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German Pages 550 [613] Year 2016
Servatius (Hrsg.) Corporate Litigation
ZIP Praxisbuch 10
Corporate Litigation 2016
Herausgegeben von Professor Dr. Wolfgang Servatius, Regensburg
Bearbeitet von Prof. Dr. Georg Annuß, Dr. Stephan Brandes, Dr. Bernd Egbers, Dr. Erik Ehmann, Dr. Thomas Gädtke, Jörn Gendner, Dr. Dorothee Gierth, Dr. Philipp Göz, Prof. Dr. Helge Großerichter, Dr. Nicco Hahn, Dr. Stephan Kolmann, Dr. Ferdinand Kruis, Sacha Lürken, Dr. Markus Rieder, Dr. Luidger Röckrath, Dr. Alexander Steinbrecher, Dr. Lars Teigelack, Dr. Ingo Theusinger, Dr. Michael L. Ultsch, Dr. Daniel Wiegand, Dr. Thomas Zwissler
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Köln
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Einführung Corporate Litigation versteht sich als Zusammenspiel von Gesellschafts- und Verfahrensrecht in der gerichtlichen Praxis einschließlich Schiedsverfahren sowie bei anderen Arten der alternativen Streitbeilegung. Die im Mittelpunkt stehenden Streitigkeiten betreffen nicht allein die Binnenorganisation von Gesellschaften, sondern auch die Organverhältnisse der Geschäftsleiter, das Transaktionsgeschäft sowie kapitalmarkt- und insolvenzrechtliche Themen. Das vorliegende Buch soll der Praxis eine Hilfe sein, für Probleme in diesen Bereichen sachgerechte Lösungen zu finden und derartige Konflikte durch entsprechende Gestaltungen zu vermeiden. Im 1. Teil legt das Werk einen Schwerpunkt im Bereich des Beschlussmängelrechts bei AG und GmbH. Die rechtliche Behandlung von Streitigkeiten innerhalb von GmbH & Co. KG und allgemein im Recht der Personengesellschaften ist gerade für den Mittelstand bedeutsam, so dass auch hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt wird. Eine Abrundung findet dieser Themenkomplex durch die Behandlung von Gesellschafterstreitigkeiten in geschlossenen Fonds, was infolge der Einführung des KAGB eine besondere Aktualität aufweist. Die IPR-rechtlichen Implikationen des internationalen Gesellschafterstreits finden schließlich ebenso eine ausführliche Beachtung wie die rechtlichen Vorgaben und praktischen Gepflogenheiten bei Schiedsverfahren. Der 2. Teil widmet sich Fragen des Organverhältnisses von Geschäftsführern und Vorständen. Im Mittelpunkt stehen die Anstellungsverträge und die gerichtliche Geltendmachung der Organhaftung bei GmbH und AG, einschließlich der kapitalmarktrechtlichen Bezüge des KapMuG. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Erläuterung der D&O-Versicherung bei Haftungsklagen und Schiedsverfahren. Im 3. Teil werden Streitigkeiten im Bereich von M&A-Transaktionen behandelt. Spezielle Akzente sind Post Merger-Litigation, nachträgliche Kaufpreisanpassungen sowie Private Equity. Auch hier stehen wiederum die sehr bedeutsamen Schiedsverfahren im Mittelpunkt, einschließlich moderner Ausprägungen, wie Fast-track-Verfahren. Abgerundet wird dies durch eine Erläuterung weiterer ADR-Verfahren, wie Mediation, Schiedsgutachten, Early Neutral Evaluations, Dispute Boards und Mini-Trials. Der 4. Teil beinhaltet schließlich Themen aus den Bereichen Restrukturierung und Insolvenz. Erläutert werden die Geschäftsleiterhaftung im Vorfeld der Insolvenz und bei Insolvenzreife sowie die jeweilige Geltendmachung. Ferner wird dargelegt, wie Verletzungen des Gebots der Kapitalerhaltung bei GmbH und AG geltend gemacht werden, sowie Grundprobleme der Insolvenzanfechtung bei Kapitalgesellschaften. Schließlich widmet sich dieser Teil auch der rechtlichen Behandlung von Streitigkeiten im Rahmen des SchVG. Die Fokussierung des Buchs ist auf die Bedürfnisse der Anwalts- und (Schieds-) Gerichtspraxis gerichtet. Gleichwohl wurden dogmatischen Problemen die
V
Einführung
gebotene Aufmerksamkeit geschenkt und Streitfragen akzentuiert herausgearbeitet. Die Ordnung des Inhalts erfolgt einmal klassisch anhand der jeweiligen rechtlichen Grundlagen, insbesondere beim Beschlussmängelrecht und der Organhaftung. Daneben sind Teile des Buchs aber auch nach Sachgesichtspunkten strukturiert, um das Zusammenspiel verschiedener Regelungsbereiche eng auf die jeweilige praktische Handhabung abzustimmen. Dies betrifft etwa Schieds- und andere ADR-Verfahren, M&A-Streitigkeiten sowie Fragen der Private Equity-Finanzierung und D&O-Versicherung. Dass es hierdurch zu gewissen Doppelungen rechtlicher Fragestellungen und Aspekte kommt, ließ sich nicht vermeiden. Es wurde im Hinblick auf die Geschlossenheit der jeweiligen Themenkomplexe hingenommen, um ausufernde Verweise zu vermeiden und der Eigenständigkeit der jeweiligen Bearbeitung größten Raum zu geben. Als Autoren konnte ich namhafte und arrivierte Wirtschaftsanwälte gewinnen. Ihnen gebührt sehr großer Respekt, die umfangreiche Erstauflage des Buches durch ihre gelungenen Beiträge zu ermöglichen. Ich möchte ihnen hierfür ganz herzlich danken. Ebenso danke ich dem RWS-Verlag für die freundliche Aufnahme dieses Werks in sein Programm und die stets angenehme Zusammenarbeit.
Regensburg, im August 2016
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Wolfgang Servatius
Inhaltsübersicht Rn.
Seite
Einführung ...................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ......................................................................................... XI Bearbeiterverzeichnis .............................................................................. XXXI Literaturverzeichnis ............................................................................. XXXIII Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation ....................... 1 ........ 1 A. Beschlussmängelklagen bei AG und GmbH ............................... 1 ........ 1 I. Beschlussmängelklagen in der AG ....................................... 1 ........ 1 II. Beschlussmängelklage GmbH .......................................... 142 ...... 33 B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG ..................................................................... 214 ...... I. Allgemeines ....................................................................... 214 ...... II. Streitigkeiten bei der Gründung ....................................... 218 ...... III. Streitigkeiten bei Änderung der Beteiligungsverhältnisse ........................................................................ 224 ...... IV. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse ..................... 231 ...... V. Streitigkeiten um Gesellschafterrechte und -pflichten ....... 236 ....... VI. Streitigkeiten um die Geschäftsführung .......................... 250 ...... VII. Streitigkeiten bei Beendigung ........................................... 273 ...... C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften ........ 274 ...... I. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse ..................... 274 ...... II. Streitigkeiten um Gesellschafterrechte und -pflichten ....... 300 ....... III. Streitigkeiten über die Geschäftsführung ........................ 338 ...... IV. Streitigkeiten bei Beendigung ........................................... 358 ......
57 57 58 60 62 63 67 72 73 73 80 90 96
D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds ............ 378 .... 101 I. Einführung ......................................................................... 378 .... 101 II. Überblick zu den Rechtsformen geschlossener Fonds ....... 381 ..... 101 III. Prozessuale Grundsätze .................................................... 405 .... 107 IV. Streitigkeiten über Auskunfts- und Kontrollrechte ........ 415 .... 109 V. Beschlussmängelstreitigkeiten .......................................... 424 .... 111 VI. Geschäftsführungsmaßnahmen ..................................... 468 .... 119 VII. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis geschäftsführender Gesellschafter, Ausschluss geschäftsführender Gesellschafter ................................................ 473 .... 120 VIII. Organhaftungsstreitigkeiten .......................................... 477 .... 121
VII
Inhaltsübersicht Rn.
IX. X.
E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit ... I. Einführung ......................................................................... II. Das europäische System der internationalen Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten ................................. III. Internationale Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zuständigkeitssystems ........................ IV. Folgerungen aus dem Zuständigkeitsregime für Prozessführung und Beratung .......................................... F.
Seite
Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Gesellschaftern ......................................... 478 .... 121 Einstweiliger Rechtsschutz ............................................ 482 .... 122
Schiedsverfahren ....................................................................... I. Einführung ......................................................................... II. Schiedsvereinbarung .......................................................... III. Konstituierung des Schiedsgerichts ................................. IV. Durchführung des Schiedsverfahrens ............................. V. Schiedsspruch und andere Formen der Erledigung ......... VI. Einstweiliger Rechtsschutz ............................................... VII. Sonderprobleme ................................................................
483 .... 122 483 .... 122 490 .... 126
535 .... 153 538 .... 154 545 546 560 579 589 608 617 620
.... .... .... .... .... .... .... ....
159 160 166 174 177 184 186 187
Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis, einschließlich Kapitalmarkthaftung und D & O-Versicherung ............ 628 .... 191 A. Organstellung und Dienstverhältnis ....................................... I. Grundlegung ...................................................................... II. Die Organstellung ............................................................. III. Der Anstellungsvertrag ..................................................... IV. Prozessuales .......................................................................
628 628 634 644 670
.... .... .... .... ....
191 191 193 196 205
B. Zur Praxis des Organhaftungsprozesses im Aktienrecht ....... I. Einleitung .......................................................................... II. Innenhaftung des Vorstands ............................................ III. Außenhaftung des Vorstands ........................................... IV. Haftung des Aufsichtsrats ................................................
674 674 680 740 744
.... .... .... .... ....
206 206 208 231 232
C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers ......................................................... I. Konkretisierung: Gegenstand der Darstellung ................ II. Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG ................................. III. Geltendmachung und Strategie ........................................
748 750 751 820
.... .... .... ....
234 235 235 265
D. Kapitalmarkthaftung – Beteiligtenstellungen und Bindungswirkungen im erstinstanzlichen KapitalanlegerMusterverfahren ....................................................................... 859 .... 280 I. Einführung und Problembeschreibung ............................ 859 .... 280
VIII
Inhaltsübersicht Rn.
Seite
II. Beispielsfall ........................................................................ III. Vorbemerkung: Örtliche Zuständigkeit für Ausgangsverfahren und Musterverfahren ........................ IV. Gesetzliche Beteiligte und deren Bindung nach Einleitung eines Musterverfahrens ................................... V. Einbeziehung Dritter und außenstehender Rechtsverhältnisse in das Musterverfahren .................................
868 .... 282
E. D&O-Streitigkeiten ................................................................. I. Einleitung .......................................................................... II. Die Struktur des D&O-Streits ......................................... III. Perspektive der Gesellschaft: Drei Wege der Anspruchsdurchsetzung ................................................... IV. D&O-Streitigkeiten als Schiedsverfahren? ..................... V. Die Organisation der Anspruchsabwehr durch den D&O-Versicherer ...........................................
946 .... 307 946 .... 307 947 .... 307
877 .... 285 884 .... 287 923 .... 300
953 .... 310 982 .... 322 991 .... 326
Teil 3 M&A-Streitigkeiten ......................................................... 1004 .... 333 A. Schiedsverfahren ..................................................................... I. Staatliche Gerichtsbarkeit vs. Schiedsverfahren ........... II. Schiedsvereinbarung ........................................................ III. Konstituierung des Schiedsgerichts ............................... IV. Durchführung des Schiedsverfahrens ............................ V. Schiedsspruch und andere Formen der Erledigung ...... VI. Einstweiliger Rechtsschutz ............................................. VII. Sonderkonstellationen ...................................................
1004 1005 1009 1020 1033 1064 1065 1066
.... .... .... .... .... .... .... ....
333 333 335 339 343 350 350 351
B.
1087 1087 1093 1114
.... .... .... ....
357 357 359 366
Post Merger Litigation ........................................................... I. Vorbemerkung ................................................................ II. Claims Management ....................................................... III. Klageweise Geltendmachung durch den Käufer ............ IV. Geltendmachung von Ansprüchen durch die Zielgesellschaft ................................................................ V. Verjährung ....................................................................... VI. Vergleich ..........................................................................
1149 .... 376 1153 .... 377 1163 .... 379
C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen .............................................................. 1175 .... 382 I. Einführung und Abgrenzung zu Post Merger Litigation ......................................................................... 1175 .... 382 II. Typische Kaufpreisanpassungsregeln (Kaufpreisformeln) ......................................................... 1178 .... 383 III. Verfahren zur Ermittlung von Kaufpreisanpassungen ...... 1204 ..... 393 D. Private Equity ......................................................................... 1228 .... 400 I. Einleitung ........................................................................ 1228 .... 400 II. Zusammenfassung ........................................................... 1249 .... 405 IX
Inhaltsübersicht Rn.
Seite
III. Spannungsverhältnis Darlehensgeber – Darlehensnehmer ............................................................................. 1254 .... 406 IV. Rechtsfolge: Kündigung gemäß Clause 28.20 SFA ....... 1287 .... 414 V. Umgang mit Prozessrisiken und Verfahren im Rahmen von Akquisitionsfinanzierungen in der Praxis .............. 1291 .... 415 E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management ............................................................................ I. Corporate Litigation aus Unternehmenssicht: wenige Lichtblicke, viele Schattenseiten ........................ II. Möglichkeiten und Grenzen der Mediation und anderer ADR-Verfahren .......................................... III. Praxis der ADR-Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten .................... IV. Ausblick in die Zukunft: Von Corporate Litigation zu Corporate Dispute Management .............
1306 .... 418 1306 .... 418 1321 .... 421 1328 .... 423 1401 .... 446
Teil 4 Restrukturierung .............................................................. 1409 .... 451 A. Organhaftung in Krise und Insolvenz ................................... I. Einleitung ........................................................................ II. Einführung in die zentralen einschlägigen Anspruchsgrundlagen .......................................................... III. Praktische und taktische Überlegungen ........................
1409 .... 451 1409 .... 451
B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung ........................... I. Rechtliche Grundlagen ................................................... II. Typische Fallgestaltungen .............................................. III. Typische Situationen, in denen Verletzungen der Kapitalerhaltungsvorschriften geltend gemacht werden ............................................................... IV. Durchsetzung von Ansprüchen .....................................
1485 .... 468 1485 .... 468 1503 .... 473
1412 .... 451 1456 .... 462
1529 .... 478 1530 .... 479
C. Insolvenzanfechtung .............................................................. 1561 .... I. Grundlagen und Bedeutung der Insolvenzanfechtung .... 1561 .... II. Ausgewählte „corporate“-Anfechtungskonstellationen ................................................................ 1587 .... III. Der Anfechtungsprozess ................................................ 1599 .... D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) ................................... I. Einleitung ........................................................................ II. Rechtsschutz im Zusammenhang mit Einberufung einer Gläubigerversammlung/Abstimmung ohne Versammlung .................................................................. III. Rechtsschutz gegen Beschlüsse der Gläubigerversammlung ................................................................... IV. Zahlungsklage aus Anleihe .............................................
484 484 489 493
1632 .... 501 1632 .... 501
1665 .... 512 1690 .... 517 1723 .... 525
Stichwortverzeichnis ................................................................................... 533
X
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
Einführung ...................................................................................................... V Bearbeiterverzeichnis ............................................................................ XXXV Literaturverzeichnis ............................................................................ XXXVII Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation ....................... 1 ........ 1 A. Beschlussmängelklagen bei AG und GmbH ............................... 1 I. Beschlussmängelklagen in der AG ....................................... 1 1. Überblick zu den Beschlussmängelklagen in der AG ....................................................................... 1 a) Klagearten .............................................................. 2 b) Rechtsschutzbedürfnis ......................................... 5 c) Freigabeverfahren und einstweiliger Rechtsschutz ......................................................... 7 d) Bekanntmachungspflichten und Ad-hoc-Publizität ................................................. 9 2. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ......................... 11 a) Parteien und andere Verfahrensbeteiligte .......... 11 aa) Kläger ........................................................... 11 (1) Aktionäre als Kläger .......................... 12 (2) Vorstand als Kläger ........................... 14 (3) Einzelne Organmitglieder als Kläger ............................................ 15 bb) Beklagte ........................................................ 16 (1) Gesellschaft als Beklagte ................... 16 (2) Vertretung der Gesellschaft .............. 17 cc) Nebenintervention ...................................... 18 b) Klageerhebung, Anträge und Verfahren ............ 21 aa) Klageerhebung und Anträge ....................... 21 (1) Zuständigkeit der Gerichte ............... 22 (2) Anträge .............................................. 23 (3) Zustellung .......................................... 26 bb) Verfahrensgrundsätze ................................. 27 (1) Dispositionsmaxime .......................... 27 (2) Darlegungs- und Beweislast .............. 28 cc) Verfahrensbeendigung ................................ 32 (1) Urteil .................................................. 33 (2) Anerkenntnis und Klagerücknahme ................................................. 36 (3) Vergleich ............................................ 38
........ 1 ........ 1 ........ 1 ........ 1 ........ 2 ........ 2 ........ ........ ........ ........ ........ ........
3 3 3 3 3 3
........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........
4 4 4 4 4 5 5 5 6 6 6 6 7 8 8
........ 9 ........ 9 XI
Inhaltsverzeichnis Rn.
c)
XII
Seite
dd) Kosten und Streitwert ................................. 39 ........ 9 (1) Kosten ................................................ 39 ........ 9 (2) Streitwertfestsetzung ........................ 40 ...... 10 ee) Rechtsmittel ................................................. 44 ...... 11 Begründetheit ...................................................... 45 ...... 11 aa) Befugnis zur Erhebung der Anfechtungsund/oder Nichtigkeitsklage ....................... 46 ...... 11 (1) Befugnis zur Erhebung der Nichtigkeitsklage .............................. 47 ...... 11 (2) Befugnis zur Erhebung einer Anfechtungsklage (Anfechtungsbefugnis) ............................................ 48 ...... 11 (a) Aktionäre ........................................... 49 ...... 11 (aa) In der Hauptversammlung erschienene Aktionäre (§ 245 Nr. 1 AktG) ......... 53 ...... 12 (bb) In der Hauptversammlung nicht erschienene Aktionäre (§ 245 Nr. 2 AktG) ........................... 55 ...... 13 (cc) Geltendmachung von Verstößen gegen §§ 243 Abs. 2 AktG, 245 Nr. 3 AktG ........................................ 59 ...... 14 (b) Vorstand als Organ (§ 245 Nr. 4 AktG) ........................... 61 ...... 15 (c) Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (§ 245 Nr. 5 AktG) ...... 62 ...... 15 bb) Fristen .......................................................... 63 ...... 15 (1) Klagefrist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage .............................. 63 ...... 15 (2) Anfechtungsfrist bei der Anfechtungsklage ............................. 64 ...... 15 cc) Nichtigkeitsgründe ..................................... 67 ...... 16 (1) Einberufungsmängel (§ 241 Nr. 1 AktG) ........................... 68 ...... 16 (2) Beurkundungsmängel (§ 241 Nr. 2 AktG) ........................... 69 ...... 16 (3) Inhaltsmängel (§ 241 Nr. 3 AktG) ..... 70 ....... 16 (4) Sittenwidrigkeit (§ 241 Nr. 4 AktG) ........................... 71 ...... 17 (5) Nichtigkeitsgründe aus anderen aktienrechtlichen Vorschriften ......... 72 ...... 17 (a) Verweisungsfälle des § 241 AktG ..... 73 ...... 17 (b) Besondere Nichtigkeitsgründe (§§ 250 Abs. 1, 253 Abs. 1 und 256 AktG) .......................................... 75 ...... 17 (6) Kasuistik der Nichtigkeitsgründe ..... 76 ...... 18
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
(7)
3. 4. 5.
6.
Beseitigung von Nichtigkeitsgründen durch Heilung .................................... 79 ...... dd) Anfechtungsgründe ..................................... 83 ...... (1) Besondere Anfechtungsgründe (§§ 251 Abs. 1 Satz 2, 254 Abs. 1 und 255 Abs. 2 AktG) ....................... 84 ...... (2) Verstöße gegen Gesetz oder Satzung (§ 243 Abs. 1 AktG), Verfolgung von Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG) ......................... 85 ...... (3) Kasuistik der Anfechtungsgründe ..... 88 ....... (4) Anfechtungsausschlüsse ................... 91 ...... (a) Gesetzliche Ausschlusstatbestände ............................................. 92 ...... (b) Anfechtungsausschluss bei fehlender Relevanz von Verfahrensfehlern ....... 96 ...... (5) Heilung und Wegfall von Anfechtungsgründen durch Bestätigungsbeschluss ....................... 97 ...... Allgemeine Feststellungsklage .................................. 100 ...... Positive Beschlussfeststellungsklage ........................ 102 ...... Freigabeverfahren ...................................................... 105 ...... a) Parteien und andere Verfahrensbeteiligte ........ 108 ...... b) Verfahrenseinleitung, Anträge und Verfahren ... 111 ....... aa) Verfahrenseinleitung und Anträge ........... 111 ...... bb) Verfahrensgrundsätze ............................... 114 ...... (1) Verfahrensvorschriften ................... 114 ...... (2) Darlegungs- und Beweislast ............ 115 ...... (3) Verfahrensbeendigung .................... 116 ...... (4) Rechtswirkungen der gerichtlichen Entscheidung ........................ 117 ...... (a) Positive Freigabeentscheidung ....... 118 ...... (b) Ablehnender Beschluss ................... 119 ...... cc) Kosten und Streitwert ............................... 120 ...... dd) Rechtsmittel ............................................... 122 ...... ee) Schadensersatzanspruch der Antragsgegner ........................................... 123 ...... c) Begründetheit .................................................... 124 ...... Einstweiliger Rechtsschutz ....................................... 126 ...... a) Verhinderung mangelhafter Beschlussfassung ................................................... 127 ...... b) Verhinderung der Durchführung mangelhafter Beschlüsse ............................................... 128 ...... c) Durchführung zu Unrecht abgelehnter Beschlüsse .......................................................... 129 ......
18 19
20
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XIII
Inhaltsverzeichnis Rn.
7.
Spruchverfahren ......................................................... a) Parteien und andere Verfahrensbeteiligte ........ aa) Antragsteller .............................................. bb) Antragsgegner ........................................... cc) Gemeinsamer Vertreter ............................. b) Antragstellung, Anträge und Verfahren .......... aa) Antragstellung und Anträge ..................... bb) Verfahrensgrundsätze ............................... c) Begründetheit .................................................... 8. Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten .............................................................. II. Beschlussmängelklage GmbH .......................................... 1. Einleitung ................................................................... a) Klageformen ...................................................... b) Existenz eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung ........................................ 2. Beschlussmängelklage analog §§ 241 ff. AktG ........ a) Anwendungsbereich ......................................... b) Verfahrensrechtliche Regelungen .................... aa) Gemeinsame Regelungen für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen ......... (1) Entsprechende Geltung aktienrechtlicher Grundsätze ................... (2) Abweichungen zum Aktienrecht ... bb) Spezifische Fragen zur Anfechtbarkeit .... (1) Klagefrist .......................................... (2) Anfechtungsbefugnis ...................... c) Materiell-rechtliche Regelungen ...................... aa) Nichtigkeitsklage ....................................... (1) Übersicht über die Fälle der Nichtigkeit ....................................... (2) Entsprechende Anwendung von § 241 Nr. 1–6 AktG ................. (3) Weitere Fälle der Nichtigkeit ......... (4) Heilung der Nichtigkeit ................. bb) Anfechtungsklage ...................................... (1) Maßgebende Normen ..................... (a) Verstöße gegen Gesetze .................. (b) Verstöße gegen Gesellschaftsvertrag .............................................. (c) Verstoß gegen Gesellschaftervereinbarung .................................... (2) Anfechtung wegen Verfahrensfehlern von Beschlüssen .................. (a) Ladungsfehler ..................................
XIV
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130 133 133 134 135 136 136 138 139
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
30 31 31 31 31 31 31 32 32
140 142 142 142
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32 33 33 33
143 148 148 149
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33 34 34 35
149 ...... 35 149 150 154 155 159 161 161
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35 36 38 38 39 40 40
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40 43 44 44 44 45
179 ...... 45 180 ...... 45 181 ...... 46 182 ...... 46
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
(b) (3)
3.
4.
Fehler bei der Durchführung .......... 184 ...... Anfechtung wegen inhaltlichen Fehlern ............................................. 185 ...... (a) Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht .......................... 186 ...... (b) Verletzung des Gleichbehandlungsgebots ...................................... 189 ...... (4) Anwendung weiterer aktienrechtlich geregelter Sonderfälle ...... 190 ...... cc) Freigabeverfahren ...................................... 191 ...... Allgemeine Feststellungsklage .................................. 192 ...... a) Anwendungsbereich ......................................... 192 ...... b) Parteien einer allgemeinen Feststellungsklage .................................................... 193 ...... c) Klagefrist ........................................................... 195 ...... d) Wirkung eines Urteils ....................................... 196 ...... Einstweiliger Rechtsschutz ....................................... 197 ...... a) Allgemeine Grundsätze des einstweiligen Rechtsschutzes .................................................. 199 ...... b) Einstweilige Verfügung vor Beschlussfassung ............................................................... 204 ...... c) Eingriff in die Beschlussfassung ....................... 205 ...... aa) Vollständige oder teilweise Untersagung einer Gesellschafterversammlung ............. 206 ...... bb) Eingriff in das Stimmrecht ........................ 208 ...... d) Einstweilige Verfügung nach Beschlussfassung ............................................................... 210 ...... e) Praktisch bedeutsame Einzelfälle ..................... 211 ...... aa) Einstweilige Verfügung bei Abberufung eines Geschäftsführers .............................. 211 ...... bb) Einstweiliger Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Gesellschafterliste .... 213 .......
B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG ..................................................................... I. Allgemeines ....................................................................... II. Streitigkeiten bei der Gründung ....................................... 1. Allgemeines ................................................................ 2. Fehlgeschlagene Vor-GmbH .................................... a) Schicksal der Vor-GmbH ................................. b) Haftung der GmbH-Gesellschafter ................. c) Haftung der Geschäftsführer ........................... III. Streitigkeiten bei Änderung der Beteiligungsverhältnisse ........................................................................ 1. Allgemeines ................................................................
214 214 218 218 219 220 221 222
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47 47 47 48 48 49 50 50 50 51 51 52 52 53 53 53 54 54 55 55 56 57 57 58 58 59 59 59 59
224 ...... 60 224 ...... 60
XV
Inhaltsverzeichnis Rn.
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2.
Beteiligungsdivergenz bei beteiligungsgleicher GmbH & Co. KG ...................................................... 225 ...... 3. Auflösungsklage gegen die KG ................................. 228 ...... 4. Ausscheiden der GmbH ............................................ 229 ...... IV. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse ..................... 231 ...... 1. Allgemeines ................................................................ 231 ...... 2. Stimmrecht und dessen Schranken ........................... 232 ...... 3. Bestellung und Abberufung des GmbHGeschäftsführers ........................................................ 233 ...... 4. Geltendmachung von Beschlussmängeln ................. 235 ...... V. Streitigkeiten um Gesellschafterrechte und -pflichten ....... 236 ....... 1. Allgemeines ................................................................ 236 ...... 2. Treuepflicht ................................................................ 237 ...... 3. Kapital- und Ergebnisverteilung ............................... 238 ...... 4. Informationsrecht der Kommanditisten .................. 239 ...... a) Allgemeines ....................................................... 239 ...... b) § 166 Abs. 1, 2 HGB ......................................... 241 ...... c) § 166 Abs. 3 HGB ............................................. 242 ...... d) §§ 713, 666 BGB ............................................... 243 ...... e) § 51a GmbHG ................................................... 245 ...... f) Einstweiliger Rechtsschutz .............................. 246 ...... 5. Wettbewerbsverbot der Kommanditisten ................ 247 ...... 6. Haftung der Kommanditisten ................................... 249 ...... VI. Streitigkeiten um die Geschäftsführung .......................... 250 ...... 1. Allgemeines ................................................................ 250 ...... 2. Mitentscheidungsbefugnis bei außergewöhnlichen Geschäften ................................................................. 251 ...... a) Zustimmungspflicht der Kommanditisten ...... 251 ...... b) Unterlassungsanspruch gegen GmbH und Geschäftsführer ................................................. 254 ...... c) Einstweiliger Rechtsschutz .............................. 257 ...... 3. Weisungskompetenz ................................................. 258 ...... 4. Entziehung der Geschäftsführung ............................ 260 ...... 5. Entziehung der Vertretungsbefugnis ....................... 263 ...... 6. Drittanstellung der Geschäftsführer ........................ 264 ...... 7. Regressansprüche gegen Geschäftsführer ................ 266 ...... a) Schutzwirkung des Organschaftsverhältnisses ...................................................... 266 ...... b) Keine Begrenzung auf hauptamtliche Komplementärstellung ..................................... 267 ...... c) Actio pro socio .................................................. 268 ...... d) Beweislastverteilung .......................................... 269 ...... e) Verjährung ......................................................... 271 ...... VII. Streitigkeiten bei Beendigung ........................................... 273 ......
XVI
60 61 61 62 62 62 62 63 63 63 63 64 64 64 64 65 65 66 66 66 67 67 67 67 67 68 68 69 69 70 70 70 70 71 71 71 72 72
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften ........ 274 ...... 73 I. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse ..................... 274 ...... 73 1. Mehrheitserfordernisse, Stimmrechte ...................... 275 ...... 73 2. Beschlussmängel ........................................................ 284 ...... 75 3. Besondere Prozessvoraussetzungen für die Geltendmachung von Beschlussmängeln bei Personengesellschaften .............................................. 286 ...... 76 4. Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelklagen .......... 292 ...... 78 5. Vorläufige Abwehr des Vollzugs von Beschlüssen ................................................................ 294 ...... 78 6. Einstweiliger Rechtsschutz bei Stimmbindungsverträgen ..................................................................... 296 ...... 79 II. Streitigkeiten um Gesellschafterrechte und -pflichten ....... 300 ....... 80 1. Durchsetzung von Sozialansprüchen, Sozialpflichten, Drittgeschäfte ........................................... 300 ...... 80 2. Actio pro socio .......................................................... 303 ...... 81 3. Streitgenossenschaft ................................................. 304 ...... 81 4. Durchsetzung von Informationsansprüchen ........... 310 ...... 82 a) Durchsetzung von Auskunfts- und Kontrollrechten des Kommanditisten ........................... 311 ...... 83 b) Streitgegenstand des Informationsanspruchs ..... 319 ....... 85 c) Informationserzwingung im einstweiligen Rechtsschutz ..................................................... 322 ...... 85 d) Vollstreckung von Auskunfts- und Einsichtsrechten ................................................ 323 ...... 86 5. Streitigkeiten um Jahresabschluss, Gewinn ............. 324 ...... 86 a) Streitigkeiten um den Jahresabschluss ............. 325 ...... 86 b) Prozessuale Geltendmachung von Gewinnund Entnahmeansprüchen ................................ 330 ...... 88 c) Jahresabschluss als Schuldanerkenntnis .......... 334 ...... 89 6. Durchsetzung von Wettbewerbsverboten ............... 336 ...... 90 III. Streitigkeiten über die Geschäftsführung ........................ 338 ...... 90 1. Geltendmachung des Widerspruchsrechts .............. 339 ...... 90 2. Entziehungsklagen nach § 712 BGB, §§ 117, 127 HGB .................................................................... 348 ...... 93 3. Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis in der Zweipersonengesellschaft ............................... 353 ...... 95 4. Einstweiliger Rechtsschutz ....................................... 356 ...... 95 IV. Streitigkeiten bei Beendigung ........................................... 358 ...... 96 1. Auflösungsklage ........................................................ 358 ...... 96 2. Ausschluss aus wichtigem Grund ............................. 365 ...... 97 3. Kündigung durch Pfändungspfandgläubiger ........... 373 ...... 99 4. Auflösung der Ehegattengesellschaft ....................... 375 .... 100 D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds ............ 378 .... 101 I. Einführung ......................................................................... 378 .... 101 XVII
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II. Überblick zu den Rechtsformen geschlossener Fonds ....... 381 ..... 101 1. GmbH & Co. Investment-KG ................................. 381 .... 101 a) Gesellschaftsvertrag .......................................... 384 .... 102 aa) Unternehmensgegenstand, Anlagestrategie und Anlagebedingungen ........................... 385 .... 102 bb) Sonderregelungen für die Gesellschafterversammlung .............................................. 387 .... 103 cc) Beirat als zwingendes Kontrollorgan bei intern verwalteten Gesellschaften ...... 388 .... 103 dd) Auflösung und Ausscheiden von Gesellschaftern .......................................... 389 .... 103 b) Geschäftsführung und Vertretung ................... 391 .... 104 2. GmbH & Co. KG (Publikums-KG) ........................ 394 .... 104 3. Treuhandmodelle bei der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) ........................................................ 397 .... 105 4. Andere Rechtsformen ............................................... 401 .... 107 a) Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital ..................................................... 402 .... 107 b) Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ........ 403 .... 107 c) Stille Gesellschaft .............................................. 404 .... 107 III. Prozessuale Grundsätze .................................................... 405 .... 107 1. Parteistellung ............................................................. 406 .... 108 2. Vertretung .................................................................. 409 .... 108 3. Zuständigkeit der Gerichte ....................................... 413 .... 109 IV. Streitigkeiten über Auskunfts- und Kontrollrechte ........ 415 .... 109 1. Anspruch auf Mitteilung der Namen und der Anschriften der Mitgesellschafter ............................ 416 .... 109 2. Auskünfte zum Jahresabschluss und sonstige Aufklärungen ............................................................. 421 .... 111 3. Widerspruchsrechte und Zustimmungsvorbehalte ..... 422 ..... 111 V. Beschlussmängelstreitigkeiten .......................................... 424 .... 111 1. Parteien und andere Verfahrensbeteiligte, Feststellungsinteresse ................................................ 425 .... 112 a) Kläger ................................................................. 425 .... 112 b) Beklagte ............................................................. 429 .... 113 aa) Gesellschafter als Beklagte ........................ 429 .... 113 bb) Gesellschaft als Beklagte ........................... 430 .... 113 c) Nebenintervention ............................................ 432 .... 113 d) Feststellungsinteresse ....................................... 433 .... 113 2. Klageerhebung, Anträge und Verfahren .................. 434 .... 114 a) Klageerhebung und Anträge ............................ 434 .... 114 aa) Zuständigkeit der Gerichte ....................... 435 .... 114 bb) Anträge ...................................................... 436 .... 114 cc) Zustellung .................................................. 438 .... 114
XVIII
Inhaltsverzeichnis Rn.
b)
Verfahrensgrundsätze ....................................... aa) Dispositionsmaxime .................................. bb) Darlegungs- und Beweislast ...................... c) Verfahrensbeendigung ...................................... aa) Urteil .......................................................... bb) Anerkenntnis und Klagerücknahme ......... cc) Vergleich .................................................... d) Kosten und Streitwert ...................................... aa) Kosten ........................................................ bb) Streitwertfestsetzung ................................ e) Rechtsmittel ...................................................... 3. Begründetheit ............................................................ a) Aktivlegitimation ............................................. b) Passivlegitimation ............................................ c) Materiell-rechtliche Ausschlussfristen ............ d) Beschlussmängel ............................................... aa) Kasuistik der Nichtigkeitsgründe ............. bb) Ausnahmen von der Nichtigkeitsfolge .... cc) Heilung und Wegfall von Nichtigkeitsgründen durch Bestätigungsbeschluss ..... VI. Geschäftsführungsmaßnahmen ..................................... VII. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis geschäftsführender Gesellschafter, Ausschluss geschäftsführender Gesellschafter ................................................ VIII. Organhaftungsstreitigkeiten .......................................... IX. Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Gesellschaftern ......................................... X. Einstweiliger Rechtsschutz ............................................ E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit ... I. Einführung ......................................................................... 1. Bedeutung und Problematik des Gerichtsstands im internationalen Gesellschafterstreit .................... 2. Gegenstand und Gang der Darstellung ................... II. Das europäische System der internationalen Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten ................................. 1. Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitssystems nach Brüssel Ia-VO und LugÜ ........... 2. Systematik der Gerichtsstände im Hinblick auf den Gesellschafterstreit nach Brüssel Ia-VO und LugÜ ................................................................... 3. Ausschließlicher Gerichtsstand für gesellschaftsorganisatorische Klagen ........................................... a) Reichweite der ausschließlichen Zuständigkeit .................................................... aa) Rahmenbedingungen der Auslegung .......
439 439 440 444 445 449 450 451 451 452 453 454 456 457 459 462 463 466
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114 114 114 115 115 116 116 116 116 116 116 117 117 117 117 118 118 119
467 .... 119 468 .... 119
473 .... 120 477 .... 121 478 .... 121 482 .... 122 483 .... 122 483 .... 122 483 .... 122 486 .... 124 490 .... 126 490 .... 126
493 .... 128 495 .... 129 495 .... 129 496 .... 129 XIX
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bb) Einbezogene Verfahrensgegenstände ....... 498 .... 131 (1) „Gültigkeit, Nichtigkeit oder Auflösung einer Gesellschaft“ ........ 498 .... 131 (2) Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe .................................... 500 .... 132 (a) „Organe“ .......................................... 500 .... 132 (b) Qualität des Beschlusses ................. 501 .... 133 (c) Gegenstand des Beschlusses ........... 502 .... 134 (d) Beschlussmangel („Gültigkeit“); richterliche Modifizierung oder Ersetzung von Beschlüssen ............. 506 .... 136 cc) „Gegenstand des Verfahrens“ ................... 508 .... 138 dd) Fazit ........................................................... 516 .... 143 b) Rechtsfolge ........................................................ 517 .... 143 aa) Bestimmung des maßgeblichen „Sitzes“ ....................................................... 517 .... 143 bb) Rechtsfolgen der ausschließlichen Zuständigkeit ............................................. 524 .... 147 4. Anwendungsbereich und Regelung des „allgemeinen“ europäischen Zuständigkeitsregimes in Bezug auf den Gesellschafterstreit ...................................... 525 .... 147 a) Verbleibender Anwendungsbereich des „allgemeinen“ Zuständigkeitsregimes .............. 525 .... 147 b) Gerichtsstände .................................................. 527 .... 148 aa) Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO/Art. 23 LugÜ ....... 528 .... 149 bb) Rügelose Einlassung, Art. 26 Brüssel Ia-VO/Art. 24 LugÜ ................... 530 .... 150 cc) Allgemeiner Gerichtsstand, Art. 4 Brüssel Ia-VO/Art. 2 LugÜ ........... 531 .... 151 dd) Besondere Gerichtsstände, Art. 7 f. Brüssel Ia-VO/Art. 5 f. LugÜ ................. 532 .... 151 III. Internationale Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zuständigkeitssystems ........................ 535 .... 153 IV. Folgerungen aus dem Zuständigkeitsregime für Prozessführung und Beratung .......................................... 538 .... 154 1. Form der Auseinandersetzung und Wahl des Forums ................................................................. 538 .... 154 2. Gestaltungsoptionen im Vorfeld .............................. 540 .... 156 a) Folgerungen für die Gestaltung einer Gerichtsstandsklausel ...................................... 540 .... 156 b) Möglichkeiten der Vermeidung eines ausschließlichen Gerichtsstands im Ausland ...... 541 ..... 157
XX
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aa) Wahl der Gesellschaftsform und Formwechsel .............................................. 542 .... 157 bb) Schiedsklausel ............................................ 543 .... 158 F.
Schiedsverfahren ....................................................................... I. Einführung ......................................................................... 1. Grundzüge des Schiedsverfahrens ........................... 2. Die Wahl zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsverfahren ................................................ II. Schiedsvereinbarung .......................................................... 1. Allgemeine Grundsätze ............................................. 2. Sonderfall Beschlussmängelstreitigkeiten ................ 3. Gestaltungsempfehlungen – „less is more“ .............. III. Konstituierung des Schiedsgerichts ................................. 1. Allgemeine Grundsätze ............................................. 2. Praxisempfehlungen .................................................. IV. Durchführung des Schiedsverfahrens ............................. 1. Grundlagen ................................................................ 2. Schriftsätze der Parteien ............................................ 3. Beweisrecht ................................................................ a) Allgemeine Grundsätze .................................... b) Dokumente ....................................................... c) Zeugen ............................................................... d) Sachverständige ................................................. 4. Mündliche Verhandlung ............................................ V. Schiedsspruch und andere Formen der Erledigung ......... 1. Schiedsspruch ............................................................. 2. Vergleich .................................................................... 3. Weitere Formen der Erledigung ............................... 4. Vollstreckbarkeit ....................................................... VI. Einstweiliger Rechtsschutz ............................................... VII. Sonderprobleme ................................................................ 1. Mehrparteienkonstellationen .................................... 2. Konsolidierung mehrerer Schiedsverfahren ............. 3. Aktien- und Publikumsgesellschaften ......................
545 .... 159 546 .... 160 547 .... 160 555 560 561 568 573 579 580 583 589 590 592 596 596 598 601 606 607 608 609 612 615 616 617 620 621 624 626
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164 166 166 170 172 174 174 175 177 177 178 179 179 180 181 183 183 184 184 185 185 186 186 187 188 188 189
Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis, einschließlich Kapitalmarkthaftung und D & O-Versicherung ............ 628 .... 191 A. Organstellung und Dienstverhältnis ....................................... I. Grundlegung ...................................................................... 1. Unterscheidung zwischen Organstellung und Dienstverhältnis ......................................................... 2. Das Organmitglied als Arbeitnehmer/ Verbraucher ................................................................ 3. Rechtsweg für Geschäftsführer-/ Vorstands-Streitigkeiten ...........................................
628 .... 191 628 .... 191 628 .... 191 630 .... 192 632 .... 193 XXI
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II. Die Organstellung ............................................................. 1. Vorstandsmitglieder einer AG .................................. 2. Geschäftsführer einer GmbH ................................... III. Der Anstellungsvertrag ..................................................... 1. Zustandekommen ...................................................... 2. Typische Vertragsinhalte ........................................... a) Ressortzuweisung ............................................. b) Betriebliche Altersversorgung .......................... c) Koppelungsklauseln .......................................... d) Nachvertragliche Wettbewerbsverbote ........... 3. Die Beendigung des Anstellungsvertrags ................. a) Kündigung ......................................................... aa) Allgemeines ............................................... bb) Besonderheiten bei der außerordentlichen Kündigung ........................... b) Aufhebungsvertrag ........................................... IV. Prozessuales ....................................................................... 1. Vertretung der Gesellschaft im Prozess ................... 2. Urkundenprozess ......................................................
634 635 639 644 644 648 649 650 653 657 659 660 660
.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
193 194 195 196 196 197 197 198 199 200 201 201 201
665 667 670 670 672
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203 204 205 205 205
B. Zur Praxis des Organhaftungsprozesses im Aktienrecht ....... I. Einleitung .......................................................................... II. Innenhaftung des Vorstands ............................................ 1. Grundlagen ................................................................ 2. Die Entscheidung über die Inhaftungnahme ........... a) Anspruchsprüfung durch den Aufsichtsrat (Prüfung erster Stufe) ...................................... b) Geltendmachung von Ansprüchen im Unternehmensinteresse? (Prüfung zweiter Stufe) ...... c) Verschonung des Vorstands? (Prüfung dritter Stufe) ...................................................... d) Interessenkonflikte im Aufsichtsrat bei möglicher Eigenhaftung ................................... 3. Die Auswahl der Beklagten ....................................... 4. Bestimmung der einzuklagenden Schadenssumme und Ankereffekt ........................................................ 5. Klageschrift ................................................................ a) Darlegungs- und Beweislast ............................. b) Vortrag zu Pflichtverletzungen ........................ c) Taktik ................................................................ 6. Die Klageerwiderung ................................................. a) Pflichtverletzung ............................................... b) Business Judgement Rule ................................. c) Weitere Verteidigungslinien ............................. d) Informationsprobleme ...................................... e) Abwehrstrategie bei mehreren Beklagten ........
674 674 680 680 683
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206 206 208 208 209
XXII
685 .... 209 690 ..... 211 694 .... 213 697 .... 214 698 .... 214 702 704 704 708 709 711 711 712 714 717 719
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216 217 217 218 219 220 220 221 222 223 224
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7. 8.
Gesamtschuld und Streitverkündung ....................... 722 .... Vergleich .................................................................... 732 .... a) Formale Anforderungen an Vergleiche in Organhaftungsfällen ..................................... 732 .... b) Pflichten des Aufsichtsrats beim Vergleichsschluss ............................................. 735 .... c) Gesamtwirkung des Vergleichs vereinbaren! ..... 738 .... d) Vergleichsschluss als geldwerter Vorteil ......... 739 .... III. Außenhaftung des Vorstands ........................................... 740 .... IV. Haftung des Aufsichtsrats ................................................ 744 .... 1. Innenhaftung ............................................................. 744 .... 2. Außenhaftung ............................................................ 747 .... C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers ......................................................... I. Konkretisierung: Gegenstand der Darstellung ................ II. Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG ................................. 1. Haftungsvoraussetzungen ......................................... a) Materielles Recht (Überblick) ......................... aa) Der Pflichtenkatalog ................................. bb) Zusammenarbeit mit der Gesellschafterversammlung .............................................. cc) Besonderheiten bei der Beteiligung der öffentlichen Hand ............................... b) Prozessualer Vortrag und Gegenvortrag, Darlegungs- und Beweislast ............................. aa) Grundsätzliches, insbesondere Pflichtverletzung ....................................... bb) Schaden ...................................................... cc) Pflichtverletzung und Verschulden .......... dd) Vertikale Delegation ................................. ee) Mehrere Geschäftsführer (horizontale Delegation) .......................... ff) Rechtmäßiges Alternativverhalten ........... gg) Besonderheiten nach Ausscheiden aus dem Amt? ............................................ 2. Insbesondere: Ausschluss und Begrenzung der Haftung ................................................................ a) Weisung und Zustimmung der Gesellschafterversammlung ............................. b) Verzicht und Vergleich insbesondere Entlastung ........................................................ c) Vertragliche Haftungsbeschränkung im Voraus? ......................................................... d) Mitverschulden der Gesellschaft? .................... e) Verjährung .........................................................
748 750 751 751 752 753
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224 228 228 229 230 231 231 232 232 233 234 235 235 235 236 236
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242 243 244 247
780 .... 248 783 .... 248 787 .... 249 789 .... 250 789 .... 250 791 .... 251 797 .... 254 807 .... 258 811 .... 259 XXIII
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III. Geltendmachung und Strategie ........................................ 1. Gesellschafterbeschluss ............................................ 2. Gesamtschuld bei mehreren Geschäftsführern ........ 3. Gestörte Gesamtschuld ............................................. 4. Regressfragen: Streitverkündung und Streitverkündungsvertrag ........................................................ 5. Gerichtliche Zuständigkeit ....................................... 6. D&O-Versicherung ................................................... a) Grundlagen ........................................................ b) Anspruch des Geschäftsführers auf angemessenen D&O-Versicherungsschutz? ..... c) Schadensfall ....................................................... d) Einstweiliger Rechtschutz: Arrest ................... D. Kapitalmarkthaftung – Beteiligtenstellungen und Bindungswirkungen im erstinstanzlichen KapitalanlegerMusterverfahren ....................................................................... I. Einführung und Problembeschreibung ............................ II. Beispielsfall ........................................................................ III. Vorbemerkung: Örtliche Zuständigkeit für Ausgangsverfahren und Musterverfahren ........................ IV. Gesetzliche Beteiligte und deren Bindung nach Einleitung eines Musterverfahrens ................................... 1. Rechtsstellung der gesetzlichen Beteiligten im Musterverfahren ................................................... a) Musterkläger ..................................................... aa) Auswechslung des Musterklägers ............. bb) Nebenintervention auf Seiten des Musterklägers ............................................ b) Beigeladene ........................................................ c) Musterbeklagte .................................................. aa) Gesetzlicher Regelungsbestand ................ bb) Nachträgliches Hinzutreten neuer Musterbeklagter ......................................... d) Anspruchsanmelder .......................................... e) Nebenintervention der Parteien der Ausgangsverfahren? .......................................... 2. Bindung der gesetzlichen Beteiligten und der Ausgangsgerichte an den Musterentscheid ........ a) Gesetzlicher Regelungsbestand ....................... b) Bindung der Prozessgerichte ............................ c) Bindung des Musterklägers .............................. d) Bindung der Beigeladenen ................................ e) Bindung der Musterbeklagten .......................... f) Bindung des Anspruchsanmelders ...................
XXIV
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820 820 822 827
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265 265 266 268
834 840 847 848
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270 272 275 275
852 ..... 277 854 .... 277 858 .... 279
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296 296 296 297 299 300 300
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V. Einbeziehung Dritter und außenstehender Rechtsverhältnisse in das Musterverfahren ................................. 1. Einführung und Problemstellung ............................. 2. Anwendbarkeit des KapMuG auf Rückgriffsund Ausgleichsansprüche? ........................................ 3. Streitverkündung und Nebenintervention im Musterverfahren .................................................. a) Grundsätzliche Notwendigkeit einer Streitverkündung .............................................. b) Zulässigkeit ....................................................... c) Alleinige Streitverkündung im Ausgangsverfahren ausreichend? ..................................... d) Streitverkündung im Musterverfahren ............ e) Rechtsstellung der Nebenintervenienten im Musterverfahren ..........................................
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923 .... 300 923 .... 300 926 .... 301 929 .... 302 929 .... 302 931 .... 303 933 .... 304 936 .... 305 942 .... 306
E. D&O-Streitigkeiten ................................................................. 946 I. Einleitung .......................................................................... 946 II. Die Struktur des D&O-Streits ......................................... 947 III. Perspektive der Gesellschaft: Drei Wege der Anspruchsdurchsetzung ................................................... 953 1. Rechtskräftige Feststellung der Haftung vor Entscheidung über die Deckung ........................ 955 2. Company Reimbursement ........................................ 957 3. Direktanspruch .......................................................... 962 a) Abtretung bei Verfügungsbefugnis der Gesellschaft ................................................. 964 b) Erforderlichkeit einer Zustimmung der Hauptversammlung bei der AG ................ 966 aa) Leistung erfüllungshalber ......................... 968 bb) Parallele zu § 50 AktG .............................. 970 cc) § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ............................ 972 c) Ordnungsgemäße Vertretung der AG im Prozess ......................................................... 975 IV. D&O-Streitigkeiten als Schiedsverfahren? ..................... 982 1. Vertraulichkeit von Schiedsverfahren ....................... 983 2. Regelungen zur Beweislast ........................................ 987 3. Nachteile von Schiedsverfahren ................................ 988 V. Die Organisation der Anspruchsabwehr durch den D&O-Versicherer ........................................... 991 1. Haftungsabwehr durch den Anwalt des Organmitglieds und den Monitoring Counsel ........ 996 2. „Sockelverteidigung“ und Nebenintervention des D&O-Versicherers ............................................ 1001 3. Erteilung einer Prozessvollmacht an den D&O-Versicherer .................................................... 1003
.... 307 .... 307 .... 307 .... 310 .... 311 .... 312 .... 314 .... 315 .... .... .... ....
316 317 317 318
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319 322 323 324 325
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten ......................................................... 1004 .... 333 A. Schiedsverfahren ..................................................................... I. Staatliche Gerichtsbarkeit vs. Schiedsverfahren ........... II. Schiedsvereinbarung ........................................................ III. Konstituierung des Schiedsgerichts ............................... IV. Durchführung des Schiedsverfahrens ............................ 1. Grundlagen .............................................................. 2. Schriftsätze der Parteien .......................................... 3. Beweismittel in Post-M&A-Schiedsverfahren ....... a) Dokumente ..................................................... b) Zeugen ............................................................. c) Sachverständige ............................................... 4. Mündliche Verhandlung .......................................... V. Schiedsspruch und andere Formen der Erledigung ...... VI. Einstweiliger Rechtsschutz ............................................. VII. Sonderkonstellationen ................................................... 1. Fast-track-Verfahren, insbesondere bei MAC-Streitigkeiten ................................................. a) Problemstellung .............................................. b) Gestaltungsmöglichkeiten .............................. 2. Compliance, insbesondere Korruption im Zielunternehmen ..................................................... a) Problemstellung .............................................. b) Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und Zuständigkeit des Schiedsgerichts .......... c) Anzeige und Amtsniederlegung? ................... d) Beweis- und Verfahrensfragen .......................
1004 1005 1009 1020 1033 1034 1040 1043 1045 1051 1056 1061 1064 1065 1066
B.
1087 1087 1093 1098
Post Merger Litigation ........................................................... I. Vorbemerkung ................................................................ II. Claims Management ....................................................... 1. Ziele des Claims Managements ............................... a) Validierung der kaufpreisbestimmenden Annahmen des Käufers ................................... b) Überwachung der wesentlichen Risikofelder ..................................................... 2. Aufgaben des Claims Managements ....................... a) Fristenkontrolle .............................................. b) Einrichtung eines Mängel-Reportings ........... c) Post-Closing Due Diligence .......................... d) Rechtzeitige Anzeige von Mängeln ............... III. Klageweise Geltendmachung durch den Käufer ............ 1. Festlegung des Klageziels ....................................... 2. Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers ........ 3. Begründung des Klaganspruchs ..............................
XXVI
.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
333 333 335 339 343 343 344 345 346 347 348 349 350 350 351
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363 364 364 364 365 365 366 366 367 368
Inhaltsverzeichnis Rn.
Ansprüche wegen Verletzung von Aufklärungspflichten ...................................... b) Gewährleistungsansprüche ............................. c) Freistellungsansprüche ................................... 4. Haftungsbeschränkungen ....................................... a) Kenntnis des Käufers ...................................... b) Betragsmäßige Haftungsbeschränkungen ..... c) Unwirksamkeit von Haftungsbeschränkungen .................................................. IV. Geltendmachung von Ansprüchen durch die Zielgesellschaft ................................................................ V. Verjährung ....................................................................... 1. Vertragliches Verjährungsregime ............................ 2. Gesetzliche Verjährungsfristen ............................... 3. Hemmung der Verjährung ...................................... VI. Vergleich .......................................................................... 1. Typische Vergleichsinhalte ..................................... 2. Prozessuale Fragen des Vergleichsschlusses ..........
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a)
1125 1130 1135 1137 1140 1145
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368 370 372 373 374 375
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376 377 377 378 379 379 380 381
C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen .............................................................. 1175 .... 382 I. Einführung und Abgrenzung zu Post Merger Litigation ......................................................................... 1175 .... 382 II. Typische Kaufpreisanpassungsregeln (Kaufpreisformeln) ......................................................... 1178 .... 383 1. Festkaufpreise und variable Kaufpreise ................. 1178 .... 383 2. Cash Free/Debt Free Kaufpreisformeln ................ 1182 .... 385 a) Grundprinzip .................................................. 1182 .... 385 b) Relevante Bilanzpositionen ............................ 1184 .... 386 aa) Nicht ausgeschüttete Dividenden .......... 1188 .... 387 bb) Nicht gedeckte Pensionsverbindlichkeiten .................................................. 1189 .... 387 cc) Steuerverbindlichkeiten und Steuerrückstellungen ......................................... 1191 .... 388 dd) Leasingverbindlichkeiten ........................ 1192 .... 388 ee) Weitere Positionen .................................. 1193 .... 389 c) Working Capital Anpassung .......................... 1194 .... 389 3. Earn-Out- und Mehrerlösmechanismen ................ 1199 .... 391 a) Anpassungsmodelle und Zweck ..................... 1199 .... 391 b) Herkömmlicher Earn-Out-Mechanismus ..... 1200 .... 392 c) Mehrerlösmechanismus .................................. 1202 .... 392 III. Verfahren zur Ermittlung von Kaufpreisanpassungen ...... 1204 ..... 393 1. Erstellung von Stichtagsabschlüssen ...................... 1204 .... 393 a) Aufstellung des Stichtagsabschlusses ............ 1206 .... 394 b) Anwendbare Bilanzierungsregeln .................. 1208 .... 394
XXVII
Inhaltsverzeichnis Rn.
2.
Überprüfung durch die andere Partei und Einwendungen ......................................... Entscheidung durch Schiedsgutachter oder schiedsgerichtliches Verfahren ...................... a) Auswahl und Beauftragung des Schiedsgutachters ............................................ b) Gegenstand des Schiedsgutachtens ................ c) Entscheidung des Schiedsgutachters und weiterer Rechtsschutz ............................ d) Schiedsverfahren statt Schiedsgutachten? .....
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c)
1210 .... 395 1214 .... 396 1217 .... 397 1221 .... 398 1222 .... 399 1225 .... 399
D. Private Equity ......................................................................... 1228 I. Einleitung ........................................................................ 1228 II. Zusammenfassung ........................................................... 1249 III. Spannungsverhältnis Darlehensgeber – Darlehensnehmer ............................................................................. 1254 1. Zusicherungen – Representations ........................... 1258 2. Auflagen – Undertakings bzw. Covenants ............ 1264 3. Verweisungen bei Zusicherungen und Auflagen auf den sog. „Material Adverse Effect“ ......... 1267 4. Folgen falscher Zusicherungen und Auflagen ....... 1271 5. Kündigungsgründe .................................................. 1279 a) Wesentliche Prozessrisiken im Zusammenhang mit der Transaktion als isolierter Kündigungsgrund ........................................... 1280 b) “Material Adverse Effect“ als Auffangtatbestand ........................................................ 1283 c) Zwischenergebnis ............................................ 1286 IV. Rechtsfolge: Kündigung gemäß Clause 28.20 SFA ....... 1287 V. Umgang mit Prozessrisiken und Verfahren im Rahmen von Akquisitionsfinanzierungen in der Praxis .............. 1291 1. Vorgehen bei Gerichtsprozessen im Rahmen von Akquisitionsfinanzierungen ............................. 1294 2. Weitere Ansprüche der Banken .............................. 1299 3. Wechselwirkungen mit gesetzlichen Kündigungsrechten ................................................. 1302 E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management ............................................................................ I. Corporate Litigation aus Unternehmenssicht: wenige Lichtblicke, viele Schattenseiten ........................ II. Möglichkeiten und Grenzen der Mediation und anderer ADR-Verfahren .......................................... III. Praxis der ADR-Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten .................... 1. Mediation .................................................................
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.... 400 .... 400 .... 405 .... 406 .... 407 .... 409 .... 410 .... 411 .... 412
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a) b) c)
Begrifflichkeiten und Grundzüge .................. 1330 .... 423 Anwendungsmöglichkeiten von Mediation .. 1333 .... 425 Ausgewählte Aspekte der Mediationspraxis ..... 1340 ..... 428 aa) Mediatorenauswahl .................................. 1340 .... 428 bb) Besonderheiten im Falle von Beschlussmängelstreitigkeiten ................................ 1344 .... 429 cc) Ausgestaltung von Mediationsklauseln in Gesellschaftsverträgen oder Satzungen ................................................. 1348 .... 430 dd) Vertraulichkeit ......................................... 1353 .... 431 ee) Einzelgespräche mit den Parteien (Caucuses) ............................................... 1354 .... 432 ff) Exkurs: Collaborative Law ..................... 1355 .... 433 2. Schiedsgutachten und Early Neutral Evaluation ... 1359 .... 434 a) Begrifflichkeiten und Grundzüge .................. 1360 .... 434 aa) Schiedsgutachen ...................................... 1362 .... 434 bb) Early Neutral Evaluation ........................ 1370 .... 436 b) Anwendungsmöglichkeiten von Schiedsgutachten und Early Neutral Evaluation ....... 1373 .... 437 3. Dispute Boards ........................................................ 1377 .... 438 a) Begrifflichkeiten und Grundzüge ................. 1378 .... 439 b) Anwendungsmöglichkeiten von Dispute Boards ................................................ 1385 .... 441 4. Mini-Trial ................................................................. 1390 .... 443 a) Begrifflichkeiten und Grundzüge .................. 1391 .... 443 b) Anwendungsmöglichkeiten von Mini-Trials ....................................................... 1397 .... 445 IV. Ausblick in die Zukunft: Von Corporate Litigation zu Corporate Dispute Management ............. 1401 .... 446 Teil 4 Restrukturierung .............................................................. 1409 .... 451 A. Organhaftung in Krise und Insolvenz ................................... I. Einleitung ........................................................................ II. Einführung in die zentralen einschlägigen Anspruchsgrundlagen .......................................................... 1. Erstattung von unter Verstoß gegen das Zahlungsverbot geleisteten Zahlungen ................... a) Insolvenzreife als Voraussetzung des Zahlungsverbots ....................................... aa) Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO ...................................... bb) Überschuldung nach § 19 InsO .............. b) Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen ...... c) Haftungsausschlüsse .......................................
1409 .... 451 1409 .... 451 1412 .... 451 1412 .... 451 1413 .... 452 1415 1423 1428 1433
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452 454 455 456
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aa) Fehlende Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes ............................................. 1433 .... bb) Erlaubte/privilegierte Zahlungen ........... 1435 .... d) Rechtsfolge ...................................................... 1439 .... e) Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats ..... 1443 .... f) Prozessuale Besonderheiten: Anwendbarkeit der EuInsVO ................................................... 1444 .... 2. Haftung wegen verspäteter Antragstellung .......... 1445 .... 3. Haftung wegen Insolvenzverursachung ................ 1449 .... 4. Haftung wegen Verletzung nicht insolvenzbezogener Pflichten ................................................ 1453 .... III. Praktische und taktische Überlegungen ........................ 1456 .... 1. Perspektive des Insolvenzverwalters ...................... 1457 .... a) Ermittlung der Hintergründe der Insolvenz ................................................... 1457 .... b) Prüfung der Inanspruchnahme von (ehemaligen) Organen .................................... 1460 .... c) Vergleichsverhandlungen ............................... 1463 .... 2. Perspektive des Organs/der D&O-Versicherung ..... 1467 .... a) Haftungsvermeidung im Vorfeld ................... 1467 .... aa) Umgang mit Krisenanzeichen ................ 1468 .... bb) Sanierungsbemühungen zur Abwehr des Insolvenzgrundes .............................. 1472 .... b) Verhalten nach Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen ............................. 1474 .... aa) Beschaffung von Informationen und Auskünften ....................................... 1474 .... bb) Koordination der Abwehr von Organhaftungsansprüchen ...................... 1478 .... cc) Vergleichsverhandlungen mit D&O-Versicherern ................................. 1481 .... B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung ........................... I. Rechtliche Grundlagen ................................................... 1. §§ 62, 57 AktG ......................................................... 2. §§ 31, 30 GmbHG ................................................... II. Typische Fallgestaltungen .............................................. 1. Darlehen an Gesellschafter ..................................... a) Darlehen .......................................................... aa) Grundsätzliche Zulässigkeit ................... bb) Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs ................................................. cc) Verzinsung; maßgeblicher Zeitpunkt ..... dd) Geschäftsleiterpflichten .......................... b) Insbesondere: Konzern-Konstellationen ...... aa) Faktischer Konzern ................................. XXX
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Inhaltsverzeichnis Rn.
bb) Besonderheiten im Vertragskonzern ...... c) Bestellung von Sicherheiten zu Gunsten von Gesellschaftern ....................................... 2. Weitere Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern ............................ 3. Besonderheiten bei der AG .................................... III. Typische Situationen, in denen Verletzungen der Kapitalerhaltungsvorschriften geltend gemacht werden ............................................................... IV. Durchsetzung von Ansprüchen ..................................... 1. Zuständigkeitsfragen ............................................... 2. Aktiv- und Passivlegitimation; Vertretung der Gesellschaft ........................................................ 3. Darlegungs- und Beweislast .................................... a) Klagen gegen Aktionäre ................................. b) Klagen gegen GmbH-Gesellschafter ............. c) Klagen gegen Geschäftsleiter ......................... 4. Klagearten ................................................................ a) Klagen der Gesellschaft gegen Gesellschafter .................................................. b) Klagen der Gesellschaft gegen Geschäftsleiter ................................................ c) Klagen von Gesellschaftsgläubigern (AG) .... d) Klagen des Insolvenzverwalters oder Sachwalters ............................................. 5. Einstweiliger Rechtsschutz .....................................
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1519 .... 476 1523 .... 477 1525 .... 477 1527 .... 478
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1546 .... 481 1552 .... 482 1554 .... 482 1556 .... 483 1557 .... 483
C. Insolvenzanfechtung .............................................................. 1561 .... I. Grundlagen und Bedeutung der Insolvenzanfechtung .... 1561 .... 1. Zweck der Insolvenzanfechtung ............................. 1561 .... 2. Zur rechtspolitischen Diskussion ........................... 1564 .... 3. Überblick zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Insolvenzanfechtung ............... 1566 .... a) Rechtshandlung ............................................... 1567 .... b) Gläubigerbenachteiligung, § 129 InsO .......... 1568 .... c) Kein Bargeschäft, § 142 InsO ........................ 1569 .... d) Vorliegen eines Anfechtungstatbestandes, §§ 130 – 137 InsO ............................................ 1571 .... aa) Besondere Insolvenzanfechtung ............. 1573 .... bb) Vorsatzanfechtung, § 133 InsO .............. 1575 .... cc) Anfechtung unentgeltlicher Leistungen, § 134 InsO ............................................... 1578 .... dd) Anfechtung von Gesellschafterfremdfinanzierungen sowie bei stillen Gesellschaftern, §§ 135, 136 InsO .................... 1579 .... e) Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung ......... 1582 ....
484 484 484 485 485 485 485 486 486 486 487 487
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Inhaltsverzeichnis Rn.
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aa) Rückgewähr- oder Wertersatzanspruch, § 143 InsO ............................................... 1582 .... bb) Wiederaufleben der Forderung, § 144 InsO ............................................... 1585 .... cc) Verjährung, § 146 InsO .......................... 1586 .... II. Ausgewählte „corporate“-Anfechtungskonstellationen ................................................................ 1587 .... 1. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO .......................................... 1588 .... a) Überbrückungskredit ..................................... 1588 .... b) Übertragung der Fremdfinanzierungshilfe ... 1590 .... 2. Sicherheitenbestellung, § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO ...... 1593 .... 3. Cash-Pooling, § 134 InsO ....................................... 1595 .... 4. Sanierungsbemühungen, § 133 Abs. 1 InsO .......... 1597 .... III. Der Anfechtungsprozess ................................................ 1599 .... 1. Zur Zulässigkeit ....................................................... 1600 .... a) Schiedsfähigkeit, Schiedsabreden ................... 1600 .... b) Internationale Zuständigkeit .......................... 1603 .... c) Rechtsweg ....................................................... 1611 .... d) Sachliche, funktionelle und örtliche Zuständigkeit .................................................. 1613 .... aa) Sachliche Zuständigkeit .......................... 1613 .... bb) Funktionelle Zuständigkeit .................... 1614 .... cc) Örtliche Zuständigkeit ............................ 1615 .... e) Klageart, Klageantrag ...................................... 1617 .... 2. Zur Begründetheit ................................................... 1621 .... a) Anfechtungsgegner ......................................... 1621 .... b) Klagebegründung ............................................ 1624 .... 3. Sonstiges ................................................................... 1626 .... a) Prozesskostenhilfe .......................................... 1626 .... b) Beteiligung Dritter .......................................... 1629 .... c) Grundurteil .................................................... 1630 .... d) Kosten ............................................................. 1631 .... D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) ................................... I. Einleitung ........................................................................ 1. Anwendungsbereich ................................................ a) Sachlicher Anwendungsbereich ..................... b) Zeitlicher Anwendungsbereich ...................... c) Persönlicher Anwendungsbereich ................. d) Abweichende Vereinbarungen ....................... e) Verhältnis zu allgemeinen Rechtsvorschriften ..................................................... 2. Regelungsgehalt ....................................................... a) Änderung von Anleihebedingungen .............. b) Bestellung eines gemeinsamen Vertreters .....
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488 489 489 489 489 489 490 491 492 492 493 493 493 494 496 496 496 497 497 497 498 498 499 500 500 501 501 501
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1652 1654 1657 1660
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509 509 510 511
Inhaltsverzeichnis Rn.
II. Rechtsschutz im Zusammenhang mit Einberufung einer Gläubigerversammlung/Abstimmung ohne Versammlung .................................................................. 1665 .... 1. Antrag auf Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung (§ 9 Abs. 2 SchVG) .... 1666 .... a) Statthaftigkeit .................................................. 1668 .... b) Antragsberechtigter ........................................ 1669 .... c) Antragsbefugnis .............................................. 1672 .... d) Zuständigkeit .................................................. 1676 .... e) Rechtsmittel .................................................... 1678 .... 2. Anträge im Zusammenhang mit der Tagesordnung .......................................................... 1680 .... a) Ergänzungsantrag (§ 13 Abs. 3 SchVG) ........ 1681 .... aa) Antragsberechtigter ................................ 1683 .... bb) Antragsfrist .............................................. 1684 .... b) Gegenantrag (§ 13 Abs. 4 SchVG) ................ 1685 .... aa) Antragsberechtigter ................................ 1687 .... bb) Antragsfrist .............................................. 1688 .... c) Antrag auf Unterlassung des Abhaltens einer Gläubigerversammlung ......................... 1689 .... III. Rechtsschutz gegen Beschlüsse der Gläubigerversammlung ................................................................... 1690 .... 1. Anfechtungsklage (§ 20 Abs. 1, 2 SchVG) ............ 1692 .... a) Anfechtungsberechtigter ................................ 1692 .... b) Anfechtungsgründe ........................................ 1694 .... c) Anfechtungsfrist ............................................. 1697 .... d) Zuständigkeit .................................................. 1699 .... e) Urteilswirkungen ............................................ 1702 .... 2. Nichtigkeitsklage ..................................................... 1704 .... a) Statthaftigkeit .................................................. 1704 .... b) Nichtigkeitsgründe ......................................... 1705 .... aa) Nach SchVG ............................................ 1706 .... bb) Sonstige .................................................... 1707 .... c) Klagefrist ......................................................... 1710 .... d) Zuständigkeit .................................................. 1712 .... e) Urteilswirkungen ............................................ 1713 .... 3. Freigabeverfahren (§ 20 Abs. 3 SchVG) ................ 1714 .... a) Antragsberechtigter ........................................ 1717 .... b) Zuständigkeit .................................................. 1718 .... c) Begründetheit .................................................. 1720 .... d) Beschlusswirkungen ........................................ 1722 .... IV. Zahlungsklage aus Anleihe ............................................. 1723 .... 1. Statthafte Klageart – Leistungsklage und Klage im Urkundenprozess ..................................... 1724 .... 2. Zuständigkeit ........................................................... 1726 ....
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512 512 512 513 514 515 515 515 516 516 516 516 516 516 517 517 517 517 518 519 519 520 521 521 521 521 521 522 522 523 523 524 524 524 525 525 526 526
XXXIII
Inhaltsverzeichnis Rn.
3.
Begründetheit .......................................................... a) Aktivlegitimation ............................................ b) Fälligkeit der Anleiheforderung ..................... aa) Fälligkeit aufrgund Kündigung ............... bb) Kündigungsgründe in Anleihebedingungen ............................................ cc) Gesetzliche Kündigungsgründe (§§ 314, 490 BGB) ................................... dd) Entfallen von Kündigungsgründen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8, Abs. 5 SchVG) ......................................... ee) Bindung an Beschluss der Gläubigerversammlung trotz Kündigung ............. c) Fälligkeit nach Anleihebedingungen ............. d) Anspruchsausschluss und -verjährung .......... e) Tenorierung ..................................................... f) Vollstreckung ..................................................
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Stichwortverzeichnis ................................................................................... 533
XXXIV
Bearbeiterverzeichnis Professor Dr. Georg Annuß, LL.M. Rechtsanwalt/Partner, Linklaters, München Dr. Stephan Brandes Rechtsanwalt/Partner, Schilling, Zutt & Anschütz, Frankfurt/M. Dr. Bernd Egbers Rechtsanwalt/Partner, Ashurst, München
Teil 2 Kap. A.
Teil 3 Kap. B.
Teil 3 Kap. D.
Dr. Erik Ehmann, LL.M. Rechtsanwalt/Partner, Beiten Burkhardt, München
Teil 2 Kap. B.
Dr. Thomas Gädtke Rechtsanwalt/Partner, DLA Piper UK LLP, München
Teil 2 Kap. E.
Jörn Gendner Rechtsanwalt, Berlin
Teil 3 Kap. E.
Dr. Dorothee Gierth Rechtsanwältin/Partner, Hahn & Partner, Berlin/Frankfurt/M. Dr. Philipp Göz Rechtsanwalt/Partner, Noerr LLP, München Professor Dr. Helge Großerichter Rechtsanwalt/Partner, Sernetz Schäfer, Honararprofessor für Internationales Privatrecht an der LMU München, München
Teil 1 Kap. C.
Teil 1 Kap. A, II.
Teil 1 Kap. E.
Dr. Nicco Hahn Rechtsanwalt/Partner, Hahn & Partner, Berlin/Frankfurt/M.
Teil 1 Kap. B.
Dr. Stephan Kolmann Rechtsanwalt/Partner, BBL Bernsau Brockdorff & Partner, München
Teil 4 Kap. C.
XXXV
Bearbeiterverzeichnis
Dr. Ferdinand Kruis Rechtsanwalt/Partner, Sernetz Schäfer, München
Teil 2 Kap. D.
Sacha Lürken Rechtsanwalt/Partner, Kirkland & Ellis International LLP, München
Teil 4 Kap. D.
Dr. Markus Rieder Rechtsanwalt/Partner, Latham & Watkins LLP, München
Teil 1 Kap. F.
Dr. Luidger Röckrath, LL.M. Rechtsanwalt/Counsel, Gleiss Lutz, München
Teil 4 Kap. A
Dr. Alexander Steinbrecher, LL.M. Rechtsanwalt, Berlin
Teil 3 Kap. E.
Dr. Lars Teigelack Rechtsanwalt, Noerr LLP, Düsseldorf
Teil 4 Kap. B.
Dr. Ingo Theusinger Rechtsanwalt/Partner, Noerr LLP, Düsseldorf
Teil 4 Kap. B.
Dr. Michael L. Ultsch Rechtsanwalt/Partner, Stolzenberg Rechtsanwälte, München Lehrbeauftragter, Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München
Teil 2 Kap. C.
Dr. Daniel Wiegand, LL.M. Rechtsanwalt/Partner, Hengeler Mueller, München
Teil 3 Kap. C.
Dr. Thomas Zwissler Rechtsanwalt/Partner, Zirngibl Langwieser, München
Teil 1 Kap. A.
XXXVI
Literaturverzeichnis Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier Fachanwalts-Kommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2014 (zit.: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Bearbeiter) Annuß/Früh/Hasse Institutsvergütungsordnung und Versicherungsvergütungsordnung, Kommentar, InstitutsVergV/VersVergV, 2016 Arntz Eskalationsklauseln: Recht und Praxis mehrstufiger Streiterledigungsklauseln, 2013 Bauer/Böhle/Ecker Bayerische Kommunalgesetze, Kommentar, Stand: 5/2016 Baumbach/Hopt HGB, Kommentar, 36. Aufl., 2014 (zit.: Baumbach/Hopt/Bearbeiter, HGB) Baumbach/Hueck GmbHG, Kommentar, 20. Aufl., 2013 (zit.: Baumbach/Hueck/Bearbeiter, GmbHG) Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO, Kommentar, 74. Aufl., 2016 Beck’scher Online-Kommentar BGB hrsg. von Bamberger/Roth (zit.: BeckOK BGB/Bearbeiter) Beck’scher Online-Kommentar GmbHG hrsg. von Ziemons/Jaeger (zit.: BeckOK GmbHG/Bearbeiter) Beck’scher Online-Kommentar ZPO hrsg. von Vorwerk/Wolf (zit.: BeckOK ZPO/Bearbeiter) Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions hrsg. von Seibt, 2. Aufl., 2011 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches Formularbuch M&A) Beck’sches Handbuch Mergers & Acquisitions hrsg. von Meyer-Sparenberg/Jäckle, 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches Handbuch M&A) Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf hrsg. von Hettler/Stratz/Hörtnagl, 2. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf) Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch hrsg. von Heussen/Hamm, 11. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch)
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation A. Beschlussmängelklagen bei AG und GmbH I. Beschlussmängelklagen in der AG 1. Überblick zu den Beschlussmängelklagen in der AG Thomas Zwissler
Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen liegt 1 nach der Konzeption des Gesetzgebers in den Händen der Aktionäre, des Vorstands als Organ sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. Basierend auf dieser Konzeption stellt das Aktiengesetz ein über Jahrzehnte hinweg gewachsenes Klagesystem bereit, das unter dem Begriff der Beschlussmängelklagen zusammengefasst wird. Die Leitbildfunktion für andere Gesellschaftsformen ist weitreichend und unbestritten.1) a) Klagearten Im Mittelpunkt des Rechts der Beschlussmängelklagen stehen die Nichtig- 2 keitsklage und die Anfechtungsklage. Die Rechtsprechung begreift sie als einheitliches Rechtsinstitut mit identischem Streitgegenstand.2) Dieser Streitgegenstand besteht in der Feststellung der Nichtigkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung mit Wirkung für und gegen jedermann.3) Neben der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sind als weitere Beschluss- 3 mängelklagen die allgemeine Feststellungsklage und die positive Beschlussfeststellungsklage zu nennen. Erstere hat Auffangcharakter und findet ihren Anwendungsbereich vor allem dort, wo außenstehende Dritte einen Beschlussmangel inter partes, d. h. im Verhältnis zur Gesellschaft feststellen lassen wollen.4) Die positive Beschlussfeststellungsklage zielt auf die Feststellung des Zustandekommens von Beschlüssen, die seitens der Hauptversammlung unter Verstoß gegen Gesetz oder Satzung abgelehnt wurden. Sie ist eine Ergänzung zu der rein kassatorisch wirkenden Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage und kann dementsprechend auch nur gemeinsam mit ihr erhoben werden.5) ___________ 1)
2) 3)
4) 5)
Das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht ist anzuwenden bei Gesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft auf Aktien (vgl. § 278 Abs. 3 AktG), darüber hinaus bei der in Deutschland ansässigen Societas Europaea (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit c) ii) SE-VO sowie allgemein hierzu BGHZ 194, 14; KK-AktG/ Kiem, Art. 57 SE-VO Rn. 43 ff.). Zur Anwendbarkeit des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts bei Gesellschaften anderer Rechtsform Hüffer/Koch, ZGR 2001, 833 ff.; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 241 Rn. 119 ff. BGHZ 134, 364, 366 = ZIP 1997, 732. Zur Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage unten Rn. 11 ff. Zum aktuellen Stand der Diskussion um den Streitgegenstand von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage Spindler/ Stilz/Würthwein, AktG, § 241 Rn. 87 ff. Zur allgemeinen Feststellungsklage unten Rn. 100 f. Zur positiven Beschlussfeststellungsklage unten Rn. 102 ff.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
4 Eine Sonderform der Beschlussmängelklage ist das Spruchverfahren. Seine Besonderheit besteht darin, dass in diesem Verfahren ausschließlich die Höhe einer vom Aktionär zu beanspruchenden Kompensationszahlung zur Überprüfung durch das Gericht gestellt wird. Sonstige Mängel eines die Kompensationszahlung begründenden Hauptversammlungsbeschlusses können nur im Wege der Anfechtungs- und der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden.6) b) Rechtsschutzbedürfnis 5 Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für alle aktienrechtlichen Beschlussmängelklagen ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Die Voraussetzungen für die Annahme des Rechtsschutzbedürfnisses sind allerdings gering. Die Beschlussmängelklagen sind bewusst als Instrument der objektiven Rechtskontrolle konzipiert. Eine persönliche Betroffenheit des Klägers ist daher nicht erforderlich. 6 Als Korrektiv für die geringen Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers wirken das Treuegebot und das Missbrauchsverbot.7) Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der Kläger lediglich eigennützige Zwecke verfolgt und primär die Monetarisierung des Lästigkeitswertes seiner Klage anstrebt. Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Treuegebot oder das Missbrauchsverbot trägt die Gesellschaft. Aus diesem Grund sind Entscheidungen der Gerichte selten geblieben, in denen Beschlussmängelkläger bereits am Wegfall ihrer Anfechtungsbefugnis gescheitert sind.8) c) Freigabeverfahren und einstweiliger Rechtsschutz 7 Dem Interesse der Gesellschaft an einem zügigen Vollzug der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse dient das Freigabeverfahren nach § 246a AktG. Es handelt sich um ein spezielles Eilverfahren, welches der Gesellschaft die Möglichkeit eröffnet, die Eintragung bestimmter strukturverändernder Beschlüsse unabhängig vom Ausgang einer etwaigen Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage zu bewirken und die Bestandskraft dieser Beschlüsse zu sichern.9) 8 Außerhalb des Anwendungsbereichs des Freigabeverfahrens besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes nach den Regelungen der ZPO, namentlich die Erwirkung einstweiliger Verfügungen. Die Anforderungen sind jedoch hoch und die Gerichte mit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sehr zurückhaltend.10) ___________ 6) Zum Spruchverfahren unten Rn. 130 ff. 7) BGHZ 107, 296, 310 f. = ZIP 1989, 980. 8) Die Anfechtungsbefugnis im konkreten Fall ablehnend etwa BGHZ 107, 296, 311 = ZIP 1989, 980; OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 271, 275. 9) Zum Freigabeverfahren nach § 246a AktG unten Rn. 105 ff. 10) Zur Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes unten Rn. 126 ff.
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A. Beschlussmängelklagen bei AG und GmbH
d) Bekanntmachungspflichten und Ad-hoc-Publizität Für alle Beschlussmängelklagen mit Ausnahme der allgemeinen Feststellungs- 9 klage gilt, dass der Vorstand der Gesellschaft die Klageerhebung in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen hat (§ 246 Abs. 4 AktG). Börsennotierte Gesellschaften haben zudem die Verfahrensbeendigung in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen, wobei etwaige Vergleiche im vollen Wortlaut wiederzugeben sind (§ 248a AktG). Sowohl die Erhebung als auch die Beendigung einer Beschlussmängelklage 10 kann eine nach den Regeln zur Ad-hoc-Publizität und hier vor allem nach Art. 17 Marktmissbrauchs-VO veröffentlichungspflichtige Tatsache sein.11) Gleiches gilt, wenn sich im Prozessverlauf besondere Tatsachen ergeben. 2. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage a) Parteien und andere Verfahrensbeteiligte aa) Kläger Kläger einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage können sein: jeder Aktionär, 11 der Vorstand als Organ sowie jedes einzelne Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats. Nur ihnen kann die Anfechtungsbefugnis (§ 246 AktG) bzw. die Befugnis zur Nichtigkeitsklage (§ 249 Abs. 1 Satz 1 AktG) zustehen. (1) Aktionäre als Kläger Kläger einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage kann jeder Aktionär der 12 Gesellschaft sein (§ 245 Nr. 1 – 3 AktG). Auf die Anzahl der von ihm gehaltenen Aktien kommt es nicht an. Mehrere klagende Aktionäre sind notwendige Streitgenossen (§ 62 ZPO). 13 Liegen mehrere Klagen vor, sind diese nach der Regelung in § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG zwingend miteinander zu verbinden. Dies entspricht dem Charakter der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage als Gestaltungsklage mit Wirkung für und gegen jedermann. (2) Vorstand als Kläger Der Vorstand kann als Organ Kläger einer Anfechtungs- und Nichtigkeits- 14 klage sein (§ 245 Nr. 4 AktG). Das Klagerecht steht dem Vorstand als eigenes Recht zu, d. h. er handelt hier nicht als Vertreter der Gesellschaft. In der Praxis sind Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen des Vorstands als Organ selten.
___________ 11) Zur Ad-hoc-Publizität bei Rechtstreitigkeiten Teigelack, BB 2016, 1604; Fuchs/Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 281 ff.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
(3) Einzelne Organmitglieder als Kläger 15 Kläger einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage können auch einzelne Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats sein (§ 245 Nr. 5 AktG). In der Praxis sind Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen einzelner Organmitglieder jedoch ebenfalls selten. bb) Beklagte (1) Gesellschaft als Beklagte 16 Beklagte einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ist stets die Gesellschaft (§§ 246 Abs. 2 Satz 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Besondere Bedeutung haben hier die Vertretungsregelungen, die nach § 170 Abs. 1 ZPO auch darüber entscheiden, an wen die Klage zuzustellen ist. (2) Vertretung der Gesellschaft 17 Grundsätzlich wird die Gesellschaft durch den Vorstand und den Aufsichtsrat gemeinsam vertreten (§ 246 Abs. 2 Satz 2 AktG). Klagt jedoch der Vorstand oder eines seiner Mitglieder, so wird die Gesellschaft vom Aufsichtsrat alleine vertreten (§ 246 Abs. 2 Satz 3 AktG). Klagt ein Mitglied des Aufsichtsrats, verbleibt die Vertretung der Gesellschaft beim Vorstand allein (§ 246 Abs. 2 Satz 3 AktG). Treten sowohl Vorstand bzw. Vorstandsmitglieder als auch Aufsichtsratsmitglieder als Kläger in Erscheinung, ist vom Gericht nach Maßgabe des § 57 ZPO ein Prozesspfleger zu bestellen.12) cc) Nebenintervention 18 Eine Nebenintervention ist unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 ZPO möglich. Die Hürde für eine Nebenintervention ist damit denkbar gering. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass alle von der Gestaltungswirkung des Urteils im Anfechtungs- und Nichtigkeitsverfahren betroffenen Personen ohne Weiteres ein Interventionsinteresse haben, insbesondere alle Aktionäre, der Vorstand als Organ und die Organmitglieder.13) Ein Interventionsinteresse Dritter kommt vor allem bei Beschlüssen über Unternehmensverträge oder Verschmelzungen in Betracht.14) ___________ 12) OLG Hamburg AG 2003, 519. Für die Fälle der Vertretungsunfähigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat wird im Schrifttum die Möglichkeit der Bestellung eines besonderen Vertreters durch die Hauptversammlung befürwortet (MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 246 Rn. 67). Wegen des Aufwands für die Einberufung einer Hauptversammlung ist dies aber allenfalls bei kleineren Gesellschaften mit überschaubarem Aktionärskreis praktikabel. 13) Nicht jedoch der besondere Vertreter nach § 147 Abs. 2 AktG, vgl. OLG München NJWRR 2009, 108 = ZIP 2008, 2173; Wachter/Zwissler, AktG, § 147 Rn. 14; KK-AktG/ Rieckers/Vetter, § 147 Rn. 678. Ein Interventionsinteresse kommt bei ihm nur in Ausnahmefällen in Betracht, vgl. OLG München ZIP 2008, 2173, 2174. 14) Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246 Rn. 35 a. E.
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Die Nebenintervention auf Seiten des Anfechtungs- und Nichtigkeitsklägers 19 setzt die eigene Befugnis zur Erhebung der Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage nicht voraus.15) Bei der Anfechtungsklage muss der Nebenintervenient lediglich die Nebeninterventionsfrist des § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG beachten. Die Frist beträgt einen Monat ab Bekanntmachung der Klage in den Gesellschaftsblättern.16) Der als Nebenintervenient beitretende Aktionär17) ist streitgenössischer Ne- 20 benintervenient i. S. d. § 69 ZPO.18) Im Fall des Beitritts auf Klägerseite kann der Aktionär als Nebenintervenient eine Klagerücknahme nicht verhindern.19) Bezüglich der Kosten des Nebenintervenienten gelten §§ 101 Abs. 2, 100 ZPO.20) Es ist daher stets im Einzelfall zu prüfen, ob die Gesellschaft die Kosten eines auf Seiten der bzw. des Kläger(s) beigetretenen Nebenintervenienten zu erstatten hat. b) Klageerhebung, Anträge und Verfahren aa) Klageerhebung und Anträge Die Klageerhebung wird durch Schriftsatz an das zuständige Gericht einge- 21 leitet.21) (1) Zuständigkeit der Gerichte Für die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ist das Landgericht am Sitz der 22 beklagten Gesellschaft sachlich und örtlich ausschließlich zuständig (§ 246 Abs. 3 Satz 1 AktG). Zu beachten ist, dass zahlreiche Bundesländer von der Möglichkeit der Zuständigkeitskonzentration nach § 246 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 AktG Gebrauch gemacht und die örtliche Zuständigkeit für aktienrechtliche Beschlussmängelklagen auf einzelne Landgerichte konzentriert haben.22) Unabhängig davon liegt die funktionelle Zuständigkeit stets bei der Kammer für Handelssachen.
___________ 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)
BGHZ 172, 136, 140; MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 112. Zu den Bekanntmachungspflichten oben Rn. 9. Zu diesem und weiteren Fällen der Nebenintervention Austmann, ZHR 158 (1994), 495 ff. BGHZ 172, 136, 139 = NZG 2007, 675. BGH NZG 2010, 831, 832 = ZIP 2010, 1366. BGH NZG 2009, 948, 949 = ZIP 2009, 1538. Wegen der Präklusionswirkung des § 246 Abs. 1 AktG ist bei der Anfechtungsklage darauf zu achten, dass zumindest der die Anfechtungsgründe tragende Sachverhalt rechtzeitig und damit vorzugsweise bereits in der Klageschrift umfassend dargestellt und vorgetragen wird. Einzelheiten zur Präklusionsgefahr bei Überschreiten der Anfechtungsfrist unten Rn. 66. 22) Aktueller Überblick bei Hüffer/Koch, AktG, § 246 Rn. 37 sowie bei MünchHdb. GesR Bd. 7/Wilk, § 29 Rn. 19.
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(2) Anträge 23 Der Klageantrag lautet in der Regel auf Feststellung der Nichtigkeit des im Antrag konkret zu bezeichnenden Beschlusses.23) Üblich ist zudem ein Hilfsantrag, der auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses gerichtet ist.24) 24 Gegenstand der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage können sowohl positive als auch negative Beschlüsse sein, letztere vor allem in Verbindung mit einer positiven Beschlussfeststellungsklage.25) Teilanfechtungen sind in den Grenzen des § 139 BGB möglich, in der Praxis aber selten.26) 25 Kraft der Verweisung in § 138 Satz 2 AktG können auch Sonderbeschlüsse einzelner Aktionärsgruppen Gegenstand der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sein (§ 138 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 241 ff. AktG). (3) Zustellung 26 Im Grundfall ist die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage wegen der gesetzlich angeordneten Doppelvertretung beiden Verwaltungsorganen zuzustellen, d. h. dem Vorstand und dem Aufsichtsrat. Dabei genügt es, wenn die Zustellung an mindestens ein Mitglied des jeweiligen Organs erfolgt (§ 170 Abs. 3 ZPO). Die Klageschrift muss somit mindestens die zustellungsfähigen Adressen je eines Mitglieds des Vorstands und des Aufsichtsrats umfassen. In den Fällen einer abweichenden Vertretungsregelung genügt die Zustellung an das jeweils zur gesetzlichen Vertretung berufene Organ. Wegen der Gefahr der nicht fristgerechten Zustellung und dem damit einhergehenden Verlust der Anfechtungsbefugnis empfiehlt sich bei Zweifeln über die konkret einschlägige Vertretungsregelung stets die Zustellung an Vorstand und Aufsichtsrat. bb) Verfahrensgrundsätze (1) Dispositionsmaxime 27 Für das Verfahren der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gilt die Dispositionsmaxime, d. h. die Parteien haben den Streitstoff und die Verhandlung ___________ 23) Ausführliches Muster für eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bei Möhrle, in: Happ/ Groß, Aktienrecht, Muster 11.01. Einen auf Nichtigerklärung gerichteten Hauptantrag empfehlen Zimmerling/Koy, in: Mehrbrey, § 8 Rn. 38 ff. 24) Nach dem Verständnis der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage als einheitlichem Rechtsinstitut mit identischem Streitgegenstand ist diese Praxis zwar nicht mehr zwingend erforderlich, umgekehrt aber auch nicht schädlich. Es ergeben sich insbesondere keine kostenrechtlichen Nachteile, wenn die Klage „nur“ wegen Vorliegens eines Anfechtungsgrunds Erfolg hat (oder umgekehrt). Teilweise wird ein umgekehrtes Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag befürwortet. 25) Zur positiven Beschlussfeststellungsklage unten Rn. 102 ff. 26) BGH NJW 1994, 520 = ZIP 1993, 1862, 1863. Ausführlich zur Teilanfechtung und zur Teilbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 243 Rn. 11 und § 241 Rn. 90 ff.
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über den Streitgegenstand selbst in der Hand. Richtigerweise gilt dies auch in Bezug auf die Streitbeendigung durch Anerkenntnis der Gesellschaft.27) (2) Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast folgt allgemeinen zivilprozessualen Regeln. 28 Jede Partei hat die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die ihren Anspruch stützen.28) Verfahrensfehler müssen konkret dargelegt und unter Beweis gestellt wer- 29 den. Eine „pauschale Verfahrensrüge“ genügt diesen Anforderungen nicht.29) Besondere Bedeutung kommt im Übrigen der Niederschrift über die Hauptversammlung zu. Stammt sie von einem Notar, so vermittelt sie den vollen Beweis i. S. d. § 415 ZPO.30) Bei Inhaltsfehlern gelten die gleichen Grundsätze, d. h. der Kläger hat die 30 Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich der Anfechtungsund/oder Nichtigkeitsgrund ergibt. Im Einzelfall kann freilich zweifelhaft sein, ob es bei bestimmten Tastbestandsmerkmalen noch um ein Angriffsoder schon um ein Verteidigungsmittel im Sinne der zivilprozessualen Normentheorie geht. Exemplarisch zeigt sich dies bei der Frage nach der Darlegungsund Beweislast für den sachlichen Grund im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten materiellen Beschlusskontrolle. Für den Fall der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss hat sich die Rechtsprechung für die Einordnung des sachlichen Grundes als Verteidigungsmittel und damit für die Darlegungs- und Beweislast der Gesellschaft entschieden.31) Inwieweit dies auf alle Fälle der materiellen Beschlusskontrolle zu übertragen ist, muss als offen bezeichnet werden.32) Beweiserleichterungen gewähren die Gerichte häufig unter dem Aspekt der 31 Tatsachennähe.33) Bei Informationsmängeln genügt es, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, die den Mangel plausibel erscheinen lassen. Im Rahmen der sekundären Beweislast obliegt es dann der Gesellschaft, den Vorwurf der Mangelhaftigkeit zu entkräften.34) ___________ 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)
34)
Zur Streitbeendigung durch Anerkenntnis der Gesellschaft unten Rn. 36. Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 264. MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 243 Rn. 146. Eine vom Versammlungsleiter nach § 130 Abs. 1 Satz 3 erstellte Niederschrift unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO. BGHZ 71, 40, 48 f. Für weitergehende Übertragung etwa MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 243 Rn. 151. Hierzu allgemein BGHZ 167, 204, 212; BGHZ 103, 184, 196 f. Aus der Rechtsprechung mit aktienrechtlichem Bezug vor allem OLG Stuttgart AG 2009, 124. Weitere Nachweise bei Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 265. Speziell zur Darlegungs- und Beweislast bei Informationsmängeln OLG Dresden AG 2005, 247, 249; OLG Stuttgart AG 2009, 124, 127. Zu weiteren Einzelfällen Spindler/ Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 265.
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cc) Verfahrensbeendigung 32 Das Gericht entscheidet grundsätzlich durch Urteil. Möglich und in der Praxis nicht selten anzutreffen ist auch die Verfahrensbeendigung durch Vergleich. Weniger bedeutsam sind hingegen die Verfahrensbeendigungen durch Anerkenntnis oder Klagerücknahme. (1) Urteil 33 Das der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage stattgebende Urteil hat Gestaltungswirkung dahingehend, dass es für und gegen jedermann gilt. Betroffen von dieser inter omnes Wirkung sind nicht nur die Gesellschaft, Aktionäre, Gesellschaftsorgane und deren Mitglieder, sondern auch jede andere Person. Neue Klagen sind unzulässig, bei etwa noch anhängigen Klagen tritt Erledigung ein. 34 Das stattgebende Urteil vernichtet den streitgegenständlichen Beschluss und grundsätzlich auch alle mit ihm verbundenen Durchführungsmaßnahmen mit Wirkung ex tunc. Ausnahmen gelten in Bezug auf Durchführungsmaßnahmen, für die das Gesetz entweder insgesamt oder zumindest für die Vergangenheit Bestandsschutz oder Vertrauensschutz anordnet. Der Bestandsschutz greift z. B. bei Umwandlungsvorgängen (§ 20 Abs. 2 UmwG) und Kapitalerhöhungen, die zum Zwecke einer Verschmelzung durchgeführt wurden.35) Für sonstige Kapitalerhöhungen, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge und Eingliederungen gilt, dass sie nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zwar nicht vor Anbeginn an unwirksam sind, gleichwohl aber mit Wirkung ex nunc rückabgewickelt werden müssen. Bei Beschlüssen, die nur das Innenverhältnis betreffen, bleiben etwaige Durchführungsgeschäfte im Außenverhältnis wegen der insoweit vorrangigen unbeschränkten Vertretungsmacht des Vorstands unberührt.36) 35 Klageabweisende Urteile haben keine Gestaltungswirkung. Ihre Rechtskraft erfasst auch nur die Parteien des Verfahrens, keine sonstigen Dritten und auch nicht Aktionäre, die am Verfahren nicht beteiligt waren. Sie alle werden durch das klageabweisende Urteil nicht an der Erhebung einer eigenen Beschlussmängelklage gehindert. Demgegenüber kann der bzw. können die Kläger des ursprünglichen Verfahrens den Hauptversammlungsbeschluss nach Klageabweisung nur noch im Wege der Nichtigkeitsklage angreifen und auch dies nur dann, wenn die Klage auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt wird.37) ___________ 35) OLG Frankfurt/M. Der Konzern 2012, 266, 270. 36) Zu Unterausnahmen wie z. B. Missbrauch der Vertretungsmacht oder durch den Hauptversammlungsbeschluss bedingte Geschäfte: MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 125 a. E. 37) Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 248 Rn. 27; Hüffer/Koch, AktG, § 248 Rn. 15; Bürgers/ Körber/Göz, AktG, § 248 Rn. 22; a. A. Grigoleit/Ehmann, AktG, § 248 Rn. 8.
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(2) Anerkenntnis und Klagerücknahme Eine Verfahrensbeendigung durch Anerkenntnis ist nach herrschender Mei- 36 nung möglich.38) Das von der Gegenauffassung39) ins Feld geführte Argument, es stehe nicht in der Kompetenz der Verwaltung, sich über die Willensbildung der Hauptversammlung hinwegzusetzen, ist zwar dem Grunde nach richtig, betrifft aber nur das „Dürfen“ im Innenverhältnis und nicht die Rechtsmacht im Außenverhältnis. Zu Recht wurde zudem darauf hingewiesen, dass die Doppelvertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat einer pflichtwidrigen Wahrnehmung der prozessualen Befugnis ausreichend entgegenwirkt40). Ein in der Folge des prozessualen Anerkenntnisses ergehendes Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) hat die gleiche Gestaltungs- und Rechtskraftwirkung wie das streitig ergangene Endurteil. Auf Klägerseite kommt als verfahrensbeendigende Maßnahme eine Klage- 37 rücknahme in Betracht. Diese wirkt jedoch nur für und gegen den einzelnen Kläger. Bei mehreren Klägern wird das Verfahren mit den verbleibenden Klägern fortgesetzt. (3) Vergleich Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind nach allgemeinen Regeln einem Ver- 38 gleich zugänglich. Die fehlende Gestaltungswirkung des Vergleichs schränkt die praktischen Möglichkeiten jedoch in nicht unerheblichem Maße ein.41) Die Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann ist der Disposition der Parteien von vornherein entzogen. Gleiches gilt für alle wirkungsgleichen Maßnahmen wie etwa die Verpflichtung, auf die Durchführung des Beschlusses zu verzichten. Möglich bleibt nach der hier vertretenen Auffassung das Anerkenntnis durch die Gesellschaft, welches auch Teil eines Vergleichs sein kann. Möglich bleiben zudem alle Vergleiche, die den Bestand eines Hauptversammlungsbeschlusses bestätigen oder sichern.42) dd) Kosten und Streitwert (1) Kosten Die Kosten des Anfechtungs- und Nichtigkeitsstreits werden nach den all- 39 gemeinen Regeln, d. h. nach den §§ 91 ff. ZPO getragen. Bezüglich der Kosten des Nebenintervenienten gelten die §§ 101 Abs. 2, 100 ZPO.43) ___________ 38) MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 120. 39) GroßKommAktG/Schmidt, § 246 Rn. 78; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246 Rn. 51; Hüffer/Koch, AktG, § 246 Rn. 17. 40) MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 120. 41) §§ 248, 241 Nr. 5 AktG finden auf den Vergleich keine Anwendung; vgl. Spindler/ Stilz/Dörr, AktG, § 248 Rn. 28. 42) MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 128. 43) BGH NZG 2009, 948, 949 = ZIP 2009, 1538. Vgl. hierzu auch oben Rn. 20.
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(2) Streitwertfestsetzung 40 Für die Streitwertfestsetzung hält § 247 AktG eine Sonderregelung bereit, die der allgemeinen Streitwertregelung des § 3 ZPO als lex specialis vorgeht. Konkret geht es dem Gesetzgeber darum, das Instrument der Anfechtungsund Nichtigkeitsklage nicht durch ein prohibitiv wirkendes Kostenrisiko zu entwerten. 41 Bei der Streiwertbemessung nach § 247 AktG ist die Bedeutung der Sache aus der Perspektive alle Parteien zu berücksichtigen. Dies setzt die Ermittlung der Bedeutung der Sache für den bzw. die Kläger sowie die Ermittlung der Bedeutung der Sache für die Gesellschaft voraus. Aus den jeweiligen Werten kann dann ein Mittelwert gebildet werden. Zu beachten ist dabei die Streitwertgrenze des § 274 Abs. 1 Satz 2 AktG. Danach darf der Streitwert nicht mehr als ein Zehntel des Grundkapitals der Gesellschaft, höchstens jedoch EUR 500.000,00 betragen. Bei mehreren Streitgegenständen ist der Streitwert für jeden einzelnen Streitgegenstand (z. B. Beschluss) zu ermitteln und zu addieren. Die Streitwertgrenze gilt für jeden Streitgegenstand gesondert, nicht jedoch für die Summe des Werts mehrerer Streitgegenstände.44) 42 In der Praxis der Gerichte haben vor allem mathematisch geprägte Ansätze zur Bestimmung des Streitwerts Bedeutung erlangt. Dabei wird teilweise45) der relative Mittelwert der zuvor quantifizierten Einzelinteressen ermittelt, teilweise46) der arithmetische Mittelwert. Häufig fassen die Gerichte ihr Ermessen aber auch einfach in eine Zahl, ohne deren Herleitung besonders zu begründen.47) 43 Einen besonderen Schutz ermöglicht § 274 Abs. 2 AktG mit dem Instrument der Streitwertspaltung. Macht eine Partei glaubhaft, dass die Belastung mit den Prozesskosten ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, wenn diese auf Basis des nach § 274 Abs. 1 AktG berechneten Streitwerts ermittelt würden, kann das Gericht anordnen, dass die von dieser Partei zu tragenden Kosten aufgrund eines der Wirtschaftslage dieser Partei angepassten Teils des Streitwerts berechnet werden. Nach der Rechtsprechung kann die Streitwertspaltung zugunsten des Klägers nicht gewährt werden, wenn die Klage mutwillig oder aussichtslos ist.48)
___________ 44) 45) 46) 47)
OLG Frankfurt/M. AG 1984, 154; Hüffer/Koch, AktG, § 247 Rn. 9. Z. B. OLG Hamm AG 1976, 19. Z. B. OLG Frankfurt/M. AG 1984, 154, 155. Vgl. hierzu auch die Auswertung des Rechtsprechungsmaterials bei K. Schmidt/Lutter/ Schwab, AktG, § 247 Rn. 7 ff. 48) BGH AG 1992, 59.
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ee) Rechtsmittel Gegen das Anfechtungs- und Nichtigkeitsurteil steht der unterlegenen Partei 44 das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und hierauf das der Revision zum Bundesgerichtshof offen, letzteres jedoch nur dann, wenn die Revision durch das Berufungsgericht zugelassen wurde (§ 543 Abs. 1 ZPO). c) Begründetheit Die Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage ist begründet, wenn der Klage- 45 partei die entsprechende Klagebefugnis zusteht, die Klagefristen gewahrt sind und ein Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsgrund vorliegt, der bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung nicht durch Bestätigungsbeschluss beseitigt bzw. geheilt wurde. aa) Befugnis zur Erhebung der Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage Das Aktiengesetz bestimmt abschließend, wer zur Erhebung einer Anfech- 46 tungs- und/oder Nichtigkeitsklage befugt ist. Diese Befugnis ist nach herrschender Meinung aber nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern materiell-rechtlich zu verstehen. Ihr Fehlen führt zur Abweisung der Klage als unbegründet.49) (1) Befugnis zur Erhebung der Nichtigkeitsklage Die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage ergibt sich ohne weiteres 47 aus der Position als Aktionär, Vorstandsorgan, Vorstand oder Aufsichtsrat (§ 249 AktG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfüllung dieses Kriteriums ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung. Entfällt die Rechtsstellung vor diesem Zeitpunkt, ist bei Vorliegen eines berechtigten Interesses eine Fortsetzung der Klage als allgemeine Feststellungsklage möglich.50) (2) Befugnis zur Erhebung einer Anfechtungsklage (Anfechtungsbefugnis) Wesentlich strengere Anforderungen gelten für die Befugnis zur Erhebung 48 einer Anfechtungsklage. In dem Bestreben, die Anfechtungsbefugnis sinnvoll zu beschränken, hat der Gesetzgeber für alle in Betracht kommenden Klageparteien inhaltliche Schranken der Anfechtungsbefugnis definiert (§ 245 AktG). Im Einzelnen gilt für die Anfechtungsbefugnis: (a) Aktionäre Bei Aktionären stellt sich zunächst die Frage nach der Aktionärseigenschaft. 49 Sie ist in der Regel gegeben beim Inhaber der Aktie, sofern er nicht im Aus___________ 49) BGH AG 2007, 863, 865 = ZIP 2007, 2122. 50) BGH AG 1999, 180, 181; OLG München NZG 2009, 1227 = ZIP 2009, 2314.
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nahmefall an der Geltendmachung seiner Aktionärsrechte gehindert ist.51) An der ausschließlichen Anfechtungsbefugnis des rechtlichen Inhabers der Aktie ändert sich auch nichts in Sonderkonstellationen wie einer Treuhand (anfechtungsbefugt ist hier stets der Treuhänder), der Verpfändung oder der Einräumung eines Nießbrauchs an einer Aktie.52) Dem Legitimationsaktionär steht die Anfechtungsbefugnis ebenfalls nicht unmittelbar zu.53) Eine etwa eingeräumte Ermächtigung zur Anfechtung von Beschlüssen im eigenen Namen ist Prozessstandschaft für den eigentlichen Aktionär.54) 50 Der Aktionär muss seine Aktionärseigenschaft nachweisen. Bei Inhaberaktien erfolgt dies z. B. mittels einer Aktienurkunde oder – in der Praxis häufiger – mittels Hinterlegungsbescheinigung oder Depotauszug. Bei Namensaktien genügt die Eintragung im Aktienregister. 51 In zeitlicher Hinsicht muss die Aktionärseigenschaft bereits im Zeitpunkt der Bekanntmachung der Tagesordnung und sodann ununterbrochen bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein. Lediglich in den Fällen des § 245 Nr. 2 AktG ist es ausreichend, wenn die Aktionärseigenschaft erst ab dem Zeitpunkt der Beschlussfassung gegeben war. Eine Veräußerung der Aktien nach Rechtshängigkeit führt nur dann nicht zum Verlust der Anfechtungsbefugnis, wenn auch weiterhin ein berechtigtes Interesse des (ehemaligen) Aktionärs vorliegt.55) 52 Bei der Definition der weiteren Voraussetzungen der Anfechtungsbefugnis differenziert das Gesetz einerseits zwischen in der Hauptversammlung erschienenen und nicht erschienenen Aktionären, andererseits nach den geltend gemachten Anfechtungsgründen. Im Einzelnen: (aa) In der Hauptversammlung erschienene Aktionäre (§ 245 Nr. 1 AktG) 53 Einem in der Hauptversammlung erschienenen Aktionär steht die Anfechtungsbefugnis dann zu, wenn er seine Aktien vor Bekanntmachung der Tagesordnung erworben und in der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift gegen den Beschluss erklärt hat (§ 245 Nr. 1 AktG). Erschienen ___________ 51) Dies ist etwa der Fall bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten nach §§ 20, 21 AktG, der Verletzung von Meldepflichten nach § 28 WpHG sowie Publikationspflichten nach § 57 WpÜG. Bei Nachholung der Mitteilung bzw. Erfüllung der Melde- oder Publikationsfrist vor Ablauf der Anfechtungsfrist ist die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Abs. 3 AktG aber dennoch gegeben. Vgl. hierzu BGH, Hinweisbeschluss vom 20.4.2009, AG 2009, 534 = ZIP 2009, 1317; OLG Schleswig AG 2008, 129 = ZIP 2007, 2214. 52) Ausführlich zu diesen Fällen Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 14 ff.; zusammenfassend Bürgers/Körber/Göz, AktG, § 245 Rn. 7. 53) BayObLGZ 1996, 234, 237 f.; LG München I AG 2010, 47. 54) Zur Reichweite der Befugnisse des Legitimationsaktionärs MünchKomm-AktG/Hüffer/ Schäfer, § 245 Rn. 33. 55) BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167. Zum Fortbestand der Anfechtungsbefugnis bei Verlust der Aktionärseigenschaft im Zuge eines Squeeze-Out: Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 21.
