Institution aufzuweichen. 1893 rief das Institut in Den Haag die Hague Conference on Private International Law zusammen; Vertreter aus 13 Staaten folgten der Einladung. Die Mehrheit sprach sich damals dafür aus, dass in Streitfragen nationales Recht Vorrang haben solle. Und obwohl man sich einig war, dass es eine Art supranationalen Rahmen für das nationale Recht geben müsse, wurde doch nichts Konkretes auf dem Gebiet des Völkerrechts vereinbart.339 Weiter wurde diskutiert, auf welche Weise Recht dazu beitragen könne, den „Orient“ zu zivilisieren. Institutsmitglieder sprachen sich gegen die gängige Praxis aus, privaten Unternehmen zu erlauben, Teile von Kolonien wie ein souveränes Staatsgebiet zu regieren, wie dies in Belgisch-Kongo geschehen war, denn dies führe unweigerlich zu Exzessen und zwischenstaatlichen Konflikten. Vielmehr sei es die Aufgabe der Staaten, in den Kolonien direkt zu herrschen und dabei die kolonialen Untertanen zu „zivilisieren“.340 Auf diese Weise würde sich das von den Europäern bevorzugte Rechtskonzept der Souveränität in der Welt verbreiten und jene Machtkonflikte vermieden, die unweigerlich aufträten, wenn Staaten ihre Kolonien nicht sorgfältig selbst verwalteten.341 In diesem Zusammenhang wurden auf der Konferenz die umstrittenen Ansprüche König Leopolds im Kongo diskutiert und kritisch zur Frage der Protektorate Stellung genommen, die insbesondere in Afrika üblich waren und einen Zustand der Rechtlosigkeit nach sich zogen. Da jedoch generell König Leopolds Ansprüche keineswegs als unrechtmäßig angesehen wurden, fand der Vorschlag von Moynier keine Mehrheit, wohl weil den Großmächten gerade die unklare Rechtslage mehr Handlungsspielräume eröffnete.342 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich an der verhaltenen Reaktion auf Moyniers Vorschlag zeigte, dass die Zeit noch nicht reif für einen internationalen Strafgerichtshof war. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Erstens war das ausgehende 19. Jahrhundert das Zeitalter des starken Nationalismus und der noch nicht sehr gefestigten staatlichen Justiz der neuen Nationalstaaten, deren Macht nicht sogleich wieder beschnitten werden sollte;343 zweitens war die Grundlage des internationalen Systems der souveräne Staat, den man nicht für eine noch zweifelhafte neue Institution aufgeben wollte.344 Dies war in der Tat das Kernproblem, das sich dem Völkerrecht als größte Hürde entgegenstellte. Drittens fehlten Vorbilder juristischer Institutionen (etwa für Handel oder internationale Beziehungen), die bereits erfolgreich internationale Streitfälle regelten – die Abkommen, die bereits existierten, waren eher multilateral. Lewis urteilt, dass die bürgerlichen Juristen des ausge-

339 340 341 342 343 344

Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 20–21. Lewis, The birth of the new Justice, S. 21. Zum Konzept der Kolonialisierung durch Recht vgl. auch Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations, S. 144–155. Lewis, The birth of the new Justice, S. 21–22. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 22. Lewis, The birth of the new Justice, S. 17. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 140–141.

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henden 19. Jahrhunderts nichts mehr fürchteten als parteiische und schlecht zu überwachende Gerichtsbarkeit, wie sie im imperialen Zeitalter üblich gewesen war.345 Auch wenn die führenden Köpfe und Aktivisten des Instituts in sehr unterschiedliche Projekte involviert waren, so lassen sich doch drei Elemente ihrer Politik, ihrer Ideologie und ihres kulturellen Verständnisses herausfiltern. Ein Punkt war die liberal-konservative Ausrichtung der Männer, ein zweiter ihr Staatsverständnis und ein dritter ihre Auffassung, internationale Beziehungen gründeten in einer Art Agreement zwischen Gentlemen. Die „Männer von 1873“ verstanden sich als Liberale und glaubten an das Konzept eines Nationalismus mit individualistischem Gesicht, der sich jederzeit universalistischen Ideen anpassen konnte, wie Koskenniemi es ausdrückt: „As liberals, they shared a concept of nationalism that was individualistically inclined and therefore always able of being explained from the perspective of a universal design or purpose.“346 Die liberal-konservative Ausrichtung beinhaltete, dass sie einerseits die liberale Vorstellung hatten, dass sich das Völkerrecht im Einklang mit den sich verändernden sozialen Werten entwickeln müsse (und dass hierin auch Raum war, die Rechte von Individuen weiter zu stärken), andererseits der konservativen Weltsicht zuneigten, die strikt antirevolutionär und vor allem antisozialistisch war. Zudem hatten zweitens, wie gezeigt wurde, alle Mitglieder des Instituts unterschiedliche Vorstellungen über das Wesen des Staates, sein Verhältnis zu den Bürgern und die Basis seiner Rechtsordnung. Einigkeit herrschte jedoch in der Einschätzung, der Staat sei eine positive Entwicklung in der Geschichte der Zivilisation.347 Drittens neigten diese Juristen im ausgehenden 19. Jahrhundert der Idee zu, internationale Beziehungen und Kriege unter Gleichen (also dem Zivilisationskonzept des Westens entsprechend nur unter europäischen Völkern) würden „ehrenhaft“ geführt, denn sie würden ja durch das normative Gerüst zivilisierter Staaten getragen. Diese Einschätzung war jedoch angesichts der politischen Realität hochgradig ambivalent. Zudem zeigte sich, dass es auch innerhalb dieser Gruppe ‚zivilisierter‘ Staaten die Unterscheidung in ‚kleinere‘ und ‚größere‘ Staaten gab, die den Zugang zur politischen Macht regelte und damit auch Einfluss auf die Debatte in der Öffentlichkeit hatte.348 An den Debatten wird klar, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Möglichkeiten des Rechts, Kriegführung zu limitieren, noch sehr beschränkt waren. Die Völkerrechtler waren daher darin einig, dass Konferenzen und Deklarationen, die zwischen Staaten ausgehandelt würden, der beste Weg seien, um die Kriegsgewalt zu beschränken, 345 346 347

348

Lewis, The birth of the new Justice, S. 17–22. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 12. Hierzu auch Bell, Duncan: Victorian Visions of global order. An Introduction, in: Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenth-century political thought (Ideas in context 86), hrsg. v. Duncan Bell, Cambridge, New York 2007, S. 1–25. Vgl. auch Kennedy, Duncan: Two Globalizations of Law and Legal Thought: 1850-1968, in: Suffolk University Law Review 36 (2003), S. 631–679. Varouxakis, Georgios: ‚Great‘ versus ‚small‘ Nations. Size and National Greatness in Victorian Political Thought, in: Victorian visions of global order. Empire and international relations in nineteenthcentury political thought (Ideas in context 86), hrsg. v. Duncan Bell, Cambridge, New York 2007, S. 136–158.

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denn so werde das moralische Gewissen der Öffentlichkeit für die Notwendigkeit einer Einhegung von Kriegsgewalt sensibilisiert.349 Der Traum von einem internationalen Strafgerichtshof schien manchen Juristen dabei die konsequenteste Umsetzung von ‚public conscience‘ zu sein, doch dieser Vorschlag fand nur wenig Echo. 3.3. Diplomatische Konferenzen, 1864–1907 Bislang wurde die Bedeutung der Öffentlichkeit in der transnationalen Vernetzung der epistemic communities, in der Medialisierung des Krieges durch die Presse und in der Gründung grenzübergreifender pazifistischer Zirkel nachgewiesen. Interessant ist nun der Transfer der im öffentlichen Diskurs entwickelten Argumente auf die politische Ebene mittels diplomatischer Konferenzen. Es ging dabei zunächst um eine Kodifizierung von Kriegsgewalt, die Regeln für den Umgang mit Kombattanten festlegte, übrigens eine bis zu den heute bekannten Genfer Konventionen von 1949 erprobte Methode.350 Im heutigen juristischen Sprachgebrauch spiegelt sich mit den unterschiedlichen Konferenzorten und den dort erzielten Ergebnissen auch die je unterschiedliche Herangehensweise an Sachthemen: Während die Geneva laws nicht verhandelbare Grundsätze umfassen, die vor allem Kriegsopfer schützen sollen, sind die Hague laws eher vage formuliert und spiegeln den Kompromiss sowie die Interessen der beteiligten Großmächte.351 Die Diskussionen auf den verschiedenen Konferenzen – unter ihnen am bekanntesten die Friedenskonferenzen in Den Haag von 1899 und 1907 – demonstrieren die Grenzen juristischen Engagements sowie die Schwierigkeiten, die sich ergaben, wenn juristische Konzepte auf die politische Realität trafen. Hier zeigt sich die Bedeutung des dritten Elements der Martens-Klausel: Erst durch Herstellung eines bestimmten Grads an Öffentlichkeit gelang es, juristische Vorschläge auf die politisch-diplomatische Ebene zu heben. Von den ersten Konventionen Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den beiden großen Friedenskonferenzen in Den Haag ist eine deutliche Zunahme des allgemeinen Interesses zu beobachten. Zwar wird immer wieder das Verdienst der Publizisten des 19. Jahrhunderts herausgestellt, nämlich dass durch die Bemühungen um Regulierung der Kriegsgewalt ein Triumph der Vernunft über die Barbarei errungen worden sei.352 Die Geschichte der Verrechtlichung wäre aber zutreffender als historische Fortsetzung meist wenig erfolgreicher politischer oder diplomatischer Versuche erzählt, die Kriegführung verbindlichen Regeln zu unterwerfen. Erst durch das Interesse der Öffentlichkeit an konkreter Ausgestaltung der Kriegsregeln, etwa im Umgang mit Verwundeten oder gegen die Gewalt gegen Zivilisten, entstand eine Dynamik in der Debatte. Die Öffentlichkeit wollte Themen an349 350 351 352

Best, Humanity in warfare, S. 145. Robertson, Crimes against humanity, S. 252. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 52. Pictet, Development and Principles of International Humanitarian Law, S. 49–58.

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gesprochen wissen, die zunächst nicht auf der Agenda der politisch-diplomatischen Akteure gestanden hatten. Auf den Inhalt der vielen unterschiedlichen Kodifizierungsversuche dieser Deklarationen ist in der Forschung bereits ausführlich Bezug genommen worden.353 Es ist jedoch gewinnbringend, die Konferenzen unter der Frage nach der Rolle der „dictates of the public conscience“ neu zu beleuchten. 3.3.1. Der Weg nach Den Haag Konferenzen wurden von der Gemeinschaft der Juristen als bedeutende Plattformen wahrgenommen, ihnen konnte quasi Recht setzender Charakter zukommen. So schrieb Bluntschli in der Einleitung seines Werks zum modernen Völkerrecht 1868: „Indem große völkerrechtliche Congresse der civilisirten Staaten zusammengetreten sind und ihre gemeinsame Rechtsüberzeugung in formulirten Rechtssätzen zu Protokoll erklärt haben, haben sie im Grunde dasselbe gethan, was der Gesetzgeber thut.“354

Doch, anders als erwartet, schufen diese Konferenzen keinesfalls neues Recht, waren doch viel zu viele politische und diplomatische Faktoren im Spiel, die die Einigung über Sachfragen erschwerten. Viele dieser Deklarationen blieben ohne bindenden Effekt, mussten sie doch erst in nationales Recht überführt werden, was teilweise Jahrzehnte dauerte. Konferenzen, so zeigte sich schnell, waren jeweils lediglich eine Reaktion auf das militärisch bereits Machbare und versprachen allenfalls vage, zukünftige Entwicklungen der Rüstung in die Beschränkung mit einzubeziehen.355 Zudem blieb der Kreis der Mitwirkenden durch die sehr selektive, eurozentrische Einladungspraxis der ersten Konferenzen sehr beschränkt, und die Akteure waren meist Politiker, Diplomaten und Militärs – und ausschließlich Männer. Die erste Konferenz zur Kodifizierung von Kriegsgewalt fand in Genf statt und verabschiedete am 22. August 1864 die „Rotkreuzkonvention“, die die Neutralität von Sanitätspersonal sowie den Umgang mit Verwundeten regelte.356 Ihr offizieller Titel lautete: Genfer Konvention „Zur Verbesserung des Loses der kranken und verwundeten Soldaten im Feld“.357 Die Definition der Zuständigkeit dieser ersten Genfer Konvention wurde mit einer Formel umschrieben, die in der Wortwahl die spätere Martens-Klausel vorwegnimmt und dabei insbesondere das Element der Öffentlichkeit unterstreicht: 353

354 355 356 357

Als Überblick sei hier nochmals verwiesen auf Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Noch immer grundlegend zu den Haager Konferenzen vgl. Dülffer, Jost: Regeln gegen den Krieg? Die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 in der internationalen Politik, Frankfurt 1978. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, als Rechtsbuch dargestellt, Einleitung (Brief an Lieber), S. IV. Robertson, Crimes against humanity, S. 253 schreibt: „In view of future improvements which science may effect in the armament of troops“. Lewis, The birth of the new Justice, S. 15. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 23. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 75.

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„The denunciation shall have effect only in respect of the denouncing Power. It shall in no way impair the obligations which the Parties to the conflict shall remain bound to fulfil by virtue of the principles of the law of nations, as they result from the usages established among civilized peoples, from the laws of humanity and the dictates of the public conscience.“358

Der Hinweis auf eine Motivation aus humanitären Gründen zog sich fortan wie ein roter Faden durch alle diplomatischen Deklarationen, die mit Kriegsgewalt zu tun hatten. Es zeigte sich, dass die Rhetorik sich auf moralische, universalistische Standards zurückzog, wenn keine konkrete Politik zum Nutzen des Nationalstaats formuliert werden musste, sondern überstaatliche Interessen verhandelt wurden, die jedoch keiner aus vollem Herzen zu unterstützen schien. 1868 kamen die Vertreter von 17 europäischen Staaten auf Einladung von Zar Alexander II. zur nächsten Konferenz in St. Petersburg zusammen – mit dem Ziel der Rüstungsbeschränkung. Insbesondere zielte man darauf ab, den Gebrauch bestimmter Waffen zu verbieten.359 Auch im Text dieser abschließenden Deklaration wurde auf die ‚requirements of humanity‘ als Referenzrahmen Bezug genommen: „[…] forbidding the use of certain projectiles in time of war among civilized nations, and that Commission, having by common agreement fixed the technical limits at which the necessities of war ought to yield to the requirements of humanity, the undersigned are authorized by the orders of their Governments to declare as follows, considering that the progress of civilization should have the effect of alleviating as much as possible the calamities of war“.360

Trotz aller humanitären Rhetorik über die durch bestimmte Waffen hervorgerufenen schweren Verletzungen („arms which uselessly aggravate the sufferings of disabled men“) war das Ergebnis in der Petersburger Deklaration ernüchternd, denn der Primat der militärischen Notwendigkeit blieb unangetastet. Die teilnehmenden Staaten Österreich-Ungarn, Baden, Bayern, Belgien, Brasilien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Italien, die Niederlande, Persien, Portugal, Preußen und die Staaten des Norddeutschen Bundes, Russland, Schweden, Norwegen, die Schweiz, das Osmanische Reich und Württemberg repräsentieren das monarchische Verständnis, das über Zugang zu solchen Zusammenkünften entschied. Die Teilnehmer konnten sich nicht einigen, Waffen wirksam zu verbieten, die eventuell noch in einem zukünftigen Konflikt nützlich sein würden. Der einzige Fortschritt war eine bindende Vereinbarung, die den Gebrauch von explosiven Geschossen verbot – einer 358 359 360

Art 63, zitiert nach Geneva Convention – 1864 – for the Amelioration of the Conditions of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field, http://www.un-documents.net/gc-1.htm [11.09.2015]. Solis, The law of armed conflict, S. 49. Zitiert nach Laws of War: Declaration of St. Petersburg; November 29 1868, http://avalon.law.yale. edu/19th_century/decpeter.asp [11.09.2015]. Ebenso Declaration Renouncing the Use, in Time of War, of Explosive Projectiles Under 400 Grammes Weight, Dec. 11, 1868, 138 Consol. T.S. 297, kurz ,,Petersburger Deklaration“, ist abgedruckt in Schindler/Toman, The laws of armed conflicts, S. 102– 103.

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Waffe, die bereits damals als nutzlos galt;361 in dieser Frage Konzessionen zu machen war somit leicht möglich. Die Verfasser der Petersburger Deklaration gaben den Ton für alle weiteren Deklarationen vor, über die in der Folgezeit verhandelt wurde. Es zeigte sich die Tendenz, dass nur Waffen mit vernachlässigbarem militärischen Nutzen verboten wurden, und die Neigung, schwierige Themen durch eine vage Rhetorik zu umgehen, mit nicht bindenden Erklärungen, die keinerlei praktische Einschränkung der Kriegführung bedeuteten. Von nun an gab es sozusagen durch die militärische Strategie gedecktes, notwendiges Leiden: Leiden, das, als „militärische Notwendigkeit“ verbrämt, legitim war. Robertson verweist auf einen weiteren Aspekt, der hinter den Kodifizierungsbestrebungen stand. So ging es keineswegs nur um humanitäre Erwägungen oder den Druck der Öffentlichkeit, sondern die Motivation entsprang auch ökonomischen Erwägungen. Es sei hinter den Kulissen darum gegangen, die Entwicklung hin zu immer teurerer Aufrüstung einzudämmen, insbesondere zu Giftgas und den neu erfundenen Sprenggeschossen. In diesem Sinne war die Konferenz von 1868 ein Treffen, das zwar die Humanität ins Feld führte, dahinter jedoch ökonomische Beweggründe verbarg, denn die Notwendigkeit ständiger Aufrüstung belastete die Staatskasse, insbesondere von kleineren Staaten, erheblich.362 Auf der Brüsseler Konferenz vom 27. August 1874 kamen Vertreter von 15 verschiedenen europäischen Großmächten zusammen, um konkretere Regeln für die Kriegführung auszuhandeln.363 Die Brüsseler Konferenz gilt als direkter Vorläufer für die späteren Verhandlungen über die Haager Landkriegsordnung von 1907.364 An der Teilnehmerliste ist erkennbar, dass die Zeit der Reichseinigung angebrochen war und nun statt der kleineren Königreiche der letzten Sitzung nur noch Nationalstaaten am Verhandlungstisch saßen: In Brüssel trafen sich Vertreter aus ÖsterreichUngarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, dem Deutschen Reich, Großbritannien, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Russland, Schweden, Norwegen, der Schweiz und dem Osmanischen Reich. Doch auch dieses Treffen zeigte, dass die Politik die zuvor von Juristen empfohlenen Entwürfe torpedierte, um Eigeninteressen zu schützen. Durch Verhandlungen im Vorfeld gelang es, kontroverse Themen auszuschließen, die auf der Agenda gestanden hatten: So hatte Großbritannien wissen lassen, es werde nur dann einen Vertreter entsenden, wenn das Thema des Seekriegs ausgeklammert bliebe, und London weigerte sich auch, über das Problem irregulärer Truppen zu verhandeln.365 361 362 363

364 365

Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 66–67. Robertson, Crimes against humanity, S. 252. Vgl. Text unter Brussels declaration 27 August 1874, Project of an International Declaration Concerning the Laws and Customs of War, https://www.icrc.org/ihl/INTRO/135 [11.09.2015]. Ebenso bei Schindler/Toman, The laws of armed conflicts, S. 27–29. Best, Humanity in warfare, S. 160–161. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 67.

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Dennoch gelang es den Delegierten, sich auf einen Minimalkonsens des Kriegsvölkerrechts zu einigen. Die Deklaration von Brüssel lehnte sich eng an den Lieber-Code an, dessen erste 47 Artikel sie quasi paraphrasierte. Insbesondere die Artikel 9–11 übernahmen Liebers Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten; andere Übereinstimmungen betrafen die Behandlung von Verwundeten, Kriegsgefangenen und Spionen.366 Die bereits sehr vagen Prinzipien der Konferenz von St. Petersburg wurden dabei bestätigt. Eine der konkreten die Kriegführung betreffenden Neuerungen war das Verbot der Bombardierung von unbefestigten, sogenannten „offenen“ Städten.367 Diese Regel spiegelt jedoch wiederum eher militärische Zweckmäßigkeit als humanitäre Beweggründe: Aus Sicht der Strategen war es sinnvoller, eine Stadt direkt (also ohne Bombardement) zu erobern; zudem war von unbefestigten Städten kein Widerstand mit gegnerischer Artillerie zu erwarten.368 Die Valenz von humanitären Argumenten unter den Teilnehmern war offenbar auf einem Tiefpunkt angelangt, was daran deutlich wurde, dass die Großmächte sich durchweg weigerten, die in Brüssel aufgestellten Regeln zu ratifizieren.369 Das Souveränitätsprinzip genoss gerade bei den neugeschaffenen Nationalstaaten höchste Priorität. Die frühen Versuche, das Kriegsrecht zu kodifizieren, zeigen, dass das Prinzip der militärischen Notwendigkeit Vorrang hatte: Immer dann, wenn humanitäre Ideale mit militärischer Notwendigkeit kollidierten, wurde offenbar, dass Letztere Priorität vor humanitären Erwägungen genoss. Die Folge war, dass jede Waffe und jede Taktik, die von irgendeiner Großmacht als notwendig oder als potentiell nützlich eingestuft wurde, von einer juristischen Regelung a priori ausgeschlossen wurde. Immer wenn es Versuche gab, diese Bereiche zu kodifizieren, endete dies in vorsätzlicher Unschärfe, die die „tragedy of codification“ bemänteln sollte, nämlich die „legalized subordination of humanitarian principles“, wie Jochnick bilanziert.370 Dies war die Ausgangslage am Vorabend der Haager Friedenskonferenzen. 3.3.2. Zwei „Friedenskonferenzen“ in Den Haag: 1899 und 1907 Die Haager Konferenzen von 1899 und 1907 sind wichtige Meilensteine im Prozess der Kodifizierung von Kriegsgewalt, der mit dem Lieber-Code begonnen hatte, und sie blieben für die Kriegspraxis bis weit ins 20. Jahrhundert bestimmend.371 Sie sind 366 367 368 369

370 371

Crowe, War Crimes, Genocide and Justice, S. 84–85. Schindler/Toman, The laws of armed conflicts, S. 29. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 67. Schindler/Toman, The laws of armed conflicts; Schindler/Toman, The laws of armed conflicts Auf S. 25 ist vermerkt: ,,since not all the governments were willing to accept [the agreement] as a binding convention it was not ratified.“ Zitat bei Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95., S. 68. Eyffinger, Arthur: The 1899 Hague Peace Conference. „the parliament of man, the federation of the world“, The Hague, Boston 1999. Solis, The law of armed conflict S. 51. Jochnick, Chris af/ Normand,

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als diplomatische Konferenzen, die eine enorme Öffentlichkeitswirkung mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung entfalteten, von großer Bedeutung, da sie internationalen Organisationen eine Plattform boten, die Diskussion aufzugreifen, zu kommentieren oder weiterzuentwickeln.372 Nicht von ungefähr trugen sie daher den Namen „Friedenskonferenzen“ im Titel, was sie auch begrifflich deutlich von ihren Vorgängern abhob. Anders als der Name suggeriert, ging es hier nicht um Regelungen nach einem Konflikt, sondern um eine generelle Debatte vor eventuellen zukünftigen Konflikten, Verhandlungen über den Krieg als Mittel der Politik, dessen Grenzen und das Festlegen von Regeln zur Einhegung von Kriegsgewalt. Mit den Friedenskonferenzen von Den Haag traten die Verrechtlichungsbestrebungen in eine neue Phase ein, die die Bedeutung des Begriffs ‚humanity‘ von einer eher moralischen auf eine politische Ebene hob. Die internationalen Friedensverbände entsandten Beobachterdelegationen, zudem waren weitere Nichtregierungsorganisationen vertreten (etwa die Interparlamentarische Union oder der Weltfrauenverband373). Es handelte sich daher zwar um diplomatische Konferenzen, jedoch wurden sie erstmals begleitet von zivilgesellschaftlichem Engagement oder anders formuliert (im Sinne der Martens-Klausel): Es waren Debatten unter den wachsamen Augen einer ‚public conscience‘. Insbesondere der Beitrag von Völkerrechtlern zu ihrer Vorbereitung und die für die damalige Zeit revolutionäre Agenda der Konferenzen sind erst in letzter Zeit in den Blick der Forschung geraten.374 Die Konferenzen blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück: Obwohl es in der Öffentlichkeit um die Wende zum 20. Jahrhundert starke und transnationale zivilgesellschaftliche Bewegungen gab, die die Eindämmung der Kriegsgewalt forderten, waren die meisten der souveränen Staaten, die in Den Haag neue Richtlinien festlegten, eher daran interessiert, ihre nationalen und militärischen Interessen zu schützen. Dass es überhaupt Ergebnisse gab, ist jedoch ein Zeichen dafür, dass das Souveränitätsprinzip nicht mehr absolut gesehen werden konnte und an einzelnen Punkten Spielraum möglich wurde. Heute fast vergessen ist, dass sich zumindest die Völkerrechtler der Versäumnisse, insbesondere der fehlenden strafrechtlichen Ahndung von Kriegsverbrechen, durchaus bewusst waren. In diesem Sinne wurde nach Beendigung der zweiten Konferenz 1907 eine dritte Haager Friedenskonferenz geplant, die für 1915 angesetzt war, jedoch wegen des Ersten Weltkriegs abgesagt wurde.375 Alternativ fand eine Weltfriedenskonferenz der Frauen statt. Es wird im Folgenden kurz angerissen, welche Regelun-

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375

Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. Hier S. 68. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 35. Rupp, Leila J.: Worlds of women. The making of an international women’s movement, Princeton, N.J. 1997. Für einen Überblick zur juristischen Forschung vgl. Keefer, Scott Andrew: Building the Palace of Peace. The Hague Conference of 1899 and arm’s control in the progressive era, in: Journal of the History of International Law 8/(1) (2006), S. 1–17. Eyffinger, Arthur: A highly critical Moment. Role and Record of the 1907 Hague Peace Conference, in: Netherlands International Law Review 54/(2) (2007), S. 197–228. S. 234–235.

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gen diese dritte Konferenz hätte umsetzen wollen, denn die Planungen waren weit fortgeschritten, und es wird herausgearbeitet, welche Akzente die Frauenkonferenz tatsächlich setzte. Schieds- und Vermittlungsfragen standen im Vordergrund der Haager Beratungen, zudem wurde deutlich, dass Arbitrage (Schiedsgerichtsbarkeit) zukünftig das bisherige diplomatische Krisenmanagement ersetzen sollte.376 Der russische Völkerrechtler Friedrich Martens, einer der Gründungsväter des Institut de Droit International, hatte im Vorfeld 1899 einen Vorschlag eingebracht, der auf eine schleichende Einführung von Schiedsgerichtsbarkeit auf Basis multilateraler Übereinkünfte zielte, die nicht als politische Verträge definiert werden sollten. Durch die Auflistung schon bestehender Organisationen, etwa im Postverkehr, die bereits transnationale Abkommen erzielt hatten, betonte Martens die Netzwerke internationaler Organisationen und deren Regelwerke. Bemerkenswert daran ist, dass diese Strukturen dadurch von einer diplomatischen Konferenz zur Kenntnis genommen wurden und so die grenzübergreifende, eher technische Kooperation in Sachfragen für die Staatengemeinschaft als alternative Form der Zusammenarbeit aufschien. In der Folge wurde dies zu einem Charakteristikum des internationalen Systems, wie Herren bilanziert. Das in der Forschung so oft beklagte Scheitern der Konferenzen ist daher zwar in Detailfragen bedauerlich, global gesehen aber war die Bilanz keineswegs düster, deuteten sich doch neue Formen internationaler Zusammenarbeit hier bereits an. Mit Friedrich Martens, dem Chefunterhändler der russischen Delegation, war einer der bekanntesten Völkerrechtler der Zeit an der Vorbereitung der Konferenz beteiligt. Martens war bereits im Zarenreich als Modernisierer in Erscheinung getreten und hatte wichtige völkerrechtliche Standardwerke verfasst. Er war von den hier propagierten Ideen zur Zivilisierung von Kriegsgewalt überzeugt und schon mehrfach als Vermittler in internationalen Schiedsgerichtsverfahren aufgetreten.377 Russland hatte aus Sicht der Völkerrechtler Modernisierungsbedarf – daher sind die völkerrechtlichen Impulse aus dem Zarenreich umso auffallender.378 Russland, obwohl eine der Großmächte der Zeit, wurde in vielerlei Hinsicht als ambivalent, manchmal sogar als rückständig betrachtet.379 Im Hinblick auf die rechtsgeschichtliche Perspektive auf ‚semi-peripheral states‘ war das Zarenreich daher einer der 376 377

378

379

Herren, Hintertüren zur Macht, S. 66–67 (auch im Folgenden). Mälksoo, Lauri: Friedrich Frommhold von Martens. (Fyodor Fyodorovich Martens) (1845-1909), in: The Oxford handbook of the history of international law, hrsg. v. Bardo Fassbender/Anne Peters/ Simone Peter, Oxford 2012, S. 1147–1151. Aust, Martin: Völkerrechtstransfer im Zarenreich. Internationalismus und Imperium bei Fedor F. Martens, in: Osteuropa 60/(9) (2010), S. 113–125. Zu völkerrechtlichen Impulsen aus dem Zarenreich vgl. Quigley, John B.: Soviet legal innovation and the law of the western world, Cambridge, New York 2007; Aust, Martin: Das Zarenreich in der Völkerrechtsgeschichte 1870 – 1914, in: Globalisierung imperial und sozialistisch. Russland und die Sowjetunion global 1851-1991, hrsg. v. Martin Aust, Frankfurt/Main 2013, S. 166–181. Zum Topos russischer „Rückständigkeit“ und Europa als Referenzpunkt für Reformen vgl. Beyrau, Dietrich/Čičurov, Igorʹ Sergeevič/Stolleis, Michael (Hgg.): Reformen im Russland des 19. und 20. Jahrhunderts. Westliche Modelle und russische Erfahrungen (Ius commune, Sonderhefte 86), Frankfurt am Main 1996. Aus russischer Perspektive vgl. Hildermeier, Manfred: Das Privileg der Rück-

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Staaten, die sich von der diplomatischen und juristischen Initiative einer Friedenskonferenz auf offener Weltbühne politische Vorteile erhofften durften. Die Regeln zur Kriegführung, die auf den beiden Haager Konferenzen entworfen wurden, sind das Fundament des modernen Kriegsvölkerrechts und werden von Völkerrechtlern als Triumph der Bemühung gesehen, den Krieg durch Recht zu zähmen.380 Unter den Haager Konventionen werden heute drei große Konventionen verstanden, die 1907 verabschiedet wurden: die (Haager) Landkriegsordnung (Convention with Respect to the Laws and Customs of War on Land), die Pazifikkonvention sowie die Adaption der Haager Landkriegsordnung für die Seekriegführung, meist kurz Marinekonvention genannt.381 Zunächst gab es nur Bestrebungen zur Regelung maritimer Konfliktfälle, die dann jedoch den Weg frei machten zur großen Haager Landkriegskonvention von 1907.382 Was die Öffentlichkeitswirkung der Konferenzen betrifft, ist es allerdings auffällig, dass es dort zwar um Regeln ging, die Ahndung von Verstößen aber nicht diskutiert wurde und insbesondere die humanitären Versäumnisse kaum thematisiert wurden, etwa die fehlende Ächtung des Bombenkriegs.383 Die kritischen Anmerkungen von Zeitgenossen wie Fauchille und Royse sind hier eine Ausnahme.384 Wie Dülffer betont, ging es in den beiden Konferenzen nicht darum, den Krieg als Mittel der Politik zu begrenzen, sondern vor allem um Abmilderung der Auswirkungen von Kriegsgewalt. Die Diskussionen zeigten, dass eher die Frage im Vordergrund stand, ob „eine schnelle Kriegsentscheidung, die durch alle Mittel herbeigeführt werde, nicht humaner sei als ein Verzicht auf möglicherweise siegverheißende Waffen.“385 Es handelte sich also nicht, wie der Name suggerierte, um eine Friedenskonferenz, denn in puncto friedenssichernder Maßnahmen war die Bilanz negativ. Es ging vor allem um Mitwirkung auf dem internationalen Parkett und das Bemühen, globale Probleme gemeinsam zu diskutieren und wenn möglich zu lösen. Die erste Haager Friedenskonferenz geht zurück auf eine Initiative des russischen Zaren; in einem Brief vom August 1898 lud der russische Außenminister Graf Michail Murawjow zu einer Konferenz ein, die Abrüstungsfragen besprechen sollte.386

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ständigkeit. Anmerkungen zum Wandel einer Interpretationsfigur der neueren russischen Geschichte, in: Historische Zeitschrift 244 (1987), S. 557–663. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 68. Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907. Die Konventionen sind auch abgedruckt unter Roberts, Adam/Guelff, Richard: Documents on the laws of war, Oxford, New York 3rd rev. ed.2000, S. 70. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 222. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 68. Fauchille, Paul: Le bombardement aerien, in: Revue General de Droit International Public 24 (1917), S. 56. Royse, M. W.: Aerial bombardment and the international regulations of warfare, New York 1928. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 334–336. Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907; Eyffinger, The 1899 Hague Peace Conference, S. 16.

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In seiner Einladung hatte Zar Nikolaus II. darauf verwiesen, er strebe mit der Konferenz danach, den Weltfrieden zu verbessern: „the most effectual means of insuring to all peoples the benefits of a real and durable peace, and, above all, of putting an end to the progressive development of all armaments […] This conference should be […] a happy presage to the century which is about to open.“387

Diese Einladung ist bemerkenswert im Sinne der dritten Komponente der MartensKlausel, der Forderung nach ‚public conscience‘. Das Zarenreich übernahm hier eine der Kernforderungen pazifistischer Kreise – die nach Rüstungsbeschränkung – und berief dafür eine internationale Konferenz ein, suchte also die öffentliche Debatte und womöglich Konsens.388 Als Begründung für den Vorstoß wurde nicht ein drohender Waffengang herangezogen, sondern lediglich der technische Fortschritt, der eine immer weitergehende Eskalation der Rüstung und finanzielle Belastung mit sich bringe und einen kommenden Krieg wahrscheinlich mache. Der russische Außenminister fügte eine Agenda bei, aus der hervorging, dass acht Punkte diskutiert werden sollten. Unter anderem wurde vorgeschlagen, Land- und Seestreitkräfte nicht weiter aufzurüsten, sondern auf dem momentanen Niveau ‚einzufrieren‘, ein Moratorium für die Entwicklung weiterer Waffentechnologien zu verabschieden, die Methoden der Kriegführung durch Regeln zu beschränken und einen internationalen Schiedsgerichtshof einzurichten, der Streitigkeiten regeln sollte.389 Das Zarenreich verband hier also moralische Argumente um ‚humanity‘ erstmals mit der politischen Ebene. Doch diese Zielvorstellung fand bei den anderen Großmächten wenig Widerhall – wohl aber bei den kleineren Staaten sowie in der sich herausbildenden Zivilgesellschaft. Die Initiative erhielt ungeheure öffentliche Aufmerksamkeit, schien sie doch einen Nerv getroffen zu haben. Der Zar wurde von Friedensorganisationen für seine Initiative gepriesen.390 Um Themen von globaler Bedeutung diskutieren zu können, musste man sich die Frage nach dem Kreis der Mitwirkenden stellen. In der Einladung reflektiert sich das internationale System der Zeit und ein stark eurozentrischer Ansatz. Zunächst 387

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Zitiert nach Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907, S. 15. Ausführlich hierzu Holls, Frederick W.: The Peace Conference at The Hague and its bearings on International law and Politics, London 1900. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 69; Tryon, James L.: The Hague Conferences, in: The Yale Law Journal 20/(6) (1911), S. 470–485. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 332; Keefer, Scott Andrew: Building the Palace of Peace. The Hague Conference of 1899 and arm’s control in the progressive era, in: Journal of the History of International Law 8/(1) (2006), S. 1–17. S. 9. Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907; Keefer, Scott Andrew: Building the Palace of Peace. The Hague Conference of 1899 and arm’s control in the progressive era, in: Journal of the History of International Law 8/(1) (2006), S. 1–17. S. 10. Amerikanische Friedensgruppen wie die Quäker, die Universal Peace Union und die American Peace Society riefen ihre Mitglieder dazu auf, bei der US-Regierung um Unterstützung für den russischen Vorstoß zu bitten, vgl. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49– 95., S. 70. Best, Humanity in warfare, S. 140.

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war die Einladung an alle diplomatischen Vertreter gerichtet, die am Zarenhof akkreditiert waren. Die Einladung kam überraschend, und nicht wenige Beobachter vermuteten dahinter ein Manöver Russlands, seine militärische Schwäche und seine Finanznot zu kaschieren.391 Insgesamt kamen am 18. Mai 1899 in Den Haag 100 Delegierte zusammen. Sie verstanden sich als Vertreter der „civilized nations of the world“ und waren global gesehen tatsächlich wichtige Entscheidungsträger, denn die Staaten, die sie repräsentierten, kontrollierten fast die gesamte Welt („controlled the resources and presided over the political destinies of three fourths of the human race“, wie ein zeitgenössischer Kommentar festhielt).392 Der Druck der positiven Erwartungen der Öffentlichkeit führte dazu, dass die meisten Delegationen sich bemühten, die Konferenz zumindest nach außen hin zu unterstützen, um nicht in der Presse als Störer des Weltfriedens gebrandmarkt zu werden. Auf der anderen Seite vermieden es die meisten Teilnehmer aber, konkrete Zusagen zu machen. Trotz der Zweifel an Russlands lauteren Absichten war allen klar, dass ein Scheitern nicht in Betracht kam. Der Chef der deutschen Delegation wird im Protokoll mit den Worten zitiert: „[W]e can, in regard to Russia, not allow the conference to end with an entire fiasco and must try to cover it with a peacefullooking cloak.“393 Auch in den USA wurde unterstrichen, dass der moralische Einfluss einer Konvention, wie sie mit der Friedenskonferenz angestrebt werde, kaum zu unterschätzen sei: „The importance and moral influence of the ratification of such a treaty can hardly be overestimated in the cause of advancing civilization.“394 Auch auf der Friedenskonferenz zeigte sich jedoch, dass das Paradigma vom ‚Zivilisationsstandard‘ über den Zugang zur Macht entschied, denn Diplomatie ist eines seiner fundamentalen Kriterien und setzt die implizite Akzeptanz des bekannten europäischen Staaatensystems voraus.395 Durch die Beschränkung ausschließlich auf souveräne Nationalstaaten wurde also eine erste Auswahl im Hinblick darauf getroffen, wer über die neuen Regeln mitentscheiden durfte. Allerdings waren nicht einmal alle 59 Nationen, die bis dahin Souveränität erlangt hatten, zur Konferenz eingeladen, sondern nur 26 Staaten; die Auswahl stellte also eine weitere Selektion dar.396 Von diesen waren 19 europäische Nationen, fünf asiatische und zwei ameri-

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Weiterführende Gedanken und Literatur hierzu bei Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 70. Jochnick zitiert den US-Delegierten Andrew D. White, der schrieb: ,,Among all these delegates acquainted with public men and measures in Europe, there is considerable distrust of the intentions of Russia; and, naturally, the weakness of the Russian Emperor is well understood, although all are reticent regarding it.“ Hull, William Isaac: The two Hague Conferences and their contribution to International Law, New York 1908, S. 12. Zitiert nach Davis, Calvin DeArmond: The United States and the Second Hague Peace Conference. American diplomacy and international organization, 1899-1914, Durham, N.C. 1975. S. 88. Zitiert nach Peace Conference at the Hague 1899: Instructions to the International (Peace) Conference at the Hague, http://avalon.law.yale.edu/19th_century/hag99-03.asp [11.09.2015]. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 37. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 70.

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kanische.397 Von den neun asiatischen Staaten, die damals souverän waren, waren nur China, Japan, das Osmanische Reich, Persien und Siam vertreten.398 Siam galt dabei als Überraschung, da König Chulalongkorn zwar ein persönlicher Freund des russischen Zaren war, das Land jedoch keinen diplomatischen Vertreter beim Zarenhof akkreditiert hatte. Von den sechs afrikanischen Staaten, die damals Souveränität beanspruchten, war keiner eingeladen, und von den 21 amerikanischen Republiken waren nur die USA und Mexiko gebeten worden. Brasilien wurde zwar eingeladen, hat jedoch die Teilnahme mit dem Hinweis abgelehnt, es unterhalte gar kein stehendes Heer.399 Die Anwesenheit bei wichtigen internationalen Konferenzen war für die aufstrebenden außereuropäischen Staaten sehr wichtig. Konferenzteilnahme – zum Beispiel in Den Haag 1899 und 1907, aber auch in Versailles 1919 – bewirkte für die „Anwärter“ auf Souveränität nicht automatisch die volle Anerkennung als „zivilisierter“ Staat, ebenete jedoch den Weg zu dieser. Teilnahme wurde auch von Völkerrechtlern positiv vermerkt; beispielsweise lobte der britische Jurist Thomas E. Holland, das Engagement der Vertreter Chinas, Persiens und Siams auf den Friedenskonferenzen hätte diese näher an den „inneren Zirkel“ der ziviliserten Nationen herangebracht, wenn nicht sogar ihre volle „Zivilisiertheit“ bestätigt.400 Die erste Haager Friedenskonferenz wurde dominiert von eigennützigen Manövern einzelner Staaten, die darauf abzielten, diejenigen Methoden der Kriegführung beizubehalten, in denen sie selbst führend waren, und nur diejenigen zu beschränken, die sie als weniger wichtig ansahen.401 Das größte Hindernis stellte das Souveränitätsprinzip dar, das eine wirksame Kontrolle aller Faktoren unmöglich machte. Um drei Bereiche wurde besonders gerungen: Beschränkungen des Bombenkriegs, Verbot bestimmter Waffen und allgemeine humanitäre Absichtserklärungen.402 Dabei litt die Konferenz generell darunter, dass die diplomatischen Vertreter sich keinesfalls utopischen Forderungen anschließen wollten, sondern dazu neigten, Detailfragen technischen Komitees zu übertragen, die meist aus Militärs bestanden, die sich wiederum auf die Formel verständigten, die angestrebte Rüstungsbeschränkung sei „technisch nicht machbar“. Keefer zieht die Bilanz: „The compartmentali397

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Teilnehmer waren Österreich-Ungarn, Belgien, Bulgarien, China, Dänemark, Frankreich, das Deutsche Reich, Großbritannien, Griechenland, Italien, Japan, Luxemburg, Mexiko, Montenegro, die Niederlande, Persien, Portugal, Rumänien, Russland, Serbien, Siam, Spanien, Schweden, Norwegen, die Schweiz, das Osmanische Reich und die USA, vgl. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 70. Die Aufschlüsselung der teilnehmenden Staaten folgt hier und im Folgenden Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 70. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 70. Zitiert nach Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 19. Royse, Aerial bombardment and the international regulations of warfare, S. 130–131. Keefer, Scott Andrew: Building the Palace of Peace. The Hague Conference of 1899 and arm’s control in the progressive era, in: Journal of the History of International Law 8/(1) (2006), S. 1–17. S. 12. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95., S. 72.

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zation of expertise in the Progressive Era reached its logical conclusion with an unquestioned decision by soldiers that the growth of armaments could be haltered neither by international law, nor political will.“403 Die Konferenz blieb hinter den Erwartungen von Friedensverbänden zurück, da zunächst allein eine Rüstungsbeschränkung für zukünftige Rüstungen anvisiert wurde. Dülffer hat in seinen Studien darauf hingewiesen, dass es in drei Teilbereichen nicht gelang, Übereinstimmung zu erzielen: erstens bei der Definition bestimmter Merkmale für einzelne Waffensysteme, die nicht zu überschreiten seien, zweitens in der quantitativen Begrenzung der Rüstung, etwa durch Limitierung des Budgets, und drittens beim Verbot des Einsatzes von Waffen, die als zukunftsträchtig galten (etwa im Luft-, Gas- und U-Boot-Krieg), aber noch nicht erprobt oder eingeführt waren.404 Einer der Gründe für das magere Ergebnis bestand darin, dass kaum praktikable bzw. politisch akzeptable Vorschläge vorlagen. Zudem war es fast unmöglich, alle Faktoren militärischer Stärke eines Staates zu erfassen und daraus einen angestrebten Mittelwert abzuleiten, bei dem die Rüstung „eingefroren“ werden sollte. Dennoch wurden in Den Haag bis heute gültige Grundsätze formuliert, etwa Artikel 22 der Fassung der Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1899 mit seiner Formulierung: „Die Kriegsführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl ihrer Mittel zur Schädigung des Feindes“.405 Artikel 23 betont das Verbot unnötigen Leidens durch Waffen („prohibiting the employment of arms, projectiles, or material of a nature to cause superfluous injury“). Der Absatz gibt jedoch keine Interpretationshilfe, was mit „unlimited means“ und „superfluous injury“ konkret gemeint war, und Jochnick hat zu Recht die Problematik dieser Formulierung aufgewiesen, die es den Kriegführenden erlaube, die Wahl der Mittel stets mit dem Hinweis auf militärische Notwendigkeit zu rechtfertigen.406 Die Idee des Schutzes von Zivilisten – eines der Kernthemen des Konzepts von crimes against humanity – stand noch kaum im Fokus. Royse bemerkte 1928 rückblickend zu der in den Haager Verhandlungen nicht erfolgten Regelung des Bombenkrieges: „The value of prohibiting materials that cause superfluous injury depends upon the agreement of the military authorities as to what implements or materials possess such a character. Unhappily, such authorities have not been of one mind.“407

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Keefer, Scott Andrew: Building the Palace of Peace. The Hague Conference of 1899 and arm’s control in the progressive era, in: Journal of the History of International Law 8/(1) (2006), S. 1–17. S. 15. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 332–333. Dülffer, Jost: Regeln im Krieg? Kriegsverbrechen und die Haager Friedenskonferenzen, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 35–49. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 74. Zitiert nach Royse, Aerial bombardment and the international regulations of warfare, S. 133.

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Die Haager Friedenskonferenz ist insbesondere wegen der der Deklaration vorangestellten Präambel, der bereits beschriebenen Martens-Klausel, in die Geschichte eingegangen. Durch sie wurden erstmals universalistische Ansprüche formuliert und eine Verbindung zwischen Völkerrecht und „Zivilisationsstandard“ sozusagen vertraglich festgeschrieben.408 Friedrich Martens wollte mit der nach ihm benannten Präambel eine Sackgasse begrifflich umgehen, in die sich die Konferenzteilnehmer nach einem Antrag Belgiens zu manövrieren drohten. Darin ging es um die Frage, inwiefern kleineren Staaten das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden werden solle, sollten sie angegriffen werden.409 Die Großmächte waren strikt gegen diese Klausel, fürchteten sie doch eine daraus resultierende legitimierte FranktireurBewegung, bei der sich Teile der Zivilbevölkerung eines besetzten Staates beteiligen würden.410 Die kleineren Staaten fürchteten, dass sie zum einen militärisch in der schwächeren Position wären, zum anderen aufgrund der Machtverhältnisse aber noch nicht einmal nach einem Konflikt auf Kompensation oder gar Sühne des Unrechts hoffen dürften. Die Martens-Klausel war insofern bedeutsam, als sie alle bisher noch nicht kodifizierten wie auch zukünftig noch zu erwartenden Übertretungen des Kriegsrechts rhetorisch geschickt in die Zuständigkeit und den Schutz der „Humanität“ legte.411 Zudem verknüpfte sie dies mit einer Rückbindung an das Gewohnheitsrecht der Nationen, mahnte also die Beachtung als Rechtsnorm an.412 In der Ära vor dem Ersten Weltkrieg war es so vorstellbar, dass in noch nicht kodifizierten Streitfällen Zivilisten durch die Martens-Klausel tatsächlich geschützt würden.413 Dieser Handlungsspielraum war jedoch ambivalent. So schreibt die Klausel zwar „die bisher als Teil des Völkergewohnheitsrechts geltenden Prinzipien der Menschlichkeit erstmals völkervertragsrechtlich fest. Die Frage, was genau darunter verstanden werden sollte, blieb aber weiterhin offen“, so Segessers Fazit.414

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Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 72. „The Second Hague conference ratified for a second time an appeal to ‚the principles of international law as they result from the usages established between civilized nations‘.“ Meron, Theodor: The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, in: The American Journal of International Law 94/(1) (2000), S. 78–89. S. 79. Crawford, Emily: The Modern Relevance of the Martens Clause, in: Yearbook of International Humanitarian and Refugee Law ISIL 6 (2006), S. 1–18. S. 18. Meron, Theodor: The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, in: The American Journal of International Law 94/(1) (2000), S. 78–89. S. 79. Zitiert nach Rensmann, Thilo: Die Humanisierung des Völkerrechts durch das ius in bello – Von der Martens’schen Klausel zur “Responsibility to Protect”, in: Zeitschrift für allgemeines öffentliches Recht 68 (2008), S. 111–128. S. 113. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 74. Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 229. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 588.

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Die Haager Konvention von 1899 verbot verschiedene Waffen sowie Plünderungen und Angriffe auf Zivilisten.415 Zudem wurde die Schaffung eines ständigen Schiedsgerichtsverfahrens beschlossen. Die erste Haager Erklärung von 1899 bedeutete, wie Robertson festhält, eine Einschränkung des Rechtes der Kriegsparteien, dem Gegner, mit welchen Methoden der Kriegführung auch immer, unnötiges Leid zuzufügen, und die Ächtung von Methoden, die als neu oder „dishonorable“ galten.416 Die Öffentlichkeit,417 insbesondere die Friedensverbände, reagierten mit Enttäuschung auf das magere Ergebnis der ersten Konferenz, hatten sie sich doch mehr erhofft.418 Die Londoner Times sprach 1899 gar von einer „Mogelpackung“: „The Conference was a sham and has brought forth a progeny of shams, because it was founded on a sham. We do not believe that any progress whatever in the cause of peace, or in the mitigation of the evils of war, can be accomplished by a repetition of the strange and humiliating performance which has just ended.“419

Allerdings zeigte sich, dass Völkerrechtler allein schon das Zustandekommen der Konferenz sowie erste Ergebnisse als Durchbruch empfanden. So gehörte etwa der Völkerrechtler Franz von Liszt im deutschsprachigen Raum zu den Multiplikatoren der Haager Ideen. Er bot schon 1901 in Berlin eine Vorlesung zu den Haager Vereinbarungen an und wurde von dem österreichischen Pazifisten, Völkerrechtler und späteren Nobelpreisträger Alfred H. Fried420 rezipiert. Das Besondere an Frieds Text ist das Nebeneinander von Vorlesungswiedergabe und Bericht über die Fragerunde, die nach der Vorlesung stattfand. In dieser Runde wurde Liszt genötigt, seine Stellungnahme zuzuspitzen, während gleichzeitig Fried eine Plattform geboten wurde. Wie Fried in seiner weitverbreiteten Zeitschrift Die Friedens-Warte beschrieb, ging Liszt von einem dreistufigen Entwicklungsmodell aus, an dessen Ende die Abschaffung des Krieges an sich stehen könne. Bisher sei man aber dabei, sich mit der zweiten Stufe, der Kodifizierung des Kriegsrechts, auseinanderzusetzen und Organe zur Mediation, wie etwa Schiedsgerichte, zu schaffen.421 Die Haager Friedenskonferenz 415 416 417

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Eine Analyse bei Ferencz, Benjamin B.: An international criminal court, a step toward world peace. A documentary history and analysis, Dobbs Ferry, N.Y. 1980, Vol. 1. S. 9–15. Robertson, Crimes against humanity, S. 253. Als Beispiel hierfür die Debatte in Deutschland, bei Dülffer, Jost: Citizens and Diplomats. The Debate on the First Hague Conference (1899) in Germany, in: Peace movements and political cultures, hrsg. v. Charles Chatfield/Peter van den Dungen, Knoxville 1988, S. 23–39. Für einen Presseüberblick vgl. Hull, The two Hague Conferences and their contribution to International Law S. 21–27. Zitiert nach Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 75. Fried war ein bedeutender Publizist und Pazifist und vertrat die Ansicht, Recht entstehe im Wesentlichen durch die Umwandlung von Gewalt, ein bis heute richtungsweisender Gedanke im Völkerrecht, vgl. Schlichtmann, Klaus: Friede als Rechtsordnung. Der Beitrag von Alfred Hermann Fried (1864—1921) zur Entwicklung des Völkerrechts, in: Die Friedenswarte 87/(2/3) (2012), S. 111– 118. S. 111. Fried, Alfred H.: Prof. Dr. von Liszt über die Friedensidee, in: Die Friedens-Warte 3/(5/6) (1901), S. 17–20. S. 18–19.

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bedeute den Beginn dieser zweiten Stufe, und die Einigung auf Kriegsregeln auf der einen und Schiedsgerichtsbarkeit auf der anderen Seite sei schon „ein außerordentlicher Fortschritt“. Die Friedensverbände täten gut daran, beide Teile als Ganzes zu sehen und die Kodifizierung der Kriegsregeln nicht rundheraus abzulehnen. Fried, der in der Vorlesung anwesend war und sich selbst zu Wort meldete, wandte ein, er sehe die „Ablehnung der sogenannten Humanisiserung des Krieges“ seitens der Friedensfreunde als eine Hinüberleitung direkt in die dritte Stufe; er erkannte jedoch an, dass die sofortige Beseitigung des Krieges nach wie vor etwas Utopisches an sich habe. Liszt fuhr in seiner Vorlesung fort, Versäumnisse zu beklagen, und kritisierte insbesondere, dass dem Haager Schiedsgericht der Charakter eines internationalen Schiedsgerichtshofs „vorenthalten worden“ sei (gemeint ist hier: von der Politik). Er bedauerte, dass dies „das Höchste“ gewesen sei, „was unter den gegebenen Umständen zu erreichen gewesen ist.“ Doch sei hier „eine neue Periode in der Entwicklungsgeschichte des Völkerrechts angebrochen“, so Liszt, gebe der neue Gerichtshof doch „der Gesamtheit der durch das Völkerrecht beherrschten Staaten in greifbarer Weise Ausdruck“. Fried resümierte, durch Liszts Ausführungen sei das von Moltke bekannte Zitat, der ewige Friede sei ein Traum, „wissenschaftlich widerlegt und damit die Grundsätze der Friedensbewegung legitimiert“. Mit dem Ausruf „Merkt euch das, Banausen!“ ließ Fried seine Kritiker wissen, dass die Entwicklungen allein der letzten Dekade das Engagement der Friedensverbände rechtfertigten, betrachte man die vielen Errungenschaften, die in der Zwischenzeit erreicht worden seien.422 Man kann daher zusammenfassen, dass die erste Friedenskonferenz dazu beitrug, die Erwartungen der Öffentlichkeit an weitere Konferenzen deutlich zu steigern. Die zweite Haager Friedenskonferenz 1907 geht zurück auf eine gemeinsame Anregung der USA, Italiens und Luxemburgs zum Ende der ersten Konferenz, wurde aber vor allem von den USA konkret vorbereitet, die vorschlugen, über Aspekte der Schiedsproblematik sowie unzulängliche Beschlüsse der ersten Konferenz erneut zu diskutieren.423 Zum einen spiegelten sich darin Entwicklungen auf dem amerikanischen Kontinent, insbesondere der Zusammenschluss der nord- und südamerikanischen Staaten in einem ständigen Konferenzsystem. Zum anderen war der Kreis der möglichen Teilnehmer globaler geworden. Mit dem Russisch-Japanischen Krieg von 1905 wurde beispielsweise evident, dass sich mit Japan eine neue Großmacht in Ostasien herausgebildet hatte, die nun ebenfalls Mitspracherechte einforderte. Die zweite Haager Konferenz wurde am 15. Juni 1907 eröffnet und kann als erstes internationales Gipfeltreffen vor der Ära des Völkerbunds beschrieben werden.424 Diesmal trafen 256 Delegierte aus 44 Staaten zusammen, erstmals vertreten waren 17 Staaten aus Lateinamerika. Wieder war die Einladung im Namen der Humanität 422 423 424

Fried, Prof. Dr. von Liszt über die Friedensidee, S. 20. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 337. Eyffinger, Arthur: A highly critical Moment. Role and Record of the 1907 Hague Peace Conference, in: Netherlands International Law Review 54/(2) (2007), S. 197–228. S. 197.

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ergangen, „in the interests of humanity and the ever progressive needs of civilization“.425 An der Einladungspraxis zeigte sich zwar die Erweiterung des Teilnehmerkreises, aber man kann mit Dülffer wohl eher von einem „europäisch dominierten Weltstaatensystem“ denn von einem tatsächlich internationalen Staatensystem sprechen.426 Es ist jedoch zu betonen, dass die Vorherrschaft der USA im interamerikanischen Staatenverbund keineswegs gegeben war, es sich also nicht um „eine Großmacht mit einer Klientel von kleineren Staaten in ihrem Gefolge handelte“, sondern dass, wie das Auftreten der lateinamerikanischen Staaten in Den Haag zeigte, hier selbstbewusste Nationen – insbesondere Brasilien, Argentinien und Chile – um die politische Führungsrolle konkurrierten. Umgekehrt muss auch betont werden, dass die USA für Europa einen besonderen Status besaßen und als Refernzgröße zählten; die Europäer erwarteten zwar nicht, dass sich die USA politisch oder militärisch in Auseinandersetzungen des europäischen Systems einmischen würden, doch ihr ökonomisches Gewicht und das von den USA ausgehende humanitäre Engagement gewannen zunehmend an Bedeutung. Verglichen mit der ersten Konferenz gab es eine noch stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit, die nicht nur durch die vielen Beobachterdelegationen erreicht wurde (hier ist neben den Friedensverbänden auch die Interparlamentarische Union zu nennen427), sondern auch durch eine institutionalisierte alternative Berichterstattung aufgebaut wurde: Der Journalist William Stead gab täglich in einem Bericht die Ergebnisse des Tages bekannt und machte es so der Öffentlichkeit möglich, nicht nur die letztlichen Resultate zu rezipieren, sondern in einer Art Chronik die Debatten nachzuvollziehen, noch bevor die jeweiligen nationalen Pressebüros ihre Verlautbarungen herausgegeben hatten.428 Das Ergebnis der zweiten Haager Friedenskonferenz waren verschiedene Regelwerke, darunter auch solche zum Schutz der Zivilbevölkerung, die in der berühmt gewordenen Haager Landkriegsordnung gefasst wurden. Enthalten war darin auch erstmals eine Liste mit Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht. Keine der Deklarationen bedeutete jedoch einen humanitären Durchbruch.429 Verboten wurden der Gebrauch von bestimmten Giftgasen, Angriffe auf Soldaten, die sich ergeben hatten, das Töten oder Verletzen von Feinden durch „heimtückische“ Waffen, die „unnötige Leiden“ verursachten, sowie Angriffe auf unbefestigte (= unverteidigte) Städte.430 Die kriegführenden Parteien verpflichteten sich, Krankenhäuser, Kirchen, Universitäten und historische Gebäude zu verschonen, „provided they are not being used at the time for military purposes“. Die Unterzeichnenden verpflichteten sich zudem auch, 425 426 427

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Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 71. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 337–338. Uhlig, Ralph: Die Interparlamentarische Union, 1889-1914. Friedensbemühungen im Zeitalter des Imperialismus, Stuttgart 1988; Mauermann, Helmut: Das Internationale Friedensbüro 1892-1950, Stuttgart 1990; Davis, The United States and the Second Hague Peace Conference. Stead, William T.: Courrier de la Conference de la Paix, La Haye 1907. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 75. Robertson, Crimes against humanity, S. 253.

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Kriegsgefangene „human“ zu behandeln, ohne genau zu definieren, wie diese Behandlung aussehen sollte. Neben der Haager Landkriegsordnung wurde auch eine Marinekonvention verabschiedet, die die Seekriegführung regelte und insbesondere den Gebrauch von Minen zur Störung der zivilen Schifffahrt verbot; zudem wurde das Bombardement von unbefestigten Häfen geächtet. Die Debatten waren jedoch sehr kontrovers. So einigten sich die Delegierten in Den Haag in der Frage des Verbots bestimmter Waffen nur auf das Verbot von dreien: Giftgas, Dum-Dum-Geschosse und von einem Ballon abgeschossene Munition.431 Wie wenig es wirklich darum ging, den Krieg zu „zivilisieren“, zeigt die Debatte um eine Ächtung der sogenannten Dum-Dum-Geschosse, die sich erst im Körper ausdehnen und schreckliche Verletzungen bewirken. Hier hatten sich amerikanische und britische Delegierte nicht nur geweigert, sondern offen den Versuch des Verbots als „Humanitätsgedusel“ verspottet: Man könne noch kein abschließendes Urteil fällen, da die Waffe noch nicht lang genug eingesetzt werde; den Vorwurf der Unmenschlichkeit habe es auch früher schon gegeben, und die damals beanstandeten Waffen würden inzwischen selbstverständlich eingesetzt, nämlich Torpedoboote und Gewehre.432 Großbritannien und die USA gaben zuletzt ein Minderheitenvotum ab, schlossen sich also dem Vorschlag nicht an.433 Die britische Argumentation muss vor dem Hintergrund des britischen Empire und der Kolonialkriege gesehen werden. Großbritannien ließ die Geschosse in Indien herstellen, um sie danach in den Kolonialkriegen in Afrika einzusetzen; London argumentierte, die Dum-Dum-Geschosse seien nötig, um den Widerstand der „Wilden“ zu brechen.434 In diesen Kontext gehört zweifellos aber auch der Kommentar eines japanischen Delegierten, der bemerkte, man habe sich in Japan nun an die westliche Interpretation von zivilisierter Kriegführung angepasst und gelernt, was genau damit gemeint sei: „We show ourselves at least your equals in scientific butchery, and at once we are admitted to your council tables as civilized men.“435 Meist ging es um Reglementierung von Waffensystemen, die bereits als überholt galten. Ein Beispiel dafür liefert die Debatte um die Ballon-Munition. Deren Verbot wurde zwar auf beiden Konferenzen diskutiert, allerdings hatte die Luftrüstung zwi431

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435

Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907, S. 214. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S 72. Zitiert nach Jochnick, Chris af/ Normand, Roger, The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War S. 73. Vgl. Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907. Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907, S. 343. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 73. Die britische Argumentationskette zeigt sich in einem Zitat von Sir John Ardagh: „In civilized wars a soldier penetrated by a small projectile is wounded, withdraws to the ambulance, and does not advance any further. It is very different with a savage. Even though pierced two or three times, he does not cease to march forward, does not call upon the hospital attendants, but continues on, and before anyone has time to explain to him that he is flagrantly violating the decision of the Hague Conference, he cuts off your head.“ Das Zitat stammt wahrscheinlich von 1898, vgl. Best, Humanity in warfare, S. 141.

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schen 1899 und 1907 deutliche Fortschritte gemacht, so dass 1907 bereits Flugzeuge in Planung waren. Das Verbot einer von Ballons abgefeuerten Munition war somit wirkungslos, denn es stand bald eine viel effizientere Waffe zur Verfügung.436 Dagegen gab es keine Einigung, den U-Boot-Krieg zu reglementieren, denn U-Boote galten (zumindest unter den Großmächten) als zukunftsträchtige Waffe, was aber niemand so deutlich sagte.437 Auch der Vorstoß kleinerer Staaten, den Luftkrieg Regeln zu unterwerfen, scheiterte am Desinteresse der Delegierten. So war mit dem in Artikel 25 festgelegten Verbot des Bombardements von ‚undefended towns‘ eigentlich gemeint, dass dieses Bombardement keinen militärischen Vorteil darstellte und daher unnötig sei. Durch die Nichtregelung (und durch die flexible Auslegung von Artikel 25) kam es zum fatalen Eindruck späterer Offiziersgenerationen auf beiden Seiten, die Luftkriegführung, etwa die Bombardierung ziviler Ziele, sei vom Völkerrecht nicht explizit verboten worden und somit erlaubt. Segesser verweist in seinen Studien darauf, dass auch der „im Anschluss an den Burenkrieg (1899–1902) vorgebrachte Wunsch nach einer engeren Umschreibung von militärischer Notwendigkeit“ zwar diskutiert wurde, aber ohne Ergebnis blieb.438 Auch gelang es nicht, über die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen zu sprechen, und dies „obschon die Vertragsstaaten sich im Jahre 1906 in der revidierten Genfer Konvention verpflichtet hatten, in ihre Militärstrafgesetzbücher strafrechtliche Sanktionen für Verstöße gegen diese Konvention aufzunehmen, falls solche nicht schon vorhanden waren, oder diese zu ergänzen, falls sie unzureichend waren.“ Dies führte dazu, so Segesser, dass die Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen die Regeln des ius in bello und damit auch gegen die Prinzipien der Menschlichkeit die bisherigen Codes der einzelnen Staaten blieben. Als besonders einflussreich erwies sich die abwartende bzw. in manchen Fragen obstruktive Haltung der USA, die noch keine klare politische Linie bezüglich ihres zukünftigen Engagements auf dem europäischen Kontinent gefunden hatten und daher zumeist in einer Beobachterrolle verharrten.439 Es zeigte sich deutlich die Suprematie des nationalen Rechts über angestrebte völkerrechtliche Regelungen. Die US-Delegierten Elihu Root und Robert Lansing betonten auch in späteren Ausführungen zum Thema ihre Auffassung, dass Ahndung von Kriegsgewalt eine Aufgabe der einzelnen Staaten sei.440 Louis Renault, Frankreichs führender Völkerrechtler und Delegierter auf beiden Friedenskonferenzen, bilanzierte rückblickend 1918, man sei über die Frage der strafrechtlichen Ahndung zu schnell hinweggegangen. Die 436 437 438 439 440

Vgl. den Kommentar auf der Seite des Roten Kreuzes (ICRC), unter https://www.icrc.org/ihl/ INTRO/160?OpenDocument [11.09.2015]. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 72–76. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 81. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 336. Lansing, Robert: Notes on World Sovereignty, in: American Journal of International Law 15/(1) (1921), S. 13–27. S. 25. Vgl. auch Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 81.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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Prioritäten hätten damals mehr bei der zivilrechtlichen Verantwortung gelegen (die individuelle Strafen nach sich zöge), nicht bei den völkerrechtlichen Fragen.441 Mit dem Vorstoß der deutschen Delegation, Reparationen im Völkerrecht festzuschreiben, wollte das Deutsche Reich in Den Haag seine Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen442 und aus der Außenseiterrolle heraustreten.443 Artikel 3 formulierte daher: ,,A belligerent party which violates the provisions of the said Regulations shall, if the case demands, be liable to pay compensation. It shall be responsible for all acts committed by persons forming part of its armed forces.“444 Es ist festzuhalten, dass Artikel 3 die HLKO-Staaten tatsächlich für die Handlungen der eigenen Soldaten verantwortlich macht: das heute noch gültige Konzept der state responsibility. Bei den Vergehen war allerdings eher an völkerrechtswidriges Requirieren von Eigentum in Feindesland gedacht, für das es eine Kompensation geben sollte, weniger an Kriegsverbrechen im engeren Sinne.445 Dass etwa Marinebesatzungen in Rettungsbooten beschossen oder Kriegsgefangene getötet werden könnten, wie es im Ersten Weltkrieg dann tatsächlich vorkam, ging über die zeitgenössischen Erwartungen noch weit hinaus. Pendas bilanziert, die Tatsache, dass als Strafmaßnahme für Verstöße nur Reparationen vorgesehen seien, deute darauf hin, dass die Haager Landkriegsordnung Kriegsverbrechen vor allem politisch verstand.446 Dies bedeutete, dass man keineswegs einen Strafgerichtshof anstrebte, um solche Verbrechen zu sühnen, sondern die Lösung eher im politischen Bereich, eben in Form von Reparationen, sah. Diese Politik spielte tatsächlich in Versailles 1919 die handlungsleitende Rolle. Doch warum hatte das Deutsche Reich überhaupt diesen Vorschlag eingebracht? Berlin wollte mit diesem Vorstoß auf die internationale Kritik antworten, die ein Handbuch für die Generalstabsausbildung 1902 provoziert hatte.447 In diesem Handbuch (Kriegsbrauch im Landkriege) war einleitend behauptet worden, alle Versuche des 19. Jahrhunderts, die Kriegsregeln zu zivilisieren, müssten als gescheitert angesehen werden; vielmehr reiche die ritterliche Verhaltensweise im Kriege aus, um das Verhalten der kriegführenden Parteien zu reglementieren.448 Zudem seien Repressionen die einzige Sprache, die der Gegner verstehe. Obwohl das Handbuch betonte, 441

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Lewis, The birth of the new Justice S. 17. Renault unterstrich 1918, dass er Strafverfolgung gegen feindliche Truppe während des Krieges eigentlich für gerechter halte als Repressionen – eine Idee, die bereits 1874 auf der Konferenz in Brüssel diskutiert worden war –, argumentierte jedoch, dass Repressionen in bestimmten Fällen erlaubt seien. Lewis, The birth of the new Justice, S. 18. Best, Humanity in warfare, S. 146, 176–179. Dülffer, Regeln gegen den Krieg? S. 348. Roberts/Guelff, Documents on the laws of war, S. 70. Dülffer, Jost: Regeln im Krieg? Kriegsverbrechen und die Haager Friedenskonferenzen, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 35– 49. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 35. Lewis, The birth of the new Justice, S. 18. Deutscher Generalstab, Kriegsbrauch im Landkriege, S. 2. Vgl. auch Förster, Stig: Dreams and Nightmares. German Military Leadership and the Images of Modern warfare, in: Anticipating total war.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

die Genfer Konvention von 1864 sei absolut bindend und Kriegsgefangene seien anständig zu behandeln, seien die auf der Haager Friedenskonferenz 1899 ausgehandelten Regeln für die Behandlung der Zivilbevölkerung „eher freiwillig“, aber nicht bindend.449 Das Handbuch für die Generalstabsausbildung vermerkte unmissverständlich, dass der Offizier verpflichtet sei, den Maßstab militärischer Notwendigkeit anzulegen und sich erst in zweiter Linie an „Fragen der Religion, der Zivilisation und der Ehre“ orientieren solle; von Recht war hier dezidiert nicht die Rede.450 Horne und Kramer haben in ihrer Studie zur deutschen Kriegsgewalt im Ersten Weltkrieg nachgewiesen, wie nachhaltig sich diese Gedanken in der Offiziersausbildung festsetzten und die Kriegführung im Ersten Weltkrieg negativ beeinflussten.451 Die beiden Haager Friedenskonferenzen müssen als Beleg für die Unfähigkeit der beteiligten souveränen Nationen gesehen werden, militärische Notwendigkeit als Handlungsprinzip zurückzudrängen.452 Es ging im Kern nicht um Ächtung des Krieges selbst, sondern um „Zivilisierung“ seiner Auswirkungen. Die Haager Konventionen konzeptualisierten militärische Gewalt als grundsätzliche Verletzung des Rechts, implizit im Auftrag der ,Zivilisation‘ selbst, und damit verbunden mit kompensatorischen, aber nicht strafrechtlichen Sanktionen.453 Restitutionsansprüche und die Pflicht zur Entschädigung waren aus politischer Sicht leichter durchzusetzen, als eine völkerrechtliche Übereinkunft zur Schaffung eines Gerichtshofs zu erzielen. Aus militärischer Sicht wurde die Debatte insofern als überflüssig betrachtet, als vor den jeweiligen Militärgerichtshöfen Individuen theoretisch ja bereits strafrechtlich belangt werden konnten. Dennoch muss es als Fortschritt gesehen werden, dass erstmals eine diplomatische Konferenz zu Sicherheitsfragen mit dem Ziel einer international bindenden Übereinkunft stattfand.454 Durch die Konferenz selbst zeigte sich ein neuer Mechanismus internationaler Politik. Wie schon bei früheren Konventionen setzte sich der Trend fort, das Prinzip der militärischen Notwendigkeit weiter aufrechtzuerhalten und keinesfalls zu beschränken. Die Gründe lagen sowohl in einem generellen Widerwillen der beteiligten Staaten, Beschränkungen souveräner Herrschaftsrechte anzuerkennen, als auch in wi-

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The German and American experiences, 1871 – 1914 (Publications of the German Historical Institute), hrsg. v. Manfred Franz Boemeke/Roger Chickering, Cambridge [u.a.] 2006, S. 343–376. Lewis, The birth of the new Justice, S. 18. Zitiert nach Deutscher Generalstab, Kriegsbrauch im Landkriege, S. 1–3, 9, 15, 25. Deutscher Generalstab, Kriegsbrauch im Landkriege. Horne, John/Kramer, Alan: German atrocities, 1914. A history of denial, New Haven, CT 2001, S. 148– 151. Dülffer, Jost: Regeln im Krieg? Kriegsverbrechen und die Haager Friedenskonferenzen, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 35– 49. S. 42. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 36. Keefer, Scott Andrew: Building the Palace of Peace. The Hague Conference of 1899 and arm’s control in the progressive era, in: Journal of the History of International Law 8/(1) (2006), S. 1–17. S. 16.

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derstreitenden Interessen zwischen den einzelnen Nationen in Details.455 Zeitgleich entwickelte sich der technologische Fortschritt im Bereich neuer Waffensysteme völlig ungehindert weiter.456 Die Debatten brachten keine nennenswerten Fortschritte für das Kriegsvölkerrecht.457 Die Überlegungen kreisten vielmehr um Ideen, die bereits in der Brüsseler Erklärung von 1874 und im Oxford Manual von 1880 gefasst worden waren. Im Ergebnis wurde die Ächtung vor allem gegenüber denjenigen Waffen und Kampftechniken ausgesprochen, die sich als weniger effektiv erwiesen hatten, wohingegen andere neue Technologien wie etwa die Luftrüstung und der Bombenkrieg sich völlig ungehindert weiterentwickeln konnten.458 Zudem hatte es keine Debatten um strafrechtliche Ahndung gegeben. Nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich, dass dies ein humanitäres Versagen der Haager Friedenskonferenzen war, das letztlich teuer bezahlt werden musste. Die Öffentlichkeit reagierte trotz Verabschiedung der Haager Landkriegsordnung und der Ankündigung einer weiteren Konferenz auf die Ergebnisse auch der zweiten Konferenz enttäuscht.459 Vertreter der Friedensbewegungen forderten, das Heft nun selbst in die Hand zu nehmen und die Haager Friedenskonferenzen zu einer regelmäßigen Konferenzserie zu machen. Kommentare von Diplomaten waren dagegen positiv. Der amerikanische Außenminister Elihu Root kommentierte 1907 mit Enthusiasmus: „the work of the Second Hague Conference […] presents the greatest advance ever made at any single time toward the reasonable and peaceful regulation of international conduct, unless it be the first Hague Conference of 1899.“460

Auch wenn eine Ratifizierung im US-Senat zunächst nicht gelang, ist doch hervorzuheben, dass die US-Vertreter in Den Haag Schiedsgerichtsbarkeit als gute Lösung ansahen und in der Folge während der Außenministerschaften von Elihu Root, dann Robert Bacon und zuletzt Philander C. Knox politisch stark propagierten.461 Unter Völkerrechtlern war man sich einig, den größtmöglichen Konsens ausgehandelt zu haben; die Enttäuschung der Öffentlichkeit sei dagegen auf deren „unrealistische Erwartungen“ zurückzuführen.462 Manche fanden, die Konferenz sei inzwischen zu groß geworden und damit schwer handlungsfähig – man müsse wieder 455 456 457 458 459 460 461 462

Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 69. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger, The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, S. 76. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 120. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 68. Scott, James Brown: The Work of the Second Hague Peace Conference, in: The American Journal of International Law 1/(2) (1908), S. 1–28. S. 26. Scott, The Hague Peace Conferences 1899 and 1907, S. iii. Davis, The United States and the Second Hague Peace Conference, S. 303. Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 75.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

zu Konferenzen kleineren Zuschnitts, etwa zwischen den acht Großmachtstaaten, zurückkehren.463 Kleinere Staaten wie Belgien und die Schweiz zogen eine ambivalente Bilanz. Zwar war es erstmals gelungen, Ansprüche auch auf der Weltbühne zu formulieren, die Ergebnisse im Bereich des Schiedsgerichtswesens perpetuierten jedoch die alten Machtverhältnisse. Durch die Ablehnung der Schiedsgerichtsklauseln stimmten, so Herrens Fazit, die kleineren Staaten letztlich gegen den Wandel, den sie selbst angemahnt hatten. Dennoch blieb ihre Gesamtbeurteilung der Haager Friedenskonferenzen verhalten positiv: als Möglichkeit zur „Präsentation von Alternativstrategien, als Beschreibung eines tiefgreifenden Wandels in den Außenbeziehungen unter der Voraussetzung eines für Diplomatenkonferenzen außergewöhnlich hohen Maßes an Öffentlichkeit.“464 Der Schriftsteller Josef Conrad, der sich bereits 1905 düster über die Neigung des internationalen Systems zum Kriegführen geäußert hatte,465 zeigte sich über das magere Ergebnis nicht überrascht. In seinem Tagebuch notierte er: „Never before has war received so much homage at the lips of men, and reigned with less disputed sway in their minds […] It has perverted the intelligence of men, women and children, and has made the speeches of Emperors, Kings, Presidents and Ministers monotonous with ardent protestations of fidelity to peace. Indeed, war has made peace altogether in its own image: a martial, over-bearing, war-lord sort of peace, […] eloquent with allusions to glorious feats of arms.“466

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Haager Konferenzen auf dem Gebiet der Konfliktlösung zwar enttäuschend waren, jedoch ein neues Instrumentarium internationaler Politik geschaffen worden war. Wie Herren hervorhebt, machen die Haager Friedenskonferenzen das Ende des bisherigen internationalen Systems und seiner Beschränkung auf die Politik der Großmächte augenfällig.467 Es ging in Den Haag um nichts weniger als den strukturellen Wandel der Außenbeziehungen, und die Konferenzen bestätigten den Einfluss nongouvernementaler Faktoren, etwa der Interparlamentarischen Union sowie der internationalen Friedensbewegung. Auch Davis bilanziert, es handle sich um „[the] first effort in modern times to give the world a veritable organization.“468 Die Haager Konventionen zeigen eine unüberwindbare Kluft zwischen individueller Gewalt und Staatshaftung (state liability). Dass bei der Ahndung von Massengewalt, die gleichermaßen von Individuen und von Staaten verübt werden konnte, die kriminelle und nicht die politische Verantwortung für Verbrechen in den Vor463 464 465 466 467 468

Hazeltine, M. W.: The Second Peace Conference, in: The North American Review 186/(625) (1907), S. 576–580. S. 580. Herren, Hintertüren zur Macht, S. 66. Conrad, Joseph: Autocracy and War, in: The North American Review 181/(584) (1905), S. 33–55. Zitiert nach Best, Humanity in warfare, S. 141. Herren, Hintertüren zur Macht, S. 65. Davis, The United States and the Second Hague Peace Conference, S. 4.

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dergrund gestellt wurde, konnte so erst in Nürnberg durchgesetzt werden.469 Denn die Behauptung der Haager Konvention, dass Staaten für das Handeln ihres militärischen Personals verantwortlich seien, schreckt gerade vor der Doktrin der state criminality zurück, und es wird kein Hinweis gegeben, dass der Staat selbst der ‚criminal actor‘ und Urheber der Gewalt sein könne, bilanziert Pendas. Die einzige strafrechtlich bindende Vereinbarung, die getroffen wurde, besagte, dass im Falle von Verstößen „Kompensationen“ gezahlt werden müssten, wodurch sich Reparationen zu einer symptomatischen Folge des Krieges und den Hauptanwendungsfall des Völkerrechts entwickelten. Die Doktrin der „Kriegsraison“ wurde zwar mit den Haager Friedenskonferenzen zurückgewiesen, setzte sich aber paradoxerweise im Ersten Weltkrieg trotzdem als Handlungsmaxime auf beiden Seiten der Front durch, wenn man in Betracht zieht, dass (wie etwa im deutschen Generalstabshandbuch von 1902) die meisten Kampftechniken mit ihrer Effizienz begründet, aber keinerlei humanitäre Argumente ins Feld geführt wurden. Jochnick urteilt: „The elasticity of the term ,military necessity‘ under the laws of war has enabled belligerents to legally justify virtually any conduct otherwise available to proponents of kriegsraison. International law scholars feared that kriegsraison would justify any military act a commander viewed as helpful rather than as actually necessary.“470

Mit der Umsetzung der neuen Regeln gab es jedoch die alten Schwierigkeiten. Obwohl die meisten europäischen Staaten und die USA die HLKO bis 1911 bereits in nationales Recht überführt hatten, leisteten die alten Eliten Widerstand dagegen, die neuen Regeln auch im Militärrecht zu verankern.471 Die Konflikte zwischen Diplomatie und Militär als Hütern der alten Ordnung einerseits und den Forderungen zwischenstaatlich agierender Akteure, wie etwa des Roten Kreuzes, andererseits waren damit vorprogrammiert. Diese Konflikte hatten sich schon während der Konferenz manifestiert. Viele Militärs hielten die ganze Konferenzidee für überflüssig. Sir John Fisher, während des Ersten Weltkriegs Oberkommandierender der britischen Marinestreitkräfte, hatte als Delegierter 1899 bilanziert: „The humanising of war! […] You might as well talk of humanising hell. When a silly ass at The Hague got up and talked about the amenities of civilised warfare and putting your 469

470 471

Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 36. „There remains a substantial gap between individual atrocity and state liability in the Hague Conventions. A fully legalist paradigm of mass atrocity and war crimes, one that stipulates the criminal, as opposed to political, liability for war crimes of both individuals and states is at most still inchoate.“ Jochnick, Chris af/ Normand, Roger: The Legitimation of Violence: A critical History of the Laws of War, in: Harvard International Law Journal Vol. 35/1 (1994), S. 49–95. S. 64. Vgl. hierzu z.B. Toppe, Andreas: Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland, 1899-1940, München 2008.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

prisoner’s feet in hot water and giving them gruel, my reply, I regret to say, was considered totally unfit for publication. As if war could be civilized! If I’m in command when war breaks out I shall issue my orders: ‚The essence of war is violence.‘, ‚Moderation in war is imbecility.‘ ‚Hit first, hit hard, and hit anywhere.‘“472

Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 war die Ratifizierung der Haager Landkriegsordnung daher noch nicht einmal in allen Staaten abgeschlossen, die an der Konferenz teilgenommen hatten. Die Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts hat das Problem also nicht gelöst, und ‚Kriegsraison‘ blieb ein elastisches Konzept in den Händen von Offizieren und Diplomaten. Die Frage von strafrechtlichen Konsequenzen wurde gar nicht diskutiert bzw. nicht in den Haager Konventionen niedergelegt.473 Nach wie vor stand das Souveränitätsprinzip dem entgegen, und alle Teilnehmer waren sich einig, dass es Aufgabe der souveränen Staaten sei, ihre eigenen Täter selbst zur Ordnung zu rufen oder vor Gericht zu stellen, so dass dafür keine internationale Gerichtsbarkeit geschaffen werden müsse.474 Zudem müssten bestehende Instrumentarien zur Konfliktlösung ausgebaut werden. Einer der Versuche, in Den Haag einen ständigen Gerichtshof aufzubauen, scheiterte jedoch daran, dass die Delegierten der Friedenskonferenzen sich erneut nicht einigen konnten, ob sein Urteilsspruch bindend wäre.475 Einen Nebeneffekt der Haager Zusammenkünfte stellte 1907 die Einrichtung eines International Prize Court dar, der sich mit Fragen der Beschlagnahmung von Schiffen und ihrer Ladung beschäftigen sollte, denn dies waren häufige Streitfälle zwischen Staaten; allerdings ratifizierte später keiner der Unterzeichnerstaaten dieses Abkommen.476 Die ersten Initiativen standen noch vor großen Widerständen. Abschließend lässt sich daher sagen, dass es zwar wenig konkrete Schritte zur Konfliktlösung gab, jedoch mit der Konferenz selbst ein neues Instrumentarium internationaler Politik geschaffen worden war, das die Frage der Schiedsgerichtsbarkeit nun ins Zentrum rücken sollte.

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Zitiert nach Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 28. Segesser verweist hier auf den Biographen Reginald H. Bacon, The life of Lord Fisher of Kilverstone, 2 Vol., London 1929, Vol. 1, S. 121. Dülffer, Jost: Regeln im Krieg? Kriegsverbrechen und die Haager Friedenskonferenzen, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 35– 49. S. 40–42. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 357. Lewis, The birth of the new Justice S. 19. Vgl. zur Debatte um den International Court auch Lauterpacht, Hersch: The Function of Law in the International Community, Oxford 1933, S. 51–60. Lewis, The birth of the new Justice, S. 20.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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3.4. Alternative Initiativen der Zivilgesellschaft zur Regulierung von Kriegsgewalt Eines der Hauptversäumnisse der Haager Landkriegsordnung war die fehlende strafrechtliche Komponente.477 Allerdings sollte eine geplante dritte Haager Friedenskonferenz, die in der Schlusssitzung der zweiten beschlossen worden war, genau dieses Problem diskutieren. Die Bedeutung der Diskussionen um eine dritte Haager Konferenz wurde durch den Kriegsausbruch bestätigt. Nachdem der Beginn des Ersten Weltkriegs die bereits für Frühsommer 1915 geplante dritte Friedenskonferenz in Den Haag obsolet gemacht hatte und zudem internationale Friedensbemühungen angesichts der Kriegseuphorie weiter Teile Europas ad absurdum geführt wurden,478übernahmen andere Organisationen die Idee zu einer internationalen Friedenskonferenz, zunächst verstanden als Forderung nach einem Ende der Kämpfe. Bemerkenswerterweise traten neue Akteure in die Arena, etwa die internationalen Frauenorganisationen und die Arbeiterbewegung. Zu nennen ist hier die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF),479, enstanden aus der Frauenwahlrechtsbewegung,480 sowie das International Labour Movement, die beide 1915 entsprechende Initiativen starteten. 3.4.1. Die geplante dritte Haager Konferenz Die bislang von der Forschung unterschätzte Vorbereitung der dritten Haager Friedenskonferenz erreichte eine im Vergleich zu 1899 und 1907 nochmals breitere Öffentlichkeit. In den Debatten um „Haag III“ fanden die unterschiedlichen Vorstellungen der Verrechtlichung kriegerischer Konflikte die volle Aufmerksamkeit der Allgemeinheit. Die Haager Konferenzen, so der Traum der Friedensverbände, ließen sich vielleicht zu einem stehenden Konferenzsystem ausbauen, das zukünftig in Konflikten als Schlichtungssystem fungieren könnte. Das Ziel der Friedensverbände war dabei eher ein System aus Schiedsgerichtsbarkeit (Arbitration), nicht der von Völkerrechtlern geforderte Strafgerichtshof, auch wenn es abweichende Debatten gab.481 Andere Gruppierungen forderten die Schaffung eines internationalen Straf477

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Dülffer, Jost: Regeln im Krieg? Kriegsverbrechen und die Haager Friedenskonferenzen, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 35– 49. S. 42. Lewis, The birth of the new Justice, S. 17. Vgl. Clark, Christopher M.: Sleepwalkers. How Europe went to war in 1914, London 2013. Hierzu ausführlich Wiltsher, Anne: Most dangerous women. Feminist peace campaigners of the Great War, London, Boston 1985. Generell hierzu als Einstieg Cooper, Sandi E.: Patriotic pacifism. Waging war on war in Europe, 18151914, New York 1991; Rupp, Worlds of women; Ziegler, Valarie H.: The advocates of peace in antebellum America, Macon, Ga. 2001. So bezweifelten amerikanische Friedensorganisationen wie etwa die American Peace Society und die Universal Peace Union, dass Schiedsgerichtsbarkeit ein aussichtsreicher Weg für Konfliktlösung sei. Vgl. Davis, The United States and the Second Hague Peace Conference, S. 326; vgl. auch Rietzler, Katharina: Experts for Peace. Structures and Motivations of Philanthropic Internationalism in

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

gerichtshofs und betrieben hierfür Lobbyarbeit in die Politik hinein, die jedoch wenig Wirkung zeigte. Utopische Erwartungen an eine dritte Konferenz wurden geäußert: Würde dies den Beginn einer politischen Staatenunion mit legislativen und exekutiven Machtbefugnissen bedeuten? Oder würde es bei einer diplomatischen Staatenkonferenz bleiben, die lediglich völkerrechtliche Empfehlungen aussprach, es aber den Staaten überlassen musste, diese auch umzusetzen? Der US-Delegierte James Brown Scott vertrat sehr klar die Einschätzung, dass eine Diplomatenkonferenz unter gleichberechtigten Partnern das Ziel sei, eine Union jedoch eine Utopie bleiben müsse, auch wenn der beschlossene Schiedsgerichtshof erste Ansätze eines supranationalen Gerichts erkennen lasse.482 Der deutsche Völkerrechtler Walther Schücking sah dagegen eine neue Ära anbrechen, die einen Palast des Rechts errichten werde.483 Er betonte damit nachdrücklich seine Vision von Juristen als wichtigsten Akteuren dieser neuen Ära. Scott hatte bereits 1908, in einer Retrospektive auf die beiden Friedenskonferenzen, an denen er als US-Delegierter teilgenommen hatte, eine Agenda für die geplante dritte Konferenz angerissen. Es solle zunächst eine internationale Vorbereitungskommission geben, so dass nicht nur die Konferenz, sondern bereits die Vorbereitung Frucht gemeinsamer Debatten sein konnte.484 Zwei Jahre vor der geplanten Konferenz, die nach bisherigem Muster mit acht Jahren Abstand stattfinden sollte, also 1913, würde die Vorbereitungskommission die verschiedenen Vorschläge nationaler Komitees zusammenführen und daraus eine Agenda erstellen. Zudem sollte das Vorbereitungskomitee eine Art Organisationsstruktur schaffen. Daraufhin riefen alle bisherigen Teilnehmerstaaten Vorbereitungskommissionen ins Leben. Zusammen mit dem niederländischen Komitee waren die USA federführend in der Organisation. Regelmäßig berichteten juristische Fachorgane über den Fortgang, so beispielsweise die Revue de Droit international et de Législation comparée 1911 in einem Aufsatz von M. C. van Vollenhoven.485 Van Vollenhoven war Teil der niederländischen Vorbereitungsgruppe, aus der später die Dutch International Law Commission hervorging und die zumeist aus den Delegierten der Konferenz von 1907 bestand; diese Gruppe formulierte 1913 die Grundsätze der geplanten Konferenz.486

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the Interwar Years, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 45–66. Scott, James Brown: Recommendation for a Third Peace Conference at the Hague, in: The American Journal of International Law 2/(4) (1908), S. 815–822. S. 821–822. Schücking, Walther: Das Werk vom Haag. Der Staatenverband der Haager Konferenzen Staatengerichtshofes, Berlin 1912. Einleitung (S. xi). Scott, James Brown: The Work of the Second Hague Peace Conference, in: The American Journal of International Law 1/(2) (1908), S. 1–28. S. 28. van Vollenhoven, M. Cornelis: Les préparatifs de la troisième Conférence de la Paix, in: Revue de Droit International et Législation Comparée 43 (1911), S. 79–85. Nederlandsch Internationaal-Rechtelijk Jaaroverzicht tot 1 Maart 1913, in: Grotius Internationaal Jaarboek (1913), S. 86–98. Ich danke Lisette Schouten für einen Hinweis auf diese Quelle.

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Neben Staaten waren jedoch auch erstmals zwei internationale Organisationen an den Vorbereitungen beteiligt, und zwar die Interparlamentarische Union und die International Law Association.487 Um Vorschläge zu erarbeiten, hatte sich im April 1912 ein Jahreskongress der Völkerrechtler mit dem Thema beschäftigt, allerdings zunächst ohne konkrete Punkte zusammenzutragen.488 Dafür reichte das Institut de Droit International einen Vorschlag ein, der die Vertretung des Instituts bei der zukünftigen Konferenz forderte; man wollte mit einem neunköpfigen Gremium vertreten sein, und zwar von den Mitgliedern Renault, (Edouard) Rolin-Jaequemuyns, de Bar, Fauchille, de Lapradelle, Holland, Fromageot, (James Brown) Scott und Westlake.489 All diese Männer waren, zum Teil seit Jahrzehnten, durch Publikationen und Vorträge hervorgetreten, die das Ziel hatten, das Völkerrecht weiterzuentwickeln, doch hatten die meisten damals keinen Zugang zu den Haager Friedenskonferenzen bekommen, da sie nicht zu den offiziellen nationalen Delegationen ihrer Länder gehörten. Dies sollte sich nun ändern, indem auf der dritten Konferenz neben Nationalstaaten auch Institutionen – sozusagen als Fachgremien – zugelassen würden. Diese Nominierung würde sicherstellen, dass die Völkerrechtler bei der dritten Konferenz auf jeden Fall ein Stimmrecht hätten und so die inhaltliche Diskussion voranbringen könnten. Dahinter stand der Gedanke, dass Fachleute gleichsam neutrale Abgeordnete seien und weniger Rücksicht auf nationale Politik nehmen würden. Auch hieran erkennt man die wachsende Bedeutung der internationalen Sphäre gegenüber der nationalstaatlichen, die bisher Konferenzen dieser Art bestimmt hatte. Die Amerikaner waren in der Vorbereitung der dritten Haager Friedenskonferenz sehr aktiv, allerdings gab es dabei eine Diskrepanz zwischen politischen und zivilgesellschaftlichen Strömungen. Nachdem 1913 Präsident Taft durch Präsident Wilson abgelöst worden war, erfolgte ein Politikwechsel, der sich 1919 in den Verhandlungen von Versailles deutlich manifestieren sollte.490 Die treibende Kraft in den USA waren dezidiert zivilgesellschaftliche Organisationen und Völkerrechtler, sozusagen das ‚public conscience‘ Amerikas. US-Präsident William H. Taft hatte als Reaktion auf den öffentlichen Druck der Friedensverbände im Juni 1912 ein Komitee zur Vorbereitung der dritten Friedenskonferenz ins Leben gerufen, das eine Agenda ausarbeiten sollte. J. Reuben Clarke, ein Rechtsanwalt aus dem State Department, war Vorsitzender, Militärstaatsanwalt General Enoch Crowder und Admiral Richard Wainwright Mitglieder.491 Es ist bemerkenswert, dass die Politik inzwischen bereit war, die Vorschläge aus den Reihen der Friedensorganisationen zu prüfen und für 487 488

489

490 491

La préparation pour la troisième conference de la Paix, in: Grotius Annuaire International (1914), S. 161–170. White, Henry/Collier, W. M./Ion, Theodore P.; Myers, Denys P.: The Organization and Procedure of the Third Hague Conference, in: Proceedings of the American Society of International Law at Its Annual Meeting (1907-1917), 6 (1912), S. 178–189. Rolin-Jaequemyns, Edouard: Le Programme de la Prochaine Conferènce de la Paix. Rapport fait à l’Institut de Droit International au nom d’une commission speciale, in: Revue de Droit International et Législation Comparée 43 (1911), S. 587–615. Hierzu vgl. Berg, Manfred: Woodrow Wilson: Amerika und die Neuordnung der Welt, München 2017. Davis, The United States and the Second Hague Peace Conference, S. 326.

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eigene Planungen zu verwenden. Umgekehrt muss hervorgehoben werden, dass die Friedensverbände, allen voran das neugegründete Carnegie Endowment for International Peace, in der Tat beträchtlichen Druck auf den US-Präsidenten ausübten, hier eine Führungsrolle zu übernehmen.492 3.4.2. Das Carnegie Endowment for Peace und die Balkankriege 1912/13 Friedensorganisationen wie das Carnegie Endowment for International Peace, 1910 ins Leben gerufen, fungierten als wichtige Brücke zur Politik.493 Insbesondere richteten sie den Blick auf Kriegsgewalt und Verbrechen an Zivilisten. Damit ist ihr Engagement eine der Voraussetzungen für die Herausbildung des Konzepts von crimes against humanity. Der Stifter des Endowment, der einflussreiche US-Industrielle Andrew Carnegie, wünschte mit der Organisation sein Credo zu unterstreichen, der Krieg sei kein Mittel der Politik und unter zivilisierten Staaten eigentlich nicht mehr zeitgemäß.494 Mit seiner Stiftung, aber auch durch die Schaffung von Orten des Austausches (beispielsweise durch den Bau des Peace Palace in Den Haag) beförderte er seine Kampagne für mehr Internationalismus und die Weiterentwicklung des Völkerrechts. Insbesondere sei es wichtig, die verschiedenen Argumente in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, damit sich diese ein Bild vom Stand der Verrechtlichung der Kriegsgewalt machen könne, unabhängig von Regierungsverlautbarungen. Eine der Schlüsselfiguren, der Rektor der New Yorker Columbia University, Nicholas Butler, bemerkte hierzu: „To promote the cause of international peace in a way that shall be lasting and effective means nothing less than to work for the intellectual and moral education of the public opinion of the world.“495 Erkennbar wird in dieser Phase die wachsende Bedeutung des dritten Elements der Martens-Klausel, der Öffentlichkeit, für Fortschritte in der Verrechtlichungsdebatte. Durch den Aufstieg von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Carnegie Endowment werde der Aufbau einer kritischen Öffentlichkeit zu einem Faktor, der in Zukunft politische Entscheidungen beeinflussen könne, so die Hoffnungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die Organisation wirkte damit nicht nur als Transmitter von Ideen, sondern vor allem als Verstärker von Debatten zur Zivilisierung von Kriegsgewalt. Durch die Schlüsselstellung von Völkerrechtlern und Politikern in der Führung des Carnegie Endowment (etwa James Brown Scott und Elihu Root, Letzterer seit 492 493

494 495

Dies wird besonders deutlich bei Mead, Edwin D.: United States and the Third Hague Conference, in: World Peace Foundation Pamphlet Series 1 (1913), S. 1–8. Rietzler, Katharina: Experts for Peace. Structures and Motivations of Philanthropic Internationalism in the Interwar Years, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 45–66. S. 46. Cooper, Patriotic pacifism, S. 82. Butler, Nicolas Murray: The Carnegie Endowment of International Peace, in: International Conciliation 2 (1912-1914), S. 3–14. S. 4.

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Gründung bis 1925 als sein Präsident) kam es zu einer Verzahnung der Interessen der bisher unverbundenen Akteursgruppen der Juristen und der Friedensaktivisten sowie vereinzelter Politiker.496 Zudem unterhielt das Carnegie Endowment unter dem Namen „Conciliation internationale“ ein europäisches Verbindungsbüro in Paris, dem der französische Diplomat Paul d’Estournelles de Constant vorstand, der in Paris ein Netzwerk aus Akademikern und Diplomaten um sich scharen konnte, die meisten von ihnen ihm freundschaftlich verbunden.497 Die Kommission bestand aus weiteren bekannten Völkerrechtlern und Journalisten, unter anderem Walther Schücking (Deutsches Reich), Josef Redlich (Österreich), Pawel Miljukow (Russland), Justin Godart (Frankreich), T. Dutton (USA) sowie Francis W. Hirst und H. N. Brailsford (Großbritannien).498 Damit hatte das Carnegie Endowment ein transnationales Netzwerk aus sehr unterschiedlichen zuverlässigen Akteuren geschaffen, insbesondere aus Presse und Wissenschaft, aber auch aus der Diplomatie. Es ging im Kern um nichts weniger als um die Etablierung einer Alternative zur bisherigen Politik der Nationalstaaten und um eine neue Stufe der Zivilisation selbst, die sich das Carnegie Endowment auf seine Fahnen geschrieben hatte. Wie Butler formulierte: „… a new and higher development of civilization, in which moral conviction and moral principles would take precedence over brute force, and in which cooperation and friendly helpfulness would thrust aside armed rivalry and threats of international violence.“499 Nicholas Butler war sich sicher, dass nur so das Prinzip der Nationalstaatlichkeit überwunden werden könne und der liberale Internationalismus sich durchsetzen werde, wenn er im Januar 1914 formulierte: „If the principle of nationality is to have superposed upon it a new structure of internationalism, the way must be prepared, through the evolution of institutions, juridical, legislative and administrative, to make this possible.“ Dafür müsse das Völkerrecht auf eine solide Grundlage gestellt werden und Wissenschaftler aus Rechtswissenschaften, Wirtschaft und Geschichtswissenschaft müssten global zusammenarbeiten: „[W]hether they are to be found in Europe, in Asia, or in the two Americas, [they] are at work in the prosecution of researches and studies for the Carnegie Endowment.“ Die daraus entstehenden Studien müssten genutzt werden zu einem „enlightenment of public opinion everywhere“, so Butler. Damit wurde umgehend begonnen. Eine extra zu diesem Zweck gegründete Abteilung des Carnegie Endowment war die „Division of Intercourse and Education“. Diese Abteilung, die in mehreren Haupt496

497 498

499

Rietzler, Katharina: Experts for Peace. Structures and Motivations of Philanthropic Internationalism in the Interwar Years, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 45–66. S. 46. Akhund, Nadine: The two Carnegie Reports. From the Balkan Expedition of 1913 to the Albanian Trip of 1921, in: Balkanologie 14/(1-2) (2012), S. 1–15., S. 3. Simic, Predrag: Balkans and Balkanisation. Western perceptions of the Balkans in the Carnegie Commission’s Reports on the Balkan Wars from 1914 to 1996, in: Perceptions 18/(2) (2013), S. 113–134. S. 119. Butler, Nicolas Murray: The Carnegie Endowment of International Peace, in: International Conciliation 2 (1912-1914), S. 3–14. S. 4–5 (auch im Folgenden).