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ist der Aktionär bereits dann, wenn er selbst oder über einen Vertreter oder Legitimationsaktionär zumindest vorübergehend an der Hauptversammlung teilgenommen hat. Das Erfordernis des Widerspruchs kann im Einzelfall entbehrlich sein. Um- 54 stritten ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Anfechtungsgrund in der Hauptversammlung nicht erkennbar war.56) Im Hinblick auf die geringen formalen Anforderungen an die Erhebung des Widerspruchs und die ohnehin verbreitete Praxis des rein vorsorglichen Erhebens von Widersprüchen57) sollten Ausnahmen vom Widerspruchserfordernis nur zurückhaltend und in krassen Ausnahmefällen zugelassen werden. (bb) In der Hauptversammlung nicht erschienene Aktionäre (§ 245 Nr. 2 AktG) Der in der Hauptversammlung nicht erschienene Aktionär58) ist nur dann zur 55 Anfechtung befugt, wenn die Gründe für sein Nichterscheinen aus der Sphäre der Gesellschaft stammen. § 245 Nr. 2 AktG definiert drei Fälle, in diesen dies anzunehmen ist: x
der Aktionär wurde zu Unrecht nicht zur Hauptversammlung zugelassen (§ 245 Nr. 2 Alt. 1 AktG);
x
die Versammlung wurde nicht ordnungsgemäß einberufen (§ 245 Nr. 2 Alt. 2 AktG); und
x
der Gegenstand der Beschlussfassung wurde nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht (§ 245 Nr. 2 Alt. 3 AktG).
Die Aufzählung ist abschließend. Eine unberechtigte Nichtzulassung i. S. v. § 245 Nr. 2 Alt. 1 AktG liegt 56 dann vor, wenn dem Aktionär oder seinem Vertreter die Teilnahme an der Hauptversammlung versagt wird, obwohl er alle Teilnahmevoraussetzungen und -bedingungen erfüllt. Hierzu zählen insbesondere die nach § 123 Abs. 2 – 4 AktG zulässigen Teilnahmebedingungen wie die Hinterlegung von Aktien und die rechtzeitige Anmeldung zur Hauptversammlung. Überzogene Zugangserschwernisse durch besondere Einlasskontrollen können im Einzelfall einer unberechtigten Nichtzulassung gleichkommen.59) Der unberechtigte Saalverweis steht der unberechtigten Nichtzulassung stets gleich.60) ___________ 56) Für Entbehrlichkeit des Widerspruchs bei fehlender Erkennbarkeit des Mangels: MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 245 Rn. 37; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 30. Dagegen: MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 94; Bürgers/Körber/Göz, AktG, § 245 Rn. 12. 57) Zur Praxis des Widerspruchs „auf Vorrat“ MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 94. 58) Zur Abgrenzung zwischen Erscheinen und Nichterscheinen siehe oben Rn. 53. 59) OLG Düsseldorf AG 1991, 444; OLG Frankfurt/M. AG 2007, 357. 60) BGHZ 44, 245, 250; OLG München AG 2010, 842.
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57 Einberufungsfehler i. S. v. § 245 Nr. 2 Alt. 2 AktG sind Verstöße gegen die Einberufungsvorschriften der §§ 121 – 123 AktG sowie Verstöße gegen die Mitteilungspflichten nach §§ 125 – 127 AktG. Einberufungsmängel, die nicht der Sphäre der Gesellschaft zuzuordnen sind,61) begründen die Anfechtungsbefugnis nicht. 58 Ein Bekanntmachungsfehler i. S. v. § 245 Nr. 2 Alt. 3 AktG liegt vor, wenn die Vorgaben des § 124 Abs. 1 – 3 AktG nicht eingehalten wurden. Umstritten ist, ob sich die Anfechtungsbefugnis in diesen Fällen auf alle in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse erstreckt62) oder auf den fehlerhaft bekannt gemachten Beschlussgegenstand beschränkt bleibt.63) Richtigerweise sollte Letzteres gelten, da nur in diesem eingeschränkten Umfang von einem Schutzbedürfnis des Aktionärs auszugehen ist. Wären dem Aktionär etwaige weitere, ordnungsgemäß bekannt gemachte Beschlussgegenstände wichtig gewesen, hätte er die Hauptversammlung besuchen und gegebenenfalls Widerspruch zu Protokoll einlegen können. Es gibt keinen validen Grund, den Aktionär insoweit zu entlasten. (cc) Geltendmachung von Verstößen gegen §§ 243 Abs. 2 AktG, 245 Nr. 3 AktG 59 Einen besonderen Fall der Anfechtungsbefugnis regelt § 245 Nr. 3 AktG. Danach ist die Anfechtungsbefugnis unabhängig vom Erscheinen oder Nichterscheinen sowie unabhängig von einem Widerspruch zur Niederschrift immer dann gegeben, wenn ein Verstoß gegen § 243 Abs. 2 AktG geltend gemacht wird. Die Anfechtungsbefugnis bleibt allerdings auf diesen Anfechtungsgrund beschränkt, d. h. andere Anfechtungsgründe können nur geltend gemacht werden, wenn sich die Anfechtungsbefugnis auch noch aus anderen Gründen ergibt. Die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 3 AktG besteht nur dann, wenn der Aktionär seine Aktie(n), aus der bzw. aus denen er sein Klagerecht ableitet, bereits vor Bekanntgabe der Tagesordnung erworben und sie seither ohne Unterbrechung gehalten hat. 60 Umstritten und in der Rechtsprechung bisher nicht entschieden ist die Frage, ob bei der Geltendmachung von Verstößen gegen den Grundsatz gleichmäßiger Behandlung (§ 53a AktG) und/oder das Treuegebot eine Analogie zu ziehen und eine vom Erscheinen und Erheben des Widerspruchs zur Niederschrift unabhängige Anfechtungsbefugnis auch für diese Anfechtungsgründe anzunehmen ist.64) Dafür spricht, dass die mit den vorgenannten Generalklauseln sanktionierten Rechtsverstöße ähnlich schwerwiegend sein können ___________ 61) Z. B. Versäumnisse der Depotbank bei der Erfüllung der Weitergabepflichten nach § 128 AktG. 62) So z. B. Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 38; Hüffer/Koch, AktG, § 245 Rn. 20 a. E. 63) K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, § 245 Rn. 23; Bürgers/Körber/Göz, AktG, § 245 Rn. 14. 64) Dafür: GroßKommAktG/K. Schmidt, § 245 Rn. 30. Dagegen: MünchKomm-AktG/ Hüffer/Schäfer, § 245 Rn. 51; K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, § 245 Rn. 23.
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wie jene, die § 243 Abs. 2 AktG im Blick hat. Letztendlich handelt es sich bei der Regelung des § 245 Nr. 3 AktG jedoch um eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift. Es entstehen insoweit auch keine übermäßigen Härten, da bei nicht erkennbaren Rechtsverstößen der Wegfall des Widersprucherfordernisses korrigierend wirken kann.65) Ein darüber hinausgehender Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung ist nicht angezeigt. (b) Vorstand als Organ (§ 245 Nr. 4 AktG) Dem Vorstand als Organ gewährt § 245 Nr. 4 AktG die Anfechtungsbefug- 61 nis ganz ohne weitere Voraussetzungen. Die Anfechtungsbefugnis entfällt selbst dann nicht, wenn der Beschluss auf einen Vorschlag des Vorstands zurückgeht oder einzelne Vorstandsmitglieder in der Hauptversammlung für den Beschluss gestimmt haben.66) (c) Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (§ 245 Nr. 5 AktG) Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsratsmitglieder sind je einzeln anfech- 62 tungsbefugt, wenn sie durch die Ausführung des Beschlusses eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen oder sich schadensersatzpflichtig machen würden (§ 245 Nr. 5 AktG). bb) Fristen (1) Klagefrist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage Eine Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage sieht das Aktiengesetz nicht 63 vor. Eine Ausnahme gilt lediglich nach § 14 UmwG für Verschmelzungsbeschlüsse. Im Übrigen erfährt das Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen keinen besonderen Schutz.67) (2) Anfechtungsfrist bei der Anfechtungsklage Für Anfechtungsklagen gilt die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG. Es 64 handelt sich dabei um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, d. h. bei Säumnis ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Die Frist beträgt einen Monat ab dem Tag der Beschlussfassung in der Haupt- 65 versammlung. Sie wird gewahrt durch ordnungsgemäße Klageerhebung68) i. S. d. ___________ 65) Dies gilt auch dann, wenn man Ausnahmen vom Widerspruchserfordernis nur sehr zurückhaltend zulässt. Vgl. hierzu oben Rn. 54 m. w. N. 66) Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 41. 67) Die Einführung der im Schrifttum vielfach befürworteten Klagefrist für sogenannte „nachgeschobene Nichtigkeitsklagen“ wurde vom Gesetzgeber zuletzt in Erwägung gezogen, in der Aktienrechtsnovelle 2016 aber dann doch nicht umgesetzt. Vgl. hierzu Söhner, ZIP 2016, 151, 158; MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 141 f. 68) Zu den Anforderungen an den Inhalt der Klageschrift bereits oben Rn. 21 und Fn. 21.
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§ 253 Abs. 1 ZPO, wobei die Einreichung der Klage bei Gericht ausreicht, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt (§ 167 ZPO). 66 Anfechtungsgründe, die nicht innerhalb der Anfechtungsfrist in das Verfahren eingebracht wurden, sind materiell-rechtlich präkludiert.69) Daher kommt auch eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht. Die Anforderungen an die Konkretisierung der den Anfechtungsgrund tragenden Tatsachen und Umstände sind jedoch nicht zu hoch anzusetzen. cc) Nichtigkeitsgründe 67 Besonders schwerwiegende Mängel können zur Nichtigkeit von Beschlüssen führen. Das Aktiengesetz betrachtet die Nichtigkeit jedoch als Ausnahme, die nur dann eingreifen soll, wenn besonders schwerwiegende Mängel vorliegen. Diese Mängel sind in einem als abschließend konzipierten Katalog der Nichtigkeitsgründe zusammengefasst. Dabei geht es um folgende Sachverhalte: (1) Einberufungsmängel (§ 241 Nr. 1 AktG) 68 Nichtig sind Beschlüsse einer Hauptversammlung, die unter Verstoß gegen § 121 Abs. 2 und 3 oder 4 AktG einberufen wurde.70) (2) Beurkundungsmängel (§ 241 Nr. 2 AktG) 69 Nichtig sind des Weiteren Beschlüsse, die nicht nach den Vorschriften des § 130 Abs. 1 und 2 Satz 1 und Abs. 4 AktG beurkundet wurden.71) (3) Inhaltsmängel (§ 241 Nr. 3 AktG) 70 Ein Nichtigkeitsgrund i. S. d. § 241 Nr. 3 AktG liegt vor, wenn der Beschluss x
mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder
x
durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend dem Schutz der Gläubiger der Gesellschaft dienen oder
x
durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind.
___________ 69) BGH AG 2010, 452. Zur vorübergehend abweichenden Rechtsprechung des BGH Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 20. 70) Z. B. die Einberufung durch Unbefugte (BGHZ 11, 231, 236) oder die fehlerhafte Angabe der Teilnahmebedingungen (OLG Frankfurt/M. AG 1991, 208, 209). 71) Zu den Anforderungen an die ordnungsgemäße Beurkundung KK-AktG/Noack/Zetzsche, § 130 Rn. 43 ff. m. w. N.
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(4) Sittenwidrigkeit (§ 241 Nr. 4 AktG) Ein Nichtigkeitsgrund liegt auch dann vor, wenn der Beschluss durch seinen 71 Inhalt gegen die guten Sitten verstößt. (5) Nichtigkeitsgründe aus anderen aktienrechtlichen Vorschriften In Ergänzung zu den Nichtigkeitsgründen des § 241 Nr. 1 – 4 AktG kann sich 72 die Nichtigkeit aus Gründen ergeben, die der Gesetzgeber im Interesse der Rechtsklarheit für besondere Beschlussgegenstände definiert hat. Zu nennen sind insoweit die Verweisungsfälle des § 241 AktG und die besonderen Nichtigkeitsgründe der §§ 250, 253 und 256 AktG. (a) Verweisungsfälle des § 241 AktG In seinem Einleitungssatz verweist § 241 AktG auf Nichtigkeitsgründe, die 73 an anderer Stelle des Aktiengesetzes geregelt sind. Konkret geht es um folgende Nichtigkeitsfälle: x
Beschlüsse, die einem Beschluss über eine bedingte Kapitalerhöhung entgegenstehen (§ 194 Abs. 4 AktG), und
x
Beschlüsse über die Zuweisung neuer Aktien bei Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln entgegen der gesetzlichen Vorgabe (§ 212 AktG).
Darüber hinaus verweist § 241 AktG in seinem Einleitungssatz auf Fälle, in 74 denen Beschlüsse bis zu ihrer Eintragung schwebend unwirksam bleiben und im Falle des Scheiterns der Eintragung oder der nicht fristgerechten Eintragung endgültig der Unwirksamkeit anheimfallen.72) Diese Fälle der Unwirksamkeit sind nach der Vorgabe des § 241 AktG ebenfalls mittels Nichtigkeitsklage geltend zu machen. Konkret geht es dabei um folgende Beschlussgegenstände: x
Kapitalerhöhung mit rückwirkender Gewinnberechtigung der neuen Aktien (§ 217 Abs. 2 AktG),
x
Kapitalherabsetzung unter den Mindestnennbetrag mit gleichzeitiger Kapitalerhöhung (§ 228 Abs. 1 AktG),
x
Rückwirkung einer Kapitalherabsetzung (§ 234 Abs. 3 AktG) und
x
Rückwirkung einer Kapitalherabsetzung bei gleichzeitiger rückwirkender Kapitalerhöhung (§ 235 Abs. 2 AktG).
(b) Besondere Nichtigkeitsgründe (§§ 250 Abs. 1, 253 Abs. 1 und 256 AktG) In Ergänzung zu den Nichtigkeitsgründen des § 241 AktG kann sich die 75 Nichtigkeit aus Gründen ergeben, die der Gesetzgeber im Interesse der Rechts___________ 72) Zu dieser dogmatischen Einordnung Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 241 Rn. 125.
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klarheit für besondere Beschlussgegenstände definiert hat. Besondere Nichtigkeitsgründe regelt das Aktiengesetz für Beschlüsse über x
die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 250 Abs. 1 AktG),
x
die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 253 Abs. 1 AktG) und
x
die Feststellung des Jahresabschlusses (§ 256 AktG).
(6) Kasuistik der Nichtigkeitsgründe 76 Im Mittelpunkt der Kasuistik der Nichtigkeitsgründe stehen die Einberufungsmängel nach § 241 Nr. 1 AktG. 77 Zu den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Einberufungsmängeln i. S. d. § 241 Nr. 1 AktG, die Gegenstand von Nichtigkeitsklagen waren, gehörten zuletzt: x
Einberufung durch nicht ordnungsgemäß besetzten Vorstand;73)
x
Einberufung durch nicht ordnungsgemäß besetzten Aufsichtsrat;74)
x
Fehler bei der Bekanntmachung der Mindestangaben des § 121 Abs. 3 Satz 1 AktG;75)
x
unzumutbare Dauer der Hauptversammlung;76)
x
Ausschluss der Nichtigkeit bei Vollversammlung i. S. v. § 121 Abs. 6 AktG.77)
78 Wegen der Kasuistik zu allen weiteren Nichtigkeitsgründen ist auf die einschlägige Kommentarliteratur zu verweisen.78) (7) Beseitigung von Nichtigkeitsgründen durch Heilung 79 Die Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG können unter der Voraussetzung des § 242 AktG geheilt werden. Heilung bedeutet, dass der Nichtigkeits-
___________ 73) BGH NJW 2002, 1128 = ZIP 2002, 172; OLG Stuttgart AG 2009, 124 = ZIP 2008, 2315. 74) BGH AG 2013, 278. 75) OLG Frankfurt/M. AG 2008, 667 (unvollständige Wiedergabe der satzungsmäßigen Teilnahmebedingungen); OLG Frankfurt/M. ZIP 2007, 232 ff. (Berufsbezeichnung von Aufsichtsratskandidaten); OLG Düsseldorf ZIP 1997, 1153 (Angabe des Sitzes der Gesellschaft). 76) OLG München AG 2011, 840 = ZIP 2011, 842; OLG Koblenz ZIP 2001, 1093; LG München I AG 2008, 340. 77) LG Dortmund BeckRS 2014, 06200. 78) Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 241 Rn. 123 ff., 171 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 241 Rn. 13 ff.; MünchHdb. GesR Bd. 7/Horcher, § 29 Rn. 85 ff., 96 ff.
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grund rückwirkend, d. h. mit Wirkung ex tunc, entfällt und eine etwa hierauf gestützte Nichtigkeitsklage ihre materiell-rechtliche Grundlage verliert.79) Bei Beschlüssen, die der Eintragung in das Handelsregister bedürfen, hän- 80 gen das „ob“ und das „wie“ der Heilung von der Art des Beschlussmangels ab. Besteht der Nichtigkeitsgrund in einem Verstoß gegen die Beurkundungsvorschriften des § 130 Abs. 1 und 2 Satz 1 und Abs. 4 AktG (Beurkundungsmangel), tritt die Heilung mit Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister ein. Liegt ein Nichtigkeitsgrund nach § 241 Nr. 1, 3 oder 4 AktG vor, tritt die Heilung ein, wenn der Beschluss in das Handelsregister eingetragen wurde und seitdem drei Jahre verstrichen sind. Beruht die Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen § 121 Abs. 4 Satz 2 AktG i. V. m. § 241 Nr. 1 AktG, tritt die Heilung auch dann ein, wenn der nicht geladene Aktionär dem Beschluss zustimmt (§ 242 Abs. 2 Satz 4 AktG). Für die besonderen Nichtigkeitsgründe nach § 253 Abs. 1 und § 256 AktG 81 gelten jeweils besondere Heilungsvorschriften80). In den Fällen des § 250 Abs. 1 AktG und den Verweisfällen nach § 194 Abs. 4 AktG und § 212 AktG ist eine Heilung generell nicht möglich. Für die übrigen Verweisfälle gilt § 242 Abs. 3 AktG, der die Heilungsvorschrift des § 242 Abs. 2 AktG für anwendbar erklärt, wenn die Eintragung in das Handelsregister nach Ablauf der jeweils relevanten Frist doch noch erfolgt ist. Die Heilung eines Nichtigkeitsmangels kann in bestimmten Fällen auch 82 nach erfolgter Eintragung noch beseitigt werden. Wichtigster Anwendungsfall ist hier die in § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG ausdrücklich genannte Amtslöschung nach § 398 FamFG.81) Ausgeschlossen ist die Amtslöschung jedoch immer dann, wenn die Eintragung auf ein erfolgreiches Freigabeverfahren nach § 246a AktG zurückgeht.82) dd) Anfechtungsgründe Anfechtungsgrund ist nach der Regelung des § 243 Abs. 1 AktG jeder Ver- 83 stoß gegen Gesetz oder Satzung. Auf die Regelung des § 243 Abs. 1 AktG ist allerdings nur dann zurückzugreifen, wenn keiner der in den §§ 250 ff. AktG für bestimmte Beschlussgegenstände geregelten Anfechtungsgründe vorliegt oder dort auf die Regelung des § 243 Abs. 1 AktG verwiesen wird.
___________ 79) Zum materiell-rechtlichen Verständnis der Heilung nach § 242 AktG Spindler/Stilz/ Casper, AktG, § 242 Rn. 12. 80) Vgl. zu § 253 Abs. 1 AktG die Heilungsvorschrift in § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG und zu § 256 AktG die Heilungsvorschrift in § 256 Abs. 6 AktG. 81) Ausführlich hierzu Spindler/Stilz/Casper, AktG, § 242 Rn. 21 ff. 82) Zum Freigabeverfahren nach § 246a AktG unten Rn. 105 ff.
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(1) Besondere Anfechtungsgründe (§§ 251 Abs. 1 Satz 2, 254 Abs. 1 und 255 Abs. 2 AktG) 84 Besondere Anfechtungsgründe regelt das Aktiengesetz für Beschlüsse über x
die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 251 Abs. 1 Satz 2 AktG),
x
die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 254 Abs. 1 AktG) und
x
die Kapitalerhöhung gegen Einlagen bei vollständigem oder teilweisem Bezugsrechtsausschluss (§ 255 Abs. 2 AktG).
(2) Verstöße gegen Gesetz oder Satzung (§ 243 Abs. 1 AktG), Verfolgung von Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG) 85 Unter den Gesetzesbegriff des § 243 Abs. 1 AktG fallen alle Regelungen des Aktiengesetzes und anderer formeller Gesetze, darüber hinaus aber auch Regelungen des ungeschriebenen Richterrechts und hier insbesondere Rechtssätze, die mit dem Treuegebot begründet werden.83) Kein Gesetz i. S. d. § 243 Abs. 1 AktG ist der Deutsche Corporate Governance Kodex. 86 Mit dem Begriff der Satzung meint § 243 Abs. 1 AktG nur den formellen Satzungstext und auch hier nur die sog. echten Satzungsbestandteile.84) Bloße Beschlusslagen unterfallen dem Satzungsbegriff des § 243 Abs. 1 AktG nicht. Fraglich ist, ob Verstöße gegen Stimmbindungsverträge dem Satzungsverstoß gleichzustellen sind. Die Rechtsprechung bejaht dies für jene Fälle, in denen die Vereinbarung zwischen sämtlichen Gesellschaftern abgeschlossen wurde.85) 87 In engem Zusammenhang mit § 243 Abs. 1 AktG steht die Generalklausel des § 243 Abs. 2 AktG, die das Verfolgen von Sondervorteilen als besonderen Anfechtungsgrund normiert, sofern den negativ betroffenen Aktionären kein angemessener Ausgleich gewährt wird. Erkennt man mit der herrschender Meinung in der Verfolgung von Sondervorteilen einen Verstoß gegen den Grundsatz gleichmäßiger Behandlung (§ 53a AktG) und/oder das Treuegebot,86) so verbleibt für § 243 Abs. 2 AktG als Anfechtungsgrund kein praktisch relevanter Anwendungsbereich.
___________ 83) Zum Treuegebot als Anknüpfungspunkt richterlicher Rechtsfortbildung im Aktienrecht Zwissler, Treuegebot – Treuepflicht – Treuebindung, 2002, S. 71 f., 138 ff. 84) Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 68; MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, § 42 Rn. 44; a. A. Heidel, in: Heidel, AktG § 243 Rn. 8. 85) BGH NJW 1983, 1910, 1911 = ZIP 1983, 297. Zum Meinungsstand in der Literatur MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 243 Rn. 23 ff.; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 245 Rn. 30. 86) Zu diesem Verständnis des § 243 Abs. 2 AktG Hüffer/Koch, AktG, § 243 Rn. 30 f.; K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, § 243 Rn. 20; Bürgers/Körber/Göz, AktG, § 243 Rn. 10, 16.
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(3) Kasuistik der Anfechtungsgründe Die Kasuistik der Anfechtungsgründe ist umfangreich. Üblich ist die Unter- 88 scheidung zwischen Verfahrens- und Inhaltsfehlern sowie die Bildung von Unterfallgruppen zu diesen beiden Fehlerkategorien.87) Zu den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Verfahrensfehlern, die Gegenstand 89 von Anfechtungsklagen waren, gehörten zuletzt: x
Vorstandsbeschluss als Voraussetzung der Einberufung;88)
x
Einberufung durch nicht ordnungsgemäß besetzten Vorstand;89)
x
Bekanntmachung von Beschlussvorschlägen eines für den konkreten Beschlussvorschlag nicht zuständigen Organs;90)
x
fehlerhafte Angaben zum Ort der Hauptversammlung;91)
x
Wahrung der Einberufungsfrist;92)
x
Beschlussfassung zu nicht oder nicht hinreichend bekannt gemachten Tagesordnungspunkten;93)
x
fehlerhafte Bekanntmachung der Bedingungen für die Teilnahme und/oder die Ausübung des Stimmrechts;94)
x
Nichtzulassung von Aktionären zur Hauptversammlung;95)
x
fehlerhafte Bestimmung des Versammlungsleiters;96)
x
Redezeitbeschränkung ab Beginn der Versammlung;97)
x
Ermittlung des Abstimmungsergebnisses unter Verwendung des Subtraktionsverfahrens;98)
___________ 87) Diesem Systematisierungsschema folgend und mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung z. B. Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 90 ff., 149 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 243 Rn. 11 ff., 20 ff.; MünchHdb. GesR Bd. 7/Horcher, § 29 Rn. 133 ff., 149 ff. 88) BGH NJW 2002, 1128 = ZIP 2002, 172. 89) BGH NZG 2002, 817 = ZIP 2002, 216. 90) BGH NJW 2003, 970 = ZIP 2003, 290 (Wahl des Abschlussprüfers). 91) OLG Düsseldorf NZG 2003, 975. 92) OLG Frankfurt/M. AG 2008, 896. 93) OLG Düsseldorf NZG 2013, 546; BGH NJW 2003, 970 = ZIP 2003, 290. 94) BGH NZG 2011, 1105 = ZIP 2011, 1813. 95) BGH NZG 2009, 1270 = ZIP 2009, 2051. 96) BGH AG 2013, 278. 97) OLG Frankfurt/M. NZG 2015, 1357. 98) LG München I BeckRS 2016, 09369 = ZIP 2016, 973.
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x
fehlerhafte Feststellung des Beschlussergebnisses;99)
x
unzulässige Berücksichtigung treuwidriger Stimmen;100)
x
Verletzung von Informationspflichten, insbesondere Nichterteilung von Auskünften nach § 131 AktG.101)
90 Zu den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Inhaltsfehlern, die Gegenstand von Anfechtungsklagen waren, gehörten zuletzt: x
Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat bei Vorliegen von Gesetzesverstößen und/oder Interessenkonflikten;102)
x
fehlende sachliche Rechtfertigung bei Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss;103)
x
Verfolgung eines Sondervorteils durch Ausschluss von Minderheitsaktionären;104)
x
Verstoß gegen Treuepflichten;105)
x
Zustimmungsbeschluss zu einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bei anlassbezogener Negativplanung;106)
x
Delisting bei Fehlen eines Barabfindungsangebots.107)
(4) Anfechtungsausschlüsse 91 Vor allem im Bereich der Verfahrensfehler hat der Gesetzgeber verschiedentlich Korrekturen angebracht und die Anfechtbarkeit ausgeschlossen oder ein___________ 99) BGH ZIP 2014, 1677 und OLG Düsseldorf Beck RS 2013, 21114 (Missachtung von Stimmverboten nach § 136 AktG); BGH NZG 2009, 827 = ZIP 2009, 1317 (Verletzung von Mitteilungspflichten nach §§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4). 100) OLG Stuttgart AG 2000, 369, 371; BGH NJW 1988, 1579. 101) OLG München AG 2015, 677 = ZIP 2015, 731 (verweigerte Verlesung von Verträgen); BGH NZG 2014, 423 = ZIP 2014, 671 (Auskunft zu Einzelheiten von Optionsgeschäften); BGHZ 198, 354 = NJW 2014, 541 = ZIP 2013, 2454 (Detailfragen zu nebensächlichen Informationen); OLG Düsseldorf NZG 2013, 546 (fehlerhafte Entsprechenserklärung nach § 161 AktG); OLG Frankfurt/M. WM 2011, 221 = ZIP 2011, 24 (fehlerhafte Entsprechenserklärung nach § 161 AktG); BGH NZG 2010, 943 = ZIP 2010, 1437; BGH NZG 2009, 1270 = ZIP 2009, 2051 (fehlerhafte Entsprechenserklärung nach § 161 AktG); OLG Stuttgart AG 2006, 379 = ZIP 2006, 756 (fehlerhafter Bericht des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 2 AktG); BGHZ 160, 385 = NJW 2005, 828 = ZIP 2004, 2428 (Auskunft zu Vorgängen aus der Zeit vor dem Geschäftsjahr, für das die Entlastung beantragt ist); OLG Dresden AG 2003, 433 (Detailinformationen bei Veräußerung von Tochtergesellschaften). 102) BGH NJW 2012, 3235; BGH ZIP 2009, 2436. 103) OLG Köln ZIP 2014, 263; OLG Schleswig NZG 2004, 281. 104) BGH NJW 2009, 585. 105) OLG Düsseldorf AG 2003, 578; OLG Hamm AG 2010, 789. 106) OLG Stuttgart BeckRS 2015, 00278. 107) BGH AG 2013, 877 = ZIP 2013, 2254. Zum Delisting nunmehr § 39 BörsG.
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geschränkt (dazu unter (a)). Für Verfahrensfehler ergibt sich eine weitere Einschränkung durch das Kriterium der „Relevanz“ (dazu unter (b)). (a) Gesetzliche Ausschlusstatbestände Gesetzlich geregelt sind Ausschlusstatbestände für:
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x
Verfahrensfehler im Zusammenhang mit dem Einsatz elektronischer Kommunikation und Internet (§ 243 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AktG);
x
Gründe, die ein Verfahren nach § 318 Abs. 3 HGB rechtfertigen (§ 243 Abs. 3 Nr. 3 AktG);
x
bewertungsbezogene Informationsmängel, sofern die Bewertung Gegenstand eines Spruchverfahrens sein kann (§ 243 Abs. 4 Satz 3 AktG);
x
Verletzung von Publizitätspflichten des WpHG (§ 30g WpHG).
Einen generellen Anfechtungsausschluss enthält § 124 Abs. 4 Satz 3 AktG für 93 Beschlüsse über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder. Einen besonderen Ausschlusstatbestand regelt § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG. 94 Danach entfällt die Anfechtbarkeit bei Beschlüssen, die zu einem ungerechtfertigten Sondervorteil führen, wenn der Sondervorteil angemessen ausgeglichen wird.108) Einen weiteren besonderen Ausschlusstatbestand regelt § 257 Abs. 1 Satz 2 95 AktG. Danach kann die Anfechtung von in der Praxis ohnehin seltenen Beschlüssen über die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung nicht auf inhaltliche Mängel des Jahresabschlusses gestützt werden. (b) Anfechtungsausschluss bei fehlender Relevanz von Verfahrensfehlern Für Verfahrensfehler ergibt sich ein weiterer Ausschlusstatbestand durch das 96 Kriterium der „Relevanz“, welches für Verstöße gegen Informationspflichten gesetzlich anerkannt ist (§ 243 Abs. 4 Satz 1 AktG). Das Relevanzerfordernis gilt jedoch für alle Verfahrensverstöße und bedeutet inhaltlich, dass die Anfechtbarkeit bei solchen Verstößen ausgeschlossen ist, die auf die Willensbildung eines objektiv urteilenden Aktionärs keinen Einfluss haben.109) Auf die Frage, ob das Ergebnis ohne den Verfahrensverstoß anders ausgefallen wäre, kommt es nicht an.
___________ 108) Zur geringen praktischen Bedeutung des § 243 Abs. 2 AktG bereits oben Rn. 87. 109) Grundlegend BGHZ 149, 158 ff. = ZIP 2002, 172. Hieran anknüpfend BGH NZG 2010, 943 = ZIP 2010, 1437; BGHZ 160, 385 ff. = ZIP 2004, 2428. Zur Entwicklung der Relevanztheorie Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 85.
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(5) Heilung und Wegfall von Anfechtungsgründen durch Bestätigungsbeschluss 97 Eine der Vorschrift des § 242 AktG vergleichbare Regelung zur Heilung von Anfechtungsgründen kennt das AktG nicht. Das Interesse an der Herbeiführung von Rechtssicherheit wird hier vorrangig über die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG gewährleistet.110) 98 Liegt ein Anfechtungsgrund vor, kann die Hauptversammlung einen Bestätigungsbeschluss fassen.111) Ist dieser mangelfrei zustande gekommen, beseitigt er nach § 244 AktG einen etwaigen Anfechtungsmangel des Erstbeschlusses mit Wirkung ex nunc.112) Bezüglich der Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss tritt damit Erledigung ein.113) 99 Eine Wiederholung der Beschlussfassung in der selben Hauptversammlung kann einen Anfechtungsgrund nur dann beseitigen, wenn noch kein Teilnehmer der ursprünglichen Beschlussfassung die Hauptversammlung verlassen hat.114) Schließlich entfällt ein Anfechtungsgrund auch dann, wenn alle Anfechtungsberechtigten in Kenntnis des Anfechtungsgrundes zustimmen.115) 3. Allgemeine Feststellungsklage 100 Für die Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Beschlüssen steht als weitere Klagevariante die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO zur Verfügung. Die praktische Bedeutung ist jedoch gering. Die Gründe hierfür sind einerseits im Verhältnis zwischen allgemeiner Feststellungsklage und Nichtigkeitsklage zu suchen, andererseits darin, dass auch die allgemeine Feststellungsklage nicht voraussetzungslos erhoben werden kann. Kläger, die nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Erhebung der Nichtigkeitsklage berechtigt sind, können von vornherein nur im Wege der Nichtigkeitsklage vorgehen.116) Sonstige Dritte, denen die allgemeine Feststellungsklage dem Grunde nach offen steht; müssen nach allgemeinen Regeln ein Feststellungsinteresse i. S. d. § 256 ZPO nachweisen.117) Ein solches Interesse an der isolierten Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses ist aber nur in Ausnahmefällen denkbar.118) ___________ 110) Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 44. 111) Zu den inhaltlichen Anforderungen und zur Abgrenzung von der sogenannten Neuvornahme eines Beschlusses MünchHdb. GesR Bd. 7/Horcher, § 29 Rn. 180. 112) BGHZ 157, 206 = ZIP 2004, 310; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 244 Rn. 6; Wachter/ Epe, AktG § 244 Rn. 11. 113) Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 244 Rn. 4; MünchHdb. GesR Bd. 7/Horcher, § 29 Rn. 184. 114) Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 45. 115) Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243 Rn. 46. 116) BGHZ 70, 384, 388; MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 249 Rn. 7. 117) BGH AG 2009, 167. 118) Vgl. z. B. OLG Naumburg AG 1998, 430 f.: Kein Feststellungsinteresse des Betriebsrats bei Umwandlungsbeschluss AG in GmbH.
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Die besonderen Regeln der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtig- 101 keitsklage gelten für die allgemeine Feststellungsklage nicht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Gerichts, zur Vertretung der Gesellschaft, zu den Veröffentlichungspflichten und zur Streitwertbestimmung. Schließlich wirkt das Feststellungsurteil anders als bei der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage nicht inter omnes, sondern nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits. 4. Positive Beschlussfeststellungsklage In Fallkonstellationen, in denen ein vom Aktionär begehrter Beschluss zu 102 Unrecht abgelehnt wurde, bietet die kassatorische Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage keinen effektiven Rechtsschutz. Die Aufhebung des ablehnenden Beschlusses stellt lediglich einen Status her, wie er bereits vor der Beschlussfassung bestand, nicht jedoch jenen, der mit der Beschlussfassung hätte herbeigeführt werden sollen. Es entspricht daher allgemeiner Meinung, dass das aktienrechtliche System der Beschlussmängelklagen um die positive Beschlussfeststellungsklage als einer Klageart zu ergänzen ist, die eine positive Gestaltung der Beschlusslage ermöglicht.119) Die positive Beschlussfeststellungsklage kann nur gemeinsam mit der An- 103 fechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage erhoben werden. In prozessualer Hinsicht finden §§ 241 ff. AktG analoge Anwendung. Die positive Beschlussfeststellungsklage ist begründet, wenn die Nichtigkeit 104 des ablehnenden Beschlusses festgestellt oder der Beschluss für nichtig erklärt wurde und eine andere als die mit der positiven Beschlussfeststellungsklage beantragte Beschlussfassung nicht in Betracht kommt. 5. Freigabeverfahren Das Freigabeverfahren ist ein Eilverfahren eigener Art. Es ermöglich die Her- 105 beiführung der Bestandkraft von Beschlüssen, bevor über eine hiergegen gerichtete Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage120) entschieden ist. Ermöglicht wird insbesondere die Überwindung einer tatsächlichen oder faktischen Registersperre. Das Freigabeverfahren ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen statthaft, 106 d. h. bei Beschlüssen über x
Maßnahmen der Kapitalbeschaffung, der Kapitalherabsetzung oder einen Unternehmensvertrag (§ 246a Abs. 1 Satz 1 AktG),
x eine Eingliederung (§ 319 Abs. 6 AktG), ___________ 119) BGHZ 76, 191, 197 ff. Zur positiven Beschlussfeststellungsklage als Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung GroßKommAktG/K. Schmidt, § 246 Rn. 101 a. E. 120) Zur Statthaftigkeit des Freigebeverfahrens bei einer isoliert erhobenen Nichtigkeitsklage MünchKomm-AktG/Hüffer/Schäfer, § 246a Rn. 8.
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den Squeeze-Out (§§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG) und
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die Umwandlung (§ 16 Abs. 3 UmwG).
107 Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf andere Beschlüsse ist abzulehnen.121) a) Parteien und andere Verfahrensbeteiligte 108 Antragstellerin ist im Freigabeverfahren stets die Gesellschaft. Sie wird hierbei durch den Vorstand vertreten. 109 Antragsgegner sind die Kläger des Anfechtungs- und Nichtigkeitsverfahrens, das gegen den streitgegenständlichen Beschluss geführt wird. Nebenintervenienten des Anfechtungs- und Nichtigkeitsverfahrens zählen nicht zu den Antragsgegnern. 110 Der Beitritt zum Freigabeverfahren als Nebenintervenient ist bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen möglich. Das rechtliche Interesse nach § 66 ZPO wird bei Beteiligten des Anfechtungs- und Nichtigkeitsverfahrens stets, bei an diesem Verfahren unbeteiligten Personen nur im Ausnahmefall vorliegen.122) b) Verfahrenseinleitung, Anträge und Verfahren aa) Verfahrenseinleitung und Anträge 111 Das Freigabeverfahren wird eingeleitet durch einen Antrag, der bei dem sachlich und örtlich allein zuständigen Oberlandesgericht einzureichen ist, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§§ 246a Abs. 1 Satz 3, 319 Abs. 6 Satz 7 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 7 UmwG). 112 Der Antrag richtet sich gegen die Antragsgegner und ist in Anlehnung an den Wortlaut des § 246a AktG zu formulieren. Er lautet auf Feststellung, dass die im Antrag genau zu bezeichnende Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage der Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses in das Handelsregister nicht entgegensteht und Mängel des Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.123) 113 Die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner im Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsverfahren gelten stets auch für das Freigabeverfahren als vertretungs- und empfangsberechtigt (§ 246a Abs. 1 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 82, 83 Abs. 1 und 84 ZPO). ___________ 121) Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246a Rn. 13. 122) Weber/Kersjes, Hauptversammlungsbeschlüsse, § 3 Rn. 27. 123) Ausführliches Muster für den Antrag im Freigabeverfahren bei Möhrle, in: Happ/Groß, Aktienrecht, Muster 11.03.
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bb) Verfahrensgrundsätze (1) Verfahrensvorschriften Für das Freigabeverfahren gelten grundsätzlich die im ersten Rechtszug für 114 das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der ZPO entsprechend (§ 246a Abs. 1 Satz 2 AktG). Besonderheiten gelten jedoch insoweit, als x
eine Übertragung auf den Einzelrichter ausgeschlossen ist,
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das Gericht in dringenden Fällen auf eine mündliche Verhandlung verzichten kann,
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die Glaubhaftmachung von Tatsachen den Anforderungen an die Beweisführung genügt und
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die Entscheidung des Gerichts durch Beschluss erfolgt, wobei
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der Beschluss innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung ergehen soll
(§§ 246a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3, 319 Abs. 6 AktG, § 16 Abs. 3 UmwG). (2) Darlegungs- und Beweislast Für die Darlegungs- und Beweislast bzw. die Last der Glaubhaftmachung 115 gelten die allgemeinen Regeln. Findet eine mündliche Verhandlung statt, so sind in dieser nur präsente Beweismittel statthaft. Hierzu zählen insbesondere die Vorlage von Originalurkunden und die Versicherung an Eides statt.124) (3) Verfahrensbeendigung Das Verfahren endet grundsätzlich durch positiven oder negativen Beschluss. 116 Es kann aber außer durch Beschluss auch durch Vergleich, Anerkenntnis oder Rücknahme des Antrags beendet werden.125) (4) Rechtswirkungen der gerichtlichen Entscheidung Besonderheiten gelten in Bezug auf die Rechtswirkungen des Beschlusses:
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(a) Positive Freigabeentscheidung Eine positive Freigabeentscheidung wirkt nicht nur für und gegen jedermann. 118 Sie bindet vielmehr auch das Registergericht (§ 246 Abs. 3 Satz 5 Halbs. 1 AktG), so dass eine etwaige tatsächliche oder faktische Registersperre durchbrochen wird.126) ___________ 124) MünchHdb. GesR Bd. 4/Austmann, 42 Rn. 158; Hüffer/Koch, AktG, § 246a Rn. 24. Aus der Rechtsprechung: OLG Düsseldorf AG 2009, 538, 540 = ZIP 2009, 518. 125) Weber/Kersjes, Hauptversammlungsbeschlüsse, § 3 Rn. 70 f. 126) Zur Reichweite der Bindungswirkung Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246a Rn. 36 f.
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(b) Ablehnender Beschluss 119 Ein ablehnender Beschluss bindet das Registergericht nicht, so dass zumindest in den Fällen der faktischen Registersperre eine Eintragung möglich bleibt.127) cc) Kosten und Streitwert 120 Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 91 ff. ZPO. Sie ist zwingender Teil der gerichtlichen Entscheidung. 121 Bezüglich der Streitwertbemessung gilt § 247 AktG entsprechend (§§ 246a Abs. 1 Satz 2, 319 Abs. 6 Satz 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 2 UmwG). dd) Rechtsmittel 122 Die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Freigabeverfahren ist unanfechtbar (§§ 246a Abs. 3 Satz 4, 319 Abs. 6 Satz 9 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 9 UmwG). Ein Rechtmittel ist nicht gegeben. Bei ablehnendem Beschluss kann die Gesellschaft nur dann ein neues Freigabeverfahren anstrengen, wenn wesentlich neue Tatsachen eingetreten sind.128) ee) Schadensersatzanspruch der Antragsgegner 123 Antragsgegner, die im Freigabeverfahren unterliegen, später aber mit der Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage gegen den aufgrund der Entscheidung im Freigabeverfahren bestandskräftig gewordenen Beschluss erfolgreich sind, haben Anspruch auf Schadensersatz nach § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG. Entgegen den allgemeinen Regelungen des Schadensrechts kann der Berechtigte jedoch keine Naturalrestitution verlangen (§ 246a Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG). Der mit dem Freigabeverfahren bezweckte Bestandsschutz hat insoweit Vorrang. c) Begründetheit 124 Der Freigabeantrag ist begründet, wenn einer der gesetzlich abschließend geregelten Freigabegründe vorliegt. Freigabegründe sind: x
Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungsund/oder Nichtigkeitsklage (§§ 246a Abs. 2 Nr. 1, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 UmwG);
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fehlender Nachweis einer Mindestbeteiligung durch die Kläger der Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage (§§ 246a Abs. 2 Nr. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 UmwG);
___________ 127) Vgl. Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246a Rn. 39 mit zutreffendem Hinweis darauf, dass eine solche Eintragung nicht den mit der Freigabeentscheidung verbundenen Bestandsschutz genießt. 128) OLG München NZG 2013, 459, 460 = ZIP 2012, 2439.
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Bestehen eines vorrangigen Vollzugsinteresses der Gesellschaft bei gleichzeitiger Abwesenheit eines besonders schweren Rechtsverstoßes (§§ 246a Abs. 2 Nr. 3, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG).
Der in der Praxis häufigste Grund für einen positiven Freigabebeschluss ist 125 die offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage.129) Offensichtlich unbegründet ist die Klage dann, wenn ihr Scheitern mit Sicherheit vorhersehbar ist.130) Dies ist auch dann der Fall, wenn sich dieses Ergebnis nicht schon bei kursorischer, sondern erst bei vollständiger Prüfung der Rechtslage ergibt. Umstritten ist, ob das Gericht ein Scheitern der Klage sicher vorhersehen kann, wenn es bei dieser auf eine Rechtsfrage ankommt, die noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war.131) Richtigerweise darf es bei der Frage nach der Vorhersehbarkeit des Scheiterns einer Klage jedoch nicht auf das formale Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidung ankommen, sondern ausschließlich auf die Evidenz der Richtigkeit der zugrunde gelegten Rechtsmeinung. 6. Einstweiliger Rechtsschutz Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sind grundsätzlich möglich. Die 126 Anforderungen an den Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund sind allerdings hoch. Dies gilt besonders für Maßnahmen im Vorfeld der Beschlussfassung, die auf die Verhinderung mangelhafter Beschlussfassungen abzielen. a) Verhinderung mangelhafter Beschlussfassung Als Maßnahmen im Vorfeld der Beschlussfassung kommen vor allem Verfü- 127 gungen in Betracht, die sich gegen eine bestimmte Stimmabgabe durch einen Aktionär wenden. Richtiger Antragsgegner ist in diesen Fällen nicht die Gesellschaft, sondern der stimmberechtigte Aktionär. Der Verfügungsgrund kann mitgliedschaftlicher oder schuldrechtlicher Natur sein, etwa bei Bestehen einer Stimmbindungs- oder Aktionärsvereinbarung. Die Gerichte sind mit Verfügungen dieser Art jedoch sehr zurückhaltend.132) Voraussetzung ist stets, dass effektiver Rechtsschutz im Nachgang zur eigentlichen Beschlussfassung nicht mehr erlangt werden kann. Dies ist bei eintragungsbedürftigen Beschlüssen nie,133) bei nicht eintragungsbedürftigen Beschlüssen nur sehr selten der Fall. ___________ 129) Vgl. Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329, 2349. 130) OLG München AG 2012, 45 = ZIP 2011, 2199. 131) Zum Meinungsstand Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246a Rn. 24 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 246a Rn. 17. 132) Aus der Rechtsprechung zur AG: OLG München NZG 2007, 152; zur GmbH: OLG Düsseldorf NZG 2005, 633; OLG Stuttgart GmbHR 1997, 312; OLG Hamburg NJW 1992, 186. 133) Vorsichtig a. A. in Fällen, in denen das Freigabeverfahren nach § 246a AktG greift, Kort, NZG 2007, 169, 171.
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b) Verhinderung der Durchführung mangelhafter Beschlüsse 128 Weniger streng als bei der Verhinderung einer mangelhaften Beschlussfassung sind die Anforderungen an die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes bei (Sicherungs-)Maßnahmen gegen die Durchführung mangelhafter Beschlüsse. Denkbar sind hier Verfügungen, die sich auf die Unterlassung der Anmeldung von Beschlüssen zur Eintragung in das Handelsregister, die Unterlassung sonstiger Vollzugsmaßnahmen oder auf Untersagung der Eintragung in das Handelsregister richten. Erforderlich sind diese Maßnahmen freilich nur dann, wenn nicht schon das Gesetz eine Registersperre anordnet.134) Spätestens dann, wenn die Gesellschaft ein Freigabeverfahren einleitet, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für Maßnahmen des einstweiligen Rechtschutzes.135) c) Durchführung zu Unrecht abgelehnter Beschlüsse 129 Denkbar sind Verfügungen, die auf die Durchführung solcher Beschlüsse zielen, die in der Hauptversammlung zu Unrecht abgelehnt wurden und im Hauptsacheverfahren im Wege der positiven Beschlussfeststellungsklage festzustellen sind. Die Anforderungen an die im Rahmen des Verfügungsgrundes glaubhaft zu machende Dringlichkeit sind jedoch hoch. 7. Spruchverfahren 130 Das Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz (SpruchG) ist ein besonderer Rechtsbehelf für Aktionäre, die aufgrund bestimmter strukturändernder Maßnahmen Anspruch auf eine Kompensationsleistung haben. Typische Fälle sind der Ausgleichsanspruch bei Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen und der Barabfindungsanspruch bei einem SqueezeOut. Darüber hinaus findet das Spruchverfahren Anwendung auf Zuzahlungsund Abfindungsansprüche aufgrund bestimmter Umwandlungsvorgänge.136) 131 Das Spruchverfahren ist ein Instrument zum Ausgleich des Vollzugsinteresses der Gesellschaft und ihrer Mehrheitsaktionäre auf der einen und dem Vermögensinteresse der Minderheitsaktionäre auf der anderen Seite. Der Streit um die Angemessenheit der Kompensationsleistung wird dem Beschlussmängelverfahren entzogen und dem insoweit eigenständigen Spruchverfahren zugewiesen. 132 Prozessual richtet sich das Spruchverfahren nach den Regeln des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen ___________ 134) Zu diesen Fällen oben Rn. 105 f. 135) MünchKomm-AktG/Hüffer, 3. Aufl., § 246a Rn. 39; Weber/Kersjes, Hauptversammlungsbeschlüsse, § 4 Rn. 9; a. A. K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, § 246a Rn. 36. 136) Vgl. § 1 SpruchG. Barabfindungen aufgrund von Erwerbsangeboten, die im Zusammenhang mit einem Delisting oder Downgrading unterbreitet werden, sind seit Inkrafttreten des Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie Umsetzungsgesetzes vom 20.11.2015 nicht mehr Gegenstand des Spruchverfahrens. Zur Neuregelung des Delisting in § 39 Abs. 2 BörsG und zum Rechtsschutz bei Streit über die Angemessenheit der Abfindung: Bayer, NZG 2015, 1169, 1177.
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Gerichtsbarkeit (FamFG), dies allerdings nicht uneingeschränkt, sondern modifiziert und ergänzt durch Sonderregelungen des Spruchverfahrensgesetzes.137) a) Parteien und andere Verfahrensbeteiligte aa) Antragsteller Antragsteller im Spruchverfahren kann grundsätzlich jeder Aktionär sein, 133 der aufgrund der strukturändernden Maßnahme Anspruch auf eine Kompensationsleistung hat. Das Spruchgesetz definiert in § 3 SpruchG für jeden der in § 1 SpruchG genannten Fälle, wer konkret Antragsteller sein kann. Für die ungeschriebenen Anwendungsfälle des Spruchverfahrens ist der Kreis der Antragsteller anhand des Zwecks des Verfahrens zu ermitteln. bb) Antragsgegner Antragsgegner ist im Spruchverfahren stets der Schuldner der Kompensati- 134 onszahlung, deren Höhe zur Überprüfung gestellt wird. Für die in § 1 SpruchG genannten Fälle sind die jeweiligen Anspruchsgegner in § 5 SpruchG konkret benannt. Für die ungeschriebenen Anwendungsfälle des Spruchverfahrens ist der Antragsgegner anhand des Zwecks des Verfahrens zu ermitteln. cc) Gemeinsamer Vertreter Alle Antragsberechtigten, die nicht selbst als Antragsteller am Verfahren teil- 135 haben, werden durch einen gemeinsamen Vertreter repräsentiert. Dieser wird seitens des Gerichts von Amts wegen bestellt und hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (§ 6 Abs. 1 SpruchG). b) Antragstellung, Anträge und Verfahren aa) Antragstellung und Anträge Das Spruchverfahren wird eingeleitet durch Schriftsatz an das zuständige 136 Gericht. Dabei ist umstritten, welchen inhaltlichen Anforderungen die Antragschrift genügen muss.138) Zum Mindestinhalt zählt in jedem Fall mindestens eine konkrete Bewertungsrüge i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 4 SpruchG.139) Der Antrag im Spruchverfahren lautet auf Festsetzung eines angemessenen 137 Ausgleichs bzw. einer angemessenen Abfindung oder Zuzahlung. Einen kon___________ 137) Vgl. § 17 Abs. 1 SpruchG. 138) Zum Meinungsstand MünchKomm-AktG/Kubis, SpruchG § 4 Rn. 12 ff.; Krenek, in: Mehbrey, § 97 Rn. 39 ff. 139) Im Hinblick auf die dreimonatige Antragsfrist des § 4 Abs. 1 SpruchG, die ähnlich wie die Anfechtungsfrist zumindest auch als materiell-rechtliche Ausschlussfrist zu verstehen ist, sollte bereits die Antragschrift alle in formeller und materiell-rechtlicher Hinsicht bedeutsamen Angaben enthalten. Zur Doppelnatur der Antragsfrist Weber/ Kersjes, Hauptversammlungsbeschlüsse, § 5 Rn. 112, 124.
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kreten Betrag muss der Antrag nicht nennen. In Anträgen häufig anzutreffen ist allerdings die Angabe eines Mindestbetrages als Untergrenze dessen, was als angemessen gelten soll. Die Antragsfrist beträgt drei Monate ab Bekanntmachung der registergerichtlichen Eintragung der Strukturmaßnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SpruchG). bb) Verfahrensgrundsätze 138 Das Verfahren ist als streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach den Regeln des FamFG und hier insbesondere der §§ 17 i. V. m. 26 FamG ausgestalten. Es unterliegt in weitem Umfang der Disposition der Beteiligten.140) Der für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sonst typische Amtsermittlungsgrundsatz gilt im Spruchverfahren nur eingeschränkt.141) c) Begründetheit 139 Im Mittelpunkt des Streits um die Angemessenheit der Kompensationsleistung steht die Bewertungsrüge des Antragsstellers142) und in der Folge eine Unternehmensbewertung. Die hierbei anzulegenden Maßstäbe sind Gegenstand einer intensiven und interdisziplinär geführten Diskussion über Bewertungsmethoden und Bewertungsparameter. Insoweit ist auf die einschlägige Spezialliteratur zu verweisen.143) In der Praxis entscheiden die Gerichte regelmäßig auf der Basis eines Gutachtens, das im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 26 FamFG eingeholt wird. 8. Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten Die Schiedsfähigkeit aktienrechtlicher Beschlussmängelstreitigkeiten ist nach herrschender Meinung zumindest aus praktischen Gründen nicht gegeben: 140 Satzungsmäßige Schiedsklauseln verstoßen gegen die Regelung in § 23 Abs. 5 AktG i. V. m. § 246 AktG und sind dementsprechend als Satzungsbestandteil einer Aktiengesellschaft unzulässig.144) 141 Die als Alternative zur satzungsmäßigen Schiedsabrede diskutierte Verankerung von Schiedsabreden in Nebenvereinbarungen der Aktionäre untereinander145) sind für Publikumsgesellschaften ungeeignet. In personalistischen Aktiengesellschaften sind sie denkbar, in der Praxis aber wenig gebräuchlich. ___________ Krenek, in: Mehbrey, § 97 Rn. 1 f. MünchKomm-AktG/Kubis, SpruchG § 17 Rn. 1 f. Vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 4 SpruchG. Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., 2012; Weber/Kersjes, Hauptversammlungsbeschlüsse, § 5 Rn. 2, 133 ff.; MünchKomm-AktG/Paulsen, § 305 Rn. 71 ff., 79 ff., 145. 144) Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246 Rn. 10; Hüffer/Koch, AktG, § 246 Rn. 18; Wachter/ Epe, AktG, § 246 Rn. 8. 145) Spindler/Stilz/Dörr, AktG, § 246 Rn. 11; MünchHdb. GesR Bd. 7/Wilk, § 29 Rn. 23 f. 140) 141) 142) 143)
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II. Beschlussmängelklage GmbH 1. Einleitung a) Klageformen Philipp Göz
Die geringere Regelungsdichte des GmbH-Rechts im Vergleich zum Aktien- 142 recht wirkt sich im Beschlussmängelrecht in verschiedener Hinsicht aus: x
Die fehlenden gesetzlichen Vorgaben bei der GmbH zur Beschlussfeststellung146) führt in einer Vielzahl von Fällen dazu, dass die Feststellung eines bestimmten Beschlussinhalts unterbleibt und daher bereits das Bestehen eines Beschlusses streitig ist. In diesem Fall zielt der gerichtliche Rechtsschutz auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Beschlusses ab; zutreffende Klageform ist dann die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO.147)
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Liegt ein inhaltlich hinreichend bestimmter Beschluss der Gesellschafterversammlung vor, wird die im GmbH-Recht fehlende Regelung zu Beschlussmängelstreitigkeiten dadurch geschlossen, dass die §§ 241 – 256 AktG auf die GmbH analog angewandt werden.148)
b) Existenz eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung Für die maßgebliche Weichenstellung – allgemeine Feststellungsklage nach 143 § 256 ZPO vs. Beschlussmängelklage analog §§ 241 ff. AktG – ist somit die Frage entscheidend, ob ein hinreichend bestimmter Beschluss existiert. Nur im Fall einer Beschlussfassung existieren zum einen ein Gegenstand einer Beschlussmängelklage und zum anderen eine vorläufig gültige Regelung, die dann ggf. im Wege einer Beschlussmängelklage kassiert werden kann. Unproblematisch ist das Vorliegen eines Beschlusses, wenn ein durch den 144 Gesellschaftsvertrag bestimmter oder aufgrund einstimmigen Beschlusses der Gesellschafterversammlung gewählter Versammlungsleiter einen Beschluss festgestellt und in einem von ihm zu unterzeichnenden Protokoll festgehalten und verkündet hat. ___________ 146) Vgl. hierzu im Aktienrecht § 130 AktG. 147) BGHZ 76, 154, 157 = NJW 1980, 1527, 1528; BGH ZIP 1995, 1982 = NJW 1996, 259; BGH ZIP 1999, 656 = NJW 1999, 2268; BGH NZG 2008, 317, 318 (Rn. 22); BGH NZG 2009, 1307 (Rn. 19). 148) Ständige Rechtsprechung, BGHZ 36, 207, 210 f. = NJW 1954, 385; BGH NJW 1962, 538; BGHZ 51, 209, 210 = NJW 1969, 841, 842; BGHZ 134, 364, 365 f. = ZIP 1997, 732 = NJW 1997, 1510, 1511; BGHZ 104, 66 = NJW 1988, 1844; BGH ZIP 2003, 116 = NZG 2003, 127, 128; BGH NZG 2008, 317, 318; BGH GmbHR 2016, 587, 588; ebenso die h. L. MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 1; Baumbach/Hueck/ Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 44, 81; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 3; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 21.
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145 Ausreichend ist nach herrschender Meinung, wenn der Versammlungsleiter nicht einstimmig, sondern lediglich durch Mehrheitsbeschluss bestellt worden ist.149) Ebenso ist der Fall zu beurteilen, dass der Versammlungsleiter zwar nicht ausdrücklich gewählt, jedoch seine Verhandlungsführung von den Gesellschaftern akzeptiert wird.150) Auch ohne Versammlungsleiter kann ein hinreichend bestimmter Beschluss vorliegen, wenn sich alle Gesellschafter entweder zunächst hinsichtlich eines Beschlussergebnisses einig sind oder ein Protokoll, das eine Beschlussfassung festhält, unterzeichnen.151) 146 Anderes gilt, wenn im Gesellschafterkreis verschiedene Protokollversionen kursieren. Bedenken bestehen auch, wenn lediglich die abgegebenen Stimmen festgehalten, nicht jedoch ein Beschluss verkündet wird; in diesem Fall geht häufig nicht klar hervor, ob die abgegebenen Stimmen gültig und ein Beschluss gefasst bzw. abgelehnt worden ist.152) Wurde von einer gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Protokollierung abgesehen, hängt die wirksame Beschlussfassung von der Frage ab, ob die Protokollierung lediglich Nachweisfunktion oder aber Wirksamkeitsbedingung sein soll.153) 147 Die vorstehenden Grundsätze sind auch auf eine schriftliche Beschlussfassung nach § 48 Abs. 2 GmbHG übertragbar; in diesem Fall ist für das Bestehen eines Beschlusses erforderlich, dass ein Leiter der schriftlichen Abstimmung ein Beschlussergebnis feststellt und den Gesellschaftern verkündet.154) 2. Beschlussmängelklage analog §§ 241 ff. AktG a) Anwendungsbereich 148 Liegt ein entsprechend den vorstehenden Ausführungen unter 1 b) Rn. 143 hinreichend bestimmter Beschluss der Gesellschafterversammlung vor, so können Beschlussmängel im Wege der Beschlussmängelklage nach §§ 241 ff. AktG analog geltend gemacht werden. Für Beschlüsse anderer Organe wie insbesondere im Fall des Aufsichtsrates gilt im Aktienrecht, dass deren Beschlüsse nicht nach den §§ 241 ff. AktG, sondern nur im Wege der allgemei___________ 149) BGH NZG 2009, 1307, 1308 (Rn. 15) = ZIP 2009, 2195; OLG München GmbHR 2005, 624; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 48 Rn. 18; MünchKomm-GmbHG/ Liebscher, § 48 Rn. 107; Scholz/K. Schmidt/Seibt, GmbHG, § 48 Rn. 33; Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 102; Ulmer/Habersack/Löbbe/Hüffer/ Schürnbrand, GmbHG, § 48 Rn. 29; MünchHdb. GesR Bd. 3/Wolff, § 39 Rn. 82; a. A. (nur einstimmig) OLG Frankfurt/M. NZG 1999, 406; OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 1930 = GmbHR 2009, 378; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 120; § 48 Rn. 16. 150) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 102. 151) BGH NZG 2008, 317, 318 (Rn. 24 f.) = ZIP 2008, 757; BayObLG ZIP 2001, 70 = NZG 2001, 128; OLG Dresden NZG 2001, 809; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 177; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 38. 152) BGH NJW 1980, 1527; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 38. 153) MünchHdb. GesR Bd. 3/Wolff, § 39 Rn. 86; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 48 Rn. 18; MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 48 Rn. 132. 154) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 105.
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nen Feststellungsklage angefochten werden können.155) Dies gilt grundsätzlich auch im GmbH-Recht; allerdings wird in Abweichung von diesem Grundsatz die Anwendbarkeit der §§ 241 ff. AktG auch für solche Beschlüsse anderer Organe wie z. B. einem Beirat oder Aufsichtsrat befürwortet, wenn diese Organe Befugnisse wahrnehmen, die ihnen durch den Gesellschaftsvertrag von der Gesellschafterversammlung übertragen wurden. Mit der Übertragung solcher Befugnisse sei kein Verzicht auf deren gerichtlicher Überprüfung durch die Gesellschafter verbunden.156) Überzeugender erscheint, entgegen der herrschenden Meinung, in diesem Fall die aktienrechtlichen Grundsätze uneingeschränkt anzuwenden und somit von der Anwendbarkeit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO auszugehen. Dem Rechtsschutzgedanken der herrschenden Meinung kann dadurch Rechnung getragen werden, dass auch nach einer Übertragung von Kompetenzen der Gesellschafterversammlung ein Feststellungsinteresse der Gesellschafter angenommen wird.157) b) Verfahrensrechtliche Regelungen aa) Gemeinsame Regelungen für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen (1) Entsprechende Geltung aktienrechtlicher Grundsätze Die analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG im GmbH-Recht hat zur Fol- 149 ge, dass im Grundsatz die wesentlichen, sowohl für die Nichtigkeits- als auch für die Anfechtungsklage bei der Aktiengesellschaft geltenden verfahrensrechtlichen Regelungen auch auf die GmbH anwendbar sind. Wie bei der Aktiengesellschaft haben daher auch bei der GmbH die Nichtigkeits- und die Anfechtungsklage einen einheitlichen Streitgegenstand.158) Die Beschlussmängelklage analog der §§ 241 ff. AktG ist auch bei der GmbH gegen die Gesellschaft (und nicht gegen die Gesellschafter) zu richten, § 246 Abs. 2 Satz 1 AktG analog. Zuständiges Gericht ist ausschließlich das Landgericht am Sitz der Gesellschaft, § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG analog. Funktionell zuständig ist die Kammer für Handelssachen, § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG analog; mehrere Beschlussmängelklagen sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden, § 246 Abs. 3 Satz 6 AktG analog. Wird ein Beschluss durch ein rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt, so wirkt diese Entscheidung auch bei der GmbH analog § 248 Abs. 1 Satz 1 inter omnes. Die Geschäftsführung hat ein solches Urteil unverzüglich zum Handelsregister ___________ 155) BGHZ 122, 342, 349 ff. = NJW 1993, 2307, 2309 = ZIP 1993, 1079; BGHZ 135, 244, 247 = ZIP 1997, 883 = NJW 1997, 1926; BGHZ 164, 249, 253 = NJW 2006, 374, 375; MünchKomm-AktG/Habersack, § 108 Rn. 81. 156) BGHZ 43, 261, 265 = NJW 1965, 1378; OLG Schleswig ZIP 2003, 1703 = NZG 2003, 821; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 293 f.; Rowedder/SchmidtLeithoff/Koppensteiner/Gruber, GmbHG, § 45 Rn. 20. 157) Zutreffend: Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 208; Michalski/ Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 625. 158) Vgl. hierzu I Rn. 2.
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einzureichen.159) Entsprechend der Aktiengesellschaft besteht auch die Möglichkeit einer Nebenintervention. Begehrt ein Kläger die Feststellung, dass statt eines ablehnenden (negativen) Beschlusses ein (positiver) Beschluss gefasst wurde, steht ihm wie im Aktienrecht der Weg der positiven Beschlussfeststellungsklage offen.160) (2) Abweichungen zum Aktienrecht 150 Die gem. § 246 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3, 4 AktG zur Durchführung dieser Konzentrationsvorschrift erlassenen Rechtsverordnungen der Länder, wonach aktienrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten für die Bezirke mehrerer Landgerichte einem Landgericht übertragen werden können, sind nicht analog auf die GmbH anwendbar.161) 151 Abweichend von der AG wird die GmbH in einem Beschlussmängelstreit nicht durch Vorstand und Aufsichtsrat (§ 246 Abs. 2 Satz 2 AktG), sondern allein durch die Geschäftsführung vertreten. Dies gilt auch dann, wenn die GmbH über einen Aufsichtsrat verfügt.162) Im Stadium der Liquidation wird die GmbH allein durch die Liquidatoren vertreten.163) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt wie bei der AG, dass die Gesellschaft durch den Verwalter vertreten wird, wenn ein Erfolg der Beschlussmängelklage zu einer Verringerung oder Erhöhung der Insolvenzmasse führt; hat die Beschlussmängelklage dagegen keine Auswirkungen auf die Masse, verbleibt es bei der Vertretung (allein) durch die Geschäftsführer.164) 152 Klagt ein Gesellschafter/Geschäftsführer, der entweder einziger Geschäftsführer der Gesellschaft ist oder neben dem keine weiteren allein oder gemeinsam (ohne ihn) vertretungsberechtigten Geschäftsführer existieren, müssen die (übrigen) Gesellschafter einen besonderen Vertreter nach § 46 Nr. 8 GmbHG bestellen. Hat die Gesellschaft dagegen einen Aufsichtsrat, vertritt dieser
___________ 159) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 281; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 179; Rensen, Rn. 442; a. A. nur, wenn auch der nichtige Beschluss einzutragen war. Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 36; Scholz/ K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 170. 160) BGH NJW 1986, 2051, 2052 = ZIP 1986, 429; BGH NZG 2009, 1307, 1308 = ZIP 2009, 2195; OLG München NZG 2015, 66; zur positiven Beschlussfeststellungsklage siehe oben I Rn. 102 ff. 161) Henssler/Strohn/Drescher, AktG § 246 Rn. 36; BeckOK GmbHG/Leinekugel, 20. Ed., Beschlussanfechtung, Rn. 182; LG Stuttgart, Beschl. v. 20.2.2013 – 34 O 7/13, KFH (n. v.). 162) BGH NJW 1962, 538; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 149; Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 32; Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 218. 163) BGH NJW 1962, 538. 164) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 214.
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entsprechend aktienrechtlichen Grundsätzen (§ 112 AktG) die GmbH.165) Unterbleibt dies, bestellt auf Antrag des Klägers das Prozessgericht analog § 57 ZPO einen Prozesspfleger oder das Registergericht analog § 29 BGB einen Notgeschäftsführer.166) Die Zustellung der Klage bei dem (ausschließlich) als Vertreter der beklagten Gesellschaft benannten, selbst klagenden Gesellschafter/Geschäftsführer ist unwirksam, wenn auch kein anderer Geschäftsführer Kenntnis von der Klage erhalten hat.167) Wird dagegen mit der Klage eine Bestellung eines Geschäftsführers angegriffen, so ist der betreffende Geschäftsführer dennoch vertretungsberechtigt.168) Bei einer Klage gegen wechselseitige Abberufungsbeschlüsse zweier Gesellschafter/Geschäftsführer wird die GmbH durch den jeweils abberufenen Geschäftsführer bei der Klage des anderen Geschäftsführers vertreten.169) Bei einer infolge Fehlens der Geschäftsführung bestehenden Führungslosigkeit kann den Gesellschaftern zwar nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG die Klage zugestellt werden. Aber aufgrund der trotz § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG bestehenden fehlenden Prozessführungsbefugnis der führungslosen Gesellschaft kann die mangelnde Prozessführungsbefugnis nur durch die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 Abs. 1 ZPO bzw. eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB behoben werden. Ohne deren Bestellung kann auch kein Versäumnisurteil gegen die Gesellschaft ergehen.170) Wie bei der Aktiengesellschaft besteht eine Pflicht zur Information der Ge- 153 sellschafter von der Erhebung einer Beschlussmängelklage (§ 246 Abs. 4 AktG). Diese ist bei der GmbH aber nicht durch eine Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern zu erfüllen. Erforderlich ist die Information der Gesellschafter durch die Geschäftsführung.171) ___________ 165) Dies gilt sowohl bei einem obligatorischen wie auch, dann allerdings abdingbar, einem fakultativen Aufsichtsrat, BGH DStR 2007, 1358, 1359, BGH NZG 2008, 104, 105 = ZIP 2008, 117; Lutz, NZG 2015, 424, 426. 166) Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 492; Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. 47 Rn. 218. 167) OLG München NZG 2004, 422; zur Klagebefugnis des Fremdgeschäftsführers siehe unten II Rn. 160. 168) BGH ZIP 1981, 182 = NJW 1981, 1041; KG GmbHR 1997, 1001: Unterstellt wird die Situation im Fall des Obsiegens der Gesellschaft; im Fall einer angegriffenen Abberufung ist der betreffende Gesellschafter nicht vertretungsbefugt, MünchKommGmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 215; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 493. 169) Lutz, NZG, 2015, 424, 426. 170) BGH NZG 2011, 26 f.; MünchKomm-GmbH/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 216, Rensen, Rn. 340. 171) BGH NJW 1986, 2051, 2052 f. = ZIP 1986, 429; OLG Düsseldorf GmbHR 2000, 1050, 1052, MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 221 ff. mit dem Hinweis, dass die Information die Frist des § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG für die Nebenintervenienten auslöst; Rensen, Rn. 2346 ff., auch zur Pflicht des Gerichts, bei Verweisen auf ein Unterbleiben dieser Information durch den Geschäftsführer die Information selbst vorzunehmen.
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bb) Spezifische Fragen zur Anfechtbarkeit 154 Wichtige Unterschiede im Vergleich zur AG liegen insbesondere in der fehlenden analogen Anwendung der einmonatigen Klagefrist (§ 246 Abs. 1 AktG) sowie der Regelung zur Anfechtungsbefugnis (§ 245 AktG). Wie bei der AG sind die Klagefrist und die Anfechtungsbefugnis materielle Klagevoraussetzung, so dass eine Versäumung der Klagefrist bzw. eine fehlende Anfechtungsbefugnis auch bei der GmbH zur Abweisung der Klage als unbegründet führen.172) (1) Klagefrist 155 Die Rechtsprechung lehnt einerseits eine analoge Anwendung der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG für die GmbH ab, betont andererseits aber die Pflicht, dass Gesellschafter Anfechtungsklagen mit zumutbarer Beschleunigung erheben müssen und die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG hierfür grundsätzlich als Maßstab anzusehen ist.173) Die Ablehnung der analogen Anwendung einerseits, die Heranziehung als Maßstab andererseits führt zu verschiedenen Unklarheiten bezüglich (i) dem Beginn der Klagefrist sowie (ii) den Gründen, die eine Verlängerung dieser Frist im Einzelnen rechtfertigen. Angesichts dieser Unsicherheit empfiehlt sich die Klageerhebung innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung.174) 156 Die mittlerweile herrschende Auffassung stellt hinsichtlich des Beginns der Klagefrist, anders als bei der AG, nicht auf die Beschlussfassung, sondern auf deren Kenntnisnahme ab.175) Während für den bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung anwesenden Gesellschafter damit die Frist mit der Beschlussfassung zu laufen beginnt, erhält der abwesende Gesellschafter grundsätzlich Kenntnis erst mit Zugang des Protokolls der Gesellschafterversammlung. Insoweit kann für den Gesellschafter, der Kenntnis von der Gesellschafterversammlung und der in der Einladung enthaltenen Tagesordnungspunkte hat, eine Pflicht bestehen, sich über den Inhalt eventueller Beschlussfassungen in Kenntnis zu setzen.176) 157 Nach der Rechtsprechung können zwingende Umstände, die den Gesellschafter an einer früheren klageweisen Geltendmachung hindern, die Monatsfrist verlängern. Als hierfür in Betracht kommende Gründe werden insbesondere ___________ 172) Für die Klagefrist vgl. BGH NJW-RR 2006, 1110, 1112; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 382, 471 (für Anfechtungsbefugnis). 173) BGH NJW 1998, 1559, 1561 = ZIP 1998, 467; BGH NZG 2005, 551, 553 = ZIP 2005, 985; BGH NZG 2009, 1110 = ZIP 2009, 1880. 174) Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 143. 175) OLG Hamm BB 1992, 33, 34; OLG Hamm NZG 2003, 630; OLG Brandenburg NZG 1999, 828, 830; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 62; Ulmer/ Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 201; a. A. Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 468 ff.; MünchHdb. GesR Bd. 3 GmbH/Wolff, § 40 Rn. 75. 176) OLG Hamm NJW-RR 2001, 108, 109; OLG Hamm NZG 2003, 630, 631.
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schwierige tatsächliche und rechtliche Fragen oder Verhandlungen über die Änderung des beanstandeten Beschlusses genannt.177) Angesichts der sich zunehmend stärker an der Monatsfrist orientierenden Rechtsprechung ist jedoch im Einzelfall ungewiss, welche Gründe als hinreichend zwingend für eine Verlängerung der Monatsfrist herangezogen werden können.178) Die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG ist eine Mindestfrist. Regelungen im 158 Gesellschaftsvertrag einer GmbH können eine längere, nicht jedoch eine kürzere Frist vorsehen.179) Wie bei der AG wird die Klagefrist bei einer innerhalb der Monatsfrist eingereichten Klage gewahrt, sofern die Klage demnächst zugestellt wird.180) Auch bei der GmbH müssen die Anfechtungsgründe in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern innerhalb der Monatsfrist in den Rechtsstreit eingeführt werden. (2) Anfechtungsbefugnis Bei der GmbH ist die Anfechtungsbefugnis stärker auf die Gesellschafter be- 159 schränkt als bei der AG. Grundsätzlich sind in der GmbH lediglich die Gesellschafter anfechtungsbefugt.181) Maßgeblich für die Gesellschaftereigenschaft ist die Eintragung in die Gesellschafterliste, § 16 Abs. 1 GmbHG.182) Grundsätzlich ist eine Gesellschaftereigenschaft von der Klageerhebung bis zur letzten mündlichen Verhandlung erforderlich.183) Die Gesellschaftereigenschaft muss somit nicht unbedingt bereits bei der Beschlussfassung vorliegen. Anders als bei der AG ist für die Wahrung der Anfechtungsbefugnis des Gesellschafters nicht erforderlich, dass er an der beschlussfassenden Gesellschafterversammlung teilgenommen und Widerspruch zu Protokoll erklärt hat. Jedoch verliert der Gesellschafter die Anfechtungsbefugnis, wenn er dem Beschluss zugestimmt hat.184) Geschäftsführer, die nicht gleichzeitig auch Gesellschafter sind, sind grund- 160 sätzlich nicht anfechtungsbefugt; § 245 Nr. 4 AktG gilt bei der GmbH nicht ___________ 177) BGH NJW 1990, 2625 = ZIP 1990, 784; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 145; kritisch bei bloßer fehlender Erkennbarkeit MünchHdb. GesR Bd. 7/ Wiegand-Schneider, § 39 Rn. 45. 178) MünchHdb. GesR Bd. 3/Wolff, § 40 Rn. 72; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 146; Rensen, Rn. 367 ff. 179) BGH NJW 1988, 1844, 1845 = ZIP 1988, 703; BGH NJW 1989, 2694, 2696 = ZIP 1989, 913; nach OLG Düsseldorf NZG 2005, 980 ist bereits eine Regelung, die eine Anfechtung binnen eines Monats nach Absendung des Beschlussprotokolls vorsieht, unwirksam; zu Recht kritisch hierzu Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 144. 180) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 158 f. 181) BGH NJW 1980, 1527, 1528. 182) BGH NJW 2009, 230, 231. 183) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 70; ausführlich Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 130 ff.; zur Anteilsübertragung nach Klageerhebung siehe oben I Rn. 51 (§ 265 ZPO). 184) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 141; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 136 f.
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analog.185) Somit kann ein (Fremd-)Geschäftsführer seine Abberufung nicht anfechten.186) Umstritten ist, ob § 245 Nr. 5 AktG auf die GmbH analog anwendbar ist. Dieser sieht eine Anfechtungsbefugnis von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern vor, die sich bei Ausführung des Beschlusses strafbar oder ersatzpflichtig machen.187) c) Materiell-rechtliche Regelungen aa) Nichtigkeitsklage 161 Aktiv legitimiert zur Erhebung der Nichtigkeitsklage sind wie im Aktienrecht die Gesellschafter, auch wenn sie für den nichtigen Beschluss gestimmt haben,188) ferner auch (Fremd-)Geschäftsführer sowie Mitglieder des Aufsichtsrats oder eines Beirats. (1) Übersicht über die Fälle der Nichtigkeit 162 Die im Aktienrecht geltende Regelung zu den Nichtigkeitsgründen von Beschlüssen der Gesellschafter in § 241 AktG gilt mit GmbH-spezifischen Besonderheiten auch im Recht der GmbH. Dies gilt nach herrschender und zutreffender Auffassung auch für den Grundsatz, dass in den Gesellschaftsvertrag nicht zusätzliche Nichtigkeitsgründe aufgenommen und bestehende Nichtigkeitsgründe abbedungen werden können.189) (2) Entsprechende Anwendung von § 241 Nr. 1 – 6 AktG 163 (a) Einberufungsmängel (§ 241 Nr. 1 AktG analog): Wie im Aktienrecht führen Verstöße gegen die gesetzlichen und statutarischen Vorschriften zur Ladung von Gesellschafterversammlung grundsätzlich lediglich zur Anfechtbarkeit; gravierende Verstöße führen jedoch zur Nichtigkeit.190) Ein gravierender, zur Nichtigkeit führender Mangel liegt vor, wenn die Gesellschafterversammlung ___________ 185) BGH NJW 1980, 1527, 1528. 186) BGH NZG 2008, 317, 319 = ZIP 2008, 757; offen steht ihm dagegen die Nichtigkeitsklage; zu der Möglichkeit einer Feststellungsklage vgl. Fischer, BB 2013, 2819, 2825. 187) Ablehnend: Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 431; MünchKomm-GmbHG/ Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 194; MünchHdb. GesR Bd. 7/Wiegand-Schneider, § 39 Rn. 33; Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 177; OLG Hamm GmbHR 1994, 256 f.; zustimmend: Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 73; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 140; MünchHdb GesR Bd. 3/ Wolff, § 40 Rn. 66. Vorzugswürdig erscheint die ablehnende Auffassung, die dem Geschäftsführer dann den Weg über die allgemeine Feststellungsklage einräumen muss, die fehlende Pflicht zur Ausführung feststellen zu lassen. 188) BGH NJW 1954, 385, 386. 189) BGH NJW-RR 1989, 347, 349 = ZIP 1989, 634; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 17 f.; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 63; Ulmer/Habersack/ Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 33, 90; a. A. Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 69. 190) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 28; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 45.
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nicht von der hierzu nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag befugten Person einberufen wird.191) Unbefugt sind auch (Minderheits-)Gesellschafter, bei deren Einberufung nicht die Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 GmbH vorliegen, weil es entweder an einer entsprechenden Beteiligungshöhe fehlt oder die Gesellschafterversammlung vor Ablauf einer angemessenen Wartefrist einberufen wird.192) Zur Nichtigkeit führt auch, wenn nicht alle Gesellschafter zur Gesellschafterversammlung geladen sind; dies gilt auch bezüglich solcher Gesellschafter, die hinsichtlich einzelner oder aller Tagesordnungspunkte einem Stimmverbot unterliegen.193) Zum gleichen Ergebnis führt eine unzumutbar kurzfristige Ladung, wenn den Gesellschaftern dadurch eine Teilnahme faktisch unmöglich ist.194) Fehlen bei einer Ladung Angaben zu Ort und Zeit, führt dies ebenfalls zur Nichtigkeit.195) Eine nur mündliche Einladung stellt einen gravierenden, zur Nichtigkeit führenden Formverstoß dar.196) Lediglich zur Anfechtbarkeit führen dagegen eine zwar nicht als Einschreiben versendete, jedoch textlich fixierte und vom Gesellschafter erhaltene Einladung. Dasselbe gilt für unzureichende Angaben zu der Tagesordnung der Gesellschafterversammlung.197) Bei einer schriftlichen Beschlussfassung gem. § 48 Abs. 2 GmbHG führt es zur 164 Nichtigkeit, wenn nicht sämtliche Gesellschafter zu deren Teilnahme eingeladen wurden. Liegt zwar eine Einladung sämtlicher Gesellschafter, nicht jedoch deren Einverständnis mit der schriftlichen Beschlussfassung vor, so führt dies nach herrschender Auffassung lediglich zur Anfechtbarkeit.198) Ebenfalls zur Nichtigkeit führt eine kombinierte Beschlussfassung, bei der Teile der Gesellschafter in einer Gesellschafterversammlung und der fehlende Teil die Stimme schriftlich abgibt, wenn diese nicht im Gesellschaftsvertrag zugelassen ist.199) Geheilt werden können gravierende Einberufungsfehler, wenn alle Gesell- 165 schafter ihre Stimme im Rahmen einer Universalversammlung unter Verzicht auf Form und Frist abgeben.200) ___________ 191) Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 80; Fleischer/Eschwey, BB 2015, 2178, 2179; BGH GmbHR 2016, 587, 588. 192) BGH NJW 1983, 1677, 1678 = ZIP 1983, 569; BGH GmbHR 1985, 256, 257; Ulmer/ Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 37. 193) BGH NJW-RR 2006, 831, 832 = ZIP 2006, 707; OLG München GmbHR 2000, 486, 488; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 51 Rn. 30; es sei denn, der hierzu betroffene Gesellschafter genehmigt analog § 242 Abs. 2 Satz 4 AktG den Beschluss. 194) BGH NJW-RR 2006, 831, 832 = ZIP 2006, 707. 195) KG NJW 1965, 2157, 2159; OLG Hamm GmbHR 1993, 743, 746. 196) BGH GmbHR 1989, 120, 122; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 29. 197) BGH ZIP 2007, 1942 = NJW 2008, 69 (zum Vereinsrecht). 198) OLG Jena GmbHR 2006, 985, 986; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 36; a. A. (Nichtigkeit) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 46; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 94; MünchHdb. GesR Bd. 3/Wolff, § 40 Rn. 16. 199) BGH ZIP 2006, 852 = NJW 2006, 2044; kritisch hierzu K. Schmidt, NJW 2006, 2599. 200) BGH GmbHR 2008, 426, 427; anders aber im Fall der kombinierten Beschlussfassung, BGH ZIP 2007, 1942 = NJW 2008, 69; kritisch hierzu Liese/Theusinger, GmbHR 2006, 682, 686.
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166 (b) Beurkundungsmängel (§ 241 Nr. 2 AktG): Ein wesentlicher Unterschied zum Aktienrecht besteht darin, dass Beschlüsse der GmbH-Gesellschafterversammlung, anders als Hauptversammlungsbeschlüsse (dort § 130 AktG), nur in bestimmten Fällen wie z. B. bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages (§ 53 Abs. 2 GmbHG) beurkundungspflichtig sind. Sehen das GmbHG oder sonstige gesetzliche Regelungen zwingend eine Beurkundung vor, sind Gesellschafterbeschlüsse, die diese Form nicht beachtet haben, analog § 241 Nr. 2 AktG nichtig. Eine Verletzung lediglich gesellschaftsvertraglich begründeter Beurkundungspflichten führt dagegen nicht zur Nichtigkeit,201) sondern lediglich zur Anfechtbarkeit. 167 Hinsichtlich satzungsdurchbrechender Beschlüsse, die lediglich für einen konkreten Einzelfall von einer Satzungsregelung abweichen und deren Geltung im Übrigen für die Zukunft nicht aufheben wollen, ist zu unterscheiden, ob sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft (punktuelle Wirkung) oder Dauerwirkung entfaltet (zustandsbegründende Wirkung).202) Zustandsbegründende Satzungsdurchbrechungen bedürfen der Einhaltung der für Satzungsänderungen erforderlichen Formvorschriften. Deren Nichtbeachtung führt zur Nichtigkeit des zustandsbegründenden satzungsdurchbrechenden Beschlusses analog § 241 Nr. 2 AktG.203) Hat die Satzungsdurchbrechung nur punktuelle Wirkung, ist sie grundsätzlich nur anfechtbar.204) 168 (c) Schwere Inhaltsmängel (§ 241 Nr. 3 AktG): § 241 Nr. 3 AktG gilt analog auch bei der GmbH.205) 169 Geschützt von der ersten Tatbestandsalternative des § 241 Nr. 3 AktG (Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Gesellschaft) sind die nicht zur Disposition der Gesellschafter stehenden Strukturprinzipien der GmbH.206) Hierunter fallen nach allerdings umstrittener Auffassung insbesondere Eingriffe in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte wie insbesondere das Informationsrecht (§ 51a GmbHG), das Recht zur Teilnahme an Gesellschafterversammlungen, das Recht der Minderheit auf Einberufung einer Gesellschafterversammlung (§ 50 GmbHG) und das Recht zur Anfechtung von Gesellschafterbeschlüs-
___________ 201) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 46; Lutter/Hommelhoff/Bayer, Anh. § 47 Rn. 15; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 67; a. A. OLG Stuttgart BB 1983, 1050. 202) BGHZ 123, 15, 19 = NJW 1993, 2246, 2247 = ZIP 1993, 1074; OLG Dresden NZG 2012, 507; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 53 Rn. 29 ff. 203) BGHZ 123, 15, 19 = NJW 1993, 2246, 2247 = ZIP 1993, 1074; OLG Dresden NZG 2012, 507. 204) Jedoch nicht durch die dem Beschluss zustimmenden Gesellschafter, Lutter/ Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 53 Rn. 31, auch zu Möglichkeit der Beseitigung der Anfechtbarkeit. 205) Michalski/Römermann, GmbHG, § 47 Rn. 118 f. 206) Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 73.
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sen, nicht dagegen mit Zustimmung der Gesellschafter entziehbare Mitgliedschaftsrechte wie das Stimmrecht und das Gewinnbezugsrecht.207) Nach der zweiten Tatbestandsalternative des § 241 Nr. 3 AktG sind Eingriffe 170 in gläubigerschützende Vorschriften nichtig. Solche Vorschriften sind wie bei der AG die Regelungen zur Kapitalaufbringung und -erhaltung sowie die gläubigerschützenden Bilanzierungsregelungen; im GmbH-Recht sind dies insbesondere die §§ 5 Abs. 1 – 4, 9, 9b, 11, 16 Abs. 2, 19 Abs. 2 – 5, 25, 30 – 34, 55 Abs. 4, 58, 64 GmbHG.208) (d) Sittenwidrigkeit (§ 241 Nr. 4 AktG): § 241 Nr. 4 AktG ist ebenfalls ana- 171 log anwendbar. Sittenwidrig kann etwa eine in die Satzung einer GmbH aufgenommene Bestimmung sein, die einen Ausschluss oder eine sittenwidrige Beschränkung der Abfindung des Gesellschafters im Falle seines Ausscheidens vorsieht.209) (e) § 241 Nr. 5 AktG sowie § 241 Nr. 6 AktG finden bei der GmbH eben- 172 falls analoge Anwendung.210) (3) Weitere Fälle der Nichtigkeit Die im Eingangstext des § 241 AktG aufgezählten und zur Nichtigkeit füh- 173 renden Verstöße gegen die dort aufgeführten aktienrechtlichen Vorschriften sind auf die GmbH nicht entsprechend anwendbar. Nichtig sind bei einer GmbH dagegen Beschlüsse in Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, die gegen das Proportionalitätsprinzip nach § 57j Satz 2 GmbHG verstoßen sowie über die Erhöhung des Stammkapitals und die Ergebnisverwendung, wenn die Kapitalerhöhung nicht binnen drei Monaten nach Beschlussfassung in das Handelsregister eingetragen wird, § 57n Ab. 2 Satz 3 GmbHG.211) Die aktienrechtliche Regelung zur Nichtigkeit von Aufsichtsratswahlbe- 174 schlüssen der Gesellschafterversammlung (§ 250 AktG) gelten im Fall einer
___________ 207) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 53; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh., § 53 Rn. 17; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 54, 73; a. A. (Anfechtbarkeit statt Nichtigkeit) Michalski/Römermann, GmbHG, § 47 Rn. 134; mit Einschränkungen auch Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 50; bei notwendiger, aber fehlender Zustimmung ist der Beschluss (schwebend) unwirksam. 208) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 52; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 53; MünchHdb. GesR Bd. 7/Wiegand-Schneider, § 39 Rn. 118. 209) BGH NZG 2014, 820, 821 (Tz. 11). 210) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 56 f.; Mehrbrey, in: Mehrbrey, 2. Aufl., § 19 Rn. 23 f.; Rensen, Rn. 91 ff. 211) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 68; Rensen, Rn. 19 ff.
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GmbH mit einem obligatorischen Aufsichtsrat analog.212) Bei der GmbH mit einem fakultativen Aufsichtsrat ist dagegen umstritten, ob die Inkompatibilitätsvorschrift des § 105 AktG ebenfalls analog anwendbar ist.213) 175 Analog anwendbar ist auch die Regelung zur Nichtigkeit von Jahresabschlüssen nach § 256 AktG. Dasselbe gilt für die Nichtigkeit von Ergebnisverwendungsbeschlüssen, die auf der Grundlage eines nichtigen Jahresabschlusses ergangen sind (§ 253 AktG).214) (4) Heilung der Nichtigkeit 176 § 242 AktG regelt im Aktienrecht die Heilung nichtiger eintragungsfähiger Beschlüsse. Diese Norm ist auf eintragungspflichtige Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH entsprechend anwendbar.215) Praktische Bedeutung kann die Heilung insbesondere auch bei anfänglich nichtigen Abfindungsklauseln entfalten. Auch deren Nichtigkeit ist drei Jahre nach unangefochtener Eintragung im Handelsregister geheilt.216) Diese Heilung wirkt nicht zu Lasten gesellschaftsexterner Gläubiger.217) bb) Anfechtungsklage (1) Maßgebende Normen 177 Nach § 243 Abs. 1 AktG führt lediglich die Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zur Anfechtbarkeit. Umstritten ist, ob auch Verstöße gegen (schuldrechtliche) Gesellschaftervereinbarungen unter bestimmten Umständen zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses führen können. ___________ 212) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 69 ff.; Roth/Altmeppen/ Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 108. 213) Ablehnend die h. M. Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 72; Roth/ Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 108; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 61; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 22; a. A. mit beachtlichen Gründen, Rensen, Rn. 118; für den Fall einer dominanten Stellung des AR-Mitglieds auch OLG Frankfurt/M. NJW–RR 1987, 482 f.; MünchKomm-GmbHG/ Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 87. 214) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 24; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 79. 215) Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 237, 240; BGH NJW 1981, 2125, 2126 = ZIP 1981, 609. 216) BGH NJW 2000, 2819, 2820 = ZIP 2000, 1294; MünchKomm-GmbHG/Strohn, § 34 Rn. 239; einschränkend allerdings Geissler, NZG 2006, 527, 529, der die Anpassung bei nachträglichem Auseinanderfallen des Werts nach der gesellschaftsvertraglichen Abfindungsklausel vom Verkehrswert auch auf Fälle der anfänglichen Nichtigkeit nach deren Heilung erstrecken möchte. Auch nach Heilung verbleibt die Möglichkeit einer Amtslöschung gem. § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG analog, MünchKomm-GmbHG/ Strohn, § 34 Rn. 239; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 34 Rn. 32. 217) Siehe h. M. MünchKomm-GmbHG/Strohn, § 34 Rn. 239; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 34 Rn. 32; a. A. Ulmer/Habersack/Löbbe/Habersack, GmbHG, § 34 Rn. 108; BGH WM 1984, 473, die Gläubiger darauf verweisen, eine vorherige Amtslöschung nichtiger Abfindungsklauseln herbeizuführen.
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(a) Verstöße gegen Gesetze Analog § 243 Abs. 1 AktG berechtigt eine Verletzung von Gesetz oder Ge- 178 sellschaftsvertrag zur Anfechtung. Wie bei der AG kommt in erster Linie eine Verletzung der Normen des GmbHG in Betracht, die aber wegen der geringeren Regelungsdichte und der oft dispositiven Ausgestaltung des GmbHRechts (das keine § 23 Abs. 5 AktG entsprechende Regelung enthält) geringere Vorgaben aufweisen. Aufgrund des materiellen Gesetzesbegriffs fallen wie bei der AG auch eine Verletzung von ungeschriebenen Generalklauseln wie der Treuepflicht und des Gleichbehandlungsgebots unter § 243 Abs. 1 AktG. (b) Verstöße gegen Gesellschaftsvertrag Auch ein Verstoß gegen Vorgaben des Gesellschaftsvertrages kann eine An- 179 fechtbarkeit begründen. Ausgenommen von diesem Grundsatz sind Verstöße gegen bloße Ordnungsvorschriften.218) Letztere liegen allerdings nur in (begründungsbedürftigen) Ausnahmefällen vor.219) Eine Regelung als Soll-Vorschrift kann, muss allerdings keineswegs zu der Qualifizierung als Ordnungsvorschrift führen.220) Im Fall von Soll-Vorschriften in Gesellschaftsverträgen erscheint vorzugswürdig, vor der häufig schwierigen Qualifizierung als Ordnungsvorschrift durch Auslegung zu ermitteln, inwieweit bei Vorliegen einer sachlich gerechtfertigten Abweichung überhaupt ein (die Anfechtbarkeit begründender) Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag vorliegt.221) Bei dem Protokollierungsgebot für eine Gesellschafterversammlung handelt es sich regelmäßig um eine Ordnungsvorschrift; das Fehlen eines Protokolls führt dann nicht zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.222) (c) Verstoß gegen Gesellschaftervereinbarung Über den Wortlaut von § 243 Abs. 1 AktG hinaus ist nach allerdings umstrit- 180 tener Auffassung ein Beschluss auch dann anfechtbar, wenn er gegen eine schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarung verstößt. Dies gilt auch nach der eine Anfechtbarkeit annehmenden Auffassung nur, wenn alle Gesellschafter der GmbH an einer solchen Gesellschaftervereinbarung außerhalb der Satzung beteiligt sind.223) Für diese Auffassung sprechen Gesichtspunkte der Prozess___________ 218) 219) 220) 221) 222) 223)
Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 121. MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 159. Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 109. OLG Hamm AG 1986, 260, 261. Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, § 47 Rn. 109. BGH NJW 1983, 1910 = ZIP 1983, 297; BGH NJW 1987, 890 = ZIP 1987, 103; OLG Hamm NZG 2000, 1036; OLG Saarbrücken GmbHR 2005, 546, 548; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 116; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 47 Rn. 118; a. A. OLG Stuttgart BB 2001, 794, 797; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 363 f.; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 162; Ulmer/Habersack/Löbbe/ Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 154 ff.; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 44.
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ökonomie. Wird die Anfechtbarkeit verneint, müssten andernfalls zunächst Ansprüche aus der schuldrechtlichen Nebenabrede im Kreis der durch die Gesellschaftervereinbarung gebundenen Personen ausgetragen werden und anschließend dann eine Aufhebung des bisherigen und die Fassung eines neuen Beschlusses der GmbH durchgesetzt werden. (2) Anfechtung wegen Verfahrensfehlern von Beschlüssen 181 Verfahrensfehler führen wie auch bei der AG nur dann zur Anfechtbarkeit, wenn ein relevanter Fehler im Sinne der Relevanztheorie vorliegt.224) (a) Ladungsfehler 182 Sofern kein gravierender und bereits zur Nichtigkeit eines Beschlusses führender Ladungsfehler vorliegt,225) führen (relevante) Verstöße gegen die gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Vorschriften zur Ladung der Gesellschafterversammlung zur Anfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses. Ein Verstoß gegen die gesetzliche Ladungsfrist kann vorliegen, wenn die Einberufung der Gesellschafterversammlung nicht mit einer Frist von mindestens einer Woche bewirkt worden ist, § 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Maßgeblich für den Beginn der Wochenfrist nach § 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ist das „Bewirken“ der Einladung. Nach herrschender Meinung ist auf den Zeitpunkt der Absendung zzgl. der im Normalfall zu erwartenden Postlaufzeit (bei Ladungen im Inland zwei Tage) abzustellen.226) 183 Umstritten ist, ob die Einhaltung der Formvorschriften einer Ladung verlangt, dass das Einladungsschreiben von dem zur Einberufung Berechtigten ordnungsgemäß unterzeichnet ist227) und ob für die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 GmbHG erforderliche Einberufung einer Gesellschafterversammlung eine Versendung durch eingeschriebenen Brief erforderlich ist oder auch durch ein Einwurf-Einschreiben ausreicht.228) Zur Anfechtung berechtigen kann eine Ladung zu einer Gesellschafterversammlung an einem unzumutbaren Ort oder ___________ 224) Siehe oben aktienrechtlicher Teil Rn. 224. 225) Siehe hierzu oben Rn. 163. 226) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 51 Rn. 14; MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 51 Rn. 25 f.; KG NJW 1965, 2157. 227) Zustimmend: Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 51 Rn. 11; Roth/Altmeppen/ Altmeppen, GmbHG, § 51 Rn. 2; wohl auch BGH NZG 2006, 349, 350; nach BGH NJW-RR 1989, 347, 349 = ZIP 1989, 634 führt eine fehlende Unterschrift zur Nichtigkeit; für Anfechtbarkeit: MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 28; ablehnend: MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 51 Rn. 20; Michalski/Römermann, GmbHG, § 51 Rn. 38; Scholz/Seibt, GmbHG, § 51 Rn. 13. 228) Zustimmend: Rensen, Rn. 199; Scholz/Seibt, GmbHG, § 51 Rn. 10; MünchKommGmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 124; a. A. Ulmer/Habersack/Löbbe/Hüffer, GmbHG, § 51 Rn. 5; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 51 Rn. 12; Michalski/ Römermann, GmbHG, § 51 Rn. 89.
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zu einer unzumutbaren Zeit.229) Auch eine mangelhafte Ankündigung der Tagesordnung (vgl. § 51 Abs. 2, 4 GmbHG), die den Gesellschaftern keine angemessene Vorbereitung ermöglicht, kann zur Anfechtung berechtigen.230) (b) Fehler bei der Durchführung Ein zur Anfechtung führender Fehler in der Durchführung kann darin lie- 184 gen, dass ein Berater eines Gesellschafters, dessen Anwesenheit entweder nach dem Gesellschaftsvertrag oder unter Berücksichtigung der Treuepflicht zuzulassen ist, von der Teilnahme an der Gesellschafterversammlung ausgeschlossen wird.231) Auch ein Fehler in der Feststellung des Abstimmungsergebnisses kann zur Anfechtung berechtigen, wenn unwirksame Stimmen berücksichtigt oder zu berücksichtigende Stimmen unberücksichtigt bleiben. Ist ein Gesellschafter einem grundsätzlich nach den §§ 119 ff. BGB zur Anfechtung berechtigtem Irrtum unterlegen, so kann er nicht den Gesellschafterbeschluss, sondern lediglich seine Stimmabgabe anfechten. In diesem Fall ist zu prüfen, ob der Beschluss nur unter Berücksichtigung auch der dann (wirksam angefochtenen) Stimmen zustande gekommen ist. (3) Anfechtung wegen inhaltlichen Fehlern Eine Anfechtung wegen inhaltlicher Fehler eines Beschluss kommt in Betracht, 185 wenn ein Mangel nicht auf der Art seines Zustandekommens, sondern auf der inhaltlichen Regelung als Ergebnis der Beschlussfassung beruht. Bei Vorliegen eines inhaltlichen Fehlers findet die Relevanztheorie keine Anwendung.232) (a) Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Die Treuepflicht gilt auch bei der GmbH und zwar sowohl im Verhältnis der 186 Gesellschaft zu den Gesellschaftern wie auch im Kreis der Gesellschafter untereinander.233) Die Treuepflicht richtet sich dabei vorzugsweise an den Mehrheitsgesellschafter, der mit seiner Stimmenmacht das Zustandekommen treuepflichtwidriger Gesellschafterbeschlüsse erwirken kann. Adressat der Treuepflicht sind aber auch Minderheitsgesellschafter, soweit diese in treuwidriger Weise das Zustandekommen von Beschlüssen verhindern.234) ___________ 229) BGH GmbHR 1985, 256; BGH NJW 2009, 2300, 2301 = ZIP 2009, 1158; OLG Düsseldorf GmbHR 2003, 1006; BGH GmbHR 2016, 587, 588 (Gesellschafterversammlung in den Räumen eines verfeindeten Gesellschafters); Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 269; Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 112. 230) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 51 Rn. 37 ff.; OLG Düsseldorf NZG 2000, 1180, 1182. 231) Lutz, Der Gesellschafterstreit, 4. Aufl., Rn. 122 ff. 232) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 125. 233) BGHZ 65, 15, 18 = NJW 1976, 191; OLG Düsseldorf GmbHR 1996, 689, 693. 234) MünchKomm-GmbHG/Merkt, § 13 Rn. 88 ff.; Henssler/Strohn/Verse, GmbHG, § 14 Rn. 98, 103 ff.
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187 Die Treuepflicht bildet im Verbandsinteresse eine Schranke und Handlungsanleitung für den Gesellschafter; dieser bleibt berechtigt, in dem von der Treuepflicht gesteckten weiten Rahmen seine eigenen Interessen zu verfolgen. Bei der Prüfung eines Treuepflichtverstoßes sind die Umstände des Einzelfalls (personalistischer Charakter einer Gesellschaft, Gegenstand der Treuepflicht, Interesse aller Beteiligten) zu prüfen. Ein Verstoß gegen die Treuepflicht kann u. a. in Betracht kommen bei Beschlüssen über die Entlastung von Geschäftsführern, die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen Geschäftsführer oder die Befreiung von gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverboten.235) 188 Die treuwidrig abgegebenen Stimmen sind nichtig.236) Dies führt dazu, dass ein unter Berücksichtigung von treuepflichtwidrig abgegebenen Stimmen gefasster Beschluss angefochten werden kann bzw. ein unter Berücksichtigung von treuepflichtwidrig abgegebenen Stimmen abgelehnter Beschluss angefochten und dessen Zustandekommen mit der positiven Beschlussfeststellungsklage festgestellt werden kann.237) (b) Verletzung des Gleichbehandlungsgebots 189 Das im Aktienrecht in § 53a AktG kodifizierte Gleichbehandlungsgebot gilt als allgemeines verbandsrechtliches Prinzip auch für die GmbH.238) Verstöße gegen das Gleichheitsgebot können insbesondere vorliegen bei offenen und verdeckten Gewinnausschüttungen an einzelne Gesellschafter oder Kapitalerhöhungen mit einem sachlich nicht berechtigten Bezugsrechtsausschluss einzelner Gesellschafter.239) (4) Anwendung weiterer aktienrechtlich geregelter Sonderfälle 190 Die im Aktienrecht geregelten Sonderfälle der Anfechtung sind nicht ausnahmslos auf die GmbH zu übertragen. Das in § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG geregelte Verbot der Einräumung von Sondervorteilen gilt auch bei der GmbH.240) Keine analoge Anwendung findet dagegen § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG.241) Die ___________ 235) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 56; Rensen, Rn. 243 ff. mit weiteren Beispielen. Zu Beispielsfällen für die Treuepflichtverletzung vgl. Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 336. 236) BGH WM 1988, 23, 25 = ZIP 1988, 294; BGH WM 1993, 1593, 1595 = ZIP 1993, 1228; a. A. MünchKomm-GmbHG/Merkt, § 13 Rn. 189. 237) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 143. 238) BGH NJW 1992, 892, 895 f. = ZIP 1992, 237; Henssler/Strohn/Verse, GmbHG § 14 Rn. 70. 239) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 137; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 325. 240) OLG München GmbHR 1997, 1103. 241) MünchHdb. GesR Bd. 3/Wolff, § 38 Rn. 78; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 89 f. mit dem zutreffenden Hinweis auf die geringe praktische Bedeutung dieser Frage.
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in § 244 AktG vorgesehene Möglichkeit der Heilung von Anfechtungsgründen durch einen Bestätigungsbeschluss gilt analog auch bei der GmbH.242) § 251 AktG betreffend die Anfechtbarkeit von Aufsichtsratswahlen ist analog auch bei der GmbH anwendbar.243) Eine analoge Anwendung von § 254 AktG betreffend die Verwendung des Bilanzgewinns ist abzulehnen. Für die Anfechtbarkeit von Ergebnisverwendungsbeschlüssen verbleibt es somit bei der analogen Anwendung von § 243 AktG.244) § 255 Abs. 2 AktG bezüglich der Anfechtung von Sachkapitalerhöhungsbeschlüssen gilt ebenso (analog) bei der GmbH.245) Eine Anfechtung des Jahresabschlusses nach § 257 AktG ist grundsätzlich analog auch bei der GmbH möglich; die in § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG enthaltene Regelung zu der fehlenden Anfechtbarkeit wegen Inhaltsmängeln gilt jedoch nicht bei der GmbH.246) cc) Freigabeverfahren Stark umstritten ist, ob die Regelung in § 246a AktG zum Freigabeverfahren 191 auch analog auf die GmbH anwendbar ist. Eine Beantwortung dieser Frage hängt von der Wertungsfrage ab, ob der vom Gesetzgeber mit der Norm des § 246a AktG für die AG gelöste Konflikt zwischen der Einhaltung der verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Vorschriften zur Beschlussfassung und deren gerichtlicher Überprüfung auch für eine Anwendung auf die GmbH spricht oder ob die sich aus dem Leitbild der AG einerseits und der GmbH andererseits ergebenden Unterschiede gegen eine Anwendung von § 246a AktG auch auf die GmbH sprechen. Für eine Anwendung von § 246a AktG auch auf die GmbH spricht, dass das in § 16 Abs. 3 UmwG geregelte Freigabeverfahren unstreitig auch auf die GmbH anwendbar ist und daher keine grundsätzlichen systematischen Gründe gegen eine Anwendbarkeit des Freigabeverfahrens auch auf die GmbH sprechen. Weiterhin ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Notwendigkeit einer zeitnahen Umsetzung einer Strukturmaßnahme trotz Opposition im Gesellschafterkreis auch bei der GmbH auftreten kann.247) Gewichtiger erscheinen allerdings die zwischen der AG und der GmbH bestehenden Unterschiede über das Leitbild und die Rechtsposition der Gesellschafter. In der GmbH ist auch ein Minderheitsgesellschafter nicht lediglich auf eine im Wesentlichen kapitalistische Rolle re___________ 242) OLG Nürnberg NZG 2000, 700, 703; OLG Düsseldorf NZG 2003, 975, 978. 243) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 59; einschränkend Baumbach/ Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 109a (nur für obligatorischen Aufsichtsrat). 244) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 157 f. 245) MünchHdb. GesR Bd. 3/Wolff, § 40 Rn. 47. 246) BGH NJW 1998, 1559, 1561 = ZIP 1998, 467; BGH NZG 2008, 783, 784 = ZIP 2008, 1818; KG NZG 2001, 845, 846. 247) Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170, 1171 ff.; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 47 Rn. 136 a; § 57 Rn. 14; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 54 Rn. 29 ff.; Harbarth, GmbHR 2005, 966, 968 ff.; Geissler, GmbHR 2008, 128, 133; keine analoge Anwendung soll allerdings § 246a Abs. 2 Ziff. 2 (Mindestquote) finden, Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170, 1174; Wicke, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 17.
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duziert, der unproblematisch durch Verkauf seiner Beteiligung austreten kann. Aus diesem Grund erscheint der bei der AG hinnehmbare Eingriff in die Gesellschafterrechte durch die faktische Beschränkung der Anfechtung von Beschlüssen bei der GmbH in einem anderen Licht; eine analoge Anwendung von § 246a AktG auf die GmbH ist daher abzulehnen.248) 3. Allgemeine Feststellungsklage a) Anwendungsbereich 192 Liegt kein festgestellter Beschluss vor, so kann die Frage, ob bzw. mit welchem Inhalt ein Beschluss gefasst worden ist, nur im Rahmen der allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 ZPO) geklärt werden.249) Liegt allerdings ein festgestellter Beschluss vor, der Gegenstand einer Beschlussmängelklage analog §§ 241 ff. AktG sein kann, fehlt einer allgemeinen Feststellungsklage eines Gesellschafters regelmäßig das erforderliche Rechtsschutzinteresse.250) b) Parteien einer allgemeinen Feststellungsklage 193 Kläger einer Beschlussmängelklage in Form der allgemeinen Feststellungsklage kann zunächst ein Gesellschafter sein.251) Mögliche Kläger können allerdings auch ein Geschäftsführer252) bei Streitigkeiten über seine wirksame Abberufung oder die Gesellschaft253) bei Unklarheiten über das Bestehen eines Beschlusses sein. Erhebt allerdings ein Geschäftsführer, der nicht gleichzeitig Gesellschafter ist, Feststellungsklage hinsichtlich seiner Abberufung, so kann er lediglich Nichtigkeitsgründe, nicht aber Anfechtungsgründe geltend machen. Diese können nur von den Gesellschaftern selbst geltend gemacht werden.254) 194 Beklagte Partei ist regelmäßig die Gesellschaft.255) Anders als im Fall der personengesellschaftsrechtlichen Nichtigkeitsklage wird die Feststellungsklage somit nicht gegen die Mitgesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft selbst erhoben. Wird eine Feststellungsklage von der Gesellschaft als Klägerin erhoben, kann diese entweder gegen einen die Existenz des Beschlusses abstrei___________ 248) KG NZG 2011, 1068; Fleischer, DB 2011, 2132, 2133 ff. mit zutreffender Kritik an der Begründung, nicht aber am Ergebnis der Entscheidung des KG; Meuer, GmbHR, 2013, 729, 733; MünchKomm-GmbH/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 210; Sauerbruch, GmbHR 2007, 189, 193; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 126, 137; Henssler/Strohn/ Drescher, AktG § 246a Rn. 3. 249) Siehe oben II Rn. 142 ff. 250) Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 590. 251) OLG Stuttgart GWR 2015, 78 mit dem zutreffenden Hinweis des grundsätzlich vorliegenden Feststellungsinteresses in diesem Fall vgl. juris-Rn. 13. 252) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 184. 253) BGH NJW 1999, 2268 = ZIP 1999, 656. 254) BGH NZG 2008, 317, 319 (Rn. 34) = ZIP 2008, 757. 255) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 281; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 593.
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tenden Gesellschafter oder gegen einen Geschäftsführer erhoben werden, wenn dieser seine wirksame Abberufung bestreitet.256) c) Klagefrist Eine analoge Anwendung der einmonatigen Klagefrist oder auch eine bloße 195 Orientierung an diesem Leitbild ist im Fall der allgemeinen Feststellungsklage abzulehnen. In zeitlicher Hinsicht wird deren Erhebung durch die Verwirkung begrenzt.257) Eine Verwirkung erfordert neben dem Zeit- ein Umstandsmoment. Die Pflicht einer zeitnahen Klageerhebung kann auch nicht auf Umwegen dazu führen, eine am einmonatigen Leitbild orientierte Verwirkung anzunehmen; die Rechtsprechung hat eine Verwirkung auch nach Ablauf von fünf oder zehn Monaten im Einzelfall abgelehnt.258) Eine bestimmte Zeitgrenze existiert daher nicht, da es neben dem Zeitablauf zusätzlicher Hinweise darauf bedarf, dass der Anspruch nicht mehr geltend gemacht wird. Bei Fehlen einer Beschlussfeststellung können anfechtungsberechtigte Gesellschafter somit durch Erhebung einer Feststellungsklage auch nach Ablauf der Monatsfrist noch eventuelle Anfechtungsgründe gegen eine wirksame Beschlussfassung geltend machen. d) Wirkung eines Urteils Umstritten ist, ob eine in Form der allgemeinen Feststellungsklage erhobene 196 Beschlussmängelklage lediglich inter partes wirkt oder ob analog § 248 AktG die Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses auch sämtliche Gesellschafter bindet.259) Für letztere Auffassung spricht, dass zum einen die Abgrenzung zwischen der allgemeinen Feststellungsklage und der Beschlussmängelklage analog § 241 AktG Unsicherheiten unterliegt. Noch gewichtiger ist aber, dass eine inter omnes-Wirkung im Aktienrecht oder im GmbHRecht bei der Beschlussmängelklage analog § 241 AktG durch § 248 AktG angeordnet ist und im Personengesellschaftsrecht dadurch erzielt wird, dass die Klage grundsätzlich gegen sämtliche Mitgesellschafter erhoben werden muss. Die allgemeine Feststellungsklage im GmbH-Recht würde daher eine ansonsten im Gesellschaftsrecht vermiedene Rechtsunsicherheit schaffen. Bei einer Bindung lediglich inter partes drohen unterschiedliche Ergebnisse im Verhältnis zu verschiedenen Gesellschaftern. Auch wenn eine Gestaltungswirkung somit grundsätzlich einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedarf, bestehen dennoch überwiegende Gründe für eine analog § 248 AktG ___________ 256) OLG Zweibrücken GmbHR 1999, 79, 80. 257) BGH NJW 1999, 2268 = ZIP 1999, 656; BGH NZG 2008, 317, 318 (Rn. 22) = ZIP 2008, 757. 258) BGH NJW 1999, 2268 = ZIP 1999, 656; OLG Köln NZG 2003, 40, 41. 259) Für analoge Anwendung von § 248 AktG: OLG München NJW-RR 1997, 988 f.; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 598; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 182; a. A. Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 284; MünchHdb. GesR Bd. 7/Wiegand-Schneider, § 39 Rn. 52.
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auch bei der allgemeinen Feststellungsklage anzunehmende Wirkung inter omnes. Diese setzt dann eine analog § 246 Abs. 4 AktG bestehende Pflicht der Geschäftsführung voraus, die übrigen, nicht am Rechtsstreit beteiligten Gesellschafter von der Erhebung der Klage zu informieren. Im Falle eines Beitrittes sind die Gesellschafter dann wie bei der Beschlussmängelklage analog § 241 ff. AktG streitgenössische Nebenintervenienten.260) 4. Einstweiliger Rechtsschutz 197 Der einstweilige Rechtsschutz hat auch im Zusammenhang mit Beschlussmängelklagen große Bedeutung. Die gerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit von Gesellschafterbeschlüssen kann Jahre in Anspruch nehmen. Gerade bei GmbHtypischen Gesellschafterstreitigkeiten wie der (möglicherweise wechselseitigen) Abberufung von Geschäftsführern oder einer Einziehung bzw. einem Ausschluss aus der Gesellschaft besteht ein Bedürfnis nach kurzfristigem Rechtsschutz, dem durch eine im ordentlichen Verfahren durchgeführte Beschlussmängelklage nicht entsprochen werden kann. In Betracht kommen kann die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes (i) vor einer Beschlussfassung, (ii) als Eingriff in die Beschlussfassung und (iii) nach der Beschlussfassung. 198 Nicht möglich ist es allerdings, im Weg der einstweiligen Verfügung einen Beschluss (vorläufig) für unwirksam zu erklären.261) a) Allgemeine Grundsätze des einstweiligen Rechtsschutzes 199 Bei der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zu prüfen, ob im Einzelfall für das in Anspruch genommene Recht die Voraussetzungen entsprechend der allgemeinen Grundsätze des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen. 200 Zuständiges Gericht für den Erlass einstweiliger Verfügungen ist nach § 937 Abs. 1 ZPO das Gericht der Hauptsache. Im Zusammenhang mit Beschlussmängelstreitigkeiten ergibt sich die örtliche und sachliche Zuständigkeit daher im Regelfall aus § 246 Abs. 3 AktG analog. Nicht anwendbar ist § 246 Abs. 3 AktG bei einer einstweiligen Verfügung gegen einen Gesellschafter zur Durchsetzung eines bestimmten Stimmverhaltens auf der Gesellschafterversammlung. 201 Die Begründetheit eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hängt vom Vorliegen x
eines materiellen Anspruchs (Verfügungsanspruch) und
x
einer besonderen Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit für die Durchsetzung des Anspruchs (Verfügungsgrund)
ab.262) ___________ 260) OLG München NJW-RR 1997, 588 f. 261) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 194; Lutz, BB 2000, 833, 835. 262) Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 935 Rn. 6, 10.
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An einem Verfügungsgrund kann es insbesondere fehlen, wenn ein Antragstel- 202 ler zu lange zugewartet hat, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt hat (Selbstwiderlegung).263) Ein Verfügungsgrund fehlt auch dann, wenn dem Antragsteller ein milderes Mittel zur Wahrung seiner Rechte zur Verfügung steht.264) In dringenden Fällen kann eine einstweilige Verfügung auch ohne mündliche 203 Verhandlung ergehen, § 937 Abs. 2 ZPO. Um sich hiervor zu schützen, bietet sich für die von einer einstweiligen Verfügung potentiell bedrohte Partei die Möglichkeit an, in einer bei dem zuständigen Gericht hinterlegten Schutzschrift die eigenen Verteidigungsargumente dem Gericht zugänglich zu machen. Im Fall einer bereits anfänglich ungerechtfertigten oder später aufgehobenen einstweiligen Verfügung riskiert der Antragsteller eine Schadenersatzpflicht nach § 945 ZPO. b) Einstweilige Verfügung vor Beschlussfassung Bereits vor Beschlussfassung kann ein Bedürfnis nach einer einstweiligen Ver- 204 fügung bestehen, wenn einem Geschäftsführer die Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht vorläufig entzogen werden soll und wegen besonderer Dringlichkeit nicht bis zu der häufig längere Zeit in Anspruch nehmenden Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung über die Entziehung zugewartet werden kann.265) c) Eingriff in die Beschlussfassung Bei einer in die Beschlussfassung eingreifenden einstweiligen Verfügung ist 205 zu unterscheiden, ob (i) die Beschlussfassung insgesamt oder nur bezüglich einzelner Tagesordnungspunkte untersagt werden soll oder (ii) ob die einstweilige Verfügung auf die Durchsetzung oder Untersagung einer bestimmten Stimmausübung gerichtet ist. aa) Vollständige oder teilweise Untersagung einer Gesellschafterversammlung Eine auf Untersagung der Durchführung der Gesellschafterversammlung ins- 206 gesamt oder auf die Beschlussfassung zu einzelnen Tagesordnungspunkten gerichtete einstweilige Verfügung scheitert regelmäßig an dem Gebot des mildesten Mittels.266) Allenfalls in besonders krass liegenden Ausnahmefällen, ___________ 263) KG MDR 2009, 888; KG NJW-RR 2001, 1201, 1202; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 935 Rn. 18 ff. 264) MünchKomm-ZPO/Drescher, § 935 Rn. 46 f.; OLG München NZG 2007, 152, 153 („Gebot des geringstmöglichen Eingriffs“). 265) OLG Frankfurt/M. NZG 1999, 213; Fischer, BB 2013, 2819, 2827; MünchKommZPO/Drescher, § 935 Rn. 52. 266) OLG Jena NZG 2002, 89; Henssler/Strohn/Drescher, AktG § 246 Rn. 55; abweichend OLG Koblenz NJW 1991, 1119.
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wenn ein schwerer Eingriff in das Teilnahmerecht eines Mitgesellschafters zu besorgen ist, kann eine solche einstweilige Verfügung in Betracht kommen.267) 207 Eine auf Untersagung der Durchführung einer Gesellschafterversammlung insgesamt oder der Abstimmung zu einzelnen Tagesordnungspunkten gerichtete einstweilige Verfügung ist gegen die Gesellschaft als Antragsgegnerin zu richten. bb) Eingriff in das Stimmrecht 208 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der einem Gesellschafter verboten werden soll, sein Stimmrecht in einer Gesellschafterversammlung in einer bestimmten Weise auszuüben bzw. nicht auszuüben, ist nicht von vornherein unzulässig. In diesem Fall sind jedoch an den Verfügungsgrund und den Verfügungsanspruch besonders hohe Anforderungen zu stellen.268) Erforderlich sind eine besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers und eine eindeutige Rechtslage. Insbesondere hat das Gericht aber auch zu prüfen, ob der Eingriff in das Stimmrecht nicht am Gebot des geringstmöglichen Eingriffs scheitert.269) Ein milderes Mittel liegt insbesondere dann vor, wenn die Rechte des Antragstellers durch eine gegen die Beschlussausführung gerichtete einstweilige Verfügung vergleichbar geschützt werden können wie im Fall eines Eingriffs in das Stimmrecht. 209 Eine einstweilige Verfügung, die auf eine bestimmte Stimmabgabe gerichtet ist, kann insbesondere bei Vorliegen eines Stimmbindungsvertrags in Betracht kommen. In diesem Fall dient die einstweilige Verfügung zur Sicherung der mit dem Stimmbindungsvertrag eingegangenen schuldrechtlichen Verpflichtung.270) Bei einer klaren Rechtslage und unter Beachtung des Gebots des mildesten Mittels kann eine einstweilige Verfügung auch auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gestützt werden,271) was aber wegen der vorgenannten hohen Anforderungen auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt ist. d) Einstweilige Verfügung nach Beschlussfassung 210 Nach Beschlussfassung kann sowohl die Durchsetzung der Beschlussfassung als auch die Verhinderung der Beschlussausführung Gegenstand einer einst___________ 267) MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. § 47 Rn. 298; weitergehend Werner, NZG 2006, 761, 763 bereits bei Einladung durch Unbefugte, die eine Nichtigkeit der auf der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlüsse zur Folge hat. 268) OLG Düsseldorf NZG 2005, 633. 269) OLG München NZG 1999, 407, 408; OLG München 2007, 152, 153; OLG Stuttgart GmbHR 1997, 312, 313. 270) OLG Koblenz NJW 1986, 1692, 1963; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh., § 47 Rn. 269, unter zutreffendem Hinweis, dass in einem solchen Fall der Gesellschafter selbst bereits durch Eingehen der Stimmbindung seine Willensbildungsfreiheit beschränkt hat. 271) OLG Hamburg NJW 1992, 186, 187.
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weiligen Verfügung sein.272) Antragsgegnerin ist die Gesellschaft. Ein Antrag auf Erlass einer gegen die Beschlussausführung gerichteten einstweiligen Verfügung kann auch bereits vor Einlegen der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gestellt werden; in diesem Fall ist aber deren unmittelbar bevorstehende Erhebung glaubhaft zu machen.273) Der Beschlussausführung entgegenstehende Beschlussmängel können jedoch nur von dem hierzu klagebefugten Personenkreis geltend gemacht werden. Der Antrag einer einstweiligen Verfügung nach Beschlussfassung kann bei eintragspflichtigen Beschlüssen darauf gerichtet sein, dem Geschäftsführer die Anmeldung zum Handelsregister zu untersagen, bzw. sofern diese schon bewirkt ist, sie zurückzunehmen. Bei bereits erfolgter Eintragung sowie bei nicht eintragungspflichtigen Beschlüssen kann nur noch die weitere Durchführung untersagt werden.274) Unzulässig ist eine einstweilige Verfügung, sofern der Anwendungsbereich des Freigabeverfahrens eröffnet ist.275) e) Praktisch bedeutsame Einzelfälle aa) Einstweilige Verfügung bei Abberufung eines Geschäftsführers Große Bedeutung kommt dem einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang 211 mit der Abberufung der Geschäftsführung zu. In den vorgenannten Ausnahmefällen276) kann bereits ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Beschlussfassung in Betracht kommen. Im Regelfall kommt aber lediglich eine einstweilige Verfügung nach Beschlussfassung in Betracht. Ist die Wirksamkeit von Abberufungen streitig, wie insbesondere häufig im Fall einer aus zwei Personen bestehenden GmbH, bei der sich beide Gesellschafter/ Geschäftsführer wechselseitig abberufen, so muss bis zu einer endgültigen Klärung der Wirksamkeit der Abberufung die vorläufige Rechtslage im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geklärt werden.277) Antragsteller in der einstweiligen Verfügung kann sowohl die Gesellschaft sein, die die Abberufung durchsetzen möchte als auch der Geschäftsführer, der das Fortbestehen seiner Rechte als Geschäftsführer sichern möchte.278) ___________ 272) Münchener Anwaltshandbuch GmbHR/Schindler, § 25 Rn. 88 ff. 273) Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 619. 274) Ulmer/Habersack/Löbbe/Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 289. Eine solche einstweilige Verfügung bildet (vor Eintragung) auch das Handelsregister, § 16 Abs. 2 HGB. 275) Baumbach/Hueck/Zöllner/GmbHG, Anh. § 47 Rn. 205; siehe hierzu oben II Rn. 191 und für die AG I Rn. 128. 276) Siehe oben II Rn. 204 – 209. 277) Gegen die Möglichkeit einer Klärung durch einstweilige Verfügung für den Fall, dass beide Abberufungen begründet sind allerdings OLG Düsseldorf NJW 1989, 172. Bis zu einem gerichtlichen Entscheid ist außerhalb der Anwendungsbereichs von § 84 Abs. 3 Rn. 4 AktG die materielle Rechtslage entscheidend; str., vgl. Fischer, BB 2013, 2819, 2826 m. w. N. 278) Vgl. aber zu den Einschränkungen bei Fremdgeschäftsführern sowie bei Abberufung durch einen nach dem MitbestG gebildeten Aufsichtsrat MünchKomm-GmbHG/ Stephan/Tieves, § 38 Rn. 166; OLG Hamm NZG 2002, 50; Fischer, BB 2013, 2819, 2827.
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212 Parteien eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz zur Durchsetzung einer Abberufung oder Sicherung der Rechtsposition des Geschäftsführers sind zum einen die Gesellschaft und zum anderen der bzw. die betroffenen Geschäftsführer. In einem solchen Verfahren wird die Gesellschaft entsprechend den allgemeinen Grundsätzen bei Rechtsstreitigkeiten mit Geschäftsführern wie folgt vertreten279): x
Besteht ein Aufsichtsrat, so vertritt dieser analog § 112 AktG die Gesellschaft; verfügt die GmbH lediglich über einen fakultativen Aufsichtsrat, so kann die Vertretung durch den Aufsichtsrat gesellschaftsvertraglich abbedungen werden.
x
Bei einer GmbH ohne Aufsichtsrat wird die Gesellschaft für die Rechtsstreitigkeit mit dem Geschäftsführer von einem besonderen Vertreter gem. § 46 Nr. 8 GmbHG vertreten, wenn dieser von der Gesellschafterversammlung bestellt wurde.
x
Bei einer GmbH ohne Aufsichtsrat, die auch (noch) keinen besonderen Vertreter gem. § 46 Nr. 8 GmbHG bestellt hat, ist zu prüfen, ob sie über weitere Geschäftsführer in vertretungsberechtigter Zahl neben dem der Prozess gegen die Gesellschaft führenden Geschäftsführer verfügt; ist dies der Fall, vertreten die übrigen Geschäftsführer die Gesellschaft.
x
Liegen die vorstehenden Voraussetzungen allesamt nicht vor, so kann ein klagender Geschäftsführer zur Vertretung der Gesellschaft die Bestellung eines Prozesspflegers gem. § 57 ZPO durch das Gericht anregen. Umgekehrt ist bei einer Klage der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer, die grundsätzlich im GmbH-Recht nicht anwendbare Möglichkeit einer Klage des Gesellschafters im Wege der actio pro socio unter bestimmten Voraussetzungen in Erwägung zu ziehen.280)
bb) Einstweiliger Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Gesellschafterliste 213 Einstweiliger Rechtsschutz kommt im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Richtigkeit einer Gesellschafterliste in folgender Konstellation in Betracht: x
Ist eine nach Auffassung eines hiervon betroffenen Gesellschafters unrichtige Gesellschafterliste beim Handelsregister eingereicht worden, kann der Gesellschafter durch eine gegen die Gesellschaft gerichtete einstwei-
___________ 279) OLG München NZG 2003, 634, 635; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 52 Rn. 116, 250, 305; MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves, § 38 Rn. 130 f. 280) Im Einzelnen strittig vgl. Lutz, NZG 2015, 424, 428; OLG Jena NZG 2014, 391 = ZIP 2014, 1226; OLG Braunschweig GmbHR 2009, 1276, 1277; OLG München NZG 2013, 947, 948; Zwissler, GmbHR 1999, 336, 337.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
lige Verfügung die Einreichung einer geänderten Liste geltend machen, wenn er einen Verfügungsgrund und -anspruch darlegen kann.281) x
Soll im Weg einer einstweiligen Verfügung ein Widerspruch gegen die Richtigkeit einer GmbH-Gesellschafterliste zugeordnet werden, ist umstritten, welche Anforderungen an die Darlegung eines Verfügungsgrundes zu stellen sind.282)
B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG I. Allgemeines Nicco Hahn
In der GmbH & Co. KG „vermischen“ sich GmbH und KG üblicherweise 214 zu einem einheitlichen Unternehmensträger.283) Die praktischen Erscheinungsformen sind mannigfaltig,284) so dass als Gegenstand der Betrachtung vorliegend der Grundtypus dient: eine KG deren einzige Komplementärin eine GmbH und sonst – wie es im HGB heißt – „kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist“.285) Für die betroffenen Gesellschaften, die GmbH und die KG, ergeben sich aus der Vermischung einige gesetzliche Besonderheiten.286) In rechtlicher Hinsicht sind die GmbH und die KG trotz der unternehmerischen Vermischung grundsätzlich getrennt zu betrachten und die gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten jeweils nach der Binnenverfassung der KG und ihrer GmbH-Komplementärin auszutragen. Soweit der Streit bei der Komplementär-GmbH die Rechtsbeziehungen zwi- 215 schen den Gesellschaftern untereinander und gegenüber der Geschäftsführung betrifft, regelt sich dieser nach dem Recht der GmbH. Soweit der Streit die mitgliedschaftlichen Fragen zwischen der Komplementär-GmbH und den Kommanditisten betrifft, regelt sich dieser nach dem Recht der KG. Bei Streitigkeiten über die Geschäftsführung und Vertretung der KG sind re- 216 gelmäßig zwei Ebenen betroffen. Auf erster Ebene ist die GmbH-Komplementärin als Gesellschafterin aus dem Gesellschaftsvertrag zur Geschäftsführung, und damit auch der Vertretung, berechtigt und verpflichtet. Die Erfüllung der Pflichten der GmbH gegenüber der KG können die Kommanditisten auch im Wege der actio pro socio geltend machen. Die Geltendmachung in actio pro socio erfolgt im eigenen Namen auf Leistung an die KG (VI 2 Rn. 256 ___________ 281) OLG München GmbHR 2011, 429; Dittert, NZG 2015, 201, 203; Scholz/Seibt, GmbHG, § 40 Rn. 53; a. A. KG GmbHR 2016, 416, 417 = ZIP 2016, 1166. 282) Weitergehende Anforderungen bei OLG Nürnberg NZG 2014, 1347; dagegen mit überzeugenden Gründen Dittert, NZG 2015, 221, 222 f., unter Berufung auf § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG wonach das Vorliegen eines Verfügungsgrundes zu vermuten ist; MünchHdb. GesR Bd. 7/Wiegand-Schneider, § 36 Rn. 33. 283) Zielinski, Grundtypvermischungen und Handelsgesellschaftsrecht, S. 56 f. 284) Überblick bei: Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh. § 177 Rn. 6 ff. 285) Vgl. § 131 Abs. 2 HGB. 286) Etwa §§ 19 Abs. 2, 125a, 130a, 131 Abs. 2, 172 Abs. 6, 177a, 264a HGB, § 4 MitbestG.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
lige Verfügung die Einreichung einer geänderten Liste geltend machen, wenn er einen Verfügungsgrund und -anspruch darlegen kann.281) x
Soll im Weg einer einstweiligen Verfügung ein Widerspruch gegen die Richtigkeit einer GmbH-Gesellschafterliste zugeordnet werden, ist umstritten, welche Anforderungen an die Darlegung eines Verfügungsgrundes zu stellen sind.282)
B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG I. Allgemeines Nicco Hahn
In der GmbH & Co. KG „vermischen“ sich GmbH und KG üblicherweise 214 zu einem einheitlichen Unternehmensträger.283) Die praktischen Erscheinungsformen sind mannigfaltig,284) so dass als Gegenstand der Betrachtung vorliegend der Grundtypus dient: eine KG deren einzige Komplementärin eine GmbH und sonst – wie es im HGB heißt – „kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist“.285) Für die betroffenen Gesellschaften, die GmbH und die KG, ergeben sich aus der Vermischung einige gesetzliche Besonderheiten.286) In rechtlicher Hinsicht sind die GmbH und die KG trotz der unternehmerischen Vermischung grundsätzlich getrennt zu betrachten und die gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten jeweils nach der Binnenverfassung der KG und ihrer GmbH-Komplementärin auszutragen. Soweit der Streit bei der Komplementär-GmbH die Rechtsbeziehungen zwi- 215 schen den Gesellschaftern untereinander und gegenüber der Geschäftsführung betrifft, regelt sich dieser nach dem Recht der GmbH. Soweit der Streit die mitgliedschaftlichen Fragen zwischen der Komplementär-GmbH und den Kommanditisten betrifft, regelt sich dieser nach dem Recht der KG. Bei Streitigkeiten über die Geschäftsführung und Vertretung der KG sind re- 216 gelmäßig zwei Ebenen betroffen. Auf erster Ebene ist die GmbH-Komplementärin als Gesellschafterin aus dem Gesellschaftsvertrag zur Geschäftsführung, und damit auch der Vertretung, berechtigt und verpflichtet. Die Erfüllung der Pflichten der GmbH gegenüber der KG können die Kommanditisten auch im Wege der actio pro socio geltend machen. Die Geltendmachung in actio pro socio erfolgt im eigenen Namen auf Leistung an die KG (VI 2 Rn. 256 ___________ 281) OLG München GmbHR 2011, 429; Dittert, NZG 2015, 201, 203; Scholz/Seibt, GmbHG, § 40 Rn. 53; a. A. KG GmbHR 2016, 416, 417 = ZIP 2016, 1166. 282) Weitergehende Anforderungen bei OLG Nürnberg NZG 2014, 1347; dagegen mit überzeugenden Gründen Dittert, NZG 2015, 221, 222 f., unter Berufung auf § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG wonach das Vorliegen eines Verfügungsgrundes zu vermuten ist; MünchHdb. GesR Bd. 7/Wiegand-Schneider, § 36 Rn. 33. 283) Zielinski, Grundtypvermischungen und Handelsgesellschaftsrecht, S. 56 f. 284) Überblick bei: Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh. § 177 Rn. 6 ff. 285) Vgl. § 131 Abs. 2 HGB. 286) Etwa §§ 19 Abs. 2, 125a, 130a, 131 Abs. 2, 172 Abs. 6, 177a, 264a HGB, § 4 MitbestG.
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und 7 Rn. 268). Auf zweiter Ebene wird die GmbH-Komplementärin durch ihre Geschäftsführer organschaftlich vertreten, die dabei Rechte und Pflichten aus dem Organschaftsverhältnis haben. Die Ausübung von Beteiligungsrechten und die Geltendmachung von Ansprüchen sind bei KG und GmbH jeweils unterschiedlich geregelt, können aber durch entsprechende Vertragsgestaltung weitgehend vereinheitlicht werden. Häufig erweist sich aber in der Praxis, dass die Verträge diese Vereinheitlichung – so sie denn gewollt ist – nur unzureichend regeln. Auch ohne vertragliche Regelungen führt schon allein die Gestaltung als GmbH & Co. KG dazu, dass die zweite Ebene, die Rechtsbeziehungen zwischen GmbH und ihrem Geschäftsführer, vielfach durchbrochen werden. Grund hierfür ist die Einbeziehung der KG in die Schutzwirkung des Organschaftsverhältnisses zwischen der GmbH-Komplementärin und ihren Geschäftsführern (VI 7 a) Rn. 266). Namentlich bei der Untersagung von außergewöhnlichen Geschäften (VI 2 Rn. 255 ff.) können die Kommanditisten letztlich unmittelbar auf die GmbH-Geschäftsführer Einfluss nehmen und Ersatzansprüche der KG für Schäden aus pflichtwidrigen Geschäften geltend machen (VI 7 Rn. 266 ff.). 217 Die Darstellung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten behandelt einige ausgewählte Themen, die sich aus der strukturellen Besonderheit der GmbH & Co. KG ergeben. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zur GmbH (Rn. 142 ff.) und Personengesellschaften (Rn. 274 ff.) verwiesen. Die Streitthemen der Fondsgesellschaften werden gesondert abgehandelt (Rn. 378 ff.). II. Streitigkeiten bei der Gründung 1. Allgemeines 218 Die Gründung bei der GmbH & Co. KG vollzieht sich durch die rechtlich getrennte Gründung der Komplementär-GmbH und den Abschluss eines entsprechenden Gesellschaftsvertrags zwischen dieser und den Kommanditisten.287) Die Errichtung der KG ist auch vor Abschluss des Gründungsvorgangs der GmbH möglich, indem die notariell errichtete, aber noch nicht im Handelsregister eingetragene Vor-GmbH den Gesellschaftsvertrag abschließt.288) Die Vor-GmbH ist eine Rechtsform sui generis, die grundsätzlich bereits als GmbH behandelt wird.289) Dementsprechend kann die Vor-GmbH, vertreten durch ihre Geschäftsführer auch Komplementärin einer Kommanditgesellschaft werden.290) Die KG ist mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtet, auch wenn die Vor-GmbH noch nicht im Handelsregister eingetragen ist.291) Unabhängig von der Eintragung im Handelsregister wird die KG Schuld___________ 287) 288) 289) 290) 291)
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Binz/Sorg, § 3 Rn. 1 ff., Rn. 50 ff. Binz/Sorg, § 3 Rn. 76 ff. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 11 Rn. 6. BGH, v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 Rn. 5. Binz/Sorg, § 3, Rn. 83; mit besonderen Ausführungen zur KG kraft Eintragung: Rn. 99 ff.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
nerin der namens der GmbH & Co. KG eingegangenen Verbindlichkeiten. Für diese Verbindlichkeiten haftet die GmbH sowohl als Vorgesellschaft als auch nach Eintragung gem. § 128 HGB.292) 2. Fehlgeschlagene Vor-GmbH Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten können sich ergeben, wenn die Eintragung 219 im Handelsregister scheitert oder aufgegeben wird. Die GmbH kommt dann nicht zur Entstehung und kann folglich auch nicht Komplementärin werden. a) Schicksal der Vor-GmbH Das Fehlschlagen der Eintragung der GmbH bringt die Vor-GmbH zum Er- 220 löschen. In diesem Fall haften für die Verbindlichkeiten der Vor-GmbH deren Gesellschafter und die Geschäftsführer. Es verbleit der Personenverband der GmbH-Gründer, der je nach den Verhältnissen als GbR oder OHG behandelt werden kann, wenn diese die Tätigkeit der Vor-GmbH fortsetzen.293) Diese GbR oder OHG kann auch Komplementärin der KG sein.294) Im Streitfall ist dann durch Auslegung zu klären, ob die KG auch mit der GbR, bzw. OHG als Komplementärin bestehen soll. b) Haftung der GmbH-Gesellschafter Die Haftung der Gesellschafter ergibt sich aus richterlicher Rechtsfortbil- 221 dung. Die GmbH-Gesellschafter trifft danach eine anteilige Verlustdeckungshaftung im Innenverhältnis gegenüber der GmbH.295) Bei Fehlschlagen der GmbH-Gründung entfällt die Begrenzung auf eine interne Haftung, wenn die Gesellschafter die Geschäftstätigkeit der Komplementärin nicht sofort beenden und die Vor-GmbH gesellschaftsrechtlich abwickeln. Die GmbHGründer haften dann gegenüber der KG und allen Dritten wie Personengesellschafter für sämtliche Verbindlichkeiten der Vor-GmbH, die bis zum Scheitern entstanden sind und danach entstehen.296) c) Haftung der Geschäftsführer Für die Geschäftsführer ergibt sich die Haftung aus § 11 Abs. 2 GmbHG. 222 Danach haften die Handelnden persönlich und solidarisch für alle Handlungen, die im Namen der Gesellschaft vor deren Eintragung im Handelsregister vorgenommen wurden. Wird der Geschäftsführer aus § 11 Abs. 2 GmbHG in Anspruch genommen, hat er aus dem Anstellungsverhältnis einen Regress___________ 292) 293) 294) 295) 296)
Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh. § 177a Rn. 16. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 11 Rn. 32. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 161 Rn. 3; § 105 Rn. 28. Zu den Einzelheiten: Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 11 Rn. 70, 24 ff. m. w. N. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 15; BGH, v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290 = ZIP 2002, 2309 Rn. 13.
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anspruch gegen die Vor-GmbH. Für diesen Anspruch haften dem Geschäftsführer wiederum die Gesellschafter der Vor-GmbH im Rahmen ihrer unbeschränkten Verlustdeckungshaftung.297) 223 Auch wenn der Geschäftsführer der Vor-GmbH im Namen der KG handelt, haftet er persönlich nach § 11 Abs. 2 GmbHG, weil er mit der Handlung eine entsprechende Haftung der Vor-GmbH nach § 128 HGB auslöst.298) Die Haftung nach § 11 Abs. 2 GmbHG erlischt mit Eintragung der GmbH im Handelsregister.299) III. Streitigkeiten bei Änderung der Beteiligungsverhältnisse 1. Allgemeines 224 Bei der Änderung der Beteiligungsverhältnisse können sich Streitigkeiten ergeben, wenn infolge rechtsgeschäftlicher Verfügungen oder gesetzlicher Erwerbstatbestände die Beteiligung eines Gesellschafters an GmbH und KG nicht im gleichen Verhältnis an seine(n) Rechtsnachfolger übergeht. Bei weiteren Veränderungstatbeständen kann auch die strukturelle Identität als GmbH & Co. KG gestört werden oder gar verlorengehen. 2. Beteiligungsdivergenz bei beteiligungsgleicher GmbH & Co. KG 225 Die personen- und beteiligungsgleiche GmbH & Co. KG stellt einen Hauptanwendungsfall der GmbH & Co. KG dar.300) Dabei sind die Gesellschafter der GmbH und die Kommanditisten der KG jeweils im gleichen Verhältnis am Kapital der GmbH und am Kommanditkapital der KG beteiligt. Aufgrund der unterschiedlichen Regeln für die Abtretung und Vererbung der Beteiligung sowie Einziehung und Ausschluss bei GmbH und KG kann es in der Folge dazu kommen, dass das Beteiligungsverhältnis als GmbH-Gesellschafter und als Kommanditisten nicht mehr deckungsgleich ist. 226 Das Auseinanderfallen kann sich insbesondere bei der Erbfolge ergeben, wenn ein Gesellschafter stirbt und von mehreren Erben beerbt wird. Bei der GmbH wird die Erbengemeinschaft selbst Inhaberin des Geschäftsanteils.301) Dies ist in Ansehung der Kommanditbeteiligung des Erblassers nicht möglich. Nach § 177 HGB werden die Erben eines Kommanditisten unmittelbar Kommanditisten und erwerben jeweils einzeln in dem ihrer jeweiligen Erbquote entsprechenden Teil die Kommanditbeteiligung als Sonderrechtsnachfolger.302) ___________ 297) Binz/Sorg, § 3 Rn. 97. 298) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 17; BGH, v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 Rn. 11. 299) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 17; BGH, v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 Rn. 26. 300) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 6. 301) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 15 Rn. 11. 302) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 177 Rn. 3.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
Fehlt es an hinreichenden vertraglichen Regelungen kann die Wiederherstellung 227 eines gleichen Beteiligungsverhältnisses aus der Treuepflicht (V 2 Rn. 237) geschuldet sein, in die auch die Erben als Kommanditisten im Wege der Sonderrechtsnachfolge eintreten. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist eine Klage auf eine konkrete zur Herbeiführung des gleichlaufenden Beteiligungsverhältnisses gerichtete Leistung zu richten. Im vorstehend beschriebenen Fall einer ungleichen Vererbung könnte gegen die Erben, die den Geschäftsanteil der GmbH ungeteilt halten, Klage erhoben werden, dass diese auch den Geschäftsanteil entsprechend der Erbquote teilen und unter sich zuweisen. Die Klagebefugnis für eine solche Klage dürfte bei der GmbH liegen. Soweit kein Beschluss nach § 46 Nr. 4 GmbHG vorliegt, wären die übrigen Gesellschafter der GmbH als notwendige Streitgenossen zu beteiligen. 3. Auflösungsklage gegen die KG Die Struktur der GmbH & Co. KG ist gefährdet, wenn ein wichtiger Grund 228 für die Auflösung vorliegt und ein Gesellschafter gegen GmbH oder KG eine Auflösungsklage erhebt.303) Nach § 133 Abs. 1 HGB können die Gesellschafter der KG bei Vorliegen eines wichtigen Grunds auf Auflösung der KG klagen.304) (Rn. 351 ff.) Ein wichtiger Grund ist nach § 133 Abs. 2 HGB insbesondere gegeben, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit verletzt oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. Ergänzend ist § 314 BGB heranzuziehen. Die Auflösungsklage kann nach § 133 Abs. 3 HGB vertraglich nicht abbedungen werden. Ebenso können auch GmbH-Gesellschafter deren Beteiligung 10 % des Stammkapitals ausmacht, bei Vorliegen eines wichtigen Grunds nach § 61 GmbHG auf Auflösung der GmbH klagen. Wie bei der KG kann auch bei der GmbH das Recht der Gesellschafter auf die Auflösungsklage nicht ausgeschlossen werden.305) 4. Ausscheiden der GmbH Die GmbH & Co. KG kann auch nicht unverändert fortgesetzt werden, wenn 229 die GmbH als Komplementärin ausscheidet. Das Ausscheiden der GmbH aus der KG ist gesetzlich vorgesehen, wenn über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB). Dies gilt auch bei Simultaninsolvenz von GmbH-Komplementärin und KG.306) Die Kommanditisten können zur Abwendung der weiteren Liquidation dann einen Fortsetzungsbeschluss unter Berufung eines neuen Komplementärs fassen.307) ___________ 303) 304) 305) 306) 307)
Binz/Sorg, § 8 Rn. 50 ff. Staub/Schäfer, HGB, § 133 Rn. 5. Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 61 Rn. 2. OLG Hamm, v. 3.7.2003 – 15 W 375/02, ZIP 2003, 2264 Rn. 13. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 45a.
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230 Wird ein Insolvenzantrag über das Vermögen der GmbH abgewiesen, führt dies zwar zur Auflösung der GmbH nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG. Die Auflösung hat aber weder das Ausscheiden aus der KG noch die Auflösung der KG selbst zur Folge.308) IV. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse 1. Allgemeines 231 In der GmbH & Co. KG findet die Willensbildung in GmbH und KG jeweils getrennt statt. Falls alle Gesellschafter von GmbH und KG an der Beschlussfassung beteiligt und die entsprechenden Förmlichkeiten gewahrt sind, kann die Beschlussfassung auch in einem einheitlichen Vorgang durchgeführt werden. 2. Stimmrecht und dessen Schranken 232 Eine besondere Beschränkung des Stimmrechts der Gesellschafter der GmbH oder der Kommanditisten ergibt sich aus der Struktur der GmbH & Co. KG grundsätzlich nicht. Bei der Ausübung des Stimmrechts ist im Einzelfall zu prüfen, ob aufgrund der speziellen Gestaltung ein konkretes Stimmverhalten geboten ist. 3. Bestellung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers 233 Die Bestellung eines Geschäftsführers in der GmbH kann gegen die Treuepflicht gegenüber der KG verstoßen, soweit gegen die Bestellung aus Sicht der KG ein wichtiger Grund vorliegt.309) Wenn sie nicht zugleich Gesellschafter der GmbH sind, können die Kommanditisten gegen den Bestellungsbeschluss keine eigene Beschlussanfechtungsklage erheben. Die Kommanditisten können dann aber von der GmbH verlangen, dass diese den Geschäftsführer abberuft und einen geeigneten bestellt.310) Kommt die GmbH dem nicht nach, können die Kommanditisten gegen die GmbH auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis nach § 117 HGB (VI 6 Rn. 260, C II 2 Rn. 348 ff.) oder gar deren Ausschluss nach § 140 HGB klagen (C III 2 Rn. 365 ff.311) 234 Nach bestrittener Auffassung sollen Kommanditisten auch direkt die Abberufung des Geschäftsführers analog §§ 117, 127 HGB betreiben können.312) Dagegen wird eingewandt, dass die Gestaltung als GmbH & Co. KG durchaus auch dem legitimen Zweck dienen kann, den Einfluss der Kommanditis___________ 308) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 45a; BGH, v. 8.10.1979 – II ZR 257/78 BGHZ 75, 178 = NJW 1980, 233 Rn. 5; a. A. MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 131 Rn. 74. 309) Binz/Sorg, § 9 Rn. 3 ff. 310) OLG München, v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, NZG 2004, 374, 375. 311) Binz/Sorg, § 9 Rn. 5; OLG München, v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, NZG 2004, 374, 375. 312) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 30, a. A. die h. M., vgl. MünchKommHGB/Grunewald, § 161 Rn. 80.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
ten auf die Geschäftsführung zurückzudrängen, die aufgrund der Möglichkeiten eines Vorgehens gegen die GmbH-Komplementärin nicht schutzbedürftig sind.313) Im Streitfall kann sich ein kombiniertes Vorgehen gegen Geschäftsführer und Komplementär-GmbH empfehlen. 4. Geltendmachung von Beschlussmängeln Etwaige Beschlussmängel sind nach dem System der jeweils betroffenen Ge- 235 sellschaft auszutragen. Soweit Beschlüsse nichtig sind, kann dies in beiden Gesellschaften jederzeit und ohne Beachtung förmlicher Verfahren geltend gemacht werden. Bei sonstigen Unwirksamkeitsgründen von Beschlüssen der GmbH müssen die sich hierauf berufenden Gesellschafter eine entsprechende Beschlussanfechtungsklage führen, die in Anlehnung an § 248 AktG binnen Monatsfrist erhoben werden muss.314) Für die Beschlüsse der KG ist ein förmliches Anfechtungsverfahren nicht vorgesehen; die §§ 246 ff. AktG gelten weder direkt noch analog. Die Geltendmachung unwirksamer Beschlüsse erfolgt vielmehr durch allgemeine Feststellungsklage.315) Die Klage ist nicht an eine Frist gebunden, ihrer Begründetheit kann aber bei zu langem Zuwarten und entsprechendem Umstandsmoment Verwirkung entgegenstehen.316) V. Streitigkeiten um Gesellschafterrechte und -pflichten 1. Allgemeines Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter der KG und ihrer GmbH- 236 Komplementärin sind gesetzlich unterschiedlich geregelt. Diese können im jeweiligen Gesellschaftsvertrag weitgehend angeglichen werden. Bei der Ausübung von Rechten und Einforderungen von Pflichterfüllung sind die beiden Gesellschaftsverhältnisse getrennt zu betrachten. 2. Treuepflicht Bei der GmbH & Co. KG treffen die Kommanditisten und die Komplemen- 237 tär-GmbH Treuepflichten gegenüber der KG und untereinander. Die Komplementär-GmbH muss den Gesellschaftszweck fördern und bei der Wahrnehmung eigener berechtigter Belange Rücksicht auf die Mitgesellschafter nehmen.317) Auch den GmbH-Gesellschaftern obliegt bei der Ausübung der Beteiligungsrechte in der GmbH-Komplementärin eine Treuepflicht gegenüber der KG. So darf ein Mehrheitsgesellschafter der GmbH-Komplementärin seinen bestimmenden Einfluss nicht dazu nutzen, die Geschäftsführung der ___________ 313) 314) 315) 316) 317)
MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 80. Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 145. Staub/Schäfer, HGB, § 119 Rn. 91. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 32; Staub/Schäfer, HGB, § 119 Rn. 91 ff. BGH, v. 5.12.2005 – II ZR 13/04, ZIP 2006, 230 Rn. 10.
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GmbH zu nachteiligen Geschäften zu Lasten der KG zu veranlassen.318) In einem solchen Fall können die Minderheitsgesellschafter der GmbH und der KG Schadensersatz nach § 280 BGB an die benachteiligte Gesellschaft verlangen. 3. Kapital- und Ergebnisverteilung 238 Bei der Kapital- und Ergebnisverteilung ergeben sich keine Besonderheiten. Sehr üblich ist die Gestaltung, dass die GmbH-Komplementärin nicht am Gewinn teilnimmt. Sie erhält in solchen Fällen zumeist eine geringfügige Haftungsvergütung, die so bemessen wird, dass ihre laufenden Kosten gedeckt sind, nach Möglichkeit aber kein Überschuss verbleibt. 4. Informationsrecht der Kommanditisten a) Allgemeines 239 Die Informationsrechte sind in §§ 51a, 51b GmbHG für GmbH-Gesellschafter und in § 166 HGB für die Kommanditisten unterschiedlich geregelt. Während bei der KG nur einzelne Informationen verlangt werden können, kann bei der GmbH die Auskunft grundsätzlich auf ein jedes Geschäft und das Einsichtsersuchen auf ein jedes Dokument und deren technische Surrogate gerichtet werden.319) 240 Die gerichtliche Geltendmachung der Informationsansprüche erfolgt bei der GmbH im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und bei der KG grundsätzlich im ordentlichen Rechtsweg. Zu den von der Geschäftsführung der GmbH zu erteilenden Auskünften und vorzulegenden Büchern und Schriften gehören auch die Angelegenheiten der KG, deren Geschäfte die GmbH führt. b) § 166 Abs. 1, 2 HGB 241 Die Kommanditisten, die nicht an der GmbH-Komplementärin selbst beteiligt sind, können ihren Informationsanspruch zunächst nach § 166 HGB geltend machen. Inhaltlich richtet sich der Anspruch auf die abschriftliche Mitteilung des Jahresabschlusses und dessen Prüfung unter Einsicht von Unterlagen. In Ansehung der weitergehenden Informationsansprüche der GmbH-Gesellschafter nach § 51a GmbHG und des insoweit vergleichbaren Informationsbedürfnisses der Kommanditisten wird auch eine rechtsfortbildende Erweiterung des Umfangs der nach § 166 Abs. 1 HGB zu erteilenden Auskünfte vertreten, die ein vergleichbares Einsichts- und Auskunftsrecht begründen soll.320) ___________ 318) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 22; BGH, v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15 Rn. 11 (ITT). 319) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 51a Rn. 10, 21. 320) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 1; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51a Rn. 56; a. A. MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 27.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
Die gerichtliche Geltendmachung der Informationsrechte erfolgt grundsätzlich im ordentlichen Rechtsweg durch Leistungsklage gegen die KG.321) Von der herrschenden Meinung im Schrifttum wird auch eine Leistungsklage unmittelbar gegen den Geschäftsführer für zulässig erachtet.322) c) § 166 Abs. 3 HGB Weitergehende Informationen können die Kommanditisten bei Vorliegen wich- 242 tiger Gründe nach § 166 Abs. 3 HGB verlangen. Diese Ansprüche können sich auch auf sonstige Aufklärungen richten. Als sonstige Auskünfte kann der Kommanditist Auskünfte, Einsichtsrechte, Überprüfung durch Sachverständige und auch die Erstellung von Unterlagen verlangen, die noch nicht vorhanden aber zur Aufklärung erforderlich sind.323) Ein wichtiger Grund für die Auskunft kann bei der GmbH & Co. KG in der nicht sachgerechten Geschäftsführung durch die GmbH liegen.324) Die Ansprüche nach § 166 Abs. 3 HGB sind im FamFG-Verfahren geltend zu machen.325) Der Antrag kann gegen die KG und die GmbH-Komplementärin gerichtet werden.326) Der Kommanditist kann nebeneinander sowohl die ordentliche Leistungsklage nach § 166 Abs. 1 HGB und den Antrag nach § 166 Abs. 3 HGB stellen, weil diese jeweils unterschiedliche Voraussetzungen haben.327) d) §§ 713, 666 BGB Neben dem persönlichen Informationsrecht der Kommanditisten nach § 166 243 HGB besteht ein kollektives Informationsrecht aller Gesellschafter gegen den geschäftsführenden Gesellschafter aus §§ 713, 666 BGB.328) Inhaltlich sind aus § 666 BGB Auskunft und Rechenschaft geschuldet. Zwar handelt es sich dabei nicht um ein Individualrecht, es kann aber von jedem einzelnen Gesellschafter zugunsten der Gesellschaft im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden.329) Dabei soll das Informationsrecht „funktionsgebunden“ ___________ 321) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166, Rn. 14; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 27. 322) Scholz/K.Schmidt, GmbHG, § 51a Rn. 56. 323) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 34; vgl. OLG München, v. 7.4.2009 – 31 Wx 95/08, ZIP 2009, 1165 Rn. 12; einschränkend OLG Köln, v. 17.10.2013 – 18 Wx 8/13, MDR 2013, 1416 Rn. 18. 324) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 44. 325) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166, Rn. 15; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 36. 326) BayObLG, v. 23.10.2002 – 3Z BR 157/02, BB 2003, 72 Rn. 15. 327) OLG Celle, v. 11.5.1983 – 9 U 160/82, ZIP 1983, 943 Rn. 26; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 14. 328) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 12; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 46; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51a Rn. 56; MünchKomm-BGB/Schäfer, § 713 Rn. 8. 329) LG Bonn, v. 8.6.2007 – 15 O 402/04, juris, Rn. 120; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 12; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51a Rn. 56; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 16.
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sein und den Kommanditisten folglich nur zustehen, soweit die Vornahme von außergewöhnlichen Geschäften i. S. d. § 164 HGB oder Änderungen des Gesellschaftsvertrags betroffen sind.330) 244 Die gerichtliche Geltendmachung erfolgt im ordentlichen Rechtsweg durch Leistungsklage. Die Klage auf Informationserteilung kann gegen die KG und die GmbH-Komplementärin gerichtet werden.331) e) § 51a GmbHG 245 Darüber hinaus sollen die Informationsrechte aus § 51a GmbHG den bloßen Kommanditisten nicht ohne Weiteres zustehen.332) Dem ist jedenfalls für die Fälle zu folgen, in denen sich das Informationsersuchen auf die sonstige Tätigkeit der GmbH erstreckt und keinen Bezug zur KG hat. Darüber hinaus wird vertreten, dass auch den Kommanditisten der Anspruch aus § 51a GmbHG zuzuerkennen ist, der dann aber nicht durch das FamFG-Verfahren, sondern im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit geltend gemacht werden muss.333) f) Einstweiliger Rechtsschutz 246 Die vorläufige Durchsetzung von Informationsansprüchen ist im einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 935 ff. ZPO zu beurteilen.334) Da die Auskunftserteilung regelmäßig zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt, sind entsprechend hohe Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung des Verfügungsgrunds zu stellen. Soweit der Kommanditist im Wege des FamFG-Verfahrens nach § 166 Abs. 3 HGB vorgeht, scheidet einstweiliger Rechtsschutz jedenfalls im FamFG-Verfahren aus.335) Allerdings kann der wichtige Grund für die Auskunft nach § 166 Abs. 3 HGB zugleich einen Verfügungsgrund für einen Verfügungsanspruch aus § 166 Abs. 1 HGB darstellen. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im ordentlichen Rechtsweg ist dann auch neben dem Antrag nach § 166 Abs. 3 HGB zulässig.336) 5. Wettbewerbsverbot der Kommanditisten 247 Das Wettbewerbsverbot nach §§ 112, 113 HGB trifft die GmbH als Komplementärin wie jeden anderen persönlich haftenden Gesellschafter auch. ___________ 330) LG Bonn, v. 8.6.2007 – 15 O 402/04, juris, Rn. 120. 331) LG Bonn, v. 8.6.2007 – 15 O 402/04, juris, Rn. 120. 332) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a, Rn. 25; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 45. 333) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 51a Rn. 44; a. A. MünchKomm-HGB/ Grunewald, § 166 Rn. 45; vgl. auch Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51a Rn. 56, der für eine rechtsfortbildende Erweiterung des § 166 HGB eintritt. 334) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 28. 335) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 35. 336) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 166 Rn. 28.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
Von dem Wettbewerbsverbot wird unmittelbar auch der Geschäftsführer gebunden, der die Rechte und Pflichten der GmbH-Komplementärin persönlich erfüllt. Die Kommanditisten werden nach § 165 HGB vom gesetzlichen Wettbewerbs- 248 verbot der §§ 112, 113 HGB nicht erfasst. Ihnen kann aber im Einzelfall ein Wettbewerbsverbot aus der gesellschafterlichen Treuepflicht obliegen, wenn sie in der KG tätig sind und diese beherrschen.337) Vertragliche Wettbewerbsverbote sind zulässig, können aber nach § 138 BGB, § 1 GWB unwirksam sein, wenn die Kommanditisten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft haben.338) 6. Haftung der Kommanditisten Hinsichtlich der Haftung der Kommanditisten kann sich bei der GmbH & 249 Co. KG eine erhebliche Ausnahme ergeben. Die Kommanditisten, die noch nicht im Handelsregister eingetragen sind, soll die unbeschränkte Haftung nach § 176 Abs. 1 HGB nicht treffen. Insofern soll kein Vertrauenstatbestand des Rechtsverkehrs entstanden sein, weil dieser sich bei einer GmbH & Co. KG üblicherweise darauf einstellt, dass alle Gesellschafter außer der Komplementär-GmbH, Kommanditisten sind.339) VI. Streitigkeiten um die Geschäftsführung 1. Allgemeines Die Geschäftsführung der GmbH & Co. KG obliegt nach §§ 114 Abs. 1, 164 250 HGB der Komplementär-GmbH, die durch ihren Geschäftsführer vertreten wird. Der Geschäftsführer führt zugleich auch die Geschäfte der KG und hat damit auch ihr gegenüber organschaftliche Rechte und Pflichten.340) 2. Mitentscheidungsbefugnis bei außergewöhnlichen Geschäften a) Zustimmungspflicht der Kommanditisten In der KG ist für alle Maßnahmen, die über die gewöhnlichen Geschäfte hi- 251 nausgehen, die Zustimmung der Kommanditisten erforderlich. Das in § 164 Satz 1 Halbs. 2 HGB gesetzlich vorgesehene Widerspruchsrecht wird erweiternd als Zustimmungspflicht ausgelegt.341) Das bloße Widerspruchsrecht ge___________ 337) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh. § 177a Rn. 23; BGH, v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, ZIP 1984, 446 Rn. 17. 338) OLG Frankfurt/M., v. 17.3.2009 – 11 U 61/08, DB 2009, 1640 Rn. 33; MünchKommHGB/Grunewald, § 165 Rn. 16 ff.; Oetker/Oetker, HGB, § 165 Rn. 8. 339) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 19; OLG Frankfurt/M., v. 9.5.2007 – 13 U 195/06, NZG 2007, 625 f., juris, Rn. 19; MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 11; a. A. noch BGH, v. 18.6.1979 – II ZR 194/77, NJW 1980, 54 Rn. 8. 340) Vgl. MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 84. 341) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 164 Rn. 2.
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nügt regelmäßig nicht, weil die Kommanditisten nicht an der Geschäftsführung beteiligt sind und so schon keine Kenntnis von den betreffenden Maßnahmen erhalten. Die Kommanditisten sind daher von der beabsichtigten Geschäftsführungsmaßnahme zu informieren und ihre Stellungnahme ist abzuwarten.342) Die Kommanditisten haben bei der Entscheidung über die Zustimmung einen unternehmerischen Ermessensspielraum, sind aber auch aus der Treuepflicht verpflichtet, sich vom Wohl der Gesellschaft leiten zu lassen.343) 252 Bei außergewöhnlichen Geschäften der KG kann zudem eine Vorlagepflicht an die Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH bestehen, wenn Maßnahmen den von den Gesellschaftern festgelegten Grundsätzen der Unternehmenspolitik widersprechen oder mit dem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen ist.344) 253 Der Geschäftsführer ist verpflichtet, vor der Vornahme eines außergewöhnlichen Geschäfts die Zustimmung der Kommanditisten und – soweit diese nicht personenidentisch sind – ggf. auch der Gesellschafterversammlung der GmbH einzuholen. b) Unterlassungsanspruch gegen GmbH und Geschäftsführer 254 Bei fehlender Zustimmung sowie bei sorgfaltswidrigen Geschäften steht den Kommanditisten ein Unterlassungsanspruch gegen die GmbH-Komplementärin zu.345) 255 Darüber hinaus soll ein unmittelbarer Unterlassungsanspruch der Kommanditisten gegen den Geschäftsführer nicht bestehen.346) Dies ist nicht nachvollziehbar, weil der pflichtwidrig handelnde Geschäftsführer auch der KG nach § 43 Abs. 2 GmbHG unmittelbar zum Ersatz verpflichtet ist.347) Spiegelbildlich ist daher auch ein der Schädigung vorbeugender Unterlassungsanspruch der KG gegen den Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH anzuerkennen. 256 Der Unterlassungsanspruch kann auch von den Kommanditisten im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden.348) c) Einstweiliger Rechtsschutz 257 Zur Verhinderung einer konkreten Maßnahme kann einstweiliger Rechtsschutz geboten sein. Der Antrag sollte vorsorglich gegen die GmbH-Kom___________ 342) 343) 344) 345) 346) 347)
MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 10. MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 11. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 9 f. MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 3. MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 4. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a, Rn. 28; BGH, v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, ZIP 2013, 1712 Rn. 15. 348) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 12.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
plementärin und den handelnden Geschäftsführer gerichtet werden. Gerade bei der Inanspruchnahme wegen persönlichen Verhaltens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gewährleistet die unmittelbare Untersagung gegenüber dem Geschäftsführer effektiven Rechtsschutz. Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast, dass die Handlung über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgeht, tragen die Kommanditisten. 3. Weisungskompetenz Ein allgemeines Weisungsrecht steht den Kommanditisten gegenüber den Ge- 258 schäftsführern der GmbH nicht zu, es sei denn, dass dies in den Gesellschaftsverträgen der GmbH und der KG entsprechend vereinbart wurde.349) Das Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer steht nach § 37 Abs. 1 259 GmbHG primär den Gesellschaftern der GmbH zu.350) Die Befolgung von konkreten Weisungen kann außerdem aus der der GmbH gegenüber der KG obliegenden Treuepflicht geschuldet sein. In solchen Fällen, wenn das unternehmerische Ermessen auf Null reduziert ist, dürfte nach den zu 2. Rn. 255 erläuterten Grundsätzen auch eine unmittelbare Weisungsbefugnis der Kommanditisten gegenüber dem Geschäftsführer zu bejahen sein, weil dieser seine organschaftlichen Pflichten nicht nur gegenüber der GmbH-Komplementärin, sondern auch gegenüber der KG selbst zu erfüllen hat. 4. Entziehung der Geschäftsführung Die der GmbH-Komplementärin nach §§ 114 Abs. 1, 164 HGB obliegende 260 Geschäftsführungsbefugnis kann ihr nach § 117 HGB durch Gestaltungsklage (Rn. 233, 248 ff.) entzogen werden.351) Die GmbH muss sich bei der Würdigung des wichtigen Grunds das Handeln ihres Geschäftsführers zurechnen lassen. Die Gesellschafter sind nicht darauf zu verweisen, dass sie vorrangig die Abberufung des Geschäftsführers betreiben müssten.352) An der Klage müssen alle Kommanditisten beteiligt werden, indem diese ent- 261 weder klagen oder bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der Klageerhebung zustimmen. Im Falle einer fehlenden Zustimmung kann gegen die sich weigernden Kommanditisten im gleichen Verfahren Klageantrag auf Abgabe der Zustimmungserklärung gestellt werden, die bei Ausspruch im Urteil dann auf den Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurückwirkt.353) ___________ 349) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a, Rn. 27; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 70. 350) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 91; § 37 Rn. 20 ff. 351) BGH, v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, ZIP 1983, 1066 Rn. 5. 352) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 26; BGH, v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, ZIP 1983, 1066 Rn. 38. 353) BGH, v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, ZIP 1983, 1066 Rn. 5; eingehend: MünchHdb GesR Bd. 7/Hahn, § 61 Rn. 10 ff.
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262 Ist die GmbH alleinige Komplementärin fällt die Geschäftsführungsbefugnis im Falle einer Entziehung allen Gesellschaftern, also der Komplementär-GmbH und den Kommanditisten, gemeinschaftlich zu.354) 5. Entziehung der Vertretungsbefugnis 263 Die Klage gegen die Komplementär-GmbH auf Entziehung der Vertretungsbefugnis nach § 127 HGB ist nach herrschender Meinung unzulässig, wenn kein weiterer Komplementär vorhanden ist.355) Eine organschaftliche Vertretung der KG durch die verbliebenen Kommanditisten soll nach § 170 HGB zwingend ausgeschlossen sein und auch einer Gesamtvertretung des einzigen Komplementärs mit den Kommanditisten entgegenstehen.356) Die Mindermeinung hält demgegenüber die Entziehung der Vertretungsbefugnis des einzigen Komplementärs für zulässig, nimmt dann aber an, dass dies (zunächst) zur Auflösung der KG und einer gemeinschaftlichen Vertretungsbefugnis aller Kommanditisten als Liquidatoren nach § 146 HGB führt.357) 6. Drittanstellung der Geschäftsführer 264 Der Dienstvertrag der Geschäftsführer kann statt mit der GmbH auch mit der KG abgeschlossen werden.358) Für eine solche Drittanstellung des Geschäftsführers kann ein praktisches Bedürfnis bestehen, etwa um den Buchhaltungsaufwand der sonst nicht tätigen GmbH-Komplementärin möglichst gering zu halten. Besteht zwischen der KG und dem Geschäftsführer ein Dienstvertrag können der KG hieraus auch unmittelbar vertragliche Ansprüche gegen den Geschäftsführer zustehen, soweit seine Organpflichten gegenüber der GmbH hierdurch nicht eingeschränkt werden.359) 265 Die dienstvertraglichen Ansprüche der KG können die Kommanditisten gegenüber dem Geschäftsführer im Wege der actio pro socio durchsetzen.360) 7. Regressansprüche gegen Geschäftsführer a) Schutzwirkung des Organschaftsverhältnisses 266 Das Organverhältnis zwischen der Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsführer entfaltet Schutzwirkung für die KG. Der Geschäftsführer kann nach § 43 Abs. 2 GmbHG auch gegenüber der KG haften.361) Die Erstreckung ___________ 354) BGH, v. 9.12.1968 – II ZR 33/67, BGHZ 51, 198 = NJW 1969, 507 Rn. 8; Staub/ Schäfer, HGB, § 117 Rn. 20, 78. 355) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 127 Rn. 3; a. A. Staub/Habersack, HGB, § 127 Rn. 8. 356) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 170 Rn. 1. 357) Staub/Habersack, HGB, § 127 Rn. 8; MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 127 Rn. 7. 358) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rn. 165. 359) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 81; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rn. 165. 360) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 69. 361) BGH, v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 18.
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B. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bei der GmbH & Co. KG
der Schutzwirkung des Organverhältnisses wurde vom BGH ausdrücklich anerkannt, falls die alleinige oder wesentliche Aufgabe der KomplementärGmbH darin besteht, die Geschäfte der Kommanditgesellschaft zu führen. In diesen Fällen soll das wohlverstandene Interesse der GmbH dahin gehen, dass ihr Geschäftsführer die Leitung der Kommanditgesellschaft im Rahmen seiner Organpflichten ordnungsgemäß ausübt, weil sie auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung ihrer Beteiligung bedacht sein muss und als persönlich haftende Gesellschafterin selbst aus dem Gesellschaftsverhältnis der Kommanditgesellschaft zu einer sorgfältigen Geschäftsführung verpflichtet ist. Die Komplementär-GmbH soll darauf vertrauen dürfen, dass ihr Geschäftsführer den Angelegenheiten der Kommanditgesellschaft die gleiche Sorgfalt widmet wie ihren eigenen.362) b) Keine Begrenzung auf hauptamtliche Komplementärstellung Die vorstehend erläuterten Grundsätze der Rechtsprechung sind zu bejahen. 267 Die in der Entscheidung offengelassene Einschränkung auf eine hauptamtliche Komplementärstellung ist hingegen nicht nachvollziehbar. Die organschaftlichen Befugnisse der Komplementär-GmbH unterscheiden sich nicht danach, ob diese neben den Aufgaben als persönlich haftende Gesellschafterin noch andere Zwecke verfolgt. Aus Sicht der KG ist daher die Drittwirkung uneingeschränkt notwendig, ganz gleich ob für die GmbH die Komplementärstellung nun eine wesentliche Aufgabe ausmacht oder nur untergeordnete Bedeutung einnimmt. Dies dient nicht zuletzt dem Schutz der GmbH, denn diese haftet als Komplementärin auch voll, ganz gleich, ob sie eigentlich ganz andere Aufgaben wahrnimmt. Ebenso ist auch der Komplementär, der eine natürliche Person ist, voll verantwortlich, ganz gleich ob er neben der Komplementärstellung noch anderweitig tätig ist. c) Actio pro socio Der Anspruch der KG gegen den Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH 268 kann von den Kommanditisten im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden.363) Zur Geltendmachung ist eine vorherige Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung entsprechend § 46 Nr. 8 GmbHG nicht erforderlich.364) d) Beweislastverteilung Die KG trifft entsprechend den für die GmbH geltenden Regeln eine redu- 269 zierte Darlegungs- und Beweislast.365) Sie muss darlegen und beweisen, dass ___________ 362) BGH, v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 18. 363) MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 7. 364) BGH, v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 20; Baumbach/ Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 28; Waclawik, Rn. 627. 365) Zur GmbH: BGH, v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314 Rn. 15.
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(1) der Geschäftsführer möglicherweise pflichtwidrig gehandelt hat, (2) ihr ein Schaden entstanden ist und (3) die Handlung des Geschäftsführers für den Schaden vermutlich ursächlich war.366) Hinsichtlich des Schadens genügt ein hinreichend substantiierter Vortrag von Anhaltspunkten, die die Grundlage einer gerichtlichen Schadensschätzung nach § 287 ZPO bilden können.367) 270 Den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft bei Bestreiten der Forderung die Darlegungs- und Beweislast, dass er nicht pflichtwidrig oder nicht schuldhaft gehandelt hat oder der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre.368) Der Geschäftsführer kann sich entlasten, indem er entsprechend des in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ausgeprägten Rechtsgedankens darlegt und beweisen kann, dass er auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft gehandelt hat (Business Judgement Rule).369) Der Geschäftsführer kann sich überdies entlasten, wenn er auf Weisung der Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH oder im Einverständnis mit den Kommanditisten gehandelt hat.370) e) Verjährung 271 Der Anspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG verjährt auch gegenüber der KG nach § 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren nach Entstehung des Anspruchs.371) 272 Überdies kann der Geschäftsführer gegenüber der KG bei Untreue auch deliktisch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB, § 826 BGB haften, so dass sich die Verjährung nach §§ 195, 199 Abs. 3 BGB bei einer erst später eintretenden Kenntnis oder Schadensentstehung entsprechend verlängern kann.372) VII. Streitigkeiten bei Beendigung 273 Die Auflösung der GmbH ist mit dem Tod eines persönlich haftenden Gesellschafters nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB nicht vergleichbar und führt daher auch nicht zum Ausscheiden der Komplementär-GmbH.373) Vielmehr behält die in Liquidation befindliche GmbH bis zur Vollbeendigung alle ihre Rechte und Pflichten aus der Gesellschafterstellung und damit auch die Alleinvertre___________ 366) BGH, v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 17; BGH, v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314 Rn. 15; MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 271. 367) BGH, v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 17. 368) BGH, v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 17; MünchKomm-GmbHG/ Fleischer, § 43 Rn. 272; MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 8. 369) MünchKomm-HGB/Rawert, § 114 Rn. 69; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 55 ff. 370) BGH, v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 33; MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 9. 371) MünchHdb GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 72 Rn. 8. 372) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 28; BGH, v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190 Rn. 37. 373) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 45.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
tungsbefugnis der KG.374) Da die Beteiligung an der KG einen Vermögensgegenstand der GmbH darstellt, kann die Vollbeendigung der GmbH auch erst nach deren Verwertung eintreten. Falls die GmbH bereits gelöscht wurde, ist dazu eine entsprechende Nachtragsliquidation nach § 66 Abs. 5 GmbHG durchzuführen.375) C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften I. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse Dorothee Gierth
Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen domi- 274 nieren auch im Personengesellschaftsrecht die Tätigkeit von Prozessanwälten. Sie spielen jedoch bei weitem nicht so eine zentrale Rolle, wie im Kapitalgesellschaftsrecht, da das Personengesellschaftsrecht die Gesellschafterversammlung als Beschlussorgan nicht kennt. Das Gesetz enthält für GbR, OHG und KG keine Vorschriften über Mängel von Beschlüssen. Das aus dem Aktienrecht stammende spezielle Beschlussmängelrecht findet nur sehr eingeschränkt Anwendung. 1. Mehrheitserfordernisse, Stimmrechte In Personengesellschaften gilt dem Gesetz nach das Einstimmigkeitsprinzip, 275 § 709 Abs. 1 BGB, §§ 119 Abs. 1, 171 Abs. 2 HGB. Die Einstimmigkeit ist dispositiv, so dass im Gesellschaftsvertrag die Mehrheitsmacht konstituiert werden kann, § 709 Abs. 2 BGB, §§ 119 Abs. 1, 171 Abs. 2 HGB, was in der Praxis die Regel sein dürfte, entweder durch die Mehrheit der Zahl der Gesellschafter oder in Anlehnung an die GmbH gemessen an hierfür gebildete Kapitalanteile.376) Ohne vertragliche Regelung gilt das Kopfteilprinzip (§§ 709 Abs. 2 BGB, § 119 Abs. 2 HGB). Derartige gesellschaftsvertragliche Regelungen einerseits und die auf ihnen 276 beruhenden Beschlüsse andererseits unterliegen einer formellen und materiellen Wirksamkeitskontrolle, wobei die Regelung selbst bestimmt genug sein muss377) und auch materiell wirksam sein muss, beispielsweise nicht gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen darf, an der gesellschafterlichen Treuepflicht zu messen ist und auch keinen sittenwidrigen Inhalt haben darf. Im Personengesellschaftsrecht wurde darüber hinaus die sog. Kernbereichs- 277 lehre angewandt, wonach mit einem Mehrheitsbeschluss nicht in den Kern___________ 374) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 45. 375) Vgl. auch OLG München, v. 7.5.2008 – 31 Wx 28/07, NZG 2008, 555, 556 f. zur Nachtragliquidation bei Kommanditistenstellung zur Abgabe von Steuererklärungen; allg. Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 60 Rn. 104 ff. 376) BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 Rn. 6; BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216Rn. 14. 377) BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 Rn. 15; BGHZ 203, 77 Rn. 10.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
tungsbefugnis der KG.374) Da die Beteiligung an der KG einen Vermögensgegenstand der GmbH darstellt, kann die Vollbeendigung der GmbH auch erst nach deren Verwertung eintreten. Falls die GmbH bereits gelöscht wurde, ist dazu eine entsprechende Nachtragsliquidation nach § 66 Abs. 5 GmbHG durchzuführen.375) C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften I. Streitigkeiten um Gesellschafterbeschlüsse Dorothee Gierth
Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen domi- 274 nieren auch im Personengesellschaftsrecht die Tätigkeit von Prozessanwälten. Sie spielen jedoch bei weitem nicht so eine zentrale Rolle, wie im Kapitalgesellschaftsrecht, da das Personengesellschaftsrecht die Gesellschafterversammlung als Beschlussorgan nicht kennt. Das Gesetz enthält für GbR, OHG und KG keine Vorschriften über Mängel von Beschlüssen. Das aus dem Aktienrecht stammende spezielle Beschlussmängelrecht findet nur sehr eingeschränkt Anwendung. 1. Mehrheitserfordernisse, Stimmrechte In Personengesellschaften gilt dem Gesetz nach das Einstimmigkeitsprinzip, 275 § 709 Abs. 1 BGB, §§ 119 Abs. 1, 171 Abs. 2 HGB. Die Einstimmigkeit ist dispositiv, so dass im Gesellschaftsvertrag die Mehrheitsmacht konstituiert werden kann, § 709 Abs. 2 BGB, §§ 119 Abs. 1, 171 Abs. 2 HGB, was in der Praxis die Regel sein dürfte, entweder durch die Mehrheit der Zahl der Gesellschafter oder in Anlehnung an die GmbH gemessen an hierfür gebildete Kapitalanteile.376) Ohne vertragliche Regelung gilt das Kopfteilprinzip (§§ 709 Abs. 2 BGB, § 119 Abs. 2 HGB). Derartige gesellschaftsvertragliche Regelungen einerseits und die auf ihnen 276 beruhenden Beschlüsse andererseits unterliegen einer formellen und materiellen Wirksamkeitskontrolle, wobei die Regelung selbst bestimmt genug sein muss377) und auch materiell wirksam sein muss, beispielsweise nicht gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen darf, an der gesellschafterlichen Treuepflicht zu messen ist und auch keinen sittenwidrigen Inhalt haben darf. Im Personengesellschaftsrecht wurde darüber hinaus die sog. Kernbereichs- 277 lehre angewandt, wonach mit einem Mehrheitsbeschluss nicht in den Kern___________ 374) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh § 177a Rn. 45. 375) Vgl. auch OLG München, v. 7.5.2008 – 31 Wx 28/07, NZG 2008, 555, 556 f. zur Nachtragliquidation bei Kommanditistenstellung zur Abgabe von Steuererklärungen; allg. Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 60 Rn. 104 ff. 376) BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 Rn. 6; BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216Rn. 14. 377) BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 Rn. 15; BGHZ 203, 77 Rn. 10.
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bereich von Gesellschafterpositionen eingegriffen werden darf, zumindest dann nicht, wenn die Legitimationsgrundlage nicht Ausmaß und Umfang eines möglichen Eingriffs oder Belastung des Gesellschafters hat erkennen lassen.378) 278 Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung Abstand von der Begrifflichkeit des „Kernbereichs“ genommen, aber inhaltlich seiner bisherigen Linie folgend eine zweistufige Prüfung vorgegeben: Zunächst ist die Mehrheitsklausel auf ihre Bestimmtheit hin zu prüfen. Dies gilt für jegliche Art von Beschlussinhalt. Die Mehrheitsklausel muss insoweit – ohne dass es hierzu im Gesellschaftsvertrag eines konkreten Beschlusskatalogs bedarf – stets dahingehend geprüft werden, ob sie den jeweiligen konkreten Beschlussinhalt umfassen soll (BGHZ 203, 77 Rn. 10). So kann auf dieser Stufe auch der Eingriff in ein korporatives Recht, wie beispielsweise eine Nachschusspflicht oder die Übertragung einer Mitgliedschaft einer Mehrheitsklausel unterfallen, wenn dies für den Gesellschafter bei Fassung des Gesellschaftsvertrages oder Eintritt in eine bestehende Gesellschaft erkennbar war. Auf der zweiten Stufe ist dann die Entscheidung materiell insbesondere hinsichtlich der gesellschafterlichen Treuepflicht zu untersuchen und zu prüfen, ob der Eingriff in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei.379) 279 Der BGH stellt in seinem jüngsten Urteil ausdrücklich klar, dass dies auch bei den bis dahin in der Literatur begrifflich als „relativ unentziehbare Rechte“380) eingeordneten Positionen möglich sein kann. Von der bisher herrschenden Meinung war vertreten worden, dass in die relativ unentziehbaren Rechte nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingegriffen werden darf.381) 280 Im Personengesellschaftsrecht ist anders als bei den Kapitalgesellschaften die Stimmausübung dem Gesellschafter höchstpersönlich vorbehalten, die Vertretung ist gesetzlich ausgeschlossen, zulässigerweise aber gesellschaftsvertraglich anders regelbar. Teilweise wird auch angenommen, dass eine Stimmrechtsvertretung durch Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung stets zulässig sein soll.382) 281 In nahezu jedem gerichtlichen Streit über Gesellschafterbeschlüsse spielt die Frage von Stimmrechtsausschlüssen oder umgekehrt einer treuepflichtbedingten Stimmbindungen eine Rolle. Gesetzliche Stimmverbote kennt das Gesetz für Personengesellschaften in folgenden Fällen: §§ 712 Abs. 1, 715 BGB bei Entziehung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund, ___________ x
378) BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 Rn. 9; BGHZ 203, 77 Rn. 10. 379) BGHZ 203, 77 Rn. 19 unter Hinweis auf BGH ZIP 1994, 1942, 1943; BGH ZIP 2005, 1455, 1456 f. 380) Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 709 Rn. 92 m. w. N. 381) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 36; MünchKomm-HGB/Enzinger, § 119 Rn. 70; K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 17 f. 382) MünchKomm-HGB/Enzinger, § 119 Rn. 19.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
x
§ 737 Satz 2 BGB Ausschluss eines Gesellschafters aus wichtigem Grund,
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§§ 117, 127 HGB Klage auf Entziehung von Geschäftsführungsbefugnis und Vertretung,
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§ 140 HGB Klage auf Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund.
Rechtsprechung und Lehre haben diese Fälle ausgeweitet und einen gesell- 282 schaftsübergreifenden Grundsatz das Verbot des „Richtens in eigener Sache“ geschaffen.383) Die Einzelheiten sind umstritten, insbesondere für Beschlüsse über den Abschluss von Rechtsgeschäften mit einem Gesellschafter.384) In der Rechtsprechung anerkannt sind jedenfalls gesellschaftsübergreifende Stimmrechtsausschlüsse bei der Entlastung von Gesellschaftern für deren Geschäftsführung,385) Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegen Gesellschafter,386) Befreiung von einer Verbindlichkeit387) oder bei Befreiung von einem Wettbewerbsverbot388) anerkannt. Andererseits können Gesellschafter aufgrund der gesellschaftsrechtlichen 283 Treuepflicht verpflichtet sein, Beschlüssen zuzustimmen, um die Interessen der Gesellschaft zu wahren und die Belange von Mitgesellschaftern nicht ungerechtfertigt zu beeinträchtigen. Zu nennen ist beispielsweise die Verpflichtung, einen Geschäftsführer aus wichtigem Grund abzuberufen389) oder gar in Ausnahmefällen das Gebot zur Rettung der Gesellschaft Vertragsänderungen zuzustimmen, die mit zusätzlichen Lasten verbunden sind.390) 2. Beschlussmängel Der Ablauf der Beschlussfassung als solche ist im Personengesellschaftsrecht 284 nicht geregelt, so dass vorbehaltlich abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelungen keinerlei Abstimmungsverfahren einzuhalten ist. Die Beschlüsse können in einer Gesellschafterversammlung, schriftlich, mündlich, sogar konkludent oder stillschweigend durch andauernde Übung getroffen werden. Dass auch in Personengesellschaften über formale Beschlusserfordernisse gerichtlich gestritten wird, liegt daran, dass die Art und Weise der Beschlussfassung regelmäßig im Gesellschaftsvertrag in Anlehnung an das GmbH-Recht ___________ 383) RGZ 136, 236, 245; BGHZ 65, 93, 98; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 8; Staub/Ulmer, HGB, 4. Aufl., § 119 Rn. 66. 384) Bejahend: OLG Hamburg NZG 2000, 421 ff., Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 8; a. A. MünchKomm-HGB/Enzinger, § 199 Rn. 33. 385) BGH ZIP 2012, 917 ff.; KG, Urt. v. 18.12.2008 – 23 U 95/08, juris. 386) BGH NJW 1974, 1555 f.; BGH, Urt. v. 4.11.1982 – II ZR 210/81, juris. 387) BGH ZIP 2012, 917 ff. 388) BGHZ 80, 71; BGH ZIP 2012, 917 ff. 389) BGHZ 102, 172 = ZIP 1988, 22. 390) BGHZ 183, 1 ff. = ZIP 2009, 2289 „Sanieren oder Ausscheiden“; BGH ZIP 2011, 768; BGH NJW 2015, 2882 ff.
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geregelt wird. Dies ist uneingeschränkt möglich und verbindlich, so dass Beschlüsse unwirksam sind, wenn vertraglich vereinbarte Einberufungsvorschriften oder weitere Beschlussvorgaben nicht eingehalten werden. Für die prozessuale Geltendmachung hat die vertragliche Orientierung am GmbHRecht zur Folge, dass teilweise auch ein Rückgriff auf die Regelungen und die Rechtsprechung zum Vereinsrecht und zum GmbH-Recht erfolgt.391) 285 Anders als im Kapitalgesellschaftsrecht mit seiner Differenzierung zwischen Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen, sind fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse bei Personengesellschaften stets von Anfang an unwirksam, also nichtig.392) Werden allerdings lediglich Verfahrensfehler geltend gemacht, ist zu prüfen, ob diese dem Schutz konkreter Gesellschafterinteressen dienen, oder es sich um bloße Ordnungsvorschriften handelt.393) Es gilt auch der Grundsatz, dass die Verletzung der Verfahrensregel nur von Bedeutung ist, wenn sie kausal für die Beschlussfassung war. Im Prozess kommt es hier für den Kläger darauf an, nachzuweisen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Zustandekommen des Beschlusses durch den Fehler beeinflusst ist.394) Stimmt ein fehlerhaft geladener Gesellschafter mit, ist eine Kausalität zu verneinen. Stimmt er sogar ohne Beanstandung der Verletzung der Verfahrensvorschrift mit, ist darin ein Verzicht auf die Einhaltung dieser Vorschrift zu sehen.395) 3. Besondere Prozessvoraussetzungen für die Geltendmachung von Beschlussmängeln bei Personengesellschaften 286 Die gerichtliche Geltendmachung von Beschlussmängeln erfolgt bei Personengesellschaften stets im Wege einer Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO, deren Ziel es ist, die Nichtigkeit des Beschlusses festzustellen. Auch unklare Beschlussergebnisse, etwa weil Streit über die Wirksamkeit einer maßgeblichen Stimmabgabe besteht, werden im Wege der Feststellungsklage geklärt. 287 Die aus dem Kapitalgesellschaftsrecht bekannte Anfechtungsklage ist bei Personengesellschaften nicht statthaft, da das Recht der Personalgesellschaften keine lediglich anfechtbaren Beschlüsse kennt, deren Nichtigkeit erst durch ein rechtsgestaltendes Urteil herbeigeführt werden kann.396) 288 Daher ist auch keine am Leitbild des § 246 Abs. 1 AktG orientierte Klagefrist einzuhalten. Bei einer Personengesellschaft unterliegt die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen nur der nach allgemeinen ___________ 391) Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 709 Rn. 50. 392) BGHZ 85, 350, 353 = ZIP 1983, 303; BGH NJR-RR 1990, 474; BGH NJW 1999, 3113. 393) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 31. 394) BGH ZIP 2013, 68; Rn. 47; BGH ZIP 2014, 1019. 395) Windbichler, S. 130 f. 396) BGH NJW-RR 1990, 474.
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Grundsätzen zu beurteilenden Verwirkung.397) Der Gesellschaftsvertrag kann zwar für die gerichtliche Geltendmachung der Nichtigkeit eines Beschlusses eine materielle Ausschlussfrist bestimmen. Diese darf allerdings den zur Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte notwendigen Zeitraum nicht unzulässig verkürzen und deshalb jedenfalls eine Monatsfrist nicht unterschreiten.398) Auch für die Beurteilung, wann Verwirkung eingetreten ist, ist (anders als bei der GmbH) die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG nicht heranzuziehen.399) Bei der Bestimmung der angemessenen Frist, sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Es ist zu berücksichtigen, ob zur Vorbereitung der Klage schwierige tatsächliche oder rechtliche Fragen zu klären sind.400) Wird die Unwirksamkeit des Beschlusses schon unmittelbar nach Beschlussfassung vermutet (beispielsweise weil konkrete Zweifel vom anwaltlichen Vertreter in das Protokoll aufgenommen wurden), sollte mit einer Klageerhebung nicht mehr zu lange abgewartet werden. In der Judikatur wurden Fristen von über zwei Monaten401) bis fast zehn Monaten402) geprüft. Der Beschlussmängelrechtsstreit ist nicht gegen die Gesellschaft zu führen, 289 sondern ist unter den Gesellschaftern auszutragen.403) Dogmatischer Hintergrund ist, dass Beschlussmängelklagen den Gesellschaftsvertrag und damit die Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses betreffen, über welches die Gesellschaft keine Dispositionsbefugnis hat.404) Der Gesellschaftsvertrag kann hiervon abweichend regeln, dass die Nichtigkeit 290 von Beschlüssen gegen die Gesellschaft zu richten ist.405) Diese Übertragung der materiell-rechtlichen Befugnis, über Gesellschafterbeschlüsse zu disponieren, führt zu einem Ausschluss der Zulässigkeit einer Klage gegen die übrigen Gesellschafter.406) Trotzdem entfaltet eine derartige Klage anders als bei Kapitalgesellschaften keine Rechtskraft gegenüber Mitgesellschaftern oder Gesellschaftsorganen, so dass es auch bei einer einfachen Streitgenossenschaft bleibt und keine notwendigen Streitgenossenschaft gem. § 62 ZPO vorliegt.407) Das Feststellungsinteresse hat der klagende Gesellschafter bereits aufgrund 291 seiner Zugehörigkeit zu der Gesellschaft.408) Auch Dritte können ein Feststel___________ 397) BGHZ 112, 339, 344 = ZIP 1991, 25; BGH NJW 1999, 3113. 398) BGHZ 68, 212; BGH NJW 1995, 1218 = ZIP 1995, 460; BGH NJW 1999, 3113 = ZIP 1999, 1391; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 32. 399) BGH NJW 1999, 3113 = ZIP 1999, 1391. 400) OLG Nürnberg, Urt. v. 30.1.2013 – 12 U 726/11, juris. 401) Noch angemessen in einer personalistisch geprägten GmbH, BGHZ 111, 224 = ZIP 1990, 784. 402) Nicht mehr angemessen in einer Kommanditgesellschaft, BGH NJW 1995, 1218 = ZIP 1995, 460. 403) BGH NJW 1995, 1218 = ZIP 1995, 460; BGH NJW 2006, 2854 = ZIP 2006, 1579. 404) BGH WM 1990, 675. 405) BGH NJW 1995, 1218 = ZIP 1995, 460; OLG Stuttgart GmbHR 2015, 309. 406) BGH NJW 2006, 2854 = ZIP 2006, 1579. 407) OLG Stuttgart GmbHR 2015, 309. 408) BGH NJW-RR 1992, 227.
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lungsinteresse haben, denn die Nichtigkeit eines Beschlusses ist grundsätzlich ein Zustand, der gegenüber jedermann gilt. Nichtgesellschafter können beispielsweise ein Feststellungsinteresse haben, wenn es um die Wirksamkeit von Beschlüssen geht, die den Erwerb oder Nichterwerb von Gesellschaftsanteilen eben dieses Dritten betreffen. In einem solchen Fall kann auch die Gesellschaft selbst ein Feststellungsinteresse daran haben, wer an ihr beteiligt ist.409) 4. Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelklagen 292 Anders als in der GmbH sind aufgrund der beschriebenen eingeschränkten Urteilswirkung Beschlussmängelstreitigkeiten bei Personengesellschaften uneingeschränkt schiedsfähig.410) Die vom BGH in seiner Entscheidung „Schiedsfähigkeit II“411) für die GmbH aufgestellten strengen Kriterien, insbesondere die notwendige Rechtsschutzgewährung für alle Mitgesellschafter, sind auf die allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO nicht anwendbar. Die in der BGH-Entscheidung genannten Gründe, insbesondere die Sicherung der Beteiligungsrechte aller Mitgesellschafter sowohl am Verfahren als auch auf die Auswahl der Schiedsrichter, spielen für Schiedsklauseln für Beschlussmängel bei Personengesellschaften aufgrund der bloßen interpartes-Wirkung keine Rolle.412) 293 Schiedsklauseln für Streitigkeiten unter Gesellschaftern sind in Gesellschaftsverträgen von großem Interesse, da sie eine Schlichtung innergesellschaftlicher Streitigkeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit ermöglichen. Dies ist insbesondere in Gesellschaften zur gemeinsamen Berufsausübung wichtig, wenn es sich um Angehörige von Berufsständen handelt, die einer gesetzlichen Verschwiegenheit unterliegen, wie beispielsweise Rechtsanwälte oder Ärzte. 5. Vorläufige Abwehr des Vollzugs von Beschlüssen 294 Unterliegt die Beschlussfassung einer Personenhandelsgesellschaft dem Mehrheitswillen und ist damit das Beschlussmangelrecht eröffnet, stellt sich, wie im Kapitalgesellschaftrecht in der Praxis häufig ein Bedürfnis nach einstweiligem Rechtsschutz. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses selbst kann nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes geklärt werden.413) Es kann allerdings im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes der Vollzug des in Kritik stehenden Beschlusses abgewehrt werden. 295 Rechtsschutz kann insbesondere gegen Geschäftsführungsmaßnahmen erlangt werden. Es ist z. B. anerkannt, dass dem Gesellschafter Abwehrrechte gegen eigenmächtige Vollzugshandlungen des geschäftsführenden Gesell___________ 409) LG Düsseldorf, Urt. v. 19.7.2013 – 40 O 23/12, juris. 410) BGHZ 132, 278 = ZIP 1996, 830 Rn. 6; BGH NJW 2015, 3234 = ZIP 2015, 2019; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 27.2.2012 – 26 SchH 18/11, juris. 411) BGH NJW 2009, 1962 ff. = ZIP 2009, 1003 ff. 412) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 27.2.2012 – 26 SchH 18/11, Rn. 32, juris. 413) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 32.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
schafters zustehen, die einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss voraussetzen. Dieser negatorische Anspruch kann nach den allgemeinen Voraussetzungen auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durchgesetzt werden.414) 6. Einstweiliger Rechtsschutz bei Stimmbindungsverträgen Die Einflussnahme auf zukünftige Beschlussfassungen der Gesellschafter durch 296 eine einstweilige Verfügung ist in Gesellschafterstreitigkeiten von erheblicher Bedeutung, prozessual jedoch in der Regel kaum durchsetzbar. Ein Verfügungsantrag, der darauf gerichtet ist, einem oder mehreren Mitgesellschaftern in Gesellschafterversammlungen eine bestimmte Stimmabgabe zu einem angekündigten Tagesordnungspunkt zu verbieten oder diese sogar anzuordnen, scheitert in aller Regel schon an einem Verfügungsanspruch, denn Gesellschafter sind in ihrer Stimmabgabe frei. In dem Sonderfall einer vertraglichen Stimmbindungsvereinbarung gibt es 297 allerdings eine zunehmende Tendenz innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung, einstweiligen Rechtsschutz zuzulassen. Argument ist, dass Stimmbindungsvereinbarungen zwischen einzelnen Gesellschaftern nur schuldrechtlich wirken, so dass der Berechtigte bei abredewidriger Stimmabgabe keinen Rechtsschutz im nachgelagerten Beschlussfeststellungsverfahren erlangen kann und damit einen abschließenden Rechtsnachteil erleiden könnte.415) Nur in Ausnahmefällen kann ein Verstoß gegen eine Stimmbindung die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses begründen, etwa, wenn alle Gesellschafter die Bindung eingegangen sind. Hier lässt der BGH für die GmbH aus Gründen der Prozessökonomie eine Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft mit dem Ziel zu, den Beschluss für nichtig zu erklären.416) Bei entsprechender Vertragsklausel ist diese Überlegung auf das Personengesellschaftsrecht anwendbar. Sobald jedoch nur einzelne Gesellschafter einer Stimmbindung unterworfen sind, droht jedenfalls der endgültige Verlust einer vertraglich gesicherten Position. Der Fall der schuldrechtlichen Stimmbindungsvereinbarung ist vergleichbar 298 mit einer Reihe von in obergerichtlicher Rechtsprechung ergangenen Entscheidungen, wonach ausnahmsweise im Falle der hohen Bedeutung der betreffenden Tagesordnungspunkte die schutzwürdigen Belange des Minderheitsgesellschafters im Vorfeld der Stimmabgabe einstweilig berücksichtigt wurden.417) ___________ 414) MünchHdb. GesR Bd. 1/Weipert, OHG § 57 Rn. 97. 415) OLG Koblenz NJW 1986, 1692 = ZIP 1986, 503; OLG Koblenz NJW 1991, 1119; zum Meinungsstand vgl. Michalski/Römermann, GmbHG, § 47 Rn. 247 ff. 416) BGH NJW 1983, 1910 f.; BGH NJW 1987, 1890 ff. 417) OLG Koblenz NJW 1986, 1692 f.: Stimmbindungsvereinbarung hinsichtlich Alleingeschäftsführungsbefugnis; OLG Düsseldorf GmbHR 2002, 67 f.: Erlaubnis, anwaltlichen Berater hinzuzuziehen; OLG München NZG 1999, 407 f.: Untersagung Geschäftsführung der GmbH auszutauschen; OLG Hamburg DB 1991, 1567: Austausch von Geschäftsführern; OLG Frankfurt/M. GmbHR 1993, 161, 162: Abberufung als Geschäftsführer trotz entgegenstehender Treuhandabrede.
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299 Beschließt der Verfügungsgegner unter Verstoß gegen eine so erwirkte einstweilige Verfügung gegen die Stimmbindungsvereinbarung, macht dies den Beschluss allerdings ebenfalls nicht unbedingt nachgelagert angreifbar, genauso wenig wie die Stimmbindungsvereinbarung an sich eine Anfechtbarkeit in jedem Fall begründet. Er verwirkt dadurch lediglich ein Ordnungsgeld, welches beantragt werden muss. Es sollte daher in der betreffenden Gesellschafterversammlung jeder Gesellschafter von der einstweiligen Verfügung in Kenntnis gesetzt werden, um eine (möglicherweise vertraglich vorgesehene) Beschlussfeststellung zu verhindern. II. Streitigkeiten um Gesellschafterrechte und -pflichten 1. Durchsetzung von Sozialansprüchen, Sozialpflichten, Drittgeschäfte 300 Bei sog. Sozialverbindlichkeiten handelt es sich um Ansprüche des Gesellschafters, die sich allein aus dem Gesellschaftsverhältnis ergeben. Dies sind zum einen Vermögensrechte, wie Gewinnanspruch, Anspruch aus Geschäftsführervergütung sowie Aufwendungsersatz.418) Hierzu gehören auch Verwaltungsrechte, wie etwa die Befugnis zur Geschäftsführung, zur Ausübung des Stimmrechts für das Recht auf Rechnungslegung sowie für die Informationsund Kontrollrechte. Dem gegenüber stehen die Rechte der Gesamthand gegen die einzelnen Mitglieder, also Sozialansprüche wie die Beitragspflicht, ggf. Nachschusspflicht, die Pflicht zur Geschäftsführung, etc.419) 301 Von Sozialverbindlichkeiten abzugrenzen sind Rechte und Pflichten der Gesellschafter aus Drittgeschäften mit der Gesellschaft, also aus Rechtsbeziehungen, in denen einzelne Gesellschafter als „Dritte“ außerhalb des Gesellschaftervertrags treten.420) Diese dogmatische Unterscheidung spielt im Personengesellschaftsrecht in prozessualer Hinsicht vor allem bei der GbR für die Bestimmung des richtigen Klagegegners und die korrekte prozessuale Behandlung aller Streitbeteiligten eine wichtige Rolle. 302 Sozialansprüche richten sich gegen die Gesellschaft. Die Parteifähigkeit von OHG und KG ergibt sich dabei aus dem Gesetz (§§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB). Auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird in ihrer Form als Außen-GbR als parteifähig angesehen.421) Die Außen-GbR wird in Akitvund Passivprozessen von ihren geschäftsführenden Gesellschaftern vertreten. Genau wie die Personenhandelsgesellschaften bleibt die GbR als Partei damit sowohl im Erkenntnis- als auch im Vollstreckungsverfahren als Vollstreckungsschuldnerin oder -gläubigerin durch Gesellschafterwechsel unberührt, was zu einer wesentlichen prozessualen Vereinfachung geführt hat. Die Iden___________ 418) 419) 420) 421)
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Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 705 Rn. 197. Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 705 Rn. 201. Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 705 Rn. 202. BGHZ 146, 341, 348 = ZIP 2001, 330; BGHZ 151, 204 = ZIP 2002, 1763; BGH NJW 2002, 1207 = ZIP 2002, 614.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
tifizierung der GbR im Prozess bleibt mangels Registerpublizität in der Praxis oftmals ein Problem. Auch wenn die Ausstattung einer GbR mit Identität (Name, Sitz, Handlungsorganisation und Handlungsverfassung) grundsätzlich Merkmal einer Außen-GbR sein soll,422) ist anzuraten, bei jeder Klageerhebung gegen eine GbR die Zustellung an alle Gesellschafter zu veranlassen, dies folgt bereits aus dem Prinzip der gemeinschaftlichen Vertretung nach §§ 709, 714 BGB. 2. Actio pro socio Neben der Geltendmachung durch die Gesellschaft hat jeder Gesellschafter 303 in Personengesellschaften die Möglichkeit im Wege der sog. actio pro socio, die Pflichterfüllung von seinen Mitgesellschaftern einzuklagen. Der klagende Gesellschafter kann die Leistung jedoch nur an die Gesellschaft verlangen, da der in Anspruch genommene Gesellschafter diese nur gegenüber der Gesellschaft schuldet.423) Die actio pro socio unterliegt einer gewissen Subsidiarität. Das Klagerecht kommt nur in Betracht, wenn der Gesellschafter ein berechtigtes Interesse an der Geltendmachung der Forderung hat und die anderen Gesellschafter dies aus gesellschaftswidrigen Gründen verweigern. Nur wenn die (weiteren) Organe der Gesellschaft trotz eines entsprechenden Begehrens des Gesellschafters Rechte nicht geltend machen, ist die Geltendmachung im Wege der actio pro socio zulässig.424) Nach neuer Rechtsprechung des BGH und herrschender Meinung können Gesellschafter einer Personengesellschaft bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen ihren organschaftlichen Vertreter im Wege der actio pro socio entsprechend § 46 Nr. 8 Halbs. 2 GmbHG, § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG einen besonderen Vertreter bestellen.425) 3. Streitgenossenschaft Die Gesellschafter einer OHG haften gem. § 128 HGB akzessorisch und 304 unmittelbar für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Bei späterem Eintritt haften Gesellschafter gem. § 130 HGB für bestehende Verbindlichkeiten, austretende Gesellschafter haften gem. § 160 HGB für weitere fünf Jahre. Die Akzessorietät von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld gilt auch für die Außen-GbR.426) Die akzessorische Haftung der Gesellschafter führt aber nicht immer zu einem 305 Gleichlauf der Haftung und damit zu einem Gleichlauf im Prozess: So kann ___________ 422) Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 705 Rn. 320. 423) Palandt/Sprau, BGB, § 714 Rn. 9; Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 705 Rn. 204. 424) MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 105 Rn. 201; OLG Naumburg GmbHR 2013, 932, 933. 425) BGH ZIP 2010, 2345; Karrer, NZG 2009, 932; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, § 124 Rn. 42. 426) BGHZ 146, 341 ff. = ZIP 2001, 330 ff.; BGH NJW 2003, 1803 ff.
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der Gesellschafter dem Anspruch eines Dritten nach § 129 HGB zum einen persönliche Einwendung entgegenhalten und daneben auch solche, die der OHG zustehen. 306 Auch die Abgabe von Willenserklärungen, unvertretbare Handlungen, Unterlassung und Duldung, die ausschließlich von der Gesellschaft geschuldet werden, können von persönlich haftenden Gesellschaftern nicht allein aus akzessorischer Haftung verlangt werden.427) Die in § 736 ZPO bestimmte Durchbrechung des Grundsatzes, dass eine Zwangsvollstreckung nur gegen den im Titel bezeichneten Schuldner zulässig ist, ist nach Rechtsprechung des BGH nur hinnehmbar, wenn der Gesellschafter materiell-rechtlich selbst für die titulierte Verbindlichkeit haftet.428) Daher sind die Gesellschaft und ihre Gesellschafter im Prozess über den Anspruch eines Dritten auch keine notwendigen Streitgenossen.429) Der Prozess wird entweder durch oder gegen die Gesellschafter (Gesellschaftsstreit) oder durch oder gegen einzelne oder alle Gesellschafter (Gesellschafterstreit) geführt. Die Klagen können nebeneinander geführt und auch verbunden werden. 307 Die Akzessorietät von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld analog der OHG gilt nach neuer Rechtsprechung auch für die nach außen auftretende GbR,430) so dass auch in der Außen-GbR zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterstreit oder einer Kombination aus beiden gewählt werden kann. 308 Die Entscheidung, ob gegen einzelne oder alle Gesellschafter und/oder die Gesellschaft geklagt werden soll, ist am Anfang des Prozesses zu treffen, da eine Umstellung im Prozess einen gewillkürten Parteiwechsel darstellt, der als Klageänderung nach §§ 264 ff. ZPO anzusehen ist und daher in aller Regel nur mit Zustimmung der Gegenpartei zugelassen wird.431) 309 Dagegen sind die Gesellschafter einer reinen Innen-GbR als Gesamthänder und damit als notwendige Streitgenossen zu behandeln.432) 4. Durchsetzung von Informationsansprüchen 310 Die Geltendmachung von Auskunfts- und Kontrollrechten in Personengesellschaften spielt in erster Linie dort eine Rolle, wo einige Gesellschafter nicht an der Geschäftsführung beteiligt sind und daher keine Einsicht und auch keinen faktischen Zugriff auf Unterlagen haben oder wo einem Gesellschafter aus rechtswidrigen Gründen Unterlagen vorenthalten werden. Die Informationsansprüche spielen für den gesellschaftsrechtlichen Prozess die zentrale Rolle, da in den meisten Fällen der nötige Sachverhalt, mit dem der ___________ 427) 428) 429) 430) 431) 432)
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BGH NJW 2008, 1378, 1379. BGH NJW 2008, 1378, 1379. BGHZ 54, 251, 254 f. BGHZ 146, 341 ff. = ZIP 2001, 330 ff. So bei Übergang von Gesellschafts- auf Gesellschafterprozess: BGHZ 62, 131, 132. BGH NJW-RR 1990, 867, 868.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
meist darlegungs- und beweisbelastete Gesellschafter seine Rechte im Prozess geltend machen kann, im Vorfeld nicht anders aufgearbeitet werden kann als mit Hilfe der Geltendmachung von Informationsansprüchen. a) Durchsetzung von Auskunfts- und Kontrollrechten des Kommanditisten Einem Mangel an Informationsmöglichkeiten unterliegt bereits nach der ge- 311 setzlichen Konzeption der Kommanditist, für den § 166 HGB eine Sonderregelung trifft. Der Kommanditist hat einerseits ein Recht auf Vorlage des Jahresabschlusses und auf Bucheinsicht gem. § 166 Abs. 1 HGB. Der vollständige Jahresabschluss wie auch ggf. Liquidationseröffnungs- und –schlussbilanz sind dem Kommanditisten mitzuteilen, d. h. er hat einen Anspruch auf die Aushändigung einer Kopie der Bilanz samt Gewinn- und Verlustrechnung.433) Zur Überprüfung der Abschlüsse wird ihm außerdem das Recht an die Hand gegeben, Einsicht in die Bücher und Papiere der Gesellschaft zu nehmen und mit deren Hilfe die Richtigkeit der Abschlüsse zu prüfen. Als eines der wenigen Rechte des Kommanditisten ist das Recht im Zweifel weit auszulegen. Auf Verlangen ist die Einsicht schnell, umfassend und ohne erschwerende Hindernisse zu erteilen. Der Gesellschafter darf sich zur Ausübung seines Rechts sachverständigen Beratern wie Steuerberatern, Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern behelfen, die der beruflichen Schweigepflicht unterliegen.434) Immer wieder entsteht Streit, ob der Gesellschafter einen Anspruch darauf 312 hat, Kopien der eingesehenen Unterlagen zu fertigen. Dies ist bei dem Einsichtsanspruch nach § 51a GmbHG in der obergerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile anerkannt.435) Bei dem Anspruch des Kommanditisten auf Einsicht sollte nichts anderes gelten. Das Recht nach § 166 Abs. 1 HGB muss vor dem ordentlichen Gericht an Sitz 313 der Gesellschaft geltend gemacht werden. Anders als nach § 51b GmbHG und § 166 Abs. 3 HGB handelt es sich nicht um ein Verfahren nach dem FGG, so dass für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Streitwert zu bestimmen ist, der sich nach dem Informationsinteresse des Klägers bestimmt. Das Informationsinteresse des Klägers misst sich am Wert seiner Kommanditeinlage, wobei in der Judikatur hierfür überwiegend ein Satz von 25 % angesetzt wird.436) Ausnahmsweise ist die Klage nicht gegen die Gesellschaft zu erheben son- 314 dern gegen die geschäftsführenden Gesellschafter, wenn sich die Unterlagen allein in deren persönlichem Besitz befinden.437) ___________ 433) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 3. 434) BGH WM 1962, 883; BayObLG NJW-RR 1991, 1444. 435) OLG München GmbHR 2004, 624; OLG Karlsruhe GmbHR 2013, 254, 256; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 22.4.2013 – 21 W 90/12, juris. 436) LG Dortmund, Urt. v. 13.12.2013 – 3 O 305/13, juris; OLG München, Urt. v. 12.02.2010 – 5 U 3140/09, juris; OLG Stuttgart, Urt. v. 10.10.2012 – 14 U 13/12, juris. 437) BGH BB 1970, 187.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
315 Das Recht auf Vorlage und Prüfung des Jahresabschlusses wird flankiert von dem außerordentlichen Recht gem. § 166 Abs. 3 HGB auf Einsicht in Bücher und Papiere der Gesellschaft wenn „wichtige Gründe vorliegen“. Dieses Kontrollrecht richtet sich regelmäßig gegen die Kommanditgesellschaft438) sowie gegen geschäftsführende Gesellschafter.439) Ein wichtiger Grund i. S. v. § 166 Abs. 3 HGB ist gegeben, wenn die sofortige Überwachung der Geschäftsführung im Interesse des Kommanditisten geboten ist, weil z. B. eine Schaden der Gesellschaft oder des Kommanditisten droht oder ein begründeter Verdacht nicht ordnungsgemäßer Geschäfts- oder Buchführung gegeben ist.440) Außerdem soll auch die Verweigerung oder längere Verzögerung der Kontrolle nach § 166 Abs. 1 HGB einen wichtigen Grund nach § 166 Abs. 3 HGB darstellen.441) 316 Die Gesellschaft selbst kann darüber hinaus ein Auskunftsrecht gegenüber jedem geschäftsführenden Gesellschafter geltend machen und hat darüber hinaus ein Recht auf gesonderte Rechnungslegung gem. §§ 713, 666 BGB, § 105 Abs. 3 (i. V. m. § 161 Abs. 2) HGB. Dieses Recht kann der Einzelgesellschafter im Wege der actio pro socio geltend machen, mit Einschränkungen für den Kommanditisten, dem die Geltendmachung im Wege der actio pro socio nur in den Grenzen des § 166 HGB erlaubt sein soll.442) 317 Das Informationsinteresse nach § 166 Abs. 3 HGB wird in einem sog. echten Streitverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit durchgesetzt und damit stets vor dem Amtsgericht am Sitz der Gesellschaft (§§ 377 Abs. 1, 376 Abs. 1 FamFG). Als unternehmensrechtliches Verfahren i. S. d. § 375 Abs. können nach § 376 Abs. 2 FamFG durch Rechtsverordnung der Länger Sonderreglungen zur örtlichen Zuständigkeit getroffen werden, so z. B. geschehen in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg und Sachsen.443) 318 Ein wesentlicher und in der Praxis relevanter Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht in Bezug auf die Kosten: Im ordentlichen Verfahren bemisst sich der Streitwert nach dem Interesse des Klägers an der begehrten Auskunft oder Einsichtnahme (vgl. hierzu unter Rn. 313). Der Antrag nach § 166 Abs. 3 HGB als FGG-Antrag wird nach Ermessen des Gerichts bewertet, Anhaltspunkt der Wertfestsetzung ist gem. § 30 Abs. 2 KostO ein Betrag von EUR 3.000, wenn das Gericht zu schätzen hat. Er kann je nach Einzelfall höher oder niedriger sein. In der Praxis ist zu beobachten, dass der Streitwert regelmäßig auf Beträge zwischen EUR 5.000 und EUR 10.000 festgesetzt wird. ___________ 438) 439) 440) 441) 442) 443)
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BayOLGZ 1991, 261; BayOLGZ 1994, 350; BayOLG NZG 2002, 25 f. BGH NJW 1984, 2470 = ZIP 1984, 702; BGH NJW 1989, 225 = ZIP 1988, 1175. BayOLG ZIP 2009, 1165, 1166; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 9 m. w. N. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 166 Rn. 9. BGH WM 1992, 875 = ZIP 1992, 758. Vgl. Auflistung bei Keidel/Heinemann, FamFG, 17. Aufl., § 376 Rn. 10 ff.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
b) Streitgegenstand des Informationsanspruchs Das Antragsrecht des Kommanditisten nach § 166 Abs. 3 HGB erstreckt 319 sich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht lediglich auf die Prüfung der Richtigkeit des Jahresabschlusses, sondern auch auf die Geschäftsführung des Komplementärs allgemein und auf die damit in Zusammenhang stehenden Unterlagen.444) Nach entgegengesetzter Auffassung sind die Rechte aus § 166 Abs. 3 HGB auf Auskünfte begrenzt, die zur Beurteilung des von den Geschäftsführern aufgestellten Jahresabschlusses erforderlich sind.445) Das Informationsrecht nach § 716 BGB und § 118 HGB ist hingegen umfang- 320 reich. Es ist allerdings in erster Linie ein Kontrollrecht, dass dem Gesellschafter erlaubt, sich persönlich durch Einsicht in sämtliche Papiere und Bücher der Gesellschaft zu verschaffen und dort, wo sich die benötigten Informationen nicht aus den Unterlagen der Gesellschaft ergeben, Auskunft zu verlangen. Der Auskunftsanspruch setzt voraus, dass die überlassenen Unterlagen lückenhaft oder widersprüchlich sind und daher keine Klarheit über die Angelegenheiten der Gesellschaft verschaffen können.446) In der GbR kann sich diese Notwendigkeit bereits daraus ergeben, dass die Geschäftsbücher nicht eine hinreichende Kontrolle ermöglichen, da sie eine geordnete Buchführung nicht ersetzen.447) Zu den Angelegenheiten der Gesellschaft, über die sich der Gesellschafter in- 321 formieren darf, gehört in allen Personengesellschaften nicht nur Informationen über die gegenwärtige und zu erwartendes Gewinnsituation, Informationen über Geschäftsverbindungen, über bilanzierungspflichtige Tatsachen, über Geschäftspläne, etc., sondern auch das Recht seine Mitgesellschafter zu kennen. Zwar werden die „Angelegenheiten der Gesellschaft“ negativ zu persönlichen Angelegenheiten von Mitgesellschaftern und Geschäftsführern abgegrenzt, das Recht auf Auskunft über die Namen und Anschriften seiner gesellschaftsvertraglich mit ihm verbundenen Mitgesellschafter (auch Mitkommanditisten in Publikumsgesellschaften) ist aber unentziehbar.448) Ein Anonymitätsinteresse, auch im Falle eines qualifizierten Treuhandverhältnisses, wird verneint.449) c) Informationserzwingung im einstweiligen Rechtsschutz Die ganz herrschende Meinung verneint die Möglichkeit einer Informations- 322 erzwingung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.450) Wo Informatio___________ 444) OLG München NZG 2008, 846; OLG München ZIP 2009, 1165; Baumbach/Hopt/ Hopt, HGB, § 166 Rn. 8. 445) OLG Köln NZG 2014, 660; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Weipert, HGB, 2. Aufl., § 166 Rn. 40. 446) BGH WM 1983, 910, 911; BGH BB 1972, 1245. 447) Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 716 Rn. 9. 448) BGH ZIP 2010, 27; BGH ZIP 2011, 322; BGH ZIP 2013, 619. 449) BGH ZIP 2013, 619. 450) Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, § 166 Rn. 14; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 51b Rn. 10; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51b Rn. 32; a. A. Emde, ZIP 2001, 820 f.