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städten Büros unterhielt, beschäftigte sich mit Nachrichtengewinnung und Analysen und funktionierte „as any Foreign Office in the World“, so Butler. Ziel der Nachrichtengewinnung sei es zum einen, Interventionen zum Wohle des Friedens besser planen zu können, zum anderen, die internationale Öffentlichkeit zu bilden und ihre Sensibilität für diese Themen zu entwickeln. Butler sprach hier von „international mind“ und führte aus: „The international mind is nothing else than the habit of thinking of foreign relations and business, and that habit of dealing with them, which regard the several nations of the civilized world as friendly and cooperating equals in aiding the progress of civilization, in developing commerce and industry, and in spreading enlightenment and culture throughout the world.“500

Für Butler war „international mind“ aus der Friedensbewegung sowie den beiden Friedenskonferenzen hervorgegangen, „to redefine rules and regulations in international policy, in order to transcend nationalism viewed as an outdated stage.“501 Butler war sich hier mit dem Präsidenten des Carnegie Endowment, Elihu Root, einig, der geäußert hatte: „[T]he public opinion of the world is the true international executive power“.502 Ein zentrales Anliegen des Carnegie Endowment sollte die Analyse der Auswirkungen von Kriegsgewalt auf Zivilisten werden.503 Aufgerüttelt durch Berichte über Kriegsverbrechen während des Balkankrieges von Oktober 1912 bis August 1913 (genau genommen waren es zwei Kriege), hatte das Carnegie Endowment auf Vorschlag von Nicholas Butler eine Untersuchungskommission eingesetzt. Erklärtes Ziel der Kommission sollte es sein, „to establish the truth about the massacres and atrocities“.504 Butler war sich sicher: „The report will make a profound impression on public opinion and […] exert a notable influence in deterring men and governments from the like struggle in the future.“505 Erstmals trat hier eine Nichtregierungsorganisation auf den Plan und positionierte sich durch Entsendung einer Delegation ins Kriegsgebiet in der Arena der internationalen Politik.506 Neu war die Intervention einer Organisation, die von keiner der Großmächte ein Mandat hatte, sondern als eigenständiger Akteur in das Ge500

501 502 503 504 505 506

Butler, The Carnegie Endowment of International Peace S. 6. Dieser Gedanke wird ausführlich dargelegt in Butler, Nicolas Murray: The International Mind. An argument for the Judicial Settlement of International Disputes, New York 1912. Akhund, Nadine: The two Carnegie Reports. From the Balkan Expedition of 1913 to the Albanian Trip of 1921, in: Balkanologie 14/(1-2) (2012), S. 1–15. S. 10. Zitiert nach Butler, The International Mind, S. 41. Akhund, Nadine: The two Carnegie Reports. From the Balkan Expedition of 1913 to the Albanian Trip of 1921, in: Balkanologie 14/(1-2) (2012), S. 1–15. S. 2. Zitiert aus einem Brief von Butler an d’Estournelles, 21.7.1913, nach Akhund, The two Carnegie Reports, S. 3. Butler, Nicolas Murray: The Carnegie Endowment of International Peace, in: International Conciliation 2 (1912-1914), S. 3–14. S. 8. Akhund, Nadine: The two Carnegie Reports. From the Balkan Expedition of 1913 to the Albanian Trip of 1921, in: Balkanologie 14/(1-2) (2012), S. 1–15. S. 3.

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schehen eingriff; hierin kündigten sich politische Muster der Völkerbundära nach 1919 bereits an. Ebenfalls neu war, dass Butler von New York aus die Presse während der ganzen Reise der Delegation mit Details über die Verbrechen auf dem Balkan versorgte und dadurch das Interesse der Öffentlichkeit auf einem konstant hohen Level halten konnte.507 Butler war bewusst, dass die rasche Veröffentlichung nach Ende der Reise die größtmögliche Wirkung haben würde („the psychological moment, both here and abroad, should not be missed“). Doch dies scheiterte an Verzögerungen bei der Manuskriptfertigstellung durch einzelne Autoren sowie an Übersetzungsproblemen und dem langen Postweg zwischen Paris und New York.508 Die Kommission veröffentlichte daher erst im Mai 1914 einen Bericht, der in sieben Kapiteln die Kriegsgewalt gegenüber Zivilisten beschrieb. In ihm wurde das ganze spätere Vokabular zur Beschreibung von Kriegsverbrechen bereits vorweggenommen: ‚war of extermination‘, ‚deportation‘, ‚campaign of murders‘, ‚torture of war prisoners‘, ‚violence against women and children‘, ‚refugee camp‘. Baron d’Estournelles stellte in seiner 25-seitigen Einleitung klar, dass das Leid der Zivilisten auf dem Balkan aus Sicht des Carnegie Endowment vermeidbar gewesen wäre: „The real culprits in this long list of executions, assassinations, drownings, burnings, massacres and atrocities furnished by our report are not, we repeat, the Balkan people. […] The real culprits are those who, by interest or inclination, declare that war is inevitable, and by making so, assert that they are powerless to prevent it.“509

Hierin bündelt sich das gesamte Credo des Carnegie Endowment. Betrachtet man den Balkanbericht zudem im Kontext der schleppenden Vorbereitungen für die dritte Haager Friedenskonferenz, so erhält man den Eindruck, das Carnegie Endowment habe zu Jahresbeginn 1914 nach einer alternativen Plattform gesucht, um die Botschaft des Gewaltverzichts und der Ächtung des Krieges in der Öffentlichkeit zu wiederholen. Butler hatte nämlich kurz vor Veröffentlichung des Balkanberichts, im Januar 1914, kritisiert: „There is no visible evidence that any government or responsible statesman is taking any interest in the preparations of the Third Hague Conference which should be called to meet in 1915“, und dies auf innenpolitische Schwierigkeiten in den USA zurückgeführt, die offenbar dringendere Probleme (etwa die Kontroverse um den Panamakanal) zu lösen hatten.510 Mit dem Kommissionsbericht ergab sich nun die Chance, zwar nicht das Völkerrecht oder konkret die Verrechtlichung voranzutreiben, aber die Weltöffentlichkeit für Kriegsgewalt gegen Zivilisten zu sensibilisieren, wenn nicht sogar selbst zu einem Akteur in internationalen Beziehungen zu machen – ein erster Schritt in Richtung des Konzepts von crimes 507 508 509

510

Akhund, The two Carnegie Reports S. 10. Zitat nach Akhund, The two Carnegie Reports. S. 5. Zitiert nach Simic, Predrag: Balkans and Balkanisation. Western perceptions of the Balkans in the Carnegie Commission’s Reports on the Balkan Wars from 1914 to 1996, in: Perceptions 18/(2) (2013), S. 113–134. S. 120. Butler, Nicolas Murray: The Carnegie Endowment of International Peace, in: International Conciliation 2 (1912-1914), S. 3–14. S. 13.

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against humanity, aber auch in Richtung der humanitären Intervention als Mittel politischer Einflussnahme.511 Es war offensichtlich, dass Butler dem ‚public conscience‘ hier eine neue, aktivere Rolle zugedacht hatte, als sie die Martens-Klausel angesprochen hatte, eben die Herausbildung des ‚international mind‘ eines Akteurs. Für die generalstabsmäßige Beeinflussung der öffentlichen Meinung spricht auch die vergleichsweise große Verbreitung des Berichts, der im Mai 1914 simultan auf Englisch und Französisch erschien und eine Auflage von 20.000 Exemplaren hatte.512 Flankiert wurde die Veröffentlichung von diversen Pressemitteilungen und Interviews Butlers. Der Bericht kam zu dem Schluss, beide Seiten hätten die Regeln der Haager Landkriegsordnung missachtet; er sprach die Empfehlung aus, für die Zukunft eine permanente internationale Kommission einzurichten, die Verstöße in Kriegen überwachen und regelmäßig öffentlich Bericht erstatten solle.513 Die Bedeutung des Balkanreports wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wenige Monate später jedoch deutlich geschmälert. Einer der wenigen Kommentatoren, die den Bericht würdigten, Theodore S. Woolsey, sah den Vorschlag als naiv an und formulierte: „That an investigating committee can humanize war by reports upon past savagery or criticism of present brutality, involves a childlike credulity.“514 Dennoch ist rückblickend festzuhalten, dass der Carnegie-Report angesichts der Zeitumstände außergewöhnlich und seiner Epoche weit voraus war,515 da er zum einen Verbrechen nicht nur beschrieb, sondern Schuldige klar benannte und damit zum anderen mit seiner Forderung nach Ahndung auf die Bedeutung der justizförmigen Regulierung von Kriegsgewalt hinwirkte. Einen anderen Ansatz verfolgte die internationale Arbeiterbewegung. Sie kam direkt im Anschluss, vom 1. bis 5. Mai 1915, zu einem Kongress in Browning Hall, London, zusammen. Beide Kongresse, der Frauen wie der Arbeiter, nutzten so augenscheinlich den ursprünglich für die dritte Haager Friedenskonferenz anvisierten Termin, um größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Organisiert wurde das Zusammentreffen von Arbeiterführern wie Émile Vandervelde (Belgien), Einar Li (Norwegen) und Jean Longuet (Frankreich). Die Delegierten forderten, medienwirksam in einer eigens gedruckten Broschüre unter dem Titel „Together at Last“, die Friedenskonferenz trotz des Krieges abzuhalten, aber von Europa in die 511

512 513 514

515

Vgl. hierzu Klose, Fabian (Hrsg.): The emergence of humanitarian intervention. Ideas and practice from the nineteenth century to the present (Human rights in history), Cambridge, UK 2016; Simms, Brendan/Trim, D. J. B.: Humanitarian intervention. A history, Cambridge 2013. Akhund, Nadine: The two Carnegie Reports. From the Balkan Expedition of 1913 to the Albanian Trip of 1921, in: Balkanologie 14/(1-2) (2012), S. 1–15. S. 10. Carnegie Endowment for International Peace: Report of the International Commission to Inquire into the Causes and Conduct of the Balkan Wars, Washington, D.C. 1914. Zitiert nach Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 358. Akhund, Nadine: The two Carnegie Reports. From the Balkan Expedition of 1913 to the Albanian Trip of 1921, in: Balkanologie 14/(1-2) (2012), S. 1–15. S. 5.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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USA zu verlegen.516 Als Maßnahme gegen kriegerische Expansion sei ein sofortiger Wirtschaftsboykott gegen das betreffende Land einzuleiten sowie eine Art supranationale Eingreiftruppe zu schaffen, die Ordnung herstellen würde. Diskutiert wurde eine Art globaler Generalstreik, um die Regierenden zur Vernunft zu bringen („a world-wide agitation“).517 Eine der zentralen Forderungen war, den Krieg mit sofortiger Wirkung zu beenden. Dafür müsse die geplante dritte Haager Friedenskonferenz, die ja bereits vorbereitet sei, tatsächlich noch einberufen und Krieg ein für alle Mal abgeschafft werden: „Now is the time to make an appeal to the conscience of mankind to adopt the methods that Providence has plainly put in our hands, and bringing to an end the long disgrace of War!“518

Zudem nahm die Resolution der Arbeiterbewegung Bezug auf die Schlusserklärung der Weltfrauenkonferenz und schloss sich deren Forderung nach Schiedsgerichtsbarkeit an.519 Flankierend wurde eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit und insbesondere des Studienaustausches und der Weiterbildung beschlossen; so sollte es Seminare geben, in denen über Außenpolitik, aber auch über andere aktuelle Fragen informiert würde, um den Teilnehmern die Kompetenz dafür zu geben, zukünftig noch besser mitreden zu können.520 3.4.3. Die Weltfriedenskonferenz der Frauen (1915) Das wissenschaftliche Bild von Frauen als Akteurinnen einer kriegsvermeidenden bzw. friedenerhaltenden legalistisch motivierten Politik ist bisher unterbelichtet geblieben und wird in dieser Arbeit bewusst in den Kontext der Genese des Konzepts „crimes against humanity“ gestellt. Eine Dekade vor Gründung des Völkerbunds taten auch die Weltfrauenverbände einen ersten Schritt in Richtung Verrechtlichung und Friedensssicherung, indem sie für Mai 1915 einen „World Women’s Congress for Peace“ in Den Haag einberiefen, nachdem klar geworden war, dass die offizielle dritte Haager Konferenz abgesagt werden würde.521 Im Zentrum der Initiative stand die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF),522 die aus der Frau516

517 518 519 520 521 522

Vgl. das Pamphlet des Kongresses bei Johnson, Joseph: Together at Last. The international Reconciliation of Labour and Religion, by seven Leaders of the International Labour Movement, London 1915, S. 71. Johnson, Together at Last, S. 72. Johnson, Together at Last, S. 74. Johnson, Together at Last, S. 80. Johnson, Together at Last, S. 81. Lembke, Ulrike: Der Frauenfriedenskongress 1915 – auch ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus als Völkerrechtsidee, in: Archiv des Völkerrechts 53/4 (2015), S. 424–460. Costin, Lela B.: Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women, in: Women’s Studies International Forum 5/(3/4) (1982), S. 301–315. Wiltsher, Most dangerous women.

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enwahlrechtsbewegung hervorgegangen war und ihrerseits mit Friedensverbänden verbunden wurde.523 Wie schon an der Initiative des Carnegie Endowment wird hieran deutlich, dass transnational agierende Friedensverbände, insbesondere die Frauenverbände, sich anschickten, das Vakuum zu füllen, das die diplomatische Ebene in Den Haag nicht hatte füllen können und aufgrund dessen das Problem der Kriegsgewalt noch immer unreguliert blieb, so dass es keine Regeln zur Sanktionierung gab, als erneut ein militärischer Konflikt ausbrach. Die Women’s Peace Party, gegründet in den USA, beschloss, anstelle der geplanten dritten Haager Friedenskonferenz eine Zusammenkunft der weiblichen Delegierten in Den Haag abzuhalten, die im Mai 1915 stattfinden sollte. Diese Konferenz ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Erstens trafen hier erstmals Frauen aus allen Teilen der Welt zusammen, um für zuvor formulierte Ziele (hier: den Weltfrieden) einzutreten524 – wofür sie von den zumeist männlichen Kommentatoren sowie Politikern verspottet und an den Rand gedrängt wurden. Zweitens sind die geäußerten Forderungen nach Schiedsgerichten sowie Friedenserziehung als Prävention gegen Kriegsgewalt in der Rückschau auffallend modern. Drittens begnügten sich die Delegierten nicht mit der Verbalisierung der Forderungen, sondern reisten persönlich und mitten im Krieg zwischen den kriegführenden Nationen hin und her, um ihre Ideen publik zu machen. Frauen schufen mit ihrer Initiative während des Krieges einen „third space“, eine Art alternative Plattform, auf der Debatte und Austausch zur Verrechtlichung von Kriegsgewalt möglich waren. Geplant war die Konferenz als Kombination der Ziele des Pazifismus und des Feminismus, neben Schiedsgerichtsbarkeit stand auch die Erziehung zukünftiger Generationen zu einem friedlichen Miteinander der Nationen auf dem Forderungskatalog.525 Viele der Aktivistinnen kamen aus der Wahlrechtsbewegung für Frauen (Suffragists), etwa die Britin Emmeline Pethick-Lawrence oder die Ungarin Rosika Schwimmer, und verbanden sich mit bekannten Friedensaktivistinnen, beispielsweise den Amerikanerinnen Jane Adams und Julia Grace Wales, Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg aus Deutschland, Eugénie Hamer und Marguerite Sarter aus Belgien, Aletta Jacobs aus Holland und Chrystal Macmillan aus Schottland, die alle führend in den Friedensbewegungen ihrer Länder tätig waren.526

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Cooper, Patriotic pacifism; Rupp, Worlds of women; Ziegler, The advocates of peace in antebellum America. Die Rolle von Frauen in der Debatte zur Verrechtlichung und Verhinderung von Kriegsgewalt findet in den letzten Jahren vermehrt die verdiente wissenschaftliche Aufmerksamkeit, als Einstieg hier Björkdahl, Annika/Buckley-Zistel, Susanne (Hgg.): Spatialising Peace and Conflict. Mapping the Production of Places, Sites and Scales of Violence, Basingstoke [England] 2016. Ebenso Björkdahl, Annika/Selimovic, Johanna Mannergren: Gendering agency in transitional justice, in: Security Dialogue 46/2 (2014), S. 165–182. Erste Ergebnisse in einem Aufsatz bei Costin, Lela B.: Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women, in: Women’s Studies International Forum 5/(3/4) (1982), S. 301–315. Ebenso bei Whiltsher, Anne: Most Dangerous Women. Feminist Peace Campaigners of the Great War, London [u.a.] 1985. Zur Rolle der Frauenbewegungen vgl. Rupp, Worlds of women.

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Die Konferenz wurde federführend von einem Komitee unter der Niederländerin Aletta Jacobs vorbereitet, hatte jedoch Unterstützung (auch finanzielle) durch die deutsche, britische und niederländische Frauenrechtsbewegung. Als Vorsitzende des internationalen Kongresses agierte die US-Friedensaktivistin und Soziologin Jane Addams, eine sehr prominente Figur der Frauenrechtsbewegung, die sich auch schon früh für die Emanzipation der Rassen eingesetzt und etwa die American Civil Liberties Union (ACLU) und die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) mit begründet hatte. 1931 erhielt sie den Friedensnobelpreis, zusammen mit ihrem Kollegen Nicholas Butler vom Carnegie Endowment for Peace. Stellvertretende Vorsitzende des Kongresses war eine weitere Amerikanerin, Emily Greene Balch, Professorin für Volkswirtschaft und Soziologie am Wellesley College; 1946 erhielt sie ebenfalls den Friedensnobelpreis. Die dritte Hauptorganisatorin war die Amerikanerin Alice Hamilton, die erste weibliche Professorin für Medizin an der Harvard University. Aus den Reihen der Wahlrechtsbewegung der International Woman Suffrage Alliance war für 1915 ein Kongress in Berlin geplant gewesen, der nun wegen des Krieges abgesagt werden musste.527 Man hatte sich dann geeinigt, die eigenen Kräfte mit den Friedensverbänden zu bündeln und stattdessen einen Weltfriedenskongress einzuberufen. Die Forderung nach Frieden war jedoch keinesfalls neutrales Terrain. Aus patriotischen Gründen kam es zur Abspaltung der britischen Delegation, und die französischen Delegierten weigerten sich geschlossen teilzunehmen. Die Motive waren jedoch unterschiedlich: Während die Famile Pankhurst und ihre Anhänger die Initiative als „Defätismus“ geißelten und die Konferenz als Untergrabung der Moral der britischen Truppen bezeichneten,528 kritisierten die Französinnen, angesichts des Leidens der französischen Frauen und Kinder unter dem Kriege sei es unverantwortlich, akademische Gespräche mit dem Feind zu führen, die Friedenszeiten vorbehalten werden sollten. Bereits während der Anreise zum Kongress hagelte es Kritik. Die nach Europa reisenden amerikanischen Delegierten wurden im Kanal vor Dover tagelang ohne Erklärung festgehalten, mal waren angeblich militärische Gründe ausschlaggebend, mal Passformalitäten. Emily Greene Balch, als eine der 42 US-Delegierten an Bord des Dampfers „Noordam“, schrieb in einem Brief, es sei zweifelhaft, was diese Konferenz angesichts der Startschwierigkeiten überhaupt ausrichten könne.529 Die Amerikanerinnen trafen zwar noch rechtzeitig zur Konferenzeröffnung ein, den meisten britischen Aktivistinnen war jedoch die Ausreise gänzlich verweigert worden, indem

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Alonso, Harriet Hyman: Introduction, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. vii–xi. Hier S. vii. Baetens, Freya: International Congress of Women (1915), in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law ( 5), hrsg. v. Rüdiger Wolfrum, Oxford 2010, S. 455–460. S. 455. Balch, Emily G.: Journey and Impressions of the Congress, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. 3–11. S. 3.

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sie keinen Pass erhielten.530 Nur drei Britinnen schafften es, auf anderen Wegen bis zur Konferenzeröffnung nach Den Haag zu gelangen. Die Londoner Times verspottete die Delegierten in Anlehnung an den Begriff ‚Suffragettes‘ als ‚Peacettes‘. Theodore Roosevelt, damals in der Opposition gegen US-Präsident Woodrow Wilson und Befürworter eines militärischen Eingreifens der USA zugunsten des bedrängten Belgien, kritisierte die Frauenrechtlerinnen für „vague and hysterical demands“. Jane Addams antwortete daraufhin von Bord der „Nordaam“ öffentlich mit einem Appell, publiziert im Chicago Record-Herald vom 13. April 1915: „We do not think we can settle the war. We do not think that by raising our hands we can make the armies cease slaughter. We do think it is valuable to state a new point of view. We do think it is fitting that women should meet and take counsel to see what may be done.“531

Anhand dieser Ereignisse lässt sich zweierlei festhalten: zum einen die unsachlichen, gleichzeitig erstaunlich aggressiven Versuche, die Konferenz zu verhindern bzw. von vornherein zu marginalisieren; zum anderen die konsequente Nutzung modernster Kommunikationsmedien – z.B. von Telegrammen und Zeitungsinterviews – von Bord des Schiffes durch die US-Delegierten, die die Weltöffentlichkeit sozusagen in Echtzeit über die Schwierigkeiten informierten und sie mit einbezogen. Darin standen die Frauen den Kollegen vom Carnegie Endowment während deren Balkanreise in nichts nach. Die US-Delegierten waren besonders rührig in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und publizierten nach Rückkehr aus Europa nicht nur verschiedene Aufsätze und Bücher zum Inhalt der Beratungen, sondern schilderten auch eindrücklich ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken während der „Friedensreise“. Vom 28. April bis 1. Mai 1915 tagten knapp 1500 weibliche Delegierte in Den Haag.532 Sie kamen aus zwölf verschiedenen Staaten Europas und Nordamerikas, aus neutralen wie kriegführenden Nationen.533 Frauen aus den Kolonien waren nicht eingeladen teilzunehmen. Die Stärke der nationalen Delegationen war sehr unterschiedlich: Österreich entsandte sechs Delegierte, Belgien fünf, Kanada zwei, Dänemark sechs, das Deutsche Reich 28, Großbritannien drei, Ungarn (damals eigentlich noch ein Teil des österreichischen Habsburgerreiches, aber dennoch separat gezählt) zehn Delegierte, Italien eine, und aus den Niederlanden nahmen ungefähr 1000 Frauen teil; komplett abwesend waren die Französinnen. 914 Besuchertickets wurden an die Presse und sonstige Beobachter vergeben. Die viertägige Tagung stand unter dem Motto „peace and equality“, wobei mit Frieden ein „ehrenvoller Frieden“ gemeint war, dessen konkrete Ausgestaltung in 530 531 532 533

Whiltsher, Most Dangerous Women, S. 84. Zitiert nach Costin, Lela B.: Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women, in: Women’s Studies International Forum 5/(3/4) (1982), S. 301–315., S. 309. Costin, Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women S. 308. Costin, Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women S. 308.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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der Folge lebhaft diskutiert wurde. Auf der Tagesordnung standen Schiedsgerichtsbarkeit, Friedenserziehung und konkrete Schritte zur Linderung des Leidens der Zivilbevölkerung im Krieg.534 Dabei kam es auch zu symbolträchtigen Gesten: So erreichte die belgische Delegation wegen der deutschen Militärblockade den Tagungsort nur knapp nach Eröffnung; die Frauen wurden stehend begrüßt und auf Vorschlag der deutschen Delegation an einem Ehrentisch ganz vorn neben dem Podium platziert. Konferenzsprachen waren Englisch, Französisch und Deutsch, mit Simultanübersetzungen in die jeweils anderen zwei Sprachen. Dies führte zwar zu Längen im Ablauf, verdeutlicht aber, wie wichtig den weiblichen Delegierten sprachliche Genauigkeit und die Verständigung unter allen war. So sollte die Abschlussresolution genau gleichlautend in allen drei Sprachen veröffentlicht werden. Die Rhetorik der Weltfrauenkonferenz war bemerkenswert, wie Alonso analysiert hat, denn es zeigen sich typisch weibliche Stilfiguren: „a gendered language of women, laced with terms and images that separated them from the public posturing of male diplomats“.535 Dies lässt sich durch Zitate belege, etwa aus der Eröffnungsrede von Aletta Jakobs (Niederlande): „With mourning hearts we stand united here. We grieve for many brave young men who have lost their lives on the battlefield before attaining their full manhood; we mourn with the poor mothers bereft of their sons; with the thousands of young widows and fatherless children, and we feel we can not longer endure in this 20th century of civilization, that governments should tolerate brute force as the only solution of international disputes“.536

Ihre Rede betonte die traditionelle weibliche Rolle – die Trauer der Ehefrauen und Mütter um ihre Lieben – und die besondere Schutzwürdigkeit von Frauen in Anbetracht von Kriegsgewalt. Ein Blick in die Tagungsprotokolle verdeutlicht, dass diese Bemerkung auf Massenvergewaltigungen im Krieg bezogen wurde, die als militärische Strategie gegeißelt und als Verbrechen im Sinne des Kriegsvölkerrechts bezeichnet wurden. Alonso urteilt, in den Debatten zeige sich besonders der Topos der Mütterlichkeit als Rechtfertigung des Kongresses: „Women conceiving and incubating a life affirming move to save the male word from self-destruction“.537

534 535

536 537

Costin, Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women See also Whiltsher, Most Dangerous Women. Alonso, Harriet Hyman: Introduction, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. vii–xi. S. xxi. Internationaler Frauenkongress 1915. Bericht – Rapport – Report, Amsterdam 1915. S. 5. Alonso, Harriet Hyman: Introduction, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. vii–xi. S. xxii.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

Emily Hobhouse formulierte 1915 im offiziellen Tagungsbericht: „From the very moment of the declaration of war, the hearts of women leapt to their sister women, and the germ of the idea that the women of the world must come to the world’s aid, was silently and spontaneously conceived and lay as an embryo in the hearts of many.“538

Dabei zog sich durch alle Berichte die Interpretationslinie, dass die Männer damit gescheitert seien, den Konflikt beizulegen, und daher nun die Frauen darangehen müssten, aus „heiliger Pflichterfüllung“ ihre Stimmen gegen den Krieg zu erheben. Jane Addams bemühte diesen Topos in ihrer Eröffnungsrede, wobei sie die „Schwesternschaft“ der Frauen betonte sowie den „spiritual internationalism“ ihrer Mission:539 „We have come to the international congress of women not only to protest from our hearts, and with the utmost patience we can command, but furthermore we would fain suggest a way by which this large internationalism may find itself and dig new channels through which it may flow.“

Im Tagungsbericht fand sich dann folgende Formulierung: „In the quiet Dutch town of The Hague amid the women of faith, Peace appeared again upon earth and became a living force. Nurtured by womanly love and wisdom, she burst her swaddling bands, and with wide spread wings sweeping the world wrought as by miracle a subtle change in universal attitude.“540

Die fundamentalste Forderung der Delegierten in Den Haag war die, den Krieg selbst abzuschaffen,541der zum einen unvereinbar mit den Zielen des Feminismus und des Humanitarismus sei, zum anderen – und hier kommt das völkerrechtliche Argument – „illegal“.542 Es müsse erreicht werden, dass vernünftige Friedensvorschläge erarbeitet würden, die es den Politikern ermöglichten, den Krieg zu beenden. Jeder Mensch habe ein Recht, in Frieden zu leben, und dies müsse ihm garantiert werden. Bemerkenswerterweise wurden ganz konkrete Vorschläge diskutiert, von der Einrichtung eines Schiedsgerichtshofs über mehr Zusammenarbeit in der Außenpolitik bis hin zu Abrüstungsmechanismen. 538

539

540 541 542

Internationaler Frauenkongress 1915. S. xi. Zitiert in Alonso, Harriet Hyman: Introduction, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/ Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. vii–xi., S. xxii. Hierzu ausführlich Addams, Jane: Women and Internationalism, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. 59–66. Internationaler Frauenkongress 1915. S. xi. Baetens, Freya: International Congress of Women (1915), in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law ( 5), hrsg. v. Rüdiger Wolfrum, Oxford 2010, S. 455–460. Costin, Lela B.: Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women, in: Women’s Studies International Forum 5/(3/4) (1982), S. 301–315. S. 307–310.

3. DIE ROLLE DER ÖFFENTLICHKEIT BEI DER ZIVILISIERUNG DER KRIEGSGEWALT

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Neben der Forderung nach einem Ende der Feinseligkeiten wurde strikt darauf geachtet, zwei Fragen auszuklammern: wer den Krieg begonnen hatte und mit welchen Methoden er geführt wurde. Besonders der zweite Punkt zeigt deutlich, dass es nicht um eine erneute Beratung im Sinn der bisherigen Haager Friedenskonferenzen ging und noch weniger um eine Erweiterung der Debatten zur strafrechtlichen Ahndung. Zentral war vielmehr der dritte Aspekt der Martens-Klausel: die Herstellung von Öffentlichkeit und die Schärfung des ‚public conscience‘ für diese Themen. Als Ergebnis der Frauenfriedenskonferenz wurden 20 Resolutionen verabschiedet, die sieben Bereiche abdeckten:543 Frauen und der Krieg, ein Protest gegen die Schrecken des Krieges; Aktionen für den Frieden und eine Forderung nach Mediation; eine Resolution, die Prinzipien des Friedens formulierte; die Forderung nach engerer internationaler Kooperation und nach der Institutionalisierung einer ständigen Friedenskonferenz; die Erziehung der Kinder zum Frieden; die Beteiligung von Frauen an den späteren Friedensverhandlungen, diese sollte durch einen Frauenkongress erreicht werden, der zeitgleich mit der zukünftigen Friedenskonferenz tagen sollte.544 Die Forderungen unterstreichen den Anspruch auf eine Reform sozialer Strukturen sowie herkömmlicher Rollenmuster und betonten den Anspruch, Frauen gleichberechtigt an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Es ging dabei auch darum, die Zivilgesellschaft um eine sichtbare Vertretung der Frauen zu bereichern und diesen eine Stimme in der Öffentlichkeit zu geben. Die revolutionärste Forderung war jedoch das Konzept ständiger Schiedsgerichtsbarkeit, das unter dem Schlagwort „Mediation without Armistice“ propagiert wurde und einen Bruch mit bisherigen diplomatischen Traditionen darstellte. Dieses Konzept zielte darauf ab, Konflikte mithilfe neutraler Akteure zu lösen, ohne sie bis zum bitteren Ende durchzufechten. Dies blieb die einzige justizförmige Forderung der Konferenz, und sie bestätigte die Tendenz zur Arbitration durch einen internationalen Strafgerichtshof, die sich in der Schlusserklärung der zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907 schon angedeutet hatte. Das Bemerkenswerteste an der Weltfrauenkonferenz war jedoch die Umsetzungsebene. Auf Beschluss der Frauenfriedenskonferenz und auf Antrag von Rosika Schwimmer reisten Gruppen weiblicher Delegierter im Jahr 1915 fünf Wochen lang, trotz der vom Krieg bedingten Schwierigkeiten und unterbrochenen Reiseverbindungen, in die verschiedenen Hauptstädte Europas, um die Politiker zum Frieden zu mahnen und ein Ende des Blutvergießens zu fordern.545 Es waren zwei Delegationen, die zwischen 7. Mai und 8. Juli 1915 durch Europa reisten, um die Forderungen zu propagieren. Die beiden Gruppen trafen mit 34 Regierungschefs und Ministern zusammen und stießen auf vergleichsweise wenig Hin-

543 544 545

Wiltsher, Most dangerous women, S. 94–95. Costin, Lela B.: Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women, in: Women’s Studies International Forum 5/(3/4) (1982), S. 301–315. S. 311–314. Whiltsher, Most Dangerous Women, S. 103–126.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

dernisse.546 Dies ist nicht nur angesichts der Kriegslage, sondern auch angesichts der Behinderungen im Vorfeld der Konferenz erstaunlich. Im Reisegepäck hatten sie eine Broschüre mit den Ergebnissen des Kongresses (insbesondere dem Manifest der 20 Punkte) sowie wichtigen Redebeiträgen der Konferenz. Sie war mit finanzieller Unterstützung der Carnegie Foundation gedruckt worden und trug den Titel „Mediation without Armistice“.547 Doch das Engagement war nicht von Erfolg gekrönt. Zwar wurden die Delegationen überall freundlich empfangen, keiner der Politiker hatte jedoch ernsthaft vor, sich auf die Forderungen inhaltlich einzulassen. Die Delegierten sprachen mit mehreren Regierungschefs und Königen sowie dem Papst, die alle das Engagement der Frauen lobten und ihrerseits betonten, wie sehr sie an einem Friedensschluss interessiert seien. Aus den Konferenzberichten, insbesondere denen von Jane Addams und Alice Hamilton, entsteht jedoch der Eindruck, das Wichtigste seien die Diskussionen mit Bürgern aller Staaten Europas gewesen, die zu Veranstaltungen kamen, insbesondere mit Soldaten. In jeder Hauptstadt wurden nämlich öffentliche Versammlungen organisiert, um die Forderungen bekannt zu machen, zudem verteilte man die Broschüre „Mediation without Armistice“ gratis an Interessierte.548 Aus den Gesprächen zogen die Delegierten den Schluss, viele junge Soldaten sähen sich als Erfüllungsgehilfen der älteren Generation, die die Kriegsziele definiere und zuhause bliebe, wünschten aber selbst keinen Krieg. Insbesondere patriotische Pflicht motivierte viele zu gehorchen, aber in den Veranstaltungen wurden gegenüber den Frauen Frust und Enttäuschung deutlich artikuliert.549 Besonders betrauert wurde das Ende der freundschaftlichen internationalistischen Zusammenarbeit und des Austausches, hatten doch viele der Gesprächspartner beispielsweise an ausländischen Universitäten studiert oder sonstwie an internationalem Austausch teilgehabt.550 Auch wenn es, was Friedensverhandlungen angeht, kein konkretes Ergebnis dieser Tour durch Europa gab, muss diese Delegationsreise für die damalige Zeit, in der das Frauenwahlrecht in den meisten Staaten noch nicht eingeführt war und Frauen daher im öffentlichen Raum keinerlei Stimme hatten, als echte Sensation gewertet werden. Trotz Nutzung der modernen Medien durch die Frauen selbst blieb die Rolle der Presse jedoch widersprüchlich: Einerseits wurden Forderungen der Delegierten publiziert und diskutiert, andererseits gab es aber während des Kongresses mehrheitlich kritische Berichterstattung bzw. völliges Schweigen darüber. Dies kann durchaus als Reaktion auf Jane Addams’ Diktum zu verstehen sein, die Presse habe 546 547 548 549

550

Whiltsher, Most Dangerous Women, S. 103–126. Costin, Lela B.: Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women, in: Women’s Studies International Forum 5/(3/4) (1982), S. 301–315. S. 312–313. Costin, Feminism, Pacifism, Internationalism and the 1915 International Congress of Women S. 312– 313. Zitate z.B. in Addams, Jane: The revolt against War, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. 27–38. S. 33. Alonso, Harriet Hyman: Introduction, in: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results, hrsg. v. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton, Chicago 2003 (reprint from 1915), S. vii–xi. S. xxvii.

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am Ausbruch des Weltkrieges erhebliche Mitschuld, da sie die Öffentlichkeit „zur Hysterie angestachelt“ habe. 551 Man kann daher sagen, dass die Frauenfriedenskonferenz zwar inhaltlich interessante Vorschläge machte bzw. Gedanken aus der zweiten Haager Konferenz wieder aufgriff und dass die Durchführung sensationelle Züge trug (in der Konferenzvorbereitung wie auch in der Delegationsreise als Nachbereitung), die Veranstaltung aber in ihrer politischen Wirkung beschränkt blieb. Aus den genannten Initiativen ergibt sich, dass das Element der in der MartensKlausel geforderten ‚public conscience‘ inzwischen zu einem zentralen Faktor der Verrechtlichungsbestrebungen geworden war, wie besonders am Engagement des Carnegie Endowment und der Strategie des Weltfriedenskongresses der Frauen erkennbar wird. Auch wenn sich in den Zielsetzungen der verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteure Unterschiede zeigen, so leisteten Frauen-, Arbeiter- und Friedensverbände doch einen Beitrag zur Verrechtlichung von Kriegsgewalt, indem sie Forderungen nach Arbitration erhoben. Es lässt sich festhalten, dass die Verbände auf unterschiedlichen Wegen in der Lage waren, ihre Mitglieder zu informieren und zu mobilisieren sowie Druck auf die jeweiligen nationalen Regierungen aufzubauen. Zivilgesellschaftliche Organisationen waren damit zu einer dritten Kraft in der Debatte geworden, auch wenn die beiden alternativen Friedenskonferenzen der Arbeiter und der Frauen ihr eigentliches Ziel verfehlten: den Krieg zu beenden.

4. Der Testfall: Juristische Debatten im und nach dem Ersten Weltkrieg Im Ersten Weltkrieg wurde schnell deutlich, dass die Haager Landkriegsordnung zwar Regeln aufgestellt hatte, diese nun aber nicht eingehalten wurden. Die Erwartung der Öffentlichkeit, dass die Versäumnisse der ausgefallenen dritten Haager Konferenz aufgearbeitet und die strafrechtlichen Regelungen nachgeholt würden, verschoben sich somit auf die Friedenskonferenz 1919 in Versailles. Anders als die nominellen „Friedenskonferenzen“ in Den Haag stand die Konferenz in Versailles 1919 nun tatsächlich vor der Aufgabe, den Übergang vom Krieg in den Frieden zu regeln, was die Debatten weg von der akademischen und auf die realpolitische Ebene verlagerte und eine Einigung oft schwierig machte. Die Sitzungen fanden getrennt nach den Kriegsverlierern in den Pariser Vororten statt: in Versailles (für das Deutsche Reich), St. Germain-en-Laye bzw. im Versailler Palais Trianon (für Österreich und Ungarn), in Sèvres (für das Osmanische Reich) und in Neuilly-sur-Seine (für Bulgarien); nach diesen Sitzungsorten wurden die Schlussdokumente schließlich auch benannt.552 „Versailler Vertrag“ hat sich im Sprachgebrauch inzwischen als Sy-

551 552

Alonso, Introduction, S. xxvii. Für einen Überblick vgl. MacMillan, Margaret: Peacemakers. The Paris Conference of 1919 and its attempt to end War, London 2001; Goldstein, Erik: The First World War peace settlements, 1919-1925 (Seminar studies in history), London, New York 2002.

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nonym für die Verhandlungen von 1919 durchgesetzt und impliziert deren richtungsweisenden Charakter. In der Sache hatte der Krieg gezeigt, dass offensichtlich keinerlei Zurückhaltung in der Wahl militärischer Mittel mehr herrschte. Mit fortschreitender Technisierung kam es zu einer wachsenden Entpersonalisierung des Krieges, und die Kriegführung veränderte sich, etwa durch die Möglichkeiten des Luftkriegs, zu einem totalen Krieg, der zu Lande, zu Wasser und in der Luft geführt wurde.553 Die deutsche Verletzung der Neutralität Belgiens und Berichte über deutsche Grausamkeiten an belgischen Zivilisten bewirkten einen Aufschrei in der alliierten Presse, der den Druck auf die Politiker beträchtlich erhöhte, sich mit der Frage der Strafverfolgung für Kriegsverbrechen auseinanderzusetzen.554 Durch die Deportation hunderttausender belgischer Arbeiter ins Deutsche Reich555 tauchte zudem die Frage auf, wie im Kontext der Okkupation Verbrechen an Zwangsarbeitern zu sühnen seien, die sich meist in Lagern innerhalb des Aggressorstaates ereignet hatten.556 Forderungen wurden laut, nicht nur die Offiziere, sondern den Kaiser selbst als obersten Befehlshaber und Verantwortlichen für die dahinterstehende Politik zu bestrafen.557 Im folgenden Teilkapitel geht es um das Scheitern der Haager Prinzipien an der Realität und eine Analyse der oft beklagten „verpassten Chancen“ einer Kodifizierung nach dem Ersten Weltkrieg. Zunächst werden hierfür Debatten der Kriegszeit analysiert, in denen 1915 der Begriff crimes against humanity im Zusammenhang mit dem Massaker an den Armeniern erstmals auftauchte. Der Begriff konnte sich jedoch in der akademischen Debatte wie auch auf der politischen Bühne nicht durchsetzen. Sodann geht es um die Debatten der Versailler Friedenskonferenz von 1919, in denen der Begriff zwar auftauchte, aber schließlich zurückgewiesen wurde. Anschließend wird dieses Kapitel einen knappen Überblick darüber bieten, welche Formen der Strafverfolgung von Kriegsgewalt nach 1919 zur Verfügung gestanden hätten. Der Kompromiss, dem Täterstaat die Strafverfolgung zu überlassen (in Leipzig wie in Konstantinopel), wurde zu einem Menetekel, das später über den Debatten des Zweiten Weltkriegs hing. Zuletzt wird diskutiert, wie sich trotz der eher negativen Bilanz der Prozesse von Leipzig und Konstantinopel doch einzelne Elemente eines modernen Kriegsvölkerrechts bereits erkennen lassen, so etwa im sogenann553 554 555

556

557

Schwarzenberger, Georg: The Standard of Civilization in International Law, in: Current Legal problems (1955), S. 212–234. S. 230. Vgl. als Einführung Horne/Kramer, German atrocities, 1914. Thiel, Jens: „Menschenbassin Belgien“. Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte Bd. 20), Essen 2007; Thiel, Jens: Zwangswirtschaft als kriegswirtschaftliche Option. Interessenkongruenzen und Interessenkonflikte zwischen Militär, Politik und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg, in: Zwangsarbeit als Kriegsressource in Europa und Asien (Krieg in der Geschichte 77), hrsg. v. Kerstin von Lingen/Klaus Gestwa, Paderborn 2014, S. 127–142. Als Überblick zur Zwangsarbeit als Kriegsressource vgl. Lingen, Kerstin von/Gestwa, Klaus (Hgg.): Zwangsarbeit als Kriegsressource in Europa und Asien (Krieg in der Geschichte 77), Paderborn 2014; als Überblick zur Gewalterfahrung vgl. Jahr, Christoph/Thiel, Jens (Hgg.): Lager vor Auschwitz. Aspekte der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 2012. Willis, Prologue to Nuremberg, S. 8–12. Horne/Kramer, German atrocities, 1914, S. 227–261.

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ten Llandovery-Urteil. Das Teilkapitel schließt mit einem Überblick über die politischen Maßnahmen der Zwischenkriegszeit, die sich mit dem Völkerbund der Schaffung einer neuen Ordnung zuwandten. Dem Narrativ vom allmählichen Erlöschen des Völkerbunds ist eine erstaunliche Vielzahl von neugegründeten Institutionen und Projekten entgegenzuhalten, die, aus der Perspektive der 1940er Jahre betrachtet, den Boden für einen langfristigen Erfolg der Verrechtlichungsdebatte bereiteten. Mit dem Instrumentarium des Völkerbunds, der auf Kriegsvermeidung durch Verträge und die Schaffung eines ständigen Gerichtshofs setzte, wurde in der Zwischenkriegszeit dem Problem der Kriegsgewalt begegnet. Zudem fällt in diese Zeit die Herausbildung einer transnationalen Expertenschicht in verschiedenen Gremien des Völkerbundes, die viele der bereits in Den Haag und in Versailles initiierten Debatten weiterführte. Für die in der vorliegenden Arbeit präsentierte intellectual history gilt offensichtlich ein anderer Zeithorizont als für das auf den Kriegsbeginn 1939 ausgerichtete Narrativ vom Misserfolg des Völkerbunds. Vielmehr sind die langen Linien der Debatte als Messlatte anzusetzen und wird die Gremienbildung als Modell erkennbar. Viele Völkerrechtler stellten sich nach 1919 in den Dienst der Internationalisten, insbesondere der großen Friedensverbände, die in der Zwischenkriegszeit tatsächlich ungeheure Fortschritte in echter internationaler Zusammenarbeit machten,558 wenn auch nicht explizit auf dem Gebiet des Kriegsvölkerrechts. Die internationalistischen Forderungen der Stunde bezogen sich eher auf Arbitration, und mit der Schaffung des Ständigen Gerichtshofs in Den Haag wurde die Präferenz für Schiedsgerichtsbarkeit unterstrichen. Die Folge der veränderten Schwerpunktsetzung war jedoch, dass konkrete Modernisierungstendenzen im Kriegsvölkerrecht erst einmal nicht weiterverfolgt wurden. Nachdem sich im Verlauf der 1930er Jahre mit der Krise des Völkerbunds sowie der Wirkungslosigkeit des Kellogg-Briand-Paktes abzeichnet hatte, dass dieser Weg nicht zu mehr Stabilität führte, war 1939 die Ausgangslage in der Ahndung von Kriegsgewalt letztlich gegenüber 1919 unverändert: Es gab nach wie vor keine verbindlichen, international akzeptierten Mechanismen zur Ahndung von Kriegsgewalt, und noch weniger standen Zivilisten im Fokus der Debatten. Die Völkerrechtler hatten jedoch bereits vor, aber vor allem während des Ersten Weltkriegs die Politik gedrängt, dass eine Entscheidung in Sachen Strafverfolgung von Kriegsverbrechen getroffen werden müsse. Die Société française de droit international kooperierte in dieser Frage mit der britischen Grotius Society; das Carnegie Endowment for International Peace arbeitete an einem ähnlichen Projekt.559 Allerdings wurden die tatsächlichen Entscheidungen schließlich von den Politikern ge558

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Gorman, The emergence of international society in the 1920s; Rietzler, Katharina: Experts for Peace. Structures and Motivations of Philanthropic Internationalism in the Interwar Years, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 45–66.; Laqua, Daniel (Hrsg.): Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), London, New York 2011; Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism. Lewis, The birth of the new Justice, S. 39.

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troffen, die 1919 in Paris zur Friedenskonferenz zusammentrafen. Dort wurden völlig andere Schwerpunkte gesetzt: Zwar kam es erstmals zu einer Auflistung von Kriegsverbrechen als Straftatbestände, die Idee eines internationalen Strafgerichtshofs zur Aburteilung solcher Verbrechen konnte sich aber nicht durchsetzen. Auch gelang es nicht, auf das neue Problem von Massenverbrechen gegenüber Zivilisten zu reagieren, das nach den Gräueln des Balkankriegs der Jahre 1912/13 nun im Armenier-Massaker evident geworden war. Stattdessen setzten die Politiker auf eine diplomatische Lösung zukünftiger Konflikte, wie sie zum einen mit dem Völkerbund, zum anderen mit dem Kellogg-Briand-Pakt angestrebt wurde. Die Debatten der Völkerrechtler und ihrer Organisationen bleiben in der Zwischenkriegszeit eher konservativ als progressiv.560 Es lassen sich drei Gruppen in den juristischen Debatten lokalisieren: erstens Akteure, die bisherige völkerrechtliche Debatten fortführten, meist Schüler der Völkerrechtler der ersten Generation, wie dies 1919 auch in Paris sichtbar wurde; zweitens Völkerrechtler aus den USA, die sich erst nach den Haager Konferenzen in die Debatte einbrachten (z.B. James Brown Scott als einflussreicher Herausgeber des American Journal of International Law oder Quincy Wright). Drittens traten neue Protagonisten auf den Plan, und hier zeigten sich vor allem Völkerrechtler aus den Staaten des ehemaligen Habsburgerreiches wie Lauterpacht oder Lemkin, die Vertreter der ‚semi-peripheral states‘, als außerordentlich aktiv. Es wird im Folgenden daher um drei Elemente dieser Phase gehen: erstens um die juristischen Debatten und den Versuch, Kriegsverbrechen zu definieren, zweitens um die (politisch-diplomatischen) Diskussionen in Versailles 1919 und die missglückte Ahndung in Leipzig und Konstantinopel, in der es bei aller Kritik jedoch Ansätze einer Modernisierung des Kriegsvölkerrechts gab, und drittens um die Konfliktlösungsstrategie der Zwischenkriegszeit und das Instrumentarium des Völkerbundes. Das Letztere manifestierte sich durch den Kellogg-Briand-Pakt sowie durch die Herausbildung einer aktiven Zivilgesellschaft, die das Vermächtnis der ‚public conscience‘ darstellte. 4.1. Das Konzept Crimes against Humanity im Ersten Weltkrieg Nach Beginn der Kämpfe und unter dem Eindruck des deutschen Vormarsches durch Belgien hatten Berichte über Gräueltaten bereits im Herbst 1914 zu ersten Überlegungen britischer und französischer Juristen hinsichtlich einer möglichen justizförmigen Ahndung geführt.561 Entweder sollten an Ort und Stelle noch während des Kriegs Militärgerichtsverfahren gegen Deutsche abgehalten werden, sofern sich diese bereits in alliierter Kriegsgefangenschaft befanden, oder die Alliierten sollten nach 560 561

Vgl. als Überblick hierzu Ungern-Sternberg, Jürgen von: Wissenschaftler, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hrsg. v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, Paderborn 2003, S. 169–176. Vgl. die umfassende Darstellung bei Hull, A scrap of paper; ebenso Horne/Kramer, German atrocities, 1914.

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Abschluss der Kampfhandlungen und auf der Basis eines Friedensvertrags einen gemeinsamen Strafprozess durchführen.562 Vorschläge zwischenstaatlicher Akteure (etwa des Roten Kreuzes) sollten ebenfalls Gehör finden. Doch die Planungen gerieten angesichts des stockenden Kriegsverlaufes zunächst ins Hintertreffen und wurden erst nach Kriegseintritt der USA wieder intensiviert. Segesser hat darauf verwiesen, dass die Unvereinbarkeit deutscher und alliierter völkerrechtlicher Positionen während des Ersten Weltkrieges mit der Indienstnahme der Juristen durch die Kriegspropaganda beidseits der Frontlinie sowie einem Erstarken von nationalen Positionen erklärt werden kann.563 Weinke hält dem entgegen, dass die Perspektivverengung des Diskurses nicht nur auf die nationalstaatlichen Positionen zurückgeführt werden könne, sondern hier vielmehr Debattenlinien aus der Vorkriegszeit erkennbar seien – etwa das Interesse am Schutz von Minderheiten –, die sich durch den Kriegsverlauf zu Bruchstellen weiterentwickelten, nachdem sie zuvor schon kontrovers gewesen waren (allerdings nicht entlang nationalstaatlicher Grenzen).564 Isabell V. Hull wiederum betont, ähnlich Segesser, die nationalen Trennlinien und konstatiert einen deutschen Völkerrechts-Exzeptionalismus, der insbesondere die „Notwehr“-Theorie befeuerte und den sie im Kern auf den DeutschFranzösischen Krieg 1870/71 zurückführt.565 Nur langsam setzte sich für Verstöße gegen die Regeln der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention der Begriff „Kriegsverbrechen“ durch. Im Vorfeld der Haager Konferenz war 1906 erstmals der Begriff ‚war crimes‘ benutzt worden, und zwar von Lassa Oppenheim. Er hatte in seiner Schrift War and Neutrality 1906 ‚war crimes‘ definiert als „such hostile or other acts of soldiers or other individuals, as may be punished by the enemy on capture of the offenders.“566 Bis heute wird der Begriff zwar breit verwendet, herrscht jedoch unter den Wissenschaftlern keine Einigkeit. Oppenheim benutzte den Begriff für Verbrechen, die bis dato als „animadversio in hostes“, „infractions aux régimes du droit international“, „crimes against the captor’s army or people“ oder „offences against the customs of war“ bezeichnet worden waren.567 Einzelne Autoren gingen nun deutlich darüber hinaus, etwa der amerikanische Sekretär des Carnegie Endowment for International Peace, Simeon Dexter North, der britische Anwalt und Sekretär der auf Völkerrechtsfragen fokussierten Grotius Society, Hugh H. Bellot, die beide während der Kriegsjahre die Rolle der Wortführer übernehmen sollten, da auf dem Kontinent nicht getagt wurde,568

562

563 564 565 566 567 568

Kramer, Alan: Versailles, deutsche Kriegsverbrechen und das Auslieferungsbegehren der Alliierten 1919/20, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 72–84. S. 73–76. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 199 f. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 58 f. Hull, A scrap of paper. S. 94 f. Oppenheim, Lassa Francis Lawrence: War and Neutrality, London 1906 S. 263. Hierzu vgl. Zander, Jens-Peter: Das Verbrechen im Kriege, ein völkerrechtlicher Begriff: ein Beitrag zur Problematik des Kriegsverbrechens, Würzburg, S. 21. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 199.

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oder der belgische Jurist und Herausgeber der renommierten Revue de Droit international et de Législation comparée, Edouard Rolin-Jaequemyns.569 Insgesamt muss aber festgehalten werden, dass der transnationale Austausch der Expertengremien durch den Krieg zum Erliegen kam, es handelte sich nun eher um nationale Wortmeldungen. Die Ära des Droit public de l’Europe, das von Völkerrechtlern aller europäischen Nationen im konstruktiven Austausch nach 1870 entwickelt worden war, ging durch den Krieg zu Ende, und mit ihr verabschiedete sich nach und nach eine Generation von Juristen von der Weltbühne, die das Völkerrecht bis dahin geprägt hatte: Friedrich Martens starb 1909, John Westlake 1913, Louis Renault 1918. Die regelmäßigen Diskussionen und Konferenzen hatten mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein jähes Ende gefunden. Es war nicht mehr möglich, die Komponenten Nationalismus und Internationalismus im Völkerrecht auszugleichen, wie dies nach 1870 üblich gewesen war.570 Sichtbarster Ausdruck der neuen Zeit war die Suspendierung der Zusammenkünfte des Institut de Droit International in Gent sowie der Austritt der meisten deutschen Kollegen aus diesem Gremium. Dennoch gab es natürlich weiterhin Wortmeldungen der Wissenschaftler zum Thema Kriegsvölkerrecht, das dringender denn je geregelt werden musste. Die Völkerrechtler, das wird aus ihren Stellungnahmen ersichtlich, sahen sich jedoch noch immer selbstbewusst als starke Kraft, fähig, Veränderungen einzuleiten und das Kriegsvölkerrecht zu modernisieren, ungeachtet des De-facto-Zusammenbruchs ihrer intellectual community im Krieg und der Untauglichkeit aller juristischen Doktrin beim Realitätstest.571 Schon während des Krieges hatte Hugh H. Bellot begonnen, sich mit der Frage der Definition des Kriegsvölkerrechts näher zu beschäftigen. Bellot griff 1916 den von Lassa Oppenheim 1906 benutzten Begriff der „Kriegsverbrechen“ auf und definierte diese als „those acts of the armed forces of a belligerent against the person or property of the enemy, combatant or non-combatant, which are deemed contrary to the established usages of war“.572 Es sei zentral, solche Verstöße zu ahnden, dies schrieben bereits die Haager Landkriegsordnung, aber auch der Lieber-Code vor. Er hielt es für sehr wichtig, dass die Regeln mit konkreter Ahndung verbunden würden. Dafür müsse entweder ein neuer Gerichtshof in Den Haag geschaffen werden oder aber der bisherige Haager Schiedsgerichtshof müsse das Recht erhalten, auch Verletzungen des Kriegsrechts zu untersuchen und zu ahnden.573 Dafür sollten Völkerrechtler der verschiedenen nationalen Untergruppierungen zusammenarbeiten, um Konventionen zu entwerfen, diese untereinander auszutauschen und eine internationale Konferenz vorzubereiten, die sich mit dem Problem der Kriegsgewalt beschäftigen würde. Er betonte damit das dritte Element der Martens-Klausel, die Her569 570 571 572 573

Ausführlich vgl. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 150–212. Grewe, Wilhelm Georg: Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 30. Lewis, The birth of the new Justice, S. 39. Bellot, Hugh H.: War Crimes, their Prevention and Punishment, in: Problems of the War (Papers Read before the Society in the Year 1916) 2 (1916), S. 31–55., S. 754. Lewis, The birth of the new Justice, S. 39.

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stellung von Öffentlichkeit, deren höchste Form für Juristen der internationale Gerichtshof darstellte. In den Debatten der Kriegsjahre standen die Fragen im Mittelpunkt (bei Juristen der Entente wie auch der Mittelmächte), ob Soldaten grundsätzlich von Gerichten der anderen Mächte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten, ob Verstöße gegen die Haager oder Genfer Deklarationen als Verbrechen im Sinne eines militärischen oder zivilen Straftatbestands gelten sollten und ob man einem internationalen Gerichtshof den Vorzug geben solle.574 Deutsche Strafrechtler hielten es für rechtlich unmöglich, dass deutsche Soldaten sich vor den Gerichtshöfen der Feinde verantworten sollten.575 Vielmehr müsse die nationale Gerichtsbarkeit hier tätig werden. Franz von Liszt etwa, der Gründer der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung, argumentierte 1916 für nationale Gerichtshöfe, für die Einhaltung der Regeln des Seekrieges – denn aus Sicht der Deutschen war die britische Seeblockade ein illegaler Akt – sowie für eine Stärkung des Haager Schiedsgerichtshofs. Hugh Bellot, der Sekretär der britischen Grotius Society, forderte einen internationalen Strafgerichtshof, um die begangenen Verbrechen zu sühnen. Ein solcher Gerichtshof – er sprach von einem ‚war crimes tribunal‘ – solle aus Zivilrichtern der Ententestaaten gebildet werden. Deutschland selbst habe Belgiens Neutralität verletzt, den Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten verwischt und die Bevölkerung terrorisiert (Bellot benutzte den Ausdruck „frightfulness as a method of warfare“) – dies seien jedoch Methoden, die an östliche Kampfweisen erinnerten („commonly used by the Empires of the East“).576 Bellot unterstrich, das Problem liege in der Natur des deutschen Staates selbst, der sich entschlossen habe, auf den Stand des mittelalterlichen Europa zurückzufallen oder zumindest auf einen niedrigeren Zivilisationsstandard, wie man ihn bisher „den Völkern Asiens“ zugeschrieben hatte. Louis Renault, der bis zu seinem Tod 1918 führende französische Völkerrechtler, betonte seinerseits, die strafrechtlichen Bestimmungen seien schon jetzt ausreichend, um deutsche Soldaten zur Verantwortung zu ziehen.577 Zur Ahndung von deutschen Kriegsverbrechen während des Vormarsches in Frankreich und Belgien seien, so Renault, als Rechtsgrundlagen zum einen die Strafklauseln des LieberCodes (Art. 47), sowie Artikel 28 der Genfer Konvention von 1906 anwendbar.578 Unter bestimmten Bedingungen sei es sogar möglich, deutsche Soldaten schon während des Krieges vor französische Militärgerichte zu stellen. Renault betonte allerdings, die Schwierigkeit bestünde seiner Meinung nach in der Auslieferung von Verdächtigen nach dem Krieg, denn einer solchen werde kein besiegter Staat wohl jemals zustimmen. 574 575 576 577 578

Ausführlich hierzu Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 157–203. Liszt, Franz von: The Reconstruction of International Law, in: University of Pennsylvania Law Review and American Law Register 34 (1916), S. 765–773. S. 771. Bellot, Hugh H.: War Crimes and War Criminals, in: Canadian Law Times 36 (1916), S. 754–768. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 161. Renault, Louis: Dans quel mesure le Droit Penal peut-il-s’appliquer à des Faits de Guerre contrait au Droit de Gens, in: Revue Pénitentiaire et de Droit penal 39 (1915), S. 403–416. S. 413.

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Es gab auch Stimmen, die in Ermangelung einer Justizinstanz in der Öffentlichkeit eine eigene regulative Kraft sahen, die zu Fortschritten bei der Ahndung von Kriegsgewalt mahnte, bis das Völkerrecht sich auf eine richterliche Instanz verständigt haben würde. So sprach Sir Erle Richards, Chichele Professor of International Law in Oxford, am 2. Dezember 1914 in einer Rede vor der Workers’ Educational Union, Birmingham, von der Kraft der „public opinion“, die an das Verständnis des Carnegie-Funktionärs Nicholas Butler von ‚international mind‘ erinnert: „Now, assuming that I am right in thinking that Germany has disregarded the law of nations, then what is the result? Can the law enforce any penalty? If it cannot, then to that extent it is held to be ineffective. Individuals who offend against the laws are punished by legal process criminal or civil: but it is the weakness of International Law that it has no sanction of this kind: there are no police to keep order, there are no courts empowered to enforce punishment unless an offender submits to them. But between individuals there is another force which can punish, and is a force of great power in many cases. That force is the opinion of others. The man who breaks his faith, or the man who commits acts of cruelty, is condemned by the judgement of his fellows: at the worst he is banished from the society of respectable persons. And in International Law we have the same sanction in public opinion. The only penalty for breach of International Law, beyond such redress as the injured party may be powerful enough to obtain by force, is the loss of the good opinion of other nations.“579

Der niederländische Völkerrechtler J. de Louter schrieb 1914, der Krieg zeige, dass es keine Begrenzung der Kriegsgewalt geben könne und dass die Unterscheidung in ‚laws of peace‘ und ‚laws of war‘ nutzlos sei;580 allerdings erkannte er an, dass es in manchen Fällen gerechtfertigt sein könne, Krieg zu führen, und zwar als „method of repression against a violator state“ – übrigens einer der Grundgedanken des späteren Völkerbunds. Louter sprach sich für einen ständigen internationalen Gerichtshof aus und forderte, eine Untersuchungskommission einzurichten, die zukünftige Dispute zwischen Staaten (aber nicht Verbrechen selbst) untersuchen solle, sofern die souveränen Staaten dies wünschten. Aber für Louter war es nicht vorstellbar, mit einer völkerrechtlichen Strafverfolgung die internationale Ordnung wiederherzustellen, und er hielt auch nichts von einer grenzüberschreitenden polizeilichen Eingreiftruppe, um etwa gegen Terrorismus vorzugehen. Auch das Souveränitätsprinzip stand in der Kritik, das zudem als spezifisch deutsches Charakteristikum wahrgenommen wurde. Hans Kelsen, Völkerrechtler an der Universität Wien, legte in seinen Schriften ab 1920 dar, Souveränität sei der Ausdruck von ideologischem Nationalismus; Kelsen schloss zudem einen kosmopolitischen Rechtsbegriff in diese Theorie mit ein.581 Es sei wichtig, den soziologischen Blick mit 579 580 581

Richards, Henry Erle: Does International Law still Exist?, London 1914. S. 16. Ich danke Garbiela Frei für den Hinweis auf diese Quelle. Lewis, The birth of the new Justice, S. 35–36. Grundlegend hier Kelsen, Hans: Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag einer reinen Rechtslehre, Tübingen 1920 ; Kelsen, Hans: Der soziologische und der juristi-

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einzubeziehen, der über die Stärke und das Netzwerk der Verflechtungen innerhalb der Gesellschaft eines Staates Auskunft geben könne; daraus lasse sich ablesen, ob ein Staat der Illusion der absoluten Unabhängigkeit anhinge, auf der der Gedanke der Souveränität – verstanden als absolute staatliche Freiheit – im Kern aufbaue. Der Erste Weltkrieg sei gerade als Konsequenz dieser Haltung zum Nationalismus und extremer Souveränitätsrechte zu sehen, so Kelsen. Der Hinweis auf die militärische Notwendigkeit wurde im Ersten Weltkrieg zur argumentativen Position, auf die sich die Kriegsparteien beider Seiten zurückzogen.582 Zudem zeigte sich 1919 erschwerend, dass nicht alle Staaten die Haager Landkriegsordnung ratifiziert hatten, bis es zum Waffengang kam: Das galt für das Osmanische Reich, Italien, Griechenland, Serbien und Bulgarien. Dies schränkte die Wirkungsmacht der Landkriegsordnung ein, war doch explizit festgehalten worden,583 dass sie nur für diejenigen Staaten gelten würde, die die HLKO ratifiziert hatten. 1919 wurde daher in der Pariser Plenarsitzung vom 24. März die Auswegformel ersonnen, die Haager Landkriegsordnung sei dennoch allgemein bindend, da sie ins Völkergewohnheitsrecht überführt worden sei – die Deklaration habe das Recht nur noch „erklärt“ –, und somit konnte die HLKO auf alle Kriegsparteien Anwendung finden.584 Im Zuge des Ersten Weltkriegs lässt sich erstmals der Begriff crimes against humanity nachweisen. Während noch darum gerungen wurde, verbindliche Standards für einen konventionellen Krieg festzulegen, tauchte schon eine der großen Herausforderungen des Kriegsvölkerrechts im 20. Jahrhundert am Horizont auf: das Problem der Massengewalt gegen Zivilisten.585 Es ging hierbei um Verbrechen, meist gegenüber einer Minderheit, die sich innerhalb eines souveränen Staates und oft außerhalb von Kriegshandlungen ereigneten. Derartige Verbrechen (später oft unter „Genozid“ subsumiert, wenn es sich bei den Opfern um eine klar definierte Gruppe handelte) waren mit völkerrechtlichen Maßstäben nicht zu ahnden und galten als „innere Angelegenheit“ eines Staates. Da die Diskussion noch nicht einmal für „konventionelle Kriegsverbrechen“ abgeschlossen war, lässt sich konstatieren, dass das Thema von crimes against humanity die Vorstellungskraft von Juristen und Politikern im Ersten Weltkrieg noch überforderte, auch wenn einzelne Völkerrechtler bereits über Lösungskonzepte für systematische Gewalt nachdachten. Die erste Verwendung des Begriffs crimes against humanity deutet darauf hin, dass er als eine Art Sammelbegriff für Verbrechen gegen Zivilisten und damit im Sinne der Martens-Klausel als „Klammer für Zuwiderhandlungen gegen das geschrie-

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sche Staatsbegriff. Kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922. Zur Interpretation vgl. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919. S. 36. Lewis, The birth of the new Justice, S. 18. Article 2, Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land. The Hague, October 18, 1907. Lewis, The birth of the new Justice S. 18. Querverweis auf Plenary Session of March 24, 1919, in: Lapradelle, Albert (Hrsg.): La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Paris 1929, Vol. 3, S. 419–422. Als Einstieg hier Power, Samantha: A problem from hell. America and the age of genocide, New York 2003.

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bene wie das ungeschriebene Völkerrecht“ verwendet wurde.586 Er tauchte erstmals in einem diplomatischen Dokument auf. Die Verwendung scheint bereits in eine neue Richtung zu deuten, in der crimes against humanity ausschließlich Verbrechen an Zivilisten meinte. Eine diplomatische Note Frankreichs, Englands und Russlands vom 28. Mai 1915 bezeichnete die Verbrechen des Osmanischen Reiches an den Armeniern im eigenen Land zunächst als „crimes against christianity“, auf Wunsch Russlands wurde die Formulierung dann zu crimes against humanity abgewandelt,587 um der multireligiösen Gesellschaft des Zarenreichs Rechnung zu tragen588 – eine Haltung, die London im Übrigen aus den gleichen imperialen Erwägungen nachvollziehen konnte.589 Interessant ist die Verwendung des Begriffs „christianity“ im ersten Entwurf, die eine Gleichsetzung von Christentum und Zivilisation zu implizieren scheint und sich an die alte Formel von „christlichem Recht“ anlehnt, das zugunsten von ‚law of civilized nations‘ um die Jahrhundertwende aufgegeben worden war, wie bereits dargelegt.590 In dieser Note (einem Telegramm) drohten die Führer der Entente dem Osmanische Reich mit einer strafrechtlichen Ahndung. Der in Paris vertretene US-Botschafter Sharp kabelte am 24. Mai 1915 den Entwurf der Resolution nach Washington: „For about a month the Kurd and Turkish population of Armenia has been massacring Armenians with the connivance and often assistance of Ottoman authorities. […] In view of these new crimes of Turkey against humanity and civilization, the Allied governments announce publicly to the Sublime Porte that they will hold personally responsible [for] these crimes all members of the Ottoman Government, and those of their agents who are implicated in such massacres.“591

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Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 589. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 82–89. Holquist, The Origins of “Crimes against Humanity”, S. 20. Telegramm von William G Sharp, Botschafter der USA in Frankreich an Außenminister Bryan vom 28. Mai 1915, abgedruckt in: Foreign Relations of the United States, 1915, Supplement, New York 1969, S. 981. Zitiert nach Tusan, Michelle: „Crimes Against Humanity“. Human Rights, the British Empire, and the Origins of the Response to the Armenian Genocide, in: American Historical Review, February (2014), S. 47–77. S. 62. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 87. Tusan, Michelle: „Crimes Against Humanity“. Human Rights, the British Empire, and the Origins of the Response to the Armenian Genocide, in: American Historical Review, February (2014), S. 47– 77. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 6. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States with the address of the president to Congress December 7, 1915, U.S. Government Printing Office, 1915, S. 981, Telegram of US Ambassador Sharp to Secretary of State, 28 May 1915.

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Das Armenier-Telegramm gilt heute unter Völkerrechtlern gemeinhin als Geburtsstunde des juristischen Konzepts von crimes against humanity.592 Daraus ergibt sich die juristische Streitfrage, ob das Massaker an den Armeniern völkerrechtlich als crime against humanity im heutigen Verständnis einzustufen ist593 und ob sich aus dem Verbrechen Reparationsansprüche ableiten lassen.594 Diese Ableitung ist jedoch nur dann zulässig, wenn man das Armenier-Telegramm tatsächlich als Geburtsstunde des strafrechtlichen Konzepts sieht, wie es in Nürnberg verwendet wurde – und dies ist bis heute umstritten. Anders als die Juristen verweisen Historiker darauf, dass der Begriff im ArmenierTelegramm eine andere Konnotation habe als später in Nürnberg. Das ArmenierTelegramm sei weniger als Beleg für die Geburtsstunde des Konzepts crimes against humanity zu werten, sondern eher ein sprachlicher Hinweis darauf, dass das Osmanische Reich aus Sicht der Diplomaten, die das Telegramm verfassten, seinen Status als zivilisierter Staat verspielt habe, so Segesser.595Auch aus Sicht der Verfasserin handelte es sich noch nicht um ein strafrechtlich relevantes Konzept von crimes against humanity, sondern um die Nutzung eines (seit der Martens-Klausel) in moralischem Sinne verwendeten Begriffes auf einer politischen Ebene. Das ArmenierTelegramm bereicherte das Konzept daher um eine politische, nicht jedoch um eine juristische Dimension. Unwidersprochen ist jedoch, dass Raphael Lemkin von der ausbleibenden Strafverfolgung für das Armenier-Massaker dazu inspiriert wurde, in den nächsten 20 Jahren sein Konzept von Genozid zu entwickeln,596 das sich später in den 1940er Jahren parallel zum Konzept von crimes against humanity weiter schärfte, wie noch gezeigt werden wird. Der Gebrauch des Begriffs im Armenier-Telegramm führte aber zu keiner daran anschließenden zivilgesellschaftlichen Debatte, was auch an der Reaktion der Öffentlichkeit lag, die im Fall der Armenier-Massaker enttäuschend schwach blieb. 592 593 594

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Bassiouni, M. Cherif: Crimes against humanity. Historical evolution and contemporary application, Cambridge, New York 2011, S. 62. Für einen Überblick über die aktuelle Polemik zum Jubiläumsjahr aus juristischer Sicht vgl. Robertson, Geoffrey: An inconvenient genocide. Who now remembers the Armenians?, London 2014. Vgl. Vortrag einer Arbeitsgruppe im Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, 31.8.2015 (Leonie Vierck, Christos Kypraios and Elif Askin), Thema: „Three perspectives on the legal evaluation of the atrocities committed against the Armenian population in the late Ottoman empire around 1915“. Diese seien nämlich, neben rechtlichen Parametern, auch an das Verständnis der Zeit gebunden. Der Vortrag vertrat der These, dass bei einer breiten zeitgenössischen Debatte um die Verbrechen davon auszugehen sei, dass sich alle über die Völkerrechtsverletzung im Klaren gewesen seien. Vgl. im Gegensatz dazu die Auffassung der Völkermordresolution des Deutschen Bundestags zu Armenien vom 2. Juni 2016 in der Berichterstattung (https:// www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw22-ak-armenier/423804 , letzter Zugriff 23.06.2016). Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 587; Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 88. Vrdoljak, Ana Filipa: Human Rights and Genocide. The Work of Lauterpacht and Lemkin in Modern International Law, in: European Journal of International Law 20/(4) (2010), S. 1163–1194. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 117.

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Dies lässt sich zum einen auf den geopolitischen Kontext eines Konflikts am Rande Europas zurückführen, das sich selbst zeitgleich im Krieg befand und dem Kriegsverbrechen in Frankreich oder Belgien gedanklich näher lagen, zum anderen auf Verstrickungen europäischer Großmächte (insbesondere des Deutschen Reiches) in den Konflikt, die die Kriegsallianz nicht schwächen wollten. Nicht nur die allgemeine Öffentlichkeit zeichnete sich durch Desinteresse aus, auch die Fachöffentlichkeit schwieg. Segesser hat in seinen Studien herausgearbeitet, dass die Gräueltaten an den Armeniern im Gegensatz zu den in Belgien und Nordfrankreich begangenen Verbrechen auch unter den zeitgenössischen Völkerrechtlern „keine nennenswerte Bestürzung auslösten“.597 Die Reaktionen der Öffentlichkeit hingen in starkem Maße davon ab, ob es ExilArmenier gab, die als pressure group fungierten und Interesse für die Thematik weckten. In Großbritannien und den USA war die Kritik an den Verbrechen gegenüber den Armeniern aus diesem Grunde stärker als z.B. in Frankreich, allerdings äußerten sich auch dort kaum Völkerrechtler zum Thema. Besonders aktiv waren in Großbritannien Viscount James Bryce sowie private Vereine wie die Friends of Armenia, die Anglo-Armenian Association oder das British Armenia Committee.598 Dabei bildeten sich Interessengruppen; so legte der Historiker Arnold Joseph Toynbee, der mit Bryce schon im Hinblick auf Veröffentlichungen zu den Grausamkeiten in Belgien und Nordfrankreich zusammengearbeitet hatte, eine ganze Reihe von Abhandlungen vor, die das Ziel verfolgten, der britischen Öffentlichkeit die Grausamkeit der osmanischen Behörden drastisch vor Augen zu führen.599 Die Argumentationslinie war hier, es habe sich um eine neue Dimension von Verbrechen gehandelt, die auf die vollständige Vernichtung des armenischen Volkes abgezielt hätten, zudem bewiesen die angewandten Methoden eine „Rückkehr ins Mittelalter“.600 Bereits im erwähnten Carnegie-Report zu den Balkankriegen von 1912/13 hatte es eine ähnliche Wortwahl gegeben, und eine ähnliche Argumentation findet sich auch in den späteren Schriften der Exiljuristen des Zweiten Weltkriegs fast wörtlich wieder. Ziel der Arbeiten von Toynbee, Bryce und weiterer zu ihrem Umkreis gehörender Autoren war nicht eine strafrechtliche Ahndung der Verbrechen an den Armeniern, sondern ein politisches Ziel: die Zerschlagung des Osmanischen Reiches am Ende des Krieges. Bis Kriegsende 1918 gab es noch immer keine Übereinstimmung in der Frage, wie mit Kriegsverbrechen strafrechtlich umzugehen sei und wie insbesondere auf Massengewalt gegen Zivilisten reagiert werden solle. Zwar findet sich in der Folge, etwa in den US-Akten von 1917, in einem Dokument, das die Kriegsziele und im Vorhinein die Friedensbedingungen diskutierte, noch immer die Rhetorik um ‚humanity‘, allerdings wird hier deutlich, dass keineswegs 597 598 599

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Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 87. Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ S. 88. Bass, Gary Jonathan: Stay the hand of vengeance. The politics of war crimes tribunals : with a new afterword by the author (Princeton studies in international history and politics), Princeton, N.J., Woodstock, Oxfordshire 2002, S. 113. Toynbee, Arnold J.: The Murder of A Nation, London 1915.

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an eine Strafverfolgung gedacht war, sondern nach wie vor eine politische Konfliktlösung klassischer Art im Vordergrund stand. So heißt es mit Blick auf die Armenier in einem Memorandum der US-Regierung vom 22. Dezember 1917 unter Punkt 7: „As a result of the accomplishment of the foregoing, we must secure a guaranteed autonomy for the Armenians, not only as a matter of justice and humanity but in order to reestablish the one people of Asia Minor capable of preventing economic monopolization of Turkey by the Germans.“601

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es bei rhetorischer Unterstützung blieb und es zu keiner weitergehenden Debatte um crimes against humanity kam. Die Rolle der Öffentlichkeit (‚public conscience‘) blieb in diesem Fall zu schwach, um den Begriff zu einem strafrechtlich nutzbaren Werkzeug umzuformen. Global bedeutete dies, dass es nicht gelang, unter den verschiedenen völkerrechtlichen Meinungen Konsens herzustellen, zumal sich wegen des Krieges unüberbrückbare nationale Differenzen zeigten. Es war den Juristen alliierter und neutraler Staaten bis Kriegsende nicht gelungen, sich darauf zu einigen, dass „Strafverfolgung die Lösung zum Wiederaufbau moralischer Standards sowie einer Gemeinschaft unter den Völkern“ sein könne.602 Erst auf der Pariser Friedenskonferenz verständigten sich die Alliierten auf einen Minimalkonsens in Fragen der Strafverfolgung. Allerdings zeigten sich an den Gründen, die zu dieser Entscheidung für Strafverfolgung führten, auch die jeweils eigene Interpretation des Krieges selbst, der lückenhafte Zustand des Völkerrechts und die politischen und moralischen Ziele für die Nachkriegsordnung Europas. 4.2. Versailles 1919: Debatten und Prozesse in Leipzig und Konstantinopel Die Friedensverhandlungen in Versailles 1919 wurden zum Lackmustest für die Tragfähigkeit der in Den Haag getroffenen Regelungen. Es zeigte sich an den Debatten, dass der Primat der diplomatischen Forderungen nach Ausgleich für Kriegsschäden vor den juristischen Erwägungen der Zweckmäßigkeit erhalten blieb. Bisherige Forschungen haben die Verhandlungen der Versailler Friedenskonferenz, speziell die Arbeit der Untersuchungskommission sowie das Scheitern der Strafverfolgung, breit erforscht603 und insbesondere auch die Frage der Auslieferung Wilhelms II. durch die Niederlande sowie generell das Problem, einen Staatschef vor Gericht zu stel601 602 603

FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. I, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 43. Lewis, The birth of the new Justice, S. 36. Lewis, The birth of the new Justice; MacMillan, Peacemakers; Goldstein, The First World War peace settlements, 1919-1925; Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht?; Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374.; Bass, Stay the hand of vengeance; Willis, Prologue to Nuremberg; Schwengler, Walter: Völkerrecht, Versailler Vertrag

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len,604 eingehend erörtert. Jedoch sind diese Studien der Frage ausgewichen, inwieweit 1919 auf vorangegangene Debatten zurückgegriffen wurde. Dies könnte mit dem historiographischen Alleinstellungsmerkmal des Ersten Weltkriegs als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ zu tun haben.605 Seitdem jüngere Studien zu den Friedenskonferenzen von 1919 jedoch die Rolle der Öffentlichkeit und ihrer vielschichtigen Interventionsmöglichkeiten betonen,606 erscheint es sinnvoll, die Verhandlungen durch die Linse der hier verfolgten Fragestellung einer intellectual history zu betrachten. In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, wie der Begriff crimes against humanity 1919 zwar kurz auftauchte, sogar diskutiert wurde, sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Die Verhandlungen von Versailles waren davon geprägt, dass die Kriegsverbrecherfrage mit anderen politischen Fragen vermischt wurde. Global gesehen stand die politische Neuordnung der Welt im Vordergrund.607 Die Debatte um die Kriegsverbrechen nimmt daher nur einen kleinen Teil der Verhandlungen ein, die 1919 in Paris geführt wurden. Frankreich und Großbritannien favorisierten die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs, der über die Verbrechen des deutschen Staats und insbesondere seinen ehemaligen Staatschef urteilen müsse; die US-Amerikaner waren dagegen. Die Einigung auf ein internationales Tribunal scheiterte aber auch an der Weigerung der Niederlande, den Kaiser auszulieferen, unter Verweis auf herkömmliche Rechtsvorstellungen und seine Immunität als Staatsoberhaupt.608 Es gab in Versailles zwar gute Ansätze, etwa zur Definition von Kriegsverbrechen und zur Schaffung eines Strafgerichtshofs, diese scheiterten aber an der politischen Realität. Die Rolle der USA, die außer durch den Außenminister erstmals auch durch

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und Auslieferungfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20, Stuttgart 1982 ; Kolb, Eberhard: Der Frieden von Versailles, München 2005. Als Einstieg vgl. Ashton, Nigel J./Hellema, Duco: Hanging the Kaiser. Anglo‐Dutch relations and the fate of Wilhelm II, 1918–20, in: Diplomacy & Statecraft 11/2 (2000), S. 53–78. Kampmark, Binoy: Sacred Sovereigns and Punishable War Crimes. The Ambivalence of the Wilson Administration towards a Trial of Kaiser Wilhelm II, in: Australian Journal of Politics & History 53/4 (2007), S. 519– 537. Als Erster, der den Begriff verwendete, gilt Kennan, George F.: The decline of Bismarck’s European order. Franco-Russian relations, 1875-1890, Princeton, N.J. 1979. In der deutschen Historiographie vgl. Schulin, Ernst: Die Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, hrsg. v. Wolfgang Michalka, Weyarn 1997, S. 3–27.; Mommsen, Wolfgang Justin: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der erste Weltkrieg 1914-1918 (19. Jahrhundert (18061918) Band 17), Stuttgart 10., völlig neu bearb. Aufl.2002. Lewis, The birth of the new Justice; Sharp, Alan: The Versailles settlement. Peacemaking after the First World War, 1919-1923 (The making of the 20th century), Basingstoke [England], New York 2nd ed. 2008; Hull, A scrap of paper; McCarthy, Helen: The Lifeblood of the League? Voluntary Associations and League of Nations Activism in Britain, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 187–208. Vgl. als Überblick Tooze, J. Adam: The Deluge. The Great War, America and the remaking of the global order, 1916-1931, New York 2014. Die Problematik der Flucht Wilhelms II. ins Exil in den Niederlanden und die Haltung der niederländischen Regierung dazu ist sehr komplex, für einen Einstieg vgl. Abbenhuis, Maartje M.: The art of staying neutral. The Netherlands in the First World War, 1914-1918, Amsterdam 2006. S. 249–251.

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den Präsidenten selbst vertreten waren, ist hierbei ambivalent geblieben: Zum einen drängte US-Präsident Woodrow Wilson politisch mit seinem 14-Punkte-Plan machtvoll in Richtung einer neuen internationalen Weltordnung,609 zum anderen stellten sich gerade die Völkerrechtler der US-Delegation in der Kriegsverbrecherkommission durch ihr Beharren auf dem Supremat des Souveränitätsprinzips gegen jeden Versuch, eine internationale strafrechtliche Ahndung auf Basis der Prinzipien der ‚laws of humanity‘ zu beginnen. Dadurch verschob sich die Exekutive von einer internationalen Ebene wieder auf die nationale Ebene und den Besiegten wurde überlassen, ihre Kriegsverbrechen vor den eigenen nationalen Gerichten abzuurteilen. Aufgrund der schwierigen politischen Lage der Nachkriegszeit, insbesondere wegen der ungleichen Behandlung der Verlierer – also des Deutschen Reichs, Österreichs und der Türkei –, kam das Scheitern der Prozesse für Völkerrechtler nicht überraschend. Die Kritik der Öffentlichkeit führte jedoch wiederum dazu, dass verstärkt alternative Strategien der Konfliktlösung gesucht wurden, wie sie dann etwa im Völkerbund und mit dem Ständigen Gerichtshof evident wurden. Die Debatte globalisierte sich dabei zusehends, denn in Paris meldeten sich auch Völkerrechtler außereuropäischer Staaten zu Wort, wie neuere Forschungen, speziell zu den Akteuren aus Lateinamerika, belegen.610 Viele Delegationen waren mit großen Erwartungen nach Paris gereist, erstmals auch viele Vertreter von kleineren Staaten, insbesondere aus Lateinamerika und Asien.611 Die Akteure aus den ‚semiperipheral states‘ mahnten wirkliche Fortschritte im Völkerrecht an und rügten das Zögern der Großmächte. Becker Lorca beschreibt in seiner Analyse eindrucksvoll die Vorstöße lateinamerikanischer Staaten in Versailles, die rechtliche Modernisierung forderten. Der Umbau des klassischen Völkerrechts in ein modernes ‚law of nations‘ erforderte aus Sicht der großen Staaten, dass das Souveränitätsprinzip zwar etwas zurückgedrängt werden müsse, der Zivilisationsstandard jedoch implizit erhalten blieb.612 Die kleineren Staaten der „Semi-Peripherie“ dagegen hofften auf eine Stärkung der internationalen Rechtsordnung, die den schwächeren Staaten wirksameren Schutz als bisher bieten könnte und an der mehr Staaten als bisher teilhaben könnten, und waren dafür zu Zugeständnissen bereit. Der britische Premierminister David Lloyd George hatte 1918 mit dem Wahlslogan „hang the Kaiser“ Hoffnungen geweckt und stand nun in Versailles vor dem Problem, die Strafverfolgung politisch umsetzen zu müssen. In seiner berühmt gewor609

610 611 612

Zum Lebenswerk Wilsons vgl. zuletzt Berg, Woodrow Wilson: Amerika und die Neuordnung der Welt. Ebenso Cooper, John Milton: Woodrow Wilson. A biography, New York 2011. Knock, Thomas J.: To end all wars. Woodrow Wilson and the quest for a new world order, Princeton, N.J. 1995. Ambrosius, Lloyd E.: Wilsonianism. Woodrow Wilson and his legacy in American foreign relations, Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York 2002. Ninkovich, Frank A.: The Wilsonian century. U.S. foreign policy since 1900, Chicago 1999. Zu Wilsons Philosophie, insbesondere seinem progressiven Internationalismus, vgl. die Beiträge in Cooper, John Milton (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, internationalism, war, and peace, Washington, D.C., Baltimore 2008. Fischer, Thomas: Die Souveränität der Schwachen. Lateinamerika und der Völkerbund, 1920-1936 (Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte 98)2012. Becker Lorca, Mestizo international law, S. 237. Becker Lorca, Mestizo international law, S. 235–236.

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denen Wahlrede in Caxton Hall vom Januar 1918 hatte er die Ausarbeitung einer neuen Rechtsordnung gefordert: „We can no longer submit the future of European civilization to the arbitrary decisions of a few negotiators striving to secure by chicanery or persuasion the interests of this or that dynasty or nation. The settlement of the new Europe must be based on such grounds of reason and justice as will give some promise of stability.“613

Schon kurz nach dem Waffenstillstand, während der interalliierten Konferenz vom Dezember 1918, hatten Lloyd George und der französische Ministerpräsident Clemenceau verkündet, es werde zu Kriegsverbrecherprozessen kommen, der Kaiser werde vor ein spezielles Gericht gestellt und es werde keine neutralen Richter in diesen Verfahren geben, sondern nur Juristen der alliierten Staaten.614 Damit hatten zwei der Hauptakteure die Diskussion von vornherein politisch verengt. Die Franzosen betonten in ihrem Entwurf vom 29. November 1918, dass sich das Deutsche Reich moralisch schuldig gemacht habe („crimes committed against humanity“) und dass dies im Friedensvertrag niedergelegt werden müsse: „Stipulations of a moral nature, recognition by Germany of the responsibility and preferences of its rulers, which would emphasize the ideas of justice and of responsibility, and would legitimize the measures of punishment and precaution taken against her. Solemn repudiation of the violation of the right of nations and of the crimes committed against humanity.“615

Der französische Vorschlag nutzte hier erstmals wieder den Begriff crimes against humanity und forderte, ihn in den Friedensvertrag aufzunehmen. So heißt es unter Punkt G: „G. Stipulations of a moral character: Recognition by Germany of the responsibility and premeditation of her rulers justifying the measures of penalization and precaution taken against her. Solemn disavowal of the breaches of international law and of the crimes against humanity.“616

Es muss betont werden, dass der französische Vorschlag hier mit dem Begriff crimes against humanity die universalistische Absicht der Martens-Klausel in den Vordergrund rückt, also die Gesamtheit von Verbrechen, und dass der Begriff keineswegs gewählt wurde, um konkret Massengewalt gegen Zivilisten zu beschreiben. 613

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Zitiert nach Goldstein, Erik: The First World War peace settlements, 1919-1925 (Seminar studies in history), London, New York 2002, Dokument 2, Rede Lloyd Georges von Caxton Hall, 5. Januar 1918, S. 97–101. Hierzu ausführlich Goldstein, The First World War peace settlements, 1919-1925. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. I, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 354. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. I, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 369.

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Nach dem Beginn der Pariser Friedenskonferenz wurde die Forderung nach Strafverfolgung erneut bekräftigt. Allerdings sind hier rhetorisch auch propagandistische Elemente unübersehbar. Der französische Staatspräsident Raymond Poincaré machte in seiner Eröffnungsrede deutlich, dass „Gerechtigkeit“ das Leitmotiv der Friedenskonferenz werden solle.617 Darunter verstand Poincaré zum einen Restitutionen, zum anderen Strafverfolgung und „Garantien“, die eine erneute Aggression ausschließen sollten.618 Poincaré evozierte zur Eröffnung am 18. Januar 1919 den „Auftrag“ der Alliierten, dem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen, und das US-Protokoll vermerkte: „What gives you authority to establish a peace of justice, is the fact that none of the peoples of whom you are the delegates has had any part in injustice. Humanity can place confidence in you, because you are not among those who have outraged the rights of humanity.“619

Er fuhr fort: „Thus, the war gradually attained the fulness of its first significance, and became, in the truest sense of the term, a crusade of humanity for Right; and, if anything can console us, in part at least, for the losses we have suffered, it is assuredly the thought that our victory is also the victory of Right.“620

Es ging also zumindest rhetorisch um eine neue Rechtsordnung – und nicht um eine Revanche für erlittene Kriegsschäden, wie sich später in den Verhandlungen jedoch zeigen sollte. Ein internationales Strafgericht sollte nach Meinung Poincarés den Grundstein für die neue Rechtsordnung legen.621 Es war also nur folgerichtig, dass auch Wilson sich keineswegs auf Strafverfolgung festlegte, die für ihn eine eher nachgeordnete Rolle spielte, sondern erneut seinen Vorschlag zur Schaffung eines Völkerbunds als Instrument der kollektiven Friedenssicherung vorbrachte, den er seit 1916 propagierte. Während der nächsten Sitzung am 25. Januar 1919 brachte Wilson seinen Vorschlag zur Schaffung des Völkerbundes erstmals in die Verhandlungen ein und betonte, nur so könne ein System geschaffen werden, das einen dauerhaften Frieden ermögliche. „We have assembled for two purposes – to make the present settlements which have been rendered necessary by this War, and also to secure the Peace of the world not only by the present settlements but by the arrangements we shall make in this Conference for its 617 618 619 620 621

Lewis, The birth of the new Justice, S. 40. Zitiert nach Lewis, The birth of the new Justice, S. 40. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. III, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 159. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. III, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 162. Times, January 20, 1919, abgedruckt in einem Aufsatz der American Association for International Conciliation, Documents Regarding the Peace Conference (NewYork, 1919), No. 139, S. 807–13.

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maintenance. The League of Nations seems to me to be necessary for both of these purposes.“622

Der französische Delegierte Léon Bourgeois evozierte in seiner Antwort auf den Wilson’schen Vorschlag das dritte Element der Martens-Klausel, indem er unterstrich: „We have then the duty of facing a problem of conscience which thrills us all, that is what we are to do to reconcile the special interests of our peoples, which we cannot forget, with those of our common country, all Humanity.“623

Auf Anregung Clemenceaus wurde am 25. Januar 1919 während der Vor-Friedenskonferenz in Paris eine Untersuchungskommission gegründet, die den Titel „Commission on the Responsibility of the Authors of War and the Enforcement of Penalties“ trug. Diese Kommission ist, bei allen Unterschieden, als Vorläufer ähnlicher Kommissionen des Zweiten Weltkriegs zu sehen, etwa der United Nations War Crimes Commission.624 Ihre Aufgabe war es nicht nur, die Frage der Schuld am Kriegsausbruch zu diskutieren und Kriegsverbrechen zu dokumentieren, sondern auch einen Vorschlag für die Einsetzung eines Tribunals auszuarbeiten.625 Segesser, Lewis und Rhea haben die Arbeit dieser Kommission analysiert, so dass hier nur die Frage der Strafverfolgung herausgegriffen wird. Ein Problem war nämlich, dass die Kommission keine strafrechtliche Verfolgung der Urheber des Kriegs anstrebte (denn der Angriffskrieg war noch nicht geächtet), sondern eher eine (politische) Stigmatisierung des in ihren Augen Hauptverantwortlichen – des deutschen Kaisers. Die Auswahl der Mitglieder der Kommission spiegelte die generelle Sitzverteilung in der Friedenskonferenz: So gab es jeweils zwei Sitze für Vertreter des British Empire, Frankreichs, Italiens, Japans und der USA und jeweils einen Sitz für die kleineren Staaten Belgien, Griechenland, Polen, Rumänien und Serbien, die Kriegsopferstaaten vertraten.626 Die Mitglieder dienten als Juristen in hohen Funktionen in den Verwaltungsbürokratien ihrer Länder: Der amerikanische Außenminister Robert Lansing, selbst Rechtsanwalt, und sein Berater James Brown Scott, waren beide bereits auf den beiden Haager Friedenskonferenzen als Delegierte dabeigewesen. Der französische Völkerrechtler Ferdinand Larnaude, Dekan seiner Fakultät in Paris, galt als enger Berater Clemenceaus. Der renommierte belgische Völkerrechtler Edouard Rolin-Jaequemyns brachte Erfahrung aus den beiden Friedenskonferenzen mit. Der 622 623 624

625 626

FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. III, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 178. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Vol. III, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 184. Rhea, Harry M.: The Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on Enforcement of Penalties and its Contribution to International Criminal Justice After World War II, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 147–169. S. 148. The United Nations War Crimes Commission: History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, London 1948, S. 32. Lewis, The birth of the new Justice, S. 42.

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britische Völkerrechtler Sir Ernest Pollock, Großbritanniens zweiter Kronanwalt (Solicitor General), hatte als Mitglied in der britischen Untersuchungskommission unter John MacDonnell Empfehlungen zur britischen Kriegsverbrecherpolitik ausgesprochen. Als Generalsekretär der Kommission amtierte der Franzose Albert de Geouffre de Lapradelle, der ebenfalls (zusammen mit Ferdinand Larnaude) bereits ein Gutachten für die französische Kommission zu Fragen der Kriegsverbrecherpolitik erarbeitet hatte.627 Die Delegierten in Versailles sahen kein Problem darin, nationale Interessen zu vertreten, Reparationen zu fordern oder territorialen Zugewinn. Es wurde deutlich, dass das Völkerrecht auch dazu genutzt werden konnte, nationalen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen.628 Parallel zur Kommission arbeitete noch der sogenannte Viererrat (Council of Four), der aus den vier Regierungschefs David Lloyd George, Georges Clemenceau, Thomas Woodrow Wilson und Vittorio Orlando (Italien) bestand und der als letzte Instanz einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen finden musste. Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Frage der Strafverfolgung nur eines von vielen Problemen der Friedenskonferenz war, die durch die Regierungschefs gelöst werden sollten: Die Fragen der Grenzziehung oder des territorialen Austauschs mussten diskutiert werden, Reparationen, die ungarische kommunistische Revolution sowie eine mögliche Intervention im Russischen Bürgerkrieg. Der Viererrat kam daher nur in zwei Sitzungen überhaupt auf die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen zu sprechen.629 Präsident Wilson machte in der Unterredung mit Clemenceau, Lloyd George und Orlando im Viererrat am 2. April 1919 deutlich, dass er gegen Strafverfolgung des Kaisers sei, denn dies würde seinen Plan, die Nachkriegsordnung durch den Völkerbund zu sichern, ebenso gefährden wie gute wirtschaftliche Nachkriegsbeziehungen.630 Zudem fürchtete er ernsthafte juristische Schwierigkeiten: Eine Anklage gegen den Kaiser würde die „gerechte Sache“, für die die Sieger eintraten, verwässern und (insbesondere in Deutschland) den Eindruck entstehen lassen, die Strafverfolgung sei nicht unparteiisch; dies sei besonders problematisch, da die Rechtsgrundlage der Prozesse noch ungeklärt sei. Wilson bemerkte: „We must prevent history from reproaching us for having judged before establishing the legal principles for the sentence“.631 Wilsons doch recht konservative (juristische) Position ist bemerkenswert, da er ansonsten ja häufig stark moralisch und visionär argumentierte. David Lloyd George wiederum betonte, nur ein internationales Strafverfahren könne wirklich helfen, den Frieden zu sichern, wie es auch die Untersuchungskommission empfohlen habe: „The commission proposes the establishment of a court of justice in which all the belligerent nations, great and small, would be represented, and which 627 628 629 630 631

Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 89. Lewis, The birth of the new Justice, S. 43. Lewis, The birth of the new Justice, S. 50. Robertson, Crimes against humanity, S. 305. Link, Arthur Stanley: The Deliberations of the Council of Four. Notes of the Official Interpreter, Paul Mantoux (March 24-June 28, 1919), Princeton, N.J. 1992. Meeting vom 2. April 1919, S. 121.

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would pronounce judgements.“632 Wilson legte darauf die grundsätzliche US-Skepsis in einem Satz dar: „It would create a dangerous precedent to try our enemies by judges who would represent us. Suppose, in the future, a single nation is victorious over another which had attacked it in violation of international law. Would it alone judge those who were guilty of crimes against international law, of which it had been the victim?“633

Lloyd George fasste in seiner Entgegnung wiederum die britische Position zusammen: „Not at all; in that case, the League of Nations, conforming to the fundamental rules we have given it, must intervene, and it is not Belgium or France which judges its offenders; we judge with them, and we intervene in order to vindicate justice.“

Die nationalen Positionen waren sorgfältig vorbereitet worden. In Vorbereitung der Friedensverhandlungen 1919 in Paris hatten Großbritannien und Frankreich verschiedene juristische Gutachten in Auftrag gegeben, auf die nun zurückgegriffen werden konnte. Insbesondere mussten der Straftatbestand und die Art der Strafverfolgung definiert werden. Das britische Gutachten folgte der generellen Linie Londons und damit der Definition von ‚war crimes‘, wie sie Hugh Bellot 1916 vorgelegt hatte. Der Bericht selbst nannte jedoch keine konkreten Straftatbestände, sondern sprach von „offences [...] against the law of nations“ und „crimes against International Law“. Wie Segesser herausgearbeitet hat,634 legte Ernest Pollock ein von seiner Delegation erarbeitetes Memorandum vor, welches die alliierten und assoziierten Mächte aufforderte, „bei der nächsten Erneuerung des bestehenden Waffenstillstandes die Bedingung zu stellen, dass die für die Verbrechen verantwortlichen Personen mitsamt den sie belastenden Dokumenten ausgeliefert“ würden; das Auslieferungsproblem wurde mithin von der britischen Regierung als das schwierigste erkannt. Die französischen Völkerrechtler Ferdinand Larnaude und Albert de Geouffre de Lapradelle (der eigentlich für das akademische Gutachten favorisierte Jurist Louis Renault war im Frühjahr 1918 verstorben) setzten andere Akzente und kamen in ihrem Gutachten zu dem Schluss, „dass eine Strafverfolgung sowohl im Fall der direkt für ein Verbrechen verantwortlichen Personen als auch im Fall derjenigen möglich sei, die einen Befehl zu solchen Taten gegeben oder die solche Verbrechen nicht verhindert hätten.“ Das französische Gutachten vermied jedoch den Begriff „Kriegsverbrechen“, und keiner der beiden Texte verwendete den Begriff crimes against humanity. Um die Forderung zu unterstreichen, Kaiser Wilhelm II. müsse vor ein internationales Gericht gestellt werden, betonte der französische Delegierte, man müsse 632 633 634

Link, The Deliberations of the Council of Four, Meeting vom 2. April 1919, S. 119. Link, The Deliberations of the Council of Four, Meeting vom 2. April 1919, S. 120. Ausführlich zum Folgenden vgl. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 212–232.

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hier die Reform des gesamten Strafsystems anstreben: „To deliver [a judgment] against the crimes which demand the solemn and purifying sanction demanded by public conscience, a more elevated jurisdiction is required, with more resounding debates, a grander scene.“635 Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass das politische Interesse Frankreichs keineswegs im Fortschritt des Kriegsvölkerrechts bestand, sondern eher ein akzeptabler Revanchefrieden angestrebt wurde, mit dem die Schäden durch Reparationen abgegolten werden würden. Ein zentraler Punkt der Versailler Verhandlungen war, neben der Klärung der Rechtsgrundlage, die Frage, welche Verstöße überhaupt vor Gericht gebracht werden könnten und unter welchem Begriff die Straftatbestände gefasst werden sollten. Was sollte als Kriegsverbrechen Geltung finden? Die Versailler Friedenskonferenz ist noch heute richtungsweisend für Kriegsverbrecherprozesse, da auf ihr eine konkrete Liste mit strafbaren Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht aufgestellt wurde, die sogenannte „Versailles list“, die 32 Punkte umfasste. Viele der dort erstmals als Straftatbestand gefassten Vergehen hatten Vorläufer aus dem Lieber-Code bzw. fanden sich bereits in der Haager Landkriegsordnung von 1907, waren aber durch neu bekannt gewordene Verbrechen aus dem Ersten Weltkrieg ergänzt worden.636 Die genaue Entstehung dieser Straftatbestands-Liste ist unklar und lässt sich aufgrund der vorliegenden Dokumente nicht abschließend rekonstruieren, wie Schwengler und Segesser beklagen.637 Es stellte jedoch einen Meilenstein des Kriegsvölkerrechts dar, dass die Haager Liste substantiell erweitert und den Realitäten des Krieges angepasst wurde. Die Debatte über die Rechtsgrundlage, die die geplanten Strafverfahren legitimieren würde, fand in zwei Unterkommissionen statt; dort wurden einerseits die Straftatbestände und die Beweislage, andererseits die Frage der konkreten Strafverfol635 636

637

Zitiert nach Lewis, The birth of the new Justice, S. 36. Die Liste ist abgedruckt in The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 34–35. Sie besteht im Einzelnen aus folgenden Punkten: Murders and massacres; systematic terrorism; (2) Putting hostages to death; (3) Torture of civilians; (4) Deliberate starvation of civilians; (5) Rape; (6) Abduction of girls and women for the purpose of enforced prostitution; (7) Deportation of civilians; (8) Internment of civilians under inhuman conditions; (9) Forced labour of civilians in connection with the military operations of the enemy; (10) Usurpation of sovereignty during military occupation; (11) Compulsory enlistment of soldiers among the inhabitants of occupied territory; (12) Attempts to denationalise the inhabitants of occupied territory; (13) Pillage; (14) Confiscation of property; (15) Exaction of illegitimate or of exorbitant contributions and requisitions; (16) Debasement of currency, and issue of spurious currency; (17) Imposition of collective penalties; (18) Wanton devastation and destruction of property; (19) Deliberate bombardment of undefended places; (20) Wanton destruction of religious, charitable, educational and historic buildings and monuments; (24) Attack on and destruction of hospital ships, (25) Breach of other rules relating to the Red Cross; (26) Use of deleterious and asphyxiating gases; (27) Use of explosive or expanding bullets, and other inhuman appliances; (28) Directions to give no quarter; (29) Ill-treatment of wounded and prisoners of war; (30) Employment of prisoners of war on unauthorised works; (31) Misuse of flags of truce; (32) Poisoning of wells. Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungfrage, S. 99. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 91.