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nen vorenthalten werden, besteht oftmals jedoch auch die Gefahr, dass sie beiseite geschafft – oder gar vernichtet werden. Kann diese Gefahr glaubhaft gemacht werden, gibt es zumindest die Möglichkeit, Unterlagen und Informationen vorläufig zu sichern.451) d) Vollstreckung von Auskunfts- und Einsichtsrechten 323 Die Vollstreckung macht bei Informationsansprüchen stets Schwierigkeiten, insbesondere wenn sie, wie das Einsichtsrecht, als „vertretbare Handlung“ gem. § 883 ZPO mit Hilfe des Gerichtsvollziehers zu vollstrecken sind. In der Theorie erhält dieser dann – notfalls mit Zwang – Zugang zu den Geschäftsräumen, nimmt sich die Geschäftsunterlagen und übergibt diese dem Gläubiger zur Einsichtnahme. In der Praxis empfiehlt es sich häufig, eine konkrete Auskunft gerichtlich geltend zu machen. Diese wird als unvertretbare Handlung durch die Androhung eines Ordnungsgeldes durchgesetzt. 5. Streitigkeiten um Jahresabschluss, Gewinn 324 Die Aufstellung sowie die Feststellung des Jahresabschlusses (bei der GbR: Rechnungsabschluss, § 721 Abs. 1 BGB) sowie die auf dieser Grundlage zu erfolgende Gewinnverteilung und ggf. Gewinnausschüttung sind streitanfällig, stehen sich doch regelmäßig das Interesse der Gesellschaft an der Vermehrung des Gesellschaftsvermögens und der Bildung von Rücklagen dem Interesse des einzelnen Gesellschafters an einer möglichst weitgehenden Ausschüttung gegenüber. a) Streitigkeiten um den Jahresabschluss 325 Bereits die Aufstellung des Jahresabschlusses wird sehr häufig verzögert, so dass schlimmstenfalls die nicht an der Geschäftsführung beteiligten Gesellschafter im eigenen Namen auf Aufstellung des Jahresabschlusses und dessen Übergabe zur Feststellung klagen müssen und dies auch dürfen.452) Als Vorbereitungsanspruch für die Einzelansprüche auf Gewinnverwendung und in Beendigungsfällen auf Auseinandersetzung und Abfindung kann der Anspruch im Wege der Stufenklage geltend gemacht werden. Zuständig für die Aufstellung sind in Personengesellschaften die geschäftsführenden Gesellschafter. Nach § 243 Abs. 3 HGB muss der Abschluss innerhalb der einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufgestellt werden. Dies sollen maximal sechs Monate sein.453) 326 Die Feststellung des Jahresabschlusses liegt in der Hand der Gesellschafter. Sie wird durch Beschluss der Gesellschafter herbeigeführt. Als Gesellschaf___________ 451) Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, § 166 Rn. 14. 452) Palandt/Sprau, BGB, § 721 Rn. 3, OLG Saarbrücken NZG 2002, 669; BGH WM 1983, 1279. 453) OLG Düsseldorf NJW 1980, 1292; Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, § 243 Rn. 10.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
terangelegenheit der „laufenden Verwaltung“ kann die Feststellung vertraglich einer allgemeinen Mehrheitsklausel unterworfen werden.454) Wird die Feststellung verzögert oder vereitelt, kann die einzelne Gesellschaft nach einer erfolglos gebliebenen Gesellschafterversammlung auf Zustimmung zur Feststellung klagen.455) Dies gilt auch für den praktisch relevanten Fall, dass die Mehrheit im Rahmen des Feststellungsbeschlusses mit „Nein“ stimmt, vorausgesetzt, der Jahresabschluss ist inhaltlich richtig. Im Fall sog. Bilanzierungswahlrechte oder, wenn eine Gewinnthesaurierung 327 entschieden werden soll, ist das insoweit bestehende Ermessen der Gesellschafter (und bei wirksamer Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag: der Mehrheit) durch die gesellschafterlichte Treuepflicht gebunden. Bei derartigen Entscheidungen sind das Ausschüttungsinteresse des einzelnen Gesellschafters gegen das Bedürfnis der Gesellschaft der Selbstfinanzierung und Zukunftssicherung abzuwägen.456) Ein beachtliches Ausschüttungsinteresse wird dort bejaht, wo Gesellschafter einbehaltene Gewinne versteuern müssen.457) Gibt es Streitigkeiten über inhaltliche Einwände gegen den festgestellten Jah- 328 resabschluss und unterliegt die Feststellung des Jahresabschlusses einer Mehrheitsklausel, kann der überstimmte Gesellschafter den Feststellungsbeschluss nachträglich wegen inhaltlicher Mängel angreifen. Verstößt der Jahresabschluss gegen Bilanzierungsvorschriften, ist er nichtig und kann von dem Gesellschafter, der sich hierauf berufen möchte, durch Feststellungsklage gegen seine Mitgesellschafter geltend gemacht werden. Mängel des Jahresabschlusses können über einen längeren Zeitraum nach dem Feststellungsbeschluss geltend gemacht werden. Dieser Zeitraum kann sich in Anlehnung an § 256 Abs. 6 AktG bis zu drei Jahre nach Offenlegung des Jahresabschlusses erstrecken, beispielsweise, wenn der Mangel darin besteht, dass entgegen §§ 249, 253 Abs. 1 Satz 2 HGB Rückstellungen in der Bilanz überhaupt oder mit einem zu hohen Ansatz passiviert worden sind.458) Stellen sich Mängel erst nach Fassung des Feststellungsbeschlusses heraus, 329 kommt für den irrtümlich zustimmenden Gesellschafter im Nachhinein darüber hinaus die Anfechtung seiner Stimmabgabe nach den allgemeinen Regeln des BGB infrage. Er kann sich darauf berufen, dass er bei seiner Zustimmung zur Feststellung einem ausnahmsweise anfechtbaren Inhaltsirrtum unterlegen ist oder sogar getäuscht wurde. Hat sich seine Stimme jedoch nicht kausal auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt, sollte die Nichtigkeit des Beschlusses, die sich nicht nur aus der Anfechtbarkeit nach § 119 BGB, sondern auch ___________ 454) 455) 456) 457)
BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 Rn. 12 „OTTO“. OLG München NZG 2001, 959 für die Liquidationsbilanz einer OHG. BGHZ 132, 263 = ZIP 1996, 750 Rn. 29. OLG München DB 1994, 1465, 1466; BGHZ 132, 263 = ZIP 1996, 750 Rn. 31 mit der Einschränkung, dass dies bei fehlender entsprechender Regelung im Gesellschaftsvertrag durch den Tatrichter im Einzelfall bestimmt werden müsse. 458) BGH NJW 1991, 1890.
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aus der Verletzung von Informationsrechten des Gesellschafters ergeben kann, aus Gründen der Rechtssicherheit im Wege der Feststellungsklage gerichtlich geltend gemacht werden. b) Prozessuale Geltendmachung von Gewinn- und Entnahmeansprüchen 330 Ansprüche auf Entnahme und Gewinnauszahlung können im Streitfall im Wege der Zahlungsklage gegen die Gesellschaft geltend gemacht werden.459) Der Auszahlungsanspruch ist durchsetzbar, wenn er voll wirksam, fällig und nicht einredebehaftet ist. 331 Sind die Entnahmen geschäftsführender Gesellschafter unberechtigt oder zu hoch gewesen, kann grundsätzlich jeder Gesellschafter die Rückzahlung im Wege der actio pro socio an die Gesellschaft verlangen. Der die Sozialansprüche der Gesellschaft geltend machende Gesellschafter hat nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast die Entnahmen im Sinne selbständiger Verfügungen über Gesellschaftsmittel zu Gunsten des Entnehmenden darzulegen.460) Es muss dargelegt werden, dass der Beklagte selbständig zu seinen eigenen Gunsten über Gesellschaftsmittel verfügt hat. Sind die Entnahmen dargelegt und bewiesen bzw. unstreitig, hat der geschäftsführende Gesellschafter seine Berechtigung zur Entnahme darzutun und ggf. zu beweisen, da er sich sonst durch eine solche Eigenmächtigkeit in eine günstigere Beweislage setzen könnte. Die Berechtigung zur Entnahme kann sich nur aus einer Vereinbarung unter den Gesellschaftern ergeben.461) 332 Gewinnverteilung und Entnahmeregeln sind regelmäßig im Gesellschaftsvertrag detailliert geregelt, da die gesetzlichen Entnahmerechte in den Personengesellschaften für nicht sachgerecht gehalten werden. Da in Personengesellschaften das Gesellschaftsvermögen keiner besonderen Kapitalbindung unterliegt, sind vertragliche Entnahmerechte oder durch Beschluss eingeräumte Entnahmerechte ohne weiteres möglich. Auch umgekehrt kann das Recht der Entnahme zeitweilig oder langfristig vertraglich ausgeschlossen werden. Umfangreiche Entnahmesperren sind jedoch streitanfällig und können unter Umständen gegen die gesellschafterliche Treuepflicht verstoßen, weil sie das Entnahmeinteresse der Gesellschaft zu stark einschränken, insbesondere dort, wo auf entfallene Gewinne durch einzelne Gesellschafter Einkommenssteuer zu zahlen sind.462) 333 Umgekehrt können verteilte Gewinne, die noch nicht ausgeschüttet wurden, aber grundsätzlich fällig sind, ausnahmsweise aufgrund der gesellschafterlichen Treuepflicht vorübergehend von der Ausschüttung ausgeschlossen sein. Eine rechtliche Regelung trifft in der Kommanditgesellschaft der § 169 Abs. 1 HGB, ___________ 459) 460) 461) 462)
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MünchHdb GesR Bd. 1/v. Falkenhausen/H.C. Schneider, 2. Aufl., § 63 Rn. 62. BGH NJW 2000, 505 = ZIP 2000, 136; BGH NJW-RR 1994, 996. BGH NJW-RR 1994, 996 für Entnahmen aus einer GbR. BGHZ 132, 263 = ZIP 1996, 750.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
wonach bei einem offenbar drohenden Schaden der Gesellschaft ein Auszahlungsanspruch vorübergehend eingeschränkt ist. Der Treuwidrigkeitseinwand zielt insbesondere auf die Verletzung der Zweckförderungspflicht durch den Kommanditisten ab, wenn dieser durch sein Auszahlungsverlangen der Kommanditgesellschaft liquide Mittel entzieht, die diese notfalls durch Fremdkapital finanzieren muss.463) Bei dieser Beschränkung handelt es sich jedoch um eine Ausnahmeregelung. Ob es ausreicht, dass die Gesellschaft nach Ausschüttung fremdfinanziert werden muss, ist fraglich. Bei entsprechenden Kreditkonditionen kann dies durchaus denkbar sein. In der Praxis werden Kredite in der Regel sowieso nur erteilt, wenn sich die Gesellschafter bis zur Ablösung des Kredits einer Ausschüttungssperre unterwerfen. Soweit ersichtlich, hat die Berufung auf § 169 Abs. 1 HGB selten Bestand vor Gericht. Größtenteils wird vertreten, dass ein schwerer nicht wieder gut zu machender Schaden für die Gesellschaft nur entsteht, wenn durch die fälligen Gewinnansprüche der Gesellschaft durch Auszahlung der fälligen Gewinnansprüche der Gesellschafter die Insolvenz der Gesellschaft droht.464) c) Jahresabschluss als Schuldanerkenntnis Bei dem festgestellten Jahresabschluss handelt es sich um einen Akt der Bil- 334 ligung durch die Gesellschafter, mit der dessen Richtigkeit anerkannt wird. Daher wird dem Abschluss, zumindest im Verhältnis zu den für ihn stimmenden Gesellschaftern als Akt der Verbindlicherklärung mit weitreichenden Konsequenzen angesehen. So können sich aus der Bilanzfeststellung im Innenverhältnis rechtliche Konsequenzen für die Ansprüche zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern ergeben. Dem festgestellten Jahresabschluss kann für bestimmte Ansprüche der Rechtscharakter eines Schuldanerkenntnisses beigemessen werden.465) Immer wieder finden sich im Jahresabschluss auch von Personengesellschaften 335 Gesellschafterdarlehen bilanziert. Derartigen Bilanzpositionen gehen insbesondere Insolvenzverwalter gerne nach und erheben Klagen, die sie mit der Position im Jahresabschluss substantiieren. Nimmt man tatsächlich an, dass es sich bei dem Jahresabschluss um ein abstraktes Schuldanerkenntnis handelt, sollte die bloße Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses für derartige Klagen ausreichen. Geht man davon aus, dass es sich um ein rein deklaratorisches Schuldanerkenntnis handelt, kann in der Beschlussfassung zum Jahresabschluss zumindest ein Zeugnis der zustimmenden Gesellschafter466) angesehen werden, was im Prozess in der Regel zu einer Umkehrung der Beweislast führt.467) ___________ 463) Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/von Gerkan/Haas, HGB, § 169 Rn. 10. 464) OLG Bamberg NZG 2005, 808 = ZIP 2006, 525. 465) BGH WM 1966, 398; BGHZ 132, 263, 266 f.; BGH WM 2009, 986, 989 = ZIP 2009, 1111; BGH NJW 2014, 305 = ZIP 2013, 1533. 466) Im Sinne eines „Zeugnis gegen sich selbst“: BGH NJW 1986, 2571, 2572. 467) BGH NJW 2003, 1196.
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6. Durchsetzung von Wettbewerbsverboten 336 Gem. § 112 Abs. 1 HGB darf bei Personenhandelsgesellschaften kein persönlich haftender Gesellschafter ohne Einwilligung der anderen Gesellschafter im Handelszweig der Gesellschaft Geschäfte machen. Dieses Wettbewerbsverbot wird häufig im Gesellschaftsvertrag modifiziert, was mit Einschränkungen zulässig ist.468) Die Gesellschaft hat gegen Konkurrenztätigkeit Unterlassungsansprüche (aus § 112 Abs. 1 HGB), Schadensersatzansprüche bzw. ein Eintrittsrecht, wonach der das Wettbewerbsverbot verletzende Gesellschafter seinen Vorteil herausgeben muss, § 113 Abs. 1 HGB. Die Geltendmachung der Ansprüche setzt einen Gesellschafterbeschluss voraus, § 113 Abs. 2 HGB, der bei gemeinsamer Klageerhebung allerdings bereits stillschweigend erfolgt.469) 337 Die gerichtliche Durchsetzung von Wettbewerbsverboten im Personengesellschaftsrecht hat die prozessuale Hürde der kurzen Verjährung gem. § 113 Abs. 3 HGB. Die Verjährungsfrist beträgt drei Monate ab Kenntnis sämtlicher Mitgesellschafter, wobei grob fahrlässige Unkenntnis genügt. Bei fortwährenden Verstoßhandlungen wird ab dem erstmaligen Verstoß gerechnet.470) Dies macht schnelles prozessuales Handeln gegen einen gegen das Wettbewerbsverbot des § 112 HGB verstoßenden Gesellschafter nötig. Ist die Sachverhaltsaufarbeitung nicht in der gebotenen Eile möglich, etwa, weil es auf Informationen über die Konkurrenztätigkeit ankommt, die nur von dem wettbewerbswidrig handelnden Gesellschafter ausgehen, kann die Frist durch Erhebung einer Stufenklage unterbrochen werden, mit der auf der ersten Stufe Informationen über Art und Umfang des Konkurrenzgeschäfts eingeklagt werden. Diese unterbricht die Verjährung.471) III. Streitigkeiten über die Geschäftsführung 338 Streitigkeiten um die Geschäftsführung stehen meist im Zentrum von Gesellschafterstreitigkeiten. Diese münden häufig in der Entziehung der Geschäftsführung und Vertretungsmacht. Im Personengesellschaftsrecht spielt im Vorfeld des vollständigen Ausschlusses eines Geschäftsführers auch das Widerspruchsrecht der übrigen geschäftsführenden Gesellschafter gegen Einzelmaßnahmen der Geschäftsführung eine Rolle. 1. Geltendmachung des Widerspruchsrechts 339 Die gesetzliche Grundkonzeption bei der GbR ist abweichend anderer gesellschaftsvertraglicher Regelungen die Gesamtgeschäftsführung, §§ 709 Abs. 1, 710 Satz 2 BGB. In den Personenhandelsgesellschaften geht das Gesetz bei ___________ 468) 469) 470) 471)
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MünchKomm-HGB/Langhein, § 113 Rn. 23. BGHZ 89, 162 = ZIP 1984, 446. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 113 Rn. 10; MünchKomm-HGB/Langhein, § 113 Rn. 21. MünchKomm-HGB/Langhein, § 113 Rn. 21.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
mehreren vorhandenen geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern dagegen von einer Einzelgeschäftsführung aus. Anders als bei der GbR unterliegt der geschäftsführende Gesellschafter daher in dieser Konstellation abgesehen von § 116 Abs. 2 HGB, also bei Handlungen, die über den normalen Geschäftsbetrieb hinausgehen, keinem Weisungsrecht und keinem Zustimmungsvorbehalt der Mitgesellschafter.472) Das Widerspruchsrecht der anderen geschäftsführenden Gesellschafter ist 340 Ausfluss des Prinzips der Gleichberechtigung aller geschäftsführenden Gesellschafter473) und beschränkt die Geschäftsführungsbefugnis in GbR, OHG und Kommanditgesellschaft. Das Widerspruchsrecht ist ein starkes Recht: Gem. §§ 711 Satz 2 BGB, 115 Abs. 1 Halbs. 2 HGB muss bei einem entsprechenden Widerspruch die in Streit stehende Geschäftsführungsmaßnahme unterbleiben. Dass bei der Ausübung persönliche Interessen des widersprechenden Gesellschafters eine Rolle spielen, macht das Widerspruchsrecht nicht wirkungslos. Es ist nur ausnahmsweise unter Missbrauchsgesichtspunkten unbeachtlich, wenn es aus eigennützigen Motiven ausgeübt wird und gegen das Gesellschaftsinteresse verstößt,474) oder wenn eine sein Stimmrecht ausschließende Interessenskollision vorliegt.475) Dies ist bisher vornehmlich in Fallkonstellationen bejaht worden, in denen der betroffene Gesellschafter der Geschäftsmaßnahme widersprochen hat, für die Gesellschaft einen Anspruch gegen ihn gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen.476) Im Übrigen steht die Ausübung des Widerspruchsrechts im Ermessen des 341 geschäftsführenden Gesellschafters und ist daher auch nur eingeschränkt justiziabel.477) Das weite Ermessen im Rahmen seines Widerspruchsrechts wird mit dem Zweck des Rechts nach § 115 HGB begründet: dieses sei dem Gesellschafter verliehen, damit er sich nach eigener Entschließung an den in der Gesellschaft anfallenden Entscheidungen beteiligen und nach eigener Beurteilung Zweckmäßigkeit und Risiko abschätzen kann.478) Das Widerspruchsrecht darf sich nur gegen Einzelmaßnahmen der Geschäfts- 342 führung richten. Es darf sich zwar auch auf planerische Gesamtentscheidungen beziehen, ein pauschaler Widerspruch gegen die gesamte Geschäftsführung eines Gesellschafter ist allerdings nicht zulässig, denn dies würde faktisch zu einer Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und damit zur Umgehung des § 117 HGB führen.479) ___________ 472) 473) 474) 475) 476)
BGHZ 76, 160, 164. BGH NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134. BGH NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 115 Rn. 3. OLG Stuttgart NZG 2009, 1303 = ZIP 2010, 474 Rn. 271; BGH NJW 1974, 1555, 1556; RGZ 162, 370, 373. 477) BGH NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134. 478) BGH NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134. 479) Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Haas, HGB, § 115 Rn. 2.
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343 Das Widerspruchsrecht ist disponibel. Üblich ist, im Gesellschaftsvertrag dem vom Widerspruch betroffenen Gesellschafter das Recht einzuräumen die Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Vornahme einer beabsichtigten Handlung abstimmen zu lassen, wobei der Mehrheitsbeschluss entscheidet. Dies schließt das Widerspruchsrecht nicht aus, sondern schränkt es nur ein und erweitert damit die Geschäftsführungsbefugnis.480) 344 Das Zeitfenster, in welchem das Widerspruchsrecht ausgeübt werden kann, ist klein: es ist nur vor Vornahme der maßgeblichen Handlung möglich und ein späterer Widerspruch ist unbeachtlich.481) Das Widerspruchsrecht der Mitgeschäftsführer muss aktiv beachtet werden, d. h. bei Maßnahmen, bei welchen ein Widerspruch zu erwarten ist, sind die Mitgeschäftsführer vorab zu unterrichten und es ist abzuwarten, ob ein Widerspruch erklärt wird.482) 345 In der Realität lässt sich das Widerspruchrecht aber dann nicht ohne gerichtliche Hilfe durchsetzen, wenn das Widerspruchsrecht von Mitgeschäftsführern nicht respektiert wird. Nachgelagerter Rechtsschutz, wie die Überprüfung des Widerspruchs im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft wegen des Kompetenzverstoßes im Wege der actio pro socio sowie in besonders krassen Fällen der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis (§ 117 HGB) bis hin zur Ausschließung des Gesellschafters (§ 140 HGB) ist denkbar.483) 346 Von großem praktischen Interesse ist die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Diese sind, genau wie die einstweilige Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen mangels Zustimmung in Fällen des § 115 Abs. 2 HGB oder bei fehlenden obligatorischen Zustimmungsbeschlüssen484) zulässig.485) 347 Aufgrund der weitreichenden Vertretungsbefugnis des geschäftsführenden Gesellschafters entfaltet der Widerspruch in der Regel gegenüber Dritten keine Wirkung. Dies gilt selbst dann, wenn der widersprechende Gesellschafter durch die Vornahme des gegenläufigen Rechtsgeschäfts (z. B. Kündigung contra Widereinstellung) umgehend die vorherige Erklärung des anderen Gesellschafters wieder rückgängig machen kann.486) Daher dürfte auch die Mitteilung des Widerspruchs gegenüber einem Dritten und einer damit verbunden Bösgläubigkeit des Dritten nicht per se zu einer Wirkung des Widerspruchs ___________ 480) BGH NJW-RR 1988, 995 = ZIP 1988, 843. 481) MünchKomm-HGB/Rawert, § 115 Rn. 25 f.; Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/ Haas, HGB, § 115 Rn. 3. 482) BGH BB 1971, 759; MünchKomm-HGB/Rawert, § 115 Rn. 20. 483) Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Haas, HGB, § 115 Rn. 7. 484) OLG Hamm BB 1993, 165 f. 485) Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Haas, HGB, § 115 Rn. 7; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 115 Rn. 4. 486) BGHZ 16, 394; BGH NZG 2008, 588 = ZIP 2008, 1582 Rn. 47.
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im Außenverhältnis führen.487) Auch vor dem Hintergrund kann der einstweilige Rechtsschutz ein adäquates Mittel zur Durchsetzung des Widerspruchs sein. 2. Entziehungsklagen nach § 712 BGB, §§ 117, 127 HGB Im Personengesellschaftsrecht kann dem geschäftsführenden Gesellschafter 348 die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis nicht durch bloßen Gesellschafterbeschluss entzogen werden, sondern es bedarf für diese Maßnahme als ultima-ratio-Maßnahme einer Klage der übrigen Gesellschafter, bei der Kommanditgesellschaft sogar unter Einschluss der nicht zur Geschäftsführung befugten Kommanditisten.488) Die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis wird in aller Regel mit der Entziehung der Vertretungsmacht verbunden, welche in den Handelsgesellschaften gem. § 127 HGB ebenfalls durch Klage auf Entziehung möglich ist. Beide Verfahren unterliegen weitgehend denselben Voraussetzungen. In der Praxis kommt es sogar vor, dass ein Antrag auf Entziehung der „Geschäftsführungsbefugnis“ als Antrag auf Entziehung beider Rechte ausgelegt wird.489) Zu beachten ist allerdings, dass unter Umständen eine unterschiedliche Be- 349 handlung und daher auch eine unterschiedliche Ausurteilung möglich ist, da bei der materiellen Prüfung eine Abwägung aller Belange vorgenommen wird und ein Gericht zu dem Ergebnis kommen kann, dass für die Entziehung des einen genug Gründe vorliegen, die Entziehung des anderen jedoch nicht nötig ist.490) Bedeutsam wäre eine derartige Entscheidung in der Kommanditgesellschaft, wenn es um die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters geht. Hier scheidet die Entziehung der Vertretungsbefugnis, nicht jedoch der Geschäftsführungsbefugnis aus, da mit der Entziehung auch der Vertretungsbefugnis ein rechtlich unmöglicher Zustand herbeigeführt würde.491) Bei der Entziehung von Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht ist der 350 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Kann die Beschränkung der Vertretungsmacht im Streitfall ausreichen (etwa durch Umstellung der Einzelvertretungs- auf Gesamtvertretungsmacht) ist diese als milderes Mittel zunächst vorzuziehen.492) Prozessual ist jedoch zu beachten, dass die vollständige und teilweise Entziehung der Geschäftsführungsmacht und die Entziehung der Vertretungsmacht verschiedene Streitgegenstände darstellen, weshalb eine Teileinziehung nur auf einen entsprechenden Antrag des Klä___________ 487) 488) 489) 490) 491) 492)
Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, § 115 Rn. 4. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 117 Rn. 6. BGHZ 51, 199. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 127 Rn. 6. BGHZ 51, 198, 200; BGH NJW-RR 2002, 540, 541 = ZIP 2002, 396. BGHZ 51, 198, 203, BGH NJW-RR 2002, 540 = ZIP 2002, 396.
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gers zulässig ist. Bei der Teileinziehung handelt es sich nicht um ein bloßes Minus.493) Der Gesellschaftsvertrag wird durch ein entsprechendes Urteil mit einer anderen rechtlichen Tragweite umgestaltet, als bei Entzug der Vertretungsmacht. Prozessual sollte daher stets die Einschränkung der Einzelgeschäftsführungsmacht bzw. Vertretungsmacht im Wege eines Hilfsantrags geltend gemacht werden. 351 Im Zentrum der Klage auf Entziehung von Geschäftsführung und Vertretungsmacht steht die materielle Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt. Die Frage ob ein wichtiger Grund vorliegt, wird in Personengesellschaften wie in personalistisch strukturierten GmbHs auf Grundlage derselben Definition und ähnlicher Beurteilungsmaßstäbe beantwortet. Im Wesentlichen handelt es sich um Einzelfallentscheidungen. Nach dem Gesetz liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Geschäftsführer eine grobe Pflichtverletzung oder die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung/Vertretung vorzuwerfen ist, die die Belassung des Geschäftsführers in der Organstellung oder zumindest die uneingeschränkte Aufrechterhaltung seiner Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis unzumutbar macht.494) 352 Es gibt eine große Anzahl von entschiedenen Einzelfällen, welche vornehmlich zum GmbH-Recht ergangen sind, sich jedoch auch auf Personengesellschaften übertragen lassen. Im Wesentlichen lassen sich folgende Fallgruppen unterscheiden: x
„Untreuetatbestände“: Der Missbrauch von Gesellschaftsvermögen für eigene Zwecke steht immer wieder im Fokus von Abberufungsklagen. Kann die Zweckentfremdung von Gesellschaftsvermögen nachgewiesen werden, wird ein wichtiger Grund in der Regel bejaht;495)
x
Verstöße gegen die Kompetenzordnung, insbesondere wenn der Geschäftsführer gegen Zustimmungsvorbehalte der nichtgeschäftsführenden Gesellschafter verstößt;496)
x
„Zerrüttungsfälle“: Wenn ein tiefgreifendes Zerwürfnis zwischen den geschäftsführenden Gesellschaftern besteht, die eine gedeihliche Zusammenarbeit unmöglich macht, besteht unabhängig vom Verschulden ein
___________ 493) BGH, NJW-RR 2002, 540 = ZIP 2002, 396; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 117 Rn. 5. 494) BGHZ 102, 172, 179 = ZIP 1988, 22; BGH NJW 1984, 173 = ZIP 1983, 1066; BGH GmbHR 1985, 256; BGH ZIP 1992, 760, 761; BGH DStR 1994, 1746, 1747; BGH NZG 2008, 298 = ZIP 2008, 597; BGH ZIP 2009, 513. 495) BGH WM 1985, 567; BGH GmbHR 1968, 141: Hier hatte der Geschäftsführer seine Stellung dazu ausgenutzt, ein vorteilhaftes eigenes Geschäft abzuschließen; OLG Zweibrücken GmbHR 1998, 373; OLG Düsseldorf WM 1992, 14 ff.; OLG Hamm GmbHR 1985, 119. 496) BGH GmbHR 2008, 487; OLG München DB 2009, 1231, 1233; OLG Karlsruhe NZG 2000, 264 ff.; OLG Naumburg NZG 2000, 444 f.; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 257; OLG Naumburg GmbHR 1996, 934 ff.; OLG Hamm GmbHR 1992, 805 ff.; OLG Hamburg GmbHR 1992, 43 ff.
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wichtiger Grund zur Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis.497) 3. Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis in der Zweipersonengesellschaft Gerade die richterrechtliche Ausgestaltung der letztgenannten Fallgruppe eines 353 tiefgreifenden Zerwürfnisses spielt in Zweipersonengesellschaften eine große Rolle und führt zu erheblichen praktischen Problemen: Für eine Zwei-Personen-GmbH soll es nach Auffassung des BGH zur Abbe- 354 rufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund mit einem Mitgeschäftsführer ausreichen, dass die Gesellschafter(geschäftsführer) untereinander so zerstritten sind, dass eine Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht mehr möglich sei. In einem solchen Fall könne jeder von ihnen jedenfalls dann abberufen werden, wenn er durch sein – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten zu dem Zerwürfnis beigetragen hat. Dabei komme es in der ZweiPersonen-Gesellschaft bei wechselseitiger Verursachung des Zerwürfnisses nicht einmal darauf an, wer in welchem Maße dazu beigetragen hat. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass der Verursachungsanteil des Abzuberufenden denjenigen des Mitgeschäftsführers überwiegt. Kann beiden Geschäftsführern infolge ihres jeweiligen Verhaltens ein Zerwürfnis angelastet werden, könne in der GmbH auch eine wechselseitige Abberufung erfolgen.498) Zwar mag diese Rechtsfolge in der GmbH zumindest rechtlich möglich sein, 355 da es in der Theorie möglich ist, einen Fremdgeschäftsführer als Ersatz zu bestellen. In der zweigliedrigen Personengesellschaft würde in einer derartigen Situation allerdings der Grundsatz der Selbstorganschaft Probleme bereiten. Entsprechend dürfte bei der endgültigen Zerrüttung zweier geschäftsführender Gesellschafter in einer Zweipersonengesellschaft nur die Auflösung der Gesellschaft im Ganzen in Betracht kommen, da eine dauerhafte Fremdorganschaft ausgeschlossen ist. Würde man sich hier auf den Standpunkt stellen, dass in Zerrüttungsfällen nur ein Geschäftsführer abzuberufen ist, käme es andernfalls in den meisten Fällen nur darauf an, wer sich gegenüber dem anderen Teil als erster auf § 712 Abs. 1 BGB beruft.499) 4. Einstweiliger Rechtsschutz Sowohl aus Sicht des ausgeschlossenen Gesellschaftergeschäftsführers als 356 auch aus Sicht der übrigen Gesellschafter spielt in streitigen Auseinanderset___________ 497) BGH NJW 1960, 628; BGH WM 1984, 29 f.; BGH ZIP 1992, 760 ff.; BGH NJW-RR 2009, 618; OLG Düsseldorf, WM 1988, 1532 ff.; OLG Naumburg GmbHR 1996, 934 ff.; OLG Düsseldorf GmbHR 1994, 884 ff. 498) BGH NJW-RR 2009, 618 Rn. 15. 499) OLG Zweibrücken, Urt. v. 17.2.2005 – 4 U 115/04, Rn. 30, juris; Ulmer/Schäfer, GbR PartG, § 712 Rn. 11.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
zungen um Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis einstweiliger Rechtschutz eine wichtige Rolle. Es ist anerkannt, dass die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht gem. §§ 117, 127 HGB bereits durch eine einstweilige Verfügung ganz oder teilweise entzogen werden kann.500) 357 In besonderen Ausnahmefällen soll es sogar zulässig sein, im Wege des einstweiligen Rechtsschutz einen Fremdgeschäftsführer als alleinigen Geschäftsführer der Personengesellschaft zur Überbrückung des Schwebezustands während des Ausschließungsprozesses zu bestellen.501) Ein Ausschließungsprozess sei seinem Ziel nach auf eine „(personelle)Teil-Auseinandersetzung“ gerichtet. Die Beziehungen der Gesellschafter sind während der Dauer des Prozesses typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass die Vertrauensgrundlage zwischen ihnen zerstört ist und ein sinnvolles Zusammenwirken nicht mehr möglich sei. Dies zeige, dass während der Dauer des Ausschließungsprozesses (und so auch im Auflösungsprozess) eine Überbrückung durch die Einsetzung eines Fremdgeschäftsführers ähnlich wie in der Liquidation, in welcher eine Fremdorganschaft zulässig ist (§ 146 Abs. 2 HGB), gerechtfertigt sei.502) IV. Streitigkeiten bei Beendigung 1. Auflösungsklage 358 Bei Personenhandelsgesellschaften muss gem. § 133 HGB (ggf. i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB) bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Zwangsauflösung im Klagewege betrieben werden. Anders als in der GbR kann die Auflösung, nicht durch bloße Kündigungserklärung herbeigeführt werden, es sei denn, es wurde eine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen.503) Jeder Gesellschafter kann nach § 133 Abs. 1 HGB die Auflösungsklage erheben. 359 Sieht der Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit einer Auflösungskündigung vor, entfällt für die Auflösungsklage das Rechtsschutzbedürfnis.504) Die gesellschaftsvertraglich vorgesehene Möglichkeit zu einer Austrittskündigung wird verdrängt die Auflösungskündigung dagegen grundsätzlich nicht, im Einzelfall kann allerdings der Auflösungsgrund entfallen, wenn es dem Kläger zuzumuten ist, auszuscheiden und sich abfinden zu lassen.505) 360 Die Auflösungsklage ist gegen alle Mitgesellschafter zu erheben, die nicht selbst aktiv die klageweise Auflösung der Gesellschaft betreiben.506) Dies gilt allerdings nicht für Gesellschafter die sich bereits außergerichtlich bindend ___________ 500) 501) 502) 503) 504) 505)
BGHZ 33, 105. BGHZ 33, 105 ff. BGHZ 33, 105, 111; OLG Hamm, Urt. v. 8.7.2007 – 8 O 91/07, juris. MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 133 Rn. 1. BGHZ 31, 295, 300; MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 133 Rn. 6. OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.1.2014 – 14 W 15/13, juris; MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 133 Rn. 7; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, § 133 Rn. 7. 506) BGH NJW 1998, 146, 147 = ZIP 1997, 1919; BGHZ 30, 195, 197.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
erklärt haben, sie seien mit der Auflösung der Gesellschaft einverstanden.507) Eine derartige Erklärung kann in Form einer schriftlichen Zustimmung der Mitgesellschafter abgeben werden, dass eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung für sie eine rechtsverbindliche und verpflichtende Wirkung habe.508) Zuständig für die Auflösungsklage ist mit Rücksicht auf den Streitwert ge- 361 messen an dem Auflösungsinteresse509) in aller Regel vor dem Landgericht des Sitzes der Gesellschaft zu erheben. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG ist die Kammer für Handelssachen funktionell zuständig. Durch das Gestaltungsurteil wird die Gesellschaft aufgelöst und die Liqui- 362 dation wird eröffnet, die sodann gem. §§ 145 ff. HGB durchzuführen ist. In der Liquidation gilt bei Personenhandelsgesellschaften in Anlehnung an 363 die GbR die sog. Durchsetzungssperre. Es hat eine Gesamtabrechnung unter den Gesellschaftern nach den §§ 149, 155 HGB zu erfolgen. Die Pflicht zur Gesamtabrechnung verhindert, dass Einzelansprüche, die auf dem mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis beruhen, isoliert geltend gemacht werden können. Einzelansprüche sind lediglich Rechnungsposten innerhalb der Gesamtabrechnung.510) Etwas anderes gilt nur, wenn sich aus dem Sinn und Zweck der gesellschafts- 364 vertraglichen Bestimmung ergibt, dass Ansprüche im Falle der Auflösung der Gesellschaft oder des Ausscheidens eines Gesellschafters ihre Selbständigkeit behalten sollen.511) Die Durchsetzungssperre wird darüber hinaus von § 155 Abs. 2 HGB durchbrochen, der dem Gesellschafter einen gegen die Gesellschaft klagbaren Anspruch auf Vorabausschüttung gewährt.512) 2. Ausschluss aus wichtigem Grund In der Personenhandelsgesellschaft eröffnet das Gesetz nach § 140 HGB die 365 Möglichkeit, Gesellschafter durch Urteil aus der OHG auszuschließen. Die Regelung ist dispositiv, eine Klage ist unbegründet, wenn der Gesellschaftsvertrag ein abweichendes Verfahren für den Ausschluss von Gesellschaftern vorsieht, insbesondere die Ausschließung durch Gesellschafterbeschluss.513) Die Klage erfolgt auf Antrag aller übrigen Gesellschafter gegen den auszu- 366 schließenden Gesellschafter, in dessen Person oder in dessen Verhalten ein wichtiger Grund i. S. d § 133 HGB vorhanden ist. Der auszuschließende Ge___________ 507) 508) 509) 510)
BGH WM 1958, 216, 217; BGH NJW 1998, 146 = ZIP 1997, 1919. BGH NJW 1998, 146, 147 = ZIP 1997, 1919. Staub/Schäfer, HGB, § 133 Rn. 59. BGHZ 103, 72 ff. = ZIP 1988, 899; BGH ZIP 2005, 1068, 1070; BGH NJW 2011, 2355, 2356 = ZIP 2011, 1359; BGH ZIP 2016, 216 ff. 511) BGH NJW 1998, 46, 47; BGH NJW 2011, 2355, 2356 = ZIP 2011, 1359. 512) Staub/Habersack, HGB, § 155 Rn. 25. 513) BGHZ 31, 295, 300; BGHZ 68, 212, 214.
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sellschafter muss nach § 133 Abs. 2 HGB eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder fahrlässig verletzt haben. Im Rahmen der Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, wird berücksichtigt, dass die Ausschließung äußerstes Mittel der gesellschaftsrechtlichen Konfliktlösung ist. Vorrang vor der Ausschließung hat wegen des weitreichenden Eingriffs in die Rechte des betroffenen Gesellschafters jedes mildere zur Bewältigung der eingetretenen Störung vergleichbar geeignete Mittel.514) Die Feststellung des Gerichts ist aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände zu treffen, die bei Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen.515) 367 In § 140 Abs. 1 Satz 2 HGB ist auch der Sonderfall einer Übernahmeklage in der zweigliedrigen OHG geregelt. Da nach der Ausschließung eines von insgesamt zwei Gesellschaftern keine Gesellschaft mehr vorhanden ist, läuft die Ausschließungsklage in diesen Fällen faktisch auf eine Übernahmeklage hinaus.516) Durch das Gestaltungsurteil erlischt die Gesellschaft und das Gesellschaftsvermögen wird im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Alleinvermögen des letzten Gesellschafters. 368 Der ausscheidende Gesellschafter hat einen Anspruch auf Abfindung, § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. § 105 Abs. 2 HGB. Die Höhe der Abfindung berechnet sich danach, was der Gesellschafter bei Auflösung der Gesellschaft und Auseinandersetzung erhalten würde. Maßgeblich ist der volle wirtschaftliche Wert des lebenden Unternehmens also dessen Verkehrswert.517) Zum Zwecke der Berechnung ist eine besondere Stichtagsbilanz auf den Tag des Ausscheidens auszustellen. Im Falle des Ausschließungsurteils ist dies nach § 140 Abs. 2 HGB der Tag der Klageerhebung.518) Bei der Abschichtungsbilanz handelt es sich um eine echte Vermögensbilanz, die den Wert des lebenden Unternehmens wiedergeben soll. Alle Bilanzpositionen sind mit ihrem wirklichen Wert anzusetzen und stille Reserven aufzulösen. Daneben sind nicht aktivierbare Vermögenswerte, wie etwa Organisation, Kundenstamm, Geschäftsgeheimnisse etc. als sog. Geschäftswert oder Goodwill zu bewerten und aufzunehmen.519) 369 In der Vertragspraxis haben sich demgegenüber vielfältige Abfindungsklauseln entwickelt, was regelmäßig mit einer Beschränkung des gesetzlichen Abfindungsanspruchs einhergeht, aber dennoch vom Grundsatz her zulässig ist.520) Weit verbreitet sind Buchwertklauseln, die für die Abfindung auf die Buchwerte der letzten Jahresbilanz abstellen. Derartige Buchwertklauseln sind nur ___________ 514) 515) 516) 517) 518) 519) 520)
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OLG Köln, Urt. v. 19.12.2013 – 18 U 218/11 – juris Rn. 160. BGH NJW 1998, 146 f. = ZIP 1997, 1919. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 140 Rn. 14. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 131 Rn. 49. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 140 Rn. 26. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 131 Rn. 49. BGH DB 1973, 611 f: BGH DB 1978, 1971; BGHZ 116, 359 ff. = ZIP 1992, 237.
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C. Gesellschafterstreitigkeiten bei Personengesellschaften
zulässig, solange die auf ihrer Grundlage berechneten Ergebnisse im Einzelfall nicht zu unverhältnismäßig geringen Abfindungsbeträgen führen. In der Judikatur des BGH wird dies aber in den überwiegenden Fällen angenommen.521) Der Abfindungsanspruch wird mit dem Ausscheiden des Gesellschafters fällig 370 und nicht erst mit der Feststellung der Abschichtungsbilanz, denn § 738 BGB enthält keine von § 271 Abs. 1 BGB abweichende Regelung.522) Nach Ausscheiden des Gesellschafters ist in der Praxis regelmäßig die Be- 371 rechnung und Höhe der Abfindung streitig, häufig wird auch die Erstellung der Abschichtungsbilanz verzögert. Dem ausscheidenden Gesellschafter hilft dann eine Stufenklage gegen die Gesellschaft weiter, in welcher er zunächst die Aufstellung der Abschichtungsbilanz und sodann die Zahlung der Abfindung verlangt. Der Gesellschafter hat ohne Abschichtungsbilanz zumindest einen Feststellungsanspruch, mit dem er die drohende Verjährung unterbrechen kann.523) Er hat darüber hinaus gem. § 810 BGB ein Einsichtsrecht in die Geschäftsun- 372 terlagen der Gesellschaft, soweit diese für die Prüfung der Frage von Bedeutung sind, ob ihm Forderungen gegen die Gesellschafter aus der Zeit vor seinem Ausscheiden zustehen.524) Anhand dieses Anspruchs kann er eine Abschichtungsbilanz auch überprüfen. 3. Kündigung durch Pfändungspfandgläubiger Die Kündigung durch einen Pfändungspfandgläubiger im Rahmen der Pfän- 373 dung einer Mitgliedschaft wird prozessual über § 859 Abs. 1 ZPO ermöglicht. Hiernach kann der Anteil eines Gesellschafters an dem Gesellschaftsvermögen einer GbR gepfändet werden. Nach den gesetzlichen Regeln der BGB-Gesellschaft führt die Pfändung nach §§ 725 Abs. 1, 730 ff. BGB zur Kündigung und sodann zur Auflösung und Auseinandersetzung. Für OHG und KG führt die Kündigung nach § 135 HGB nicht mehr zur Auflösung, sondern allein zum Ausscheiden des Schuldner-Gesellschafters, § 131 Abs. 3 Nr. 4 HGB. Dem Gläubiger kann dann auf den Abfindungsanspruch des Schuldners zugreifen. In der Praxis ist diese Folge häufig gesellschaftsvertraglich auch für die GbR vorgesehen. Die Kündigungsmöglichkeit steht nur einem Gläubiger des Schuldners zu, der nicht gleichzeitig auch einen Anspruch gegen die Gesamthand hat.525) Dies gilt gem. § 134 Abs. 2 HGB auch für OHG und Kommanditgesellschaft, denn die Vermögensmassen von Ge___________ 521) BGH NJW 1979, 104; BGH NJW 1985, 192, 193; BGH NJW 1989, 2685 = ZIP 1989, 770; BGHZ 116, 359, 368 = ZIP 1992, 237; BGHZ 123, 281, 289 = ZIP 1993, 1611. 522) Palandt/Sprau, BGB, § 738 Rn. 6; BGH ZIP 2010, 1637, 1638. 523) BGH ZIP 2010, 1637, 1638. 524) BGH NJW 1989, 225, 226 = ZIP 1988, 1175. 525) Roth, ZGR 2000, 187, 194.
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sellschaftern und Gesellschaft sind zu trennen.526) Gläubiger einer Gesamthandsschuld können nach § 736 ZPO in das Gesamthandsvermögen vollstrecken und benötigen eine Kündigung nach § 725 Abs. 1 BGB nicht. 374 Gem. § 135 HGB muss vor der mit dieser Vorschrift verbundenen harten Rechtsfolge innerhalb einer sechsmonatigen Frist mindestens ein ernsthafter Versuch unternommen worden sein, im Wege der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Schuldners eine vollständige Erfüllung der titulierten Forderung zu erwirken.527) Der Privatgläubiger muss hierzu zunächst im Besitz eines „nicht bloß vorläufig vollstreckbaren“ Schuldtitels sein. Da es sich hierbei um eine Terminologie handelt, die nicht der ZPO entstammt, lässt sich insoweit nicht auf eine Legaldefinition zurückgreifen. Gemeint sollen Schuldtitel sein, die mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angegriffen werden können, so dass endgültig feststeht, dass der Schuldner zur Zahlung verpflichtet ist.528) Dies kann auch eine vollstreckbare notarielle Urkunde sein.529) 4. Auflösung der Ehegattengesellschaft 375 Verfolgen Ehegatten im Rahmen einer wirtschaftlichen Zielsetzung einen gemeinsamen Zweck, der über den typischen Rahmen der Lebens- bzw. Familiengemeinschaft hinausgeht, so entsteht häufig – auch stillschweigend – eine Ehegatteninnengesellschaft.530) Hierbei ist nicht entscheidend, ob das Bewusstsein der Ehegatten besteht, dass die gemeinsame Zweckverfolgung als gesellschaftsrechtliche Beziehung anzusehen ist.531) Eine gemeinsame Zweckverfolgung wird beispielsweise angenommen, wenn die Eheleute über Jahre hinweg planvoll und zielstrebig gemeinsamen Vermögensaufbau durch Bewirtschaftung, Umbau und Verwaltung eines durch einen Ehegatten geerbten Grundstücks betreiben.532) Bei Trennung der Eheleute und damit verbundener Beendigung der Zusammenarbeit endet diese Ehegatteninnengesellschaft mit der Rechtsfolge des Ausgleichsanspruchs, der sich nach §§ 738 ff. BGB bestimmt.533) 376 Prozessual ist hierbei zu beachten, dass es sich bei Streitigkeiten über die Auflösung der Ehegatteninnengesellschaft um eine sonstige Familiensache i. S. d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt, die gem. § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG ___________ 526) LG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 28.2.2007 – 5 O 213/06, juris. 527) Hierzu BGH NJW-RR 2009, 1698, 1699. 528) BGH, Urt. v. 28.6.1982 – II ZR 233/81, Rn. 7, juris; OLG Jena, Urt. v. 7.1.2009 – 6 U 701/07, juris. 529) Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 135 HGB, Rn. 5; OLG Jena, Urt. v. 7.1.2009 – 6 U 701/07, juris. 530) OLG Hamm, Urt. v. 20.11.2009 – I-33 U 13/09, juris. 531) BGHZ 142, 137. 532) OLG Hamm, Urt. v. 20.11.2009 – I-33 U 13/09, juris. 533) BGHZ 142, 137; OLG Hamm, Urt. v. 20.11.2009 – I-33 U 13/09, juris.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Abteilung für Familiensachen des Amtsgerichts (§ 23b GVG) begründet.534) Nur wenn ein familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist und eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint, ist eine anderweitige Zuständigkeit gegeben.535) Das nicht zuständige angerufene Gericht hat den Rechtsstreit von Amts wegen 377 durch Beschluss für unzulässig zu erklären und an das Familiengericht zu verweisen. D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds I. Einführung Thomas Zwissler
Geschlossene Fonds zählen zu den in Deutschland fest etablierten Formen 378 kollektiver Kapitalanlage durch Privatanleger. Charakteristisches Merkmal ist die feste (Mindest-)Laufzeit der Kapital- bzw. Vermögensanlage. Anleger eines geschlossenen Fonds können ihre Beteiligung nicht vor Ablauf einer gesellschaftsvertraglich fest definierten Investitionsphase kündigen. Ihnen steht auch kein Recht zu, die vorzeitige Rücknahme ihres Anteils zu verlangen. Vorherrschende Rechtsform der geschlossenen Fonds ist die GmbH & 379 Co. KG in ihrer Ausprägung als Publikums-KG bzw. seit dem Inkrafttreten des Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB)536) als GmbH & Co. Investment-KG. Im Vergleich zu Investitionsvehikeln anderer Rechtsform wie etwa der Akti- 380 engesellschaft ist das Innenrecht der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) sowie jenes der GmbH & Co. Investment-KG gesetzlich nur rudimentär geregelt. Gleiches gilt für die prozessuale Ebene. Die Rechtspraxis versucht diese Defizite durch mehr oder weniger ausführliche gesellschaftsvertragliche Gestaltungen zu kompensieren. Gleichwohl bleibt das rechtliche Terrain im Streitfall für alle Beteiligten unsicher. Die nachfolgende Darstellung gibt einen Überblick zu den Rechtsformen und behandelt sodann die wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Konfliktfälle bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG). Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den für die Praxis besonders relevanten Beschlussmängelklagen. II. Überblick zu den Rechtsformen geschlossener Fonds 1. GmbH & Co. Investment-KG Die GmbH & Co. Investment KG ist eine durch das KAGB definierte Sonder- 381 form der GmbH & Co. KG. In Ihrer Ausprägung als geschlossene GmbH & ___________ 534) OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 867. 535) OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 867. 536) Der überwiegende Teil des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) ist am 22.7.2013 in Kraft getreten.
Thomas Zwissler
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Abteilung für Familiensachen des Amtsgerichts (§ 23b GVG) begründet.534) Nur wenn ein familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist und eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint, ist eine anderweitige Zuständigkeit gegeben.535) Das nicht zuständige angerufene Gericht hat den Rechtsstreit von Amts wegen 377 durch Beschluss für unzulässig zu erklären und an das Familiengericht zu verweisen. D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds I. Einführung Thomas Zwissler
Geschlossene Fonds zählen zu den in Deutschland fest etablierten Formen 378 kollektiver Kapitalanlage durch Privatanleger. Charakteristisches Merkmal ist die feste (Mindest-)Laufzeit der Kapital- bzw. Vermögensanlage. Anleger eines geschlossenen Fonds können ihre Beteiligung nicht vor Ablauf einer gesellschaftsvertraglich fest definierten Investitionsphase kündigen. Ihnen steht auch kein Recht zu, die vorzeitige Rücknahme ihres Anteils zu verlangen. Vorherrschende Rechtsform der geschlossenen Fonds ist die GmbH & 379 Co. KG in ihrer Ausprägung als Publikums-KG bzw. seit dem Inkrafttreten des Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB)536) als GmbH & Co. Investment-KG. Im Vergleich zu Investitionsvehikeln anderer Rechtsform wie etwa der Akti- 380 engesellschaft ist das Innenrecht der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) sowie jenes der GmbH & Co. Investment-KG gesetzlich nur rudimentär geregelt. Gleiches gilt für die prozessuale Ebene. Die Rechtspraxis versucht diese Defizite durch mehr oder weniger ausführliche gesellschaftsvertragliche Gestaltungen zu kompensieren. Gleichwohl bleibt das rechtliche Terrain im Streitfall für alle Beteiligten unsicher. Die nachfolgende Darstellung gibt einen Überblick zu den Rechtsformen und behandelt sodann die wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Konfliktfälle bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG). Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den für die Praxis besonders relevanten Beschlussmängelklagen. II. Überblick zu den Rechtsformen geschlossener Fonds 1. GmbH & Co. Investment-KG Die GmbH & Co. Investment KG ist eine durch das KAGB definierte Sonder- 381 form der GmbH & Co. KG. In Ihrer Ausprägung als geschlossene GmbH & ___________ 534) OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 867. 535) OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 867. 536) Der überwiegende Teil des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) ist am 22.7.2013 in Kraft getreten.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
Co. Investment KG ist sie die seit dem Inkrafttreten des KAGB in der Praxis gebräuchlichste Rechtsform für geschlossene Investmentvermögen.537) 382 Die GmbH & Co. Investment KG begegnet am häufigsten als PublikumsInvestment-KG, die allen Anlegergruppen als Gesellschafter offen steht. Seltener ist die GmbH & Co. Investment KG in ihrer Ausprägung als SpezialAIF-Investment KG, deren Anteile nur von „professionellen Anlegern“ (§ 1 Abs. 19 Nr. 32 KAGB) und „semiprofessionellen Anlegern“ (§ 1 Abs. 19 Nr. 33 KAGB) erworben werden dürfen.538) 383 Für die GmbH & Co. Investment KG gelten aufgrund der Bestimmungen des KAGB gesellschaftsrechtliche Besonderheiten, die bei Gesellschafterstreitigkeiten von Bedeutung sind oder auch Anlass von Streitigkeiten sein können.539) Darüber hinaus findet das in der Rechtsprechung entwickelte Sonderrecht der Publikumspersonengesellschaften540) Anwendung. Bei Widersprüchen zwischen den Sonderregelungen des KAGB und dem Sonderrecht der Publikumspersonengesellschaften haben erstere Vorrang.541) a) Gesellschaftsvertrag 384 Das KAGB definiert Mindestinhalte für den Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co. Investment KG. Hervorzuheben sind die folgenden Vorgaben: aa) Unternehmensgegenstand, Anlagestrategie und Anlagebedingungen 385 Gesellschaftsvertraglich festgelegter Unternehmensgegenstand der GmbH & Co. Investment KG ist die Anlage und Verwaltung ihrer Mittel nach Maßgabe einer festgelegten Anlagestrategie zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage zum Nutzen der Anleger (§ 150 Abs. 2 KAGB). 386 Die Anlagestrategie ergibt sich nach der Konzeption des Gesetzgebers aus dem Gesellschaftsvertrag und den Anlagebedingungen, die ihrerseits jedoch gerade nicht Bestandteil des Gesellschaftsvertrages sind bzw. sein sollen (§ 151 Satz 2 KAGB). In vielen Gesellschaftsverträgen wird dennoch auf die Anlagebedingungen Bezug genommen, z. B. bei der Beschreibung des Unternehmensgegenstandes. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Trennung zwischen Gesellschaftsvertrag und Anlagebedingungen wird dadurch in Frage stellt. ___________ 537) § 139 KAGB beschränkt die zulässigen Rechtsformen für geschlossene Investmentvermögen von vornherein auf die Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital (§§ 140 ff. KAGB) und die geschlossene GmbH & Co. Investment KG (§§ 149 ff. KAGB). Zum Begriff des geschlossenen Investmentvermögens nach § 1 Abs. 5 KAGB und seiner Abgrenzung zum offenen Investmentvermögen WBA/Volhard/Jang, KAGB, § 1 Rn. 35 ff. Zur Systematik der Investmentfonds nach dem KAGB Casper, ZHR 179 (2015), 44, 49 ff. 538) Vgl. WBA/Volhard/Jang, KAGB, § 1 Rn. 39 ff.; Wallach, ZGR 2014, 289, 295 f. 539) Zudem können diese Bestimmungen Ausstrahlungswirkung auf das Recht der PublikumsKG haben. Vgl. hierzu Casper, ZHR 179 (2015), 44, 77 f. sowie unten Rn. 396 Fn. 552. 540) Zu diesem Sonderrecht unten Rn. 395 f. 541) Casper, ZHR 179 (2015), 44, 77.
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Thomas Zwissler
D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Unstreitig sollte allerdings sein, dass die Anlagebedingungen als Handlungsmaxime der Geschäftsführung und der Gesellschafter in gleichem Maße zu beachten sind wie der gesellschaftsvertraglich fixierte Unternehmensgegenstand. Unterschiede ergeben sich lediglich in Bezug auf die Änderungsmodalitäten. Für die Änderung der Anlagebedingungen gelten die Sonderregeln des § 267 KAGB. Es handelt sich dabei um Mindestanforderungen. Besondere Hervorhebung verdient dabei das Erfordernis der Genehmigung durch die BaFin (§ 267 Abs. 1 KAGB). bb) Sonderregelungen für die Gesellschafterversammlung Der Gesellschaftsvertrag einer GmbH & Co. Investment KG muss vorsehen, 387 dass Ladungen zur Gesellschafterversammlung unter vollständiger Angabe der Beschlussgegenstände in Textform erfolgen und über die Ergebnisse der Gesellschafterversammlung ein schriftliches Protokoll anzufertigen ist, von dem den Anlegern eine Kopie zu übersenden ist (§ 150 Abs. 3 KAGB). cc) Beirat als zwingendes Kontrollorgan bei intern verwalteten Gesellschaften Die intern verwaltete GmbH & Co. Investment KG muss zwingend über einen 388 Beirat als Kontrollorgan mit mindestens einem unabhängigen Mitglied verfügen (§ 153 Abs. 3 i. V. m § 18 Abs. 3 Satz 2 KAGB).542) Der Aufgabenkreis des Beirats muss mindestens die Überwachung der Umsetzung der Anlagebedingungen umfassen, kann aber auch darüber hinausgehen. Die Mitglieder eines nach § 153 Abs. 3 KAGB eingerichteten Beirats werden von der Gesellschafterversammlung gewählt. dd) Auflösung und Ausscheiden von Gesellschaftern Das Recht des Gesellschafters, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Auf- 389 lösungsklage nach § 133 Abs. 1 HGB zu betreiben, besteht bei der GmbH & Co. Investment KG nicht (§ 161 Abs. 1 Satz 1 KAGB). Weitere Sondervorschriften betreffen das Ausscheiden von Gesellschaftern. 390 Die in § 131 Abs. 3 Nr. 2 (Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters) und 4 HGB (Kündigung durch den Privatgläubiger des Gesellschafters) geregelten Ausschlussgründe sind bei der GmbH & Co. Investment KG zwingend, können also weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden (§ 150 Abs. 4 KAGB).
___________ 542) Für die Zusammensetzung des Beirats und hier insbesondere die Bestimmung der Zahl der Beiratsmitglieder gelten über §§ 153 Abs. 3 Satz 2, 18 Abs. 2 Satz 4 KAGB die Bestimmungen des AktG.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
b) Geschäftsführung und Vertretung 391 Zu den Kerninhalten des KAGB zählt der Grundsatz, dass alternative Investmentvermögen nur von hierfür besonders qualifizierten und der Aufsicht durch die BaFin unterliegenden Personen verwaltet werden dürfen. Die GmbH & Co. Investment KG kann sich dieser Regulierung und Aufsicht selbst unterwerfen und damit als sogenannte intern verwaltete Gesellschaft agieren. Wegen des Aufwands, den Regulierung und Überwachung mit sich bringen, ist diese Vorgehensweise selten. Üblich und gesetzlich in § 154 KAGB ausdrücklich zugelassen, ist die Beauftragung einer externen Verwaltungsgesellschaft, der insbesondere die Anlage und die Verwaltung des Kommanditkapitals obliegt (§ 154 Abs. 1 Satz 2 KAGB). 392 Die Praxis der externen Verwaltung und die in diesem Punkt lückenhafte gesetzliche Regelung haben zu der Frage geführt, welche Kompetenzen der externen Verwaltungsgesellschaft vor allem in Abgrenzung zur Komplementärin zustehen. Während die herrschende Meinung von einer bloßen Geschäftsführungsbefugnis ausgeht, die die Rechtsstellung der Komplementärin und hier insbesondere deren ausschließliche Vertretungsberechtigung unberührt lässt,543) streitet die Gegenauffassung dafür, den gesetzlichen Begriff der Verwaltung im Sinne einer Geschäftsführung und Vertretung zu interpretieren.544) 393 Die Frage der Reichweite der Befugnisse der Verwaltungsgesellschaft stellt sich dann nicht, wenn der Gesellschaftsvertrag der Verwaltungsgesellschaft die Stellung eines geschäftsführenden Kommanditisten mit umfassender Vertretungsmacht (Generalvollmacht) einräumt und die Komplementärin in entsprechender Weise von der Geschäftsführung und Vertretung ausschließt. § 154 KAGB steht dem nicht entgegen. 2. GmbH & Co. KG (Publikums-KG) 394 Als Ausprägung der GmbH & Co. KG war die Publikums KG bis zum Inkrafttreten des KAGB die vorherrschende Rechtsform für geschlossene Fonds. Der Abbau des Altbestands wird sich jedoch über viele Jahre hinziehen. Das KAGB übt keinen generellen Zwang zu einem Wechsel in die GmbH & Co. Investment KG aus. Im Gegenteil: „Altgesellschaften“, d. h. insbesondere solche geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. KG (Publikums-KG), die bei Inkrafttreten des KAGB bereits vollständig platziert waren und seither keine zusätzlichen Anlagen mehr tätigen,545) können in ihrer bisherigen rechtlichen Verfassung weitergeführt werden und bleiben nach den ___________ 543) Casper, ZHR 179 (2015), 44, 58 ff.; MünchHdB. GesR Bd. 7/Mock/U. Schmidt, § 74 Rn. 2 ff.; wohl auch Reiner, GWR 2016, 136. 544) WBA/Winterhalder, KAGB, § 17 Rn. 42 f. 545) Zu weiteren Altgesellschaften, die vom Anwendungsbereich des KAGB ausgenommen bleiben Casper, ZHR 179 (2015), 44, 48 f.
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Thomas Zwissler
D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Anwendung- und Übergangsregelungen des KAGB ausschließlich ihrem alten Rechtsregime unterworfen. In prozessualer und in materiell-rechtlicher Hinsicht folgt die GmbH & Co. 395 KG (Publikums-KG) zunächst den Regeln für die „normale“ GmbH & Co. KG. Anknüpfend an das besondere Schutzbedürfnis des Anlegers hat sich jedoch ein Sonderrecht der Publikums-KG entwickelt, das in methodischer und dogmatischer Hinsicht auf der objektiven Vertragsauslegung und der Inhaltkontrolle von Gesellschaftsverträgen aufbaut.546) Folge dieser Entwicklung ist ein heute weitgehend anerkannter Bestand zwingender Regelungen, der das Recht der Publikums-KG mitgestaltet und bei Gesellschafterstreitigkeiten von Bedeutung ist, im Einzelfall aber auch selbst Anlass von Streitigkeiten sein kann. Für das Recht der Gesellschafterstreitigkeiten wesentliche Bestandteile des 396 Sonderrechts für die Publikums-KG547) sind: x
der Grundsatz der objektiven Auslegung von Gesellschaftsverträgen;548)
x
die gerichtliche Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen;549)
x
Sonderregeln für bestimmte Gesellschaftsorgane, insbesondere Aufsichtsgremien;550)
x
Sonderregeln für das Beschlussmängelrecht.551)
Bei der Entwicklung des oben skizzierten Sonderrechts hat sich die Rechtsprechung vorrangig an den gesetzlichen Regelungen des AktG und teilweise auch des GmbHG orientiert. Heute muss zusätzlich eine ergänzende Heranziehung des KAGB in Betracht gezogen werden.552) 3. Treuhandmodelle bei der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) Der Einsatz von Treuhandmodellen ist bei geschlossenen Fonds in der Rechts- 397 form der GmbH & Co. Investment-KG bzw. der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) weit verbreitet. Konkret geht es darum, den Anleger im Interesse ___________ 546) Zur objektiven Vertragsauslegung: BGH BB 2006, 1925, 1927; zur Inhaltskontrolle: BGH NJW 1975, 1318. 547) Umfassende Darstellung dieses Sonderrechts z. B. bei MünchHdB. GesR Bd. 2/Jaletzke, § 65 ff.; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 106 ff.; Oetker/Oetker, HGB, § 161 Rn. 134 ff.; Henssler/Strohn/Servatius, Anhang Rn. 2 (jeweils m. w. N.). 548) BGHZ 191, 293 = ZIP 2012, 515. 549) BGH NZG 2001, 269 = ZIP 2001, 243; BGHZ 104, 50 = ZIP 1988, 906; BGHZ 102, 172 = ZIP 1988, 22. 550) Henssler/Strohn/Servatius, Anhang, Rn. 90 f. m. w. N. 551) Dazu ausführlich unten Rn. 424 ff. 552) Vgl. Casper, ZHR 179 (2015), 44, 70 f., allerdings unter Beschränkung auf nach dem Inkrafttreten des KAGB gegründete GmbH & Co. KG (Publikums-KG).
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
einer Vereinfachung der Verwaltung der Fondsgesellschaft nicht direkt, sondern nur mittelbar über einen Treuhänder als (Treuhand-)Kommanditisten an der Gesellschaft zu beteiligen. In der Folge gilt der Anleger im Außenverhältnis nicht als Kommanditist. Er ist nicht im Handelsregister eingetragen und haftet dementsprechend auch nicht gegenüber Dritten. Typischerweise ist er im Innenverhältnis zum Treuhänder jedoch verpflichtet, diesen von der Inanspruchnahme Dritter freizustellen. Kennzeichnend für das Treuhandmodell sind darüber hinaus gesellschaftsvertragliche Regelungen, nach denen der Anleger im Innenverhältnis der Gesellschaft und der Gesellschafter zueinander die gleiche oder zumindest eine in wesentlichen Punkten angenäherte Stellung wie ein Direktkommanditist einnimmt. Dies bedeutet, dass Anleger „ihre“ mitgliedschaftlichen Rechte und hier insbesondere „ihr“ Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung direkt ausüben können. Je nach Ausgestaltung stehen ihnen auch Zahlungsansprüche direkt zu, etwa Ansprüche auf Gewinnauszahlung oder auf Auszahlung des Liquidationserlöses oder eines etwaigen Abfindungsguthabens. 398 Treuhandmodelle begegnen bei der Publikums-KG in durchaus unterschiedlicher Ausprägung.553) Im Recht der GmbH & Co. Investment-KG ist demgegenüber eine gewisse Vereinheitlichung zu erwarten. Der Gesetzgeber des KAGB verlangt für Treuhandmodelle stets die volle Gleichstellung des Anlegers, d. h. dem Anleger sollen im Innenverhältnis grundsätzlich alle Rechte eines Kommanditisten zustehen, soweit dies schuldrechtlich abbildbar ist (§ 152 Abs. 1 Satz 3 KAGB).554) Der Spielraum für individuelle Gestaltungen ist daher – soweit man einen solchen überhaupt anerkennen will555) – gering. 399 Nach der Rechtsprechung und Teilen der Literatur besteht zwischen den mittelbar beteiligten Anlegern und dem Treuhandkommanditisten regelmäßig eine GbR als Innengesellschaft.556) Damit hält eine weitere Vertragsebene Einzug, die Grundlage von Ansprüchen und Klagerechten sein kann.557) 400 Treuhandmodelle erhöhen die Komplexität von Gesellschafterstreitigkeiten. Das Nebeneinander von Verbandsrecht und Schuldrecht wirft vielfältige Fragen auf, die sich zunächst auf die Anspruchsbeziehungen und in der Folge auch auf das Prozessrecht auswirken.558) Im Streitfall ist daher stets genau ___________ 553) Zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Treuhandmodelle Staub/Casper, HGB, § 161 Rn. 237 f., 247 ff.; MünchHdB. GesR Bd. 7/Jaletzke, § 63 Rn. 1 ff. 554) Zur Reichweite dieses Gleichstellungsgebots Casper, ZHR 179 (2015), 44, 70 f. 555) Für eine unmittelbare Geltung des gesetzlichen Gleichstellungsgebots Oetker/Oetker, HGB, § 161 Rn. 208. 556) Vgl. BGH NJW 2011, 921 = ZIP 2011, 322; Oetker/Oetker, HGB, § 161 Rn. 143; K. Schmidt, NZG 2011, 361. Kritisch zum Konzept der Innen-GbR Altmeppen, NZG 2010, 1321, 1325 f. 557) Die Rechtsprechung hat das Konzept der Innen-GbR vor allem zur Begründung von Auskunftsansprüchen herangezogen. Näher dazu unten unter Rn. 416 ff. 558) Zur Finanz- und Haftungsverfassung des Treuhandmodells Mock, ZIP 2016, 497 ff.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
zu überprüfen, wem welche Ansprüche konkret zugeordnet sind und zwischen welchen Parteien der Streit in prozessualer Hinsicht auszutragen ist. 4. Andere Rechtsformen Geschlossene Fonds begegnen gelegentlich auch in anderer Rechtsform als der 401 GmbH & Co. Investment-KG bzw. der GmbH & Co. KG (Publikums-KG). a) Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital Die Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital (§§ 140 ff. KAGB) ist 402 neben der GmbH & Co. Investment-KG die einzige weitere Rechtform, die das KAGB für geschlossene Investmentvermögen zulässt. Es handelt sich hierbei um eine Gesellschaft in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, für die das KAGB mit Blick auf ihren Einsatz als Fondsvehikel einige Besonderheiten regelt.559) Diese beziehen sich jedoch weder prozessual noch materiell auf das Recht der Gesellschafterstreitigkeiten, d. h. es bleibt insoweit bei den einschlägigen Regelungen des AktG, auf die hier verwiesen werden kann.560) b) Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Bis zum Inkrafttreten des KAGB konnten geschlossene Fonds auch in der 403 Rechtsform der GbR aufgelegt werden. Praktisch war die Bedeutung der Publikums-GbR jedoch bereits vor dem Inkrafttreten des KAGB gering. Vor allem die für die GbR typische persönliche Haftung der Gesellschafter hatte schon früh zu einem Nischendasein der GbR als Rechtsform für geschlossene Fonds geführt.561) c) Stille Gesellschaft Die stille Gesellschaft ist eine weitere, in der Praxis jedoch abermals eher sel- 404 tene Ausprägung geschlossener Fonds. Insoweit ist hier auf die einschlägige Spezialliteratur zu verweisen.562) III. Prozessuale Grundsätze Im Recht der GmbH & Co. Investment-KG bzw. der GmbH & Co. KG 405 (Publikums-KG) werfen in prozessualer Hinsicht vor allem die Parteistellung und die Vertretung der Gesellschaft Fragen auf.
___________ 559) 560) 561) 562)
Überblick zu den Besonderheiten bei Zetsche, AG 2013, 613 ff. Zu aktienrechtlichen Beschlussmängelklagen oben Kapitel A I. (Zwissler). Zur Publikums-GbR MünchHdB. GesR Bd. 7/Horbach, § 61 Rn. 18. Vgl. etwa MünchHdB GesR Bd. 7/Horbach, § 61 Rn. 15 ff.; Bost/Halfpap, in: Lüdicke/ Arndt, Geschlossene Fonds, S. 26 f.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
1. Parteistellung 406 Sowohl die GmbH & Co. Investment-KG als auch die GmbH & Co. KG (Publikums-KG) sind parteifähig (§ 161 Abs. 2 i. V. m. § 124 Abs. 1 HGB). Dies allein reicht aber nicht aus, um zu entscheiden, zwischen welchen Parteien ein Gesellschafterstreit im Einzelfall ausgetragen werden kann, muss oder sollte. 407 Für die Ermittlung der Parteistellung ist zunächst das materielle Recht maßgeblich. Hieran anknüpfend gilt der Grundsatz, dass das Gesellschaftsverhältnis betreffende Rechtsstreitigkeiten zwischen den Gesellschaftern, andere Streitigkeiten zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft auszutragen sind. 408 Der streng am materiellen Recht orientierte Ansatz wirft schon allgemein vielfältige Fragen auf.563) Bei Publikumsgesellschaften wird die Situation noch schwieriger. Die aus der gesetzlichen Systematik folgenden Ergebnisse sind häufig nicht praktikabel umzusetzen oder sogar undurchführbar. Die meisten Gesellschaftsverträge sehen daher zumindest für den streitanfälligen Bereich der Beschlussmängelklagen vor, dass für solche Klagen nur die Gesellschaft passivlegitimiert ist. Die Rechtsprechung hat diese Praxis mehrfach bestätigt564) und bei Fehlen einer eindeutigen Regelung schon wenige Anhaltpunkte im Gesellschaftsvertrag genügen lassen, um die Passivlegitimation der Gesellschaft im Wege der Auslegung zu bejahen.565) 2. Vertretung 409 Die Vertretung der Gesellschaft im Rechtsstreit obliegt bei der GmbH & Co. Investment-KG ebenso wie bei der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) der Geschäftsführung, d. h. der Komplementärin.566) Diese wiederum handelt durch ihre Geschäftsführer als ihre organschaftlichen Vertreter. 410 Von der dargestellten Vertretungsregelung kann es Abweichungen geben. 411 Richtet sich die Klage gegen die Geschäftsführung bzw. die Komplementärin, so ist eine Vertretung der Gesellschaft durch eben diese Komplementärin nicht nur nicht zweckmäßig, sondern wegen des Verbots von Insichprozessen unzulässig.567) Existiert ein Beirat kann diesem die Vertretung der Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag zugewiesen sein.568) Ist das nicht der Fall, können die ___________ 563) Grundlegend hierzu Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005. 564) Zuletzt etwa BGH NZG 2006, 703, 704 = ZIP 2006, 1579; BGH NJW 2003, 1729 = ZIP 2003, 843. 565) Vgl. etwa BGH WM 1999, 1619 = ZIP 1999, 1391; BGH NJW 2003, 1729 = ZIP 2003, 843; OLG Rostock BeckRS 2008, 24035. 566) Dies gilt nach der oben Rn. 392 f. vertretenen Auffassung auch für die extern verwaltete GmbH & Co. Investment-KG. Vgl. zum Ganzen auch MünchHdB. GesR Bd. 7/Gehle, § 9 Rn. 151. 567) BGH NZG 2009, 545, 546 Rn. 20 = ZIP 2009, 802; BGH NZG 2010, 1381 Rn. 11 = ZIP 2010, 2345; OLG München ZIP 2014, 2189, 2190. 568) BGH NZG 2010, 1381, 1382 Rn. 18 f. = ZIP 2010, 2345.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Gesellschafter die Vertretung für den konkreten Rechtsstreit dem Beirat oder einem besonderen Vertreter übertragen.569) Für die Zeit bis zur Bestimmung eines Vertreters kann ein Prozesspfleger nach § 57 Abs. 1 ZPO bestellt werden. Ist die Geschäftsführung und Vertretung auf einen (oder mehrere) geschäfts- 412 führenden Kommanditisten übertragen, so ist es bei Aktivprozessen der Gesellschaft eine Frage der Auslegung, ob die Prozessführung von der Vertretungsmacht umfasst sein soll. Bei Passivprozessen bleibt die Komplementärin in jedem Fall zumindest auch vertretungsbefugt.570) 3. Zuständigkeit der Gerichte Die meisten Gesellschaftsverträge geschlossener Fonds in der Rechtsform 413 GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) enthalten Regelungen zum Gerichtstand für Streitigkeiten, die ihren Grund im Gesellschaftsvertrag haben. Solche Gerichtsstandsklauseln sind nach Maßgabe der allgemeinen Regeln wirksam. Fehlt jedoch eine entsprechende Regelung oder scheitert sie im konkreten Fall an der Inhaltskontrolle oder anderen zwingenden gesetzlichen Regelungen, gilt folgendes: Die sachliche Zuständigkeit ist streitwertabhängig. Soweit aufgrund des 414 Überschreitens der Streitwertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG (EUR 5.000,00) die Zuständigkeit des Landgerichts gegeben ist, sind Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. InvestmentKG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) stets Handelssachen i. S. d. § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG; die funktionale Zuständigkeit liegt dann bei der Kammer für Handelssachen. Die örtliche Zuständigkeit ist am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (§§ 12–19a ZPO) und am besonderen Gerichtsstand der Mitgliedschaft (§ 22 ZPO) gegeben.571) Bei mehreren Beklagten mit unterschiedlichem Gerichtsstand kann das zuständige Gericht nach den Regeln der §§ 36, 37 ZPO bestimmt werden. IV. Streitigkeiten über Auskunfts- und Kontrollrechte Bei den Auskunfts- und Kontrollrechten stehen bei geschlossenen Fonds Aus- 415 kunftsstreitigkeiten und Streitigkeiten im Zusammenhang mit Widerspruchsrechten und Zustimmungsvorbehalten im Vordergrund. 1. Anspruch auf Mitteilung der Namen und der Anschriften der Mitgesellschafter Anleger, die ihren Interessen in der Fondsgesellschaft Gehör verschaffen 416 wollen, haben ein Interesse daran, direkt in Kontakt mit ihren Mitgesellschaf___________ 569) MünchHdB. GesR Bd. 7/Gehle, § 9 Rn. 148. 570) Wegen der fehlenden Publizität der geänderten Vertretungsverhältnisse ist dies sachgerecht. 571) Ausführlich hierzu MünchHdB. GesR Bd. 7/Ghassemi-Tabar, § 6 Rn. 25 ff., 27.
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tern zu treten. Die Geschäftsführung will diese Direktansprache häufig vermeiden. Die hieraus resultierenden Streitigkeiten führen zu der Frage, ob dem Anleger ein Anspruch auf Mitteilung der Namen und der Anschriften der Mitgesellschafter zusteht, ob und inwieweit zwischen direkt und mittelbar über einen Treuhandkommanditisten beteiligtem Anleger zu unterscheiden ist, welche Rolle etwaige Vertraulichkeitsvereinbarungen im Gesellschaftsund/oder Treuhandvertrag spielen und gegen wen sich der Anspruch gegebenenfalls richtet. 417 Die Rechtsprechung räumt dem Informationsinteresse des Anlegers einen sehr hohen Stellenwert ein und hat mehrfach und zu unterschiedlichen Konstellationen entschieden, dass der direkt ebenso wie der mittelbar beteiligte Anleger Auskunft über die Namen und Anschriften seiner Mitgesellschafter bzw. Mittreugeber verlangen kann.572) Sind die Daten – wie regelmäßig – in elektronischer Form vorhanden, kann die Herausgabe einer entsprechenden Datei verlangt werden. Ein konkreter Anlass oder ein besonderes Informationsinteresse muss nicht nachgewiesen sein und auch nicht bestehen. Ein vertraglicher Ausschluss des Auskunftsanspruchs ist nach der Rechtsprechung unwirksam. Grenzen des Auskunftsanspruchs sollen lediglich das aus § 242 BGB abgeleitete Missbrauchsverbot und das Schikaneverbot des § 226 BGB setzen.573) 418 Zur Passivlegitimation vertritt die Rechtsprechung ebenfalls einen denkbar weiten Ansatz. Neben der Gesellschaft soll sich der Anspruch auch gegen die geschäftsführenden Organe (insbesondere die Komplementärin), einen etwaigen Treuhänder sowie jeden anderen Mitgesellschafter richten, der die Auskunft unschwer erteilen kann.574) Für die extern verwaltete GmbH & Co. Investment-KG liegt es in der Konsequenz der Rechtsprechung, auch diese als Anspruchsgegner anzusehen, sofern sie über die entsprechenden Informationen und/oder Daten verfügt. 419 Die Rechtsprechung zum Anspruch auf Mitteilung der Namen und der Anschriften der Mitgesellschafter ist auf vielfache Kritik gestoßen.575) Es gibt bisher jedoch keine Anhaltpunkte dafür, dass sich die Rechtsprechung dieser Kritik gegenüber aufgeschlossen zeigen und auf einen restriktiveren Pfad einschwenken könnte. 420 Der Streitwert der Auskunftsklage ist nach § 3 ZPO zu schätzen. Liegt der begehrten Auskunft ein Leistungsanspruch zugrunde, ist dessen Wert Ausgangspunkt der Schätzung. In einem zweiten Schritt ist ein Bruchteil anzusetzen (üblicherweise 1/4 bis 1/10). Damit wird dem Unterschied zwischen ___________ 572) BGH NZG 2015, 269 = ZIP 2015, 319; BGH NJW 2013, 2190 = ZIP 2013, 570; BGH NJW 2011, 921 = ZIP 2011, 322; BGH NJW 2010, 439 = ZIP 2010, 27. 573) BGH NJW 2011, 921 = ZIP 2011, 322. 574) BGH NZG 2015, 269 = ZIP 2015, 319. 575) Vgl. Priester, ZIP 2011, 697; Schürnbrand, ZGR 2014, 256, 264 ff.; MünchHdB. GesR Bd. 7/Siegmann, § 79 Rn. 3 m. w. N.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Auskunftsanspruch und Leistungsanspruch Rechnung getragen. Dient der Auskunftsanspruch – wie häufig – der Vorbereitung einer Gesellschafterversammlung, ist der Wert der Einlage des Kommanditisten Ausgangspunkt der Schätzung, nicht der Wert des Aufwands, den die Auskunftserteilung bei der Gesellschaft verursacht bzw. verursachen würde.576) 2. Auskünfte zum Jahresabschluss und sonstige Aufklärungen Auskünfte zum Jahresabschluss und sonstige Aufklärungen kann der Kom- 421 manditist nach den Regeln des § 166 HGB verlangen.577) Insoweit gelten in der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (PublikumsKG) keine Besonderheiten. Die Vorschriften zur aktienrechtlichen Sonderprüfung (§ 142 AktG) finden keine Anwendung.578) 3. Widerspruchsrechte und Zustimmungsvorbehalte Bei außergewöhnlichen Geschäften steht den Kommanditisten das Wider- 422 spruchsrecht nach § 164 HGB zu, sofern es nicht durch Regelungen im Gesellschaftsvertrag eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen ist.579) Die Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Geschäften ist schwierig und eine häufig streitanfällige Einzelfallentscheidung.580) Streitig ist, ob der Kommanditist bei Verletzung des Widerspruchsrechts 423 und/oder Missachtung eines Zustimmungsvorbehalts einen Unterlassungsanspruch geltend machen kann581) und wenn ja, ob dies aus eigenem Recht582) oder lediglich unter den Voraussetzungen der actio pro socio583) möglich ist. Richtigerweise sind Unterlassungsansprüche nur in solchen Ausnahmefällen anzuerkennen, in denen die innergesellschaftliche, aus Gesetz und Gesellschaftsvertrag abzuleitende Kompetenzordnung unangetastet bleibt, sowie in solchen Fällen, in denen die Kompetenzordnung als solche (inzident) im Streit steht. V. Beschlussmängelstreitigkeiten Für Beschlussmängelstreitigkeiten gelten im Ausgangspunkt die nach dem 424 Gesetz für die einfache KG vorgesehenen Regeln. Beschlussmängel können ___________ 576) 577) 578) 579)
580) 581) 582) 583)
BGH ZIP 2016, 70. Vgl. hierzu 2. Teil, Kapitel B V. Rn. 241 ff. (Hahn). OLG Hamm BeckRS 2013, 03210. Das Widerspruchsrecht des § 164 HGB ist in der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) dispositiv. Vgl. MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 9. Zur Abgrenzung MünchHdB. GesR Bd. 2/Scheel, § 7 Rn. 51. Weitere Beispiele bei MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 9. Ablehnend BGHZ 76, 160, 167 f. Zurückhaltend auch Oetker/Oetker, HGB, § 164 Rn. 66. MünchHdB. GesR Bd. 2/Scheel, § 7 Rn. 58. MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 9.
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daher nur im Wege der allgemeinen Feststellungsklage geltend gemacht werden, die auf Feststellung der Nichtigkeit oder auf Feststellung des Zustandekommens eines bestimmten Beschlusses gerichtet ist („Beschlussmängel-Feststellungsklage“). Sonderregeln für Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) sieht das Gesetz nicht vor.584) Nach der Rechtsprechung und aufgrund der Rechtspraxis ergeben sich jedoch Besonderheiten in zweierlei Hinsicht: x
Punktuelle Modifikationen der für die einfache KG mit überschaubarem Gesellschafterkreis konzipierten gesetzlichen Regeln sind bei Gesellschaften mit einem zahlenmäßig großen Gesellschafterkreis möglich und verbreitet. Methodisch erfolgt die Umsetzung im Wege der Auslegung des Gesellschaftsvertrages, der analogen Anwendung aktienrechtlicher Vorschriften oder der offenen Rechtsfortbildung.
x
Gesellschaftsverträge geschlossener Fonds in der Rechtsform GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) sehen üblicherweise eigene vertragliche Regeln zu den formellen und materiellen Voraussetzungen von Gesellschafterbeschlüssen sowie zur rechtlichen Durchsetzung etwaiger Beschlussmängel vor. Diese Gestaltungspraxis ist in der Rechtsprechung anerkannt und in weitem Umfang zulässig.
1. Parteien und andere Verfahrensbeteiligte, Feststellungsinteresse a) Kläger 425 Kläger einer Beschlussmängel-Feststellungsklage können sein: jeder Gesellschafter, die einzelnen Geschäftsführer der Komplementärin sowie die Mitglieder des Beirats. Klägerin kann zudem die Gesellschaft selbst sein. Bei der extern verwalteten GmbH & Co. Investment-KG kommt darüber hinaus die externe Verwaltungsgesellschaft als Klägerin in Betracht. 426 Die Geschäftsführung der Komplementärin als Organ kommt in Ermangelung einer den aktienrechtlichen Vorschriften (§ 245 Nr. 4 AktG) entsprechenden Regelung nicht in Betracht. Gleiches gilt für einen etwaigen Beirat als Organ. 427 Im Treuhandmodell ergänzen die Treugeber den Kreis der möglichen Kläger einer Beschlussmängel-Feststellungsklage.585) 428 Mehrere klagende Gesellschafter bzw. Treugeber sind keine notwendigen Streitgenossen (§ 62 ZPO).586) Liegen mehrere Klagen vor, können diese jedoch unter den Voraussetzungen des § 147 ZPO miteinander verbunden werden. ___________ 584) Auf Ablehnung gestoßen sind zudem alle Ansätze zur Übertragung des aktienrechtlichen Systems der Beschlussmängelklagen auf die Publikums-KG. Vgl. hierzu etwa BGH NJW 1995, 1218 f. = ZIP 1995, 460. 585) OLG Köln NJW-RR 1997, 487. 586) BGH NJW-RR 2011, 115, 116 f. m. w. N.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
b) Beklagte aa) Gesellschafter als Beklagte Als Beklagte kommen zunächst einzelne oder sämtliche Gesellschafter in Be- 429 tracht. In Publikumsgesellschaften ist die Klageführung gegen einzelne Gesellschafter jedoch nur selten zielführend, die Klageführung gegen sämtliche Gesellschafter hingegen nicht oder allenfalls mit sehr hohem Aufwand durchführbar. bb) Gesellschaft als Beklagte Neben den Gesellschaftern kommt die Gesellschaft als Beklagte einer Be- 430 schlussmängel-Feststellungsklage in Betracht.587) Gesellschaftsverträge geschlossener Fonds in der Rechtsform GmbH & Co. Investment-KG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) sehen diesbezüglich fast durchgehend vor, dass Beschlussmängelklagen zumindest auch gegen die Gesellschaft gerichtet werden können.588) Sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung vorsieht, folgt 431 die Vertretung der Gesellschaft allgemeinen Regeln.589) Die Vertretungsbefugnis liegt damit bei der Geschäftsführung. Klagt ein Mitglied der Geschäftsführung oder betrifft der Streit die Geschäftsführung insgesamt oder eines oder mehrere ihrer Mitglieder, sieht der Gesellschaftsvertrag häufig die Vertretung durch den Beirat vor. Existiert eine solche Regelung nicht, ist an die Bestellung eines besonderen Vertreters durch die Gesellschafterversammlung oder die gerichtliche Bestellung eines Prozesspflegers zu denken (§ 57 ZPO). c) Nebenintervention Eine Nebenintervention ist unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 ZPO 432 möglich. d) Feststellungsinteresse Der Kläger muss nach allgemeinen Regeln ein Feststellungsinteresse i. S. d. 433 § 256 ZPO nachweisen. Besonderheiten ergeben sich insoweit nicht.
___________ 587) Hiervon zu trennen ist die Frage der Passivlegitimation der Gesellschaft. Dazu unten unter Rn. 457 f. 588) Zur Zulässigkeit derartiger Vertragsklauseln BGH NZG 2011, 544 Rn. 19 = ZIP 2011, 806; BGH NZG 2009, 707 Rn. 25 = ZIP 2009, 1158; BGH NJW 2006, 2854 = ZIP 2006, 1579. 589) Dazu oben Rn. 409 ff.
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2. Klageerhebung, Anträge und Verfahren a) Klageerhebung und Anträge 434 Die Klageerhebung wird durch Schriftsatz an das zuständige Gericht eingeleitet. aa) Zuständigkeit der Gerichte 435 Die Zuständigkeit der Gerichte ist nach allgemeinen Regeln zu bestimmen.590) bb) Anträge 436 Der Klageantrag lautet in der Regel auf Feststellung der Nichtigkeit des im Antrag konkret zu bezeichnenden Beschlusses.591) 437 Wendet sich die Klage gegen einen ablehnenden Beschluss, lautet der Klageantrag auf Feststellung des Zustandekommens des konkret zu bezeichnenden Beschlusses. Gleiches gilt, wenn das Beschlussergebnis aus anderen Gründen positiv festgestellt werden soll. Eines vorangehenden Antrags auf Aufhebung des ablehnenden Beschlusses bedarf es nicht. cc) Zustellung 438 Für die Zustellung der Klage gelten die allgemeinen Regeln. b) Verfahrensgrundsätze aa) Dispositionsmaxime 439 Für das Verfahren gilt die Dispositionsmaxime, d. h. die Parteien haben den Streitstoff und die Verhandlung über den Streitgegenstand selbst in der Hand. bb) Darlegungs- und Beweislast 440 Die Darlegungs- und Beweislast folgt allgemeinen zivilprozessualen Regeln. Jede Partei hat die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die ihren Anspruch stützen. 441 Verfahrensfehler müssen konkret dargelegt und unter Beweis gestellt werden. Die Kausalität eines Verfahrensfehlers für das Zustandekommen eines auf dieser Basis gefassten Beschlusses wird hingegen vermutet, d. h. es obliegt jener Partei, die sich auf die Wirksamkeit des Beschlusses beruft, die Vermutung zu widerlegen. 442 Bei Inhaltsfehlern gelten die gleichen Grundsätze, d. h. der Kläger hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Nichtigkeit oder ___________ 590) Dazu oben Rn. 413 ff. 591) Muster für eine auf Feststellung der Beschlussnichtigkeit gerichteten Klage bei Lutz, Der Gesellschafterstreit, Rn. 861.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Wirksamkeit des Beschlusses ergibt. Im Einzelfall kann freilich zweifelhaft sein, ob es bei bestimmten Tatbestandsmerkmalen noch um ein Angriffs- oder schon um ein Verteidigungsmittel im Sinne der zivilprozessualen Normentheorie geht. Insoweit kann auf die Diskussion zur Darlegungs- und Beweislast bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage verwiesen werden.592) Beweiserleichterungen gewähren die Gerichte häufig unter dem Aspekt der 443 Tatsachennähe.593) c) Verfahrensbeendigung Das Gericht entscheidet durch Urteil. Möglich und in der Praxis nicht selten 444 anzutreffen ist auch die Verfahrensbeendigung durch Vergleich. Weniger bedeutsam sind hingegen die Verfahrensbeendigung durch Anerkenntnis oder Klagerücknahme. aa) Urteil Das der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses stattgebende 445 Urteil wirkt grundsätzlich nur inter partes. Eine Gestaltungswirkung wie bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage entfaltet das Feststellungsurteil nicht. Gleiches gilt für das klageabweisende Urteil. Neue Klagen sind im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Regeln und etwaigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages weiterhin möglich. Der Gesellschaftsvertrag kann vorsehen, dass die Gesellschafter (gesellschafts- 446 vertraglich bzw. schuldrechtlich) verpflichtet sind, ein für oder gegen die Gesellschaft ergangenes Urteil anzuerkennen und/oder gegen sich gelten zu lassen. Nach der Rechtsprechung ist davon bereits dann auszugehen, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass Beschlussmängelstreitigkeiten (ausschließlich) mit der Gesellschaft auszutragen sind.594) Das stattgebende Urteil stellt die Nichtigkeit des Beschlusses fest und wirkt 447 damit grundsätzlich ex tunc. Im Einzelfall kann allerdings die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft dazu führen, dass die Wirkungen lediglich ex nunc eintreten. Für das der Klage auf Feststellung des Zustandekommens eines Beschlusses 448 stattgebende Urteil gelten die vorstehend dargestellten Grundsätze entsprechend.
___________ 592) Dazu oben Kapitel A I Rn. 30 (Zwissler). 593) Hierzu allgemein BGHZ 167, 204, 212; BGHZ 103, 184, 196 f. 594) Vgl. BGH NJW 2006, 2854, 2855 Rn. 15 = ZIP 2006, 1579; BGH NJW-RR 1990, 474 = ZIP 1990, 469. Vgl. auch MünchHdb. GesR Bd. 7/Siegmann, § 80 Rn. 8.
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bb) Anerkenntnis und Klagerücknahme 449 Eine Verfahrensbeendigung durch Anerkenntnis oder (auf Klägerseite) durch Klagerücknahme ist möglich. Sieht der Gesellschaftsvertrag allerdings vor, dass Beschlussmängelstreitigkeiten im Verhältnis zur Gesellschaft auszutragen sind, unterliegt das Vertretungsorgan der Gesellschaft im Innenverhältnis besonderen Bindungen. Wie bei der Aktiengesellschaft darf sich das Vertretungsorgan auch hier nicht ohne weiteres über die Willensbildung der Gesellschafterversammlung hinwegsetzen.595) Ein in der Folge des prozessualen Anerkenntnisses ergehendes Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) hat die gleiche Rechtskraftwirkung wie das streitig ergangene Endurteil. cc) Vergleich 450 Beschlussmängel-Feststellungsklagen sind nach allgemeinen Regeln einem Vergleich zugänglich. Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass Beschlussmängelstreitigkeiten im Verhältnis zur Gesellschaft auszutragen und die Gesellschafter an das Ergebnis gebunden sind,596) kommt dem Vergleich faktisch und zumindest im Innenverhältnis der Gesellschafter untereinander und zur Gesellschaft Gestaltungswirkung zu. d) Kosten und Streitwert aa) Kosten 451 Die Kosten des Feststellungsstreits werden nach den allgemeinen Regeln, d.h. nach §§ 91 ff. ZPO getragen. Bezüglich der Kosten eines Nebenintervenienten gelten die §§ 101 Abs. 2, 100 ZPO. bb) Streitwertfestsetzung 452 Für die Streitwertfestsetzung ist § 247 Abs. 1 AktG maßgeblich.597) Die Vorschrift ist bei Publikumsgesellschaften analog anzuwenden.598) e) Rechtsmittel 453 Ist Ausgangsgericht das Landgericht, so steht der im Beschlussmängel-Feststellungverfahren unterlegenen Partei gegen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und hierauf das der Revision zum BGH offen, letzteres jedoch nur dann, wenn die Revision durch das Berufungsgericht zugelassen wurde (§ 543 Abs. 1 ZPO). ___________ 595) Zur Paralleldiskussion bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage oben Kapitel A I Rn. 36 (Zwissler). 596) Zu entsprechenden Gestaltungen bereits oben Rn. 408. 597) Zu den Einzelheiten der Streitwertfestsetzung nach § 247 Abs. 1 AktG siehe oben Kapitel A I. Rn. 40 ff. (Zwissler). 598) Vgl. OLG Bremen NZG 2011, 312. Zustimmend Baumbach/Hopt/Roth, HGB, Anh. zu § 177a Rn. 76; Oetker/Oetker, HGB, § 161 Rn. 138.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
3. Begründetheit Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses ist begründet, 454 wenn der Klagepartei die Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Beschlussmängeln zusteht, der Beklagte bzw. die Beklagten entsprechend passivlegitimiert sind und ein formeller oder materieller Beschlussmangel vorliegt, der nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages nicht präkludiert ist und bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung nicht durch Bestätigungsbeschluss beseitigt bzw. geheilt wurde. Für die Klage auf Feststellung des Zustandekommens eines Beschlusses 455 gilt entsprechendes, wobei es hier naturgemäß auf die Abwesenheit von Beschlussmängeln ankommt. a) Aktivlegitimation Die Aktivlegitimation für die Geltendmachung von Beschlussmängeln steht 456 zunächst den Gesellschaftern zu, darüber hinaus aber auch der Gesellschaft und jeder anderen Rechtsperson, die ein Feststellungsinteresse i. S. d. § 256 ZPO nachweisen kann.599) b) Passivlegitimation Die Passivlegitimation ist an sich für alle Gesellschafter gegeben. Betrifft der 457 Streit jedoch den Inhalt eines Beschlusses, so sind nur jene Gesellschafter passivlegitimiert, die pflichtwidrig für bzw. gegen den Beschluss gestimmt haben. Gleiches gilt, wenn die Wirksamkeit des Beschlusses von der Zustimmung einzelner oder mehrerer Gesellschafter abhängig ist.600) Durch Gesellschaftsvertrag oder Beschluss kann die Passivlegitimation der 458 Gesellschaft zugewiesen werden. Dies kann als Ergänzung zur Passivlegitimation der Gesellschafter und den diesen gleichgestellten Personen oder mit verdrängender Wirkung erfolgen.601) c) Materiell-rechtliche Ausschlussfristen Eine materiell-rechtlich wirkende Frist für die Geltendmachung von Beschluss- 459 mängeln sieht das Gesetz nicht vor.602) Es kann jedoch nach allgemeinen Regeln Verwirkung eintreten.603) ___________ 599) Abweichend MünchHdb. GesR Bd. 7/Siegmann, § 80 Rn. 8, der zur Aktivlegitimation der Gesellschaft und der Treugeberkommanditisten ausführt, ihnen müsse die Aktivlegitimation durch Gesellschaftsvertrag „zugewiesen“ sein. 600) BGH ZIP 2009, 2289, 2290. 601) Zu entsprechenden Gestaltungen bereits oben Rn. 408. 602) Für eine analoge Anwendung des § 246 Abs. 1 AktG MünchKomm-HGB/Grunewald, § 161 Rn. 139 m. w. N. 603) BGH NJW 1999, 3113 = ZIP 1999, 1391.
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460 Üblich sind gesellschaftsvertragliche Regeln, nach denen Beschlussmängel nur innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden können.604) In der Regel handelt es sich dabei um materiell-rechtliche Ausschlussfristen. In diesen Fällen ist die Klage als unbegründet abzuweisen, wenn die Frist nicht eingehalten wurde. Auslegungsfrage ist, ob die gesellschaftsvertragliche Ausschlussfrist auch dahingehend zu verstehen ist, dass auch der konkrete Mangel innerhalb der bestimmten Frist geltend zu machen ist. Im Zweifel sind gesellschaftsvertragliche Regeln zu Ausschlussfristen eng auszulegen. 461 Unzulässig sind nach der Rechtsprechung Ausschlussfristen, die auf die Heilung des Mangels einer fehlenden Zustimmung durch betroffene Gesellschafter abzielen.605) d) Beschlussmängel 462 Beschlussmangel ist jeder Verstoß gegen das Gesetz, die guten Sitten oder den Gesellschaftsvertrag. Entsprechend der allgemeinen Regel führt auch bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. InvestmentKG und der GmbH & Co. KG (Publikums-KG) grundsätzlich jeder Verstoß zur Nichtigkeit des Beschlusses. aa) Kasuistik der Nichtigkeitsgründe 463 Die Kasuistik der in Betracht zu ziehenden Nichtigkeitsgründe ist umfangreich. Üblich ist die Unterscheidung zwischen Verfahrens- und Inhaltsfehlern.606) 464 Zu den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Verfahrensfehlern, die Gegenstand von Beschlussmängel-Feststellungsklagen waren, gehörten zuletzt: x
fehlende Ladung einzelner Gesellschafter;607)
x
Unwirksamkeit der Stimmabgabe aufgrund eines Stimmverbots;608)
x
Anwendung des Mehrheitsprinzips aufgrund gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklausel.609)
___________ 604) Üblich sind in Anlehnung an § 246 Abs. 1 AktG Fristen von einem Monat. Kürzere Fristen werden in der Rechtsprechung regelmäßig beanstandet und auf eine angemessene Frist korrigiert. Vgl. BGH NJW 2011, 2648 Rn. 15 = ZIP 2011, 1508; BGH NJW 1995, 1218 = ZIP 1995, 460. 605) BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231, 2234. 606) Diesem Systematisierungsschema folgend z. B. MünchKomm-HGB/Enzinger, § 119 Rn. 95 f.; speziell zur Publikums-KG aber mit abweichender Systematisierung Henssler/ Strohn/Servatius, Anhang, Rn. 70 ff. 607) OLG Stuttgart NZG 2008, 26 (zur Publikums-GbR). 608) OLG München NZG 2009, 1267 (zur GbR). 609) BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 (zur GmbH & Co. KG); BGHZ 179, 13 (zur Schutzgemeinschafts-GbR); BGH NZG 2014, 1296 = ZIP 2014, 2231 (zur GmbH & Co. KG).
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Zu den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Inhaltsfehlern, die Gegenstand 465 von Beschlussmängel-Feststellungsklagen oder Gegenstand von Leistungsklagen waren, bei denen die Beschlusswirksamkeit als Vorfrage zu prüfen war, gehörten zuletzt: x
Mängel des Jahresabschlusses (Rückstellungsbildung in Tochtergesellschaften);610)
x
Eingriff in die Mitgliedschaft durch Vertragsänderung, die den Ausschluss nicht sanierungswilliger Gesellschafter ermöglicht;611)
x
Ausschließung nicht sanierungswilliger Gesellschafter;612)
x
Zustimmung zur Übertragung von Geschäftsanteilen.613)
bb) Ausnahmen von der Nichtigkeitsfolge Ausnahmen von der Nichtigkeitsfolge werden in der Rechtsprechung nur 466 sehr zurückhaltend anerkannt. Lediglich für Verfahrensfehler hat die Rechtsprechung angenommen, dass diese bei fehlender Relevanz unberücksichtigt bleiben können. Voraussetzung ist, dass das Abstimmungsergebnis von dem konkreten Beschlussmangel unbeeinflusst war.614) cc) Heilung und Wegfall von Nichtigkeitsgründen durch Bestätigungsbeschluss Regelungen zur Heilung von Beschlussmängeln kennen weder das KAGB noch 467 das HGB. Bestätigungsbeschlüsse, die rückwirkende Geltung beanspruchen, sollten in Anlehnung an die Regelung des § 244 AktG zumindest in Erwägung gezogen werden.615) VI. Geschäftsführungsmaßnahmen Streitigkeiten im Zusammenhang mit Geschäftsführungsmaßnahmen können 468 unterschiedliche Gestalt annehmen. Legt die Geschäftsführung bestimmte Maßnahmen der Gesellschafterversamm- 469 lung zur Entscheidung vor, münden etwaige Differenzen über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bzw. dem Unterlassen der Maßnahme zunächst in einen Beschlussmängelstreit.616) ___________ 610) BGH DStR 2007, 494 = ZIP 2007, 475 (zur GmbH & Co. KG). 611) BGH NJW 2010, 65 = ZIP 2009, 2289 (zur Publikums-GmbH & Co. OHG); BGH ZIP 2011, 768. 612) BGH NJW 2015, 995 (zur Publikums-GbR). 613) BGH NZG 2014, 1296 = ZIP 2014, 2231 (zur GmbH & Co. KG). 614) BGH NJW 1987, 1262, 1263 = ZIP 1987, 444. 615) Zu Bestätigungsbeschlüssen nach § 244 AktG oben Kapitel A I. Rn. 98 (Zwissler). 616) Dazu oben Rn. 424 ff.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
470 Kommt es nicht zu einer Befassung der Gesellschafterversammlung oder will sich die Geschäftsführung über das Gesellschaftervotum hinwegsetzen, stellt sich die Frage, ob und wem gegenüber dem Anleger bzw. Gesellschafter ein Unterlassungsanspruch zusteht und wie dieser prozessual durchzusetzen ist. 471 In der Rechtsprechung617) wurde ein Unterlassungsanspruch der nicht geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter mit dem Argument verneint, ein solcher Anspruch würde die gesellschaftsvertraglich festgelegte Zuständigkeitsverteilung verletzen. Es sei auch nicht hinnehmbar, dem nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschafter Einflussnahmen zu gestatten, für die am Ende die Komplementärin persönlich haften müsse. Der nicht geschäftsführende Gesellschafter sei daher auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft zu verweisen, der dann allerdings auch im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden könne.618) Das Schrifttum ist der Rechtsprechung überwiegend nicht gefolgt. Teilweise wird dem Kommanditist ein Unterlassungsanspruch aus eigenem Recht zugebilligt,619) teilweise auf die actio pro socio verwiesen.620) 472 Bei der extern verwalteten GmbH & Co. Investment-KG ist zu beachten, dass hier weite Bereiche der Geschäftsführung auf die Verwaltungsgesellschaft übertragen sind, die nicht zwingend auch Gesellschafterin sein muss. Hinzu kommt, dass die Pflichten der Verwaltungsgesellschaft ihren Grund sehr häufig nicht im Gesellschaftsvertrag, sondern in dem gesondert abzuschließenden Bestellungsvertrag haben. Die Grundsätze der actio pro socio sind jedoch nur auf Sozialansprüche anwendbar, so dass die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen hier nicht auf gesellschaftsvertragliche Basis, sondern allenfalls auf eine drittschützende Wirkung des Bestellungsvertrages gestützt werden kann. VII. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis geschäftsführender Gesellschafter, Ausschluss geschäftsführender Gesellschafter 473 Der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis und der Ausschluss geschäftsführender Gesellschafter kommen wie bei der einfachen KG nur in Betracht, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Unabhängig davon sind Gesellschaftsverträge geschlossener Fonds in der Regel darum bemüht, die Stellung des geschäftsführenden Gesellschafters bestmöglich abzusichern.621) ___________ 617) BGHZ 76, 160, 167 f. 618) Der BGH (BGHZ 76, 160, 167 f.) gesteht aber zu, dass bei Vorliegen besonderer Umstände Ausnahmen möglich sind. 619) MünchHdB. GesR Bd. 2/Scheel, § 7 Rn. 58. 620) MünchKomm-HGB/Grunewald, § 164 Rn. 9. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Rn. 423 m. w. N. 621) Der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis und/oder der Vertretungsmacht muss bei Publikumsgesellschaften jedoch stets mit einfacher Mehrheit möglich sein. Vgl. BGHZ 102, 172 = ZIP 1988, 22 (zur Publikums-GbR). Vgl. hierzu MünchHdB. GesR Bd. 7/ Siegmann, § 81 Rn. 3 m. w. N.
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D. Gesellschafterstreitigkeiten bei geschlossenen Fonds
Sowohl der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis als auch der Ausschluss 474 geschäftsführender Gesellschafter erfolgen in der Publikumsgesellschaft durch Mehrheitsbeschluss. Entsprechende Streitigkeiten manifestieren sich dementsprechend in Beschlussmängelstreitigkeiten. Die Frage, ob daneben die im Handelsgesetzbuch (HGB) für den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis und/oder der Vertretungsbefugnis oder den Ausschluss von Gesellschaftern vorgesehenen Gestaltungsklagen in Betracht kommen, spielt in der Praxis kaum eine Rolle.622) Bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. Investment- 475 KG ist zu beachten, dass die Geschäftsführung den Anforderungen des § 153 KAGB genügen muss. Dies kann bei der Beurteilung des wichtigen Grundes eine Rolle spielen, wenn der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis oder der Ausschluss dazu führen würde, dass die Gesellschaft nicht mehr über ein Geschäftsführungsorgan verfügt, das den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Umgekehrt liegt ein wichtiger Grund für den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis und den Ausschluss von geschäftsführenden Gesellschaftern ohne weiteres vor, wenn die BaFin die Abberufung nach § 153 Abs. 5 KAGB verlangt und ein etwaiges Rechtsmittel gegen dieses Verlangen keine Aussicht auf kurzfristigen Erfolg hat. Bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. KG (Publi- 476 kums-KG) beruhen Streitigkeiten über den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis oder den Ausschluss des geschäftsführenden Gesellschafters häufig auf Unzufriedenheit mit dem Initiator und/oder den Prospektverantwortlichen, die häufig hinter dem geschäftsführenden Gesellschafter stehen. An den Maßstäben, die an die Wirksamkeit entsprechender Beschlüsse anzulegen sind, ändert dies allerdings nichts. VIII. Organhaftungsstreitigkeiten In Bezug auf Organhaftungsstreitigkeiten gelten keine Besonderheiten.623)
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IX. Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Gesellschaftern Gesellschaftsverträge geschlossener Fonds sehen typischerweise eine feste 478 Laufzeit und eine Regelung vor, nach der eine Kündigung der Beteiligung durch den Anleger und/oder den Gesellschafter nur aus wichtigem Grund möglich ist.624) Üblich sind darüber hinaus Regelungen, die bei Vorliegen be___________ 622) Zu diesen Gestaltungsklagen oben Kapitel B VI. Rn. 260 ff., 263 (Hahn) und Kapitel C II. Rn. 348 ff. (Giehrt); MünchHdB. GesR Bd. 7/Siegmann, § 81 Rn. 1 ff. 623) Zu Organhaftungsstreitigkeiten in der GmbH & Co. KG oben Kapitel B VI. Rn. 260 ff., 266 ff. (Hahn). 624) Für die GmbH & Co. Investment-KG schließt § 161 Abs. 1 KAGB das ordentliche Kündigungsrecht von vornherein aus. Vgl. hierzu bereits oben Rn. 389.
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stimmter (nicht notwendig wichtiger) Gründe den Ausschluss des Anlegers bzw. Gesellschafters ermöglichen. Typische Ausschlussgründe sind Todesfälle und Insolvenzen. Schließlich sind auch Gestaltungen verbreitet, die einen Ausschluss von Anlegern und Gesellschaftern aus wichtigem Grund durch Mehrheitsbeschluss zulassen. 479 Streitigkeiten ergeben sich in der Praxis vor allem im Hinblick auf das „ob“ des Ausscheidens und die Höhe der Abfindung als der wohl wichtigsten Rechtsfolge des Ausscheidens. 480 Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sind im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage auszutragen. Es gelten insoweit keine Besonderheiten. 481 Streitigkeiten über die Höhe der Abfindung sind in der Regel im Rahmen einer gegen die Gesellschaft gerichteten Leistungsklage auszutragen. Für die Bestimmung der Höhe der Abfindung verweisen Gesellschaftsverträge jedoch häufig auf einzuholende Gutachten oder Jahresabschlüsse. Insoweit kann gesellschaftsvertraglich z. B. die vorrangige Einholung von Schiedsgutachten vorgesehen sein. Ist der anspruchsberechtigte Anleger bzw. Gesellschafter für die Bezifferung seines Abfindungsanspruchs auf Informationen der Gesellschaft angewiesen, kann eine Stufenklage in Betracht kommen.625) X. Einstweiliger Rechtsschutz 482 Zulässigkeit und Reichweite des einstweiligen Rechtsschutzes richten sich nach allgemeinen Regeln. E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit I. Einführung 1. Bedeutung und Problematik des Gerichtsstands im internationalen Gesellschafterstreit ) Helge Großerichter
483 Die Frage nach dem (potentiellen) Gerichtsstand im Streitfall muss bei der Betrachtung gesellschaftsrechtlicher Fragen in einem internationalen Kontext aus mehreren Gründen am Ausgangspunkt stehen: Zunächst ist sie der logische Ansatz für die Prüfung der materiellen Rechtslage, da jede Gerichtsbarkeit nach ihrem Internationalen Privatrecht das auf die Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt. Zum zweiten prädestiniert der Gerichtsstand die tatsächlichen Möglichkeiten prozessualer Durchsetzung, die entscheidend von Faktoren wie richterlicher Kompetenz, Kosten und insbesondere Ge___________ 625) BGH NZG 2016, 422, 520 = ZIP 2016, 523. *) Der herzliche Dank des Verfassers gebührt Frau Cand. Jur. Donja Härtle für die wertvollen Recherchen und Vorarbeiten, die für die Entstehung des Beitrags wesentliche Bedeutung hatten.
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stimmter (nicht notwendig wichtiger) Gründe den Ausschluss des Anlegers bzw. Gesellschafters ermöglichen. Typische Ausschlussgründe sind Todesfälle und Insolvenzen. Schließlich sind auch Gestaltungen verbreitet, die einen Ausschluss von Anlegern und Gesellschaftern aus wichtigem Grund durch Mehrheitsbeschluss zulassen. 479 Streitigkeiten ergeben sich in der Praxis vor allem im Hinblick auf das „ob“ des Ausscheidens und die Höhe der Abfindung als der wohl wichtigsten Rechtsfolge des Ausscheidens. 480 Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sind im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage auszutragen. Es gelten insoweit keine Besonderheiten. 481 Streitigkeiten über die Höhe der Abfindung sind in der Regel im Rahmen einer gegen die Gesellschaft gerichteten Leistungsklage auszutragen. Für die Bestimmung der Höhe der Abfindung verweisen Gesellschaftsverträge jedoch häufig auf einzuholende Gutachten oder Jahresabschlüsse. Insoweit kann gesellschaftsvertraglich z. B. die vorrangige Einholung von Schiedsgutachten vorgesehen sein. Ist der anspruchsberechtigte Anleger bzw. Gesellschafter für die Bezifferung seines Abfindungsanspruchs auf Informationen der Gesellschaft angewiesen, kann eine Stufenklage in Betracht kommen.625) X. Einstweiliger Rechtsschutz 482 Zulässigkeit und Reichweite des einstweiligen Rechtsschutzes richten sich nach allgemeinen Regeln. E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit I. Einführung 1. Bedeutung und Problematik des Gerichtsstands im internationalen Gesellschafterstreit ) Helge Großerichter
483 Die Frage nach dem (potentiellen) Gerichtsstand im Streitfall muss bei der Betrachtung gesellschaftsrechtlicher Fragen in einem internationalen Kontext aus mehreren Gründen am Ausgangspunkt stehen: Zunächst ist sie der logische Ansatz für die Prüfung der materiellen Rechtslage, da jede Gerichtsbarkeit nach ihrem Internationalen Privatrecht das auf die Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt. Zum zweiten prädestiniert der Gerichtsstand die tatsächlichen Möglichkeiten prozessualer Durchsetzung, die entscheidend von Faktoren wie richterlicher Kompetenz, Kosten und insbesondere Ge___________ 625) BGH NZG 2016, 422, 520 = ZIP 2016, 523. *) Der herzliche Dank des Verfassers gebührt Frau Cand. Jur. Donja Härtle für die wertvollen Recherchen und Vorarbeiten, die für die Entstehung des Beitrags wesentliche Bedeutung hatten.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
schwindigkeit des Verfahrens abhängen. Schließlich muss der Gerichtsstand vom Ende her gedacht gewährleisten, dass das in ihm erstrittene Urteil auch vollstreckt werden kann. Die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit(en) ist daher die maßgebliche, das praktische Schicksal des Gesellschafterstreits häufig vorbestimmende Weichenstellung, die bereits in der Beratung im Vorfeld bis hin zur Gesellschaftsgründung und Wahl der Gesellschaftsform mit zu bedenken ist. Die Normierung der internationalen Zuständigkeit für gesellschaftsrecht- 484 liche Streitigkeiten, die sich heute maßgeblich in den europäischen Instrumenten findet, ist in den letzten Jahren relativ unvermittelt Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen geworden und in den Fokus wissenschaftlicher Auseinandersetzung gerückt.626) Dies ist nur zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass sich die Zahl der gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten mit Auslandsbezug spürbar erhöht hat. Ein weiterer wesentlicher Grund inhaltlicher Natur liegt darin, dass die Regelung eine besondere Problematik mit erheblichem Streitpotenzial aufweist: Sie ist zweigespalten in ein „allgemeines“ Zuständigkeitsregime, in welchem insbesondere eine freie Wahl des Gerichtsstands möglich ist, und in eine ausschließliche Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft, wenn die Klage die Gültigkeit der Gesellschaft oder eines Organbeschlusses zum Gegenstand hat. Damit können alle Streitigkeiten unter Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen, die im Wege einer Klage mit einem derartigen Klagegegenstand ausgetragen werden (können), mit allen damit verbundenen Folgen unter diese Regelung fallen. Beispiel (BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 28/10627)): Der Mehrheitsgesellschafter einer englischen private company limited by shares („Limited“), die als Komplementärin einer deutschen KG fungierte, hatte seinen Mitgesellschafter in dessen Abwesenheit durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom bis dahin gemeinsam ausgeübten Amt des Geschäftsführers (director) abberufen und zugleich den Abschluss eines Dienstvertrages über seine nunmehr alleinige Unternehmensführertätigkeit beschließen lassen. Der abberufene director und Minderheitsgesellschafter setzte sich mit einer Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses zur Wehr, die indes von den deutschen Gerichten wegen Vorliegens einer ausschließlichen Zuständigkeit der englischen Gerichtsbarkeit nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO als unzulässig abgewiesen wurde.
___________ 626) Siehe hierzu Mankowski, in: Festschrift Simotta, 2012, S. 351 ff. 627) BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 = BB 2011, 2828 Anm. Kieninger = GmbHR 2011, 1094 Anm. Werner. Siehe zur (bestätigten) Entscheidung der Vorinstanz (OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.2.2010, ZIP 2010, 800, 802) die Anm. von Mankowski ebendort; Kindler, NZG 2010, 576 ff.; Schaper, IPRax 2010, 513 ff.
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485 Der Fall macht deutlich, dass die Gesellschafter in einem „internationalen“ Streitfall – ebenso wie ein Berater bereits im Vorfeld – zunächst zu prüfen haben, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein vorhandener oder denkbarer Streit in den sachlichen Anwendungsbereich der ausschließlichen Zuständigkeit fällt und damit ein zwingender Gerichtsstand im Ausland im Raum steht. Nimmt man hinzu, dass die sachliche Reichweite dieses Gerichtsstands noch in relativ hohem Maße ungeklärt ist, so wird seine Bedeutung bei der Bewertung von Prozessrisiken wie auch – im Hinblick auf die Missbrauchs- und Blockademöglichkeiten entsprechend konstruierter Klagen – bereits für die Beratung im Stadium der Gesellschaftsgründung offensichtlich. 2. Gegenstand und Gang der Darstellung 486 Die „weichenstellende“ Bedeutung der Gerichtsstandsfrage im Allgemeinen und die soeben dargestellte besondere Problematik der Regelung geben Anlass, das Thema des Gerichtsstands im internationalen Gesellschafterstreit in diesem Beitrag herauszuheben und vertieft darzustellen.628) Dabei sind – wie der soeben dargestellte Fall des BGH ebenfalls deutlich macht – beide Teile des Terminus „internationaler Gesellschafterstreit“ weit zu verstehen: Unter „Gesellschafterstreit“ sind, um die im internationalen Kontext potentiell relevanten Vorschriften und Gestaltungen zu erfassen, nicht nur die direkte prozessuale Auseinandersetzung zwischen Gesellschaftern als Prozessparteien zu fassen, sondern auch und gerade Klagen gegen die Gesellschaft mit den soeben dargestellten Gegenständen, die als Mittel in einem Gesellschafterstreit eingesetzt werden. Und ein „internationaler“ Gesellschafterstreit kann auch dann gegeben sein, wenn sich sämtliche (potentielle) Parteien tatsächlich in Deutschland befinden und lediglich ein rechtlicher Auslandsbezug darin besteht, dass eine ausländische Gesellschaftsform gewählt wurde. Gerade Streitigkeiten in sog. „Scheinauslandsgesellschaften“, mögen diese in Gestalt englischer Gesellschaftsformen629) auch einer ungewissen Zukunft entgegengehen,630) spielen bereits jetzt eine erhebliche Rolle und werden gerade wegen der jetzt offenen Zukunftsfragen in den nächsten Jahren erheblichen Beratungs- und Vertretungsbedarf auslösen. 487 Eine Darstellung der potentiellen internationalen Gerichtsstände für einen Streitfall muss stets insofern unvollständig bleiben, als die Parteien diesen ___________ 628) Siehe für eine Übersicht der internationalen Aspekte des Gesellschafterstreits insgesamt etwa Willemer, in: Mehrbrey, § 2 D. 629) Siehe zur „Limited“, deren Stern allerdings bereits seit einiger Zeit im Sinken begriffen war, Triebel/von Hase/Melerski, Die Limited in Deutschland, 2006; Just, Die englische Limited in der Praxis, 4. Aufl. 2012. Zu der als Organisationsform von Freiberuflern genutzten LLP Schnittker/Bank, Die LLP in der Praxis, 2008. Verbreitet ist aber bei Konzerneinheiten und kleineren Unternehmen etwa auch die niederländische B.V. (Besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid). 630) Siehe hierzu aktuell den Beitrag von Weller/Thomale in der FAZ vom 29.6.2016, S. 18 sowie den Blog von Thomale, Regulatory competition in a post-Brexit EU, conflictoflaws.net. Siehe hierzu auch noch sogleich Rn. 488 und unten 523.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
theoretisch vor jedes Forum tragen können, welches seine internationale Zuständigkeit bejaht. Denn die Regelung der Zuständigkeit der eigenen Gerichte in internationaler Hinsicht ist im Grundsatz jedem Staat selbst überlassen, wenn er sich diesbezüglich nicht durch supranationale oder staatsvertragliche Regelungen gebunden hat.631) Praktisch ist die Auswahl jedoch limitiert, nicht nur weil die jeweiligen Zuständigkeitsordnungen regelmäßig irgendeine Form des Sitzes oder eine andere relevante Verbindung der Parteien bzw. der Gesellschaft zum Forumstaat fordern,632) sondern vor allem durch die Vollstreckung: Zweckmäßig ist die Erhebung der Klage bei den Gerichten eines bestimmten Staates nur dann, wenn entweder auch die Vollstreckung dort erfolgen kann, oder wenn die Urteile dieses Staates in dem oder den Vollstreckungsstaat(en) zumindest ohne erneute materielle Hürden anerkannt und vollstreckt werden können. Letzteres setzt – was die staatliche Gerichtsbarkeit betrifft633) – im Rahmen der Anerkennungsprüfung wiederum die Beachtung der Zuständigkeitsordnung des Vollstreckungsstaates voraus, so dass bei einer beabsichtigten Vollstreckung innerhalb des europäischen Rechtsraums letztlich stets die dort gültige Zuständigkeitsordnung zu beachten ist. Entsprechend der praktischen Relevanz steht die Zuständigkeitsordnung des 488 europäischen Rechtsraums daher ganz im Vordergrund der nachfolgenden Ausführungen. Dabei besteht Anlass zur Hoffnung, dass der „europäische Rechtsraum“ in diesem Sinne auch weiterhin Großbritannien einschließen wird. Denn auch wenn derzeit völlig ungewiss ist, welchen weiteren Verlauf die innenpolitische/konstitutionelle Diskussion in Großbritannien und erst recht etwaige Verhandlungen mit der EU nach dem „Brexit“-Referendum nehmen werden, geht der europäische Rechtsraum jedenfalls in der Regelung der internationalen Zuständigkeit bereits jetzt über die Staaten der EU hinaus und umfasst z. B. auch die Schweiz. Die maßgeblichen, sogleich darzustellenden Instrumente müssten daher im Interesse aller Beteiligten auf Großbritannien bzw. seine die EU verlassenden Teile erstreckt werden, wo, wie ___________ 631) In Europa ist dies heute mit dem sogleich Rn. 490 ff. zu erörternden Zuständigkeitssystem weitestgehend der Fall, während das Projekt eines weltweiten Zuständigkeitsund Vollstreckungsübereinkommens 2001/02 eingestellt wurde; siehe hierzu die Homepage der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht unter http://www.hcch.net/. Das an dessen Stelle verhandelte Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu noch unten Rn. 528) wurde am 30.6.2005 verabschiedet und ist seit dem 1.10.2015 in Kraft (siehe Beschluss des Rates vom 4.12.2014 über die Genehmigung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen v. 30.6.2005, ABl. EU Nr. L 353 v. 10.12.2014 und zum deutschen Durchführungsgesetz BGBl. I 2015, Nr. 25, 1034). Siehe zu all dem die Kommentierung von Zöller/Geimer ZPO, 31. Aufl., Anh. I, Art. 25 EuGVVO Rn. 81 ff. 632) So fordert das US amerikanische Recht für die Begründung einer „jurisdiction“ neben der Gründung oder dem Sitz der Hauptverwaltung im Gerichtsstaat „doing business“, also die Entfaltung von geschäftlichen Tätigkeit im Gerichtsstaat, wobei diese „continuous und systematic“ sein muss. vgl. Schack, US Zivilprozessrecht, S. 27 f./Rollin, Ausländisches Beweisverfahren im deutschen Zivilprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung von 28 USC § 1782(a), S. 56. 633) Siehe zur Schiedsgerichtsbarkeit unten Rn. 543 f., 545 ff.
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die nachfolgend darzustellende Rechtsprechung illustriert, ein maßgeblicher Teil der international-gesellschaftsrechtlichen Praxis in Europa stattfindet. 489 Inhaltlich verfolgt die Darstellung das Ziel, Konturen und Reichweite der ausschließlichen gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeit im europäischen Rechtsraum herauszuarbeiten, um den Geltungsbereich des verbleibenden „gewöhnlichen“ Zuständigkeitsregimes bestimmen zu können und verbleibende Gestaltungmöglichkeiten aufzuzeigen. Der Schwerpunkt liegt daher auf dem europäischen Zuständigkeitssystem (II, Rn. 490 ff.) und dort nach Darstellung des Anwendungsbereichs (1., Rn. 490 – 492) und der Systematik der Gerichtsstände (2., Rn. 493 f.) auf dem ausschließlichen Gerichtsstand für gesellschaftsorganisatorische Streitigkeiten (3., Rn. 495 – 524). Sodann wird der sich ergebende Anwendungsbereich sowie die Regelungen des verbleibenden „allgemeinen“ europäischen Zuständigkeitsregimes aufgezeigt (II 4., Rn. 525 – 534) sowie in Kürze auf die autonom-deutschen Regelungen der internationalen Zuständigkeit außerhalb des europäischen Rahmens eingegangen (III, Rn. 535 – 537). Abschließend sollen zusammenfassend die Folgerungen aus all dem für Prozessführung und Beratung im internationalen Gesellschafterstreit gezogen werden (IV, Rn. 538 – 544). II. Das europäische System der internationalen Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten 1. Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitssystems nach Brüssel Ia-VO und LugÜ 490 Im Europäischen Rechtsraum ist die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelssachen einschließlich Anerkennung und Vollstreckung der daraus resultierenden Urteile in mehreren parallel strukturierten Rechtsakten geregelt. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks gilt die Brüssel Ia-VO634) (auch EuGVVO oder EuGVO genannt), welche seit 10.1.2015 die vorangehende Brüssel I-VO635) abgelöst hat. Die Auslegung der in der Brüssel Ia-VO verwendeten Begriffe hat nach Möglichkeit verordnungsautonom und gemeinschaftsrechtskonform zu erfolgen; zuständig ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Vorab___________ 634) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12.12.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 351, 1 (Brüssel Ia-VO). Nach Art. 2 des Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks i. d. F. nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, ABl. 2008 Nr. C 115, 299 ist sie für Dänemark nicht kraft Art 288 II AEUV unmittelbar bindend. 635) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000, ABl. EG 2001 Nr. L 12, 1, die wiederum das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968 (EuGVÜ) abgelöst hatte. Zur intertemporalen Fortgeltung für Altverfahren Schlosser/ Hess/Hess, EuZPR, Art. 66 EuGVVO Rn. 2 f.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
entscheidungsverfahren nach Art 267 AEUV.636) Ihre Regelungen bzw. deren Gehalt (in Gestalt weitgehend entsprechender Regelungen in abweichender, noch der Brüssel I-VO entsprechender Zählung) – werden durch ein bilaterales Übereinkommen auf Dänemark637) und durch das Luganer Übereinkommen (LugÜ) auf die Schweiz, Norwegen und Island erstreckt.638) Die internationale Zuständigkeit der Gerichte in den genannten Staaten be- 491 urteilt sich immer dann nach den Vorschriften der Brüssel Ia-VO bzw. des LugÜ,639) wenn in einem Fall mit Auslandsberührung der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. – wenn der Gesellschafterstreit mittels einer Klage gegen die Gesellschaft ausgetragen wird – die beklagte Gesellschaft ihren Sitz in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat hat (Art. 4, 7 sowie ErwGr 8 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 2, 4 LugÜ). Für letzteres genügt nach Art. 63 Brüssel Ia-VO/Art. 60 LugÜ alternativ sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat. Noch weiter geht der Anwendungsbereich der Art. 25 f. Brüssel Ia-VO hinsichtlich Gerichtsstandsvereinbarung und rügeloser Einlassung (unten Rn. 528, 530). Erforderlich ist in jedem Fall Auslandsberührung,640) die aber schon durch den (Wohn-)Sitz eines Gesellschafters in einem anderen Staat oder z. B. dadurch vermittelt wird, dass – bei einem im Übrigen reinen Inhaltssachverhalt – der satzungsmäßige Sitz oder der Registrierungsort der Gesellschaft im Ausland liegen.641) Sachlich werden Gesellschafterstreite als Zivil- und Handelssachen (jeweils 492 Art. 1) fast immer vom Anwendungsbereich erfasst; die einzig relevante Ausnahme ist diejenige für Insolvenzsachen (Art. 1 Abs. 2 lit. b). Unter diese Ausnahme und damit ggf. unter das Zuständigkeitsregime der EuInsVO642) können auch Streitigkeiten mit gesellschaftsrechtlicher Dimension fallen, so
___________ 636) Statt aller Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Einl. Rn. 29 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, EuGVO Einl. Rn. 54 – 68, Rn. 108 – 114. 637) Vgl. ABl. EU 2005 Nr. L 299, S. 62 und ErwGr 41 der Brüssel Ia-VO. 638) Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007, Abl. EU 2009 Nr. L 147, 5. Bei der Anwendung des LugÜ ist der Auslegung der Vorschriften der Brüssel Ia-VO durch den EuiGH Rechnung zu tragen, vgl. Art. 1 des 2. Protokolls zum Luganer Übereinkommen, so dass diese mittelbar auch für die Auslegung des LugÜ maßgeblich ist. 639) Siehe zum Konflikt zwischen beiden Regelungen die Kollisionsregel in Art. 64 I, II lit. a LugÜ. 640) EuGH, Urt. v. 1.3.2005 – C-281/02, Slg. 2005, I-1383 – Owusu, Rn. 25. 641) So geht BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 in einer derartigen Konstellation ohne weiteres von der Anwendbarkeit der Brüssel I-VO aus. 642) VO (EG) Nr. 1346/2000 v. 29.5.2000, ABl. EG 2000 Nr. L 160, S. 1; siehe zur ab dem 26.6.2017 gültigen Neufassung (ABl. EU 2015 L 141, S. 19) Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460 ff. Nach Art. 3 ist der maßgebliche Anknüpfungspunkt der Zuständigkeit der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (centre of main interests, COMI).
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
z. B. Verfahren über die insolvenzbedingte Auflösung einer Gesellschaft.643) Ferner sind Streitigkeiten im Zusammenhang mit kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen insolvenzrechtlich zu qualifizieren644) sowie Haftungsklagen gegen Leitungsorgane wegen Zahlungen nach Insolvenzreife oder Insolvenzverschleppung.645) Gesellschafterstreite im hier zu behandelnden Sinne werden jedoch nur selten Berührungspunkte mit dieser Ausnahmeregelung aufweisen. 2. Systematik der Gerichtsstände im Hinblick auf den Gesellschafterstreit nach Brüssel Ia-VO und LugÜ 493 Der allgemeine Gerichtsstand nach Brüssel Ia-VO und LugÜ liegt nach den soeben (Rn. 491) zitierten Regelungen auch für den Gesellschafterstreit am Wohnsitz des Beklagten, bzw., wenn eine Gesellschaft Beklagter ist, an jedem der in Art. 63 Brüssel Ia/Art 60 Lug Ü alternativ genannten Sitze. Daneben kommen besondere Gerichtsstände in Betracht, insbesondere derjenige des Erfüllungsorts vertraglicher Verpflichtungen und ggf. des Deliktsortes nach Art. 7 Nr. 1 und 3 Brüssel Ia-VO/Art. 5 Nr. 1 und 3 LugÜ. 494 Auf all diese Gerichtsstände kann aber nicht zurückgegriffen werden, wenn ausschließliche Gerichtsstände nach Art. 24 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 22 LugÜ eingreifen: Neben der – für einen Gesellschafterstreit selten relevanten und daher nachfolgend nicht extensiv erörterten – ausschließlichen Zuständigkeit für registerrechtliche Streitigkeiten (Art. 24 Nr. 3 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 22 Nr. 3 LugÜ) ist in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 22 Nr. 2 LugÜ eine solche für gesellschaftsorganisatorische Streitigkeiten vorgesehen, und zwar zugunsten der Gerichte des Mitglieds- bzw. Vertragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft ihren – hier nach dem IPR des Forums zu bestimmenden – Sitz hat. Diese Gerichtsstände haben auch Vorrang vor einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO/Art. 23 LugÜ, der – ebenso wie einer rügelosen Einlassung nach Art. 26 Brüssel Ia-VO/Art. 24 LugÜ – nur insoweit zuständigkeitsbegründende Wirkung zukommt, als keine ausschließliche Zuständigkeit eingreift. Die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ und insbesondere die Klärung ihres Anwendungsbereichs bzw. zumindest eine Ausdeutung der hierzu bislang ergangenen Rechtsprechung muss damit Ausgangspunkt der Überlegungen für einen im Bereich dieser Zuständigkeitsordnung angesiedelten (potentiellen) Gesellschafterstreit sein. ___________ 643) Siehe zu Abgrenzungsfällen insb. im englischen Recht (winding-up-proceedings und Liquidationsverfahren) Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Art. 24 Rn. 79; Schilling, IPRax 2005, 208, 213 f. 644) Vgl. BGH, v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, NZG 2011, 1195 = ZIP 2011, 1775 Rn. 18 ff. zur Qualifikation im IPR. Da diese aus den Vorgaben der EuInsVO heraus begründet wird, kann für die Zuständigkeit nichts anderes gelten. Siehe zur Einordnung der Vorbelastungshaftung jüngst Weller/Harms, IPRax 2016, 119. 645) So nunmehr EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-295/13, ZIP 2015, 196; Willemer, in: Mehrbrey, § 88 Rn. 5 m. w. N.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
3. Ausschließlicher Gerichtsstand für gesellschaftsorganisatorische Klagen a) Reichweite der ausschließlichen Zuständigkeit Die ausschließliche Zuständigkeit wird in Art. 24 Nr. 2 Satz 1 Brüssel Ia VO 495 – gleichlautend und daher nachfolgend nicht mehr stets zusätzlich genannt in Art. 22 Nr. 2 Satz 1 LugÜ – angeordnet für Verfahren, welche „die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft […] oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben“.646) Einigkeit besteht darüber, dass es sich um eine kontradiktorische Klage handeln muss,647) und dass sich diese nicht zwingend gegen die Gesellschaft richten muss, sondern auch gegen eines ihrer Organe oder einen anderen Gesellschafter gerichtet sein kann.648) Denn der Anwendungsbereich der Vorschrift wird allein durch den Gegenstand der Klage bestimmt.649) Diesbezüglich sind vor allem zwei Fragen die zentralen „Stellschrauben“ für die Weite des Anwendungsbereichs: Zum einen ist unter den genannten Gegenständen vor allem derjenige der „Organbeschlüsse“ potentiell weitreichend und bedarf daher der Konturierung (sogleich Rn. 498 ff.). Zum zweiten ist zu klären, in welcher Weise ein Verfahren auf die genannten Fragen wirken muss, um diese im Sinne der Vorschrift „zum Gegenstand“ zu haben (Rn. 508 ff.). Da es sich um Auslegungsfragen handelt, ist vorab ein Blick auf die dafür geltenden Grundsätze und Rahmenbedingungen notwendig: aa) Rahmenbedingungen der Auslegung Der EuGH hat in den bisher ergangenen Entscheidungen zur Auslegung der 496 Norm in der Brüssel I-VO betont, dass sie aufgrund seines Ausnahmecharakters und wegen der einhergehenden Beschränkung der Prorogationsfreiheit der Parteien nicht weiter ausgelegt werden soll als zur Erreichung des Normzwecks erforderlich.650) Da die von manchen Stimmen befürwortete Auswei___________ 646) Die Vorgängernormen der Brüssel I-VO und des EuGVÜ sind insoweit identisch, so dass die nachfolgend zitierte Rechtsprechung, die zu diesen Fassungen ergangen ist, maßgeblich bleibt. 647) Saenger/Dörner, ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 18; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 34; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 81 m. w. N.; Schlosser/ Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 16. Für nicht kontradiktorische (Register-)Verfahren kann allerdings Art. 24 Nr. 3 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 3 LugÜ eingreifen, siehe unten Rn. 527. 648) OLG Wien AG 2010, 49, 52 = JBl. 1999, 259; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 22 Rn. 34; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70 (missverständlich daher ders., Rn. 88: Streitigkeiten der Gesellschafter untereinander gehörten „in jedem Fall“ nicht zum Anwendungsbereich der Vorschrift). 649) Statt aller Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70; Schilling, IPRax 2005, 208, 215. 650) EuGH, v. 14.12.1977 – 73/77 – Sanders, Slg. 1977, 2383, Rn. 17 f.; EuGH, v. 27.1.2000 – C-8/98 – Dansommer, Slg. 2000, I-393, Rn. 21; EuGH, v. 2.10.2008 – C-372/07 – Hassett und Doherty, Slg. 2008, I-7403 Rn. 18 f.; EuGH, v. 12.5.2011 – C-144/10 – Berliner Verkehrsbetriebe, Slg 2011, I-3961 = ZIP 2011, 1071–1074 Rn. 30, 32.
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tung auf einen allgemeinen Gerichtsstand für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten651) bei der Neufassung als Brüssel Ia-VO nicht Gesetz geworden ist, hat dies weiterhin Gültigkeit. Damit gilt als Auslegungsmaxime eine im Grundsatz restriktive Auslegung, für deren genaue Kontur es zentral darauf ankommt, welchen Normzweck man durch den Gerichtsstand als verwirklicht ansieht. Diesbezüglich ist zwischen den beiden Komponenten der Vorschrift zu unterscheiden: Die Konzeption als ausschließliche Zuständigkeit soll sich widersprechende Entscheidungen unterschiedlicher Gerichtsbarkeiten über gesellschaftsorganisatorische Fragen ausschließen.652) Dass dazu – anders als in anderen Bereichen, in denen die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen ebenfalls besteht – die Zuständigkeit zwingend in einer Jurisdiktion konzentriert sein soll, wird mit der häufig bestehenden Wirkung der Entscheidung für einen größeren Kreis von Gesellschaftern und anderen Interessierten wie Gläubigern (erga-omnes-Wirkung) erklärt.653) Für die Wahl der Jurisdiktion am Sitz der Gesellschaft wird vor allem654) angeführt, dass das Gericht am Sitz der Gesellschaft regelmäßig das geeignetste und kompetenteste für die Beurteilung gesellschaftsorganisatorischer Fragen sein wird. Zum einen kommt es, nachdem das Gericht am Sitz der Gesellschaft aufgrund einer entsprechenden Anknüpfung im IPR regelmäßig zur Anwendung seiner eigenen Rechtsordnung kommen wird, zu einem regelmäßigen Gleichlauf zwischen forum und ius, der die Entscheidung beschleunigt und erleichtert sowie Diskrepanzen zwischen materiell-gesellschaftsrechtlichen und prozessualen Regelungen vermeidet,655) zum anderen besteht eine (Sach-)Nähe zur registerrechtlichen Umsetzung.656) 497 Diese im Grundsatz restriktiven Auslegungsvorgaben zu Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Beschränktheit der „technischen“ Mittel, die dafür zur Verfügung stehen. Diese Beschränktheit ist Folge der Auslegungsrundsätze, die für die Normen des europäischen Zuständigkeitssystems im Allgemeinen heranzuziehen sind und deren Gel___________ 651) Vgl. in diesem Sinne etwa Mankowski, in: Festschrift Simotta, S. 369 f. 652) EuGH, v. 2.10.2008 – C-372/07 – Hassett und Doherty, Slg. 2008, I-7403 Rn. 20; EuGH, v. 12.5.2011 – C-144/10 – Berliner Verkehrsbetriebe, Slg 2011, I-3961 = ZIP 2011, 1071 – 1074, Rn. 40, unter Hinweis auf den dem EuGVÜ zugrunde liegenden Jenard-Bericht in ABl. EG 1979 Nr. C 59, 1. 653) Kindler, NZG 2010, 576, 577; Leible/Röder, NZG 2009, 29; Schaper, IPPrax 2010, 513, 514; Wedemann, AG 2011, 282, 289; ausführlich Mankowski, in: Festschrift Simotta, S. 351, 353 f. 654) Teilweise werden auch Ordnungsinteressen des Sitzstaates ins Feld geführt, was aber wenig überzeugend ist; vgl. Wedemann, AG 2011, 282, 288 m. w. N.: Im Vordergrund stehen im Gesellschaftsrecht private Interessen der Gesellschafter und anderer Gläubiger. 655) So im Anschluss an den EuGH BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 Rn. 13 (m. w. N. zu den zahlreichen Stimmen in der Literatur) u. 23. Kritisch zur Tragweite dieses Gesichtspunkts Thole, IPRax 2011, 541, 542 und Wedemann, AG 2011, 282, 289. Der Gleichlauf trägt allerdings zwischenzeitlich auch ähnliche Anknüpfungen in vergleichbaren Konstellationen, etwa in der nunmehr geltenden EuErbVO. 656) EuGH, v. 2.10.2008 – C-372/07 – Hassett und Doherty, Slg. 2008, I-7403 Rn. 21 wiederum unter Hinweis auf den Jenard-Bericht (Fn. 652). Insoweit zustimmend auch Wedemann, AG 2011, 282, 289; Thole, IPRax 2011, 541, 542.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
tung der EuGH auch in den Urteilen zum Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO betont hat: Danach sind die Normen nach Möglichkeit autonom aus dem Zuständigkeitssystem selbst heraus auszulegen657) und dies in einer Weise, die zu einem größtmöglichen Maß an Vorhersehbarkeit führen soll.658) Dies kann nur gelingen, wenn die zuständigkeitsrelevanten Begriffe möglichst ohne Rückgriff auf Konzepte oder Begriffsverständnisse der nationalen Rechtsordnungen definiert werden, denn andernfalls müsste bereits die Prüfung der Zuständigkeit je nach anwendbarem Recht unterschiedlich ausfallen oder aber eine Prüfung auf Übereinstimmung aller Rechtsordnungen vorgenommen werden. Damit scheiden „strikte“ Beschränkungen des Anwendungsbereichs anhand bestimmter technischer Begriffe regelmäßig aus. Beispiel: So läge es angesichts des oben dargestellten Normzwecks zum Beispiel auf den ersten Blicke nahe, die Anwendung des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auf Fälle zu beschränken, in denen der Entscheidung des Gerichts eine erga-omnes-Wirkung zukommt. Dies scheitert aber daran, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten diesbezüglich höchst unterschiedlich ausgestaltet sind. Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO hätte damit in jedem Mitgliedstaat bzw. je nach anwendbarem Gesellschaftsrecht einen unterschiedlichen Anwendungsbereich oder es müsste geprüft werden, ob einer bestimmten Entscheidungsform in keinem der Mitgliedstaaten eine erga-omnes-Wirkung zukommt.659) Der Vorgabe der Vorhersehbarkeit – und derjenigen der Praktikabilität – könnte damit nicht genügt werden. Diese Schwierigkeit erscheint zentral für das Verständnis der bisherigen Äußerungen des EuGH zur Reichweite des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und den Versuch, eine „Marschroute“ für die Auslegung der Vorschrift in ihren zentralen Merkmalen zu finden. bb) Einbezogene Verfahrensgegenstände (1) „Gültigkeit, Nichtigkeit oder Auflösung einer Gesellschaft“ Relativ unproblematisch ist unter den einbezogenen Verfahrensgegenständen 498 in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO derjenige der „Gültigkeit, [der] Nichtigkeit oder [der] Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person“. Unter den Begriff der Gesellschaft muss nach den soeben ausgeführten Auslegungsvorgaben jede Personenverbindung zu einem gemeinsamen Zweck fallen, die ___________ 657) Siehe bereits oben Rn. 490 mit Fn. 636; speziell zu Art. 24 Nr. 2 etwa EuGH, v. 2.10.2008 – C-372/07 – Hassett und Doherty, Slg. 2008, I-7403 Rn. 17. 658) Vgl. den vom EuGH auch stets angeführten ErwGr 15 der Brüssel Ia-VO (bzw. dessen gleichlautende Vorgänger). 659) Siehe hierzu ausführlich und zutreffend Wedemann AG 2011, 282, 290; ebenso Thole, IPRax 2011, 541, 545; siehe auch ÖstOGH, Urt. v. 21.5.2007 – 8 ObA 68/06t, JBl 2007, 804, 807. I. E. ähnlich Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 57 f., 72; ders., in: Festschrift Simotta, S 351, 353 f.: Es müsse keine formelle erga-omnesWirkung vorliegen, sondern es genüge eine entsprechende faktische Wirkung der Klage.
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eine gewisse Verfestigung aufweist, während es auf das Vorliegen von Merkmalen oder Konzepten wie Rechts- oder Parteifähigkeit, die in nationale Rechtsordnungen zurückführen, nicht ankommen kann, da sonst keine Einheitlichkeit gewährleistet werden könnte.660) Das Merkmal der Verfestigung grenzt vom einfachen Vertragsverhältnis ab, zu dem – entsprechend der Behandlung im IPR nach der Rom I-VO661) – auch reine Innengesellschaften wie die stille Gesellschaft zählen sollen, die folglich nicht unter den Gesellschaftsbegriff fallen.662) Auf die Gesellschaftsform kommt es hingegen nicht an, so dass etwa auch Vereine unabhängig davon, ob sie juristische Personen sind, erfasst sind.663) 499 Was die erfassten Mängel betrifft, so sind dies nach dem aus der Aufzählung ersichtlichen Sinn und Zweck sowie nach dem Gebot einer autonomen Auslegung alle Unwirksamkeitsgründe ohne Rücksicht auf ihre konkrete materiell-rechtliche Ausgestaltung,664) also Nichtigkeit ex tunc ebenso wie Unwirksamkeit ex nunc, gleich aus welchem Grund, sowie alle Auflösungstatbestände einschließlich einer Kündigung der Gesellschaft.665) Nach allgemeiner Auffassung sollen aber nicht nur Streitigkeiten über die Tatbestände selbst, sondern auch die aus ihnen folgende Liquidation und Abwicklung der Gesellschaft erfasst sein einschließlich etwa Klagen von Gesellschaftern z. B. auf Zahlung von Abfindungsansprüchen.666) Der Auflösungstatbestand darf freilich kein insolvenzrechtlicher sein und damit der EuInsVO unterfallen.667) (2) Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe (a) „Organe“ 500 Hinsichtlich der Organbeschlüsse, deren Gültigkeit ebenfalls Gegenstand des Streits sein kann, stand für die Vorschrift das deutsche Beschlussmängel___________ 660) Siehe soeben Rn. 497 und für diesen Zusammenhang Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, Bd. 10, 22. Aufl., Art. 22 Rn. 59; Mankowski, in: Festschrift Simotta, S. 351, 355 f. m. z. N. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 61; vgl. auch Schlosser/ Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 16. Eine Stellungnahme des EuGH zum Gesellschaftsbegriff der Brüssel Ia-VO fehlt bislang. 661) MünchKomm-BGB/Martiny, Bd. 10., Art. 1 Rom I-VO Rn. 71. 662) So die nunmehr wohl einhellige Meinung; siehe Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 16; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, Art. 22 Rn. 60; nunmehr auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 60 m. w. N. (widersprüchlich dazu allerdings dort Rn. 62). 663) ÖstOGH, Urt. v. 21.5.2007 – 8 ObA 68/06t, JBl 2007, 804, 807 (für einen Sportverband); Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 63. 664) Statt aller Geimer, in: Geimer/Schütze, Art. 22 Rn. 166 mit ausführlicher Erörterung der im deutschen Recht erfassten Klagen; Schilling, IPrax 2005, 208, 213 zur Ausgestaltung im deutschen und englischem Recht. 665) Statt aller Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, Art. 22 Rn. 64. 666) Siehe hierzu auch schon den sog. Schlosser-Bericht in ABl. EG 1979 C 59/71, Rz. 58. Zur einhelligen Ansicht statt aller Schilling, IPRax 2005, 208, 213; Schmitt, IPrax 2010, 310, 311; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 17. 667) Siehe hierzu oben Rn. 492 a. E., insb. Fn. 643 zum winding up nach englischem Recht.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
recht Pate.668) Idealtypisch sind also Angriffe gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung wie im deutschen Recht nach §§ 246 AktG, 51 GenG. Hierauf ist der Anwendungsbereich, wie an der Verwendung des offenen Begriffs der „Organe“ ersichtlich, aber nicht beschränkt, sondern es können auch die Beschlüsse anderer Organe der Gesellschaft Gegenstand der Klage sein669) und es muss sich auch nicht begrifflich um ein „Organ“ im Sinne eines Organs einer juristischen Person handeln.670) Welche Stelle oder Institution „Organ“ einer Gesellschaft im Sinne der Vorschrift ist, kann wegen der verschiedenen Verfasstheit nationaler Gesellschaftsformen verordnungsautonom schwerlich bestimmt werden, so dass insoweit der ausnahmsweise Rückgriff auf das nach dem IPR des angerufenen Gerichts bestimmte Gesellschaftsrecht (lex causae) unumgänglich ist.671) (b) Qualität des Beschlusses Dagegen kann der Begriff des „Beschlusses“ autonom definiert werden: Ent- 501 scheidend, aber auch ausreichend ist das Vorliegen einer organschaftlichautonomen Willensbildung und Willensäußerung zur verbindlichen Regelung einer Gesellschaftsangelegenheit.672) Versuche, Einschränkungen des Anwendungsbereichs an bestimmten Eigenschaften oder Kategorien von Beschlüssen festzumachen, vermögen im Hinblick auf die dargestellten Auslegungsvorgaben der Norm bzw. des Zuständigkeitsrechts nicht zu überzeugen. Der Ansicht, die Vorschrift erfasse lediglich „formalisierte Handlungen, die in der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag vorgesehen sind“,673) steht schon der weite Wortlaut der englischen und französischen Fassung der Vorschrift („decisions“ bzw. „décisions“) entgegen. Darüber hinaus ist kein Grund für eine unterschiedliche Zuständigkeitsregelung ersichtlich je nachdem, ob gegen einen formlos oder konkludent gefassten Beschluss geklagt wird oder gegen einen „Beschluss im technischen Sinne“, zumal Beschlüsse der ersten Art Gegenstand von Entscheidungen mit Drittwirkung sein können.674) Das Gleiche gilt für eine Unterscheidung zwischen „konkret-individuellen“ und ___________ 668) Vgl. hierzu den Jenard-Bericht (Fn. 652), S. 35. 669) Allg. Auffassung; statt aller Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 71 m. w. N. 670) Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 73 in Bezug darauf, dass nicht alle Gesellschaftsformen im technischen Sinne „Organe“ haben. 671) So auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 71. Die Lage ist die gleiche wie beim „Erfüllungsort“, bei welchem außerhalb der autonomen Definition im heutigen Art. 7 Brüssel Ia-VO auf die lex causae zurückgegriffen werden muss, vgl. Schlosser/ Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 7 Rn. 1a, 10c. 672) Ähnlich Wedemann, AG 2011, 282, 292. Das von ihr hinzugenommene Merkmal „durch Abstimmung“ erscheint missverständlich, da der „Beschluss“ – wie Wedemann auch ausführt – schon ausweislich der englischen und französischen Sprachfassung auch durch eine Person gefasst worden sein kann, vgl. dazu weiter im Text. 673) So Schmitt, IPrax 2010, 310, 311. 674) So zu Recht Wedemann, AG 2011, 282, 292 mit Hinweis auf die französische Rechtslage; ebenso Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 71.
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„abstrakt-generellen“ Beschlüssen.675) Erst recht kann es aus den oben Rn. 497 dargelegten Gründen nicht darauf ankommen, wie das anwendbare Recht den fraglichen Beschluss in Zustandekommen oder Wirkung ausgestaltet. (c) Gegenstand des Beschlusses 502 Auf ähnliche Schwierigkeiten stößt eine Eingrenzung der betroffenen Beschlüsse dem Gegenstand nach, die aber erforderlich ist, da Gültigkeit von Organbeschlüssen direkt oder indirekt Gegenstand der meisten Auseinandersetzungen innerhalb einer Gesellschaft sein oder zu einem solchen gemacht werden kann. Eine Gelegenheit dafür bestand für den EuGH im Fall Hassett,676) der eine in Gesellschaftsform eingerichtete Entschädigungseinrichtung von Ärzten für Rechtsstreite über Behandlungsfehler betraf. Da die Entscheidung über die Gewährung einer Entschädigung nach der Satzung durch das board of directors getroffen werden musste, lag bei einer versagenden Entscheidung ein Beschluss eines Gesellschaftsorgans vor, der nach dem Vorbringen der klagenden Ärzte eine Verletzung ihrer satzungsmäßigen Rechte darstellte. Gleichwohl hat der EuGH den Anwendungsbereich des ausschließlichen Gerichtsstands nicht als eröffnet angesehen und ausgeführt, dass dieser nur solche Rechtsstreite erfasse, in denen die Gültigkeit der Entscheidung des Gesellschaftsorgans „im Hinblick auf das geltende Gesellschaftsrecht oder die satzungsmäßigen Vorschriften über das Funktionieren der Organe“ angefochten werde. Die satzungsmäßige Entscheidungsbefugnis des Vorstands sei von den Ärzten aber nicht in Abrede gestellt worden, sondern die Art und Weise ihrer Ausübung, indem ihre Anträge entgegen der Satzung ohne eingehende Prüfung von vornherein abgelehnt worden seien. Eine „Klage wie die im Ausgangsverfahren, in deren Rahmen eine Partei geltend macht, durch eine von einem Organ einer Gesellschaft getroffene Entscheidung in ihren Rechten aus der Satzung der Gesellschaft verletzt worden zu sein“, habe nicht die Gültigkeit von Beschlüssen im Sinne der Vorschrift zum Gegenstand.677) 503 Die Entscheidung lässt verschiedene Interpretationen zu, von denen sich jede – je nachdem, welcher Teil betont wird – auf die soeben zitierten Kernsätze des Urteils berufen kann. Einige Kommentatoren betonen den Mittelteil und wollen nach der Qualität der Organentscheidung (Einzelentscheidung
___________ 675) In diesem Sinne Würdinger, ZZPInt 13 (2008), 147, 150 ff. Dagegen zutreffend Wedemann, AG 2011, 282, 292; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 71. 676) EuGH, v. 2.10.2008 – C-372/07 – Hassett und Doherty, Slg. 2008, I-7403. 677) EuGH, v. 2.10.2008 – C-372/07 – Hassett und Doherty, Slg. 2008, I-7403 Rn. 26 – 31. Siehe zur – damit überholten – gegenteiligen Entscheidung des ÖstOGH im vergleichbaren Fall eines für die nationalen Verbände als Mitglieder bindenden Beschlusses durch einen internationalen Sportverband über eine Dopingsperre Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 18 a. E. m. w. N.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
oder Beschluss mit genereller Tragweite)678) bzw. ihres Mangels (Rechtmäßigkeit des Zustandekommens oder „Gültigkeit“)679) differenzieren. Nimmt man den letzten Satz in seinem zweiten Teil beim Wort, so kann man diesen im Sinne einer Ausklammerung von Streitigkeiten über die Verletzung mitgliedschaftlicher oder satzungsmäßiger Rechte durch Entscheidungen eines Gesellschaftsorgans deuten.680) Angesichts des besonderen Sachverhalts lässt sich das Urteil aber auch so verstehen, dass der EuGH derartige Beschwerden nicht schlechthin ausscheiden wollte, sondern lediglich das Fehlen jeglicher gesellschaftsorganisatorischen Dimension der angegriffenen Entscheidung herausstellen und lediglich gewöhnliche Entscheidungen der laufenden Geschäftsführung ausscheiden wollte.681) Für die letzte Interpretation sprechen Sachverhalt und Verfahrensgang: In 504 einer Entschädigungseinrichtung stellen Entscheidungen über die Gewährung einer Entschädigung regelmäßige Geschäftsführungsakte dar und die „Verletzung satzungsmäßiger Rechte“ erschöpft sich in der Subsumtion der dort niedergelegten Entschädigungsvoraussetzungen, ohne dass die Gesellschafterstellung oder aus ihr folgende Rechte per se in Frage stünden. Zum zweiten ist zu beachten, dass nicht etwa die klagenden Ärzte selbst argumentiert hatten, dass sie die Verletzung satzungsmäßiger Rechte geltend machen würden, sondern die beklagte Einrichtung deren Vortrag so eingeordnet hatte, um gleichsam als „prozessualen Torpedo“ die Unzuständigkeit der irischen Gerichte zu begründen.682) Dies könnte die Neigung erhöht haben, diese Qualifikation in der Sache zu verwerfen.683) Schließlich und vor allem erscheint diese Interpretation, mag sie auch den Anwendungsbereich am wenigsten stringent einschränken, auch allein inhaltlich sinnvoll: Die erstgenannten Unterscheidungen entbehren wie die soeben in Rn. 501 erörtert eines überzeugenden inhaltlichen Gehalts im Hinblick auf die Zuständigkeitsfrage. Die zweite Interpretationsstrang würde zu einer sachwidrigen übermäßigen Einschränkung des Anwendungsbereichs führen, denn es sind ohne weiteres Klagen gegen Beschlüsse auf der Grundlage der Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte denkbar, die sogar in Entscheidungen mit erga-omnes-Wirkung einmünden.684) ___________ 678) So z. B. Geimer, in Geimer/Schütze, Art. 22 Rn. 212a; ähnlich Würdinger, ZZPInt 13 (2008), 147, 150 ff. 679) In diesem Sinne Leible/Röder, NZG 2009, 29, 30. 680) So MünchKomm-BGB/Kindler, 6. Aufl., IntGesR Rn. 602 und wohl – ausweislich ihrer Kritik an der Entscheidung – auch Wedemann, AG 2011, 282, 293. 681) Vgl. in diesem Sinne das KG im Vorlagebeschluss im Rechtsstreit Berliner Verkehrsbetriebe an den EuGH, v. 10.3.2010 – 26W 40/09, NZG 2010, 913; ähnlich Schlosser/ Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 18: Ausgeklammert seien „[n]ormale Geschäftsführungsbeschlüsse des Vorstands“. 682) Siehe Tz. 13 f. des Urteils v. 8.10.2008 (Fn. 676). 683) Vgl. hierzu sogleich Rn. 511 f. zum Urteil Berliner Verkehrsbetriebe, in dem diese Erwägung ausgesprochenermaßen eine Rolle spielt. 684) So überzeugend und mit Beispielen Wedemann, AG 2001, 282, 293.
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505 Die aus dem angefochtenen Beschluss entspringende Streitigkeit muss demnach, auch wenn dieses Merkmal notwendig unscharf bleibt, eine gesellschaftsorganisatorische Dimension haben, d. h., es muss die Wirksamkeit oder die Wirkung des Organbeschlusses im Hinblick auf das Statut der Gesellschaft in Frage stehen. In diesem Fall sind auch die oben angesprochenen Geltungsgründe der Vorschrift verwirklicht. Ohne weiteres erfasst sein müssen demnach Klagen gegen Beschlüsse, welche z. B. Unternehmensverträge,685) die Zusammensetzung von Organen,686) die Ausformung der Rechte und Pflichten eines Gesellschafters in einer Gesellschaft687) oder die Entziehung der Vertretungsmacht eines Organs betreffen.688) Nachdem der Kernbereich der Gesellschaftsorganisation und die Grundlage der Wirksamkeit von Organbeschlüssen betroffen sind, muss dies auch dann gelten, wenn diese Streitigkeiten unter Gesellschaftern bzw. unter den Organmitgliedern ausgetragen werden.689) Ebenso muss zu den angreifbaren Organbeschlüssen auch der Beschluss über die Einberufung z. B. einer Gesellschafterversammlung durch ein Geschäftsführungsorgan zählen.690) Auszuscheiden sind demgegenüber Entscheidungen im Rahmen gewöhnlicher Geschäftsführung, welche die Stellung der Organe und/oder Gesellschafter im gesellschaftsvertraglichen Gefüge unberührt lassen.691) (d) Beschlussmangel („Gültigkeit“); richterliche Modifizierung oder Ersetzung von Beschlüssen 506 Schließlich stellt sich die Frage, welche Arten von Beschlussmängeln erfasst sein sollen bzw. ob auch die Modifizierung oder gar der Ersatz von Beschlüssen durch ein Urteil beinhaltet ist. Da es verfehlt wäre, die Frage der im europäischen Rechtsraum gegebenen Zuständigkeiten von der konkreten Ausgestaltung der Rechtsfolge eines Beschlussmangels abhängig zu machen, muss zunächst der Begriff der „Gültigkeit“ notwendig ohne Rücksicht auf die konkrete Wirkung des Mangels im anwendbaren Recht und damit umfassend verstanden werden.692) Eine „allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle“ auszunehmen,693) erscheint mangels abgrenzbarer Kriterien nicht durchführbar; ebenso wenig kann es auf Unterscheidungen zwischen relativer oder absolu___________ 685) 686) 687) 688) 689) 690) 691) 692) 693)
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Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 89. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70 m. w. N. ÖstOGH, v. 21.5.2007 – 8 ObA 68/06t, JBl 2007, 804, 807 (betreffend einen Verein). Siehe zur strittigen Frage, ob dies auch für unmittelbar auf diese Ziele (ohne entsprechenden Beschluss) gerichtete Klagen gilt, sogleich Rn. 507. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70 m. N. zur Rspr. in England Fn. 413. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 72 m. N. zur irischen und niederländischen Rechtsprechung. So auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 73; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 18. Schmitt, IPRax 2010, 310, 311. In diesem Sinne Leible/Röder, NZG 2009, 29, 30.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
ter Unwirksamkeit im nationalen Recht ankommen.694) Auch kann der behauptete ultra-vires-Charakter eines Beschlusses nicht zu einer Verneinung der Zuständigkeit führen, da die Fragestellung, ob der Beschluss ultra vires erfolgt ist oder nicht, gerade eine Kernfrage des Statuts der Gesellschaft berührt und am entsprechenden Gerichtsstand zu klären ist.695) Zum zweiten ist die Einbeziehung von Beschlussmängeln geboten, die der 507 Gesetzgeber aus bestimmten Gründen gerade der Unwirksamkeitsfolge entzogen hat. Im deutschen Spruchstellenverfahren und seinen Pendants in Österreich (Überprüfungsverfahren) und in der Schweiz (Überprüfungsklage) bleibt der Beschluss zwar bestehen, kann aber durch das Urteil modifiziert werden. Es ist zwar richtig, dass diese Auslegung über ein striktes Wortlautverständnis hinausgeht,696) funktional aber ist die Beschlussergänzung nichts anderes als eine teilweise Beschlussaufhebung – mit erga-omnes-Wirkung – und kann daher auch zuständigkeitsrechtlich nicht anders behandelt werden.697) Denkt man dies zu Ende, so können schließlich auch Verfahren nicht außen vor bleiben, durch die eine Beschlussfassung über eine gesellschaftsorganisatorische Frage ersetzt wird. Wenn in einigen Rechtsordnungen – wie etwa in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz – Klagen vorgesehen sind, die unmittelbar auf Entziehung der Vertretungsbefugnis (§ 127 HGB), auf Ausschließung eines Gesellschafters (etwa nach §§ 117, 140 HGB) oder etwa Suspendierung seines Stimmrechts gerichtet sind, so tritt die Entscheidung des Gerichts funktional an die Stelle des Beschlusses, der andernfalls erst gefasst und dann zu einem unproblematisch von Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO erfassten Streitgegenstand gemacht wird. Nur eine funktionale Auslegung, die zum Einschluss derartiger Klagen führt, wird den Geboten der autonomen Auslegung (oben Rn. 490, 497) gerecht, da eine strikt wortlautgemäße Auslegung zu unterschiedlichen Ergebnissen je nach Ausgestaltung der zur Verfügung gestellten Klagearten in den einzelnen Rechtsordnungen führen müsste. Es spricht daher auch mehr dafür, dass der EuGH in dieser bislang sehr strittigen Frage in diesem Sinne entscheiden würde.698) ___________ 694) So zutreffend Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 58; Thole, IPRax 2011, 541, 545; Wedemann, AG 2011, 282, 293. 695) Zutreffend Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 73 m. w. N.; wohl nicht mehr strittig. 696) Gegen die Einbeziehung daher unter Hinweis auf das Gebot der restriktiven Auslegung Mock, IPRax 2009, 271, 273 und Nießen, NZG 2006, 441, 442. 697) So überzeugend Wedemann, AG 2011, 282, 293 f. Ebenso die ganz h. M; vgl. OLG Wien, v. 10.6.2009 – 28 R 263/08, AG 2010, 49, 52 und ÖstOGH, v. 18.2.2010 – 6 Ob 221/09g, RdW 2010, 510; Zöller/Geimer, ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 22; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR Rn. 778; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 91 f.; Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 33; Willemer, in: Mehrbrey, § 2 Rn. 87. 698) Wie hier überzeugend Wedemann, AG 2011, 282, 294 m. w. N. zum Meinungsstand S. 286 m. Fn. 47 f.; in der Tendenz auch Geimer, in: Geimer/Schütze, Art. 22 EuGVVO Rn. 181; a. A. trotz Zweifeln Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 86 f.; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO, Art. 22 Rn. 68.
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cc) „Gegenstand des Verfahrens“ 508 Noch wichtiger als die Frage der sachlich einbezogenen Gegenstände ist diejenige, in welcher Weise sie „Gegenstand des Verfahrens“ sein müssen, damit dieses ausschließlich am Gesellschaftsgerichtsstand geführt werden darf. Der ohne weiteres erfasste Kern-Anwendungsbereich der Vorschrift liegt in denjenigen Klagen, die sich in ihrer Wirkung unmittelbar auf den Bestand der Gesellschaft bzw. die Gültigkeit des Beschlusses richten. Danach sind in der ersten Variante der Vorschrift (Gültigkeit, Nichtigkeit oder Auflösung einer Gesellschaft) Nichtigkeitsklagen, wie im deutschen Recht nach § 275 AktG, § 75 GmbHG oder § 94 GenG, oder Auflösungsklagen, wie im deutschen Recht nach § 133 HGB oder § 61 GmbHG, unproblematisch erfasst. In der zweiten Variante – Gültigkeit eines Organbeschlusses – fallen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen wie nach §§ 246 AktG, 51 GenG und ausländische Parallelinstitute in den Kern-Anwendungsbereich. Eine erga-omnesWirkung der Entscheidung muss zwar im Hinblick auf den Normzweck zur Einbeziehung der fraglichen Klageart in den Anwendungsbereich führen, kann aber nicht umgekehrt zur Voraussetzung für die Anwendung gemacht werden. Wie bereits oben Rn. 497 dargelegt, müssen verschiedene Grade an Drittwirkungen von Urteilen, die in den einzelnen Rechtsordnungen vorgesehen sind, von der Vorschrift erfasst werden; der autonom zu bestimmende Anwendungsbereich kann nicht von der nationalen Ausgestaltung bestimmter Klagearten abhängen.699) 509 Damit ist auch weder ein überzeugender Grund noch ein überzeugendes Abgrenzungskriterium ersichtlich, warum nicht auch Feststellungsklagen, die sich auf einen der in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO genannten Gegenstände richten, von der Vorschrift erfasst sein sollten.700) Erfasst sind damit entsprechend der ganz herrschenden Meinung im deutschen Recht etwa Feststellungsklagen nach einer Kündigung der Gesellschaft ebenso wie auf die Nichtigkeit von Organbeschlüssen gerichtete allgemeine Feststellungsklage.701) Wie bereits soeben Rn. 507 erörtert, können die Anträge und damit das Entscheidungsergebnis auch auf eine Modifizierung des angegriffenen Beschlusses gerichtet sein, weil dies stets seine mindestens teilweise Aufhebung im Rahmen der „Neuschaffung“ impliziert. Neben den bereits erörterten Spruchstellenverfahren kann hierunter der sog. unfair-prejudice-Rechtsbehelf, der
___________ 699) Zutreffend ÖstOGH, Urt. v. 21.5.2007 – 8 ObA 68/06t, JBl 2007, 804, 807; siehe ferner Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70; Wedemann, AG 2011, 282, 290, etwa zum Konzept der nullité in Frankreich. 700) OLG Wien, v. 10.6.2009 – 28 R 263/08, AG 2010, 49, 52; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70. 701) Praktisch einhellige Ansicht; siehe etwa Geimer, in: Geimer/Schütze, Art. 22 EuGVVO Rn. 203; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Bd. 3., Art. 22 EuGVO Rn. 27; Kropholler/ von Hein, EuZPR, Art. 22 Rn. 39; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 18.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
im englischen Recht bei Gesellschafterstreiten eine große Rolle spielt,702) fallen: Im Rahmen dieses Verfahrens kann das Gericht, wenn es die unangemessene Benachteiligung eines Gesellschafters durch Handlungen der directors oder Beschlüsse der Gesellschafterversammlung feststellt, zu einer Reihe von Maßnahmen greifen, die nicht zwingend eine Ungültigerklärung des Beschlusses implizieren. Schon weil es nicht auf die Zuständigkeit des Gerichts zurückwirken sollte, wenn es eine bestimmte der ihm zu Gebote stehenden Urteilswirkungen ausspricht, muss auch diese Klageart unabhängig von der konkreten Wirkung einbezogen werden, wenn sich die Beschwerde des Gesellschafters in der Substanz gegen den Beschluss eines Organs i. S. d. Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO richtet.703) Damit lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass Klagen jedweder Art 510 und unabhängig von der Ausgestaltung der Entscheidungswirkung im nationalen Prozessrecht in den Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO fallen, wenn sich die Antragstellung unmittelbar gegen einen der in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO genannten Gegenstände richtet. Die eigentliche Abgrenzungsfrage stellt sich im Hinblick auf Klagen, bei denen dies nicht der Fall ist, die also z. B. auf Leistung gerichtet sind, und in denen lediglich als Begründungs- oder Einwendungselement über einen dieser Gegenstände zu befinden ist. Die Problematik lässt sich mustergültig an dem Sachverhalt illustrieren, der dem EuGH auch die Gelegenheit einer ersten Klärung dieser Frage gegeben hat:704) Die Berliner Verkehrsbetriebe als Anstalt öffentlichen Rechts hatten mit der Frankfurter Niederlassung des Bankhauses J.P. Morgan einen Swap-Vertrag abgeschlossen, in welchem für Streitigkeiten die Zuständigkeit der Londoner Gerichte vereinbart worden war. Dort in Anspruch genommen, verteidigten sich die Berliner Verkehrsbetriebe zum einen mit den Vorwurf falscher Beratung und brachten zum anderen vor, dass die Eingehung des Vertrages eine ultra-vires-Entscheidung ihrer Organe dargestellt habe, so dass aufgrund (damals noch) Art. 22 Nr. 2 der Brüssel I-VO die Gerichte am Sitz der Anstalt in Berlin ausschließlich zuständig seien. Demgemäß erhoben die Berliner Verkehrsbetriebe auch am Gerichtsstand Berlin eine auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages gerichtete Klage gegen J.P. Morgan, so dass der EuGH auf Vorabentscheidungsersuchen sowohl des Supreme Court des Vereinigten Königreichs als auch des Kammergerichts Berlin zur Entscheidung kam. ___________ 702) Siehe dazu näher Schilling, IPRax 2005, 208, 215 f.; Goo, Minority shareholder’s protection, S. 132 ff. 703) Der Ansicht, dass zuständigkeitsrechtlich je nach Rechtsfolgen zu differenzieren sei (siehe Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 72 und die Nachw. zum englischen Schrifttum bei Schilling, IPRax 2005, 208, 215 f. und Wedemann, AG 2011, 282, 287), kann nicht zugestimmt werden; es kann vielmehr nur auf den Gegenstand der Klage ankommen. Ferner würde dies auch zu einer Entstellung des Rechtsbehelfs führen, aus diesem Grund wie hier Schilling, a. a. O. und Wedemann, a. a. O. S. 294. 704) EuGH, v. 12.5.2011 – C-144/10 – Berliner Verkehrsbetriebe, Slg 2011, I-3961 = ZIP 2011, 1071.
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511 Der EuGH hat den Einwand der Berliner Verkehrsbetriebe als nicht geeignet angesehen, um den Rechtsstreit unter die ausschließliche Zuständigkeit nach (heute) Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO fallen zu lassen. Zunächst betont der EuGH nochmals die Gründe für eine tendenziell restriktive Auslegung der Vorschrift.705) Die von der Norm verfolgen Zwecke ließen eine solche hier zu, denn die Frage der Gültigkeit des Beschlusses sei gegenüber den vertragsrechtlichen Fragen, die im Mittelpunkt des Rechtsstreits stünden und folglich auch seinen Gegenstand darstellten, „akzessorisch“. Es handle sich um eine Vorfrage, die „jederzeit von einer der Parteien aufgeworfen werden“ könne, die aber nicht den Hauptgegenstand des Prozesses darstelle. Das Ziel der Vermeidung widersprechender Entscheidungen sei damit nicht konterkariert, weil sich dieses Ziel nicht auf alle Rechtsstreitigkeiten erstrecke, die einen Vertrag mit Beteiligung einer juristischen Person betreffen. Die Rechtsstreitigkeit müsse, um unter die ausschließliche Zuständigkeit zu fallen, „in erster Linie“ die in der Vorschrift genannten Gegenstände betreffen.706) 512 Der Entscheidung kann in ihrem Tenor schwerlich widersprochen werden.707) Der Normzweck einer Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen im europäischen Rechtsraum ist zwar entgegen den Ausführungen des EuGH inhaltlich auch bei einer inzidenten Entscheidung über den Organbeschluss berührt. Diese Gefahr wiegt aber weniger schwer als die Konsequenzen einer anderen Entscheidung. Die andernfalls geradezu beliebige Möglichkeiten von Prozessparteien, mittels einer auf einer gesellschaftsorganisatorischen Fragen beruhenden Einwendung – ggf. auch erst im Lauf des Verfahrens – eine bestimmte ausschließliche Zuständigkeit herbeizuführen und damit den an sich vorgesehenen oder vereinbarten Gerichtsstand oder sogar ein laufendes Verfahren zu „torpedieren“, erschien dem EuGH zu Recht nicht hinnehmbar.708) Demgegenüber treten die oben dargestellten Normzwecke in den Hintergrund, da Inzident-Entscheidungen keine erga-omnes-Wirkung zukommt und auch die Gleichlaufgründe wie etwa die Nähe zum Registergericht in den Hintergrund treten. 513 Anders als zum Tenor der Entscheidung gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten dazu, wie die Grenzziehung genau vorzunehmen ist bzw. der EuGH sie vorgenommen hat. In der deutschen Literatur wird häufig danach unterschieden, dass nur in dem Fall, dass sich die Beschlussungültigkeit als Hauptfrage stelle, die Anwendung des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gerechtfertigt sei, während sie als Vorfrage generell aus dem Anwendungsbereich ___________ 705) Siehe bereits oben Rn. 496 mit Fn. 650. 706) EuGH, v. 12.5.2011 – C-144/10 – Berliner Verkehrsbetriebe, Slg 2011, I-3961 = ZIP 2011, 1071 – 1074 insb. Tz. 33 ff., 44. 707) Siehe etwa auch Thole, IPRax 2011, 541, 546; Wedemann, NZG 2011, 733, 733 f.; Rauscher/ Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 75 – 77. Ablehnende Stimmen sind nicht ersichtlich. 708) So auch die ganz überwiegende Literatur, siehe etwa Wedemann, AG 2011, 282, 291 m. w. N.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
auszuscheiden sei.709) Dies dürfte zu weit gehen, denn es ist augenfällig, dass der EuGH in der Entscheidung zwar den Begriff der „Vorfrage“ verwendet, mit der zusammenfassenden Formulierung „in erster Linie“ aber eine genaue Festlegung etwa auf den Gegenstand von Klageanträgen oder auf technische Begriffe wie Inzidententscheidung oder Vor- und Hauptfrage gerade vermeidet.710) Dies entspricht auch der französischen Sprachfassung („saisi à titre principal“) sowie der Rechtsprechung der vorlegenden englischen Gerichtsbarkeit, die darauf abstellt, welcher Gegenstand durch die Klage schwerpunktmäßig betroffen ist („principally concerned with“).711) Schließlich trägt eine „offene“ Ermittlung des Streitgegenstands dem Sachzwang Rechnung, eine Vielzahl denkbarer Gestaltungen und Begrifflichkeiten in den nationalen Prozessrechten erfassen zu müssen. Eine Bestimmung des Streitgegenstands, die antragsunabhängig auf den „wah- 514 ren“ Schwerpunkt der Klage abstellt, steht auch im Einklang mit dem Streitgegenstandsbegriff, den der EuGH allgemein für die Behandlung konkurrierender Klagen im Europäischen Rechtsraum entwickelt hat: Nach der von ihm im Rahmen des Art. 29 Brüssel Ia-VO in ständiger Rechtsprechung vertretenen sog. „Kernpunkttheorie“712) ist der Gegenstand eines Rechtstreits autonom danach zu bestimmen, wo er seinen wahren Schwerpunkt hat. Dieser ist anhand der Grundlage des geltend gemachten Anspruchs einerseits und des Gegenstands der Klage andererseits zu ermitteln, wobei für letzteren weniger die Klageanträge entscheidend sind als der Zweck, den der Kläger „in Wahrheit“ mit ihnen verfolgt.713) Diese Art der Ermittlung des Streitgegenstands nach dem „wahren“ Schwerpunkt soll gerade verhindern, dass eine Partei durch die Formulierung der Klageanträge oder die Gestaltung einer Einwendung die Zuständigkeit prozesstaktisch beeinflusst, und bleibt daher im Einzelfall auch für eine Erfassung einer Vorfrage unter Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO offen, wenn diese in Wahrheit gerade den Hauptgegenstand des Verfahrens bildet.714) Dies mag die Zuständigkeit von den Umständen des Einzelfalls abhängig und damit in Grenzfällen schwer prognostizierbar machen,715) ___________ 709) So Thole, IPRax 2011, 541, 546; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 75 – 77, der den Begriff allerdings auf Verteidigungsvorbringen des Beklagen zu beschränken scheint. 710) Zweifelnd auch Wedemann, NZG 2011, 733, 734. 711) Diese Parallele zieht etwa auch Wedemann, NZG 2011, 733. 712) Siehe hierzu statt aller Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 29 EuGVVO Rn. 4; Zöller/ Geimer, ZPO, Art. 29 EuGVVO Rn. 20, jew. m. w. N. zur st. Rspr. des EuGH. 713) EuGH, Urt. v. 6.12.1994 – Rs. C-406/92 Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. 1994-I, 5439 Rn. 41. 714) So auch Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 19 a. E.; ausführlich und instruktiv ferner Schmitt, IPrax 2010, 310, 312 f., der zu Recht darauf hinweist, dass sich in dieser Hinsicht auch das vieldiskutierte Urteil des EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, Slg. 2006, I-6509 – GAT, welches im Rahmen des heutigen Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO die Vorfrage der Gültigkeit eines Patents als zuständigkeitsrelevant behandelt, ohne weiteres in das Konzept des EuGH einpasst. Kritisch Wedemann, NZG 2011, 733, 734 f. 715) Kritisch daher etwa Wedemann, AG 2011, 282, 292 und dies., NZG 2011, 733, 734 f.
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wird aber durch die Rahmenbedingungen, mit denen der EuGH im Europäischen Rechtsraum konfrontiert ist, praktisch vorgegeben. Der „Spagat“, den Gerichtsstand einerseits im Sinne einer restriktiven Auslegung auf Angriffe gegen den Beschluss selbst zu begrenzen, und dies andererseits unabhängig von den unterschiedlichen Konzepten der nationalen Klagearten und möglicherweise missbräuchlichen Gestaltungen einer Prozesspartei zu tun, führt fast notwendig zu einer Ermittlung des „wahren“ Streitgegenstands nach den Umständen des Falles. 515 Der Entscheidung lassen sich trotz der dargestellten Offenheit auch Leitlinien für andere fragliche Konstellationen entnehmen. Leistungsklagen können nicht pauschal aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden, sondern sind erfasst, wenn eine zur Begründung geltend gemachte Ungültigkeit eines Beschlusses das wahre Klageziel ist.716) So ist etwa bei Streitigkeiten über Ausschüttungen/Dividenden oder über das genehmigte Kapital einer Gesellschaft der zugrunde liegende Gesellschafterbeschluss nicht notwendig unmittelbarer Gegenstand der Klageanträge, aber im Unterschied zur soeben dargestellten Konstellation auch nicht ein beliebig heranzuziehendes Verteidigungsmittel, sondern – wenn dessen Unwirksamkeit geltend gemacht wird – die notwendige und zutiefst mit der Gesellschaftsorganisation verwobene Grundlage des eigentlichen Streitgegenstands. Derartige Streitigkeiten dürften daher regelmäßig „in erster Linie“ die in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO genannten Gegenstände betreffen und in den Anwendungsbereich der ausschließlichen Zuständigkeit fallen.717) Noch eindeutiger ist dies, wenn in einem Rechtsstreit die Gesellschafterstellung an sich inmitten steht. Unter die ausschließliche Zuständigkeit fällt nicht nur die unmittelbare Klage eines Gesellschafters gegen seine Ausschließung aus der Gesellschaft,718) sondern auch eine solche auf eine Leistung, die ihm nur im Falle der Nichtigkeit dieses Beschlusses zusteht, oder etwa auf eine erhöhte Abfindung nach einem Squeeze-Out.719) Das Gleiche muss auch für Klagen eines Organs gelten, die sich gegen seine Abberufung richten: Nicht nur die ohne weiteres erfasste Anfechtungsklage gegen einen Abberufungsbeschluss,720) sondern auch eine Klage gegen dessen Konsequenzen müsste unter die ausschließliche Zuständigkeit fallen, wenn die
___________ 716) Ebenso etwa Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 28; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 74 mit der Einschränkung, dass die Klage eine Beschlussungültigkeit mit erga-omnes-Wirkung herbeiführt (siehe zu Mankowskis Verständnis dieser Wirkung aber oben Fn. 659). Im Sinne eines grundsätzlichen Ausschlusses allerdings ders., a. a. O., Rn. 84. 717) Ebenso Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 70. 718) Siehe hierzu bereits oben Rn. 507 mit Fn. 698. 719) So auch die ganz h. M.; siehe hierzu bereits oben Rn. 507 mit Fn. 697. 720) Siehe den Fall von BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 oben Rn. 484.
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behauptete Unwirksamkeit des Beschlusses im Zentrum ihrer Begründung steht.721) dd) Fazit Damit muss man zusammenfassend festhalten, dass sich der Gerichtsstand 516 trotz der allseits akzeptierten Vorgabe, ihn restriktiv anzuwenden, in den zentralen Punkten einer Eingrenzung anhand „harter“ Abgrenzungskriterien entzieht. Der Grund hierfür liegt letztlich im Gebot einer autonomen Auslegung der maßgeblichen Begriffe, die den EuGH zur Verwendung von Begriffen und Kriterien zwingt, die alle möglichen Gestaltungen nationaler Rechtsordnungen, die funktional unter die Vorschrift fallen sollten, erfassen können (siehe bereits oben Rn. 497). Diese notwendige „Offenheit“ impliziert in gleichem Maße Rechtsunsicherheit in der Prüfung der Frage, ob ein Rechtsstreit dem Gerichtsstand unterfallen wird oder nicht. Auf die Folgerungen aus dieser Situation ist nach Erörterung der Rechtsfolgen und des verbleibenden Anwendungsbereichs des „allgemeinen“ Zuständigkeitsregimes einzugehen (unten Rn. 525 f.). b) Rechtsfolge aa) Bestimmung des maßgeblichen „Sitzes“ Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ ordnen die ausschließliche 517 Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaats an, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft ihren „Sitz“ hat, wobei der maßgebliche Sitzort nach Satz 2 in diesem Zusammenhang – abweichend von der alternativen Sitzbestimmung in Art. 63 Brüssel Ia-VO/Art. 60 LugÜ – hier nach dem Internationalen Privatrecht (IPR) des angerufenen Gerichtes zu bestimmen ist. Gemeint sind damit tatsächlich die Vorschriften des IPR des Gerichtsstaats und nicht etwa eine Sitzbestimmung im internationalen Zivilprozessrecht dieses Staates oder eine Sitzbestimmung in dem durch das IPR berufenen Sach(Gesellschafts-)recht.722) Dass die Vorschrift damit von einer einheitlichen Sitzbestimmung – namentlich derjenigen, die nach Art. 63 Brüssel Ia-VO/Art. 60 LugÜ den Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitssystems festlegt (oben Rn. 491) – absieht bzw. abweicht, kann theoretisch zur Bestimmung abweichender (ausschließlicher!) Zuständigkeiten je nach angerufenem ___________ 721) Der Ansicht von Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 72 und Schlosser/ Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 17, die Klage eines Geschäftsführers gegen die Kündigung seines Anstellungsvertrags sei nicht erfasst, ist folglich nicht für alle Fälle zuzustimmen (wohl aber dann, wenn es um Mängel der Kündigung als selbständiges Rechtsgeschäft geht, vgl. Schlosser, a. a. O., Rn. 18 mit Hinweis auf Court of Appeals „Torras“ Lloyds Rep 1 (1996), 16). 722) Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 65 ff.; implizit auch BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 Rn. 29 f. (siehe sogleich im Text in Rn. 518).
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Gericht führen, was von Kritikern zu Recht als für den europäischen Rechtsraum reformbedürftig angesehen wird.723) 518 Praktisch dürften derartige Konsequenzen immerhin im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO bei Gesellschaften, die ihren Gründungs-/Entstehungsort kraft Inkorporation in einem EU-Staat haben, derzeit nicht eintreten. Denn infolge der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften724) müssten zwischenzeitlich sämtliche EU-Staaten Gesellschaften mit Herkunft aus einem EU- oder EWR-Staat in ihrem IPR dem Gründungsrecht unterstellen,725) so dass insoweit für den Regelfall von einer ausschließlichen Zuständigkeit am Gründungs-/Inkorporationsort ausgegangen werden kann. Für das deutsche Recht hat dies der BGH in der eingangs Rn. 484 geschilderten Entscheidung bereits klargestellt und die ausschließliche Zuständigkeit an den in der Gründungsjurisdikton England bestehenden (Satzungs-)Sitz der fraglichen „Limited“ angeknüpft.726) Eine Ausnahme soll – eben weil es auf das IPR des Gerichtsstaats ankommt – lediglich dann gelten, wenn die Herkunftsjurisdiktion selbst nicht von einem dort bestehenden Sitz i. S. d. Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ausgeht, etwa weil sie ihrerseits der Sitztheorie folgt.727) Dies ist theoretisch denkbar, weil die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit zwar zur „Anerkennung“ in anderen EU-Staaten gegründeter Gesellschaften zwingt, es aber zulässt, dass die „eigenen“ Gesellschaften dem Recht des tatsächlichen Verwaltungssitzes unterworfen werden.728) Praktisch sind derartige Fälle allerdings nicht ersichtlich; in England gilt diesbezüglich – bislang – sogar eine spezielle gesetzliche Regelung, die im Ergebnis auf den Gründungssitz im Vereinigten Königreich abstellt (zum Fall Englands auch nochmals sogleich Rn. 523).729) 519 Befindet sich dagegen der Herkunftsstaat der Gesellschaft außerhalb der EU bzw. des EWR, so bleibt es bislang – wenn nicht wie im Verhältnis zu den ___________ 723) Siehe etwa Mankowski, in: Festschrift Simotta, S. 351, 369. 724) Siehe grundlegend EuGH, v. 9.3.1999 – C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459 = ZIP 1999, 438; EuGH, v. 5.11.2002 – C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919 (dazu Großerichter, DStR 2003, 159 ff.); EuGH, v. 30.9.2003 – C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155 = ZIP 2003, 1885. 725) So auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 69. Für das deutsche IPR siehe bereits das auf die vorzitierte Entscheidung des EuGH in gleicher Sache ergangene Urteil des BGH v. 13.3.2003, VII ZR 370/98 – Überseering, BGHZ 154, 185 = ZIP 2003, 718. Für den EWR, in welchem kraft Art. 31, 34 des EWR-Abkommens ebenfalls die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften analog dem AEUV gewährleistet ist, BGH, v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 148 = ZIP 2005, 1869. 726) BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 Rn. 25 – 28. 727) BGH, v. 12.7.2011, a. a. O., Rn. 29 f. 728) EuGH, v. 16.12.2008 – C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641 = ZIP 2009, 24. 729) Schedule 1 para 10 (4) Civil Jurisdiction and Judgement Order 2001 (SI 2001/3929); siehe dazu Schilling, IPRax 2005, 208, 216 f.; vgl. auch BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 Rn. 31.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
USA ausnahmsweise eine anderslautende bilaterale Regelung eingreift730) – im ungeschriebenen deutschen IPR bei der sog. Sitztheorie, nach welcher der tatsächliche Verwaltungssitz maßgeblich ist.731) Dies gilt nach dem deutschen IPR weiterhin auch für Schweizer Gesellschaften.732) Im Rechtsverkehr mit der Schweiz, dessen IPR auf die Gründungstheorie abstellt,733) können daher Folgen eintreten, die angesichts der durch das LugÜ gewollten Vereinheitlichung bizarr anmuten. Beispiel: So besteht etwa für eine in der Schweiz gegründete Gesellschaft mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland aus Sicht der deutschen Gerichte eine ausschließliche Zuständigkeit in Deutschland, während die Schweizer Gerichte sich selbst als ausschließlich zuständig ansehen würden. Folge ist also eine doppelte Zuständigkeit, die zu einem Wahlrecht des Klägers 520 führt.734) Noch bizarrer ist das Ergebnis in dem – bislang wohl theoretisch gebliebenen – umgekehrten Fall: Hat eine in Deutschland gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in der Schweiz, so würden aufgrund der dargestellten Sichtweisen die deutschen Gerichte Schweizer Gerichte für ausschließlich zuständig halten und umgekehrt die Schweizer Gericht die deutschen. Die Folge wäre eine Zuständigkeitslücke, wenn nicht eine sog. Rückverweisung durch die jeweils andere IPR-Norm eingreift.735) Für Gesellschaften aus anderen Drittstaaten – d. h. aus Staaten, die weder 521 Mitgliedstaaten der EU sind noch Vertragsstaaten des LugÜ – ist zu unterscheiden: Soweit das europäische Zuständigkeitssystem gleichwohl anwendbar ist, weil die Gesellschaft eine der Sitzarten der Art. 60 Brüssel Ia-VO/63 LugÜ innerhalb des Geltungsbereichs dieser Instrumente hat,736) begründet ein nach dem IPR des angerufenen Gerichtsstaats maßgeblicher Sitz innerhalb eines Mitgliedstaats bzw. Vertragsstaats dort einen ausschließlichen Gerichtsstand. ___________ 730) Art. XXV Abs. 5 des dt.-amerik. Freundschafts- Handels- und Schifffahrtsvertrages v. 29.10.1954; BGBl. II 1956, 488 verankert insoweit die Gründungstheorie; BGH, v. 13.19.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230. Siehe für eine Aufstellung weiterer relevanter Staatsverträge MünchKomm-BGB/Kindler, IntGesR Rn. 328 f. 731) MünchKomm-BGB/Kindler, IntGesR Rn. 420 ff., 435 ff.; BGH, v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, BGHZ 178, 192 = ZIP 2008, 2411. 732) BGH, v. 27.10.2008, a. a. O. 733) Vgl. Art. 154 Abs. 1 SchwIPRG. 734) Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 41; Kindler, NZG 2010, 576, 577 m. w. N. zur einhelligen Ansicht. 735) Deutsche Gerichte würden eine derartige Rückverweisung annehmen, da sich die „Sitztheorie“ grundsätzlich als Gesamtverweisung versteht, siehe MünchKomm-BGB/Kindler, IntGesR Rn. 506 ff., und damit die Rückverweisung des Schweizer IPR auf den Gründungsort beachtlich wäre. Das Gleiche dürfte gem. Art. 14 SchwIPRG in der Schweiz gelten. 736) Siehe oben Rn. 491; andernfalls gelten die autonomen Zuständigkeitsvorschriften (unten Rn. 535 ff.).
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Beispiel: So untersteht etwa eine auf den Bermudas inkorporierte „Briefkastengesellschaft“ mit Aktivitäten ausschließlich in Deutschland aus der Sicht deutscher Gerichte aufgrund der hier fortbestehenden Sitztheorie der ausschließlichen Gerichtsbarkeit Deutschlands als Staat des tatsächlichen Verwaltungssitzes. 522 Befindet sich hingegen der nach dem IPR des Gerichtsstaats maßgebliche Sitz außerhalb des europäischen Zuständigkeitssystems, so sprechen die Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 22 Nr. 2 LugÜ nach ihrem Wortlaut („… Gerichte des Mitgliedstaats …“) keine Rechtsfolge aus. Obwohl zahlreiche Stimmen in der Literatur für die Annahme einer sog. „Reflexwirkung“ dergestalt plädiert haben, dass in diesem Fall konsequenterweise die ausschließliche Zuständigkeit einer Dritt-Gerichtsbarkeit angenommen werden sollte (mit der Folge, dass eine Zuständigkeit im Staat des angerufenen Gerichts zu verneinen wäre),737) hat der europäische Gesetzgebers in der Neufassung der Brüssel Ia-VO am anderslautenden Wortlaut festgehalten. Dies bedeutet, dass mangels Eingreifen einer ausschließlichen Zuständigkeit der Rückgriff auf die sogleich darzustellenden „allgemeinen“ Zuständigkeitsregeln der europäischen Instrumente möglich ist.738) Beispiel: Wird in der vorstehend angeführten Gesellschaft, die auf den Bermudas inkorporiert ist, aber ihren tatsächlichem Sitz in Deutschland hat, die Klage etwa vor englische Gerichte gebracht, so könnte dort – da der aus Sicht des englischen IPR maßgebliche Gründungssitz außerhalb des Geltungsbereichs der Brüssel Ia-VO läge – auf die sogleich darzustellenden sonstigen Gerichtsstände der Brüssel Ia-VO zurückgegriffen werden. 523
Ausblick zu englischen Gesellschaftsformen: Für eine von deutschen Gesellschaftern gegründete „Limited“ oder LLP englischen Rechts bedeutet die gegenwärtige Rechtslage, dass ihre gesellschaftsorganisatorischen Streitigkeiten vor englischen Gerichten geklärt werden müssen.739) Dies würde sich auch bei einem Austritt Großbritanniens aus der EU nicht ändern, wenn es Teil des europäischen Zuständigkeitssystems bliebe, etwa durch Erstreckung des LugÜ (siehe oben Rn. 488). Mit einem Austritt würde aber, soweit Großbritannien nicht Bestandteil des EWR würde und auch keine andere Überleitungsregelung getroffen wird, die Rechtsprechung des BGH zur Fortgeltung der Sitztheorie im Verhältnis zu Drittstaaten einschlägig. Großbritannien wäre dann wie der dargestellte Fall der Schweiz einzuordnen. Dies würde zu einschneidenden Konsequenzen für „Scheinauslandsgesellschaften“ in einer britischen Rechtsform führen, weniger im Zuständigkeitsrecht als im materiell anwendbaren Recht: Wegen des tatsächlichen Verwal-
___________ 737) Wedemann, AG 2011, 282, 283 m. w. N.; Weber, RabelsZ 75 (2011), 619, 632; Thomale, NZG 2011, 1293. 738) So auch Geimer, in: Geimer/Schütze, Art. 22 EuGVVO Rn. 13; Wedemann, AG 2011, 282, 283. 739) Siehe oben Rn. 518; BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit tungssitzes in Deutschland wäre nunmehr deutsches Recht anwendbar mit der Folge, dass Rechtspersönlichkeit als „Limited“ oder LLP nicht mehr „anerkannt“ würde und die Gesellschaften als GbRs oder OHGs zu behandeln wären.740) Diese Aussicht dürfte bereits als Möglichkeit ein (weiterer) guter Grund sein, über einen Formwechsel nachzudenken (dazu unten Rn. 542).
bb) Rechtsfolgen der ausschließlichen Zuständigkeit Ist der ausschließliche Gerichtsstand einschlägig, so führt dies zunächst wie 524 bereits angesprochen dazu, dass abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen wie auch eine rügelose Einlassung an einem anderen Gerichtsstand wirkungslos bleiben (Art. 25 Abs. 4, 26 Abs. 1 Satz 2 Brüssel Ia-VO/Art. 23 Abs. 5, 24 Satz 2 LugÜ). Ob eine andere Gerichtsbarkeit nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ ausschließlich zuständig ist, muss vom angerufenen Gericht von Amts wegen geprüft werden, und zwar in jeder Lage des Verfahrens.741) Eine Unzuständigkeit führt zur in jeder Instanz – wie im eingangs Rn. 484 dargestellten Fall des BGH – zur Abweisung der Klage als unzulässig; eine Verweisung wie nach § 281 ZPO findet hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nicht statt.742) Bestehen Zweifel darüber, ob eine bestimmte Konstellation in den Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO fällt, so kann jede und muss die letzte Instanz dem EuGH vorlegen.743) 4. Anwendungsbereich und Regelung des „allgemeinen“ europäischen Zuständigkeitsregimes in Bezug auf den Gesellschafterstreit a) Verbleibender Anwendungsbereich des „allgemeinen“ Zuständigkeitsregimes Der verbleibende Bereich des allgemeinen Zuständigkeitsregimes der Brüssel 525 Ia-VO lässt sich nur negativ definieren als alle gesellschaftsrechtlichen744) Klagen, die nicht in den Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 2 fallen, also diejenigen, die nicht im dargestellten Sinne „im Kern“ den Bestand der Gesellschaft oder die Wirksamkeit eines Organbeschlusses betreffen. Praktisch vollständig aus dem Anwendungsbereich von Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen sind daher Klagen von Außenstehenden gegen die Gesellschaft, ihre Organe oder Gesellschafter.745) Auch Streitigkeiten um Haftungsfragen in jedwedem Verhältnis, insbesondere der Gesellschaft oder von Gesellschaftern gegen ihre Organe, fallen unter das allgemeine Zuständig___________ 740) Siehe bereits oben Fn. 630 und zur Behandlung derartiger Gesellschaften eingehend MünchKomm-BGB/Kindler, IntGesR Rn. 486 ff. 741) Statt aller Geimer, in: Geimer/Schütze, Art. 22 EuGVVO Rn. 32. 742) BGH, v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837; Saenger/Dörner, ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 1. 743) Siehe oben Rn. 490 mit Fn. 636. 744) Zur sachlichen Ausnahme von Klagen, die unter die EuInsVO fallen, bereits oben Rn. 492. 745) Siehe hierzu die Beispiele bei Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 83.
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keitsregime.746) Auch Unternehmensverträge, insbesondere Beherrschungsund Gewinnabführungsverträge sind, obwohl die Grundlagen der Gesellschaft betreffend, per se keine in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO genannten Gegenstände, so dass diesbezügliche Auseinandersetzungen nur erfasst sind, wenn sie dem Abschluss zugrunde liegende Beschlüsse betreffen.747) 526 Schließlich und vor allem bleiben zahlreiche Klagen aus der Mitgliedschaft außen vor, für die in der Brüsssel Ia-VO kein umfassender Gerichtsstand wie im deutschen Recht nach § 22 ZPO vorgesehen ist. Klagen der Gesellschaft gegen die Mitglieder auf Zahlung der Stammeinlage sind ebenso wenig erfasst748) wie umgekehrt Klagen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Gewinnanteile, Auskünfte, Vorlage von Geschäftsunterlagen oder andere Leistungen,749) wenn die Klage nicht im Kern auf die Nichtigerklärung eines zugrundeliegenden Organbeschlusses gerichtet ist. Unter demselben Vorbehalt fallen auch Klagen der Gesellschafter gegeneinander nicht unter Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.750) Schließlich ist daran zu erinnern, dass nach zahlreichen Stimmen unmittelbar auf Entziehung gesellschaftsrechtlicher Rechte oder der Mitgliedschaft selbst gerichtete Klagen aufgrund des Wortlauts von Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ausgenommen sein sollen (oben Rn. 507). Für den Gesellschafterstreit gilt folglich ein gespaltenes Zuständigkeitsregime je nachdem, ob die Auseinandersetzung mittels eines Angriffs gegen einen der in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO genannten Gegenstände geführt wird oder nicht. b) Gerichtsstände 527 Die außerhalb der ausschließlichen Zuständigkeit in Betracht kommenden Gerichtsstände nach Brüssel Ia-VO/LügÜ und ihr grundsätzliches Verhältnis zueinander wurden bereits oben Rn. 494 dargestellt. Zu erinnern ist zunächst an die weitere ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 3 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 22 Nr. 3 LugÜ, welche für Streitigkeiten um die Gültigkeit von Eintragungen in öffentlichen Registern die Zuständigkeit der Gerichte des registerführenden Mitgliedstaats anordnet. Sie ist für ausländische Gesellschaftsformen durchaus praktisch bedeutsam, weil sie auch Eintragungen in einem Gesellschaftsregister wie dem englischen Companies House umfasst, kann aber, da dieser Streit mit der registerführenden Stelle zu führen ist, im Rahmen von Streitigkeiten unter Gesellschaftern auch als „Instrument“ kaum ___________ 746) Statt aller Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 83. Eine Ausnahme wäre nach oben Rn. 513 ff. zu machen, wenn im Gewand einer derartigen Klage in Wahrheit die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses der Klagegegenstand ist. 747) Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 89. 748) OLG Naumburg, Urt. v. 24.8.2000 – 7 U (Hs) 3/00, NZG 2000, 1218; implizit BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 134/02, NZG 2003, 812 (jeweils betreffend Klagen auf Zahlung der Kommanditeinlage); Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 24 Rn. 16. 749) Siehe hierzu die Aufzählung bei Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 82 und Geimer, in Geimer/Schütze, Art. 22 Rn. 212a. 750) Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Rn. 88 mit allerdings zu weit geratener Formulierung (siehe oben Fn. 648).
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
eine Rolle spielen und wird daher nicht vertieft dargestellt.751) Zu den weiteren denkbaren Gerichtsständen ist hier lediglich die in Bezug auf den Gesellschafterstreit relevanten Besonderheiten einzugehen: aa) Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO/Art. 23 LugÜ Der bei weitem wichtigste Gerichtsstand ist derjenige, der die Anführungs- 528 zeichen bei der Bezeichnung als „allgemeines“ Zuständigkeitsregime erforderlich macht: Art. 25 Brüssel Ia-VO/Art. 23 LugÜ eröffnen den Gesellschaftern die Möglichkeit, einen Gerichtsstand für künftige Streitigkeiten zu vereinbaren, soweit keine ausschließliche Zuständigkeit von Gesetzes wegen eingreift (Art. 25 Abs. 4/Art. 23 Abs. 5 LugÜ). Die räumlich-persönliche Anwendbarkeit des Art. 25 Brüssel Ia-VO geht weiter als diejenige der VO im Übrigen (oben Rn. 491), denn sie ist unabhängig vom (Wohn-)Sitz der Parteien und setzt lediglich die Vereinbarung der Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats voraus.752) Es muss daher nur noch überhaupt Auslandsberührung vorliegen,753) die sowohl durch eine ausländische Gesellschaftsform als auch durch ausländische Nationalitäten oder (Wohn-)Sitze im Gesellschafterkreis vermittelt werden kann. Nach Art. 23 LugÜ muss noch ein (Wohn-)Sitz einer der Parteien der Vereinbarung in einem Mitgliedsstaat hinzukommen. Das seit dem 1.10.2015 in Kraft befindliche Haager Gerichtsstandsübereinkommen geht den Regelungen der Brüssel Ia-VO aufgrund seiner Ratifikation durch die EU selbst grundsätzlich vor,754) wird aber aufgrund der Konkurrenzregel seines Art. 26 Abs. 6 lit. a nur in Ausnahmefällen tatsächlich vorrangig anwendbar sein755) und weicht zudem in seinem Regelungsgehalt kaum von den Vorschriften der Brüssel Ia-VO ab.756)
___________ 751) Siehe weiterführend Willemer, in: Mehrbrey, § 88 Rn. 24. 752) Dieser ist auch für vor seinem Inkrafttreten abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen maßgeblich, sofern diese durch den Wechsel der Maßstäbe nicht unwirksam werden, s. zur intertemporalen Anwendbarkeit Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 25 EuGVVO Rn. 8 ff. 753) Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 25 EuGVVO Rn. 6; allg. zur Brüssel Ia-VO oben Fn. 640. 754) Siehe dazu bereits oben Fn. 631. 755) Dies ist nur dann der Fall, wenn eine der Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung ihren (Wohn-)Sitz außerhalb der EU und zugleich in einem Mitgliedstaat des Haager Übereinkommens hat. Dies kommt bislang nur in Betracht, wenn eine Partei ihren Sitz in Mexiko hat. Allerdings wird die Vorschrift bei Ratifizierung durch weitere Staaten, etwa die Zeichnerstaaten USA und Singapur, rasch an Bedeutung gewinnen, da das Erfordernis bei einer Vielparteien-Gerichtsstandsvereinbarung wie in einer Gesellschaftssatzung an sich leicht erfüllt sein kann. 756) Insbesondere werden gesellschaftsorganisatorische Streitigkeiten (mit identischer Formulierung wie in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) aus dem sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen, Art. 2 lit. m), so dass auch eine ansonsten nach dem Haager Übereinkommen zu beurteilende Vereinbarung diesen Gerichtsstand nicht außer Kraft setzen kann.
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529 Der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung ist nicht an besondere persönliche Voraussetzungen gebunden. Sie erfordert lediglich Schriftform bzw. eine der in Abs. 1 Satz 3 der genannten Vorschriften gleichgestellten Modalitäten des Abschlusses. Insbesondere ist ihr Abschluss in Gesellschaftsvertrag bzw. Satzung möglich und in dieser Form auch für Rechtsnachfolger wie neu hinzukommende Gesellschafter verbindlich.757) Sie kann durch eine spätere Vereinbarung jederzeit abgeändert werden, wobei dies bei einer Satzungsbestimmung natürlich an eine entsprechende Beschlussfassung mit ggf. qualifizierten Quoren gebunden ist. Als entscheidender Zeitpunkt wird derjenige der Klageerhebung angesehen.758) Der vereinbarte Gerichtsstand ist – vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung – wiederum ein ausschließlicher (jeweils Abs. 1 Satz 2). Auch der sachliche Umfang, etwa die Frage, ob sie auf deliktische Ansprüche gestützte Streitigkeiten unter Gesellschaftern erfassen soll, unterliegt der Parteidisposition und ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln.759) Gegen Klagen an anderen Gerichtsständen wird eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO besonders geschützt, indem ein konkurrierend angerufenes Gericht das Verfahren bis zur Klärung der Zuständigkeit des prorogierten Gerichts aussetzen muss. Eine parallele Vorschrift im LugÜ fehlt allerdings bislang noch. bb) Rügelose Einlassung, Art. 26 Brüssel Ia-VO/Art. 24 LugÜ 530 Auch nach Klageerhebung ist aber jedenfalls die einvernehmliche Zuständigkeitsbegründung des angerufenen Gerichts nach Art. 26 Brüssel Ia-VO/Art. 24 LugÜ noch durch rügelose Einlassung möglich. Die Anwendungsvoraussetzungen sind die gleichen wie diejenigen der Vorschriften zur Gerichtsstandsvereinbarung.760) Bei Eingreifen einer ausschließlichen Zuständigkeit bleibt freilich auch diese wirkungslos (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Brüssel Ia-VO/Art. 24 Satz 2 LugÜ). Dies ist nicht nur im Hinblick auf den Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ zu beachten, sondern kann auch dann eine Rolle spielen, wenn zuvor z. B. in der Satzung der Gesellschaft ein anderer (wie zu vermuten) ausschließlicher Gerichtstand bestimmt wurde. Denn die rügelose Einlassung ist zwar nach ständiger Rechtsprechung des EuGH als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung zu werten, die folglich zwischen den Parteien einer vorangehenden Abrede diese auch ändern kann,761) eine Satzungsbestimmung kann aber – je nach Auslegung dieser Be___________ 757) EuGH, Urt. v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89 – Powell Duffryn, Slg. 1992, I-1745. 758) Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 23 EuGVO Rn. 11; EuGH, Urt. v. 13.11.1979 – 25/79 – Saniocentral, Slg. 1979, 3423. Dies kann sich indes nur auf die derogierende Wirkung beziehen; eine Zuständigkeitsbegründung ist im Rahmen der rügelosen Einlassung auch danach noch möglich (nachfolgend Rn. 530). 759) Statt aller Geimer, in Geimer/Schütze, Art. 23 Rn. 151. 760) Für die Art. 24 LugÜ entsprechende Fassung noch str., aber h. M.; vgl. i. E. Rauscher/ Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 26 Rn. 2 f. 761) EuGH, Urt. v. 24.6.1981 – Rs. 150/80 – Elefanten Schuh ./. Pierre Jacqmain, Slg. 1981, 1671 ff., Tz. 8; jüngst nochmals EuGH, Urt. v. 17.3.2016 – C-175/15.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
stimmung – einer abweichenden späteren Vereinbarung z. B. unter nur zwei Gesellschaftern entgegenstehen und wäre ggf. nur mit den erforderlichen Quoren zu ändern. cc) Allgemeiner Gerichtsstand, Art. 4 Brüssel Ia-VO/Art. 2 LugÜ Der allgemeine Gerichtsstand eines Gesellschafters als Prozessgegner ist des- 531 sen Wohnsitz (Art. 4 Brüssel Ia-VO/Art. 2 LugÜ), bei der Gesellschaft als Beklagter deren Sitz, wobei im Rahmen des allgemeinen Gerichtsstands die autonom-alternative Bestimmung des Sitzes nach Art. 63 Brüssel Ia-VO/ Art. 60 LugÜ gilt. Danach kann sowohl am satzungsmäßigen Sitz (Abs. 1 lit. a) als auch am Ort der Hauptverwaltung (Abs. 1 lit. b) oder Hauptniederlassung (Abs. 1 lit. c) geklagt werden. Die Begriffe stammen aus Art. 54 AEUV und sollen nunmehr autonom verstanden werden (ErwGr 15 a.E.). Der satzungsmäßige Sitz ergibt sich aus Gesellschaftsvertrag bzw. Satzung; für die Fälle Großbritanniens, Irlands und Zyperns tritt an die Stelle des dort unbekannten Begriffs gem. Abs. 2 das „registered office“, also der im Register als Adresse angegebene Sitz.762) Unter der „Hauptverwaltung“ ist entsprechend der Herkunft aus der Sitztheorie der Ort zu verstehen, von dem aus die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden.763) Die Hauptniederlassung ist der Ort, von dem aus die Gesellschaft den Schwerpunkt ihres Geschäftsverkehrs nach außen betreibt, was regelmäßig eine entsprechende Personal- und Sachausstattung voraussetzt.764) dd) Besondere Gerichtsstände, Art. 7 f. Brüssel Ia-VO/Art. 5 f. LugÜ Unter den besonderen Gerichtsständen des europäischen Zuständigkeitssys- 532 tems kann für gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzungen insbesondere der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO/Art. 5 Nr. 1 LugÜ Bedeutung erlangen. Nach dem weiten autonomen Begriffsverständnis des EuGH sind als „vertraglich“ sämtliche Ansprüche zu qualifizieren, die auf einer gegenüber einer anderen Partei freiwillig eingegangenen Verpflichtung beruhen,765) so dass sowohl die Gesellschaft selbst und die Beziehung zu und unter den Gesellschaftern766) als auch etwa die organschaftliche
___________ 762) 763) 764) 765) 766)
Siehe dazu Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 60 Rn. 3. Geimer, in Geimer/Schütze, Art. 60 Rn. 6. Geimer, in Geimer/Schütze, Art. 60 Rn. 7. Siehe statt aller die Nachw. bei Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Rn. 20 m. w. N. So für den Verein EuGH, Urt. v. 22.3.1983 – Rs. 34/82 – Peters ./. Zui Nederlands Aannemers, Slg. 1983, 987; für die AG EuGH, Urt. v. 10.3.1992 – C-214/89 – Duffryn ./. Petereit, Slg. 1992 I 1769; für die Klage auf Zahlung der Kommanditeinlage BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 134/02, NZG 2003, 812. Weit. Nachw. siehe Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Rn. 26.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
Sonderbeziehung zwischen der Gesellschaft und ihren Organen767) erfasst ist. Der Erfüllungsort ist in Ermangelung einer konkreten Vereinbarung nach dem auf die fragliche Verpflichtung anwendbaren materiellen Recht zu bestimmen, welches wiederum nach dem IPR des beurteilenden Gerichts ermittelt werden muss (Art. 7 Nr. 1 Abs. 2 lit. c, Abs. 1 Brüssel Ia-VO/Art. 5 Nr. 1 Abs. 2 lit. c, Abs. 1 LugÜ768)). Wie bei der Sitzbestimmung nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ ist folglich ein unterschiedlicher Maßstab je nach angerufener Gerichtsbarkeit denkbar; vor deutschen Gerichten ist das anwendbare Recht bei europäischen Gesellschaften nach der Gründungstheorie und im Übrigen nach der Sitztheorie zu ermitteln (soeben Rn. 517 ff.). Praktisch dürfte es gleichwohl selten zu Abweichungen kommen, da der Erfüllungsort der für einen Gesellschafterstreit relevanten Verpflichtungen regelmäßig am Satzungssitz der Gesellschaft angesiedelt werden wird.769) 533 Als weiterer besonderer Gerichtsstand mit möglichen gesellschaftsrechtlichen Bezügen ist der deliktische Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/ Art. 5 Nr. 3 LugÜ zu nennen. Da er nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gegenüber dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts subsidiär ist und folglich nur Haftungsklagen erfasst, die nicht an einer freiwilligen Verpflichtung im vorstehend dargestellten Sinne anknüpfen,770) dürfte sich seine Bedeutung allerdings auf Auseinandersetzungen mit Organen auf deliktischer Grundlage beschränken. Im Rahmen eines Streits unter Gesellschaftern könnte der Gerichtsstand möglicherweise relevant werden, wenn Fragen der Existenzvernichtung inmitten stehen.771) 534 Die weiteren besonderen Gerichtsstände der Art. 7 f. Brüssel Ia-VO/Art. 5 f. LugÜ weisen kaum gesonderte Bedeutung gerade für den Gesellschafterstreit auf. Von genereller Relevanz ist bei Gesellschaften der Gerichtsstand der Niederlassung nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO/Art. 5 Nr. 5 LugÜ, der für Streitigkeiten aus dem Betrieb einer (Schein-)Niederlassung gilt und damit vor allem gesellschaftsexternen Klägern einen zusätzlichen Gerichtsstand bietet. Erwähnenswert ist ferner, dass Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO/Art. 6 Nr. 1 LugÜ einen deutlich weitergehenden streitgenössischen Gerichtsstand vorsehen als dies im internen Recht der Fall ist. Dies kann vor allem Bedeu___________ 767) OLG München, Urt. v. 25.6.1999 – 23 U 4834/98, NZG 1999, 1170; OLG Celle, Urt. v. 12.1.2000 – 9 U 126/99, NZG 2000, 595 Anm. Bous (jeweils zum LugÜ); Rauscher/ Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Rn. 26 m. w. N. 768) Siehe zur st. Rspr. des EuGH zur Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae Zöller/Geimer, ZPO, Art. 7 EuGVVO Rn. 1. 769) So auch Willemer, in: Mehrbrey, § 88 Rn. 13; von Hase in: Triebel/von Hase/Melerski, Rn. 543 zum englischen Recht für die Zahlung der Einlage. Dagegen können z. B. Pflichten von Organen durchaus am tatsächlichen Hauptsitz zu erfüllen sein mit der Folge eines entsprechenden Gerichtsstands. 770) EuGH, Urt. v. 27.9.1988 – C-189/87 – Kalfelis/Schröder; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, Art. 7 Rn. 13. 771) Willemer, in: Mehrbrey, § 88 Rn. 14. Zu beachten ist bei den in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen allerdings eine etwaig vorrangige insolvenzrechtlichen Qualifikation; siehe oben Rn. 492 mit Fn. 643 ff.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit
tung erlangen, wenn außer der Gesellschaft auch z. B. ein bestimmender Gesellschafter oder ein Organ in Anspruch genommen werden sollen. III. Internationale Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zuständigkeitssystems Das verbleibende Zuständigkeitsregime für „außereuropäische“ Sachverhalte 535 greift nur noch ein, wenn der Beklagte keinen Wohnsitz bzw. die beklagte Gesellschaft weder ihren satzungsmäßigen Sitz noch ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat der EU bzw. Vertragsstaat des LugÜ hat, wobei zu beachten ist, dass es bezüglich Gerichtsstandsvereinbarungen bzw. rügeloser Einlassung sogar noch weiter zurückgedrängt ist (sogleich Rn. 537). Es wird, da relevante staatsvertragliche Bindungen im Bereich der internationalen Zuständigkeit im Gesellschaftsrecht nicht bestehen (siehe oben Rn. 487, zur Ausnahme der Gerichtsstandsvereinbarungen wiederum sogleich Rn. 537), durch das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht geregelt. Dieses wiederum enthält im hiesigen Kontext keine expliziten Regelungen für die internationale Zuständigkeit, so dass diese aus den Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit in dem Sinne abzuleiten ist, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist, wenn ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist.772) Das deutsche autonome Zuständigkeitssystem für den Gesellschafterstreit setzt sich demnach zusammen aus den vorrangigen spezialgesetzlichen örtlichen Zuständigkeiten für bestimmte Klagearten bei einzelnen Gesellschaftstypen, und, soweit diese nicht eingreifen, den relevanten allgemeinen Normen über die örtliche Zuständigkeit. In der ersten Kategorie sind zahlreiche Bestimmungen insbesondere des AktG 536 und des GmbHG zu nennen, die eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft anordnen. So werden neben Auskunfts- und Einsichtsrechten der Gesellschafter (§§ 132 Abs. 2 AktG, 51b GmbHG) insbesondere Auflösungs-, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen bzw. auf Beschlüsse bezogene Feststellungsklagen gem. § 61 Abs. 3 GmbHG und § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG (bzw. in entsprechender Anwendung, vgl. u. a. §§ 249, 275 AktG) ausschließlich dem Landgericht am Sitz der Gesellschaft zugeordnet. Auch § 2 SpruchG vermittelt eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.773) Damit gilt für die unter diese Regelungen fallenden Gesellschaften in Summe eine ähnliche Regelung wie nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Im Übrigen, d. h. außerhalb der genannten Klagearten und – insoweit anders als im europäischen Zuständigkeitssystem – insgesamt bei Streitigkeiten in personalistisch geprägten Gesellschaften gelten die allgemeinen Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit. Der allgemeine Gerichtsstand liegt folglich je nach beklagter Partei gemäß §§ 12, 13, 17 ZPO am Wohnsitz des Beklagten oder dem ___________ 772) Allg. Ansicht; siehe statt aller Zöller/Geimer, ZPO, IZPR Rn. 37 (sog. Doppelfunktionalität der Normen über die örtliche Zuständigkeit). 773) LG München I, Urt. v. 28.8.2008 – 5 HKO 2522/08, NZG 2009, 143, 148.