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gung diskutiert.638 In der Kommission zeichneten sich im März 1919 zwei Positionen unter den Alliierten ab: Juristen der Kommission verlangten zunächst Kriegsverbrecherprozesse nicht nur für den Kaiser, sondern auch für führende Militärs und Politiker, und zwar unter der Anklage „for violating the laws and customs of war and the ‚laws of humanity‘“, eine Formulierung, die sich direkt auf die Martens-Klausel bezog.639 Dazu sei die Immunität des Kaisers aufzuheben, denn es handle sich um schwerwiegende Verbrechen gegen die internationale Rechtsordnung.640 Auch diese Kommissionen sollten zum Vorbild für ähnliche Kommissionen im Zweiten Weltkrieg werden. Schon bald kam es wegen der fehlenden Einigung über die anzuwendende Rechtsgrundlage zu Kontroversen. Robert Lansing argumentierte, dass eine Strafverfolgung einzig für diejenigen Handlungen möglich sei, die schon vor dem Krieg als strafbar gegolten hätten.641 Er wandte sich damit gegen die Gefahr einer retroaktiven Anwendung von Gesetzen. Larnaude und Pollock argumentierten dagegen eher im Geiste der Martens-Klausel: Es gebe auch Handlungen, die vom positiven Recht noch nicht als solche erkannt worden seien, bei welchen es sich allerdings zweifellos um kriminelle Taten im Sinne des Strafrechts handle.642 Es sei nicht Aufgabe der Kommission, über die Strafbarkeit solcher Taten zu entscheiden, dies müsse ein Gericht tun, und es sei, so Pollock, wiederum Aufgabe der Friedenskommission, einem Gericht die Zuständigkeit für ein solches Verfahren zuzuweisen: „We believe, for the peace of the world, it is right we should bring to trial those who are responsible for such unconscionable breaches of the principles of humanity which have been committed. That, I believe, is the root difference between your views, [Mr. Lansing], and mine, but it is one on which the British Empire intends to insist – it is a conservative case.“643

Diese Argumentation sollte sich später fast wortgleich in den Beratungen der Londoner Konferenz vom Sommer 1945 finden und deutet auf das Versäumnis hin, dass es 1919 nicht gelungen war, die Frage der Rechtsgrundlage für einen solchen Gerichtshof zu klären.644 Auch der Belgier Rolin-Jaequemyns hielt das Argument nicht für überzeugend, dass es sich um ein schriftlich vor dem Krieg niedergelegtes Gesetz handeln müsse, und argumentierte mit dem Universalitätsanspruch der Martens-Klausel, dass ein 638 639 640

641 642 643 644

Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, S. 90–91. Lewis, The birth of the new Justice, S. 27–28. Kramer, Alan: Versailles, deutsche Kriegsverbrechen und das Auslieferungsbegehren der Alliierten 1919/20, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 72–84. S. 76. Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ S. 91. Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, S. 91. Minutes of the Plenary Commission, 17.03.1919, in: Lapradelle, Albert (Hrsg.): La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Paris 1929, Vol. 3, S. 370. Vgl. das Protokoll in International Conference on Military Trials: London, 1945 Minutes of Conference Session, 23.07.1945, http://avalon.law.yale.edu/imt/jack44.asp .

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solches Regelwerk des ius in bello in vielen verschiedenen Varianten in den nationalen Gesetzbüchern existiere.645 Er betonte: „Ces lois existent et la question n’est pas si elles existent, mais si une sanction est applicable. [...] II y a eu des crimes contre l’humanité, des faits punissables d’après les lois nationales de tous les pays; nous sommes d’accord pour les punir.“

Doch Lansing lehnte die Kompromissvorschläge seiner europäischen Kollegen kühl ab: „We have been laboring here for six weeks. Everybody has endeavored to find a formula that would harmonize irreconcilable differences. We have failed – frankly, we have failed. The United States went as far as it could without surrendering what it considered fundamental principles. […] It is not a failure from lack of desire, or lack of effort. It is simply that our views no more mingle than oil and water.“646

An diesem Punkt der Debatten wurde erneut der Begriff crimes against humanity angesprochen. Wie vor ihm schon Dexter North und Hugh Bellot während der Kriegszeit, sprach sich Rolin-Jaequemyns in der Kommission für den neuen Begriff crimes against humanity aus, um Verstöße gegen die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Kriegsvölkerrechts zusammenzufassen. Rolin-Jaequemyns schlug drei Ahndungsmöglichkeiten vor, und zwar eine Strafverfolgung erstens gemäß den allgemeinen Gesetzen der Menschlichkeit, zweitens gemäß den im engeren Sinn verstandenen Gesetzen und Gebräuchen des Krieges (hier ist wohl die Haager Landkriegsordnung gemeint) oder drittens vor nationalen Gerichten, also gemäß dem Strafrecht derjenigen Länder, in welchen die Verbrechen begangen worden seien.647 Uneinigkeit herrschte auch in der Frage, ob Angriffskrieg selbst bereits ein Kriegsverbrechen darstelle und ob Strafverfolgung vor einem internationalen oder vor nationalen Gerichten erfolgen solle. Aus Rolin-Jaequemyns’ Sicht stellten internationale Konventionen keinen Wert dar, wenn die in ihnen niedergelegten Richtlinien nicht in die Exekutive überführt würden – und dies auch dann, wenn Strafverfolgung in den bisherigen Konventionen nicht vorgesehen war. Deutschland habe systematisch die Haager und die Genfer Konvention verletzt, und man müsse durch Strafverfolgung nun die Gültigkeit dieser Standards wiederherstellen bzw. bekräftigen, so die Forderung der Völkerrechtler. Es ist von Bedeutung, dass der Vorschlag vom belgischen Vertreter kam, also einem Juristen der ‚semi-peripheral states‘ (dessen

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Minutes of the Plenary Commission, 17.03. 1919, in: Lapradelle, La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, S. 297. Minutes of the Plenary Commission, 17.03.1919, in: Lapradelle, La Documentation Internationale. La Paix de Versailles. Vol. 3. S. 372. Vgl. auch die Analyse bei Holquist, The Origins of “Crimes against Humanity”. S. 50. Minutes of the Plenary Commission, 17.03.1919, in: Lapradelle, Albert (Hrsg.): La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Paris 1929. S. 298.

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Vertreter wiederum im Zweiten Weltkrieg erneut an der Ausarbeitung des Konzepts von crimes against humanity beteiligt sein sollten, wie zu zeigen sein wird). Die Großmächte zeigten sich nicht abgeneigt. Ernest Pollock bekräftigte seine Auffassung, wonach eine Strafbarkeit bei Verstößen gegen die Prinzipien der Menschlichkeit auch gegeben sei, wenn diese vorher nicht kodifiziert wurden, und verwies dabei auf die Martens-Klausel und das ihr innewohnende ‚law of humanity‘. Der erste Entwurf des Kommissionsberichts enthielt deshalb sowohl einen Hinweis auf die Haager Landkriegsordnung als auch auf crimes against humanity.648 Doch die US-Delegation lehnte den Begriff aus verfassungsrechtlichen Bedenken rundheraus ab, sah sie in ihm doch eine Bedrohung des Souveränitätsprinzips.649 Insbesondere Robert Lansing versuchte in der Folge mit großer Energie, den Begriff crimes against humanity aus dem Entwurf zu tilgen. Er äußerte diesen Wunsch erstmals am 24. März 1919, doch Larnaude wie Pollock wiesen den Versuch zurück. Weder Larnaude noch Pollock bedienten sich selbst des Begriffs crimes against humanity, aber aus ihren Diskussionsbeiträgen wird deutlich, dass sie nicht nur Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung für strafbar hielten, sondern auch solche gegen „die ungeschriebenen Prinzipien der Menschlichkeit“, die die Martens-Klausel evozierte und die durch crimes against humanity Ausdruck fanden.650 Gemäß einer Absprache zwischen Pollock und Lansing verblieb der Begriff zwar zunächst im Kommissionsbericht, fand später jedoch keinen Eingang in den Friedensvertrag selbst. Es ist zu konstatieren, dass im März 1919 offenbar zwei Ebenen des Begriffs in der Diskussion standen: zum einen der universalistische Begriff von crimes against humanity, der seine Wurzeln in der Martens-Klausel hatte und eher auf einer moralischen Ebene argumentierte, zum anderen die im Armenier-Telegramm zutage getretene politische Ebene des Begriffs, der Verbrechen an Minderheiten und Zivilisten meinte, die von der Staatengemeinschaft geächtet werden müssten. Der Kommissionsbericht, der im März 1919 veröffentlicht wurde,651war ein Kompromiss zwischen der Meinung der Mehrheit der Mitglieder und der der beiden amerikanischen Delegierten, Lansing und Scott, die ein Minderheitenvotum abgaben. Darin legten sie auch ihre Sicht dar, nach der ein Regierungschef nicht von einem anderen Staat zur Rechenschaft gezogen werden könne; dieses Votum wurde von den japanischen Kommissionsmitgliedern unterstützt.652 Lansing und Scott unterstrichen auch ihre Auffassung, dass das Konzept crimes against humanity keine wirkliche Rechtsgrundlage für Kriegsverbrechen bilden könne, da es zu unbestimmt 648

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651 652

Lapradelle, La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, S. 396. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 91. Vgl. zu den komplexen Hintergründen der US-Position Ignatieff, Michael (Hrsg.): American exceptionalism and human rights, Princeton 2005. Lapradelle, Albert (Hrsg.): La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Paris 1929, S. 421– 422; Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 92. Commission on the Responsibility of the Authors of War and the Enforcement of Penalties: Report to the Preliminary Peace Conference, in: American Journal of International Law 14 (1920), S. 95–154. Willis, Prologue to Nuremberg, S. 68–77. Lewis, The birth of the new Justice, S. 50.

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sei und da überdies kein „allgemein anerkannter Standard von Menschlichkeit“ existiere.653 Dies ist umso bedeutsamer, als der Begriff crimes against humanity in der Mantelnote des Ultimatums an das Deutsche Reich vom 16. Juni 1919 wieder explizit auftauchte und hier offenbar die moralische Dimension meinte. Darin heißt es in einer gemeinsamen Erklärung aller Alliierten (also auch der Amerikaner): „The Allied and Associated Powers therefore feel it necessary to begin their reply by a clear statement of the judgment passed upon the war by practically the whole of civilised mankind. In the view of the Allied and Associated Powers the war which began on August 1st, 1914, was the greatest crime against humanity and the freedom of peoples that any nation, calling itself civilised, has ever consciously committed.“654

Weiter führte der Text aus: „The conduct of Germany is almost unexampled in human history. The terrible responsibility which lies at her doors can be seen in the fact that not less than seven million dead lie buried in Europe, while more than twenty million others carry upon them the evidence of wounds and sufferings, because Germany saw fit to gratify her lust for tyranny by resort to war. The Allied and Associated Powers believe that they will be false to those who have given their all to save the freedom of the world if they consent to treat this war on any other basis than as a crime against humanity and right.“655

Die französische Delegation war zusammen mit den britischen Vertretern federführend bei der Ausarbeitung des Entwurfs; es ist daher plausibel, dass mit dem Begriff hier wieder die von Vertretern beider Staaten bisher beschriebene moralische Dimension (also Verstöße gegen das universalistische Völkerrecht und die MartensKlausel) gemeint war. Festzuhalten ist, dass die Debatte um crimes against humanity in Versailles für den Fortgang der Debatten zentral ist, zumal vor dem Hintergrund, dass der universalistische Begriff keinen Eingang in die Schlussfassung des Friedensvertrags fand. Die Argumentationslinie von Befürwortern und Gegnern sollte sich fast wortgleich im Zweiten Weltkrieg wiederholen, und erst dort sollte ein Wechsel auf die juristische Ebene schließlich gelingen. Eine der wesentlichen Debatten der Versailler Kommissionen war der Diskurs um eine Neuausrichtung des Völkerrechts, und außereuropäische Akteure nutzen in Paris 1919 die Gelegenheit, ihre Stimme zu erheben, wie Goebel facettenreich nachgewiesen hat.656 Es ging dabei um ‚new sensibility‘, was laut dem französischen Völkerrechtler Ferdinand Larnaude meinte, das Recht in der Frage der Strafverfol653 654 655 656

Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 92. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Volume XIII, U.S. Government Printing Office, 1919, S. 44. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Volume XIII, U.S. Government Printing Office, 1919. Goebel, Anti-Imperial Metropolis.

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gung für Kriegsverbrechen im Sinne positiven Rechts und internationaler Konventionen wie etwa der Haager Landkriegsordnung oder der jeweiligen nationalen Militärstrafgesetzbücher zu reformieren; dementsprechend müsse sich nun ein universalistisches ‚law of nations‘ durchsetzen. In den Protokollen der Versailler Konferenz ist vermerkt: „Larnaud[e] repeated that the ,laws of humanity‘ were not inserted here to create a special charge, but to mark the development of a new sensibility in universal opinion.“657 Auch sein britischer Kollege Ernest Pollock unterstrich, dass die britische Regierung die Friedenskonferenz als eine Gelegenheit sähe, das Völkerrecht zu modernisieren: „We regard the present case as one which enables us really to develop the law. And now, when I say that, what do I mean by ‚the law‘? Law is the settled practice which by evolution and development comes when a large body of opinion in a State, by Act of Parliament, or by the changes introduced from time to time, improves, alters and develops the law. Law is not something incapable of development. […] We regard the occasion of the Peace Conference, with its association of […] fifteen or sixteen countries, – as an opportunity when those countries may bring up to date the duties which now arise from the settled opinion of civilized States. […] If it is said to be an advancement of law, I am glad to hear it. It is in accordance with the principles of law.“658

Der belgische Völkerrechtler Rolin-Jaequemuys widersprach diesem Modernisierungsanspruch der Vertreter der hegemonialen Mächte und betonte, er selbst sei bei der Verabschiedung zweier Konventionen in Den Haag dabei gewesen und das Recht, das dort geschaffen worden sei, sei ausreichend, man müsse ihm nur zur Durchsetzung verhelfen und Sanktionen sowie einen Ahndungsmechanismus ausarbeiten.659 Damit war eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen den Erwartungen der großen und denen der kleineren Staaten benannt. Außer den Belgiern nutzten noch weitere Vertreter kleinerer Staaten, insbesondere aus Lateinamerika und aus Asien, die Gunst der Stunde, um eine Modernisierung des Völkerrechts und Mechanismen zu fordern, die den schwachen Nationen wirklich Schutz bieten würden.660 Der Vertreter Panamas, Burgos, betonte in seiner Ansprache am 28. April 1919, dass das Ziel der Friedenskonferenz die Stärkung des Völkerrechts und seine Überwachung im zukünftigen Völkerbund sein müsse: „It has needed the terrible war conflagration which, during more than four years, has desolated the world and burdened humanity with irreparable sacrifices to bring about this 657

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Minutes of the Plenary Commission, 24.03.1919, in: Lapradelle, Albert (Hrsg.): La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Paris 1929, Vol.3. S. 421. Vgl. auch Lewis, The birth of the new Justice, S. 46. Minutes of the Plenary Commission, 17.03.1919, in: Lapradelle, Albert (Hrsg.): La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Paris 1929, Vol. 3, S. 370. Minutes of the 3rd Subcomission, 21.02.1919, in : Lapradelle, La Documentation Internationale. La Paix de Versailles, Vol. 3, S. 309. Goebel, Anti-Imperial Metropolis.

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result. We must ask for the creation of a League founded on the immutable bases of Right and Justice, as President Wilson has so fitly said. This work will form, moreover, the line of demarcation between two epochs of humanity: that of wars of ambition and conquest, and that of the triumph of international justice.“661

Burgos fuhr fort, ganz im Sinne der Martens-Klausel an das Gewissen der Welt zu appellieren und den Zivilisationsstandard der gesamten Menschheit zu evozieren, der sich fortentwickelt und Kriege inzwischen überflüssig gemacht habe (im Übrigen ein Argument aus der Friedensbewegung): „Finally, it has been said that wars are necessary, and that it is impossible to avert them. The whole history of humanity has concentrated on this perpetual struggle between juridical rules of social justice conceived by the human conscience and the anxieties, errors, interests and passions which throughout the centuries, have resisted the establishment of social forms. I beg those who today may regard it as impossible to put in practice the rules of the League of Nations in order to assure justice and peace among peoples, to reflect on the stages through which humanity has had to pass in order to reach the guiding principles of social justice which today prevail among civilized peoples.“662

Der Vertreter der Delegation von Honduras, Policarpo Bonilla, argumentierte zunächst ähnlich wie der amerikanische Vertreter Lansing, etwa in seiner Kritik der Anklage gegen den Kaiser und des fehlenden Präzedenzfalls (nulla poena sine lege scripta).663 Doch vor allem störte Bonilla, dass die Alliierten nicht das gleiche Recht auch auf Völkerrechtsverletzungen auf alliierter Seite anwandten. Bonilla ging sogar noch weiter, indem er am 6. Mai 1919 in der Plenarsitzung der Friedenskonferenz forderte, dass ein universalistisches, modernes Völkerrecht sich gegen Sieger wie Besiegte gleichermaßen richten müsse; auch die Alliierten müssten sich dann dem Urteil stellen: „If it were sought to establish a precedent, with a view to protecting the rights of humanity and render a tribute to absolute justice, a reciprocity clause should have been inserted laying on the Allied and Associated Governments the obligation of bringing to trial and punishing the offences and crimes which their nationals might have committed against the enemy in violation of the laws and customs of war or of the laws of their own country; for these cases, however few they might be, should not remain altogether unpenali-

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FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Volume III, U.S. Government Printing Office, 1919, Preliminary Peace Conference, Protocol No. 6, Plenary Session, 28.04.1919, S. 304. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Volume III, U.S. Government Printing Office, 1919, Preliminary Peace Conference, Protocol No. 6, Plenary Session, 28.04.1919, S. 305. Lansing, Robert: Notes on World Sovereignty, in: American Journal of International Law 15/(1) (1921), S. 13–27. S. 25.

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zed, and the Allied and Associated Governments could not wish that they should go unpunished.“664

Bonilla ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass das Deutsche Reich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden müsse, denn es sei für bisher ungekannte Zerstörungen verantwortlich: „That is the reason for which we should wish to see inserted in the Covenant of the League of Nations, or in some other Covenant adopted by this Conference, provisions of such an effective nature as to enable us to discount the possible recurrence of these outrages against humanity, and such as would ensure the infliction of condign and exemplary punishment if ever such outrages were again committed. It is thus that you would fill the void at present existing in international law.“665

Hierin zeigen sich bereits beide Elemente des Begriffs crimes against humanity: Zum einen wurde der universalistische Anspruch der Martens-Klausel evoziert, dass sie für alle Verbrechen, auch die noch nicht kodifizierten, gelte, zum anderen der moralische Aspekt angesprochen. Bonilla sprach hier jedoch den Kern der MartensKlausel an, der besagt, dass universale Prinzipien auch universale Gültigkeit haben müssen, demzufolge also auf beiden Seiten der Kriegsallianz, denn sonst sei der Vorwurf der Siegerjustiz gerechtfertigt. Hiermit schloss er an Positionen an, die vor ihm schon Wilson vertreten hatte. Lewis betont, den Völkerrechtlern sei es nach 1919 generell darum gegangen, ganz neue Rechtsgrundsätze, sozusagen ein neues Völkerrecht oder „new justice“, zu schaffen. Der Begriff, den Lewis für die Diskussionen der Zwischenkriegszeit in die wissenschaftliche Debatte eingeführt hat, geht zurück auf einen Zeitungsartikel des niederländischen Juristen Joost Adriaan van Hamel vom 30. Januar 1919. Van Hamel, gleichzeitig politischer Chefredakteur des Wochenmagazins De Amsterdammer und juristischer Berater des neugeschaffenen Sekretariats des Völkerbunds, hatte in seinem Artikel dafür plädiert, dass die Niederlande den Kaiser nicht vor dem Prozess vor einem Gerichtshof der Nationen bewahren sollten. Während er anerkannte, dass die Rechtslage (insbesondere im niederländischen Asylrecht) kompliziert sei und die Frage eines unparteiischen Gerichtsverfahrens nicht völlig sichergestellt, betonte er doch, diese „technischen Schwierigkeiten“ müssten überwunden werden, denn hier gehe es um mehr: Man brauche jetzt

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FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Volume III, U.S. Government Printing Office, 1919, Preliminary Peace Conference, Protocol No. 6, Plenary Session of May 6, 1919, “Note of explanation in regard to the wish expressed by the Honduran Delegation and readat the Plenary Session of May 6th, 1919“, S. 390. FRUS, United States Department of State, Papers relating to the foreign relations of the United States, The Paris Peace Conference, 1919, Volume III, U.S. Government Printing Office, 1919, Preliminary Peace Conference, Protocol No. 6, Plenary Session of May 6, 1919, S. 390.

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„justice according to the spirit – It must be understood also by jurists that this matter cannot be dealt with according to set rules, made for entirely other circumstances. This is an enormous historical and moral problem concerning millions of people. It is a question of responsibility of a ruler [...] for the misery of the world war and for the injustice with which it was commenced.“666

„Justice according to the spirit“ beschreibt dabei aus van Hamels Perspektive die Anpassung an die Realität und die Abwendung vom Elfenbeinturm, was bedeutet, dass man sich nicht hinter der Idee konstitutioneller Schutzvorschriften verstecken dürfe, wie seine Gegner es taten. Diese Argumentation sollte 1944 vom tschechoslowakischen Delegierten Bohuslav Ecer fast wörtlich in der UNWCC wiederholt werden. Aus Sicht der Verfechter der „new justice“ ging es darum, die rechtliche Vorstellung des Konzepts von bloßen „Verstößen“ (die durch das Völkerrecht bereits definiert waren) in „Verbrechen“ umzuwandeln und „als Sanktion Strafverfolgung einzusetzen statt wie bisher lediglich moralische Verurteilung, Prozesse zu führen statt politische Ächtung auszusprechen und das Konzept der absoluten Staatssouveränität durch eine Form limitierter Staatssouveränität zu ersetzen“.667 Gegner von van Hamels Vorstellungen sahen sich dagegen als Verteidiger der alten Ordnung und wollten insbesondere die Ideale eines unparteiischen Prozesses, nationaler Rechtstraditionen, des politischen Asylrechts und des Schutzes der eigenen Bürger gegenüber politisch motivierter Verfolgung weitertragen. Lewis bilanziert die Bemühungen, neue Wege zu gehen, unter dem Schlagwort von „new justice“ folgendermaßen: „The ,new justice‘ was an attempt to prosecute individuals, regardless of their rank, under international law and even broader standards (‚the laws of humanity‘), yet it was also filled with political decisions and moral messages about the meaning of the war. When Allied political leaders attempted to implement it, they were more interested in redressing injuries and injustices sustained by the past war than creating a complete mechanism that would prevent future aggressive war and violations of the laws of war.“668

Eine der Haupt-„Messages“ der Pariser Friedensverhandlungen war zweifellos das Problem eines Strafverfahrens gegen den deutschen Kaiser. Die Schlussfassung forderte schließlich (wie im späteren Artikel 227 des Versailler Vertrags niedergelegt 666

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Joost van Hamel, The legal Position of the Emperor and Crown Prince, in: Handelsblad, 30.01.1919, reprint in Dockrill, Michael L. (Hrsg.): British Documents on Foreign Affairs: Reports and Papers from the Foreign Office Confidentital Print. Part II: From the First to the Second World War. Series 1. The Paris Peace Conference of 1919. Vol. 5, Frederick, MD 1989. Document 18. Lewis, The birth of the new Justice, S. 30, führt aus, dass es sich wahrscheinlich um eine falsche Datierung handle und der Aufsatz vom Herbst 1919 stammen müsse. Lewis, The birth of the new Justice, S. 31, auch im Folgenden. Lewis, The birth of the new Justice S. 31. Lewis verweist hier darauf, dass van Hamel die Wendung ,,new morality and a new law“ in einem Völkerbundmemorandum benutzt hatte, vgl. Van Hamel, League of Nations Memo, 6.2.1920, in: League of Nations Archive Geneva (LNA) 1273/2944/2944.

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ist), den Kaiser vor Gericht zu stellen, allerdings nicht wegen Kriegsverbrechen, sondern „for a supreme offence against international morality and the sanctity of treaties“; es solle einen politischen Gerichtshof geben, mit dem Ziel, „to try the accused, thereby assuring him the guarantees essential to the right of defense.“669 Das juristische Argument wurde hier umgangen, indem ein Vertragsbruch des Völkerrechts konstatiert wurde – das jedoch wiederum bisher keine Sanktion für einen solchen Bruch vorsah.670 Der internationale Gerichtshof solle aus fünf Richtern bestehen, die aus Großbritannien, den USA, Frankreich, Italien und Japan kommen würden, so der Kommissionsvorschlag.671 Artikel 228 wurde das Kernstück des Vertrags in Sachen Kriegsverbrecherpolitik. Hier wurde festgelegt, dass es die Pflicht der deutschen Regierung sei, all diejenigen auszuliefern, die die Alliierten namentlich als Kriegsverbrecher benennen würden. Man spricht daher bei Artikel 227–230, die die Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher betrafen, zusammenfassend auch von den ‚Versailler Strafklauseln‘. Eine Verurteilung Wilhelms II. wäre für Kramer zumindest ein moralisch-ethisches Signal gewesen.672 Das Deutsche Reich unterzeichnete den Friedensvertrag inklusive der Strafklauseln, wiewohl unter Protest.673 Der Versailler Vertrag wurde zum Modell für die beiden nachfolgenden Friedensverträge mit Österreich-Ungarn (hier gab es jedoch keine Strafklauseln) sowie mit dem Osmanischen Reich. Wie gezeigt, standen jedoch andere Fragen mindestens ebenso im Fokus, etwa die Definition der Straftatbestände und eine Reform des Völkerrechts. Dennoch kann die Auslieferungsfrage nicht unerwähnt bleiben. Denn sie belegt das letztlich starke politische Interesse der Alliierten an der strafrechtlichen Ahndung zumindest einer Symbolfigur, die sich jedoch mit Vorschlägen der Expertenzirkel nicht deckte. Zudem war der politische Wunsch nach Abrechnung mit dem Kaiser juristisch nicht unproblematisch. Da Kaiser Wilhelm II. sich nach Doorn in Holland geflüchtet und um Asyl nachgesucht hatte, erforderte ein Prozess die Auslieferung des Kaisers durch die Niederlande. Die Auslieferung von hochrangigen Führungseliten nach einem Konflikt war jedoch niemals zuvor angestrebt worden, und so gab es Bedenken. Die Niederlande, die im Krieg neutral geblieben waren, waren strikt da669

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Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 44; Vgl. auch Willis, Prologue to Nuremberg, S. 177. Kramer, Alan: Versailles, deutsche Kriegsverbrechen und das Auslieferungsbegehren der Alliierten 1919/20, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 72–84. S. 77. Robertson, Crimes against humanity, S. 304. Kramer, Alan: Versailles, deutsche Kriegsverbrechen und das Auslieferungsbegehren der Alliierten 1919/20, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 72–84. S. 77. Der Protest der deutschen Delegation vom Mai/Juni 1919 richtete sich vor allem gegen die ,moralische Vernichtung‘ des Deutschen Reiches, die in den Strafklauseln mitschwang. Vgl. zum Kontext auch Lewis, The birth of the new Justice, S. 52. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 360.

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gegen, wobei sie von amerikanischen Juristen und Beratern mit dem Argument unterstützt wurden, dass ein Souverän nur von seinem eigenen Volk und nicht von einer Gruppe anderer Staaten vor Gericht gestellt werden könne und dass die Strafverfolgung von Soldaten am besten durch Militärgerichtshöfe jedes einzelnen souveränen Staates (also für die eigenen Soldaten) geregelt werde.674 Schlussendlich einigte sich die Kommission zwar in ihrer Empfehlung darauf, die Strafverfolgung des Kaisers und anderer zu fordern, die für den Ausbruch des Krieges sowie für den unbeschränkten U-Boot-Krieg verantwortlich seien.675 Im gleichen Dokument betonte die Kommission jedoch das eigentliche Kernstück völkerrechtlicher Reform, die Einrichtung eines internationalen Tribunals.676 Bilanzierend ist festzuhalten, dass es weder der Begriff crimes against humanity noch die Formulierung „laws of humanity“ nach längeren Debatten im Viererrat schaffte, in den finalen Text der Friedenskonferenz mit aufgenommen zu werden.677 Als Konsequenz konnten so in Leipzig und Konstantinopel nur Kriegsverbrechen im bisher bekannten Sinn vor Gericht gebracht werden. Aus der Perspektive einer intellectual history fällt auf, dass die in den Debatten von 1919 gezeigte Bandbreite von Begriffen die ganze Tiefe des damaligen Begriffsfelds vermisst und den völkerrechtlichen Diskurs vor der Erfahrung der Massenverbrechen des Zweiten Weltkriegs spiegelt. Viele der Begriffe knüpften an den Carnegie-Balkanreport an. Laut den Kommissionsprotokollen gab es eine gewichtige Unterscheidung: die in crimes against humanity und crimes of denationalization. Drei verschiedene Delegationen hatten in Paris Massaker, Vergewaltigungen, Deportationen und die Zerstörung kultureller Stätten durch das Militär des Osmanischen Reichs und Bulgariens beklagt: die Armenier (die jedoch nicht als eigene Delegation zur Friedenskonferenz eingeladen waren, was ihren Opferstatus weiter schwächte), Griechenland und Serbien. Diese Diskussionen sind im Hinblick auf die spätere Debatte um crimes against humanity und Genozid im und nach dem Zweiten Weltkrieg von Bedeutung, insbesondere in der Frage, ob dafür ein internationaler Gerichtshof geschaffen werden solle oder bisherige Rechtsinstrumente ausreichten.678 Der Begriff crimes of denationalization wurde nur von den Griechen und den Serben verwendet, während die Armenier von crimes against humanity and civilization sprachen und dabei die von der Regierung des Osmanischen Reichs systematisch durchgeführten Massaker am armenischen Volk meinten – sie lehnten sich hierin begrifflich klar an das Armenier-Telegramm vom Mai 1915 an. Hierin ist der erste, wenngleich noch sehr unbestimmte Versuch zu sehen, systematische Massenverbrechen einer Regierung an einer bestimmten national definierten anderen Gruppe 674 675 676 677

678

Lewis, The birth of the new Justice, S. 28. Robertson, Crimes against humanity, S. 304. Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungfrage, S. 90–106. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 92. Vgl. zu ‚laws of humanity‘ auch Lewis, The birth of the new Justice, S. 50. Lewis, The birth of the new Justice, S. 64.

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begrifflich zu fassen, wie er später vor allem mit dem Genozidkonzept von Raphael Lemkin verfolgt wurde.679 Beide Begriffe wurden erst im Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen, dann aber genauer definiert, wie später noch dargelegt werden wird – es ist daher schwierig, hier eine direkte Linie zwischen diesen beiden Konzepten und crimes against humanity zu ziehen, auch wenn die Begrifflichkeiten dies nahelegen.680 Die armenischen, griechischen und serbischen Delegierten zielten mit ihrer Argumentation um crimes against humanity bereits auf ähnliche Tatbestandsmerkmale, wie sie Lemkin später in den Begriff des Genozids fasste. Zum einen ging es um Verbrechen gegenüber Opfern einer bestimmten Gruppe, meist gekennzeichnet durch Sprache und Religion; zweitens zeigten die Verbrechen einen systematischen Charakter (damit unterschieden sie sich von den in der Haager Landkriegsordnung benannten konventionellen Kriegsverbrechen) und zielten auf die Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe; drittens handelte es sich nicht um Exzesstaten einzelner Soldaten, sondern um die Ausführung von zentralen Befehlen (die hier von der Regierung des Osmanischen Reiches bzw. Bulgariens gekommen waren).681 Lediglich die beiden letzten Punkte finden sich heute in der Definition von crimes against humanity. Die Motivation der einzelnen Delegationen war jedoch sehr unterschiedlich. Die Armenier hofften mit dieser Argumentation Schutz vor weiteren Übergriffen zu erhalten, die Griechen verfolgten territoriale Ziele in Kleinasien und hofften auf eine Wiedererlangung der verlorenen Gebiete, und die Serben wollten durch Strafverfahren eine Basis für Reparationsansprüche schaffen. Als Fazit formuliert Lewis daher, dass an diesem Beispiel erkennbar werde, wie der Ruf nach Strafverfolgung aus einer Gemengelage gespeist war, bestehend aus einer nationalistischen Politik, dem Wunsch nach Reparationen, der Hoffnung auf territorialen Zugewinn und dem Ziel einer internationalen Anerkennung der Verbrechen als zumindest moralische Unterstützung für die betroffene Bevölkerung, die darunter litt, dass die Verbrechen in der westlichen Öffentlichkeit kaum Beachtung fanden. Die Durchführung der Kriegsverbrecherprozesse wurde im Friedensvertrag geregelt: Mutmaßliche Kriegsverbrecher sollten vor nationalen Militärtribunalen vor Gericht kommen, in Fällen, in denen die Interessen von zwei Staaten betroffen waren, sollte es sogar gemischte militärische Tribunale geben.682 Man einigte sich dar679 680

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Moses, A. Dirk: Raphael Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide, in: The Oxford Handbook of Genocide Studies, hrsg. v. Donald Bloxham/A. Dirk Moses, Oxford 2010, S. 19–41. Peter Holquist verweist in Vorträgen und auf Konferenzen immer wieder auf dieses Dilemma, zuletzt im Frühjahr 2015, es liegt aber bisher keine Publikation seiner Thesen zu „Crimes against Humanity – Genealogy of a Concept“ vor. Vgl. das Vortragsmanuskript (das der Verfasserin vorliegt) bei Holquist, The Origins of „Crimes against Humanity“, sowie mehrere Vortragsankündigungen im Internet. Lewis, The birth of the new Justice, S. 67–68, auch im Folgenden. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 359.

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auf, dass als Rechtsgrundlage, auf der Strafverfahren durchgeführt würden, das Militärstrafrecht derjenigen Staaten gelten solle, vor deren Gerichten die Prozesse stattfinden würden. Damit setzte sich ein Entwurf von Rolin-Jaequemyns durch, der in der Kommission als Kompromissvorschlag zwar diskutiert, dort aber verworfen worden war.683 Das Osmanische Reich wurde verpflichtet, ebenfalls Verfahren abzuhalten; diese fanden später in Konstantinopel statt. Die Reaktionen auf die Pariser Friedenskonferenz fielen sehr unterschiedlich aus. Lewis bilanziert, dass mit den geplanten Prozessen vor allem daran gedacht war, im Krieg untergegangene moralische Standards wieder aufzurichten und zudem deutlich zu machen, dass diese nicht verhandelbar seien, sondern von der internationalen Gemeinschaft verteidigt würden.684 Doch das neue Prinzip crimes against humanity fand sich in keinem Kommentar und wurde, wie Segesser zeigt, in der Folge wieder vergessen.685 Für die Debatten um Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, insbesondere gegenüber Zivilisten, ist die Erfahrung der Strafverfolgung nach 1919 in den Prozessen von Leipzig und Konstantinopel prägend gewesen. Die Entscheidung der Politik darüber, wie eine justizförmige Abrechnung auszusehen habe, und die Ignoranz gegenüber juristischen Einwänden bildeten ein Negativbeispiel, das zeigte, was nach dem nächsten Konflikt unbedingt vermieden werden sollte. Die Lehren aus Leipzig wurden somit zur Richtschnur für die Exiljuristen des Zweiten Weltkriegs und einem der Hauptgründe dafür, beim nächsten Mal schon während des Krieges eine justizförmige Lösung zu entwickeln. Die Verhandlungen vor dem Leipziger Reichsgericht eröffneten 1921; es wurden bis 1922 insgesamt zwölf Verfahren gegen 17 Beschuldigte geführt, von denen zehn mit Verurteilung endeten und sieben mit Freispruch.686 Bis 1927 wurden Verfahren gegen 1.600 Beschuldigte durch Gerichtsbeschluss eingestellt, weil die Beweislage schwach war.687 Insgesamt blieb die Bilanz des Leipziger Gerichts hinter den Erwartungen zurück, die manche aufgrund der fortschreitenden politischen und juristi-

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Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 92. Lewis, The birth of the new Justice, S. 37. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 93. Als Überblick vgl. Hankel, Die Leipziger Prozesse, S. 103; Wiggenhorn, Harald: Verliererjustiz. Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg (Studien zur Geschichte des Völkerrechts Bd. 10), Baden-Baden 2005; Müller, Kai: Oktroyierte Verliererjustiz nach dem Ersten Weltkrieg, in: Archiv des Völkerrechts 39/2 (2001), S. 202–222. Zur Entscheidung, den Deutschen die Prozesse zu übergeben, vgl. Willis, Prologue to Nuremberg, S. 116–125. Hankel, Gerd: Deutsche Kriegsverbrechen des Weltkriegs 1914-18 vor deutschen Gerichten, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 85–98. S. 95.

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schen Debatten der Kriegsjahre gehegt hatten,688 und in keinem einzigen Fall wurde die Strafe bis zum Ende verbüßt.689 Es ist unbestreitbar, dass die Alliierten sich in Versailles eine andere Bilanz erhofft hatten. Allerdings standen die Verfahren von Anfang an unter keinem guten Stern und waren schlecht vorbereitet. Im Februar 1920 hatte man eine Liste mit 845 Verdächtigen an die deutschen Behörden übergeben, nachdem die Alliierten auf eine Auslieferung verzichtet hatten, die das Deutsche Reich für innenpolitisch nicht durchsetzbar hielt.690 Eine deutsche Kommission ging die Liste der möglichen Angeklagten durch und reduzierte sie aufgrund der Beweislage radikal, auf zuletzt 45 Namen.691 Die insgesamt magere Bilanz der Verfahren von Leipzig hatte verschiedene Gründe. Die Ermittlungen gegen hunderte von Beschuldigten, die im Februar 1920 begannen, stockten, weil sich die alliierten Angaben als unzureichend erwiesen, Namen falsch geschrieben waren und Verdächtige so nicht ermittelt werden konnten oder Beweismaterial nicht oder erst spät übermittelt wurde.692 Auch in eröffneten Verfahren kam es zu Überraschungen. Das Deutsche Reichsgericht wies gleich den ersten Fall zurück (ein Kriegsverbrechen in Belgien, bei dem ein deutscher Offizier – Max Ramdohr – beschuldigt war, belgische Jungen gefoltert zu haben). In einem zweiten Fall, der Frankreich betraf, sprach es den Angeklagten frei (hier ging es um Erschießung von französischen Kriegsgefangenen in Lothringen).693 Tatsächlich ergingen in mehreren von Frankreich und Belgien vorgebrachten Fällen Freisprüche, da die Beweislage oftmals schwach war oder sich Täter nach Meinung des Reichsgerichts nicht mehr zweifelsfrei ermitteln ließen. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass gerade die Ausnahme von der Regel auf eine Modernisierung des Kriegsvölkerrechts – und damit einen Fortschritt – hinweist. Eine solche Ausnahme stellte das Leipziger Llandovery-Castle-Urteil dar (der Fall war von Großbritannien vorgebracht worden). Hier wurden die deutschen Angeklagten verurteilt, die mit einem Maschinengewehr Schiffbrüchige des gleichnamigen Schiffes daran gehindert hatten, die Rettungsboote zu erreichen.694 Dem Ver688

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Willis, Prologue to Nuremberg S. 126. Werle, Gerhard: Die Entwicklung des Völkerstrafrechts aus deutscher Perspektive, in: Die Macht und das Recht. Beiträge zum Völkerrecht und Völkerstrafrecht am Beginn des 21. Jahrhunderts, hrsg. v. Gerd Hankel, Hamburg 2008, S. 97–126. S. 97. Werle, Die Entwicklung des Völkerstrafrechts aus deutscher Perspektive S. 97. Form, Wolfgang: Law as Farce. On the Miscarriage of Justice at the German Leipzig Trials. The Llandovery Castle Case, in: Historical Origins of International Criminal Law, hrsg. v. Morten Bergsmo/ Wui Ling CHEAH, Ping YI, Brussels 2014, S. 299–331. S. 310–314. Horne/Kramer, German atrocities, 1914 S. 348–355; Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 37. Kochavi, Arieh J.: Prelude to Nuremberg. Allied war crimes policy and the question of punishment, Chapel Hill, London 1998 S. 2. Lewis, The birth of the new Justice, S. 59. Hankel, Die Leipziger Prozesse, S. 58 und 70; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungfrage, S. 344–346. Ausführlich hierzu Hankel, Die Leipziger Prozesse; Lewis, The birth of the new Justice, S. 59. Hierzu ausführlich Form, Wolfgang: Law as Farce. On the Miscarriage of Justice at the German Leipzig Trials. The Llandovery Castle Case, in: Historical Origins of International Criminal Law, hrsg. v. Morten Bergsmo/Wui Ling CHEAH, Ping YI, Brussels 2014, S. 299–331.

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teidigungsargument, man habe auf höheren Befehl gehandelt, wurde nicht stattgegeben. Das Gericht urteilte, hier handele es sich um Taten, die selbst ein Gefreiter einwandfrei als Verbrechen hätte erkennen können.695 Dies ist die Geburtsstunde des Prinzips von offensichtlich verbrecherischen Befehlen (illegality), das das Verteidigerargument eines Handelns auf höheren Befehl aushebelt, wie es auch heute noch Anwendung findet.696 Bereits aus den Haager Friedenskonferenzen bekannte Konzepte tauchten in Leipzig nun wieder auf – allerdings als Verteidigungsargument. Nimmt man die häufigen Hinweise auf die „Kriegsnotwendigkeit“ als Beleg, wurde in den Leipziger Verfahren deutlich, dass es noch keinerlei öffentliches Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Strafverfolgung von Kriegsverbrechen gab. 697 Der Rückgriff auf „Kriegsnotwendigkeit“ (eine Spielart der ‚militärischen Notwendigkeit‘) spiegelt den generellen deutschen Vorbehalt gegenüber dem Kriegsvölkerrecht und nützte letztlich den Angeklagten.698 Zudem zeigte sich vor Gericht immer wieder, dass Zeugen eingeschüchtert oder der Angeklagte offen hofiert wurde, und auch die Unwilligkeit mancher Leipziger Richter, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erfüllen.699 Chefrichter Ebermayer beklagte beispielsweise 1930 in seinen Lebenserinnerungen die „tief empfundene Demütigung“, die es für ihn bedeutet habe, diese Prozesse führen zu müssen, „gegen unsere eigenen Leute, während kein anderes Land seine eigenen Soldaten wegen ähnlicher Verfehlungen vor Gericht stellte“.700 Diese Ansicht dürfte in der rückschauenden Bilanz noch durch die Tatsache bestätigt worden sein, dass die Alliierten ihrerseits keine Kriegsverbrechen ihrer eigenen Soldaten geahndet hatten.701 Zudem hatten die Verfahren mit einer öffentlichen Stimmung zu kämpfen, die im Deutschen Reich kritisch bis zurückhaltend war. Die neue Regierung der Weimarer Republik war gegen den Plan, die Soldaten der alten Monarchie vor Gericht zu stellen, und wusste damit die Öffentlichkeit hinter sich.702 Bekannte deutsche Völkerrechtler sprachen sich ebenfalls gegen Kriegsverbrechertribunale aus:703 Walther Schücking, Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Hans Wehberg argumentierten, wie übrigens auch Max Weber, dass Deutschland nicht die Alleinschuld am 695 696 697 698 699 700 701

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Zitiert nach Robertson, Crimes against humanity, S. 254. Kress, Clauss: Versailles – Nuremberg – The Hague. Germany and International Criminal Law, in: Journal of International Law 15/(40) (2006), S. 15–39. S. 17–18. Robertson, Crimes against humanity, S. 305. Kress, Clauss: Versailles – Nuremberg – The Hague. Germany and International Criminal Law, in: Journal of International Law 15/(40) (2006), S. 15–39. S. 19. Kress, Versailles – Nuremberg – The Hague, S. 19. Zitiert nach Kress, Versailles – Nuremberg – The Hague, S. 19. Hankel, Gerd: Deutsche Kriegsverbrechen des Weltkriegs 1914-18 vor deutschen Gerichten, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 85–98. S. 97. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 360. Zu den Debatten vgl. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 44–107.

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Ausbruch des Krieges trage (was natürlich per se noch kein Argument für Kriegsverbrechen ist). Der österreichische Völkerrechtler Alfred Verdross, ein Schüler Hans Kelsens, war einer der wenigen Juristen, die überhaupt inhaltlich auf die alliierten Vorschläge eingingen und beispielsweise diskutierten, ob eine Strafverfolgung vor nationalen oder internationalen Gerichtshöfen möglich sei (er bestätigte, dass beides prinzipiell möglich sei).704 Besonders augenfällig war mangelndes Schuldbewusstsein auf Seiten von Wissenschaftlern, die sich überrascht zeigten, dass ihre Erfindungen zum Unglück der Menschheit eingesetzt werden konnten und damit moralisch fragwürdig waren. So musste sich etwa der deutsche Chemiker Fritz Haber vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Gaskrieg verantworten. Haber sagte in der Sitzung vom 4. Oktober 1923 aus, er sei von Generalstabschef von Falkenhayn mit der Planung einer Waffe für den Gaskrieg betraut worden. Man habe sich dabei streng an völkerrechtliche Vorgaben gehalten. Er führte aus, dass er keinerlei Schuldbewusstsein habe: „Aber wenn er mich auch niemals um meine Rechtsauffassung gefragt hat, so hat er mir doch keinen Zweifel darüber gelassen, daß es für ihn völkerrechtliche Grenzen gab, die er strenge innegehalten wissen wollte. Niemals würde er die Vergiftung von Nahrungsmitteln, Brunnen oder Waffen gebilligt, niemals Waffen oder Kampfweisen erlaubt haben, die nutzlose Leiden schufen. Unzweifelhaft war er überzeugt, mit dem Völkerrecht durch seine Anordnungen auf dem Gaskrieggebiet nicht in Widerspruch zu treten. Eine entgegengesetzte eigene Meinung würde mich von der Mitarbeit zurückgeschreckt haben. Die einzige im Haag für den Gaskrieg getroffene Festsetzung, durch welche Geschosse mit dem alleinigen Zweck der Verbreitung erstickender und giftiger Gase verboten wurden, gab mir zu einer solch abweichenden Meinung keinerlei Anlaß.“705

Der Untersuchungsausschuss legte daraufhin, nachdem noch mehrere Gutachter gehört worden waren, in seiner Entschließung vom 7. März 1924 nieder, dass Deutschland sich im Gaskrieg völkerrechtskonform verhalten habe, jedoch die Kriegsgegner die Regeln verletzt hätten: „Nach den vorstehenden Ausführungen sind die völkerrechtlichen Grundsätze über den Luftkrieg nicht von Deutschland, sondern von seinen Gegnern ausser Acht gelassen worden. Die in dieser Beziehung gegen Deutschland erhobenen Vorwürfe erscheinen unbegründet und werden mit besserem Rechte seinen Gegnern gemacht.“706

Durch die Prozessergebnisse sowie die Arbeit des Untersuchungsausschusses – und Äußerungen wie die Habers – waren sich die Alliierten einig, dass die Leipziger Ver704

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Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungfrage S. 125–232. Er verweist hier auf Verdross, Alfred: Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten, Berlin 1920. Bell, Johannes (Hrsg.): Völkerrecht im Weltkrieg. Dritte Reihe im Werk des Untersuchungsausschusses, Berlin 1927. S. 13. Das Gutachten von Dr. Kriege zu Habers Rolle siehe S. 29–42. Bell, Völkerrecht im Weltkrieg, S. 53.

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fahren allesamt eine juristische Farce seien. In der Folge weigerten sich Frankreich und Belgien, das Leipziger Reichsgericht zu unterstützen, und führten ihre eigenen Kriegsverbrecherverfahren in absentia der deutschen Angeklagten durch, wofür der Völkerrechtler Édouard Clunet eintrat.707 Wegen des Llandovery-Castle-Urteils fielen die britischen Reaktionen auf die Leipziger Prozesse dagegen etwas wohlwollender aus, obwohl die dort verhängte milde Strafe auch in Großbritannien Kritik fand. Der Vorwurf der Farce ist jedoch in dieser Pauschalität nicht zutreffend. Der Historiker Gerd Hankel kommt auf Basis der Prozessdokumente zu dem Schluss, dass es zwar tatsächlich Druck auf das Reichsgericht seitens der deutschen Regierung gegeben habe und dass tatsächlich Urteile mit vergleichsweise geringen Strafen gefällt wurden; man müsse aber dem Gericht selbst saubere juristische Arbeit bescheinigen, zumindest in den Fällen, wo ein Prozess eröffnet worden war. Hankel unterstreicht, dass die Richter sich insbesondere bemühten, die Definition von Kriegsverbrechen klarer zu fassen, was aber in den veröffentlichten Prozessdokumenten nicht zum Tragen käme.708 Auch der Völkerrechtler Claus Kress betont, dass der Transfer alliierter Dossiers in eine brauchbare Anklage nach rechtsstaatlichen Standards erfolgt sei.709 Solide juristische Arbeit zeige sich daran, dass es überraschend eindeutige Urteile gab. So kam das Leipziger Gericht in einem der Verfahren zu einem Schuldspruch. In dem besagten Fall ging es um die Tötung französischer Kriegsgefangener auf Befehl eines deutschen Kommandeurs, der vor Gericht argumentiert hatte, dass man die Gefangenen während des Gefechts nicht habe bewachen können – übrigens eine Argumentation, die laut dem Lieber-Code ausdrücklich erlaubt gewesen wäre (und für die es zahlreiche Beispielfälle in der Kriegführung aller Armeen des Ersten Weltkriegs gegeben hätte). Das Völkerrecht hat durch die Leipziger Prozesse eine asymmetrische Stärkung erhalten: Einseitige Strafverfolgung wird immer den Vorwurf der mangelnden Legitimität auf sich ziehen; nur ein internationaler Gerichtshof konnte dieses Dilemma auflösen.710 Deutschland habe somit doppelt und „unfreiwillig zum Fortschritt des Völkerrechts beigetragen“, so Kress: zum einen durch die Kriegsverbrechen selbst, die nach einer Ahndung verlangten, zum anderen durch die Unfähigkeit, diese Verbrechen vor eigenen Gerichten adäquat zu sühnen. Der Blick auf das Armenien-Tribunal zeigt, dass es nicht einmal dort gelang, eine opferzentrierte Strafverfolgung anzuwenden, wo diplomatische Dokumente zuvor crimes against humanity benannt und Strafverfolgung gefordert hatten. Aufgrund der in den Debatten vom März 1919 zutage getretenen Positionen der Hauptalliierten (und der Zurückweisung des Begriffs) ist es jedoch nicht verwunderlich, dass crimes against humanity nun selbst da nicht mehr im Friedensvertrag auftauchte, wo man den Begriff folgerichtig vermutet hätte. Das Armenien-Tribunal in Konstan707 708 709 710

Clunet, Edouard: Les Criminels de guerre devant le Reichsgericht à Leipzig, in: Jounal de Droit International 48 (1921), S. 440–447. Willis, Prologue to Nuremberg, S. 139–147. Hankel, Die Leipziger Prozesse, S. 15–16. Kress, Clauss: Versailles – Nuremberg – The Hague. Germany and International Criminal Law, in: Journal of International Law 15/(40) (2006), S. 15–39. S. 17. Kress, Versailles – Nuremberg – The Hague S. 19–20.

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tinopel kann hier nicht in ganzer Breite dargestellt werden.711 Das Scheitern der Ahndung ist somit zwar enttäuschend, wenngleich nicht überraschend, deutete sich doch eine politische Lösung bereits in den Pariser Friedensverhandlungen an. In den Friedensvertrag von Sèvres hatten die Alliierten 1920 ebenfalls eine Strafklausel eingeschlossen, die die Verfolgung derjenigen türkischen Offiziere vor alliierten Gerichten vorsah, die des Massakers an den Armeniern verdächtigt wurden, und auch hier gab es eine Auslieferungsklausel.712 Forschungen haben bereits dargelegt, warum es nie zu diesem alliierten Gerichtshof kam,713 unter anderem waren dafür geopolitische, wirtschaftliche und imperialistische Gründe sowie Meinungsverschiedenheiten zwischen den drei Hauptalliierten Frankreich, Großbritannien und Italien ausschlaggebend.714 Vor allem Großbritannien war jedoch bereit, einzelne Verdächtige in Malta vor Militärgerichte zu stellen, wo sich mehrere der gesuchten Kriegsverbrecher in britischer Kriegsgefangenschaft befanden, wurde dabei allerdings von der neuen türkischen Regierung massiv behindert.715 Ähnlich wie das Deutsche Reich in Leipzig hielt auch das Osmanische Reich selbst Prozesse ab, statt eigene Staatsbürger auszuliefern, und zwar vor außerordentlichen Militärgerichtshöfen; es wurden 36 Fälle verhandelt, es gab ein paar Schuldsprüche und sogar Todesstrafen sowie acht Freisprüche.716 Allerdings nutzte das Osmanische Reich die Gerichtshöfe auch, um zunächst vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs mit unliebsamen Gegnern aus dem Lager der Jungtürken abzurechnen. Doch nach der Staatseinigung unter Mustafa Kemal 1922 kam es zu einem Umschwung, und eine Neuverhandlung des Vertrags von Sèvres lag plötzlich im Bereich des Möglichen. Die Armenier-Massaker wurden 1923 im Vertrag von Lausanne nicht mehr erwähnt, einziges Überbleibsel war ein Passus, der die Anerkennung von Minderheiten forderte.717 Zudem sahen sich die Briten aus Gründen der Realpolitik gezwungen, 711 712

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Vgl. ausführlich Dadrian, Vahakn N./Akçam, Taner: Judgment at Istanbul. The Armenian genocide trials, New York 2011. Hierzu als Überblick Tusan, Michelle: „Crimes Against Humanity“. Human Rights, the British Empire, and the Origins of the Response to the Armenian Genocide, in: American Historical Review, February (2014), S. 47–77.; Lewis, The birth of the new Justice S. 68. Zur Problematik des Armenienmassakers vgl. Kévorkian, Raymond H.: The Armenian genocide. A complete history, London, New York 2011 Balakian, Peter: The Burning Tigris. The Armenian Genocide, London 2003. Kévorkian, The Armenian genocide. Zur vergleichenden Genozidforschung siehe Kieser, Hans-Lukas/Schaller, Dominik J. (Hgg.): Der Völkermord an den Armeniern und die Shoah – The Armenian Genocide and the Shoa, Zürich 3. Aufl.2014. Dadrian, Vahakn N./Akçam, Taner: Judgment at Istanbul. The Armenian genocide trials, New York 2011. Dadrian, Vahakn N.: Genocide as a Problem of National and International Law. The World War I Armenian Case and Its Contemporary Legal Ramifications, in: Yale Journal of International Law 14/(2) (1998), S. 211–334.S. 286. Willis, Prologue to Nuremberg S. 156–161. Akçam, Taner: A shameful act. The Armenian genocide and the question of Turkish responsibility, New York, NY 2007. S. 373– 375. Tusan, Michelle: „Crimes Against Humanity“. Human Rights, the British Empire, and the Origins of the Response to the Armenian Genocide, in: American Historical Review, February (2014), S. 47– 77. S. 67. Akçam, A shameful act, S. 286–288. Crowe, War Crimes, Genocide and Justice, S. 113; Lewis, The birth of the new Justice, S. 68.

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inhaftierte türkische Offiziere gegen in Gefangenschaft geratene muslimische britische Soldaten auszutauschen, die die türkische Armee in Anatolien festgesetzt hatte; damit waren die Prozesse auf Malta undurchführbar geworden.718 Die Briten bilanzierten intern, dass man die guten Beziehungen zur Türkei und die Stabilität in der Dardanellenfrage nicht wegen der Armenierfrage aufs Spiel setzen wolle.719 Robertson kommt zu dem Schluss, dass die anfängliche Zweckentfremdung der Prozesse als Möglichkeit zur Beseitigung politischer Gegner und eine generelle Ablehnung der Prozesse nach dem Regierungswechsel zum Ende der Ahndung führten und bis heute Konsequenzen haben, indem der Völkermord an den Armeniern so keinen Eingang ins nationale Gedächtnis gefunden hat und geleugnet wird.720 Insgesamt gab es mithin vier Gründe für die Schwierigkeiten der Verrechtlichungsdiskussion um 1919: erstens politische Vorgaben, zweitens die Angst vor Kritik durch die öffentliche Meinung im eigenen Land, drittens den Wunsch, das Recht ‚with a new sensibility‘ zu modernisieren, und viertens das Ziel, die Macht militärischer Kommandeure wieder in die Grenzen zurückzuführen, die vor 1914 gegolten hatten.721 Die Leipziger wie auch die Konstantinopler Verfahren bewirkten jedoch eine Weiterentwicklung des legalistischen Paradigmas, wie Pendas bilanziert, stellten sie doch den ersten ernst zu nehmenden Versuch dar, Kriegsgewalt strafrechtlich zu ahnden.722 Allerdings ist klar erkennbar, dass es den beteiligten Völkerrechtlern mehrheitlich nicht darum ging, das Völkerrecht zu modernisieren, sondern für sie vor allem Begründungen für die jeweilige nationale Position im Vordergrund standen. Vor allem Leipzig wurde zum Synonym für das Scheitern, es blieb im völkerrechtlichen Gedächtnis negativ haften und diskreditierte selbst die in Den Haag aufgestellte (Minimal-)Regel, Staaten sollten die von den eigenen Soldaten begangenen Kriegsverbrechen vor eigenen Gerichten ahnden. Die Debatten und Vorschläge der Völkerrechtler, dies zeigten die Leipziger Prozesse, erreichten immer dann ihre Grenzen, wenn es um die Umsetzung oder Sanktionsmöglichkeiten ging, denn dies berührte die Souveränitätsrechte der beteiligten Staaten. Es musste daher die Unterstützung durch die Politik sichergestellt werden, wenn wirklich ernsthaft an eine Zivilisierung der Kriegsgewalt gedacht war. Dies sollte erst im Zweiten Weltkrieg gelingen. 718

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Tusan, Michelle: „Crimes Against Humanity“. Human Rights, the British Empire, and the Origins of the Response to the Armenian Genocide, in: American Historical Review, February (2014), S. 47– 77. S. 68. Akçam, A shameful act, S. 365; Crowe, War Crimes, Genocide and Justice, S. 114. Crowe zitiert einen ungenannten Diplomaten: „The Armenian claims are not a vital question for the Allies, who are more concerned with the Straits issue. Allies will not sever their relations with Turkey for the sake of the Armenian question.“ Robertson, Crimes against humanity, S. 306; Robertson, An inconvenient genocide; In die gleiche Richtung argumentiert Kieser, Hans-Lukas/Plozza, Elmar: Der Völkermord an den Armeniern, die Türkei und Europa. The Armenian genocide, Turkey and Europe, Zürich 2006. Lewis, The birth of the new Justice, S. 44. Pendas, Devin O.: Eichmann in Jerusalem, Arendt in Frankfurt. The Eichmann Trial, the Auschwitz Trial, and the Banality of Justice, in: New German Critique 34/(100) (2007), S. 77–109. S. 37.

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I. ANSÄTZE ZUM KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1864–1938

4.3. Expertenzirkel und Gremien im Völkerbund Die Ausgestaltung der Friedenssicherung wurde in der Zwischenkriegszeit durch den Völkerbund dominiert und mit seinem Instrumentarium – Expertenzirkeln und Gremien – umgesetzt. Die Gründung des Völkerbunds 1919 sowie der Kellogg-Briand-Pakt von 1928 waren wichtige Marken auf dem Weg hin zu einer neuen Ordnung, in der, so die internationalistische Vision, die Zusammenarbeit der Völker intensiviert, Probleme frühzeitig erkannt und Kriege daher vermieden werden würden. Die Forschung zum Völkerbund hat darauf bereits ausführlich verwiesen723 sowie auf die Gründung der vielen internationalen Organisationen, die den Bund flankierten und die Möglichkeiten der Mitsprache auch für kleinere Staaten erheblich erweiterten.724 Aus der Perspektive einer intellectual history ist jedoch ungeklärt, welche Rolle die Weiterführung von Vorkriegsdebatten für den Verrechtlichungsdiskurs spielte. Es zeigt sich, dass Projekte der Kriegsverhinderung oder zumindest -regulierung in der Zwischenkriegszeit eine bislang unterschätzte öffentliche Präsenz hatten, obwohl die historiographische Literatur von einer zunehmenden Verschärfung des politischen Klimas ausgeht.725 Mit der Etablierung des Völkerbunds, der fast allen souveränen Staaten – die Kriegsverlierer ausgenommen – zugänglich war, begann in der Geschichte der internationalen Ordnung ein neues Kapitel, denn er wurde „zum Gravitationsfeld für zivilgesellschaftliche Organisationen“ (Herren).726 Der Völkerbund ging aus den Pariser Friedensverträgen hervor, in die das Statut eingebettet war.727 Die Präambel unterstrich, dass es das Ziel des Völkerbunds sei, „to promote international co-operation and to achieve international peace and security“.728 In der Folge entwickelte sich ein Weltbild, das die Staatengemeinschaft als internationale Sphäre begriff, die sich nicht nach „Zivilisationsgrad“ einteilen ließ und sich außerdem einer übergeordneten Instanz unterwerfen würde. Daraus folgte, dass erst einmal eine überge723

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Northedge, Fred S.: The League of Nations. Its life and times, 1920-1946, Leicester 2nd impr1988; Pedersen, The Guardians. Clavin, Patricia: Securing the world economy. The reinvention of the League of Nations, 1920-1946, Oxford 2015. Housden, Martyn: The league of nations and the organization of peace (Seminar studies in history), Harlow 2011. Laqua, Daniel: Transnational intellectual cooperation, the League of Nations, and the problem of order, in: Journal of Global History 6/(02) (2011), S. 223–247.; Birn, Donald S.: The League of Nations Union and Collective Security, in: Journal of Contemporary History 9/(3) (1974), S. 131–159.; Richard, Anne-Isabelle: Competition and complementarity. Civil society networks and the question of decentralizing the League of Nations, in: Journal of Global History 7/(02) (2012), S. 233–256. Sluga, Internationalism in the Age of Nationalism; Gorman, The emergence of international society in the 1920s. Iriye, Global community; Herren, Madeleine (Hrsg.): Networking the international system. Global histories of international organizations (Transcultural research-- Heidelberg studies on Asia and Europe in a global context), Heidelberg 2014. Vgl. Steiner, Zara S.: The Triumph of the Dark. European international history, 1933-1939 (Oxford history of modern Europe), Oxford, New York 2011. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 54. Zur Völkerbund Gründung vgl. Goldstein, The First World War peace settlements, 1919-1925, S. 34–48. Zitiert nach Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 60.

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ordnete Instanz geschaffen werden musste, die gegebenenfalls gegen Übertretungen vorgehen konnte. Ein Schritt in diese Richtung war die Gründung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, der jedoch hinter den Erwartungen zurückblieb.729 Politisch gab es mit dem Kellogg-Briand-Pakt 1928 einen weiteren Versuch, zumindest Angriffskriege als Mittel internationaler Politik auszuschließen, doch auch diese Initiative scheiterte. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Europa 1939 waren daher noch keine verbindlichen Regeln zum Umgang mit Kriegsgewalt gefunden. Insbesondere die Frage der Ahndung systematischer Gewalt gegenüber Zivilisten blieb juristisch unscharf. Trotz aller bemerkenswerten Initiativen wird der Völkerbund rückblickend an seinem eigenen Anspruch, Kriege überflüssig zu machen, gemessen – und gilt insofern als gescheitert.730 Pedersen weist jedoch darauf hin, dass dennoch eine erfolgreiche Bilanz des Völkerbunds gezogen werden kann: Schließlich hatte der Bund nicht nur den einen Aspekt, dass er sich mit der Ächtung der Kriegsgewalt beschäftigte; er ruhte vielmehr auf drei Säulen, von denen nur eine die Kriegsvermeidung betraf. Eine zweite beschäftigte sich mit eher technischen, konkreten Fragen (etwa zu Flüchtlings- und Gesundheitsproblemen, zur Vereinheitlichung medizinischer Standards u.Ä.), und eine dritte befasste sich mit den Folgen der Friedensverträge, indem man z.B. Volksbefragungen durchführte und sich mit den Rechten von Minderheiten beschäftigte.731 In einem anderen Bereich, der internationalen Zusammenarbeit, war der Völkerbund sehr erfolgreich, wie neuere Studien betonen.732 In Genf eröffnete 1920 das Völkerbundsekretariat unter Eric Drummond, das einen exterritorialen Status bekam, was dabei half, Legitimität und formelle Bedeutung des Völkerbunds zu erhöhen.733 Drummond schuf durch den Völkerbund eine völlig neue, internationale Bürokratie, „structured by function and not by nationality, loyal to an international character, and capable of managing a complex programme.“734 Dies war eine Institutionalisierung der Martens’schen Forderung nach ‚public conscience‘. Hier gelang es erstmals, Experten zusammenzubringen, die Fragen, die normalerweise von Nationalstaaten entschieden wurden, aus einer neuen, transnationalen Perspektive diskutierten. Man könnte dies beschreiben als ein Zusammentreffen von nationalen 729

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Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 49; Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 43. Pedersen, The Guardians, S. 5. Vgl. auch Steiner, The Lights that failed; Joyce, James Avery: Broken star. The story of the League of Nations (1919-1939), Swansea 1978; Scott, George: The rise and fall of the League of Nations, London 1973; Northedge, The League of Nations. Pedersen, The Guardians, S. 9. Als Literaturüberblick hier Pedersen, Susan: Back to the League of Nations, in: The American Historical Review 112/(4) (2007), S. 1091–1117. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 55. Pedersen, The Guardians, S. 7. Vgl. auch Webster, Andrew: The Transnational Dream. Politicians, Diplomats and Soldiers in the League of Nations’ Pursuit of International Disarmament, 1920-1938, in: Contemporary European History 14/(4) (2005), S. 493–518. S. 499.

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Positionen in einem internationalen Umfeld, und tatsächlich waren manche der Gruppierungen durch eine gemeinsame transnationale Vision – einen „VölkerbundSpirit“ – vereint. Aus manchen Debatten ergaben sich dadurch im Wortsinn transnationale, grenzüberschreitend neue Perspektiven. Die Herausbildung einer transnationalen Expertenöffentlichkeit, die sich in verschiedenen Komitees und Ausschüssen in Genf zusammenfand (und darüber hinaus eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen anzog, die ebenfalls Vertreter nach Genf entsandten), zeigt die Internationalisierung der Politik, die letztlich auch der Verrechtlichung von Kriegsgewalt nutzte. Der Völkerbund war dafür das Kraftfeld aus „wechselnden Allianzen, Netzwerken und Institutionen, das eine Vielzahl von Akteuren betraten und für eigene Zwecke nutzbar machten.“735 Besonders Akteure aus kleineren Staaten, unter ihnen der tschechoslowakische Außenminister Edvard Beneš, der belgische Präsident Paul Hymans oder der chinesische Diplomat Wellington Koo taten sich in Debatten hervor. Diese Männer trafen später, in den 1940er Jahren, im Londoner Exil erneut aufeinander, wo es ihnen dann gelingen sollte, das Kriegsvölkerrecht substantiell voranzubringen. Im Völkerbund entstand ein institutioneller Raum mit einer auffallenden Dynamik zwischen den Akteuren, die auf der diplomatisch-politischen Ebene vor 1919 nicht erreicht worden war.736 Neu am Völkerbund waren vor allem die Debattenkultur und die Hintergrundgespräche, die sich zum Mittel der Durchsetzung von Interessen entwickelten.737 Vielleicht gerade weil viele Politiker der etablierten Mächte die Beratungen in Genf manchmal belächelten, konnten hier Themen von sicherheitspolitischer Bedeutung auf einer Sachebene diskutiert werden. Für die Frage der Verrechtlichung von Kriegsgewalt sind daher nicht nur die Schiedsgerichtsbarkeit und der Internationale Gerichtshof relevant, sondern auch die Expertenzirkel in der Völkerbundkommission für Rüstungsbeschränkung. Zudem gelang es in Genf, durch das Nebeneinander von Völkerbundkommissionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen dem Ziel der Schaffung einer interessierten Öffentlichkeit (‚public conscience‘) im Sinne der Martens-Klausel noch näher zu kommen. Im Folgenden geht es, vor dem Hintergrund des Scheiterns einer Strafverfolgung nach 1919, um alternative Initiativen zur Ausgestaltung des Völkerrechts, die sich unter den Stichworten Arbitration und Rüstungsbeschränkung zusammenfassen lassen. Trotz reger zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit738 ist festzuhalten, dass es auch auf völkerrechtlichem Gebiet in Fragen der Ahndung von 735 736

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Pedersen, The Guardians, S. 5–6 (auch im Folgenden, Zitat S. 5. McCarthy, Helen: The Lifeblood of the League? Voluntary Associations and League of Nations Activism in Britain, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 187–208. S. 188. Pedersen, The Guardians, S. 4. Gorman, The emergence of international society in the 1920s; Sandell, Marie: ‚A real meeting of the women of the East and the West‘. Women and Internationalism in the Interwar Period, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 161–185.

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Kriegsgewalt, insbesondere in der noch ungelösten Frage der Strafverfolgung, zu einer Stagnation der Debatten kam. Zentral in dieser Phase wurde daher die Herausbildung von Netzwerken, die dann im Zweiten Weltkrieg an die Umsetzung der Ideen gehen konnten. Bedeutsam für die Frage nach Einhegung von Kriegsgewalt wurden im Völkerbund eine Doppelstrategie aus politischer Konsensfindung und zivilgesellschaftlichen Forderungen, erkennbar etwa an den Gremien zu Fragen der Rüstungsbeschränkung. 739 Die Kommission bestand aus einer „Permanent Armaments Commission“ (PAC), sowie einer „Temporary Mixed Commission on Armaments“. Zudem gab es zwischen 1926 und 1930 noch eine Vorbereitungsgruppe für die geplante Abrüstungskonferenz, die „Preparatory Commission for the Disarmament Conference“ (PCDC), in die fast nur diplomatische Vertreter berufen wurden; die Konferenz sollte zwischen Februar 1932 und Juni 1934 schließlich stattfinden und ohne konkretes Ergebnis sowie mit einem Eklat – dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund – enden.740 Lord Robert Cecil fungierte als Leiter dieser Kommission, und neben Delegierten aus Skandinavien wie Eric Colban (Norwegen) vertraten Edvard Beneš (Tschechoslowakei), Paul Hymans (Belgien) und Nicolas Politis (Griechenland) ihre Länder. Alle Genannten sollten später eine Rolle in den Juristendebatten sowie den UNWCC-Sitzungen der 1940er Jahre in London spielen. Charakteristisch war für diese Gruppe, dass die Mitglieder zwar ihre jeweiligen nationalstaatlichen Positionen vertraten, jedoch an dem gemeinsamen Ziel – Rüstungsbeschränkungen – orientiert blieben und auch bereit waren, dafür Konzessionen zu machen. Eine solche Vision zeichnet eine transnationale Expertengruppe aus und wurde in diesem Fall zum Motor der Abrüstungsgespräche im Völkerbund. Webster bilanziert: „The contradiction that emerged in the League-sponsored disarmament process was between the ‚international‘ approach preferred by the governments of the major powers in particular, who viewed disarmament from the viewpoint of their own strategic interests, and the ‚transnational‘ ambitions of those League enthusiasts who viewed disarmament as an issue which the world war had shown intimately to affect all humanity regardless of nationality.“741

Dabei zeigte sich, dass die langjährige persönliche Zusammenarbeit der Delegierten viel dazu beitrug, Barrieren abzubauen, Verständnis für abweichende nationale Standpunkte zu entwickeln und nach Kompromissen zu suchen.

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Zur Frage der völkerrechtlichen Kontrolle des Waffenhandels und der Rüstungskontrolle in der Völkerbundära entsteht zur Zeit eine Habilitationsschrift von Daniel Stahl an der Universität Jena, vgl. http://www.nng.uni-jena.de/Forschungsprojekte/R%C3%BCstungsexporte.html. Webster, Andrew: The Transnational Dream. Politicians, Diplomats and Soldiers in the League of Nations’ Pursuit of International Disarmament, 1920-1938, in: Contemporary European History 14/ (4) (2005), S. 493–518. S. 495–497. Webster, The Transnational Dream S. 498.

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In der Genfer Abrüstungskonferenz von Mai 1925 offenbarten sich jedoch auch die alten nationalstaatlichen Vorbehalte gegenüber internationalistischen Bestrebungen. So gab es ähnlich wie 1919 in Paris große Unterschiede in Bezug auf das Souveränitätsprinzip: Anders als kleineren Staaten beharrten die Großmächte, für die Rüstung einen ganz sensiblen Bestandteil ihrer nationalen Sicherheitspolitik darstellte, darauf – so dass keine Einigung erzielt werden konnte.742 Dennoch muss die Verabschiedung des Genfer Protokolls 1924 als Erfolg gewertet werden. In diesem Protokoll werden die drei Elemente Sicherheit, Arbitration und Rüstungsbeschränkungen als Ziele formuliert und wird erstmals eine Definition von „Aggression“ gegeben. Bei der Abfassung dieses Protokolls taten sich Akteure aus den ‚semi-peripheral states‘, insbesondere Beneš und Politis, erneut hervor. Zudem versuchte das Carnegie Endowment, über die Entsendung eines Wissenschaftlerteams um Prof. James Shotwell, auf die Beratungen Einfluss zu nehmen und damit den Anspruch nach Beteiligung der Zivilgesellschaft zu unterstreichen. Zivilgesellschaftliche Organisationen flankierten in Genf die Arbeit der einzelnen Ausschüsse und Kommissionen, versuchten, mit einzelnen Funktionsträgern Lobbyarbeit zu betreiben und ihre eigenen Forderungen zu lancieren sowie ihren Mitgliedern über Fortschritte der Internationalisierung der Beziehungen unabhängig von amtlichen Verlautbarungen zu berichten.743 Zudem ermunterte der Völkerbund die Gründung von eigenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, den League of Nations Societies, die die Schaffung des ‚international mind‘, von Carnegie-Sekretär Butler einst gefordert, weiter voranbringen sollten. Eric Drummond beschrieb die Funktionäre dieser Gruppen als „Scouts sent out ahead by the army of international progress“, und die Vollversammlung bestätigte, dass die Societies die Öffentlichkeit im Sinne der humanitären Arbeit des Völkerbundes informieren sollten.744 Die britische League of Nations Union, der der bereits genannte Völkerbundvertreter Lord Robert Cecil vorstand, war besonders aktiv und versuchte durch Resolutionen, Memoranda und Briefe an Parlamentsabgeordnete und Minister sowie Völkerbundvertreter, in einzelne Debatten einzugreifen. Der Völkerbund wurde von all diesen Organisationen als „demokratische, diplomatische Arena“ (McCarthy) begriffen, in der nun, anders als in der bisherigen Politik und ihrer Geheimdipolomatie, noch weitere Akteure ihre Stimme erheben durften und viel Wert auf transparente Entscheidungsprozesse und Öffentlichkeit gelegt wurde. Doch es zeigte sich, dass transnationale Kooperation dort an ihre Grenzen stieß, wo sie die Sicherheitsinteressen der Großmächte berührte. In der Gründungsakte des Völkerbunds verpflichteten sich alle Unterzeichner dazu, die territoriale Integrität der anderen Staaten zu respektieren, und Artikel 10 formulierte etwas vage, dass im Falle eines Angriffs die anderen Mitgliedstaaten des 742 743

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Webster, The Transnational Dream S. 504–506. McCarthy, Helen: The Lifeblood of the League? Voluntary Associations and League of Nations Activism in Britain, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 187–208. S. 190. Zitiert nach McCarthy, The Lifeblood of the League? S. 192–194.

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Völkerbundes Gegenmaßnahmen diskutieren bzw. empfehlen würden. Doch als der Völkerbund schließlich arbeitsfähig war, stand nicht mehr die strafrechtliche Ahndung von Kriegsverbrechen im Vordergrund, da die Prozesse von Leipzig und Konstantinopel schon angelaufen waren,745 sondern die Schaffung eines ständigen Gerichtshofs, der Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern beilegen sollte. Der Ständige Internationale Gerichtshof war als eine Art Erweiterung des bestehenden Haager Schiedsgerichtshofs gedacht, der mit den Haager Friedenskonferenzen ins Leben gerufen, aber letztlich nicht aktiv geworden war, als im Sommer 1914 der Krieg ausbrach.746 Grundsätzlich wird 1919 deutlich, dass die Gleichzeitigkeit von herkömmlicher Diplomatie und neuen politischen Strukturen zu Konflikten führte.747 Die Gründung des Völkerbunds ging mit einer Erweiterung des Akteursspektrums einher: Denn alle Nationen, die berechtigt waren, den Friedensvertrag zu unterschreiben (zumal sie im Krieg ihren militärischen Beitrag zum Sieg geleistet hatten), waren nun formal auch Gründungsmitglieder des Völkerbunds. Der Völkerbund bezog ganz selbstverständlich auch außereuropäische Staaten mit ein, da diese auf ihren Weg zu nationaler Selbstbestimmung geleitet werden sollen.748 Für Staaten der British Dominions wie Australien, Neuseeland, Kanada, Südafrika und Indien wurde dies zum Schlüsselmoment nationaler Unabhängigkeit.749 Die USA hielten sich jedoch zurück und traten dem Völkerbund nicht bei, da es Bedenken gegenüber einer supranationalen Instanz gab, insbesondere gegen Artikel 10 der Völkerbundsatzung, der als Einschränkung der staatlichen Souveränität gelesen werden konnte. Der US-Kongress lehnte den Beitritt ab – eine innenpolitische Schlappe und ein herber Rückschlag für Präsident Wilson.750 Der Völkerbund war das Kernstück des Wilson’schen Internationalismus, der darauf zielte, die kollektive Sicherheit durch Schiedsgerichtsbarkeit und internationale Organisationen zu stabilisieren.751 Der US-Präsident legte durch seine Vision einer globalen Gemeinschaft der Nationen jedoch auch die Grundlage für eine Stärkung des nationalen Souveränitätsgedankens. Wilsons Vorstellung einer globalen „family 745

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Zwar ließ Völkerbundsekretär Drummond interne Studien anfertigen, wie sich der Völkerbund im Falle des Falles in der Auslieferungsfrage verhalten müsse, aber diese Studien waren nur zum internen Gebrauch und nicht handlungsleitend. Vgl. Lewis, The birth of the new Justice, S. 61. Zur Situation der Schiedsgerichtsbarkeit 1914 ausführlich Lewis, The birth of the new Justice, S. 20. Herren, Internationale Organisationen seit 1865 S. 58.Vgl. auch die Forschungen zur Diplomatiegeschichte von Susanne Schattenberg, zuletzt Schattenberg, Susanne: 1918 – Die Neuerfindung der Diplomatie und die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, in: Schlüsseljahre. Zentrale Konstellationen der mittel- und osteuropäischen Geschichte. Festschrift für Helmut Altrichter zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Mathias Stadelmann/Lilia Antipow, Stuttgart 2011, S. 273–293. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 48. Herren, Internationale Organisationen seit 1865, S. 55. Ausführlich zum Ringen Wilsons mit dem US-Senat vgl. Cooper, John Milton: Breaking the heart of the world. Woodrow Wilson and the fight over the League of Nations, Cambridge, New York 2010. S. 506–535. Ninkovich, The Wilsonian century, S. 78–105.

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of nations“ verdrängte frühere Vorschläge Londons, wonach mit dem Völkerbund eine internationale Organisation geschaffen werden sollte, die von einer kleinen Gruppe ausgewählter Mächte geleitet würde – letztlich eine Fortsetzung des alten „Konzerts der Mächte“.752 Wilson weckte damit große Hoffnungen, insbesondere in den ‚semi-peripheral states‘, auf volle politische Teilhabe753 sowie ökonomische Erwartungen an einen freieren Warenverkehr.754 Auch die ehemaligen Kriegsgegner wurden, mit zeitlicher Verzögerung, aufgenommen. Während Österreich bereits 1920 Mitglied im Völkerbund werden konnte, dauerte es bis 1926, bis Stresemann die Aufnahme Deutschlands erreichte. Die Euphorie des „Wilsonian Moment“ in den ersten Jahren des Völkerbunds und das Versprechen neuer Normen internationaler Legitimierung fanden insbesondere in den nach Unabhängigkeit strebenden Nationen starken Widerhall.755 Abessinien, China, Persien und Siam wurden Mitglieder im Völkerbund und galten fortan als „zivilisierte Staaten“.756 Da China, Persien und Siam im Ersten Weltkrieg an der Seite der Alliierten und ihrer Verbündeten gekämpft hatten, saßen sie in der Folge auch in Paris bei den Friedensverhandlungen mit am Tisch, wiewohl ihre Erkenntnis, nicht als gleichwertige Partner dabei zu sein, für große Frustrationen sorgte.757 Die Ungleichheit zeigte sich nicht zuletzt an der Zurückweisung des japanischen Vorschlags auf Einfügung einer Klausel, die alle Mitgliedstaaten zur Gleichbehandlung aller Nationen, ungeachtet ihrer „Rasse und Nationalität“, verpflichten sollte.758 Das ‚Zivilisationsparadigma‘ bestand jedoch in anderer Form fort. So waren die Kolonien der Kriegsverlierer in Mandatsgebiete umgewandelt worden und in die drei Stufen A, B oder C eingeteilt.759 Unter der Formel des ‚sacred trust‘ wurde der Kompromiss verschleiert, dass ein westlicher Staat faktisch die Herrschaft über diese Gebiete ausübte; dieses Prinzip war erstmals auf der Kongokonferenz in Berlin 1885 ersonnen worden und wurde nun, nach 1919, erneut angewandt.760 Das vom Völkerbund eingeführte Mandatssystem löste so zwar den negativ konnotierten Begriff des

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Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62., S. 48. McPherson, Alan L./Wehrli, Yannick: Beyond geopolitics. New histories of Latin America at the League of Nations, Albuquerque 2015. Becker Lorca, Mestizo international law, S. 236. Clavin, Securing the world economy. Manela, The Wilsonian moment, S. 10. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 83. Becker Lorca, Mestizo international law, S. 237. Ausführlich hierzu Lauren, Paul Gordon: Power and prejudice. The politics and diplomacy of racial discrimination, Boulder 1996. Pedersen, The Guardians, Table 1, S.1, bietet eine Aufstellung; die Aufteilung folgte dabei geographischer Ordnung wie auch ‚zivilisatorischem Fortschritt‘, und erläutert auf S. 3–4 das System. Vgl. auch Gong, The standard of „civilization“ in international society S. 78. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 50–51. Gong, The standard of „civilization“ in international society, S. 79.

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Imperialismus ab, schrieb die Ungleichheit aber fort.761 Allerdings weist Pedersen darauf hin, dass bei aller Kritik am System auch die Vorteile gesehen werden müssen: Die Kontrolle, die der Völkerbund mit dem Mandatssystem ausübte, zwang alle beteiligten Nationen zu einer Rhetorik und einem Grad an Vorsicht im öffentlichen Diskurs, die sich von der früheren kolonialen Legitimierung deutlich unterschieden.762 Die Internationalisierung der Diplomatie entwickelte sich durch das Mandatssystem unbestreitbar weiter. Daher lassen sich die Protokolle der Mandatskommission auch als Auseinandersetzung um die Gültigkeit kolonialer oder imperialer Ansprüche lesen.763 Noch immer war auch im Völkerbund die Unterscheidung in kleinere und größere Staaten erkennbar: So wurden die sogenannten ‚neuen‘ Staaten in Ostmitteleuropa der Aufsicht durch den Völkerbund unterstellt, um „die Wahrung der Rechte der nationalen Minderheiten [zu] überwachen“, während dies bei westlichen Staaten nicht für nötig befunden wurde.764 Paradoxerweise wurde so der Standard der Minderheitenrechte, der ja im Völkerbund festgeschrieben werden sollte, konnotiert mit dem „untergeordneten und relativ unzivilisierten Status der neuen Staaten.“765 Der Historiker Eric D. Weitz hat darauf hingewiesen, dass das System des Minderheitenschutzes und insbesondere des erzwungenen Bevölkerungsaustauschs in direkter Verbindung mit der europäischen „civilizing mission“ in den Kolonien stand, deren Modell, den Zivilisationsstandard als Maßstab für die Gewährung staatlicher Selbstbestimmung heranzuziehen, nun unausgesprochen auf den Balkan und Osteuropa übertragen wurde.766 Raphael Lemkin war einer der Juristen aus Ostmitteleuropa, die im Klima dieser Zeit zu einer ersten Kritik an den Möglichkeiten des Völkerrechts zum Schutz der Schwachen fanden und Nachbesserungen anmahnten.767 Zusammen mit seinem Kollegen aus Polen, Andrej N. Mandelstam768, machte Lemkin daher Vorschläge, wie 761

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Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62. S. 49. Pedersen, The Guardians, S. 4. Pedersen, The Guardians, S. 5. Mazower, Mark: Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte. Die konzeptionelle Trennung Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 41–62., S. 49. Mazower, Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte, S. 49–50. Weitz, Eric D.: From the Vienna to the Paris System. International Politics and the Entangled Histories of Human Rights, Forced Deportations, and Civilizing Missions, in: American Historical Review/December (2008), S. 1313–1343. Segesser, Daniel Marc/Gessler, Myriam: Raphael Lemkin and the international debate on the punishment of war crimes (1919–1948), in: Journal of Genocide Research 7/(4) (2005), S. 453–468. Moses, A. Dirk: Raphael Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide, in: The Oxford Handbook of Genocide Studies, hrsg. v. Donald Bloxham/A. Dirk Moses, Oxford 2010, S. 19–41. Moses weist ab S. 22 explizit auf die gerade unter ostmitteleuropäischen Juristen vorherrschenden Denkfiguren hin, etwa das denken in „Gruppen“ und die Auswirkungen von Erobberungsbewegungen auf kulturelle Identität. Aust, Helmut Philipp: From Diplomat to Academic Activist. Andre Mandelstam and the History of Human Rights, in: European Journal of International Law 25/4 (2015), S. 1105–1121.

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Minderheiten zukünftig besser geschützt werden oder wie „Akte der Barbarei“ (gemeint waren Massaker) rechtlich als internationale Verbrechen definiert werden könnten, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen.769 Doch diese Vorschläge fanden nur wenig Echo. Aus der Perspektive der Kontinuitätsthese ist die Gründung des Ständigen Gerichtshofs eine zentrale rechtliche Errungenschaft der Zwischenkriegszeit, die bisher von der Forschung fast nicht beachtet wurde, wohl weil der Gerichtshof nicht so häufig genutzt wurde, wie man gehofft hatte.770 Der Ständige Internationale Gerichtshof war in Artikel 14 der Völkerbundsatzung angekündigt worden, denn während der Friedenskonferenz hatte sich herausgestellt, dass nur Italien konkrete Vorstellungen von den Aufgaben eines ständigen Gerichtshofs hatte und man diese erst diskutieren musste.771 Seit Sommer 1920 waren von einem Komitee aus zehn prominenten Völkerrechtlern Pläne erörtert worden.772 1922 nahm der Gerichtshof in Den Haag seine Arbeit auf.773 Der neue Gerichtshof hatte die Aufgabe, zwischenstaatliche Fragen zu verhandeln; nur Staaten konnten Fälle vorbringen. Staaten, die noch nicht Mitglied im Völkerbund waren, war es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, den Gerichtshof dennoch anzurufen (dies war insbesondere für die USA bedeutsam, die dem Völkerbund ja nicht beigetreten waren). Ein Minimum von neun Richtern musste über einen Fall befinden; Amtssprachen waren Englisch und Französisch. Urteile mussten mehrheitlich gefällt werden.774 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs war verbindlich, anders als diejenige des Schiedsgerichtshofs. Der Ständige Gerichtshof existierte parallel zum Den Haager Schiedsgerichtshof, der grundsätzlich weiterhin allen Staaten offenstand. Es gab jedoch Unterschiede zwischen den beiden Gerichtshöfen: Im Schiedsgerichtshof war das Richterpersonal nicht so geschlossen wie im Ständigen Gerichtshof, wo es für eine feste Amtszeit

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Siegelberg, Mira L.: Unofficial men, efficient civil servants. Raphael Lemkin in the history of international law, in: Journal of Genocide Research 15/3 (2013), S. 297–316. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 93. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 589. Hierzu ausführlich Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 233–302. Es gibt kaum Literatur zum Ständigen Internationalen Gerichtshof, insbesondere kaum von historischer Seite. Vgl. als Überblick Spiermann, Ole: International legal argument in the Permanent Court of International Justice. The rise of the international judiciary (Cambridge studies in international and comparative law), Cambridge 2010. Hudson, Manley O.: The Permanent Court of International Justice, in: Harvard Law Review 35/3 (1922), S. 245–275.S. 247. Curtis, W. J.: Permanent Court of International Justice, in: A.B.A. Journal 8 (1922), S. 158.; Gong, The standard of „civilization“ in international society S. 72. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 43. Hudson, Manley O.: The Permanent Court of International Justice, in: Harvard Law Review 35/3 (1922), S. 245–275. S. 259–263.

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ernannt wurde.775 Im Ständigen Gerichtshof trafen sich die Richter regulär einmal zu einer Sitzungsperiode pro Jahr, um alle Fälle zu besprechen. Dadurch hatten alle Richter ungefähr gleich viel internationale Erfahrung. Der Hauptunterschied aber bestand darin, dass die Grundlage für den Ständigen Internationalen Gerichtshof das Völkerrecht und dessen Weiterentwicklung war und nicht Schiedsgerichtsbarkeit. Angesichts der schleppenden Debatten um die Modernisierung des Völkerrechts war der Gerichtshof demzufolge nur eingeschränkt handlungsfähig. Für die noch folgende Entwicklung ist jedoch bedeutsam, dass Protagonisten der späteren Debatte um Kriegsverbrechen in den 1940er Jahren zuvor Richter am Ständigen Gerichtshof gewesen waren (etwa der chinesische Völkerrechtsexperte Wang Chunghui), sich also zum einen persönlich kannten, zum anderen in der Frage der Ahndung von sogenannten „internationalen Verbrechen“ erfahren waren. Sie bildeten einen transnationalen Expertenpool der Juristen und formten ein Netzwerk, das im Zweiten Weltkrieg seine Wirkung entfalten sollte. Ein Thema der wissenschaftlichen Debatten der epistemic community war nach wie vor die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs. Es wurde von Völkerrechtlern der alliierten und neutralen Staaten (aber nicht der besiegten Nationen) im Sommer 1920 diskutiert, als ein belgischer Vorschlag hierzu vorlag. Das Interesse belgischer Juristen an einer justizförmigen Lösung der Kriegsverbrecherfrage war noch gleichbleibend hoch, denn das Land hatte als ‚semi-peripheral state‘ und eine der am schlimmsten vom gerade überstandenen Krieg betroffenen Nationen ein großes Interesse daran, diese Fragen endlich zu lösen. In diesem Zusammenhang unterstrich der belgische Staatsminister Baron Edouard Descamps, es sei nötig, für die im Völkerrecht anerkannte Kategorie „internationaler Verbrechen“ eine Art internationalen Strafgerichtshof einzurichten, um das Problem der sogenannten retroaktiven Gerichtsbarkeit zukünftig zu umgehen.776 Er bündelte damit Forderungen anderer Völkerrechtler. Auch Fachgremien sprachen sich für die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs aus. 1926 forderte die International Law Association: „If the rule of law is to be established in the family of nations, it can only be satisfactorily established by the cooperation of all nations expressed through an International Court.“777 Es gab jedoch auch Juristen, die sich von der Idee supranationaler Rechtsordnungsvorstellungen abwandten. Hermann Kantorowicz und seine „free law school“ betonten beispielsweise, man könne keine stabile Weltordnung auf einer supranationalen Rechtsordnung aufbauen.778 775 776 777

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Hudson, The Permanent Court of International Justice S. 252–53. McCormack, Timothy L. H/Simpson, Gerry J. (Hgg.): The Law of War Crimes. National and International Approaches, The Hague 1997, S. 51. Zitiert nach Ferencz, An international criminal court, a step toward world peace, S. 256. McCormack, Timothy L. H: From Sun Tzu to Sixth Committee. The Evolution of an International Criminal Law Regime, in: The Law of War Crimes. National and International Approaches, hrsg. v. McCormack, Timothy L. H/Gerry J. Simpson, The Hague 1997, S. 52–53. Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919 S. 39. Zu Kantorowicz vgl. Frommel, Monika: Hermann Ulrich Kantorowicz (1877-1940). Ein Rechtstheoretiker

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Dem widersprach James Brierly, Chichele Professor for International Law and Diplomacy in Oxford.779 Brierly betonte 1927, man könne das Problem der Kriegsverbrechen nicht durch einen Strafgerichtshof lösen: „The notion that war crimes can be banished from war or even appreciably reduced by an institution of a criminal court is probably a delusion. […] and even if this were not so, an international court to deal with war crimes after a war is over would still be undesirable, because the supreme need then is to calm the passions which the war has raised and to work for the prevention of another.“780

Brierly war überzeugt, nationale Gerichtshöfe seien besser geeignet, um Kriegsverbrecher abzuurteilen. Hierin zeigt sich zum einen wieder die Betonung des Souveränitätsprinzips, zum anderen die negative Erfahrung mit den Leipziger Prozessen sowie ein generell schwach ausgeprägtes britisches Interesse, am Status quo etwas zu ändern. Der Völkerbund setzte daraufhin eine Kommission ein, deren Aufgabe es war, ein Statut für einen permanenten Gerichtshof auszuarbeiten.781 Doch die Vollversammlung des Völkerbunds lehnte den Vorschlag ab, ebenso wie das Projekt, die Kodifizierung des Völkerrechts voranzutreiben.782 Die Verrechtlichungsbestrebungen steckten daher in der Zwischenkriegszeit in einer Sackgasse. Der britische Lord Philimore zeigte seine Enttäuschung offen und beschuldigte den Völkerbund des mangelnden Interesses daran, die Verrechtlichung weiter voranzutreiben.783 Die Zurückweisung in der Vollversammlung blieb nicht ohne Folgen und schwächte die Durchsetzung bereits getroffener Vereinbarungen. So war 1925 das Genfer Protokoll zur Ächtung von Giftgas im Krieg verabschiedet worden; Italien war unter den ersten Unterzeichnerstaaten – und einer der ersten, die das Protokoll brachen (durch seinen Giftgasangriff auf Libyen und Abessinien 1936). 784 Die meisten Regierungen machten deutlich, dass sie am Prinzip der Staatssouveränität festhielten und keinen Gerichtshof unterstützen würden, der eine Art Supra-Gerichtsbarkeit darstellte und eventuell

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zwischen allen Stühlen, in: Deutsche Juristen Jüdischer Herkunft, hrsg. v. Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz; Stolleis, Michael, München 1993, S. 631–642. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 361. Brierly, James Leslie: Do We Need an International Criminal Court?, in: British Year Book of International Law 8 (1927), S. 81–88. S. 87. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 361. Lewis, The birth of the new Justice, S. 63. Philimore, Walter George: An International Criminal Court and the Resolutions of the Committee of Jurists, in: British Year Book of International Law 2 (1922-1923), S. 79–86. Robertson, Crimes against humanity, S. 255.

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auch ihre eigenen Bürger vor Gericht bringen könnte.785 Hierin waren sich auch die USA einig, und dies ist bis heute ein gewichtiges Argument gegen die Ratifikation des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs ICC.786 Doch die epistemic community der Juristen verstand es, das Potential des Öffentlichkeitsbezuges durch politisch instrumentalisierbare Expertise zu nutzen. Als neuer Akteur ist hier der junge Strafrechtsprofessor der Universität Chicago, Quincy Wright, zu nennen.787 Als Mitherausgeber des American Journal of International Law stand ihm dafür eine mächtige Plattform zur Verfügung. Bereits 1924 machte Wright den Vorschlag, Juristen sollten eine Reihe von legal standards ausarbeiten, mit denen Kriegsverbrechen zukünftig gemessen und von erlaubten Akten der Selbstverteidigung unterschieden werden könnten.788 Es müssten hierfür internationale Behörden geschaffen werden, die die Einhaltung der Standards überwachten. Schon 1925 vertrat Quincy Wright die These, dass es dem Völkerrecht sogar gelingen könne, Aggression generell als Mittel der Politik abzuschaffen. Er stellte einen Fünfpunkteplan auf, wann überhaupt ein Staat zu Gewalt greifen dürfe, und zwar nur 1) wenn es um Verteidigung seines Territoriums oder seiner Bürger gehe, 2) wenn Wiedergutmachung für Rechtsverletzungen gefordert werde, 3) um Verletzungen des Völkerrechts vorzubeugen, 4) um vertraglich festgesetzte Vereinbarungen durchzusetzen und 5) um Strafverfolgung innerhalb der eigenen Rechtsprechung durchzusetzen.789 Diese Punkte finden sich fast wortgleich im späteren Kellogg-Briand-Pakt wieder, der den Angriffskrieg ächten sollte. Noch bedeutsamer im Sinne der Martens-Klausel war jedoch sein Hinweis auf die Strategie, die Verrechtlichungsdebatte zu dynamisieren. So betonte Wright, dass der Druck der Öffentlichkeit und die Existenz internationaler Institutionen der beste Weg seien, um internationale Streitigkeiten beizulegen und dadurch den Krieg an sich zu vermeiden.

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Lewis, The birth of the new Justice, S. 63. Dembinski, Matthias: Unilateralismus versus Multilateralismus. Die USA und das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und internationaler Organisation, in: HSFK-Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung/4 (2002); Deitelhoff, Nicole: Angst vor Bindung? Das ambivalente Verhältnis von Demokratien zum Internationalen Strafgerichtshof, in: HSFK [Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung] Standpunkte/5 (2002), online: . Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 362. Wright, Quincy: Changes in the Conception of War, in: American Journal of International Law 18 (1924), S. 755–767. Wright, Quincy: The Concept of Aggression in International Law, in: The American Journal of International Law 29/(3) (1935), S. 373–395. Wright wiederholte diese Theorien von 1925 später in Wright, Quincy: The Outlawry of War and the Law of War, in: The American Journal of International Law 47/(3) (1953), S. 365–376.Vgl. auch Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 361.

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Die Diplomaten waren sich bewusst, dass die Öffentlichkeit die Ächtung von Kriegen forderte und wirksame Gegenstrategien anmahnte. Es sah so aus, als gebe es nur einen diplomatischen Weg, einen zukünftigen Krieg zu vermeiden, und zwar, indem man den Angriffskrieg als Mittel der Politik ausschloss. Völkerrechtler sprechen daher heute auch vom „Kriegsverhütungsrecht“ der Völkerbundphase.790 Der Kellogg-Briand-Pakt oder „General Treaty for the Renunciation of War“ war der Versuch, durch einen internationalen Vertrag, der den Angriffskrieg als Mittel der Politik ächtete, Rechtssicherheit herzustellen.791 Die Politik machte hier – nach dem (nicht ratifizierten) Genfer Protokoll von 1924 und den (insgesamt sieben) Verträgen von Locarno von 1925, in welchen die Anerkennung der Grenzen des Versailler Systems bestätigt wurde792 – einen weiteren Versuch, Aggression als Mittel der Politik zu bannen. Unterzeichnet wurde der Kellogg-Briand-Pakt am 27. August 1928 in Paris von elf Staaten (daher manchmal auch „Vertrag von Paris“ genannt, aber meist unter den Namen der beiden initiierenden Außenminister, Frank B. Kellogg [USA] und Aristide Briand [Frankreich] geführt). Signatarstaaten waren die USA, Frankreich, Australien, Kanada, das Deutschen Reich, Großbritannien, Indien, Irland, Italien, Neuseeland und Südafrika sowie Polen, Belgien und Japan. Zur Debatte um die Ahndung von Kriegsgewalt trug der Pakt insofern bei, als es in ihm um die Grundlagen des Krieges selbst ging; zudem wurden einzelne der hier aufgeworfenen Definitionen im Zweiten Weltkrieg weiterentwickelt. Insgesamt traten in der Folge 63 Staaten dem Vertrag bei, so dass man davon sprechen kann, dass der Pakt eine universelle Geltung hatte.793 Er wird heute oft als epochale Zäsur gepriesen, allerdings unterstreicht Zachmann, dass gerade die Entstehungsgeschichte zeige, „dass die Interpretation des Paktes unter den Großmächten weit differierte, und jede Großmacht in dem Austausch von diplomatischen Noten, die die Verhandlung begleiteten, ihre partikularen Interessen zu wahren suchte.“794 790

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Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte. S. 728. Grewe spricht hier von einem Übergang zwischen nachklassischem und klassischem Völkerrecht, das dem Krieg gegenüber rechtlich indifferent war. Robertson, Crimes against humanity, S. 306; Bassiouni, M. Cherif: A Definition of Aggression in International Law: The Crime against Peace, in: A Treatise on International Criminal Law. Vol. 1, Crimes and Punishment, hrsg. v. M. Cherif Bassiouni/Ved P. Nanda, Springfield 1973, S. 159–197. S. 161. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2334. Zur deutschen Position und der amerikanischen Rezeption vgl. Berg, Manfred: Die deutsche Locarnopolitik und das amerikanische Interesse an einer europäischen Friedensordnung: Implikationen für den historischen Konstellationsvergleich, in: Deutschland in Europa. Nationale Interessen und internationale Ordnung im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Gottfried Niedhart/Detlef Junker/ Michael W. Richter, Mannheim 1997, S. 259–270. Berg führt aus, dass die Stabilisierung des Deutschen Reiches aus politischen wie ökonomischen Gründen im Zentrum amerikanischen politischen Interesses lag, S. 260. Bassiouni, M. Cherif: A Definition of Aggression in International Law: The Crime against Peace, in: A Treatise on International Criminal Law. Vol. 1, Crimes and Punishment, hrsg. v. M. Cherif Bassiouni/Ved P. Nanda, Springfield 1973, S. 159–197. S. 161. Zachmann, Urs Matthias: Völkerrechtsdenken und Aussenpolitik in Japan, 1919-1960 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts 29), Baden-Baden 2013, S. 122.