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Sitz der beklagten Gesellschaft. Dieser allgemeine Gerichtsstand wird jedoch – anders als im europäischen Zuständigkeitssystem – nicht nur durch den besonderen Gerichtsstand der Niederlassung gem. § 21 ZPO ergänzt, sondern vor allem durch den umfassenden besonderen Gerichtsstand der Mitgliedschaft gem. § 22 ZPO, der für Gesellschafterstreitigkeiten praktisch immer eine Klage am Sitz der Gesellschaft ermöglicht. Den weiteren denkbaren besonderen Gerichtsständen (z. B. Gerichtsstand des Erfüllungsorts gem. § 29 ZPO) kommt für den Gesellschafterstreit nur geringe Bedeutung zu. 537 Gesondert zu erörtern sind Gerichtsstandsvereinbarung und rügelose Einlassung. Die autonomen Normen (§§ 38, 39 ZPO) kommen hier kaum noch zur Anwendung, da für die Anwendbarkeit des vorrangigen Art. 25 f. Brüssel Ia-VO unabhängig vom Sitz der Parteien allein die Begründung der Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts genügt. Den nationalen Vorschriften geht ferner noch Art. 23 LugÜ sowie (mit der Ausnahme gesellschaftsorganisatorischer Streitigkeiten) das Haager Gerichtsstandsübereinkommen vor, wenn die Gerichte eines der dortigen Mitgliedstaaten für zuständig erklärt werden, im Fall des LugÜ muss ferner noch der Sitz einer der Parteien in einem der Mitgliedstaaten hinzukommen (siehe oben Rn. 528, 530). Dies bedeutet, dass die §§ 38, 39 ZPO praktisch nur noch für die Prorogation der Zuständigkeit der Gerichte eines Staates eingreifen, der keinem der genannten Instrumente angehört. IV. Folgerungen aus dem Zuständigkeitsregime für Prozessführung und Beratung 1. Form der Auseinandersetzung und Wahl des Forums 538 Für den Praktiker stellt sich unter den dargestellten Gegebenheiten zuerst die Frage, ob ein Gesellschafterstreit im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung unter das europäische Zuständigkeitssystem fallen wird (oben Rn. 491) und – wenn diese Frage wie in der Regel zu bejahen ist –, ob eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ im Raum steht. Praxistipp: Auf beiden Seiten sollte dies bereits beachtet werden, wenn sich die Auseinandersetzung abzeichnet und ggf. noch Spielraum hinsichtlich der „Wahl der Mittel“ besteht. Wird ein Organbeschluss gefasst und zum Gegenstand des Streits, so ist für eine etwaige gerichtliche Auseinandersetzung – was gewünscht oder unerwünscht sein kann – der Weg zum ausschließlichen Gerichtsstand am Satzungssitz vorgezeichnet.
Ist dies der Fall, so ist zu beachten, dass die dargestellten Unschärfen des Anwendungsbereichs dieses ausschließlichen Gerichtsstands in Zweifelsfällen v. a. der beklagten Partei eines internationalen Gesellschafterstreits ein beträchtliches Potential eröffnen können, eine Verurteilung mit der Diskussion über die Zuständigkeitsfrage zu verhindern oder zu verzögern, wenn an einem anderen Gerichtsstand geklagt wird als demjenigen des Satzungssitzes. 154
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit Praxistipp: Dies spricht dafür, in einem Zweifelsfall die Klage sogleich am Satzungssitz zu erheben, wenn dort auch abseits Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ ein Gerichtsstand besteht. Ist die Gesellschaft Beklagte, so ist dies aufgrund des ebenfalls dort befindlichen allgemeinen Gerichtsstands regelmäßig – vorbehaltlich einer anderslautenden Gerichtsstandsvereinbarung (siehe dazu auch sogleich Rn. 540) – der Fall. Hierdurch entfallen sämtliche Abgrenzungsdiskussionen. Etwaige Kosten- und Opportunitätsnachteile sollten abgewogen werden gegen das Risiko, dass die Klage wie in dem einleitend (Rn. 484) geschilderten Fall des BGH kostenpflichtig als unzulässig abgewiesen werden kann. Auch das Verzögerungspotential in Zweifelsfällen ist – man denke an die Möglichkeit einer Vorlage an den EuGH – beträchtlich. Muss die Klage auf einen der Gegenstände des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/ Art. 22 Nr. 2 LugÜ gerichtet werden, so ist es angesichts der Rechtsprechung des EuGH zur Bestimmung des Streitgegenstands (oben Rn. 510 ff.) auch nicht empfehlenswert, dies durch eine entsprechende Gestaltung der Antragstellung oder des Prozessstoffs umgehen zu wollen. Dies eröffnet dem Beklagten das dargestellte Verzögerungspotential und sogar dann, wenn der Beklagte dieses mangels Kenntnis oder wegen eigener Befürchtungen eines noch kostspieligeren Prozesses im Ausland nicht nutzt, bleibt der Prozess unter dem „Damoklesschwert“, dass das Gericht bei der amtswegigen Prüfung (oben Rn. 524) seine Zuständigkeit verneint.
In nicht wenigen Fällen wird sich – insbesondere bei Gesellschaftern sog. 539 „Scheinauslandsgesellschaften“ – auch nach Ausbruch eines Streits wenigstens ein Konsens darüber herstellen lassen, dass ein aufwendiger und kostenträchtiger Prozess am ausschließlichen Gerichtsstand im Ausland vermieden werden sollte. Da sich dieses Ziel bei Einschlägigkeit des ausschließlichen Gerichtsstands durch Vereinbarung eines anderen Gerichtsstands oder rügelose Einlassung nicht erreichen lässt (oben Rn. 524), und die verbleibenden, sogleich (Rn. 541 ff.) noch darzustellenden Gestaltungsmöglichkeiten nicht weniger kosten- und aufwandsträchtig sind, sollte bei einem derartigen Konsens verstärkt an die Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung, insbesondere durch Mediation, gedacht werden. Praxistipp: Im Rahmen der Mediationsabrede kann der Mediationsort von den Parteien frei und ohne Rücksicht auch auf ausschließliche Gerichtsstände bestimmt werden. Die Mediationsabrede kann auch bestimmen, dass für eine gewisse Zeit keine Klage vor den ordentlichen Gerichten erhoben wird. Die praktische Wirksamkeit einer derartigen Abrede beurteilt sich nach der lex fori des angerufenen Gerichts,774) so dass hier vor allem auf die Rechtsordnung des Staates geachtet werden muss, in dem sich (potentiell) ein ausschließlicher Gerichtsstand befindet, da vor allem dieser abredewidrig in Anspruch genommen werden könnte.
___________ 774) Siehe hierzu sowie zu Titulierungsmöglichkeiten bei Mediationen in grenzüberschreitenden Sachverhalten Großerichter, Mediationsverfahren mit Auslandsberührung, in: Eidenmüller/Wagner, Mediationsrecht, 2015, Kap. 12 Rz. 28 f., 50 ff.
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2. Gestaltungsoptionen im Vorfeld a) Folgerungen für die Gestaltung einer Gerichtsstandsklausel 540 Eine Gerichtsstandsklausel in Gesellschaftsvertrag bzw. Satzung bleibt zwar – anders als die sogleich noch darzustellende Schiedsabrede – gegenüber Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO/Art. 22 Nr. 2 LugÜ wirkungslos (oben Rn. 524). Gleichwohl ergeben sich für den Fall, dass keine Schiedsabrede getroffen werden soll, Folgerungen aus dem dargestellten Zuständigkeitsregime sowohl für das „ob“ als auch für das „wie“ einer Gerichtsstandsvereinbarung. Zunächst kann eine solche, da die nunmehr erweiterten räumlich-persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO (oben Rn. 528) in jedem Sachverhalt mit Auslandsberührung der Gesellschaftsform oder auch nur im Gesellschafterkreis eingreifen, praktisch immer unter dem einheitlichen Regime dieser Vorschrift und damit ohne hohe Formerfordernisse oder persönliche Voraussetzungen abgeschlossen werden (oben Rn. 529). Mit ihr kann vor allem zweierlei bewirkt werden: Zum einen kann für alle „allgemeine“ Gesellschafterstreitigkeiten, die nicht in den Bereich des ausschließlichen Gerichtsstands fallen, eine einheitliche Zuständigkeit an einem funktionierenden Gerichtsstand geschaffen werden, die zudem nach der Brüssel Ia-VO in der oben Rn. 529 dargestellten Weise gegen „Torpedoklagen“ an anderen Gerichtsständen abgesichert ist. Zum zweiten lässt sich, wenn die Zuständigkeit am Satzungssitz begründet wird, an diesem Gerichtsstand sogar eine umfassende Zuständigkeitskonzentration für alle gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten (außerhalb von unter die EuInsVO fallenden Tatbeständen) schaffen. Praxistipp: Für Gesellschafter einer im Inland tätigen Gesellschaft mit ausländischer Gesellschaftsform mag es auf den ersten Blick naheliegen, wenigstens in dem Bereich, der außerhalb der zwingenden ausschließlichen Zuständigkeit verbleibt, eine Auseinandersetzung vor deutschen Gerichten festzuschreiben. Hierfür sprechen die geringeren Kosten und der einfachere (sprachliche) Zugang zur Justiz. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass gerade ein derart „gespaltener“ Gerichtsstand erst die dargestellten Abgrenzungsfragen und das damit verbundene Konflikt- und Blockadepotentials für entsprechende Klagen verursacht. Hinzu kommen die oben Rn. 496 a. E. dargelegten Erwägungen für die Wahl dieses Gerichtsstandes durch den europäischen Gesetzgeber. Jedenfalls dann, wenn der Satzungssitz in einer effektiven Jurisdiktion wie niederländischen liegt, und erst recht bei einem tatsächlich internationalen Gesellschafterkreis spricht daher viel dafür, die für gesellschaftsorganisatorische Klagen festgeschriebene Zuständigkeit durch eine entsprechende Wahl der Gerichte am Sitz i. S. d. Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auf einen allgemeinen Gerichtsstand für Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft zu erweitern.
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E. Der Gerichtsstand im internationalen Gesellschafterstreit Diese Empfehlung hätte bislang trotz hoher Kosten insbesondere auch für den Fall Englands gegolten, wo sie sich allerdings wegen der nunmehr entstandenen Ungewissheit über die Fortgeltung des europäischen Zuständigkeitssystems, oben Rn. 488, bis zu einer Klärung verbieten dürfte. Ferner wäre ggf. – bei „Scheinauslandsgesellschaften“ – die Unsicherheit im internationalen Gesellschaftsrecht (oben Rn. 523) in die Abwägung der weiteren Gestaltung mit einzustellen.
b) Möglichkeiten der Vermeidung eines ausschließlichen Gerichtsstands im Ausland Zur Vermeidung des ausschließlichen Gerichtsstands stehen nur zwei Wege 541 zur Verfügung, die Einvernehmen der Parteien voraussetzen und bereits vor der Entstehung von Streitigkeiten umgesetzt werden sollten: aa) Wahl der Gesellschaftsform und Formwechsel Für ausschließlich im Inland tätige Gesellschaften mit inländischem Gesell- 542 schafterkreis sollten die Nachteile des gespaltenen Zuständigkeitsregimes – bzw. diejenigen der zu seiner Vermeidung notwendigen Schiedsklausel, dazu sogleich – bereits bei der Wahl der Gesellschaftsform bedacht werden. Wurde die Gesellschaft bereits in einer ausländischen Form gegründet, kommt nur ein Formwechsel in Betracht; insbesondere kann eine Limited durch Verschmelzung auf eine GmbH zu einer inländischen Gesellschaft werden.775) Allein durch die Zuständigkeitsfrage wird die Entscheidung über die Gesellschaftsform und erst recht einen Formwechsel wohl eher selten bestimmt werden. Sie kann aber in Zusammenschau mit anderen Nachteilen der ausländischen Gesellschaftsform776) bzw. dann zum ausschlaggebenden Faktor werden, wenn die ursprünglichen Gründe für die Wahl der ausschließlichen Gesellschaftsform ohnehin weggefallen sind. Praxistipp: Erst recht drängen sich derartige Überlegungen nunmehr für Gesellschaften in englischer Rechtsform auf, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland haben, da sie dem Risiko eines Wegfalls der Rechtspersönlichkeit ausgesetzt sind (oben Rn. 523). Dabei ist in zeitlicher Hinsicht zu beachten, dass der Vorgang des Formwechsels, wenn nicht besondere Übergangsregelungen ausverhandelt werden oder Grßbritannien Mitglied des EWR wird, nur noch für zwei Jahre nach dem Austrittsantrag Großbritanniens unter die Privilegien der Niederlassungsfreiheit und EU-Regeln wie die Verschmelzungsrichtline 2005/56/EG fällt.
___________ 775) Siehe Kindler, NZG 2010, 576, 578; Kieninger, BB 2011, 2831, 2832. 776) Siehe hierzu Kieninger, BB 2011, 2831, 2832 mit Hinweis v. a. auf die Berichtspflichten im englischen Recht.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation
bb) Schiedsklausel 543 Soll die ausländische Gesellschaftsform gewählt oder beibehalten werden, so kommt für eine umfassende inländische gerichtliche Streitbeilegung nur die Vereinbarung einer umfassenden Schiedsklausel in Betracht.777) Im Ausgangspunkt ist dies möglich, weil die Schiedsgerichtsbarkeit von den Regelungen der Brüssel Ia-VO bzw. des LugÜ nach deren Art. 1 Abs. 2 lit. d) unberührt bleiben soll, so dass auch die dort angeordneten ausschließlichen Gerichtsstände der Vereinbarung eines abweichenden Verfahrensorts nicht entgegenstehen können.778) Mit der Wahl eines (rechtlichen779)) Verfahrensorts in Deutschland wird zugleich das deutsche Schiedsverfahrensstatut bestimmt und der Schiedsspruch gem. § 1055 ZPO in Deutschland einem inländischen Urteil gleichgestellt. Die Vollstreckungsmöglichkeit im Ausland wird – worin ein großer Vorzug des Schiedsverfahrens für grenzüberschreitende Sachverhalte liegt – in fast universellem Umfang durch das UNÜ780) gewährleistet, dessen Art. III die Vertragsstaaten zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nach Maßgabe des UNÜ verpflichtet. Gegen die konkurrierende Anrufung staatlicher Gerichte schützt im Inland § 1032 ZPO; auch die Abschirmung des Schiedsverfahrens wird im Rahmen des Art. II Abs. 1 und 3 UNÜ praktisch weltweit gewährleistet. 544 Das rechtliche Regime der Schiedsabrede weist, insbesondere im hier relevanten Kontext, allerdings auch Schwächen auf. Eine erste, allgemeine Unsicherheit besteht in der Behandlung konkurrierender Verfahren vor dem Gericht eines anderen Staates, das entgegen der Schiedsabrede angerufen wurde. Gerade wegen der Herausnahme aus der Brüssel Ia-VO kann einer Entscheidung, die das Gericht eines Mitgliedstaates unter Missachtung der Schiedsabrede getroffen hat, im Inland kein Anerkennungsversagungsgrund nach der Brüssel Ia-VO entgegengehalten werden.781) Ebenso fehlt es an einer LitispendenzRegelung, wie sie in Art. 31 Brüssel Ia-VO zum Schutz der Gerichtsstandsvereinbarung vorgesehen ist. Zu einer echten „Achillesferse“ kann diese Prob___________ 777) Kindler, NZG 2010, 576, 578; Kieninger, BB 2011, 2831, 2832; R. Werner, GmbHR 2011, 1097, 1098; eingehend Schaper, IPRax 2010, 513, 516 ff.; Wagner, in: Lutter, S. 298 ff. 778) Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 1 EuGVO Rn. 42. Beachte allerdings den dortigen Hinweis auf die frz. Cour de Cassation (Urt. v. 4.5.1999, JCP 1999 IV 2132, berichtet in IPRax 2002, 447). 779) Die Festlegung des rechtlich maßgeblichen Verfahrensorts steht der tatsächlichen Durchführung des Verfahrens an einem anderen Ort nicht entgegen, vgl. § 1053 Abs. 2 ZPO. 780) New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958, BGBl. II 1961, 122. Siehe für die Ratifikationen die Aufstellung der bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, Fn. 1 zu Nr. 240. Zusätzlich gilt innerhalb Europas das Genfer Europäische Übereinkommen vom 21.4.1961 (EuÜ), BGBl. II 1964, 426 (Jayme/Hausmann, a. a. O., Nr. 241); zum Verhältnis beider dessen Art. IX Abs. 2. 781) Siehe zu dieser Frage ErwGr 12 der Brüssel Ia-VO; zu dessen Hintergrund und zu dem im Detail komplexen Verhältnis zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und Brüssel Ia-VO insgesamt i. E. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Rn. 104 ff.
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Helge Großerichter
F. Schiedsverfahren
lematik deshalb werden, weil es auch nach dem UNÜ dem angerufenen staatlichen Gericht vorbehalten bleibt, nach seiner lex fori zu prüfen, ob die Schiedsabrede unwirksam, hinfällig oder nicht erfüllbar ist (Art. II Abs. 3 UNÜ), und insbesondere, ob der fragliche Gegenstand objektiv schiedsfähig ist.782) Die objektive Schiedsfähigkeit insbesondere von Beschlussmängelstreitigkeiten ist schon im deutschen Recht nicht unproblematisch und insbesondere für die AG weiterhin umstritten.783) Damit die Schiedsabrede tatsächlich abgesichert ist, muss die Schiedsfähigkeit wegen des lex-fori-Prinzips aber auch in denjenigen Rechtsordnungen anerkannt sein, die konkurrierend angerufen werden könnten, insbesondere also wegen Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in der Jurisdiktion am Satzungssitz der Gesellschaft. Diese Voraussetzung ist etwa in England nur eingeschränkt gewährleistet.784) Praxistipp: Es ist damit eine Frage der Prüfung im Einzelfall, ob eine Schiedsabrede im Gesellschaftsvertrag im Vergleich zur Alternative – Hinnahme des Gerichtsstands am ausländischen Satzungssitz, ggf. mit „Komplettierung“ durch eine Gerichtsstandsvereinbarung (oben Rn. 540) – empfehlenswert ist (unten Rn. 555 ff.). Den unbestreitbaren Vorteilen eines Schiedsverfahrens steht gegenüber, dass die Hemmschwelle des Zugangs zu einer gerichtlichen Klärung u. a. im Hinblick auf Kosten und Anrufung des Gerichts kaum geringer sein dürfte als bei einem funktionierenden ausländischen Gerichtsstand. Kommen Unsicherheiten über die Anerkennung der Schiedsfähigkeit in der Jurisdiktion des Satzungssitzes hinzu, stellt die Schiedsvereinbarung keine grundlegende Verbesserung dar. Im Beratungsstadium sollten diese Gesichtspunkte unbedingt bei der Auswahl der Gesellschaftsform berücksichtigt werden und mögen den Ausschlag dafür geben, doch eine deutsche Gesellschaftsform zu wählen.785)
F. Schiedsverfahren Markus Rieder
Die Schiedsgerichtsbarkeit hat seit langem einen festen Platz im Reigen der 545 Möglichkeiten, gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten auszutragen und
___________ 782) Siehe zur Begründung MünchKomm-ZPO/Adolphsen, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. II Rn. 11; weit. Nachw. bei Schaper, IPRax 2010, 513, 516 m. w. N. 783) Siehe zur grundsätzlichen Schiedsfähigkeit bei der GmbH und ihren Voraussetzungen BGH, Urt. v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 ff. = ZIP 2009, 1003 ff.; zum Meinungsstand bei der AG und den Problemen der Form Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, § 2 Rn. 35 m. w. N. Zur Schiedsfähigkeit bei Personengesellschaften bereits BGH, Urt. v. 29.3.1996 – II ZR 124/95, BGHZ 132, 278 ff. = ZIP 1996, 930 ff. Siehe zu all dem auch ausführlich unten Rn. 568 ff. 784) Vgl. von Hase, in: Triebel/von Hase/Melerski, Rn. 541, der insbesondere darauf hinweist, dass der Zugang zu den staatlichen Gerichten wegen unfairly prejudicial conduct nicht ausgeschlossen werden kann (siehe zu diesem Rechtsbehelf und Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO oben Rn. 509 mit Fn. 702). 785) Vgl. mit ähnlicher Tendenz (allerdings vor der grundsätzlichen Anerkennung der Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten bei der GmbH) von Hase, in: Triebel/ von Hase/Melerski, Rn. 541.
Markus Rieder
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F. Schiedsverfahren
lematik deshalb werden, weil es auch nach dem UNÜ dem angerufenen staatlichen Gericht vorbehalten bleibt, nach seiner lex fori zu prüfen, ob die Schiedsabrede unwirksam, hinfällig oder nicht erfüllbar ist (Art. II Abs. 3 UNÜ), und insbesondere, ob der fragliche Gegenstand objektiv schiedsfähig ist.782) Die objektive Schiedsfähigkeit insbesondere von Beschlussmängelstreitigkeiten ist schon im deutschen Recht nicht unproblematisch und insbesondere für die AG weiterhin umstritten.783) Damit die Schiedsabrede tatsächlich abgesichert ist, muss die Schiedsfähigkeit wegen des lex-fori-Prinzips aber auch in denjenigen Rechtsordnungen anerkannt sein, die konkurrierend angerufen werden könnten, insbesondere also wegen Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in der Jurisdiktion am Satzungssitz der Gesellschaft. Diese Voraussetzung ist etwa in England nur eingeschränkt gewährleistet.784) Praxistipp: Es ist damit eine Frage der Prüfung im Einzelfall, ob eine Schiedsabrede im Gesellschaftsvertrag im Vergleich zur Alternative – Hinnahme des Gerichtsstands am ausländischen Satzungssitz, ggf. mit „Komplettierung“ durch eine Gerichtsstandsvereinbarung (oben Rn. 540) – empfehlenswert ist (unten Rn. 555 ff.). Den unbestreitbaren Vorteilen eines Schiedsverfahrens steht gegenüber, dass die Hemmschwelle des Zugangs zu einer gerichtlichen Klärung u. a. im Hinblick auf Kosten und Anrufung des Gerichts kaum geringer sein dürfte als bei einem funktionierenden ausländischen Gerichtsstand. Kommen Unsicherheiten über die Anerkennung der Schiedsfähigkeit in der Jurisdiktion des Satzungssitzes hinzu, stellt die Schiedsvereinbarung keine grundlegende Verbesserung dar. Im Beratungsstadium sollten diese Gesichtspunkte unbedingt bei der Auswahl der Gesellschaftsform berücksichtigt werden und mögen den Ausschlag dafür geben, doch eine deutsche Gesellschaftsform zu wählen.785)
F. Schiedsverfahren Markus Rieder
Die Schiedsgerichtsbarkeit hat seit langem einen festen Platz im Reigen der 545 Möglichkeiten, gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten auszutragen und
___________ 782) Siehe zur Begründung MünchKomm-ZPO/Adolphsen, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. II Rn. 11; weit. Nachw. bei Schaper, IPRax 2010, 513, 516 m. w. N. 783) Siehe zur grundsätzlichen Schiedsfähigkeit bei der GmbH und ihren Voraussetzungen BGH, Urt. v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 ff. = ZIP 2009, 1003 ff.; zum Meinungsstand bei der AG und den Problemen der Form Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, § 2 Rn. 35 m. w. N. Zur Schiedsfähigkeit bei Personengesellschaften bereits BGH, Urt. v. 29.3.1996 – II ZR 124/95, BGHZ 132, 278 ff. = ZIP 1996, 930 ff. Siehe zu all dem auch ausführlich unten Rn. 568 ff. 784) Vgl. von Hase, in: Triebel/von Hase/Melerski, Rn. 541, der insbesondere darauf hinweist, dass der Zugang zu den staatlichen Gerichten wegen unfairly prejudicial conduct nicht ausgeschlossen werden kann (siehe zu diesem Rechtsbehelf und Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO oben Rn. 509 mit Fn. 702). 785) Vgl. mit ähnlicher Tendenz (allerdings vor der grundsätzlichen Anerkennung der Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten bei der GmbH) von Hase, in: Triebel/ von Hase/Melerski, Rn. 541.
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zu lösen.786) Gerade die fehlende Gerichtsöffentlichkeit und die im Vergleich zum staatlichen Verfahren geringere prozessuale Formalisierung tragen entscheidend zur Attraktivität der Schiedsgerichtsbarkeit in diesem Streitfeld bei. Das vorliegende Kapitel behandelt nach einer Einführung in die Schiedsgerichtsbarkeit (nachfolgend I, Rn. 546 ff.) die wesentlichen Schritte eines Schiedsverfahrens zu gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten, namentlich den Abschluss der Schiedsvereinbarung (nachfolgend II, Rn. 560 ff.), die Konstituierung des Schiedsgerichts (nachfolgend III, Rn. 579 ff.), die Durchführung des Verfahrens (nachfolgend IV, Rn. 589 ff.) und die Erledigung des Schiedsverfahrens durch Schiedsspruch oder auf andere Weise (nachfolgend V, Rn. 596 ff.). Abschließend werden Fragen des vorläufigen Rechtsschutzes (nachfolgend VI, Rn. 608 ff.) und einige Sonderkonstellationen (nachfolgend VII, Rn. 620 ff.) behandelt. In allen Abschnitten liegt ein wesentliches Augenmerk auf etwaigen Besonderheiten der vorliegenden Streitart. I. Einführung 546 Ehe die einzelnen Schritte eines Schiedsverfahrens zu gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten beleuchtet werden, lohnt ein Blick auf die Grundzüge des Schiedsverfahrens (nachfolgend 1., Rn. 547 ff.) und die Kriterien für die Wahl zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsverfahren im vorliegenden Kontext (nachfolgend 2., Rn. 555 ff.). 1. Grundzüge des Schiedsverfahrens 547 Unter einem Schiedsverfahren versteht man ein dem staatlichen Gerichtsverfahren prinzipell gleichwertiges Streiterledigungsverfahren auf privatautonomer Grundlage (Schiedsvereinbarung), in dem durch Parteidisposition bestimmte Schiedsrichter den Rechtsstreit abschließend und anstelle der staatlichen Gerichte entscheiden (vgl. §§ 1026, 1029, 1055 ZPO). Das deutsche Schiedsverfahrensrecht ist im Zehnten Buch der ZPO geregelt, das in seiner gegenwärtigen Fassung auf das Jahr 1998 zurückgeht und sich stark an das von der UNCITRAL erarbeitete Modellgesetz für internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit aus dem Jahr 1985 anlehnt.787) Die Gesetzesverfasser gehen ausdrücklich davon aus, dass „die Schiedsgerichtsbarkeit einen der staatlichen Gerichtsbarkeit grundsätzlich gleichwertigen Rechtsschutz bietet” ___________ 786) Schätzungen zufolge sollen ein Drittel aller innerdeutschen Schiedsverfahren gesellschaftsrechtliche Frage betreffen, vgl. Borris, 13. Petersberger Schiedstage 2015, 28.2.2015, Referat „Gesellschaftsrechtliche Konfliktlagen – ein rechtsvergleichender Überblick aus deutscher Sicht“. 787) UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration 1985, abrufbar unter www.uncitral.org. Das Modellgesetz wurde im Jahr 2006 nicht unerheblich überarbeitet, beispielsweise zu Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. dort Art. 17 ff.); diese Änderungen und Ergänzungen hat der deutsche Gesetzgeber bislang nicht nachvollzogen.
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F. Schiedsverfahren
(Gleichwertigkeitsgrundsatz).788) Die Regelung als Teil der ZPO ist lediglich Ausdruck einer äußeren Systematik des Gesetzes; inhaltlich handelt es sich um eine von der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit grundsätzlich verschiedene Streiterledigungsform. Demgemäß sind die Regeln beispielsweise des Ersten und Zweiten Buches der ZPO auf die Durchführung von Schiedsverfahren nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar.789) Das Schiedsgericht hat vielmehr weites eigenes Ermessen bei der Durchführung des Verfahrens (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO), das im Wesentlichen lediglich durch die Gebote der Gleichbehandlung der Parteien, des rechtlichen Gehörs und der Beachtung des ordre public begrenzt ist (§§ 1042 Abs. 1, 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO). Das Schiedgericht kann sich bei der Verfahrensgestaltung von den Regeln für das staatliche Gerichtsverfahren inspirieren lassen, muss dies aber nicht. Dass das Schiedsverfahren gleichwohl in der ZPO geregelt ist, beruht auf historischer Koinzidenz. In anderen Jurisdiktionen gibt es nicht selten eigenständige Schiedsverfahrensgesetze.790) Die Regeln des Zehnten Buches der ZPO sind weitgehend dispositiv, was 548 häufig bereits am Wortlaut zu erkennen ist („… sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben …“, exemplarisch §§ 1028 Abs. 1, 1035 Abs. 2 ZPO). Demgegenüber sind beispielsweise die Vorschriften über die Schiedsfähigkeit (§ 1030 ZPO), die Form von Schiedsvereinbarungen (§ 1031 ZPO), die Gleichbehandlung der Parteien (§ 1042 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 1042 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und das Recht auf anwaltlichen Beistand (§ 1042 Abs. 2 ZPO) zwingend. Daraus leitet sich zu Fragen des schiedsrichterlichen Verfahrens die folgende „Normenhierarchie“ ab, die aus § 1042 ZPO gut erkennbar ist: x
An der Spitze stehen zwingende Regeln des Zehnten Buches der ZPO (und der übrigen Rechtsordnung, einschließlich Verfassungsrecht).
x
An zweiter Stelle ist zu prüfen, ob zu der einschlägigen Frage eine wirksame Parteivereinbarung vorliegt.
x
Drittens ist auf das dispositive Recht des Zehnten Buches der ZPO abzustellen.
x
Soweit sich aus alledem keine verbindlichen Bestimmungen ergeben, gelangt das schiedsrichterliche Verfahrensermessen zur Anwendung (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Von hoher praktischer Bedeutung, auch für die Durchführung von Schieds- 549 verfahren zu gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten, ist die Unterschei___________ 788) BT-Drucks. 13/5274, S. 34 l. Sp. 789) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1025 Rn. 13; vgl. auch Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 294. 790) So z. B. im Vereinigten Königreich (UK Arbitration Act), in den USA (Federal Arbitration Act), in Russland (Gesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit), Brasilien (Brazilian Arbitration Act) und China (Arbitration Law of the People's Republic of China).
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dung zwischen Ad hoc und institutioneller Schiedsgerichtsbarkeit. Bei einem Ad-hoc-Schiedsverfahren sind lediglich die Streitparteien und die Schiedsrichter Beteiligte; das Verfahren richtet sich nach dem Zehnten Buch der ZPO und etwaigen, ad hoc getroffenen Vereinbarungen der Parteien. Gerade in gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten kommen Ad-hoc-Verfahren in der Praxis häufig vor. Bei institutionellen Schiedsverfahren tritt demgegenüber noch eine Schiedsinstitution hinzu, die bei der Durchführung (Administration) des Schiedsverfahrens unterstützt (daher auch der bisweilen verwendete Begriff des administrierten Schiedsverfahrens). Wesentliche Unterstützungsleistungen einer Schiedsinstitution betreffen (i) die Bereitstellung eines Regelwerkes für die Durchführung von Schiedsverfahren (Schiedsordnung), das über die wenigen Regeln des Zehnten Buches der ZPO hinausgeht; (ii) die Unterstützung der Parteien bei der Bildung des Schiedsgerichts, beispielsweise wenn eine einvernehmliche Schiedsrichterbenennung nicht zustande kommt; (iii) ggf. die Mitwirkung bei Verfahren zur Ablehnung von Schiedrichtern wegen Befangenheit; und (iv) ggf. die Mitwirkung bei der Absetzung des Schiedsspruchs. Für die deutsche Rechtspraxis, namentlich in gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten, wichtige Schiedsinstitutionen sind insbesondere die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS)791) und der bei der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce – ICC) eingerichtete Schiedsgerichtshof.792) Dogmatisch und im Sinn der vorstehend genannten Normenhierarchie stehen die in Schiedsordnungen enthaltenen Bestimmungen auf der zweiten Stufe, d. h. sie stellen Parteivereinbarungen dar, die unterhalb des Ranges zwingenden Rechts stehen, aber den dispositiven Bestimmungen des Zehnten Buches der ZPO und dem Verfahrensermessen des Schiedsgerichts vorgehen. 550 Das deutsche Recht unterscheidet – anders als andere Rechtsordnungen wie beispielsweise Frankreich – nicht zwischen nationalen und internationalen Schiedsverfahren; das Zehnte Buch der ZPO gilt unabhängig davon, ob die Streitparteien deutscher oder ausländischer Nationalität sind, und unabhängig davon, wo der Gegenstand des Rechtsstreits belegen ist. Maßgeblich für die Anwendbarkeit deutschen Schiedsverfahrensrechts ist lediglich, dass die Parteien einen in Deutschland belegenen Schiedsort vereinbart haben (§ 1025 Abs. 1 ZPO).793) Für die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche hält die ZPO in § 1061 besondere Vorschriften bereit. ___________ 791) www.dis-arb.de. Einschlägig ist insoweit die DIS-Schiedsgerichtsordnung aus dem Jahr 1998, die derzeit einer Revision unterzogen wird. 792) www.iccwbo.org/products-and-services/arbitration-and-adr. Die einschlägige Schiedsordnung ist enthalten in den Rules of Arbitration of the International Chamber of Commerce, die in ihrer derzeit gültigen Fassung seit 2012 in Kraft sind. 793) Einige Bestimmungen des Zehnten Buches der ZPO gelten sogar bei Vereinbarung eines ausländischen Schiedsortes, wie beispielsweise die Vorschriften zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und zur Aushilfe durch staatliche Gerichte bei der Beweiserhebung (§§ 1025 Abs. 2, 1033, 1050 ZPO).
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F. Schiedsverfahren
Zu den wesentlichen Verfahrensgrundsätzen gehören im Schiedsverfahren 551 neben den bereits erwähnten Bestimmungen über die Gleichbehandlung der Parteien, die Gewährung rechtlichen Gehörs und das schiedsrichterliche Verfahrensermessen die sämtlichen Parteien obliegende Pflicht zur Verfahrensförderung794) und die korrespondierende, aus dem Schiedsrichtervertrag abgeleitete Pflicht der Schiedsrichter, den Rechtsstreit einer zügigen Erledigung zuzuführen.795) Ein „Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräf- 552 tigen gerichtlichen Urteils“ (§ 1055 ZPO). Rechtsmittel gegen Schiedssprüche finden nicht statt, es sei denn, die Parteien hätten dies, beispielsweise im Sinne eines Berufungsverfahrens vor den staatlichen Gerichten, ausdrücklich vereinbart.796) Lediglich wegen schwerwiegender Mängel des Verfahrens oder wegen Verstößen gegen den ordre public kann die Aufhebung eines Schiedsspruchs beim zuständigen Oberlandesgericht begehrt werden (§ 1059 ZPO). Die Zwangsvollstreckung aus einem inländischen Schiedsspruch findet statt, nachdem der Schiedsspruch durch das zuständige OLG für vollstreckbar erklärt worden ist (§ 1060 ZPO); die Gründe für die Ablehnung einer Vollstreckbarerklärung entsprechen den Gründen für die Aufhebung eines Schiedsspruchs (§§ 1060 Abs. 2, 1059 Abs. 2 ZPO). Bei ausländischen Schiedssprüchen richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung nach dem New Yorker Übereinkommen vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (§ 1061 Abs. 1 ZPO),797) das ähnlich wie § 1059 Abs. 2 ZPO nur in sehr begrenztem Umfang Gründe für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung vorsieht. Das New Yorker Übereinkommen wurde mittlerweile von mehr als 150 Staaten weltweit unterzeichnet; es erlaubt mithin prinzipiell die Vollstreckung in allen Vertragsstaaten, was bei ausländischen Verfahrensbeteiligten bzw. im Ausland belegenem Vermögen des Verfahrensgegners ein maßgeblicher Vorteil des Schiedsverfahrens gegenüber dem staatlichen Gerichtsverfahren sein kann. Aus dem Vorstehenden wird ersichtlich, dass die Rolle der staatlichen Ge- 553 richte in Schiedsverfahren stark eingeschränkt ist; § 1026 ZPO bestimmt ausdrücklich, dass ein staatliches Gericht in einem Schiedsverfahren nur tätig werden darf, „soweit dieses Buch es vorsieht.“ Neben dem einstweiligen Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten, der auch in Schiedsverfahren gegeben ist (§ 1033 ZPO), gehören zu den wesentlichen Mitwirkungsmöglichkeiten staatlicher Gerichte (i) das Verfahren über die (Un)Zulässigkeit eines ___________ 794) BGH WM 2012, 2215 ff.; BGH NJW 1971, 888, 890; BGH NJW 1964, 1129, 1130; BGH NJW 1957, 589, 590; krit. hierzu Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 443 ff.; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1042 Rn. 65. 795) Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1035 Rn. 23. 796) Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1055 Rn. 4, § 1042 Rn. 24, Kreindler/Schäfer/ Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 109 ff. 797) New Yorker Übereinkommen, BGBl. II 1961, 121.
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Schiedsverfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO),798) (ii) die Korrektur einer unfairen Zusammensetzung des Schiedsgerichts (§ 1034 Abs. 2 ZPO), (iii) die Mitwirkung bei der Konstituierung des Schiedsgerichts sowie bei der Ablehnung und Ersatzbestellung von Schiedsrichtern (§§ 1035 ff. ZPO), und (iv) die Aushilfe bei der Beweisaufnahme (§ 1050 ZPO). Zuständig ist in vielen Fällen das „Oberlandesgericht, das in der Schiedsvereinbarung bezeichnet ist oder, wenn eine solche Bezeichnung fehlt, in dessen Bezirk der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens liegt“ (§ 1062 Abs. 1 ZPO). In Bezug auf einstweiligen Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte bestimmt sich die Zuständigkeit nach allgemeinen Regeln.799) Für die Unterstützung bei der Beweisaufnahme gem. § 1050 ZPO „ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die richterliche Handlung vorzunehmen ist.“ 554 In jüngerer Zeit hat die Schiedsgerichtsbarkeit – ausgehend von der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit800) – teils fundamentale Kritik erfahren. Insbesondere in Presse und Medien wurden insoweit vermehrt harsche Vorwürfe („Schattenjustiz“) vorgebracht.801) Indes ist die auf vermeintliche demokratische Legitimations- und Transparenzdefizite zielende Kritik an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit auf die hier behandelten zivil-, handels- und gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren nicht übertragbar. Zu Recht formiert sich eine Gegenbewegung „[w]ider das Arbitration Bashing“.802) 2. Die Wahl zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsverfahren 555 Die Wahl zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsverfahren hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die stets sorgfältig anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen sind. Allgemein werden als Argumente für die Schiedsgerichtsbarkeit häufig die folgenden Umstände ins Feld geführt: (i) Vertraulichkeit des Verfahrens (allerdings in der Regel nur, wenn dies ausdrücklich vereinbart wird); (ii) Wahlrecht der Parteien bezüglich des Entscheiders/der Entscheider; (iii) damit einhergehend die Möglichkeit, für den Einzel- oder Spezialfall besonders qualifizierte Entscheider auszuwählen; (iv) Flexibilität des Verfahrens; (v) wegen des fehlenden Rechtszuges in aller Regel kürzere Verfahrensdauer und ggf. Kostenersparnis; (vi) interkulturelle ___________ 798) Hierbei handelt es sich um eine deutsche Besonderheit, die ohne Vorbild im UNCITRAL Modellgesetz ist, vgl. BT-Drucks. 13/5274, S. 38 l. Sp.; Huber, SchiedsVZ 2003, 73, 74. 799) Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1033 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Münch, § 1033 Rn. 11. 800) Dabei handelt es sich um eine Sonderform der Schiedsgerichtsbarkeit auf völkerrechtlicher Grundlage, die es einem ausländischen Investor ermöglicht, gegen Enteignungsmaßnahmen des Ansiedlungsstaates ein kraft völkerrechtlichen Vertrages (Investitionsschutzabkommen) legitimiertes Schiedsgericht anzurufen. 801) Beispielsweise SZ, 12.8.2014 – „Wenn Schiedsrichter Verteidiger brauchen“; ZeitOnline, 10.3.2014 – „Im Namen des Geldes.“ 802) Exemplarisch Risse, SchiedsVZ 2014, 265 ff.; ferner zu Recht Prütting, AnwBl 7/2015, 546 ff. – „Schiedsgerichtsbarkeit ist Anwaltssache!“.
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Akzeptanz über Rechtskreise hinweg; und (vii) erleichterte Auslandsvollstreckung gemäß New Yorker Übereinkommen.803) Zu möglichen Nachteilen gehören allgemein (i) das Fehlen eines Rechts- 556 mittels (falls nicht ausdrücklich vereinbart); (ii) damit einhergehend die fehlende Möglichkeit von Grundsatzentscheidungen; (iii) je nach Streitwert ggf. höhere Kosten als im staatlichen Verfahren; und (iv) je nach Ausübung des Verfahrensermessens durch die Schiedsrichter bisweilen ein gewisser Vergleichsdruck.804) Speziell im Hinblick auf gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten dürften 557 üblicherweise die Vertraulichkeit und die Flexibilität des Verfahrens eine besondere Rolle spielen, wenn sich Parteien bzw. Gesellschaften für die Schiedsgerichtsbarkeit entscheiden.805) Die weiteren Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit, beispielsweise hinsichtlich der Qualifikation von Schiedsrichtern und der Möglichkeit der Auslandsvollstreckung, gelten natürlich auch hier. Ein möglicher Nachteil, die lange Zeit ungeklärte Frage der Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Beschlussmängelstreitigkeiten, hat sich mit dem grundlegenden Urteil des BGH in Sachen Schiedsfähigkeit II aus dem Jahr 2009 prinzipell geklärt,806) auch wenn nach wie vor Diskussionsbedarf zu einer Reihe von Einzelfragen besteht (Rn. 569 ff.). Praktisch besonders relevante Fallkonstellationen, in denen es im Zusam- 558 menhang mit gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten häufig zu Schiedsverfahren kommt, betreffen beispielsweise Einlagepflichten, die Informationserzwingung durch Gesellschafter, die Beeinflussung der Stimmrechtsausübung (einschließlich durch Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes), die Ausschließung von Gesellschaftern und die Einziehung von Geschäftsanteilen, Streitigkeiten über die Höhe der einem ausscheidenden Gesellschafter zustehenden Abfindung, Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Anteilsübertragungen (einschließlich Fragen der Gesellschafterliste bei der GmbH, §§ 16, 40 GmbHG), Entnahme-, Abfindungs- und Haftungsansprüche sowie Streitigkeiten über Mitwirkungs- und Sonderrechte. Bei den Personenhandelsgesellschaften kommen hinzu Entscheidungen über Anträge auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 117 HGB) und Vertretungsmacht (§ 127 HGB) von Gesellschaftern aus wichtigem Grund, über Anträge auf Auflösung der Gesellschaft (§§ 131 Abs. 1 Nr. 4, 133 HGB) und auf Ausschließung eines Gesellschafters (§ 140 HGB). Im GmbH-Recht gilt Gleiches. Auch dort gelten als schiedsfähig insbesondere Entscheidungen über Anträge auf ___________ 803) Kröll, SchiedsVZ 2009, 40, 41, 47; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 14; Redfern/Hunter, Rn. 11.42. 804) Dendorfer, SchiedsVZ 2009, 276, 281; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 4601 ff.; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 866; Horvath, SchiedsVZ 2005, 292, 296. 805) Wolff, NJW 2009, 2021; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 144. 806) BGH NJW 2009, 1962 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II.
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Auflösung der Gesellschaft (§§ 60 Abs. 1 Nr. 3, 61 GmbHG) und über Nichtigkeitsklagen (§ 75 GmbHG i. V. m. §§ 246 – 248 AktG).807) In jüngerer Zeit häufiger anzutreffen sind ferner Schiedsklagen zur Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen.808) 559 Allgemein ist anzumerken, dass in der Praxis Schiedsvereinbarungen für gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten vorzugsweise bei personalistisch geprägten Gesellschaften, beispielsweise in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der offenen Handelsgesellschaft (OHG), der Kommanditgesellschaft (KG) und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) anzutreffen sind. Besonders häufig – nicht zuletzt im Hinblick auf die Möglichkeit eines vertraulichen Verfahrens – sind Schiedsvereinbarungen in Konsortial- und Gesellschaftervereinbarungen sowie in JointVenture Verträgen.809) Bislang wenig verbreitet sind Schiedsvereinbarungen bei Publikumsgesellschaften; bei Aktiengesellschaften ist ohnehin streitig, ob Schiedsvereinbarungen angesichts des Grundsatzes der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) überhaupt zulässig sind (im Einzelnen Rn. 626 ff.). II. Schiedsvereinbarung 560 Beim Abschluss von Schiedsvereinbarungen für gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten sind zunächst die allgemein für Schiedsvereinbarungen geltenden Grundsätze zu beachten (nachfolgend 1., Rn. 561 ff.). Besonderheiten gelten für Schiedsverfahren zu Beschlussmängelstreitigkeiten (nachfolgend 2., Rn. 568 ff.). In praktischer Hinsicht kann – selbstverständlich vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalles – eine Reihe von Gestaltungsempfehlungen ausgesprochen werden (nachfolgend 3., Rn. 573 ff.) erläutert werden; weniger ist dabei oft mehr – less is more. 1. Allgemeine Grundsätze 561 Eine Schiedsvereinbarung ist nach der Legaldefinition in § 1029 Abs. 1 ZPO „eine Vereinbarung der Parteien, alle oder einzelne Streitigkeiten, die zwischen ihnen in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nichtvertraglicher Art entstanden sind oder künftig entstehen, der Entscheidung durch ein Schiedsgericht zu unterwerfen.“ Sie kommt in Form einer selbständigen Vereinbarung (Schiedsabrede) oder in Form einer Klausel in einem (Haupt)Vertrag (Schiedsklausel) vor (§ 1029 Abs. 2 ZPO). Entscheidend ist der Parteiwille, die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte zugunsten der abschließenden Entscheidung durch ein Schiedsgericht zu verdrängen (vgl. §§ 1026, 1055 ZPO). Dies unterscheidet die Schiedsvereinbarung von ___________ 807) Quinke, NZG 2015, 537, 541; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1030 Rn. 3. 808) Hierzu Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 245; Herresthal, ZIP 2014, 345 ff.; Leuering, NJW 2014, 657 ff.; Thümmel, in: Festschrift Geimer, 2002, S. 1331 ff.; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143 ff. 809) Quinke, NZG 2015, 537 ff.
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weiteren Formen nicht-staatlicher Streitbeilegung, wie beispielsweise Mediation,810) Schlichtung811) oder Schiedsgutachten,812) die ihrerseits ebenfalls einen festen Platz im Reigen der Konfliktlösungsmechanismen für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten haben. Nach deutschem Recht sind im Grundsatz sämtliche vermögensrechtlichen 562 Ansprüche schiedsfähig (§ 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Nichtvermögensrechtliche Ansprüche sind schiedsfähig, soweit sich die Parteien über den Gegenstand des Streites vergleichen können (§ 1030 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Deutschland folgt damit einem weit verstandenen Konzept der Schiedsfähigkeit. Ausgenommen sind lediglich Einzelfälle, die der Gesetzgeber aus besonderen Gründen des Sozialschutzes (z. B. Bestand von Wohnraummietverhältnissen, § 1030 Abs. 2 ZPO) oder aus sonstigen öffentlichen Interessen (z. B. Bestand von Patenten, § 65 BPatG) ausschließlich der staatlichen Gerichtsbarkeit vorbehält. Damit sind im Grundsatz sämtliche gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten schiedsfähig; zur Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Beschlussmängelstreitigkeiten vgl. gesondert Rn. 569 ff. Die für eine Schiedsvereinbarung erforderliche Form wird allgemein in 563 § 1031 ZPO geregelt, der zwischen Schiedsvereinbarungen zwischen Unternehmen (Abs. 1 – 4) und Schiedsvereinbarungen unter Beteiligung von Verbrauchern (Abs. 5; vgl. Legaldefinition in §§ 13, 14 BGB) unterscheidet. Im ersteren Fall reicht vereinfacht gesprochen jede Form der Schriftlichkeit, die „einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen“ kann (§ 1031 Abs. 1 ZPO), einschließlich per Email, Telefax oder kaufmännisches Bestätigungsschreiben.813) Bei Beteiligung von Verbrauchern ist, abgesehen von den Fällen notarieller Beurkundung, eine eigenhändig unterzeichnete Urkunde erforderlich, die „[a]ndere Vereinbarungen als solche, die sich auf das schiedsrichterliche Verfahren beziehen, … nicht enthalten“ darf.814) Bei Kapitalgesellschaften gilt für statutarische Schiedsklauseln § 1066 ZPO 564 mit der Folge, dass § 1031 ZPO keine Anwendung findet, und zwar auch ___________ 810) Aufgabe des Mediators ist es lediglich, den Parteien zu helfen, „freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts“ zu finden (§ 1 Abs. 1 MediationsG). Zu Einzelheiten vgl. Kapitel 3 E III 1. Rn. 1330 ff. 811) Die Rolle des Schlichters ist der des Mediators ähnlich; allerdings hat der Schlichter zusätzlich herkömmlich die Aufgabe, einen unverbindlichen Entscheidungsvorschlag (Schlichterspruch) zu unterbreiten. 812) Schiedsgutachterverfahren betreffen typischerweise ausgewählte Streitfragen aus einem streitigen Rechtsverhältnis. In gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen handelt es sich häufig um Bewertungsfragen oder Fragen der Anspruchshöhe bei Abfindungsstreitigkeiten. Zu Einzelheiten vgl. Kapitel 3 E III 2. a), Rn. 1360 ff. 813) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1031 Rn. 30, 35; Saenger/Saenger, ZPO, § 1031 Rn. 4 ff.; KG SchiedsVZ 2011, 285, 287. 814) Wobei es zulässig ist, die Schiedsvereinbarung innerhalb eines Dokumentes deutlich abgesetzt von anderen Vereinbarungen aufzunehmen; vgl. BGH NJW 1963, 203, 205; Saenger/Saenger, ZPO, § 1031 Rn. 13.
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dann nicht, wenn Verbraucher beteiligt sind.815) Umstritten ist, ob § 1066 ZPO auch für statutarische Schiedsklauseln in den Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften gilt.816) Obgleich gute Gründe für diese Ansicht sprechen, insbesondere die mittlerweile in weitaus stärkerem Umfang als früher anerkannte Rechtssubjektivität der Personengesellschaften, empfiehlt es sich in der Praxis, die Vorgaben des § 1031 ZPO weiterhin einzuhalten. Dies bedeutet bei Beteiligung von Verbrauchern, dass – abgesehen von Fällen notarieller Beurkundung – eine separate Schiedsabrede i. S. v. §§ 1031 Abs. 5, 1029 Abs. 2 Alt. 2 ZPO geschlossen werden sollte, auf die der Hauptvertrag, beispielsweise der Gesellschaftsvertrag, Bezug nimmt.817) Ob ein Verbraucher beteiligt ist, sollte stets dann näher geprüft werden, wenn natürliche Personen Gesellschafter bzw. Vertragsparteien sind. Entgegen einem möglichen laienhaften Verständnis betrachtet die Rechtsprechung bisweilen beispielsweise auch Vorstandsmitglieder einer AG und Geschäftsführer einer GmbH als Verbraucher.818) 565 Neben der Einhaltung der spezifisch schiedsverfahrensrechtlichen Formgebote des § 1031 ZPO kann die Frage auftreten, ob sich aus für den Hauptvertrag geltenden Formvorschriften zusätzliche Formerfordernisse für Schiedsvereinbarungen ergeben können. Dies ist indes entgegen immer wieder vertretenen anderslautenden Ansichten nicht der Fall. Schiedsvereinbarungen sind in ihrer Wirksamkeit vom Hauptvertrag getrennt zu betrachten (§ 1040 Abs. 1 Satz 2 ZPO, Trennungsgrundsatz). Daher ist es auch ohne weiteres möglich, in einem beurkundungsbedürftigen Vertrag (z. B. in einer GmbHSatzung) auf eine Schiedsordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung zu verweisen (dynamischer Verweis).819)
___________ 815) BGH NJW 2004, 2226 ff. = ZIP 2005, 46; BGH NJW 1963, 203, 204; Musielak/ Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1066 Rn. 7; Böttcher/Fischer, NZG 2011, 601, 602. 816) Dafür Habersack, SchiedsVZ 2003, 241 ff.; Heskamp, RNotZ 2012, 415, 417; K. Schmidt, BB 2001, 1857, 1862; dagegen BGH NJW 1980, 1049; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1066 Rn. 7; Saenger/Saenger, ZPO, § 1066 Rn. 8; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1066 Rn. 9; Ebbing, NZG 1999, 754, 755. 817) So auch Schwerdtfeger/Eberl/Eberl, Kap. 7 Rn. 34. 818) BGH NJW 2004, 3039 = ZIP 2004, 1647; OLG Hamm BeckRS 2007, 15564; Stein/ Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1031 Rn. 21; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1031 Rn. 9; zu Recht krit. hierzu Herresthal, ZIP 2014, 345 ff. 819) BGH NJW 2014, 3652, 3654 = ZIP 2014, 1852; BGH NJW 1978, 212. Aus der Lit. wie hier Böttcher/Fischer, NZG 2011, 601, 603 ff.; Hilgard/Haubner, BB 2014, 970 ff.; ferner etwa Broichmann/Matthäus, SchiedsVZ 2008, 274 ff.; Lachmann, SchiedsVZ 2003, 28, 33; Lachmann/Lachmann, BB 2000, 1633, 1636; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1031 Rn. 5; a. A. Kindler, NZG 2014, 961, 965 ff.; Heskamp, RNotZ 2012, 415, 426; Saenger/Saenger, ZPO, § 1031 Rn. 17a.
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Schiedsvereinbarungen sind ihrer Rechtsnatur nach materiellrechtliche Ver- 566 träge über prozessrechtliche Beziehungen.820) Als materiellrechtliche Verträge gelten für ihre Auslegung die allgemeinen Grundsätze der §§ 133, 157 BGB, insbesondere das Verbot der Buchstabeninterpretation und das Gebot der beiderseits interessengerechten Auslegung.821) Dies führt in aller Regel zu einer weiten Auslegung von Schiedsvereinbarungen,822) insbesondere was deren sachlichen Anwendungsbereich betrifft. Im Zweifel werden die Parteien eine umfassende Zuständigkeit des Schiedsgerichts für die dem Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung unterfallenden Streitigkeiten vereinbaren wollen. Abgrenzungsfragen und darauf bezogene (Zwischen-)Streitigkeiten dürften in aller Regel aus der Sicht vernünftig handelnder Parteien unerwünscht sein. Die persönliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen ist im Ausgangs- 567 punkt auf die Vertragsparteien begrenzt.823) Nach herrschender Meinung sind auch Gesamt- und Einzelrechtsnachfolger an eine Schiedsvereinbarung gebunden; denn sie erwerben das auf sie übergehende bzw. das ihnen übertragene Recht von vorneherein mit der Maßgabe, dass es im Wege eines Schiedsverfahrens durchzusetzen ist.824) Entsprechendes gilt für Verträge zugunsten Dritter825) und persönlich haftende Gesellschafter (wegen der Mithaftung gem. § 128 HGB).826) Ausgeschiedene Gesellschafter bleiben an eine einmal bestehende Schiedsvereinbarung gebunden.827) Wird nachträglich eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen bzw. nachträglich eine Schiedsklausel in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen, ist dies bei einstimmiger Zustimmung unproblematisch. Inwieweit dies durch Mehrheitsbeschluss möglich ist, richtet sich nach den insoweit geltenden allgemeinen Grundsätzen, ___________ 820) So die heute h. M. BGH NJW 1964, 591, 592; BGH NJW 1957, 589, 590; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1029 Rn. 3; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 266; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1029 Rn. 3; krit. hierzu MünchKommZPO/Münch, § 1029 Rn. 12 ff.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 37; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1029 Rn. 2; Saenger/Saenger, ZPO, § 1029 Rn. 1. 821) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1029 Rn. 105. 822) Statt vieler Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 472. 823) Zu den Konsequenzen für die Vertragsgestaltung namentlich in Joint Venture-Konstellationen ausführlich Quinke, NZG 2015, 537 ff. 824) Für Gesamtrechtsnachfolger Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 514; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 30; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1029 Rn. 85; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1029 Rn. 8; für Einzelrechtsnachfolger MünchKomm-ZPO/Münch, § 1029 Rn. 46; ferner Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 50. 825) Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 36. 826) Ganz h. M., vgl. BGH NJW-RR 1991, 423, 424; OLG Köln NJW 1961, 1312, 1313; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 35; MünchKomm-ZPO/Münch, § 1029 Rn. 51; Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 54; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1029 Rn. 75; a. A. allerdings beispielsweise Habersack, SchiedsVZ, 2003, 241, 246. 827) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 469; Heskamp, RNotZ 2012, 415, 420 ff.; Pörnbacher/ Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 52.
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d. h. maßgeblich danach, ob der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel enthält, die inhaltlich auch den Abschluss einer Schiedsvereinbarung deckt.828) Nach Aufgabe der sog. Kernbereichslehre durch den BGH829) stehen dem jedenfalls keine prinzipiellen Bedenken entgegen. Demgegenüber sind Organmitglieder einer juristischen Person nicht ohne weiteres an eine in der Satzung befindliche Schiedsklausel gebunden; vielmehr muss eine Schiedsvereinbarung gesondert abgeschlossen werden, beispielsweise im Rahmen des Dienstverhältnisses zwischen der Gesellschaft und dem Organmitglied.830) Eine – beispielsweise im französischen Recht verhältnismäßig großzügig angenommene – Erstreckung von Schiedsvereinbarungen auf Konzerngesellschaften ist dem deutschen Recht fremd, wenn die betroffene Konzerngesellschaft ihrerseits nicht Partei der Schiedsvereinbarung ist und auch sonst kein anerkannter Erstreckungstatbestand vorliegt.831) 2. Sonderfall Beschlussmängelstreitigkeiten 568 Nach heutigem Stand von Rechtsprechung und Lehre sind auch gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten schiedsfähig.832) Unter Beschlussmängelstreitigkeiten versteht man im Kapitalgesellschaftsrecht Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse (exemplarisch §§ 241 ff. AktG). Bei Kapitalgesellschaften sind diese gegen die Gesellschaft zu richten (§ 246 Abs. 2 Satz 1 AktG); ein die Nichtigkeit aussprechendes Urteil hat Gestaltungswirkung für und gegen alle Gesellschafter (erga omnes-Wirkung, § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG).833) Bei Personengesellschaften ist die Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen grundsätzlich durch Feststellungsklage gegen die übrigen Gesellschafter geltend zu machen;834) der Gesellschaftsvertrag kann indes vorsehen, dass auch bei Personengesellschaften die Klage gegen die Ge-
___________ 828) So zu Recht Habersack, SchiedsVZ, 2003, 241, 245 (für Personengesellschaften); ähnlich Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 46; anders die wohl bislang h. M., vgl. etwa MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 105 Rn. 125 (für Personengesellschaften); Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl., § 3 Rn. 43 (für die GmbH), jeweils m. w. N. 829) BGH NZG 2014, 1296 ff. = ZIP 2014, 2231; Schiffer, DB 2015, 584 ff.; krit. Priester, NZG 2015, 529. 830) Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144 ff. 831) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 510; Müller/Keilmann, SchiedsVZ 2007, 113, 118; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1029 Rn. 8; Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 57. 832) BGH NJW 2009, 1962 ff. = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II; aus der Fülle der Lit. vgl. exemplarisch nur Borris, SchiedsVZ 2009, 299 ff.; Hilbig, SchiedsVZ 2009, 247 ff.; Wolff, NJW 2009, 2021 ff.; Goette, GWR 2009, 103 ff.; Niemeyer/Häger, BB 2014, 1737 ff. 833) Grigoleit/Ehmann, AktG, § 248 Rn. 2; Entsprechendes gilt für die GmbH, vgl. Henssler/ Strohn/Drescher, § 248 AktG Rn. 2. 834) BGH NJW 1999, 3113 ff.; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 32.
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sellschaft zu richten ist und dass ein der Klage stattgebendes Urteil für und gegen alle Gesellschafter wirken soll.835) Wegen der erga omnes-Wirkung eines stattgebenden Urteils wurde die Schieds- 569 fähigkeit gesellschaftsrechtlicher Beschlussmängelstreitigkeiten in Deutschland über lange Zeit in Zweifel gezogen bzw. kritisch betrachtet, auch und gerade von der Rechtsprechung des BGH.836) Der Gesetzgeber hat sich der Frage im Zuge der Überarbeitung des deutschen Schiedsverfahrensrechts im Jahr 1998 bewusst nicht angenommen, sondern die Lösung weiterhin der Praxis überlassen.837) Der BGH griff diesen Gestaltungsauftrag im Jahr 2009 in einem viel beachteten, als Schiedsfähigkeit II bezeichneten Urteil auf und bejahte darin grundsätzlich die Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Beschlussmängelstreitigkeiten, stellte aber unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere im Hinblick auf das rechtliche Gehör der übrigen Gesellschafter, strenge Anforderungen an die Ausgestaltung und Wirksamkeit diesbezüglicher Schiedsvereinbarungen:838) x
Sämtliche Gesellschafter müssen der Schiedsvereinbarung zugestimmt haben (bzw. es muss ein nach allgemeinen Grundsätzen zulässiger Fall einer Mehrheitsentscheidung vorliegen).
x
Sämtliche Gesellschafter müssen über die Einleitung des Verfahrens informiert werden und die Möglichkeit erhalten, sich am Verfahren – beispielsweise im Wege der Nebenintervention – zu beteiligen.
x
Sämtliche Gesellschafter können an der Konstituierung des Schiedsgerichts mitwirken, wobei es zulässig ist, „Lager“ zu bilden, und innerhalb eines „Lagers“ eine Mehrheitsentscheidung bei der Benennung eines Schiedsrichters vorzusehen.
x
Sämtliche einen bestimmten Gesellschafterbeschluss betreffenden Beschlussmängel(schieds)klagen werden bei einem Schiedsgericht – beispielsweise qua Prioritätsprinzip – konzentriert.839)
Schiedsklauseln, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, sind nach An- 570 sicht des BGH wegen Verstoßes gegen rechtsstaatliche Mindestanforderungen nichtig.840) Altvereinbarungen müssen daher ggf. angepasst werden. Insoweit ___________ 835) BGH NZG 2013, 57, 58 = ZIP 2013, 68; MünchHdb. GesR Bd. 2/Jaletzke, § 66 Rn. 29; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 119 Rn. 32. 836) Exemplarisch insoweit BGH NJW 1996, 1753 ff. = ZIP 1996, 830 – Schiedsfähigkeit I. 837) BT-Drucks. 13/5274, S. 35 l. Sp. 838) BGH NJW 2009, 1962 ff. = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II. 839) Abgesehen von dem Erfordernis zu (iv) entsprechen diese Anforderungen weitgehend den seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts bestehenden Anforderungen der österreichischen Judikatur an die Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten nach österreichischem Recht; siehe OGH, 3.6.1050 – 2 Ob 276/50, 7 Ob 221/98w; OGH, 1.10.2008 – 6 Ob 170/08f. 840) BGH NJW 2009, 1962, Tz. 18 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II.
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kommt in Betracht, dass Gesellschafter kraft Treuepflicht gehalten sind, einer Anpassung zuzustimmen.841) Dies gilt allerdings nach Ansicht der Rechtsprechung nur vor Einleitung eines Beschlussmängelstreites. Im laufenden Verfahren ist eine Partei dagegen auch durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht nicht gehindert, sich auf die Unwirksamkeit einer den Anforderungen der Schiedsfähigkeit II-Rechtsprechung nicht genügenden Schiedsvereinbarung zu berufen.842) 571 Die DIS stellt seit 2009 Ergänzende Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS) zur Verfügung,843) auf die die Parteien in einer Schiedsvereinbarung Bezug nehmen können, wenn sie gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit zuweisen wollen. Die wesentlichen Vorteile einer Bezugnahme auf die DIS-ERGeS sind, dass (i) ein komplexes Regelwerk ausserhalb des Gesellschaftervertrages verlagert wird, was dessen Text entlastet, (ii) eine dynamische Verweisung möglich ist (auch bei beurkundungsbedürftigen Gesellschaftsverträgen, vgl. Rn. 565); (iii) die Parteien sich die Geschäftsstellenfunktion der Schiedsinstitution zunutze machen können;844) und (iv) bei einer „selbstgebauten“ Schiedsvereinbarung ein erheblich höheres Risiko besteht, die Anforderungen der Schiedsfähigkeit II-Rechtsprechung nicht in allen Punkten zu beachten, was die bereits erwähnte missliche Nichtigkeitsfolge nach sich zieht.845) 572 In praktischer Hinsicht sind bislang erst vergleichswese wenige Fälle zu verzeichnen, in denen die DIS-ERGeS zur Anwendung kommen; allerdings mag dies auch daran liegen, dass diese Regeln erst seit wenigen Jahren bestehen und es insoweit naturgemäß einige Zeit dauert, bis unter ihrer Geltung eine signifikante Anzahl von Streitfällen entsteht. 3. Gestaltungsempfehlungen – „less is more“ 573 Ganz allgemein ist es im deutschen Rechtskreis meist angeraten, eine kurze Schiedsvereinbarung zu entwerfen, die den Willen der Parteien klar zum Ausdruck bringt, bestimmte Streitigkeiten unter Ausschluss der staatlichen Gerichte abschließend durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen (§§ 1026, 1029 ZPO). Empfehlenswert ist ferner eine Festlegung der Anzahl der Schiedsrichter und des Schiedsortes. Erfolgt hinsichtlich der Zahl der Schiedsrichter keine Festlegung, sehen das Zehnte Buch der ZPO und die DIS-SchO drei Schiedsrichter als Auffanglösung vor (§ 1034 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 3 DISSchO), während Art. 12.2 ICC-SchO den Einzelschiedsrichter präferiert. In ___________ BGH NJW 2009, 1962, Tz. 39 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II. BGH NJW 2009, 1962, Tz. 38 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II. Abrufbar unter www.dis-arb.de. Borris, SchiedsVZ 2009, 299, 304; Schwedt, SchiedsVZ 2010, 166, 167; ebenfalls die DIS-ERGeS empfehlend Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 19 Rn. 201. 845) Zu Einzelheiten ausführlich und instruktiv Niemeyer/Häger, BB 2014, 1737 ff.
841) 842) 843) 844)
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F. Schiedsverfahren
gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten bietet sich häufig ein Dreierschiedsgericht an, um einen ausgewogenen Entscheidungskörper zu haben, in dem sich alle Seiten repräsentiert fühlen; anders mag es bei vergleichsweise geringen Streitwerten sein, wo die Kosten für die Vergütung von drei Schiedsrichtern unverhältnismäßig erscheinen können. Der Schiedsort sollte nicht etwa unter touristischen Gesichtspunkten ausge- 574 sucht werden; vielmehr bestimmt sich international nach dem Schiedsort das anwendbare nationale Schiedsrecht (lex arbitri, d. h. in Deutschland das Zehnte Buch der ZPO, vgl. § 1025 Abs. 1 ZPO) und innerhalb Deutschlands beispielsweise die gerichtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, soweit dieses zu gerichtlichen Handlungen im Zusammenhang mit einem Schiedsverfahren berufen ist (§ 1062 Abs. 1 ZPO, z. B. Schiedsrichterbestellung und –ablehnung, Anträge auf Aufhebung und Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen). Im Fall gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten dürfte in der Regel der Sitz der Gesellschaft ein geeigneter und präferierter Schiedsort sein. Bei Fällen mit Auslandsberührung sollten auch das anwendbare Recht (so- 575 weit der Parteidisposition zugänglich) und die Verfahrenssprache vereinbart werden. Gerade bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten ist zu beachten, dass das Gesellschaftsstatut in der Regel durch zwingendes Recht vorgegeben ist;846) hingegen sind beispielsweise schuldrechtliche Vereinbarungen der Gesellschafter untereinander regelmäßig der Rechtswahl zugänglich.847) Soweit die Parteien ein Ad-hoc-Schiedsverfahren durchführen wollen, soll- 576 ten diese Mindestinhalte ausreichen. Falls das Tätigwerden einer Schiedsinstitution gewünscht ist, muss diese – möglichst zutreffend und eindeutig – bezeichnet werden. Schiedsinstitutionen stellen üblicherweise Formulierungsvorschläge für Schiedsvereinbarungen zur Verfügung, und es empfiehlt sich regelmäßig, diesen Vorschlägen zu folgen, bzw. sie zumindest zum Ausgangspunkt für eigene Formulierungen zu nehmen. Die von der DIS vorgeschlagene Musterklausel lautet beispielsweise: „Alle Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder über seine Gültigkeit ergeben, werden nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges endgültig entschieden.“848)
Ferner empfiehlt die DIS die Regelung folgender Punkte, insbesondere bei 577 Auslandsberührung: „Der Ort des Schiedsverfahrens ist … Die Anzahl der Schiedsrichter beträgt …
___________ 846) Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1051 Rn. 7; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 261. 847) MünchKomm-BGB/Kindler, IntGesR Rn. 592. 848) DIS-Musterschiedsvereinbarung, DIS-Schiedsgerichtsordnung 1998, S. 1, abrufbar unter www.dis-arb.de.
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Teil 1 Gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation Die Sprache des Schiedsverfahrens ist … Das anwendbare materielle Recht ist …“849)
578 Eines dynamischen Verweises auf die Fassung der Schiedsordnung, die bei Einleitung des Schiedsverfahrens gilt, bedarf es in aller Regel nicht, da dies die meisten Schiedsordnungen ohnehin so vorsehen (exemplarisch § 1.2 DIS-SchO, Art. 6.1 ICC-SchO). Selbstredend können die Parteien in die Schiedsvereinbarung weitere Verfahrensregeln aufnehmen, beispielsweise zur Abfassung von Schriftsätzen, zur Art und Weise der Zustellung, zu Fristen, zur Gestaltung der Beweisaufnahme etc. Solche Vereinbarungen gehen dem ansonsten gegebenen Ermessen des Schiedsgerichts vor (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Vorsicht ist bei pauschaler Bezugnahme auf die ZPO geboten. Insoweit sollte klargestellt werden, ob lediglich das Zehnte Buch der ZPO gemeint ist (dann ist der Verweis an sich überflüssig) oder die gesamte ZPO (dann ist der Verweis zumindest interpretations- und präzisierungsbedürftig, da eine Reihe von ZPO-Vorschriften bei Vorliegen einer Schiedsvereinbarung gerade nicht gelten, z. B. die Vorschriften über das Mahnverfahren).850) Insgesamt ist von Pauschalverweisen auf die ZPO eher abzuraten. III. Konstituierung des Schiedsgerichts 579 Für die Konstituierung des Schiedsgerichts gelten auch im Fall gesellschaftsrechtlicher Binnenstreitigkeiten zunächst die allgemeinen Grundsätze (nachfolgend 1., Rn. 580 ff.), an deren Erörterung sich einige auf die vorliegend zu behandelnde Streitart bezogene Praxisempfehlungen anschließen (nachfolgend 2., Rn. 583 ff.). 1. Allgemeine Grundsätze 580 Die Konstituierungsschritte hängen zum einen wesentlich davon ab, ob ein Einzelschiedsrichter oder ein Dreierschiedsgericht zu bestellen ist, zum anderen von den diesbezüglichen Vereinbarungen der Parteien bzw. den einschlägigen Bestimmungen einer etwa gewählten Schiedsordnung. Beim Einzelschiedsrichter sieht § 1035 Abs. 3 ZPO beispielsweise vor, dass die Parteien zunächst einen Einigungsversuch zu unternehmen haben, bei dessen Scheitern jede Partei die Bestellung durch das zuständige OLG herbeiführen kann. Im Fall der DIS-SchO ist hierfür der DIS-Ernennungsausschuss zuständig (§ 14 DIS-SchO), bei der ICC der ICC-Schiedsgerichtshof (Art. 12.3 ICC-SchO). 581 Ist ein Dreierschiedsgericht zu besetzen, hat in der Regel zunächst der Schiedskläger einen Schiedsrichter zu benennen (§ 1035 Abs. 3 Satz 2 ZPO; häufig zusammen mit dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz, vgl. etwa § 6.2(5) ___________ 849) DIS-Musterschiedsvereinbarung, DIS-Schiedsgerichtsordnung 1998, S. 1, abrufbar unter www.dis-arb.de. 850) Hierzu Wolff, JuS 2008, 108, 110; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 16 Rn. 55.
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F. Schiedsverfahren
DIS-SchO, Art. 12.4 ICC-SchO), dann der Schiedsbeklagte (§ 1035 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 12.1 Satz 1 DIS-SchO, Art. 12.4 ICC-SchO). Die beiden parteibenannten Schiedsrichter haben sich dann auf den Vorsitzenden (Obmann) zu einigen (ggf. unter Rücksprache und in Abstimmung mit den Parteien).851) Gelingt dies nicht, wird der Obmann im Ad-hoc-Verfahren durch das zuständige OLG, in institutionellen Verfahren in der Regel durch die Schiedsinstitution bestellt (§ 1035 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2, Satz 3 ZPO, § 12.2 DISSchO). Abweichend davon bestimmt Art. 12.5 ICC-SchO, dass der Obmann grundsätzlich durch den ICC-Schiedsgerichtshof bestellt wird, es sei denn, die Parteien haben etwas Abweichendes (beispielsweise die Bestellung infolge Einigung der parteibenannten Schiedsrichter) vereinbart. Nimmt eine Partei die ihr obliegende Benennung eines Schiedsrichters nicht vor, erfolgt diese auf Antrag der anderen Partei durch das zuständige OLG (im Ad-hoc-Verfahren, § 1035 Abs. 3 Satz 3 ZPO) bzw. die Schiedsinstitution (§ 12.1 DISSchO, Art. 12.4 ICC-SchO). Schiedsrichter – egal ob Beisitzer oder Obmann – müssen unparteilich und 582 unabhängig sein. Wird jemandem ein Schiedsrichteramt angetragen, muss er oder sie von sich aus alle Umstände offenlegen, die Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können (§ 1036 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Liegen „berechtigte Zweifel“ an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit vor, kann eine Partei einen Schiedsrichter binnen zwei Wochen nach Kenntnis ablehnen (§ 1036 Abs. 2 i. V. m. § 1037 ZPO). Im gesellschaftsrechtlichen Kontext bedeutet dies beispielsweise insbesondere, dass Organmitglieder im Regelfall nicht Schiedsrichter in Verfahren sein können, an denen die Gesellschaft beteiligt ist. Ebenso wenig können Personengesellschafter zu Schiedsrichtern in Verfahren bestellt werden, an denen die Personengesellschaft beteiligt ist; bei Kapitalgesellschaften ist jedenfalls eine wirtschaftlich nicht unbedeutende Beteiligung ein Hinderungsgrund.852) Ansonsten gelten auch in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten die allgemeinen Grundsätze, so dass auf die einschlägigen Kommentierungen zu §§ 1036, 1037 ZPO verwiesen werden kann. Eine wertvolle praktische Hilfestellung zu immer wieder vorkommenden Konstellationen können die von der International Bar Association erarbeiteten – wenn auch nicht rechtsverbindlichen – Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration idFv. Oktober 2014 bieten.853) 2. Praxisempfehlungen Die Auswahl des Schiedsrichters bzw. der Schiedsrichter ist in der Praxis 583 nicht nur in gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren – jedenfalls in der Wahrnehmung der Beteiligten – ein Verfahrensschritt von höchster Bedeutung, auf den regelmäßig und zu Recht erhebliche Sorgfalt verwendet wird. ___________ 851) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 3383. 852) Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 63. 853) Abrufbar unter www.ibanet.org.
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584 Im ersten Schritt empfiehlt es sich, ein Anforderungsprofil für den zu benennenden Schiedsrichter zu erstellen, etwa im Hinblick auf erwünschte materiell-rechtliche Kenntnisse (z. B. im Gesellschaftsrecht), prozessuale Erfahrungen (z. B. mit den Regeln der einschlägigen Schiedsinstitution) und Branchen-Knowhow (etwa in dem Tätigkeitsfeld der Gesellschaft). Kandidaten sollten ferner mit der Verfahrenssprache und ggf. – bei Auseinanderfallen – auch mit der Sprache zugrunde liegender Dokumente vertraut sein. Wichtig sind weiterhin die zeitliche Verfügbarkeit und der Wille, die Aufgabe höchstpersönlicher Amtsführung ernst zu nehmen. 585 Im zweiten Schritt sollte eine Kandidatenliste erstellt werden, die eine Auswahl der nach dem Anforderungsprofil in Betracht kommenden Personen enthält und diese ggf. priorisiert. In die Erstellung der Kandidatenliste können die persönlichen Erfahrungen und Kenntnisse der Partei und ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Listen der Schiedsinstitutionen mit Schiedsrichterkandidaten, entsprechende Websites854) und „Mund-zu-Mund Propaganda“ einfließen. 586 Bei alledem ist es nicht zwingend, sich auf (Voll)Juristen zu beschränken, es sei denn die einschlägige Schiedsordnung oder eine Vereinbarung der Parteien zwingt dazu. Das Zehnte Buch der ZPO sieht keine zwingende juristische Qualifikation vor. Die DIS-SchO bestimmt in § 2.2 lediglich, dass ein Einzelschiedsrichter bzw. ein Schiedsobmann ein Jurist zu sein hat; dies kann auch ein ausländischer Jurist ohne Befähigung zum Richteramt im deutschrechtlichen Sinn sein.855) Bei der Auswahl eines Nichtjuristen ist allerdings zu beachten, dass dieser im Fall eines Dreierschiedsgerichts in Erörterungen mit den übrigen Schiedsrichtern zu prozessualen und materiellrechtlichen Fragen häufig wenig wird beitragen können. Innerhalb der juristischen Berufsgruppen kommen grundsätzlich alle Ausprägungen in Frage, insbesondere Rechtsanwälte, Richter, Hochschullehrer und Notare. Bei Richtern und Hochschullehrern ist auf die erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung zu achten.856) Bei aktiven Richtern kommt hinzu, dass diese regelmäßig nur als Einzelschiedsrichter oder Vorsitzende eines Dreierschiedsgerichts agieren können.857) 587 In einem dritten Schritt sollte der Kandidat der Wahl bzw. eine Auswahl von Kandidaten kontaktiert und zu seiner bzw. ihrer Verfügbarkeit befragt werden. Um einem Kandidaten die Prüfung seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, seiner Eignung und Verfügbarkeit für den angetragenen Fall zu ermöglichen, sind die Identität der Streitparteien und die Art des Streitgegen___________ 854) Beispiel: http://www.iaiparis.com/drm_result.asp. 855) Nedden/Herzberg/Wagner/Klich, § 2 DIS-SchO Rn. 21; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 487; Lachmann, SchiedsVZ 2003, 28, 32. 856) Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 9 Rn. 2; vgl. § 40 DRiG, § 99 BBG und die einschlägigen Vorschriften der Landesbeamtengesetze. 857) Vgl. § 40 Abs. 1 DRiG.
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standes (letzteres nur in groben Zügen) mitzuteilen.858) Inhaltliche Diskussionen zum Fall und zu den sich dabei stellenden tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen sind im eigenen Interesse der benennenden Partei zu unterlassen, um die Neutralität des Kandidaten nicht zu gefährden.859) Die erste Kontaktaufnahme kann telefonisch oder schriftlich (einschließlich Email) erfolgen. Ferner ist es legitim, dass sich eine Partei und/oder ihr Verfahrensbevollmächtigter mit einem Kandidaten zu einem persönlichen Kennenlernen treffen. Auch dabei haben inhaltliche Gespräche zum Fall zu unterbleiben. Ein Kennenlerntreffen sollte auf neutralem Boden oder in den Büroräumen des Kandidaten stattfinden und lediglich von kurzer Dauer sein.860) Im vierten Schritt erfolgt die Benennung des Kandidaten; ggf. schließen sich 588 weitere Verfahrensschritte an, wie beispielsweise die Annahme durch den Kandidaten und die Bestätigung durch die Schiedsinstitution (§§ 16, 17 DIS-SchO, Art. 13 ICC-SchO). IV. Durchführung des Schiedsverfahrens Die Durchführung des Schiedsverfahrens ist entscheidend von den Vereinba- 589 rungen der Parteien, im Übrigen davon abhängig, wie das Schiedsgericht das ihm eingeräumte weite Verfahrensermessen ausübt (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Gleichwohl können verallgemeinernd gewisse allgemeine Grundlagen festgehalten werden (nachfolgend 1., Rn. 590 f.). Zu den wesentlichen Verfahrensschritten in nahezu allen Schiedsverfahren zu gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten zählen die Schriftsätze der Parteien (nachfolgend 2., Rn. 592 ff.), das schiedsverfahrensrechtliche Beweisrecht (nachfolgend 3., Rn. 596 ff.) und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (nachfolgend 4., Rn. 607). 1. Grundlagen Das Zehnte Buch der ZPO enthält in den §§ 1042 ff. ZPO lediglich einen 590 allgemeinen Rahmen für die Durchführung des Schiedsverfahrens, der deutlich weniger detailliert ist als etwa die Bestimmungen der ZPO über das staatliche Gerichtsverfahren. Ähnliches gilt für die meisten Schiedsordnungen. Soweit die Parteien keine näheren Vereinbarungen getroffen haben, ist die Gestaltung des Verfahrens weitgehend dem Ermessen des Schiedsgerichts anheimgestellt (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO), das sich dabei von verschiedenen Überlegungen leiten lassen kann. So kann ein Schiedsgericht – auch in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten – beispielsweise eher einen nationalen, dem ___________ 858) So auch die Praxisempfehlung in den IBA Guidelines on Party Representation in International Arbitration vom 25.5.2013, dort insb. Ziff. 8 und die zugehörigen Erläuterungen (abrufbar unter www.ibanet.org). 859) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 825; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 517 ff.; Lörcher/Lörcher, SchiedsVZ 2005, 179, 186. 860) Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 518 – „etwa eine halbe Stunde“; Redfern/Hunter, Rn. 4.70 – „not more than half an hour“.
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staatlichen Gerichtsverfahren nachempfundenen Verfahrensstil wählen. Dies geschieht in der Praxis häufig, wenn die Parteien einen rein nationalen Hintergrund haben und/oder die Schiedsrichter stark durch Erfahrungen im staatlichen Gerichtsverfahren geprägt sind (etwa amtierende oder ehemalige staatliche Richter als Schiedsrichter). Ebenso gut kann das Schiedsgericht einen internationalen oder der anglo-amerikanischen Prozesspraxis angenäherten Verfahrensstil vorgeben, beispielsweise in puncto Urkundenvorlage (disclosure), Kreuzverhör von Zeugen oder Fokus auf parteibenannte Sachverständige. Diese Herangehensweise liegt nahe, wenn die Parteien unterschiedlichen Rechtskreisen angehören und zumindest eine Partei der anglo-amerikanischen Prozesstradition nahe steht. Auch ein „Stilmix“, der Elemente unterschiedlicher Prozesstraditionen aufgreift, ist denkbar. 591 Praktisch häufig werden Verfahrensgrundsätze in einer ersten prozessleitenden Verfügung des Schiedsgerichts niedergelegt (Procedural Order No. 1), die beispielsweise die Gestaltung und Zustellung von Schriftsätzen, einen Zeitplan für die bevorstehenden Verfahrensschritte, Grundsätze für die Beweiserhebung (z. B. Befragung durch das Schiedsgericht vs. Kreuzverhör durch die Verfahrensbevollmächtigten) und Ähnliches enthalten kann. Schiedsgerichte sind häufig bestrebt, solche verfahrensleitenden Verfügungen mit den Parteien abzustimmen. Sie sollten darauf bedacht sein, gleichwohl die Gestaltungshoheit hierüber zu behalten und nicht unbeabsichtigt in eine Vereinbarung der Parteien hineinzugleiten, die das Schiedsgericht nicht mehr einseitig ändern kann.861) 2. Schriftsätze der Parteien 592 Schriftsätze der Parteien spielen in gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren üblicherweise eine tragende Rolle bei der Verfahrensdurchführung. Das Zehnte Buch der ZPO verlangt – ebenso wie internationale Schiedsordnungen, beispielsweise der ICC – keine detaillierte Klagebegründung für die Einleitung eines Schiedsverfahrens (§ 1044 Satz 2 ZPO). Diese kann einem Schriftsatz unmittelbar nach Konstituierung des Schiedsgerichts vorbehalten bleiben. Demgegenüber lehnt sich die DIS-Schiedsordnung stärker an das Verfahren vor den deutschen staatlichen Gerichten an (§ 6 DIS-SchO). 593 Die Darlegungs- und Substantiierungsanforderungen, die für den staatlichen Gerichtsprozess gelten, finden im Schiedsverfahren im Ausgangspunkt keine Anwendung, es sei denn die Parteien hätten dies vereinbart oder das Schiedsgericht wollte dies kraft des ihm eingeräumten Verfahrensermessens fordern. Auch die sog. Relationstechnik ist ein Instrument, das im Schiedsverfahren nicht zwingend zur Anwendung kommt, wenngleich seine Beachtung gerade ___________ 861) Vgl. OLG Frankfurt/M. SchiedsVZ 2013, 49. Formulierungsvorschlag zum Vorbehalt des schiedsrichterlichen Verfahrensermessens bei Wagner/Bülau, SchiedsVZ 2013, 6.
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im Vergleich zu abweichenden internationalen Verfahrensstilen immer wieder zu Recht als vorteilhaft gepriesen wird.862) In gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren ist es daher häufig mehr als im 594 staatlichen Gerichtsverfahren der Strategie und Taktik der Parteien und ihrer Verfahrensbevollmächtigten überlassen, zu welchem Zeitpunkt mit welcher Spezifizität und mit welchen Beweisantritten vorgetragen und argumentiert wird. Parteien und ihre Vertreter, die Erfahrung in Schiedsverfahren haben, wissen diesen zusätzlichen Spielraum geschickt für sich zu nutzen. Zu beachten ist, dass Widerklagen und Aufrechnungen üblicherweise nur 595 insoweit in Betracht kommen, als der Gegenstand der Widerklage bzw. die zur Aufrechnung gestellte Forderung ebenfalls der Schiedsbindung unterliegen; andernfalls fehlt es insoweit an der Zuständigkeit des Schiedsgerichts.863) 3. Beweisrecht a) Allgemeine Grundsätze Das Verfahrensermessen des Schiedsgerichts erstreckt sich gem. § 1042 Abs. 4 596 Satz 2 ZPO ausdrücklich auch auf das Beweisrecht: „Das Schiedsgericht ist berechtigt, über die Zulässigkeit einer Beweiserhebung zu entscheiden, diese durchzuführen und das Ergebnis frei zu würdigen.”
Das Zehnte Buch der ZPO enthält im Übrigen nur sporadische Regelungen 597 zur Beweisaufnahme; § 1049 ZPO regelt den Sachverständigenbeweis, § 1050 ZPO die Aushilfe der Amtsgerichte bei der Beweisaufnahme. Das Beweisrecht des staatlichen Gerichtsverfahrens ist im Ausgangspunkt nicht anwendbar. Etwas anderes gilt, wenn die Parteien insoweit eine ausdrückliche Vereinbarung geschlossen haben. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich das Schiedsgericht bei der Ausübung seines Verfahrensermessens von den Regeln des staatlichen Beweisrechts inspirieren lässt. Gleichermaßen kann sich das Schiedsgericht aber auch von anderen Bestimmungen und Grundsätzen zur Beweisaufnahme leiten lassen, einschließlich Bestimmungen in internationalen Regelwerken, wie beispielsweise den IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration (IBA Rules).864) Das Schiedsgericht ist insbesondere nicht auf den herkömmlichen Kanon der Beweismittel des Strengbeweises im staatlichen Gerichtsverfahren beschränkt. Ebenso wenig begrenzt der im ___________ 862) Elsing, SchiedsVZ 2011, 114, 117; Semler, SchiedsVZ 2009, 149 ff.; Trappe, SchiedsVZ 2013, 167, 169. 863) Für Widerklagen siehe BT-Drucks. 13/5274, S. 49 l. Sp.; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 497, 1461; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1046 Rn. 6. Für die Aufrechnung siehe BT-Drucks. 13/5274, S. 49 l. Sp.; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 186; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 497; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1029 Rn. 61. a. A Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 3 Rn. 12. Abweichend Art. 21 Abs. 5 Swiss Rules, der auch die Aufrechnung mit schiedsvereinbarungsfremden Gegenforderungen zulässt. 864) Abrufbar unter www.ibanet.org.
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staatlichen Verfahren geltende Beibringungsgrundsatz die Befugnisse des Schiedsgerichts bei der Beweisaufnahme. Im Schiedsverfahren gilt insoweit stattdessen nach herrschender Auffassung der sog. beschränkte Untersuchungsgrundsatz.865) b) Dokumente 598 Zu den praktisch bedeutsamen Beweismitteln gehören im Schiedsverfahren – wie im staatlichen Gerichtsverfahren – Urkunden bzw. Dokumente (einschließlich elektronischer Dokumente). Zugang zu urkundlichen Beweismitteln kann in gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren auf zweierlei Art und Weise gesucht werden: einmal aufgrund Vorlageanordnung des Schiedsgerichts, zum anderen auf Grundlage materiell gesellschaftsrechtlicher Auskunfsansprüche (z. B. § 51a GmbHG). Die Vorlageanordnung ist, soweit keine Parteivereinbarung vorliegt, in das Ermessen des Schiedsgerichts gestellt, das sich dabei sowohl an den Grundsätzen des staatlichen Gerichtsverfahrens (insbesondere § 142 ZPO), aber auch an den großzügigen discovery- und disclosure-Standards des anglo-amerikanischen Rechtskreises orientieren kann. Ebenfalls denkbar sind Mittelwege und Kompromisslösungen, wie beispielsweise dergestalt, dass sich das Schiedsgericht insoweit von den IBA Rules leiten lässt, die in ihrem Art. 3 einen Brückenschlag zwischen den kontinentaleuropäischen und den anglo-amerikanischen Rechtstraditionen versuchen. Insbesondere gestatten sie Vorlageanträge nur, soweit Dokumente entweder individuell bezeichnet werden oder Dokumentenkategorien genannt werden, die „narrow and specific“ sind (Art. 3.3(a)(ii)); im Übrigen muss die Entscheidungserheblichkeit der herausverlangten Dokumente dargetan werden („relevant to the case and material to its outcome,“ Art. 3.3(b)). Häufig enthält die Erste Verfahrensleitende Verfügung (Procedural Order No. 1) Aussagen zu der Art und Weise, wie das Schiedsgericht sein diesbezügliches Ermessen auszuüben gedenkt. 599 In der Beweiswürdigung von Dokumenten ist das Schiedsgericht frei (§ 1042 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Die Beweisregeln des staatlichen Gerichtsverfahrens gelten nicht. Sie wären ohnehin häufig nicht einschlägig, da es sich zumeist um Privaturkunden handelt, und mit ihnen inhaltliche Fragen bewiesen werden sollen, nicht nur, wer Urheber des Dokumentes ist (vgl. § 416 ZPO). Bei der Würdigung von Dokumenteninhalten ist einerseits zu berücksichtigen, dass Dokumente häufig ein zuverlässigeres Zeugnis über Umstände aus ihrer Entstehungszeit ablegen können als dies beispielsweise wegen der Schwächen des menschlichen Erinnerungsvermögens beim Zeugenbeweis der Fall sein mag. Andererseits dürfen als Beweismittel herangezogene Dokumente nicht isoliert und aus dem Kontext gerissen betrachtet werden. Dieser Kontext kann ___________ 865) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1042 Rn. 108; Nedden/Herzberg/Stumpe/Haller, § 27 DIS-SchO Rn. 4; Quinke, SchiedsVZ 2013, 129, 132; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1281 ff.
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ein inhaltlicher Bezug zu anderen Umständen sein, die aus dem Dokument nicht ersichtlich sind. Auch mag der Verfasser des Dokumentes im Rahmen einer arbeitsteiligen bzw. hierarchischen Organisation nicht Einblick in den vollständigen Sachverhalt gehabt haben. Ferner kann der zeitliche Kontext ausschlaggebend sein, etwa dergestalt, dass sich die in dem Dokument wiedergegebenen Umstände später in entscheidungserheblicher Art und Weise geändert oder fortentwickelt haben. Häufig ergibt sich daher erst aus der Zusammenschau mehrerer Dokumente 600 oder von Dokumenten und Zeugen- bzw. Sachverständigenäußerungen ein belastbares und nachvollziehbares Beweisergebnis. Allein die Tatsache, dass jemand einen bestimmten Umstand zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer E-Mail oder eine Powerpoint-Präsentation – womöglich noch in „bulletpoint“-Format oder pointierter Formulierung – thematisiert hat, heißt noch nicht, dass es tatsächlich auch so war, dass der Urheber Begriffe so verwendet hat, wie sie der Beweisführer oder –gegner nunmehr verstehen, oder dass die Partei, aus deren Sphäre die E-Mail entstammt, in Bezug auf diesen Umstand schuldhaft (oder gar mit Vorsatz bzw. Arglist) gehandelt hätte. c) Zeugen Ebenso von hoher praktischer Bedeutung in den meisten gesellschaftsrecht- 601 lichen Schiedsverfahren sind Zeugen als Beweismittel. Das Zehnte Buch der ZPO enthält insoweit keine Vorgaben für den Zeugenbeweis vor dem Schiedsgericht. Die im staatlichen Verfahren wesentliche Unterscheidung zwischen Zeugenbeweis und Parteivernehmung existiert im Schiedsverfahren nicht (vgl. auch Art. 4.2 IBA Rules),866) was gerade bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten zu erheblichen Vereinfachungen führen kann, da Organmitglieder, Gesellschafter und Dritte gleichermaßen als Zeugen aussagen können. Da dem Schiedsgericht keine Zwangsbefugnisse zustehen, ist das Erscheinen 602 von Zeugen vor dem Schiedsgericht freiwillig.867) Das Schiedsgericht kann allerdings die Hilfe staatlicher Gerichte in Anspruch nehmen, die wiederum Zwangsmittel anwenden können (§ 1050 ZPO).868) Auch hat das Schiedsgericht keine Befugnis, Vereidigungen vorzunehmen.869) Erscheint ein Zeuge und tätigt er Aussagen, müssen diese gleichwohl zutreffend und vollständig sein;
___________ 866) Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 633, 719; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1490, 1511, 3895. 867) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1049 Rn. 52 ff.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 15 Rn. 13; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1493. 868) Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1050 Rn. 2. 869) BT-Drucks. 13/5274, S. 51 l. Sp.; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1050 Rn. 2; Saenger/Saenger, ZPO, § 1050 Rn. 1; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1621; Schwab/ Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 17 Rn. 1.
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andernfalls besteht das Risiko ernsthafter strafrechtlicher Konsequenzen (insbesondere möglicher Prozessbetrug, § 263 StGB).870) 603 Die Art und Weise der Vernehmung ist in das Ermessen des Schiedsgerichts gestellt. Es kann sich dabei an der herkömmlichen Herangehensweise im staatlichen Zivilverfahren orientieren, das geprägt ist von der richterlichen Befragung und der Schilderung der Wahrnehmungen des Zeugen im Zusammenhang (§§ 396, 397 ZPO). Ebenso denkbar ist ein mehr dem anglo-amerikanischen Rechtskreis entnommener Vernehmungsstil, bei dem zunächst der Parteivertreter der benennenden Partei die Erstbefragung (direct examination) und der Parteivertreter der Gegenpartei das Kreuzverhör (cross examination) vornimmt, und das Schiedsgericht lediglich ergänzende Fragen stellt. Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland haben gewöhnlich eine gewisse Zurückhaltung gegenüber aggressiven Kreuzverhörmethoden.871) 604 Üblich in Schiedsverfahren ist inzwischen, dass die direct examination ersetzt wird durch eine vorab gefertigte schriftliche Zeugenaussage (written witness statement), bei dessen Erstellung üblicherweise die Prozessbevollmächtigten der benennenden Partei mitwirken, und dessen Inhalt zu Beginn der Vernehmung durch den Zeugen mündlich bestätigt wird. Dabei ist sorgfältig darauf zu achten, dass ein Zeuge nur seine eigenen Wahrnehmungen – diese aber vollständig – wiedergibt, und keine unzulässige Beeinflussung des Zeugen stattfindet (zum Ganzen vgl. Art. 4 IBA Rules). 605 Gleiches gilt für eine etwaige Vorbereitung des Zeugen auf die Vernehmungssituation. Eine solche Vorbereitung ist legitim; es gibt keine Rechtsvorschriften, die dies verbieten.872) So ist es ohne weiteres zulässig, dass eine Partei oder ihr Verfahrensbevollmächtigter einen Zeugen befragt, um zu substantiiertem und wahrheitsgemäßem Schriftsatzvotrag in der Lage zu sein.873) Ebenso zulässig ist es, einem Zeugen zu erläutern, welche Bedeutung eine Vernehmung durch das Schiedsgericht hat und wie sie voraussichtlich ablaufen wird.874) Dabei dürfen auch die voraussichtlichen Fragen des Schiedsgerichts und der Gegenseite erörtert werden. Schließlich spricht nach zutreffender Ansicht auch nichts gegen eine formalisierte Probebefragung (mock trial), um dem Zeugen einen möglichst authentischen Eindruck von der für ihn üblicherweise ungewohnten Vernehmungssituation zu verschaffen, zumal wenn mit einem intensiven Kreuzverhör zu rechnen ist.875) Auch hier ist ___________ 870) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1049 Rn. 52. 871) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1049 Rn. 63. 872) Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1042 Rn. 23; Bertke/Schroeder, SchiedsVZ 2014, 80, 84 ff.; Schlosser, SchiedsVZ 2004, 225 ff. 873) Ullrich, NJW 2014, 1341, 1342 ff. 874) Ullrich, NJW 2014, 1341, 1345. 875) Bertke/Schroeder, SchiedsVZ 2014, 80, 81; Schlosser, SchiedsVZ 2004, 225, 220; zurückhaltend bzw. a. A. Redfern/Hunter, Rn. 6.211; 9.4 Code of Conduct des Bar Standards Board „you must not rehearse, practise with or coach a witness in respect of their evidence“.
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– wie bei schriftlichen Zeugenaussagen – darauf zu achten, dass der Zeuge ausschließlich eigene Wahrnehmungen zutreffend und vollständig wiedergibt und er nicht zu Antworten verleitet wird, die nicht der Wahrheit entsprechen. d) Sachverständige Ein drittes sehr wesentliches Beweismittel in Schiedsverfahren, namentlich 606 mit gesellschaftsrechtlichem Hintergrund, sind Sachverständigengutachten (§ 1049 ZPO). Im Schiedsverfahren sind sowohl Parteigutachten (vgl. § 1049 Abs. 2 Satz 2 ZPO, Art. 5 IBA Rules) als auch Gutachten schiedsgerichtlich bestellter Sachverständiger üblich (vgl. § 1049 Abs. 1 ZPO, Art. 6 IBA Rules). Dem Schiedsgericht steht insoweit Ermessen zu, ob es die Beweisfrage auf Grundlage eines battle of the experts der Parteigutachter entscheiden oder einen eigenen Sachverständigen bestellen will. In gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren werden Sachverständige häufig in Bewertungsfragen tätig, beispielsweise bei der Ermittlung von Anteilswerten oder Abfindungsbeträgen. Welche Bewertungsmethoden anzuwenden sind, richtet sich zunächst nach den gesellschaftsvertraglichen Vorgaben; in Ermangelung näherer Bestimmungen kommen die üblichen Methoden zur Anwendung. In Deutschland hat der Bewertungsstandard der Wirtschaftsprüfer (IDW S 1) auch in Schiedsverfahren eine hohe praktische Bedeutung; er stellt primär auf eine fundamentale Bewertung nach dem Ertragswert- bzw. Discounted Cash FlowVerfahren ab und zieht zur Plausibilisierung des Ergebnisses marktbasierte Methoden heran. 4. Mündliche Verhandlung § 1047 ZPO folgt dem Grundsatz der fakulativen mündlichen Verhandlung; 607 verlangt es allerdings eine Partei, muss eine mündliche Verhandlung „in einem geeigneten Abschnitt des Verfahrens“ durchgeführt werden (§ 1047 Abs. 1 Satz 2 ZPO).876) Im Übrigen kommt dem Schiedsgericht auch insoweit ein weites Gestaltungsermessen zu. Es kann beispielsweise das Verfahren so planen, dass es in einer umfassenden Hauptverhandlung erledigt wird; gleichermaßen ist es möglich, mehrere mündliche Verhandlungen anzusetzen, die jeweils bestimmten Themen des Verfahrens gewidmet sind (z. B. separate Verhandlungen zu Fragen der Zuständigkeit, des Haftungsgrundes und des Haftungsumfangs). Für gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren lässt sich insoweit keine einheitliche Praxis feststellen. Gleiches gilt für weitere Einzelheiten hinsichtlich der Durchführung von Verhandlungsterminen. Sehr zweckmäßig kann die Anfertigung eines Wortlautprotokolls durch einen professionellen Stenographen (court reporter) sein, insbesondere wenn ausführliche Zeugenbefragungen stattfinden. ___________ 876) Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1042 Rn. 4; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1047 Rn. 2.
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V. Schiedsspruch und andere Formen der Erledigung 608 Schiedsspruch (nachfolgend 1., Rn. 609 ff.) und Vergleich (nachfolgend 2., Rn. 612 ff.) bilden die praktisch häufigsten Erledigungsformen. In Abschnitt 3. (Rn. 615) werden weitere Möglichkeiten der Erledigung kurz erläutert, ehe sich Abschnitt 4. (Rn. 616) Fragen der Vollstreckbarkeit zuwendet. 1. Schiedsspruch 609 Die Erledigung des Schiedsverfahrens durch Schiedsspruch ist der gesetzlich vorgesehene Regelfall, § 1056 Abs. 1 Alt. 1 ZPO. „Der Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils,“ § 1055 ZPO. Der Schiedsspruch ist schriftlich zu erlassen, von den Schiedsrichtern zu unterzeichnen und im Regelfall zu begründen (§ 1054 Abs. 1 und 2 ZPO). Jeder Partei ist eine Ausfertigung des unterschriebenen Schiedsspruchs zu übersenden (§ 1054 Abs. 4 ZPO). 610 Das Schiedsgericht entscheidet üblicherweise durch Schiedsspruch auch darüber, wer die Kosten des Verfahrens zu welchen Anteilen zu tragen hat (§ 1057 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hierbei entscheidet das Schiedsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Ausgangs des Verfahrens (§ 1057 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dies entspricht im Grundsatz der Kostentragungsregel im staatlichen Verfahren (§ 91 ZPO), wenngleich dem Schiedsgericht ein weiteres Ermessen zukommt, wenn es von der rein erfolgsbezogenen Betrachtungsweise abweichen will, um beispielsweise prozessuales Fehlverhalten kostenseitig zu sanktionen.877) Steht die Höhe der Kosten fest, etwa weil sie von den Parteien in sog. cost submissions dargelegt wurden, hat das Schiedsgericht auch darüber zu entscheiden (§ 1057 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Andernfalls ist ein gesonderter Schiedsspruch (cost award) erforderlich (§ 1057 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Bei der Beurteilung der Frage, welche Kosten zur „zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig” (§ 1057 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind, steht dem Schiedsgericht naturgemäß ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Eine Bindung an Honorarsätze des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) besteht – anders als üblicherweise im staatlichen Gerichtsverfahren – nicht.878) Es ist daher nicht unüblich, dass Schiedsgerichte Anwaltshonorare auf Stundenbasis für erstattungsfähig befinden. 611 Gegen Schiedssprüche finden Rechtsmittel nicht statt, es sei denn, die Parteien hätten dies ausnahmsweise vereinbart; eine Partei kann lediglich die Aufhebung des Schiedsspruchs unter Darlegung der in § 1059 Abs. 2 ZPO enumerativ aufgeführten Gründe betreiben. Dies betrifft insbesondere Fälle ___________ 877) Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1057 Rn. 8; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 33 Rn. 13. 878) Risse/Altenkirch, SchiedsVZ 2012, 5, 9 ff.; Saenger/Saenger, ZPO, § 1057 Rn. 12.
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unwirksamer Schiedsvereinbarungen, entscheidungserheblicher Verstöße gegen das rechtliche Gehör und Verletzungen des ordre public.879) 2. Vergleich Schiedsverfahren im Allgemeinen und gesellschaftsrechtliche Schiedsverfah- 612 ren im Besonderen enden nicht selten durch Vergleich. Vergleichen sich die Parteien während des Schiedsverfahrens, beendet das Schiedsgericht das Verfahren durch Beschluss (§§ 1053 Abs. 1 Satz 1, 1056 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).880) Auf Antrag der Parteien hält das Schiedsgericht den Vergleich in der Form eines Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut fest, sofern der Inhalt des Vergleichs nicht gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstößt (§ 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO). In diesem Fall endet das Schiedsverfahren durch Schiedsspruch, § 1056 Abs. 1 ZPO.881) Das deutsche Schiedsverfahrensrecht enthält keine dem § 278 Abs. 1 ZPO 613 vergleichbare Bestimmung, d. h. es gibt kein ausdrückliches gesetzliches Mandat des Schiedsgerichts, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken.882) Die Parteien sind nicht gehindert, dem Schiedsgericht qua Parteivereinbarung ein solches Mandat ausdrücklich zu erteilen; vereinbaren die Parteien die DIS-Regeln, kommt deren § 32.1 zur Anwendung, der dem § 278 Abs. 1 ZPO nachgebildet ist. Im Übrigen ist das Schiedsgericht nicht gehindert, sich bei den Parteien zu erkundigen, ob Interesse an einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits – mit oder ohne Beteiligung des Schiedsgerichts – besteht. Wird das Schiedsgericht auf Wunsch sämtlicher Parteien in Bemühungen 614 zur gütlichen Beilegung einbezogen, ist darauf zu achten, dass dies nicht zum Verlust der Neutralität der Schiedsrichter führt. Die Schiedsrichter sollten insoweit eine ausdrückliche vorherige Erklärung sämtlicher Parteien einholen.883) Scheitern die Einigungsbemühungen, ist das Schiedsverfahren fortzusetzen. 3. Weitere Formen der Erledigung § 1056 Abs. 2 ZPO bestimmt als weitere, durch Beschluss des Schiedsgerichts 615 herbeizuführende Fälle der Erledigung (i) die nicht entschuldigte Säumnis des Schiedsklägers bei der Klagebegründung; (ii) die Rücknahme der Schiedsklage (es sei denn, der Schiedsbeklagte widerspricht und hat ein berechtigtes Interesse an einer streitigen Entscheidung durch Schiedsspruch); (iii) die Vereinbarung der Parteien über die Beendigung des Schiedsverfahrens (z. B. im ___________ 879) Wegen der Einzelheiten zu dieser nicht auf gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren beschränkten Thematik wird auf die einschlägigen Kommentierungen verwiesen. 880) Saenger/Saenger, ZPO, § 1053 Rn. 2; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1056 Rn. 5. 881) Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 37. Aufl., § 1053 Rn. 1. 882) Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 866; Nedden/Herzberg/Stumpe/ Haller, § 32 DIS-SchO Rn. 3. 883) Horvath, SchiedsVZ 2005, 292, 300.
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Fall eines Vergleichs, der nicht in Form eines Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut ergeht); (iv) das Nichtbetreiben des Verfahrens durch die Parteien; und (v) die Unmöglichkeit, das Verfahren fortzusetzen. 4. Vollstreckbarkeit 616 Hinsichtlich der Vollstreckung von Schiedssprüchen gelten zunächst die oben zu §§ 1060, 1061 ZPO gemachten Ausführungen (Rn. 553). In gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten tritt die Sonderfrage auf, inwieweit rechtsgestaltende Schiedssprüche (z. B. zur Nichtigerklärung von Gesellschafterbeschlüssen, zur Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis, zur Auflösung der Gesellschaft oder zur Ausschließung eines Gesellschafters) der Vollstreckbarerklärung bedürfen. Nach einer bereits älteren Entscheidung des mittlerweile aufgelösten BayObLG, der ein nicht unerheblicher Teil der Literatur folgt, soll dies erforderlich sein, damit die Gestaltungswirkung des Schiedsspruchs eintreten kann.884) Dies überzeugt nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen an sich nicht, da ein Gestaltungsurteil staatlicher Gerichte keiner Vollstreckung bedarf und der Schiedsspruch einem rechtskräftigen Gerichtsurteil gleichgestellt ist (§ 1055 ZPO).885) In praktischer Hinsicht kann es allerdings geraten sein, gleichwohl einen Gestaltungsschiedsspruch für vollstreckbar erklären zu lassen, insbesondere wenn in der Folge eine Handelsregistereintragung erforderlich ist und der Registerrichter sich an der o. g. Rechtsprechung orientieren sollte. VI. Einstweiliger Rechtsschutz 617 Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes spielen bisweilen eine für die praktische Rechtsdurchsetzung gerade im Bereich der gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten entscheidende Rolle.886) Aufgrund der mit einer gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung verbundenen Schaffung „vollendeter Tatsachen“ mag etwa ein Interesse einer Partei bestehen, zu verhindern, dass eine andere Partei ihr Stimmrecht in einer bestimmten Weise ausübt. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn zwischen den Parteien eine Stimmbindungsvereinbarung besteht und sich eine Partei über die bestehende schuldrechtliche Bindung hinwegzusetzen droht.887) In einem solchen Fall kann die vertragswidrige Stimmrechtsausübung im Wege einstweiliger Verfügung untersagt werden.888) Ähnliches gilt bei beabsichtigter Anteilsübertragung, die im Widerspruch zu einer Vinkulierungsklausel steht oder eine Vinkulierung umgehen soll.889) Auch bei der Abberufung von Organmitgliedern oder bei Unterlas___________ 884) BayObLG BB 1984, 746; dem folgend etwa Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, §§ 117 Rn. 8, 133 Rn. 19, 140 Rn. 22; MünchKomm-HGB/K. Schmidt, §§ 133 Rn. 58, 140 Rn. 83. 885) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1787; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1055 Rn. 3. 886) Ausführlich beispielsweise zum GmbH-Recht Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1 ff. 887) Hölters/Englisch, AktG, § 243 Rn. 106. 888) Henssler/Strohn/Hillmann, GmbHG § 47 Rn. 95; Hölters/Englisch, AktG, § 243 Rn. 106. 889) MünchKomm-GmbHG/Reichert/Weller, § 15 Rn. 376.
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sungsansprüchen aus Wettbewerbsverboten kann einstweiligem Rechtsschutz praktisch existenzielle Bedeutung zukommen.890) Eine wesentliche Weichenstellung stellt die Frage dar, ob die betroffene Partei 618 vor den staatlichen Gerichten oder vor dem Schiedsgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachsucht. Im Schiedsverfahren stehen einstweiliger Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte und durch das Schiedsgericht gleichberechtigt nebeneinander. Die Schiedsvereinbarung schließt die Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte für einstweiligen Rechtsschutz nicht aus (§ 1033 ZPO). Einstweiliger Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten bemisst sich nach den allgemeinen Vorschriften (Arrest, einstweilige Verfügung; §§ 916 ff., 935 ff. ZPO).891) Daneben ermächtigt § 1041 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Schiedsgericht, „auf Antrag einer Partei vorläufige oder sichernde Maßnahmen an[zu]ordnen, die es in Bezug auf den Streitgegenstand für erforderlich hält.“ Anordnungen des Schiedsgerichts müssen gem. § 1041 Abs. 2 ZPO durch das zuständige OLG (§ 1062 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) für vollziehbar erklärt werden, um vollstreckt werden zu können. In der Praxis fällt die Wahl häufig auf einstweiligen Rechtsschutz durch die 619 staatlichen Gerichte. Dies liegt zum einen daran, dass es einen erheblichen und unerwünschten Zeitverlust bedeuten kann, einstweilige Anordnungen des Schiedsgerichts erst durch das staatliche Gericht für vollziehbar erklären lassen zu müssen.892) Zum anderen setzt § 1041 ZPO voraus, dass das Schiedsgericht bereits konstituiert ist. In der Zeit davor steht faktisch nur das staatliche Gericht für einstweiligen Rechtsschutz zur Verfügung.893) Vor diesem Hintergrund sind Schiedsinstitutionen in den letzten Jahren verstärkt dazu übergegangen, das Institut des emergency arbitrators einzurichten, der bereits vor Konstituierung des Schiedsgerichts tätig werden kann. Exemplarisch steht hierfür Art. 29 ICCSchO.894) Das Vollstreckungsproblem verbleibt auch in diesen Fällen, abgesehen davon, dass das emergency arbitrator Verfahren häufig teurer sein wird als die Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte für einstweiligen Rechtsschutz. VII. Sonderprobleme Abschließend richtet sich der Blick auf eine Reihe von Sonderproblemen bei 620 gesellschaftsrechtlichen Schiedsverfahren. Dies betrifft zum einen Mehrparteienkonstellationen (dazu 1., Rn. 621 ff.), die Konsolidierung mehrerer Schiedsverfahren (dazu 2., Rn. 624 f.) und Schiedsverfahren bei Aktien- und Publikumsgesellschaften (dazu 3., Rn. 626 ff.). ___________ Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 4 ff. Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1033 Rn. 2. Wolff, JuS 2008, 108, 110. Ebenso Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 2 Rn. 67. 894) Hierzu Art. 29 und Appendix V ICC Rules, abrufbar unter www.iccwbo.org. 890) 891) 892) 893)
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1. Mehrparteienkonstellationen 621 Das Zehnte Buch der ZPO hat primär das Zweiparteienverfahren mit Schiedskläger und Schiedsbeklagtem vor Augen. Das schließt es nicht aus, dass auf Kläger- oder Beklagtenseite mehrere Parteien auftreten, soweit in Bezug auf alle Beteiligten Schiedsbindung vorliegt. Am Schiedsverfahren kann nämlich nur beteiligt sein, wer Partei der Schiedsvereinbarung ist oder auf den sich die Schiedsvereinbarung aus besonderen Gründen erstreckt.895) Gerade im gesellschaftsrechtlichen Kontext kann es häufig zu Mehrparteienkonstellationen kommen, beispielsweise wenn sich mehr als zwei Gesellschafter in einer Auseinandersetzung befinden. 622 Bei der Konstituierung des Schiedsgerichts ist im Fall eines Dreierschiedsgerichtes darauf zu achten, dass sämtliche Parteien in gleichberechtigter Weise an der Bildung des Schiedsgerichts mitwirken können. Hierzu bietet es sich an, die Beteiligten in „Lager“ einzuteilen, so dass jedes „Lager“ einen Schiedsrichter benennen kann. Die beiden von den jeweiligen „Lagern“ benannten Schiedsrichter bestimmen dann den Obmann.896) Kommt ein „Lager“ zu keiner Einigkeit, ist umstritten, wie weiter vorzugehen ist. Auf Grundlage der DutcoEntscheidung des französischen Cour de Cassation897) nimmt eine national und international stark vertretene Auffassung an, dass in einem solchen Fall das gesamte Schiedsgericht durch einen neutralen Dritten (Gericht bzw. Schiedsinstitution) zu bestimmen ist.898) 623 Die gängigen Schiedsordnungen adressieren Mehrparteienverfahren in unterschiedlicher Weise. § 13 DIS-SchO beschränkt sich auf den Hinweis, dass insoweit die Zuständigkeit des Schiedsgerichts gegeben ist und enthält darüber hinaus keine weitere Regelung. Demgegenüber befassen sich Art. 7 – 9 ICCSchO in der seit 2012 geltenden Fassung ausführlich mit der Beteiligung weiterer Parteien, mit Ansprüchen zwischen mehreren Parteien und mit Streitigkeiten, die aus mehreren Verträgen resultieren. 2. Konsolidierung mehrerer Schiedsverfahren 624 In der Praxis tritt nicht selten die Konstellation auf, dass gleichgelagerte oder miteinander im Zusammenhang stehende Fragestellungen zunächst in unterschiedlichen Schiedsverfahren anhängig gemacht werden. Im gesellschaftsrechtlichen Kontext mögen beispielsweise mehrere Gesellschafter einen Gesellschafterbeschluss in unterschiedlichen Schiedsverfahren angreifen. Dies wirft die Frage auf, ob zwei oder mehr solcher Schiedsverfahren zu einem ___________ 895) BGH BeckRS 2011, 05517 Tz. 14; MünchKomm-ZPO/Münch, § 1029 Rn. 44; Kreindler/ Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 171, 173. 896) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1035 Rn. 43; Saenger/Saenger, ZPO, § 1035 Rn. 11; Lörcher/Lörcher, SchiedsVZ 2005, 179, 185. 897) Cour de Cassation, Rev.arb 1992, 470. 898) Hierzu ausführlich und differenziert MünchKomm-ZPO/Münch, § 1035 Rn. 65 ff.
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F. Schiedsverfahren
Verfahren konsolidiert werden können. Das Zehnte Buch der ZPO enthält hierzu – ebenso wie die DIS-SchO – keine Regelungen. Eine Konsolidierung kommt deshalb – abgesehen von den Fällen allseitiger Zustimmung – allenfalls bei vollständiger Identität aller maßgeblichen Kriterien in Betracht, d. h. Bindung der Beteiligten aller Verfahren an dieselbe Schiedsvereinbarung und Personenidentität der angerufenen Schiedsgerichte.899) Die ICC-SchO sieht demgegenüber in ihrem Art. 10 gewisse Lockerungen 625 vor, die die Konsolidierung von zusammenhängenden Streitigkeiten erleichtern sollen. Art. 10 lit. c) ICC-SchO gestattet die Konsolidierung insbesondere auch, wenn zwar mehrere Schiedsvereinbarungen vorliegen, aber Parteiidentität gegeben ist, die Streitigkeiten aus demselben Rechtsverhältnis stammen und die Schiedsvereinbarungen „kompatibel“ (compatible) sind.900) Kompatibilität erfordert insbesondere dieselbe Anzahl an Schiedsrichtern, dieselbe Verfahrenssprache und denselben Schiedsort.901) 3. Aktien- und Publikumsgesellschaften Schiedsverfahren sind im Bereich der Aktien- und Publikumsgesellschaften 626 bislang wenig verbreitet.902) Im Aktienrecht ist nach wie vor umstritten, ob der Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) überhaupt statutarische Schiedsklauseln zulässt, wenngleich die besseren Gründe – entgegen der wohl noch herrschenden Meinung – für eine solche Sichtweise sprechen.903) Beachtung verdient insoweit eine neue gesetzgeberische Initiative in der 627 Schweiz. Dort soll ein neuer Art. 697I OR geschaffen werden, wonach die Satzung einer schweizerischen Aktiengesellschaft soll vorsehen können, dass (i) gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht beurteilt werden können (mit erga omnes Wirkung bei Gestaltungs- und Feststellungsklagen), und (ii) statutarische Schiedsklauseln gegenüber allen Aktionären, der Gesellschaft und den Organen verbindlich sind. Die Einführung einer solchen statutarischen Schiedsklausel soll mit qualifizierter Mehrheit möglich sein (neuer Art. 704 I 13 OR).904) ___________ 899) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1029 Rn. 62. 900) Nedden/Herzberg/Schmidt-Ahrendts/Nedden, Art. 10 ICC-SchO Rn. 9 ff., Fry/ Greenberg/Mazza, Secretaries Guide to ICC, Rn. 3-357. 901) Nedden/Herzberg/Schmidt-Ahrendts/Nedden, Art. 10 ICC-SchO Rn. 23; Nedden/ Herzberg/Bassiri, Art. 6 ICC-SchO Rn. 126. 902) Borris, NZG 2010, 481, 482, 486; Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 8 Rn. 401. 903) So etwa auch Borris, NZG 2010, 481, 483; Habersack, JZ 2009, 797, 799; Hölters/ Hölters, AktG, § 93 Rn. 345; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 147; dagegen etwa Grigoleit/ Ehmann, AktG, § 246 Rn. 27 m. w. N.; Schmidt, BB 2001, 1857, 1860; Heskamp, RNotZ 2012, 415, 424; offenlassend Pörnbacher/Baur, in: Mehrbrey, Hdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 8 Rn. 397. 904) Vgl. hierzu Vernehmlassung zu Art. 697I OR der Swiss Chambers Arbitration Institution, abrufbar unter: https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/wirtschaft/gesetzgebung/ aktienrechtsrevision14/stgn-weitere-verbaende-3.pdf.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis, einschließlich Kapitalmarkthaftung und D & O-Versicherung A. Organstellung und Dienstverhältnis I. Grundlegung 1. Unterscheidung zwischen Organstellung und Dienstverhältnis Georg Annuß
Die durch Bestellung zum GmbH-Geschäftsführer oder AG-Vorstand be- 628 gründete organschaftliche Beziehung zur Gesellschaft ist von dem ggf. – und bei Fremdorganen typischerweise – daneben stehenden, durch den Anstellungsvertrag begründeten Anstellungsverhältnis (sog. Trennungstheorie)905) zu unterscheiden. In der Praxis ist der Bestand des Anstellungsverhältnisses allerdings vielfach durch eine sog. Koppelungsklausel an die Organstellung geknüpft.906) Auch wenn § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG für Anstellungsverträge von AG-Vor- 629 ständen verschiedene Vorgaben macht, heißt das nicht – Gleiches gilt bei GmbH-Geschäftsführern –, dass die Organstellung stets durch ein Anstellungsverhältnis mit der Gesellschaft begleitet sein muss. So kann die Organstellung auch unentgeltlich oder aufgrund eines mit einem Dritten bestehenden Anstellungsverhältnisses (sog. „Drittanstellung“) wahrgenommen werden. In der juristischen Literatur ist die Zulässigkeit von Drittanstellungen bei AGVorständen seit langem umstritten. Während Drittanstellungen von verschiedenen Autoren für unzulässig gehalten werden,907) haben andere zumindest bei Drittanstellungen innerhalb von Konzernbeziehungen908) oder generell909) keine rechtlichen Bedenken. Auch der BGH scheint eine Drittanstellung generell für zulässig zu halten,910) wenngleich er sich bislang nicht abschließend zu dieser Frage geäußert hat. Tatsächlich sind die gegen eine Drittanstellung erhobenen Bedenken nicht geeignet, ihre rechtliche Unzulässigkeit zu begründen. Von jedem Vorstandsmitglied ist zu verlangen, dass es seinen Organpflichten nachkommt und deren Anforderungen auch in einem Geflecht ___________ 905) Siehe nur Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 84 Rn. 7. 906) Siehe dazu unten Rn. 653 ff. 907) MünchKomm-AktG/Spindler, § 84 Rn. 76; Hölters/Weber, AktG, § 84 Rn. 41; KKAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 84 Rn. 56. 908) Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 17; Grigoleit/Vedder, AktG, § 84 Rn. 21; beschränkt auf Fälle eines Beherrschungsvertrages so auch GroßKommAktG/Kort, § 84 Rn. 329; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201; inzwischen auch Bürgers/Körber/Bürgers/ Israel, AktG, § 84 Rn. 20. 909) Wachter/Eckert, AktG, § 84 Rn. 20; Schmidt/Lutter/Seibt, AktG, § 84 Rn. 26; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, Rn. 439; Vetter, NZG 2015, 889; Arnold, DB 2015, 1650. 910) BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220, dazu EWiR 2015, 469 (Theusinger/Schilha).
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
unterschiedlicher Interessen genügt, gleichgültig welche rechtlichen Bindungen das Vorstandsmitglied im Übrigen eingegangen ist. 2. Das Organmitglied als Arbeitnehmer/Verbraucher 630 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und des BGH sind auch Fremdgeschäftsführer einer GmbH und Fremdvorstände einer AG im Rahmen des neben der Organstellung bestehenden Dienstverhältnisses keine Arbeitnehmer.911) Für Fremdgeschäftsführer einer GmbH war dies allerdings bereits seit langem umstritten,912) und diese Diskussion wurde durch die Danosa-Entscheidung des EuGH wesentlich belebt.913) Danach ist als Arbeitnehmerin im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG (Mutterschutzrichtlinie) anzusehen das Organmitglied einer Kapitalgesellschaft, „wenn es seine Tätigkeit für eine bestimmte Zeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt erhält“.914) Die Bedeutung dieser Entscheidung ist im Einzelnen unklar, zumal der Arbeitnehmerbegriff im Europäischen Recht nicht einheitlich bestimmt wird.915) Ihr dürfte allerdings zu entnehmen sein, dass grundsätzlich sowohl GmbH-Geschäftsführer als auch AG-Vorstände zu den Arbeitnehmern im Sinne des europäischen Rechts gehören, soweit der Schutzzweck des jeweiligen europäischen Rechtsaktes eine europaweit einheitliche Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs gebietet.916) Sie werden daher insbesondere von § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG erfasst, so dass es insoweit des speziellen § 6 Abs. 3 AGG nicht bedarf.917) 631 Nach mittlerweile gefestigter Praxis sind sowohl der GmbH-Geschäftsführer918) als auch der AG-Vorstand919) Verbraucher i. S. d. § 13 BGB.920) Für die Anstellungsverträge ist deshalb auch § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu beachten, wonach insbesondere die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB sowie die materiellen Bestimmungen über die Klauselkontrolle auf von der ___________ 911) Für den Fremdgeschäftsführer: BGH, 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435; BGH, v. 25.7.2002 – III ZR 207/01, ZIP 2002, 1593; BAG, v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405; BAG, v. 18.12.1996 – 5 AZB 25/96, NJW 1997, 1722; für Fremdvorstände: BGH, v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, NJW 1962, 340. 912) Vgl. nur Kort, NZG 2013, 601, 603; Schulze/Hintzen, ArbR 2012, 263. 913) EuGH, v. 11.11.2010 – C-232/09, ZIP 2010, 2414 – Danosa. 914) EuGH, v. 11.11.2010 – C-232/09, ZIP 2010, 2414 – Danosa. 915) Vgl. dazu nur Junker, EuZA 2016, 184 ff.; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe im Europäischen Arbeitsrecht, 2011. 916) Vgl. EuGH 9.7.2015 – C-229/14 – Balkaya. 917) Offengelassen BGH, v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291; wie hier Ziemons, KSzW 2013, 19 ff.; dagegen Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 923; Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; Krause, AG 2007, 392, 394. 918) So BAG, v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, ZIP 2010, 1816. 919) OLG Hamm, v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, MDR 2007, 1438. 920) Kritisch insoweit bereits zu Arbeitnehmern Annuß, NJW 2002, 2844.
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A. Organstellung und Dienstverhältnis
Gesellschaft vorformulierte Vertragsbedingungen selbst dann Anwendung finden, wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Geschäftsführer oder Vorstand auf ihren Inhalt aufgrund der Vorformulierung keinen Einfluss nehmen konnte. 3. Rechtsweg für Geschäftsführer-/Vorstands-Streitigkeiten Für Streitigkeiten zwischen einem Geschäftsführer oder Vorstand und der 632 Gesellschaft ist grundsätzlich der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bestimmt, dass nicht als Arbeitnehmer i. S. d. ArbGG gilt, wer kraft Gesetzes allein oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person berufen ist. Besteht allerdings das Dienstverhältnis mit einem Dritten in der Gestalt eines Arbeitsverhältnisses (typisches Beispiel dafür bildet ein mit der Konzernmutter bestehendes Arbeitsverhältnis, in dessen Rahmen der Arbeitnehmer als Organ einer Tochtergesellschaft tätig ist), so ist für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Darüber hinaus ermöglicht § 2 Abs. 4 ArbGG, durch Vereinbarung auch 633 Streitigkeiten insbesondere zwischen Geschäftsführern oder Vorstandsmitgliedern und ihrer jeweiligen Gesellschaft vor die Arbeitsgerichte zu bringen. Entgegen dem zu weiten Wortlaut erfasst § 2 Abs. 4 ArbGG jedoch nicht Streitigkeiten aus der Organstellung, sondern nur solche, die im Anstellungsvertrag wurzeln.921) Mangels Einschlägigkeit von § 2 Abs. 3 ArbGG scheidet in diesen Fällen auch eine Entscheidung des Arbeitsgerichts über die organschaftlichen Streitigkeiten im Wege der Zusammenhangsklage aus.922) Die Vereinbarung des Arbeitsrechtsweges für Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis gem. § 2 Abs. 4 ArbGG ist in der Praxis wenig sinnvoll, weil dadurch in vielen Fällen einheitliche Lebenssachverhalte prozessual gespalten würden. Zwar mag aus Sicht der Gesellschaften der Ausschluss des Urkundenprozesses im arbeitsgerichtlichen Verfahren (§ 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG) vorteilhaft sein, doch braucht dafür nicht der Arbeitsrechtsweg vereinbart zu werden. Vielmehr kann auch bei Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit der Urkundenprozess im Anstellungsvertrag ohne Weiteres ausgeschlossen werden.923) II. Die Organstellung Die Organstellung von AG-Vorständen und GmbH-Geschäftsführern ist 634 unterschiedlich ausgestaltet, was insbesondere darin begründet liegt, dass der Vorstand einer AG gem. § 76 AktG „unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten [hat]“ und damit – abgesehen von den in §§ 308 ff. AktG geregelten besonderen Konstellationen – gegenüber anderen Gesellschafts___________ 921) Germelmann/Mathes/Prütting/Schlewing, ArbGG, § 2 Rn. 131. 922) Ebenso wohl Germelmann/Mathes/Prütting/Schlewing, ArbGG, § 2 Rn. 136. 923) Vgl. dazu näher unten Rn. 672 f.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
organen oder außenstehenden Dritten nicht weisungsgebunden ist, während GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich vollumfänglich der Weisungsmacht der Gesellschafterversammlung unterstehen. 1. Vorstandsmitglieder einer AG 635 Die Organstellung des Vorstandsmitglieds einer AG wird – abgesehen von der seltenen gerichtlichen Bestellung (§ 85 AktG) – durch Beschluss des Aufsichtsrats, Zugang der Bestellungserklärung beim Vorstandsmitglied und dessen Annahme der Bestellung begründet. Sie hat befristet für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren zu erfolgen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG). Ist die Bestellung wirksam erfolgt, so kann sie von der Gesellschaft einseitig nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes widerrufen werden (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Der Aufsichtsrat kann die Entscheidung über die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern nicht auf einen Ausschuss übertragen (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). 636 Soweit Streit über die Wirksamkeit der Abberufung entsteht, ist wesentlich, dass der Widerruf der Vorstandsbestellung gem. § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG wirksam ist, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. Allerdings betrifft diese Bestimmung nur Fragen der materiellen Wirksamkeit, während die Unwirksamkeit wegen formaler Rechtswidrigkeit jederzeit geltend gemacht werden kann; hierzu gehört die formale Fehlerhaftigkeit des Abberufungsbeschlusses ebenso wie eine wirksame Zurückweisung der Abberufungserklärung nach § 174 BGB. 637 Für die Praxis ergibt sich daraus, dass ein Vorstandsmitglied nur dann mit einer einstweiligen Verfügung (das Hauptsacheverfahren ist meist schon wegen seiner Dauer ohne praktische Bedeutung) gegen seine Abberufung vorgehen kann, wenn sie mit einem formalen Mangel behaftet ist. Auch wenn dies dem Vorstandsmitglied nur einen Zwischenerfolg ermöglicht, weil der formwirksame Abberufungsbeschluss jederzeit nachholbar ist – insbesondere unterliegt die Abberufung aus wichtigem Grund keiner Fristbindung entsprechend § 626 Abs. 2 BGB –, kann die Gesellschaft dadurch in den Verhandlungen über eine Beendigung des Anstellungsvertrags beträchtlich unter Druck geraten. Die Gesellschaft kann einen solchen Angriff allerdings im Einzelfall durch den Nachweis eines Wirksamkeitsmangels des Bestellungsbeschlusses und das darauf gestützte Argument kontern, dass eine Vorstandsbestellung zu keinem Zeitpunkt vorgelegen hat. 638 Umstritten ist, ob ein Vorstandsmitglied durch Beschluss des Aufsichtsrats ohne Abberufung suspendiert werden kann. Während eine einseitige Suspendierung gegen den Willen des Vorstandsmitglieds teilweise bereits dann für zulässig gehalten wird, wenn ein „billigenswerter Grund“ dafür besteht,924) halten andere einen Suspendierungsbeschluss nur bei Vorliegen eines wichti___________ 924) MünchHdb GesR Bd. 4/Wiesner, § 20 Rn. 73.
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A. Organstellung und Dienstverhältnis
gen Grundes i. S. d. § 84 Abs. 3 AktG für zulässig.925) Viel spricht dafür, dass die Suspendierung eines Vorstandsmitglieds gegen seinen Willen generell unzulässig ist, weil darin in der Sache ein dem Aufsichtsrat nicht gestatteter Eingriff in die Geschäftsführung des Vorstands liegt. Ist das Vorstandsmitglied mit seiner Beurlaubung nicht einverstanden, dürfte es daher wohl nur durch Abberufung seiner Aufgaben enthoben werden können. 2. Geschäftsführer einer GmbH Die Organstellung eines GmbH-Geschäftsführers wird gem. § 46 Nr. 5 639 GmbHG durch Beschluss der Gesellschafterversammlung – regelmäßig für unbestimmte Dauer – begründet. Ist die GmbH allerdings paritätisch mitbestimmt, so ist § 31 MitbestG zu beachten. Gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 MitbestG richten sich bei einer paritätisch mitbestimmten GmbH die Bestellung der Geschäftsführer und ihr Widerruf nach den §§ 84, 85 AktG. Die Bestellung fällt daher insoweit – ebenso wie ihr Widerruf – in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats und darf nur für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren erfolgen. Auch wenn es dem Wortlaut des § 31 MitbestG nicht zu entnehmen ist, soll in paritätisch mitbestimmten GmbHs der Aufsichtsrat nicht nur für Begründung und Widerruf der Organstellung, sondern auch für den Abschluss und die Beendigung des Anstellungsvertrags zuständig sein.926) Soweit es sich nicht um eine nach dem MitbestG mitbestimmte GmbH han- 640 delt (vgl. § 31 MitbestG), können Geschäftsführer einer GmbH gem. § 38 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich – bis an die Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit und zwingenden Gesetzesrechts (beispielsweise § 6 AGG)927) – jederzeit ohne Vorliegen von Gründen abberufen werden. Ist im Anstellungsvertrag nichts weiter geregelt, so ist die grundlose Abberufung nach Ansicht des BGH nicht vertragswidrig und kann folglich keine Schadensersatzpflicht der Gesellschaft auslösen.928) Allerdings kann sich die Unwirksamkeit der Abberufung aus formalen Mängeln der Beschlussfassung ergeben.929) In der Satzung kann vorgesehen werden, dass die Abberufung eines Geschäfts- 641 führers nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig ist (§ 38 Abs. 2 GmbHG). Eine entsprechende Begrenzung der Abberufungsbefugnis ist hingegen durch Vereinbarung im Anstellungsvertrag nicht wirksam möglich. Beschränkt der Anstellungsvertrag die Zulässigkeit der Abberufung auf das Vorliegen wichtiger Gründe, ohne dass dies eine Grundlage in der Satzung
___________ 925) 926) 927) 928) 929)
LG München I, v. 27.6.1985 – 5 HKO 9397/85. BGH, v. 21.1.1990 – II ZR 144/90, NJW 1991, 1727. Vgl. dazu abl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 38 Rn. 6a. BGH, v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, ZIP 2003, 28. MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves, § 38 Rn. 133.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
hat, so kann der Geschäftsführer dennoch – unter Verletzung des Anstellungsvertrags930) – jederzeit abberufen werden. 642 Ist die Abberufung des Geschäftsführers in der Satzung auf das Vorliegen wichtiger Gründe beschränkt und fehlt ein wichtiger Grund, so kann der Geschäftsführer entsprechend § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG die materielle Unwirksamkeit der Abberufung nicht unmittelbar selbst geltend machen, soweit nicht einer der seltenen Fälle der Nichtigkeit vorliegt. Sofern der Abberufungsbeschluss nicht wirksam angefochten wird, gilt er gegenüber dem Geschäftsführer auch bei Fehlen der für ihn geforderten materiellen Voraussetzungen als wirksam.931) 643 Hat die GmbH nur einen Gesellschafter, so braucht vor der Abberufungserklärung kein gesonderter Gesellschafterbeschluss gefasst zu werden. Vielmehr liegt in seiner Abberufungserklärung gleichzeitig der Gesellschafterbeschluss, der sodann gem. § 48 Abs. 3 GmbHG zu protokollieren ist.932) III. Der Anstellungsvertrag 1. Zustandekommen 644 Der Anstellungsvertrag mit einem Vorstandsmitglied oder einem GmbH-Geschäftsführer unterliegt grundsätzlich keinen besonderen Formvorschriften.933) 645 Der Anstellungsvertrag mit einem GmbH-Geschäftsführer kann befristet oder – soweit die Gesellschaft nicht nach dem MitbestG mitbestimmt ist – unbefristet abgeschlossen werden. 646 Hingegen kann der Anstellungsvertrag mit einem AG-Vorstand wegen § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG nur befristet abgeschlossen werden, und zwar maximal für einen Zeitraum von fünf Jahren. Fehlt eine ausdrückliche Befristung des Vorstandsanstellungsvertrags, so wird sich regelmäßig durch Auslegung ergeben, dass er für die Dauer der Bestellungsperiode befristet abgeschlossen wurde.934) Lässt sich durch Auslegung allerdings kein eindeutiges Ergebnis gewinnen, so ist der Vertrag nichtig.935) Möglich ist eine Fortsetzungsklausel, wonach der Anstellungsvertrag sich automatisch um die Dauer einer erneuten Vorstandsbestellung zu unveränderten Bedingungen verlängert (§ 84 ___________ 930) 931) 932) 933)
Vgl. dazu BAG, v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, NZA 2002, 1323. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 38 Rn. 67. BGH, v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750. Vgl. allerdings beispielsweise die – hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zweifelhaften – Schriftformerfordernisse in § 10 Abs. 4 Satz 2 InstitutsVergV oder § 3 Abs. 3 Satz 2 VersVergV (a. F.). 934) Siehe nur MünchKomm-AktG/Spindler, § 84 Rn. 80. 935) Bedenklich demgegenüber die Auffassung, wonach „im Zweifel“ davon auszugehen sei, dass ein Gleichlauf von Bestellung und Anstellungsvertrag gewollt sei; so etwa Wachter/ Eckert, AktG, § 84 Rn. 22; bedenklich insoweit auch BAG, v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08, ZIP 2009, 2073.
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A. Organstellung und Dienstverhältnis
Abs. 1 Satz 5 AktG). Nicht wirksam ist hingegen eine Regelung, wonach der Anstellungsvertrag sich nach Ablauf der Befristung unabhängig von einer erneuten Vorstandsbestellung um einen bestimmten Zeitraum verlängern soll, sofern nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt eine Nichtverlängerungsmitteilung erfolgt.936) Nichtig ist regelmäßig auch eine Bestimmung wonach das Anstellungsverhältnis nach Ablauf der regulären Vertragsdauer als Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden soll.937) Rechtlich unbedenklich ist hingegen die Ruhendstellung eines bereits vor der Berufung zum Vorstandsmitglied mit der Gesellschaft bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Organstellung, so dass es nach deren Beendigung wieder aufleben kann. Entsteht im Laufe der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaft und Organ- 647 mitglied über die Wirksamkeit der Beendigung des Anstellungsverhältnisses Streit, sollte sorgfältig untersucht werden, ob ein Anstellungsvertrag überhaupt jemals wirksam zustande gekommen ist. Bei der AG ist insoweit bedeutsam, dass die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern gem. § 112 AktG ausschließlich durch den Aufsichtsrat vertreten wird,938) und die Ermächtigung Dritter zur Vertretung der Gesellschaft „im Willen“ nicht möglich ist. Hat daher der Aufsichtsratsvorsitzende den Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds ohne entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss unterzeichnet – und wurde sein Handeln auch später nicht durch den Aufsichtsrat genehmigt939) – so ist der Anstellungsvertrag unwirksam. In der Zwischenzeit hat daher nur ein „fehlerhaftes Anstellungsverhältnis“ bestanden, von dem die Gesellschaft sich durch Beschluss des Aufsichtsrats jederzeit lossagen kann.940) 2. Typische Vertragsinhalte Im Folgenden werden (nur) jene typischen Inhalte von Anstellungsverträgen 648 mit Organmitgliedern skizziert, die regelmäßig Anlass für rechtliche Auseinandersetzungen geben. a) Ressortzuweisung Auch wenn dem Organmitglied im Anstellungsvertrag ein bestimmtes Ressort 649 zugewiesen ist, steht das einer Änderung der Aufgabenzuweisung durch Satzung oder Beschluss des Aufsichtsrats/der Gesellschafterversammlung nicht ___________ 936) So bereits BGH, v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239. 937) BAG, v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08, ZIP 2009, 2073. 938) Dabei kommt die Übertragung auf einen beschließenden Ausschuss des Aufsichtsrats (insbesondere den Personalausschuss) in Betracht, da § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht genannt ist. 939) Vgl. zur Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung OLG München, v. 18.10.2007 – 23 U 5786/06, ZIP 2008, 220. 940) Vgl. allerdings BGH, v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, NJW 1976, 145, wonach aufgrund einer Gesamtwürdigung zu entscheiden ist, ob „beiden Teilen zugemutet werden muß, einen fehlerhaft abgeschlossenen Anstellungsvertrag voll als verbindlich anzuerkennen“ – das ist mit dem in § 112 AktG zum Ausdruck gelangenden Gedanken nicht vereinbar.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
entgegen. § 77 Abs. 2 AktG steht nicht unter dem Vorbehalt des Anstellungsvertrags. Entsprechendes gilt bei der GmbH.941) Allerdings ist das Vorstandsmitglied/der Geschäftsführer nicht verpflichtet, ein den anstellungsvertraglichen Regelungen nicht entsprechendes Ressort zu übernehmen. Wird das Ressort entgegen den vertraglichen Absprachen geändert, kann das Vorstandsmitglied/ der Geschäftsführer sein Amt niederlegen, ohne dass dies eine Verletzung des Anstellungsvertrags begründet. Ferner kann das Vorstandsmitglied/der Geschäftsführer in einem solchen Fall – regelmäßig jedoch erst nach entsprechender Abmahnung – den Anstellungsvertrag außerordentlich fristlos kündigen und ggf. Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB verlangen. b) Betriebliche Altersversorgung 650 Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) gilt gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG auch für Organmitglieder. Allerdings soll von den grundsätzlich zwingenden Bestimmungen des BetrAVG (§ 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG) nach Ansicht des BAG durch Vereinbarung mit Organmitgliedern auch zu deren Nachteil insoweit wirksam abgewichen werden können, wie das BetrAVG tarifvertragsoffen ausgestaltet ist (§ 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG).942) Praktisch bedeutsam ist dies insbesondere für das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG. Allerdings ist zweifelhaft, ob die Überlegungen des BAG in der Entscheidung vom 21.4.2009 tatsächlich verallgemeinerungsfähig sind, so dass Unternehmen bei der Abfindung von Versorgungsanwartschaften im Falle der Beendigung des Anstellungsverhältnisses oder von laufenden Leistungen bis auf Weiteres vorsichtig sein sollten. Vom Abfindungsverbot keinesfalls erfasst wird nach zweifelhafter herrschender Auffassung allerdings ein dem Organmitglied eingeräumtes und vor Eintritt des Versorgungsfalls ausgeübtes Kapitalwahlrecht, weil es sich hierbei nicht um eine Abfindung handele.943) 651 Unsicherheiten ergeben sich in der Praxis häufig bei der Berechnung der Höhe der unverfallbaren Anwartschaft aus einer Direktzusage, sofern sie entsprechend dem folgenden Beispiel ausgestaltet ist: Der Anstellungsvertrag enthält folgende Versorgungszusage: „Das Vorstandsmitglied erhält ab Vollendung des 62. Lebensjahres eine monatliche Altersrente in Höhe von 40 % der zuletzt bezogenen monatlichen Grundvergütung. Der Prozentsatz erhöht sich nach fünfjähriger Bestellung des Vorstandsmitglieds für jedes weitere angebrochene Jahr der Bestellung um jeweils 2 %“. Das Vorstandsmitglied war seit seinem 42. Geburtstag im Amt, schied nach genau zehn Jahren aus dem Vorstand aus und fragt nach der Höhe seiner Versorgungsanwartschaft.
___________ 941) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 29. 942) BAG, v. 21.4.2009 – 3 AZR 285/07, DB 2010, 2004. 943) So OLG Stuttgart, v. 17.12.2008 – 14 U 34/08.
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Blickt man nur auf den Wortlaut der Versorgungszusage, so scheint es, als 652 hätte das Vorstandsmitglied eine unverfallbare Anwartschaft in Höhe von 40 % + 5 x 2 % = 50 %. Wendet man hingegen die in § 2 Abs. 1 BetrAVG vorgesehene „m-/n-tel Berechnung“ bezogen auf die fiktive Vollrente an, so ergibt sich Folgendes: Mit Vollendung des 62. Lebensjahrs, also nach 20 Dienstjahren, hätte das Vorstandsmitglieds Anspruch auf eine Rente in Höhe von 70 % der zuletzt bezogenen monatlichen Grundvergütung. Es hat tatsächlich allerdings nur 10 Dienstjahre zurückgelegt, so dass die unverfallbare Anwartschaft nur 10 : 20 x 70 % = 35 % der zuletzt bezogenen Grundvergütung beträgt. Der Unterschied ist beträchtlich und kann zu einer bösen Überraschung für das Vorstandsmitglied führen. Kann nämlich im Streitfalle nicht nachgewiesen werden, dass die Parteien eine von § 2 Abs. 1 BetrAVG abweichende Regelung treffen wollten, so ist die gesetzliche Bestimmung maßgeblich.944) Will man das sicher vermeiden, sollte der vorstehend zitierten Musterklausel folgender Satz angefügt werden: „Bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses vor Vollendung des 62. Lebensjahrs ist die nach den vorstehenden Sätzen berechnete Anwartschaft erdient; § 2 Abs. 1 BetrAVG findet keine Anwendung“. c) Koppelungsklauseln Auch wenn zwischen Organbestellung und Anstellungsverhältnis strikt zu 653 unterscheiden ist, hindert dies nicht, das Anstellungsverhältnis auf die Organstellung zu beziehen und von ihm abhängig zu machen. Nach Ansicht des BGH ist das Anstellungsverhältnis gegenüber dem Organverhältnis nachrangig, und deshalb sei nichts dagegen einzuwenden, wenn die „Beendigung des Dienstvertrages an den Widerruf der Organbestellung gekoppelt wird“.945) Bei der Ausgestaltung solcher Koppelungsklauseln ist allerdings Vorsicht geboten. Zunächst ist zu bedenken, dass nach Ansicht des BGH die Kündigungsfristen für die Dienstverträge mit Fremdorganen nicht nach § 621 BGB, sondern nach § 622 BGB – einschließlich der dienstzeitabhängigen Verlängerungen des § 622 Abs. 2 BGB – zu bestimmen sind.946) Wird in der Koppelungsklausel allerdings eine zu kurze Frist vereinbart, so führt das nach Ansicht des BGH nicht zur Unwirksamkeit der Klausel; vielmehr ergebe sich im Wege der Auslegung, dass die Beendigungswirkung erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist des § 622 BGB eintreten solle.947) Ob dieses Ergebnis tatsächlich durch Auslegung erreicht werden kann, ist zweifelhaft, weshalb sich die Rechtsanwender auf den Fortbestand dieser Rechtsprechung – insbesondere mit Blick auf die Anforderungen des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen – nicht verlassen sollten. ___________ 944) BGH, v. 13.1.2003 – II ZR 254/00, NJW 2003, 2908. 945) BGH, v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190. 946) BGH, v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, ZIP 1981, 367; BGH, v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, ZIP 1984, 1088. 947) BGH, v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190.
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654 Vor diesem Hintergrund begegnet beispielsweise die folgende Formulierung rechtlichen Bedenken: „Im Falle des Widerrufs der Vorstandsbestellung kann die Gesellschaft den Anstellungsvertrag ordentlich unter Einhaltung der in § 622 BGB genannten Fristen kündigen“.
655 Diese Klausel räumt allein der Gesellschaft eine vorzeitige ordentliche Kündigungsmöglichkeit ein, was mit dem in § 622 Abs. 6 BGB verankerten Verbot der zum Nachteil des Dienstnehmers ungleichen Kündigungsfristen nicht vereinbar sein dürfte. Ein Verstoß gegen § 622 Abs. 6 BGB führt nach Ansicht des BAG nicht etwa dazu, dass auch der Dienstnehmer mit der kurzen Frist kündigen kann, sondern zu einer „Angleichung nach oben“.948) Folgt man dem, so ergäbe sich in dem vorstehenden Beispiel die Unwirksamkeit der Koppelungsklausel, so dass der Anstellungsvertrag trotz Widerruf der Bestellung bis zum vereinbarten Befristungsende fortbestünde. 656 Ungeachtet der Überlegungen des BGH dürfte es angesichts der für Arbeitsverhältnisse seit 2001 im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verankerten Regelung, wonach die Zweckbefristung (§ 15 Abs. 2 TzBfG) oder die auflösende Bedingung (§ 21 TzBfG) eines Arbeitsverhältnisses bei Erreichung des Zwecks bzw. Eintritt der auflösenden Bedingung mit Ablauf von zwei Wochen seit einer entsprechenden Unterrichtung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, wirksam sein, wenn der Widerruf der Bestellung als auflösende Bedingung vereinbart wird. d) Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 657 Welche Voraussetzungen an die Wirksamkeit nachvertraglicher Wettbewerbsverbote mit Organmitgliedern zu stellen sind, ist durch die Rechtsprechung nicht abschließend entschieden und bildet den Gegenstand einer breiten literarischen Diskussion. Geklärt ist lediglich, dass die §§ 74 ff. HGB auf Organe keine unmittelbare Anwendung finden.949) Nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit Organmitgliedern sind daher am Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) zu messen. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind nach Ansicht des BGH sittenwidrig, wenn sie nicht dem Schutz eines berechtigten Interesses des Unternehmens dienen oder die Berufsausübung des Organmitglieds unter Berücksichtigung des räumlichen, zeitlichen und gegenständlichen Anwendungsbereichs unbillig erschweren.950) Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Sittenwidrigkeit kommt die Praxis nicht ohne Seitenblick auf die §§ 74 ff. HGB aus. Will man sicher gehen, dass ein mit Organmitgliedern vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot wirk___________ 948) BAG, v. 2.6.2005 – 2 AZR 296/04, ZIP 2005, 2125. 949) BGH, v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, ZIP 1984, 954; BGH, v. 4.3.2002 – II ZR 77/00, ZIP 2002, 709. 950) BGH, v. 17.2.1992 – II ZR 140/91, ZIP 1992, 543.
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sam ist, sollte daher bis auf Weiteres insbesondere die Karenzentschädigung dem in § 74 Abs. 2 HGB geforderten Umfang entsprechen. Soweit es allerdings um reine Kundenschutzklauseln geht, die dem Organmitglied die Aufnahme geschäftlicher Beziehungen mit solchen Kunden untersagen, mit denen das Unternehmen in den letzten zwei oder drei Jahren vor Beendigung des Anstellungsvertrags verbunden war, können diese regelmäßig auch ohne Karenzentschädigung wirksam vereinbart werden.951) Sind die inhaltlichen Grenzen nachvertraglicher Wettbewerbsverbote mit Or- 658 ganmitgliedern überschritten, hat dies die Nichtigkeit der Wettbewerbsabrede nach § 138 BGB zur Folge. Beträchtliche Unsicherheit besteht darüber, inwieweit es dann zu einer geltungserhaltenden Reduktion der Wettbewerbsabrede auf das noch zulässige Maß kommt. Überschreitet lediglich die Bindungsdauer das zulässige Maß (insoweit dürfte die Grenze regelmäßig bei zwei Jahren liegen), soll nach Ansicht des BGH eine geltungserhaltende Reduktion auf das noch zulässige Maß möglich sein, während das bei einer zu weiten Ausgestaltung des gegenständlichen oder räumlichen Geltungsbereichs nicht in Betracht komme.952) Nicht abschließend entschieden ist, inwieweit in diesen Konstellationen die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion durch eine salvatorische Klausel im Anstellungsvertrag gesichert werden kann.953) Jedenfalls soweit es sich um unternehmensseitig gestellte Vertragsbedingungen handelt, bestehen daran angesichts einer neueren Entscheidung des BGH Zweifel.954) 3. Die Beendigung des Anstellungsvertrags Abgesehen von dem gewöhnlichen Auslaufen der Vertragsdauer oder der 659 Koppelung des Anstellungsvertrags an den Fortbestand der Organstellung kann der Anstellungsvertrag auch durch (außerordentliche) Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet werden. a) Kündigung aa) Allgemeines Die Kündigung des Anstellungsvertrags mit einem Organmitglied ist eine 660 einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner besonderen Form bedarf. Insbesondere gilt das Schriftformerfordernis des § 623 BGB insoweit ___________ 951) BGH, v. 20.10.1990 – II ZR 241/89, NJW 1991, 699; vgl. allerdings zu den Bestimmtheitsanforderungen BGH, v. 3.12.2015 – VII ZR 100/15, ZIP 2016, 676. 952) BGH, v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089; BGH, v. 18.7.2005 – II ZR 159/03, ZIP 2005, 1778; nichts anderes ergibt sich aus der neueren Rechtsprechung des BGH zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot selbständiger Handelsvertreter, vgl. BGH, v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, ZIP 2012, 2508; BGH, v. 3.12.2015 – VII ZR 100/15, ZIP 2016, 676. 953) Instruktiv dazu OLG Nürnberg, v. 25.11.2009 – 12 U 681/09, BB 2010, 646. 954) BGH, v. 3.12.2015 – VII ZR 100/15, ZIP 2016, 676.
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nicht. Die AG kann den Anstellungsvertrag mit einem Vorstandsmitglied nur auf der Grundlage eines entsprechenden Aufsichtsratsbeschlusses kündigen. Ebenso verlangt die Kündigung des Anstellungsvertrags mit einem GmbHGeschäftsführer grundsätzlich einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung; allerdings liegt in der Kündigungserklärung der Alleingesellschafterin einer GmbH gleichzeitig der Gesellschafterbeschluss.955) In paritätisch mitbestimmten GmbHs ist zu beachten, dass die Zuständigkeit zur Beendigung des Anstellungsvertrags nicht bei der Gesellschafterversammlung, sondern beim Aufsichtsrat liegt.956) 661 Für die von der Gesellschaft ausgesprochene Kündigung hat § 174 BGB besondere praktische Bedeutung. Nach § 174 Satz 1 BGB ist eine Kündigung unwirksam, „wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist“. Die Zurückweisung ist allerdings gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Für § 174 Satz 1 BGB ist erforderlich, dass dem Kündigungsempfänger die Vollmachtsurkunde im Original vorgelegt wird, so dass der Kündigungsempfänger sich vom Originalcharakter des Schriftstücks und der darauf befindlichen Unterschrift überzeugen kann; die Übersendung per Telefax genügt daher nicht. Die Urkundenvorlage soll dem Kündigungsempfänger die Feststellung ermöglichen, ob die Kündigungserklärung tatsächlich für die Gesellschaft wirkt. Dies kann bei der Kündigung eines Vorstandsmitglieds einer AG oder des Geschäftsführers einer GmbH erhebliche Probleme bereiten, wie nachfolgend am Beispiel der AG verdeutlicht werden soll. 662 Da die Aktiengesellschaft gegenüber einem Vorstandsmitglied gem. § 112 AktG allein durch den Aufsichtsrat vertreten wird – insbesondere ist der Aufsichtsratsvorsitzende kein organschaftlicher Vertreter –, kann auch ein Bevollmächtigter nur durch Aufsichtsratsbeschluss bestellt werden. Demgemäß muss die Vollmachtsurkunde bei strikter Betrachtung zumindest von der den Beschluss tragenden Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder im Original unterzeichnet sein. Angesichts der damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten wird es vielfach als ausreichend angesehen, wenn der Bevollmächtigte eine Ausfertigung (§ 107 Abs. 2 AktG) des ihn bevollmächtigenden Aufsichtsratsbeschlusses im Original vorlegt;957) vollständige Sicherheit kann dadurch angesichts des Fehlens einer einschlägigen BGH-Entscheidung derzeit jedoch nicht erlangt werden. Keinesfalls ausreichend ist, wenn die Satzung bestimmt, dass Willenserklärungen des Aufsichtsrats von seinem Vorsitzenden abgegeben werden. Darin liegt insbesondere schon deshalb keine In-Kenntnis___________ 955) BGH, v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750; BGH, v. 9.4.2013 – I ZR 273/11 und oben Rn. 643. 956) Siehe oben Rn. 639. 957) Vgl. OLG Düsseldorf, v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, ZIP 2004, 1850.
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Setzung des Vorstandsmitglieds von der Bevollmächtigung i. S. d. § 174 Satz 2 BGB, weil eine Vertretung des Aufsichtsrats bei der Entscheidung über die Kündigung nicht zulässig ist und eine solche Satzungsbestimmung somit keine Klarheit darüber schaffen kann, ob die Kündigung für die Gesellschaft wirkt. Soll eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden, ist im Hinblick 663 auf die Zurückweisungsbefugnis nach § 174 Satz 1 BGB besondere Vorsicht geboten. Wird die Kündigung nach dieser Bestimmung zurückgewiesen, ist sie unwirksam und muss ggf. erneut ausgesprochen werden, was angesichts der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu Schwierigkeiten führen kann. Wird die Zurückweisung durch einen bevollmächtigten Vertreter (insbeson- 664 dere einen Rechtsanwalt des Organmitglieds) erklärt, kann die Gesellschaft die Zurückweisung ihrerseits gem. § 174 Satz 1 BGB zurückweisen, wenn der Vertreter des Organmitglieds keine Vollmachtsurkunde im Original vorlegt. bb) Besonderheiten bei der außerordentlichen Kündigung Soll das Anstellungsverhältnis außerordentlich fristlos wegen Vorliegens eines 665 wichtigen Grundes gekündigt werden, ist Eile geboten, da eine solche Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB nur möglich ist innerhalb von zwei Wochen, seit dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Allerdings beginnt die Frist erst mit Kenntnis des Aufsichtsrats bzw. der Gesellschafterversammlung, während die Kenntnis einzelner Mitglieder (einschließlich des Vorsitzenden) nicht genügt.958) Haben jedoch einberufungsberechtigte Mitglieder des Gremiums Kenntnis von möglichen Kündigungsgründen und berufen sie nicht unverzüglich eine Aufsichtsratssitzung ein, so soll die Kündigungserklärungsfrist zu laufen beginnen, sobald eine solche Aufsichtsratssitzung hätte stattfinden können.959) In jedem Fall ist aber zu bedenken, dass die Kündigungserklärungsfrist nicht zu laufen beginnt, solange die für eine Aufklärung des Kündigungssachverhalts erforderlichen angemessenen und mit der gebotenen Eile durchgeführten Untersuchungen der Gesellschaft noch nicht abgeschlossen sind.960) Werden der Gesellschaft nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung 666 weitere Kündigungsgründe bekannt, die bereits bei Zugang der Kündigung vorgelegen haben, so können sie zur Begründung der Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung – ggf. auch erst im Prozess – nachgeschoben werden. Allerdings setzt dies nach Ansicht des BGH voraus, dass „das zuständige Or___________ 958) BGH, v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, ZIP 1998, 1269; BGH, v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971. 959) BGH, v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971. Siehe zum Ganzen näher MünchKomm-BGB/Henssler, § 626 Rn. 300 ff. 960) Siehe nur BAG, v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NJW 2014, 3389.
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gan […] auch den neuen Grund geprüft und entschieden hat, die Kündigung auf ihn zu stützen“,961) jedenfalls wenn es sich um einen anderen Lebenssachverhalt als denjenigen handelt, auf den die Kündigungsentscheidung ursprünglich gestützt war.962) b) Aufhebungsvertrag 667 Die einvernehmliche Aufhebung des Anstellungsvertrags mit einem Organmitglied ist ebenfalls formfrei möglich, so dass insbesondere auch eine per E-Mail erzielte Einigung ausreicht. Muss allerdings parallel – und sei es höchstvorsorglich – ein etwaiges ruhendes Arbeitsverhältnis aufgehoben werden, ist insoweit das Schriftformerfordernis des § 623 BGB zu beachten. 668 Soll im Aufhebungsvertrag ein weitgehender wechselseitiger Anspruchsausschluss vereinbart werden, ist im Verhältnis zu (früheren) Vorstandsmitgliedern einer AG § 93 Abs. 4 AktG zu beachten. Danach kann eine AG auf Ersatzansprüche wegen Verletzung der Organpflichten gem. § 93 Abs. 1 AktG erst drei Jahre nach ihrer Entstehung verzichten oder sich über sie vergleichen, und auch dies nur mit Zustimmung der Hauptversammlung (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). Soweit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG reicht, wäre daher eine Bestimmung im Aufhebungsvertrag unwirksam, wonach „sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien erledigt sind“. Weitergehend droht sogar Gesamtnichtigkeit dieser Klausel und des ganzen Aufhebungsvertrags, sofern man nicht im Einzelfall zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ausschlussklausel bzw. der Aufhebungsvertrag auch ohne einen vollständigen wechselseitigen Anspruchsausschluss zustande gekommen wäre. Zur Vermeidung von Unsicherheiten sollte daher ein wechselseitiger Anspruchsausschluss nur vereinbart werden, „soweit nicht zwingendes Recht, insbesondere § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, dem entgegensteht“. Inwieweit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG durch Stimmbindungsverträge mit Aktionären, Freistellungsvereinbarungen oder andere Gestaltungen „umschifft“ werden kann,963) ist kritische Distanz angezeigt. 669 Bei der Ausgestaltung von Abfindungsvereinbarungen in Aufhebungsverträgen ist besondere Vorsicht geboten, wenn vergütungsregulatorische Vorgaben zu beachten sind, wie am Beispiel der Institutsvergütungsverordnung verdeutlich werden soll: Zwar bestehen keine Bedenken dagegen, die Abfindung, soweit sie sich als Entschädigung für die vorzeitige Vertragsbeendigung darstellt, als Einmalbetrag auszuzahlen,964) doch gilt etwas anderes, soweit es sich um während des Beschäftigungsverhältnisses erdiente variable Vergütung handelt, die nach § 20 Abs. 3, 4 InstitutsVergV aufgeschoben oder gesperrt ist. Im Hinblick auf solche Vergütungsbestandteile ist der Aufschub bzw. die Sper___________ 961) 962) 963) 964)
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BGH, v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, NJW 1973, 1122. BGH, v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, ZIP 2004, 92. Dazu MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 260 ff. Siehe dazu Annuß, BKR 2016, 102.
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re über das Ende des Anstellungsvertrags hinaus unverändert aufrechtzuerhalten. Eine dagegen verstoßende Regelung im Aufhebungsvertrag ist nichtig.965) IV. Prozessuales 1. Vertretung der Gesellschaft im Prozess Eine AG wird gegenüber Vorstandsmitgliedern und früheren Vorstands- 670 mitgliedern in jedem Fall durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 112 AktG). Wird auf Seiten der Gesellschaft der falsche gesetzliche Vertreter bezeichnet (insbesondere der Vorstand statt des Aufsichtsrats), so ist das nicht durch bloße Rubrumsberichtigung zu heilen. Vielmehr wirken die Prozesshandlungen nicht für und gegen die Gesellschaft, solange nicht der richtige gesetzliche Vertreter in den Prozess eingetreten ist und den bisherigen Prozessverlauf genehmigt hat.966) Die Vertretung einer GmbH gegenüber ihren (früheren) Geschäftsführern 671 ist differenziert ausgestaltet. Gem. § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG wird eine GmbH „in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat“, von der Gesellschafterversammlung vertreten, gleichgültig ob es sich um Aktiv- oder Passivprozesse handelt. Soweit es nicht um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gem. § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbH geht, besteht die Vertretungsbefugnis der Gesellschafterversammlung jedoch nicht gegenüber ausgeschiedenen Geschäftsführern, wohl aber gegenüber (ehemaligen) Geschäftsführern, deren Abberufung streitig ist oder soweit es um die Wirksamkeit der Beendigung des Anstellungsvertrags geht. 2. Urkundenprozess Ist der Urkundenprozess nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen, so ver- 672 suchen Vorstände oder Geschäftsführer im Falle einer Kündigung häufig, in den Verhandlungen mit der Gesellschaft dadurch Land zu gewinnen, dass sie der Gesellschaft im Wege des Urkundenprozesses eine erste Niederlage zufügen und die Gesellschaft zu einer (vorläufigen) Fortzahlung der laufenden Vergütung oder zumindest einer entsprechenden Sicherheitsleistung zwingen. Die Gesellschaft sollte bei einem Urkundenprozess nicht vorschnell „die Flinte 673 in’s Korn werfen“. Geht es etwa um den Nachweis eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung (etwa Spesenbetrug oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr) und kann das Organmitglied den Tatsachenvortrag der Gesellschaft nicht bestreiten, ohne in den Bereich des versuchten Prozessbetrugs zu kommen, so bietet es sich an, zum Beweis des Sachvortrags die Parteivernehmung des Klägers anzubieten (vgl. § 595 Abs. 2 ZPO). In entgegengesetzter Richtung ist bereits bei Fassung des Abberufungs- oder ___________ 965) Annuß/Früh/Hasse, InstitutsVergV/VersVergV, 2016, § 14 Rn. 2. 966) BGH, v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717.
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Kündigungsentschlusses zu bedenken, dass er ggf. mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln nachgewiesen werden muss, so dass der Beschluss schriftlich gefasst und von den ihn tragenden Mitgliedern des Aufsichtsrats oder der Gesellschafterversammlung unterzeichnet werden sollte, damit diese Urkunde ggf. im Original dem Gericht vorgelegt werden kann. Sehr zweifelhaft ist insbesondere, ob eine lediglich vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Beschlussausfertigung gem. § 107 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG im Urkundenprozess den Nachweis des Abberufungs- oder Kündigungsbeschlusses erbringen kann. B. Zur Praxis des Organhaftungsprozesses im Aktienrecht I. Einleitung Erik Ehmann
674 Organhaftung ist aktuell. Die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen soll sich in den letzten Jahren jeweils verdoppelt haben. D&O-Versicherern zufolge sind tausende von Fällen derzeit an deutschen Gerichten anhängig. Damit hat sich die Lage dramatisch geändert. Noch vor zwanzig Jahren war die Organhaftung im Wesentlichen „law in the books“. Ansprüche wurden kaum je durchgesetzt. Dieser Praxis wurde bereits mit der berühmten ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1997 die Grundlage entzogen.967) Der BGH stellte fest, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen den Vorstand verpflichtet ist und bei Verletzung dieser Pflicht selbst haftet. Ebenfalls ab den 1990er Jahren wurde in Deutschland die Managerhaftpflichtversicherung (sog. D&OVersicherung) populär; der Abschluss einer solchen Versicherung ist heute Marktstandard. Da Deckung Haftung schafft, verstärkte dies den durch ARAG/Garmenbeck ausgelösten Trend zur tatsächlichen Inanspruchnahme. Mit der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 entstand eine gewisse Lynchstimmung, in deren Folgen alle Dämme brachen. Der lange angestrebte „Gleichklang von materiellem Recht und Rechtsverfolgung“968) scheint nun erreicht. Häufig werden sogar Staatsanwälte aktiv. Die Weite des Untreuetatbestands § 266 StGB ermöglicht es in vielen Fällen, vermögensnachteilige Pflichtverstöße auch als Straftaten zu begreifen.969) 675 Im Ergebnis müssen Vorstände heute stets damit rechnen, spätestens nach ihrem Ausscheiden in Haftung genommen zu werden: Die nachfolgenden Organe haben Interesse, den „Laden aufzuräumen“ und Verantwortungen abzugrenzen. Die teure D&O-Versicherung ist bezahlt und es ist daher naheliegend, die Versicherungssumme auch kassieren zu wollen. In jeder noch
___________ 967) BGH NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883; zuletzt bestätigt in BGH NZG 2014, 1078 Tz. 19. 968) Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 299. 969) Vgl. statt aller: Krause, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 35 Rn. 26 ff.
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Kündigungsentschlusses zu bedenken, dass er ggf. mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln nachgewiesen werden muss, so dass der Beschluss schriftlich gefasst und von den ihn tragenden Mitgliedern des Aufsichtsrats oder der Gesellschafterversammlung unterzeichnet werden sollte, damit diese Urkunde ggf. im Original dem Gericht vorgelegt werden kann. Sehr zweifelhaft ist insbesondere, ob eine lediglich vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Beschlussausfertigung gem. § 107 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG im Urkundenprozess den Nachweis des Abberufungs- oder Kündigungsbeschlusses erbringen kann. B. Zur Praxis des Organhaftungsprozesses im Aktienrecht I. Einleitung Erik Ehmann
674 Organhaftung ist aktuell. Die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen soll sich in den letzten Jahren jeweils verdoppelt haben. D&O-Versicherern zufolge sind tausende von Fällen derzeit an deutschen Gerichten anhängig. Damit hat sich die Lage dramatisch geändert. Noch vor zwanzig Jahren war die Organhaftung im Wesentlichen „law in the books“. Ansprüche wurden kaum je durchgesetzt. Dieser Praxis wurde bereits mit der berühmten ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1997 die Grundlage entzogen.967) Der BGH stellte fest, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen den Vorstand verpflichtet ist und bei Verletzung dieser Pflicht selbst haftet. Ebenfalls ab den 1990er Jahren wurde in Deutschland die Managerhaftpflichtversicherung (sog. D&OVersicherung) populär; der Abschluss einer solchen Versicherung ist heute Marktstandard. Da Deckung Haftung schafft, verstärkte dies den durch ARAG/Garmenbeck ausgelösten Trend zur tatsächlichen Inanspruchnahme. Mit der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 entstand eine gewisse Lynchstimmung, in deren Folgen alle Dämme brachen. Der lange angestrebte „Gleichklang von materiellem Recht und Rechtsverfolgung“968) scheint nun erreicht. Häufig werden sogar Staatsanwälte aktiv. Die Weite des Untreuetatbestands § 266 StGB ermöglicht es in vielen Fällen, vermögensnachteilige Pflichtverstöße auch als Straftaten zu begreifen.969) 675 Im Ergebnis müssen Vorstände heute stets damit rechnen, spätestens nach ihrem Ausscheiden in Haftung genommen zu werden: Die nachfolgenden Organe haben Interesse, den „Laden aufzuräumen“ und Verantwortungen abzugrenzen. Die teure D&O-Versicherung ist bezahlt und es ist daher naheliegend, die Versicherungssumme auch kassieren zu wollen. In jeder noch
___________ 967) BGH NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883; zuletzt bestätigt in BGH NZG 2014, 1078 Tz. 19. 968) Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 299. 969) Vgl. statt aller: Krause, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 35 Rn. 26 ff.
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so erfolgreichen Amtsperiode gibt es schiefgegangene Geschäfte und auch der zugehörige Fehler lässt sich im Nachhinein oft finden („hindsight bias“).970) Natürlich spricht im Grundsatz alles dafür, dass hochbezahlte Manager auch 676 Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Der gegenwärtige Zustand, der sich amerikanischen Verhältnissen annähert, ist aber kritisch zu sehen. Die vom Haftungsrecht gesetzte Verhaltensteuerung kann sich durchaus auch dahingehend auswirken, dass vernünftige und unternehmerisch sinnvolle Risiken nicht mehr eingegangen werden, also ein übermäßig risikoaverses Verhalten („unterlassen statt unternehmen“) rational erscheint.971) Da zudem Sicherungsmaßnahmen (bspw. durch Einschaltung externer Berater) den Vorstand nichts kosten, dürfte auch insoweit mit Anreizen zu übermäßigen und aus Unternehmenssicht an und für sich unerwünschten Maßnahmen zu rechnen sein. Zudem ist die Inanspruchnahme (ehemaliger) Organe für ein Unternehmen stets mit erheblichen Nachteilen nach innen (Aufklärungsaufwand, Loyalitätskonflikte) und nach außen (Reputationsverlust972)) verbunden.973) Auch der 70. Deutsche Juristentag 2014 hat daher einen gewissen Reform- 677 bedarf gesehen. Stein des Anstoßes war dabei in erster Linie die enorme Belastung der betroffenen Vorstände, die auch bei leichtester Fahrlässigkeit existenzvernichtend haften. Nach den Reformvorschlägen des Juristentags soll es möglich werden, die Innenhaftung der Organe in der Satzung der AG zu begrenzen und beispielsweise Haftungshöchstbeträge einzuführen oder Schadensersatzansprüche bei leichter Fahrlässigkeit auch ganz auszuschließen.974) In der Tat liegt auf der Hand, dass die persönliche Haftung der Organe in Anlehnung an die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung beschränkt werden sollte,975) bspw. auf zwei oder fünf Jahresgehälter, möglicherweise mit einer Abstufung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit. Eine mutige einheitliche Lösung durch den Gesetzgeber wäre allerdings der vom Juristentag vorgeschlagenen Lösung klar vorzuziehen.976) Wenn jede Gesellschaft ihr eigenes Haftungsregime erschaffen muss, so führt dies ohne erkennbaren Mehrwert zu erheblichen Transaktionskosten. Die Herausbildung ___________ 970) Eingehend zum sog. Rückschaufehler Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, § 2 Rn. 37 ff.; vgl. auch Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 4. 971) Vgl. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 257 ff.; Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 927; Vetter, NZG 2014, 921, 923. 972) Vgl. zum Argument des Reputationsverlusts in allgemeiner Form Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689. 973) Vgl. Grigoleit, in: Fleischer/Kanda/Kim/Mülbert (eds.), German and Asian Perspectives on Company Law, 2016, III.5.a; Lutter, in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 742, 745; Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 788 f. 974) Vgl. DJT, Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsrecht des 70. DJT 2014, I. 1 – 3; Bachmann, Gutachten E, Verhandlungen 70. Deutscher Juristentag Hannover, Bd. I, 2014, E 56 ff.; 975) So auch Bayer/Scholz, NZG 2014, 926 ff. 976) So im Ergebnis auch Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 931.
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allgemeingültiger rechtlicher Standards würde erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht. 678 Sollte es zu einer Begrenzung der persönlichen Haftung der Organe auf einige wenige Jahresgehälter kommen, wird sich die Durchführung eines Prozesses in vielen Fällen angesichts der enormen Kosten und der unvermeidlichen Reputationsschäden für die Unternehmen nicht lohnen. Die Frage wird daher sein, ob die D&O-Versicherungen in der Weise umstrukturiert werden können, dass ihre Haftung unabhängig von der vorgelagerten Haftung eines Organs besteht. Die D&O-Versicherung wäre dann nicht mehr Haftpflichtversicherung zugunsten der versicherten Organe, sondern Vermögensschadensversicherung der Unternehmen. Dies wäre ohnehin die sachgerechte Konstruktion, da die Unternehmen als Versicherungsnehmer Partei des D&O-Versicherungsvertrags werden. Ob freilich unter solchen Voraussetzungen das Konzept der D&O-Versicherung angesichts des dann noch weiter ansteigenden subjektiven Risikos („moral hazard“) wirtschaftlich überleben könnte, muss wohl bezweifelt werden. 679 Von alldem unabhängig müssen Organhaftungsprozesse möglichst gut geführt werden. Das materielle Recht der Organhaftung lässt sich insbesondere der Kommentarliteratur entnehmen. Dem vorliegenden Beitrag geht es demgegenüber vor allem um die Darstellung des praktischen Umgangs mit solchen Fällen. II. Innenhaftung des Vorstands 1. Grundlagen 680 Die Innenhaftung des Vorstands ist die Haftung gegenüber der geschädigten Gesellschaft. Sie ist in der Praxis wesentlich häufiger als die Haftung gegenüber außenstehenden Dritten. Die zentrale gesetzliche Vorschrift zur Vorstandsinnenhaftung ist § 93 AktG: Vorstandsmitglieder haften für Schäden aus nachteiligen Geschäften und Maßnahmen, soweit diese durch die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt verursacht sind. Diese Haftung ist sehr streng, weil im Streitfall der Vorstand die Beweislast für die Einhaltung der Sorgfaltspflicht trägt (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG); die Vorstandsinnenhaftung ist damit einer Erfolgshaftung (mit Entlastungsmöglichkeit) angenähert.977) Eine gewisses Gegengewicht bringt die sog. Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Hiernach liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.978) ___________ 977) Dies kritisiert auch Paefgen, NZG 2009, 891, 893. 978) Ausführlich dazu Krieger, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 3 Rn. 13 ff.; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 27 ff.
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Eine besondere Ausprägung der Sorgfaltspflicht ist die Legalitätspflicht. Der 681 Vorstand ist verpflichtet, stets sämtliche relevanten Rechtsvorschriften einzuhalten und das Unternehmen so zu organisieren, dass Rechtsverstöße durch Mitarbeiter unterbleiben (sog. Legalitätskontrollpflicht). Im Fall von Verletzungen der Legalitätspflicht gilt die Business Judgement Rule nicht, weil die Einhaltung von Recht und Gesetz keine unternehmerische Ermessensentscheidung sondern eine gebundene Entscheidung darstellt.979) Neben der Haftung des Vorstands für die Verletzung von Sorgfaltspflichten 682 (einschließlich Legalitätspflicht) steht die Haftung für Verletzungen der Treupflicht. Insbesondere darf der Vorstand nicht Geschäftschancen der Gesellschaft für sich oder für Dritte ausnutzen oder zu Lasten der Gesellschaft Vorteile aus seiner Organstellung ziehen (bspw. durch Annahme von Schmiergeldern). Ausprägungen der Treupflicht sind auch das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG) und die Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG). Für Treupflichtverletzungen gilt die Business Judgement Rule (selbstverständlich) nicht. 2. Die Entscheidung über die Inhaftungnahme Vorstandshaftungsprozesse beginnen mit der Aufdeckung eines möglichen 683 Fehlverhaltens und mit der Entscheidung darüber, ob der Vorstand in Anspruch genommen wird. Zuständig für die Verfolgung von Ansprüchen gegen gegenwärtige und ehe- 684 malige Vorstandsmitglieder ist der Aufsichtsrat, § 112 AktG. Der Aufsichtsrat hat aufgrund seiner Überwachungspflicht zu prüfen, ob der Gesellschaft entstandene Schäden auf Pflichtverletzungen des Vorstands zurückzuführen sind. Unterlässt der Aufsichtsrat die Durchsetzung bestehender Haftungsansprüche, so kann er sich selbst haftbar machen. Die diesbezüglichen Pflichten des Aufsichtsrats hat der BGH in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung detailliert herausgearbeitet.980) a) Anspruchsprüfung durch den Aufsichtsrat (Prüfung erster Stufe) Der Aufsichtsrat hat auf der ersten Stufe sorgfältig zu prüfen, ob der Gesell- 685 schaft ein durchsetzbarer Anspruch gegen einen oder mehrere Vorstände zusteht.981) Die Untersuchung möglicher Haftungsansprüche hat, wie stets, ihren Aus- 686 gangspunkt bei einer sorgfältigen Aufklärung des Sachverhalts. Dabei hat der Aufsichtsrat die im Unternehmen verfügbaren Informationen auszuschöp___________ 979) Krieger, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 3 Rn. 15; Grigoleit/ Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 31. 980) BGH NJW 1997, 1926, 1927 ff. = ZIP 1997, 883; dazu jüngst ausführlich und instruktiv Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1844 ff. und Ganzer/Schnorbus, WM 2015, 1877 ff. 981) BGH NJW 1997, 1926, 1927 = ZIP 1997, 883.
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fen. Auf Berichte des Vorstands kann der Aufsichtsrat sich nicht mehr uneingeschränkt verlassen, sobald Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Vorstands bestehen. Davon unabhängig ist dem Vorstand jedenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zu beachten ist, dass der Aufsichtsrat sich im Grundsatz nicht selbst an Mitarbeiter wenden darf, sondern den Vorstand bitten sollte, geeignete Mitarbeiter zu benennen und die direkte Kommunikation zu erlauben. 687 Der ermittelte Sachverhalt ist sodann juristisch dahingehend zu bewerten, ob ein Haftungsanspruch gegen den Vorstand „voraussichtlich“982) rechtlich durchsetzbar ist. Eine Verurteilung des Vorstands muss also mindestens (deutlich) überwiegend wahrscheinlich sein. Geschuldet ist eine Prozessrisikoanalyse dahingehend, wie wahrscheinlich die Durchsetzung von Ansprüchen unter Berücksichtigung der Beweislage, der Beweislastverteilung und etwaiger zweifelhafter Rechtsfragen ist. Die Prüfung hat dabei selbstverständlich auch naheliegende Einwendungen des Vorstands zu antizipieren (bspw. Berufung auf die Business Judgement Rule). 688 Dem Aufsichtsrat soll insoweit kein Ermessen im Sinne der Business Judgement Rule, sondern nur ein „begrenzter Beurteilungsspielraum“ zukommen; „die Haltbarkeit und Richtigkeit seiner Beurteilung der Erfolgsaussichten sind im Streitfall vor Gericht grundsätzlich voll nachprüfbar (…)“. Tatsächlich ist natürlich gerade die Prozessrisikoanalyse mit besonderen Unsicherheiten belastet („vor Gericht und auf hoher See“). Die insoweit erforderliche Prognose, wie das zuständige Gericht entscheiden wird, entspricht in der Sache der im Rahmen jeder unternehmerischen Entscheidung erforderlichen Prognose.983) Der BGH scheint dagegen zu meinen, der Aufsichtsrat könne, wenn er sich nur genug anstrengt, wie Dworkin‘s Herkules mit Sicherheit ermitteln, ob ein Anspruch besteht. Wer aber hätte bspw. voraussagen können, dass Kirch den Prozess gegen die Deutsche Bank gewinnen würde? 689 Unabhängig von diesem Streit um die richtige theoretische Konzeption der Pflichten des Aufsichtsrats, wird eine eigene Haftung des Aufsichtsrats in aller Regel ausscheiden, wenn der Aufsichtsrat auf der Basis eines sachlich umfassenden und inhaltlich plausiblen Gutachtens einer qualifizierten Rechtsanwaltskanzlei zu einem bestimmten Ergebnis kommt und entsprechend handelt.984) Dies entspricht auch der allgemein geübten Praxis: Typischerweise und mit guten Gründen wird der Aufsichtsrat eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragen zu prüfen, ob Ansprüche gegen den Vorstand bestehen. Die interne Rechtsabteilung wird insoweit im Regelfall angesichts der unmittelbar drohenden Loyalitätskonflikte nicht der geeignete Ansprechpartner sein. Angesichts der ___________ 982) BGH NJW 1997, 1926, 1928 = ZIP 1997, 883. 983) Kritisch Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832, 1838 m. w. N.; vgl. auch Grigoleit/ Grigoleit/Tomasic, AktG, § 111 Rn. 6: die Prozessrisikoanalyse habe „realiter“ eigene Unschärfen. 984) Ausführlich dazu Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832, 1839.
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ISION-Entscheidung des BGH wird es sich empfehlen darauf zu achten, dass die beauftragte Kanzlei sich nicht zum ersten Mal mit Organhaftungsthemen befasst.985) b) Geltendmachung von Ansprüchen im Unternehmensinteresse? (Prüfung zweiter Stufe) Ergibt die Prüfung erster Stufe, dass Ansprüche bestehen bzw. mit hinrei- 690 chender Wahrscheinlichkeit durchsetzbar sind, so ist auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob gewichtige Gründe des Unternehmenswohls gegen deren Geltendmachung sprechen; anderenfalls („im Grundsatz“) sind bestehende Ansprüche durchzusetzen.986) Der BGH betont auch insoweit, dass kein „autonomer unternehmerischer Ermessenspielraum“ (im Sinne der Business Judgement Rule) bestehe, obwohl der BGH selbst erkennt, dass die Geltendmachung von Ansprüchen unterbleiben muss, wenn dies im Unternehmensinteresse liegt und gleichzeitig offensichtlich ist, dass die Abwägung der Vorteile und Nachteile eines zu führenden Rechtsstreits die Charakteristika einer unternehmerischen Prognoseentscheidung erfüllt.987) Zutreffend ist jedoch, dass die Abwägung im Regelfall für die Geltendmachung von bestehenden Ansprüchen ausfallen muss.988) Der Aufsichtsrat hat die Verpflichtung, die Interessen und das Vermögen der Gesellschaft zu wahren und darf daher nicht ohne besonderen rechtfertigenden Grund auf werthaltige Haftungsansprüche verzichten.989) Vorstandshaftung ist jedoch kein Selbstzweck und Aufgabe des Aufsichtsrats ist weder die Durchsetzung materieller Gerechtigkeit noch die „Bestrafung“ des pflichtvergessenen Vorstands, sondern die Wahrung der Vermögensinteressen der Gesellschaft. Daher besteht kein Automatismus für eine Geltendmachung von Ansprüchen, sondern der Aufsichtsrat muss und darf Ansprüche nur geltend machen, wenn dies – wie im Regelfall – im Unternehmensinteresse liegt.990) Es sind also die für eine Anspruchsverfolgung sprechenden Faktoren gegen die gegen eine Anspruchsverfolgung sprechenden Faktoren abzuwägen. In die Abwägung einzustellen ist auf der einen Seite der Erwartungswert des 691 geltend zu machenden Haftungsanspruchs, der auf Basis der Höhe des eingetretenen Schadens, der Erfolgsaussichten der Klage und der Höhe des aufgrund D&O-Versicherung und Leistungsfähigkeit des Vorstands zu erwartenden realisierbaren Schadensersatzes zu ermitteln ist. Es kommt also auf dieser zweiten Prüfungsstufe nicht (nur) darauf an, ob Ansprüche bestehen ___________ 985) BGH NZG 2011, 1271 = ZIP 2011, 2097 Tz. 18. 986) BGH NJW 1997, 1926, 1928 = ZIP 1997, 883; ausführlich dazu Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832, 1840. 987) Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 111 Rn. 7. 988) BGH NJW 1997, 1926, 1928 = ZIP 1997, 883; BGH NZG 2014, 1078 Tz. 19. 989) Allgemein zur Nichtgeltendmachung von Ansprüchen: BGH NJW 1985, 1777, 1778 = ZIP 1985, 607; KG GmbHR 1959, 257. 990) So dezidiert auch Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832, 1834; zutreffend auch Hüffer/ Koch, AktG, § 111 Rn. 10 m. w. N.; Spindler/Stilz/Spindler, AktG, § 116 Rn. 59.
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und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerichtlich durchgesetzt werden können, sondern entscheidend ist, inwiefern Ansprüche voraussichtlich wirtschaftlich realisierbar sind. Es hat keinen Sinn, die Gesellschaft in einen kostspieligen, arbeitsintensiven und imageschädlichen Prozess zu treiben, wenn feststeht, dass etwaige Ansprüche ohnehin nicht realisiert werden können. Zu prüfen ist daher, ob eine D&O-Versicherung besteht und unter Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Haftungsausschlüsse (insbesondere bei wissentlicher Pflichtverletzung und bei Vorkenntnis) mit Deckung zu rechnen ist. Weitere Haftungsmasse ist das Privatvermögen des Vorstands, dessen Höhe dem Aufsichtsrat freilich nicht bekannt ist. Der Aufsichtsrat wird jedoch gewisse Schlussfolgerungen aus der bei der Gesellschaft bezogenen Vergütung und der vorangegangenen Karriere des Vorstands ziehen können. Bestehende Ansprüche auf Altersversorgung dürfen nicht außer Betracht gelassen werden. Mit Maßnahmen der Vermögenssicherung („asset protection“) wird heute in der Regel zu rechnen sein; allerdings dürfen auch Anfechtungsmöglichkeiten nicht außer Betracht gelassen werden. Neben dem rein wirtschaftlichen Interesse können auch Gesichtspunkte der Außenwirkung für die Inanspruchnahme sprechen; so bspw. wenn im Fall erheblicher Pflichtverletzungen nach innen und außen dokumentiert werden soll, dass das Verhalten des Vorstands den Unternehmenswerten (corporate values) widerspricht und mit größtmöglicher Härte geahndet wird. 692 Auf der anderen Seite sind sämtliche mit der Anspruchsdurchsetzung verbundenen Kosten in die Abwägung einzustellen. In Betracht zu ziehen sind in erster Linie die direkten Kosten der Rechtsdurchsetzung (insbesondere Anwaltsund Gerichtskosten) aber auch sonstige Faktoren wie das drohende öffentliche Bekanntwerden von Unternehmensgeheimnissen, die Inhaftungnahme des Unternehmens durch Dritte oder sonstige erhebliche konkrete Nachteile (bspw. Verlust der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit). Stets zu bedenken sind auch die Folgen einer Geltendmachung oder Nichtgeltendmachung von Ansprüchen für die Reputation der Gesellschaft und für das Betriebsklima. 693 Wenn die mit der Durchsetzung von möglichen Haftungsansprüchen verbundenen Kosten den Erwartungswert dieser Haftungsansprüche übersteigen, sollte in der Regel von der Inanspruchnahme abgesehen werden. Übersteigt dagegen der Erwartungswert der Haftungsansprüche die zu erwartenden Kosten, so spricht dies für eine Inanspruchnahme. Der BGH scheint insoweit zwar offener zu formulieren: der Aufsichtsrat könne gegen eine Inanspruchnahme entscheiden, wenn gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprächen, den Schaden ersatzlos hinzunehmen.991) Zu beachten ist aber unbedingt, dass nach der klaren und eindeutigen Rechtsprechung des BGH in Zweifelsfällen für die Inanspruchnahme zu entscheiden ist.992) ___________ 991) BGH NJW 1997, 1926, 1928 = ZIP 1997, 883. 992) Vgl. zur Frage, ob die gegen eine Inanspruchnahme sprechenden Gründe überwiegend oder nur gewichtig sein müssen Spindler/Stilz/Spindler, AktG, § 116 Rn. 58 m. w. N.
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c) Verschonung des Vorstands? (Prüfung dritter Stufe) Fällt die Abwägung zugunsten einer Inanspruchnahme des Vorstands aus, so 694 ist der Aufsichtsrat im Grundsatz zur Durchsetzung der bestehenden Ansprüche auch verpflichtet. Nach der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung darf der Aufsichtsrat allerdings in Ausnahmefällen „außerhalb des Unternehmenswohls liegenden, die Vorstandsmitglieder persönlich betreffenden Gesichtspunkten“ Raum geben.993) Auf dieser dritten Stufe hat der Aufsichtsrat also zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall Gründe für eine Schonung des Vorstands bestehen. Der BGH hatte insoweit Fälle vor Augen, in denen „auf der einen Seite das pflichtwidrige Verhalten nicht allzu schwerwiegend und die der Gesellschaft zugefügten Schäden verhältnismäßig gering sind, auf der anderen Seite jedoch einschneidende Folgen für das ersatzpflichtig gewordene Vorstandsmitglied drohen“. Insoweit ist es nicht ganz leicht zu verstehen, wie aufgrund „verhältnismäßig 695 geringer Schäden“ „einschneidende Folgen für das ersatzpflichtig gewordene Vorstandsmitglied“ drohen sollen. Zudem wird bei nur geringfügig pflichtwidrigem Verhalten in aller Regel die D&O-Versicherung haften, so dass die Schonung des Vorstands sinnlos wäre. Auf dieser unsicheren Basis werden Aufsichtsräte in der Praxis schon aufgrund der Gefahr eigener Haftung nicht vollständig von der Durchsetzung von Ansprüchen absehen können. In Betracht wird vielmehr nur eine teilweise Verschonung kommen, d. h. eine nur begrenzte Inanspruchnahme der haftenden Vorstände durch die Gesellschaft. Die Frage ist von höchster praktischer Relevanz und Gegenstand zahlreicher Stellungnahmen in der Literatur. Zahlreiche Autoren halten aufgrund der aus der Treupflicht resultierenden Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand als Organ und in Anlehnung an die arbeitsrechtlichen Haftungsregeln auch zugunsten von Vorständen Haftungsreduzierungen für angezeigt, wonach der Vorstand bei geringem Verschulden nur auf eine bestimmte Anzahl von Jahresgehältern haften oder ein bestimmter Teilbetrag des Vermögens haftungsfrei bleiben soll.994) Zuzustimmen ist, dass eine solche Begrenzung der Vorstandshaftung sachge- 696 recht wäre. Es ist jedoch Sache des Gesetzgebers und/oder der Gerichte eine solche Haftungsbeschränkung einzuführen.995) Der Aufsichtsrat darf Ansprüche der Gesellschaft nicht verschenken. Er dürfte daher nur dann (teilweise) auf die Durchsetzung von Ansprüchen verzichten, wenn er davon ausgehen könnte und müsste, dass bei einer vollen Inanspruchnahme das zuständige Gericht die Haftung entsprechend reduzieren würde. Davon kann aber nach der gegenwärtigen Entscheidungspraxis nicht ausgegangen werden. Außerdem macht eine nur teilweise Geltendmachung von Ansprüchen auch ___________ 993) BGH NJW 1997, 1926, 1928 = ZIP 1997, 883. 994) Ganzer/Schnorbus, WM 2015, 1877, 1878 ff.; de lege lata ablehnend Grigoleit, in: Fleischer, III.4 (jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). 995) Vgl. Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1307; Grigoleit, in: Fleischer, III.4.
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deshalb erhebliche Schwierigkeiten, weil die D&O-Versicherung nur insoweit Deckung schuldet, wie der in Anspruch genommene Vorstand haftet. Hier drohen erhebliche Schwierigkeiten und Haftungsfallen. Der Aufsichtsrat sollte es daher dabei belassen, den Vorstand in voller Höhe in Anspruch zu nehmen. Der Vorstand kann und sollte sich dann im Haftungsprozess auf eine Haftungsreduktion gem. § 242 BGB berufen – bisher entsprechen solche Haftungsreduktionen aber nicht der gerichtlichen Entscheidungspraxis. Jedenfalls soweit die D&O-Versicherung haftet, dürfte für eine solche Haftungsreduktion auch kein Raum sein. Davon unabhängig besteht im Regelfall im Rahmen eines die Haftungsangelegenheit insgesamt abschließenden Haftungs- und Deckungsvergleichs unter Einschluss der D&O-Versicherung (bspw. nach sachdienlichen Hinweisen durch das Landgericht oder nach Ergehen eines erstinstanzlichen Urteils) hinreichend Gelegenheit im Rahmen einer Gesamtlösung zu einer für alle Parteien tragbaren Lösung zu kommen. Diesem Vergleich muss dann auch die Hauptversammlung zustimmen (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG); hieraus ergibt sich einerseits eine zusätzliche Richtigkeitsgewähr, andererseits eine wichtige Absicherung für den Aufsichtsrat.996) d) Interessenkonflikte im Aufsichtsrat bei möglicher Eigenhaftung 697 Der Aufsichtsrat ist für die Überwachung des Vorstands zuständig. Im Fall von Vorstandsfehlern stellt sich daher stets auch die Frage, ob der Vorstand in seiner Tätigkeit hinreichend überwacht worden ist, oder ob auch der Aufsichtsrat pflichtwidrig gehandelt hat. Dies kann Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern begründen. Den allgemeinen Grundsätzen folgend sollten betroffene Aufsichtsratsmitglieder ihren Interessenkonflikt offenlegen und an Abstimmungen über die Inhaftungnahme des Vorstands sowie über etwaige Vergleiche ggf. nicht teilnehmen. Wenn mehrere Aufsichtsräte bereits während der Amtszeit des in Haftung zu nehmenden Vorstands im Amt waren, können sich insoweit außerordentlich komplexe Gemengelagen von widersprüchlichen Interessen ergeben. 3. Die Auswahl der Beklagten 698 Vorstände haben meist mehrere Mitglieder. Für die Unternehmensleitung im engeren Sinne (§ 76 AktG) ist stets der Gesamtvorstand zuständig. Hierher gehören insbesondere die Festlegung der Unternehmenspolitik, besonders wichtige geschäftliche Maßnahmen und die Einrichtung einer funktionsfähigen Risikomanagement- und Compliance-Organisation.997) Fehler in diesem Bereich stellen sich daher als Pflichtverletzung jedes einzelnen Vorstandsmitglieds dar, soweit das Vorstandsmitglied nicht gegen die pflichtwidrige Maß-
___________ 996) Siehe unten II 8. b) Rn. 735. 997) MünchKomm-AktG/Spindler, § 76 Rn. 15; Grigoleit/Vedder, AktG, § 76 Rn. 4.
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nahme gestimmt und hinreichende Bemühungen unternommen hatte, diese zu verhindern.998) Auch im Bereich der von der Unternehmensleitung im engeren Sinne zu un- 699 terscheidenden „einfachen“ Geschäftsführung gilt im Grundsatz das Prinzip der Gesamtgeschäftsführung mit daraus folgender Gesamtverantwortung (§ 77 AktG). In der Praxis besteht jedoch in aller Regel eine ressortmäßige Geschäftsverteilung. Dies ist zulässig und nicht zuletzt unter Gesichtspunkten der Haftungsabgrenzung auch sinnvoll. Die haftungsabgrenzende Wirkung tritt allerdings nur ein, wenn die Geschäftsverteilung formal ordnungsgemäß erfolgt ist. Auch können Fehler bei der Geschäftsverteilung ihrerseits haftungsbegründend wirken.999) Ist die Geschäftsverteilung ordnungsgemäß erfolgt, so bleiben die ressort- 700 mäßig unzuständigen Vorstandsmitglieder dennoch verpflichtet, die Ressortgeschäftsführung ihrer jeweils zuständigen Kollegen zu überwachen.1000) Dies gilt für alle Vorstandsmitglieder, in besonderer Weise jedoch für den Vorstandsvorsitzenden.1001) Bei Maßnahmen, die in die Ressortverantwortung anderer Vorstandsmitglieder hineinragen, besteht zudem eine erhöhte Überwachungspflicht der für diese Ressorts Verantwortlichen, die sich je nach Grad der Überschneidung der Verantwortungsbereiche bis zur vollen Mitverantwortlichkeit steigern kann. Aufgrund des dargestellten Prinzips der Gesamtverantwortung stellt sich in 701 vielen Fällen die Frage, ob und ggf. welche Vorstandsmitglieder neben dem an und für sich ressortverantwortlichen Vorstandsmitglied in Haftung genommen werden sollen. Soweit das ressortverantwortliche Vorstandsmitglied nicht hinreichend überwacht worden ist, wird vor allem eine Inanspruchnahme des Vorstandsvorsitzenden in Betracht gezogen werden. Typischerweise bringt die Inanspruchnahme mehrerer (möglicher) Haftungsschuldner für den Kläger prozesstaktisch gewisse Vorteile und die Haftungsmasse wird um das Vermögen der weiteren Beklagten vermehrt. Soweit allerdings der Schaden der Gesellschaft im Fall eines Obsiegens voraussichtlich von der D&O-Versicherung abgedeckt werden wird, scheint es andererseits häufig nicht sinnvoll, eine Vielzahl oder gar alle Vorstandsmitglieder zu verklagen. Da jedes Vorstandsmitglied Anspruch auf einen eigenen Rechtsanwalt hat und die Verteidigungskosten zu Lasten der Versicherungssumme gehen, würden hier unnötig Kosten generiert. Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein erhebliches Interesse der Gesellschaft an der weiteren Zusammenarbeit mit bestimmten Vorständen bestehen kann; nach einer Klageerhebung wird dies häufig nicht mehr möglich sein. In vielen Fällen wird es also keinen ___________ 998) Vgl. LG München I NZG 2014, 345, 348 = ZIP 2014, 570. 999) Fleischer, NZG 2003, 449, 452 f. 1000) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 148 ff.; ausführlich auch Fleischer, NZG 2003, 449, 451 ff. 1001) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 162; a. A. Fleischer, NZG 2003, 449, 455.
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Mehrwert bringen, alle Vorstandsmitglieder zu verklagen, gegen die ein Haftungsanspruch konstruierbar wäre, sondern sinnvoller sein, sich auf die direkt verantwortlichen Vorstandsmitglieder zu konzentrieren und bspw. solche Vorstandsmitglieder, denen ohnehin allenfalls die Verletzung einer Überwachungspflicht vorgeworfen werden kann, außen vor zu lassen. Andererseits gelten die oben dargelegten Grundsätze von ARAG/Garmenbeck für jedes einzelne Vorstandsmitglied. Der Aufsichtsrat ist daher gut beraten, die Grundlagen seiner Entscheidung auch insoweit gut zu dokumentieren. 4. Bestimmung der einzuklagenden Schadenssumme und Ankereffekt 702 Der der Gesellschaft entstandene Schaden ist gem. §§ 249 ff. BGB auf Grundlage der Differenzhypothese zu bestimmen. Die Gesellschaft ist also so zu stellen, als ob die schadensbegründende Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre. In der Praxis wird von den Klägern beim Schaden aus naheliegenden Gründen häufig erheblich „vorgehalten“. Insbesondere im Bereich von (angeblichen) Folgeschäden sind der Phantasie oft keine Grenzen gesetzt. Die Theorie des „Ankereffekts“ spielt hier eine erhebliche Rolle. Hiernach dienen eingeforderte Schadensersatzsummen als Anker, von dem aus die tatsächlich im Urteil oder im Vergleich festgesetzte Schadensersatzsumme bestimmt wird.1002) Unzweifelhaft kann eine hohe Schadensersatzforderung auch tatsächlich erhebliche Verhandlungsvorteile bringen. 703 Die klagenden Gesellschaften sollten jedoch andererseits nicht aus den Augen verlieren, dass mit der Erhöhung des Streitwerts (bis zur Erreichung der Streitwertbemessungsgrenze von EUR 30 Mio.) erhebliche Mehrkosten verbunden sind; dies potenziert sich in vielen Organhaftungsfällen aufgrund der Vielzahl der Beteiligten. Diese Summe kann später für einen sinnvollen Vergleichsschluss fehlen. Auch sollte schon bei Klageerhebung Berücksichtigung finden, dass einerseits deutsche Gerichte bei sehr hohen Klagesummen weiterhin sehr genau hinschauen und andererseits die meisten Verfahren letztlich doch durch Vergleich entschieden werden, nachdem eine gerichtliche Einschätzung vorliegt. In diesem Kontext kann die mit einer überhöhten Klagesumme eingenommene Position zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Konkret gesprochen: Wenn der Aufsichtsrat der klagenden Gesellschaft „eigentlich“ EUR 10 Mio. Schadensersatz für gerechtfertigt hält, wird er sich unter Umständen gern und vernünftigerweise bei EUR 7 Mio. vergleichen. Wenn die Gesellschaft aber aufgrund des „Ankereffekts“ und „um vorzuhalten“ EUR 30 Mio. eingeklagt hat, steht der Aufsichtsrat nicht zuletzt aufgrund der hiermit verbundenen erheblichen Belastung durch Gerichts- und Anwaltskosten unter erheblichem Rechtfertigungsdruck, warum ein derart „magerer“ Vergleich geschlossen werden sollte. Gütliche Lösungen können so erschwert werden. ___________ 1002) Vgl. Steinbeck/Lachenmeier, NJW 2014, 2086, 2088.
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5. Klageschrift a) Darlegungs- und Beweislast Der Inhalt der Klageschrift ist durch die der geschädigten Gesellschaft günstige 704 Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG geprägt. Die Gesellschaft genügt ihrer Darlegungs- und Beweislast, wenn sie substantiiert vorträgt und unter Beweis stellt, dass ihr durch eine Handlung oder Unterlassung des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds kausal ein Schaden entstanden ist.1003) Der Vorstand muss dann darlegen und beweisen, dass er die erforderliche Sorgfalt gewahrt hat. Die Beweislast ist also zu Lasten des Vorstands umgekehrt;1004) diese Beweislastumkehr bezieht sich sowohl auf die objektive Pflichtverletzung als auch auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung (Schuld).1005) Grundgedanke der gesetzlichen Regelung ist, dass der Vorstand im Fall von Schädigungen der Gesellschaft verpflichtet ist, sein Handeln vollumfänglich zu rechtfertigen, da „das jeweilige Organmitglied die Umstände seines Verhaltens und damit auch die Gesichtspunkte überschauen kann, die für die Beurteilung der Pflichtmäßigkeit seines Verhaltens sprechen, während die von ihm verwaltete Korporation in diesem Punkt immer in einer Beweisnot wäre (…)“.1006) Das in Anspruch genommene Vorstandsmitglied ist vor einer Überspannung 705 seiner Darlegungs- und Beweislast dadurch geschützt, dass die geschädigte Gesellschaft ein Verhalten des Vorstandsmitglieds darlegen und beweisen muss, das sich als „möglicherweise pflichtwidrig“ darstellt.1007) Auf den konkreten Fall bezogen funktioniert die Verteilung der Darlegungs- 706 und Beweislast somit wie folgt: Im Fall eines schädlichen Geschäftsabschlusses muss die Gesellschaft zunächst vortragen und unter Beweis stellen, dass der Vorstand das betreffende Geschäft abgeschlossen hat und dieses Geschäft zu einer Schädigung der Gesellschaft geführt hat. Die Gesellschaft muss weiterhin Anhaltspunkte dafür vortragen, dass der Vorstand sich insoweit pflichtwidrig verhalten hat. Die Gesellschaft sollte insoweit so substantiiert und konkret wie möglich vortragen, weil die Anforderungen an den Beklagtenvortrag entsprechend ansteigen. Je konkreter der Vorwurf, desto konkreter muss der Vorstand sich verteidigen. Am Beispiel eines wirtschaftlich nachteiligen Unternehmenskaufs: Die Gesellschaft kann sich nicht darauf beschrän___________ 1003) Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 53 ff.; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 69; zur Darlegungs- und Beweislast der Gesellschaft bei Klärung der Innenhaftung des Geschäftsführers einer GmbH vgl. auch: Ultsch, Rn. 762. 1004) Zur Beweislastumkehr zu Lasten des Geschäftsführers bei der Klärung der Innenhaftung gegenüber der GmbH vgl auch: Ultsch, Rn. 764. 1005) BGH NZG 2003, 81, 82 = ZIP 2002, 2314; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 69. 1006) BGH NJW 2003, 358 f. = ZIP 2002, 2314 f. 1007) BGH NZG 2014, 1058 = ZIP 2014, 1728 Tz. 33; BGH NZG 2013, 293, 294 = ZIP 2013, 455; Goette, ZGR 1995, 648, 671 ff.; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 69.
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ken vorzutragen, dass der Unternehmenskauf aufgrund Vorstandsentscheidung zustande kam und wirtschaftlich nachteilig war. Denn der Unternehmenskauf ist ein „wertneutrales“ Geschäft; der Abschluss eines Unternehmenskaufvertrags ist kein Indiz für eine mögliche Pflichtwidrigkeit des Vorstands. Auch die Tatsache, dass der Unternehmenskauf sich im Nachhinein als wirtschaftlich nachteilig herausstellt erlaubt keinen Rückschluss auf eine Pflichtwidrigkeit des Vorstands. Wirft die Gesellschaft dem Vorstand – wie nicht ganz selten – recht pauschal vor, dass er den Unternehmenskauf nicht hinreichend vorbereitet habe, so kann der Vorstand sich wirksam verteidigen indem er darlegt und beweist, dass er den üblichen Pflichtenkatalog bei Unternehmenskäufen abgearbeitet hat, also insbesondere eine Due-Diligence-Prüfung durchgeführt und die erforderlichen wirtschaftlichen Planungen aufgestellt hat. Will die Gesellschaft dem Vorstand aber vorwerfen, dass die DueDiligence-Prüfung nicht sachgerecht war oder die Ergebnisse der Prüfung nicht hinreichend berücksichtigt wurden, so muss er entsprechende Vorwürfe konkret und substantiiert erheben, um die beklagten Vorstände zu entsprechendem Gegenvortrag und Beweisantritt zu zwingen. Wird dem Vorstand eine durch Unterlassung begangene Pflichtverletzung vorgeworfen, so muss substantiiert dargelegt und bewiesen werden, welche konkreten Maßnahmen der Vorstand zu welchem Zeitpunkt hätte ergreifen müssen. 707 Zu betonen ist, dass die Beweislastumkehr zu Lasten des beklagten Vorstands nur die Frage der Pflichtverletzung betrifft. Die Beweislast für den entstandenen Schaden und für die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden verbleibt bei der klagenden Gesellschaft, wobei allerdings hinsichtlich des Beweismaßes die Erleichterungen des § 287 ZPO gelten. Dies gilt zunächst bereits für die Frage, ob der Gesellschaft durch die Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist. Im Hinblick auf die Schadenshöhe genügt es, wenn die Gesellschaft Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, die für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO hinreichende Anhaltspunkte bieten.1008) b) Vortrag zu Pflichtverletzungen 708 Typischerweise wird die Gesellschaft ausführlich zu den Umständen der Schadensentstehung vortragen und dem Vorstand in diesem Zusammenhang mehrere Pflichtverletzungen vorwerfen. Diese Vorgehensweise hat ihren Grund zunächst sicherlich auch in der Hoffnung, dass das Gericht angesichts der Vielzahl der vorgeworfenen Pflichtverletzungen zumindest eine Pflicht tatsächlich als verletzt ansehen wird. Sie ist aber auch sachlich gerechtfertigt, weil zum einen tatsächlich gemachte Fehler sich häufig auf mehreren rechtlichen Ebenen als Pflichtverletzung auswirken und weil zum anderen ein einmal gemachter Fehler häufig Folgefehler nach sich zieht, die ihrerseits haftungsbegründend sind. Dementsprechend wird dem Vorstand bspw. in vielen Fäl___________ 1008) BGH NZG 2013, 293 = ZIP 2013, 455 Tz. 14; BGH NZG 2003, 81, 83 = ZIP 2002, 2314 (betrifft Fall der Geschäftsführerhaftung).
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len vorgeworfen werden, dass er sowohl seine Pflicht zur sorgfaltsgemäßen Amtsführung als auch seine Pflicht zur Überwachung der Mitarbeiter verletzt hat. Damit ist der Tatsache Rechnung getragen, dass häufig schwer zu klären ist, auf welcher Ebene der Fehler tatsächlich stattgefunden oder seinen Schwerpunkt hatte: der Vorstand hat dann eben selbst fehlerhaft gehandelt und/oder seine Mitarbeiter nicht hinreichend überwacht. Zusätzlich wird die Gesellschaft dem Vorstand nach Möglichkeit auch die Verletzung der Legalitätspflicht vorwerfen. Angesichts der real existierenden Normenflut stellen Pflichtverletzungen nicht selten gleichzeitig auch Normverletzungen dar. Hier kommen nicht nur Gesetzesverletzungen, sondern insbesondere auch Verstöße gegen die Satzung und die Geschäftsordnung für den Vorstand in Betracht (übersehene Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats, Überschreitung von Ressortgrenzen). Der Vorwurf der Verletzung der Legalitätspflicht ist ein besonders scharfes Schwert, weil damit die Pflichtverletzung praktisch bereits feststeht, so dass der Vorstand im Ergebnis einer Zufallshaftung ähnlich § 287 Satz 2 BGB unterliegt. Dies gilt auch bei Verstößen gegen Vorschriften, die auch Juristen (soweit nicht auf das entsprechende Rechtsgebiet spezialisiert) in aller Regel nicht kennen (bspw. umweltrechtliche oder arbeitsschutzrechtliche Spezialvorschriften), denn der Vorstand muss das Unternehmen so organisieren, dass sämtliche Rechtsvorschriften gewahrt werden.1009) c) Taktik Es gibt im Grundsatz zwei verschiedene Vorgehensweisen: Entweder die kla- 709 gende Gesellschaft bemüht sich, bereits in der Klageschrift sämtliche Vorwürfe möglichst weitgehend zu substantiieren und umfassend vorzutragen. Die Alternative besteht aufgrund der günstigen Verteilung der Darlegungsund Beweislast in einer kürzeren Klageschrift, in der die möglichen Pflichtverletzungen des Vorstands eher pauschal dargestellt werden. Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile; in der Regel wird sich ein 710 Mittelweg empfehlen. Die Klageschrift sollte das Gericht in die Lage versetzen, mit überschaubarem Aufwand zu dem Ergebnis zu kommen, dass erhebliche Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung des Vorstands bestehen. Eine Klageschrift mit 200 Seiten Umfang und enormen Detaillierungsgrad wird dem häufig nicht gerecht werden; hier droht eher der erste Eindruck, dass so viel geschrieben und so kompliziert begründet werden muss, weil ein Anspruch in Wirklichkeit gerade nicht besteht. Zudem ist eine übermäßig lange und komplizierte Klageschrift für den Gegner eine Einladung für eine noch längere Klageerwiderung und den Einsatz des „Nebelwerfers“. Umgekehrt wird auch ein allzu pauschaler Vortrag im offensichtlichen Vertrauen auf die Beweislastverteilung keinen guten Eindruck machen. Die entscheidenden haftungsbegründenden Argumentationslinien sollten in der Klageschrift heraus___________ 1009) BGH NZG 2012, 992, 994 = ZIP 2012, 1552; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 73 f.
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gearbeitet werden. Wenn wesentliche Vorwürfe erst in der Replik nachgeschoben werden, ist das unglücklich; es droht der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Idealerweise sollten also sämtliche Pflichtverletzungen in der Klageschrift hinreichend substantiiert dargelegt werden, so dass der Beklagte darauf reagieren muss. Gleichzeitig kann es sinnvoll sein, bestimmten Detailvortrag zunächst zurückzuhalten und erst auf entsprechenden Vortrag der Klageerwiderung in der Replik zu bringen. Konkret: Hat das klagende Unternehmen bspw. ermittelt, dass ein wesentliches Ergebnis der Due-Diligence bei der Erstellung des Unternehmenskaufvertrags übersehen und nicht umgesetzt worden ist, so kann es sinnvoll sein, ein solches Detailargument für die Replik „aufzusparen“ um damit den zu erwartenden Vortrag des Beklagten, er habe eine Due Diligence beauftragt und diese sei sachgerecht durchgeführt worden, begegnen zu können. 6. Die Klageerwiderung a) Pflichtverletzung 711 Aufgrund der Beweislastverteilung befinden sich die beklagten Vorstände im Organhaftungsprozess stets in einer schwierigen Situation. Sie müssen darlegen und unter Beweis stellen, dass sie sich pflichtgemäß verhalten haben. Das Maß der insoweit erforderlichen Substantiierung hängt von dem Maß der Substantiierung ab, mit dem die Gesellschaft die behaupteten Pflichtverletzungen begründet hat. Jedenfalls sollte die Klageerwiderung in einem ersten Schritt ausführlich darlegen, dass und wie der Vorstand sämtliche formalen Pflichten erfüllt hat, dass also insbesondere die streitgegenständlichen Maßnahmen im Vorstand ausführlich diskutiert und sämtliche verfügbaren Informationen eingeholt wurden, dass dem Aufsichtsrat regelmäßig umfassend berichtet wurde usw. Sofern der Vorstand über einen längeren Zeitraum insgesamt erfolgreich agiert hat, sollte auch hierauf hingewiesen werden. Im zweiten Schritt sind die konkret erhobenen Vorwürfe im Detail zu widerlegen. Soweit die streitgegenständlichen Geschäfte dem Aufsichtsrat bekannt gemacht waren oder der Aufsichtsrat sogar zugestimmt hat, ist dies ausführlich darzulegen. Denn wenn Vorstand und Aufsichtsrat sich zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahme (ggf. mit großer Mehrheit) einig waren, dass diese Maßnahme vernünftig und sachgerecht war, so schließt die Zustimmung des Aufsichtsrats die Haftung des Vorstands zwar nicht aus (§ 93 Abs. 4 Satz 2 AktG), es kann dann aber für einen Rückschaufehler (hindsight bias) sprechen, wenn dies im Nachhinein – nachdem die Sache schiefgegangen ist – plötzlich anders beurteilt wird. Auch das grundsätzliche Problem des Rückschaufehlers sollte in entsprechenden Fällen offensiv thematisiert werden:1010) Der Eintritt eines Schadens ist rechtlich kein Indiz für das Vorliegen einer Pflichtverletzung; aber Menschen neigen dazu, die Sachrichtigkeit von Maßnahmen in Abhängigkeit von den ihnen bekannten Er___________ 1010) Ausführlich dazu Lange, D&O Versicherung und Managerhaftung, § 2 Rn. 37 ff.