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Auch Grewe betont, dass dieses „neue Naturrrecht der Zwischenkriegszeit“ kaum über „tastende Versuche hinausgelangt“ sei.795 Die Definition des Tatbestands der Aggression bzw. des Angriffskriegs ist das Kernstück des Kellogg-Briand-Pakts: „A war is unjust if and only if it is aggressive.“796 Diese Eindeutigkeit wurde zu einem der drei Anklagepunkte im späteren Nürnberger Statut, wie unten noch dargelegt werden wird. Allerdings gab es Ausnahmen: So gestattete der Kellogg-Briand-Pakt den Krieg dann, wenn er der Selbstverteidigung diente.797 Der Vertrag enthielt sowohl Elemente der alten Vorkriegsdiplomatie als auch der „Neuen Diplomatie“, die mit Wilson begonnen hatte. Wie Zachmann herausgearbeitet hatte, suchte die „Schauseite“ des Vertrags die Weltöffentlichkeit mit dem Versprechen auf zukünftige rein friedliche Konfliktlösung zu beeindrucken. Auf der anderen Seite bestand der Kellogg-Briand-Pakt jedoch aus einer ganzen Reihe von Zusatznoten, die genau dieses Versprechen „signifikant revidierten“.798 Der Pakt stand daher für zwei Charakteristika der Zwischenkriegszeit: erstens für das „eklatante Auseinanderklaffen von naturrechtlich begründeter Utopie auf der Schauseite“ und zweitens für die „Umsetzung dieses Rechts durch die Großmächte in traditionelle Realpolitik“. Aufgrund der starken Rolle der Öffentlichkeit in früheren Debatten sind die Reaktionen der verschiedenen Gruppen von Bedeutung. Völkerrechtler Quincy Wright sah den Vertrag positiv, trotz der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten: „Many treaties have no specific sanctions, but in so far as they create obligations under international law those obligations are covered by the sanctions of all international law.“799 Anderen ging der Vertrag nicht weit genug. So kritisierten insbesondere diejenigen, die nicht zu den Großmächten gehörten, dass das Kriegsverbot – genau wie der Völkerbund – nur ein weiteres Beispiel für angloamerikanische Hegemonialpolitik sei und zur Aufrechterhaltung des ungerechten Status quo diene.800 Japanische Völkerrechtler lehnten den Pakt dezidiert als „unrealistisch“ ab: Es sei nicht möglich, Krieg in Ermangelung anderer Mittel zu verbieten. Das Hauptproblem des Kellogg-BriandPakts war jedoch seine fehlende Durchsetzbarkeit. Völkerrechtsverletzungen Japans in der Mandschurei 1931, die Besetzung des Rheinlands durch Hitler 1936 und Italiens Überfall auf Abessinien 1936 demonstrierten die Ohnmacht des Völkerbunds sowie auch die Wirkungslosigkeit des Kellogg-Briand-Pakts – und machten völkerrechtliche Sanktionsmöglichkeiten umso dringlicher.801 795 796 797 798 799 800 801

Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 713. Zitiert nach Luban, David: Just War and Human Rights, in: Philosophy & Public Affairs 9/(2) (1980), S. 160–181. S. 162. Luban, David: Just War and Human Rights, in: Philosophy & Public Affairs 9/(2) (1980), S. 160–181. S. 161. Zachmann, Völkerrechtsdenken und Aussenpolitik in Japan, 1919-1960, S. 122. Auch im Folgenden. Wright, Quincy: The Meaning of the Pact of Paris, in: The American Journal of International Law 27/(1) (1933), S. 39–61. S. 41. Zachmann, Völkerrechtsdenken und Aussenpolitik in Japan, 1919-1960, S. 124. Ausführlich hierzu Marks, Sally: The illusion of peace. International relations in Europe, 1918-1933 (Making of the 20th century), Houndmills, Basingstoke, Hampshire 2003; Steiner, The Triumph of

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Allerdings enthielt der Pakt noch weitere Schwachstellen: Da er nur die Selbstverteidigung als Kriegsgrund anerkannte, wurden in der Folge viele Konflikte formal nicht mehr als „Krieg“ deklariert und auf eine Kriegserklärung verzichtet. Der Sohn des Völkerrechtlers Hersch Lauterpacht, Elihu Lauterpacht, kritisierte dieses Versäumnis, das erst mit der UN-Charta 1945 habe aufgefangen werden können, rückblickend folgendermaßen: „The development from the words of the Kellogg-Briand Pact to the wording of the Charter was deliberate. It had soon been realized after the adoption of the Kellogg-Briand Pact that the association of the word ‚war‘ with the technical condition of states meant that states might content that their use of force, since it fell short of ‚war‘ did not violate the prohibition of the Pact. The words of article 2 (4) of the Charter were intended to fill this gap. What was now prohibited was the deliberate initiation of a situation of force. Henceforth, there was to be no room for the argument about whether or not the hostilities amount to war.“802

Die Anklage wegen solcher Aggression gelang später in Nürnberg und Tokio unter dem Tatbestand „Verbrechen gegen den Frieden“ und unterstreicht die außerordentliche interpretative Bandbreite des Vertrags. Darin lag gleichzeitig der Grund „für seine Ineffektivität und mangelnde Durchsetzbarkeit“, so Zachmann.803 Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs beschuldigten sich später beide Seiten, den KelloggBriand-Pakt gebrochen zu haben – dies deutet auf eine zumindest normativ wahrgenommene Kraft des Vertrags hin, auch wenn sie nicht zur erwünschten Zurückhaltung führte.804 Mit seiner Initiative von 1937, eine Konvention zur Schaffung eines International Criminal Court zu schaffen, unternahm der Völkerbund einen letzten Versuch, den eingeschlagenen Kurs zu korrigieren. Doch es gelang nicht, unter den Mitgliedstaaten genügend Unterzeichner zusammenzubringen, bevor ein neuer Weltkrieg ausbrach.805 Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in Europa 1939 waren daher noch keine verbindlichen Regeln zum Umgang mit Kriegsgewalt gefunden worden. Insbesondere die Frage der Gewalt gegen Zivilisten blieb rechtlich unscharf.

802 803 804

805

the Dark; Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 49. Lauterpacht, Elihu: The legal Irrelevance of the State of „War“, in: Proceedings of the American Society of International Law at Its Annual Meeting (1921-1969) 62 (1968), S. 58–68. S. 62. Zachmann, Völkerrechtsdenken und Aussenpolitik in Japan, 1919-1960, S. 123. Zitiert nach Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 362. Zu den Vorläufern der bebatte vgl. Auch Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. Robertson, Crimes against humanity, S. 306.

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4.4. Zwischenfazit Wie die vorstehende Analyse zeigen konnte, tauchte der Begriff crimes against humanity seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehrfach in den Verrechtlichungsdebatten auf. Er durchlief vom 19. ins 20. Jahrhundert drei Phasen, wobei er in jeder der entsprechenden Sphären mit neuer Bedeutung aufgeladen wurde. Von einem moralischen Verständnis in der Zeit der Abolitionisten des 19. Jahrhunderts bewegte das Konzept sich durch eine politische Sphäre, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Umfeld der Friedenskonferenzen von Den Haag und in Versailles 1919 manifestiert, und erreichte in den 1940er Jahren, wie gezeigt werden wird, in London die rechtliche Sphäre, also die Nutzbarmachung als ‚legal tool‘. Zentral für diese Debatten waren der Begriff ‚humanity‘, mit dem an juristische Ordnungsvorstellungen der Vikorianischen Epoche des 19. Jahrhunderts angeknüpft wurde, und die juristische Auslegung des Paradigmas vom ‚Zivilisationsstandard‘. Unter dem Druck der sich um die Jahrhundertwende verändernden globalen Ordnung sowie von Zwängen der (insbesondere europäischen) Realpolitik ließen sich in Den Haag jedoch nur Teilerfolge erringen. Ein Verdienst war die Verabschiedung der Haager Landkriegsordnung 1907, die einen Meilenstein der Verrechtlichung darstellte. Alle weitergehenden Forderungen, insbesondere nach strafrechtlichen Konsequenzen und nach Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs, waren jedoch noch nicht durchsetzbar. Schiedsgerichtsbarkeit oder Arbitration war dagegen die Lösung, die nicht nur von der Politik, sondern auch von den internationalistischen Gruppierungen favorisiert wurde. Mit den Friedenskonferenzen von Den Haag betraten zivilgesellschaftliche Gruppen, insbesondere aus der Frauen- und der Friedensbewegung, als weitere Akteure die Bühne, die unter dem dritten Aspekt der Martens-Klausel, der Forderung nach „public conscience“, beschrieben werden können. Auch alternative Konfliktlösungsstrategien wurden diskutiert. So sprachen sich die Weltarbeiterverbände für einen Generalstreik aus, während die Weltfrauenverbände die Erziehung künftiger Generationen zum Frieden als Hebel des zukünftigen friedlichen Zusammenlebens betonten. Das Carnegie Endowment for International Peace schuf mit seinem Bericht zu den Verbrechen auf dem Balkan erstmals ein öffentliches Bewusstsein für Kriegsgewalt gegen Zivilisten. Kriegsgewalt war also zu einem kontinuierlichen Thema öffentlicher Debatten geworden. Mit der Versailler Friedenskonferenz kam es zum ersten Testfall, ob die Staatengemeinschaft es mit den Prinzipien, die in Den Haag verabschiedet worden waren, ernst meinte. Für die vorliegende Studie zentral sind die juristischen Kontroversen um crimes against humanity in der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie die Diskussionen um einen internationalen Strafgerichtshof, die durch das Scheitern der Prozesse in Leipzig und Konstantinopel neue Nahrung erhielten. Wie gezeigt werden konnte, wurde der Begriff crimes against humanity 1915 erstmals in einem diplomatischen Dokument, dem sogenannten Armenier-Telegramm, benutzt. Hierin deutete sich die später mit dem Konzept verbundene politische Konnotation einer Ächtung von systematischer Gewalt gegen Minderheiten schon an. Gleichzeitig existierte das aus

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der Martens-Klausel bekannte universalistischere Verständnis von crimes against humanity als Übertretung international verbindlicher Standards – also die eher moralische Dimension des Begriffs – weiter parallel nebenher, wie die Mantelnote vom Juni 1919 zeigt. Es ist daher wichtig, in der Analyse der intellectual history des Konzepts die beiden Bedeutungsebenen deutlich herauszuarbeiten. Nachweisen lässt sich zudem, dass der Gedanke von ‚humanity‘, der aus dem 19. Jahrhundert mit einer moralischen Konnotation übernommen worden war, in den Debatten von Versailles dezidiert mit einer politischen Bedeutung aufgeladen wurde. Die Gründung des Völkerbunds zeigte, dass die Signale nicht auf justizförmige Regelung von Kriegsgewalt standen, sondern auf eine engere internationale Zusammenarbeit. Diplomatische Initiativen wie der Kellogg-Briand-Pakt unterstrichen, dass es vor allem um eine politische Lösung mit dem Ziel ging, Kriege zukünftig zu vermeiden. Parallel setzte man auf Schiedsgerichtsbarkeit und rief dazu den Ständigen Gerichtshof in Den Haag ins Leben, der allerdings hinter den Erwartungen zurückblieb. Bisher in der Forschung unterschätzt wurden Projekte der Kriegsverhinderung in der Zwischenkriegszeit, wie der Blick auf die neugegründeten Völkerbundgremien zur Rüstungsbeschränkung exemplarisch zeigt. Die Expertengremien, die sich in den 1920er Jahren in Genf zusammenfanden, erprobten Wege der Zusammenarbeit und Konsensfindung, die in den 1940er Debatten zentral werden sollten. Viele der Protagonisten waren an beiden Debatten beteiligt, worauf noch eingegangen werden wird. Die Völkerrechtler in Versailles erhofften, dass Verstöße gegen das Gewohnheitsrecht und die Haager Konventionen wirklich als Verbrechen gewertet würden, die individuelle strafrechtliche Verfolgung nach sich zögen. Sie planten, die Immunität der Staatschefs souveräner Staaten zu begrenzen, die Befugnisse des Militärs und des Staates selbst in bestimmten Situationen einzuschränken und die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs voranzutreiben, um Verbrechen ahnden zu können, deren Opfer Bürger verschiedener Staaten waren.806 Diejenigen Akteure, die die Nachkriegsprozesse unterstützten, trieben damit das Projekt einer Reform zur Etablierung einer „new justice“ (Lewis) und einer neuen Art von strafrechtlichem Verständnis voran. Das Projekt ging davon aus, dass die aus dem nationalen Strafrecht bekannten Elemente – strafrechtliche Haftung, Prozess und Strafe – auch auf das internationale Staatensystem anwendbar wären. Im Kern ging es in der Zwischenkriegszeit um eine Reform der internationalen Ordnung auch aus juristischer Sicht. Aus rechtshistorischer Perspektive (Koskenniemi) bleibt festzuhalten, dass die „new justice“ von 1919 in dreierlei Hinsicht nicht funktionierte: Erstens gelang es nicht, den Prozess der Rechtsgebung zu intensivieren (failure of legislation), zweitens kam es trotz Schaffung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs nur zu einer geringen Nutzung dieses Gremiums, obwohl es als formales Organ zur Konfliktschlichtung ersonnen worden war, und drittens gelang es nicht, den neuen Prinzipien zur Durchsetzung zu verhelfen, wie die Krisen in der Mandschurei, im Rheinland und in Abes806

Lewis, The birth of the new Justice, S. 28–30.

4. JURISTISCHE DEBATTEN IM UND NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG

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sinien zeigten.807 An Akteuren wie Bellot, Larnaude, Rolin-Jaequemyns und Wright lässt sich die Kontinuitätsthese festmachen, wonach sich die Argumentationslinien, die Martens mit seiner Präambel 1899 vorgegeben hatte, in Bezug auf die Ahndung von Gewalt gegen Zivilisten und die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs schärften. Das Völkerrecht der Zwischenkriegszeit scheiterte jedoch, weil es nicht gelang, die nationale und die internationale Sphäre miteinander zu verzahnen. In den Worten von James Brierly: Es wurde zu viel Hoffnung in den Völkerbund gesetzt, das Völkerrecht zu stärken; dies habe dieser aber gar nicht leisten können. „The League was not a legal system but simply a standing Conference system“.808 Diese Einschätzung verschleiert jedoch die Rolle der Expertengremien. Das Konzept crimes against humanity setzte sich 1919 nicht durch, da zum einen, wie gezeigt, mehrere Ebenen des Begriffs im Umlauf waren und zum anderen die politisch Verantwortlichen – David Lloyd George, Georges Clemenceau, Woodrow Wilson und Vittorio Orlando – in diesem Punkt der (juristischen) Ebene in der Argumentation der amerikanischen Kommissionsmitglieder Robert Lansing und James Brown Scott folgten, nach der eine strafrechtliche Verfolgung sich einzig auf Verstöße gegen geschriebenes Völkerrecht beschränken müsse.809 Zwar hatten Bellot und Rolin-Jaequemyns ihre Überzeugung prononciert vorgetragen, auch crimes against humanity müssten strafrechtlich geahndet werden, und dafür auch die Unterstützung der Kommissionsmitglieder und juristischen Experten aus Großbritannien und Frankreich, Ferdinand Larnaude und Ernest Pollock, erhalten, doch fand dies keinerlei Unterstützung bei den politisch Verantwortlichen. Eine Folge der politischen Weigerung, dem Vorschlag der Völkerrechtler zu folgen, war die Tatsache, dass in den Prozessen von Leipzig nur Kriegsverbrechen im bisher definierten Sinn vor Gericht gebracht werden konnten. Die Verhandlungen von Versailles wirkten jedoch diskursprägend: Sie schärften den Blick für eine neue Kategorie von Verbrechen, sie formten Netzwerke und Expertenzirkel und bereiteten die Debatten des Zweiten Weltkriegs somit vor. Eine machtvolle Reform des Kriegsvölkerrechts wurde 1919 insbesondere durch die Vorbehalte der Amerikaner noch aufgehalten. Anders als 1945, als sich die USA zum Motor der neuen völkerrechtlichen Prinzipien machten, standen 1919 politische Bedenken und insbesondere Sorgen um die Unantastbarkeit staatlicher Souveränität für Washington im Vordergrund. Dies spiegelt zum einen die tatsächlichen außenpolitischen Mächteverhältnisse der Zeit, zum anderen die globalen Auswirkungen innenpolitischer Konstellationen einer Weltmacht auf Fragen von internationaler Bedeutung. Aus der Perspektive einer intellectual history lässt sich daher schlussfolgern, dass ein anderer Zeithorizont angelegt werden muss als eine auf 1919 und 1939 ausgerich807 808 809

Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 45. Zitiert nach Koskenniemi, Nationalism, Universalism, Empire: International Law in 1871 and 1919, S. 46. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 598.

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tete Misserfolgs-Diagnose und dass in der longue durée insbesondere der Debattenfortschritt seit dem 19. Jahrhundert durch Einbeziehung der Öffentlichkeit sowie die Herausbildung zivilgesellschaftlicher Institutionen und das Auftauchen bisher nicht vertretener Akteure, etwa des Weltfrauenverbands, ganz wesentlich für die Durchsetzung des Konzepts in den 1940er Jahren waren.

II. Expertengremien im ‚London hub‘: Die UNWCC und das Konzept von crimes against humanity, 1939–1945 Die Debatten, mit denen die in London versammelten Völkerrechtler der 1940er Jahre gedanklich eine Abkehr vom bis zum Zweiten Weltkrieg quasi sakrosankten Souveränitätsprinzip versuchten, indem sie die Ächtung des Angriffskrieges sowie der Massengewalt gegen Zivilisten vorantrieben, stehen im Zentrum des zweiten Teils der Studie. Die Tendenz zur Verrechtlichung zeigt sich in dieser die Debatten abschließenden Phase in ihrer globalen Dimension: Es ging hier nicht nur um ein Regelwerk, sondern um ein auch außerhalb militärischer Deutungsmonopole und eurozentrischer Ordnungsvorstellungen gültiges Narrativ, das transnational in der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Während des Zweiten Weltkriegs, unter dem Eindruck des „totalen Krieges“ auch gegen Zivilisten und in der transnationalen Gemeinschaft des erzwungenen Exils in London, gelang es, die völkerrechtlichen Überlegungen zur strafrechtlichen Ahndung mit der politischen Ebene zu verbinden. In vielerlei Hinsicht knüpften die Debatten der frühen 1940er Jahre damit an die globalen Debatten der 1870er und Haager Jahre um 1907 an und führten Initiativen der Friedensverbände weiter. Sie verweisen somit auf den konstant gewordenen Anspruch auf rechtsförmige Abrechnung, der auf der öffentlichen Diskursebene verhandelt wurde. Crimes against humanity ist eines der Konzepte, denen jetzt zum Durchbruch verholfen wurde, die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs zur Aburteilung von Kriegsverbrechen die zweite völkerrechtliche Neuerung, die bereits seit dem 19. Jahrhundert diskutiert wurde. Beides wurde in Nürnberg im Internationalen Militärtribunal von Oktober 1945 bis 1946 erstmals umgesetzt. Anders als im Ersten Weltkrieg machten sich die Amerikaner nun zum Motor der Bewegung und sorgten ab 1945 für die politische Unterstützung – und damit letztlich für die erfolgreiche Umsetzung von crimes against humanity als ‚legal tool‘. Ohne die Vorarbeit der Zivilgesellschaft und der Expertengremien im ‚London hub‘ wäre dies jedoch nicht möglich gewesen. Für die Durchsetzung war ein internationaler Rahmen nötig – oder anders gesprochen: eine Arena der Verrechtlichung. Im Oktober 1943 wurde als erstes internationales Gremium dieser Art die United Nations War Crimes Commission (UNWCC) in London geschaffen, die die Aufgabe hatte, Experten aus allen alliierten Staaten zusammenzurufen, um die völkerrechtliche Position in Bezug auf Kriegsverbrechen zu bestimmen, verbindliche Standards auszuhandeln und Verfahren vorzubereiten.1 Noch vor Gründung der United-Nations-Organisation in San Francisco im Juni 1945 fand sich hier ein transnational vernetztes Gremium zusammen, das sich als die „gegen die Verbrechen der Achsenmächte vereinigten Nationen“ verstand. Es ist zu1

Vgl. zur alliierten Politik und zur Gründung der UNWCC seit Kurzem Plesch, Human rights after Hitler. Ebenso Plesch, America, Hitler and the UN, sowie Plesch/Weiss, Wartime origins and the future United Nations.

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II. DIE UNWCC UND DAS KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1939–1945

dem bemerkenswert, dass das erste Betätigungsfeld der späteren UN die Kriegsverbrecherpolitik war. Dies weist auf das übergeordnete Interesse aller alliierten Nationen hin, aber auch auf die Präsenz dieser bereits seit Jahrzehnten geführten Debatte im öffentlichen Bewusstsein. Die UNWCC verstand sich als eine Dachorganisation, die mit ihren Richtlinien half, die Internationalen Gerichtshöfe in Nürnberg und Tokio sowie die nationalen Verfahren in Europa wie in Asien vorzubereiten. Ihre Gründung im Oktober 1943 war ein Versuch, zu einer gemeinsamen politischen Linie zu gelangen und die juristischen Vorschläge und Konzepte zusammenzuführen. Juristische Empfehlungen der UNWCC wurden hierbei oft als Blaupause für die nationalen Gesetzesgrundlagen verwendet, die von den betroffenen Ländern im Hinblick auf die geplanten Verfahren noch während des Krieges geschaffen wurden. Die UNWCC brachte dafür, ähnlich dem Völkerbund und seinen Unterorganisationen in der Zwischenkriegszeit, Experten aus ganz verschiedenen Ländern zusammen und wurde konzeptionelle Heimat für viele engagierte Juristen aus den europäischen Exilregierungen, die gemeinsam um eine angemessene Bestrafung für Kriegsverbrechen rangen. Die Arbeit der Kommission wurde zunächst jedoch behindert: durch eine Politik der Verschleppung – insbesondere von Seiten der USA und Großbritanniens – sowie durch den starken Gegensatz zwischen Großbritannien und der Sowjetunion.2 Der Blick aus der Perspektive von 1945 und die Betonung des US-Beitrags greifen jedoch in ihrer Ergebnisfixiertheit zu kurz und marginalisieren insbesondere den Debattenbeitrag der juristischen Akteure aus kleineren Staaten – viele davon im Exil – sowie den Einfluss Londons als des zentralen Orts der Völkerrechtsdebatten im Zweiten Weltkrieg. In einer für die Alliierten dunkelsten Phase des Krieges, als der Sieg noch weit entfernt war, entwickelten Exilpolitiker und Juristen ihrer Heimatländer „eines der weitreichendsten Reformprojekte für eine politische und soziale Transformation der Weltgesellschaft.“3 Sie verstanden sich dabei als Vertreter des Weltgewissens oder der „united nations“, eine Art Synonym für die Kriegsallianz.4 Durch die Analyse des Beitrags der Akteure wird deutlich, dass der Erfahrungsraum der Exilgemeinschaft ein konstituierendes Element für Globalität und universalistische Ansprüche darstellte. Die in London geführten Debatten stellten eine Fortsetzung der Diskussionen der Friedenskonferenzen von Den Haag 1899 und 1907 sowie Versailles 1919 dar. Zudem verbanden sich diesmal schon früh verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppierun2 3 4

Kochavi, Prelude to Nuremberg S. 27. Winter, Jay M.: Dreams of Peace and Freedom. Utopian moments in the twentieth century, New Haven 2006. Der Begriff ‚United Nations‘ wurde synonym zu ‚Alliierte‘ benutzt, vor allem im Anschluss an die „Declaration by United Nations“ vom 1. Januar 1942. Vgl. Kochavi, Prelude to Nuremberg S. 27 ff.; Bass, Stay the hand of vengeance. S. 149. Plesch, Daniel: America, Hitler and the UN. How the Allies won World War II and forged a Peace, London 2011; Plesch, Dan/Sattler, Shanti: Changing the Paradigm of International Criminal Law. Considering the Work of the United Nations War Crimes Commission of 1943–1948, in: International Community Law Review 15/2 (2013), S. 203– 223. Vgl. U.N. Yearbook 1946, Origins.

II. DIE UNWCC UND DAS KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1939–1945

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gen, etwa die Friedensbewegung oder der World Jewish Congress, mit den juristischen think tanks und bewirkten einen großen Schritt in der Verrechtlichungsdebatte, indem sie Druck auf die Politik aufbauten und ihre Arbeit institutionell verzahnten. Annette Weinke hat darauf hingewiesen, dass sich hier zwei Diskursebenen verschränkten: zum einen der Diskurs der völkerrechtlichen epistemic community, vornehmlich in Europa und Nordamerika, und zum anderen der Diskurs der rassisch Verfolgten selbst, die sich nun ebenfalls zu Wort meldeten.5 Die Nutzung des Begriffs ‚humanity‘ in den Debatten verweist auf das dahinterstehende universalistische völkerrechtliche Konzept und schlug eine Brücke zwischen viktorianischen Vorstellungen von Ordnung durch Recht, wie sie die Debatten der 1870er Jahre belebt hatten, und dem Völkerrecht der 1940er Jahre. Dabei waren die Debatten nicht nur universalistisch in der Tendenz, sondern in der Praxis global angelegt: Neben den Exiljuristen aus Europa waren etwa chinesische Akteure an den Diskussionsforen beteiligt, auf die ebenfalls eingegangen wird. Sie beweisen die Relevanz der von Becker Lorca in die Forschung eingeführten Kategorie der ‚semiperipheral states‘ und der aus diesen gespeisten Innovationskraft und betonen das von Michael Goebel propagierte transnationale Netzwerk und die Agenda des „ThirdWorld Nationalism“.6 Der Ausgangspunkt der völkerrechtlichen Debatten in London war aber die Situation auf dem europäischen Kriegsschauplatz, erst im Lauf des Konflikts erweiterte sich der Blick wie auch der Kreis der Akteure. Anders als beim Ersten Weltkrieg wurden die Überlegungen nun also schon während des Konflikts angestellt und mit ihnen jahrzehntelange Debatten weitergeführt, in manchen Fällen unter Einbeziehung derselben Gremien und Protagonisten. Die Erfahrung der Brutalität, mit der die Nationalsozialisten nicht nur Europa besetzten und Zivilisten versklavten, sondern auch ihre eigenen Bürger verfolgten und systematisch töteten, sowie das Scheitern der Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg erzeugten eine gewisse Dringlichkeit. Zudem zeigte die Entwicklung während des Krieges, dass die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten aufgehoben war und es vermehrt zu Übergriffen gegen die fast völlig ungeschützte Gruppe der Zivilisten kam. Neben kriegsvölkerrechtlichen Fragen erschienen auch neue Phänomene, die einer Lösung bedurften: So musste eine Lücke geschlossen werden, wenn es um Verbrechen an politischen Gegnern, etwa Kommunisten oder Sozialdemokraten innerhalb des Deutschen Reiches, ging, um die Verfolgung deutscher Juden und ihre wirtschaftliche Ausplünderung („Arisierung“) oder um Verbrechen gegen Bürger von Staaten, die durch Annexion Teil des Deutschen Reiches geworden waren und nun unter Okkupationsherrschaft standen. All diese Verbrechen waren streng genommen vom Völkerrecht nicht zu ahnden, da sie „innere Angelegenheiten“ eines Staates betrafen. Betrachtet man die historische Entwicklung des Völkerrechts, dann geht es dabei vornehmlich um die Regu-

5 6

Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 108. Goebel, Anti-Imperial Metropolis.

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II. DIE UNWCC UND DAS KONZEPT VON CRIMES AGAINST HUMANITY, 1939–1945

lierung von Konfliktfällen zwischen souveränen Staaten.7 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von ‚state crimes‘. Allerdings gibt es eine Unterart, die ebenfalls völkerrechtlich geregelt wird, die aber nicht Staatsverbrechen betrifft, sondern Verbrechen gegen die Staatsbürger eines anderen Staates: Kriegsverbrechen, begangen entweder an Zivilisten oder an Kriegsgefangenen des anderen Staates.8 Das Problem der Ahndung von Verbrechen, die ein Staat an den eigenen Staatsangehörigen verübt, besteht demgemäß darin, dass eine völkerrechtliche Ahndung durch die internationale Staatengemeinschaft, also von außen, zwangsläufig in die Souveränität des Täterstaats eingreift.9 Auch wenn dies moralisch vielleicht wünschenswert wäre, ist es doch völkerrechtlich problematisch. Als Antwort darauf wurde crimes against humanity im Kontext des Zweiten Weltkriegs juristisch definiert und reagierte auf „one of the most horrific novelties of the 20th century, which was the politically organized persecution and slaughter of people under one’s own control.“10 Das Konzept wurde parallel zum Genozidkonzept Raphael Lemkins entwickelt und steht in gewisser Konkurrenz dazu, worauf später noch eingegangen werden wird. Crimes against humanity war aber viel globaler konzipiert und ließ sich etwa auch auf Verbrechen anwenden, die japanische Truppen 1931, also vor Kriegsbeginn, bei ihrem Einmarsch in die Mandschurei verübt hatten.11 Gemeinsam war diesen Verbrechen, dass es Staatsverbrechen gegenüber den eigenen Staatsbürgern waren, diese Verbrechen auf Staatsgebiet stattfanden oder sich gegen Minderheiten oder Angehörige anderer Nationen richteten. Dadurch, dass in den meisten Fällen keine offizielle Kriegserklärung erfolgt war, handelte es sich nicht mehr um „Kriegsverbrechen“ in der bisherigen Bedeutung. Die UNWCC nahm im Januar 1944 ihre Arbeit auf und bereitete für die Londoner Konferenz vom Sommer 1945 das Statut für das Nürnberger Militärtribunal mit vor. Kriegsverbrecher-Gerichtshöfe wie in Nürnberg und Tokio führten nach 1945 dazu, internationale Standards im Völkerrecht sowie dem Kriegsvölkerrecht zu definieren und noch heute geltende Grundsätze, die sogenannten Nürnberger Prinzipien, fest7

8

9 10 11

May, Larry: Crimes against humanity. A normative account (Cambridge studies in philosophy and law), Cambridge, UK, New York 2005, S. 5. Vgl. auch Crowe, David: War Crimes, Genocide and Justice. A Global History, New York 2014. War Crimes wurden nicht ausschließlich als kriegerische Gewalt diskutiert, sondern zumeist im Zusammenhang mit anderen Ausprägungsformen politischer und sozialer Gewalt. Lewis bietet in einem kurzen Überblick, der nicht erschöpfend ist, folgende Begriffe an: „the crime of violating international treaties“, „violations of the laws and customs of war“, „violations of the laws of humanity“, „crimes against humanity“, „crimes of denationalization“, „crimes against the international order“, „crimes creating a common danger“, „international terrorism“, „crimes of barbarity“, „crimes against the Peace“, „genocide“, „grave breaches of the laws of nations“, „grave breaches of the laws of war“ und „crimes against international peace and security“. Lewis, Mark: The birth of the new Justice. The internalization of Crime and Punishment, 1919-1950 (Oxford studies in modern European history), New York 2014, S. 2. May, Crimes against humanity S. 4. Luban, David: A Theory of Crimes against Humanity, in: The Yale Journal of International Law Vol. 29 (2004), S. 85–167. S. 94. Hierzu grundlegend Mitter, Rana: China’s war with Japan, 1937-1945. The struggle for survival, London 2014.

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zuschreiben. Wie Schabas betont, war das Hauptverdienst des Tribunals von Nürnberg „der genuine und entschlossene Versuch, Individuen strafrechtlich für Staatsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen“, auch wenn dies in den Jahrzehnten zuvor formal noch nicht kodifiziert worden war.12 Allerdings waren die Richter in Nürnberg und Tokio13 zögerlich, das neue Konzept ohne Verbindung zu einem der anderen beiden Straftatbestände (Crimes against Peace und War crimes) anzuwenden, so dass es faktisch an Verbrechen während des Krieges (also nach einer offiziellen Kriegserklärung) gekoppelt wurde: Man spricht hier von einem ‚war nexus‘.14 Dadurch entstand eine Verbindung zwischen crimes against humanity und bewaffneten Konflikten, die ursprünglich gar nicht beabsichtigt war, aber damals als einziger Weg gesehen wurde, um das Konzept in nationale Gerichtsbarkeit zu überführen und damit anwendbar zu machen. Bedauerlicherweise, so Schabas, ergab sich aus diesem Missverständnis eine schwere Bürde für die strafrechtliche Verfolgung solcher Verbrechen, die ja mehrheitlich gerade nicht während eines offiziell erklärten Krieges begangen werden.15 Die selektive Anwendung in Nürnberg hat die globale Bedeutung des Konzepts daher zunächst verschleiert. Die nachfolgenden Kriegsverbrecherprozesse (insbesondere diejenigen in den Besatzungszonen, die unter Kontrollratsgesetz Nr. 10 stattfanden) korrigierten diese Interpretation zwar, wandten das Konzept nun aber vor allem auf Verbrechen an, die vor dem Kriegsausbruch stattgefunden hatten. In späteren Verfahren wurde die Verbindung zum Holocaust in Europa explizit gemacht, da sich crimes against humanity als Konzept besonders zur Aburteilung von Verbrechen eignete, die sich in Konzentrationslagern erreignet hatten.16 Emblematisch ist hier der Eichmann-Prozess 1962 in Jerusalem und das erste Frankfurter AuschwitzVerfahren von 1964 zu nennen.17 Daher gilt crimes against humanity heute vornehmlich als Konzept, das den Holocaust ahnden sollte. Wie diese Arbeit zeigt, ist dies aber eine unzulässige Verkürzung der eigentlich intendierten Absichten. Diese Verkürzung wurde inzwischen auch von der völkerrechtlichen Praxis, etwa in den Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda in den 1990er Jahren, korrigiert, die viel stärker

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Schabas, William: Unimaginable atrocities. Justice, politics, and rights at the war crimes tribunals, Oxford 2012, S. 53. Für den Gerichtshof in Tokio ist es Artikel 5 (c ), vgl. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (19931994), S. 457–494. S. 459. van Schaack, Beth: The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, in: Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998-1999), S. 788–850. S. 791. Schabas, William: An introduction to the International Criminal Court, Cambridge, UK, New York 4th ed. 2011, S. 42. Hierzu ausführlich Douglas, Lawrence: Was damals Recht war, Nulla poena und die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit im besetzten Deutschland (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 719–754. Pendas, Devin O.: Eichmann in Jerusalem, Arendt in Frankfurt. The Eichmann Trial, the Auschwitz Trial, and the Banality of Justice, in: New German Critique 34/(100) (2007), S. 77–109.

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auf Ahndung von Massengewalt gegen Zivilisten, auch außerhalb militärischer Konflikte, fokussierten.18 Der politische Kontext der Debatten während des Zweiten Weltkriegs ist gut erforscht, zudem gibt es bereits eine erste Studie zur britischen Politik gegenüber der UNWCC von 1998, die – wohl aufgrund des bisher schwierigen Quellenzugangs zur UN – jedoch keine weiteren Studien nach sich gezogen hat. Unmittelbar nach dem Krieg veröffentlichte die UNWCC selbst eine Dokumentation ihrer Arbeit,19 die zum einen als Dokumentensammlung der verschiedenen Memoranda und Deklarationen fungiert, zum anderen aber auch als Quelle für das Narrativ der Exilregierungen und ihrer Akteure gelesen werden kann, die als Amtsträger innerhalb der UNWCC diese Publikation 1946/47 zusammenstellten. Generell zeigt sich, dass die nationale Archivierungspraxis die Bestände stark fragmentiert hat. Dies führte dazu, dass die Beiträge der juristischen Zivilgesellschaft aus dem Exil nicht deutlich hervortraten und in der Folge marginalisiert wurden, so dass erst in der vorliegenden Studie der Debattenverlauf aus vielerlei Quellen und Fragmenten rekonstruiert werden musste. Wie Kochavi in seiner grundlegenden Arbeit zur Entstehungsgeschichte der UNWCC darlegt, ist die Frage der strafrechtlichen Ahndung von zwei Parametern bestimmt worden:20 zum einen von der politischen Uneinigkeit der Alliierten und zum anderen von der neuartigen Plattform, einem Expertengremium, das schließlich mit der Ausgestaltung der Richtlinien betraut wurde. Die Arbeit, die in der UNWCC geleistet wurde, ist in der bisherigen Forschung auf die Arbeit einer Sammelstelle für strafrechtliche Dokumente reduziert und damit unterschätzt worden. Hier wird nun erstmals die zentrale Leistung der Exiljuristen in den Fokus gerückt. Im Sinne einer intellectual history kann man die UNWCC als Ort von lebhaften akademischen Debatten sehen, die auch auf Vorarbeiten anderer Organisationen, insbesondere des Völkerbunds, zurückgriffen. Dabei formte sich ein transnationales Netzwerk aus Experten und Exilpolitikern sowie Aktivisten der Friedensverbände, die sich zum Teil noch aus den Zwischenkriegsjahren in Genf kannten und nun in London frühere Diskussionsstränge fortführten. Zusätzlich kam es zu einer Erweiterung der Akteursebene, insbesondere durch Einbeziehung von neuen zivilgesellschaftlichen Organistionen, dabei besonders von jüdischen Organisationen, was in der bisherigen Literatur zur Kriegsverbrecherpolitik zu wenig Berücksichtigung findet, sieht man von Weinke und Lewis ab. Bush hat in einem Aufsatz erstmals auf die verschlungenen völkerrechtlichen Diskurse verwiesen, die zum Tatbestand crimes against peace, also der Ächtung des Angriffskrieges, führten, und dabei die Interaktion zwischen Regierungsebene – insbesondere William C. Chanler – und akademischer Sphäre – hier Sheldon Glueck aus Harvard – herausgearbeitet.21 Die Rolle der zunehmend verästelten Expertenöffentlichkeit entfaltet ihre ganze Wirkungsmacht 18 19 20 21

Vgl. hierzu Bassiouni, Crimes against humanity. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War. Kochavi, Prelude to Nuremberg. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423.

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jedoch vor allem vor dem Hintergrund der langen Linien der Debatte, die bereits seit dem 19. Jahrhundert geführt wurde und eine systematische Transnationalisierung des Akteursspektrums mit sich gebracht hatte. Anhand der Kontextanalyse wird deutlich, wie komplex das Geflecht aus diplomatischen, militärischen, rechtlichen und moralischen Argumenten war, das die Diskussion in den Kriegsjahren bestimmte. Im folgenden Kapitel wird zunächst die Entstehung der UNWCC im Kontext der politischen Entscheidungen der Hauptalliierten analysiert, wobei auf einzelne Akteure, Debatten und Argumentationslinien gesondert eingegangen wird. Ziel der Überlegungen ist dabei, die verschiedenen Positionen zwischen St-James- (1942), Moskauer (1943) und Londoner Deklaration (1945) nachzuvollziehen, die politischen wie juristischen Strategien zu analysieren, die Struktur der verschiedenen internationalen Gremien (Cambridge Commission, London International Assembly/LIA und UNWCC) zu erfassen und deren Akteure kurz biographisch vorzustellen. Bei der Analyse der Schlüsseldebatten geht es zum einen um eine Bestandsaufnahme zu den Positionen der Alliierten in der Kriegsverbrecherfrage, zum anderen um die Herausbildung des Narrativs der Exiljuristen und des von ihnen neu definierten Straftatbestands crimes against humanity. Abschließend diskutiert dieses Kapitel die Kodifizierung von crimes against humanity als neuen Standard während der Londoner Konferenz vom August 1945 und bietet einen Ausblick auf die selektive Anwendung bei den Internationalen Militärtribunalen in Nürnberg und Tokio. Die Debatten in London verliefen in zwei Phasen. Die erste Phase ist gekennzeichnet durch einzelne Initiativen der Exilregierungen, die zunächst auf eine politische oder militärische Lösung des Problems hofften, und verschiedene Vorschläge von Juristen, die zunächst unverbunden waren, sich dann aber in zwei ersten Gremien zusammenfanden. Zwei Organisationen, die heute fast vergessen sind, gelten als Vorgänger der UNWCC: zum einen die International Commission for Penal Reconstruction and Development, die auf einer Konferenz der juristischen Fakultät der Universität Cambridge ins Leben gerufen worden war (und daher kurz als Cambridge Commission bezeichnet wird), zum anderen die London International Assembly (LIA), die im Umfeld der britischen Friedensbewegung entstand und unter der Schirmherrschaft der britischen League of Nations Union (LNU) unter Lord Cecil gegründet worden war. Die Vorläuferorganisationen waren inhaltlich unabdingbar für die Arbeit der späteren UNWCC, aber in politischer Hinsicht völlig machtlos, ihr Anliegen durchzusetzen.22 Ihre Vorarbeiten boten jedoch ein Forum, in dem wichtige Konzepte entwickelt werden konnten.23 22 23

Kochavi, Prelude to Nuremberg betont besonders die tschechoslowakische Position, S. 23. Lingen, Kerstin von: Setting the Path for the UNWCC: The Representation of European Exile Governments on the London International Assembly and the Commission for Penal Reconstruction and Development, 1941–1944, in: Criminal Law Forum (2014), S. 45–76. S. 46. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 371.

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Als Arena der Verrechtlichung dienten in der ersten Phase zwei internationale diplomatische Konferenzen: die Konferenz vom Januar 1942 im St James’s Palace in London, in welcher die Exilregierungen eine Erklärung verabschiedeten, die Strafverfolgung zu einem der Kriegsziele erklärte, und die Moskauer Konferenz vom Oktober 1943, die mit einer Erklärung der Außenminister der drei Hauptalliierten USA, Großbritannien und Sowjetunion endete, die nun auch deren Bereitschaft betonte, die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern zu einem Kriegsziel zu machen. Mit der zweiten Phase ab 1943 begann die Umsetzung: auf der einen Seite in der neugegründeten UNWCC, auf der anderen Seite in den politischen (vor allem innenpolitischen) Diskussionen in den USA, Großbritannien und der Sowjetunion um die Ausgestaltung der Kriegsverbrecherpolitik. Umstritten war dabei (wie schon 1919) noch immer die Frage, ob es einen internationalen Strafgerichtshof geben sollte. Die Londoner Konferenz vom August 1945 wurde dann zum Startschuss für eine globale und justizförmige Abrechnung. Sie setzte mit der Verabschiedung des Statuts für den Nürnberger Gerichtshof den Schlusspunkt unter die jahrzehntelangen Beratungen und Debatten und wurde zum Referenzpunkt späterer Verfahren, etwa des Jugoslawien- oder des Ruandatribunals in den 1990er Jahren.

1. Beginn einer globalen Kriegsverbrecherpolitik Nach dem Kriegsausbruch im September 1939 wuchs angesichts der steigenden Brutalität der Nationalsozialisten auf ihrem Raubzug durch Europa und der raschen Ausdehnung ihres Herrschaftsgebiets die Einsicht unter den Exilregierungen, dass man neue Standards festsetzen müsse, um die Nationalsozialisten für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen.24 Die Rolle der Exilregierungen – also Belgiens, der Tschechoslowakei, Frankreichs, Griechenlands, Hollands, Luxemburgs, Norwegens, Polens und Jugoslawiens25 – in der Ausgestaltung einer globalen Kriegsverbrecherpolitik ist allerdings bisher in der Forschung unterschätzt worden. Dieses Kapitel wird zeigen, wie insbesondere die tschechoslowakischen und polnischen Exilpolitiker, unterstützt von ihren belgischen und holländischen Leidensgenossen, seit Kriegsbeginn versuchten, die Nationalsozialisten durch die Schaffung klarer Verfahrensregeln für Kriegsverbrecherprozesse von der Begehung weiterer Verbrechen abzuhalten. 24

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Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 3; Sellars, Kirsten: „Crimes against peace“ and international law (Cambridge studies in international and comparative law), Cambridge [U.K.] 2013, S. 60. Der Begriff „war of aggression“ ist neu, wiewohl er auf Definitionen des Kellogg-Briand-Pakts aufbaut, und sollte den Krieg der Nationalsozialisten von früheren Rechtfertigungskonzepten wie etwa dem bellum iustum, dem gerechten Krieg, abgrenzen, der nur als Verteidigungskrieg zulässig war. Da die Okkupation der Nationalsozialisten in unterschiedlichen Phasen erfolgte, waren nicht alle dieser Staaten, die später eine Exilregierung formierten, von Anfang an bei den Beratungen der Juristen dabei, so wie Polen und die Tschechoslowakei. Frankreich, Norwegen und die Beneluxstaaten kamen im Frühjahr 1940 hinzu, Griechenland und Jugoslawien im April 1941.

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In der Debatte der 1940er Jahre um crimes against humanity wird erkennbar, wie es gelang, unter Rückgriff auf den universalistischen Anspruch von ‚humanity‘ das seit den Debatten der Haager Landkriegsordnung unvollendete Projekt eine Pönalisierung von Kriegsverbrechen, insbesondere des Schutzes von Nichtkombattanten, abzuschließen. Dies geschah in einem schwierigen politischen Umfeld, und so bestand ein Teil der Strategien der Exiljuristen der ersten Phase darin, in der Öffentlichkeit Interesse zu wecken und in der politischen Sphäre Lobbyarbeit zu betreiben. Die Debatte der 1940er Jahre verlief daher in zwei Phasen: einer ersten bis 1943 und einer zweiten von 1943 bis 1945, in der die United Nations War Crimes Commission ihre Arbeit aufnahm, die Alliierten ihre Positionen schärften und in der schließlich im August 1945 mit der Londoner Konferenz und der dort vereinbarten Charta für den Nürnberger Gerichtshof eine Lösung gefunden wurde. In der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs, etwa bis zur Moskauer Konferenz vom Oktober 1943, lassen sich klar zwei Lager unterscheiden, die kaum miteinander kommunizierten: auf der einen Seite die Vertreter der Exilregierungen, die sich nach London geflüchtet hatten,26 auf der anderen die politischen Vertreter der drei Hauptalliierten Großbritannien, USA und Sowjetunion. Während die Exilregierungen anfangs vor allem den Weg der politischen Einflussnahme beschritten, standen für „die großen Drei“ zunächst militärische Aspekte im Vordergrund, die verhinderten, dass der Verrechtlichungsdebatte für Kriegsverbrechen die gebührende Beachtung zukam. Ein wichtiger Akteur und Stichwortgeber der Debatte war Polen. Das Land nahm eine Sonderstellung unter den Exilnationen ein, war es doch 1939 das erste Opfer nationalsozialistischer militärischer Expansion gewesen.27 In der auf die Kapitulation Polens folgenden Besatzung durch das Deutsche Reich zeigte sich schnell, dass Hitler nicht nur auf militärische Unterwerfung, sondern auf Zerstörung der nationalen Grundlagen zielte, indem er die intellektuellen, politischen, geistlichen und wirtschaftlichen Führer des Landes liquidieren ließ und polnische Bürger als Zwangsarbeiter für das Deutsche Reich ausgebeutet wurden.28 Polen selbst wurde zum Experimentierfeld des Vernichtungskriegs29 und zum geographischen Ort der großen 26

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Die britische Politik gegenüber den Exilregierungen war sehr komplex und durchlief mehrere Phasen, als Einstieg vgl. Brandes, Detlef: Grossbritannien und seine osteuropäische Alliierten. Regierungen Polens, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens im Londoner Exil vom Kriegsausbruch bis zur Konferenz von Teheran (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 59), München 1988. Für einen Überblick vgl. Karski, Jan: The Great Powers and Poland, 1919-1945. From Versailles to Yalta, Lanham, MD 1985. Für einen Überblick vgl. McGilvray, Evan: A military government in exile. The Polish governmentin-exile, 1939-1945, a study of discontent (Helion studies in military history no. 2), Solihull, West Midlands, England 2010; Broszat, Martin: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945, Stuttgart 1961. Der Begriff geht zurück auf eine Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung von 1995, die eine Kontroverse auslöste, in deren Verlauf die Ausstellung überarbeitet wurde; an der Grundaussage der Ausstellung – dem Wüten deutscher Militärs in einem Vernichtungskrieg im Osten – änderte die Kritik jedoch nichts, vgl. zum Ausstellungskatalog: Jureit, Ulrike/Mommsen, Hans/ Reemtsma, Jan Philipp: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 19411944: Ausstellungskatalog/ Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Hamburg 2002; vgl. zur

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NS-Konzentrations- und -Vernichtungslager.30 Es gab daher auf Seiten polnischer Akteure ein großes Interesse, die Verrechtlichungsdebatte voranzutreiben und den aggressiven deutschen Nachbarn nach dem Krieg für seine Untaten vor Gericht zu stellen. Der Weg ins Exil verlief in mehreren Etappen. Nachdem die Rote Armee zeitgleich mit dem Angriff des Deutschen Reiches im Westen Ostpolen überfallen hatte, versuchten viele polnische Intellektuelle und Politiker, über Rumänien ins Exil nach Frankreich zu gelangen. Zunächst wurden sie in Rumänien interniert, vielen gelang jedoch die Flucht. Am 30. September 1939 dankte der polnische Präsident Ignacy Mościcki ab und bestimmte Wladislaw Raczkiewicz, der sich bereits in Frankreich befand, zum Nachfolger als Staatspräsident wie auch als Präsident der World Union of Poles Abroad. Dadurch wurde Frankreich zu einem Sammelpunkt. Die polnische Exilregierung wurde umgehend von den Alliierten anerkannt und begann in Frankreich mit der Aufstellung bewaffneter Kräfte.31 Ebenso umgehend begannen polnische Exilpolitiker, die Frage der Kriegsverbrechen anzugehen. Bereits 1940 forderte die polnische Exilregierung Frankreich und Großbritannien auf, die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verurteilen und mit der Bestrafung der Täter zu drohen.32 Die Deklaration vom 18. April 1940 verurteilte die deutschen Übergriffe auf polnische Zivilisten und Juden gleichermaßen und kündigte an, zu gegebener Zeit die Täter für ihre Verbrechen am polnischen Volk zur Rechenschaft ziehen zu wollen.33 Im Gegenzug unterzeichneten Polen und Großbritannien am 5. August 1940 eine militärische Vereinbarung, in der sich die Exilregierung verpflichtete, polnische Bataillone aufzustellen und diese auf der Seite Großbritanniens in den Krieg zu schicken.34 Ein zweiter wichtiger Akteur in der Kriegsverbrecherfrage war die Tschechoslowakei, auf deren Gebiet das Sudetenland lag, das das Deutsche Reich 1938 besetzt hatte, um es unter der Begründung, die deutsche Minderheit werde hier unterdrückt, dem Staatsgebiet „anzuschließen“.35 Der britische Premierminister Neville Chamberlain, der französische Präsident Édouard Daladier sowie der als Vermittler fungierende italienische faschistische Staatsführer Benito Mussolini zementierten diese Politik im Münchner Abkommen, das die Eingliederung der mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete des Sudentenlands legalisierte und den Einmarsch deutscher

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Debatte Hartmann, Christian/Hürter, Johannes/Jureit, Ulrike: Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte (Beck’sche Reihe 1632), München 2005 Grundlegend auch Wette, Wolfram: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt 2004. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 7. Vgl. Praźmowska, Anita: Britain and Poland, 1939–1943 – the betrayed Ally, Cambridge 1995. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 7. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 9. Die Formulierung lautete: „reaffirm the responsibility of Germany for these crimes and their determination to right the wrongs thus inflicted on the Polish people“. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 10. Brandes, Detlef: Die Sudetendeutschen im Krisenjahr 1938 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 107), München 2008.

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Truppen ins Sudetenland zur Folge hatte.36 Es gehört zur Tragik der Politik der späten 1930er Jahre, dass Chamberlain und Daladier damit irrtümlich hofften, einen militärischen Konflikt gebannt zu haben. Die Sowjetunion war zu den Beratungen des Münchner Abkommens gar nicht erst eingeladen gewesen, wohl wegen ihrer Kritik an der Annexion des Sudetenlandes, die sie als Anzeichen drohender Kriegsgefahr wertete.37 Das Münchner Abkommen wurde schon im März 1939 gebrochen, als die Wehrmacht auch die restliche Tschechoslowakei besetzte und das Land zu einem „Protektorat“ erklärte. Die britische Appeasement-Politik war gescheitert.38 Der tschechoslowakische Staatspräsident Edvard Beneš floh nach der Annexion mit seiner Regierung ins Exil, zunächst nach Frankreich, dann nach London. Beneš selbst begann, durch seine Erfahrung im Völkerbund in den 1920er Jahren inspiriert, in London umgehend mit dem Aufbau von Netzwerken; die Anerkennung der Exilregierung ließ jedoch länger auf sich warten. Der Eroberungsfeldzug der Nationalsozialisten in Europa war damit jedoch nicht zu Ende. Am 9. April überfiel die deutsche Wehrmacht Dänemark und Norwegen, am 10. Mai 1940 die Niederlande und Belgien, und bereits wenige Tage später flohen die Regierungen der genannten Länder ins Exil nach London.39 In der Folge kam es zur deutschen Besatzung dieser Staaten.40 Frankreich geriet nach der Kapitulution im Juni 1940 ebenfalls unter deutsche Besatzung. Es kam zur Teilung Frankreichs in einen nördlichen Teil unter einer französischen Kollaborationsregierung mit Sitz in Vichy41 und einen unbesetzten, südlichen Teil, der La France Libre/Free France genannt wurde.42 Viele französische Militärs entzogen sich der Kriegsgefangenschaft durch Flucht in die französischen Gebiete in Nordafrika, meist zunächst nach Algier – unter ihnen auch Charles de Gaulle, der später die französische Exilregierung von London aus mit führte. Durch die Besetzung von Paris flohen im Juni 1940 auch alle dort ansässigen Exilregierungen (Polen, Tschechoslowakei) nach London, das in der Folge zum neuen Zentrum wurde. Im April 1941 folgten, nach dem Angriff der Wehrmacht auf Jugo36

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Vgl. ausführlich Zarusky, Jürgen/Zückert, Martin: Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive, München 2013 Zur Rolle der NS Bewegung unter Konrad Hehnlein im Sudetenland vgl. Gebel, Ralf: Heim ins Reich! Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland (1938-1945) (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 83), München 2. Aufl.2000. Zur sowjetischen Position in Bezug auf die Tschechoslowakei vgl. Lukes, Igor: Benesch, Stalin und die Komintern. Vom Münchner Abkommen zum Molotow-Ribbentrop-Pakt, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 41/(3) (1993), S. 325–353. Faber, David: Munich, 1938. Appeasement and World War II, New York 2010. Zur Etablierung der Exilregierungen in London vgl. Woodward, Llewellyn (Hrsg.): British Foreign Policy in the Second World War, London 1962. S. 43–47. Vgl. auch Beevor, Antony: The Second World War, London 2012, S. 79–98. Hirschfeld, Gerhard: Fremdherrschaft und Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung, 1940-1945, München 1984 Martens, Stefan: Frankreich und Belgien unter deutscher Besatzung 1940 – 1944. Die Bestände des Bundesarchiv-Militärarchivs in Freiburg (Instrumenta 7), Stuttgart 2001. Rousso, Henry: Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940-1944 (Beck’sche Reihe 1910), München 2009 Jäckel, Eberhard: Frankreich in Hitlers Europa, Stuttgart 1966. Beevor, The Second World War S. 99–121.

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slawien und Griechenland, auch die dortigen Regierungen. Dadurch wurde London innerhalb kürzester Zeit zum Zentrum der Exilregierungen, zum Treffpunkt ihrer verschiedensten Stäbe und Gruppierungen und damit zum Ort aller Debatten und Überlegungen zur Ahndung von Kriegsgewalt. Schon früh schlossen sich die am Ende neun Exilregierungen zusammen, um ihre Arbeit – insbesondere die Lobbyarbeit in die britische Politik hinein – zu koordinieren. Dies stützt die These Herrens, dass kleinere Staaten ihre politischen Forderungen oftmals gemeinsam vorbrachten oder sich eine internationale Organisation als Plattform suchten, um mehr Gehör zu finden.43 Der Zugang zur Politik regelte sich nach diplomatischen Prinzipien, und somit wurde für ihn die Anerkennung als Exilregierung entscheidend. Anders als die polnische wurde die tschechoslowakische Exilregierung bis zum Juli 1941 nicht offiziell anerkannt, was die Möglichkeiten zu Lobbyarbeit, namentlich den Zugang zu Parlamentsabgeordneten und Oberhausvertretern, signifikant erschwerte.44 Dennoch ist festzuhalten, dass diese beiden ostmitteleuropäischen Staaten von Anfang an als Team auftraten und ihre Erklärungen oft gemeinsam abgaben, um so ihre anfangs sehr schwache Position in London zu stärken. Der schwierige Zugang zu diplomatischen Gremien bewirkte aber auch, dass die Exilnationen nach anderen Wegen suchten, um ihr Anliegen durchzusetzen. Insbesondere die Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen und die Herstellung von Öffentlichkeit wurden wichtige Mechanismen zur Beförderung ihrer Ziele. Dabei kam den Exilregierungen durchaus zugute, dass die Presse sich zwar nicht für völkerrechtliche Diskurse, wohl aber für die Schilderung von Kriegsverbrechen interessierte.45 Diese beiden Leitfiguren wurden daher in der Folge geschickt gekoppelt. Schon früh finden sich in den Schriften, speziell der tschechoslowakischen Exilregierung, Forderungen nach Strafverfolgung; insbesondere diente der Hinweis auf eine rechtsstaatliche Form der Abrechnung als Mittel, sich von der Willkürherrschaft der Nationalsozialisten abzuheben und die eigene moralische Überlegenheit zu betonen.46 So veröffentlichten die polnische und die tschechoslowakische Exilregierung im November 1940 eine gemeinsame Erklärung, in der die Kriegsverbrechen („the worst violence in human history“) in den Heimatländern thematisiert wurden.47 Einen Monat später prangerte die polnische Exilregierung die Nazi-Politik der „Denationalisierung“ in Polen an. Sie knüpfte damit begrifflich an die aus Friedensverhandlungen von 1919 bekannten Forderungen Griechenlands und Serbiens an, die das Osmanische Reich der „crimes of denationalization“ beschuldigt hatten. Es ist interessant, dass der Begriff crimes against humanity nicht gewählt wurde, der ja ebenfalls bereits 1919 in Versailles diskutiert worden war. 43 44 45 46 47

Herren, Hintertüren zur Macht. Brandes, Grossbritannien und seine osteuropäische Alliierten. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 7. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2331. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 23. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 87.

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Trotz der Deklarationen der Exilregierungen blieben die Reaktionen in Großbritannien aus. Britische Politiker gaben allenfalls kurze Statements ab, die versicherten, die Nationalsozialisten würden für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Viel davon war jedoch vor allem Rhetorik, um die Moral unter den Exilanten sowie insbesondere die Widerstandsbewegungen in den besetzten Ländern zu stärken. Es gab tatsächlich keine konkreten alliierten Pläne zur Strafverfolgung. Dies führte zu Frustrationen auf Seiten der Exilanten.48 Man muss hier jedoch betonen, dass Großbritannien zu diesem Zeitpunkt militärisch unter starkem Druck stand. Unter dem Damoklesschwert einer Invasion deutscher Truppen auf die Insel und der zwischen Sommer 1940 und Anfang 1941 tobenden „Luftschlacht um England“ hatte sich für die britische Regierung eine ganz konkrete militärische Bedrohung ergeben,49 die die Beschäftigung mit möglichen Strafverfolgungsszenarien nach dem Waffenstillstand als nachgeordnetes Problem erscheinen ließ. Auf alliierter Seite war die Frage der konkreten Ahndung solcher Verstöße nach Kriegsbeginn zunächst kein Thema, allenfalls gab man politische Absichtserklärungen ab. So verabschiedeten die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Polens im Frühjahr 1940 eine gemeinsame Deklaration, in welcher ihre Entschlossenheit proklamiert wurde, „to right the wrongs thus inflicted on the Polish people“.50 Daraus ergab sich jedoch keine unmittelbare Handlungsverpflichtung für die britische Regierung, die sich hütete, „sich auf eine strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen die Regeln des ius in bello festzulegen.“51 Zunächst standen klar politische Kriegsziele der Hauptalliierten im Vordergrund, auch wenn dies die Kritik der Exilstaaten hervorrief: So bestand Stalin auf der Anerkennung der Grenzen des Ribbentrop-Molotow-Paktes vom 30. Juli 1941, der erhebliche Gebietseinbußen für Polen beinhaltete, und Großbritannien beugte sich. Die Sowjetunion war im Gegenzug lediglich bereit, die Aufstellung polnischer Truppenteile gegen das Deutsche Reich auf ihrem Gebiet zu unterstützen.52 Als immer mehr Details über deutsche Verbrechen bekannt wurden, insbesondere nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941,53 wurde es für Großbritannien schwieriger, die völkerrechtlichen Diskurse um deutsche Kriegsverbrechen zu ignorieren, denn nun begann auch die Sowjetunion, das Thema zu diskutieren. Die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs fand in London zunächst keine Unterstützung durch die britische Regierung. Der höchste britische Jurist, Lord Chancellor Viscount Simon, befand, die Hauptkriegsverbrecher hätten sich „zu 48

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Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 370. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 10. Beevor, The Second World War, S. 122–139. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 94. Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, S. 94. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 11. Förster, Jürgen: Verbrecherische Befehle, in: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2001, S. 137–151.

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schrecklicher Verbrechen“ schuldig gemacht, um sie vor ein normales Gericht zu stellen. Er schlug stattdessen vor, dass ein Gremium gegründet werden solle, in welchem alliierte Vertreter zusammenkämen, um Namen und Fakten zusammenzutragen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, wer für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden könne. 54 Das Gremium würde also festlegen, wer verantwortlich war, und daraufhin könnten sich die Alliierten entscheiden, welche Strafverfolgung angemessen sei. Am 6. Juli 1941 stimmte das Kabinett formal dem Vorschlag von Außenminister Anthony Eden zu, eine War Crimes Commission der Vereinten Nationen zu gründen, und regte an, eine britische Kommission ins Leben zu rufen, die die Behandlung von Kriegsverbrechern diskutieren sollte. Das daraufhin gegründete britische Cabinet Committee on the Treatment of War Criminals (CCTWC) trat unter dem Vorsitz von Lord Chancellor Viscount Simon zusammen, mit dem Ziel, einen Überblick über sämtliche Verbrechen gegen alle Angehörigen alliierter Nationen zu erhalten – eine Aufgabe der späteren UNWCC. Hier tauchte erstmals in einem diplomatischen Schriftstück der Begriff der „United Nations“ auf, der vor allem die Kriegsallianz meinte.55 Die Frage, ob Strafverfahren zur Abschreckung öffentlich angekündigt werden sollten, wurde dabei ebenfalls diskutiert. Der Labour-Abgeordnete Hugh Dalton machte den Vorschlag, die örtliche Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten schon jetzt aufzufordern, belastendes Material und Informationen zu Kriegsverbrechen zu sammeln und den Nationalsozialisten zu drohen, dass diese zur Verantwortung gezogen werden würden. Das Foreign Office reagierte sehr verhalten auf diesen Vorschlag – Staatssekretär Roger Makins nannte solche Drohungen „premature“ –, unterstützte aber die Idee, bereits jetzt Informationen zu sammeln.56 Auch Außenminister Eden war zunächst der Meinung, die Bestrafung sollten später die unmittelbaren Nachbarstaaten Deutschlands und nicht Großbritannien übernehmen, hielt es aber für sinnvoll, schon jetzt Material über Verbrechen zusammenzutragen.57 Eden war vor allem der Meinung, man müsse politisch reagieren, und warb darum, eine öffentliche Verlautbarung abzugeben, die den Nationalsozialisten Strafverfolgung androhen würde. Gleichzeitig wurden auch im Parlament die Anfragen wegen deutscher Kriegsverbrechen häufiger, und Lord R. M. A. Hankey, ein früheres Kabinettsmitglied, warnte Eden im Oberhaus explizit davor, die Fehler des Ersten Weltkriegs zu wiederholen und zu spät zu reagieren. Damit war der Haupttopos der Gegner einer Strafverfolgung benannt: das Fiasko von Leipzig als Menetekel. Die Exilregierungen nutzten die Gunst der Stunde und übten ihrerseits auf die britische und die amerikanische Regierung Druck mit dem Ziel aus, dass diese eine Verlautbarung herausgebe. Am 21. August 1941 äußerte sich Roosevelt in der Öffent54 55

56 57

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 30. Kochavi, Arieh J.: The Moscow Declaration, the Kharkov Trial, and the Question of a Policy on Major War Criminals in the Second World War, in: History 76/248 (1991), S. 401–417.S. 404. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 32. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 12. Der Brief Makins ist vom 29. September 1941. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 14–15.

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lichkeit und erklärte, die USA seien bereits dabei, Beweise zu sammeln, und hätten vor, Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Roosevelt sagte in dieser Erklärung: „It seems only fair that they should have this warning that the time will come when they will have to stand in the courts of law in the very countries which they are now oppressing and answer for their acts.“58

Churchill sah sich nun seinerseits gezwungen, vor dem britischen Parlament eine Erklärung abzugeben, in der er ebenfalls eine Warnung aussprach: „An indelible warning may be given to all future ages and that successive generations of men may say, ‚So perish all who do the like again‘“.59 Ein Treffen zwischen Churchill und Roosevelt gilt als erster Katalysationspunkt der politischen Debatte auf höchster Ebene. Winston Churchill traf sich mit Franklin D. Roosevelt unter größter Geheimhaltung auf dem britischen Schlachtschiff Prince of Wales in der Placentia Bay vor der Küste Neufundlands, um nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion die mögliche alliierte Politik abzustimmen; dort wurde eine gemeinsame Charta verabschiedet.60 Gemeinhin gilt die sogenannte AtlantikCharta vom 14. September 1941 als Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Nachrkriegsordnung. Sie bestand aus acht Punkten und wurde daher oft mit Woodrow Wilsons 14 Punkten nach dem Ersten Weltkrieg verglichen61 – Borgwardt spricht sogar von einem Update der Wilson’schen Ideale in Bezug auf self-determination, disarmament und international organization.62 Die Atlantik-Charta vereinbarte unter anderem als Eckpunkte den Verzicht auf territoriale Expansion, den gleichberechtigten Zugang zum Welthandel und zu Rohstoffen, den Verzicht auf Gewaltanwendung, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, die engste wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Nationen mit dem Ziel der Herbeiführung besserer Arbeitsbedingungen, eines wirtschaftlichen Ausgleichs und des Schutzes der Arbeitenden, die Sicherheit für die Völker vor Tyrannei, die Freiheit der Meere sowie die Entwaffnung der Nationen, um ein System dauerhafter Sicherheit zu gewährleisten. Sie gilt damit als grundlegendes Dokument der späteren Vereinten Nationen (UN). Am 24. September 1941 schlossen sich die Londoner Exilregierungen Belgiens, Griechenlands, Jugoslawiens, Luxemburgs, der Niederlande, Norwegens, Polens, der Tschechoslowakei und Frankreichs, die sich im „Inter-Allied Council“ zusammengefunden hatten, der Atlantik-Charta in einer eigenen Erklärung an.63 58 59 60 61 62

63

Zitiert nach Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 33. Zitiert nach Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 33. Plesch, America, Hitler and the UN S. 22. Der Text findet sich bei Woodward, Llewellyn (Hrsg.): British Foreign Policy in the Second World War, London 1962. S. 429. Zur Ähnlichkeit vgl. die Analyse bei Ninkovich, The Wilsonian century, 106-144. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S. 411. Die Erklärung vom 24.9.1941 lautete „Die Regierungen Belgiens, der Tschechoslowakei, Griechenlands, Luxemburgs, der Niederlande, Norwegens, Polens, der Sowjetunion und Jugoslawiens und

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Bekannt geworden sind diese Eckpunkte neuer US-amerikanischer Politik auch als Topos in diversen Reden Roosevelts, insbesondere in seiner Forderung vom 6. Januar 1941 nach „Four Freedoms“ (freedom of speech, freedom of religion, freedom of fear, freedom of want), wobei „freedom of fear“ als Kriegsvermeidungsziel gelesen wird.64 Diese vier Punkte markieren die US-Kriegsziel-Agenda und gelten als erster Beleg für eine neue sicherheitspolitische Weltordnung, die neben Demokratie, wirtschaftlicher Stabilität und Sicherheit vor der Bedrohung durch Krieg auch erstmals die Menschenrechte stark betonte und damit eine Agenda vorgab:65 „a new, integrated idea of ‚security‘“ (Borgwardt).66 Weinke hebt hervor, dass die USA „in der Betonung der Menschenrechte offenbar eine Abgrenzung zum Völkerbundsystem der Zwischenkriegszeit“ und zu der „als gescheitert angesehenen Minderheitenpolitik“ (Mazower67) propagierten, sich „von der partikularistischen Völkerrechtsauffassung der Nationalsozialisten absetzen“ und nun eine Art „universalistisches Gegenkonzept“ anboten.68 Insbesondere amerikanische Internationalisten oder Neo-Wilsonianer begrüßten die Betonung der Menschenrechte als eine Denkfigur, die zwar „an das Wilson’sche universalistisches Projekt, nicht aber an seine Rhetorik“ anknüpfte.69 Ein Vorteil des Konzepts der Menschenrechte, das hier evoziert wurde, lag dementsprechend in seiner noch „weitgehenden konzeptionellen Unbestimmtheit“ (Weinke70) oder, etwas drastischer, in seiner Leere, wie Moyn formuliert: „The phrase meant different things to different people from the beginning. And therefore, it meant nothing specific, as various parties tried to give it sense.“71 In der Kriegsverbrecherpolitik der Hauptalliierten gab es trotz der Atlantik-Charta zunächst nur wenig konkrete Fortschritte. Am 25. Oktober 1941 kam es zur ersten, wiewohl getrennt abgegebenen Erklärung des amerikanischen und des britischen Staatschefs in der Frage der Kriegsverbrechen während des Krieges. Roosevelt ließ verlauten: „Civilized peoples long ago adopted the basic principle that no man should be punished for the deed of another. Unable to apprehend the persons involved in these attacks, the Nazi characteristically slaughter fifty or a hundred innocent persons. Those who would

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67 68 69 70 71

Vertreter General de Gaulles, des Führers der Freien Franzosen, haben von der Erklärung Kenntnis genommen, die der Präsident der Vereinigten Staaten und Premierminister Churchill für Seiner Majestät Regierung des Vereinigten Königreichs kürzlich abgegeben haben. Sie geben hiermit ihre Zustimmung zu den allgemeinen politischen Grundsätzen, die in jener Erklärung niedergelegt sind, und ihre Absicht bekannt, nach besten Kräften mit daran zu arbeiten, sie zu verwirklichen.“ Borgwardt, Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution, S. 411. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 110. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462., S. 411. Mazower, Mark: The strange Triumph of Human Rights, 1933-1950, in: The Historical Journal 47/(2) (2004), S. 379–398. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 110. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 111. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 112. Moyn, The last utopia. S. 50 f.

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‚collaborate‘ with Hitler and try to appease him cannot ignore this ghastly warning. The Nazis might have learned from the last war the impossibility of breaking men’s spirit by terrorism. Instead, they develop their lebensraum and new order by depths of frightfulness which even they have never approached before. These are the acts of desperate men who know in their hearts that they cannot win. Frightfulness can never bring peace to Europe. It only sows the seeds of hatred which will one day bring frightful retribution.“72

Da der US-Vorstoß nicht mit den Briten abgestimmt war, stand nun Churchill unter Zugzwang, eine ähnliche Erklärung abzugeben. Churchill verkündete: „Retribution for these crimes must henceforward take its place among the major purposes of the war“.73 Diese etwas laue Erklärung hatte ihre Ursache darin, dass man in London nicht sicher war, ob die Informationen über deutsche Gräueltaten verlässlich waren – schließlich hatte es im Ersten Weltkrieg Debatten um übertriebene „Gräuelpropaganda“ gegeben. So hatte der Vorsitzende des britischen Joint Intelligence Committee, Victor Cavendish-Bentinck, geäußert, dass die sowjetischen Berichte über deutsche Grausamkeiten seiner Meinung nach „Übertreibungen“ darstellten.74 Durch derartige fachliche Einschätzungen war die Bereitschaft der britischen Regierung sehr klein, auf Kriegsverbrechen politisch zu reagieren und öffentlich Position zu beziehen. Die britische Erklärung verzögerte sich auch deshalb, weil sie auch mit den Mitgliedern des Commonwealth abgestimmt werden musste. Die Australier schlugen vor, den Hinweis auf eine spätere Abrechnung zu tilgen, da sie sich ebenfalls nicht auf Strafverfahren festlegen wollten. Auch die Exilregierungen machten Vorschläge: Die Jugoslawen wollten jede Form von Grausamkeiten, auch die Erschießung von Geiseln und insbesondere die Verbrechen von Satellitenregierungen, ebenfalls geahndet wissen. Das britische Foreign Office wollte das Thema jedoch zu den Akten legen und beschloss schließlich in Übereinstimmung mit dem War Cabinet, dass eine gemeinsame alliierte Erklärung eigentlich nicht nötig sei, zumal Churchill bereits auf Roosevelts Vorlage reagiert und selbst eine Erklärung abgegeben hatte. Es ist klar erkennbar, dass das Foreign Office keine Verantwortung dafür übernehmen wollte, eine globale Politik zur Bestrafung von Kriegsverbrechen zu entwickeln. Aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs war jedoch eine gewisse Vorsicht vor den Berichten und Beweismitteln erkennbar, die den Briten von den Vertretern der Exilregierungen übergeben wurden. Inzwischen ergriffen die Sowjets die Initiative. Außenminister Molotow übersandte allen mit der Sowjetunion in diplomatischen Beziehungen stehenden Län72

73 74

Die Erklärungen der politischen Akteure, Alliierte wie Exilregierungen, sind im Wortlaut abgedruckt in The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 88. Sie werden daher auch im Folgenden aus der UNWCC-Dokumentation zitiert. Die Publikation bot damit den Exilregierungen eine Plattform und verbreitete somit ein Narrativ von den verschiedenen Strängen der Verrechtlichungsdebatte während des Krieges sowie bisher marginalisierten Akteuren, den Exiljuristen. Robertson, Crimes against humanity, S. 306. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 16–17.

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dern am 7. November 1941 die sogenannte Molotow-Note, in welcher er die deutschen Grausamkeiten gegen sowjetische Kriegsgefangene anprangerte, die gegen jede völkerrechtliche Abmachung verstießen. „In bringing these horrible facts to the notice of all countries with which the Soviet Union has diplomatic relations, the Soviet Government indignantly protests before the whole world against the barbaric violation by the German Government of the elementary rules of international law. The Soviet Government indignantly protests against the brutal attitude of the German authorities towards Red Army prisoners, an attitude which violates the most elementary rules of human morality.“75

Der Begriff ‚human morality‘ lässt Anklänge an die Verurteilung des deutschen Kaisers 1919 erkennen. Im Januar 1942 folgte eine weitere Note von Molotow, in welcher er die deutsche Behandlung sowjetischer Zivilisten in den besetzten Gebieten beklagte und auf den systematischen Charakter der deutschen Übergriffe hinwies.76 Die sowjetische Note blieb aber zunächst ohne Widerhall bei den westlichen Hauptalliierten. Die Exilregierungen drangen schon länger vergeblich bei der britischen Regierung darauf, eine gemeinsame Erklärung abzugeben, denn es sollte ein politisches Signal an die Adresse des Deutschen Reiches gesendet werden. Daher suchten die Exilregierungen nach Verbündeten in dieser Debatte. Es wurde erwogen, den sowjetischen Botschafter in London zu einem Gespräch einzuladen, um das Interesse der Sowjets an einer gemeinsamen alliierten Deklaration zu ergründen.77 Auch in den USA wurde sondiert, doch die USA waren noch keine Kriegspartei, daher erhielt man auf Anfragen die Antwort, dass man in Washington kein Interesse habe, einen Vertreter zu einem derartigen Treffen zu entsenden. Die Lage änderte sich schlagartig, als zwei Wochen später, am 7. Dezember 1941, Pearl Harbor auf Hawaii bombardiert wurde und die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, und zwar zeitgleich auf dem asiatischen und auf dem europäischen Kriegsschauplatz.78 Dies brachte wieder Bewegung in die Kriegsverbrecherfrage, und die USA beschlossen, nun doch Beobachter zu den Beratungen der Exilregierungen zu entsenden. Die Zeit war also günstig für eine gemeinsame Verlautbarung, um die Öffentlichkeit wachzurütteln und auf das Problem der Okkupationsverbrechen hinzuweisen.

75 76 77 78

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 88. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 345. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 18–19. Melber, Takuma: Pearl Harbor: Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA, München 2016; Weinberg, A world at arms, S. 187–263.

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1.1. Die Erklärung von St James’s Palace im Januar 1942 Am 13. Januar 1942 traten die Exilregierungen auf einer diplomatischen Konferenz erstmals geschlossen als Akteursgruppe in Erscheinung. Die sogenannte Erklärung von St James mahnte, man müsse endlich den Worten Taten folgen lassen; unterzeichnet wurde sie von neun Exilregierungen, die in London Vertretungen unterhielten, und zwar von Belgien, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Luxemburg, Norwegen, den Niederlanden, Polen und der Tschechoslowakei.79 In dieser Erklärung wurden die Verbrechen benannt, die Reaktionen Churchills und Roosevelts hervorgehoben und bekräftigt, dass es eines der Kriegsziele sei, die Kriegsverbrecher zur rechtlichen Verantwortung zu ziehen und sie, ungeachtet ihrer jeweiligen Nationalität, einem Gericht auszuliefern. Großbritannien war Gastgeber der Konferenz, war jedoch nicht unter den Unterzeichnern, um nicht auf eine offizielle politische Aussage festgelegt zu werden.80 Die UdSSR, USA, China, Indien und die britischen Dominions (Australien, Kanada, Südafrika, Neuseeland) entsandten Beobachter.81 Die Exilregierungen machten in ihrer Erklärung deutlich, dass der Befehl von wie auch die Beteiligung an Grausamkeiten später gerichtlich geahndet werden würden, und riefen eine Kommission ins Leben, die Inter-Allied Conference on the Punishment of War Crimes (später umbenannt in Inter-Allied Commission on the Punishment of War Crimes). Die Erklärung betonte die gemeinsamen Interessen der Unterzeichnerstaaten, „in a spirit of international solidarity“, und beschwor in Punkt eins erneut den Zivilisationsstandard, wie man ihn noch aus der Formulierung der Martens-Klausel von 1907 kennt: „Whereas international solidarity is necessary in order to avoid the repression of these acts of violence simply by acts of vengeance on the part of the general public, and in order to satisfy the sense of justice of the civilized world.“82

Die Exilregierungen betonten weiter, das Deutsche Reich habe geltendes Recht, nämlich die Haager Konvention, verletzt, und forderten, dass Strafverfolgung ein Kriegsziel sein und man Lücken im Völkerrecht schließen müsse. Es wurde ein Vierpunkteplan erstellt:

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The Inter-Allied Conference, January 13, 1942, in: Bulletin of International News, 19 (1942), S. 52. Online unter History of the United Nations. The Declaration of St James, 12.6.1941, online: http:// www.un.org/en/aboutun/history/saint-james.shtml. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 370. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 19. Zitiert nach Marrus, Michael Robert: The Nuremberg war crimes trial, 1945-46. A documentary history, Boston 1997. S. 19. Vgl. auch The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 89.

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„Recalling that international law, and in particular the Convention signed at The Hague in 1907 regarding the laws and customs of land warfare, do not permit belligerents in occupied countries to commit acts of violence against civilians, to disregard the laws in force, or to overthrow national institutions, (1) affirm that acts of violence thus inflicted upon the civilian populations have nothing in common with the conceptions of an act of war or a political crime as understood by civilised nations, (2) take note of the declarations made in this respect on 25th October 1941, by the President of the United States of America and by the British Prime Minister, (3) place among their principal war aims the punishment, through the channel of organised justice, of those guilty of or responsible for these crimes, whether they have ordered them, perpetrated them or participated in them, (4) resolve to see to it in a spirit of international solidarity that (a) those guilty or responsible, whatever their nationality, are sought out, handed over to justice and judged, (b) that the sentences pronounced are carried out.“83

Die Positionen der einzelnen Exilpolitiker während der Konferenz von St James im Januar 1942 sind sehr aufschlussreich und zeigen den Status quo in den ersten Kriegsjahren. Einen wesentlichen Teil in den Debatten nahmen von Anfang an Fragen nach der rechtlichen Grundlage einer Verurteilung ein, die zudem ältere Debattenstränge und Vorbehalte von 1919 wieder aufnahmen. Polen, Frankreich und Belgien übernahmen eine Vorreiterrolle bei der Herstellung von Öffentlichkeit und stimmten die Hauptargumente untereinander ab. So waren beispielsweise Hubert Pierlot, der Premierminister Belgiens, und Graf Edward Raczyński, der polnische Außenminister,84 der Ansicht, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten eindeutig gegen Gewohnheitsrecht verstießen und daher auch auf rechtlicher Grundlage zu verurteilen seien (und nicht unbedingt nach Kriegsvölkerrecht); Pierlot wies zudem darauf hin, das Strafmaß müsse der Schwere der Tat entsprechend angewandt werden. Jan Šrámek, der Premierminister der Tschechoslowakei, betonte, dass seiner Meinung nach die Verbrechen der Nationalsozialisten weder mit dem Krieg in Verbindung stünden noch als politische Verbrechen behandelt werden dürften, sondern dass sie als Teil eines großen Plans gesehen werden müssten, einer „criminal campaign well thought out and prepared in advance down to the smallest detail“.85 Charles de Gaulle wiederum legte Gewicht auf die Frage der Kriegsschuld (und wiederholte damit eine Position Frankreichs aus dem Ersten Weltkrieg, die ebenfalls auf Reparationen abgezielt hatte) und betonte das Prinzip 83 84

85

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 90. Edward Bernard Raczyński war Jurist und vertrat sein Land seit 1932 im Völkerbund, seit 1934 war er diplomatischer Vertreter Polens in London. Von 1979 bis 1984 wurde er später einer der letzten Präsidenten der polnischen Exilregierung. Ich danke Dr. Patrycja Grenich, Univ. Warschau, für diese Information. Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 90, auch im Folgenden.

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des Angriffskriegs, das später in Nürnberg zu einem der Hauptanklagepunkte wurde: „Germany alone is responsible for the outbreak of this war and that she shares with her allies and accomplices responsibility for all the atrocities that proceed from it.“86 Weitere Exilstaaten nutzten die Konferenz, um ihre politischen Positionen zu verdeutlichen. Der Premierminister Griechenlands, Emmanouil Tsouderos, hob das Problem des Befehlsnotstands als Verteidigungsargument (superior orders) heraus, das er als „new principle of international penal law“ charakterisierte und das gebannt werden müsse: „Henceforth butchers, gaolers, and looters of every kind will no longer be allowed individually to elude their responsibilities on the pretext that they are acting under orders from above.“ Terje Wold, der norwegische Justizminister,87 hob die Bereitschaft der norwegischen Exilregierung hervor, mit allen anderen alliierten Nationen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, „that these Nazi criminals – for they are nothing but criminals – shall find retribution whenever and wherever they may be apprehended.“ Zusammenfassend betonte Joseph Bech, der Außenminister Luxemburgs, dass die Exilregierungen Churchill und Roosevelt als Vermittler ansahen, die zum einen die Ansprüche der Exilregierungen zu Gehör bringen würden, zum anderen aber, sozusagen auf einer Metaebene, sich zu Maklern des Zivilisationsstandards und des humanitären Gewissens machen würden. Er führte aus: „President Roosevelt and Mr. Winston Churchill, in their rightful condemnation of such acts, have made themselves the interpreters of the conscience of outraged humanity […] The application of the principles laid down in the Declaration submitted for our signature, will prevent the war criminals from evading their just punishment [...] It will be useless, when the day of victory comes, for the torturers of our peoples to claim that they only did what they were ordered to do and acted according to their laws.“88

Auch wenn China, damals noch einer der vier Hauptalliierten des Zweiten Weltkriegs,89 nur als Beobachter an der St-James-Konferenz teilnahm, ist hierin doch schon der Beginn eines globalen Anspruchs in der Kriegsverbrecherfrage im Zweiten Weltkrieg erkennbar. Der diplomatische Vertreter Chinas in London und Verbindungsmann zu diversen der dort anwesenden Exilregierungen, Botschafter Wunz King, sprach ebenfalls ein Grußwort seiner Regierung und betonte, dass China voll hinter der Erklärung stehe, insbesondere hinter dem Passus, der die Okkupationsverbrechen betraf, und dass China hoffe, man könne die gleichen Prinzipen anwen86 87

88 89

Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 90, auch im Folgenden. Terje Wold, Graduated in Law at Oslo University, 1921. Judge of the Court of Appeal, 1936. Judge of the Supreme Court, 1945. Minister of Justice, 1939-1945. Chairman of the Foreign Affairs Committee. Norwegian representative on the U.N.W.C.C. from July 1945-1948. Member of Committee III. Kurzbiographie unter The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 503. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 90. Hierzu ausführlich Mitter, Rana: Forgotten ally. China’s World War II, 1937-1945, Boston 2013.

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den, um Japan zur Rechenschaft zu ziehen.90 Mit der Besetzung der Mandschurei hatte Japan 1931 vor dem offiziellen Kriegsausbruch Fakten geschaffen und Verbrechen begangen, die China nun geahndet sehen wollte.91 Nach bisherigem Kriegsvölkerrecht war dies jedoch nicht möglich. Es ging nun darum, die Ausgestaltung der zukünftigen Strafverfolgung zu vermessen. Die politischen Forderungen der Exilregierungen verlagerten sich dadurch auf die juristische Expertenebene und wurden zur Grundlage einer epstemic community in London. Die Exilregierungen hatten auf der St-James-Konferenz unter dem Banner der Inter-Allied Commission on the Punishment of War Crimes einen Fragebogen erarbeitet. Dadurch gaben die Diplomaten in St James’s Palace den Exiljuristen eine Agenda bei, die die Hauptfragen bündelte. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass viele dieser Fragen politische Stellungnahmen der wichtigsten Kriegsalliierten, insbesondere der USA und Großbritanniens, erforderten, die aber offiziell gar nicht mitarbeiteten. Es musste also eine andere Ebene gefunden werden, um völkerrechtliche Fragen zu diskutieren. Dies war einer der wesentlichen Gründe für die Einrichtung der Cambridge Commission und der LIA. Die Agenda, die die Diplomaten den Juristen mit auf den Weg gaben, umfasste folgende Punkte, die diskutiert werden sollten:92 „(1) Should provisions concerning the arrest and trial of Germans or their allies, accused of having committed crimes against the laws and customs of war, be included in the terms of the Armistice? (2) Should the question of quislings be treated separately from that of guilty Germans? (3) Should consideration be limited to those Germans accused of committing crimes against the Allies, or should it also include Germans guilty of crimes against German Jews? (4) Should the degree of criminality be based on the law of the tribunal responsible for the trial, or should it merely be based on the more general provisions of the Hague Convention of 1907? (5) Will the accused be entitled to plead superior orders? How are the different parties to the crime to be dealt with? Namely, those responsible for planning, inciting and carrying out the action, and those benefitting from it? (6) Should the sentences imposed be those within the normal competence of the court, or should they be on a separate scale of punishment? (7) Should the extradition of guilty Germans be agreed between the nine allied nations? (8) Should a central inter-allied organisation be set up to collect evidence, detect and arrest the accused, with the aim of bringing the criminal before a competent tribunal?“

90 91 92

Lai, Wen-Wei: Forgiven and Forgotten. The Republic of China and the United Nations War Crimes Commission, in: Columbia Journal of Asian Law 25/(2) (2012), S. 306–336. Mitter, China’s war with Japan, 1937-1945. Ebenso Kushner, Barak: Men to devils, devils to men. Japanese war crimes and Chinese justice, Cambridge, MA 2015. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 91–92.

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Die letzte Frage weist schon in Richtung der Gründung der späteren UNWCC. Und insbesondere die dritte Frage, die die Behandlung der Juden durch das Deutsche Reich betraf, wurde politisch kontrovers diskutiert. Denn die Exilregierungen waren nicht die Einzigen, die nach einer juristischen Lösung der Kriegsverbrecherfrage suchten.93 Neben der Analyseabteilung R&A des US-Geheimdienstes OSS formierten sich nun auch die Opferverbände.94 Der World Jewish Congress (WJC) mit Sitz in New York hatte im Februar 1941 als eine Art Unterabteilung das Institute of Jewish Affairs (IJA) gebildet, das bis 1947 unter Jacob Robinson operierte. Robinson selbst stammte aus Litauen und hatte, wie Lemkin, in Warschau Rechtswissenschaften studiert und dort auch promoviert.95 Genau wie Lemkin war er im Ersten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und begann nach seiner Rückkehr, politisch zu arbeiten. Neben Parlamentsfunktionen in Litauen engagierte er sich in den 1920er Jahren für die vom Völkerbund propagierte Minderheiten-Gesetzgebung, unter anderem mit der berühmten BernheimPetition. 1940 flüchtete er mit seiner Familie in die USA und erhielt eine Anstellung als Dozent an der Columbia University. Das von ihm gegründete Institut, das sich aus Exiljuristen zusammensetzte und zu dem auch ein Demograph gehörte, analysierte die NS-Rechtsprechung sowie die Lebensbedingungen in den jüdischen Ghettos Ostmitteleuropas.96 Erklärtes Ziel des IJA war, bei den Alliierten und ihren Verbündeten ein Bewusstsein für Ausmaß und Ablauf des Holocaust zu schaffen.97 Zunächst stand Strafverfolgung nicht im Fokus. Dies änderte sich nach dem Kriegseintritt der USA mit der Erklärung von St James, als sich abzeichnete, dass nun in Arbeitsgruppen auf der Sachebene gearbeitet werden würde. Der WJC protestierte scharf dagegen, dass man keinen jüdischen Delegierten zu den Beratungen von St James hinzugezogen hatte, denn dies nährte die Befürchtung, die Exilregierungen wollten das Leiden der jüdischen Opfer schmälern.98 Es kam dadurch zu einer Art Konkurrenz um den Opferstatus, wie an der Reaktion der Exilstaaten deutlich wird. Gleichzeitig brachte sich der WJC damit als wichtiger Akteur der Verrechtlichungsdebatte ins Gespräch, so dass die anderen Akteure seine Stimme zukünftig einbeziehen mussten. Der polnische Premierminister Wladislaw Sikorski, der dem in St James’s Palace gegründeten Komitee als Präsident vorstand, wies Vorwürfe des WJC als unbegründet zurück und betonte, dies sei eine Erklärung, die im Namen aller Opfergruppen unter deutscher Besatzung ergangen sei, man wolle insbesondere nicht „die Nazi-

93 94 95 96 97 98

Auch im Folgenden Lewis, The birth of the new Justice, S. 153. Eine Analyse der Diskursfiguren der R&A findet sich konzise bei Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 132–144. Biographische Angaben bei Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 126. Lewis, Mark: The World Jewish Congress and the Institute of Jewish Affairs at Nuremberg. Ideas, Strategies, Political Goals, 1942-1946, in: Yad Vashem Studies 36 (2008), S. 181–210. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 127. Lewis, The birth of the new Justice S. 154. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 92.

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Unterscheidung“ zu Rassefragen weitertragen.99 Dieser Topos, der dem Holocaust seine Singularität absprach, tauchte auch in der Folge immer wieder auf.100 Sikorski schrieb damals an den WJC: „As in the opinion of the signatories [, …] the character, the race or religion of the victim ought not in any case to constitute an element susceptible of modifying the criminal nature of an act or the degree of its illegality. There was no reason explicitly to recall the sufferings endured by the Jews[,] all the more so as such a reference might be equivalent to an implicit recognition of the racial theories which we all reject.“101

Der WJC, insbesondere Dr. Maurice L. Perlzweig, Direktor des Political Department des WJC, sah dies jedoch anders, wie Lewis herausgearbeitet hat, und unterstrich, die jüdischen Opfer würden nicht verfolgt wie andere Bürger unter deutscher Besatzung, sondern weil sie Juden seien. Die Erklärung der Exilstaaten beziehe sich aber vor allem auf Repressionen in den besetzten Gebieten, die die Nationalsozialisten zur Unterdrückung etwaiger Widerstandsbewegungen verübten, also auf Okkupationsverbrechen und politische Opfer.102 Damit war eines der zentralen Narrative des Zweiten Weltkriegs in Bezug auf den Holocaust benannt. Es gab jedoch divergierende Auffassungen. Robinson selbst hatte in Studien für das IJA formuliert, die Verfolgung der europäischen Juden sei nicht nur ein Vernichtungsplan in Osteuropa gewesen, sondern habe ihren Ausgang im Deutschen Reich selbst genommen.103 Die antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen und der Kriegsbeginn müssten daher zusammen gedacht werden, der Holocaust sei keineswegs die Folge des Krieges, sondern umgekehrt, die antisemtische Politik des NS-Reiches habe der Vorbereitung des Eroberungskrieges gedient.104 Man einigte sich in London schließlich auf den Minimalkonsens, den Judenmord nicht extra zu erwähnen, sondern die StJames-Erklärung, wiederum wie früher die Martens-Klausel, als nicht abschließend anzusehen, also Raum für Interpretation und den Einschluss weiterer Verbrechen zu lassen.105 Selbst unter den Voraussetzungen von Krieg und Exil blieb der Aspekt der Öffentlichkeit zentral. Es gelang den Exilregierungen, die britische Regierung dazu zu bewegen, eine Broschüre zur Konferenz von St James zu drucken, und nach einiger Diskussion zum Wortlaut im Mai und Juni erschien sie schließlich unter dem Titel

99

100 101 102 103 104 105

Gegen diese, insbesondere von polnischer Seite vorgetragene, Position gab es immer wieder Kritik, sie führe zur Marginalisierung der jüdischen Opfer, vgl. Engel, David: In the shadow of Auschwitz. The Polish Government-in-exile and the Jews, 1939-1942, Chapel Hill 1987. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 120. Zitiert nach Lewis, The birth of the new Justice S. 154. Brief Sikorski an WJC vom 9. Mai 1942. Lewis, The birth of the new Justice, S. 154. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 128. Lewis, The birth of the new Justice. S. 159. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 92.

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„Punishment for War Crimes“; als Herausgeber fungierte das Inter-Allied Information Centre.106 Einzelne Mitglieder der verschiedenen Exilregierungen veröffentlichten zudem eigene Aufsätze zu Ziel und Kontext der St-James-Deklaration.107 So nahm der tschechoslowakische Justizminister Jaroslav Stránský die Konferenz zum Anlass, ein Plädoyer für internationale Strafgerichtsbarkeit zu publizieren108, und es gab eine unter aller Namen veröffentlichte Erklärung im Central European Observer, einem 1932 in Prag gegründeten Wochenblatt, das nun zum inoffiziellen Organ der Exilregierungen in London avancierte.109 Auch die belgische Exilregierung hatte während des Zweiten Weltkriegs Zeitschriften gegründet: die in New York und London erscheinenden Blätter Belgium und Message, die vor allem Exiljuristen gern zur Publikation nutzten und die den juristischen Debatten ein Forum boten. Auch die linksliberale amerikanische Zeitschrift Free World, die zwischen 1941 und 1946 erschien, war als Publikationsplattform beliebt.110 Zudem versuchten die Exilregierungen auch politisch, das Thema im Gespräch zu halten. Ganz im Sinne des dritten Elements der Martens-Klausel ging es um Motivierung einer breiten öffentlichen Unterstützung. Im Juli 1942 reichten die Exilregierungen über ihre jeweiligen diplomatischen Kanäle mehrere gleichlautende diplomatische Noten beim Vatikan sowie Großbritannien, den USA und der Sowjetunion ein, in welchen sie forderten, endlich die Kriegsverbrecherfrage zu klären.111 Es ist klar erkennbar, wie jede dieser diplomatischen Noten in der Formulierung den Besonderheiten des Alliierten, an die sie adressiert war, angepasst worden war. Die gemeinsame norwegisch-griechische Note an die Regierung in London hatte folgenden Wortlaut: „The invader’s acts of oppression and terrorism have recently developed to such an extent and assumed such forms as to arouse the fear that as the defeat of the enemy countries approaches, the regime of occupation will assume an ever more barbarous and merciless character, not excluding the extermination of whole groups of people. […] The signatories to the Inter-Allied Declaration of January 13th 1942 are therefore convinced that only very definite steps by the most powerful among the Allies can exert a deterrent influence.“112 106 107

108 109 110 111 112

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 92. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 370. Stransky, Jaroslav: The Inter-Allied Conference on War Crimes and the Problem of Retribution, in: New Commonwealth Quarterly 7/(4) (1942), S. 250–257. The Allied Peoples and Retribution, in: Central European Observer 19 (1942), S. 21–24. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 47. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 91–92. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 93. Auch im Folgenden.

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Die tschechoslowakische und die französische Exilregierung formulierten im Juli 1942 ähnlich gegenüber Stalin, passten sich allerdings begrifflich der sowjetischen Rede von ‚Hitleristen‘ an. Dort heißt es: „The above-mentioned Governments, anxious to spare, as much as possible the population of invaded countries trials more terrible than those already endured, and relying on the spirit of solidarity of all the United Nations in the face of a menace which is in reality nothing else than an inhuman method of forcing nations, against their will, to contribute to the enemy war effort or of extorting acts of adhesion to the so-called ‚new order,‘ have decided to send an urgent appeal to the President of the Council of the People’s Commissars of the Union of Soviet Socialist Republics, to give a solemn warning to the guilty.“

Die Vertreter der Exilregierungen der Niederlande, Jugoslawiens und Luxemburgs richteten eine Note an Washington, in der sie darum baten, eine „feierliche Warnung an die Täter“ auszusprechen. Und im September 1942 veröffentlichten Belgien und Polen eine diplomatische Note an den Vatikan mit der Bitte um Intervention, die von Brasilien, Kuba, Peru und Uruguay unterstützt wurde. Hierin wird erstmals die globale Dimension der Kampagne sowie die breite politische Unterstützung erkennbar. Das Deutsche Reich zeigte sich unbeeindruckt von den Aktivitäten der Exilregierungen, und die Übergriffe nahmen weiter zu. Die polnische Exilregierung machte daraufhin den Vorstoß, die britische Regierung aufzufordern, dem Deutschen Reich mit Hinweis auf die Ermordung polnischer Zivilisten den Bombenkrieg zu erklären, und baten die USA, die deutschen Staatsangehörigen im Land irgendwie unter Druck zu setzen. Beide Anfragen wurden zurückgewiesen. Die polnische Exilregierung sah sich erheblichem Druck aus der Heimat ausgesetzt, bei den Alliierten darauf hinzuwirken, dass diese harte Vergeltung gegen die Nationalsozialisten ankündigten und auch Deutsche, die in einem der alliierten Staaten lebten, von Repressionen nicht ausnehmen würden.113 Dabei kamen auch Kommentare zum Tragen, man müsse jetzt ein Zeichen setzen, um von den Nazis ernst genommen zu werden: „adherence to the rules of international law had always been interpreted by the Germans as a sign of weakness“.114 Die Situation eskalierte nach dem Attentat vom 10. Juni 1942 auf den stellvertretenden Reichsprotektor des Protektorats Böhmen und Mähren, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, als es in Vergeltung der Tat in dem tschechischen Dorf Lidice zu einem Massaker kam. Neben der tschechoslowakischen verabschiedete auch die polnische Exilregierung Protestnoten.115 Der Vertreter der tschechoslowakischen Exilregierung, Ripka, schlug vor, die Royal Air Force solle im Deutschen 113 114 115

Vgl. zur Strategie Karski, The Great Powers and Poland, 1919-1945; McGilvray, A military government in exile. Zitiert nach Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 21. Klemp, Stefan: Rücksichtslos ausgemerzt. Die Ordnungspolizei und das Massaker von Lidice, Münster 2012 Steinkamp, Peter: Lidice 1942, in: Orte des Grauens: Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2003, S. 126–135.

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Reich als Vergeltung zivile Ziele bombardieren, doch diese Bitte wurde abgeschlagen.116 Insbesondere britische Militärs wandten sich gegen eine solche Solidaraktion, da sie Vergeltungsmaßnahmen gegen britische Soldaten fürchteten. Sir Orme Sargent, Unterstaatssekretär im Foreign Office, schlug vor, die Briten sollten den nächsten Luftschlag ganz allgemein als Antwort auf „specific atrocities committed by the Germans“ erklären. Dies ging den Exilregierungen jedoch nicht weit genug. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nach dem Massaker von Lidice nutzend, veröffentlichte die tschechoslowakische Exilregierung eine Liste mit Verantwortlichen, die nach dem Krieg juristisch für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden sollten, darunter auch Hitler und weitere höchste Führungspersonen des Reiches.117 Der Jurist Vaclav Beneš, ein Neffe des tschechoslowakischen Präsidenten Beneš und im Exil-Justizministerium tätig, hob hervor, weder politsch noch moralisch stelle die Ahndung von Kriegsverbrechen für die Alliierten gegenwärtig ein Problem dar, und verwies auf die Haager Landkriegsordnung.118 Die britische Regierung war jedoch ungehalten darüber, dass man sie im Vorfeld nicht über diesen Schritt informiert hatte, denn er erhöhte den Druck auf das Foreign Office.119 Es wurde in den einzelnen Abteilungen langsam deutlich, dass man sich zu einer britischen Haltung in der Kriegsverbrecherfrage durchringen musste, wenn man nicht den Exilregierungen das Feld überlassen wollte, deren starke Wortwahl in öffentlichen Erklärungen möglicherweise die Spirale der Gewalt zudem noch weiter anheizen könnte, so die Befürchtungen. Die Amerikaner begannen sich nun ebenfalls zu positionieren. Roosevelt antwortete auf den Druck, den die polnische und die tschechoslowakische Exilregierung aufgebaut hatten, indem er seinen Berater Harry Hopkins beauftragte, ein Memorandum auszuarbeiten. Hopkins schwebte als Organisationsform eine Art Sammelstelle für Informationen vor; insbesondere durch Interviews sollten Erkenntnisse über die Art der Verbrechen erhoben sowie Beweismaterial zusammengetragen werden. Von Zeit zu Zeit würde eine solche Kommission dann entsprechende Zustandsberichte an die „United Nations“ abgeben. Auch eine Liste mit den Namen von möglichen Tätern sollte zusammengestellt werden. Von Anfang an hatten die USA dabei ein international koordiniertes Vorgehen sowie die globale Dimension der Kriegsverbrecherfrage auf dem europäischen und pazifischen Kriegsschauplatz vor Augen, angeheizt durch Berichte über japanische Grausamkeiten gegen Zivilisten und alliierte Kriegsgefangene. Ab Sommer 1942 entfaltete sich so eine neue Dynamik. Im britischen Parlament kam es zu Anfragen, wie die Regierung zu reagieren gedenke. Churchill präferierte zunächst eine politische Entscheidung und wollte eine Strafverfolgung um jeden Preis vermeiden. Ihm schwebte vor, eine Liste von 50 promi116 117 118 119

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 23–24. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 320. Benes, Vaclav: The Question of the definition of War Crimes, in: Central European Observer 20 (1942), S. 282–283. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 24–29.

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nenten Nationalsozialisten zu erstellen, die dann bei Kriegsende ohne Verfahren exekutiert werden sollten.120 „All sorts of complications ensue as soon as you admit a fair trial“, warnte er121 und setze hinzu: Schließlich sei Hitler kein Staatsoberhaupt wie damals der Kaiser, deswegen solle er, so seine sarkastische Ausdrucksweise, sterben wie ein Gangster, „in the electric chair, no doubt available on lend lease“. Außenminister Eden sekundierte im Juni 1942: „The guilt of such individuals as Himmler is so black that they fall outside and go beyond the scope of any judicial process“.122 Damit vertrat Eden die Meinung des britischen Kronanwalts Sir David Maxwell Fyfe, der ebenfalls geäußert hatte, die Verbrechen der Achsenmächte gingen weit über das hinaus, was bisher allgemein als Kriegsverbrechen anerkannt sei.123 Nach wie vor scheute man vor einem Strafgerichtshof zurück. Insbesondere im Außenministerium und bei den Kronjuristen war die Angst vor einem zweiten Prozess-Fiasko wie in Leipzig groß.124 Die Veröffentlichung des US-Memorandums, verfasst von Harry Hopkins, wurde daher von Churchill zum Anlass genommen, dieses am 1. Juli 1942 im War Cabinet vorzustellen und sich mit dem Foreign Office abzustimmen. Es zeigte sich, dass die britische Position im Sommer 1942 noch nicht konsolidiert war. Außenminister Anthony Eden beschrieb in einem ‚war memorandum‘ den Lerneffekt seit dem Ersten Weltkrieg, vermied es aber, spezifische politische Schritte anzukündigen. Es sei wichtig, zwischen Kriegsverbrechern, die auf dem üblichen Gerichtsweg ihrer Strafe zugeführt werden würden, und den höchsten Führern der verfeindeten Nationen zu unterscheiden (er dachte hier an Hitler, Mussolini, Göring etc., „for whom judicial procedure would be inappropriate“). Die Verbrechen der Letzteren müsse man vielmehr durch eine politische Entscheidung durch die United Nations sühnen.125 Er betonte, schon jetzt habe jeder Staat das Recht, vor Militärgerichten oder Zivilgerichten Prozesse zu führen, wenn sein eigenes Staatsgebiet oder seine Staatsbürger betroffen seien, und das Kriegsvölkerrecht böte dafür eine solide juristische Grundlage. Eden sprach sich dezidiert gegen die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs aus, denn diesen einzurichten würde zu lange dauern und sei zudem sehr kompliziert. Es müsse vielmehr das Ziel sein, Kriegsverbrecher nach Ende der Kampfhandlungen so schnell wie möglich zu bestrafen. Die geplante Kriegsverbrecherliste, die bereits während des Krieges zusammengetragen werden könne, solle zur Grundlage für eine schnelle Auslieferung nach dem Krieg werden. Eden vermied es, Kriegsverbrechen direkt zu definieren, verwies aber auf den gängigen Sprachgebrauch der Kronjuristen, die bereits eine Definition angebo120

121 122

123 124 125

Overy, Richard J.: The Nuremberg Trials: International Law in the Making, in: From Nuremberg to The Hague. The future of international criminal justice, hrsg. v. Philippe Sands, Cambridge, New York 2003, S. 1–29. S. 3. Zitiert nach Robertson, Crimes against humanity, S. 306. Overy, Richard J.: The Nuremberg Trials: International Law in the Making, in: From Nuremberg to The Hague. The future of international criminal justice, hrsg. v. Philippe Sands, Cambridge, New York 2003, S. 1–29. S. 3. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 328. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 111. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 29–30.

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ten hatten: „Offences against the laws of war committed in the course of operations, atrocities in occupied territories, and maltreatment of POWS.“ Aus Edens wie Churchills Statements spricht Ablehnung. Beide waren sich im Prinzip einig, dass es keinen internationalen Strafprozess geben sollte, denn dieser würde nur „Schwierigkeiten“ machen: „It would not rest with judges, however eminent or learned, to decide finally a matter like this, which is of the widest and most vital public policy.“126 Zudem seien Verzögerungen und juristische Probleme zu befürchten, und man würde womöglich den Angeklagten eine Plattform bieten, sich vor aller Welt zu rechtfertigen oder gar auf alliierte Kriegsverbrechen zu verweisen. In vielem ähnelte diese Argumentation von 1942 also der britischen Position von 1919. Dass sich die Haltung der britischen Regierung – und mit ihr die Haltung der USA – zum Thema Ahndung von Kriegsverbrechen schließlich – und anders als im Ersten Weltkrieg – so grundlegend wandelte, ist zu einem großen Teil dem Engagement von Juristen im Exil zu verdanken, die in London eine immer schlagkräftigere Lobby formten, die zudem mit guten Argumenten ausgestattet war. 1.2. Exiljuristen als Akteure Die Analyse der Beiträge der Exiljuristen im ‚London hub‘ stützt die These von den ‚semi-peripheral states‘, ihrem Willen zur Modernisierung des Völkerrechts und ihren Strategien zur Herstellung von Öffentlichkeit für die Thematik. In den Debatten standen von Anfang an, mangels Zugängen zu diplomatischen Mitteln, völkerrechtliche und weniger politische Fragen im Vordergrund. Es hat das Diskussionsklima nachhaltig beeinflusst, dass die persönlichen Bedingungen der Exiljuristen sehr ungünstig waren. Aus dieser persönlichen Betroffenheit entwickelten sich neue Denkmuster, Konzepte und Lösungsansätze für eine den eigenen Nationalstaat bedrohende Situation, während bei den etablierten großen Alliierten noch Unwillen vorherrschte, das Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Untersucht man die Beiträge der Experten und Wissenschaftler zu Meetings und Memoranda, wird deutlich, dass die Männer – denn es handelte sich ausschließlich um Männer – in den meisten Fällen zwar unter dem Banner ihrer Exilregierung auftraten, jedoch selbst tief gezeichnet waren von ihrer eigenen Erfahrung von Exil und Vertreibung und es ihnen ein echtes Anliegen war, eine globale Antwort auf die Frage nach der Bestrafung für Kriegsverbrechen zu finden.127 Damit wiederum handelten sie ganz gemäß der offiziellen politischen Mission der Exilregierungen. Zugleich empfanden sich die Exiljuristen durchaus als Avantgarde des modernen Völkerrechts. Siegelberg unterstreicht:

126 127

Robertson, Crimes against humanity, S. 306–307. Lingen, Kerstin von: Setting the Path for the UNWCC: The Representation of European Exile Governments on the London International Assembly and the Commission for Penal Reconstruction and Development, 1941–1944, in: Criminal Law Forum (2014), S. 45–76. S. 46.

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„Émigré jurists in Britain and the United States who had turned against internatiuonal law as a substitute for power politics kept up a fierce campaign to publicize the limitations of the legalist approach to international relations.“128

Im Folgenden soll es schwerpunktmäßig um die britischen Exil-Debatten gehen. Es lässt sich nachweisen, wie der Wunsch, durch aktive Mitarbeit in einem internationalen Gremium Lösungen zu finden, zur Motivationsgrundlage wurde und eine Art Gruppenidentität schuf. Ansatzweise bildeten sich dabei Elemente einer transnationalen Identität unter den Exiljuristen der UNWCC heraus, die sich in ihren gemeinsamen Bemühungen um eine Reformierung des Völkerrechts als Gruppe begriffen, die eine längst überfällige Modernisierung des Völkerrechts zum Abschluss bringen würde. Vergleichbare Gruppenidentitäten lassen sich auch für Mitarbeiter internationaler Organisationen in den 1920er Jahren nachweisen.129 Es ist daher wichtig, diese Motivation durch einen biographischen Ansatz herauszuarbeiten, denn der Kontext der Debatten des Zweiten Weltkriegs unterscheidet sich deutlich vom Kontext der Debatten des 19. Jahrhunderts, der Haager Konferenzen und selbst der Versailler Verhandlungen von 1919 und der Völkerbundgremien der Genfer Jahre. Da es sich nicht um ein diplomatisches Gremium, sondern um Expertengruppen handelte, zeigten die Akteure in London ein supranationales Verständnis von der Aufgabe, die vor ihnen lag. Kaum findet sich in den Protokollen ein Beharren auf nationalen Positionen, dagegen wird stets das gemeinsame Ziel – die Schaffung verbindlicher völkerrechtlicher Regeln – betont. Winter bilanziert: „It was in this very unfavourable environment that Allied delegations came together under Churchill’s leadership to present a vision of the future for which they were fighting. Hitler had his plan for a ‚new order‘, now that virtually the whole of Europe was under his control. It was time for the Allies to construct their own blueprint for the future, and in framing that vision, men in exile like Cassin and Benes had a significant role to play.“130

Seit den frühen 1940er Jahren hatten Expertenzirkel in Großbritannien begonnen, sich in wissenschaftlichen Gremien mit der Frage der Bestrafung der Kriegsverbrecher auseinanderzusetzen.131 Die aktivsten Juristen der Exilmächte waren Marcel De Baer aus Belgien, Bohuslav Ecer aus der Tschechoslowakei, Jan Maarten de Moor aus den Niederlanden und René Cassin aus Frankreich. Zu einem späteren Zeitpunkt 128 129

130 131

Siegelberg, Mira L.: Unofficial men, efficient civil servants. Raphael Lemkin in the history of international law, in: Journal of Genocide Research 15/3 (2013), S. 297–316. S. 304. Rietzler, Katharina: Experts for Peace. Structures and Motivations of Philanthropic Internationalism in the Interwar Years, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 45–66. S. 50. Winter, Jay Murray/Prost, Antoine/Cassin, René: René Cassin and Human Rights. From the Great War to the Universal Declaration, Cambridge 2013 S. 143. Lingen, Kerstin von: Setting the Path for the UNWCC: The Representation of European Exile Governments on the London International Assembly and the Commission for Penal Reconstruction and Development, 1941–1944, in: Criminal Law Forum (2014), S. 45–76. S. 46.

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meldete sich auch der ebenfalls aus Prag stammende Jurist Egon Schwelb zu Wort, der als Kommentator von Nürnberg eine Rolle spielte. Zudem gab es wichtige Interaktionen mit Delegierten, die nicht den ‚semi-peripheral states‘ angehörten, deren Anliegen aber unterstützten. Zu nennen sind hier die australischen, amerikanischen und chinesischen Delegierten. Eine Wechselwirkung bestand schließlich auch mit „abwesenden“ Akteuren, den sowjetischen Völkerrechtlern, insbesondere mit Aron Trainin. Zunächst einmal ist der Kontext der Zusammentreffen im London der Kriegsjahre zu beschreiben. Die Arbeit der Exiljuristen wurde erschwert durch die äußeren Umstände, prekäre Lebensbedingungen sowie das Gefühl der Entwurzelung, das die einzelnen Gruppierungen umso fester zusammenschweißte.132 Großbritannien bemühte sich, zumindest die Rahmenbedingungen zu schaffen und angemessene Räumlichkeiten für die Zusammentreffen zur Verfügung zu stellen.133 Das Polish Institute oder das Czechoslovak Institute am Russel Square wurden so zu einer festen Adresse für die Juristenzirkel. Für alle Mitglieder der Exilgemeinschaft war die Erfahrung der Flucht prägend, die Sorge um noch in der Heimat verbliebene Familienangehörige und Freunde das beherrschende Gesprächsthema.134 Die meisten hegten zudem keine Illusionen darüber, in welcher Gefahr sie schwebten, sollten Hitlers Truppen England erobern – was seit Beginn der „Luftschlacht um England“ im August 1940 im Bereich des Möglichen zu liegen schien. Und selbst in London war man angesichts der ständigen Luftangriffe nicht sicher: Von René Cassin weiß man, dass, als er von einem Vortrag in Cambridge am 19. März 1941 nach London zurückkehrte, die Straße, in der wohnte, ganz in Schutt und Asche lag und auch sein Haus völlig zerstört war, glücklicherweise seine Frau jedoch unverletzt blieb.135 Wenn in der vorliegenden Studie von Exiljuristen in London gesprochen wird, sind damit meist die Juristen aus den europäischen Staaten gemeint, die vor der nationalsozialistischen Besatzung flohen, die außereuropäischen werden gesondert benannt. Die Kriegsverbrecherpolitik der 1940er Jahre dachte in nationalen Kategorien, indem Sitze in Gremien nach Nationen vergeben wurden. Eine nicht unerhebliche Gruppe deutscher und österreichischer Wissenschaftler befand sich jedoch ebenfalls in England: die vertriebenen jüdischen Hochschullehrer und Studenten.136 Diese Gruppe wurde in der Forschung bisher überhaupt nicht beach132

133 134 135 136

Auch die Rolle der Ehefrauen wird als schwierig beschrieben. In Cassins Erinnerungen findet sich die Bemerkung, dass eine der Konstanten gewesen sei, dass die Männer unermüdlich an ihren Entwürfen für eine bessere Nachkriegsordnung feilten und dadurch fast noch mehr arbeiteten als vor der Flucht, die Frauen der Juristen aber große Schwierigkeiten hatten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, zumal die meisten kein Englisch sprachen und daher lieber in kleinen Exilgemeinschaften unter den eigenen Landsleuten blieben. Winter/Prost/Cassin, René Cassin and Human Rights, S. 142. Brandes, Grossbritannien und seine osteuropäische Alliierten. Winter/Prost/Cassin, René Cassin and Human Rights S. 142. Winter/Prost/Cassin, René Cassin and Human Rights. S. 142. Hierzu grundlegend Feichtinger, Johannes: Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933-1945 (Campus Forschung Bd. 816), Frankfurt, New York 2001; Beatson, J./Zimmermann, Reinhard (Hgg.): Jurists uprooted. German-speaking émigrée

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tet; sie ist auch in den Gremien, die hier untersucht werden, unterrepräsentiert. Interessant ist jedoch zum einen, dass es sie überhaupt gab, also das nationalstaatliche Delegationsprinzip an manchen Stellen durchbrochen wurde (wie es ja auch im Völkerbund üblich gewesen war), und zum anderen, dass informelle Kontakte der jüdischen Wissenschaftler zu den Juristengremien existierten, also ein inoffizieller Kanal der Einflussnahme bestand. Besonders benachteiligt waren nach dieser Logik der nationalen Delegierten deutschsprachige Juristen: Natürlich waren deutsche oder österreichische Vertreter nicht vorgesehen, denn das Deutsche Reich stand ja als Kriegsgegner auf der anderen Seite. Es gab jedoch offenbar ein rudimentäres Bewusstsein für die Wichtigkeit, auch die deutschsprachigen Opfer mit einzubeziehen. Es gelang einigen emigrierten jüdischen Gelehrten dennoch, sich von ihren neuen Arbeitsstätten aus in die Debatte einzubringen, sobald sie am Exilort eine offizielle Funktion eingenommen oder die Staatsbürgerschaft gewechselt hatten. Beispielhaft hierfür steht der österreichische Völkerrechtler Hans Kelsen, 1934 von seinem Kölner Lehrstuhl vertrieben,137 der in englisch abgefassten Aufsätzen von seiner neuen Stelle in den USA aus in die Debatte um die Ahndung von Kriegsgewalt eingriff.138 Andere deutschstämmige Juristen, die an den Debatten teilnahmen, werden im Folgenden ebenfalls noch angesprochen. Sie stellten sozusagen eine jüdische Vertretergruppe der Völkerrechtler und eine eigene Gruppe in London dar, die nicht durch den WJC abgedeckt wurde und sich von diesem auch unterschied. Die Rolle der jüdischen Experten in den Verrechtlichungsdebatten war also zum einen fachlich bedeutend, zum anderen auch staatsrechtlich interessant. Die Verbreiterung des Expertenpools, die sich durch die Mitwirkung jüdischer Experten ergibt, ist außerdem auch im Kontext der seit dem 19. Jahrhundert stetig erweiterten Rolle der Öffentlichkeit zu sehen.

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lawyers in twentieth-century Britain, Oxford, New York 2004. Zur Erfahrung der Vertreibung aus angesehenen universitären Positionen in Deutschland vgl. Benz, Wolfgang: Von der Entrechtung zur Verfolgung und Vernichtung. Jüdische Juristen unter dem nationalsozialistischen Regime, in: Deutsche Juristen Jüdischer Herkunft, hrsg. v. Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz; Stolleis, Michael, München 1993, S. 813–852. Dreier, Horst: Hans Kelsen (1881-1973). „Jurist des Jahrhunderts“?, in: Deutsche Juristen Jüdischer Herkunft, hrsg. v. Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz; Stolleis, Michael, München 1993, S. 705–732. Allerdings ist zu Kelsen anzumerken, dass seine Englischkenntnisse zu Anfang in Großbritannien für nicht ausreichend gehalten wurden, um ihm direkt einen Lehrstuhl anzubieten (die LSE war darüber mit ihm im Gespräch); vgl. hierzu Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen. S. 69. In den ersten Jahren des Exils bestand Kelsens Beitrag zur Debatte daher aus wissenschaftlichen Aufsätzen, die wahrscheinlich noch aus dem Deutschen übersetzt wurden. Für Diskussionsrunden wie etwa die Cambridge Commission war Kelsen damit nicht als Mitarbeiter im Gespräch. Kelsen, Hans: International Peace – By Court or Government?, in: American Journal of Sociology 46/(4) (1941), S. 571–581.; Kelsen, Hans: Collective and Individual Responsibility in International Law with Particular Regard to the Punishment of War Criminals, in: California Law Review, 31/(5) (1943), S. 530–571.

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Die Wortführer aus dem Kreis der Exiljuristen in London sollen im Folgenden kurz biographisch vorgestellt werden. Bohuslav Ečer (1893–1954)139 ist ein Beispiel für einen Vertreter kleinerer alliierter Staaten in der UNWCC, der maßgeblich an der Schaffung von Richtlinien zur zukünftigen Kriegsverbrecherpolitik beteiligt war und als einer der Ersten mit dem Begriff crimes against humanity operierte.140 Ecer hatte in Wien und Prag studiert, wurde dann Rechtsanwalt in Prag, stand der sozialistischen Partei nahe und war zuletzt Bürgermeister von Brünn, als die Nationalsozialisten die Tschechoslowakei besetzten. Zunächst wurde er politisch aktiv und reiste 1938 sogar nach England, um auf einer Vortragsreise für britische Unterstützung zu werben und gegen das geplante Münchner Abkommen Stellung zu beziehen. Nach seiner Rückkehr nach Prag wurde er von der Gestapo in Haft genommen. Ecer floh nach seiner Entlassung nach Frankreich, wo er in Nizza noch einen Abschluss in internationalem Strafrecht erwarb, bevor er im Oktober 1942 nach London gelangte, wo ihn Edvard Beneš als Mitarbeiter des Justizministers Stránský im Rang eines Minister Extraordinary and Plenipotentiary in die Exilregierung berief. Ecer war in der LIA wie auch später in der UNWCC an oberster Stelle tätig141 – so übernahm er 1944 die Rechtsabteilung der UNWCC –, führte in den meisten Sitzungen den Vorsitz und verfasste unzählige Memoranda zu rechtlichen Fragen. Insbesondere die Unmöglichkeit, Verbrechen in seinem Heimatland zu ahnden, die vor dem offiziellen Kriegsbeginn begangen worden waren, beschäftigte ihn sehr, und er suchte fieberhaft nach juristischen Auswegen aus dem Dilemma. Ecer ist zudem geistiger Vater des juristischen Konzepts der Gruppenanklage von NS-Organisationen (etwa der Gestapo) und entwarf bereits 1944 ein Statut für einen ständigen internationalen Kriegsverbrechergerichtshof, der jedoch keine Mehrheit unter den Hauptalliierten fand. 1945 war Ecer Führer der tschechoslowakischen Delegation in Nürnberg, hatte 1946 den Vorsitz über den tschechoslowakischen Prozess gegen SSObergruppenführer Karl Hermann Frank, den stellvertretenden NS-Reichsprotektor Böhmens und Mährens und Hauptveranstwortlichen für die Massaker von Lidice und Ležáky, der zudem aufgrund seiner tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit als Kollaborateur galt.142 Danach wurde Ecer als Richter an den Internationalen Ge139

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Die korrekte tschechische Schreibweise des Namens ist Ečer. Allerdings nannte sich Ecer in englischen Texten selbst Ecer, manchmal findet sich auch die Schreibweise Ecér oder sogar Etcher. Aus Gründen der Einheitlichkeit wird im Folgenden die Version Ecer ohne Akzent verwendet. Die biographischen Angaben zu Ecer stamen aus Stehlik, Eduard: Bohuslav Ecer and the Prosecution of War Crimes, in: European Conscience and Communism. Proceedings of the International Conference of 2-3 June 2008 at Prague, Prague 2008, S. 53–63. Ebenso existiert ein biographischer Aufsatz auf einer tschechischen Website, den seine Enkeltochter verfasst hat, vgl. http://www.valka. cz/clanek_12304.html (ich danke Katerina Morozova für die Übersetzung im Juni 2014). Zu den offiziellen Funktionen Ecers vgl. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 500. Ecer war Mitglied in praktisch allen Gremien der UNWCC: Member of Committees I, II, III, Finance and Executive. Auf die Kollaborateursvergangenheit verweist De Baer, der dem Prozess auch als Beobachter beiwohnte, in einem Brief vom 05.07.1945 an den Minister for Overseas Affairs, Brüssel, N De Baer (London).

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richtshof in Den Haag berufen, wo er bis zum kommunistischen Umsturz in Prag 1948 sein Amt ausübte. Zurückbeordert in die Tschechoslowakei, verlor Ecer nach und nach seine akademische Stellung und damit die wirtschaftliche Basis und wurde von der Geheimpolizei bedrängt, weil er für verfolgte Freunde als Verteidiger wirkte. Er starb 1954 an einem Herzinfarkt, als er erneut verhaftet werden sollte.143 Marcel De Baer (1890–1983), belgischer Jurist, wurde 1890 in Anvers geboren.144 Er war seit 1921 als Rechtsanwalt, sodann (1933–1935) als Richter in Antwerpen tätig. Später hatte er einige Positionen in der Kolonialbürokratie seines Landes im Kongo inne, als vorsitzender Richter in Stanleyville und als Procureur du Roi in Léopoldville. 1939– 1946 war er Richter am Appellationsgericht in Brüssel, eine Funktion, die er auch aus dem Exil in London formal weiter ausfüllte. 1936 unterrichtete er an der Université libre de Bruxelles Kolonialrecht. De Baer war Vorsitzender der LIA, leitete eine der Arbeitsgruppen in der Cambridge Commission und wurde 1943 als Vertreter Belgiens in die UNWCC berufen, wo er Vorsitzender des Committee I wurde. Auch in der Abteilung Finance und Executive, die vom britischen Delegierten Sir Robert L. Craigie geleitet wurde, arbeitet er mit. De Baer war damit, neben Ecer, eines der aktivsten Mitglieder aus dem Zirkel der Exiljuristen und auch nach 1945 für sein Land in der UN tätig (zuletzt als Repräsentant im Iran). Er starb 1983 in Südfrankreich. Es ist eine interessante Frage, die hier nicht vertieft werden kann, inwieweit ihre Einbindung in die Kolonialbürokratie möglicherweise das Bewusstsein mancher Juristen schärfte, dass man sich um globale Gültigkeit völkerrechtlicher Normen bemühen müsse. De Baer versah zudem aufgrund seiner privaten Biographie eine Brückenfunktion: Seine Frau Margaret Rudston-Reed gehörte der englischen Aristokratie an;145 über einen Verwandten, Lord Chatfield, hatte De Baer direkte Kontakte in die britische Oberschicht und damit Verbindungen ins House of Lords. Über Lord Maugham gelang ihm 1942, eine Oberhausdebatte zum Thema Kriegsverbrechen zu platzieren, wie noch ausgeführt werden wird. Stefan Glaser (1895–1984) war ein polnischer Völkerrechtler und studierte Rechtswissenschaften in Wien und Lwiw/Lemberg, wo er 1918 promovierte.146 Er war damit sehr wahrscheinlich einer der Juristen aus dem Wiener Kreis um Hans Kelsen und Jahrgangskommilitone von Ecer wie auch Lauterpacht. Zudem könnte er theoretisch mit Lauterpacht und Raphael Lemkin in Lemberg zusammen studiert haben, die 143 144

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Biographischer Aufsatz zu Bohuslav Ecer: http://www.valka.cz/clanek_12304.html. Private Daten nach Aussage der Enkeltochter, Jacqueline Laughton-Scott, per E-Mail am 8.9.2015 an die Verfasserin. Zu den offiziellen Funktionen vgl. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 500. Zur Biographie vgl. auch die unveröffentlichte Dissertation von Weisers, Marie-Anne: Juger les crimes contre les Juifs. Des Allemands devant les tribuneaux belges, 1941-1951, Brüssel 2014. S. 65. Genealogische Hinweise hierzu unter http://www.thepeerage.com/p14150.htm sowie bei http:// lafayette.org.uk/rud8472.html (letzter Zugriff 7.7.2016). Kurzbiographie unter The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 503. Weiterführende Literatur unter Cieślak, Marcin: Stefan Glaser (1895-1984), in: Państwo i Prawo 4 (1985), S. 104.; Glaser, Stefan: Urywki wspomnień (Snippets of Memories), London 1974 Ich danke Grzegorz Michalik und Mateusz Matuszyk, beide Universität Wroclaw, für die Kurzzusammenfassung der polnischen biographischen Texte und Hinweise auf weiterführende Literatur.

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beide von dort stammten. Dies stützt die These von einer auffälligen Häufung ostmitteleuropäischer Völkerrechtler, die aus Lemberg stammten, die neben Troebst147 zuletzt Sands vertreten hat.148 Glaser habilitierte sich in Krakau und wurde bereits 1920 zum Professor für Strafrecht an der Universität Lublin berufen, ab 1924 wechselte er als Dekan an die (litauische) Universität Vilnius. Glasers Name ist mit den „Brest trials“ verbunden, als er 1931/32 Partei für die von der neuen Regierung angeklagten polnischen Oppositionellen ergriff. Im Gegenzug verlor er seine akademische Position und baute eine Rechtsanwaltskanzlei in Warschau auf. Bei Kriegsausbruch floh er nach Frankreich und nahm an der Gründung der Exilregierung unter General Sikorski teil. Nach der Flucht nach England war er in mehreren Gremien aktiv, wurde Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Oxford (Faculty of Polish Law) und war Mitbegründer der polnischen Fakultät für Medizin an der Universität Edinburgh. Glaser war Gründungsmitglied der Polnischen wissenschaftlichen Gesellschaft im Exil, 1943/44 Mitglied der UNWCC in Committee III. Nach dem Krieg kehrte Glaser nicht nach Polen zurück, sondern ging nach Belgien, wo er Professor an der Universität Lüttich sowie der Katholischen Universität Löwen wurde. 1948 nahm er in Den Haag am Friedenskongress teil und hielt einen Vortrag zur politischen Integration in Europa. Bis ins hohe Alter beschäftigte ihn die Frage der Ahndung von Kriegsverbrechen: So war er Ende der 1960er Jahre einer der Initiatoren der Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 26. November 1968. Johannes M. de Moor (1896–1945), in Rotterdam geboren,149 war der Vertreter der Niederlande in der UNWCC. Er hatte zunächst Volkswirtschaft studiert, dann Jura und wurde in den 1930er Jahren Vizepräsident des Landgerichts Rotterdam. Er war Angehöriger der liberalen Partei und im Vorstand einer nationalen Unterorganisation der International Federation of League of Nations Societies, der niederländischen Association for the League of Nations and Peace,150 die 1919 gegründet worden 147

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Troebst, Stefan: Lemkin and Lauterpacht in Lemberg and Later. Pre- and Post-Holocaust Careers of Two East European International Lawyers. Online unter http://www.iwm.at/transit/transitonline/lemkin-and-lauterpacht-in-lemberg-and-later-pre-and-post-holocaust-careers-of-two-easteuropean-international-lawyers/. Sands, East West Street: On the Origins of „Genocide“ and „Crimes Against Humanity“. Eine Kurzbiographie zu De Moor findet sich in der The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 502, sowie im Findbuch des Niederländischen Staatsarchivs unter (ich danke Lisette Schouten für die Übersetzung der Kurzbiographie, Juli 2015) Nummer archiefinventaris: 2.16.31 Inventaris van het archief van de Buitengewone Raad voor de Scheepvaart te Londen, (1939) 1940- 1946. Via: http://www.gahetna.nl/collectie/archief/ead/index/zoekterm/J.M.%20de%20Moor/aantal/20/eadid/2.16.31/anchor/descgrp-context-bioghist/open/descgrp-context-bioghist; ebenso Informationen unter der website des NIOD: http://www.archieven.nl/nl/zoeken?miview=inv2&mivast=0&mizig=210&miadt=298&micode=234&milang=nl#inv3t3. Association for the League of Nations and Peace (Dutch: Vereeniging voor Volkenbond en Vrede): established on 19 July 1919 and (due to the German Occupation) ended her activities on 20 July 1940. Around 1930, the organisation was blossoming it had around 80 local divisions and 10.000 members. A (Dutch) master’s thesis on the VVvE can be found here: http://www.ethesis.net/volkenbond/ volkenbond.htm#Hoofdstuk%201.%20NOG%20EEN%20VERGETEN%20HOOFDSTUK%E2%80%A6.

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war und die Regierung regelmäßig mit Diskussionsvorlagen und Memoranda zu internationalen Fragen versorgte. Bei Kriegsausbruch befand er sich zufällig in Paris, wodurch ihm über Portugal die Flucht nach London gelang. Er wurde als Vertreter der niederländischen Delegation zu einer zentralen Figur in der UNWCC und wirkte in Committee I und II mit. In London wurde er 1941 zum Präsidenten einer der beiden Kammern des Dutch Court in Exile (1941–1945) ernannt sowie Präsident des Extraordinary Maritime Court of the Netherlands, 1940 gegründet, der Fälle von Übergriffen gegen holländische Handelsschiffe behandelte. De Moor starb bei Kriegsende 49-jährig in London überrschend an einer Krankheit. Sein Nachfolger in der UNWCC in London wurde Kapitänleutnant Martinus Willem Mouton, seit 1942 bereits Legal adviser to the Netherlands Prime Minister im Exil. Auch Mouton war Mitglied in der UNWCC, und zwar in Committee II und III sowie im Far Eastern Committee. René Cassin (1887–1976) war ein französischer Jurist und Erziehungswissenschaftler. Als erster prominenter ziviler Staatsmann schloss er sich 1940 der Exilregierung General de Gaulles in London an. Dort sorgte er für die Grundlagen der späteren Vierten Republik: eine republikanische Verfassung mit der Garantie der Menschenrechte und die juristische Absicherung gegen die illegitime Regierung von Vichy sowie deren widerrechtliche Maßnahmen, zu denen auch die Ausbürgerung der Juden gehört hatte.151 Er arbeitete während der Kriegsjahre in den Vorgängerorganisationen der UNWCC mit (in der UNWCC selbst hatte er von 1943 bis 1945 einen Sitz in den Committees II und III), bevor er 1944 in Algier die Führung der französischen Exilkommission zur Legislation of the Advisory Assembly sowie des Legal Committee of the French Provisional Government (1943–1945) übernahm. In dieser Funktion nutzte er seine Position als Justizbevollmächtigter der provisorischen Regierung von General de Gaulle, um die französische Militärjustiz zu reformieren, so dass Kriegsverbrecherprozesse überall ermöglicht wurden. Bereits 1946 wechselte er zur UN, wo er Mitglied in der United Nations Commission on the Rights of Man war (1946/47).152 Im England der frühen 1940er Jahre und seinen intellektuellen Zirkeln wurde für René Cassin der Grundstein zu vielen seiner späteren Studien zu den Menschenrechten gelegt.153 Cassin hatte in der Kriegszeit Zugang zu zahlreichen tonangebenden britischen Politikern oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten Londons – Netzwerke, die ihn auch später noch trugen. Seine Beteiligung an der Redaktion der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat ihn weltweit bekannt gemacht und ihm 1968 den Friedensnobelpreis eingetragen. Egon Schwelb (1899–1976) stieß erst 1944 zur tschechoslowakischen Delegation hinzu, wurde dann aber sehr einflussreich. Er hatte in Prag Jura studiert und war als 151

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Biographische Information zu René Cassin entnehme ich der Website des Nürnberger Menschenrechtszentrums, verfasst von Huhle, Rainer: René Cassin, online: http://www.menschenrechte.org/ lang/de/verstehen/menre-geschichte/rene-cassin. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 501. Winter, Jay Murray/Prost, Antoine/Cassin, René: René Cassin and Human Rights. From the Great War to the Universal Declaration, Cambridge 2013, S. 142.

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Rechtsanwalt tätig gewesen, bevor er nach Besetzung der Tschechoslowakei durch die Gestapo verhaftet wurde, weil er Jude und zudem sozialdemokratischer Abgeordneter war. Durch Intervention des britischen Konsulats erhielt er ein Ausreisevisum und konnte mit seiner Familie nach England emigrieren. Bereits 1940 berief ihn Beneš in den Justizrat der Exilregierung. Schwelb nahm in den folgenden Jahren an allen juristischen Sitzungen der Exilregierung wie auch der internationalen Gremien in London teil und wurde 1944, als Stellvertreter Ecers, in die Leitung der Rechtsabteilung der UNWCC berufen. Er war bis 1947 für die UNWCC tätig. Schwelb kehrte nie mehr in die Tschechoslowakei zurück und wurde 1947 in die UN übernommen, wo er als stellvertretender Direktor der Menschenrechtsabteilung wirkte. Für seine einschlägige Arbeit, insbesondere die Weiterentwicklung des Konzepts crimes against humanity, erhielt er den Spitznamen „Mr. Human Rights“. Als einer der Ersten wies er darauf hin, dass die Dekolonisierungskonflikte zu einer Umwälzung des westlichen Rechtssystems führen würden. Nach seinem Ausscheiden aus der UN war er als Professor in Yale tätig, und seine unzähligen Publikationen belegen, dass es ihm ein lebenslanges Anliegen war, die Frage zu klären, wie man Menschenrechte mit juristischen Mitteln schützen könne.154 Nachdem Schwelb das Internationale Militärtribunal (IMT) Nürnberg als Beobachter begleitet hatte, forderte er immer wieder, dass die neuen Rechtsgrundsätze, insbesondere crimes against humanity, in nationalen Gesetzbüchern kodifiziert werden müssten, um im nächsten Konflikt bereits anwendbar zu sein. In einem Aufsatz zu crimes against humanity von 1946 betonte er sein Anliegen, dass der Schutz eines Mindeststandards von Menschenrechten überall, jederzeit und für alle gelten müsse. Man erkennt hieraus so etwas wie eine Agenda für sein späteres Wirken bei der UN, wenn Schwelb resümiert, dass juristische Grenzziehung nicht genug sei, wenn der Wille zur politischen Umsetzung fehle, und er diese Umsetzung als Aufgabe kommender Generationen sehe. Die Juristen, die im Zweiten Weltkrieg die Debatten vorantrieben – und die hier genannten stehen nur stellvertretend für eine Gruppe von ihnen, auf die diese Arbeit besonders fokussiert – hatten sehr unterschiedliche Herkunftswege und fachliche Ausrichtungen, doch es gibt Parallelen in ihren Bildungsbiographien. Viele von ihnen hatten an den Universitäten des Habsburgerreiches studiert – in Wien, Prag und Lemberg – oder hatten in den 1920er Jahren in Gremien des Völkerbunds mitgearbeitet. Es fällt zudem auf, dass alle ungefähr der gleichen Alterskohorte angehörten (den um 1885–1895 Geborenen), deren Mitglieder in den 1940er Jahren oftmals durch den Krieg in ihrer normalen Karriere unterbrochen worden waren. Viele suchten nach einem alternativen Betätigungsfeld, um sich zu engagieren, vorzugsweise nach einem, das geeignet wäre, die Weichen für eine erneute Karriere in ihren Heimatländern nach dem Krieg zu stellen. Das Völkerrecht schien vielen inhaltlich reizvoll und zukunftsträchtig, insbesondere auch, als sich die Schaffung der UN (und 154

Biographische Information zu Schwelb entnehme ich der website des Nürnberger Menschenrechtszentrums vgl. Huhle, Rainer: Egon Schwelb, online: http://www.menschenrechte.org/lang/de/ verstehen/menre-geschichte/egon-schwelb.

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damit möglicher Posten in der internationalen Verwaltungsbürokratie) abzeichnete. Aufgrund der Erfahrung der Gewalt durch deutsche Besatzung, Flucht und Exil lässt sich bei allen ein besonderes Engagement in der Verrechtlichungsdebatte konstatieren.155 Die Sensibilität gegenüber Minderheitenrechten oder das Pochen auf eine Kodifizierung des Genozids als Verbrechen, wie sie der aus Polen stammende Jurist Raphael Lemkin durchsetzte, hätten ohne die Exiljuristen – viele davon mit jüdischen Wurzeln – vielleicht zunächst noch nicht auf der Agenda amerikanischer oder britischer Regierungsbeamter gestanden. Dabei entwickelten sich die Konzepte von crimes against humanity und Genozid während der Kriegszeit zunächst parallel und unabhängig voneinander, was sicher mit der mangelnden Vernetzung Lemkins zu tun hatte. Schwelb betonte später, dass für ihn Genozid als Oberbegriff zu verstehen sei bzw. beide Begriffe als „two rivers flowing under two different names“, und forderte, es müsse das Ziel völkerrechtlicher Reform sein, die beiden zu vereinen.156 Dies war wiederum nicht die Intention Raphael Lemkins, der den legalistischen Ansatz der europäischen Juristen in internationalen Beziehungen, ihren professionellen Apparat und die übliche Methoden der Expertengremien eher verachtete.157 Siegelberg bilanziert: „Though Lemkin’s ultimate goal was the creation of a law that made genocide a crime, his method for creating international law was decidedly and self-consciously outside the realm of committee meetings, codification and expert analysis.“158

Lemkin ist in den hier vorgestellten Londoner Debatten seltsam abwesend, obgleich sich spätestens nach Publikation seines Werkes Axis Rule in Occupied Europe Überschneidungen hätten ergeben müssen.159 Sein Buch wurde zudem durch das Carnegie Endowment verlegt und weit verbreitet, so dass davon auszugehen ist, dass die hier vorgestellten Gremien es zur Kenntnis genommen und diskutiert haben. Es ist jedoch ein interessanter Befund, dass sich in den Akten davon nichts findet, was möglicherweise mit persönlichen Antipathien erklärt werden muss, die aber hier nicht hinreichend belegt werden können. Lemkins Schrift von 1944 ist zweifellos ein Schlüsselwerk in der Debatte zur Zivilisierung von Kriegsgewalt, zum einen wegen des neuen Begriffes „Genozid“, den 155

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Lingen, Kerstin von: Defining Crimes against Humanity: The Contribution of the United Nations War Crimes Commission to International Criminal Law, 1944-1947, in: Historical Origins of International Criminal Law, hrsg. v. Morten Bergsmo/Wui Ling CHEAH, Ping YI, Brussels 2014, S. 475– 506. S. 475. Brief Schwelb an Humphrey, 7.06.1947, UNOG library, zitiert in Siegelberg, Mira L.: Unofficial men, efficient civil servants. Raphael Lemkin in the history of international law, in: Journal of Genocide Research 15/3 (2013), S. 297–316. S. 304. Siegelberg, Unofficial men, efficient civil servants. S. 307. Siegelberg, Unofficial men, efficient civil servants. S. 309. Lemkin, Raphael: Axis rule in occupied Europe. Laws of occupation, analysis of government, proposals for redress (Publications of the Carnegie Endowment for International Peace, Division of International Law), Clark, N.J. 1944 (reprint 2008).

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er in die Debatte einführte, aber auch aufgrund des umfangreichen Dokumentenapparats mit deutschen Verordnungen und Besatzungsrichtlinien, der die Herausbildung juristischer Gegenkonzepte und Ahndungsmechanismen erheblich erleichtert haben dürfte. Insbesondere die Darstellung der Besatzungspraktiken und der Verschränkung von politischer Unterdrückung, wirtschaftlicher Ausbeutung und kultureller Zerstörung nimmt in Lemkins Analyse breiten Raum ein, wohingegen der Holocaust zumindest umfangmäßig in dem 700-Seiten-Werk auffällig unterbelichtet bleibt – dies ist umso bemerkenswerter, als ein Großteil von Lemkins Familie dem Holocaust zum Opfer fiel.160 Lemkin betonte jedoch die Besonderheit des organisierten Judenmords als völkerrechtlichen Präzedenzfall und zog seinerseits eine Linie zur Päambel der Martens-Klausel, indem er formulierte: „The treatment of the Jews in the occupied countries is one of the most flagrant violations of international law, not only of specific regulations of the Hague regulations, but also of the principles of the law of nations, as they have emerged from established usage among civilized nations, from the laws of humanity, and from the dictates of the public conscience – principles which the occupant is bound to respect.“161

Lemkins Schrift war zudem globaler ausgerichtet, als die zeitgenössische alliierte Kriegsverbrecherpolitik formulierte: Während die Moskauer Erklärung dezidiert von „German atrocoties“ sprach, lenkte Lemkin den Blick auf „Axis rule“ und damit auf Deutschland und seine willigen Verbündeten.162 Eine weitere Besonderheit, so Weinkes Analyse, ist Lemkins Betonung der NS-Besatzungspraxis, die in der Wortwahl stark an den Imperialismus erinnerte.163 Einen Unterschied zur Kolonialpraxis der Alliierten sah Lemkin vor allem darin, dass es den Nationalsozialisten nicht um utilitaristische Ziele wie Eroberung, Ausbeutung und Rekrutierung gegangen sei, sondern tatsächlich um Vernichtung und Neuordnung des Raumes nach völkischrassistischen Kriterien, sozusagen um eine „koloniale Ordnung neuen Typs“ (Weinke).164 Verstehe man die Herrschaft der Nationalsozialisten in Osteuropa, ihr System aus Entrechtung, Enteignung und massenhafter Vernichtung, als Herrschaft mit spätkolonialen Zügen, sei natürlich die Haager Landkriegsordnung nicht mehr ausreichend, um auf die mannigfachen neuen Verbrechenstypen zu reagieren, und eine Ergänzung des Kriegsvölkerrechts sei notwendig, mehr noch, eine Alternative (die Lemkin in seinem Genozidkonzept gleich mitlieferte).165 160

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Moses, A. Dirk: Raphael Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide, in: The Oxford Handbook of Genocide Studies, hrsg. v. Donald Bloxham/A. Dirk Moses, Oxford 2010, S. 19–41. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 119. Lemkin, Axis rule in occupied Europe. S. 77. Ebenso bei Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 119. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 121. Auch im Folgenden hierzu Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 121–122. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 122. Originalzitat bei Lemkin, Axis rule in occupied Europe. S. 93. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 123.

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In Lemkins Fokus stand außerdem die systematische Vernichtung und damit die Beteiligung deutscher Organe am Massenmord im Rahmen einer Arbeitsteilung. Schon früh erhob er die Forderung, besondere strafrechtliche Grundlagen für die Bestrafung der ausführenden Organe zu schaffen, wobei er als ‚legal tool‘ den Begriff ‚conspiracy‘ vorschlug, um diese Gruppen zu fassen.166 Weinke urteilt, Lemkins Axis Rule sei neben Henry Morgenthaus Plan zum Umgang mit dem nationalsozialistischen Deutschland „der vielleicht konsequenteste und radikalste Versuch, aus einer Analyse der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis Schlussfolgerungen für eine strafrechtliche Behandlung staatlicher Massengewalt zu ziehen.“167 Weinke verweist in ihrem Urteil aber auch auf Lemkins zutiefst eurozentrische Perspektive, die den Nationalstaat als Maß nahm und die nationalsozialistische Überschreitung des seit der Viktorianischen Zeit bekannten Zivilisationsstandards als „Barbarei“ geißelte. Dagegen habe Lemkin die außereuropäische Kolonialpraxis sowie die Probleme der Dekolonisierung weitgehend ausgeblendet168 und sich erst in den Nachkriegsjahren diesem Problem zugewandt.169 Das transnationale Juristennetzwerk in London war global angelegt: Es erhielt Unterstützung durch Vertreter von Staaten, die nicht zu den Exilstaaten gehörten und daher nach Einflussmöglichkeiten suchten. Hier wird im Folgenden immer wieder auf strategische Allianzen verwiesen, die für einzelne Initiativen von Bedeutung waren. Auf institutioneller Ebene wichtig waren die UNWCC-Vertreter der USA (Herbert Pell), Australiens (Lord Wright of Durley) sowie Chinas (Wang Ch’ung-hui bzw. Wunz King und Wellington Koo). Herbert Pell war ehemaliger Botschafter der USA in Portugal und Ungarn, jedoch kein Jurist und verdankte seinen Posten in der UNWCC vor allem der persönlichen Freundschaft mit Roosevelt, was ihm die erbitterte Feindschaft des U.S. State Department (und eine Obstruktion all seiner Initiativen) eintrug.170 Der australische Delegierte, der Brite Lord Robert Alderson Wright of Durley (1869–1964), wurde im Januar 1945 Nachfolger des UNWCC-Vorsitzenden Sir Cecil Hurst, auch er Brite. Zwar vertrat Lord Wright offiziell Australien, jedoch tat er es im Sinne des Commonwealth (zunächst hatte er Südafrika vertreten). Er gehörte zum britischen Establishment. Er war seit 1900 Rechtsanwalt in London (Inner Temple Bar) und 1925–1932 Richter der King’s Bench Division im High Court of Justice in London gewesen. 1937 wurde er mit dem Ehrentitel Deputy High Steward der Cambridge University ausgezeichnet, an der er selbst einst – im Trinity College –

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Lemkin, Axis rule in occupied Europe. S. 23–24. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 124. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 125. Weiterführend hierzu Mcdonnell, Michael A./Moses, A. Dirk: Raphael Lemkin as historian of genocide in the Americas, in: Journal of Genocide Research 7/4 (2005), S. 501–529. Zu Pell ausführlich erste Ergebnisse bei Cox, Graham: Seeking Justice for the Holocaust: Herbert C. Pell Versus the US State Department, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 77–110. Cox arbeitet zudem an einer Monographie zu Pell.

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studiert hatte.171 Er war damit, abgesehen von seinen politischen Ämtern, auch auf akademischer Ebene mit der Universität Cambridge und ergo mit dem dortigen Völkerrechtler Hersch Lauterpacht verbunden. Die chinesischen Delegierten wechselten sich in den diversen Sitzungen und Gremien ab, ihre Vertreter Wellington Koo und Wunz King waren auf unterschiedliche Weise mit anderen Akteuren vernetzt. Koo wie auch King waren die diplomatischen Vertreter Nationalchinas in London, King hatte in seiner Funktion als Botschafter bei den Exilregierungen Polens, Norwegens, Belgiens, der Niederlande und der Tschechoslowakei einen besonders guten Draht zu den hier vorgestellten „kleineren“ Akteuren.172 Studiert hatte King an der New Yorker Columbia University. Wellington Koo hatte in den 1920er Jahren in der Abrüstungskommission des Völkerbunds mitgearbeitet und kannte Lord Cecil, den britischen Friedensaktivisten, sowie Edvard Beneš aus dieser Zeit persönlich, da sie dem gleichen Gremium angehörten. Wang Chung-hui (1881–1958), der ebenfalls Jurist war und damit bekannt geworden, dass er 1908 das deutsche BGB ins Chinesische übersetzt hatte, war bereits in den 1930er Jahren Richter am Ständigen Gerichtshof in Den Haag gewesen, hatte also Erfahrung in der internationalen Gerichtsbarkeit. Er versah später hohe Ämter am Höchsten Chinesischen Gerichtshof und trieb die Kodifikation des Völkerrechts in China durch Übersetzungen und Implementierungen voran. Wang konnte zudem auf eine politische Karriere zurückblicken (er war unter Chiang Kai-shek Justizminister sowie Außenminister, als 1937 der Krieg mit Japan ausbrach).173 Etwas außerhalb dieser Gruppe, aber dennoch großen Einfluss ausübend, standen die sowjetischen Völkerrechtler. Insbesondere Aron Naumowitsch Trainin (1883– 1957) ist hier als Impulsgeber zu nennen. Die Bedeutung sowjetischer Juristen für die Fortentwicklung des internationalen Völkerrechts ist heute fast vergessen, wie Hirsch zu Recht beklagt hat.174 Generell gilt die Schaffung der Internationalen Militärtribunale in Nürnberg und Tokio als Sieg der angelsächsischen Rechtsvorstellungen über divergierende Konzepte. Es ist jedoch umgekehrt so, dass sowjetische Juristen wichtige Beiträge zum Völkerrecht lieferten, obwohl es natürlich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über Rechtsvorstellungen gab („bourgeoises“ Recht vs. „progressives sowjetisches Recht“) und sich die Juristen in einem sehr engen Rahmen bewegen mussten, nachdem Stalin deutlich gemacht hatte, dass er das Recht als Erfüllungsgehilfen seiner geopolitischen Vorstellungen verstand.175 171

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Biographische Informationen zu Lord Wright of Durley nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War. S. 499. Lai, Wen-Wei: Forgiven and Forgotten. The Republic of China and the United Nations War Crimes Commission, in: Columbia Journal of Asian Law 25/(2) (2012), S. 306–336. S. 309. Zu Wangs Biographie vgl. Spiermann, Ole: Judge Wang Chung-hui at the Permanent Court of International Justice, in: Chinese Journal of International Law 5/(1) (2006), S. 115–128. Ebenso The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War. Hirsch, Francine: The Soviets at Nuremberg. International Law, Propaganda, and the Making of the Postwar Order, in: The American Historical Review 113/(3) (2008), S. 701–730. Holquist, The Origins of “Crimes against Humanity”.

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Aron Trainin, seit 1921 Professor für Strafrecht an der Universität Moskau und ab 1938 Mitglied in der Akademie der Wissenschaften, war seit 1943 Mitglied der Sowjetischen Kriegsverbrecherkommission, die als Pendant zur UNWCC gegründet worden war. Trainin lieferte eine Definition von crimes against peace, der Ächtung des Angriffskriegs, die in das IMT-Statut von Nürnberg aufgenommen wurde. Um über dieses Statut zu verhandeln, kam er 1945 als Delegationsführer zur Londoner Konferenz und erläuterte seine Konzeption, die er zuvor in zwei Schriften niedergelegt hatte. Insbesondere das Konzept der „Conspiracy“ bzw. „Complicity“ wurde von Trainin in die Forschung eingeführt,176 wobei die Rezeption seiner Ansätze insbesondere in angelsächsischen Kreisen bis heute umstritten ist.177 Fakt bleibt, dass seine Begriffe in Vorbereitung der Tribunale von Nürnberg und Tokio schließlich von US-Juristen weiterentwickelt bzw. mit den angelsächsischen Ansätzen zusammengeführt wurden.178 „Complicity“ ist ein Hilfsmittel, um eine Gruppe von Angeklagten wegen gleichlautender Verbrechen, die sie gemeinschaftlich geplant oder begangen haben, vor Gericht zu bringen, und war insbesondere im Verfahrenskomplex „Verbrechen gegen den Frieden / Angriffskrieg“ wichtig. Die Kritik westlicher Forscher an Trainins Beitrag rührt daher, dass er politisch umstritten war und seine Konzepte im Zuge der umstrittenen stalinistischen Schauprozesse der 1930er Jahre entwickelt hatte, mit denen Stalin sich politischer Gegner entledigt hatte. Trainin war damals zwar nur Mitarbeiter im Stab des Generalstaatsanwalts Wyschinski, aber dennoch in die Prozesse verstrickt. Es wäre jedoch umgekehrt auch falsch anzunehmen, dass Trainin selbstständig handelte; er war der offizielle Repräsentant der Sowjetunion und vertrat somit deren politische Linie, in der Strafverfahren als Gelegenheit gesehen wurden, sich als fortschrittlichen Staat zu präsentieren, in dem die Forderung nach Gerechtigkeit für die Opfer ernst genommen wurde.179 Der Ansatz der sowjetischen Völkerrechtler, insbesondere Trainins, dessen Hauptschrift 1944 ins Engli-

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Vgl. hierzu ausführlich die Dissertation von Polunina, Valentyna: The Soviet Contribution to International Law and War Crimes Trials Policy during the Cold War. The IMTFE at Tokyo and the Khabarovsk Trial, Heidelberg (Diss. 2017). Bush urteilt: „It’s hard to identify any impact Soviet legal theorists made on thinking in London or Washington.“ Dies ist nicht zutreffend auf die UNWCC und die Juristenzirkel in London, könnte aber für die Regierungskreise durchaus plausibel sein. Allerdings ist es Ziel dieser Arbeit nachzuweisen, wie stark die Thinktanks der Juristen die Regierungsebene beeinflussten, daher wird dieser Ansatz hier als unzutreffend zurückgewiesen. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2349. Sellars, Kirsten: Treasonable Conspiracies at Paris, Moscow and Delhi. The legal hinterland of the Tokyo tribunal, in: Trials for international crimes in Asia, hrsg. v. Kirsten Sellars, Cambridge [U.K.] 2016, S. 25–54. Penter, Tanja: Local Collaborators on Trial. Soviet War Crimes Trials under Stalin (1943-1953), in: Cahiers du Monde russe 49 (2008), S. 341–364. Vgl. auch Polunina, Valentyna: The Khabarovsk Trial: the Soviet riposte to the Tokyo Tribunal, in: Trials for international crimes in Asia, hrsg. v. Kirsten Sellars, Cambridge [U.K.] 2016, S. 121–144.

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sche übersetzt wurde,180 übrigens unter Mithilfe von Ecer,181 stellte für die Exiljuristen (vor allem aus Ostmitteleuropa) eine ernsthafte politische Alternative dar. Mit zunehmender Frustration durch die Westmächte finden sich daher vermehrt Versuche, mit Moskau Kontakt aufzunehmen, worauf noch eingegangen werden wird. Für die hier als Auswahl vorgestellten Juristen ging es um eine nationale Aufgabe; Strafverfolgung der Kriegsverbrechen zu ermöglichen war für sie eine Art patriotischer Pflicht. Bei manchen ist zudem zu beobachten, dass persönliche Motive und Karriereerwägungen eine Rolle spielten: So sahen sie das Engagement in der UNWCC als Möglichkeit, sich einen eigenen Schwerpunkt aufzubauen und sich zu profilieren (dies gilt beispielsweise für De Baer, aber auch – aus anderen Gründen – für Herbert Pell). Über De Baer ist bekannt, dass es innerhalb der Mitglieder der belgischen Exilregierung zu Spannungen kam, die als Auslöser für sein überdurchschnittliches Engagement gelten könnten. So war De Baer enttäuscht, als sein interner Rivale, Maurice Heilporn, im Mai 1942 in London durch Premierminister Pierlot den Posten des Präsidenten des Conseil juridique erhielt.182 Dies war der Ausgangspunkt für Marcel De Baer, sich voll und ganz für die Frage der Kriegsverbrecherpolitik zu engagieren und sich zunächst in der LIA, später in der UNWCC zu profilieren. Er sah sich darin als offizieller Vertreter Belgiens; an Premierminister Hubert Pierlot schrieb er nach der Oberhausdebatte im Oktober 1942 zufrieden: „Il m’est permis de dire en effet que c’est moi qui dans ce pays ai pris l’initiative du mouvement pour le châtiment des crimes de guerre.“183 Seinem Rivalen Heilporn ging De Baers Engagement dagegen zu weit, und er war skeptisch, ob man ihn wirklich im Namen Belgiens agieren lassen könne. Es seien doch vor allem die „persönlichen Meinungen“ De Baers, die dieser vertrete, zudem habe er die ganze Frage der Kriegsverbrecherprozesse förmlich an sich gerissen: „C’est un domaine que Monsieur de Baer s’est expressément reservé.“184 Insbesondere De Baers Engagement für eine Erweiterung des Begriffes ‚war crimes‘ sah der Jurist Heilporn äußerst kritisch, wie er in einer Korrespondenz ausgerechnet dem belgischen Vertreter Leon Kubowitzki im World Jewish Congress anvertraute, der wiederum in enger Korrespondenz mit De Baer stand, worauf noch eingegangen werden wird. Der Vorfall belegt jedoch Ansätze einer Gruppenidentität bei De Baer, die globale Ziele über nationale Interessen stellte. Die festzustellenden Unterschiede sind auch aus dem jeweiligen politischen Kontext zu erklären. Während beispielsweise die norwegische, die holländische und die 180 181 182 183

184

Trainin, Aaron N.: Hitlerite Responsibility under Criminal Law, London 1944. Ecer, Bohuslav: Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts), Praha 1948. S. 144. Hierzu ausführlich Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 66–67. Zitiert nach Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 68. Weisers verweist hier auf die Akten im Belgischen Staatsarchiv (Archiv Générale du Royaume a Bruxelles, AGR), Archives des cabinets ministriels du Permier ministre Hubert Pierlot à Londres, Dossier 513. Zitiert nach Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 79. Weisers verweist hier auf die Korrespondenz Heilporn–Kubowitzki in der Sammlung des American Jewish Archive (AJA) in Cincinnati/ Ohio, World Jewish Collection, H 58/7, Belgian Authorities 1943-1945. Lettre Heilporn à Léon Kubowitzki, 3.3.1944.

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polnische Exilregierung rasch offiziell anerkannt wurden, mussten sich die tschechoslowakische Exilregierung unter Präsident Edvard Beneš, die belgische Exilregierung sowie La France Libre unter General de Gaulle sehr viel länger darum bemühen, in London politisch als Partner anerkannt zu werden.185 Der faktische Ausschluss dieser Staaten von Entscheidungsprozessen ist daher ein plausibler Erklärungsansatz für ihr überdurchschnittliches Engagement in der Kriegsverbrecherfrage, über die eigene Betroffenheit als besetzter Staat hinaus. Selbst in juristischen Schriften der damaligen Zeit – etwa in einem Aufsatz Schwarzenbergs – wurde die These aufgestellt, dass das Völkerrecht ein Machtinstrument sei, das viel darüber aussage, wie die Hierarchie der internationalen Ordnung gestaltet sei.186 Es ist daher möglicherweise kein Zufall, dass gerade der tschechoslowakische Jurist Ecer, der belgische Jurist De Baer sowie der Franzose Cassin sich in den Memoranda der Juristenzirkel (die im Folgenden analysiert werden) überdurchschnittlich häufig mit visionären Ideen zu Wort meldeten, kämpften sie doch aus der Position der Machtlosen aus ‚semi-peripheral states‘ umso idealistischer für eine neue Gesellschaftsordnung und eine Reform des Völkerstrafrechts. Es muss hervorgehoben werden, dass das Thema der ‚war criminals‘ außer von den akademischen Korrespondenzpartnern, auf die im Folgenden eingegangen wird, zeitgleich in Europa und den USA auch in akademischen Zirkeln diskutiert wurde und sich Inhalte oftmals überlappen, ohne dass sich Verschränkungen nachweisen lassen – das Thema stand eben ganz oben auf der akademischen wie der politischen Agenda. Eine der zentralen Figuren der US-Debatte war der ursprünglich aus Warschau stammende jüdische Kriminologe Sheldon Glueck, der in Harvard lehrte und sich Mitte der 1940er Jahre in der Debatte vor allem mit Hans Kelsen zusammenschloss. Glueck war kurz als US-Delegierter für die UNWCC im Gespräch gewesen, hatte den Posten jedoch an den Newcomer Herbert Pell verloren.187 1.3. Cambridge Commission und London International Assembly Zwei Plattformen des Austausches der Exiljuristen gelten als Vorläufer der United Nations War Crimes Commission. Sie hatten zum Ziel, neue völkerrechtliche Standards auszuarbeiten.188 Zum einen die International Commission for Penal Reconstruction and Development, die auf einer Konferenz an der juristischen Fakultät der Universität Cambridge ins Leben gerufen worden war (kurz Cambridge Commission), 185 186

187 188

Winter/Prost/Cassin, René Cassin and Human Rights, S. 142. Schwarzenberger, Georg: The impact of the East-West rift on International Law, in: Transactions of the Grotius Society 36 (1950), S. 229–269. Hinweis bei Siegelberg, Mira L.: Unofficial men, efficient civil servants. Raphael Lemkin in the history of international law, in: Journal of Genocide Research 15/3 (2013), S. 297–316.. S. 304. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2343. Auch im Folgenden The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 94–104.

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zum anderen die London International Assembly (LIA), die von der britischen Friedensorganisation League of Nations Union angeregt worden war.189 Die Vorläuferorganisationen waren inhaltlich unabdingbar für die Arbeit der späteren UNWCC, aber in politischer Hinsicht machtlos, ihr Anliegen durchzusetzen.190 Ihre Vorarbeiten trugen jedoch dazu bei, dass wichtige völkerrechtliche Konzepte entwickelt werden konnten.191 Zudem lässt sich aus den Unterlagen der Kommissionen erkennen, wie es langsam gelang, durch öffentlichen Druck und individuelle Lobbyarbeit auch britische Politiker für die Mitarbeit zu gewinnen, die sodann die Debatte im britischen Parlament aufbrachten und für die dringend benötigte Resonanz sorgten. Die meisten der Teilnehmer kamen aus den Exilstaaten Europas, die LIA öffnete sich aber auch für außereuropäische Staaten; China und Brasilien waren dort beispielsweise ständige Mitglieder, aber auch die USA.192 Dabei waren zunächst grundsätzliche Fragen der Legitimierung von Bedeutung. Es ging um die Frage, ob sie als eine Gemeinschaft der Nationen, die sich während des Krieges als „United Nations“ bezeichnete, überhaupt befugt sei, „juristisch gegen Täter vorzugehen, die Verbrechen gegen Zivilisten vor oder während des Krieges begangen hatten, und ob es irrelevant war, dass diese Verbrechen zum Zeitpunkt der Tat in dem Land, in dem sie verübt wurden, strafbar gewesen waren oder nicht.“193 Dabei war besonders wichtig, das Problem der Massengewalt gegenüber Zivilisten zu definieren. Es ging darum nachzuweisen, dass Zivilisten auch dann unter dem Schutz des Völkerrechts stünden, wenn der Staat selbst diese Verbrechen innerhalb seiner eigenen Grenzen, etwa gegen Minderheiten oder okkupierte Völker, verübt hatte, wofür bisher nur nationales Recht zuständig war. Die Cambridge Commission geht auf eine Konferenz in Cambridge vom 14. November 1941 zurück, die von Professoren, darunter vom Whewell-Lehrstuhl für internationales Recht unter Hersch Lauterpacht, angeregt worden war194 und die unter 189 190

191

192 193 194

Vgl. die Broschüre London International Assembly: The Punishment of War Criminals. Recommendations of the LIA, London 1944 (?). Lingen, Kerstin von: Setting the Path for the UNWCC: The Representation of European Exile Governments on the London International Assembly and the Commission for Penal Reconstruction and Development, 1941–1944, in: Criminal Law Forum (2014), S. 45–76. S. 47. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 23. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 371. Vgl. Teilnehmerliste der LIA The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 99. Schwelb, Egon: Crimes Against Humanity, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 178–226. S. 179. De Baer nimmt für sich in Anspruch, ebenfalls einer der Initiatoren der Konferenz gewesen zu sein, wobei jedoch unklar bleibt, wie er darauf hatte hinwirken können, so dass es möglicherweise als Profilierungsargument gegenüber seinem Pemierminister gelesen werden muss: „En Septembre 1941, à mon initiative, l’université de Cambridge a décidé d’instituer une commission internationale pour l’étude des crimes contre l’ordre public international.“ Vgl. Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 68. Weisers verweist hier auf den Briefwechsel De Baers mit Pierlot aus dem Natio-

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der Fragestellung stand, „how to handle the re-establishment of justice in Europe after the war“.195 Die Cambridge Commission setzte sich aus prominenten Völkerrechtlern Großbritanniens und europäischen Exiljuristen zusammen.196 Die meisten waren bereits bekannte Juristen ihrer Heimatländer, als sie von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen wurden. Sieht man sich die Teilnehmerlisten der ersten Treffen an, so fällt auf, dass nicht nur Akademiker und Universitätsprofessoren, sondern auch frühere Gerichtspräsidenten, Regierungsräte und sogar Justizminister unter den Teilnehmern waren.197 Obwohl klar der akademische Charakter im Vordergrund stand und man sich als wissenschaftliches Expertengremium verstand, lässt sich doch die Verbindung zu Politikern und Lobbyisten nachweisen (die teilweise auch bei den Meetings anwesend waren und deren erklärte Aufgabe es war, den britischen Regierungsstellen das Anliegen der Exilregierungen zu Gehör zu bringen).198 Dadurch erhielt die Arbeit der Kommission eine mindestens halboffizielle Note sowie einen öffentlichen Resonanzraum, betrachtet man es aus der Sicht der Exilregierungen. So erreichten die Beratungen zumindest ein kleines öffentliches Echo oder konnten ihre Themen in andere Gremien weitertragen. Wie Bush nachgewiesen hat, gab es schon zu diesem sehr frühen Zeitpunkt Bestrebungen, mit den Kollegen in den USA Kontakt aufzunehmen, so mit dem bekannten Kriminologen Sheldon Glueck in Harvard.199 Wohl aus dem Völkerbund übernahmen die Londoner Gremien die Bevorzugung von Fachleuten gegenüber der strikten Sitzverteilung nach Nationen. Dies wird beispielsweise dadurch erkennbar, dass auch ein deutscher Vertreter – der in die Emigration gezwungene jüdische Richter Otto Friedburg aus Berlin – an den Beratungen teilnahm.200 Es ist unwahrscheinlich, dass die Bestellung Friedburgs bereits auf eine

195

196

197

198

199 200

nalarchiv Brüssel, AGR, Archives des cabinets ministriels du Premier ministre Hubert Pierlot à Londres, dossier 513, lettre De Baer à Pierlot, 23.10.1943. Auch im Folgenden: TNA, LCO 2/ 2973. Sofern Zitate veröffentlicht sind, wird auf die Publikation der UNWCC verwiesen, vgl. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 95. Hierzu auch Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 371. Eine Auswertung der Akten der International Commission of Penal Reconstruction and Development hat ergeben, dass von 16 Mitgliedern aus Exilstaaten fünf frühere Justizminister waren, fünf waren Richter am Obersten Gerichtshof ihres Landes, zwei waren Juraprofessoren, weitere Mitglieder deren Assistenzprofessoren, vgl.: The National Archives, London (TNA), LCO 2/2973, Papers of the International Commission for Penal Reconstruction and Development, member list. Heumos, Peter: Die Emigration aus der Tschechoslowakei nach Westeuropa und dem Nahen Osten 1938-1945. Politisch-soziale Struktur, Organisation und Asylbedingungen der tschechischen, jüdischen, deutschen und slowakischen Flüchtlinge während des Nationalsozialismus : Darstellung und Dokumentation (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 63), München 1989, S. 28– 54. Heumos verweist besonders auf Kontakte zu Journalisten sowie zu Gewerkschaften. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2344. TNA, LCO 2/2973, Papers of the International Commission for Penal Reconstruction and Development, member list.

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Einbindung jüdischer Vertreter und damit ein Problembewusstsein für den Holocaust hindeutet – primär ging es darum, auch die Möglichkeiten zur Aburteilung von Kriegsverbrechen, die das deutsche Recht bot, zu analysieren, und dafür war Friedburg Fachmann.201 Die Cambridge Commission beschäftigte sich damit, völkerrechtliche Probleme von Kriegsverbrechen zu analysieren und zu debattieren, die in den Protokollen noch sehr vage als „crimes against international public order“ gefasst sind. Die Cambridge Commission gab zwar auch Berichte und Protokolle ab, sprach jedoch keine Empfehlung aus wie später die LIA. Sie sah ihre Aufgabe eher in der akademischen Grundlagenarbeit und in der Erhebung des Status quo – also einer Art Zusammenstellung der strafrechtlichen Grundlagen in den verschiedenen alliierten Ländern, die bereits zur Aburteilung von Kriegsverbrechen zur Verfügung standen. Zudem wies sie die beteiligten Nationen und Exilregierungen schon früh auf mögliche Probleme hin und drang darauf, nationale Gesetzgebung anzupassen, insbesondere in der Frage, wie Verbrechen gegen die eigenen Staatsangehörigen außerhalb des Staatsgebiets geahndet werden sollten.202 Die Form der Gründungsveranstaltung war eine wissenschaftliche Konferenz, veranstaltet, um drängende politische Fragen zur Ahndung von Kriegsgewalt zu debattieren. Man ist an die „Arenen der Verrechtlichung“ von St. Petersburg und Brüssel im 19. Jahrhundert erinnert, doch hier waren die Vorzeichen umgekehrt: Nicht Diplomaten, sondern Expertengremien luden zum Gedankenaustausch, mit dem klaren Ziel, neue Richtlinien auszuarbeiten. Thema der Konferenz vom 14. November 1941 waren „Rules and Procedure to Govern the Case of Crimes against International Public Order“. Die Einführung gab Prof. Arthur Goodhart, University of Oxford, der auch einer der Initiatoren der Konferenz war (zusammen mit Hersch Lauterpacht). Im Verlauf der Konferenz wurde vorgeschlagen, Arbeitsgruppen zu bilden, die „Crimes against International Public Order“ (es war noch nicht explizit von ‚war crimes‘ die Rede) verhandeln und definieren sollten. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen sollten an die neu zu formierende „International Commission for Penal Reconstruction and Development“ weitergeleitet werden. Vorsitzender dieser Cambridge Commission wurde Sir Arnold McNair, Vice-Chancellor der University of Liverpool und Vorgänger Lauterpachts auf dem Whewell-Lehrstuhl in Cambridge. Die Gruppe erhielt zunächst den Namen „Committee upon rules and procedure relating to punishment of crimes committed in the course of and incidental to the present war“.203 Die Akten der Cambridge Commission sind für die Definition von Kriegsverbrechen sehr aufschlussreich und haben später auszugsweise Eingang in die offizielle 201

202 203

Darauf deuten die Akten in TNA, TS 26/873 hin, vgl. August 1942, statement by Otto Friedburg re German law; responding statement by De Baer. Es gab zudem 1943 noch eine Stellungnahme eines weiteren jüdischen vertreters, Dr. Lehmann, zum Vertrag von Versailles. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 98. Auch im Folgenden: TNA, LCO 2/ 2973, Report De Baer, 24.8.1942.

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UNWCC-Publikation gefunden.204 So waren die Zwischenberichte der drei Subcommittees Auslöser für tiefergehende Debatten. Der Bericht De Baers zur Definition von Kriegsverbrechen und zum Stand der nationalen Möglichkeiten ihrer Bestrafung erhielt eine ausführliche Antwort von Glaser und Lauterpacht, auf welche wiederum De Baer antwortete.205 Die rege Korrespondenz- und Gutachtertätigkeit dieser Gremien ist bemerkenswert. Auf De Baers Bericht zu „National Law and Jurisdiction“ vom 22. Oktober 1942 gingen neun Antwortschreiben ein: von Simon, Lauterpacht, Beneš, de Moor, Bodson, Glaser, Stabell, Stavropoulos, zu denen De Baer seinerseits Stellung nahm. Auch der Bericht zum Befehlsnotstand vom 19. August 1942 wurde elfmal kommentiert, und zwar von De Baer selbst, von Tschoffen, Goodhart, Glaser, Aulie, Bodson, Beneš, Lauterpacht, Simon, Stavropoulos und de Moor. Die Arbeitsweise der Kommission war also vor allem schriftlich: Auf Englisch, in Ausnahmefällen auf Französisch oder sogar Deutsch, tauschten sich die Völkerrechtler in London über die einzelnen Standpunkte aus. Die Arbeitsgruppe, die sich mit der Frage der „Crimes against International Public Order“ und der Frage der Strafverfolgung beschäftigte, gab Teilnehmern die Möglichkeit, zu „the types of crimes to be punished, the courts which should adjudicate and the law to be applied“ ihre Meinung zu äußern.206 Das Ganze war in einer Art Fragebogensystem zur Datenerhebung strukturiert und sollte die Lücken des Völkerrechts deutlich machen. Sir Arnold McNair hatte am 28. April 1942 einen Fragebogen unter den Teilnehmern verteilt, um die nationale Rechtsprechung in Bezug auf Kriegsverbrechen in Belgien, Frankreich, Griechenland, Holland, Jugoslawien, Luxemburg, Norwegen, Polen und der Tschechoslowakei zusammenzufassen. Beim darauf folgenden Treffen vom 15. Juli 1942, das im Polnischen Institut stattfand, wurde die Gründung von drei Arbeitsgruppen beschlossen, um die Ergebnisse thematisch strukturiert zusammenzutragen.207 Die erste Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der Definition von Kriegsverbrechen, die zweite mit dem Befehlsnotstand und die dritte mit Fragen der Auslieferung. Gemäß den Fachgebieten der Mitglieder setzten sich Gruppen folgendermaßen zusammen: 1. Subcommittee Marcel De Baer (Belgien), Jean Burnay (France Libre), Stefan Glaser (Polen), Hersch Lauterpacht (Großbritannien) beschäftigte sich mit dem Konzept von Kriegsverbrechen, der Frage der Bestrafung und den Möglichkeiten, die nationales Recht sowohl vor zivilen als auch vor Militärgerichten bereits bot, unter der Fragestellung: „What war crimes can be dealt with in one of these ways?“ 204 205 206

207

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War. TNA, LCO 2/ 2973, Report De Baer, 24.8.1942. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 95. Mitglieder dieser Kommission waren M. Aulie (Norwegen), Dr. Beneš (Tschechoslowakei), M. Bodson (Luxemburg), Prof. Cassin (Frankreich), M. De Baer (Belgien), Dr. de Moor (Niederlande), Dr. Glaser (Polen), M. Kaeckenbeck (belgien), M. Stavrolpoulos (Griechenland) und Dr. Vlajic (Jugoslawien). TNA, LCO 2/2973. Report on Meeting 15.07.1942.

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2. Subcommittee Dr. De Moor (Niederlande) mit Prof. Goodhart (Oxford University) und Prof. Lauterpacht (Cambridge University) beschäftigte sich mit der Frage des Befehlsnotstands („defense of superior orders“). 3. Subcommittee Dr. Benes und Mr. Vlaitich analysierte das Verfahren der Auslieferung von Kriegsverbrechern.

Zudem gab es drei Fragen an die übrigen Kommissionsmitglieder, die diese in einer Art nationaler Stellungnahme schriftlich beantworten sollten: 1) Sollte nationaler Rechtsprechung vor Völkerrecht Vorrang gegeben werden? 2) Sollte der Waffenstillstandsvertrag eine Klausel zur Auslieferung von Kriegsverbrechern enthalten? 3) Sollten neutrale Staaten eine „Warnung“ erhalten, Kriegsverbrechern kein Asyl zu gewähren?208 Einige dieser Fragen waren im Januar in St James’s Palace formuliert, damals aber zurückgestellt worden. Nun war der Moment gekommen, auf der Sachebene die völkerrechtlichen Grundlagen zu diskutieren, die der Politik später als Entscheidungshilfe würden dienen können. Die drei Arbeitsgruppen gaben am 24. August 1942 ihre Berichte ab. Das Ergebnis der Überblickserhebung war, dass zwar die meisten Staaten in der Lage waren, Kriegsverbrechen vor nationalen Gerichtshöfen zur Verhandlung zu bringen, es aber einige Schwachstellen gab.209 So wurden konkrete Vorschläge gemacht. Um eine schnelle Prozesseröffnung zu gewährleisten, solle derjenige Staat, der gegen einen Kriegsverbrecher Anklage erheben würde, diesen schon im Vorhinein aus der Kriegsgefangenschaft überstellen lassen und zudem für die Vollstreckung des Urteils nach dem Prozess verantwortlich sein. Die Delegierten kamen außerdem überein, nationalem Recht den Vorrang vor Völkerrecht zu geben, sofern das möglich sei, und sprachen sich dafür aus, eine internationale Strafverfolgungsbehörde ins Leben zu rufen. Am 24. Oktober 1942 wurde eine zweite Fragenbogenaktion gestartet, diesmal ging es um „Meaning and Scope of War Crimes“.210 Der Vorsitzende, Sir Arnold McNair, fasste in einem weiteren Bericht seine Auffassung zum Stand der völkerrechtlichen Rechtsprechung zusammen, der ebenfalls kommentiert wurde (von De Baer, de Moor, Bodson und Glaser). McNair hatte vier Themenfelder definiert: a) locus des Verbrechens (territorial principle), b) Nationalität des Verbrechers, c) Verbrechen gegen einen Staat (injury to the State), d) Verbrechen gegen ein Individuum (injury to a National of the State). Die beiden Umfrageaktionen ergaben ein sehr komplexes Bild zur Jurisdiktion in Europa und den USA sowie in China und zeigen zudem den Grad der globalen Vernetzung. Zu diesem Zeitpunkt hatte De Baer bereits Kontakt zu dem US-Kriminologen Glueck aufgenommen und ihn um Stellungnahme gebeten; Glueck beschäftigte sich in den nachfolgenden Gremien dann ausführlich mit dem Thema ‚war criminals‘.211 208 209 210 211

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 96. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 323. TNA, LCO 2/2973, Questionnaire of 24.10.1942 on “Meaning and Scope of war Crimes”. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2344.

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Grundsätzlich stellte sich durch die Fragebogen heraus, dass das territoriale Prinzip überall in Europa galt, auch in den USA und in China, was bedeutete, dass Verbrechen, die sich auf Staatsgebiet ereigneten sowie auch auf Schiffen des Landes, auch vor den eigenen Gerichtshöfen geahndet werden konnten. Verbrechen, die von eigenen Staatsangehörigen anderswo verübt wurden, konnten von folgenden Staaten ebenfalls vor nationalen Gerichtshöfen geahndet werden: Belgien, China, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Polen, Sowjetunion, Tschechoslowakei, USA (es ist bemerkenswert, dass auch noch die Sowjetunion in alle Untersuchungen mit einbezogen wurde – dies wurde aber mit den Methoden des Rechtsvergleichs geleistet, es gab keinen russischen Vertreter in der Kommission212). Komplexer wurde das Bild mit den sogenannten ‚state crimes‘. Verbrechen gegenüber einem Staat („crimes committed by foreigners against a state“) konnten nur von folgenden Nationen geahndet werden: Belgien, China, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Polen und Tschechoslowakei; dies sei aber nicht möglich in den USA und in Großbritannien. Fast unmöglich war schließlich die Ahndung von Verbrechen, die sich nicht auf dem eigenen nationalen Territorium ereignet hatten („crimes committed abroad by nationals or foreigners against nationals of the state exercising jurisdiction“): Sie konnten nur von Belgien, Polen und Griechenland geahndet werden. Alternativ wurden statt regulärer Gerichte Militärgerichte in Erwägung gezogen, doch nur in Großbritannien, Frankreich und der Tschechoslowakei, wo Militärgerichte traditionell in Zeiten nationaler Not über zivilen Gerichten stehen, war es möglich, dass diese auch Zivilisten für Verbrechen verurteilten, wobei britische Militärgerichte dieses Recht auch bei Zivilisten außerhalb des eigenen Staatsgebiets ausüben konnten.213 Es zeigte sich jedoch, dass die von den Nationalsozialisten bekannten „neuen“ Typen von Verbrechen gegen Zivilisten besonders schwierig zu fassen waren: Die meisten nationalen Gerichte, so hatte die Auswertung ergeben, konnten bei Verbrechen wie dem Aushungern der Bevölkerung, politischem Mord oder Vertreibung nicht aktiv werden. Um die Lücken, die die nationale Gerichtsbarkeit im Hinblick auf die Kriegsverbrecherfrage aufwies, beizeiten zu schließen, wurden die Exilregierungen aufgefordert, ihre nationale Gesetzgebung anzupassen. Allerdings war man sich in Cambridge darüber im Klaren, dass das aus dem Exil heraus wahrscheinlich sehr schwierig werden würde. Die in der Cambridge Commision geführte Debatte um die Definition von Kriegsverbrechen erweiterte die akademische Lesart dessen, was als Kriegsverbrechen zu gelten habe, erheblich. Bis 1939 sah die wissenschaftliche Definition vor, dass Kriegsverbrechen vor Militärgerichtshöfen verhandelt werden mussten, die nach Kriegsrecht urteilten – eine Linie, die das britische Foreign Office übrigens noch bis zuletzt 212 213

Auch im Folgenden TNA, LCO 2/2973, Report presented at a full meeting of the Commission in London, 29.07.1943. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 97.

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vertrat –, und dass in solchen Verfahren nur Fälle verhandelt werden konnten, in denen eigene Staatsbürger Opfer von Kriegsverbrechen geworden waren oder sich die Verbrechen auf eigenem Staatsgebiet ereignet hatten.214 Viele Völkerrechtler hielten es für „juristisch unsauber, die Nationalsozialisten wegen Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, die sich innerhalb der deutschen Grenzen ereignet hatten“.215 Allerdings zeigte sich angesichts der Masse von Verbrechen, die die Nationalsozialisten an Zivilisten der besetzten Länder sowie an ihren eigenen Minderheiten verübten, dass man die Definition von Kriegsverbrechen erweitern musste. Zunächst sprach man von „war crimes and analogous offences“ (Kriegsverbrechen und ähnlichen Verbrechen).216 Die Definition des Begriffs (bzw. die Erweiterung der Oppenheim’schen Definition von 1906) war daher ein notwendiger erster Schritt, bevor man über eine Politik der Bestrafung sprechen konnte. Hersch Lauterpacht fasste in einem Memorandum 1942 die Definition von Kriegsverbrechen zusammen, die sich als Konsens herausgestellt hatte und als Basis für weitere Beratungen dienen konnte. Lauterpachts Definition, niedergelegt in einem ausführlichen Memorandum, das sich in den Akten erhalten hat, besagte: „War Crimes may properly be defined as such offences against the law of war as are criminal in the ordinary and accepted sense of fundamental rules of warfare and of general principles of criminal law by reason of their heinousness, their brutality, their ruthless disregard of the sanctity of human life and personality, or their wanton interference with rights of property unrelated to reasonably conceived requirements of military necessity“.217

Es gab daraufhin eine lebhafte Diskussion, und man einigte sich schließlich auf eine dreigeteilte Definition dessen, was unter Kriegsverbrechen zu verstehen sei: 1) „Acts connected with warfare and contrary to the laws of war e.g. use of poison gas, attacks on hospital ships, etc.“ 2) „Acts not connected with warfare committed: (a) without authority, e.g. rape, murder etc. (b) with the approval of or at the order of authority, e.g. mass murder, murder of hostages, deportation, etc.“ 3) „Serious crimes committed against property: (a) without authority, e.g. looting. (b) with the approval of or at the order of authority, e.g. wanton destruction, plundering of art treasures, etc.“218

214 215 216 217

218

Kochavi, Arieh J.: Britain and the Establishment of the UNWCC, in: English Historical Review April (1992), S. 323–349.S. 325. Schabas, William: An introduction to the International Criminal Court, Cambridge, UK, New York 4th ed. 2011, S. 42. Schwelb, Egon: Crimes Against Humanity, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 178–226. S. 185. TNA, LCO 2/2973, Memorandum Lauterpacht. Auszugsweise abgedruckt in The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 95. Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 97.

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Eine Arbeitsgruppe der Cambridge Commission beschäftigte sich auch bereits mit der Frage des Befehlsnotstands (superior orders), einem klassischen Verteidigungsargument in Kriegsverbrecherprozessen. Die Arbeitsgruppe befand, dass dieses Argument nur dann Gültigkeit habe, wenn der Befehl klar belegt von einem Vorgesetzten kam und nicht von vornherein als illegal zu erkennen gewesen sei („provided the order is not blatantly illegal“).219 Es sei besonders wichtig zu vermeiden, dass dies zu einer automatischen Verteidigungslinie werde. Auch praktische Fragen wurden diskutiert, insbesondere der Frage der Auslieferung, deren Unzulänglichkeit ja 1919 der Haupthinderungsgrund für internationale Strafverfahren gewesen war. Der tschechoslowakische Jurist Vaclav Beneš hatte zusammen mit dem jugoslawischen Delegierten Vlaitich einen Bericht zum Stand in Auslieferungsfragen vorgelegt.220 Sie empfahlen, die Frage der Auslieferung deutscher Kriegsverbrecher gleich in den Waffenstillstandsvertrag mit hineinzuschreiben und auch neutrale Staaten dazu zu verpflichten, dass sie für eine Dauer von drei Jahren nach Kriegsende die Auslieferung von Kriegsverbrechern „anders“ handhaben würden als die normaler Verbrecher.221 Gemeint ist hier wohl, dass die neutralen Staaten sich überlegen sollten, im Falle der Kriegsverbrecher eine Ausnahme von der Praxis der Nichtauslieferung zu machen. Dies war vermutlich ein Hinweis in die Richtung der Niederlande, die nach dem Ersten Weltkrieg dem deutschen Kaiser Asyl geboten hatten und damit seine Aburteilung als Kriegsverbrecher, die insbesondere die Briten favorisierten, aus Sicht der Alliierten unmöglich gemacht hatten. In ihrem Bericht vom 29. Juli 1943 beschäftigte sich die Cambridge Commission mit der Frage der Einrichtung eines International Criminal Court, die seit April 1942 mehrfach und sehr kontrovers diskutiert worden war. Im Bericht wurde empfohlen, einen internationalen Strafgerichtshof ins Leben zu rufen; er solle sich insbesondere mit Verbrechen an sogenannten „Staatenlosen“ (gemeint waren hier speziell jüdische Opfer) beschäftigen, denn dies stelle eine Rechtslücke dar.222 Kritiker (unter der Führung des britischen Juristen und Gremienvorsitzenden Arnold McNair) lehnten diese Idee jedoch rundweg ab. McNair gab zu bedenken, dass die Einrichtung eines solchen internationalen Gerichtshofs wahrscheinlich zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde und es daher praktikabler sei, auf existierende nationale Gerichtshöfe zurückzugreifen.223 Es kam zu einer großen Debatte um die Frage, ob man dafür zunächst ein „United Nations Territory“ definieren müsse. McNair sprach sich 219 220 221 222

223

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 98. TNA, LCO 2/2973, Report by Dr Benes and M. Vlaitich on Extradition. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 98. TNA, LCO 2/2973, Report presented at a full meeting of the Commission in London, 29.07.1943. Auszugsweise abgedruckt in The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 97. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 97.

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schriftlich gegen einen solchen Gerichtshof aus, die Einrichtung würde zu lange dauern, man würde Probleme mit Ex-post-facto-Rechtsgrundlagen (dem Rückwirkungsverbot) bekommen, und die Frage, ob Sieger berechtigt seien, über Besiegte zu Gericht zu sitzen, müsse beantwortet werden, auch praktische Probleme wie die Durchführung des Strafvollzugs und von Exekutionen seien zu klären.224 Zuletzt wies McNair darauf hin, dass sich alle alliierten Staaten einig sein müssten, dass sie einen solchen Gerichtshof wünschten, und dass sie dann auch bereit sein müssten, diesem Gerichtshof nationale und damit souveräne Rechte zu übertragen. Der Vorschlag wurde nach dieser Intervention abgelehnt. Ecer, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst aus Paris nach London gekommen war und daher an früheren Verhandlungen nicht teilgenommen hatte, schaltete sich unverzüglich in die Debatten ein und argumentierte engagiert für einen internationalen Strafgerichtshof. Rückblickend lässt sich seine Enttäuschung an seiner Bemerkung erkennen, die Cambridge Commission habe eigentlich keine rechten Ergebnisse gebracht und sei den wirklich zentralen Fragen ausgewichen, insbesondere in Bezug auf die Ahndung von Kriegsverbrechen.225 Er charakterisierte McNair in seinen Aufzeichnungen als einen typischen Vertreter britischer Jurisprudenz, deren Vertreter alle „vor dem Verbrechen kapitulierten, weil sie noch keine Normen dafür kannten“.226 Zudem sei McNair einer der „Münchner“ – ein Begriff, der besonders in den tschechoslowakischen Beiträgen häufig auftaucht und, in Anspielung auf das Versagen der britischen Diplomatie 1938 in München und deren Beitrag zur Zerschlagung der Tschechoslowakei, durchaus pejorativ gemeint war. Die britische Zusammenfassung, die sich in den Akten des Lord Chancellor erhalten hat, beinhaltet eine indirekte Kritik Simons an McNairs Stellungnahme; sie trägt an dieser Stelle die handschriftliche Notiz: „Is a Jap who commits torture in Hongkong [sic] trialed at the Old Bailey?“227 Hierin spiegelt sich die Sorge, ob die Zuständigkeit nationaler Gerichte (hier: des Londoner Gerichts Old Bailey) für Kriegsverbrechen diese nicht überfordern werde und man daher nicht doch einer einheitlichen internationalen Lösung den Vorzug geben solle. Es zeigt sich darin aber auch der außenpolitische Kontext: Seit Bekanntwerden der Misshandlungen britischer Kriegsgefangener durch japanische Truppen bei der Einnahme von Hongkong Anfang des Jahres 1942, die in der Presse breit debattiert wurden,228 dämmerte den britischen Regierungsstellen, dass das Kriegsverbrecherproblem kein auf Europa beschränktes Phänomen sein würde, sondern dass es zunehmend britische Soldaten im Pazifikkrieg betraf und somit eine globale Dimension besaß, weswegen man ein einheitliches internationales Vorgehen abstimmen müsse. 224 225 226 227 228

TNA, LCO 2/2973, Report of the Chairman A. McNair, o. Dat. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 68. Ecer, Bohuslav: Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus), Brně 1946. S. 22. TNA; LCO 2/ 2973, Report of the Chairman A. McNair, o. Dat. Handschriftliche Notiz. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 327.

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Die zweite Vorgängerorganisation der UNWCC, die London International Assembly (LIA) war kein akamdemischer Zusammenschluss, sondern bereits ein semioffizielles Gremium. Sie wurde unter der Schirmherrschaft der League of Nations Union (LNU), einer britischen Friedensorganisation,229 unter Viscount Robert Cecil of Chelwood am 20. Oktober 1941 gegründet.230 Großbritannien war über den Vorstoß vorab informiert. Lord Cecil selbst war 1919 Mitglied der britischen Delegation in Versailles, im Völkerbund unter anderem der Vorsitzende der Rüstungsbeschränkungs-Kommission gewesen und ebenfalls Vorsitzender der LNU.231 Es ist auffallend, dass sich hier eine der zivilgesellschaftlichen Organisationen der Zwischenkriegszeit direkt in die Debatten der völkerrechtlichen think tanks einschaltete. Die LNU war in den Genfer Jahren zu einem transnational vernetzten Akteur aufgestiegen.232 Mit der LIA setzte die LNU dieses Engagement für die Ächtung von Kriegsgewalt nun im Zweiten Weltkrieg fort. Lord Cecil selbst war im September 1940, unter dem Eindruck des Kriegsausbruchs, mit einem „Memorandum on World Settlement after the War“ hervorgetreten, in welchem er eine internationale Staatengemeinschaft propagierte. Dort mahnte er, dem Recht müsse zur Durchsetzung verholfen werden, und zwar dahin gehend, dass selbst souveräne Nationalstaaten sich allgemeingültigen Regeln unterwerfen müssten („the souvereignty of nations should be limited by certain fundamental principles such as good-faith and justice and the rejection of force as the sole arbiter of international rights“).233 Der LIA gehörten Vertreter der alliierten (Exil-)Regierungen an, die momentan in London versammelt waren, aber auch Vertreter Großbritanniens, der USA, In-

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Die Akten der LNU befinden sich in der London School of Economics (LSE), die Akten zur Gründung der LIA liegen unter LNU/ 6/ 5. Schriftwechsel zwischen der LNU und dem britischen Foreign Office befinden sich auch in TNA, FO 371/ 51011. Der LSE-Katalog vermerkt: „The League of Nations Union (LNU) was formed by the merger of the League of Free Nations Association and the League of Nations Society, two groups working for the establishment of a new world order based upon the ideals of the League of Nations. It became the largest and most influential organisation in the British peace movement, played an important role in inter-war politics, and launched education programmes that had a lasting impact on British schools. The LNU’s popularity dwindled during World War Two, and when the United Nations Association (UNA) was founded in 1945 to promote the work of the United Nations, the LNU arranged for the wholesale transference of its organisational structure and its membership to the UNA.“ Zur Geschichte der Einsetzung der LIA vgl. die Broschüre London International Assembly, The Punishment of War Criminals. Recommendations of the LIA. Zu den Hintergründen im Foreign Office vgl. TNA, FO 371/ 51011, League of Nations Union: Proposals for a Public Unofficial International Conference in London, o. Dat. Birn, Donald S.: The League of Nations Union and Collective Security, in: Journal of Contemporary History 9/(3) (1974), S. 131–159. S. 131. McCarthy, Helen: The Lifeblood of the League? Voluntary Associations and League of Nations Activism in Britain, in: Internationalism reconfigured. Transnational ideas and movements between the World Wars (International library of twentieth century history v. 34), hrsg. v. Daniel Laqua, London, New York 2011, S. 187–208. Abgedruckt in Cecil of Chelwood, Lord Robert: A Great Experiment. An Autobiography, New York 1941, S. 367–372, hier S. 368.

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diens, Brasiliens, Ägyptens und Chinas sowie ein „Beobachter“ aus der Sowjetunion.234 Hierin zeigte sich erstmals der globale Charakter. Insbesondere China verriet großes Interesse an den tschechoslowakischen Bestrebungen, eine Rechtsgrundlage für die NS-Verbrechen vor 1939 zu finden, denn das Land befand sich wegen der Besetzung der Mandschurei durch Japan vor Kriegsausbruch in einer ähnlichen Situation. Vorsitzender wurde Marcel De Baer – ein, wie Ecer bilanziert, „sehr reger Vorsitzender“.235 Es lässt sich anhand der Liste der Teilnehmer zudem belegen, dass erneut Otto Friedburg Mitglied war; Friedburg hatte zuvor schon in der Cambridge Commission gesessen, allerdings nur als passives Mitglied.236 Er war, wie bereits dargelegt, einer von mehreren aus dem Deutschen Reich emigrierten Juristen, die im Verlauf der Arbeit der LIA als Experten angehört wurden, und widerlegt dadurch das eigentlich nationalstaatlich ausgerichtete Prinzip von internationalen Gremien. Hier wollte man in der Sache weiterkommen und zog nach dem Vorbild des Völkerbunds, wo Lord Cecil mitgearbeitet hatte, Experten hinzu, die geeignet waren, bestimmte Sachfragen zu beantworten. Friedburg wurde ausdrücklich nicht als jüdischer Interessenvertreter hinzugezogen. Die LIA traf sich ungefähr 30-mal und legte im Dezember 1943 unter dem Titel „Reports on the Punishment of War Crimes“ einen später gedruckten Abschlussbericht vor, der 450 Seiten lang war und vor allem Vorschläge an die Alliierten enthielt, wie mit der Kriegsverbrecherfrage umgegangen werden solle. Hauptverdienst der LIA ist, dass sie mit ihrer Arbeit den Grundstock legte – sei es in den Überlegungen zur Strafverfolgung, sei es in der Definition der Straftatbestände. Der von ihr herausgegebene Bericht bildete während des Krieges die einzige gedruckte Grundlage, an der sich Juristen orientieren konnten.237 Er half gleichzeitig, die Debatte in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Arbeit der LIA wurde von den Regierungen in London und Washington aufmerksam verfolgt. Es war vereinbart worden, dass die Kommission möglichst unauffällig arbeiten und die Presse nicht über sie berichten sollte.238 Dies führte jedoch dazu, dass die Delegierten nach alternativen Wegen suchten (etwa über ein Parlamentsmitglied oder einen Pressevertreter), anderen über ihre Arbeit zu berichten, damit die Debatten einen größeren öffentlichen Resonanzraum erhielten. De Baer war im Herstellen solcher Verbindungen besonders einfallsreich. Eine Analyse seines privaten Nachlasses hat ergeben, dass er in den Jahren 1942/43 eine rege Vortragstätigkeit entfaltete, außer in Großbritannien sogar in die USA, um auf das Pro234 235 236 237 238

London International Assembly, The Punishment of War Criminals. Recommendations of the LIA. Teilnehmerliste im Anhang der Broschüre. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 68. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 99. Es ist William Schabas gelungen, ein Exemplar in der British Library zu lokalisieren, mit welchem hier gearbeitet wurde. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 99.

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blem der Kriegsverbrecherprozesse und der rechtlichen Schwierigkeiten zu verweisen und für die transnationale Expertengremien Londons Verständnis zu wecken – und um für die Arbeit der LIA zu werben.239 Die LIA war der Ausrichtung nach ein internationales Gremium, allerdings ohne direkte Verbindung zur Politik – heute würde man sie wahrscheinlich als NGO bezeichnen. Viele der Mitglieder der LIA spielten in ihren Heimatländern Schlüsselrollen und „were in a position to speak authoritatively, the discussions in the Commission and in the Assembly soon found an echo in legislative assemblies and government circles.“240 Nach der Gründungsversammlung trat zunächst eine Pause ein, und erst ab März 1942 begann die eigentliche Arbeit, als die LIA eine Kommission einsetzte, um die Schlüsselfragen der Kriegsverbrecherpolitik zu diskutieren. Diese lauteten: „1. Will adequate punishment of all war criminals be procurable by the application of the penal code of each nation? 2. Concerning the criminals in respect of whom the municipal law provides means of punishment, is it desirable that any or all of them should be dealt with according to national law? 3. Concerning the criminals in respect of whom the sole application of municipal law is undesirable, upon what legal canons can a system of punishment be based?“241

Darauf antworteten mehrere Delegierte mit schriftlichen Stellungnahmen, unter ihnen LIA-Präsident De Baer, der Ehrenvorsitzende, Lord Maugham, dann René Cassin und als Gast der gerade nach England emigrierte österreichische Jurist Georg Lelewer.242 Der belgische Jurist und Richter Marcel De Baer, der als Präsident der LIA fungierte, war besonders engagiert, geht man nach seinen unzähligen Stellungnahmen und Memoranda. Auch in der Definitionsfrage brachte De Baer sich ein. Er hob hervor, dass der Begriff Kriegsverbrechen zwar einerseits einen Verstoß gegen nationale Gesetze bedeute, die man natürlich vor nationalen Gerichtshöfen ahnden könne, jedoch dass Kriegsverbrechen gleichzeitig in einem weiteren Sinne auch als Völkerrechtsverletzungen verstanden werden könnten, als „Verbrechen gegen das ius gentium oder gegen internationale Vereinbarungen (wie die Haager oder Genfer Konvention) oder gegen ethische Richtlinien, die nirgendwo niedergelegt sind, aber zum Allgemeingut gehören und für die bisher zum Teil noch keine Sanktionen festgelegt 239 240 241 242

N De Baer, im Besitz der Enkelin, Jacqueline Loughton-Scott, London. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 99. TNA, TS 26/873, Questions submitted for consideration by the chairman, May 1942. TNA, TS 26/873, Memorandum on the Trial of War Crimes by the rt. Hon. Viscount Maugham, 3 pages; Note on Violations of the Laws and Customs of War since September 1939 by Prof. Cassin, 14 pages; The Punishment of War Criminals by Dr. Ecer, October 1942, 4 pages; Proceedings against Quislings and Nazi Criminals by Prof. Lelewer, 5 pages; The Punishment of War criminals after the first world war by M. De Baer, 8 pages.

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wurden.“243 Die Notwendigkeit, eine neue juristische Kategorie zu etablieren, wie es mit dem Konzept von crimes against humanity später geschah, ist im zweiten Teil seiner Definition schon angelegt. Die Sitzung vom 28. September 1942, die unter Vorsitz von Lord Cecil stattfand, nutzte De Baer für ein grundsätzliches Statement zur Frage der Strafverfolgung. Sein persönliches Engagement, insbesondere sein belgischer Hintergrund, aus dem heraus er eine Verbindung zum Ersten Weltkrieg zog, wird schon in seinen Eingangsbemerkungen deutlich: „This War calls for retribution. The Germans and Japanese and the other Axis partners must be punished for what they have done to us. At the end of the last war, the effect of victory was lost because the aggression remained unpunished: Germany was not made to suffer, and the individual criminals were not punished. This must not be allowed to happen again. It must be brought to the knowledge of future generations that, with each war, the aggressor will be made to suffer more severely and that it does not pay to attack other nations.“244

Der Begriff der ‚retribution‘ taucht tatsächlich vor allem in öffentlichen Erklärungen auf, etwa in französischen wie belgischen Dokumenten. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn es könnte sich auch um ein Übersetzungsproblem handeln, da „retribution“ im Französischen das Wort für „Abrechnung“ ist und nicht der im Englischen eher pejorativen Dimension von „gewalttätiger Abrechnung“ entspricht. Erkennbar ist in der Begriffswahl jedoch auch ein propagandistischer Charakter, der möglicherweise den Durchhaltewillen der Bevölkerung unter deutscher Besetzung stärken sollte. So hatte auch der belgische Justizminister Antoine Delfosse in einer Radioansprache vom 14. Januar 1943 betont, dass die Exilregierung für alle verübten Verbrechen Rache nehmen werde, denn die Deutschen hätten sich außerhalb der Zivilisation gestellt: „Le traité de paix tranchera définitivement le sort de l’Allemagne et la mettra pour jamais hors d’état de nuire. Mais il appartiendra aux gouvernements alliés de tirer vengeance – une vengeance légitime et conforme à la morale des pays civilisés – de tous les criminels qui ont violé les lois de la guerre.“245

De Baer sprach sich für „just punishment“ aus, die Grundlage hierzu sei durch die St-James-Deklaration und die verschiedenen Absichtserklärungen von Roosevelt und Churchill gelegt worden. Dabei gab er auch eine Definition von ‚war crimes‘ ab: „By war crimes, we mean all the crimes which are sufficiently heinous and import243

244 245

TNA, TS 26/873, London International Assembly, reports on Punishment of war Crimes; proposal of M. de Baer “Suggestions for the scope of work for the commission, provisional plan of work”, April 1942. LSE, LNU 6/5, Proceedings of the 12th meeting of the LIA, 28.09.1942, held at Goldsmith’ Hall, London. Ich danke William Schabs, dass er mich auf dieses Dokument aufmerksam gemacht hat. Radioansprache Delfosse, CEGES, AA418, Inbel 1003, 14.1.1943. Zitiert nach Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 73.

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ant to make them the concern of humanity, represented by the United Nations.“246 Bemerkenswert ist, wie hier bereits der Begriff ‚United Nations‘ verwendet wird. De Baer machte zudem den Vorschlag, dass von den Regierungen der Vereinten Nationen schnellstmöglich ein Protokoll beschlossen werden solle, in dem entschieden werde, welche Verbrechen als Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt werden sollten, um Grundsätzliches festzulegen: „[…] at the earliest possible moment, a Protocol should be agreed between the Governments of the United Nations, defining what acts should be punishable as war crimes, and setting up machinery for the prosecution and punishment of such crimes, to take effect immediately after the Armistice.“247 Diese Koordinierungsaufgabe sollte später die UNWCC übernehmen. Am beeindruckendsten in den Akten der LIA ist sicherlich die Debatte um die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs.248 Die Überlegungen dazu, einen gemeinsamen internationalen Kriegsverbrecher-Strafgerichtshof aufzubauen, zielten darauf ab, einen juristischen Präzedenzfall zu schaffen; die Debatte um ein internationales Tribunal gibt daher Einblick in ein interessantes Laboratorium für Völkerrechtsentwicklungen, die ohne den Handlungsdruck der Kriegszeit wohl nicht so schnell zum Abschluss gekommen wären.249 Die Frage, ob man nicht einem internationalen Strafgerichtshof den Vorzug geben solle, wurde bekanntlich bereits im Völkerbund diskutiert – der belgische Delegierte, Baron Descamps, hatte bereits 1920 einen entsprechenden Vorschlag gemacht250 (der im Übrigen von den Friedensverbänden, darunter auch Lord Cecil, unterstützt worden war) und trat 1937 erneut an den Völkerbund mit dem Vorschlag heran, ein Gremium zu schaffen, das internationale Verbrechen aburteilen könne, „recognized by the civilized nations, but also by the public conscience and the dictates of the legal conscience of civilized nations.“251 Er bemühte hier wiederum die Verbindung zum Zivilisationsstandard, die aus der Martens-Klausel bereits bekannt ist. Das dritte Committee des Völkerbundes hatte Descamps’ Vorschlag 1937 jedoch als „premature“ zurückgewiesen. Nun tauchten die Formulierungen der damaligen Debatten in den Vorlagen der Londoner Gremien wieder auf; dies scheint kein Zufall zu sein, waren doch einige Mitglieder zuvor Delegierte im Völkerbund gewesen.252

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LSE, LNU 6/5, Proceedings of the 12th meeting of the LIA, 28.09.1942, S. 6 (Paginierung: 151). The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 99; Reports of the Punishment of War Criminals: London International Assembly, S. 99. Vgl. hierzu auch Schabas, William: The United Nations War Crimes Commission’s Proposal For An International Criminal Court, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 171–189. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 472. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 437. Zitiert nach Schabas, An introduction to the International Criminal Court, S. 5. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 102. Es handelte sich um folgende Entwürfe:

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Die LIA schuf nun in sechs Punkten eine Diskussionsgrundlage, von der aus weitergearbeitet werden konnte. Der erste Punkt betraf die Frage der Definition dessen, was als Kriegsverbrechen zu gelten habe. Seit Juli 1942 hatte die Kommission diskutiert, ob „the violation of the Kellogg-Briand Pact, i.e. aggression, and crimes committed in Germany against Jews and stateless persons, which later became known as crimes against humanity, should not be included in the scheme of punishment“.253 Mehrere Mitglieder verfassten Memoranda, so Vaclav Beneš zu „The Question of the Definition of war crimes“, Ecer zu „The Crime of Aggressive War“ und De Baer zum Kellogg-Briand-Pakt.254 In Ecers Memorandum ist die persönliche Betroffenheit zu erkennen, die aus seiner Beschäftigung mit der Annexion der Tschechoslowakei 1938 resultierte: „(a) Aggressive war is a crime, and by its character an international crime, because it aims against peace and international order. The total aggressive war started by Germany and her allies in 1939 is additionally an international crime in its territorial extent and the number of victims of the aggression. (b) Not only the aggressor States as such, but also their rulers and military leaders are personally responsible in the eyes of the law for the gigantic chain of crimes which compose this war and which are punishable under the criminal laws of the countries affected. (c) The penalty according to all these laws is death.“

Diese LIA-Debatte fand ihre transnationale Entsprechung in den USA, wo Sheldon Glueck und William Chanler die Diskussion vorantrieben, wie Bush nachgewiesen hat.255 Hierbei ging es um die Frage, ob ‚crimes against peace‘ ein neuer Straftatbestand oder durch den Kellogg-Briand-Pakt und dessen Ratifizierung seit den 1930er Jahren im Völkerrecht bereits etabliert sei und daher nun zur Verfügung stehe, wenn auch unter neuem Namen. Die Commission betonte in ihrem Bericht die moralischen Grundlagen des Kriegsvölkerrechts und beschwor das Gewissen der Menschheit (the public conscience) und dessen Gewohnheit (hier klingt der Zivilisationsstandard durch): „The concept of war crimes is not a stable one, since it is subject to change according to the events of war […] and therefore, mainly governed by moral law, the conscience of mankind and custom“.256

253 254

255 256

proceedings of the Geneva Conference on the Repression of Terrorism, Report of the Vienna Conference of the International Law Association. Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 100. TNA, TS 26/873, The Question of the Definition of war crimes, by Dr. Benes, Sep. 1943, 3 pages; The Crime of aggressive War by Dr. Ecer, 8 pages; The Crime of Present Interest on the pact of Paris by Baer, Nov. 1943. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. Hier S. 2335–2336. Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 100.

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Für eine zeitgemäßere Definition von Kriegsverbrechen sei es daher unerlässlich, die Definition zu erweitern und zusätzliche Punkte mit einzuschließen, nämlich „the preparation and the waging of an aggressive war, and crimes committed, within or outside any Axis country, for the purpose of racial or political extermination“.257 Dabei wurde der Begriff crimes against humanity folgendermaßen umschrieben (ohne dass der Begriff selbst allerdings auftauchte): „crimes in respect of which no national court had jurisdiction (e.g. crimes committed against Jews and stateless persons and possibly against Allied nationals in Germany)“. Die UNWCC-Geschichte vermerkt hier: „This category was meant to include offences subsequently described as crimes against humanity“.258 Man diskutierte des Weiteren darüber, einen Passus aufzunehmen, der Verbrechen gegen den Frieden auch nach dem Waffenstillstand ahnden könne; dies wurde jedoch angesichts der zu erwartenden militärischen Besatzung des Deutschen Reiches für nicht notwendig erachtet.259 Der zweite der sechs Problemkreise betraf den Bereich Ergreifung von Kriegsverbrechern. Die jeweiligen Gesetze in den verschiedenen alliierten Staaten waren komplex und boten Schlupflöcher, die sich auch Kriegsverbrecher zunutze machen konnten, indem sie beispielsweise in einem Staat vor dem Auslieferungsgesuch eines anderen Staates Schutz suchten. Daher wurde beschlossen, neue Regelungen vorzuschlagen: Sollte ein Kriegsverbrecher der Achsenmächte von einem alliierten Staat zur Auslieferung angefordert sein, so müsse diese unmittelbar nach dem Waffenstillstand erfolgen, sonst drohten schwerste Strafen.260 Darunter fiel auch die Frage der Auslieferung von Kriegsverbrechern von einem alliierten Staat in den anderen: Diese sei bis drei Jahre nach dem Waffenstillstand möglich. Der dritte Problemkreis war mit der Frage nach der Einrichtung eines International Criminal Court benannt, die seit April 1942 mehrfach und sehr kontrovers diskutiert worden war. De Baer legte einen Entwurf für ein Statut eines solchen Gerichtshofs bei.261 Auch der US-Jurist Sheldon Glueck von der Harvard Law School, ursprünglich aus Warschau stammend,262 legte ein Memorandum zur Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs vor.263 Glueck betonte zudem in seiner vielbeachteten Schrift zu den Kriegsverbrecherprozessen, gerade angesichts der Teilhabe weiter Bevölkerungskreise an der NS-Verfolgungs- und -Ausrottungspolitik müsse eine justizförmige Abrechnung dafür sorgen, das durch Komplizenschaft ent-

257 258 259 260 261 262 263

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 100. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 103. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 101. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 104. TNA, TS 26/873, Draft Convention for the establishment of an ICC, by de Baer, November 1943. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 115. TNA, TS 26/873, Memorandum Sheldon Glueck, 30.06.1943.

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standene Gemeinschaftsgefühl zu brechen.264 Zudem äußerten sich in der Diskussion dazu Lord Maugham, Lord Cecil, de Moor, Cassin, Winiarski und Justizminister Bodson. Im Abschlussbericht vom Oktober 1943265 empfahl die Commission die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs, riet jedoch gleichzeitig dazu, dessen Kompetenzen nicht auf Kriegsverbrechen zu beschränken, sondern um Punkte wie „Aggression“ zu erweitern. Seine Rechtsprechung sollte in folgenden Fällen greifen: falls keiner der nationalen Gerichtshöfe zuständig sei;266 wenn ein UN-Staat zwar zuständig sei, aber nicht verfolgen wolle; wenn die Verbrechen sich in mehreren Staaten oder unter Einbeziehung von Opfern aus verschiedenen Staaten ereignet hatten; wenn Verbrechen durch den Staatschef selbst angeordnet worden seien. Hier bilden sich die späteren internationalen Gerichtshöfe der 1990er Jahre in Struktur und Organisation ganz klar bereits ab, zudem wird erstmals offen von UN-Mitgliedstaaten gesprochen, obwohl die UN als Organisation noch nicht gegründet waren. Weinke weist zudem darauf hin, die Idee und die Forderung eines Strafgerichtshofs beruhten auf dem „utopischen, weil die Existenz eines universellen Moral unterstellenden Gedanken, der NS-Terror sei als die Angelegenheit einer gedachten internationalen Gemeinschaft zu betrachten, die gemeinsame Werte der Humanität und Moralität zu verteidigen habe.“267 Sollte man einem internationalen Gerichtshof den Vorzug geben, so der LIA-Bericht weiter, sei jedoch Voraussetzung, dass man sich auf eine völkerrechtliche Grundlage verständige, die zuvor zwischen den Alliierten diskutiert werden müsse. Sollten diese sich nicht einigen können, werde das alte Prinzip des Völkergewohnheitsrechts – und damit der Bezug auf die Martens-Klausel und ihren „Zivilisationsstandard“ – wieder greifen: „international custom, treaties, the generally accepted principles of criminal law, as well as judicial precedents and doctrine“.268 Die LIA empfahl für einen solchen internationalen Gerichtshof die Bestellung eines „chief prosecutor“, der im Namen der „United Nations“ agieren solle,269 und weiterer Vertreter aus den alliierten Staaten, die darüber befinden sollten, welche Fälle vor den internationalen Gerichtshof gebracht werden dürften. Es ist bemerkenswert, dass insbesondere dieser Punkt wieder von der Fachöffentlichkeit aufgegriffen und in wissenschaftlichen Artikeln ausführlich rezipiert (und damit verbreitet) wurde, unter 264 265 266

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Analyse hierzu bei Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 115. Vgl. den Originaltext von Glueck, Sheldon: Trial and Punishment of the Axis War Criminals, in: Free World 4 (1942), S. 136. Dieser findet sich auch in NAA, A 2937/273. LIA, Commission 1, Report on the Punishment of War Criminals, o. dat., wahrscheinlich 23.8.1943. TNA, TS 26/873, Note on an International Criminal Court, by M. de Baer, September 1943; Report on the Constitution of and the Jurisdiction to be conferred on an International Criminal Court by Dr. J. De Moor. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 116. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 103. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 103.

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anderem in Veröffentlichungen von Sheldon Glueck und Hans Kelsen sowie in begleitenden Artikeln von Qunicy Wright.270 Die vierte der sechs Fragen betraf die Verantwortung von Staatschefs, Oberbefehlshabern und „key men“. Ecer und Glueck wiesen in zwei sehr ausführlichen Memoranda insbesondere die Sicht der US-Delegierten auf der Versailler Friedenskonferenz von 1919 zurück, nach der Staatschefs nur von eigenen nationalen Gerichten abgeurteilt werden könnten. 271 Die LIA beklagte, dass es in der Vergangenheit nicht möglich gewesen sei, Staatschefs vor Gericht zu bringen, und unterstrich, dass, wer Befehle erlassen könne, auch die Verantwortung dafür tragen müsse, genau wie diejenigen, die diese Befehle dann ausführten. Hier deutete sich das Prinzip der individuellen Haftung an. Die fünfte Frage beschäftigte sich mit dem Problem des Ortes der Rechtsprechung und hielt fest, es sei grundsätzlich nationaler Rechtsprechung der Vorzug zu geben,272 allerdings müsse man schon während des andauernden Konfliktes darauf achten, dass alle Staaten ihre Rechtsprechung mit Blick auf die Nachkriegsprozesse anpassten.273 Diese Anpassung erfolgte in den meisten Fällen in Europa tatsächlich unverzüglich nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Okkupation. Auch Militärgerichtshöfe wurden als Alternative diskutiert.274 Da es mit der bisherigen Rechtsprechung nicht möglich sei, Verbrechen von deutschen Tätern auf deutschem Boden zu ahnden, könne hier nur ein internationaler Strafgerichtshof eine Lösung bieten. Im sechsten und letzten Punkt hielt der Bericht den völkerrechtlichen Stand in der Frage des Befehlsnotstands fest. De Moor, De Baer und Ecer hatten in Memoranda die Meinung vertreten, dass die Bestrafung von Kriegsverbrechen immer vor dem Problem stünde, dass Untergebene sich auf die Befehle von oben berufen und dahinter verstecken könnten.275 Dem sei folgendermaßen entgegenzutreten: Das Argument des Befehlsnotstands sei im Einzelfall zu prüfen, denn es könne ja sein, dass tatsächlich Handlungszwang vorgelegen habe. 276 Dies gelte nicht für Befehle, 270

271 272 273

274 275 276

Glueck, Sheldon: By what Tribunal shall War Offenders be tried?, in: Harvard Law Review 56 (1943), S. 1059–1089.; Glueck, Sheldon: War Criminals: Their Prosecution and Punishment, New York 1944; Wright, Quincy: Permissive Sanctions against Aggression, in: The American Journal of International Law, Vol. 36, No. 1 (1942), S. 103–106.; Kelsen, Hans: Compulsory Adjudication of International Disputes, in: The American Journal of International Law, 37/(3) (1943), S. 397–406. TNA, TS 26/873, Liability of Heads of State; The Penal Responsibility of Heads of Axis-States by Dr. Ecer, 28.04.1943; Liability of Heads of State by Prof. Sheldon Glueck, October 1943. TNA, TS 26/873, Extraterritorial operation of criminal law in the domestic laws of the United Nations by M. de Baer, June 1942. TNA, TS 26/873, Reservations Personnelles Presentees par le Prof. Rene Cassin; vgl. auch The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 99, 102. TNA, TS 26/873, A note on the jurisdiction on military courts concerning war crimes, by Baer, February 1943; The U.S point of View, 1 page. TNA, TS 26/873, Preliminary Report of the plea of Superior order by Dr. Moor and Dr. Baer; Criminels de guerre allemands, by Dr. Ecer, 29.03.1943. TNA, TS 26/873, Preliminary Report of the plea of Superior order by Dr. Moor and Dr. Baer. Auszugsweise wiedergegeben in The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 101.

1. BEGINN EINER GLOBALEN KRIEGSVERBRECHERPOLITIK

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die erkennbar verbrecherisch seien, „if the act was obviously so heinous that it could not be accomplished without revolting the conscience of an average human being“, und es gelte auch nicht für Mitglieder einer Gruppe, die für die Ausführung derartiger Mordbefehle bekannt war.277 Hier lässt sich das Prinzip der später in Nürnberg angewandten Gruppenanklage für ‚criminal organizations‘ erkennen (gemeint war die Zugehörigkeit etwa zur Gestapo oder zu SS-Einheiten). Im Abschlussbericht der LIA wurde erstmals dezidiert die Judenvernichtung als Kriegsverbrechen benannt, was auffallend ist. Die LIA urteilte, dass die Nationalsozialisten zwar versuchten, den Maßnahmen zur Entrechtung der Juden in diversen neuen Verordnungen und Gesetzen einen legalistischen Anstrich zu geben, dies aber nach dem Krieg rückgängig gemacht werden müsse. „Some crimes against mankind should be branded as such and made punishable by international law“, so die Empfehlung der LIA, auch wenn sie nach dem nationalen Gesetz (lex loci) bisher nicht strafbar seien278 – hier sind die NS-Rassengesetze angesprochen. In diesem Passus kündigte sich auch das Konzept von crimes against humanity als neues Rechtskonzept an, das geeignet schien, auch die Problematik der Judenverfolgung, die in juristischem Sinne als etwas Neues empfunden wurde, einzuschließen. Der Begriff crimes against humanity begegnet in den Akten der LIA nicht; allerdings wurden in die Definition von Kriegsverbrechen explizit Verbrechen aus rassischen und religiösen Gründen mit eingeschlossen.279 Die Schlussbemerkung gipfelte in einem Satz, der als Agenda der LIA gelesen werden kann: „Advocating punishment for the guilty after a world war carries with it great responsibility, but we sincerely believe that, in the long run, it is for the benefit of peace: self-respect, nay the preservation of mankind itself, demand that the principles for which we are fighting be upheld, that public morality be not allowed to fall beneath certain standards, and that justice be done when the laws of mankind have been broken.“280

Auch wenn der Begriff ‚humanity‘ nicht auftaucht, ist der universalistische Anspruch der Martens-Klausel hier greifbar. Zudem wird explizit auf das Element der Öffentlichkeit und der ‚public conscience‘ verwiesen – was unterstreicht, dass sich das Thema inzwischen kontinuierlich verstetigt hatte. Im Sommer 1943 hielt die LIA eine erste große Pressekonferenz ab, die von Lord Lytton moderiert wurde und zur Öffentlichkeitswirkung beitrug. Es ist allerdings in den Akten des Foreign Office erkennbar, wie immer wieder versucht wurde, die Arbeit der LIA aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Eine der Strategien des Foreign Office 277 278 279 280

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 101. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 101. NAA, A 2937/273. LIA, Commission 1, Report on the Punishment of War Criminals, o. Dat., wahrscheinlich 23.8.1943. 4 Seiten, hier S. 3. NAA, A 2937/273. LIA, Commission 1, Report on the Punishment of War Criminals, o. Dat., wahrscheinlich 23.8.1943. 4 Seiten, hier S. 2.

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war dabei, über Lord Lytton mäßigend auf die LIA einzuwirken und nicht öffentlich zur Frage der Kriegsverbrecher Stellung zu nehmen.281 Die Briten wollten sich keinesfalls in irgendeine Position drängen lassen, bevor man nicht selbst eine eigene Position definiert hatte. Betrachtet man jedoch die rege Vortragstätigkeit einiger Exiljuristen, insbesondere des LIA-Vorsitzenden De Baer, wird deutlich, dass die Juristen ihrerseits bewusst die Öffentlichkeit suchten, um ihre Positionen zu diskutieren.282 Die Arbeit der LIA hatte, das lässt sich zusammenfassend sagen, zwei direkte Konsequenzen: Zum einen kam es zu mehreren alliierten Erklärungen, die den Judenmord als Verbrechen anprangerten, zum anderen gelang es (insbesondere De Baer), über die Vertreter der LIA, die im House of Lords saßen, die britische Regierung durch eine Oberhausdebatte zu zwingen, das Thema anzugehen. Die Gründung der UNWCC rückte damit in greifbare Nähe. Die Arbeit der LIA endete jedoch nicht mit Gründung der UNWCC, sondern war formal erst mit dem Druck des Abschlussberichts 1944 abgeschlossen.

2. Umschwung in der Kriegsverbrecherdebatte Ab Herbst 1942 kam erstmals Bewegung in die Debatte. Unter Druck von Lord Maugham beschloss das britische Cabinet Committee on the Treatment of War Criminals (CCTWC) auf seinem Treffen vom 30. September, dass man nicht länger warten könne, und bat den Lord Chancellor Simon (der auch dem CCTWC vorstand), in der Oberhausdebatte vom 7. Oktober 1942 anzukündigen, dass die britische Regierung vorhabe, eine Kriegsverbrecherkommission einzurichten, und entsprechende Passagen bereits in die Waffenstillstandsvereinbarungen aufgenommen werden würden. Zeitgleich mit der Oberhausdebatte am 7. Oktober 1942 gab Roosevelt ein Statement heraus, in welchem er betonte, die Verfolgung der Kriegsverbrecher sei eines der US-Kriegsziele.283 Lord Chancellor Simon wollte mit seiner Empfehlung deutlich machen, dass er Churchills Einschätzung absolut nicht teilte, man brauche keine Prozesse und die Achsenmächte hätten zu viel Schuld auf sich geladen, um dies strafrechtlich zu sühnen. Dies sei einem Rechtsstaat nicht angemessen.284 Man müsse jedoch eine Organisation schaffen, die bei Kriegsende bereitstünde und die zu erwartenden Strafverfahren jetzt schon vorbereite; dafür sei allerdings kein internationaler Gerichtshof nötig, so Simon. 281 282 283 284

Vgl. insbesondere den Schriftwechsel in TNA, FO 371/ 51011, Briefwechsel Eden – Lytton vom Juni und Juli 1942. Vgl. etwa das Itinerar Marcel De Baers über seine Vortragstätigkeit in den Jahren 1942/43, im N De Baer (London, Privatbesitz Jacqueline Laughton-Scott, der ich für den Zugang, danke). The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 110. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 328.

2. UMSCHWUNG IN DER KRIEGSVERBRECHERDEBATTE

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Lord Maugham wiederum war, so De Baers Darstellung,285 von diesem gebeten worden, das Thema im Oberhaus anzuschneiden; De Baer hatte hierfür eine Vorlage erarbeitet, die Lord Maugham die Argumentation erleichtern sollte. Selbst wenn De Baer hier möglicherweise zu eigenen Gunsten übertreibt, ist ein vorbereitendes Gespräch doch sehr wahrscheinlich. Es lässt sich hier also konstatieren, dass die Exiljuristen gezielt – und getreu dem dritten Element der Martens-Klausel, ‚public conscience‘ – mit ihren Ideen die Öffentlichkeit suchten, um die Debatte voranzutreiben, die sich politisch immer wieder festfuhr. Lord Maugham verwies im Einzelnen auf Passagen aus der Erklärung von St James’s Palace vom 13. Januar 1942, beschwor eine Form von „organisierter Gerechtigkeit“, die zudem noch vor dem Waffenstillstand einsatzbereit sein müsse, um nach Kriegsende schnell zur Ahndung übergehen zu können. Er wies darauf hin, dass ja die Bestrafung der Kriegsverbrecher eines der wesentlichen Kriegsziele der USA und Großbritanniens sei, dies auch in der Erklärung von St James durch die neun Exilregierungen im Januar 1942 bekräftigt worden sei, und er forderte ein „organisiertes Vorgehen der Justiz“, das zudem rasch erfolgen müsse.286 Lord Maugham vertrat die Auffassung, man solle die Prozesse und die Erörterung der Strafzumessung bereits vor dem Ende des Krieges beginnen lassen.287 Er war auch dafür, dass britische Gerichte die Zuständigkeit für Verbrechen erhalten müssten, die britische Bürger außerhalb des Staatsgebiets betrafen. Zu diesem Zweck solle es eine Liste von möglichen Kriegsverbrechern geben, die nach dem Ende der Feindseligkeiten ausgeliefert werden müssten; man solle dies im Waffenstillstandsvertrag schriftlich festhalten. Unterstützt wurde er in der Oberhausdebatte von Viscount Cecil of Chelwood, Präsident der LIA und der britischen Friedensorganisation League of Nations Union, der in seiner Rede betonte, dass man aus den Fehlern, die nach dem Ersten Weltkrieg gemacht worden seien, lernen müsse.288 Das Eingreifen Lord Cecils deutet darauf hin, dass die Debatte tatsächlich eine Strategie der Exiljuristen darstellte, für das Thema Öffentlichkeit herzustellen, denn die Intervention war höchstwahrscheinlich abgesprochen. Lord Chancellor Simon bekräftigte die Absicht der Alliierten, eine United Nations War Crimes Commission ins Leben zu rufen, deren Aufgabe es sein solle, Beweise über Kriegsverbrechen zusammenzutragen und Listen mit Verdächtigen zu erstel285

286 287 288

Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 68. De Baer schrieb in einem Brief vom 23.10.1943 an Ministerpräsident Pierlot: „J’ai réussi à intéresser celui-ci [= Lord Maugham] à la question du châtiment des criminels de guerre et ai alors commencé avec lui une collaboration au cours de laquelle il a paru indispensable d’introduire un débat sure ce sujet à la Chambre des Lords; nous avons préparé ensemble tous les éléments de ce débat, qui a eu lieu le 7 octobre, at a abouti à la déclaration anglo-américaine que vous connaissez.“ Weisers verweist hier auf den Briefwechsel De Baers mit Pierlot aus dem Nationalarchiv Brüssel, AGR, Archives des cabinets ministriels du Premier ministre Hubert Pierlot à Londres, dossier 513, lettre De Baer à Pierlot, 23.10.1943. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 109. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 35. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 109.

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len, die dann direkt nach Gefangennahme oder nach dem Waffenstillstand ausgeliefert werden sollten.289 Simon befürwortete in seiner Rede, dass diese Kommission so rasch wie möglich eingesetzt werden solle, dass alle alliierten Nationen einen Sitz in ihr haben sollten und dass es Aufgabe dieser Kommission sei, Beweise über Kriegsverbrechen zusammenzutragen und Kriegsverbrecher namentlich zu identifizieren. Simon sah besonderen Bedarf, das Ausmaß an „Staatsverbrechen“ („organized atrocities“) unter den Kriegsverbrechen zu ermitteln. Zwar seien nicht alle Mitglieder solcher Organisationen straffällig geworden, aber die auffällige Häufung von Verbrechen bei sogenannten verbrecherischen Organisationen sei eine neue Erkenntnis dieses Krieges. Es sei daher wichtig, Namenslisten bereits mit dem Waffenstillstand übergeben zu können, um Kriegsverbrecher aufzuspüren. Das Vorgehen der Briten müsse zudem mit den USA sowie den kleineren Alliierten abgestimmt werden. Die Kommission wurde beschlossen und erhielt den Arbeitstitel „UN Commission for the Investigation of War Crimes“. Die britische CCTWC favorisierte ebenfalls die Gründung einer Kommission und beschloss im September 1942, Belgien, Griechenland, Jugoslawien, Luxemburg, Norwegen, die Niederlande, Polen, die Tschechoslowakei und France Libre zur Mitarbeit einzuladen („to invite them to associate themselves with the policy proposed“290) sowie sich mit den britischen Dominions, Indien und Burma abzustimmen und schließlich die „Four Powers – Britain, the United States, the Soviet Union, and China“ zu einem Treffen zu bitten.291 Natürlich war die Einbindung der kleineren Alliierten auch als politische Geste gedacht, um deren Forderungen nachzukommen. Auffallend an der Einladung der CCTWC war, dass China hier noch als Hauptalliierter genannt ist, was die Bedeutung unterstreicht, die die britische Regierung dem chinesischen Staatspräsidenten Chiang Kai-shek zumaß. Während die meisten Staaten der Einladung in wenigen Tagen Folge leisteten, zumal sie in London vertreten waren, galt dies nicht für Vertreter der Sowjetunion und Chinas, deren Einladungen auf dem Postweg wochenlang unterwegs waren.292 Ecer nahm rückblickend kein Blatt vor den Mund und bilanzierte, dass die Absichtserklärung im Oberhaus von den Exiljuristen als ein „armseliges Dokument“ aufgefasst worden sei, das die Kompetenzen der neu zu gründenden Organisation nur nebulös formuliert habe und dessen offenkundige Schwächen von der „Redseligkeit Lord Simons“ überdeckt worden seien.293 Dies schmälert jedoch nicht die Bedeutung einer Debatte im britischen Oberhaus, die das Thema mit einem Schlag in die Öffentlichkeit brachte. 289 290 291 292 293

Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 329. TNA, FO371/30918, draft minutes o f a meeting of the CCTWC, C.W.C. (42), fourth meeting, 30 September 1942. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 32. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 34. Ecer, Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus). S. 15. Auch Lord Simon gehörte für Ecer zur Gruppe der geschmähten „Münchner“ (also britischer Politiker, die das Münchner Abkommen unterstützt hatten), von denen „die Welt nichts anderes erwarten“ könne als „schöne Reden“.

2. UMSCHWUNG IN DER KRIEGSVERBRECHERDEBATTE

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Im Nachlass De Baers haben sich aus diesem Kontext Protokolle und Briefwechsel mit anderen Gremien erhalten, die eine institutionell-strukturelle Verschränkung und eine Bündelung der Interessen zeigen, wo das eigene Mandat nicht ausreichte. Insbesondere die Arbeitsgruppe „Inter-Allied Committee for the Study of the Armistice“ unter Van Langenhoeve ist wohl eine direkte Folge der Oberhausdebatte und der dort angekündigten Schritte. Erkennbar ist die Vernetzung mit anderen Exilgremien, etwa dem „Committee of Foreign Affairs Ministers of the Allied Governments based in London“. In zwei Schriftwechseln, am 9. Juni und am 30. Juli 1943, wurde die zu verfolgende Kriegsverbrecherpolitik der kleinen Staaten diskutiert und den britischen Gastgebern vorgestellt. Die Kernfrage lautete: Sollte man auf Strafverfolgung setzen oder eher den „klassischen“ Weg der Forderung nach Reparationen für Kriegsschäden einschlagen? Insbesondere Polen hatte auf der Exil-Außenministersitzung vom 13. August 1943 die Position vertreten, dass man zwar individuelle Schuld strafrechtlich zuweisen müsse, Kriegsschäden aber durch das Vermögen des Deutschen Reiches, also staatlich, kompensiert werden müssten – eine kombinierte Strategie sozusagen.294 Dem Brief vom 9. Juni lag eine erste Liste von möglichen deutschen Kriegsverbrechern, nach Namen, Funktion und militärischem Rang geordnet, bei. Aus den erhaltenen Unterlagen ergibt sich, dass diese Waffenstillstandskommission, zusammen mit der Außenministerkonferenz, eine weitere Vorläuferorganisation der späteren UNWCC darstellte, in welche jede Nation ihre Delegierten entsandte. Auch die Idee, Listen mit Namen von Kriegsverbrechern aufzustellen, stammt bereits aus dieser Zeit. Die Oberhausdebatte von 1942 war möglicherweise der Beginn einer regelrechten Kampagne zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Exiljuristen, denn es gab noch weitere Vorstöße. So hatte die British League of Nations Union, die bereits angesprochene Friedensbewegung unter Lord Cecil, seit Sommer 1942 im Foreign Office dafür geworben, eine inoffizielle internationale Friedenskonferenz zum Thema Kriegsverbrechen abzuhalten. Die Konferenz war zunächst auf August, später auf November 1942 terminiert worden.295 Die LNU war damit auf große Skepsis bzw. offene Ablehnung im Foreign Office gestoßen, wie die Akten belegen. Es ist jedoch bemerkenswert, dass es sich hier eine Friedensorganisation zur Aufgabe gemacht hatte, die Arbeit der Expertengremien zu unterstützen. Es ist daher anzunehmen, dass diese Art des Vorstoßes einen Anteil daran hatte, dass Großbritannien im Oktober 1943 die UNWCC ins Leben rief. Möglicherweise hoffte die britische Regierung, das UNWCC-Gremium besser kontrollieren zu können als man eine internationale Konferenz würde kontrollieren können (dies wird beispielsweise auch deutlich durch das sehr beschränkte Mandat, das die UNWCC erhielt). 294

295

N De Baer, Brief Van Langenhoeve (=President oft he Inter-Allied Committee for the study of the armistice) an den Präsidenten der Exil-Außenministerkonferenz, 30.07.1943. Abschrift in englischer Übersetzung (durch J. Laughton-Scott). TNA, FO 371/ 51011, League of Nations Union proposal for a Public Unofficial Internationmal Conference in London; Proposed Autumn Conference of the London International Assembly, 18.06. 1942; Proposed League of Nations Union Conference to be held in November, 26.06.1942.

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Der Start der UNWCC war aufgrund des Drucks, den Lord Maugham und die Initiativen der LNU aufgebaut hatten, jedoch aus diplomatischer Sicht ungünstig und holperig.296 Die überhastete Gründung führte auf Seiten der Sowjetunion zu einer regelrechten Obstruktionspolitik, und auch die USA beeilten sich nicht, im Tempo der neuen britischen Gangart mitzugehen, denn noch war das Thema nicht ganz oben auf der internen US-Agenda. In Moskau war man verärgert, dass die Sowjetunion nicht von Anfang an in Planungen für eine gemeinsame alliierte Kommission eingebunden gewesen war. Die Einladung zum Beitritt wurde daher zurückgewiesen. Die Sowjetunion ließ London nur wissen, der UNWCC-Vorschlag sei zwar ein Anfang, aber man brauche eine wirksamere Warnung an die Adresse des Deutschen Reiches.297 Gleichzeitig trat Stalin in einer öffentlichen Verlautbarung an die Exilregierungen heran, die besagte, dass die Sowjetunion selbst beabsichtige, die Nationalsozialisten vor Gerichten streng zur Rechenschaft zu ziehen.298 Der britische Vorschlag wurde in dieser Erklärung mit keinem Wort erwähnt, wohl um die Vorreiterrolle der Sowjetunion zu betonen. Dies weist auf ein tiefergehendes politisches Problem hin, denn das Verhältnis der Briten zur Sowjetunion war aufgrund des Falles Rudolf Heß sehr angespannt.299 Rudolf Heß, der „Stellvertreter des Führers“, war am 10. Mai 1941 in geheimer Mission nach Glasgow geflogen, um Friedensgespräche zu führen, und nach seiner Landung als Kriegsgefangener in London interniert worden, wo er bis Kriegsende blieb. Hitler erklärte ihn daraufhin für geisteskrank und entzog ihm alle offiziellen Ämter im Deutschen Reich. Es gab keine direkte Reaktion, aber kurze Zeit später veröffentlichte die Prawda einen Artikel, der Großbritannien dafür kritisierte, Rudolf Heß nicht umgehend als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt zu haben.300 In London reagierte man verhalten auf den Prawda-Artikel. Eden verteidigte im Parlament die Entscheidung, Heß als Kriegsgefangenen zu behandeln, da dieser erklärt habe, er sei nicht in offizieller diplomatischer Mission unterwegs gewesen. Es kam jedoch nicht zu einer direkten Kritik an Stalin.301 Auch die USA stellten sich auf die Seite der Briten und respektierten deren Vorgehen, Rudolf Heß nicht vor Gericht zu stellen; insbesondere wiesen sie darauf hin, dass es schließlich noch kein funktionierendes System zur Verurteilung von Kriegsgefangenen gebe. Die USA stellten sich im Übrigen auf den Standpunkt, London müsse selbst über den Status von Heß entscheiden.302 Die Frage der Behandlung von Rudolf Heß scheint eine Nebenfrage zu sein, bekommt aber im geopolitischen Kontext zentrale Bedeutung. Die Sowjet296 297 298 299

300 301 302

Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 329. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 42. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 345. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 37. Plesch, Dan/Sattler, Shanti: A New Paradigm of Customary International Criminal Law: The UN War Crimes Commission of 1943–1948 and its Associated Courts and Tribunals, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 17–43. S. 24. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 36. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 37. Ginsburgs, George: Moscow’s road to Nuremberg. The Soviet background to the trial (Law in Eastern Europe no. 47), The Hague, Boston 1996. S. 37. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 38. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 346. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 39.

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union stand seit Frühjahr 1942 militärisch unter größtem Druck, zumal Großbritannien nicht in erwartetem Umfang mit der Bombardierung deutscher Städte begonnen hatte, was die Hauptschlagkraft der deutschen Armee nach wie vor an der Ostfront konzentrierte. Man erwartete sich daher in Moskau mehr als nur Lippenbekenntnisse aus London: nämlich militärische Entlastung. Der russische Botschafter versprach den westlichen Alliierten, dass die UdSSR die neue Kommission unterstützen und auch Beweismaterial weitergeben würde, falls dieses für einzelne alliierte Staaten von Interesse sei. Er hielt es jedoch für unumgänglich, dass sich die Sowjetunion vorher mit Großbritannien auf drei Punkte einige: Nazi-Funktionäre, die in Gefangenschaft gerieten, seien grundsätzlich als Kriegsverbrecher zu behandeln, der Prozess müsse sofort beginnen und nicht erst nach Ende des Krieges, und alle vier Alliierten sollten sich in dieser Frage beraten, nicht nur ein Staat verantwortlich sein.303 Dies war ein klarer Hinweis auf den Fall Rudolf Heß. Eden reagierte zurückhaltend auf den Vorschlag aus Moskau, obwohl er betonte, dass den Briten an einer engen Partnerschaft mit der Sowjetunion gelegen sei. Insbesondere war man in London in Sorge, dass die Ankündigung von Strafverfolgung zu Repressalien gegen die britischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand führen werde. Umgekehrt hatte die Sowjetunion aus dem gleichen Grund ein gesteigertes Interesse, die Strafverfolgung zu beginnen, denn seit Kriegsbeginn 1941 waren schon 3,3 Millionen Rotarmisten als Gefangene in die Hand der Wehrmacht gefallen. Zwei Millionen davon waren bereits im Lauf des Jahres 1942 umgekommen (die meisten waren verhungert).304 Der wahre Hintergrund des Zerwürfnisses Londons mit Moskau war jedoch die Frage, ob sowjetische Teilrepubliken, gleichberechtigt mit den britischen Dominions, stimmberechtigte Mitglieder der Kommission sein könnten. Diese Frage wurde ab Januar 1943 evident. Während die Sowjetunion ihre Bereitschaft andeutete, in der UNWCC mitzuarbeiten, betonte sie auch ihren Standpunkt, eine Stimme in der Kommission sei nur den vier Alliierten bzw. den Staaten, die direkt am Krieg gegen die Achsenmächte beteiligt seien, vorbehalten. Großbritannien wollte jedoch auch die britischen Dominions Australien, Kanada, Indien und Neuseeland zur Mitarbeit einladen, wobei die Form noch offen war: Man könne sich auch als Kompromiss vorstellen, die Dominions nur an bestimmten Meetings teilnehmen zu lassen.305 Daraufhin schlug die UdSSR im Gegenzug vor, den sowjetischen Teilrepubliken ebenfalls einen Platz in der Kommission anzubieten; gedacht sei hier an die Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Litauen, Lettland, Estland und die Karelo-Finnische Sozialistische Sowjetrepublik.306 Die Krux des Kompromisses bestand darin, dass er eine Anerkennung dieser Gebiete, die teilweise erst durch den Krieg unter sowjeti303 304 305 306

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 43–44. Noch immer grundlegend: Streit, Christian: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945 (Studien zur Zeitgeschichte Bd. 13), Stuttgart 1978. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 45. Die Forderung erhob die Sowjetunion bis Kirgesende. Sie findet sich auch in einem Memorandum Bohuslav Ecers, in NAA, A 2937/273, Letter Ecer to Cecil Hurst, 5.10.1944, Thema: Cooperation of

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sche Herrschaft gekommen waren, als Teilprovinzen der Sowjetunion impliziert hätte; insbesondere eine Anerkennung der sowjetischen Einflusssphäre im Baltikum, also der 1941 erfolgten Annexion der baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen, kam für London überhaupt nicht in Frage. Lord Chancellor Viscount Simon befand daraufhin, man verschwende hier seine Zeit, wenn man auf die Russen warte, und nahm dies als Beleg dafür, dass die Sowjets eigentlich gar kein Interesse daran hätten, die Kommission ins Leben zu rufen. Orme Sargent, der Deputy Undersecretary im Foreign Office, schlug vor, Moskau einen Kompromiss zu unterbreiten, mit welchem alle Beteiligten ihr Gesicht wahren könnten: Estland, Lettland und Litauen sollten zwar als unabhängige Staaten, aber als Teile der Sowjetischen Föderation bezeichnet werden. Dies lehnte Moskau jedoch ab. Die Briten hofften, die USA würden ihre Position zur Einbeziehung der Dominions unterstützen, doch die Amerikaner hielten es für nicht zielführend, sich über eine solche Frage zu zerstreiten, und fanden zudem, es sei nicht unerlässlich für die Gründung der UNWCC, zudem sei nicht klar, wie die anderen Alliierten auf die Einbeziehung der Dominions reagieren würden.307 Unmittelbar nach der Oberhausdebatte, am 2. November 1942, verkündete die Sowjetunion ihrerseits die Schaffung einer Parallelorganisation zur geplanten UNWCC, der „Extraordinary State Commission“, die die „Verbrechen der deutsch-faschistischen Invasoren und ihrer Komplizen“ untersuchen sollte, insbesondere Verbrechen, „die an Bürgern, Kolchosen, staatlichen Organisationen sowie staatlichen Unternehmen und Institutionen der Sowjetunion begangen worden waren“.308 Die sowjetische Kriegsverbrecherkommission legte als Richtlinie fest, dass alle Verfahren vor sowjetischen Militärtribunalen stattfinden sollten und dass die Verantwortlichen ‚Hitleristen‘ zum Tode, ihre Komplizen zu Zwangsarbeit verurteilt werden sollten.309 Bereits wenige Wochen später hielt die Sowjetunion die ersten Kriegsverbrecherprozesse ab, in Krasnodar, Minsk und Charkow.310 Die Politik der Sowjetunion zu analysieren ist nicht Ziel dieser Studie, es bleibt aber festzuhalten, dass die Sowjetunion eine sehr instrumentelle Haltung gegenüber dem Völkerrecht einnahm.311 Es erschien den sowjetischen Völkerrechtlern aufgrund der Verbrechen sicher, dass es

307 308 309 310

311

the Soviet Government with the UNWCC. Vgl. auch die Ausführungen bei Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 46. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 59. Ginsburgs, Moscow’s road to Nuremberg S. 37–41. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 346. Ginsburgs, Moscow’s road to Nuremberg, S. 45. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 346. Penter, Tanja: „Das Urteil des Volkes“. Der Kriegsverbrecherprozess von Krasnodar 1943, in: Osteuropa 60 (2010), S. 117–131.; Penter, Tanja: Local Collaborators on Trial. Soviet War Crimes Trials under Stalin (1943-1953), in: Cahiers du Monde russe 49 (2008), S. 341–364. Pendas, Devin O.: Auf dem Weg zu einem Globalen Rechtssystem? Die Menschenrechte und das Scheitern des legalistischen Paradigma des Krieges, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Geschichte der Gegenwart 1), hrsg. v. Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2010, S. 226–255. S. 238.

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zu einer Verurteilung deutscher Kriegsverbrecher kommen werde, und daher bevorzugten sie ein öffentliches Verfahren.312 Die sowjetische Haltung lässt sich am besten anhand eines Aufsatzes illustrieren. Professor „A. Farrin“ – übrigens ein Pseudonym für den bekannten Völkerrechtler Aaron Trainin, der später auf der Londoner Konferenz die sowjetische Delegation führte313 – publizierte in der Zeitschrift Krieg und Arbeiterklasse am 17. September 1943 einen Text, der auch deshalb so viel Aufsehen erregte, weil er nicht wie ein rein akademischer Aufsatz aufgebaut war, sondern offensichtlich eine offizielle, vielleicht sogar die sowjetische Regierungssicht transportierte. Er führte in seinem Aufsatz aus, dass man keine Unterscheidung zwischen dem Regime und dem deutschen Volk machen dürfe, und schlug eine Unterscheidung der Kriegsverbrecher in vier Kategorien vor: 1) Hitler und seine Minister, 2) Parteifunktionäre, die für die Verbrechen der ‚Hitleristen‘ verantwortlich gemacht werden könnten – dabei führte Farrin auch einige Offiziere auf –, 3) die Vorstände von Industriekonzernen und Banken und 4) Privatleute, die zwar nicht in offizieller Funktion oder im Regierungsauftrag handelten und nicht in der Wehrmacht Dienst taten, sich aber dennoch am Raubzug und den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt hätten.314 Damit unterschied sich die sowjetische Position insbesondere in der antikapitalistischen Ausrichtung grundlegend von der der beiden Westalliierten. Obwohl die Briten nun außenpolitisch die treibende Kraft hinter der Einrichtung der UNWCC waren, sah das Foreign Office intern noch immer keinen erhöhten Handlungsdruck, denn die Sorge wegen eventueller Repressalien gegen britische Kriegsgefangene in deutscher Hand waren damit nicht vom Tisch.315 Allerdings übten die Exilregierungen in London von mehreren Seiten Druck auf Mitglieder der britischen Regierung sowie einzelne Abgeordnete aus, die ihrerseits im Parlament sowie im House of Lords eine Lösung forderten. Auch Viscount Simon drang, insbesondere in seiner Rolle als Vorsitzender der britischen CCTWT, auf eine klare britische Linie in der Kriegsverbrecherpolitik.316 Doch die USA verzögerten die Einsetzung der UNKommission weiter, ebenfalls aus Sorge um die Kriegsgefangenen in deutscher Hand und auch, um die UdSSR nicht weiter zu verärgern.317 Der Riss zwischen der Sowjetunion, Großbritannien und den USA vertiefte sich jedoch auch aufgrund weiterer Faktoren. Stalin hatte militärische Hilfe durch die Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich erwartet und war nun enttäuscht, dass dieses strategische Ziel von 1943 auf 1944 verschoben worden war. Er nutzte die Gelegenheit, um den britischen und den amerikanischen Botschafter einzubestellen 312

313 314 315 316 317

Overy, Richard J.: The Nuremberg Trials: International Law in the Making, in: From Nuremberg to The Hague. The future of international criminal justice, hrsg. v. Philippe Sands, Cambridge, New York 2003, S. 1–29. S. 5. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 349. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 65–66. Zur völkerrechtlichen Debatte in der Sowjetunion vgl. Ginsburgs, Moscow’s road to Nuremberg, S. 71–93. Bass, Stay the hand of vengeance. S. 182; Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 59. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 60. Bass, Stay the hand of vengeance, S. 182.

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und die Anerkennung der baltischen Republiken als Teil der Sowjetunion zu fordern, wobei er auch die Frage der UNWCC-Vertreter nochmals anschnitt.318 Dabei zeigte er sich völlig unbeeindruckt von den Erläuterungen insbesondere der Briten, dass die Dominions im Krieg eine andere Rolle spielten als die Sowjetrepubliken. So kam es zu keiner Einigung, und der Stuhl des sowjetischen Vertreters blieb beim Eröffnungstreffen der UNWCC am 20. Oktober 1943 leer. Eine unmittelbare Folge der Bemühungen der LIA – und der Öffentlichkeit, die durch die Oberhausdebatte aufmerksam geworden war – war die Forderung nach einer deutlicheren Haltung der Alliierten in der Frage der Bewertung des Holocaust. Ein politisches Statement zur Frage des nationalsozialistischen Judenmords wurde immer dringender. Am 17. Dezember 1942 ging der britische Außenminister, Anthony Eden, im Unterhaus auf Berichte ein, die Nationalsozialisten würden systematisch Juden umbringen und andere Grausamkeiten in den besetzten Gebieten verüben. Sein Statement bekräftigte, es sei wichtig, „necessary practical measures“ zu ergreifen, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen.319 Er verbreitete zudem eine Erklärung der Exilregierungen, in der es heißt: „The attention of the Governments of Belgium, Czechoslovakia, Greece, Luxembourg, the Netherlands, Norway, Poland, the U.S.A., the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, the Union of Soviet Socialist Republics and Yugoslavia, and the French Committee of National Liberation, has been drawn to numerous reports from Europe that the German authorities, not content to denying to persons of Jewish race in all the territories over which their barbarous rule has been extended the most elementary human rights, are now carrying into effect Hitler’s oft repeated intention to exterminate the Jewish people in Europe.“320

Auffallend ist hier die Verwendung des Begriffs ‚human rights‘. Nicht nur wurde festgestellt, dass die Exilstaaten Kenntnis vom Holocaust hatten, sondern der Vorgang der systematischen Verfolgung und Vernichtung wurde ebenfalls benannt: „From all the occupied countries Jews are being transported, in conditions of appalling horror and brutality, to Eastern Europe. In Poland, which has been made the principal Nazi slaughterhouse, the ghettoes established by the Nazi invaders are being systematically emptied of all Jews except a few highly-skilled workers required for war industries. None of those taken away are ever heard of again. The able-bodied are slowly worked to death in labour camps. The infirm are left to die of exposure and starvation or are deliberately massacred in mass executions. The number of victims of these bloody cruelties is reckoned in many hundreds of thousands of entirely innocent men, women and children.“

318 319 320

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 48. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 109. Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 106.

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Die Exilregierungen forderten die Hauptalliierten daraufhin auf, konkrete Schritte einzuleiten: „The above-mentioned Governments and the French National Committee condemn in the strongest possible terms this bestial policy of cold-blooded extermination. They declare that such events can only strengthen the resolve of all freedom-loving peoples to overthrow the barbarous Hitlerite tyranny. They reaffirm their solemn resolution to ensure that those responsible for these crimes shall not escape retribution, and to press on with the necessary practical measures to this end.“

Roosevelts Erklärung ging in die gleiche Richtung, auch er bekräftige die Absicht der USA und Großbritanniens, eine United Nations War Crimes Commission ins Leben zu rufen und die Auslieferung von namentlich bekannten Kriegsverbrechern zum Bestandteil der Waffenstillstandsvereinbarungen zu machen. Es sei, so Roosevelt, wahrscheinlich nicht möglich, aller Kriegsverbrecher habhaft zu werden, aber die Alliierten hätten vor, die Hauptverantwortlichen („ringleaders“) zu fassen.321 Die Abrechnung richte sich also nicht gegen das ganze deutsche Volk: „The number of persons eventually found guilty will undoubtedly be extremely small compared to the total of enemy populations. It is not the intention of this Government or Governments associated with it to resort to mass reprisals. It is our intention that just and sure punishment shall be meted out to the ringleaders responsible for the organised murder of thousands of innocent persons and the commission of atrocities which have violated every tenet of the Christain faith.“

Es gab daraufhin weitere Erklärungen, die inhaltlich jedoch nichts Neues brachten. So erfolgte eine erneute Bekräftigung am 30. August 1943, als die Regierung Großbritanniens eine Erklärung abgab, in welcher sie die Berichte über Deportationen und den Massenmord an polnischen Juden bestätigte.322 Die Regierung versicherte: „to punish the instigators and actual perpetrators of the crimes. They declare that, so long as such atrocities continue to be committed by the representatives and in the name of Germany, they must be taken into account against the time of the final settlement of Germany.“

Nach wie vor schien Großbritannien sich den größtmöglichen Spielraum offenhalten zu wollen, indem man sich nicht konkret festlegte. Zudem wurde deutlich, dass öffentliche Regierungsrhetorik nicht unbedingt handlungsleitend für konkrete Entscheidungen war.

321 322

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 106. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 106.

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2.1. Die Moskauer Konferenz vom Oktober 1943 Die britische Position in der Frage der Behandlung der Kriegsverbrecher nahm im Verlauf des Jahres 1943 Gestalt an – nicht zuletzt dadurch, dass sich Großbritannien durch den Vorstoß Lord Maughams und die Unterstützung des Lord Chancellor selbst an die Spitze der politischen Bewegung setzte. Das Kalkül dahinter war sicherlich der Versuch, die Verrechtlichungsbewegung so besser kontrollieren zu können. Dies kollidierte jedoch mit dem Engagement der Exilnationen, insbesondere der beteiligten Juristen, die tatsächlich nach Lösungen suchten und nicht gewillt waren, das Thema weiter mit der bisherigen Langsamkeit zu behandeln. Man erkennt daher in dieser Phase die duale Strategie der Exilstaaten, außer durch Expertengremien auch immer wieder auf verschiedene Weise – etwa durch Abgeordnetengespräche oder in der Presse – Interesse für die Arbeit der UNWCC zu wecken bzw. Druck auf die Hauptalliierten auszuüben, wenn sich die Verhandlungen wieder an irgendeiner diplomatischen Klippe festgefahren hatten. Noch immer war jedoch der Regierungschef nicht willig, sich auf Strafprozesse festzulegen. Churchill schlug 1943 die Zusammenstellung einer Liste von Nazi-Funktionären und Offizieren vor, die man allgemeiner, systematischer Verbrechen anklagte, die sich nicht genau geographisch verorten ließen; er ging von 50 bis 100 Namen aus. Nachdem die Prüfung durch ein Komitee von Juristen die Schuld dieser Männer bestätigt habe, würden diese Personen für vogelfrei erklärt werden, „by solemn decree of the 32 United Nations“, und könnten von jedermann straffrei getötet werden.323 Sollten in der Liste verzeichnete Personen den Alliierten in die Hände fallen, würden sie umgehend erschossen werden; es ginge, so Churchill, um eine schnelle Bestrafung. Das War Cabinet wies ihn jedoch darauf hin, dass es sehr schwierig sei, die Kriterien für die Aufnahme in eine solche Liste festzulegen. Stattdessen rief man ein Komitee ins Leben, das das Memorandum umschreiben sollte, und verlangte, dass jeder der Hauptkriegsverbrecher, der den Alliierten in die Hände falle, die Entscheidung der Vereinten Nationen über sein weiteres Schicksal abwarten müsse, also nicht unmittelbar erschossen werden dürfe. Zudem sei es wichtig, die Gruppe der Hauptkriegsverbrecher erst einmal zu definieren. Die Political-Intelligence-Abteilung des Foreign Office schlug vor, maßgeblich solle der Rang der Person sein, außerdem müsse die Reichsregierung in die Liste der Hauptkriegsverbrecher aufgenommen werden. Über diese Fragen wurde in der Folge ausführlich debattiert. Insbesondere Cavendish-Bentinck, der Vorsitzende des Joint Intelligence Committee, betonte, man müsse mit der Auswahl der Angeklagten vor allem verhindern, dass sich um militärische Figuren herum Märtyrerlegenden bildeten.324 Es sei wichtig sicherzustellen, dass von deutschem Boden für die nächsten Generationen kein Krieg mehr ausgehen könne. Er verhehlte nicht, dass er der 323

324

Overy, Richard J.: The Nuremberg Trials: International Law in the Making, in: From Nuremberg to The Hague. The future of international criminal justice, hrsg. v. Philippe Sands, Cambridge, New York 2003, S. 1–29. S. 3–4. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 73–74. Die Debatte ist enthalten in TNA, FO 371/38993.

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Meinung war, dies sei am besten zu erreichen, indem den Kriegsverbrechern keine Plattform vor Gericht mehr geboten werde, wo sie ihre Version des Krieges verbreiten könnten. Vielmehr sei eine sofortige Erschießung aufgrund der Kriegsverbrecherliste sicher am effizientesten, um den „Geist der Wehrmacht“ zu brechen.325 In einem „interdepartmental meeting“ des Foreign Office wurde schließlich als Linie das Ziel festgelegt, vor allem die politisch Verantwortlichen zu identifizieren: „The criterion employed in drawing up the Foreign Office list was not so much that the individuals are known to have issued certain reprehensible and even criminal orders but that they notoriously bear responsibility of a more general character.“326

Im Juni legte das Foreign Office eine erste Liste vor, in welcher 33 Deutsche und acht Italiener namentlich als Hauptkriegsverbrecher genannt waren.327 Es handle sich, so das Foreign Office, um eine systematische, keine willkürliche Liste, und die Schuld der Genannten sei wahrscheinlich auch ohne Gerichtsverfahren für die meisten Bürger offensichtlich. Beispielsweise stand Feldmarschall Wilhelm Keitel als einziger Angehöriger der deutschen Wehrmacht auf der Liste; er war jedoch nicht als Offizier ausgewählt worden, sondern in seiner Funktion als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Mehr Offiziere auf die Liste zu setzen sei dagegen schwierig, denn man müsse dann zwischen denjenigen, die wirklich Verantwortung trügen, und denjenigen, die nur Befehle ausführten, unterscheiden. Clement Attlee, damals stellvertretender Premierminister, sprach sich dafür aus, nicht nur Mitglieder der NSDAP zu erfassen, sondern grundsätzlich alle, die gegen die gängigen Kriegsregeln verstoßen hätten, denn diese müssten vor Gericht gestellt werden und sollten sich nicht hinter der Befehlshierarchie verstecken können. Die Meinungsverschiedenheit verdeutlicht die Differenzen zwischen Foreign Office und War Cabinet und ihre Unfähigkeit, sich in der Frage der Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten auf eine klare Linie zu verständigen. Mit der Moskauer Erklärung vom 1. November 1943 gaben die drei Hauptalliierten erstmals ein Statement dazu ab, wie sie nach dem Waffenstillstand mit den Achsenbündnispartnern Deutschland und Italien verfahren wollten.328 Stalin, Roosevelt und Churchill bekräftigten das Prinzip, dass Kriegsverbrecher am Ort ihrer Taten vor den jeweils nationalen Gerichten zur Rechenschaft zu ziehen seien, während es für die Hauptkriegsverbrecher eine Lösung geben werde, über die noch zu entscheiden wäre. Eines der wesentlichen Elemente der Moskauer Deklaration bestand auch darin, dass Kooperation zwischen allen Ländern vereinbart wurde und man insbesondere übereinkam, Belastungsmaterial auszutauschen. Die Deklaration paraphrasierte Schritt für Schritt alle Vorschläge, die Cambridge Commission und LIA bereits 325 326 327 328

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 75–77. Zitiert nach Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 78. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 78. Kochavi, Arieh J.: The Moscow Declaration, the Kharkov Trial, and the Question of a Policy on Major War Criminals in the Second World War, in: History 76/248 (1991), S. 401–417.

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gemacht hatten, und verweist auf die enorme diskursive Bedeutung der Vorschläge der Exiljuristen: „At the time of the granting of any armistice to any Government which may be set up in Germany, those German officers and men and members of the Nazi Party who have been responsible for or have taken a consenting part in the above atrocities, massacres and executions will be sent back to the countries in which their abominable deeds were done in order that they may be judged and punished according to the laws of these liberated countries and of the Free Governments which will be erected therein. Lists will be compiled in all possible detail from all these countries, having regard especially to the invaded parts of the Soviet Union, to Poland and Czechoslovakia, to Yugoslavia and Greece, including Crete and other islands, to Norway, Denmark, the Netherlands, Belgium, Luxembourg, France and Italy. These Germans […] will know that they will be brought back to the scene of their crimes and judged on the spot by the peoples they have outraged.“ 329

Die Moskauer Erklärung setzte den Rahmen für die spätere Strafverfolgung; es ist aber zu unterstreichen, dass die Entscheidung für einen internationalen Militärgerichtshof erst später fallen sollte – die Moskauer Erklärung ließ dies in ihrer Formulierung bewusst offen: „The above declaration is without prejudice to the case of the major criminals whose offences have no particular geographical location and who will be punished by a joint decision of the Governments of the Allies.“330

Roosevelt hatte sich bereits früher dafür ausgesprochen, dass Kriegsverbrecher zur Aburteilung an den Ort ihrer Taten zurückgebracht werden sollten, und Churchill schloss sich ihm in einer Rede an;331 Stalin stimmte ebenfalls zu. Erstmals legte also eine alliierte Erklärung verbindlich fest, dass die Kriegsverbrecher an den Ort ihrer Taten zurückgebracht und dort vor Gericht gestellt werden sollten. Doch die Sowjetunion düpierte die westlichen Hauptalliierten damit, dass sie umgehend an die Umsetzung ging. Bereits zwei Wochen nach der Moskauer Erklärung vom Oktober 1943 kam es in der Sowjetunion in Charkow vor einem Militärtribunal der 4. Ukrainischen Front zu einem Kriegsverbrecherprozess gegen drei Deutsche und einen sowjetischen Kollaborateur. Die Anklageschrift stellte die Verbrechen in einen größeren Kontext und betonte die Verantwortung der deutschen Reichregierung sowie des militärischen Oberkommandos für die systematische Ausrottung der Sowjetbürger (es wurde vermieden, einen Teil der Opfer als Juden zu 329 330

331

The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 107. Kochavi, Arieh J.: The Moscow Declaration, the Kharkov Trial, and the Question of a Policy on Major War Criminals in the Second World War, in: History 76/248 (1991), S. 401–417.; The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 108. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 93.

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bezeichnen).332 Alle vier Angeklagten wurden für schuldig befunden und hingerichtet.333 Dieser Prozess wirkte auf die westlichen Alliierten wie ein Weckruf. Zum ersten Mal wurden noch während des Krieges militärische Funktionsträger der Wehrmacht vor Gericht gestellt, und zudem war deutlich, dass die Sowjets den Prozess gemäß der Moskauer Erklärung durchführten.334 Der Prozess in Charkow fand ein großes Medienecho, sogar auf Englisch wurde berichtet, und ausländische Korrespondenten wurden extra zur Urteilsverkündung eingeflogen.335 Amerikanische und britische Diplomaten werteten den Prozess als Zeichen dafür, dass die Sowjetunion die Bestrafung der Kriegsverbrecher zu einer Priorität gemacht hatte.336 Der US-Botschafter Averell Harriman wies darauf hin, dass die Sowjetunion mit dem Prozess eine dreigeteilte Strategie verfolgte: zum einen unterstrich das Gerichtsverfahren für die eigene Bevölkerung, dass die Führung das Versprechen hielt, Kriegsverbrecher hart zu bestrafen, darüberhinaus zeigte es den Alliierten, wie Ernst es Stalin damit war, die Achsen-Kriegsverbrecher zu verfolgen, und drittens enthielt der Prozess natürlich eine Warnung an die Kriegsgegner.337 Es ist eher unwahrscheinlich, hat sich aber nicht zweifelsfrei klären lassen, ob Bohuslav Ecer damals unter den ausländischen Korrespondenten war – er verfasste jedoch wenige Wochen nach dem Prozess, unter dem Pseudonym „B. Etcher“, ein Pamphlet zum Verfahren (The Lessons of the Kharkov Trial), in welchem er dieses als Vorbild pries und lobte, es sei den sowjetischen Alliierten ernst mit der Strafverfolgung.338 Besonders hob Ecer hervor, dass der Prozess deutlich gemacht habe, dass es sich nicht um Einzeltaten, sondern um eine systematische Politik der Vernichtung durch die ‚Hitleristen‘ handele, dass die Täter sich nicht hinter Befehlen hätten verstecken können und dass durch die Rechtsgrundlage, die sich auf nationales wie auf Völkerrecht berief, offenbar werde, dass beide Rechtsformen in der Kriegsverbrecherfrage zusammenwirken müssten.339 Die Moskauer Deklaration sei demnach von großer Bedeutung. Allerdings hegten die USA und Großbritannien die Befürchtung, dass die Deutschen den Charkow-Prozess nun zum Anlass nehmen würden, Repressalien gegen alliierte Kriegsgefangene durchzuführen.340 Möglicherweise würden die Deutschen 332 333 334 335

336

337 338 339 340

Ginsburgs, Moscow’s road to Nuremberg S. 52–55. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 67. Penter, Tanja: Local Collaborators on Trial. Soviet War Crimes Trials under Stalin (1943-1953), in: Cahiers du Monde russe 49 (2008), S. 341–364. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 67. Ginsburgs, Moscow’s road to Nuremberg S. 54–55. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 347. Kochavi, Prelude to Nuremberg. Britische und amerikanische Pressestimmen zum Charkow Prozess auf S. 68–69. Lingen, Kerstin von: Fulfilling the Martens Clause. Debating „crimes against Humanity“, 1899-1945, in: Humanity. A history of European concepts in practice from the 16th century to the present (V&R academic 110), hrsg. v. Fabian Klose/Mirjam Thulin, Göttingen 2016, S. 187–208. S. 200. Bass, Stay the hand of vengeance. S. 199. Ecer, Bohuslav (B. Etcher): The Lessons of the Kharkov Trial, London 1944. Hierzu auch Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 348. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 347. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 70.

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zudem Vorteile aus dem Charkow-Prozess zu schlagen versuchen und einen Keil zwischen die westlichen Alliierten und die Sowjets treiben.341 Völkerrechtlich gesehen beruhigte man sich jedoch in London mit einem Gutachten: So sei es im Rahmen der Genfer Konvention zulässig, Kriegsgefangene wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen, und Charkow falle außerdem unter die Bestimmungen der Moskauer Erklärung vom Oktober 1943. Die USA wiederum hielten die Prozesse in Charkow für einen Alleingang Stalins, der eben nicht durch die Moskauer Erklärung gedeckt sei, und befürchteten Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Kriegsgefangenen.342 Es sei wichtig, so Washington, Stalin von weiteren Prozessen abzuhalten, und insbesondere, ihn daran zu hindern, diese als Folge der Moskauer Erklärung darzustellen. Tatsächlich hielt die Sowjetunion bis zum Kriegsende keine weiteren Kriegsverbrecherprozesse mehr ab. Ob dies alliiertem Druck oder vielmehr militärischen Zwängen geschuldet war, sei dahingestellt. Charkow war jedoch nicht der erste sowjetische Prozess gewesen. Bereits im Sommer 1943 verkündete Moskau, die deutsche Herrschaftselite vor Gericht stellen zu wollen, notfalls in Abwesenheit.343 Nachdem sich nach der Schlacht von Stalingrad seit dem Frühjahr 1943 der sowjetische Vormarsch konsolidiert hatte, konnten immer mehr Gebiete, die zuvor unter deutscher Besatzung gestanden hatten, zurückerobert werden, und es stellte sich die Frage der Kollaboration. Im Juli 1943 kam es in der nordkaukasischen Stadt Krasnodar zu einem ersten Prozess gegen elf Sowjetbürger, die des Hochverrats und der Kollaboration mit dem Feind während der Besatzung Krasnodars angeklagt waren und beschuldigt wurden, den Tod von 7000 Menschen (die Anklageschrift vermied es, sie als Juden zu kennzeichnen) mit verschuldet zu haben.344 Die Kollaborateure waren Teil des deutschen Sonderkommandos 10a (eines Teils der Einsatzgruppe D) gewesen, dessen Aufgabe explizit der Judenmord gewesen war.345 Acht der Angeklagten wurden schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt, drei zu Arbeitslager verurteilt, die Hinrichtungen fanden öffentlich statt.346 Obwohl der Prozess sich ausdrücklich nur gegen die eigenen Bürger richtete – und als Warnung an alle Kollaborateure gedacht war –, machte die Anklageschrift klar, dass Hitler der eigentliche Verantwortliche für diese Verbrechen sei.347 Der Prozess von Krasnodar wurde von einem breiten Medienecho begleitet. Er sollte die Moral der Bevölkerung sowie Rachegelüste stärken, aber auch deutlich machen, dass die Deutschen die Drahtzieher hinter den Verbrechen waren.348 341 342 343 344 345 346 347 348

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 70–71. Bass, Stay the hand of vengeance, S. 182. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 64. Ginsburgs, Moscow’s road to Nuremberg, S. 46–48. Prusin, Alexander: „Fascist Criminals to the Gallows!“. The Holocaust and Soviet War Crimes Trials, December 1945- February 1946, in: Holocaust and Genocide Studies 17 (2003), S. 1–30. Penter, Tanja: „Das Urteil des Volkes“. Der Kriegsverbrecherprozess von Krasnodar 1943, in: Osteuropa 60 (2010), S. 117–131. Bourtman, Ilya: „Blood for Blood, Death for Death“: The Soviet Military Tribunal in Krasnodar, 1943, in: Holocaust and Genocide Studies 22 (2008), S. 246–265. Penter, Tanja: „Das Urteil des Volkes“. Der Kriegsverbrecherprozess von Krasnodar 1943, in: Osteuropa 60 (2010), S. 117–131.

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Auf dem Treffen der „großen drei“ in Teheran, das vom 28. November bis zum 1. Dezember 1943 stattfand, waren die sowjetischen Kriegsverbrecherprozesse ein beherrschendes Thema. Stalin unterstrich noch einmal seine Auffassung, dass der deutsche Generalstab seiner Meinung nach liquidiert werden müsse und er davon ausgehe, dass man an die 50.000 Offiziere erschießen müsse.349 Während Roosevelt versuchte, die Lage mit einem Witz zu entschärfen (vielleicht könne man sich als Kompromiss auf 49.000 Erschießungen einigen …), zeigte sich Churchill geschockt. Obwohl Stalin versicherte, die 50.000 seien nur ein Witz gewesen, zeigte sich Churchill nicht überzeugt. Dies ist umso verwunderlicher, als ja auch Churchill selbst immer wieder der Idee zugeneigt hatte, summarische Exekutionen durchzuführen.350 Während des Zusammentreffens von Churchill und Roosevelt im September 1944 hatte dieser erneut vorgeschlagen, Hauptkriegsverbrecher wie Hitler, Himmler, Göring, Goebbels und Ribbentrop nicht vor Gericht zu stellen, vielmehr sollten sich die Alliierten schon jetzt verständigen, was mit den Genannten passieren solle, sobald sie in Gefangenschaft seien.351 Doch inzwischen hatte Stalin ebenfalls seine Position überdacht und sprach sich bei einem Treffen im Oktober 1944 gegen summarische Hinrichtungen aus. Er wolle vermeiden, so Stalin, dass die Öffentlichkeit denke, die Alliierten seien zu feige, die Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen.352 Es wird aus der Formulierung deutlich, dass Stalin die Prozesse als Bühne nutzen wollte, um das Ansehen der Sowjetunion positiv zu stärken. Zudem war er der Meinung, dass die von Churchill vorgeschlagenen wenigen Hinrichtungen keine mit einem Prozess vergleichbare propagandistische Wirkung haben würden und dass sie darüber hinaus auch nicht einfacher durchzuführen seien. Die Verrechtlichungsdebatte zeigte also Wirkung auf die öffentliche Meinung sowie die Positionen der Großmächte. 2.2. Gründung der UNWCC 1943/44 Am 20. Oktober 1943, unmittelbar vor der Moskauer Konferenz, fand die offizielle Gründungsveranstaltung der UNWCC statt, allerdings ohne Beteiligung der Sowjetunion. Am 26. Oktober kam es zu einer ersten inhaltlichen Sitzung der UNWCC. Aus Sicht der Briten waren vor allem die USA für die Verzögerung verantwortlich, die zwischen Simons Absichtserklärung vom Herbst 1942 und der Gründung der UNWCC enstanden war. Ursprünglich hatte Großbritannien die USA, die UdSSR und China gebeten, sich grundsätzlich zu einigen, bevor die Einladungen für das Gründungstreffen verschickt werden würden. Die britische Regierung schlug als Hauptquartier für die geplante Kommission London vor und eventuell Unterorganisatio349 350 351 352

Bass, Stay the hand of vengeance. S. 195. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 63. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 73. Zu den verschiedenen Positionen vgl. Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? S. 345, 372–381. Bass, Stay the hand of vengeance. S. 166. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 80. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 90.

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nen in Moskau und der chinesischen Kriegshauptstadt Chongqing.353 London bot an, dass ein Amerikaner den Vorsitz übernehmen könne, damit alle vier der „großen“ Alliierten beteiligt seien. Washington vermied es jedoch vier Monate lang, auf diesen Vorschlag zu antworten. Die Verzögerung hatte mit Überlegungen hinter den amerikanischen Kulissen zu tun, die sich damit beschäftigten, wer der Vertreter der USA in der Kommission sein solle und wie eine US-Position definiert werden könne. Der spätere Kandidat Herbert C. Pell (1884–1961) war eine umstrittene politische Figur, vor allem in seinem Heimatland.354 In der UNWCC gehörte er jedoch zu einer Gruppe sehr aktiver Delegierter, die ihre Arbeit entscheidend prägten (insbesondere durch seine Tätigkeit in den Committees I, II, III, Far Eastern und Finance – also in praktisch allen Gremien). Nach einem Studium in Harvard und an der Columbia University war Pell von 1919 bis 1921 Kongressmitglied gewesen. Als persönlichem Freund Roosevelts war es ihm immer wieder gelungen, auf Positionen zu gelangen, in denen er seinen diplomatischen Neigungen nachgehen konnte: 1937 wurde er US-Botschafter in Portugal, 1941 in Ungarn. Pell trat in dieser Zeit an den Präsidenten heran und bot seine Dienste für eventuelle diplomatische Missionen der USA an. Er bekam daraufhin durch Roosevelt selbst die Position des US-Vertreters in der zu gründenden Kommission angeboten, obwohl er überhaupt kein Jurist war.355 Zudem traf sich Roosevelt am 29. Juni 1943 mit Pell, um die neue Position inhaltlich abzustimmen.356 Pell erhielt von Roosevelt das neuste Buch von Sheldon Glueck (Trial and Punishment of the Axis War Criminals) zur Vorbereitung und verließ das Gespräch mit dem Eindruck, man müsse auch eine Lösung für die Verbrechen in den Konzentrationslagern finden, über die er mit Roosevelt gesprochen hatte, und dafür notwendigenfalls auch die Rechtsgrundlagen erweitern. Cox bilanziert: „… convincing Pell his was a mission to expand international law, as directed by the president“.357 Das U.S. State Department war über die Wahl nicht glücklich, zumal Pell ein Kandidat war, der sich außerhalb der Kontrolle des Außenministeriums befand, weil er sich stets auf direktem Wege bei Roosevelt rückversichern und damit möglicherweise in die außenpolitische Linie der USA eingreifen würde.358 Das US-Außenmi353 354

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Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 51. Blayney, Michael Steward: Democracy’s aristocrat. The life of Herbert C. Pell, Lanham, MD 1986; Cox, Graham: Seeking Justice for the Holocaust: Herbert C. Pell Versus the US State Department, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 77–110.; The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 504. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 152. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 52. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 153. Cox, Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission. S. 154. Blayney, Democracy’s aristocrat. S. 120–121. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 152.

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nisterium lehnte daraufhin London gegenüber ab, einen amerikanischen Chairman für die UNWCC vorzuschlagen, nachdem die Briten mit Sir Cecil Hurst einen hochkarätigen Juristen benannt hatten.359 Dies war nicht mit Pell abgesprochen, der sehr enttäuscht war, da er auf diesen Posten gehofft hatte. All dies zeigt die umstrittene Stellung Pells. Die Briten hielten Pell ebenfalls für eine schlechte Wahl: Er hatte öffentlich sehr deutliche Positionen bezogen, beispielsweise lehnte er Revisionsmöglichkeiten ab und wollte Todesurteile für Kriegsverbrecher umgehend vollstreckt sehen. Später revidierte Pell diese Auffassungen jedoch und war einer derjenigen, die an der Ausarbeitung des Konzepts crimes agsainst humanity maßgeblich beteiligt waren. Die Gründungsveranstaltung der UNWCC fand am 20. Oktober 1943 im Foreign Office statt. Vertreter von 17 alliierten Nationen, darunter auch der British Dominions, waren beim Festakt in London in den Räumen des Foreign Office anwesend. Die Zusammensetzung der Delegationen der Eröffnungsveranstaltung war sehr unterschiedlich; während die einen hochrangige Experten, meist Juristen, entsandt hatten, waren die Vertreter anderer Nationen eher Diplomaten oder „Stellvertreter“ für einen noch zu benennenden ständigen (ebenso hochrangigen) juristischen Vertreter360; dies fällt besonders in Bezug auf die USA, aber auch im Falle Indiens und Chinas auf. Viscount Simon begrüßte die Delegierten im Namen der britischen Regierung (Außenminister Eden war verhindert) und kommentierte die Abwesenheit der Sowjetunion mit den euphemistischen Worten, die Sowjetunion sei „im Prinzip“ einverstanden mit der Gründung, es müssten aber noch „ein paar Punkte geklärt“ werden.361 Die meisten der Delegierten waren überzeugt davon, dass die Sowjetunion mit im Boot sei und bei einer der nächsten Sitzungen dabei sein würde. Dies galt als Schlüssel für den Erfolg des sehr ambitionierten Projekts, ein allen beteiligten alliierten Staaten gemeinsames System für den Umgang mit Kriegsverbrechern zu entwickeln.362 Simon betonte, dass die UNWCC vor allem Beweismittel zusammentragen und Listen erstellen solle und die Verbindung zu den Regierungen der alliierten Staaten koordinieren werde: „It should report to the Governments concerned in cases in 359 360

361 362

Kochavi, Prelude to Nuremberg. S. 52–54. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 112. Australia : Rt. Hon. S. M. Bruce, Lord Atkin; Belgium: Vicomte de Lantsheere, Lt. General Marcel de Baer; Canada: Rt. Hon. Vincent Massey; China: Dr. Wellington Koo, Dr. Liang Yuen-Li; Czechoslovakia: M. Lobkowicz, Dr. Bohumil (Bohuslav) Ecer; Greece: M. Aghnides, M. Stavropoulos; New Zealand: Mr. W. Jordan; Norway: M. Colban; Poland: Count Raczynski, Professor Stefan Glaser; Union of South Africa: Mr. Jones; United Kingdom: The Lord Chancellor (Viscount Simon), Mr. George Hall, Sir Cecil Hurst; United States: Mr. Winant; Yugoslavia: Mr. Yevtic, M. Milanovitch; India: Sir Samuel Ranganadhan; French Committee of National Liberation: M. Vienot, Professor Rene Cassin; Luxembourg: M. Clasen; Netherlands: Jonkheer Michiels van Verduynen, Dr. J. M. De Moor. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 54 und 113. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 112.

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which it appeared that adequate evidence might be expected to be forthcoming.“363 Die UNWCC, so Simon, bereite vor allem Prozesse vor, diese würden aber später in der nationalen Verantwortung durchgeführt werden. Es herrschte Einigkeit darüber, dass die Kommission eingerichtet werden solle, dass das Hauptquartier der UNWCC in London sein würde und unmittelbar danach Arbeitsgruppen und Komitees formiert werden sollten.364 Simon schlug auch die Gründung von Sub-Commissions in Chongqing und Moskau vor, doch nur die Sub-Commission in Chongqing wurde ins Leben gerufen. Über formale Fragen kam es dann zur Diskussion. Wer sollte den Vorsitz in der Kommission führen? Die Briten wollten dies auf dem Gründungstreffen klären, die Sowjetunion hatte jedoch schriftlich ein rollierendes System mit zwischen den Briten, den Amerikanern, den Sowjets und den Chinesen wechselndem Vorsitz vorgeschlagen.365 Der holländische Vertreter befand daraufhin, wenn schon Rotation gewählt würde, dann müssten auch die anderen, kleineren Alliierten darin einbezogen sein und ebenfalls einmal den Vorsitz führen dürfen. Der französische Vertreter, M. Vienot, war derselben Meinung, betonte aber, ein britischer Vorsitzender solle dann vielleicht als „permanent chairman“ agieren. Der US-Vertreter begrüßte zunächst einmal den sowjetischen Vorschlag, unterstrich aber, er sei bereit, auch einen britischen Vorsitzenden mit zu wählen. Der polnische Botschafter bemerkte, wenn man wirklich den Vorsitzenden wechseln lasse, dann werde faktisch die Arbeit durch das Sekretariat gemacht und die Kontinuität sei möglicherweise nicht gewährleistet. Der griechische Botschafter fand das Rotationsprinzip ebenfalls untauglich. Der chinesische Vertreter schloss die Diskussion mit dem zutreffenden Hinweis, die Sowjetunion sei auf der Gründungsveranstaltung ja gar nicht erschienen, daher halte er persönlich die Diskussion des sowjetischen Vorschlags für nicht zielführend. Auf Vorschlag des tschechoslowakischen Botschafters wurde schließlich ein InterimsVorsitzender bestimmt, der die Sitzung leiten sollte, und die Wahl eines Vorsitzenden auf eine spätere Sitzung verschoben. Während der Gründungsveranstaltung konnten die anwesenden Regierungsvertreter Bemerkungen zur geplanten Struktur und den Zielen der UNWCC machen. Die holländische Delegation äußerte die Hoffnung, dass die Kommission eine Liste der Kriegsverbrecher zusammenstellen werde, die man dann gleich mit der Waffenstillstandsvereinbarung Deutschland übergeben könne, um die zügige Auslieferung der Genannten zu veranlassen. Zudem schlug sie vor, dass es nicht Aufgabe der UNWCC sein solle, Prozesse gegen Bürger der alliierten Staaten vorzubereiten; diese sollten später vor nationalen Gerichtshöfen stattfinden.366 Ecer kritisierte Aufgabe 363

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Alle Debatten der Gründungsveranstaltung sind zitiert nach dem abgedruckten Protokoll in The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 113. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 55. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 115. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 114.

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und Befugnis der UNWCC in einem internen Bericht an seine Regierung als zu eng und befand, es seien der Kommission hier eigentlich nicht juristische, sondern eher administrative Aufgaben übertragen worden.367 Er schlug vor, in der Sitzung vom 26. Oktober 1944 erst einmal Aufgabe und Programm der UNWCC festzulegen. Das Sekretariat wurde, einem Vorschlag des britischen Lord Chancellor folgend, mit einem britischen Generalsekretär, Hugh McKinnon Wood, besetzt, der vom Foreign Office für diese Aufgabe abgestellt wurde: McKinnon Wood war im Völkerbund zuvor Direktor der Legal Section gewesen und verfügte somit in den Augen seiner Regierung über die bestmöglichen Voraussetzungen, insbesondere auch im Management und der Moderation einer internationalen Organisation.368 Norwegen schlug vor, den gesamten Apparat mit britischem Personal zu bestücken, doch die Amerikaner waren strikt dagegen. Man ließ die Frage daher erst einmal offen. Ungeklärt war auch die Frage der Kosten für ein solches Unterfangen. Es wurde vereinbart, dass die nationalen Delegationen von ihren jeweiligen Regierungen bezahlt und die Verwaltungskosten der Londoner Zentrale von allen Nationen zusammen getragen werden sollten („divided equally between the various Governments represented on the Commission“).369 Sofort gab es dagegen Protest, denn insbesondere die kleineren Staaten fragten sich, ob die finanziellen Belastung nach der Maßgabe „equally“ für kleine Exilstaaten mit einer durch die Besatzung nicht mehr existenten Volkswirtschaft wirklich fair sei; daher wurde die Frage ebenfalls vertagt. Auffällig war der globale Charakter der UNWCC wie auch schon der der Vorgängerorganisationen Cambridge Commission und LIA. Insbesondere Indien und China nahmen in den Sitzungen aktive Positionen ein. Der indische Abgeordnete Sir Samuel Runganadhan, Vizekanzler der University of Madras (1937–1940) und seit 1943 Hochkommissar für Indien, vertrat Indien in der UNWCC, er war Mitglied im Committee II; sein Stellvertreter, Mr. Dutt, der Sekretär des Hochkommissars für Indien, nahm ab 1945 an den Meetings teil und war Mitglied im Finance Committee.370 Der chinesische Vertreter, Botschafter Dr. Wellington Koo, M.A., Ph.D., war in den 1920er Jahren Außenminister sowie Premierminister seines Landes gewesen; in der Zwischenkriegszeit war er zudem Delegierter des Völkerbunds und Mitglied der Rüstungsbeschränkungskommission, wie wir gesehen haben. Seit 1941 war Koo Botschafter in London und vertrat China in mehreren Gremien, darunter der UNWCC. Er unterzeichnete später für China die UN-Gründungsurkunde in San Francisco. In der UNWCC war Koo Mitglied in den Committees II und III, in der Far Eastern Sub367

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Prag, Národní archive, ÚD NAD 615 , Úřad československého delegáta v komisi pro stíhání válečných zločinců (The Office of the Czechoslovak delegate in the Commission for Prosecution of War Criminals), im Folgenden: ÚD NAD 615. Report 3, Ecer an Minister (wahrscheinlich Justizminister), 11.12.1943. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. Biographische Informationen zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 505. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 116. Biographische Informationen zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 502.

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Commission und im UNWCC Executive Committee, also ebenfalls in fast allen Gremien.371 In der Gründungssitzung der UNWCC wurde Koo durch den chinesischen Botschafter in London, Wunz King, vertreten, der bereits an der Konferenz von St James’s Palace teilgenommen und dort den Wunsch nach einer Einbeziehung des pazifischen Kriegsschauplatzes geäußert hatte.372 Koos Stellvertreter war Dr. Y. L. Liang, LL.D., chinesischer Völkerrechtler, der ebenfalls sehr erfahren war und zudem fließend Englisch sprach und sein Land auf den meisten internationalen Konferenzen der Zeit vertrat. Liang war seit 1944 Mitglied in der UNWCC im Committee III. Nach Gründung der UN wurde er später Director der UN Division of the Development and Codification of International Law (Völkerrechtskommission).373 Der chinesische Delegierte, Botschafter Wellington Koo, wies in der ersten Sitzung darauf hin, dass China bereits seit 1931 japanischer Aggression ausgesetzt sei und daher hoffe, die UNWCC werde auch Verbrechen sühnen können, die noch vor dem offiziellen Beginn des Krieges lägen:374 China „reserved the right, after the Commission had been set up, to raise the question of the period of time which its investigations should cover in so far as the crimes committed in China were concerned.“375 Dies war jedoch genau ein Punkt, den die Briten vermeiden wollten, denn dann würden auch die Tschechoslowaken die Gelegenheit ergreifen, Verbrechen aus der Sudentenlandkrise vor Gericht zu bringen, und dies würde unweigerlich zu einer Debatte über die umstrittene britische Rolle während des Münchner Abkommens führen. Im Protokoll ist vermerkt, dass dieser Punkt offengelassen wurde: „Members voted to establish Commission but that the possible expansion of its scope of investigations and functions should be reserved for future consideration.“376 „Global“ bedeutete für die UNWCC als Organisation jedoch nicht, bereits jenseits des Nationalstaats zu denken, wie dies der Völkerbund durch die Betonung der Expertengremien getan hatte. In dieser Hinsicht stellte die UNWCC also einen Rückschritt dar, was insbesondere die Opferverbände beklagten. Sofort mit der Gründung der UNWCC tauchten erste Forderungen des WJC auf, in die Kommission auch einen jüdischen Vertreter zu entsenden.377 De Baer wies diese Forderungen mit Verweis

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Biographische Informationen zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 500. Lai, Wen-Wei: China, the Chinese Representative, and the Use of International Law to Counter Japanese Acts of Aggression: China’s Standpoint on UNWCC Jurisdiction, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 111–132. S. 112. Biographische Informationen zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 500. Zur chinesischen Position ausführlich Lai, Wen-Wei: China, the Chinese Representative, and the Use of International Law to Counter Japanese Acts of Aggression: China’s Standpoint on UNWCC Jurisdiction, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 111–132. Zitiert nach The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 114. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 114. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 127.

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auf die Struktur der UNWCC als Zusammenschluss der durch den Krieg betroffenen Nationen zurück. Er schrieb an den belgischen WJC-Vertreter Kubowitzki: „It is important, as you say, that a way should be found to punish those who are guilty of such crimes. […] We cannot risk another experience such as that of Leipzig, and on the other hand, there is no Court of the Allied Nations which would have jurisdiction for Crimes committed in Germany against German or stateless persons. […] The Commission seems to agree that it should extend the scope of its investigation to cover all crimes committed in Germany against Jews.“

De Baer schloss recht brüsk, es sei nicht möglich, in der UNWCC einzelne Opfergruppen zu repräsentieren.: „The United Nations Commission is exclusively composed of representatives of the various nations and I frankly cannot see how a Jewish delegate representing the Jewish community finds a place on it.“378

Auch wenn De Baer seine Meinung hier nicht als Repräsentant der UNWCC, sondern privat äußerte, ist doch anzunehmen, dass seine Kollegen diese Ansichten teilten. Mit dieser Stellungnahme übernahm de Baer zudem die Haltung der Alliierten 1919 in Versailles, als diese die Armenier nicht als Partei in den Friedensgesprächen zugelassen hatten, weil sie keine Nation darstellten, sowie die Position der Exilregierungen in der Erklärung von St James, keine jüdischen Vertreter zuzulassen. Die Spannung, die sich aus dem nationalstaatlichen Denken einzelner Delegierter innerhalb internationaler Organisationen entfaltete, wird hieran deutlich, aber auch der nach wie vor sakrosankte Primat der Nationalstaatlichkeit, der die Anliegen supranationaler Gruppen, hier der jüdischen Opfergruppe, konterkarierte. Ecer übernahm unmittelbar nach Gründung der UNWCC mit mehreren Vorstößen zur praktischen Ausgestaltung der Arbeit die Führung innerhalb der Exiljuristengruppe. So traf er vor der zweiten Sitzung der UNWCC am 9. November 1943 mit dem belgischen Delegierten De Baer und dem polnischen Vertreter Stefan Glaser privat zusammen, um das Vorgehen abzustimmen und dem Chairman, Cecil Hurst, in einem Memorandum Vorschläge zur Ausgestaltung der UNWCC-Arbeit zu unterbreiten.379 In einer weiteren Vorbereitungssitzung am 17. November 1943 unterstrich Ecer, dass die Hauptaufgabe der UNWCC die Definition des Begriffs Kriegsverbrechen sein müsse.380 Dies sei eine der zentralen Forderungen der Exilstaaten an eine alliierte Kriegsverbrecherkommission.

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Zitiert nach Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 81. Sie verweist auf AJA, H 58/7, letter De Baer to Leon Kubowitzki, 3.12.1943. ÚD NAD 615. Report 3, Bericht zur Sitzung am 9.11.1943. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. ÚD NAD 615. Report 3 vom 11.12.1943, Bericht zur Sitzung am 17.11.1943. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts.

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Die Briten schlugen vor, die UNWCC könne sich ein „technisches Komitee“ an die Seite stellen, das aus juristischen Experten aus verschiedenen Ländern bestehen solle und die Kommission in rechtlichen Fragen beraten könne.381 Gedacht sei an Zuarbeit für die Kommission und an Beratung („advise states upon matters of a technical nature, such as the sort of tribunals to be employed for the trial or war criminals, the law to be applied, the procedure to be adopted and the rules of evidence to be followed“). Dies betraf jedoch den Kernbereich einer War Crimes Commission, den eigentlich die UNWCC ausfüllen sollte, und so wurde dieser Vorschlag zunächst verhalten aufgenommen (Briten und Franzosen sprachen sich zunächst dafür aus, was belegt, dass die Hauptalliierten die UNWCC allenfalls als zusätzliches, nicht besonders wichtiges Gremium ansahen). Viele Delegierte aus den kleineren Staaten hatten diese politischen Einflussmöglichkeiten jedoch nicht und konzentrierten sich daher auf ihre Rolle in der UNWCC als die wesentliche Plattform, um ihre Stimme zu Gehör zu bringen. Sie waren der Meinung, eine separate Kommission werde die Einwirkungsmöglichkeiten der UNWCC verwässern oder sogar Komplikationen schaffen, zumindest aber die Debatte verzögern. Ecer sowie eine kleinere Gruppe von Exiljuristen (De Baer, de Moor, Stavropulous und Glaser) protestierten daher offiziell bei Hurst dagegen.382 Man beschloss, die Entscheidung zu vertagen, aber nur um Zeit zu gewinnen und sich zu koordinieren. Schon auf dem zweiten, noch inoffiziellen Treffen der UNWCC vom Dezember 1943 wurde der Vorschlag erneut zurückgewiesen. Insbesondere Ecer war empört über den britischen Vorschlag und sah darin einen Versuch, von politischer Seite Einfluss auf juristisch zentrale Fragen zu nehmen.383 In den Akten aus Prag haben sich seine vielfältigen Versuche erhalten, das technische Komittee zu verhindern – was Ecers Rolle als Wortführer der Exilnationen unterstreicht, aber auch die Gruppenbildung unter Exiljuristen innerhalb einer internationalen Organisation wie der UNWCC veranschaulicht. So rief Ecer, ermuntert von Herbert Pell, bereits am 11. Dezember 1943 privat die Delegierten der Exilstaaten zusammen, um eine gemeinsame Strategie abzustimmen.384 Dabei wurde ein Memorandum Ecers diskutiert, in welchem er sich vehement gegen die Beschränkung der Arbeit der Juristen aussprach. Auf der Sitzung vom 18. Januar 1944 präsentierte Ecer dem Chairman Hurst erneut sein Memorandum, das sich gegen eine Beschränkung der Arbeit der Kommission in juristischen Fragen wandte.385 Da Ecer 381 382 383 384

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The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 117. ÚD NAD 615. Report 3 vom 11.1.21943, Bericht zur Sitzung am 2.12.1943 zur Frage eines „technical Comittee“. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 94. ÚD NAD 615. Report 5 vom 22.1.1944, Bericht zur Sitzung am 4. Und am 11.12.1943, Ecer an die Kanzlei des tschechoslowakischen Präsidenten in London sowie an das Außenministerium der Tschechoslowakei in London. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. ÚD NAD 615. Report 5 vom 22.1.1944, Bericht zur Sitzung am 18.1.1944, Ecer an die Kanzlei des tschechoslowakischen Präsidenten in London sowie an das Außenministerium der Tschechoslowakei in London. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts.

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inzwischen den Vorsitz im Legal Committee übernommen hatte, wurde für Cecil Hurst deutlich, dass er in Ecer einen hartnäckigen Widersacher haben würde, der keineswegs alle Vorschläge aus London mit einem Nicken absegnen würde. Auch persönlich gab es Differenzen. So schmähte Ecer Hurst in seinen Handakten als „altmodischen Aristokraten“.386 Die Exiljuristen arbeiteten inhaltlich schon sehr früh zusammen. Bereits am 5. Januar 1944 kam es zu einem Treffen, an dem Cassin für Frankreich, de Moor für Holland, Stavropulous für Griechenland und Ecer teilnahmen, aber auch Herbert Pell für die USA und Wellington Koo für China.387 In dieser Sitzung wurde die offizielle Arbeitssitzung der UNWCC vom 11. und 18. Januar 1944 vorbereitet und bereits eine Dreigliederung vorgeschlagen, wobei die Delegierten sich für die Posten in den verschiedenen Bereichen freiwillig melden konnten. Die UNWCC wurde im Januar 1944 also in drei Abteilungen gegliedert: Die erste beschäftigte sich mit der Sammlung von Beweismitteln und generellen Informationen zu den Verfahren und ihren Angeklagten, das zweite Komitee prüfte die juristischen Voraussetzungen einer Anklage und das dritte Komitee befasste sich mit juristischen Fragen.388 In der Sitzung vom 25. Januar wurden die Funktionen festgelegt – dazu hatte es am 24. Januar 1944 ein privates Treffen zwischen Ecer, Pell, Koo, De Baer, de Moor und Glaser gegeben, bei dem noch einmal über die Aufgabenverteilung gesprochen worden war.389 Wellington Koo und Herbert Pell wurden ausgewählt, zusammen mit Cecil Hurst die einzelnen Mitglieder in die Arbeitsgruppen einzuteilen (die jedoch bereits vorher abgesprochen worden waren). Die Bestellung Koos und Pells ist wahrscheinlich ein Zugeständnis an reale politische Macht und unterstreicht formale Hierarchieebenen, denen gemäß die letzte Entscheidung bei den Hauptalliierten lag. China galt damals noch als vierter Hauptalliierter.390 Die Exiljuristen waren in der UNWCC an prominenter Stelle vertreten. Dem Committee I, genannt Facts and Evidence Committee, saß der belgische Richter Marcel De Baer vor;391 seine Aufgabe war es zu prüfen, ob die eingereichten Beweismittel ausreichend waren, um ein Verfahren zu eröffnen. Das zweite Komitee, genannt Committee on Means and Methods of Enforcement, war dazu gedacht, Strategien und einen Strafverfolgungsapparat zu entwerfen, und das dritte Committee, unter 386 387

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So beispielsweise in seinem Bericht Nr. 3 vom 11.12.1943, in ÚD NAD 615. ÚD NAD 615. Report 5 vom 22.1.1944, Bericht zur Sitzung am 5.1.1944, Ecer an die Kanzlei des tschechoslowakischen Präsidenten in London sowie an das Außenministerium der Tschechoslowakei in London. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. Über Aufbau und Zielsetzung der UNWCC siehe Plesch, Dan/Sattler, Shanti: Changing the Paradigm of International Criminal Law. Considering the Work of the United Nations War Crimes Commission of 1943–1948, in: International Community Law Review 15/2 (2013), S. 203–223. S. 28. ÚD NAD 615. Report 6 vom 26.1.1944, Bericht zur Sitzung am 24.1.1944, Ecer an Justizministerium der Tschechoslowakei in London. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. Vgl. hierzu Mitter, Forgotten ally. Hierzu ausführlich Stahn, Carsten: Complementary and cooperative justice ahead of their time? The United Nations War Crimes Commission, Fact-Finding and Evidence, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 223–260.

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Vorsitz des tschechoslowakischen Juristen Ecer und seines Sekretärs Egon Schwelb, hatte in der UNWCC wichtige beratende Funktion in rechtlichen Fragen. In diesem Sinne kann man zusammenfassen, dass das Legal Committee die Speerspitze der Debatten darstellte, „it was active in the clarification of legal issues, the gradual elimination of uncertainties in the spheres of the laws of war and the promotion of rules, many of which were to become part of contemporary penal law“.392 Neben den drei Komitees, die alle in London angesiedelt waren, gab es eine Pacific Sub-Commission der UNWCC, die sich ausschließlich mit der Planung der Verfahren in Asien beschäftigte, vom Prinzip her aber genauso wie die übergeordnete Londoner Behörde aufgebaut war. Diese Sub-Commission tagte von 1944 bis 1947 in Chongqing, der vorübergehenden Hauptstadt Chinas während des Krieges mit Japan.393 Aufgrund der bereits dargelegten Differenzen mit Stalin gelang es nicht, auch noch eine Sub-Commission in Moskau einzurichten; die Sowjetunion hatte zudem inzwischen ihre eigene Kommission gegründet. Nach der Gründungssitzung vom 20. Oktober 1943 informierten die Briten die Sowjetunion über den Verlauf dieser Veranstaltung. Obwohl die Sowjetunion nicht dabei war, wurde doch daran festgehalten, dass man sich zwei Wochen später in Moskau treffen wolle – wo dann die Erklärung der drei Außenminister mit dem Tenor veröffentlicht wurde, Kriegsverbrecher „bis ans Ende der Welt zu verfolgen“. Die Moskauer Erklärung sollte bis Kriegsende die einzige gemeinsame öffentliche Erklärung der drei Hauptalliierten in der Kriegsverbrecherfrage bleiben, was angesichts der beschriebenen Schwierigkeiten nicht verwunderlich ist.394 Analysiert man die Meetings der UNWCC, so waren die aktivsten Protagonisten (nimmt man Anträge und Diskussionsbeiträge sowie Anwesenheit in den Sitzungen als Grundlage) vor allem eine Reihe nahmhafter Juristen aus den Exilstaaten, die bereits aus den Vorgängergremien bekannt waren: der tschechoslowakische Völkerrechtler Bohuslav Ecer, der belgische Richter Marcel De Baer, der polnische Jurist Stefan Glaser, der holländische Jurist Johannes Maarten de Moor, der jugoslawische Delegierte Radomir Živković sowie der französische Jurist René Cassin sorgten für personelle Kontinuität. Diese personelle Kontinuität der Mitglieder war für den Erfolg der UNWCC-Arbeit zentral. Ecer bilanziert: „Es war darum ein Vorteil, vielleicht fast schon die Rettung vor Misserfolg, dass sechs Mitglieder der LIA von ihren Regierungen in die UNWCC delegiert wurden und dass diese einen starken Kern von Personen gebildet

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The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 169. Vgl. auch Lingen, Kerstin von: Defining Crimes against Humanity: The Contribution of the United Nations War Crimes Commission to International Criminal Law, 1944-1947, in: Historical Origins of International Criminal Law, hrsg. v. Morten Bergsmo/Wui Ling CHEAH, Ping YI, Brussels 2014, S. 475–506. S. 476. Schriftwechsel hierzu in TNA, FO 371/51009, Establishment of the Far Eastern and Pacific Subcomission. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 57.

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haben, die die Probleme schon ausführlich kannten und diskutiert hatten sowie bereits zu ihrer Lösung beigetragen hatten.“395 Dabei arbeiteten die Delegierten durchaus unter schwierigen und je nach Nation unterschiedlich günstigen Bedingungen. Die Arbeitssprache Englisch war für die meisten Juristen neu, und daher nahm Marcel de Baer, der durch seine Heirat inzwischen zweisprachig war, eine Brückenfunktion ein. Er leistete offensichtlich nicht nur Korrekturhilfe, sondern half auch mit Büroausstattung und kleinen Gefälligkeiten durch sein (vom belgischen Staat bezahltes) Sekretariat aus. So schildert Ecer in einem Bericht, in dem er um mehr Geld und Büroausstattung bat, seine Arbeitsbedingungen: „Ich habe die schlechteste Position. Nicht nur, dass ich kein dringend notwendiges Büro habe und in der Wohnung arbeiten muss, was nicht immer möglich ist, ich habe auch keine notwendige Schreibkraft. Die Stenographinnen von eurem Amt [= dem Justizministerium] helfen mir, aber es reicht natürlich noch nicht und wird auch in Zukunft nicht reichen. Mit der Ausarbeitung auf Englisch bin ich am schlechtesten. Das Auslandsministerium hilft mir manchmal, aber ich muss regelmäßig im Büro von General De Baer um Hilfe bitten und dort meine Memoranda und die Referate für die UNWCC diktieren.“396

Ecer forderte daher im April 1944 von Beneš nachdrücklich ein „Büro mit zwei Zimmern, zwei Stenographinnen und eine Übersetzerin“ sowie eine finanzielle Grundausstattung, um seine Aufgaben in der UNWCC ausfüllen zu können. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, wie wichtig es für den Erfolg der Verrechtlichungsdebatte war, dass in London nicht nur ein persönliches Zusammenkommen der Akteure möglich wurde, sondern auch die Einigung auf eine Verkehrssprache, nämlich Englisch. Die Bedeutung von Sprache in der UNWCC und ihren Vorgängerorganisationen deutet eventuell auch auf eine geschlechterspezifische Problematik hin.397 Englisch und Französisch waren traditionell die Sprachen, die in Zentraleuropa an Mädchengymnasien gelehrt wurden, während Latein die Sprache war, die Jungen im klassischen Gymnasium erlernten, was sie zum Studium an einer Universität befähigen sollte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es nun wichtig, die beiden Kompetenzen Studium und moderne Fremdsprachen zu kombinieren, was jedoch nicht zu einer Aufwertung weiblicher Akteurinnen führte. Es fällt auf, dass beispielsweise auf Gruppenbildern Frauen zu sehen sind, diese aber, sieht man von der belgischen Vertretungs-Delegierten Elizabeth Goold-Adams, M.A.,

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Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 95–96. ÚD NAD 615. Report 14 vom 2.4.1944, Ecer mit generellen Anliegen an Justizministerium der Tschechoslowakei in London. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. Ich danke für die Möglichkeit, diese Studie im Colloquium „Interaktionen“ der Universität Wien am 22.11.2017 vorzustellen, und Prof.in Dr. Johanna Gehmacher, die auf diese geschlechterspezifische Verbindung hinwies.

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ab,398 keine Funktion innerhalb der UNWCC erfüllt zu haben scheinen. Durch Briefe wie die oben zitierten wissen wir jedoch, wie zentral gerade die Beherrschung der englischen Schriftsprache für den Erfolg der Juristendebatten war, und diese Übersetzungsarbeit wurde in den einzelnen Sekretariaten von weiblichen Fachkräften geleistet, von denen einzelne eventuell auch juristische Vorbildung besessen haben dürften. Hier sind weitere Studien notwendig. Ecer nahm in Vorträgen und späteren Schriften eine Einteilung der UNWCC-Delegierten in zwei Gruppen vor, die sehr aufschlussreich ist und zum Verständnis der Positionen in den Debatten beiträgt.399 Die eine, kleinere Gruppe habe, so Ecer, aus meist älteren Formaljuristen und ‚Legalisten‘ bestanden, habe sich nicht auf neue Wege begeben wollen und sei von den Briten angeführt worden; mit ihnen einig seien die Delegierten Griechenlands, Norwegens und Indiens gewesen.400 Die zweite, zahlenmäßig größere Gruppe seien diejenigen gewesen, die an einer Lösung des Problems der Ahndung von Kriegsverbrechen ein vitales Interesse gezeigt hätten: Hierzu gehörten die USA, Frankreich, China, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Polen, Belgien, die Niederlande und Australien.401 Sich selbst gibt Ecer in dieser zweiten Gruppe rückblickend die Rolle des Motors, was etwas unbescheiden ist, sich aber mit den Befunden aus den Akten deckt, wenn man die Vorlagen und Diskussionsbeiträge analysiert. Bei jedem Problem seien beide Gruppen in der Diskussion aneinandergeraten, die zweite Gruppe habe sich auf lange Sicht aber durchgesetzt, „weil die Logik der Fakten stärker war als juristische Skrupel“, so Ecer.402 Dies deutet auf eine wachsende Gruppenidentität hin. 2.3. Auf dem Weg nach Nürnberg: Alliierte Positionen 1944 Das Hauptproblem hinter der Verzögerungstaktik der USA war, dass das State Department noch keine klare Linie in der Kriegsverbrecherpolitik entwickelt hatte und sich daher von der Ernennung eines Vertreters bzw. der UNWCC-Gründung insgesamt gedrängt fühlte, Stellung zu beziehen. Die Folge war eine Verschleppung britischer Anfragen seitens der offiziellen US-Stellen.

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The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War. S. 500. Er äußerte diese Unterteilung in zwei Fraktionen erstmals öffentlich auf einem Vortrag vor der Society for Cultural relations with the USSR am 14.12.1944. Das Manuskript seines Vortrags findet sich in den australischen Akten unter NAA, A 2937/ 273, Ecer, The USSR and the Problem of War Crimes, 14.12.1944. 16 Seiten, hier S. 7. NAA, A 2937/273, Ecer, The USSR and the Problem of War Crimes, 14.12.1944. Ebenso in Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 97. NAA, A 2937/273, Ecer, The USSR and the Problem of War Crimes, 14.12.1944. Ebenso in Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 97. Ecer, Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus). S. 31.

2. UMSCHWUNG IN DER KRIEGSVERBRECHERDEBATTE

283

In den USA bildeten sich 1944 zwei politische Lager heraus, die sich mit der Frage der Kriegsverbrecher in sehr unterschiedlicher Weise beschäftigten. Das eine Lager wurde vertreten durch den US-Finanzminister Henry Morgenthau,403 das andere durch US-Kriegsminister Henry J. Stimson.404 Bis 1943 hatte sich Roosevelt allenfalls am Rande mit der Kriegsverbrecherfrage beschäftigt und insbesondere seine Verlautbarungen vor dem Hintergrund erlassen, die Erwartungen der europäischen Exilregierungen wie auch die der jüdischen Verbände in den USA zufriedenzustellen und den Durchhaltewillen der besetzten Völker zu stärken.405 Henry Morgenthau hatte sich im August 1944 auf eine Reise nach Europa begeben und in London mit britischen Regierungsfunktionären zum Gespräch getroffen. Es ist zentral, hier darauf hinzuweisen, dass Morgenthau bei dieser Gelegenheit mit dem US-Delegierten der UNWCC, Herbert Pell, zusammentraf, der ihm die Wichtigkeit der Kriegsverbrecherjustiz für die Nachkriegsordnung vor Augen führte. Ohne dass Pell je wieder Kontakt mit Morgenthau hatte, wurde dieses Treffen vom 16. August 1944 mit einer der Gründe dafür, dass Morgenthau den Gedanken der Kriegsverbrecherpolitik, wenn auch noch in sehr kruder Form, in seine Nachkriegsplanungen aufnahm.406 Cox bilanziert hierzu: „By speaking with Morgenthau this August, Pell set in motion a chain of events that resulted in the establishment of a methodology to bring the Axis war criminals to trial for all their crimes, including those committed against Germany’s Jews. But no one in the Roosevelt administration deemed it necessary to inform Pell – or anyone else in the UNWCC – about this development.“407

Bei seinen diversen Gesprächen in London war Morgenthau relativ überrascht zu hören, dass beim Treffen der „großen drei“ in Teheran vom 1. Dezember 1943 bereits Übereinstimmung darüber erzielt worden war, Deutschland in militärische Besatzungszonen zu zerstückeln. Als er dies mit dem Außenminister besprechen wollte, zeigte sich, dass auch der US-Außenminister darüber nicht informiert war.408 Morgenthau drängte Roosevelt, sich genauer mit der Zukunft des Deutschen Reiches in der Nachkriegszeit zu beschäftigen und mit den beteiligten Stäben Pläne zu entwickeln, um selbst Vorschläge machen zu können.409 Insbesondere bemängelte Morgenthau, dass zwischen den USA und ihren Alliierten keinerlei Übereinstimmung 403 404 405 406

407 408 409

Zur Biographie vgl. Levy, Herbert: Henry Morgenthau, Jr. The remarkable life of FDR’s secretary of the treasury, New York 2015. Schmitz, David F.: Henry L. Stimson. The first wise man (Biographies in American foreign policy no. 5), Wilmington, Del. 2001. Borgwardt, Elizabeth: A new deal for the world. America’s vision for human rights, Cambridge, Mass., London 2005, S. 220. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 80. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 159. Cox, Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, S. 161. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 81. Levy, Henry Morgenthau, Jr., S. 443.

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herrsche. Während die Briten relativ offen forderten, Deutschland wieder aufzubauen, um Reparationen verlangen zu können, habe die U.S. Army keine klare Vision für die Nachkriegsordnung.410 Eisenhower selbst sei zwar bereit, gleich beim Einmarsch hart mit den Deutschen zu verfahren, aber die Armeerichtlinien sähen dies gar nicht vor, wie man im Armeehandbuch nachlesen könne. Nach diesem Weckruf begann in Washington eine ernsthafte Diskussion über die Behandlung Deutschlands, insbesondere in Bezug auf die Frage der NS-Kriegsverbrecher. Morgenthau schlug am 25. August konkret vor, das Armeehandbuch „Handbook of Military Government for Germany“ außer Kraft zu setzen, denn dieses sah einen raschen Wiederaufbau Deutschlands vor.411 Roosevelt entsprach diesem Vorschlag und betonte nun, alle Deutschen seien kollektiv für die Grausamkeiten im Krieg verantwortlich. Roosevelt setzte eine Arbeitsgruppe ein, die die Behandlung des Deutschen Reiches nach dem Waffenstillstand planen sollte; neben Morgenthau waren auch Kriegsminister Stimson, Außenminister Cordell Hull und der frühere Handelsminister Harry Hopkins, inzwischen persönlicher Berater Roosevelts, Mitglieder dieses Komitees.412 Morgenthau formulierte für die Beratungen mit Roosevelt ein Memorandum unter dem Titel „Program to Prevent Germany from Starting a World War III“, das später als „Morgenthau-Plan“ bekannt wurde.413 Morgenthau forderte darin die komplette Entmilitarisierung und die Zerschlagung der Industrie des Deutschen Reiches sowie die harte Verfolgung aller Deutschen, die in Kriegsverbrechen verwickelt waren. Einer der Punkte sah beispielsweise die Demontage aller Industrieanlagen an der Ruhr vor. Der Plan war, Deutschland dauerhaft zu schwächen und gleichzeitig England, seinem größten wirtschaftlichen Konkurrenten, zum Aufschwung seiner Minen und der Stahlindustrie zu verhelfen. Wie Churchill auch, wollte Morgenthau eine Liste zusammenstellen lassen, in der die „größten Kriegsverbrecher“ („arch-criminals“) verzeichnet seien. Sobald jemand, der auf dieser Liste stand, in Gefangenschaft geriete, könne er dann von einem UN-Erschießungskommando ohne weiteres Verfahren erschossen werden. Zur Strafverfolgung schlug Morgenthau die in der U.S. Army bereits erprobten „Military Commissions“ vor, die es erlauben würden, Verbrechen auch gegen Zivilisten vor Gericht zu bringen, unter anderem auch die Erschießung von Geiseln zu sühnen, die aus „rassischen oder religiösen Gründen“ verfolgt wurden. Als Strafmaß sah er bei Verurteilung durch eine „Military Commission“ grundsätzlich die Todestrafe vor, nur in Ausnahmefällen solle es Haftstrafen geben. 410 411

412 413

Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 80–81. Dies ist natürlich nicht zutreffend, wenn man die Arbeit der OSS Abteilung R&A mit einbezieht. Zu Morgenthaus proposals vgl. Borgwardt, A new deal for the world, S. 348, FN 30. Das Handbuch ist zitiert in Dorn, Walter L.: The debate over American Occupation Policy in Germany, 1944-1945, in: Political Science Quarterly 72 (1957), S. 481–501. S. 490. Bass, Stay the hand of vengeance. S. 162. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 82. Smith, Bradley F.: The American road to Nuremberg. The documentary record, 1944-1945 (Hoover Press publication 248), Stanford, Calif. 1982. Dokument 12 : From Henry Morgenthau Jr. To President Roosevelt, 5.09.1955, S. 27–29. Der Vorschlag eines „Post-Surrender programs for Germany“ von Morgenthau vom 6.9.1944 ist zudem online abrufbar unter http://docs.fdrlibrary.marist.edu/ psf/box31/t297a01.html (Zugriff am 20.09.2016).

2. UMSCHWUNG IN DER KRIEGSVERBRECHERDEBATTE

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Er schlug ferner vor, SS-Mitglieder, Gestapo-Angehörige, hohe Polizeioffiziere sowie SA-Offiziere beim Einmarsch automatisch unter Arrest zu stellen, bis das Ausmaß individueller Schuld geprüft werden könne. Roosevelt zögerte, und statt zu entscheiden, fuhr er zu einem Treffen mit seinem britischen Amtskollegen Churchill, das dazu dienen sollte, mit seinem wichtigsten Verbündeten die Nachkriegsplanung für Deutschland zu klären.414 Auf der Konferenz in Quebec (12.–16. September 1944) kam es zunächst auch zu einer Einigung zwischen Churchill und Roosevelt über die Strategie in der Kriegsverbrecherfrage. Sie entschieden, die Rüstungsindustrie an Ruhr und Saar abzubauen und Deutschland auf das Niveau eines Agrarstaates zurückzuführen.415 Zudem zeigten sich beide aufgeschlossen dafür, die „Nazi-Elite“ auch ohne Prozess hinzurichten, wollten dies aber noch in ihren Fachgremien diskutieren. Kriegsminister Henry J. Stimson lehnte den Morgenthau-Plan ab; einen Tag nach dem Treffen der beiden Regierungschefs in Quebec schickte er ein Memorandum an Roosevelt, welches besagte, dass die Pläne des Finanzministeriums seiner Meinung nach mit den Zielen der Altantik-Charta unvereinbar seien.416 Insbesondere die Zerschlagung der Industrie an der Ruhr schien ihm nicht zielführend, da Europa auf einen Wiederaufschwung der Produktion angewiesen sei und die Zerschlagung der Industrie zu einer Hungersnot führen werde (was wiederum unvereinbar sei mit den Four-freedoms-Zielen, hier „freedom from want“, so Stimson).417 Stimson bemühte starke Worte: Es sei „a crime against civilization to force poverty on the educated, efficient, and imaginative German people.“418 Zudem war er gegen eine kollektive Bestrafung der deutschen Bevölkerung, da dies den Keim für einen neuen Weltkrieg legen, zumindest aber Spannungen heraufbeschwören könne. Er sei durchaus für die harte Bestrafung Einzelner, nicht aber für die Zerstörung der gesamten Industrie. Was die Frage der Kriegsverbrecher betraf, so schwebte Stimson eine schnelle Bestrafung aller Führer vor, denn das Ziel müsse sein, den Deutschen vor Augen zu führen, welches Unheil in ihrem Namen geschehen sei.419 Er sprach sich außerdem dafür aus, die Gestapo und die SS komplett zu internieren. Stimson und sein Assistent, der spätere Hochkommissar für die US-Zone in Deutschland John J. McCloy, betonten, sie seien vor allem daran interessiert, „law, order, and efficiency“ herzu414 415 416 417

418

419

Die Debatten bei Woodward, Llewellyn (Hrsg.): British Foreign Policy in the Second World War, London 1962. S. 471–476. Ebenso bei Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 86. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 87. Borgwardt, A new deal for the world, S. 208. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S. 417. US Department of State (Hrsg.): Foreign Relations of the United States (FRUS): Diplomatic Papers 1941-1946, Washington 1944-1945, The Conference at Quebec, Sept. 1944. Memorandum from Stimson to Roosevelt (Sept. 15, 1944), S. 482–485. Overy, Richard J.: The Nuremberg Trials: International Law in the Making, in: From Nuremberg to The Hague. The future of international criminal justice, hrsg. v. Philippe Sands, Cambridge, New York 2003, S. 1–29. S. 4. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 84.

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stellen. Sie erhielten Unterstützung von George Keenan aus dem Außenministerium, der ebenfalls immer wieder betonte, die Internierungs- und Entnazifizierungspläne seien zu weit gefasst, man müsse auch Leute übriglassen, die Deutschland wieder aufbauen sollten.420 Das Finanzministerium konterte jedoch, dies würde möglicherweise zu dem sehr unerfreulichen Effekt führen, dass der Lebensstandard in Deutschland nach dem Krieg höher sein werde als im restlichen, von den Deutschen verwüsteten Europa, das „so viel für den Sieg geopfert“ habe.421 Gleichzeitig geriet jedoch Morgenthaus Plan in der US-Presse in die Kritik, denn dieser, so der Tenor, würde den Deutschen einen Vorwand dafür liefern, bis zum bitteren Ende weiterzukämpfen. Da diese Kritik nur wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl laut wurde, zog Roosevelt nun seine offizielle Unterstützung für den Morgenthau-Plan zurück, als er sah, wie unpopulär dieser war, und schob die Entscheidung erneut auf.422 Daraufhin zog auch Churchill seine Position zurück, machte aber deutlich, dass er nach wie vor Repressalien gegen alliierte Kriegsgefangene fürchte, sollte eine offizielle alliierte Kriegsverbrecherpolitik bekannt werden; es gebe bereits Berichte über Misshandlungen und Folterungen britischer Gefangener.423 Im Kabinett Roosevelts fand Stimsons Vorschlag zunächst nicht viele Fürsprecher. Außenminister Cordell Hull befürwortete intern erst den Morgenthau-Plan, da er fand, die Deutschen müssten für den Zweiten Weltkrieg bestraft werden. Allerdings änderte Hull kurz vor dem Ende seiner Amtszeit 1944 seine Meinung und unterstützte zuletzt Stimsons moderatere Position. Roosevelt selbst neigte eher Morgenthaus Plan zu, vermied es aber, sich kurz vor der Wahl klar zu positionieren. Stimson forderte als einer der Ersten eine juristische Abrechnung. Er schrieb in sein Tagebuch: „It is preferable to organize a major trial during which we can prove, in its entirety, the Nazi plot to wage a war of aggression that once set in motion violates all the normal rules which limit cruelty and unnecessary destruction.“424 Stimson warb dafür, dass die USA die Abrechnung in „zivilisierter Weise“ durchführten, und hielt einen internationalen Gerichtshof für den besten Weg,425 denn Abrechnung müsse nicht von Rache, sondern von rechtsförmiger Aufarbeitung geleitet werden; zudem habe ein Gerichtsverfahren einen nachhaltigeren, weil erzieherischen Effekt. Er bemühte dafür sogar das Konzept des Zivilisationsstandards: „The very punishment of these men in a dignified manner consistent with the advance of civilization will have the greater effect on posterity […] I am disposed to believe that, at 420

421 422 423 424

425

Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S. 417. Borgwardt, Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution, S. 417. Bass, Stay the hand of vengeance, S. 180 ; Borgwardt, A new deal for the world, S. 209–210. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 88; Bass, Stay the hand of vengeance, S. 182. Zitiert nach Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 38. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 86.

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least as to the chief Nazi officials, we should participate in an international tribunal constituted to try them.“426

Eine Folge der Entscheidung der USA, sich ernsthaft mit der Kriegsverbrecherfrage auseinanderzusetzen, war die Entwicklung von juristisch tragfähigen Konzepten zur Umsetzung in einem noch zu schaffenden Strafgerichtshof. Bush hat ausführlich auf die wichtige Rolle William Chanlers bei der Formulierung des Straftatbestands crimes against peace hingewiesen.427 Chanler verfolgte damit drei Ziele, so Bush: Erstens bewirkte die Zuschreibung eines Angriffskrieges, dass die Kriegführenden diesen Status verlören und als gemeine Kriminelle angesehen werden konnten; zweitens galt der Angriffskrieg Chanler als Ausdruck eines gemeinsamen Plans (‚conspiracy‘); und drittens stellte der Angriffskrieg einen Straftatbestand an sich dar (was Chanler dazu brachte, über eine Separatanklage gegen Mussolini nachzudenken).428 Murray C. Bernays stellte schließlich ein Konzept zur strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen vor, welches den Tatbestand der Verschwörung (‚conspiracy‘) ins Zentrum rückte und mit den Ideen Chanlers in Verbindung stand.429 Bush urteilt, dass diese Elemente – die Konzentration auf den Angriffskrieg, also crimes against peace, und ‚conspiracy‘ – konstituierend für die nachfolgende US-Politik geworden sind.430

3. UNWCC-Debatten um crimes against humanity Die Genese des Konzepts crimes against humanity ist eng mit der Debatte darüber verbunden, was als Kriegsverbrechen angesehen werden könne – und wo die Lücken seien, die es noch zu schließen gelte. Es lässt sich nachweisen, dass es die Vorschläge der Exiljuristen – allen voran die De Baers und Ecers – waren, die in London zur Prägung des Konzepts und Begriffs crimes against humanity beitrugen. Im Zentrum stand nicht mehr die Frage der Strafbarkeit generell, sondern vielmehr die Problematik der Ahndung von Verbrechen, bei denen es sich nicht um Kriegsverbrechen im engeren Sinne handelte.431 Die Debatte hatte Anfang des Krieges damit 426 427 428 429

430 431

Zitiert nach Robertson, Crimes against humanity, S. 307. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. Bush, The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War. S. 2364. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S. 433. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2364. Auch im Folgenden vgl. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 590.

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begonnen, dass viele Völkerrechtler zunächst der Ansicht zuneigten, dass es am sinnvollsten sei, solche Verbrechen ebenfalls als Kriegsverbrechen zu betrachten und entsprechend zu verfolgen.432 Erst langsam setzte sich die Einsicht durch, dass es sich um neue Verbrechenstypen handelte, die eine neue rechtliche Kategorie erforderten. Die Argumentationsketten waren dabei sehr unterschiedlich, alle Juristen betonten jedoch, dass auch Verletzungen völkergewohnheitsrechtlicher Prinzipien strafbar seien. Larry May umschreibt drei Straftatbestände, die heute unter dem Begriff crimes against humanity gefasst werden:433 Entweder geht es (1) um Verbrechen, die im Namen eines Staates oder in staatlichem Auftrag begangen werden, oder (2) um Verbrechen, die eine bestimmte Gruppe von Zivilisten betreffen (nicht nur Einzelpersonen), oder (3) es wird ein internationales Verfahren nötig, da das Verbrechen nicht vor den nationalen Gerichten des Täterstaates geahndet werden kann, weil der Staat kein Interesse an der Verurteilung hat oder die Rechtsordnung bereits zusammengebrochen ist. Diese drei Merkmale finden sich als Argumentationsfiguren auch in den Debatten der 1940er Jahre wieder, die im Folgenden analysiert werden. Wie bereits angesprochen, nutzt diese Studie konsequent den englischen Begriff crimes against humanity. Dies hat zweierlei Gründe. Zum einen lässt sich durch die Linse einer Fragestellung der intellectual history nachweisen, wie stark der Grundgedanke des Konzepts mit dem Gedanken von ‚humanité‘ verknüpft war, wie wir es aus der Französischen Revolution und später aus der Martens-Klausel kennen und wie es in dieser Arbeit durch die These, das Konzept habe Kontinuität seit dem 19. Jahrhundert, vertreten wird. Zum anderen ist um den deutschen Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eine Debatte entbrannt, die vom historischen Kern dieses Begriffs ablenkt und stattdessen auf das heutzutage meist mit crimes against humanity assoziierte Verbrechen des Holocaust rekurriert. Die Kritik an der deutschen Übersetzung stammt aus Hannah Arendts Gerichtsreportage vom Eichmann-Prozess in Jerusalem, als sie schrieb: „[…] als hätten es die Nationalsozialisten lediglich an ‚Menschlichkeit‘ fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts.“434 Vielmehr plädierte sie dafür, von „Verbrechen gegen die Menschheit“ statt „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu sprechen, denn die Nationalsozialisten hätten sich gegen die Ordnung der Menschheit an sich vergangen.435 Diese These ist in jüngster Zeit von Uwe Makino und Boris Barth wieder aufgegriffen worden. Seges432

433 434 435

Schwarzenberger, Georg: War Crimes and the Problem of an International Criminal Court, in: Czechoslovak Yearbook of International Law 1 (1942), S. 69–70. S. 68. Glueck, Sheldon: Trial and Punishment of the Axis War Criminals, in: Free World 4 (1942), S. 136., S. 138–140. Lachs, Manfred: War Crimes: An Attempt to Define the Issues, London 1945, S. 100. Finch, Georg A.: Retribution for War Crimes, in: The American Journal of International Law 37/(1) (1943), S. 81–88.S. 81. Ecer, Bohuslav: Crimes and War, in: Message 31 (1944), S. 10–11.S. 10. Hyde, Charles Cheney/Dickinson, Edwin D.: Punishment of War Criminals, in: Proceedings of the American Society of International Law at Its Annual Meeting (1921-1969), 37 (1943), S. 39–58. May, Crimes against humanity, S. 7. Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 324. Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 321.

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ser urteilt, dass die Begriffskritik von Arendt, Barth436 und Makino437 jedoch etwas in die Irre führt,438 da sie hauptsächlich die Unangemessenheit gegenüber dem Holocaust betont und damit impliziert, dass der Tatbestand primär geschaffen worden sei, um die Verantwortlichen für den Holocaust zur Rechenschaft zu ziehen439 – was schlicht unzutreffend ist. Der Begriff crimes against humanity, der ja aus dem Armenier-Telegramm von 1915 und den Versailler Verhandlungen von 1919 bekannt, danach aber in Vergessenheit geraten war, tauchte erstmals wieder 1944 im Protokoll eines UNWCC-Meetings auf. Hier bezeichnete er das Konzept der strafrechtlichen Verantwortung der NSFührung für Verbrechen, die sich auf deutschem Staatsgebiet gegen die eigenen Bürger ereignet hatten, was annektierte Staaten einschloss. Nun wurde erstmals darangegangen, eine tragfähige juristische Definition zu entwickeln, um das Konzept für Strafverfahren nutzbar zu machen. Das juristisch Besondere an dem Konzept ist, dass es Völkerrecht auf Personen ausdehnt, die demselben Staat angehören wie ihre Verfolger, und daher einen zusätzlichen Schutzmechanismus schafft, wenn die nationale Gerichtsbarkeit nicht greift oder bewusst außer Kraft gesetzt wurde, etwa um Täter kraft Gesetzes vor Strafverfolgung zu schützen.440 Die Wahl des Begriffs betont die Beziehung zum universalistischen Ansatz der Martens-Klausel und zu den juristischen Debatten des 19. Jahrhunderts. Jedoch ist klar zu konstatieren, dass sich das Verständnis von crimes against humanity erweitert hatte und nun, neben der universalistisch-moralischen und der politischen Komponente, ein Konzept beschrieb, das eine klare strafrechtliche Konnotation besaß und somit als ‚legal tool‘ brauchbar war. In den Debatten spiegelt sich die Skepsis früher Kritiker in den Gremien der UNWCC, die nicht nur den Vorwurf der rückwirkenden Gerichtsbarkeit fürchteten, sondern auch einen Konflikt in der Frage der staatlichen Souveränität, denn hier stand theoretisch auch der Zugriff eines solchen Gerichts auf die eigenen Staatsbürger im Raum. Aber der Dreiklang der neuen Konzepte, die in London aus der Taufe gehoben worden waren, um den Begriff Kriegsverbrechen zu erweitern – also neben ‚war crimes‘ auch crimes against humanity und crimes against peace – führte zu einer Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechts.441 In seinem Bericht an Präsident Truman vom 6. Juni 1945 verwies Jackson auf den universalistischen Grundsatz der Martens-Klausel und betonte, dass in den USA seit Langem die Überzeugung bestehe, dass es sich bei den nationalsozialistischen Ver436 437 438

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Barth, Genozid. Makino, Uwe: Final solutions, crimes against mankind. On the genesis and criticism of the concept of genocide, in: Journal of Genocide Research 3/1 (2010), S. 49–73. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 586. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 101. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 465. Bassiouni, „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention. S.461.

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folgungen um Verstöße gegen die „laws of humanity and the dictates of the public conscience“ der Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Krieges handle.442 Er schlug vor, die neu aufgetretenen Straftaten als eigenständigen Straftatbestand in die Charta des zu schaffenden internationalen Militärtribunals aufzunehmen, denn es handle sich dabei um „atrocities and persecutions on racial or religious grounds“. Dies war die argumentative Vorbereitung dafür, den neuen Straftatbestand crimes against humanity in der letzten Verhandlungsrunde in London mit in die Charta aufzunehmen. In der Forschung gibt es bereits Thesen zur Verwendung von crimes against humanity im Zweiten Weltkrieg, die jedoch alle nicht voll überzeugen und einmal mehr belegen, wie wichtig die Einbeziehung der langen Linien der Debatten ist, wie sie in der vorliegenden Arbeit durch die Linse einer intellectual history geschieht. Segesser glaubt, dass der Begriff aus dem Umfeld der amerikanischen Delegation stammt, da er während des Krieges vor allem von amerikanischen Völkerrechtlern und Diplomaten, nämlich Herbert C. Pell und Albert G. D. Levy, verwendet wurde.443 Sowohl Pell als auch Levy verfügten zumindest indirekt über Kontakte zur von Jackson geleiteten amerikanischen Delegation und hätten Jackson den Begriff vorschlagen können. Ann und John Tusa444 und später auch Michael Marrus445 führten den Begriff auf den britischen Völkerrechtler Hersch Lauterpacht zurück (wobei Marrus zusätzlich ebenfalls Herbert Pell als Verbindungsmann vorschlägt); demnach habe Lauterpacht Jackson drei der vier Tatbestände vorgeschlagen; Marrus sprach aber nicht davon, dass der Begriff von Lauterpacht stamme.446 Wie bereits dargelegt, läuft in der völkerrechtlichen Forschung (besonders prominent bei Koskenniemi, Sands, Schabas447) alles auf die Person Lauterpachts zu, der das Konzept auch ausgearbeitet habe. Dem wird in der vorliegenden Studie mit Hinweis auf die Debattenbeiträge der europäischen Exiljuriusten widersprochen, die einen bisher kaum beachteten Anteil an der Genese des neuen juristischen Konzepts hatten.

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Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 97. Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ S. 98. Tusa, Ann/Tusa, John: The Nuremberg Trial, New York 1983. Marrus, Michael Robert: The Nuremberg war crimes trial, 1945-46. A documentary history, Boston 1997. S. 186. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 98. Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations. S. 388–389 betont, Lauterpacht habe eine zentrale Rolle für das britische Anklägerteam von Nürnberg gespielt, indem er die Eröffnungs- und die Schlussrede für den Nürnberger Prozess schrieb, vgl. sein Kapitel: „Lauterpacht: The Victorian tradition in International Law“. Schabas betont, dass ein bekannter Wissenschaftler, den er als Lauterpacht identifiziert, den Begriff Jackson vorgeschlagen habe, vgl. Schabas, Unimaginable atrocities S. 51; diese Version wird durch die Schilderungen in den Erinnerungen des Sohnes an seinen Vater gestützt, vgl. Lauterpacht, Elihu: The Life of Sir Hersch Lauterpacht, Cambridge, New York 2010, S. 272. Zuletzt vertrat der Jurist Philippe Sands diese These, vgl. Sands, East West Street: On the Origins of „Genocide“ and „Crimes Against Humanity“. S. 109–111.

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3.1. Definitionsprobleme: Was ist ein Kriegsverbrechen? Parallel zu den Debatten der Exiljuristen um eine Definition von Kriegsverbrechen gab es eine allgemeine akademische Diskussion und Beiträge in Fachzeitschriften, die die Beratungen in der UNWCC beeinflussten. Insbesondere auch aus Deutschland und Österreich vertriebene Exiljuristen waren sehr aktiv in ihrem Bemühen, hier neue Standards zu setzen. Aber auch für den US-Vertreter in der UNWCC, Herbert Pell, stand die Ausweitung des Begriffs „Kriegsverbrechen“ im Vordergrund der Arbeit, und er glaubte zudem, er habe dafür die Rückendeckung von Roosevelt persönlich, was sich als Irrtum herausstellen sollte, wie man an seiner unerwarteten Abberufung auf Betreiben des State Department im Januar 1945 erkennen kann.448 Die Ausgangslage zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war die bisherige Definition von Kriegsverbrechen, die noch von Oppenheim stammte. Besonders in Großbritannien favorisierten die Kronjuristen lange eine enge Auslegung des Begriffs „Kriegsverbrechen“ gemäß der bis dahin gültigen Definition der Haager Landkriegsordnung, die solche Verbrechen militärischer Formationen für strafbar erklärte, welche sich gegen Angehörige feindlicher Truppen und die Zivilbevölkerung eines besetzten Landes richteten.449 Ausgenommen von dieser Definition waren Vergehen, die vor Beginn des Kriegs oder außerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen verübt worden waren – darunter fielen etwa die Nürnberger Rassengesetze, die Arisierungspolitik oder die Synagogen-Zerstörungen der Pogromnacht 1938, aber auch die Annexion des Sudetenlands und Österreichs. Zudem war es nicht möglich, unter „Kriegsverbrechen“ Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung zu ahnden. Zwar drängten die Exilregierungen die britische Regierung bereits vor Kriegsende, sie möge die Definition von Kriegsverbrechen entsprechend erweitern, doch ohne Erfolg. Der Konflikt um das Spektrum von „Kriegsverbrechen“ blieb ungelöst und der Begriff wurde demzufolge in den nationalen Kriegsverbrecherprozessen, die nach 1945 überall in Europa stattfanden, unterschiedlich ausgelegt. Juristische Debatten begannen zunächst in den bekannten akademischen Fachzeitschriften. Im Mai 1940 stellte Ernst Joseph Cohn, ein deutscher Zivilrechtsprofessor, der von den Nationalsozialisten 1933 in die Emigration getrieben worden war, seine Konzepte zum Thema ‚war crimes‘ vor der britischen Grotius Society vor.450 Er griff dabei Debatten auf, die in Aufsätzen bereits zirkulierten. Als Definition schlug 448

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Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 154. Zu Pells Rolle vgl. auch Blayney, Michael Steward: Herbert Pell, War Crimes and the Jews, in: American Jewish Historical Quarterly 65 (1976), S. 335–352. Ebenso Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 95. Auch zum Folgenden: Bloxham, Donald: Pragmatismus als Programm. Die Ahndung deutscher Kriegsverbrecher durch Großbritannien, in: Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 4), hrsg. v. Norbert Frei, Göttingen 2006, S. 140–179. 143ff. Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruc-

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er für ‚war crimes‘ vor: „violations of the international law, both written and unwritten regarding land, sea and air warfare.“451 Cohn sprach sich dabei für klare Ahndungsmechanismen aus, am besten in schnellen Verfahren, um eine Wiederholung der Taten zu verhindern: „Absence of sanction is nothing but a direct incitement to the repetition of violations of law.“452 Kriegsverbrechen könnten zwar erst nach dem Ende des Konflikts vor Gericht gestellt werden, aber da es noch keine Übereinstimmung darin gebe, einen internationalen Strafgerichtshof ins Leben zu rufen, sei es realistischer, davon auszugehen, dass die Kriegsverbrecherprozesse vor den Gerichtshöfen der betroffenen Länder – und nach nationalem Recht – stattfinden würden. Dabei diene das Völkerrecht allenfalls für diejenigen Fälle, die als „erlaubt“ gälten und daher von Strafverfolgung ausgeschlossen seien, so Cohn.453 Den Vorschlag des deutschen Strafrechtlers Hellmuth von Weber, dass Kriegsverbrecher wie nach dem Ersten Weltkrieg vor den Gerichtshöfen des Täterstaats abgeurteilt werden sollten, wies Cohn als offensichtlich ungeeignet zurück.454 Zudem hielt es Cohn auch für juristisch problematisch, die Frage von Kriegsverbrechen mit der Frage der Kriegsschuld zu vermischen: Das Problem des Angriffskriegs (aggressive war) müsse völkerrechtlich mit dem Kellogg-Briand-Pakt behandelt werden und sei für eine konkrete Planung von Kriegsverbrecherprozessen ungeeignet: „too far from practicabilities and constitutes therefore an unnecessary burden for the whole plan.“455 Der tschechoslowakische Jurist Vaclav Beneš hielt es für problematisch, nach den alten Definitionen von Kriegsverbrechen vorzugehen, und forderte die Schaffung eines neuen internationalen Abkommens.456 Der Neffe des Premiers Beneš setzte sich dafür ein, dass sowohl Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung als auch alle Taten, die gegen die Prinzipien der Menschlichkeit und das Gewissen der Menschheit verstießen, „in einem neuen internationalen Abkommen als Kriegsverbrechen

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tion, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 363. Cohn, Ernst J.: The Problem of War Crimes To-day, in: Transactions of the Grotius Society Vol. 26, Problems of Peace and War, Papers Read before the Society in the Year 1940 (1940), (1940), S. 125– 151.S. 125. Cohn, The Problem of War Crimes To-day S. 131. Cohn, The Problem of War Crimes To-day S. 143. “The role of international law in this process would be confined to deciding the question whether an act (…) is excluded from punishment because it was an act of lawful warfare.“ Cohn, The Problem of War Crimes To-day S. 136–137. Cohn bezieht sich hier auf den Aufsatz von Hellmuth von Weber, Internationale Strafgenchtsbarkeit, Völkerrechtsfragen, 40 (1934), 128-29. Zitiert nach Segesser, Daniel Marc: On the Road to Total Retribution? The International Debate on the Punishment of War Crimes, 1872-1945, in: A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945, hrsg. v. Roger Chickering/Stig Förster/Bernd Greiner, Cambridge 2005, S. 355–374. S. 363. Cohn, Ernst J.: The Problem of War Crimes To-day, in: Transactions of the Grotius Society Vol. 26, Problems of Peace and War, Papers Read before the Society in the Year 1940 (1940), (1940), S. 125– 151. S. 141. Benes, Vaclav: The Question of the definition of War Crimes, in: Central European Observer 20 (1942), S. 282–283. S. 282 .

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definiert würden“.457 1942 betonte Georg Schwarzenberger, deutsch-jüdischer Jurist im Exil, in einem Artikel für das von Exilanten herausgegebene Czechoslovak Yearbook of International Law, dass alle Handlungen, „die gegen völkervertrags- wie völkergewohnheitsrechtliche Regeln verstießen, international als kriminelle Taten anerkannt seien“ und damit auch bestraft werden könnten; er verwies dabei explizit auf die Martens-Klausel als Grundlage.458 Auch in den USA kamen viele Juristen zu ähnlichen Schlüssen. So sprachen sich Sheldon Glueck, George A. Finch, der bereits aus der Zwischenkriegszeit bekannte Völkerrechtler Quincy Wright oder Edwin Dickinson dafür aus, Verantwortliche für ihre Verstöße gegen völkervertrags- und völkergewohnheitsrechtliche Regeln des ius in bello zur Rechenschaft zu ziehen.459 Auch die österreichischen jüdischen Emigranten Georg Lelewer460 und Manfred Lachs betonten, wie vor ihnen schon Bohuslav Ecer in der UNWCC, dass Verbrechen, die von Angehörigen der Achsenmächte in ihren eigenen Ländern oder im besetzten Gebiet mit dem Ziel der rassischen oder politischen Vernichtung begangen worden seien, auch als Kriegsverbrechen betrachtet werden sollten.461 Sheldon Glueck hielt 1943 als einer der ersten Professoren ein öffentliches Seminar zum Thema ‚War Crimes‘ ab.462 Anders als Kollegen, die sich in Fachzeitschriften äußerten, ging es Glueck darum, zusammen mit Studenten den Begriff weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse des Seminars veröffentlichte er im folgenden Jahr. Sheldon Glueck betonte dabei, dass auch „acts contrary to [...] the principles of criminal law, generally observed in civilized States“ als Kriegsverbrechen betrachtet werden sollten, „since they were committed in preparation for or during the progress of a war upon helpless civilians in the clutches of ruthless military and political officials; and the miscre457 458

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Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 95. Schwarzenberger, Georg: War Crimes and the Problem of an International Criminal Court, in: Czechoslovak Yearbook of International Law 1 (1942), S. 69–70. Auch zitiert in Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 94. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 96–97. Lelewer war früherer k.u.k. Militärrichter und hatte sich 1907 in Czernowitz für allgemeines Strafrecht und Militärstrafrecht habilitiert. Im Exil gehörte er zudem dem „Free Austrian Movement“ an, einer Gruppierung im Londoner Exil, die zwar „vom Kommunisten dominiert wurde, aber auch starke bürgerliche Kräfte integriert hatte“, vgl. Rathkolb, Oliver: Zur Archäologie über österreichische Juristen im Exil, in: Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, 1930-1940 (Emigration, Exil, Kontinuität Bd. 2), hrsg. v. Friedrich Stadler, Münster Unv. Neuaufl.2004, S. 434–438. S. 435. Ecer, Bohuslav: Crimes and War, in: Message 31 (1944), S. 10–11.; Lelewer, Georg: The Definition of War Crimes, in: Central European Observer 21/(8) (1944), S. 116.; Lachs, War Crimes: An Attempt to Define the Issues S. 100–101. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War S. 105.

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ants could efficiently be tried for them by the same tribunals that will deal with violations of the laws and customs of warfare“.463

Quincy Wright machte in seinen Schriften die Bedeutung der Martens-Klausel als Ausgangspunkt für eine Lösung deutlich und knüpfte an eigene Veröffentlichungen aus der Zwischenkriegszeit an, wenn er 1945 formulierte: „In fact, the preamble of the Hague Convention suggests a direct relationship between the individuals and the law of war by stating the object of the parties to ‚secure the general law and custom of war‘ and to establish provisions ‚to serve as a general rule of conduct for all belligerents‘.“464

Er führte seine Positionen aus der Debatte der Zwischenkriegszeit fort, wenn er unterstrich: „The provisions of the Hague Convention indicate that states are responsible under international law for the behavior of their armed forces, and are obliged to use due diligence to see that their forces observe the rules of war.“465

Eine erste konkrete Unterscheidung zwischen den beiden Kategorien von Verbrechen nahm schließlich 1943 Albert G. D. Levy vor, ein Doktorand des renommierten amerikanischen Völkerrechtlers Quincy Wright, der wiederum Berater des späteren Nürnberger Richters Francis Biddle war.466 Levy ist einer der Ersten, die den Begriff crimes against humanity nach dem Ersten Weltkrieg wieder benutzten; im Unterschied zu North, Bellot und Rolin-Jaequemyns definierte er ihn jedoch anders. Crimes against humanity bezeichnete nach Levy nicht alle Verstöße gegen die geschriebenen wie die ungeschriebenen Regeln des ius in bello, sondern „crimes differing from those under the laws of war, but none the less equally well established in law“.467 Der amerikanische Delegierte in der United Nations War Crimes Commission, Herbert C. Pell, hatte sich vorerst wie die Mehrheit der Juristen für eine Ausweitung des Begriffs der Kriegsverbrechen stark gemacht, griff dann aber ebenfalls ab 1944 auf den Begriff crimes against humanity zurück.468 Es ist hier allerdings zu konstatieren, dass Pell nicht auf der Suche nach einem strafrechtlich tragfähigen Rechtsinstrument war, sondern mit seiner Bezugnahme auf ‚humanity‘ den universalistischen 463 464 465 466 467 468

Glueck, War Criminals: Their Prosecution and Punishment. S. 45. Wright, Quincy: War Criminals, in: The American Journal of International Law, Vol. 39, No. 2 (1945), S. 257–285.S. 276–277. Wright, War Criminals S. 276. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 98. Levy, Albert G. D.: The Law and Procedure of War Crime Trials, in: The American Political Science Review, 37/(6) (1943), S. 1052–1081. S. 1054. Blayney, Democracy’s aristocrat, S. 343. The United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War, S. 175. Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 138–143. Cox, Graham: Seeking Justice for the Holocaust: Herbert C. Pell Versus the US State Department, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 77–110.

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Anspruch des Völkerrechts unterstreichen wollte. Weder Levy noch Pell vermochten sich jedoch mit ihren Vorschlägen durchzusetzen, die zu einem Zeitpunkt kamen, als die Briten noch grundsätzlich gegen Strafverfahren waren, während für die USA bereits Verfahrensfragen im Vordergrund standen.469 Dies weist darauf hin, dass offenbar der institutionelle Rahmen eines Expertengremiums, hier der UNWCC, Legitimation verlieh, Vorschläge in die Nähe politischer Debatten zu bringen, und damit die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung erhöhte. Auch die Frage, in welcher Form die Strafverfolgung organisiert werden solle, wurde diskutiert. Nicht alle nahmen das Fiasko der Verfahren in Leipzig zum Anlass, die Idee nationaler Gerichtsbarkeit bei Kriegsverbrechen abzulehnen, zumal ja auch während des Zweiten Weltkriegs noch keine klare Rechtsgrundlage vorlag. 1943 argumentierte der Völkerrechtler Georg Manner daher, bevor man gar keine Prozesse abhalte, seien die nationalen Verfahren zu bevorzugen: „For the present […] solutions to the problem of retribution for war crimes, other than national postwar trials or post-armistice proceedings in enemy municipal courts, either rest on the uncertain precedent established by the treaties of peace of 1919–1920 or constitute propositions de lege ferenda which are as much outside the province of law as is the decision to exact such retribution in enemy tribunals after actual hostilities have ceased.“470

Die norwegische Schriftstellerin Sigrid Undset hatte ebenfalls dafür plädiert, nationalen Gerichtshöfen den Vorzug zu geben,471 während der Jurist Georg Lelewer sich für die Schaffung neuer Gerichtshöfe in den alliierten Staaten aussprach und damit Gedanken aus der Cambridge Commission weiterführte, in der er zu Gast gewesen war.472 Der sowjetische Völkerrechtler Trainin hielt seinerseits nichts von nationalen Gerichtshöfen, sondern wollte das Problem der Strafverfolgung dezidiert politisch angehen: „There is no necessity for a special investigation and judicial procedure for the determination and judgment of the monstrous misdeeds which they have committed. The fate of Hitler and his clique can be settled by political verdict of the victorious democratic states.“473

Die Fachdebatte wurde nun in den institutionellen Rahmen der UNWCC überführt.

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Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 590. Kochavi, Prelude to Nuremberg S. 201–217. Douglas, Lawrence: The memory of judgment. Making law and history in the trials of the Holocaust, New Haven [CT] 2001, S. 38–41. Manner, George: The Legal Nature and Punishment of Criminal Acts of Violence Contrary to the Laws of War, in: The American Journal of International Law, 37/(3) (1943), S. 407–435.S. 434–435. Undset, Sigrid: War Criminals and the Future, in: Free World 6 (1943), S. 490–491. Lelewer, Georg: Punishment of War Criminals, in: Central European Observer 20 (1943), S. 283. Trainin, Aaron N.: Hitlerite Responsibility under Criminal Law, London 1944, S. 93.

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3.2. Crimes against humanity als Vorschlag in der UNWCC Eine der Hauptaufgaben der UNWCC – und insbesondere des Legal Committee – bestand darin, eine strafrechtlich tragfähige Definition für Verbrechen zu finden, die sich außerhalb militärischer Operationen oder vor einer offiziellen Kriegserklärung ereignet hatten, aber mit dem Krieg in Verbindung gesehen wurden – vor allem Verbrechen gegen politische Oppositionelle, Zivilisten in den besetzten Ländern sowie Juden, die von Hitler zu „Staatenlosen“ erklärt worden waren und daher besonderen rechtlichen Schutz des Völkerrechts genießen müssten. Der UNWCC-Vorsitzende, Sir Cecil Hurst, unterstrich im Mai 1944 in einem Brief an den britischen Außenminister Anthony Eden, dass die UNWCC vor dem Problem stehe, eine tragfähige Definition für Kriegsverbrechen zu entwickeln, und dabei festgestellt habe, dass eine ganze Reihe von Verbrechen von den bisher gängigen Definitionen nicht erfasst werde, insbesondere diejenigen, die sich aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen auf dem Staatsgebiet des Deutschen Reiches ereignet hatten, die er folgendermaßen definierte: „A category of enemy atrocities which has deeply affected the public mind, but which does not fall strictly within the definition of war crimes, is undoubtedly the atrocities which have been committed on racial, political and religious grounds in enemy territory. […] The publicity which was given to the appointment of the Commission for the Investigation for War Crimes led many people to assume that it would be part of the duties of the commission to investigate atrocities of this character committed by the enemy in enemy territory as well as in occupied territory.“474

Sir Cecil Hurst ging mit seinen Formulierungen so weit, wie es einem Chairman der UNWCC eben möglich war, der selbst aus dem britischen Justizsystem stammte. Bemerkenswert ist hier auch der explizite Hinweis auf das aus der Martens-Klausel bekannte Element der ‚public conscience‘ als Rechtfertigung dieses Schrittes. Der Lord Chancellor, Viscount Simon, ging jedoch darauf nicht ein. Er führte in seiner Antwort vom 23. August 1944 aus, dass seiner Meinung nach die Aufgabe der UNWCC im Beraten und Informationensammeln bestehe – und keineswegs darin, neues Recht zu schaffen. „This would open a very wide field“, bemerkte Simon und warnte die UNWCC, sie solle sich nicht mit diesen „serious difficulties“ beschäftigen, wenn noch nicht einmal die britische Regierung dazu eine Position entwickelt habe.475 Es war also weiterhin nicht mit politischer Unterstützung zu rechnen, mithin blieb nur der Weg über die Öffentlichkeit. Das britische Unterhaus hatte im Juni 1944 eine Delegation der UNWCC zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Bohuslav Ecer und der US-Delegierte Herbert Pell wurden ausgewählt, dort vorzutragen. 474 475

NAA, A 2937/273, letter Hurst to Eden, 31.5.1944. Vgl. auch Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 3, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/c52df5/. Zitiert nach Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 3, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/c52df5/ .

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Initiator des Treffens war der Abgeordnete Dennis Nowell Pritt, der Ecer schon 1938 zu einer Vortragsreise nach London eingeladen hatte, um über die Kriegsgefahr durch eine nationalsozialistische Annexion der Tschechoslowakei zu sprechen. Pritt, bis 1940 Labour-Abgeordneter in London, war Jurist und wegen seiner offenen Sympathie für die Sowjetunion eine umstrittene Figur; er war jedoch zweifellos der Mann, der den ‚semi-peripheral actors‘, den Exiljuristen aus Ostmitteleuropa, am interessiertesten entgegenkam und seine Kontakte für diese nutzbar machte.476 Die Teilnahme an einem Hintergrundgespräch mit Abgeordneten passte zweifellos in die Strategie der Juristen zur Herstellung von Öffentlichkeit. Ecer schreibt darüber, es hätten ungefähr 20 Abgeordnete teilgenommen, die Fragen gestellt und zuletzt ihre Unterstützung für die Arbeit der UNWCC zugesichert hätten, während draußen vor Westminster „die Sirenen wegen eines V-1-Angriffs ertönten“, wie Ecer zum Kontext notierte.477 Es handelte sich hierbei um Lobbyarbeit, und der ganze Vorgang unterstreicht, wie gut vernetzt die Mitglieder der UNWCC waren und wie sie sich Verbündete in der britischen Öffentlichkeit suchten. Auch wird deutlich, dass die Dramatik der Kriegssituation geeignet war, den neuen Konzepten mehr Nachdruck zu verleihen. Dieses Hintergundgespräch ist umso bemerkenswerter, als es insgesamt schwierig war, die Arbeit der UNWCC in der Öffentlichkeit zu vermitteln, da die Hauptalliierten immer wieder auf Stillschweigen drangen. So hatte die US- wie die britische Regierung eine für Anfang August 1944 geplante Pressekonferenz der UNWCC mit Verweis auf noch nicht feststehende nationale politische Positionen in dieser Frage verboten.478 In zwei Bereichen wurde die UNWCC zum Taktgeber der völkerrechtlichen Reform, und zwar bei der Entwicklung des Konzepts von crimes against humanity und der Frage des Angriffskrieg (crimes against peace). Beide Male arbeitete Ecer die Vorlagen aus. Im Mai 1944 beschäftigte sich die UNWCC erstmals mit dem Konzept von crimes against humanity, das Ecer vorgelegt hatte. Der US-Vertreter Herbert Pell hatte den Begriff crimes against humanity jedoch bereits im März in einem Brief an Roosevelt benutzt und angedeutet, dieser Begriff sei am besten geeignet, um Verbrechen gegen die Juden zu ahnden.479 Diese frühere Verwendung könnte ein Hinweis darauf sein, dass man schon vor Ecers Memorandum in der UNWCC über das Thema gespro476

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Morgan, Kevin: Pritt, Denis Nowell (1887-1972), in: Oxford Dictionary of National Biography, Oxford 2004. Online unter https://doi.org/10.1093/ref:odnb/31570. 1945 als Labour-Abgeordneter wiedergewählt, wurde seine parlamentarische Karriere durch den Kalten Krieg bald unmöglich; als Jurist widmete er sich in den 1950er unn 1960er Jahren daher aufsehenerregenden Fällen, in denen er Staaten bei der Dekolonisierung unterstützte. Er verteidigte beispielsweise Ho Chi Minh und kenianische Politiker, angeklagt in den Mau-MauAufständen. Ecer, Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus). S. 33. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 158–159. Pells UNWCC note of 18.03.1944 . PURL: https://www.legal-tools.org/doc/2aa8b6/.

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chen hatte, da es auch in Fachaufsätzen wieder auftauchte, etwa mit Bezug auf die Armenierfrage. Pell nutze den Begriff hier augenscheinlich in seiner universalistischen, aus der Martens-Klausel bekannten Form, als Begriff für Verbrechen, die noch nicht kodifiziert waren; zudem erinnert der Gebrauch Pells in Bezug auf den Begriff ‚humanity‘ an dessen moralische Dimension aus dem 19. Jahrhundert und seine Funktion als Ordnungsprinzip. Pell hatte in einem privaten Brief an seinen Freund, den USPräsidenten, den Begriff schon einmal angesprochen. Dort scheint er Roosevelt selbst als Schöpfer des Begriffs anzugeben: „What are we to do about the Jews in Germany … the offences against them certainly seem to be described in your phrase ‚crimes against humanity.‘“480 Pell führte in der UNWCC-Sitzung vom 16. März 1944 aus: „It is clearly understood that the words ‚crimes against humanity‘ refer, among others, to crimes committed against stateless persons or against any person because of their race and religion; such crimes are judiciable by the United Nations or their agencies as a war crime.“481

Der Begriff tauchte daraufhin in einer Pressemitteilung Roosevelts vom 24. März 1944 ebenfalls auf, die die Kritik der USA an der Deportation ungarischer Juden nach Auschwitz ausdrückte; darin heißt es: „Hitler is committing these crimes against humanity in the name of the German people. I ask every German and every man everywhere under Nazi domination to show the world by his action that in his heart he does not share these insane criminal desires.“482

Allerdings wusste Pell nicht, dass das State Department seinen Assistenten Preuss angewiesen hatte, Pells Initiativen unbedingt zu stoppen. Preuss tat in der Folge daher alles, um Pell davon zu überzeugen, dass es der UNWCC nicht möglich sei, ihr Mandat zu erweitern und über bestehende Rechtsgrundsätze und die Definition von ‚war crimes‘ hinauszugehen.483 Auch das britische Foreign Office protestierte gegen diesen begrifflichen Vorstoß des US-Präsidenten. Das State Department kün480

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Herbert C. Pell, Letter to the President, February 16, 1944. Roosevelt, FD 1936-45; General Correspondence; Herbert C. Pell Papers; FDRL. Ich danke Graham Cox, der mich auf diese Quelle aufmerksam gemacht hat. Vgl. auch Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 155. Zitiert nach Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 155. Statement by the President [Released to the press by the White House, March 24, 1944], abgedruckt in Jackson, Robert H.: Report to the International Conference on Military Trials London 1945, Washington 1947, S. 13. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 156.

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digte Pell eine Handreichung an, die unbedingt abzuwarten sei, doch diese traf erst vier Monate später, zum 15. Juli 1944, ein und war erneut extrem vage formuliert.484 Zudem betonte das State Department, die UNWCC sei ausschließlich ein beratendes Gremium und solle sich um andere Dinge kümmern. Ganz abgesehen von den politischen Verwicklungen hinter den Kulissen zeigte sich nun jedoch der World Jewish Congress (WJC) sehr interessiert an dem neuen Konzept, das seiner Meinung nach den Holocaust klar in den Mittelpunkt rückte und als Verbrechen außerhalb von Kriegshandlungen explizit unter Strafe stellte. Wie Lewis gezeigt hat, richteten der WJC bzw. das Institute of Jewish Affairs (IJA) ihre Lobbyarbeit ab der Jahreswende 1944/45 auf die zu erwartenden Kriegsverbrecherprozesse aus und träumten zeitweilig entweder von einem „Jewish Court“ oder aber einem jüdischen juristischen Vertreter (amicus curiae).485 Letztere Idee war von Jackson im Sommer 1945 dezidiert zurückgewiesen worden, obgleich er sich beeindruckt zeigte, wie detailliert Jacob Robinsons Institut arbeitete und welch genaue Statistiken zu jüdischen Todesopfern vorgelegt werden konnten.486 Weinke analysiert, wie Robinson in diesem Gespräch insbesondere die ‚Conspiracy‘-These mit dem Holocaust verknüpfte, und zitiert ihn mit den Worten: „The Jewish casualities are not a pure incident of the war or its preparatory stage, but the result of a well-conceived, deliberately plotted and meticulously carried out conspiracy.“487 De Baer scheint, wohl noch aus den Tagen der LIA, Verbindungsmann der UNWCC zum WJC gewesen zu sein, denn er führte die Korrespondenz und traf sich auch im März 1944 mit Vertretern in London zu inoffiziellen Gesprächen. De Baer agierte jedoch vor allem als Völkerrechtler: Er war nicht an einer politischen Lösung interessiert, die die Juden als Sonderfall darstellte, sondern an einer globalen Lösung, die auch im nächsten Konflikt noch Bestand haben würde. Er führte damit Tendenzen der Exiljuristen fort, die sich bereits während der Konferenz von St James’s Palace gezeigt hatten. Die Exiljuristen hatten sich gegen eine Sonderlösung für die Juden ausgesprochen, da dies eine fortgesetzte Diskriminierung bedeute, die aus juristischer Sicht nicht wünschenswert sei. So hatte De Baers Kollege und Konkurrent, Maurice Heilporn, an Kubowitzki im März 1944 geschrieben: „On considère, en général, que vouloir faire du crime contre les Juifs un crime séparé constitue une erreur politique et juridique.“488 Bei einem informellen Treffen De Baers mit dem WJC in London am 27. März 1944489 betonte der WJC-Sekretär Easterman: „The Nazi conspiracy against the Jews 484 485 486 487

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Cox, Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission. S. 158. Lewis, The birth of the new Justice. S. 65. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 129. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 129, unter Verweis auf das Originalzitat bei Aronson, Shlomo: Preparations for the Nuremberg Trial. The O.S.S., Charles Dwork, and the Holocaust, in: Holocaust and Genocide Studies 12/2 (1998), S. 257–281. S. 264. Zitiert nach Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 80. Sie verweist auf AJA, H 58/7, letter Heilporn to Kubowitzki, 3.3.1944. Das Transcript der Besprechung findet sich in NARA, RG 238, Documents concerning Crimes of Germans against Germans in Germany, 27.3.1944. Es ist ausführlich widergegeben bei Kochavi und Weisers.

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as Jews was a crime of a special and unique character“. Dem widersprach De Baer; man könne für die jüdischen Opfer nicht einen Sonderfall schaffen: „Other groups have been the victims of criminal Nazi plots.“ Vielmehr müsse es darum gehen, eine tragfähige Lösung für die Zukunft zu entwickeln: „It would be declared once and for all by an international tribunal and with the support oft he United Nations that to make race or religion a ground for murder was a crime. Such a declaration had already been issued by the United Nations. The principle was thus made a part of international law and could be applied by the Commission.“490

Hier findet sich der – bereits aus der St-James-Erklärung – bekannte Topos wieder, die Überbetoung jüdischen Leids würde in der Öffentlichkeit eventuell negativ aufgefasst und könne zu einer Verstärkung antijüdischer Ressentiments und indirekt zur Bekräftigung der NS-Rassentheorie führen.491 In einem Brief an den belgischen WJC-Vertreter in New York, Leon Kubowitzki, wurde De Baer noch deutlicher: Angesichts der politischen Lage und ihres Einflusses auf die öffentliche Meinung sei eine Gesamtlösung vorzuziehen, die die Juden gerade nicht in den Mittelpunkt stelle, so De Baer. „I am confident that the perpetrators of crimes committed against Jews in the occupied countries will be brought to Justice. As to those who have committed crimes in Germany against Jews and stateless persons, there are doubts. Mr Pell, the American representative on the War Crimes Commission, is interested in this question and is making proposals to this effect, but there is no doubt that the present attitude of Jews in Palestine and the enormous difficulties which they are causing to the British government are exercising an unfavourable influence on public opinion. Whatever the case may be, I personally feel that it is our duty towards morality and justice to see that all these crimes are punished.“492

De Baer verkannte jedoch, dass der universalistische Ansatz ebenfalls das erklärte Ziel des IJA unter Robinson war, auch wenn es zeitgleich für eine Betonung des Holocaust eintrat; Weinke urteilt: „Das IJA wollte die Schockwellen, welche die jüdische Katastrophe ausgelöst hatte, zum Anlass nehmen, um das traditionelle Kriegsvölkerrecht nach menschenrechtlichen Gesichtspunkten zu modernisieren.“493

Doch der Begriff wurde nun in der UNWCC aufgegriffen, insbesondere von Ecer. In einem Memorandum, das er im Mai 1944 der UNWCC vorlegte und das den Titel trug „Scope of the Retributive action of the United Nations according to their official Declarations – The Problem of War Crimes in connection with the Second World 490 491 492 493

Zitiert nach Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 83. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 120. Weisers, Juger les crimes contre les Juifs. S. 82, zitiert hier aus AJA, , H 58/7, letter De Baer to Kubowitzki, 25.3.1944. Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 130.

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War“, hatte Ecer seinen früheren Vorschlag ausformuliert, wobei er nun eine zweifache Argumentation verfolgte. Zum einen betonte er, es sei keine Überschreitung der Zuständigkeit durch die UNWCC, wenn man sich bemühe, das rechtliche Konzept für Kriegsverbrechen zu erweitern, und zweitens schlug er vor, das Konzept crimes against humanity als Straftatbestand einzuführen, da es schon früher im Völkerrecht Verwendung gefunden habe.494 Er sei sich mit dem Vorsitzenden Cecil Hurst völlig einig, der betont habe, dass das Mandat der UNWCC erweitert werden müsse, „when new facts and especially cases submitted by the governments demonstrated that it would be desirable to recommend to the Allied governments a wider and larger conception of war crimes.“495 Wenn er sich die Berichte über die Grausamkeiten der Nationalsozialisten ansehe, so Ecer, die im Londoner Büro des Legal Committee aus ganz Europa eingetroffen seien, dann käme die UNWCC nicht umhin festzustellen, dass es sich um systematische Aktionen und eine Art geplanten Krieg gegen Zivilisten handle, und dies vor allem an der Ostfront, wo nicht nur Juden, sondern auch Mitglieder des sowjetischen Geheimdienstes, Bürgermeister, Wirtschaftsführer, Ingenieure und Offiziere von SS-Einheiten ohne Gerichtsverfahren abgeschlachtet würden.496 Die polnische Exilregierung habe Berichte erhalten, dass eine hohe Zahl der Verbrechen, die sich im besetzten Polen ereignet hätten, noch nicht einmal im Entferntesten mit militärischer Notwendigkeit gerechtfertigt werden könne.497 Ecer benutzte für diese Verbrechen, die nicht durch Kriegsnotwendigkeiten gedeckt waren (darauf verweist die Bemerkung mit der „militärischen Notwendigkeit“), erstmals in einem UNWCCDokument den Begriff crimes against humanity und schlug vor, ihn als Straftatbestand zu nutzen, um diese Verbrechen zu ahnden. Die französischen und die polnischen Vertreter brachten zudem das Prinzip der gemeinsamen Haftung („collective responsibility“) in die UNWCC-Debatten ein, um bestimmten Gestapo- und SS-Formationen entgegenzutreten, die systematisch und regelmäßig in derartige Verbrechen verwickelt waren. Ecer kam zu dem Schluss, da ja die Alliierten mehrfach betont hatten, es müsse Gerechtigkeit geschehen, ginge es nun um konkrete Schritte. So müsse man nun das Mandat der UNWCC an die alliierten Erklärungen und die Forderung der Öffentlichkeit anpassen, die auf deren Erfüllung poche.498 In einer Passage, in der er die Martens-Klausel und die Versailler Bestimmungen diskutierte, betonte Ecer, dass die Präambel der Haager Landkriegsordnung, also die 494 495 496 497

498

Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, 7 pages, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/ 6335bd/. Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 2, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 2, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. Ecer formulierte: „The Polish Government is in possession of documents proving that the Germans are not only committing war crimes stricto sensu but crimes which are crimes against humanity and without even a remote connection with military necessity.“ Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 3, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. „adapt the task of the Commission to the Allied declarations and to the public opinion which is relying on these declarations.“

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Martens-Klausel, noch immer das Herzstück des Völkerrechts darstelle und daher für die UNWCC von enormer Bedeutung sei, denn darin würden alle Formulierungen zurückgeführt auf den Begriff ‚humanity‘.499 Demgegenüber sei die Tendenz mancher UNWCC-Diskussionsvorlagen schwierig, die Nationalsozialisten entweder als „gangster regime“ oder als „pathological system“ (eine Formulierung von Sheldon Glueck) zu beschreiben, denn dies „involved an element of irresponsibility which I would avoid, [as I] wished to underline the criminal responsibility of the Nazi rulers.“500 Ecer schloss seinen Bericht mit Hinweis auf die verschiedenen Vorarbeiten der Cambridge Commission und der LIA und zitierte die (nicht mehr ratifizierte) Genfer Konvention von 1924, auf die auch Hersch Lauterpacht in einem Bericht vor der Cambridge Commission eingegangen war. Ecer fragte rhetorisch: „The question is, shall we go back? Is the standard of 1924 in this question too advanced in the light of the experience of 1939/1944? Should we be more reactionary than the League of Nations in 1924 and in 1937? Or in other words, shall we go backwards when social change requires progress?“501

Seiner Meinung nach sei crimes against humanity das wichtigste völkerrechtliche Konzept überhaupt, denn die Verbrechen, die der Begriff fasse, seien das Böse an sich, „committed as the real cause of all the other crimes, as the source of the war, the malum in se“.502 Doch die Kommission reagierte verhalten, McNair äußerte Kritik und die norwegischen Delegierten schlossen sich an. Es half Ecer nicht, dass auch Pell nun vehement Ecers Position verteidigte und zustimmte, es handle sich bei crimes against humanity um Verbrechen, die jegliche Grundlage von ‚humanity‘ gefährdeten, und damit liege es im Interesse der Menschheit, sie zu ahnden.503 Ecer schrieb rückblickend: „Die Kommission konnte immer noch nicht begreifen, worum es geht, und darum wich sie einer direkten Entscheidung aus.“504 Pell wandte sich an Außenminister Eden, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen, doch Eden ließ den Brief fünf Monate unbeantwortet, nur um dann darauf hinzuweisen, die UNWCC solle sich nicht noch mehr Themen auf die Agenda setzen.505 Ähnlich ungünstig verlief Ecers Vorstoß, den Angriffskrieg zu ächten. Ecer hatte am 27. April 1944 einer vierköpfigen Arbeitsgruppe unter Arnold McNair, die sich mit Fragen des ius ad bellum und des ius in bello beschäftigte, einen Vorschlag unter499 500 501 502 503

504 505

Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 4, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 5, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 7, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. Ečer, Additional Note, 12.05.1944, UNWCC III/4, S. 7, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/6335bd/. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 102. (Übersetzung immer von Petra Krupičková, wenn nicht anders vermerkt.) Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 126. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 126.

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breitet, wie mit dem Problem des Angriffskriegs vor einem noch zu schaffenden internationalen Strafgerichtshof umgegangen werden solle, und dabei crimes against humanity als neuen Straftatbestand vorgeschlagen. Zudem propagierte er diesen Vorschlag auch in einem Aufsatz.506 Allerdings hatte der britische Vertreter McNair Ecers Vorschlag als zu weitreichend zurückgewiesen. McNair betonte, der Angriffskrieg sei kein Kriegsverbrechen im engeren Sinn, man müsse die bisher gängigen Gesetze nutzen, und gab Ecers Vorschlag zur Überarbeitung zurück.507 Er wurde hierbei von den US-amerikanischen und den niederländischen Vertretern unterstützt, die seine Kritik teilten und damit an die aus Versailles bekannte Skepsis anknüpften.508 Man bildete einen Unterausschuss, der das Problem diskutieren sollte und am 27. September 1944 erneut zusammenkam. Dabei ging es um die Frage, ob der Angriffskrieg ein ‚War Crime‘ darstelle oder ob die UNWCC die Definition erweitern müsse.509 McNair lehnte dies erneut ab, woraufhin Ecer ein Minderheitsvotum ankündigte, das er am 10. Oktober 1944 einreichte.510 McNair folgte dabei der Linie, die er bereits in der Cambridge Commission vertreten hatte und die besagte, dass man nicht neue Gesetze schaffen und diese dann rückwirkend anwenden könne, und wandte sich insbesondere gegen Ecers Idee, dass auch Staatschefs rechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. Ecer wiederum hielt es für unerträglich, dass diejenigen, die das Recht mit Füßen getreten hatten, nun nicht belangt werden sollten, nur weil das geltende Recht nicht ausreichend auf ihre Verbrechen vorbereitet sei. Zudem läge mit dem Kellogg-Briand-Pakt ja eine Gesetzesvorlage vor. Ecers Meinung nach war durch den Zweiten Weltkrieg eine völlig neue Situation entstanden, die Antworten erforderte, denn die Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges waren nicht zu vergleichen mit denen aus früheren Konflikten; diese Verbrecher verdienten, so Ecer, keine rechtsstaatlichen Spitzfindigkeiten, denn die Nationalsozialisten selbst „had stepped outside international intercourse and exempted themselves from the protection afforded belligerents by humanitarian law“.511 Ecer unterstrich: „Preparation and launching of the present war must be punished as a crime against peace“ und „if there are gaps in law, it is our duty to fill them.“512 Damit befand sich Ecer in Übereinstimmung mit der Mission der Völkerbundsmitarbeiter, die in den 1920er Jahren eine „new justice“ im Völkerbund gefordert 506 507 508 509 510 511 512

Ecer, Bohuslav (B. Etcher): Crimes and War, in: Message (May 1944), S. 10–12. Sellars, „Crimes against peace“ and international law S. 58–64. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2348. Die ausführlichen Debatten sind nachzulesen in UNWCC meeting (33rd meeting) vom 27.9.1944, unter PURL http://www.legal-tools.org/doc/c3c349/ . Das Minderheitenvotum ist enthalten in UNWCC meeting (35th meeting) vom 10.10.1944 unter PURL: http://www.legal-tools.org/doc/daeb97/ bzw. in den Prager Akten. Sellars, „Crimes against peace“ and international law S. 61. TNA, FO 371/39005, UNWCC, minutes of 36th meeting, 17.10.1944 unter PURL http://www.legal-tools. org/doc/3d0ae8/ ; ebenso Sellars, „Crimes against peace“ and international law S. 63, die besonders auf die Verbindung zum russischen Völkerrechtler Aron Trainin eingeht.

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hatten. Ecer beschreibt in seinen Memoiren sein tief empfundenes persönliches Engagement in dieser UNWCC-Debatte: „The atmosphere was tense, as in my opinion we discussed the whole rationale of the war in light of international law, that must necessarily lead to the victory of justice over the dark forces of evil and bring its perpetrators to the justice they deserve.“513

Doch auch die überarbeitete Version wies die UNWCC, in der Sitzung vom 10. Oktober 1944, zurück. Es zeigte sich, dass die britischen Vertreter fundamental gegen das neue Konzept waren und alles daransetzten, andere Delegierte auf ihre Seite zu ziehen.514 In seinen späteren Schriften schrieb Ecer, die Autorität von McNair sei so stark gewesen, dass auch die anderen Delegierten dessen Sicht unterstützt hätten.515 Insbesondere zeigte Ecer sich enttäuscht darüber, dass auch de Moor und Glaser plötzlich auf McNairs Seite gewechselt waren.516 Er war tief frustriert von McNair und besprach sich mit Edvard Beneš, der ihn aufgrund seiner Erfahrung mit Gremienarbeit aus dem Völkerbund etwas beruhigen konnte. Ecer schrieb: „Hier war kein Kompromiss mehr möglich. Als ich mit dem Präsidenten, Edvard Beneš, über die Arbeit gesprochen habe, über die Schwierigkeit, die richtigen Begriffe zu wählen, die alle zufriedenstellen, hat er gesagt: ‚Es ist richtig, dass Sie die Grundfragen so radikal verteidigen, auch um den Preis des Misserfolgs. Oft ist die Niederlage der Vorbote des nächsten Sieges‘.“517

Er gibt rückblickend auch ein Gespräch mit Mc Nair wieder, das die Ohnmacht der Exiljuristen anschaulich macht: „Ich habe Prof. McNair ganz offen gesagt, dass er natürlich auf seiner Seite den ganzen Vorteil seiner Stellung und seines Namens hat, aber ich habe ihm auch gesagt, dass auf meiner Seite eine ganze Reihe ebenso bekannter Fachleute steht (ich habe sie in meinem Minderheitenvotum genannt); dass jedoch außerdem noch hinter mir etwas anderes steht als die wissenschaftliche Meinung: die juristische Überzeugung, einig mit dem Völkerbund, dass die Vorbereitung und Verursachung des Zweiten Weltkriegs ein Verbrechen ist, wofür der Verursacher die strafrechtliche und persönliche Verantwortung tragen muss.“518 513 514 515

516

517 518

Biographisches Portrait von Ečer unter http://www.valka.cz/clanek_12304.html (letzter Zugriff am 16.08.2014; ich danke Katarina Morozova für die Übersetzung). Douglas, The memory of judgment S. 41. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 114. (Übersetzung immer von Petra Krupičková, wenn nicht anders vermerkt.) ÚD NAD 615. Report 26 vom 15.11.1944, Ecer an Justizministerium der Tschechoslowakei in London zu den Umständen seines Minderheitsvotums. Ich danke Petra Krupickova für die stichwortartige Übersetzung des Berichts. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 115. Ecer, Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus). S. 37–38.

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Ecer war tief enttäuscht über die Zurückweisung. Er schrieb: „Als ich mit der U-Bahn am 10. Oktober 1944 nachmittags um zwei Uhr zur Sitzung fuhr und von dort weiter zu Fuß zum britischen Justizpalast, wo die Sitzung unserer Kommission stattfand, hatte ich das Gefühl, dass ich zu einer Niederlage gehe. Es ist gut, dass in der Kommission gute und starke Leute sitzen, aber wie konnte ich darum bitten, dass sie zu mir halten, wenn der größte britische Fachmann des Völkerrechts mich mit seinem Gutachten so aufs Kreuz legte? Ich kann doch von meinen Kollegen nicht erbitten, den kleinen tschechoslowakischen Delegierten zu unterstützen, der gegen den großen und mächtigen McNair nur verlieren kann.“519

Ecer gab daraufhin ein Minderheitsvotum ab und stellte noch einmal die Frage, ob die neuartige Entwicklung der Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg nicht rechtfertige, dass die UNWCC sich an der Suche nach neuen Wegen beteilige, da es ja ihre Aufgabe sei, die Bestrafung der Kriegsverbrecher vorzubereiten. Nun kam Bewegung in die Debatte. Als zu Beginn der Sitzung Lord Wright zu ihm trat und ihm sagte, er werde ihn unterstützen, hatte dies Signalwirkung.520 In seinen Memoiren schreibt Ecer: Da „wusste ich, dass die Unterstützung von Lord Wright alles ändern kann.“521 Lord Wright gelang es, der Debatte eine andere Richtung zu geben. Wright sprach zunächst selbst und betonte in seiner Rede, Mord sei zu allen Zeiten ein Verbrechen gewesen und die Entfesselung dieses Krieges sei es ebenso: „I regard this as one of the most important questions which have come before this commission, and it goes to the whole root of the matter. […] Is there such thing as international law? Now, if there is no international law which condemns as a crime the act of Hitler and his associates in launching the aggressive war from which we have all suffered for the last five years and are still suffering, if that is not an offence against international law, is there such a thing at all?“522

Nach längeren Ausführungen zur Verantwortung des Individuums für Straftaten, auch unter dem Mantel staatlicher Befehle, kam Wright auf die Frage zu sprechen, ob es legitim sei, bestehende Regeln während des Konflikts zu erweitern: „The idea that things such as the initiating and carrying out of this war can be done with impunity seems to me to miss the whole point of the whole nature of international law, and break entirely from the views that no one should be punished if he did not know he was wrong“.523 519

520 521 522 523

Ecer, Bohuslav: Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts), Praha 1948, S. 40. (Übersetzung immer von Petra Krupičková, wenn nicht anders vermerkt.) Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2348. Ecer, Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus). S. 40. NAA, A 2937/273, Draft Lord Wright (Oct. 1944). 5 Seiten, S. 1. NAA, A 2937/273, Draft Lord Wright (Oct. 1944). 5 Seiten, S. 4.

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Wright beendete sein Statement mit einer direkten Zurückweisung der Punkte, die McNair genannt hatte, und führte dagegen die moralische Verpflichtung der in der UNWCC versammelten Juristen ins Feld, eine zukünftig tragfähige Lösung zu entwickeln. Dabei verwies er implizit auch auf die Rolle der öffentlichen Meinung: „It seems to me to put on a firm basis whatever might have been derived from what I should call the common law, and it is consonant with the moral sense of the world at large. It seems to me that it would be a retrogression to accept the view which is set forward in this report [= by McNair]. It would shock people; it would destroy credit in the world and it would be condemned as a reversion to obsolete ideas, which possibly 17 years ago [= when the pact of Paris was given] had a certain vogue. It has not really come face with acts which might be committed if this easy view of responsibility were accepted. I wish to support the notion which has been proposed by Dr. Ecer.“524

Die Delegierten spürten die Unterstützung Lord Wrights, und langsam stellte sich einer nach dem anderen auf Ecers Seite. Der Erste war der chinesische Delegierte Wunz King, „der Delegierte aus dem Land der tausendjährigen pazifistischen Tradition und mit einer unendlichen Weisheit, älter als Europa“, wie Ecer blumig formulierte.525 Er lobte zunächst McNairs Standpunkt als sehr ausgewogen, pflichtete dann aber Ecer bei. Danach schlossen sich auch Jugoslawien, Neuseeland, Polen, Belgien und die Niederlande (unter Vorbehalt) an, während Norwegen weiterhin dagegen war. Doch die britische Regierung war sehr zögerlich, den neuen Begriff anzunehmen. In einer Debatte im britischen Unterhaus vom 4. Oktober 1944, in der es um die Tötung politischer Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald ging, antwortete Außenminister Eden noch kühl, man könne leider nichts tun: „Crimes committed by Germans against Germans, however reprehensible, are in a different category from war crimes and cannot be dealt with under the same procedure.“526 Er wiederholte diese Auffassung erneut in einer Debatte vom 31. Januar 1945, wenn auch mit leichter Modifikation.527 Noch war das Konzept nicht ausdiskutiert. Aber seine Zeit kam, als es in der Londoner Konferenz um die Ausgestaltung des ersten Internationalen Militärtribunals in Nürnberg ging. 524 525 526

527

NAA, A 2937/273, Draft Lord Wright (Oct. 1944). 5 Seiten, S. 5. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 122. Zitiert nach Schwelb report, Definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 5, PURL: https:// www.legal-tools.org/doc/c52df5/. Die Debatte im House of Lords findet sich auch als Zusammenfassung der Standpunkte in NAA, A 2937/273, Statements in the United Kingdom Parliament, summary, 5.10.1944. An dieser Stelle muss auch darauf verwiesen werden, dass die britische Regierung an einer „War Crimes Bill“ arbeitete, von der sich erste und sehr vorläufige Entwürfe ebenfalls in den australischen Akten finden. Erst mit dem Royal Warrant vom Sommer 1945 gab es jedoch eine kodifizierte britische Rechtsgrundlage. Schwelb report, Definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 5, PURL: https://www.legaltools.org/doc/c52df5/.

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Rückblickend scheint es so, als habe Ecer mit seiner Initiative vor allem die Holocaust-Verbrechen im Fokus gehabt, die bis dato nur unter den weiteren Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten aufgeführt worden waren, was wiederum ihre Einmaligkeit verschleierte. Manche sahen Ecer daher als „Judenfreund“.528 Dies scheint zu weit gegriffen, zumal Ecer meist auf die Verbrechen im Sudentenland während der Annexion 1938 Bezug nahm, wenn er Beispiele wählte. In seinen eigenen Schriften erwähnt er zudem immer wieder seine politischen Weggefährten, denn die Verfolgung der Sozialisten und Kommunisten bedrückte ihn stark. Er schrieb, der ganze Zweite Weltkrieg sei „ein totaler Krieg“ gewesen, dessen Ziel die Zerstörung ganzer Gesellschaften, Nationen und Rassen gewesen sei. Die „Verbrechen gegenüber deutschen Bürgern, insbesondere gegen Sozialisten, Kommunisten, Demokraten, Pazifisten, Protestanten, Katholiken und Juden“, müssten daher „als Kriegsverbrechen eingestuft werden“.529 Es ist auffallend, dass Ecer mit seinem Vorschlag eine direkte Linie zwischen der Martens-Klausel und dem neu zu schaffenden Straftatbestand zog. Er betonte damit den universalistischen Rechtsansatz, der im Begriff ‚humanity‘ mitschwang, und die Kontinuitätslinien, die für die UNWCC bis zu den Haager Friedenskonferenzen sichtbar waren. Darin scheint er sich auch mit anderen Mitgliedern der Kommission einig gewesen zu sein. René Cassin verwies in seiner Bemerkung zur Neuschöpfung des Konzepts auf die Wurzeln aus der Französischen Revolution: „Hitlers Hauptziel war die Auslöschung der Juden, aber ihre Vernichtung war auch Teil einer Attacke auf alles, wofür die Französische Revolution stand: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschenrechte. Hitlers Rassismus war im Kern ein Versuch, die Prinzipien der Französischen Revolution auszulöschen.“530 Auch in seiner Frustration war Ecer nicht allein. Zusammen mit seinem Kollegen Marcel De Baer beschwerte er sich mehr als einmal über die Obstruktionshaltung der Briten, wobei die beiden Juristen kaum Unterschiede machten zwischen den britischen Regierungsstellen, die sie zu überzeugen suchten, und den britischen Mitgliedern, die innerhalb der Kommission überzeugt werden mussten. Besonders beredt legt davon ein Brief Zeugnis ab, den der australische Kommissionpräsident Lord Wright in seinen Akten aufbewahrte. Die Gesprächsnotiz vom 1. Dezember 1944 handelt von einem persönlichen Gespräch Wrights mit De Baer, das im Zusam528

529

530

Offensichtlich hatte Herbert Pell einen entsprechenden Kommentar in einem Bericht an die USRegierung gemacht, als Ečer drohte, im September 1944 nach Differenzen sein Amt in der UNWCC niederzulegen, vgl. Láníček, Jan: Czechs, Slovaks and the Jews, 1938-48. Beyond idealization and condemnation, Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York 2013, S. 99 (referring to NARA, RG 59, H. Pell (UNWCC) to Secretary of State, 27.09.1944). Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 101–102. (Übersetzung immer von Petra Krupičková, wenn nicht anders vermerkt.) Huhle, Rainer: René Cassin, online: http://www.menschenrechte.org/lang/de/verstehen/menregeschichte/rene-cassin. Dem Holocaust waren auch 28 Mitglieder von Cassins großer Familie zum Opfer gefallen. Und kurz nach dem Ende des Nürnberger Prozesses hatte Cassin erklärt, dass die Juden sich „in enger Solidarität betrachten mit all den anderen Opfern“ und denjenigen, die, egal in welchem Land, den Nazis Widerstand geleistet haben.

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menhang mit De Baers Vorschlag stand, die vorrückenden Armeen zu instruieren, bereits bei den ersten Vernehmungen systematisch Erkenntnisse zu Kriegsverbrechen zu sammeln und an die UNWCC weiterzuleiten, die diese Erkenntnisse dann für die Strafverfolgung koordinieren würde. Wright hatte den Vorschlag unterstützt und war vom UNWCC-Vorsitzenden Hurst zurückgewiesen worden. Es war daraufhin zu einem Wortwechsel zwischen Hurst und dem Australier Lord Wright gekommen, den man angesichts der ansonsten üblichen britischen Zurückhaltung wohl als offenen Streit interpretieren muss: „Hurst said that I might run into difficulties if I pursued this course and I said that I had considered that aspect and the important point to me was that the Commission had been charged by the Governments with the investigation of war crimes; because the War Office of one of its members was not receptive to the proposal being put forward was no reason why the Commission should shirk its responsibility of doing everything in its power to see that the prisoners of war were interrogated.“531

De Baer nahm die Begebenheit nun zum Anlass, ebenfalls offen zu sprechen und sich über die Obstruktionshaltung der Briten zu beklagen: „De Baer said that it was just another example of the way one had to fight to get Hurst to do anything. It seems to him that there were very obstructive forces behind Hurst as chairman; I asked him to amplify this and he said that he believed the Foreign Office did not want to make it too hard on the Germans. I said did they desire that Germany should not be too weak so that she might still remain a barrier for the west against Russia. He said that he thought that was the idea but did not believe in the soundness of the idea. […] He then said that in addition to the obstructive forces behind Hurst he had been very obstructive right from the beginning and quoted examples right back in the first months of 1941 when I was not attending Commission meetings. He said that he had driven Lord Atkin frantic at times.“532

Lord Wright gab zu erkennen, dass er wisse, dass viele der Exiljuristen frustriert seien: „I said that obviously a majority of the members of the Commission were very dis-satisfied with the way the Commission was working, but it looked as if nobody would take sufficiently strong steps to put it on the right lines.“533

Dabei war es Wrights Befürchtung, die UNWCC könne auseinanderbrechen, da die ostmitteleuropäischen Staaten starke Neigungen zeigten, sich den Sowjets anzuschließen:

531 532 533

NAA, A 2937/273, Note of meeting with General de Baer, by Wright, 1.12.1944. S. 1–3, S.1. NAA, A 2937/273, Note of meeting with General de Baer, by Wright, 1.12.1944. S. 2. NAA, A 2937/273, Note of meeting with General de Baer, by Wright, 1.12.1944. S. 2.

3. UNWCC-DEBATTEN UM CRIMES AGAINST HUMANITY

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„The Russians, with their organised machinery, would attract the eastern European countries now represented on the Commission in London to the Extraordinary Commission functioning at Moscow. De Baer said he had thought this over and quite believed that would be the case. He had heard Ecer and Zivkovic express sentiments that they would prefer to remain on the Commmission in London, but if things went on as at present they would certainly turn to the strong Russian Commission.“534

Die Attraktivität der Sowjetunion als alternativer Partner der Exilregierungen kann daher gar nicht hoch genug angesetzt werden und deutet die Blockbildung des Kalten Kriegs schon an. So hatte Ecer offenbar aus der sowjetischen Botschaft in London am 4. Oktober 1944 eine Art Einladungsschreiben mitgebracht, das er zu einem Memorandum zusammenfasste, das sich in den australischen und den Prager Akten erhalten hat.535 Darin berichtet er über die konkreten sowjetischen Vorschläge zur Ausgestaltung einer internationalen Strafverfolgung. Diese Vorschläge hatte er Cecil Hurst in einem Brief am 5. Oktober 1944 dargelegt, dieser hatte den Inhalt aber nicht, wie Ecer forderte, an die anderen UNWCC-Mitglieder weitergeleitet. Dadurch nährte Hurst Gerüchte, nach denen die Briten sowjetische Initiativen bewusst torpedierten, und erweckte den Eindruck, dass sie keineswegs eine globale Übereinkunft in der Kriegsverbrecherfrage anstrebten. Ecer hatte in seinem Schreiben an Hurst darauf hingewiesen, dass die Sowjetunion nach wie vor eine engere Zusammenarbeit mit der UNWCC anstrebe, jedoch darauf bestehe, dass, ähnlich wie die British Dominions und Indien, dann auch die sowjetischen Teilrepubliken Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Litauen, Lettland, Estland und die Karelo-Finnische Republik vertreten sein müssten.536 Die Sowjetische Kommission sei zudem bereit, bisher gesammeltes Material an die UNWCC weiterzugeben. Ecer formulierte, dass er sich bewusst sei, dass die Vertreterfrage eine politische Frage sei, regte aber an, zumindest in der Sache doch zusammenzuarbeiten und das angebotene Material anzunehmen. Nachdem Hurst überhaupt nicht reagierte, gab Ecer den Brief an die leitenden Mitglieder von Committee I weiter, also an De Baer, Hodgson und de Moor. Der missliche Eindruck, Hurst halte hier Informationen zurück, sorgte in der UNWCC im November und Dezember 1944 für beträchtliche Unruhe. De Baer berichtete Lord Wright, dass insbesondere die ostmitteleuropäischen Delegierten von den sowjetischen Offerten angezogen würden und der Meinung seien, in Moskau werde wirklich nach einer juristisch befriedigenden Lösung gesucht und nicht ständig mit politischen Manövern Verzögerungstaktik betrieben:

534 535

536

NAA, A 2937/273, Note of meeting with General de Baer, by Wright, 1.12.1944. S. 2. NAA Canberra A2937/274, Proposal by Dr. Ecer, THE USSR and the Problem of War Crime, The Conception, punishment and prevention of War Crimes according to the soviet doctrine of international and criminal Law. Text of a lecture delivered und the auspicies of the society for cultural relations with the USSR on 14th December 1944 . Paginierung 176-191. NAA, A 2937/273. Brief Ecer an Hurst, 5.10.1944.

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„He then showed me a very interesting letter which Ecer had written to the members of Committee I in October saying that after a conference with the Russians he was instructed to say that they desired to get in touch with the Commission with a view to the collaboration of the Extraordinary Commission with the International Commission. I asked why this letter had not been sent to all members and he said that Hurst had decided against it. I pointed out that Ecer’s letter expressly stated that the Russians wished all members to be informed of their present attitude.“537

De Baer wiederum gab sich keinen Illusionen hin und unterstrich, die Arbeit der UNWCC könne nur Erfolg haben, wenn einer der Alliierten sie unterstütze: „De Baer said that the only hope for the Commission was a strong lead from either the British or the Americans and after some angling he said that he thought Pell would be a very good chairman as although he was not a lawyer he was a good organiser.“538

Es gab zum Jahresende 1944 tatsächlich einen ostmitteleuropäischen oder slawischen Block in der UNWCC, der nach Alternativen suchte, um die Arbeit in der UNWCC mit Erfolg zu krönen. Die Sowjetunion erschien hier als attraktiver Partner. Rückblickend führte Ecer dies auf landsmannschaftliche Gemeinsamkeiten zurück. So sah sich Ecer besonders nahe an den Positionen der anderen „slawischen“ Delegationen, speziell der polnischen und jugoslawischen Kollegen. Er führte dies zurück auf die gemeinsame Erfahrung brutaler nationalsozialistischer Besatzung (wobei er deutlich machte, dass natürlich auch Belgier, Franzosen, Holländer und Norweger sehr gelitten hätten, aber die Nationalsozialisten hätten sich doch mit besonderem Furor in den osteuropäischen Ländern ausgetobt). Zudem betonte er die „tief verwurzelte Friedensliebe, die im Krieg das größte Übel sieht“, und die gemeinsame juristische Tradition (wohl auch der juristischen Ausbildung an den Universitäten des Habsburgerreichs), die im Völkerstrafrecht ein „Instrument des Schutzes der menschlichen Gesellschaft vor ihrer vollständigen Zerlegung“ sehe.539 Ecer zog daraus den Schluss, dass man, wenn man nicht erneut Opfer eines deutschen Angriffs werden wolle, politisch in Zukunft Schutz in einem Bündnis mit der Sowjetunion suchen müsse.540 Von dieser Haltung rückte er erst sehr spät – nach 1954 – und angesichts massiver Bedrohung durch die tschechoslowakische Geheimpolizei ab.541 Ecer vertrat diese prosowjetische Haltung auch in öffentlichen Vorträgen. Eine Stellungnahme, die er für die UNWCC im Oktober ausgearbeitet hatte, trug er am 14. Dezember 1944 im Sowjetischen Kulturinstitut in London vor. Es ist bezeichnend, 537 538 539 540

541

NAA, A 2937/273, Note of meeting with General de Baer, by Wright, 1.12.1944. S. 2–3. NAA, A 2937/273, Note of meeting with General de Baer, by Wright, 1.12.1944. S. 2. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 145. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts) S. 147. Querverweis auf Ecer, Die Lehren des Nürnberger Gerichts für die Slawen, S. 73. Biographisches Portrait von Ečer unter http://www.valka.cz/clanek_12304.html (letzter Zugriff am 16.08.2014; ich danke Katarina Morozova für die Übersetzung).

3. UNWCC-DEBATTEN UM CRIMES AGAINST HUMANITY

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dass er in diesem Vortrag argumentativ viel Raum darauf verwendete, eventuelle Unterschiede zwischen östlicher und westlicher Rechtsauffassung zu nivellieren. In einer Analyse der Rechtsbegriffe, insbesondere der Definition von ‚war crimes‘ kam Ecer zu dem Schluss: „Thus, there is no difference between the categories of crimes enumerated by Professor Trainin, and these enumerated in the above mentioned resolution of the London International Assembly.“542 Er betonte nochmals: „The United Nations regard as crime in the above mentioned sense, all offences against a) The criminal laws of the United Nations b) The laws and customs of war c) The general principles of criminal and international law, as established by civilized nations, d) The laws of humanity and the dictates of the public conscience as proclaimed in the preamble to the Hague Convention (1907).“543

Mit diesem Hinweis auf die Martens-Klausel fasste Ecer sein juristisches Credo zusammen: Übertragen auf seine Vorschläge in der UNWCC bedeutete dies, mit dem neuen Konzept von crimes against humanity werde nicht neues Recht kodifiziert, sondern ein altbekanntes Rechtsinstrument mit neuem Leben und konkreter Definition gefüllt. Ecer verwies in seinem Vortrag auch auf die Motivation der fortschrittlichen Gruppe unter den UNWCC-Juristen. Er betonte, dass die meisten UNWCC-Mitglieder es als ihre Aufgabe ansähen, die Lücken im Völkerrecht zu füllen, „because the law is much older than Nazism and total war“. Zur Bestätigung zitierte Ecer eine Schrift Lord Wrights von 1939, in der dieser hervorgehoben hatte: „The judge, exercing his historic function, is constantly enlarging the area of the law by applying old principles to new cases, and by limiting and redifining existing principles in the light of new circumstances, and very occasionally he will be able to establish a new principle.“544

Es ist allerdings unrichtig, davon auszugehen, dass die Initiative in London ohne Widerhall blieb. Im Gegenteil findet sich zum Jahresbeginn 1945 in den Akten des Foreign Office eine umfangreiche Korrespondenz zu der Frage, wie man den Sowjets entgegenkommen könne, ohne die Teilrepubliken politisch anzuerkennen. Viel zu spät wurde man sich im britischen Foreign Office der gärenden Unzufriedenheit bewusst. So schrieb der neue britische Vertreter in der UNWCC, Lord Finlay, am 30. Januar 1945 an das Foreign Office: „It is certainly a disadvantage not having Russia re542

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NAA Canberra A2937/274, Proposal by Dr. Ecer, THE USSR and the Problem of War Crime, The Conception, punishment and prevention of War Crimes according to the soviet doctrine of international and criminal Law. Text of a lecture delivered und the auspicies of the society for cultural relations with the USSR on 14th December 1944 . 16 Seiten, S. 6. NAA Canberra A2937/274, Proposal by Dr. Ecer, THE USSR and the Problem of War Crime. S. 5–6. NAA Canberra A2937/274, Proposal by Dr. Ecer, THE USSR and the Problem of War Crime. S. 15. Ecer zitiert hier aus Wright of Durley, Robert Lord: Legal Essays and Adresses, London 1939. S. 328.

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presented, but I fail to see what we can do about it“.545 Makin antwortete, man arbeite an einer Lösung, allerdings sei er persönlich der Meinung, der Vorstoß über Ecer sei „nicht seriös“.546 Die britischen Bemühungen intensivierten sich insbesondere nach der Führungskrise, die auf die Abberufung Hursts und Pells folgte. So trat der UNWCCVorsitzende Sir Cecil Hurst am 4. Januar 1945 zurück, sehr überraschend wurde auch Pell abberufen.547 Nach dem Rücktritt Hursts (der mit gesundheitlichen Problemen begründet wurde, jedoch seine Ursache in Hursts tiefer Frustration über den unklaren Kurs der britischen Regierung in der Kriegsverbrecherfrage hatte548) übernahm der Australier Lord Robert Wright den Vorsitz, der, wie beschrieben, De Baer und Ecer sehr aufgeschlossen gegenüberstand. In den internen UNWCC-Debatten hatte sich zwar gezeigt, dass die von Ecer, Levy und Pell vorgeschlagene Schaffung eines neuen Straftatbestandes zu crimes against humanity keineswegs unumstritten war. Allerdings führte der Wechsel im Vorsitz der UNWCC zu einer Beschleunigung in Richtung Implementierung. Es war daher nur noch eine Frage der Zeit, bis das Konzept alle nötigen Gremien passiert haben würde. Ecer schreibt über Wright, dieser sei ein sehr energischer, aufgeklärter und fortschrittlicher Präsident gewesen und nach seiner Ernennung habe das neue Konzept „einen schnellen Erfolg“ gehabt.549 Die Presse feierte Lord Wrights Kandidatur überschwänglich, und er erhielt die Möglichkeit, Interviews zu geben, die er nutzte, um die Wichtigkeit einer globalen Kriegsverbrecherpolitik zu unterstreichen. Hier wurde bewusst Öffentlichkeit hergestellt, um die Debatten zu intensivieren, was darauf hindeutet, dass Wright eine dezidiert andere Strategie als sein Vorgänger verfolgte und zudem der Meinung war, angesichts des nahen Kriegsendes müssten die Planungen nun endlich zum Abschluss gebracht werden. Die Londoner Times lobte, die Aufgabe der UNWCC sei es, „to carry out their duties to justice, not revenge“, und der Daily Telegraph zitierte Wright mit den Worten: „The failure to bring criminals to justice after the last war will not be repeated this time.“550 Überschattet wurde die Ernennung Lord Wrights durch die Abberufung Pells, die das State Department mit „finanziellen Schwierigkeiten“ nur unzureichend bemäntelte – war doch allen Beteiligten klar, dass sich das Außenministerium hier eines

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TNA, FO 371/51011, Minutes from Lord Finlay to Sir W. Makin ‚Russia and the United Nations War crimes commission‘, 31.1.1945. TNA, FO 371/51011, Draft letter Malkin to Finlay, 31.1.1945. „For your own information we are working on a plan, which we propose to take in the EAC – for sound measure of the cooperation with the soviet Govt“. TNA, FO 371/ 51011, Departure of Mr. H. Pell and Sir C. Hurst from the United Nations War Crimes Commission, 1945. Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 165. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts) S. 99 und 124. TNA, FO 371/51011. Press clippings, 2.2.1945.

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unbequemen und wenig auf der US-Linie liegenden Vertreters entledigen wollte.551 Bezeichnend für den Machtkampf sind insbesondere die Stellungnahmen in der Presse zu den Gründen von Pells Abberufung – zum einen durch Pell selbst, zum anderen durch Joseph C. Grew, den Stellvertreter von US-Außenminister Stettinius, der gerade auf der Konferenz von Jalta weilte. Pell hatte in einem Presseinterview am 24. Januar 1945 zu Protokoll gegeben, er habe sich nichts vorzuwerfen, habe er doch stets nach den Wünschen Roosevelts gehandelt sowie im Sinne des gesamten amerikanischen Volkes, indem er eine juristische Lösung für die Opfer der Gewalt im Sinn gehabt habe: „We had great difficulties in persuading the Commission to agree finally that it should take jurisdiction over crimes committed by the Germans against their own nation because of race and religion. That aroused great dissatisfaction among officials who contend that what a country does to its own peoples is its own business. I am certain that President Roosevelt does not think so – I know a great many Americans do not. Technical students of International Law may, but that’s all.“552

In der New York Times legte Pell noch einmal nach und betonte, er habe gehen müssen, weil er zu deutlich für die Opfer eingetreten sei und dabei besonders die jüdischen Opfer im Blick gehabt habe: „The State Department knows where I stand. [...] I stand for hard, rough treatment of every war criminal. They know that I favour Nazis be brought to trial for atrocities against their own Jewish citizens, as well as for atrocities against people in other countries.“553

Daraufhin sah sich das U.S. State Department, vertreten durch Joseph Grew, in Ergänzung zu einer zunächst sehr kurzen Erklärung vom 26. Januar genötigt, am 1. Februar 1945 offiziell als US-Position zu formulieren, dass man sich in Washington sehr wohl Gedanken über eine Kriegsverbrecherpolitik mache, die die Bestrafung für den Holocaust mit einschlösse. „This provide for the punishment of German leaders and their associates for their responsibility for the whole broad criminal enterprise devised and executed with ruthless disregard of the very foundation of law and morality, including offences wherever committed against the rules of war and against minority elements, Jewish and other groups, and individuals.“554 551

552 553 554

Cox, Graham: Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, in: Diplomats at War. The American Experience, hrsg. v. J. Simon Rofe/Andrew Stewart, Dordrecht 2013, S. 151–169. S. 165. Zitiert nach der Kopie in den australischen Akten unter NAA, A 2937/273, Summary for the Acting secretary for External Affairs Canberra, 5.2.1945. Quote of Pell statement, 24.1.1945. Zitiert nach Cox, Herbert C. Pell, US Representative on the United Nations War Crimes Commission, S. 167. Zitiert nach der Kopie in den australischen Akten unter NAA, A 2937/273, Summary for the Acting secretary for External Affairs Canberra, 5.2.1945. Quote of Grew statement, 1.2.1945.

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Auch wenn Pell dadurch nicht auf seinen Posten in der UNWCC zurückkehren konnte, so ist doch festzuhalten, dass die USA mit diesem Statement endlich klar Position bezogen, eine Position, die sie später auch in London und Nürnberg bekräftigten und an der sie in der Folgezeit auch gemessen wurden, insbesondere von jüdischen Verbänden in den USA. Auch die Briten wurden durch die „Affäre Pell“ gezwungen, sich mehr oder weniger dem Statement der USA anzuschließen. Der Minister of State for Foreign Affairs, Richard Law, nutzte am 31. Januar 1945 in einer Sitzung im Unterhaus eine Anfrage, wie mit Konzentrationslager-Gräueln verfahren werden solle, für die Bemerkung: „As the Foreign Secretary informed my hon. Friend in reply to a question on October 4, 1944, crimes committed by the Germany against Germans are in a different category from war crimes and cannot be dealt with under the same procedure. But inspite of this I can assure my hon. Friend that his Majesty’s Government will do their utmost to ensure that these crimes do not go unpunished. It is the desire of his Majesty’s Government that the authorities in post-war Germany shall mete out to the perpetrators of these crimes the punishment which they deserve.“555

Wenn man bedenkt, dass sich London noch nicht einmal auf eine strafförmige Abrechnung verständigt hatte, so war dies ein beachtlich weit gehendes Statement, das die spätere Position der Westalliierten auf der Konferenz in London vorwegnahm. Aus den britischen Akten ist jedoch auch ersichtlich, dass die Vertreter des Foreign Office intern froh waren, dass Pell abberufen worden war.556 Im Frühjahr 1945 verständigten sich die Alliierten nun auch auf einen internationalen Strafgerichtshof, den die Briten lange Zeit abgelehnt und die USA favorisiert hatten, während Stalin nun plötzlich ebenfalls dafür war, da er den propagandistischen Wert eines solchen Prozesses erkannte. Es lässt sich in den britischen Akten des Foreign Office ab Januar 1945 eine rege Diskussion um die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs nachweisen. So hielt der Lord Chancellor in einem Memorandum vom 26. Januar 1945 fest, es müsse darum gehen, einen wasserdichten Plan auszuarbeiten („an elaborate plan for creating an international criminal court constituted by treaty to try these leaders“).557 Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 besprachen Roosevelt, Churchill und Stalin noch einmal die Nachkriegsplanungen für Deutschland; auch die Strafverfolgung sowie die Aufteilung des Deutschen Reiches in Besatzungszonen wurden diskutiert. In der nach dem Treffen veröffentlichten Deklaration zogen die USA die Verbindung zur Atlantik-Charta, wenn sie formulierten:

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Zitiert nach der Kopie in den australischen Akten unter NAA, A 2937/273, Summary for the Acting secretary for External Affairs Canberra, 5.2.1945. Quote of Mr. Law’s statement, 31.1.1945. TNA, FO 371/51011, Korrespondenz zu Pells Abberufung, 26.1.-2.2.1945. Auf einem Schriftstück vom 2.2. hatte ein Beamter notiert: „But this I know and know full well, I do not love thee Mr. Pell“. TNA, FO 371/51011, 26.01.1945, Memorandum by the Lord Chancellor (Punishment of Hitler and his Chief associates), Paginierung 36-38.

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„By this declaration we affirm our faith in the principles of the Atlantic Charter, our pledge in the [1942] Declaration by the United Nations, and our determination to build in cooperation with other peace-loving nations a world order under law, dedicated to peace, security, freedom and the general well-being of mankind.“558

Auch die Franzosen waren für einen internationalen Prozess – und nachdem sich die drei Hauptangeklagten Hitler, Himmler und Goebbels im Mai 1945 durch Selbstmord bereits einem Gericht entzogen hatten, stimmten schließlich auch die Briten dem Plan zu, einen Gerichtshof zu errichten, da nun nicht mehr zu befürchten war, die Nationalsozialisten würden den Prozess als ideologische Bühne missbrauchen.559 Die Vorbereitung dieses Tribunals stand nun im Zentrum, und dadurch erhielt auch die Arbeit in der UNWCC Auftrieb. Im Nachlass De Baers haben sich Schriftwechsel erhalten, die belegen, dass die britische Regierung die in London versammelten Exilregierungen gebeten hatte, Stellung zu nehmen und ihre Forderungen schriftlich vorzubringen. Dafür durften die Delegierten sogar Inspektionsreisen unternehmen, z.B. nach Buchenwald, wo De Baer und auch Ecer Gespräche mit Häftlingen führten, um Beweise zu sichern. Am 31. Mai 1945 kam es zu einer Konferenz der Exilregierungen mit ihren britischen Gastgebern, auf der die unterschiedlichen Positionen besprochen wurden. So sprach sich De Baer in der Funktion als belgischer Delegierter sowie Chef des UNWCC Committee I in einem Brief vom 25. Mai 1945 gegen das weitverbreitete „Listen-Unwesen“ aus und monierte, hier würden lediglich Namen aneinandergereiht, ohne jedoch die strafrechtlich viel zentraleren Beweisdokumente und konkrete Vorwürfe damit zu koppeln; solcherlei Listen seien doch in den geplanten Strafverfahren völlig wertlos.560 De Baer berichtet in einem Brief vom Juni 1945 auch, wie die Umsetzung der UNWCC-Forderungen auf eine konkrete Ebene gelang. So bildete er, zusammen mit Lord Wright und dessen Stellvertreter, Colonel Oldham, eine Delegation, die im Juni 1945 nach Paris kam, um dort zum einen die von den Amerikanern aufgebaute Datenbank des Obersten Hauptquartiers der Alliierten Expeditionsstreitkräfte (SHAEF) zu Kriegsverbrechern unter der Leitung von General Brookes, zum anderen die französische Untersuchungskommission zu besuchen und sich über die Arbeiten zu informieren. Ein weiterer Programmpunkt war der Besuch der französischen Ausstellung zu Nazi-Kriegsgräueln.561 De Baer zeigte sich über die Professionalität der SHAEF-Datenbank begeistert und lobte: „The central database at Paris is a first class organisation and I cannot believe that SHAEF would have been as conscientious, 558

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US Department of State (Hrsg.): Foreign Relations of the United States (FRUS): Diplomatic Papers 1941-1946, Washington 1944-1945 Declaration of Yalta. S. 971. Ebenso bei Woodward, Llewellyn (Hrsg.): British Foreign Policy in the Second World War, London 1962. S. 484–488. Robertson, Crimes against humanity, S. 308. N De Baer, Brief De Baer (=Belgian representative UNWCC) an den Justizminister in Brüssel (Delfosse), 25.05.1945. Abschrift in englischer Übersetzung (durch J. Laughton-Scott). N De Baer, Brief De Baer (=Belgian representative UNWCC) an den Justizminister in Brüssel (Delfosse), 12.06.1945. Abschrift in englischer Übersetzung (durch J. Laughton-Scott).

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were it not for a genuine intention to exercise the provisions of the Moscow declaration.“ Er wies jedoch im gleichen Brief darauf hin, dass die Amerikaner ein starkes Interesse daran hätten, selbst Prozesse gegen nationalsozialistische Täter zu führen, und man sich deshalb als kleinere Nation damit „beeilen“ müsse, Auslieferungsgesuche zu stellen, da ansonsten die Wahrscheinlichkeit sehr gering sei, in Belgien Prozesse abhalten zu können oder die Auslieferung schwierig werden würde: „If we want to punish them, we must be in a position to do so with as little delay as possible.“ Ein zweiter Punkt, der De Baer sehr wichtig erschien, war die Einbindung der öffentlichen Meinung in die Umsetzungsphase, und er betonte den Erfolg der französischen Kriegsverbrecherausstellung. Man müsse versuchen, die öffentliche Empörung zu steigern, und solle deshalb eine Ausstellung in London organisieren, die die globale Dimension der Kriegsverbrechen deutlich mache – „showing all the crimes committed in the United Nations (photographs, instruments of torture, relevant objects, statistics, newspaper cuttings, etc.)“.562 Eine solche Ausstellung wurde tatsächlich 1946 realisiert, zudem gab es Pendants in verschiedenen europäischen Hauptstädten. Lord Wright führte den bisher begonnenen Kurs der Juristendebatten in der UNWCC im Frühjahr 1945 mit großer Energie fort, und dies schloss sein Engagement für das Konzept von crimes against humanity ein. Dies war als globales Konzept gedacht, mit dem nicht nur Verbrechen an Juden, sondern auch an politischen Gegnern und der Bevölkerung besetzter Gebiete geahndet werden sollten. Wie sie schon ein Jahr vorher übereingekommen waren, waren die Juristen der UNWCC der Meinung, es dürfe keine Sonderregelungen geben. Am 20. März 1945 sprach Wright vor dem House of Lords und betonte, man müsse eine globale Lösung für die Bestrafung der Kriegsverbrecher finden und solle nicht eine Einzellösung für die HolocaustVerbrechen suchen. Kochavi moniert, hier sei nach dem Weggang von Pell und Hurst eine Chance vertan worden, dem Holocaust angemessen zu begegnen: „There was no leading figure on that body who was willing to struggle to include crimes against Jews within the purview oft he commission“.563 Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Holocaust-Verbrechen wurden gleichwertig neben die Besatzungsverbrechen gestellt, um die anvisierte globale Lösung zu schaffen, die ja gerade nicht auf eine einmalige Menschheitskatastrophe wie den Holocaust antworten, sondern alle zukünftigen Konflikte und Verbrechenstypen mit einschließen sollte. Der Anspruch Wrights und der Exiljuristen erinnert hier klar an den universalistischen Anspruch der Martens-Klausel.

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N De Baer, Brief De Baer (=Belgian representative UNWCC) an den Justizminister in Brüssel (Delfosse), 12.06.1945. Abschrift in englischer Übersetzung (durch J. Laughton-Scott). Kochavi, Prelude to Nuremberg, S. 164.

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3.3. Londoner Konferenz im August 1945: Eine Charta für Nürnberg Mit der Londoner Konferenz endete das Engagement der Exiljuristen für die völkerrechtliche Weiterentwicklung und die Politik übernahm die Führung. Vom 26. Juni bis zum 8. August 1945 wurde die Charta für das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal auf einer Konferenz in London verhandelt, an der Vertreter der vier Hauptalliierten USA, Großbritannien, Sowjetunion und Frankreich teilnahmen. Das im August 1945 in London unterzeichnete IMT-Statut kodifizierte erstmals das neue Kriegsvölkerrecht, das auf den Trümmern Europas entstanden war und eine Reihe von Bestimmungen enthielt, die dem angelsächsischen Common Law entnommen waren, aber auch substanzielle Erweiterungen;564 dieses Statut wurde daher zugleich zum Vorbild für den Tokioter Gerichtshof.565 Die völkerrechtliche Neuerung (neben crimes against peace) bestand in der Definition des Straftatbestands crimes against humanity, denn es hatte sich abgezeichnet, dass der Schwere und der Art nationalsozialistischer Verbrechen mit dem herkömmlichen Begriff von Kriegsverbrechen nicht Genüge getan war. 566 Die Arbeit an der Londoner Charta für den Nürnberger Gerichtshof markiert einen Wendepunkt, nicht nur weil die politischen Führer sich jetzt auf strafförmige Abrechnung verständigt hatten, sondern auch weil die Juristen des State Department und die des Foreign Office endlich auf der gleichen Seite waren.567 Die Verfassung des Nürnberger Gerichts bekräftigte das Prinzip der Verantwortung des Einzelnen für staatliche Verbrechen und führte eine opferzentrierte Strafverfolgung ein – ein seither zentraler Grundsatz des Völkerstrafrechts.568 Hauptverdienst war jedoch die Einigung auf einen internationalen Strafgerichtshof, und hierzu hatte die öffentliche Debatte erheblich beigetragen. Die Wahrnehmung des Tribunals als öf-

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Jackson wies darauf explizit hin, vgl. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 471. Bloxham, Donald: Pragmatismus als Programm. Die Ahndung deutscher Kriegsverbrecher durch Großbritannien, in: Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 4), hrsg. v. Norbert Frei, Göttingen 2006, S. 140–179. S. 145. Form betont die Wortgleichungen der Definition von crimes against humanity zwischen UNWCC und der London Charter, vgl. Form, Wolfgang: Strategies for ‚Genocide Trials‘ after Warld War II – How the Allied Powers dealt with the Phenomenon of genocide in Occupied Germany, in: The Genocide Convention sixty years after its adoption, hrsg. v. Safferling, Christoph Johannes Maria/ Eckart Conze, The Hague 2010, S. 69–81.S. 77. Pendas, Devin O.: „The Magical Scent of the Savage“. Colonial Violence, the Crisis of Civilization, and the Origins of the Legalist Paradigm of War, in: Boston College International & Comparative Law Review (2007), S. 29–53. S. 38. Vgl. auch Clark, Roger S.: Nuremberg and Tokyo in Contemporary Perspective, in: The Law of War Crimes. National and International Approaches, hrsg. v. McCormack, Timothy L. H/Gerry J. Simpson, The Hague 1997, S. 171–187. Werle, Gerhard: Die Entwicklung des Völkerstrafrechts aus deutscher Perspektive, in: Die Macht und das Recht. Beiträge zum Völkerrecht und Völkerstrafrecht am Beginn des 21. Jahrhunderts, hrsg. v. Gerd Hankel, Hamburg 2008, S. 97–126. S. 98.

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fentliche Plattform betonte der US-Vertreter und vormalige Richter am Supreme Court, Robert Jackson, immer wieder: „To free them without a trial would mock the dead and make cynics of the living. On the other hand, we could execute or otherwise punish them without a hearing. But undiscriminating executions or punishments without definite findings of guilt, fairly arrived at, would violate pledges repeatedly given, and would not sit easily on the American conscience or be remembered by our children with pride. The only other course is to determine the innocence or guilt of the accused after a hearing as dispassionate as the times and horrors we deal with will permit and upon a record that will leave our reasons and motives clear.“569

Teilnehmer der Londoner Konferenz waren Delegationen der vier Siegermächte in Europa: Großbritanniens, der USA, der Sowjetunion und Frankreichs.570 Obwohl die Konferenz erst im Juli begann, waren die Delegationen seit Wochen in der Stadt, um den Text vorzubereiten. Der US-Unterhändler Sam Rosenman hatte sogar die Pausen der Gründungsveranstaltung der United Nations im Juni 1945 in San Francisco genutzt, um einen Entwurf der Nürnberger Charta mit den anderen alliierten Delegationen abzustimmen.571 Zudem gab es auch Entwürfe des US-Geheimdienstes OSS, die auf eine Zusammenarbeit mit dem World Jewish Congress zurückgingen und in den Entwurf Rosenmans mit eingeflossen waren.572 Es wird oft übersehen, dass die UN-Charta in San Francisco fast zur gleichen Zeit wie die Nürnberger Charta verabschiedet wurde und daher mit dieser zusammen gedacht werden muss573 (die Londoner Konferenz begann an dem Tag, als die UNCharta unterschrieben wurde, am 26. Juni 1945). Ambrosius unterstreicht, dass sich durch die UN für die USA eine „zweite Chance“ eröffnet habe, den liberalen Internationalismus Wilson’scher Prägung durchzusetzen.574 Borgwardt argumentiert, es habe sich bei beiden Vertragswerken im Kern um Beiträge zur Sicherheitspolitik gehandelt.575 Taylor stützt diese Sicht durch seine Erinnerungen, in denen er beschreibt, 569 570

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Zitiert nach Robertson, Crimes against humanity. S. 308. Verhandlungsführer waren, neben dem US-Vertreter Jackson, Professor André Gros für Frankreich, Sir William Jowitt und Sir David Maxwell Fyfe für Großbritannien und Ion Nikitchenko T. und General Roman A. Rudenko sowie Aaron Trainin für die Sowjetunion. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S. 434. Lewis, The birth of the new Justice. S. 171–173 betont die Kontroversen zwischen OSS und dem Jewish Institute des WJC, in welchen der WJC dem OSS vorwarf, das Ausmaß des Holocaust nicht begriffen zu haben und daraus die falschen völkerrechtlichen Schlüsse abzuleiten. Einer der umstrittenen Begriffe war beispielsweise „organized violence“. Der Text findet sich bei Woodward, Llewellyn (Hrsg.): British Foreign Policy in the Second World War, London 1962. S. 532–535. Ambrosius, Wilsonianism, S. 145. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462.. S. 449.

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wie der Sohn Jacksons, William Jackson, genau diese Verbindung betonte: „It is perhaps not commonly apprehended that the principles of Nuremberg [...] go hand in hand with the organization of the United Nations as the twin foundations of an international society ordered by law.“576 Unter den Exiljuristen herrschte große Enttäuschung darüber, dass sie nicht zu den Beratungen zugelassen waren,577 allerdings konnten sie im Umfeld der Konferenz wichtige Gespräche mit einzelnen Delegationsmitgliedern führen. Ecer traf die Delegierten der USA und Frankreichs, zeigte sich aber besonders beeindruckt vom Treffen mit dem sowjetischen Verhandlungsführer, dem Völkerrechtler Aaron Trainin.578 Es ist umgekehrt bezeichnend für das seit Jahren schwierige Verhältnis, dass Ecer die britische Delegation nur schriftlich erreichen konnte und keinen Gesprächstermin bekam.579 Auch De Baer berichtet von einem Treffen mit einigen Konferenzteilnehmern am 5. Juli 1945, bei dem er seine Enttäuschung zeigte, dass die kleineren Staaten keine direkte Rolle bei der Vorbereitung des Tribunals spielen durften. Es sei ihnen lediglich gestattet, einen der vier Hauptalliierten zu bitten, ihren Punkt stellvertretend vor Gericht vorzutragen, und es werde zudem noch diskutiert, ob es einen beisitzenden Richter geben könne, der abwechselnd von den Exilnationen gestellt werden würde.580 De Baer war skeptisch, ob der letztere Punkt den amerikanischen Widerstand würde überwinden können, zeigte sich aber zufrieden damit, dass ansonsten alle Vorarbeiten der Kommissionen (gemeint ist wohl die UNWCC) umgesetzt worden seien. In seinem folgenden Brief vom 11. Juli waren bereits alle Hoffnungen verflogen: De Baer monierte, es ginge in den geplanten Prozessen wahrscheinlich vor allem darum, dass die USA ihre eigene Bevölkerung beeindrucken könnten; die Wiederherstellung von Gerechtigkeit in Europa sei allenfalls ein sekundäres Ziel. Er schrieb nach Brüssel: „In this way, Judge Jackson’s plan was outlined and it seems that his intentions are excellent. Nevertheless it is certain that the United States has absolutely decided to be the main decision maker concerning all questions of punishment and that they are completely opposed to giving the smaller nations (who after all were the principal victims of the aggression) any say in the process of punishment. Moreover it seems it is for this reason and to avoid a majority vote by the smaller nations that the UNWCC wasn’t charged with the task of working out the punishments. The most important thing was to satisfy American pu576 577

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Zitiert nach Taylor, Telford: The anatomy of the Nuremberg trials. A personal memoir, Boston 1992. S. 42. Alle kleineren alliierten Staaten waren von den Londoner Beratungen ausgeschlossen, ebenso China. Schabas, William: The United Nations War Crimes Commission’s Proposal For An International Criminal Court, in: Criminal Law Forum 25/1-2 (2014), S. 171–189. S. 186. Ecer, Vývoj a základem mezinárodního trestního práva (=Entwicklung und Grundlagen des internationalen Strafrechts). S. 144. Ecer, Právo v boji s Nacismem (=Das Recht im Kampf gegen den Nazismus). S. 54. N De Baer, Brief De Baer (=Belgian representative UNWCC) an den Minister for Overseas Affairs in Brüssel, 05.07.1945. Abschrift in englischer Übersetzung (durch J. Laughton-Scott).

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blic opinion in the United States through a series of resounding condemnations with the principal aim of putting the US to the forefront and in the limelight. It is sufficient to read the newspapers to realise that France and Great Britain had no option but to accept the American proposals. (The about turn by the British government at the beginning of February after Mr Crow’s declaration, over the matter of punishment of crimes committed against the Jews in Germany, is symptomatic of the situation as was their acceptance of the International Military Tribunal against which they were initially opposed.)“581

De Baer behielt insofern Recht, als es gelungen war, crimes against humanity im Statut zu implementieren. Das Nürnberger Statut fasste in Artikel 6 die drei Straftatbestände zusammen, nach denen das Gericht urteilen würde: crimes against peace, war crimes und crimes against humanity.582 Artikel 6 (c) der Charta definierte crimes against humanity als „a distinct set of crimes, namely murder, extermination, enslavement, deportation, and other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war, or persecutions on political, racial and religious grounds in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the tribunal, whether or not in violation of the domestic law of the country where perpetrated“.583

581 582

583

N De Baer, Brief De Baer (=Belgian representative UNWCC) an den Minister for Overseas Affairs in Brüssel, 11.07.1945. Abschrift in englischer Übersetzung (durch J. Laughton-Scott). Article 6 of the Nuremberg Charter, zitiert nach http://avalon.law.yale.edu/imt/imtconst.asp : The Tribunal established by the Agreement referred to in Article I hereof for the trial and punishment of the major war criminals of the European Axis countries shall have the power to try and punish persons who, acting in the interests of the European Axis countries, whether as individuals or as members of organizations, committed any of the following crimes. The following acts, or any of them, are crimes coming within the jurisdiction of the Tribunal for which there shall be individual responsibility: A. CRIMES AGAINST PEACE: namely, planning, preparation, initiation or waging of a war of aggression, or a war in violation of international treaties, agreements or assurances, or participation in a common plan or conspiracy for the accomplishment of any of the foregoing; B. WAR CRIMES: namely, violations of the laws or customs of war. Such violations shall include, but not be limited to, murder, ill-treatment or deportation to slave labour or for any other purpose of civilian population of or in occupied territory, murder or illtreatment of prisoners of war or persons on the seas, killing of hostages, plunder of public or private property, wanton destruction of cities, towns, or villages, or devastation not justified by military necessity; C. CRIMES AGAINST HUMANITY: namely, murder, extermination, enslavement, deportation, or other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war; or persecutions on political, racial, or religious grounds in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the Tribunal, whether or not in violation of the domestic law of the country where perpetrated. Leaders, organizers, instigators, and accomplices participating in the formulation or execution of a common plan or conspiracy to commit any of the foregoing crimes are responsible for all acts performed by any persons in execution of such plan. IMT Charter, Art 6 (c). Zitiert nach Geyer, Michael: Crimes against Humanity, online: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9781444338232.wbeow146 [14.09.2015]. Vgl. auch Schabas, William: War Crimes, Crimes against Humanity and the Death Penalty, in: Albany Law Review 60 (19961997), S. 733–770. S. 736.

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Insbesondere die letzte Formulierung war wichtig, denn sie legte die Vormachtstellung des Völkerrechts gegenüber nationalem Recht fest.584 Artikel 6 (c) hatte seine Entsprechung im Statut für den Tokioter Gerichtshof in Artikel 5 (c), und in beiden Statuten wird eine Verbindung in der Definition von crimes against humanity zum Tatbestand von „aggression“ und „war crimes“ hergestellt.585 In Artikel 6 (c) der Charta befindet sich das Kernstück der Überlegungen der UNWCC-Delegierten, insbesondere Ecers und De Baers, die ja in den letzten Monaten dafür gekämpft hatten, die enge Definition von ‚war crimes‘ zu erweitern. Der Sekretär des Legal Committee, Egon Schwelb, formulierte in seinem Aufsatz zu crimes against humanity die Motivation der Gruppe: „[…] that also such atrocities should be investigated, tried and punished as have been committed on axis territory, against persons of axis nationality.“586 Mit dem neuen Straftatbestand würde nun endlich eine Ahndung möglich werden auch für Verbrechen von nationalsozialistischen Tätern gegen deutsche Opfer, die also dieselbe Nationalität wie ihre Peiniger hatten, oder gegen Bürger eines anderen Staates, der sich zur Zeit des Krieges im Bündnis mit dem Deutschen Reich befand oder unter Besatzung stand.587 Dieses Grundverständnis schloss auch Juden als Opfergruppe ein, die zahlenmäßig am größten war – und dadurch ist crimes against humanity in der öffentlichen Wahrnehmung als „Holocaust-Paragraph“ im Gedächtnis geblieben. Dies war jedoch nicht die ursprüngliche Intention, es ging den Londoner Exiljuristen eigentlich um organisierte Verbrechen gegen Zivilisten, und zwar nicht nur während des Krieges, sondern insbesondere auch vor der offiziellen Kriegserklärung. Die Einschränkung auf den Holocaust ist daher eine rückwärtsgerichtete Projektion und war 1945 keineswegs so intendiert. Dies lässt sich auch dadurch belegen, dass der Holocaust, wie Michael Marrus588 und auch Gary Jonathan Bass589 gezeigt haben, im Nürnberger Prozess nicht die zentrale Verbrechenskategorie bildete, wie dies in späteren Verfahren, insbesondere der 1960er Jahre, der Fall war.590 Lewis bilanziert, dass der be584 585

586 587 588 589

590

van Schaack, Beth: The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, in: Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998-1999), S. 788–850. S. 791. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 463. Bassiouni, M. Cherif: A Definition of Aggression in International Law: The Crime against Peace, in: A Treatise on International Criminal Law. Vol. 1, Crimes and Punishment, hrsg. v. M. Cherif Bassiouni/Ved P. Nanda, Springfield 1973, S. 159–197. Vgl. auch B. V. A. Röling: On aggression, on international criminal law, on international criminal jurisdiction – I. Statement on Oct. 28, 1954, in: Netherlands International Law Review 2/(2) (1955), S. 167–196. Schwelb, Egon: Crimes Against Humanity, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 178–226. S. 183. van Schaack, Beth: The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, in: Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998-1999), S. 788–850. S. 790. Marrus, The Nuremberg war crimes trial, 1945-46. Bass, Stay the hand of vengeance. S. 174. Bass argumentiert, hier liege insbesondere eine Vermischung mit den späteren deutschen Verfahren (z.B. dem Frankfurter Auschwitz-Prozess) und dem Verfahren gegen Eichmann in Jerusalem vor. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 101.

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grifflichen Unschärfe, die sich in den US-Entwürfen der Charta in Bezug auf crimes against humanity findet, ein Unverständnis für das wahre Ausmaß und den Ablauf des Holocaust zugrunde lag. Dies habe, so Lewis, dazu geführt, dass die Betonung der US-Anklage später vor allem auf schockierenden Bildern und Zeugenaussagen lag – und weniger auf einer kohärenten Argumentationskette von der Nazi„Verschwörung“ der Vorkriegszeit hin zur industriellen Tötung von Millionen Menschen in den Kriegsjahren, wie man sie für eine Unterstützung des neuen Konzepts von crimes against humanity unter zentraler Berücksichtigung des Holocaust hätte verfolgen müssen.591 Crimes against humanity stand auf der Londoner Konferenz von Anfang an, wie schon in Paris 1919, nicht im Zentrum der Beratungen. Eines der Hauptziele der Amerikaner in den Londoner Verhandlungen war die Ächtung des Angriffskriegs, mit der man das Prinzip unterstreichen wollte, wie Jackson formulierte, „that there are just and unjust wars, and that unjust wars are illegal“.592 Die französische und die britische Delegation teilten diesen Fokus nicht unbedingt, und es gab Ablehnung. Beide waren mit der amerikanischen Formulierung nicht einverstanden, der Angriffskrieg sei schon vor Kriegsausbruch völkerrechtlich verboten gewesen, denn schließlich sah der Kellogg-Briand-Pakt ja keine Strafverfolgung bei Übertretung vor.593 In der Debatte standen sich zwei Positionen gegenüber: die der Sowjetunion, nach der es dezidiert um den gegenwärtigen Krieg (also Nazis oder Achsenstaaten als Schuldige) ging, und die US-Position, die eine universelle Gültigkeit auch für zukünftige Konflikte anstrebte. Die letztere Position setzte sich durch.594 Es kam daraufhin zu einer Überarbeitung des Entwurfs.595 In seiner Eröffnungsrede in Nürnberg nutzte Jackson später dann das Konzept von crimes against peace als roten Faden, um Verbrechen verschiedenster zeitlicher und geographischer Verortung zusammenzubringen.596 Jackson formulierte in seinem Bericht an den US-Präsidenten im Juni 1945: „Doubtless what appeals to men of good will and common sense as the crime which comprehends all lesser crimes is the crime of making unjustifiable war. War necessarily is a calculated series of killings, of destructions of property, of oppressions. Such acts unquestionably would be criminal except that International Law throws a mantle of protection around acts which otherwise would be crimes, when committed in pursuit of legitimate warfare.“597 591 592

593 594 595 596 597

Lewis, The birth of the new Justice, S. 173. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S- 423. Borgwardt, Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. S. 436. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2369. Jackson, Report to the International Conference on Military Trials London 1945. S. 58. Bush, Jonathan A.: The Supreme Crime and its Origins: The lost legislative History of the Crime of Aggressive War, in: Columbia Law Review 102 (2002), S. 2324–2423. S. 2370. Jackson, Report to the International Conference on Military Trials London 1945. S. 8–9.

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Mit dieser Formulierung belegt Jackson das US-Verständnis von ‚war crimes‘, das einen Akt beschreibt, der zu allen Zeiten strafbar ist – und umso mehr in Kriegszeiten, wo er durch das Kriegsvölkerrecht als unzivilisiert geächtet ist.598 Doch dies löste noch nicht das Problem, wie systematischen Verbrechen an Zivilisten strafrechtlich begegnet werden könne. Der britische Ankläger Sir David Maxwell Fyfe betonte, er sehe gar keine Schwierigkeiten, die antijüdischen Übergriffe der Nationalsozialisten argumentativ mit einem generellen Plan zum Angriffskrieg zu verbinden. Maxwell Fyfe sagte in der Sitzung vom 23. Juli 1945, er suche nach einem juristischen Weg, die Verbrechen gegen die deutschen Juden mit in die Charta aufzunehmen, und er denke, Aggression sei das passende Konzept (Maxwell Fyfe wollte dezidiert keinen weiteren neuen Tatbestand).599 Jackson wiederum suchte nach einer global anwendbaren Rechtsgrundlage, die für die Zukunft handlungsleitend werden könne. Jackson betonte in der gleichen Sitzung: „It has become a general principle of foreign policy of our government from time immemorial that the internal affairs of another government are not ordinarily our business; that is to say, the way Germany treats its inhabitants […] is not our affair any more than it is the affair of some other government to interpose itself in our problems. The reason that this program of extermination of Jews and destruction of the rights of minorities becomes an international concern is this: it was a part of a plan for making an illegal war. Unless we have a war connection as a basis for reaching them, I would think we have no basis for dealing with atrocities. They were a part of the preparation for war or for the conduct for the war insofar as they occurred inside of Germany, and that makes them our concern.“600

Als Lösung wurde in der letzten Verhandlungsrunde schließlich die Bezeichnung crimes against humanity gewählt.601 Bis dahin hatten die Entwürfe der Amerikaner von „Gräueltaten und Verfolgung aus rassischen und religiösen Gründen“ gesprochen,602 eine Begrifflichkeit, die in den Diskussionen lange in solcher oder ähnlicher Form beibehalten wurde, da die Frage der Bezeichnung des Tatbestandes nicht im Vordergrund stand. Relevanter für Juristen war die Frage der darunter zu subsumierenden Tatbestandsmerkmale.603 598

599 600 601

602 603

Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462. S. 433. International Conference on Military Trials: London, 1945 Minutes of Conference Session of July 23, 1945, http://avalon.law.yale.edu/imt/jack44.asp . International Conference on Military Trials: London, 1945 Minutes of Conference Session of July 23, 1945, http://avalon.law.yale.edu/imt/jack44.asp . Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 591. Amerikanischer Entwurf vom 14. 6. 1945 für die Charta des Internationalen Militärtribunals, abgedruckt in Jackson, Report to the International Conference on Military Trials London 1945 S. 57. Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 591.

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Am 31. Juli findet sich crimes against humanity erstmals in einem US-Entwurf für die Charta.604 Jackson antwortete auf die Frage, woher der Begriff käme, dieser sei ihm von einem bedeutenden Völkerrechtler übermittelt worden.605 Aus den Akten wird jedenfalls nicht klar, wie er dazu kam, diesen Begriff als einen der Anklagepunkte vorzuschlagen, da keine Protokolle der Sitzung existieren. Der Begriff war zuvor jedoch in UNWCC-Memoranda und im Vorgängergremiun LIA bereits diskutiert worden, wie die bisherige Analyse gezeigt hat. Wahrscheinlich war Hersch Lauterpacht das Bindeglied, denn Lauterpacht traf sich mit Jackson vor der Londoner Konferenz in seinem Haus in Cambridge.606 Es ist aufgrund seiner engen Beteiligung an den Juristendebatten der Londoner Zirkel nachvollziehbar, dass er diesen Begriff und das dahinterstehende Konzept einem gewichtigen Konferenzteilnehmer vorschlug, zu dem die Juristen aus den kleineren Exilnationen Europas keinen Zugang hatten. Damit fasste er Debatten zusammen, die in verschiedenen juristischen Gremien über die letzten drei Jahre hindurch geführt worden waren, in denen Lauterpacht neben Ecer und De Baer Mitglied gewesen war. Diese These erhält dadurch zusätzliches Gewicht, dass Lauterpacht in seinem großen Memorandum zum Thema „Punishment of War Crimes“, das er 1942 in der LIA vorgelegt hatte, den Begriff noch nicht einmal erwähnte, der Begriff also nicht auf seine eigenen Texte zurückgeht.607 Das Engagement der Amerikaner war sicherlich ausschlaggebend für den Erfolg der Implementierung; die Frage nach der Motivation ist seither unzählige Male diskutiert worden. Hier ist Weinke zuzustimmen, die urteilt, der „moralpolitische Ansatz der Amerikaner“ sei „in doppelter Weise gerechtfertigt“ gewesen:608Zum einen habe sich „die beabsichtigte Revolutionierung des Völkerrechts nur auf dem Wege einer kreativen Neuinterpretation bekannter Rechtsfiguren verwirklichen“ lassen, zum anderen habe die „ganzheitliche, wenn auch mitunter ahnungslose Herange-

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608

Revision of Definition of „Crimes“, Submitted by American Delegation, 31.07.1945, abgedruckt in Jackson, Report to the International Conference on Military Trials London 1945 S. 395. Jackson sagte in der Sitzung vom 2.08.1945: „I may say that the term was suggested to me by an eminent scholar of international law“, in: Jackson, Report to the International Conference on Military Trials London 1945 S. 416. Koskenniemi, The gentle Civilizer of Nations betont, Lauterpacht habe eine zentrale Rolle für das britische Anklägerteam von Nürnberg gespielt, indem er die Eröffnungs- und die Schlussrede für den Nürnberger Prozess schrieb, vgl. sein Kapitel: „Lauterpacht: The Victorian tradition in International Law“, bes. S. 388/389. Schabas betont, dass ein bekannter Wissenschaftler, den er als Lauterpacht identifiziert, den Begriff Jackson vorgeschlagen habe, vgl. Schabas, Unimaginable atrocities, S. 51; diese Version wird durch die Schilderungen in den Erinnerungen des Sohnes an seinen Vater gestützt, vgl. Lauterpacht, Elihu: The Life of Sir Hersch Lauterpacht, Cambridge, New York 2010, S. 272. Auch Philpp Sands stützt diese Theorie, allerdings ohne Belege zu nennen, vgl. Sands, East West Street: On the Origins of „Genocide“ and „Crimes Against Humanity“. TNA, LCO 2/ 2973, Papers of the Cambridge Commission, Committee of Crimes against International Public Order, Memorandum of H. Lauterpacht on “Punishment of War Crimes”, 52 pages, (without exact date, but probably July 1942). Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 131.

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hensweise an das Problem des Judenmords der historischen Bedeutung des ‚Zivilisationsbruchs‘ (Dan Diner) Rechnung“ getragen.609 Waren sich die Exiljuristen noch einig, dass crimes against humanity sozusagen eine späte Erfüllung der Martens-Klausel darstellte, in der universalistische Völkerrechtsprinzipien mitschwangen, so zeigte sich an der Kritik durch die Fachöffentlichkeit, dass nicht alle diese Sicht teilten. Viele Juristen wie Diplomaten waren der Meinung, mit dem Nürnberger IMT-Prozess sei komplett neues Recht geschaffen worden. Die völkerrechtliche Diskussion um die Valenz des Konzepts von crimes against humanity wird seit 1945 geführt; sie begann unmittelbar nach der Londoner Konferenz. Bis heute gibt es unterschiedliche juristische Auffassungen, was die Bedeutung des Konzepts betrifft.610 Einer der Hauptkritikpunkte bezieht sich auf das Rückwirkungsverbot: Insbesondere die Briten monierten, die Einführung eines neuen Straftatbestands sei durch das Rückwirkungsverbot in Frage gestellt, das besagt, dass ein zur Tatzeit nicht strafbares Handeln nicht strafrechtlich verfolgt werden kann (nulla poene sine lege).611 Folgt man David Lubans Theorie, dann lassen sich fünf verschiedene Merkmale unterscheiden, die die strafrechtliche Anwendung und die Ausprägungsformen von crimes against humanity charakterisieren:612 „1) Crimes against humanity are typically committed against fellow nationals, 2) they are international crimes, 3) they are committed by politically organized groups acting under the colour of ‚policy‘, 4) they consist of the most severe acts of violence and persecution, 5) and they are inflicted on victims based on their membership in a population rather than on individual characteristics“.613 Luban betont: „The distinguishing feature of the crime against humanity is not the actor’s genocidal intent, but the organized, policy-based decision to commit the offences.“614 Egon Schwelb war einer der wichtigsten Vertreter aus der Gruppe der Exiljuristen und UNWCC-Funktionsträger, der versuchte, diese Kritik zu entkräften und die langen Linien zu betonen, die crimes against humanity als Konzept auszeichneten. Sein zusammenfassender Bericht, den er im März 1946 vor der UNWCC präsentierte, stellt somit die erste und unmittelbarste Entgegnung auf den Vorwurf des Rückwir609 610

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Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. S. 132. Ein Überblick findet sich bei Gärditz, Klaus Ferdinand: Weltrechtspflege. Eine Untersuchung über die Entgrenzung staatlicher Strafgewalt (Schriften zum Völkerrecht Bd. 166), Berlin 2006. S. 102–106. Vgl. auch van Schaack, Beth: The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, in: Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998-1999), S. 788–850. S. 792; Orentlicher, Diane F.: Settling Accounts:. The Duty to Prosecute Human Rights Violations of a Prior Regime, in: The Yale Law Journal, Vol. 100, No. 8, Symposium: International Law (Jun., 1991), (1991), S. 2537–2615. S. 2585. Bloxham, Donald: Pragmatismus als Programm. Die Ahndung deutscher Kriegsverbrecher durch Großbritannien, in: Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 4), hrsg. v. Norbert Frei, Göttingen 2006, S. 140–179. Zur Diskussion ausführlich S. 143–145. Luban, David: A Theory of Crimes against Humanity, in: The Yale Journal of International Law Vol. 29 (2004), S. 85–167. S. 93 und 108. Luban, A Theory of Crimes against Humanity S. 103 und 108. Luban, A Theory of Crimes against Humanity S. 98.

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kungsverbots dar und unterstreicht zudem die Grundidee bei der Wahl des Begriffs für das Konzept. Schwelb definierte darin crimes against humanity griffig als: „A crime against humanity is an offence against certain general principles of law which, in certain circumstances, become the concern of international community, namely, if it has repercussions reaching across international frontiers, or if it passes ‚in magnitude or savagery any limits of what is tolerable by modern civilization‘.“615

Für Schwelb waren crimes against humanity diejenigen Verbrechen, die (a) von Angeklagten aus den Achsenstaaten und ihren Alliierten verübt worden waren, (b) entweder von Einzelpersonen oder von Mitgliedern einer (verbrecherischen) Organisation begangen worden sein konnten und sich (c) noch einmal unterteilen ließen in „crimes of the murder-type“ und „persecution“.616 Es war dabei unerheblich, ob diese Verbrechen vor oder während des Krieges begangen worden waren. Schwelb definierte weiter, die Verfolgungen könnten aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erfolgt sein und in Verbindung mit einem der Straftatbestände des Nürnberger Gerichtshofs stehen (also ‚crimes against peace‘, ‚war crimes‘, oder ‚crimes against humanity of the murder type‘).617 Die Verbrechen dürften keine Einzeltaten darstellen, sondern sollten auf Befehl geschehen oder durch andere Anreize ausgelöst worden sein, etwa durch Rechtsprechung („by enacting legislation which orders or permits crimes against humanity“).618 Schwelb zog eine Verbindung zwischen crimes against humanity und dem bürgerlichen Recht und betonte die universalistische Auffassung, „that ‚inhumane‘ common crimes become crimes against humanity, if, by their purpose or magnitude, they become the concern of Foreign Powers and, consequently, the concern of International Law.“619 Er wies zudem die Auffassung zurück, dass crimes against humanity durch nationales Recht gedeckt werden könnten (die Nürnberger Rassengesetze wären hier ein Beispiel), und befand, wahrscheinlich schon mit Blick auf mögliche Verteidigungsargumente vor Gericht: „Compliance with municipal law is no defence to a charge for a crime against humanity. It is submitted that it is the only one application of the general rule permeating the modern law of war crimes that superior order is no defence, when the order is illegal.“620 615 616 617 618 619 620

Schwelb, Egon: Crimes Against Humanity, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 178–226. S. 195. Referring to Justice Jackson’s opening speech at Nuremberg. Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 6, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 7, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 14, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 10, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Zitiert nach Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 8, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/c52df5/.

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Schwelb hatte in seinem Bericht an die UNWCC darauf hingewiesen, dass zwei Gruppen von Verbrechenskomplexen aus dem Tatbestand der konventionellen Kriegsverbrechen herausfielen: erstens die auf deutschem Boden vor und während des Krieges begangenen und zweitens Verbrechen in besetzten (und daher zeitweilig ebenfalls unter deutsches Recht fallenden) Staaten während des Krieges. Man müsse diese Verbrechen anders angehen, wie ja auch Jackson in seiner Eröffnungsrede gesagt habe, so Schwelb.621 Obwohl man sich normalerweise nicht in die innenpolitischen Belange eines Staates einmischte, war sich der US-Ankläger mit Schwelb insofern einig, als die Judenverfolgung im Deutschen Reich ein solches Ausmaß angenommen hatte, dass reagiert werden musste: „Mistreatment of the Jews had passed in magnitude and savagery any limits of what is tolerable by modern civilization“, und daher bestand die Gefahr, dass andere Nationen, „by silence, would take a consenting part in these crimes“.622 Schwelb unterstrich damit noch einmal die Vormachtstellung des Völkerrechts gegenüber nationalem Recht. In dieser Hinsicht erweiterte die Londoner Charta für Nürnberg nicht nur das Verständnis vorher schon existierender Verbrechenskategorien, sondern das Völkerrecht an sich, wie Bassiouni urteilte: „an expansion of international law beyond clear prior precedent“,623 und zwar „jurisdictional extension of normative proscription to a different context, irrespective of the diversity of citizenship, posed a fundamental question.“ Die Nürnberger Charta erfüllte also zusammenfassend gleich drei Voraussetzungen auf einmal: Sie setzte erstens die bereits in der Zwischenkriegszeit begonnene Ächtung des Angriffskriegs fort; zweitens entwickelte sich hier erstmals die Möglichkeit, Massenverbrechen strafrechtlich zu ahnden, wie es mit dem Konzept von crimes against humanity möglich wurde; und drittens stellte die Charta selbst eine Weiterentwicklung des vertraglich kodifizierten Kriegsvölkerrechts dar.624 Die große Bedeutung des Nürnberger Prozesses war die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs, der sich, so die Hoffnung von Beobachtern, institutionalisieren ließe und dann eine wichtige Rolle in der internationalen Nachkriegsordnung mit ihren multilateralen Organisationen spielen könne. Schwelb betonte in seinem Bericht, dass die Begriffe ‚war crimes‘ und crimes against humanity sich oft überschnitten.625 Allerdings sei der Vorteil des Konzepts crimes against humanity, dass hierdurch auch Verbrechen geahndet werden könnten, die sich noch vor einem militärischen Konflikt ereignet hätten. Es gebe in der 621 622 623 624

625

Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 11, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 12, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 466. Borgwardt, Elizabeth: Re-examining Nuremberg as a New Deal Institution. Politics, Culture and the Limits of Law in Generating Human Rights Norms, in: Berkeley Journal of International Law 23 (2005), S. 401–462.. S. 412. Schwelb, Egon: Crimes Against Humanity, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 178–226. S. 189.

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Anwendung jedoch Probleme, da es sich ja bei den Opfern völkerrechtlich um die eigenen Staatsbürger handle. Daher argumentiere das Konzept crimes against humanity damit, dass hier universelle, für die gesamte Menschheit gültige moralische und ethische Prinzipien verletzt worden seien, die als Gewohnheitsrecht zwischen den meisten Staaten der Erde verbindlich seien. Es sei daher nicht möglich, in einem Verfahren wegen crimes against humanity als Verteidigungsargument den Verweis auf anderslautendes nationales Recht anzuführen: „There is no defence that the act alleged to be a crime was lawful under the domestic law of the country where it was perpetrated.“626 Schwelb hielt es für bedauerlich, dass die Verbindung zwischen crimes against humanity und einem der anderen beiden Anklagepunkte in Nürnberg so stark betont worden sei, und bilanziert, damit sei die Grundidee komplett verwässert worden und die Bedeutung geschmälert: „The Crime Against Humanity, as defined in the London Charter, is not, therefore, the cornerstone of a system of international criminal law equally applicable in times of war and of peace, protecting the human rights of the inhabitants of all countries of all civilian population against anybody, including their own states and governments, [but] a kind of by-product of the war, applicable only in times of war, to cover cases not covered by norms of the traditional laws and customs of war“.627

Es sei jedoch zu begrüßen, dass die Nürnberger Charta, die in London im Sommer 1945 verabschiedet wurde, das Konzept von crimes against humanity erstmals kodifiziert und damit deutlich gemacht habe, „that inhumane acts violating the principles of the laws of all civilized nations committed in connection with war should not go unpunished“.628 Ecer bemerkte rückblickend zur Bedeutung der Londoner Konferenz und der Nürnberger Charta, das Völkerrecht sei nun gerüstet, um in Zukunft die Menschheit vor Verbrechen dieses Ausmaßes zu schützen, und bilanziert optimistisch: „As far as crimes against humanity are concerned, I see the importance of this particular provision of the Charter and the verdict also in the fact that certain human rights, namely the right to freedom of thought and religious beliefs and the right to pledge allegiance to nation and race, are placed under the protection of the international community and become articles protected under international law. I believe this has special significance far beyond the [Nuremberg] trial. The Charter itself will not protect elementary human rights all over the world, as it is primarily concerned with German crimes, but the Charter indisputably marked the start of the development of international law towards international protection of elementary human rights.“629 626 627 628 629

Schwelb, Crimes Against Humanity S.193. Schwelb, Crimes Against Humanity S. 206. Schwelb, Crimes Against Humanity S. 206. Ečer in seinen Memoiren Jak jsem je stíhal (=How I prosecuted), Praha 1946, zitiert von Stehlik, Eduard: Bohuslav Ecer and the Prosecution of War Crimes, in: European Conscience and Commu-

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Wie die nur selektive Anwendung des Konzepts an den Internationalen Militärgerichtshöfen von Nürnberg und Tokio zeigt, war dieser Optimismus verfrüht; allerdings hat sich spätestens mit den Gerichtshöfen der 1990er Jahre Ecers Ansatz doch noch durchgesetzt. 3.4. Anwendung des Konzepts in Nürnberg und Tokio In Nürnberg (International Military Tribunal – IMT) und in Tokio (International Military Tribunal for the Far East – IMTFE) kam zu Schwierigkeiten in der Umsetzung des Konzepts von crimes against humanity, die im Folgenden thesenhaft zusammengefasst werden. Die Richter in Nürnberg waren sehr zögerlich, das Konzept im IMT-Verfahren anzuwenden, und es wurde eigentlich nur in Verbindung mit einem der anderen Anklagepunkte verwendet.630 Der Prozess gegen die 24 Hauptkriegsverbrecher vor dem IMT631 sollte am 20. November 1945 in Nürnberg beginnen, der symbolträchtigen Stadt der NS-Reichsparteitage. Neuartig war der Ansatz, die gesamte Führungselite eines Staates für ihre Politik und die von ihr gegebenen Befehle zu bestrafen.632 Jackson wurde von Präsident Truman zum Chefankläger in Nürnberg berufen. Die Planungen sahen vor, den Prozess mit acht Richtern (zwei für jede der hauptalliierten Mächte) beginnen zu lassen; Präsident wurde der britische Lordrichter Geoffrey Lawrence.633 In ähnlicher Weise nahm 1946 der Gerichtshof für den Fernen Osten (IMTFE) in Tokio seine Verhandlungen gegen 28 militärische und politische Führer des japanischen Kaiserreichs auf.634 Nach dem Willen der Alliierten sollten die Militärtribunale mit juristi-

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nism. Proceedings of the International Conference of 2-3 June 2008 at Prague, Prague 2008, S. 53– 63. S. 59. Schwelb report, Ibid.; Geyer, Michael: Crimes against Humanity, online: http://onlinelibrary.wiley. com/doi/10.1002/9781444338232.wbeow146 [14.09.2015]. Die Literatur zum Nürnberger IMT-Prozess ist sehr umfangreich. Hier eine Auswahl mit Blick auf die Wirkung des Verfahrens: Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse, München 2006 ; Reginbogin, Herbert R./Safferling, Christoph Johannes Maria (Hgg.): The Nuremberg Trials. International criminal law since 1945 = Die Nürnberger Prozesse : Völkerstrafrecht seit 1945, München 2006; Bassiouni, M. Cherif: Das Vermächtnis von Nürnberg. Eine historische Bewertung fünfzig Jahre danach, in: Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, hrsg. v. Gerd Hankel/Gerhard Stuby, Hamburg 1995, S. 15–38. Hankel, Gerd/Stuby, Gerhard (Hgg.): Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, Hamburg 1995; Von Nürnberg nach Den Haag. Menschenrechtsverbrechen vor Gericht : zur Aktualität des Nürnberger Prozesses (EVA Wissenschaft), Hamburg 1996. Glueck, Sheldon: The Nuremberg trial and Aggressive War, New York 1946, S. 102. Robertson, Crimes against humanity, S. 308–309. Als Überblick vgl. Totani, Yuma: The Tokyo war crimes trial. The pursuit of justice in the wake of World War II (Harvard East Asian monographs 299), Cambridge, MA 2008; Futamura, Madoka: War crimes tribunals and transitional justice. The Tokyo Trial and the Nuremburg legacy (Contemporary security studies), Abingdon 2008 Boister, Neil/Cryer, Robert: Documents on the Tokyo International Military Tribunal. Charter, indictment and judgments, Oxford 2008 McCormack, Timothy L. H./Simpson, Gerry J./Tanaka, Toshiyuki: Beyond victor’s justice? The Tokyo War Crimes Trial revisited (International humanitarian law series v. 30), Leiden, Boston 2011.

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schen Mitteln verdeutlichen, in welchem Klima die Verbrechen hatten entstehen können.635 Die Kontroverse entzündete sich an Nachfragen der Übersetzer: In der russischen und der französischen Version der Charta war ein Semikolon so gesetzt worden, dass der Eindruck entstand, crimes against humanity (namentlich die Tatbestandsmerkmale Mord, Versklavung, Vernichtung, Deportation und andere unmenschliche Handlungen) könnten auch unabhängig von den anderen Anklagepunkten und vor allem unabhängig vom Kriegszustand verfolgt werden – in der Tat die ursprünglich intendierte Lesart. Diese Lesart wurde nun jedoch von den Richtern als „Übersetzungsfehler“ zurückgewiesen;636 dennoch wird sie bis heute in manchen Forschungen als richtig angesehen.637 Darüber hinaus waren nur zwei Angeklagte überhaupt in Nürnberg wegen crimes against humanity angeklagt und später auch schuldig gesprochen worden (Julius Streicher und Baldur von Schirach).638 Dass crimes against humanity so nur als ergänzender Straftatbestand zu ‚war crimes‘ oder crimes against peace genutzt wurde (man spricht vom war nexus), war insofern wichtig für die meisten alliierten Ankläger, als es die Verurteilung der Angeklagten erlaubte, ohne die Doktrin der Staatssouveränität anzugreifen. Die Neuinterpretation bedeutete jedoch einen Rückschritt gegenüber den Intentionen der Exiljuristen. Im Ergebnis konnten all diejenigen Verbrechen, die sich etwa in der Tschechoslowakei vor dem offiziellen Kriegsbeginn im September 1939 ereignet hatten, nicht vor Gericht gebracht werden, unter der Begründung (die dem war nexus innewohnte), dass „it has not been satisfactorily proven that they were done in execution of, or in connection with any such crime.“639 Der französische Völkerrechtler André Gros, seinerzeit selbst Mitglied der Cambridge Commission, wandte sich jedoch gegen den war nexus und wies darauf hin, dass es in diesem Konzept eigentlich nicht angelegt sei, Kriegsverbrechen mit dem act of aggression (also crimes against peace) zu verbinden, denn das würde für die Ankläger schwierig werden, „as even the Nazi plan against the Jews [shows] no apparent aggression against other nations.“640 Sein Landsmann dagegen, der französische Richter in Nürnberg, Henri Donnedieu de Vabres, nahm eine ablehnende Haltung ein, die sich aus verfassungsrecht635 636 637

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Bloxham, Donald: Genocide on trial. War crimes trials and the formation of Holocaust history and memory, Oxford, New York 2001, S. 17. Revidierte Formulierung der amerikanischen Delegation zu den Tatbeständen vom 30. resp. 31. 7. 1945, abgedruckt in: Jackson, Report, S. 393, 395. Die Debatte hierzu ausführlich bei Douglas und Segesser, vgl. Douglas, The memory of judgment, S. 53–54 ; Segesser, Daniel Marc: Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, hrsg. v. Kim Christian Priemel/Alexa Stiller, Hamburg 2013, S. 586–604. S. 591. Segesser, Daniel Marc: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), S. 75–101. S. 99. van Schaack, Beth: The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, in: Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998-1999), S. 788–850. S. 804. Cited after van Schaack, The Definition of Crimes Against Humanity: Resolving the Incoherence, S. 800.

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lichen Bedenken und einer Überbetonung des Souveränitätsprinzips speiste, wie sie aus dem Ersten Weltkrieg von der US-Delegation bekannt ist. Er betonte: „The theory of crimes against humanity is dangerous; dangerous for the people by the absence of precise definition; dangerous for the States because it offers a pretext to intervention by a State, in the internal affairs of weaker states.“641

Gegenüber dem Ersten Weltkrieg hatte Frankreich seine Position um 180 Grad gedreht und quasi mit den USA getauscht. Diese verfolgten ihrerseits nun das Ziel, crimes against humanity als Konzept gegen alle Widerstände durchzusetzen. Der amerikanische Ankläger Robert H. Jackson betonte, dass es in diesem Konzept gar nicht um das Souveränitätsprinzip gehe, sondern um eine Pflicht, unterdrückten Völkern und wehrlosen Opfern zu Hilfe zu kommen. Diese Haltung ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Jackson ja in der letzten Phase federführend wurde und den Begriff für die Charta quasi mit ausgewählt hatte. Der britische Chefankläger Hartley Shawcross stimmte wiederum mit der amerikanischen Interpretation überein und verwies auf den Nutzen, den das Konzept habe, indem er betonte dass „the crime against the Jews, insofar as it is a crime against humanity and not a war crime as well, is one which we indict because of its close association with the crime against the peace.“ 642 Im Nürnberger Urteil ist das Zögern, das Konzept zu nutzen, jedoch noch erkennbar, wenn es im Text heißt: „The tribunal therefore cannot make a general declaration that the acts before 1939 were crimes against humanity within the meaning of the charter, but from the beginning of the war in 1939, war crimes were committed on a vast scale, which were also crimes against humanity.“643

Nach dem Nürnberger Prozess legte Schwelb seine völkerrechtliche Zusammenfassung, die er eigentlich als Abschlussbericht für die UNWCC geschrieben hatte, in Fachzeitschriften vor und betonte noch einmal, wie zentral das Konzept von crimes against humanity für die Einhegung von Kriegsgewalt sei.644 Erst mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 10, das die Alliierten in den westlichen Besatzungszonen im Herbst 1946 erließen, wurde der Zusammenhang zwischen Kriegszustand und crimes against humanity aufgehoben.645 Allein in der britischen Zone 641

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Zitiert nach Dautricourt, Joseph Y.: Crime Against Humanity: European Views on Its Conception and Its Future, in: Journal for Criminal Law and Criminology 40/(2) (1949), S. 170–175. Dieser verweist auf einen Beitrag in der Revue de Droit Penal & de Criminologie, Brussels 1946/47, S. 813. The trial of the German mayor War Criminals, Proceedings of the International Military Tribunal sitting at Nuremberg, Nuremberg 1948, Concluding Speeches by the Prosecution, Vol. 19, S. 471. Nuremberg Judgement, IMT proceedings, Vol. 1, S. 254. Schwelb report on the Bearing of the Nuremberg Judgement on the interpretation of the term Crimes against humanity, 26.10.1946, 22 Seiten, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/4edb22/. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 464; Schwelb report on the defi-

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wurde das Kontrollratsgesetz daraufhin in rund 150 Verfahren als Rechtsgrundlage angewandt, bei denen es nur um crimes against humanity ging. Die Verfahren konzentrierten sich auf den Zeitraum ab 1933 und auf Komplexe von Taten, die an Deutschen oder an „Staatenlosen“ begangen worden waren, viele davon an Juden.646 Seit den Tribunalen der 1990er Jahre ist der war nexus für crimes against humanity offiziell aufgehoben. Das Jugoslawien-Tribunal hielt fest: „It is by now a settled rule of customary international law that crimes against humanity do not require a connection to international armed conflict.“647 Damit war 50 Jahre nach Ecers Entwurf das Konzept nun in der Bedeutung akzeptiert, in der es von den UNWCC-Juristen ursprünglich vorgeschlagen worden war. Was die Charta des IMTFE in Tokio anbelangte, so wurde diese analog zur Nürnberger Charta aufgebaut, allerdings fehlte beim Straftatbestand crimes against humanity in der Definition der Ausdruck „persecution on religious grounds“.648 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass damit Verfolgungen aus politischen und rassischen Gründen als crimes against humanity auch in Asien justiziabel waren. Neueste Forschungen zum Gebrauch von crimes against humanity in Asien werden im Folgenden kurz zusammengefasst.649 Der Begriff tauchte in den Debatten der UNWCC-Sub-Commission in Chongqing auf, und im Protokoll des 36. Treffens wurde festgehalten, dass man sich in der Kommission geeinigt habe, den Begriff nicht auf Verbrechen der Japaner in Taiwan anzuwenden, obwohl Taiwan während des Krieges von Japan besetzt worden war und Bürger Taiwans daher unter japanischer Hoheit gestanden hatten.650 Dies ist insofern bemerkenswert, als Taiwan als Teil des japanischen Empire galt, das Konzept also eigentlich genau auf Bürger eines solchen annektierten Staates abgezielt hätte (vergleichbar etwa dem Fall Österreich in Europa), die zudem die japanische Staatsbürgerschaft besaßen. Insbesondere dann, wenn Staaten von einem Statthalter oder Gouverneur verwaltet wurden (hier wäre der Vergleich mit Polen oder der Tschechoslowakei zulässig) – und dies war im Großjapanischen Kaiserreich bei vielen Staaten der Fall, allerdings nicht bei China –, wäre die Anwendung von crimes against humanity prinzipiell möglich und erwünscht gewesen.

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nition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 8, PURL: https://www.legal-tools.org/doc/c52df5/; Geyer, Crimes against Humanity (supra note 22), Ibid. Form, Wolfgang: Strategies for ‚Genocide Trials‘ after Warld War II – How the Allied Powers dealt with the Phenomenon of genocide in Occupied Germany, in: The Genocide Convention sixty years after its adoption, hrsg. v. Safferling, Christoph Johannes Maria/Eckart Conze, The Hague 2010, S. 69–81. S. 80. Meron, Theodor: International Criminalization of Internal Atrocities, in: The American Journal of International Law 89/(3) (1995), S. 554–577. S. 557; Meron, War crimes Law comes of Age, S. 267. Schwelb report on the definition of Crimes against humanity, 22.03.1946, S. 9, PURL: https://www. legal-tools.org/doc/c52df5/. Die Forschungen sind im Kontext der von der Verfasserin geleiteten Nachwuchsgruppe „Transcultural Justice. Legal Flows and the Emergence of International Justice within the East Asian War Crimes Trials, 1945–1954“ zu sehen, die von 2013 bis 2017 am Heidelberger Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ angesiedelt war. Subcommission meetings, report 36, 14 January 1947, PURL: http://www.legal-tools.org/en/go-todatabase/record/dc1e12/.

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Wenn man überblicksartig die anderen Kriegsverbrechertribunale in Asien analysiert, die über das internationale Tribunal in Tokio hinaus überall in Asien stattfanden, in ehemaligen Kolonien wie in China, fällt jedoch auf, dass auch in Asien die Gerichtshöfe sehr zögerlich waren, das neue juristische Konzept anzuwenden. 651 Damit folgten sie möglicherweise dem Zögern, das ihre Kollegen in Europa vorgaben. Erste Forschungsergebnisse zu den niederländischen und den französischen Verfahren in Indonesien und Indochina belegen, dass das Konzept dort gar nicht angewandt wurde. Am eindeutigsten sind die Ergebnisse für die ungefähr 1200 niederländischen Verfahren in der niederländischen Kolonie Indonesien. Lisette Schouten betont: „In contrast to their home country, the Netherlands for the Dutch Indies government decided not to include ‚crimes against humanity‘ in their definition of war crimes.“652 Die Niederlande sahen demnach crimes against humanity vor allem als Klausel, um Verbrechen gegen Niederländer in Europa zu ahnden, und wollten das Konzept nicht auf Verbrechen anwenden, die Japaner an Indonesiern begangen hatten. Sie waren dabei überzeugt davon, dass man die Verbrechen, die sich in Indonesien ereignet hatten, unter ‚normale Kriegsverbrechen‘ subsumieren könne – was in den Niederlanden dagegen nicht der Fall gewesen sei, dort hätten die neuen Verbrechenstypen der Nationalsozialisten vorgeherrscht.653 Es könnte natürlich auch sein, so Schouten, dass die Entscheidung für die Nichtanwendung des Konzepts vor dem Hintergrund getroffen wurde, dass sich holländische und linientreue indonesische Truppen bei der Rückeroberung der nach Unabhängigkeit strebenden Kolonie selbst Verbrechen schuldig gemacht hatten, die sich klar unter crimes against humanity subsumieren ließen. Hier deutete sich das Konfliktpotential dieses universalistischen Konzepts in der in Asien bevorstehenden Dekolonisierungsphase schon an. Was die Anwendung des Konzepts in China angeht, können nur vorläufige Aussagen getroffen werden, da die Verfahrensakten nicht komplett zugänglich sind. Aus den zugänglichen 240 Prozessakten ist jedoch ersichtlich, dass China das Konzept ein einziges Mal angewandt hat, und zwar gegen Takashi Sakai, der wegen des Massakers von Nanjing im Zusammenhang mit „crimes against peace“ bzw. „aggression“ angeklagt war.654 Dieses Urteil wurde sogar in den UNWCC Law reports veröffent651

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Vgl. die im Projekt „Transcultural Justice“ in Heidelberg am Exzellenzcluster „Asia and Europe“ entstehenden Dissertation von Lisette Schouten zu den „Dutch East Indies trials against Japanese“ und Ann-Sophie Schoepfels Dissertation zu den „Saigon trials in French Indochina“. Ebenso Anja Bihlers Dissertationsprojekt zu den chinesischen Verfahren der nationalistischen chinesischen Guomindang-Regierung. Schouten, Lisette: Colonial Justice in the Netherlands Indies war crimes trials, in: Trials for international crimes in Asia, hrsg. v. Kirsten Sellars, Cambridge [U.K.] 2016, S. 75–99. Advies no 11 van Raad van departementshoofden aan zijne excellentie de gouverneur-generaal van Nederlands-Indië, 29 mei 1946. Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie, Amsterdam, 400 – Collectie van de Indische Afdeling van het Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie, inv.no. 1905. And Nationaal Archief, Den Haag, Collectie 584 L.F. de Groot, 1946-1991, nummer toegang 2.21.281.31, inventarisnummer 2. Ich danke Lisette Schouten für den Hinweis. Vgl. das Dissertationsprojekt von Anja Bihler, Heidelberg; UNWCC War Crimes Trials Reports, London 1949, Vol. 14, case 83 of Takashi Sakai, S. 2.

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licht, ihm kam also Beispielcharakter zu. Das Gericht hielt fest, Sakai sei schuldig wegen: „Inciting or permitting his subordinates to murder prisoners of war, wounded soldiers, nurses and doctors of the Red Cross and other non-combatants, and to commit acts of rape, plunder, deportation, torture and destruction of property, he had violated the Hague Convention concerning the Laws and Customs of War on Land and the Geneva Convention of 1929. These offences are war crimes and crimes against humanity.“655

Zunächst einmal wird im Schlusssatz deutlich, dass auch in Asien der war nexus galt. Das Urteil gegen Sakai, der für schuldig befunden und zum Tod durch Erschießen verurteilt wurde, machte in der Begründung deutlich, dieser habe seine Truppen zu Verbrechen angestachelt. Weil der General in der Verteidigung vorbrachte, er habe keine Kenntnis von den Verbrechen erhalten, wurde er zudem noch wegen mangelnder Dienstaufsicht verurteilt, da er die Disziplin seiner Truppen nicht habe aufrechterhalten können. Das Urteil formulierte hier: „All the evidence goes to show that the defendant knew of the atrocities committed by his subordinates and deliberately let loose savagery upon civilians and prisoners of war. […] The principle that a commander is responsible for the discipline of his subordinates, and that consequently he may be held responsible for their criminal acts if he neglects to undertake appropriate measures or knowingly tolerates the perpetration of offences on their part, is a rule generally accepted by nations and their courts of law in the sphere of the laws and customs of war.“656

Der Prozess gegen Sakai verweist mit der Begründung der mangelnden Dienstaufsicht auf eine Gruppe anderer Verfahren gegen hochrangige Militärs nach dem Zweiten Weltkrieg zum Thema ‚command responsibility‘, etwa den Fall Yamashita und in Europa die Prozesse gegen Generalfeldmarschall Leeb (Fall 12 der Nachfolgeprozesse in Nürnberg), den Manstein-Prozess657 und den Prozess gegen Generalfeldmarschall Albert Kesselring.658 Das Sakai-Urteil hat jedoch eine besondere Komponente und war womöglich richtungsweisend. China ist ein sehr komplexer Fall für die Kriegsverbrechensproblematik – hier werden Ergebnisse Anja Bihlers in Kürze erwartet659 –, und eine besondere juristische Problematik stellte die fehlende japanische Kriegserklärung dar. Es war daher wichtig, Sakai zum einen wegen Kriegsverbrechen anzuklagen (denn der Angriff auf Nanjing erfüllte alle Merkmale eines Kriegsverbrechens), zum ande655 656 657 658 659

UNWCC Reports, Vol. 14, case 83, S. 7. UNWCC Reports, Vol. 14, case 83, S. 7. Wrochem, Oliver von: Erich von Manstein. Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik, Paderborn 2009. Lingen, Kerstin von: Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung : der Fall Kesselring (Krieg in der Geschichte Bd. 20), Paderborn 2004. Vgl. Anja Bihlers Dissertationsprojekt zu den chinesischen Verfahren der nationalistischen chinesischen Guomindang-Regierung.

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ren durch crimes against humanity auch Verbrechen einzuschließen, die gemäß Definition auch vor Ausbruch des Krieges begangen worden sein konnten. Die chinesischen Ankläger sicherten sich sozusagen doppelt ab, indem sie für den Fall, dass die Anklage wegen Kriegsverbrechen nicht standhalten würde, crimes against humanity als weiteren Anklagepunkt gleichsam nachschoben. Dies belegt auch, so Bihler, wie sehr die nationalistische chinesische Regierung – und damit die Juristen unter Wang Chung-hui – sich bemühten, den Vorgaben der UNWCC zu folgen, um sich als moderner, völkerrechtsaffiner Staat zu präsentieren.660 In einem logischen Schluss könnte man nun erwarten, dass in allen folgenden Verfahren aufgrund der fehlenden offiziellen Kriegserklärung analog verfahren wurde – dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr scheint es sich bei dem Verfahren gegen Sakai um eine Art Versuchsballon gehandelt zu haben. Als kein internationaler Einspruch kam, wurden alle folgenden Verfahren unter ‚war crimes‘ geführt.

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Bihler, Anja: The Legacy of Extraterritoriality and the Trials of Japanese War Criminals in the Republic of China, in: War crimes trials in the wake of Decolonization and Cold War in Asia, 19451956. Justice in time of turmoil (World histories of crime, culture and violence), hrsg. v. Kerstin von Lingen, Cham 2016, S. 93–116.

Fazit Der Straftatbestand crimes against humanity ist eine bedeutende Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, die es erlaubt, Verbrechen an der Zivilbevölkerung zu ahnden. Crimes against humanity beschrieb einen Straftatbestand, bei dem „ein Staat für organisierte Verbrechen an oder planmäßige Verfolgungen von Zivilisten“ haftbar gemacht werden konnte.1 Kernbestandteil des Konzepts ist der Nachweis, dass es sich um politisch gewollte, systematische Verbrechen und Verfolgungen handelte. Die Forschungsliteratur hat bislang angenommen, dass diese substantielle Neuerung auf die amerikanische Initiative am Ende des Zweiten Weltkriegs zurückzuführen ist. Diese Annahme impliziert, dass humanitäre Neuerungen sich erst vor dem Hintergrund unsäglicher Schrecken eines Weltkriegs und unter der dezidierten Leitung einer Großmacht durchsetzen ließen. Die Veränderung der Welt zwischen 1870 und 1945, von der Globalgeschichte als „a world connecting“ beschrieben, scheint nach dieser Lesart wenig zur Etablierung eines Konzepts von crimes against humanity beigetragen zu haben. Globale Aushandlungsprozesse, so die bisherige Annahme, hatten keinerlei Auswirkungen auf eine Zivilisierung von Kriegsgewalt. Die vorliegende Arbeit kann nun aber zeigen, dass das Konzept crimes against humanity eine ins 19. Jahrhundert zurückreichende intellectual history hat, die weit über eine bloße begriffliche Vorgeschichte hinausgeht. Am Beispiel der Kontextualisierung des Begriffes crimes against humanity in der Anti-Sklaverei-Debatte, auf den Haager Friedenskonferenzen und in Versailles 1919 lässt sich nachweisen, dass eine grenzübergreifende Konsensbildung historiographisch nicht auf die Festschreibung eines Straftatbestandes in einem multilateralen Vertrag vom Sommer 1945 reduziert werden kann. Die konzeptionelle Entwicklung beschreibt vordergründig eine lange Geschichte des Scheiterns – aber eine ebenso lange Geschichte der erfolgreichen Etablierung des Konzeptes im öffentlichen Diskurs. Die Erfolgsgeschichte begleitet die Ausprägung einer juristischen epistemic community und ist in der zeitgenössischen Literatur weit präsenter, als dies eine alleinige Fokussierung auf die Akten des Zweiten Weltkriegs vermuten lässt. Das hier gewählte Forschungsdesign geht daher von einer Kontinuitätsthese aus. Diese präsentiert nicht nur eine neue Entwicklungsgeschichte des Konzeptes von crimes against humanity, sie vermag auch bislang noch nicht ausgeschöpftes Potential in der Charakterisierung von Entscheidungsfindungsprozessen zu thematisieren – etwa im Nachweis, welche Bedeutung der internationalen Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlichen Organisationen zukommt. Die These dieser Arbeit legt somit eine neue Entwicklungsgeschichte des Konzeptes und seiner Wirkungsweise vor.

1

Luban, David: A Theory of Crimes against Humanity, in: The Yale Journal of International Law Vol. 29 (2004), S. 85–167. S. 91.

FAZIT

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Dabei hatte die Ausformung und Adaptierung der Martens-Klausel in ihrem Dreiklang aus ‚law of civilized nations‘, ‚laws of humanity‘ und ‚public conscience‘ eine weitreichende Bedeutung und wurde hier als Strukturelement herangezogen. In ihr bündelte sich das Spannungsfeld eines Staats- und Völkerrechtsverständnisses zwischen Nationalismus und Internationalismus, das sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte und im 20. Jahrhundert zunächst im Völkerbund und dann in den United Nations Widerhall fand. Die Dynamik der Debatte ist dabei dem öffentlichkeitswirksamen Platzieren von Schlüsselbegriffen zuzuschreiben, und es lässt sich nachweisen, wie einzelne Juristen das Potential des Öffentlichkeitsbezuges als spezifische, politisch instrumentalisierbare Expertise nutzten. Das Verständnis von ‚humanity‘ bildet eine Art Scharnier, das die Anfänge der Bemühungen um die Zivilisierung von Kriegsgewalt aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert mit den juristischen Debatten des Zweiten Weltkriegs verbindet. Wie die vorstehende Analyse zeigen konnte, tauchte das Konzept von crimes against humanity seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehrfach in den Verrechtlichungsdebatten auf. Es durchlief vom 19. bis ins 20. Jahrhundert drei Phasen, wobei es dabei jedesmal mit neuer Bedeutung aufgeladen wurde. Von einem moralischen Verständnis des Konzepts in der Zeit der Abolitionisten des 19. Jahrhunderts bewegte es sich über eine politische Sphäre, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Umfeld der Friedenskonferenzen von Den Haag und 1919 in Versailles manifestierte, und erreichte in den 1940er Jahren in London die rechtliche Sphäre, also die Nutzbarmachung als ‚legal tool‘. Zentral für diese Debatten waren der Begriff ‚humanity‘, mit dem an juristische Ordnungsvorstellungen der Vikorianischen Epoche des 19. Jahrhunderts angeknüpft wurde, und die juristische Auslegung des Paradigmas vom ‚Zivilisationsstandard‘. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus einem militärisch begründeten Kriegsrecht ein öffentlichkeitsorientiertes, völkerrechtliches Konzept. In der Debatte kam der Öffentlichkeit zentrale Bedeutung zu. In Expertenzirkeln, internationalen Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde eine institutionelle Plattform geschaffen, die die Debatte transnationalisierte. Die Öffentlichkeit oder, wie es in der Martens-Klausel heißt, ‚the pulic conscience‘ wurde so im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Faktor der Debatte zur Zivilisierung von Kriegsgewalt. Neben der nationalstaatlichen Öffentlichkeit entstand ein internationales Kraftfeld, in welchem wichtige Fragen grenzübergreifend diskutiert wurden. Wie gezeigt werden konnte, zogen die bereits erprobten Plattformen des Austausches, internationale Konferenzen (hier als „Arenen der Verrechtlichung“ beschrieben), nun auch zivilgesellschaftliche Akteure an, die von außen versuchten, in die Debatten einzugreifen und ihre eigenen Vorstellungen ebenfalls zu Gehör zu bringen. Die juristischen Kontroversen um crimes against humanity in der ersten Kriegs- und Nachkriegszeit sowie die Diskussionen um einen internationalen Strafgerichtshof, die durch das Scheitern der Prozesse in Leipzig und Konstantinopel neue Nahrung erhielten, waren wichtige Wegmarken dieser Aushandlungsprozesse. Der Ansatz der ‚Kontinuitätsthese‘ hat gezeigt, dass eine grenzüberschreitende Öffentlichkeit, insbesondere die Interaktion zwischen Fachöffentlichkeit und zivil-

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gesellschaftlichen Organisationen, eine besondere Dynamik in die Verrechtlichungsdebatte brachte. Dies lässt sich insbesondere anhand der Rolle des Carnegie Endowment for International Peace und der Weltfriedenskonferenz der Frauen nachvollziehen. Mit dem Balkanreport von 1913/14 und seinem Schwerpunkt auf Kriegsgewalt gegen Nichtkombattanten nahm das Carnegie Endowment dabei eine opferzentrierte Strömung vorweg, die sich erst im Zweiten Weltkrieg in London voll entfalten sollte. Zentral für die Fortschritte der Verrechtlichungsdebatte des humanitären Völkerrechts wurden ‚global moments‘ (Manela) oder Arenen der Verrechtlichung wie später im ‚London hub‘, an denen sich die Wege von Akteuren kreuzten und Konzepte bündelten. Die globale Präsenz des Konzepts von crimes against humanity bestätigte sich durch den Einmarsch japanischer Truppen in die Mandschurei 1931, der als ein der NS-Aggressionspolitik in Europa analoger Fall betrachtet wurde. Es zeigte sich nun, dass all diesen Verbrechen gemeinsam war, dass es entweder Staatsverbrechen gegenüber den eigenen Staatsbürgern waren, diese Verbrechen auf Staatsgebiet stattfanden (wozu auch annektierte Gebiete gehörten) oder, sofern diese Verbrechen sich gegen Minderheiten oder Angehörige anderer Nationen richteten, offiziell keine Kriegserklärung erfolgt war.2 Dadurch war eine Ahndung als Kriegsverbrechen juristisch nicht möglich, und es wurde offensichtlich, dass hier die Definition erweitert werden musste, um alle in zwei Weltkriegen bekannt gewordenen neuen Typen von Verbrechen zu fassen. Crimes against humanity als Konzept muss daher neu gedacht werden, nicht vom angloamerikanisch dominierten, erfolgreichen Ende her, sondern als Diskussionsfortschritt der an den Debatten um das Völkerrecht im 19. und 20. Jahrhundert beteiligten Juristen, die im Spannungsfeld zwischen nationalstaatlicher und internationaler Öffentlichkeit agierten. Der Öffentlichkeit, insbesondere zivilgesellschaftlichen Organisationen, kam eine zentrale Rolle beim Fortschritt der Verrechtlichungsdebatte zu, wie sich nachweisen lässt, und auch bisher marginalisierte Akteure wie die Frauenverbände waren Teil des Resonanzraumes. Der Blick durch die Linse einer intellectual history verdeutlicht, wie solche Aushandlungsprozesse abliefen und welche Einflussmöglichkeiten dadurch auch den kleineren, auf den ersten Blick machtloseren Staaten gegeben waren. Zudem konnte gezeigt werden, auf welche Weise Institutionen wie das Rote Kreuz, Friedensaktivisten, Frauenverbände, das Carnegie Endowment for International Peace sowie zuletzt die transnationale Experten-Funktionselite der Völkerbundzeit gemeinsam dazu beitrugen, dem Projekt der Ahndung von Kriegsgewalt, insbesondere von Verbrechen an Nichtkombattanten, zum Abschluss zu verhelfen. Durch die Kontinuitätsthese wird sichtbar, dass viele der Rechtsdebatten des humanitären Völkerrechts an universitären Zentren des alten Europa Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang nahmen – an den großen Universitäten des Habsburgerreichs (Wien, Prag, Lemberg), aber auch in Heidelberg, Gent und Cambridge. Dieser 2

Der Mandschurei-Einmarsch bestätigte gleich zwei dieser Prinzipien: Er war ohne Kriegserklärung erfolgt, und Gewalt richtete sich gegen die dann besetzte Bevölkerung.

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Befund fordert unsere Kenntnisse über den Transfer von Wissen und die Generierung von Normen heraus; ein genauerer Blick belegt, wie viele der Akteure im gleichen Jahrgang in gemeinsamen Vorlesungen gesessen oder bei den gleichen Professoren, etwa Johann Caspar Bluntschli und Hans Kelsen, ihre Prägung erfahren hatten. Dabei stand ein bestimmter Lehrstuhl in Cambridge immer wieder im Zentrum: der Whewell-Lehrstuhl, dessen Inhaber Oppenheim, McNair wie auch Lauterpacht nacheinander wichtige Rollen in der Debatte zur Verrechtlichung von Kriegsgewalt einnahmen. Dem Erfahrungsraum des Exils kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Es fällt auf, dass sich all diese akademischen Ansätze Mitte des 20. Jahrhunderts, unter der Bürde des Exils, im Rahmen der United Nations War Crimes Commission zusammenfanden und somit eine globale Dimension entfalteten. Hier verbindet sich also die begriffsgeschichtliche Ebene mit der Akteursebene. Der Ausnahmezustand des Exils wurde zum transnationalen Erfahrungsraum. Es hat die Einigung auf gemeinsame völkerrechtliche Standards sicher erleichtert, dass dies eine lokalisierte Debatte am Londoner Standort war, die zumeist auf Englisch geführt wurde. Die Diskussionspartner aus unterschiedlichen Rechtstraditionen kamen zu direktem Austausch zusammen und rezipierten nicht lediglich, wie sonst im akademischen Umfeld üblich, abstrakte wissenschaftliche Positionen, sondern rangen im direkten Gespräch um eine neue, konsensuale Position. Die Bündelung aller Meinungen an einem Ort (London) und die einheitliche Konferenzsprache erleichterten den ansonsten in der intellectual history für den Transfer von Konzepten grundlegend wichtigen Translationsprozess erheblich.3 Dabei konnten viele Akteure auf Beziehungen aus Gremien der Völkerbundzeit, deren Netzwerke und Know-how zurückgreifen. Diese Arbeit vertritt daher die These, dass der Beitrag der Juristen aus ‚semi-peripheral states‘ signifikant für den Fortschritt der Debatten war. Betrachtet man die Exil-Debatten der beteiligten Völkerrechtler der 1940er Jahre so wird evident, dass die äußere Bedrohung, insbesondere die neue Form von Gewalt durch den Nationalsozialismus, das Projekt einer Normierung des Kriegsvölkerrechts entscheidend dynamisierte. Zum einen stellte der Krieg den äußeren Faktor dar, der die Debatte beschleunigte, zum anderen aber waren viele der Akteure selbst persönlich betroffen und wünschten sich eine allumfassende tragfähige Lösung, was die Diskussion aus den Elfenbeintürmen der Universitäten heraus verlagerte. Lewis spricht hier von der „Vision des sozialen Wandels durch Völkerrecht“ als Movens der Expertenzirkel.4 Insbesondere die Juristen aus den ‚semi-peripheral states‘ nutzten Pressekonferenzen, öffentliche Deklarationen und Interviews ganz gezielt, um ihre völkerrechtlichen Reformprojekte voranzutreiben und die politischen Entscheidungsträger unter Druck zu setzen. Zentral war dabei für die Völker3

4

Zum Translationsprozess vgl. Moyn, Samuel/Sartori, Andrew: Approaches to Global Intellectual History, in: Global intellectual history (Columbia studies in international and global history), hrsg. v. Samuel Moyn/Andrew Sartori, New York 2009, S. 3–32. S. 11; Kaviraj, Sudipta: Global Intellectual History. Meanings and Methods, in: Global intellectual history (Columbia studies in international and global history), hrsg. v. Samuel Moyn/Andrew Sartori, New York 2009, S. 295–320. S. 305. Lewis, The birth of the new Justice S. 43.

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rechtler der ‚semi-peripheral states‘, wie gezeigt werden konnte, die Möglichkeit der Partizipation an einem internationalen Gremium, das deutlich mehr Mitsprachemöglichkeiten eröffnete als das herkömmliche diplomatisch-politische System. Zuletzt ist es über den Akteursansatz auch möglich, nicht nur die persönliche Kriegserfahrung einzelner Akteure mit ihren späteren Forderungen und Konzepten in Verbindung zu bringen, sondern auch den Einfluss kleinerer Gruppierungen auszumachen, wo eigentlich nur Nationalstaaten eine Stimme haben durften. Dies ist ein Rückgriff auf Partizipationsformen, die aus dem Völkerbund bekannt sind und sich auf Expertengremien stützten. Novum der Debatten des Zweiten Weltkriegs war jedoch die Herausbildung des opferzentrierten Diskurses. Hervorzuheben ist hier die Vorreiterfunktion von emigrierten Wissenschaftlern, darunter vielen jüdischen Juristen, in der Debatte um die justizförmige Ahndung der ‚state crimes‘. Die Kontinuität der Akteure belegt, dass der Krieg nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, dazu geführt hatte, dass nur noch Großmächte eine Stimme hatten, sondern dass auch Akteure, die unter den Auspizien der Kriegskoalition ‚semiperipher‘ oder gar keiner Nation mehr zuzurechnen waren, bei der Herausbildung des Konzepts von crimes against humanity einen Beitrag leisten konnten. Niedergelegt wurde das Konzept auf der Londoner Konferenz vom Sommer 1945, was die lange Tradition von Konferenzen als Orten der Kodifikation für die Verrechtlichungsdebatte unterstreicht. Die Bedeutung der Londoner Konferenz liegt darin, dass hier nach einem fast ein Jahrhundert andauernden Prozess der Verrechtlichung einzelne Straftatbestände der Kriegsgewalt erstmals konkret mit Strafverfolgung verbunden wurden. Der Weg war nun frei für eine justizförmige Ahndung von Kriegsverbrechen, wie sie in Nürnberg und Tokio schließlich umgesetzt wurde. Allerdings konnte das Konzept zunächst nicht seine volle Wirkung entfalten, da es in der juristischen Praxis meist mit den konventionellen Kriegsverbrechen verbunden wurde (und damit der Gedanke der Ahndung von Verbrechen an Zivilisten außerhalb eines Kriegszustandes faktisch wieder aufgegeben wurde). Heute ist crimes against humanity, unter Juristen CAH abgekürzt, ein fester Bestandteil des Völkerrechts, insbesondere in der Charta des International Criminal Court (ICC) verankert, und hat sich zu einem „präzisen, jedoch nicht immer eindeutigen juristischen Begriff im nationalen und internationalen Strafrecht entwickelt“.5 Es war das Verdienst von Raphael Lemkin, dass für Verbrechen in der Art des Holocaust mit „Genozid“ respektive „Völkermord“ ein neuer Begriff geschaffen wurde. Mit der UN-Genozidkonvention von 1949 fand der Prozess der Verrechtlichung von Massengewalt seinen vorläufigen Abschluss, bevor die Konzepte im Zuge der Ahndung jugoslawischer Kriegsverbrechen in den 1990er Jahren erneut zur Anwendung kamen.6 5

6

Michael Geyer, Crimes against Humanity, in: The Encyclopedia of War, ed. by Gordon Martel, 2012 Blackwell: Wiley Online Library, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9781444338232.wbeow146 (published Nov 2011; letzter Zugriff 14.09.2015). Die Genozidkonvention ist nicht mehr Gegenstand der hier vertretenen Fragestellung, zur Literatur vgl. Schabas, William A.: Genozid im Völkerrecht, Hamburg 2003.

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Egon Schwelb kommentierte, als der Nürnberger IMT-Prozess gerade zu Ende gegangen war und das Pendant in Tokio begonnen hatte, dass man nun darangehen müsse, crimes against humanity in nationales Recht zu überführen, um damit die Menschenrechte zu stärken: „namely, the principle that the protection of a minimum standard of human rights should be guaranteed anywhere, at any time and against anybody.“7 Schwelb setzte damit eine Agenda für spätere UN-Resolutionen im Bereich der Menschenrechte und machte auch deutlich, dass es mit völkerrechtlicher Normsetzung nicht getan sei, wenn der Wille zur politischen Umsetzung fehle. 1946 kam er zu der weitsichtigen Prognose: „The task of making the protection of human rights general, permanent and effective still lies ahead.“ Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hielt 1946 in einer Stellungnahme fest, dass crimes against humanity gemäß der Definition der Nürnberger Charta und des Urteils von Nürnberg einen Verbrechenstatbestand nach internationalem Rechtsverständnis darstellten.8 Diese UN-Resolution wurde 1950 noch einmal bestätigt9 und in einen „Draft Code of Offenses against the Peace and Security of Mankind“ von 1954 mit aufgenommen, crimes against humanity findet sich unter Artikel 11.10 Der Draft Code wurde jedoch durch den Ausbruch des Koreakrieges, der die Hochphase des Kalten Krieges einleitete, von der UN International Law Commission nicht vollendet.11 Die Hauptmerkmale von crimes against humanity, wie sie 1998 im Rom-Statut für den ICC in § 7 niedergelegt sind, sind immer noch die gleichen wie diejenigen, die während des Zweiten Weltkriegs in der UNWCC diskutiert wurden: Diese Verbrechen sind strafbar, egal ob sie im Krieg oder im Frieden verübt wurden, und Staaten dürfen Täter aus anderen Staaten verfolgen, wenn ihre eigenen Staatsbürger betroffen sind, aber auch, wenn irgendeine andere Zivilbevölkerung betroffen ist. Kurz, das Konzept geht über nationale Gerichtsbarkeit hinaus, verfolgt einen opferzentrierten Ansatz und lässt sich auch auf Verbrechen anwenden, die vor dem offiziellen Ausbruch eines Krieges liegen oder in einer anderen Spielart bewaffneter Konflikte, etwa im Rahmen eines Bürgerkriegs, geschehen. Das Konzept von crimes against humanity war auf einen globalen Geltungsraum hin angelegt. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Exiljuristen nicht nur auf die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs in der europäischen Dimension abzielten 7 8 9

10 11

Schwelb, Egon: Crimes Against Humanity, in: British Year Book of International Law 23 (1946), S. 178–226. S. 225. Geyer, Michael: Crimes against Humanity, online: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ 9781444338232.wbeow146 [14.09.2015]. Robertson, Crimes against humanity. S. 322. Die International Law Commission hatte 1950 die Nürnberger prinzipien bestätigt, vgl. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 464. Der Text ist abgedruckt bei Bassiouni, M. Cherif/Nanda, Ved P. (Hgg.): A Treatise on International Criminal Law. Vol. 1, Crimes and Punishment, Springfield 1973. S. 179–180. Geyer, Michael: Crimes against Humanity, online: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ 9781444338232.wbeow146 [14.09.2015]. Zur Law Commission vgl. Bassiouni, M. Cherif: „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention, in: Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993-1994), S. 457–494. S. 483.

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und noch weniger ausschließlich auf die Verbrechen an den europäischen Juden. Vielmehr ging es um eine stabilere Rechtsordnung, die den Weltfrieden sichern helfen sollte und in der der Schutz von Zivilisten vor Kriegsgewalt oberste Priorität hatte. Der Gebrauch des Konzepts von crimes against humanity in den Strafgerichtshöfen der 1990er Jahre ist daher für Völkerrechtler vor allem „a reaffirmation of the world community’s condemnation of such acts, irrespective of the outcome“12, oder, wie Luban formuliert, „something which we owe the millions of dead of crimes against humanity offences in the 20th century“.13 Ohne den Beitrag einer zivilgesellschaftlichen, kritischen Öffentlichkeit und von Akteuren wie den Exiljuristen des Zweiten Weltkriegs in London wäre die Verrechtlichung von Kriegsgewalt und die Hinwendung zu einer opferzentrierten Justiz wohl noch länger ein Traum geblieben.

12 13

Bassiouni, „Crimes Against Humanity“ – The Need for a Specialized Convention. S. 494. Luban, David: A Theory of Crimes against Humanity, in: The Yale Journal of International Law Vol. 29 (2004), S. 85–167. S.161.

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Conrad, Joseph 13, 116 Craigie, Robert L. 226 De Baer, Marcel 23, 30, 222, 226, 235f., 240f., 247-252, 254, 256f., 259, 276-281, 287, 299f., 307-310, 312, 315f., 319-321, 324 De Moor, Johannes Marten 222, 227f., 240f., 253f., 278-280, 304, 309 Den Haag 12f., 17, 27, 31, 37, 47, 53, 55, 66, 84, 92f., 95f., 99f., 104-106, 110f., 113, 115f., 118f., 122, 127f., 130, 132, 135, 137, 140, 147, 160, 173, 175, 182, 189f., 194, 226f., 233, 337 Donnedieu de Vabres, Henri 330 Drummond, Eric 175, 178f. Dunant, Henri 74-79 Ečer, Bohuslav 23, 30, 163, 222, 225f., 229, 235f., 245, 247, 251, 254, 258, 269, 274f., 277-282, 287, 293, 296f., 300-307, 309-312, 315, 319, 321, 324, 328f., 332 Eden, Sir Anthony 206, 220f., 260f., 264, 273, 296, 302, 306 Estournelles, Paul Baron de 123, 125 Exiljuristen 23, 27, 30, 33, 146, 167, 195, 198f., 201, 209, 214f., 217, 221-223, 225f., 230, 235f., 238, 256-259, 268, 277-279, 287, 291, 297, 299, 304, 308, 316f., 319, 321, 325, 330, 341f. Fauchille, Paul 44, 102, 121 Finch, Georg A. 293 Frauen 27f., 33, 51-53, 74, 78, 100, 126-135, 281, 338 Frankreich 11, 42, 59, 72, 86, 97f., 105, 112, 123, 126, 141, 144, 146, 148, 152, 154f., 164, 168, 171f., 186, 191, 200, 202f., 205, 207, 211f., 222, 225-227, 240, 242, 263, 279, 282, 317-319, 331 Fried, Alfred Hermann 108f. Friedburg, Otto 238f., 247 Friedensbewegung 35, 50, 52-54, 60, 79, 109, 115f., 124, 128, 161, 189, 195, 199, 259 Genfer Konvention 72, 80, 95 Gent 26, 33, 46, 55, 74, 83, 140, 338 Glaser, Stefan 226f., 240f., 277, 278-280, 304 Glueck, Sheldon 22, 198, 236, 238, 241, 251f., 254, 272, 293, 302

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REGISTER

Goodhart, Arthur Lehman 239-241 Gros, André 318, 330 Großbritannien 11, 42, 58, 61f., 72, 77, 86, 91, 97f., 105, 111, 123, 130, 146, 148, 153f., 164, 168, 171f., 186, 191, 194, 200-202, 205f., 211, 214, 217, 222-224, 238, 240, 242, 246f., 257, 259-261, 263, 265f., 269, 271, 291, 317f. Grotius, Hugo 59, 62-66 Haager Friedenskonferenz 12, 14, 27f., 33f., 53, 55, 72, 74f., 86, 99, 100, 102, 105f., 108110, 114-117, 119, 121, 125-128, 133, 152, 169, 179, 307, 336 Hamer, Eugenie 128 Hamilton, Alice 129, 134 Heidelberg 84, 87f., 338 Heymann, Lida Gustava 128 Hobbes, Thomas 62f. Holland, Thomas E. 45, 87, 105, 121 Hull, Cordell 284, 286 Hurst, Cecil Sir 232, 273, 277-279, 296, 301, 308-310, 312, 316 Indien 111, 179, 186, 211, 258, 261, 273, 275, 282, 309 Institut de Droit International 20, 26, 33, 46, 52, 55, 74, 81, 83, 101, 121, 140 International Commission for Penal Reconstruction and Development (siehe unter Cambridge Commission) 199, 236, 239 Jackson, Robert H. 23, 289f., 299, 317-319, 322-324, 327, 329, 331 Jakobs, Aletta 131 Japan, Japanisch 11, 42, 44, 47, 105, 109, 111, 152, 158, 164, 180, 186f., 196, 214, 219, 233, 245, 247, 249, 276, 280, 329, 332-334, 338 Kaiser (=Wilhem II.) 136, 147-150, 152-154, 156, 161-165, 210, 220, 244 Keenan, Joseph B. 346 Kellogg-Briand-Pakt 137f., 174f., 185-188, 190, 200, 251, 292, 303, 322 Kelsen, Hans 142f, 170, 224, 226, 236, 254, 339 Kesselring, Albert 334 King, Wunsz (=Chin Wen-Shi) 232f. Konstantinopel 136, 138, 147, 165, 167, 179, 189, 337 Koo, Wellington 176, 232f., 275f., 279 Kubowitzki, Leon 235, 277, 299f. Lachs, Manfred 293

Lansing, Robert 112, 152, 156-158, 161, 191 Lapradelle, Albert de Geouffre de la 121, 153f. Larnaude, Ferdinand 152-154, 156, 158f., 191 Lauterpacht, Hersch 23, 32, 47f., 138, 188, 226, 233, 237, 239-241, 243, 290, 302, 324, 339 League of Nations Union (=LNU) 178, 199, 237, 246, 257, 259f. legal tool 15, 27, 29, 37, 189, 193, 232, 289, 337 Leipzig 26, 136, 138, 147, 165, 167-173, 179, 184, 189, 191, 206, 220, 277, 295, 337 Lelewer, Georg 248, 293, 295 Lemberg (=Lviv) 226f., 229, 338 Lemkin, Raphael 20, 138, 145, 166, 181, 196, 215, 226, 230-232, 340 Levy, Albert G. D. 290, 294f., 312 Lieber, Francis (=Franz) 38, 55, 62, 64-68, 70-71, 72, 74, 76, 87f., 91, 99 Lieber-Code 12, 28, 33, 37, 54f., 65f., 68f., 71, 72, 75, 90, 99, 140f., 155, 171 Liszt, Franz von 108f., 141 Lloyd-George, David 149f., 153f., 191 London 11-13, 15, 20, 23f., 27, 29f., 37, 52, 54, 67, 72, 77, 84, 98, 108, 111, 126, 130, 144, 154, 156, 176f., 180, 189, 193-196, 198-201, 203205, 207, 209-214, 216f., 221-226, 228-230, 232f., 234-236, 238, 240, 245-248, 250, 258-263, 270-281, 283, 287, 289f., 293, 297, 299, 301, 304, 306, 309, 310-312, 314-319, 321f., 324f., 327f., 337-340, 342 London International Assembly (=LIA) 23, 30, 199, 214, 225f., 235-237, 239, 246-251, 253-257, 264, 267, 275, 280, 299, 302, 311, 324 Macmillan, Chrystal 128 McNair, Sir Arnold 47, 239-241, 244f., 302306, 339 Mancini, Pasquale 84, 88f. Manner, George 295 Mandschurei 187, 190, 196, 214, 247, 338 Martens, Friedrich Fromhold (Fjodor) 34f., 84, 88, 90, 101, 107, 140, 191 Martens-Klausel 14, 17, 27f., 33-38, 54f., 65, 73, 76, 81f., 95f., 100, 103, 107, 122, 126, 133, 135, 140, 143, 145, 150, 152, 156, 158f., 161f., 176, 185, 189f., 211, 216f., 231, 250, 253, 255, 257, 288f., 293f., 296, 298, 301f., 307, 311, 316, 325, 337

REGISTER

Maugham, Lord Frederic 226, 248, 253, 256f., 260, 266 Maxwell-Fyfe, Sir David 23, 220, 318, 323 Mill, John Stuart 44f. Moltke, Helmuth Graf von 66, 70, 87, 109 Morgenthau, Henry 232, 283f., 286 Moynier, Gustave 25, 74, 76, 80, 84, 90-93 Nanjing 333, 335 New York 29, 67, 122, 125, 215, 217, 233, 300, 313 Niederlande 52, 61, 72, 86, 97f., 105, 129-131, 147f., 162, 164, 203, 207, 211, 218, 222, 227, 233, 240-242, 244, 258, 282, 306, 333 North, Simeon D. 139, 157, 294 Nürnberg 11, 23f., 29f., 89, 117, 145, 187f., 193f., 196f., 199-201, 213, 223, 225, 229, 233f., 255, 282, 290f., 294, 306f., 314, 317f., 320-322, 324-332, 334, 340f. Opferzentriert 11, 13, 17, 22, 32f., 56, 74, 171, 317, 338, 340-342 Oppenheim, Lassa F. L. 16, 46-48, 69, 139f., 243, 291, 339 Orlando, Vittorio 153, 191 Pell, Herbert 23, 30, 232, 235f., 272f., 278f., 283, 290f., 294, 296-300, 302, 307, 310, 312-314, 316 Petersburg 12, 35, 70, 84, 97-99, 239 Pethick-Lawrence, Emmeline 128 Poincaré, Raymond 151 Polen 152, 181, 186, 200-205, 207, 211f., 218, 227, 230, 233, 240, 242, 258f., 282, 301, 306, 332 Pollock, Ernest 153f., 156, 158, 160, 191 Prag 217, 223, 225f., 228f., 278, 338 Renault, Louis 86, 112f., 121, 140f., 154 Robinson, Jacob 215f., 299f. Röling, Bert V. A 321 Rolin-Jaequemyns, Gustave 74, 83f., 86, 90 Rolin-Jaequemyns, Edouard 121 140, 152, 156f., 167, 191, 294 Roosevelt, Franklin D. 206-208, 213, 219, 232, 249, 256, 265, 267f., 271f., 283-286, 291, 297f., 313f. Roosevelt, Theodore 130 Root, Elihu 112, 115, 122, 124 Sakai, Takashi 333-335 Sarter, Marguerite 128 Schiedsgerichtsbarkeit 28, 54, 82, 85, 89, 92, 101, 109, 115, 118f., 127f., 131, 133, 137, 176, 179, 183, 189f.

385

Schücking, Walther 120, 123, 169 Schwarzenberger, Georg 48, 293 Schwelb, Egon 223, 228-230, 280, 321, 325328, 331, 341 Schwimmer, Rosika 128, 133 Scott, James B. 120-122, 138, 152, 158, 191 Shawcross, Hartley 331 Sherman, William T. 71f. Simon, Sir John Viscount 205f., 240, 245, 256-258, 262f., 271, 273f., 296, Souveränitätsprinzip 18, 22, 28, 78, 85, 99f., 105, 118, 142, 149, 158, 178, 184, 193, 331 Sowjetunion (=UdSSR) 11, 194, 200f., 203, 205, 207, 209, 211, 217, 234, 242, 247, 258, 260-264, 268-271, 273f., 280, 297, 309f., 317f., 322 Stalin, Josef 205, 218, 233f., 260, 263, 267271, 280, 314 Stimson, Henry J. 283-286 Strafgerichtshof 17, 22, 33, 81, 89, 91, 93, 95, 113, 119, 133, 138, 141, 148, 183-185, 189- 191, 193, 200, 205, 220, 244f., 250, 252-254, 287, 292, 303, 314, 317, 337, 342 Stransky, Jaroslav 217, 225 Taft, William H. 121 Taylor, Telford 318 Tokio 11, 29, 188, 194, 196, 199, 233f., 329, 332f., 340f. Toynbee, Arnold J. 48, 146 Trainin, Aaron N. 223, 233f., 263, 295, 311, 318f. Treitschke, Heinrich von 92 Truman, Harry S. 289, 329 Tschechoslowakei 23, 177, 200-203, 207, 211f., 222, 225f., 229, 233, 240, 242, 245, 251, 258, 278, 282, 297, 330, 332 Undset, Sigrid 295 United Nations (=UN) 14f., 18, 29, 57, 188, 193f., 198, 206f., 218-220, 226, 228f., 237, 246, 250, 253, 266, 275f., 284, 298, 300, 311, 315f., 318f., 337, 340f. United Nations War Crimes Commission (=UNWCC) 12f., 19f., 22-24, 27, 29-31, 152, 155, 163f., 177, 193f., 196, 198-201, 206, 215, 222, 225-229, 232, 234-237, 240, 246, 250, 252, 256f., 259-266, 271-283, 287, 289, 291, 293-312, 314-316, 319, 321, 324f., 327, 331333, 335, 339, 341 USA 11, 19, 37, 52, 61, 66, 72, 75, 89, 91, 104f., 109-112, 117, 120f., 123, 125, 127f., 130, 138f.,

386

REGISTER

146, 148, 152, 164, 179, 182, 185f., 191, 194, 200f., 207f., 210f., 214f., 217-219, 221, 224, 232, 236-238, 241f., 246f., 251, 257f., 260, 262f., 265, 269-273, 279, 282f., 286f., 289, 293, 295, 298, 314, 317-319, 331 van Hamel, J. A. 162f. Verdross, Alfred 170 Versailles 13, 28, 37, 105, 113, 121, 135, 137f., 147-149, 153, 155, 159, 168, 189-191, 194, 204, 246, 277, 303, 336f. Völkerbund 14, 19, 28, 33, 49, 137f., 149, 153, 160, 174-182, 184, 187f., 191, 194, 203, 212, 215, 224, 238, 246, 250, 275f., 303f., 337, 340 Wang, Chunghui 183, 232f., 335

Westlake, John 48, 74, 83f., 86, 91, 121, 140 Wheaton, Henry 16, 45-47, 60 Whewell-Lehrstuhl 46, 237, 239, 339 Wien 84, 142, 225f., 229, 338 Wilson, Woodrow 49, 121, 130, 149, 151-154, 161f., 179f., 187, 191, 207 Women’s International League for Peace and Freedom (=WILPF) 119, 127 World Jewish Congress (=WJC) 11, 25, 195, 215f., 224, 235, 276f., 299f., 318 Wright of Durley, Robert Lord 23, 30, 232, 305f., 312, 315f. Wright, Quincy 138, 185, 187, 191, 254, 293f. Yamashita, Tomoyuki 334 Zivkovic, Radomir 280, 309