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gebnissen dieser Maßnahmen zu beurteilen. Dieser Gefahr müssen sich alle Beteiligten bewusst sein und die Beklagten sollten immer wieder darauf hinweisen, dass die Sachrichtigkeit ihrer Maßnahmen aus einer Perspektive ex ante, nicht aber ex post zu beurteilen ist („hinterher ist jeder schlauer“). Häufig stellt sich das Problem des Rückschaufehlers im Organhaftungsprozess in der Weise, dass im Nachhinein klar zu sein scheint, welche Maßnahme den Schaden verhindert hätte und die Unterlassung dieser Maßnahme sich daher vermeintlich ohne weiteres als pflichtwidrig darstellt. Sofern das Risiko, das sich verwirklicht hat, den Entscheidungsträgern bewusst war, sollte insoweit herausgearbeitet werden, welche anderen Maßnahmen zur Risikoabwehr getroffen worden sind und warum diese Maßnahmen ex ante hinreichend schienen. Sofern sich ein Risiko verwirklicht hat, dass den Entscheidungsträgern nicht bewusst war, muss aufgezeigt werden, warum das Risiko, das sich letztlich verwirklicht hat, ex ante nicht vorhersehbar war.1011) Es sollte herausgearbeitet werden, mit welchen Risiken man zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahme tatsächlich rechnete und mit welchen Mitteln man sich um Absicherung bemühte. b) Business Judgement Rule Soweit dem Vorstand fehlerhafte unternehmerische Entscheidungen vorge- 712 worfen werden, wird die Berufung auf die Business Judgement Rule gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG regelmäßig die Hauptverteidigungslinie darstellen. Der Vorstand muss dann vortragen und beweisen, dass er „vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“1012) Dies ändert natürlich nichts daran, dass im ersten Schritt die klagende Gesellschaft eine Handlung oder Unterlassung des Vorstands beweisen muss, die sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellt.1013) Hauptproblem wird hierbei oft sein, ob die eingeholten Informationen an- 713 gemessen waren. Die Gerichte neigen insoweit zu großer Strenge. Der BGH formuliert, der Geschäftsleiter müsse „in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen.“1014) Es liegt auf der Hand, dass Vorstände in aller Regel nicht „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art“ ausschöpfen, weil dies zeitlich gar nicht machbar ist – Unmögliches kann aber von niemandem verlangt werden. Entscheidend ist, dass sich der Vorstand in der konkreten Situation vernünftig und angemessen informiert hat und annehmen durfte, dass die eingeholten Informationen hinreichend waren (so auch ___________ 1011) Allgemein zu Techniken des „debiasing“ Steinbeck/Lachenmaier, NJW 2014, 2086, 2090 f. m. w. N. 1012) BGH NZG 2011, 549 = ZIP 2011, 766 Tz. 19˺ff. 1013) Dies betont im Ausgangspunkt zu Recht Paefgen, NZG 2009, 891, 893 f. 1014) BGH NZG 2008, 751, 752 = ZIP 2008, 1675.
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der klare Wortlaut von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).1015) Es ist daher ausführlich darzulegen, welche Informationen der Vorstand eingeholt hat und warum er davon ausgehen durfte, dass die Einholung weiterer Informationen nicht erforderlich war. Es sollte erläutert werden, welches Zeitpensum für die Entscheidung zur Verfügung stand und wo der Zeitdruck herrührte. c) Weitere Verteidigungslinien 714 Soweit es dem Vorstand nicht gelingt, den Vorwurf der Pflichtverletzung zu entkräften, bleibt ihm immer noch der Einwand mangelnden Verschuldens. Von hoher praktischer Bedeutung ist dieser Entlastungsgrund allerdings nicht, da im Aktienrecht (wie im gesamten Zivilrecht) ein objektiver Verschuldensmaßstab gilt, so dass objektive Pflichtverletzung und subjektives Vertretenmüssen (Verschulden) nahezu vollständig parallel laufen.1016) Relevant ist der Einwand mangelnden Verschuldens im Wesentlichen nur bei unvermeidbaren Irrtümern aufgrund qualifizierter Beratung. Zu denken ist etwa an Rechtsirrtümer aufgrund der (falschen) Beratung durch Rechtsabteilung oder Rechtsanwalt. Hier kann der Vorstand sich entlasten, wenn er sich „unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht“.1017) 715 Im Hinblick auf die Kausalität liegt die Beweislast, wie dargelegt, bei der klagenden Gesellschaft. Kann die Gesellschaft die Kausalität beweisen, so bleibt dem Beklagten der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Zu beachten ist insoweit, dass der Verstoß gegen die innergesellschaftliche Kompetenzordnung allein nach neuerer Rechtsprechung allein noch keine Schadensersatzpflicht begründet.1018) Der Vorstand kann sich also entlasten, wenn er beweist, dass der eingetretene Schaden auch bei Beachtung der gesellschaftsinternen Kompetenzordnung eingetreten wäre. Bei Kollegialentscheidungen kann sich jedoch kein Vorstandsmitglied damit entlasten, dass die pflichtwidrige Entscheidung auch ohne seine Zustimmung zustande gekommen wäre.1019) Selbst wenn er gegen eine Maßnahme gestimmt hat, kann ihm vorgeworfen werden, keine weitergehenden Maßnahmen gegen die Durchsetzung des
___________ 1015) Vgl. ausführlich MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 48 ff.; Grigoleit/Grigoleit/ Tomasic, AktG, § 93 Rn. 34. 1016) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 176; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 60. 1017) BGH NZG 2011, 1271 = ZIP 2011, 2097; BGH NZG 2015, 792, 794. 1018) BGH NZG 2008, 783 = ZIP 2008, 1818 Tz. 19; BGH NZG 2007, 185 = ZIP 2007, 268 Tz. 12. 1019) Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 217 ff.; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 64.
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rechtswidrigen Beschlusses ergriffen zu haben (bspw. durch Information des Aufsichtsrats).1020) Ist der klagenden Gesellschaft der Nachweis eines Schadens gelungen, so kann 716 der Vorstand sich auf die Grundsätze der Vorteilsausgleichung berufen, wenn der Gesellschaft aus dem konkret haftungsbegründenden Verhalten auch Vorteile entstanden sind. So muss sich die Gesellschaft im Fall von unzulässigen Spekulationsgeschäften auf einen Schadensersatzanspruch wegen der entstandenen Verluste grundsätzlich die Gewinne anrechnen lassen, die aus gleichartigen unzulässigen Spekulationsgeschäften entstanden sind.1021) d) Informationsprobleme Die aus der Beweislastverteilung gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG folgenden 717 Schwierigkeiten für den Vorstand potenzieren sich, wenn der Vorstand zum Zeitpunkt der Haftungsklage aus der Gesellschaft ausgeschieden ist und keinen direkten Zugang mehr zu den Unterlagen der Gesellschaft hat.1022) Die Gesellschaft hat dem Vorstand dann jedoch Einsicht in sämtliche für die Beurteilung der Haftpflichtfrage erforderlichen Unterlagen zu gewähren.1023) Da aufgrund bloßer Einsicht in Dokumente eine sinnvolle Verteidigung nicht aufgebaut werden kann, muss das Unternehmen den Beklagten auf deren Wunsch auch Kopien der für die Verteidigung erforderlichen Dokumente zur Verfügung stellen oder es zumindest ermöglichen, dass entsprechende Kopien gefertigt werden. Verstößt das Unternehmen gegen diese Pflicht, so kann es sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr auf die Beweislastumkehr gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG berufen. Außerdem kann der Beklagte in solchen Fällen gem. § 142 ZPO vorgehen. Das Fehlen von Unterlagen kann andererseits natürlich nicht zu Lasten der 718 Gesellschaft gehen, soweit diese deshalb nicht vorliegen, weil der beklagte Vorstand seine Dokumentationspflicht verletzt hat. Soweit die Gesellschaft entsprechende Vorwürfe erhebt, wird das Gericht über die Frage, warum bestimmte Unterlagen nicht vorliegen, nach den allgemeinen Regeln zu entscheiden haben. Insbesondere werden Zeugen dazu anzuhören sein, ob bestimmte Unterlagen (bspw. Vorstandsprotokolle) erstellt wurden, wie diese regelmäßig aufbewahrt wurden, ob sie zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Vorstands noch vorhanden waren usw. Auch eine Parteivernehmung des beklagten Vorstands kommt insoweit in Betracht.
___________ 1020) LG München I NZG 2014, 345, 348 = ZIP 2014, 570. 1021) BGH NJW 2013, 1958 (3. Leitsatz). 1022) Die Beweislastverteilung bleibt jedoch von dem Ausscheiden unberührt: vgl. statt aller MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 188. 1023) BGH NZG 2003, 81, 82 = ZIP 2002, 2314; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 188; Freund, NZG 2015, 1419, 1420.
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e) Abwehrstrategie bei mehreren Beklagten 719 Jedes Vorstandsmitglied haftet nur für die Verletzung eigener Pflichten. Es kommt also durchaus in Betracht, dass einzelne beklagte Vorstandsmitglieder haften, andere aber nicht. Insofern sind Interessengegensätze zwischen mehreren beklagten Vorstandsmitgliedern möglich. Bspw. mag ein nicht ressortzuständiges Vorstandsmitglied der Auffassung sein, es habe seine Überwachungspflicht nicht verletzt, weil es aufgrund der (sachlich falschen) Erläuterungen des ressortzuständigen Vorstandsmitglieds keinen Anlass zu entsprechenden Prüfungen gehabt habe. Ein entsprechender Sachverhalt kann zur Entlastung des nicht ressortverantwortlichen Vorstandsmitglieds führen, aber eine (weitere) Pflichtverletzung des ressortzuständigen Vorstandsmitglieds durch Verletzung der Informationspflichten gegenüber den Vorstandskollegen begründen. Allgemeiner: Eine Verteidigung, die einem Vorstandsmitglied nutzt, kann für das andere Vorstandsmitglied durchaus ungünstig sein. 720 Andererseits spricht unter taktischen Gesichtspunkten viel dafür, dass mehrere verklagte Vorstände ihre Verteidigungsstrategie miteinander abstimmen. Wenn die beklagten Vorstände sich gegenseitig beschuldigen, wird dies in erster Linie der klagenden Gesellschaft in die Hände spielen. Dementsprechend ist die Abstimmung zwischen mehreren beklagten Vorständen bzw. deren Rechtsvertretern regelmäßig komplex und verlangt viel Fingerspitzengefühl. Die D&O-Versicherung spielt hier häufig eine wichtige Rolle als Vermittlerin. Dabei sollte allerdings nicht aus den Augen verloren werden, dass die D&OVersicherung durchaus auch eigene Interessen verfolgt: Aus ihrer Sicht ist es irrelevant, ob ein Vorstandsmitglied oder mehrere Vorstandsmitglieder haften. Die Versicherung wird daher im Regelfall in erster Linie Interesse an einer Verteidigungsstrategie haben, die zu einer Klageabweisung zugunsten aller beklagten Vorstandsmitglieder führt; eine Strategie, die möglicherweise zur Klageabweisung gegen einen von mehreren Beklagten führt, aber gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zumindest eines Beklagten erhöht, ist für die Versicherung ohne jedes Interesse. 721 Ein Patentrezept für den Umgang mit sich stellenden Problemen bei mehreren beklagten Vorständen gibt es nicht. Die richtige Strategie kann nur anhand des konkreten Einzelfalls entwickelt werden. Im Regelfall ist jedoch zu empfehlen, eine im Grundsatz einheitliche Verteidigungsstrategie mitzutragen und dabei jedoch genau darauf zu achten, dass die eigenen Interessen hierbei hinreichend berücksichtigt werden. Es gibt keine Verpflichtung, Vorwürfe einzuräumen oder unwidersprochen zu lassen, um andere Beklagte zu schonen, auch nicht als Obliegenheit gegenüber der Versicherung. 7. Gesamtschuld und Streitverkündung 722 Haben mehrere Vorstandsmitglieder ihre Pflichten verletzt, so haften sie der Gesellschaft gem. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG als Gesamtschuldner gem. § 421
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BGB.1024) In gleicher Weise haften Mitglieder des Vorstands und Mitglieder des Aufsichtsrats als Gesamtschuldner, wenn Mitglieder beider Organe ihre Pflichten verletzt haben.1025) In der Folge kann Vorstandsmitgliedern, die den Haftungsanspruch der geschädigten Gesellschaft erfüllen, gegen die mitverantwortlichen Organmitglieder ein Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich gem. § 426 Abs. 1 BGB und § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehen. Ob ein solcher Regressanspruch tatsächlich besteht, hängt von der internen Haftungsverteilung zwischen den Ersatzpflichtigen ab. Diese richtet sich nach dem Grad der jeweiligen Verantwortlichkeit (§ 254 BGB analog).1026) Den beklagten Organmitgliedern muss daher daran gelegen sein, ihre (poten- 723 tiellen) Regressansprüche gegen die (potentiell) Mitverantwortlichen zu sichern. Geeignetes Mittel ist insoweit die Streitverkündung gem. §§ 72 ff. ZPO, die gem. § 73 ZPO durch Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes an den Streitverkündungsempfänger erfolgt. Die Streitverkündung zur Sicherung des Gesamtschuldnerausgleichs ist zu- 724 lässig gem. § 72 ZPO und führt die Nebeninterventionswirkung gem. §§ 74, 68 ZPO herbei;1027) der Streitverkündungsempfänger wird also in einem etwaigen Rechtsstreit über den Gesamtschuldnerausgleich mit dem Einwand nicht gehört, der Rechtsstreit, in dem der Streitverkünder verurteilt wurde, sei falsch entschieden worden (§§ 74 Abs. 1, 68 ZPO). Wichtig ist zudem, dass die Streitverkündung die ansonsten drohende Verjährung des Anspruchs gem. § 426 Abs. 1 BGB hemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB); denn der Lauf der Verjährung des Ausgleichsanspruchs gem. § 426 Abs. 1 BGB soll bereits mit der Fälligkeit des Hauptanspruchs beginnen und endet gem. § 195 Abs. 1 BGB nach Ablauf von drei Jahren.1028) Bei Beendigung des Haftungsprozesses wird der Ausgleichsanspruch gem. § 426 Abs. 1 BGB daher häufig bereits verjährt sein. Die Rückgriffsmöglichkeit über die Legalzession gem. § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB bleibt zwar von der Verjährung des Anspruchs gem. § 426 Abs. 1 BGB unberührt,1029) die Legalzession hat aber ihre eigenen Risiken: Wenn der zedierte Anspruch gegen die unverklagten Organmitglieder nach jahrelangem Rechtsstreit verjährt ist, können die unverklagten Organmitglieder dies dem in Anspruch genommen Organmitglied entgegenhalten.1030) Außerdem scheitert die Legalzession, wenn und soweit die Gesellschaft auf die betreffenden Ansprüche im Wege eines Vergleichs verzichtet hat.1031) ___________ 1024) BGH NZG 2008, 104, 105 = ZIP 2008, 117; Fischer, ZIP 2014, 406; zur gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Geschäftsführer einer GmbH vgl.: Ultsch, Rn. 822. 1025) RGZ 159, 86 (zur Genossenschaft); Grigoleit/ Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 66. 1026) Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 66; Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 57. 1027) Musielak/Voit/Weth, ZPO, § 72 Rn. 6; zur Streitverkündung unter Mitgeschäftsführern einer GmbH vgl. auch: Ultsch, Rn. 837. 1028) BGH NJW 2010, 60 = ZIP 2009, 1821; MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 25. 1029) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 25; OLG München OLGR 2009, 673. 1030) Fischer, ZIP 2014, 406, 407. 1031) Fischer, ZIP 2014, 406, 408.
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725 Die Streitverkündung kann einerseits gegen nicht mitverklagte potentiell Mitverantwortliche gerichtet werden; sie ist aber auch zwischen mehreren Beklagten zulässig1032) und kann auch insoweit sinnvoll sein, um das Ergebnis des Rechtsstreits für den Regressprozess zu sichern. 726 Die Wirkungen der Streitverkündung sind allerdings im praktischen Ergebnis irrelevant, wenn die D&O-Versicherung den Haftungsanspruch der geschädigten Gesellschaft vollständig erfüllt. Die Streitverkündung bringt dann auch keinen „moralischen“ Vorteil im Sinne einer gerichtlichen Feststellung der Mitverantwortung der Streitverkündungsempfänger, weil im Hauptprozess nicht darüber entschieden wird, ob und in welchem Umfang (auch) der Streitverkündungsempfänger seine Pflichten verletzt hat. 727 Jedenfalls in Fällen, in denen keine Sicherheit darüber besteht, ob die D&OVersicherung vollständig zahlen wird (bspw. weil die Deckungssumme nicht ausreicht oder Haftungsausschlüsse zu greifen drohen), ist in der Regel jedoch zu empfehlen, potentielle Regressansprüche abzusichern. Ob insoweit jedoch die Streitverkündung das richtige Mittel der Wahl ist oder vertragliche Lösungen vorzuziehen sind, bedarf stets sorgfältiger Prüfung. 728 Zu bedenken ist, dass mit einer Streitverkündung bei hohem Streitwert enorme Kosten verbunden sind, da auch der Rechtsanwalt des Streitverkündungsempfängers mindestens die RVG-Gebühr abrechnen muss. Bei einem Streitwert von EUR 30 Mio. fallen bereits erstinstanzlich Anwaltskosten in Höhe von ca. EUR 300.000 an. Bei mehreren Streitverkündungsempfängern und mehreren Instanzen potenziert sich das Problem entsprechend. Da die Streitverkündungsempfänger ebenfalls von der D&O-Versicherung geschützt sind, werden diese Kosten im Rahmen des Abwehrschutzes ebenfalls von der D&O-Versicherung getragen und mindern dementsprechend die Versicherungssumme. Die insoweit aufgewendeten Beträge können also später für eine vollständige Befriedigung der geschädigten Gesellschaft oder auch für einen sinnvollen Vergleichsschluss fehlen. Dies gilt noch verstärkt, wenn die Streitverkündungsempfänger ihrerseits noch weiteren Organmitgliedern den Streit verkünden (§ 72 Abs. 2 ZPO); auch insoweit schuldet die D&O-Versicherung Abwehrschutz, so dass im Ergebnis die Versicherungssumme gemindert wird. Manchmal werden insoweit regelrechte chicken games (Feiglingsspiele) im Sinne der Spieltheorie veranstaltet, wenn bspw. der Aufsichtsratsvorsitzende droht, im Fall einer Streitverkündung an ihn werde er sämtlichen bisher noch nicht verklagten Organmitgliedern den Streit verkünden. 729 Zu bedenken ist weiterhin, dass nach bislang herrschender Meinung den in erster Linie Ressortverantwortlichen kein Regressanspruch gegen mitverantwortliche andere Organmitglieder zustehen soll, die lediglich ihre Überwachungspflicht verletzt haben.1033) Insbesondere Regressansprüche von Vor___________ 1032) Musielak/Voit/Weth, ZPO, § 72 Rn. 7. 1033) Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 245; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 263.
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ständen gegen Aufsichtsratsmitglieder kommen nach dieser herrschenden Meinung also nur in Betracht, soweit der Aufsichtsrat nicht nur überwachend, sondern auch selbst unternehmerisch tätig geworden ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Aufsichtsrat der streitgegenständlichen Maßnahme im Rahmen eines Zustimmungsvorbehalts (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) zugestimmt oder den Vorstand pflichtwidrig zu dieser Maßnahme veranlasst hat. Es ist zwar zu bezweifeln, ob diese herrschende Meinung in ihrer Pauschalität für das Recht der Organhaftung zutrifft. Denn der Aufsichtsrat schuldet nicht nur Überwachung, sondern auch Beratung. Wenn die streitgegenständlichen Maßnahmen dem Aufsichtsrat bekannt waren und von diesem (auch ohne formale Zustimmung) mitgetragen wurden, sollte die Mitverantwortung des Aufsichtsrats nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, sondern muss aufgrund einer Analyse des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Jedoch muss bei einer Streitverkündung an nicht ressortverantwortliche Vorstandskollegen und an Aufsichtsratsmitglieder stets bedacht werden, dass nach herrschender Meinung im Fall bloßen Überwachungsverschuldens ein Regress ausscheidet und die Streitverkündung somit zwar zulässig aber nutzlos wäre. Häufig dient die Streitverkündung nicht nur oder nicht einmal vorrangig der 730 Vorbereitung des Gesamtschuldnerausgleichs, sondern vor allem auch taktischen Zwecken. Dies gilt insbesondere, wenn der Aufsichtsrat, der die Klageerhebung gegen den Vorstand veranlasst hat, bereits zum Zeitpunkt der (behaupteten) Pflichtverletzung des Vorstands im Amt war. Der latente Interessenkonflikt des Aufsichtsrats im Hinblick auf meist nicht auszuschließende eigene Pflichtverletzungen wird aufgedeckt und ins Bewusstsein aller Beteiligten (nicht zuletzt der interessierten Öffentlichkeit) gehoben. Der beklagte Vorstand, der auch einen Ruf zu verteidigen hat, wird zumindest für den Augenblick und „gefühlt“ vom Gejagten zum Jäger. Ob durch die Streitverkündung die Bereitschaft des Aufsichtsrats zu einem für den Vorstand schonenden Vergleich gesteigert oder sich die Fronten weiter verhärten ist eine im Wesentlichen psychologische Frage; dies wird sich in der Regel nicht vorhersagen lassen. Jedenfalls gerät auch die D&O-Versicherung mit jeder zusätzlichen Streitverkündung weiter unter Druck, weil die Abwehrkosten steigen. Insofern mag anzunehmen sein, dass jedenfalls die Drohung mit einer Vielzahl von Streitverkündungen die Vergleichsbereitschaft von Aufsichtsrat und D&O-Versicherung erhöhen kann. Dieser Effekt kann sich jedoch in sein Gegenteil verkehren, sobald die Streitverkündungen tatsächlich erklärt und die entsprechenden Rechtsanwaltskosten angefallen sind, weil die entsprechenden Summen dann bereits (sinnlos) verbraucht sind und nicht mehr für den Vergleich zur Verfügung stehen. Als Alternative zur Streitverkündung können vertragliche Vereinbarungen der 731 Beklagten mit den nicht mitverklagten Organen in Betracht gezogen werden, in denen letztere für einen bestimmten Zeitraum auf den Einwand der Verjährung verzichten und sich verpflichten, die Ergebnisse des Vorprozesses
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für einen etwaigen Regressprozess zu akzeptieren.1034) Im Gegenzug wird in der Regel vereinbart, dass die nicht mitverklagten Vorstände über den Stand des Haftungsprozesses zumindest vollständig informiert werden. Diese Lösung ist zwar nicht ideal, weil die nicht verklagten Organe an die Ergebnisse des Haftungsprozesses gebunden werden, ohne selbst hieran beteiligt zu sein. Das hiermit verbundene Risiko kann aber im konkreten Fall akzeptabel sein, weil einerseits damit zu rechnen ist, dass die beklagten Vorstände und die D&O-Versicherung alles tun werden, um sich gegen den geltend gemachten Anspruch zu verteidigen, und weil andererseits Vorrausetzung der Haftung jedes einzelnen Organmitglieds eine eigene Pflichtverletzung ist und über diese erst im Regressprozess entschieden wird. Schwächere Alternative zur vollständigen vertraglichen Abbildung der Streitverkündung ist ein bloßer Verjährungsverzicht. 8. Vergleich a) Formale Anforderungen an Vergleiche in Organhaftungsfällen 732 Fälle der Vorstandshaftung werden oft durch Vergleich entschieden. Die Gesellschaft wird auch insoweit durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 112 AktG); dies gilt auch, nachdem das Vorstandsmitglied ausgeschieden ist.1035) Betrifft der Vergleich nur das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Vorstand, so spricht man von einem Haftungsvergleich. Regelt der Vergleich auch die Deckung der Schäden durch die D&O-Versicherung, so spricht man von einem Deckungs- und Haftungsvergleich.1036) Auch „reine“ Haftungsvergleiche müssen aber mit der D&O-Versicherung abgestimmt werden und werden regelmäßig nur mit Zustimmung der D&O-Versicherung und bei Vorliegen entsprechender Deckungszusagen geschlossen, da ansonsten die Verweigerung der Leistung durch die Versicherung droht.1037) 733 Gem. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG dürfen Vergleiche über Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder erst geschlossen werden, wenn seit der Entstehung des Anspruchs drei Jahre vergangen sind. Erforderlich ist gem. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG außerdem, dass die Hauptversammlung dem Vergleich zustimmt; die Zustimmung gilt als nicht erteilt, wenn eine Minderheit mit Anteilen in Höhe von 10 % des Grundkapitals in der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt. Vergleiche, die gegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG verstoßen, sind nichtig; dies gilt selbst für Prozessvergleiche. Die Dreijahresfrist gem. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG soll verhindern, dass Vergleiche voreilig geschlossen werden, bevor das konkrete Ausmaß des Scha___________ 1034) Solche Vereinbarungen sind üblich; Einzelheiten hierzu sind in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht geklärt. 1035) BGH NZG 2009, 466. 1036) Lange, D&O Versicherung und Managerhaftung, § 19, Rn. 1. 1037) Lange, D&O Versicherung und Managerhaftung, § 19, Rn. 26; Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248, 253.
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dens vollständig klar ist. Sowohl der Vergleichsschluss durch den Aufsichtsrat als auch die Zustimmung durch die Hauptversammlung dürfen daher erst nach Ablauf der Dreijahresfrist erfolgen. Der Vergleich kann also nicht etwa schon früher geschlossen werden mit der Maßgabe, dass die Zustimmung durch die Hauptversammlung erst nach Fristablauf eingeholt wird. In der Sache ist § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG eine unglückliche Regelung, weil gerade in Organhaftungsfällen eine zügige Bereinigung im Interesse aller Beteiligten liegt.1038) Hier kann Abhilfe geschaffen werden, indem die Gesellschaft den Haftungsanspruch gegen den Vorstand an die D&O-Versicherung verkauft, wobei die ausgehandelte Vergleichszahlung der Versicherung rechtstechnisch zum Kaufpreis wird. Für solche Geschäfte soll § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht gelten.1039) Gem. § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG ist der wesentliche Inhalt des Vergleichs mit 734 der Einberufung der Hauptversammlung, die hierüber entscheiden soll, bekannt zu machen. Außerdem sollte ein (freiwilliger) Bericht über die Hintergründe des Vergleichs vorgelegt werden. Darin sollte insbesondere auch erläutert werden, warum der Vergleich und der damit verbundene teilweise Verzicht auf Ansprüche sachgerecht ist.1040) b) Pflichten des Aufsichtsrats beim Vergleichsschluss Die Entscheidung über den Vergleichsschluss ist eine unternehmerische Ent- 735 scheidung. Es gelten also die Grundsätze der Business Judgement Rule.1041) Da Vergleiche im Wege gegenseitigen Nachgebens zustande kommen (§ 779 BGB), ist mit ihnen regelmäßig ein teilweiser Anspruchsverzicht verbunden. Hierzu ist der Aufsichtsrat auch unter Berücksichtigung der Business Judgement Rule nur im Unternehmensinteresse berechtigt. Eine nicht im Unternehmensinteresse liegende „altruistische“ Verschonung von Vorstandsmitgliedern kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Dieser zutreffende Kern der ARAG/Garmenbeck Doktrin gilt auch für die Vorbereitung und den Abschluss eines Vergleichs.1042) Für den Aufsichtsrat ist daher beim Vergleichsschluss Vorsicht geboten. Dies gilt noch verstärkt, wenn der Aufsichtsrat bereits zum Zeitpunkt der haftungsbegründenden Pflichtverletzung im Amt war und eigene Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats in Betracht kommen. Denn dann liegt ein Interessenkonflikt nah. Dem Aufsichtsrat kann dann unterstellt werden, er habe sich aufgrund seines eigenen Erledigungsinteres___________ 1038) Der 71. Deutsche Juristentag hat die Streichung der Vorschrift empfohlen, DJT, Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsrecht des 70. DJT 2014, I. 7 a). 1039) Lange, in: D&O Versicherung und Managerhaftung, § 19 Rn. 53 ff.; Spindler/Stilz/ Fleischer, AktG, § 93 Rn. 284a. 1040) Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248, 250. 1041) Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248, 251; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 278; einschränkend Grigoleit, in: Fleischer, III.5 b. Die Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. 1042) So auch Grigoleit, in: Fleischer, III.5 b.
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ses für den Vergleich entschieden, die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule steht in Frage. Die Mitglieder des Aufsichtsrats müssen daher einen gewissen Mut aufbringen, um zum Vergleichsschluss zu kommen. 736 Verhältnismäßig weniger problematisch sind insoweit noch Vergleiche, bei denen die Vergleichszahlung von der D&O-Versicherung abgedeckt wird; solche Vergleiche beruhen in aller Regel auf einer realistischen Einschätzung aller mit der streitigen Durchsetzung der Ansprüche verbundenen Chancen und Risiken und sind Ergebnis intensiver Verhandlungen; für sachwidrige „Geschenke“ an die D&O-Versicherung werden in solchen Fällen Anhaltspunkte regelmäßig fehlen. Weiterhin besonders problematisch ist aber auf Grundlage der derzeitigen Rechtsprechung die (teilweise) Verschonung der haftenden Vorstandsmitglieder in Fällen, in denen die D&O-Versicherung nicht greift oder die Haftungssumme nicht ausreicht. Hier muss sorgfältig begründet werden, warum eine teilweise Verschonung des Vorstands dem Unternehmenswohl dient. Ein wichtiges Argument kann dabei vor allem bei Haftungs- und Deckungsvergleichen darin bestehen, dass die drohende Fortführung des Rechtstreits über Jahre aufgrund der damit verbundenen Abwehrkosten den Haftungsanteil der D&O-Versicherung zu dezimieren droht und das Unternehmen über Jahre in den negativen Schlagzeilen bleiben würde. Ergänzend mag in Anlehnung an die in ARAG/Garmenbeck angedeutete dritte Prüfungsstufe auf etwaige Verdienste der betroffenen Vorstände und die drohende Vernichtung deren wirtschaftlicher Existenz hingewiesen werden. 737 Soweit die Verschonung von Vorstandsmitgliedern nicht als im Unternehmenswohl liegend gerechtfertigt werden kann, ist sie für die Mitglieder des Aufsichtsrats mit hohen eigenen Haftungsrisiken belastet. Den Aufsichtsräten droht in Höhe des nicht durchgesetzten Betrags, soweit dieser bei den Vorständen realisierbar gewesen wäre, eine eigene Haftung. Die Haftungsbefreiung gem. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG könnte hier helfen, weil der Vergleich mit den Vorständen gem. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nur wirksam wird, wenn die Hauptversammlung zustimmt. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG soll jedoch für den Aufsichtsrat nicht gelten, weil der Aufsichtsrat im Gegensatz zum Vorstand an Beschlüsse der Hauptversammlung nicht gebunden sei. c) Gesamtwirkung des Vergleichs vereinbaren! 738 Angesichts der in Organhaftungsfällen stets möglichen Gesamtschuld mehrerer Organmitglieder ist bei Vergleichen insbesondere aus Sicht des haftpflichtigen Vorstands unbedingt darauf zu achten, dass Gesamtwirkung oder zumindest beschränkte Gesamtwirkung des Vergleichs vereinbart werden muss. Denn gem. § 423 BGB hat der Vergleich mit einem Gesamtschuldner im Regelfall nur Einzelwirkung.1043) Die Gesellschaft kann weiterhin gegen die übrigen haftpflichtigen Organe vorgehen und der vergleichsschließende Vor___________ 1043) BGH NJW 2012, 1071.
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stand kann von diesen weiteren haftpflichtigen Organen auf Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch genommen werden.1044) Es muss daher entweder vereinbart werden, dass der über die Vergleichssumme hinausgehende Teil der Haftungsansprüche der Gesellschaft zugunsten aller (potentiellen) Gesamtschuldner gilt („Gesamtwirkung“) oder aber zumindest, dass die Gesellschaft gegen andere (potentielle) Gesamtschuldner nur insoweit vorgehen darf, als diese keinen Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich gegen den vergleichsschließenden Vorstand nehmen können („beschränkte Gesamtwirkung“). d) Vergleichsschluss als geldwerter Vorteil Wichtig ist zudem, dass der mit dem Vergleich verbundene Forderungserlass 739 zugunsten des Vorstands unter Umständen als zu versteuernder geldwerter Vorteil angesehen werden kann. Es wird daher geraten, im Vergleich vorzusehen, dass die Gesellschaft den haftpflichtigen Vorstand von etwaigen steuerlichen Belastungen durch den Vergleich freistellt.1045) III. Außenhaftung des Vorstands Von der oben dargestellten Innenhaftung des Vorstands ist die Außenhaftung 740 gegenüber Aktionären und Dritten zu unterscheiden. Die Außenhaftung ist praktisch und theoretisch die Ausnahme. Es gilt der Grundsatz der Haftungskanalisierung, wonach der Vermögensschutz von Aktionären und Dritten über das Gesellschaftsvermögen realisiert wird. Die Innenhaftung geht daher im Regelfall vor, insbesondere Aktionäre und Dritte können keine Ansprüche aus einer Verletzung der Geschäftsleiterpflichten gem. § 93 AktG herleiten; § 93 AktG ist kein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. Allerdings erkennt das AktG in bestimmten Fällen den Aktionären und/oder dritten Gläubigern ein eigenes Verfolgungsrecht zu (vgl. §§ 147, 148, 309 Abs. 4 AktG u. a.). Der in der Praxis wichtigste und häufigste Fall der Außenhaftung ist die 741 Haftung wegen schuldhafter Verletzung der Insolvenzantragsantragspflicht gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO. Ebenfalls im Zusammenhang mit Insolvenzen wird nicht selten auch die Haftung wegen Verstoß gegen das Verbot von Zahlungen nach Insolvenzreife (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 92 Abs. 2 AktG) und wegen Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB1046) relevant. Bedeutsam ist zudem die Haftung wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen (gestützt auf § 826 BGB) und wegen Nichterfüllung steuerlicher Pflichten (§ 69 AO). Gefährlich für die Vorstände ist weiterhin die persönliche Haftung wegen Verkehrspflichtverletzungen der Gesellschaft, soweit diese ___________ 1044) Lange, D&O Versicherung und Managerhaftung, § 19 Rn. 11 ff. 1045) Lange, D&O Versicherung und Managerhaftung, § 19 Rn. 43. 1046) BGH ZIP 2011, 422, 424.
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auf der mangelhaften Organisation und Leitung des Unternehmens beruhen.1047) Im vertragsrechtlichen Bereich droht den Vorstandsmitgliedern nur höchst ausnahmsweise die Haftung aus culpa in contrahendo gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB, wenn sie in besonderer Weise persönliches Vertrauen in Anspruch nehmen und der geschädigte Vertragspartner das Geschäft gerade deshalb abschließt.1048) 742 In der Praxis bildet die persönliche Inanspruchnahme der Vorstände durch Dritte und Aktionäre außerhalb der Insolvenz auch dann die Ausnahme, wenn sie theoretisch möglich wäre. In Fällen, in denen eine solche Inanspruchnahme des Vorstands in Betracht käme, haftet die Gesellschaft im Regelfall auch selbst unmittelbar (§ 31 BGB) und wird der naheliegendere und solventere Klagegegner sein. Bei gegen die Gesellschaft gerichteten Klagen kann die gleichzeitige Inanspruchnahme von Mitgliedern des Vorstands allerdings durchaus ein geeignetes taktisches Mittel sein, um insgesamt den Druck zu erhöhen. In den USA scheint das gängige Praxis zu sein. Auch im Fall Kirch/ Deutsche Bank war die Schadensersatzklage gegen die Deutsche Bank AG und deren ehemaligen Vorstandssprecher Breuer persönlich gerichtet. 743 Regelmäßig wird in Fällen der Außenhaftung gleichzeitig auch ein Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft gegen das betreffende Vorstandsmitglied bestehen, weil der Vorstand aufgrund der Legalitätspflicht für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft verantwortlich ist. Die Gesellschaft kann und muss (ARAG/Garmenbeck!) daher Regress bei den verantwortlichen Vorstandsmitgliedern nehmen, wenn sie zur Zahlung verurteilt wird. Zur Sicherung des Regressanspruchs hat die in Haftung genommene Gesellschaft die Streitverkündung gegenüber den verantwortlichen Vorstandsmitgliedern zu erwägen.1049) Eine solche Streitverkündung wird einerseits „rein juristisch“ im Regelfall geboten sein, kann aber unter taktischen Gesichtspunkten durchaus unglücklich sein, weil ein Keil zwischen Vorstand und Gesellschaft getrieben und dies nach außen hin dokumentiert wird. Hier sind schwierige Abwägungsentscheidungen zu treffen. Ist der Vorstand ohnehin schon mitverklagt und somit am Prozess beteiligt, wird eine Streitverkündung eher in Betracht kommen. Anderenfalls sollten unter Einbezug der D&O-Versicherung eher vertragliche Lösungen gesucht werden, um die Wirkungen der Streitverkündung abzubilden. IV. Haftung des Aufsichtsrats 1. Innenhaftung 744 Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats haften der Gesellschaft für die Wahrung der erforderlichen Sorgfalt; § 116 AktG verweist ausdrücklich auf § 93 AktG. Pflichtverletzungen kommen einerseits im Rahmen der geschuldeten ___________ 1047) BGH NJW 1990, 976, 977 f. = ZIP 1990, 35. 1048) BGH DStR 2002, 1275 f. = ZIP 2002, 1771; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 87. 1049) Ausführlich dazu Schwab, NZG 2013, 521.
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Überwachung des Vorstands, insbesondere bei der Zustimmung zu zustimmungspflichtigen Geschäften, in Betracht. Darüber hinaus sind Pflichtverletzungen im Bereich der Personalmaßnahmen möglich, so wenn der Aufsichtsrat die erforderliche Abberufung eines Vorstands unterlässt oder ein offensichtlich ungeeignetes Vorstandsmitglied beruft. § 116 Satz 2 AktG betont, dass der Aufsichtsrat bei Festsetzung einer unangemessenen Vorstandsvergütung haftet. In der Unternehmenskrise muss der Aufsichtsrat tätig werden, wenn der Vorstand die Stellung eines erforderlichen Insolvenzantrags unterlässt, und sich selbst ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft machen.1050) Besonders haftungsträchtig ist außerdem die Unterlassung der Durchsetzung von gegen Vorstandsmitglieder bestehenden Ansprüchen; dies ist oben ausführlich dargelegt worden. Zuständig für die Durchsetzung der gegen den Aufsichtsrat bestehenden In- 745 nenhaftungsansprüche ist der Vorstand. Der Vorstand wird Ansprüche gegen den zeitgleich im Amt befindlichen Aufsichtsrat kaum je geltend machen, weil sich in aller Regel die vorrangige eigene Haftung des Vorstands aufdrängen würde. Praktisch kommt die Inhaftungnahme des Aufsichtsrats nur durch einen neuen Vorstand für vor seinem Amtsantritt liegende Pflichterletzungen sowie (am häufigsten) durch den Insolvenzverwalter in Betracht. Für die Einzelheiten des Haftungsanspruchs kann auf die obigen Ausführungen 746 zur Vorstandshaftung verwiesen werden.1051) Es gilt die Beweislastumkehr gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Im Bereich unternehmerischer Entscheidungen kann auch der Aufsichtsrat sich auf die Business Judgement Rule berufen. Jedes Aufsichtsratsmitglied haftet nur für eigene Pflichtverletzungen. Eine Delegation von Aufgaben auf Ausschüsse ist möglich; für Pflichtverletzungen der gebildeten Ausschüsse haften die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nur, wenn sich Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Ausschusstätigkeit aufdrängen mussten. Soweit mehrere Aufsichtsratsmitglieder ihre Pflichten verletzt haben, haften sie als Gesamtschuldner. Ebenso haften Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder als Gesamtschuldner, wobei im Fall bloßen Überwachungsverschuldens der Haftungsanteil der Aufsichtsratsmitglieder im Innenverhältnis Null betragen soll.1052) 2. Außenhaftung Auch eine Außenhaftung des Aufsichtsrats gegenüber Aktionären und Dritten 747 ist möglich, allerdings selten, weil die Tätigkeit des Aufsichtsrats nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist (Überwachung und Beratung des Vorstands). Praktisch relevant sind vor allem Fälle der Teilnahme an deliktischem Handeln des Vorstands (bspw. Insolvenzverschleppung, Anlagebetrug). Auf die Ausführungen zur Außenhaftung des Vorstands wird verwiesen. ___________ 1050) BGH NJW 2009, 2454 = ZIP 2009, 860. 1051) Siehe oben III Rn. 740 ff. 1052) Siehe oben II 7 Rn. 729.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbHGeschäftsführers Michael L. Ultsch
748 Breuer1053), von Pierer1054), Middelhoff1055), Neubürger1056). Die Haftung von Unternehmensleitern steht nicht mehr nur auf dem Papier. Und „Beißhemmungen“1057) nehmen auch immer mehr ab.1058) Von besonderer Bedeutung ist die sog. „Innenhaftung“ des Leitungsorgans1059) – bei der GmbH des Geschäftsführers –, der „Gutsverwalter“ und nicht „Gutsherr“1060) ist. 749 Dieser Beitrag handelt von der Innenhaftung des Geschäftsführers, also von dessen Verantwortlichkeit gegenüber der GmbH.1061) Abzugrenzen hiervon ist die Außenhaftung1062) des Geschäftsführers, also dessen Verantwortlichkeit gegenüber Dritten, wie etwa Arbeitnehmern,1063) Vertragspartnern1064) oder Wettbewerbern.1065) ___________ 1053) „Kirch“: www.welt.de/wirtschaft/article130797230/Fall-Kirch-Deutsche-Banknimmt-Breuer-in-Regress.html (2.8.2014); „Haftungsvergleich“ und „Deckungsvergleich“ in der causa „Breuer“: Tagesordnungspunkt 10 der Hauptversammlung der Deutsche Bank AG am 19.5.2016. 1054) „Schwarze Kassen bei Siemens“: Redaktion beck-aktuell becklink 257214; www.sueddeutsche.de/wirtschaft/neue-erkenntnisse-im-schmiergeldskandal-piererdroht-millionenklage-von-siemens-1.209935 (17.5.2010). 1055) LG Essen, v. 14.11.2014 – 35 KLs 14/13 („Middelhoff“); „Arcandor-Insolvenz“: www.faz.net/aktuell/wirtschaft/nach-arcandor-insolvenz-middelhoff-mussschadenersatz-zahlen-11729944.html (25.4.2012). 1056) „Schwarze Kassen bei Siemens“: LG München I NZG 2014, 345 = BeckRS 2014, 03724 = ZIP 2014, 570; Berufung zum OLG München, Aktenzeichen 7 U 113/14 – durch Vergleich erledigt. 1057) Peltzer (WM 1981, 346, 348 f.) begründete den Begriff der „Bisssperre“ des Aufsichtsrats gegenüber Vorstandsmitgliedern. 1058) Bestandaufnahme und zu aktuellen Entwicklungen (insbesondere Vorschlägen – de lege ferenda): Ehmann, Rn. 674. 1059) Zur Haftung anderer Organe gegenüber der GmbH, etwa der Mitglieder eines fakultativen oder obligatorischen Aufsichtsrates: MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 52 Rn. 620 ff.; zur Haftung der Gesellschafter gegenüber der GmbH: MünchKommGmbHG/Merkt, § 13 Rn. 200 ff.; vgl. auch Ehmann, Rn. 744 ff. (zur Haftung der Aufsichtsratsmitglieder einer AG). 1060) Im Zusammenhang mit Aufsichtsratspflichten: Säcker/Vera, BB 2006, 897, 897 – 905. 1061) Zur Haftung des Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftern: Münchener Anwaltshandbuch GmbHR/Römermann/Terlau/Hürten, § 10 Rn. 10. 1062) Zur Abgrenzung Außen-/Innenhaftung: BGH NZI 2007, 603, 605 ff. = ZIP 2007, 1552 „Trihotel“ und BGH NJW-RR 2014, 1382, 1383 ff. = ZIP 2014, 1475. Zur Außenhaftung vgl. auch: Ehmann, Rn. 741 ff. 1063) Vgl. etwa: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 28.10.2015 –3 Sa 132/14, BeckRS 2015, 73683, Rn. 35 ff. 1064) Zur persönliche Haftung des UG-Geschäftsführers bei Handeln ohne Zusatz „haftungsbeschränkt“: LG Düsseldorf NZG 2014, 823, 824 f. = ZIP 2014, 1174; zur deliktischen Haftung des Geschäftsführers wegen Veräußerung einer nicht im Eigentum der GmbH stehenden Sache: OLG Saarbrücken BeckRS 2014, 02985; BGH NJW 1996, 1535, 1536 = ZIP 1996, 786. 1065) BGH NJW-RR 2014, 1382, 1383 ff.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers
I. Konkretisierung: Gegenstand der Darstellung Haftungsgrundtatbestand1066) ist § 43 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GmbHG. Danach 750 haften Geschäftsführer,1067) die ihre „Obliegenheiten“ verletzen, der Gesellschaft solidarisch (als Gesamtschuldner) für den entstandenen Schaden. Das Gesetz meint hiermit Pflichtverletzungen1068) und knüpft im Hinblick auf den Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG an, wonach Geschäftsführer die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden haben. Stellt die Pflichtverletzung zugleich eine unerlaubte Handlung nach den §§ 823 ff. BGB gegenüber der Gesellschaft dar, so besteht Anspruchskonkurrenz.1069) II. Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG 1. Haftungsvoraussetzungen § 43 GmbHG1070) ist die Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche 751 der Gesellschaft1071) gegen ihre Geschäftsführer.1072) Dem Haftungsanspruch aus Geschäftsführervertrag kommt gegenüber § 43 Abs. 2 GmbHG keine eigenständige Bedeutung zu.1073) Die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG nimmt als gesetzliche Anspruchsgrundlage und als Spezialregelung die vertragliche Haftungsgrundlage in sich auf.1074) ___________ 1066) Zu anderen Haftungstatbeständen wie der Haftung wegen Zahlungen aus gebundenem Vermögen oder rechtswidrigem Erwerb eigener Geschäftsanteile (§ 43 Abs. 3 GmbHG): Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 48 ff.; Haftung für fehlerhafte Angaben bei Gründung oder bei Kapitalerhöhung (§§ 9a Abs. 1, 57 Abs. 4 GmbHG): Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 6; Haftung wegen existenzvernichtender Zahlungen an Gesellschafter (§ 64 Satz 3 GmbHG): Lutter/Hommelhoff/ Kleindiek, GmbHG, § 64 Rn. 20 ff. sowie Röckrath, Rn. 1449; Haftung wegen Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung (§ 64 Satz 1 GmbHG): Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 64 Rn. 2 ff.; vgl. auch: Ehmann, Rn. 741 und Röckrath, Rn. 1412 ff. 1067) Zu den subjektiven Anwendungsbereich von § 43 GmbHG insbesondere bei fehlerhafter Organstellung, Strohmanngeschäftsführer und faktischer Geschäftsführer: Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 2 f.; sowie LG Hannover BeckRS 2016, 07417 („faktischer Geschäftsführer“). 1068) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 11. 1069) BGH BeckRS 2014, 07705; BGH BB 1989, 1637, 1640 = ZIP 1989, 1390; BGH BB 1992, 726, 727; Woedtke, NZG 2013, 484, 485. 1070) Zu den verschiedenen Funktionen der Organhaftung: Wagner, ZHR 178 (2014) 227, 251 ff. 1071) Keine Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern: Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 42 Rn. 98. 1072) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 1; zum persönlichen Anwendungsbereich: BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 13 ff. 1073) BGH NJW-RR 1989, 1255, 1256 = ZIP 1989, 1390; BGH NJW 1997, 741, 742; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 6; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 4; Podewils, GmbH-StB 2014, 177. 1074) BGH NJW-RR 1989, 1255, 1256 = ZIP 1989, 1390; BGH NJW 1997, 741, 742; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 6; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 4.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
a) Materielles Recht (Überblick) 752 Geschäftsführer haften, wenn sie durch positives Tun oder Unterlassen die ihnen gegenüber der Gesellschaft obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt und dadurch der Gesellschaft einen Schaden zugefügt haben. aa) Der Pflichtenkatalog 753 Die Pflichten der Geschäftsführer umfassen folgenden Katalog:1075) x
die Beachtung der vom Gesetz speziell angeordneten Ge- und Verbote einschließlich der in der GmbH geltenden Kompetenzverteilung1076) unter Berücksichtigung von Satzung, (soweit vorhanden) Geschäftsordnung und von Vorgaben des Anstellungsvertrags1077) und der Gesellschafterversammlung einschließlich der Verschwiegenheitspflicht;1078)
x
die Beachtung der allgemein von der Rechtsordnung aufgestellten Pflichten (Legalitätspflicht);1079)
x
die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit mit evtl. Mitgeschäftsführern und mit den Gesellschaftern;1080)
x
die Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung;1081)
x
die Treuepflicht.1082)
bb) Zusammenarbeit mit der Gesellschafterversammlung 754 Primär zuständig für die Geschäftsführung sind die Geschäftsführer; gewisse Geschäftsführungsaufgaben sind den Geschäftsführern allerdings von vornherein entzogen (z. B. § 46 Nr. 1, Nr. 1a, Nr. 7 GmbHG).1083) Anders als der Vorstand, der die AG unter eigener Verantwortung leitet (§ 76 Abs. 1 AktG),1084) ist der Geschäftsführer verpflichtet, Weisungen der Gesellschafterversammlung zu befolgen.1085) Das Weisungsrecht der Gesellschafter und die Folge___________ 1075) Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 42 Rn. 79 ff.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 898. 1076) BGH NZG 2015, 792, 794; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 64 ff. 1077) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 144 ff. 1078) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 25; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 127 ff. 1079) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 6 ff.; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 44 ff. 1080) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 21 ff.; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 52 ff. 1081) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 3 ff. 1082) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 26; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 86 ff. 1083) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 4. 1084) Mennicke, NZG 2000, 622. 1085) Mennicke, NZG 2000, 622.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers
pflicht der Geschäftsführer sind ein Charakteristikum der GmbH.1086) Daneben steckt die GmbH-Satzung, insbesondere der Unternehmensgegenstand1087) (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG), die Leitlinien der Unternehmensführung ab. In der Praxis sehen Satzungen häufig vor, dass bestimmte Geschäfte der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen.1088) Die Geschäftsführer haben die Pflicht, solchen Beschränkungen Folge zu leisten (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Entgegen der amtlichen Überschrift geht es hier im Wesentlichen nicht um 755 die Beschränkung der Vertretungs-, sondern der Geschäftsführungsbefugnis.1089) Rechtsgeschäfte, die unter Verstoß gegen § 37 GmbHG geschlossen werden, sind im Außenverhältnis grundsätzlich wirksam,1090) können aber zu Schadenersatzverpflichtungen der Geschäftsführer führen. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Geschäftsführer und Gesellschaf- 756 terversammlung ist in der Praxis insbesondere Folgendes relevant: x
Weisungsberechtigt ist grundsätzlich die Gesellschafterversammlung.1091) Erforderlich ist ein Beschluss.1092) Ein rechtswidriger Beschluss,1093) etwa gerichtet auf eine ungesetzliche Unternehmensführung,1094) stellt keine wirksame Weisung dar, wenn er von vorne herein nichtig ist1095) oder bei bloßer Anfechtbarkeit auf eine Anfechtungsklage hin durch Urteil aufgehoben wird.1096) Entsprechend § 43 Abs. 3 GmbHG dürfen Geschäftsführer Weisungen nicht befolgen, wenn sie gegen §§ 30, 33 GmbHG1097) oder öffentlich-rechtliche Pflichten verstoßen würden.1098) Ist der weisende Beschluss nur anfechtbar, ist zu differenzieren: Ist der Beschluss (durch Zeitablauf1099) unanfechtbar geworden, ist die Weisung grundsätzlich bin-
___________ 1086) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 17; Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2562; Wehrstedt, MittRhNotK 2000, 269, 280 f. m. w. N. 1087) Zum Unternehmensgegenstand als Kapitalverwendungsbeschränkung: Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, S. 26 ff. 1088) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 17. 1089) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 1. 1090) Zu den Grenzen: Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 41 ff. 1091) Zur abweichenden Regelungen im Gesellschaftsvertrag und deren Grenzen: Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 19; Mennicke, NZG 2000, 622, 622 ff.; zu den Befugnissen des Leiters einer GmbH-Gesellschafterversammlung: KG NZG 2016, 384. 1092) Zu Besonderheiten beim Eigengeschäftsführer einer Einmann-GmbH: BGH NJW 1993, 193, 194; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 33; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 40. 1093) Zur Beschlussanfechtung in der GmbH: Göz, Rn. 148 ff. 1094) BGH NJW 1994, 1801, 1802 f. = ZIP 1994, 867. 1095) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 22. 1096) BayObLGZ 1955, 333, 341 ff.; MünchKomm-GmbHG/Wertenbruch, Anh. zu § 47 Rn. 2, 120, 243, 275 m. w. N.; Mennicke, NZG 2000, 622, 624. 1097) BGH DStR 2015, 597, 599 Rn. 13 = ZIP 2015, 322. 1098) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 22. 1099) Kritisch: Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 22.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
dend.1100) Bei angefochtenen oder noch anfechtbaren Weisungen soll den Geschäftsführern ein gewisser Ermessensspielraum bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zustehen; sie sollen berechtigt sein, den Vollzug der Weisung vorübergehend auszusetzen.1101) Die Praxis mutet den Geschäftsführern die rechtliche Prüfung der Beschlüsse im Hinblick auf deren Nichtigkeit und/oder Anfechtbarkeit zu. Da nachträglich für nichtig erklärte Beschlüsse keine haftungsbefreiende Wirkung haben,1102) ist das Haftungsrisiko des Geschäftsführers in solchen Situationen besonders hoch. x
Bei ungewöhnlichen Geschäften hat der Geschäftsführer nach überwiegender Ansicht grundsätzlich die Gesellschafterversammlung zu befragen.1103) Schon im eigenen Interesse sollte der Geschäftsführer vor Abschluss ungewöhnlicher Geschäfte die Gesellschafterversammlung befragen. Allerdings steht hier der Geschäftsführer vor dem gleichen Dilemma wie bei (rechtswidrigen) Weisungen: Ein nichtiger zustimmender Gesellschafterbeschluss zu ungewöhnlichen Geschäften entlastet den Geschäftsführer nicht.1104) Praxistipp: Die Tätigkeit eines Geschäftsführers bei „Weisungen“ und ungewöhnlichen Geschäften oder Grundlagengeschäften erweist sich als besonders haftungsträchtig. „Eng“ kann es für einen Geschäftsführer im Vorfeld der Gesellschaftskrise werden, wenn ihm es die Gesellschafterversammlung nicht gestattet, Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) zu stellen. Drohende Zahlungsunfähigkeit gewährt dem Schuldner lediglich ein Antragsrecht, begründet aber keine Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags. Wegen der tiefgreifenden Folgen eines Insolvenzantrags darf ein Geschäftsführer wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nur dann die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen, wenn dem die Gesellschafterversammlung ausdrücklich zugestimmt hat.1105) Bei tatsächlich eingetretener Zahlungsunfähigkeit besteht hingegen eine Antragspflicht. Nach § 15a Abs. 1 InsO hat der Geschäftsführer den Insolvenzantrag ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) zu stellen. Verstöße hiergegen begründen eine strafrechtliche (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO) sowie zivilrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB;1106) § 15a InsO stellt ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB dar.1107) Gefährlicher als diese Sanktionen erweist sich die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 GmbHG.1108)
___________ 1100) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 22. 1101) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 22; Mennicke, NZG 2000, 622, 624. 1102) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 22. 1103) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 10; im Ausgangspunkt a. A. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 7. 1104) Zur „Verzahnung“ zwischen Kommunalrecht und Gesellschaftsrecht: Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2562 ff. 1105) OLG München NZG 2013, 742, 743 = ZIP 2013, 1121. 1106) Ehmann, Rn. 741 sowie Röckrath, Rn. 1445 ff. 1107) BGHZ 126, 190˺f.; BGHZ 138, 214. 1108) Einschränkend: BGH NJW 2015, 998; vgl. auch Knittel/Schwall, NZI 2013, 782.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers Nach dieser Vorschrift ist der Geschäftsführer der Gesellschaft grundsätzlich zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet werden.1109) Dies gilt auch für Zahlungen innerhalb der Dreiwochenfrist des § 15a Abs. 1 InsO.1110) Nun ist in der Praxis der Übergang von der drohenden Zahlungsunfähigkeit zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit fließend.1111) Ist es dem Geschäftsführer nicht gestattet, einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu stellen, riskiert er seine persönliche Haftung nach § 64 GmbHG, wenn er den Insolvenzantrag (zumindest einfach fahrlässig1112)) nicht „punktgenau“ bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit stellt. Die „Weisung“ der Gesellschafter, keinen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu stellen, entlastet den Geschäftsführer nicht, §§ 64 Satz 3, 43 Abs. 3 GmbHG. Um den Geschäftsführern in dieser Situation zu schützen, kann der Geschäftsführer zur Abwehr seiner Risiken insbesondere aus § 64 GmbHG eine umfassende Haftungsfreistellung von den Gesellschaftern verlangen. Wird ihm diese verweigert, soll er sogar zur Amtsniederlegung, außerordentlicher Kündigung seines Anstellungsvertrages und zur Geltendmachung seines durch die Kündigung entfallenen Geschäftsführergehaltes im Wege des Schadensersatzes berechtigt sein.1113)
cc) Besonderheiten bei der Beteiligung der öffentlichen Hand Beteiligt sich die öffentliche Hand an einer GmbH,1114) gelten für die 757 Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und dem Träger öffentlicher Gewalt als deren Gesellschafter neben den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften1115) auch die des öffentlichen Rechts.1116) Geht es um die Beteiligung einer Gemeinde, sind kommunalrechtliche Vorgaben zu beachten. Diese können als Landesrecht1117) keine Abweichungen vom bundesgesetzlichen GmbH-Gesetz bestimmen.1118) Kommunalrecht1119) kann das GmbH-Recht also nicht modifizieren oder suspendieren.1120) Es findet aber insoweit Anwendung, als dies im Rahmen des vorgegebenen Gesellschaftsrechts möglich
___________ 1109) Röckrath, Rn. 1440. 1110) OLG Brandenburg BeckRS 2007, 04072; LG München I ZInsO 2015, 1349; Michalski/ Nerlich, GmbHG, § 64 Rn. 45; MünchKomm-GmbHG/H.-F. Müller, § 64 Rn. 151. 1111) LG München I ZInsO 2015, 1349. 1112) § 64 Satz 3 GmbHG, hierzu: Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 3. 1113) LG München I ZInsO 2015, 1349. 1114) § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GO NRW gebietet es der Gemeinde, sich nur an solchen Betriebseinheiten zu beteiligen, bei denen aufgrund der gewählten Rechtsform eine Beschränkung der Haftung der Gemeinde auf einen bestimmten Betrag sichergestellt ist. 1115) Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2562. 1116) Erle/Becker, NZG 1999, 58, 59; Bracht, NVwZ 2016, 108, 110. 1117) Vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2012, 769 f. 1118) Erle/Becker, NZG 1999, 58, 59. 1119) Anders für bundesgesetzliche Regelungen: Erle/Becker, NZG 1999, 58, 59. 1120) VGH Kassel NVwZ-RR 2012, 566, 568 f.; Erle/Becker, NZG 1999, 58, 59 m. w. N.
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ist,1121) etwa bei der Vertretung der Gemeinde in der Gesellschafterversammlung oder bei der Besetzung eines fakultativen Aufsichtsrats.1122) 758 Von besonderer Bedeutung ist die kommunalinterne Zuständigkeit für die Geltendmachung der Gesellschafterrechte,1123) die sich nach dem Kommunalrecht der Länder richtet. In aller Allgemeinheit1124) lässt sich sagen: Der (erste) Bürgermeister ist für laufende Angelegenheiten,1125) sowie für dringliche und unaufschiebbare Geschäfte1126) zuständig, der Gemeinderat im Übrigen.1127) Dringlichkeit kann etwa vorliegen, wenn Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung zu treffen sind und es hierfür eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedarf (§ 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG).1128) Dabei ist es unerheblich, wenn die drohende Verjährung auf einem verwaltungsinternen Organisationsversehen beruht; die Dringlichkeit einer Anordnung beurteilt sich in zeitlicher Hinsicht nur nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Anordnung.1129) 759 Entscheidungen in der Gesellschafterversammlung stellen oft keine laufenden Angelegenheiten dar, so dass der Gemeinderat zuständig ist. Die Beurteilung hängt wesentlich von der Größe der Gemeinde ab, so dass das gleiche Geschäft in einer großen Gemeinde in die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters fallen kann, während es in einer kleinen Gemeinde dem Gemeinderat vorbehalten bleibt.1130) Laufende Geschäfte sind Routineangelegenheiten, die bei der Verwaltung der Gemeinde in mehr oder minder regelmäßiger Wiederkehr anfallen und zur ungestörten Fortführung der Verwaltung notwendig sind.1131) Daher können auch Angelegenheiten von nebensächlicher Bedeutung vom Gemeinderat zu erledigen sein, wenn sie nur selten genug vorkommen.1132) Ob eine Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung aufweist und erhebliche Verpflichtungen erwarten lässt, ist wiederum maßgeblich von der ___________ 1121) Erle/Becker, NZG 1999, 58, 59; Wehrstedt, MittRhNotK 2000, 269, 282; vgl. auch OLG Celle NVwZ-RR 2000, 754, 755. 1122) Erle/Becker, NZG 1999, 58, 62; zur Weisungsgebundenheit des Aufsichtsrats einer kommunalen GmbH: BVerwG MittBayNot 2012, 322, 325. 1123) Zur Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Kommune: Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2562 f. 1124) Vgl. etwa: Brötel, NJW 1998, 1676, 1676. 1125) Z. B. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGemO. 1126) Z. B. Art. 37 Abs. 3 BayGemO. 1127) Vgl. etwa: OLG Brandenburg BeckRS 2009, 18749. 1128) Vgl. allerdings: Ultsch, Rn. 858. 1129) BayVGH BayVBl 2007, 239, 241; BayVGH BeckRS 2014, 55762 Rn. 21. 1130) Ständige Rechtsprechung seit BayVGH, n. F. 10, 64/66, zuletzt etwa BayVGH, BayVBl 2010, 174, 174; Widtmann/Grasser/Glaser/Hermann/Marcic-Schaller/Scharpf, BayGO, Stand Mai 2011, Art. 37 Rn. 6. 1131) BayVGH, BayVBl 2008, 502, 502. 1132) Lissack, Bayerisches Kommunalrecht, S. 116; Hölzl/Hien/Huber, GO/LKrO/BezO, Stand: März 2015, Art. 37 GO Erl. II.1.
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Beurteilung durch die Kommune und deren Größe, Verwaltungskraft und Struktur abhängig.1133) Im Zweifelsfall spricht eine Vermutung für die Zuständigkeit des Gemeinderats.1134) Handelt der Bürgermeister ohne einen erforderlichen Beschluss des Gemein- 760 derates, stellt sich die Frage, ob das Handeln des Bürgermeisters wirksam ist. Gibt er z. B. für die Gemeinde deren Stimme in der Gesellschafterversammlung ab, sind die Wirksamkeit der Stimmabgabe und die Rechtmäßigkeit eines gefassten Beschlusses fraglich. Ob das Innenverhältnis des Bürgermeisters auf die Wirksamkeit seines Außenhandelns „durchschlägt“, beurteilt sich nach dem anwendbaren Kommunalrecht. Jedenfalls in Bayern besteht „Außenwirkung“.1135) Art. 38 BayGemO begründet keine unbeschränkte Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nach außen. Seine Vertretungsmacht ist grundsätzlich davon abhängig, dass ein entsprechender Gemeinderats- (oder Ausschuss-)Beschluss vorliegt.1136) Das Abstimmungsverhalten eines bayerischen Bürgermeisters in einer Gesellschafterversammlung, das nicht von der innergemeindlichen Willensbildung gedeckt ist, kann daher zu einem rechtswidrigen Gesellschafterbeschluss führen. Dieser ist zwar nicht nichtig, aber anfechtbar.1137) Da Stimmen mitgezählt werden, die (schwebend) unwirksam sind, liegt ein Fehler in der Beschlussfeststellung vor.1138) Gleiches gilt bei Fehlen einer kommunalaufsichtlichen Genehmigung1139) 761 oder wenn die Gemeinde, die nur über einen (einheitlichen) Gesellschaftsanteil verfügt, in der Gesellschafterversammlung durch mehrere Personen vertreten wird,1140) die nicht einheitlich abstimmen.1141)
___________ 1133) Lissack, Bayerisches Kommunalrecht, S. 116; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juli 2015, GO Art. 37 Rn. 4. 1134) H. M. (Bayern): BayObLG BayVBl 1973, 131, 131; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juli 2015, Art. 37 GO Rn. 4 a. E. 1135) Kritisch: Brötel, NJW 1998, 1676, 1676. 1136) BayObLG NJW-RR 1986, 1080, 1080 m. H. a.; BayVerfGHE 25, 27, 43; BayObLGZ 1952, 271, 273; BayObLGZ 1962, 247, 253 f.; BayObLGZ 1971, 299, 302; BayObLGZ 1972, 344, 345; BayObLGZ 1974, 81, 84; BayObLGZ 1974, 374, 376; BayObLG BayVBl 1986, 155, 155; BayObLG MittBayNot 1999, 287, 288. 1137) BGH NJW 1988, 1844, 1844 = ZIP 1988, 703. 1138) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh zu § 47 Rn. 49; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 116. 1139) OLG Jena, v. 28.4.2009 – 6 W 42/09; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, Anh zu § 47 Rn. 49. 1140) § 18 GmbHG findet hier keine Anwendung: Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 18 Rn. 2; MünchKomm-GmbHG/Drescher, § 47 Rn. 83. 1141) Hierzu: Erle/Becker, NZG 1999, 58, 61 f.; Wehrstedt, MittRhNotK 2000, 269, 282.
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b) Prozessualer Vortrag und Gegenvortrag, Darlegungs- und Beweislast aa) Grundsätzliches, insbesondere Pflichtverletzung 762 Die Gesellschaft hat (nur)1142) dazulegen,1143) dass und inwieweit ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden ist.1144) § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG gilt entsprechend.1145) Selbst der Nachweis eines möglicherweise pflichtwidrigen Handelns ist nicht erforderlich, wenn der dargelegte und ggf. bewiesene Schaden die tatsächliche Vermutung in sich trägt, dass er auf einer Pflichtverletzung des Geschäftsführers beruht.1146) 763 Diese Beweislasterleichterung für die Gesellschaft beruht darauf, dass der Geschäftsführer die Umstände seines Verhaltens und damit auch die Gesichtspunkte überschauen kann, die für die Beurteilung der Pflichtgemäßheit seines Verhaltens sprechen.1147) 764 Sodann hat der Geschäftsführer darzulegen1148) und zu beweisen, seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen zu sein, ohne Verschulden gehandelt zu haben, dass der Schaden auch bei rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre,1149) oder dass er einer wirksamen Weisung der Gesellschafterversammlung nachgekommen ist.1150)
___________ 1142) Zur Annäherung an eine Erfolgshaftung: Ehmann, Rn. 680. 1143) Ehmann, Rn. 708 sowie Rn. 709 f. (zu taktischen Fragen). 1144) OLG München BeckRS 2015, 18376 Rn. 54; OLG München NZG 2013, 742, 743 = ZIP 2013, 1121; BGH NJW 2013, 3636, 3638 = ZIP 2013, 1712; KG NZG 2011, 429, 432; BGH NZG 2009, 912 = ZIP 2009, 1467; BGH NZG 2008, 314, 315 = ZIP 2008, 736; BGH NZG 2003, 81, 82 = ZIP 2002, 2314; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 36; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 251; Meckbach, NZG 2015, 580, 581. 1145) OLG Koblenz BeckRS 2015, 00712 Rn. 27; BGH NZG 2008, 314 = ZIP 2008, 736; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 36; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 248. 1146) OLG Rostock OLG-NL 2006, 250, 251; BGH DB 1980, 2027, 2027; Michalski/ Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 252. 1147) BGH NZG 2003, 81, 82 = ZIP 2002, 2314; Meckbach, NZG 2015, 580, 581. 1148) Zum Umfang der erforderlichen Darlegungen: Ehmann, Rn. 706. 1149) OLG Koblenz BeckRS 2015, 00712 Rn. 27; OLG München NZG 2013, 742, 743 = ZIP 2013, 1121; BGH NJW 2013, 3636, 3638 = ZIP 2013, 1712; BGH NZG 2008, 104, 105 = ZIP 2008, 117; BGH NZG 2003, 81, 82 = ZIP 2002, 2314. 1150) OLG Brandenburg BeckRS 2013, 14631; BGH NJW 2008, 2437, 2441; Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 41; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 54; BGH DStR 2015, 597, 599 (bei Handeln des Geschäftsführers im Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern der Komplementär-GmbH).
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bb) Schaden Die Gesellschaft hat Eintritt und Höhe des Schadens darzulegen sowie die 765 Ursächlichkeit des Geschäftsführerverhaltens.1151) Die bloße Möglichkeit eines Schadens genügt ebenso wenig wie die bloße Vermögensgefährdung.1152) Für das Beweismaß gilt § 287 ZPO:1153) Es genügt der Vortrag von Tatsa- 766 chen, die für eine Schadensschätzung hinreichende Anhaltspunkte bieten.1154) Auch kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung.1155) Nach herrschender Meinung gilt der allgemeine zivilrechtliche Schadensbegriff nach §§ 249 ff. BGB.1156) Danach ist der Schaden nach der Differenzhypothese zu ermitteln und zwar durch Vergleich der durch die Pflichtverletzung eingetretenen Vermögenslage der Gesellschaft (tatsächliche Lage) mit der Lage, die bei pflichtgemäßem Verhalten bestanden hätte (hypothetische Lage).1157) Ausreichend ist etwa der Vortrag, dass die Gesellschaft Leistungen an Dritte 767 erbracht hat, auch wenn offenbleibt, ob dem Dritten eine Forderung gegen die Gesellschaft zustand.1158) Gleiches gilt, wenn der Verbleib von Gesellschaftsmitteln, die der Geschäftsführer einer GmbH für diese eingenommen hat, aufgrund nicht ordnungsgemäßer, von ihm zu verantwortender Buchund Kassenführung für die Gesellschaft nicht mehr aufklärbar ist, selbst wenn sich aus den Büchern kein Kassenfehlbestand ergibt.1159) Strittig ist, ob bei „wertneutralem Verhalten“, etwa bei der Erstattung von 768 Reisekosten, Besonderheiten gelten. Nach dem OLG Nürnberg hat hier die ___________ 1151) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 37. 1152) MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 263; BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 309. 1153) Auch im Hinblick auf die Ursächlichkeit (BGHZ 152, 280, 287 = ZIP 2002, 2314), da diese wie bei Vertragsverletzungen zur haftungsausfüllenden Kausalität gehört: BGH NJW 2000, 509; OLG Hamm NZS 2014, 543, 544. 1154) BGH DStR 2007, 270, 271; BGH NZG 2003, 81, 83 = ZIP 2002, 2314; BGH NJW 2000, 509; BGH NJW-RR 2000, 1340, 1341; LG Saarbrücken NZV 2013, 33, 34 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 37; Meier-Greve, BB 2009, 2555, 2559. 1155) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 255; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 37, 39 ff. 1156) OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27, 35 f.; LAG Düsseldorf BeckRS 2015, 65418; Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 15; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 203 ff.; Ziemons, in: Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 8. Kapitel, § 21 Rn. 11; MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 261 m. H. a. abweichende Ansichten: Rn. 262. Zur Besonderheiten etwa im Hinblick auf die Qualifizierung von (kartellrechtlichen) Bußgeldern als Vermögensschaden oder zur Anrechnung von Gesellschaftsvorteilen als Folge des pflichtwidrigen Geschäftsführerverhaltens: Fuchs/Zimmermann, JZ 2014, 838, 843 f. 1157) Hierzu etwa: BGH NZG 2008, 314, 315 = ZIP 2008, 736; LAG Düsseldorf NZKart 2015, 277, 278; OLG München NZG 2013, 742, 745 = ZIP 2013, 1121. 1158) BGH BeckRS 2007, 13240 Rn. 5. 1159) BGH NJW-RR 1991, 485, 486 = ZIP 1991, 159.
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Gesellschaft zusätzlich Umstände und Indiztatsachen darzulegen, die den Anschein begründen, das Verhalten des Organs wäre möglicherweise pflichtwidrig,1160) also etwa die fehlende Erforderlichkeit der Geschäftsreise. cc) Pflichtverletzung und Verschulden 769 Der Geschäftsführer muss zur Abwendung eines Schadensersatzanspruches nachweisen, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. § 43 Abs. 1 GmbHG konkretisiert den allgemeinen zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB1161) und betrifft gleichzeitig den Verschuldensmaßstab sowie die Organpflichten.1162) Es gilt ein objektiver Maßstab; auf die individuellen Eigenschaften des Geschäftsführers kommt es grundsätzlich nicht an.1163) Die Beweislast des Geschäftsführers bezieht sich sowohl auf die objektive Pflichtwidrigkeit (Rechtswidrigkeit) als auch auf die subjektive Pflichtwidrigkeit (Verschulden).1164) Die im Arbeitsrecht entwickelten Privilegierungen finden auf den Geschäftsführer, auch auf den Fremdgeschäftsführer, grundsätzlich keine Anwendung.1165) 770 Der Geschäftsführer ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Gesellschaft nach außen hin rechtmäßig verhält und die ihr kraft Gesetzes und Rechtsprechung obliegenden Pflichten erfüllt („Legalitätspflicht“).1166) Im Rahmen dieser Legalitätspflicht darf ein Geschäftsführer keine Gesetzesverstöße anordnen; er muss aber auch dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine derartigen Gesetzesverletzungen stattfinden1167) („Legalitätskontrollpflicht“). Bei entsprechender Gefahrenlage hat der Geschäftsführer eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance1168)-Organisation einzurichten.1169) Im Rah___________ 1160) OLG Nürnberg NZG 2015, 555 f. = ZIP 2015, 430 (zu § 93 Abs. 2 AktG); a. A.: Bauer, NZG 2015, 549, 550. 1161) Bayer, GmbHR 2014, 897, 898. 1162) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 53; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack, GmbHG, § 43 Rn. 18; wohl auch Maslo, Interessenwahrung und Rechtsschutz der Aktionäre beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals, S. 162. 1163) BGH BeckRS 1981, 00074; zur Frage eines evtl. Mitverschuldens der Gesellschafterversammlung, wenn sie eine nicht hinreichend qualifizierte Person zum Geschäftsführer bestellt: Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 215; Roth/Altmeppen/ Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 115. 1164) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 253; Meier-Greve, BB 2009, 2555, 2559. 1165) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 6; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 39; Werner, GmbHR 2014, 792, 793; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1306 (zur aktienrechtlichen Organhaftung); zu vereinbarten Haftungsbeschränkungen: Ultsch, Rn. 797 ff. 1166) Ehmann, Rn. 681. 1167) LG München I NZG 2014, 345, 346 (für das Vorstandsmitglied der AG). 1168) Krit. zur „Compliance“: Jahn, CCZ 2011, 139, 140 f.; dagegen: v. Blomberg, CCZ 2011, 225, 226 f. 1169) LG München I NZG 2014, 345, 346 (für das Vorstandsmitglied der AG).
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men dieser Legalitätspflicht steht dem Geschäftsführer kein Ermessen zu. Anders bei geschäftlichen und unternehmerischen Entscheidungen: Hier ist ein Ermessensspielraum der Geschäftsleitung anerkannt.1170) Der Geschäftsführer kann in diesem Fall für einen Schaden nur haftbar ge- 771 macht werden, wenn er die Grenzen des weiten unternehmerischen Ermessens überschritten hat und/oder unverantwortliche Risiken eingegangen ist. Die Anwendung dieser sog. Business Judgement Rule1171) setzt damit Folgendes voraus:1172) x
Es muss sich um eine im Ermessen der Geschäftsführung liegende unternehmerische Entscheidung handeln. Die Legalitätspflichten der Geschäftsführung müssen dabei beachtet sein, d. h. die Geschäftsführer dürfen in ihrer Entscheidung nicht bereits gebunden sein.
x
Die unternehmerische Entscheidung muss auf Grundlage angemessener Information getroffen werden.
x
Die so auf dieser Informationsgrundlage getroffene Entscheidung muss ausschließlich an den Interessen des Unternehmens orientiert sein und darf nicht von Eigeninteressen der Geschäftsführung oder sonstigen sachfremden Erwägungen beeinflusst sein.
Umgekehrt formuliert: Im Bereich der „unternehmerischen Entscheidun- 772 gen“ liegt eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers vor, wenn x
die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind,
x
die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist, oder
x
das Verhalten des Geschäftsführers aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.1173)
Entscheidend ist die ex-ante-Perspektive, da künftige Entwicklungen immer 773 mit Unsicherheit behaftet sind1174) Geht die Gesellschaft also aus § 43 Abs. 2 ___________ 1170) BGH NJW 2013, 3636, 3638 = ZIP 2013, 1712; BGH NJW 2008, 3361, 3362 f. = ZIP 2008, 1675; BGH NJW 2003, 358, 359 = ZIP 2002, 2314; BGH NJW 1997, 1926, 1927 = ZIP 1997, 883. 1171) Ehmann, Rn. 712; zur Business Judgement Rule bei Kollegialentscheidungen: Löbbe/ Fischbach, AG 2014, 717 (differenzierend nach den Pflichten des „Berichterstatters“ und der übrigen Organmitglieder). 1172) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 64 ff. m. w. N. 1173) BGH NJW 2013, 3636, 3638 f. = ZIP 2013, 1712; BGH NJW 2008, 3361, 3362 f. = ZIP 2008, 1675; BGH NJW 2006, 522, 523; BGH NJW 1997, 1926, 1927 f. = ZIP 1997, 883; OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 16131; zur dogmatischen Einordnung der Business Judgement Rule: Bayer, GmbHR 2014, 897, 898. 1174) Bayer, GmbHR 2014, 897, 898.
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GmbHG vor, sollte sie zunächst untersuchen, ob und inwieweit ein Verstoß des Geschäftsführers gegen die Legalitätspflicht vorliegt. Dies kann insbesondere bei zwingenden Vorgaben des Wirtschaftsrechts,1175) des Insolvenzrechts1176) oder (anderer) öffentlich-rechtlicher Vorschriften der Fall sein.1177) Ob und inwieweit auch bei bürgerlich-rechtlichen Vorschriften die Legalitätspflicht besteht, ist umstritten.1178) 774 Ist eine maßgebliche Rechtslage offen oder durch Gerichtsentscheidungen noch nicht abschließend geklärt, darf der Geschäftsführer eine vertretbare und für die Gesellschaft günstige Position einnehmen, sofern er auf Basis einer sorgfältigen Analyse der Rechtslage die Vor- und Nachteile des geplanten Vorgehens auch im Hinblick auf die damit verbundenen rechtlichen Risiken gegeneinander abwägt.1179) In der Regel muss sich der Geschäftsführer sachkundig beraten lassen,1180) also den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholen, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informieren und den Rat einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterziehen.1181) 775 Da die Grenze zwischen Tun und Unterlassen fließend ist, obliegt dem Geschäftsführer auch dann der Entlastungsbeweis, wenn die Gesellschaft ihrem Geschäftsführer ein Unterlassen vorwirft.1182) Allerdings sind an den der Gesellschaft obliegenden Vortrag, der Geschäftsführer habe eine mögliche Pflichtverletzung begangen, konkretere Anforderungen zu stellen, um „frivolen Organhaftungsklagen“1183) vorzubeugen. Zwar hat der Geschäftsführer die Pflicht, den Unternehmenswert zu steigern;1184) wie soll er sich aber entlasten gegen den abstrakten Vorwurf, er habe es unterlassen, den Unternehmenswert zu verdoppeln, zu verdreifachen oder gar zu verzehnfachen? Die Gesellschaft hat also darzulegen, dass die Möglichkeit zu gebotenen positiven Tun bestand.1185) Der Umfang der Substantiierungspflicht ist vom konkreten Einzelfall abhängig. Entscheidend ist, inwieweit der Geschäftsführer im konkreten Fall die Umstände und die Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der ___________ 1175) Z. B. Kartellrecht Fleischer, BB 2008, 1070, 1070. 1176) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 17. 1177) Umfassend zu den öffentlich-rechtlichen Organisationspflichten: Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 15 ff. 1178) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 23a, b. 1179) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 49 m. w. N. 1180) Eingehend: Fleischer, NZG 2010, 121, 121 ff.; zur dogmatischen Einordnung der Verpflichtung auf Einholung sachkundiger Beratung: Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 731. 1181) BGH BeckRS 2007, 13240 Rn. 3; BGH NJW 2007, 2118, 2120 = ZIP 2007, 1265; Freund, NJW 2013, 2545, 2546.; für das Vorstandsmitglied einer AG: BGH WM 2015, 1197, 1200. 1182) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 42. 1183) Ulmer/Habersack/Löbbe/Habersack/Paefgen, GmbHG, § 43 Rn. 209 Fn. 642. 1184) Vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 20. 1185) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 42.
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Pflichtmäßigkeit seines Verhaltens sprechen, besser als die Gesellschaft überschauen kann. Unterlassungen kommen häufig bei Überwachungs- und Organisationspflich- 776 ten vor. Diese sind insbesondere relevant bei der sog. Delegation. dd) Vertikale Delegation Mit der Organstellung geht zwar die Verpflichtung einher, die Geschäftsfüh- 777 rung umfänglich und tatsächlich wahrzunehmen. Rein tatsächlich ist das Organ aber nicht in der Lage, alle Aufgaben der Unternehmensführung selbst wahrzunehmen. Der Geschäftsführer muss und darf Aufgaben daher auf nachgeordnete Mitarbeiter übertragen (vertikale Delegation).1186) In jedem Fall muss der Geschäftsführer durch eine dem konkreten Unterneh- 778 men angepasste Organisationsstruktur die Rechtmäßigkeit und Effizienz des Handelns der Gesellschaft sicherstellen: Die delegierten Aufgaben müssen entsprechend den Vorgaben der Geschäftsführung erledigt werden, die Arbeit der einzelnen Abteilungen muss koordiniert ablaufen, ein ausreichender Informationsfluss zwischen den einzelnen Hierarchieebenen bis hin zur Geschäftsführung muss gewährleistet sein. Zur Risikominimierung ist ein Risikomanagementsystem insbesondere dann erforderlich, wenn im Einzelfall der Betriebserfolg von bestimmten komplexen Betriebsabläufen entscheidend abhängt und diese Abläufe besonders störanfällig oder risikoträchtig sind. In Folge der Legalitätspflicht hat der Geschäftsführer organisatorisch sicherzustellen, dass es zu keinen Gesetzesverstößen durch Mitarbeiter der Gesellschaft kommt und die der Gesellschaft obliegenden Rechtspflichten umfassend erfüllt werden.1187) Der Geschäftsführer hat im Rahmen einer Delegation Pflichten im Hinblick 779 auf die Person des Delegierten (Auswahlsorgfalt, Einweisungssorgfalt, Überwachungssorgfalt)1188) und allgemeine Organisationspflichten.1189) Dem Geschäftsführer verbleibt eine Restzuständigkeit. Damit er diese wahrnehmen kann, muss er unternehmensinterne Informations-, Organisations- und Kontrollstrukturen schaffen, damit er notwendige Informationen abrufen und ggf. einschreiten kann.1190) ___________ 1186) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 75, 165 ff. m. w. N. 1187) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 75a ff. m. w. N. 1188) Fleischer, AG 2003, 291, 291 ff.; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 170; BGHSt 9, 319, 323 (zum Umfang von Überprüfungen); BGH BeckRS 1986, 31168713 (zu den Grenzen von Überprüfungen); BGH GmbHR 1985, 143, 144 (zu Handlungspflichten bei Hinweisen auf Gesetzesverletzungen oder Unregelmäßigkeiten von Unternehmensangehörigen). 1189) VGR/Lutter, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, VGR Bd. 1 (1999), Jahrestagung 1998, 87, 95 f. (zu allgemeinen Organisationsanordnungen und genauer Festlegung der Verantwortlichkeiten unter den Mitarbeitern). 1190) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 171.
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ee) Mehrere Geschäftsführer (horizontale Delegation) 780 Soweit Geschäftsführungsaufgaben „ressortfähig“, also nicht zwingend durch die Gesamtgeschäftsführung zu erledigen sind, kann den einzelnen Geschäftsführern durch Satzung oder Geschäftsordnung ein bestimmter Geschäftsbereich zugewiesen werden.1191) Nicht delegierbar ist aber der Kernbereich der Leitungsaufgaben.1192) 781 Auch die Einrichtung eines zweckmäßigen, auf die Art und Größe des Unternehmens zugeschnittenen Informationssystems, das die Wahrnehmung der Gesamtverantwortung ermöglicht und überdies die sachgerechte Leitung der einzelnen Ressortbereiche durch den jeweiligen Geschäftsführer gewährleistet, ist der Gesamtgeschäftsführung zugewiesen.1193) 782 Bei zulässiger horizontaler Delegation liegt die Verantwortung primär beim zuständigen Geschäftsführer. Bei den übrigen Geschäftsführern verbleibt aber eine Restzuständigkeit insbesondere im Hinblick auf die Recht- und Zweckmäßigkeit des gesamten Geschäftsbetriebs.1194) Jeder einzelne Geschäftsführer hat daher die Ressortgeschäftsführung seiner Mitgeschäftsführer zu überwachen und ggf. einzuschreiten,1195) im Notfall hat er sogar seinen Rücktritt anzudrohen, ggf. auch vorzunehmen.1196) ff) Rechtmäßiges Alternativverhalten 783 Eine Haftung des Geschäftsführers ist ausgeschlossen, soweit der entstandene Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Der Geschäftsführer hat darzulegen und nachzuweisen, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten auf jeden Fall eingetreten wäre. 784 Strittig ist, inwieweit die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten1197) zulässig ist bei der Verletzung von gesellschaftsinternen Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensnormen. Richtigerweise ist dem Geschäftsführer in diesen Fällen die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten nach dem Schutzzweck der verletzten Norm verwehrt. Trifft der Geschäftsführer eine Entscheidung, ohne zuvor die erforderliche Zustimmung anderer Organe, ___________ 1191) Ehmann, Rn. 700. 1192) Vgl. insg. Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 155 ff. m. w. N. 1193) Vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 37 Rn. 32. 1194) Zur Haftung des Geschäftsführers für Markenverstoß: OLG Hamburg NZG 2013, 1310. 1195) ArbG Essen BeckRS 2014, 68462; BGHZ 133, 370, 378; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 160; Freund, NJW 2013, 2545, 2546; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 92, jeweils m. w. N.; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 163 ff.: zur Pflicht, die Gesellschafterversammlung oder Dritte zu unterrichten. 1196) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 164. 1197) Zur Ablehnung des „schuldlosen Alternativverhaltens”: BGH NVwZ 2006, 245, 247; BGH NVwZ 1994, 409, 409; wobei für diese Rechtsfigur angesichts der doppelten Funktion von § 43 Abs. 1 GmbHG (Verschuldensmaßstab und Festlegung der Organpflichten: Ultsch, Rn. 769) freilich nur ein geringer Raum verbleiben würde.
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etwa der Gesellschafterversammlung einzuholen, entfällt die Haftung des Geschäftsführers ausnahmsweise, wenn das nicht gefragte Organ zur Zustimmung verpflichtet gewesen wäre.1198) Bei der Feststellung des Schadens nach der Differenzhypothese1199) ist zu 785 Gunsten des Geschäftsführers diejenige hypothetische Entwicklung des Gesellschaftsvermögens maßgeblich, bei der die zu ersetzende Differenz, also der Schaden, am geringsten ist.1200) Bei Feststellung der hypothetischen Lage kann sich der Geschäftsführer also auf diejenige (rechtmäßige) hypothetische Handlung berufen, die das Gesellschaftsvermögen am wenigsten positiv entwickelt hätte.1201) Hatte der Geschäftsführer ein Leitungsermessen und traf seine Entschei- 786 dung aber unter Verletzung der Business Judgement Rule, etwa aufgrund unzureichend ermittelter Tatsachen, kommt dem Geschäftsführer die Business Judgement Rule im Rahmen des rechtmäßigen Alternativverhaltens zugute. Seine Haftung entfällt schon dann, soweit es im Rahmen des Leitungsermessens eine rechtmäßige Handlungsalternative gegeben hätte, die ebenfalls zum eingetretenen Schaden geführt hätte. Die Anwendung der Business Judgement Rule widerspricht auch in diesem Fall nicht deren Schutzzweck, eine auf richtiger und umfassender Tatsachenbasis beruhende Geschäftsleitungsentscheidung zu sichern. Im Gegenteil: die Nichtanwendung der Business Judgement Rule würde zur Ersatzfähigkeit von Schäden führen, die im Rahmen der Haftungsausfüllung außerhalb des Schutzzwecks Schadensersatznorm1202) liegen. gg) Besonderheiten nach Ausscheiden aus dem Amt? Die Beweislastverteilung ändert sich auch nicht, wenn der Geschäftsführer aus 787 dem Amt geschieden ist (str.).1203) Allerdings schützt die Rechtsprechung das ausgeschiedene Organ in zweierlei Hinsicht: Die Gesellschaft hat die angebliche Pflichtverletzung im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast näher zu bezeichnen.1204) Außerdem hat ihm die Gesellschaft Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu gewähren, soweit dies zu seiner Verteidigung erforderlich ist.1205) ___________ 1198) Str. vgl. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 53; Baumbach/Hueck/ Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 16; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 199a. 1199) Ultsch, Rn. 766. 1200) Ziemons, in: Oppenländer/Trölitzsch, 8. Kapitel, § 21 Rn. 12; Michalski/Haas/ Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 203; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 103. 1201) Ziemons, in: Oppenländer/Trölitzsch, 8. Kapitel, § 21 Rn. 12. 1202) Vgl. hierzu: Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 104 ff. 1203) Fleischer, NZG 2010, 121, 122; MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 274 (anders bei Rechtsnachfolgern der Geschäftsführer, str.); krit. BeckOK GmbHG/Haas/ Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 325; vgl. auch Ehmann, Rn. 717. 1204) OLG Koblenz BeckRS 2015, 00712 Rn. 27; BGH NJW 2003, 358, 358 f. = ZIP 2002, 2314; bei Vorstandsmitglieder einer AG: OLG Nürnberg BeckRS 2014, 22840 Rn. 25. 1205) OLG Koblenz BeckRS 2009, 25729; BGH NJW 2003, 358, 359 = ZIP 2002, 2314.
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788 In der Praxis führt dies zu erheblichem Streit, in welchem Umfang diese Einsicht zu gewähren ist, sofern die Unterlagen „noch auffindbar“1206) sind. Selbst wenn die Gesellschaft redlich ist und keine erheblichen Unterlagen zurückhalten will, kann sie in manchen Fällen die Relevanz anderer Unterlagen gar nicht beurteilen, insbesondere wenn sie Zusammenhänge verkennt. Daher kann sich der von ihr in Anspruch Genommene oft nicht sicher sein, ob sich aus anderen Unterlagen Entlastungsmomente für ihn ergeben können. Dies gilt insbesondere bei länger1207) zurückliegenden Sachverhalten. In gewisser Hinsicht kann hier eine sorgfältige Dokumentation durch den amtierenden Geschäftsführer vorbeugen, notfalls in Verbindung mit Aktenvermerken und der Benennung relevanter Unterlagen. In der Praxis helfen sich Geschäftsführer (prophylaktisch) durch Erstellung von Kopien und deren privater Verwahrung. Sie sollten in diesem Zusammenhang allerdings Vorsicht walten lassen: Beim Ausscheiden des Geschäftsführers aus dem Amt kann die Gesellschaft die Herausgabe (Löschung) der Kopien verlangen, jedenfalls wenn es sich um geheimhaltungsbedürftige Unterlagen handelt oder Grund zur Annahme besteht, die Unterlagen könnten in unbefugte Hände geraten.1208) Streit ist vorprogrammiert, zumal der BGH wohl noch weitergeht: Im Zusammenhang mit ehemaligen Aufsichtsratsmitglieder hat er entschieden, dass diese verpflichtet sind, über die in ihren Besitz gelangten Unterlagen der Gesellschaft Auskunft zu erteilen sowie sie herauszugeben und zwar auch selbst angefertigte Kopien.1209) Die bloß abstrakte Möglichkeit, von der Gesellschaft auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden und in diesem Fall auf die Unterlagen zur Verteidigung angewiesen zu sein, begründet nach der Ansicht des BGH kein vorübergehendes Recht zum Behalten der Unterlagen.1210) Die Gesellschaft kann dem Geschäftsführer im Anstellungsvertrag ggf. weitergehende Rechte einräumen.1211) 2. Insbesondere: Ausschluss und Begrenzung der Haftung a) Weisung und Zustimmung der Gesellschafterversammlung 789 Da der Geschäftsführer Weisungen der Gesellschafterversammlung zu befolgen hat, beschränken Weisungen seine rechtliche Verantwortlichkeit.1212) Voraussetzung hierfür ist jedoch eine wirksame Weisung. Haftungsbefreiend können auch Beschlüsse wirken, die die Geschäftsführung zu einem bestimm___________ 1206) BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 325. 1207) Verjährungsfrist nach § 43 Abs. 4 GmbHG: 5 Jahre! 1208) MünchKomm-AktG/Spindler, § 84 Rn. 110 (zum Vorstand einer AG). 1209) BGH NZG 2008, 834, 834 f. = ZIP 2008, 1821; Meckbach, NZG 2015, 580, 582. 1210) BGH NZG 2008, 834, 834 = ZIP 2008, 1821; Meckbach, NZG 2015, 580, 582. 1211) Bayer, GmbHR 2014, 897, 900. 1212) Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 42 Rn. 90; BGH DStR 2015, 597, 599; BGH NJW 2008, 2437, 2441; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 41; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 54.
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ten Verhalten ermächtigen, aber nicht verpflichten, oder Beschlüsse, die einem bestimmten Verhalten in der Zukunft oder Vergangenheit zustimmen.1213) Es obliegt dem Geschäftsführer darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er einer 790 wirksamen Weisung der Gesellschafterversammlung nachgekommen ist.1214) Gleiches gilt für die Zustimmung der Gesellschafterversammlung.1215) b) Verzicht und Vergleich insbesondere Entlastung Anders als die Aktiengesellschaft1216) kann die Gesellschaft mit beschränkter 791 Haftung grundsätzlich auf Schadensersatzansprüche gegen ihre Geschäftsleiter verzichten1217) oder sich hierüber vergleichen.1218) Analog § 46 Nr. 8 GmbHG bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses.1219) In der Praxis hat die Entlastung des Geschäftsführers durch Beschluss der Ge- 792 sellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG) eine große Bedeutung. Rechtlich bedeutet Entlastung die Billigung der bisherigen Amtsführung.1220) Die Gesellschafter erklären ihr Einverständnis mit der Geschäftsführungstätigkeit. Sie ist abzugrenzen von der Generalbereinigung,1221) die einen Verzicht oder Vergleich über konkrete Ansprüche zum Gegenstand hat.1222) Erteilt die Gesellschaft die Entlastung, setzte sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, wenn sie aus dieser Geschäftsführungstätigkeit im Nachhinein doch noch Ansprüche herleitete (venire contra factum proprium).1223) Im sachlichen und zeitlichen Umfang der Entlastung sind Ansprüche der Gesellschaft gegen den entlasteten Geschäftsführer präkludiert.1224) ___________ 1213) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 33. 1214) BGH NJW 2008, 2437, 2441; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 41; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 54. 1215) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 54. 1216) Ehmann, Rn. 690 und Rn. 696. 1217) Zum Haftungsverzicht als Erlassvertrag i. S. v. § 397 BGB: Podewils, GmbH-StB 2014, 177, 178. 1218) Zu den Grenzen insbesondere bei Verstößen gegen die Kapitalschutzvorschriften (§§ 30, 33 GmbHG) einerseits und bei Anfechtbarkeit andererseits: MünchKommGmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 281. 1219) MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 282. 1220) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 134; BeckOK GmbHG/Ziemons/Jaeger/ Schindler, Stand: 15.11.2015, § 46 Rn. 66. 1221) BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 384 ff.; Podewils, GmbH-StB 2014, 177, 179. 1222) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 47, 49 m. w. N. 1223) BeckOK GmbHG/Ziemons/Jaeger/Schindler, Stand: 15.11.2015, § 46 Rn. 67; Podewils, GmbH-StB 2014, 177, 179. 1224) BeckOK GmbHG/Ziemons/Jaeger/Schindler, Stand: 15.11.2015, § 46 Rn. 68 f.; MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 144; Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 277; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 46 Rn. 89; Ulmer/Habersack/Löbbe/ Hüffer/Schürnbrand, GmbHG, § 46 Rn. 67; BGH NJW 1986, 129, 130 = ZIP 1985, 1325; KG BeckRS 2014, 12837: „Im Umfang der Entlastung wird die Gesellschaft mit Ansprüchen aus solchen Tatsachen ausgeschlossen“.
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793 Die Präklusion ist grundsätzlich auf den Zeitraum beschränkt, der sich aus dem Entlastungsbeschluss ergibt (Entlastungsperiode).1225) Einzelheiten der zeitlichen Reichweite sind ungeklärt, insbesondere bei wiederholten Pflichtverletzungen selbständiger Art. In diesem Fall entsteht mit jeder einzelnen Pflichtverletzung und dem durch sie verursachten Schaden ein neuer Anspruch, der einer eigenen, neuen Verjährung unterliegt.1226) Hier sollen zukunftsgerichtet nur neue Pflichtverletzungen, die zu einem neuen Schaden führen, nicht von der vorangehenden Entlastung umfasst sein.1227) Heißt das im Umkehrschluss, dass Ansprüche aus der bloßen Fortsetzung ein- und derselben Pflichtverletzung über die Entlastungsperiode präkludiert sind, auch wenn sich der bereits entstandene Schaden dadurch vertieft? Richtigerweise ist der Entlastungsbeschluss im jeweiligen Einzelfall auszulegen, um dessen Reichweite und ein hieraus folgendes Vertrauen des Geschäftsführers, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, festzulegen. 794 In sachlicher Hinsicht1228) erstreckt sich die Präklusion nicht unterschiedslos auf alle in der Entlastungsperiode objektiv entstandenen Ansprüche. Ausgeschlossen sind vielmehr nur die Ansprüche, die für die Gesellschafterversammlung bei sorgfältiger Prüfung aller Vorlagen und Berichte der Geschäftsführer erkennbar sind oder von denen alle1229) Gesellschafter sonst positive Kenntnis haben.1230) Höchstrichterlich ungeklärt und in der Literatur umstritten ist, ob das Unterlassen weiterer Sachverhaltsaufklärung durch die Gesellschafter ebenfalls zur Präklusion führen kann. Nach wohl überwiegender Ansicht dürfen sich die Gesellschafter auf die Bewertung der von der Geschäftsleitung mitgeteilten Informationen beschränken; eigene weitere Sachverhaltsaufklärung (z. B. über den Weg nach § 51a GmbHG) ist nicht erforderlich, auch wenn die Gesellschafter vor offenkundigen Umständen nicht die Augen verschließen dürfen.1231) Die bloße Unvollständigkeit und/oder Unklarheit ___________ 1225) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 146. 1226) OLG Bamberg BeckRS 2015, 11782 Rn. 35; OLG Hamm NZG 2010, 589, 591; Spindler/ Stilz/Fleischer, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 302 m. w. N. (für die vergleichbare Haftung des Vorstands einer Aktien-gesellschaft); Palandt/Ellenberger, BGB, § 199 Rn. 22. 1227) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 146. 1228) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 145. 1229) Str.: vgl. Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 285 einerseits und BGH NJW 1969, 131, 131 andererseits; zur Treuwidrigkeit der Entlastungsentscheidung, wenn Gesellschafter nicht über die erforderlichen Informationen verfügen: OLG Nürnberg BeckRS 2014, 15189. 1230) OLG München BeckRS 2013, 03726; LG Stuttgart BeckRS 2011, 03400; BGH NJW 1986, 129, 130; BGH WM 1976, 736, 737; BGH NJW 1959, 192, 194; MünchKommGmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 147; Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 280 ff.; Ulmer/Habersack/Löbbe/Hüffer/Schürnbrand, GmbHG, § 46 Rn. 74. 1231) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 148; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 46 Rn. 94; wohl auch Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 281; für weitergehende Obliegenheit zur Sachverhaltsaufklärung: BeckOK GmbHG/Ziemons/Jaeger/Schindler, Stand: 15.11.2015, § 46 Rn. 68.
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der Berichterstattung beeinträchtigen die Präklusionswirkung wohl nicht,1232) solange die Berichterstattung nicht irreführend oder widersprüchlich ist oder die Geschäftsführer Nachfragen durch unwahre Angaben, das Verschweigen oder die Verschleierung von Tatsachen zerstreuen.1233) Von der Präklusion sind Ansprüche der Gesellschaft wegen Verletzung der 795 Vorschriften zur Kapitalaufbringung und -erhaltung ebenso wenig erfasst wie solche wegen Insolvenzverschleppung.1234) Soweit Verzicht, Vergleich oder Entlastung1235) Ansprüche der Gesellschaft 796 ausschließen, gilt dies auch zu Gunsten des D&O-Versicherers. Die Gesellschaft kann diese Wirkung nicht auf den Geschäftsführer beschränken. Besteht grundsätzlicher D&O-Versicherungsschutz, wofür regelmäßig die Gesellschaft bezahlt, wahrt die Gesellschaft ihr Interesse an der Erhaltung ihrer Ansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG am besten, wenn sie grundsätzliche keine Beschlüsse zur Entlastung der Geschäftsführer fasst. Ein Anspruch auf Entlastung steht dem Geschäftsführer nicht zu.1236) Allerdings soll der Geschäftsführer bei grundloser oder unberechtigter Entlastungsverweigerung zur Amtsniederlegung, ggf. kombiniert mit außerordentlicher Kündigung seines Anstellungsvertrages, berechtigt sein.1237) Diese Auffassung ist zweifelhaft, weil sie dem Geschäftsführer mittelbar eine Position verschafft, im Jahresturnus von der Gesellschaft einen „Anspruchsverzicht“ zu verlangen. Ein solches „Recht“ steht anderen (potentiellen) Schuldnern auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht zu; anspruchsbegrenzend wirkt dort primär nur die Verjährung – diese aber mit grundsätzlich längeren Fristen (§§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Jedenfalls soweit die Gesellschaft dem Geschäftsführer einen D&O-Versicherungsschutz zur Verfügung stellt und im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers klargestellt ist, dass die Gesellschaft keine Entlastungsbeschlüsse erteilt, sollte der Geschäftsführer auf ausbleibende Entlastungsbeschlüsse nicht mit Amtsniederlegung und Kündigung seines Anstellungsvertrages reagieren dürfen.
___________ 1232) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 147; Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 281; Ulmer/Habersack/Löbbe/Hüffer/Schürnbrand, § 46 Rn. 73; Scholz/ K. Schmidt, GmbHG, § 46 Rn. 94; zurückhaltender: BeckOK GmbHG/Ziemons/Jaeger/ Schindler, Stand: 15.11.2015, § 46 Rn. 68. 1233) MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 147; Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 282; BeckOK GmbHG/Ziemons/Jaeger/Schindler, Stand: 1.9.2013, § 46 Rn. 68. 1234) Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 46 Rn. 95. 1235) Krit. zu (vorschnellen?) Entlastungen bei Gesellschaften der öffentlichen Hand: Faßbender, NZG 2015, 501, 508. 1236) BGH NJW 1986, 129, 130; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 28; a. A.: Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 46. 1237) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 28.
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c) Vertragliche Haftungsbeschränkung im Voraus? 797 Haftungsprivilegierungen1238) gegenüber dem allgemeinen Sorgfaltsmaßstab (§ 43 Abs. 1 GmbHG) kommen immer wieder in der Praxis vor, etwa bei Gesellschaften der öffentlichen Hand, insbesondere von Kommunen.1239) Hintergrund ist offenbar das Bestreben, eigene Mitarbeiter mit der Geschäftsführung zu betrauen. Als (ehemalige) Beamte sind diese einen Haftungsausschluss bei einfacher Fahrlässigkeit1240) gewohnt (§ 48 BeamtStG) und erwarten einen solchen (offenbar) auch bei privatwirtschaftlicher Betätigung,1241) wenn sie das Amt eines GmbH-Geschäftsführers übernehmen. 798 Typisch sind etwa folgende Formulierungen in den Anstellungsverträgen: „Die Gesellschaft macht gegen die Geschäftsführerin keine vermögensrechtlichen Ansprüche geltend und stellt sie von solchen Ansprüchen Dritter gegen sie frei, soweit diese Ansprüche nicht auf vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten der Geschäftsführerin beruhen.“1242)
799 Bei vorherigen Haftungsbeschränkungen stellt sich in der Praxis eine Reihe von Fragen: x 800
Ist eine Abmilderung des Haftungsmaßstabs nach § 43 Abs. 1 GmbHG im Voraus überhaupt möglich? Einigkeit besteht immerhin dahingehend, dass ein vorheriger Haftungsausschluss bei Vorsatz nicht in Betracht kommt (§ 276 Abs. 3 BGB). Eine vorherige Haftungsbeschränkung kommt richtigerweise auch dann nicht in Betracht, soweit die Verletzung von Vorschriften zur Sicherung des Stammkapitals oder der Insolvenzantragspflicht betroffen ist.1243) Strittig ist, ob eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit „absoluter Mindeststandard“ ist,1244) im Übrigen Haftungserleichterungen aber möglich sein sollen; teilweise wird eine satzungsmäßige Regelung oder zumindest die Zustimmung aller Gesellschafter für erforderlich gehalten.1245) Nach anderer
___________ 1238) Zu verfassungsrechtlichen Grenzen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme: Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1307. 1239) LG München I BeckRS 2015, 10365: Anstellungsvertrag der Geschäftsführerin einer Klinik in der Rechtsform einer GmbH mit einer Kommune als Alleingesellschafterin. 1240) MünchKomm-BGB/Papier, § 839 Rn. 369. 1241) Krit. Faßbender, NZG 2015, 501, 507 f. 1242) LG München I BeckRS 2015, 10365. 1243) Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 42 Rn. 92; vgl. auch: BGH NJW 2000, 576, 576; anders aber: BGH NJW 2002, 3777, 3778; zustimmend im Hinblick auf die Verletzung von Vorschriften zur Sicherung des Stammkapitals und ablehnend im Hinblick auf die Insolvenzantragspflicht: Janert, BB 2013, 3016, 3018 f. 1244) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 46; ablehnend Werner, GmbHR 2014, 792, 796 zum Meinungsstand: Bayer, GmbHR 2014, 897, 903 f.; zu Haftungsprivilegien de lege ferenda: Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 929. 1245) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 118.
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Ansicht sind vorherige Haftungsmilderungen überhaupt nicht zulässig.1246) Für diese Ansicht sprechen erhebliche Gründe, so dass in der Praxis erhebliche Rechtsunsicherheit besteht. Auch die allgemeine Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG dient dem Schutz des Gesellschaftsvermögens und damit mittelbar Gläubigerinteressen. Gesetzliche Sorgfaltspflichten schützen das Gesellschaftsvermögen vor Vermögensminderungen verursacht durch unsorgfältiges Verhalten der Geschäftsführer – und damit jedenfalls mittelbar auch die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen der Gesellschaftsgläubiger. Anders als der nachträgliche Verzicht auf einen konkreten Schadensersatzanspruch kann ein vorheriges Absenken der Geschäftsführerpflichten als „Freibrief“1247) für sorgloses Verhalten missverstanden werden, auch im Hinblick auf die Pflicht des Geschäftsführers, zwingendes Recht konsequent zu beachten. Die Herabsetzung des Haftungsmaßstabs würde die Legalitätspflicht des Geschäftsführers faktisch aushöhlen. x
Kompetenzfragen Soweit vorherige Haftungsbeschränkungen als zulässig angesehen werden, 801 ist umstritten, ob hierfür eine gesellschaftsvertragliche Grundlage erforderlich ist oder ob die Haftungsbeschränkung auch durch einfachen Gesellschafterbeschluss oder im Anstellungsvertrag geregelt werden kann.1248) Der BGH hält ungeachtet der fehlenden Publizität auch eine Regelung im Anstellungsvertrag für ausreichend.1249) Gesellschaftsintern zuständig über die Entscheidung einer Haftungsreduktion ist grundsätzlich die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 8 GmbHG), so dass der anstellungsvertraglichen Haftungsbeschränkung in der Regel ein Gesellschafterbeschluss zugrunde liegen muss.1250) Verfügt die GmbH über einen mitbestimmten Aufsichtsrat, ist umstritten, 802 ob die Entscheidung über die Geltendmachung von (möglicherweise) bestehenden Schadenersatzansprüchen in die (Personal-)Kompetenz des Aufsichtsrats nach § 31 MitbestG1251) fällt oder aber gem. § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG bei der Gesellschafterversammlung verbleibt.1252) Richtigerwei-
___________ 1246) Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 42 Rn. 92; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 14 ff. 1247) Vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 46. 1248) Zum Streitstand: Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 43 Rn. 66. 1249) BGH NJW 2002, 3777 f. = ZIP 2002, 2128; LG Kaiserslautern BeckRS 2004, 11895; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 207. 1250) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 66. 1251) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 52 Rn. 303. 1252) Für die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung etwa Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 46 Rn. 144; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 73; wohl auch, Baumbach/Hueck/ Zöllner/Noack, GmbHG, § 46 Rn. 59; offenlassend etwa Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 35; für die Zuständigkeit des mitbestimmten Aufsichtsrats tendenziell wohl Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 395. Nähere Begründungen für die jeweils vertretenen Auffassungen finden sich durchgängig nicht.
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se bleibt die Entscheidungskompetenz über einen vorherigen Ausschluss künftiger Schadenersatzansprüche durch Reduktion des Sorgfaltsmaßstabs auch in der mitbestimmten GmbH bei der Gesellschafterversammlung. Schließlich ist auch bei der mitbestimmten GmbH die Gesellschafterversammlung für den nachträglichen Verzicht auf Ersatzansprüche zuständig.1253) Die Zuständigkeit des mitbestimmten GmbH-Aufsichtsrats ließe sich nur aus einer Anlehnung der Kompetenzen an das Aktienrecht herleiten; im Aktienrecht ist allerdings ein vorheriger Verzicht nicht möglich (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). Und selbst soweit ein nachträglicher Verzicht auf Ersatzansprüche im Aktienrecht zulässig ist, kann darüber nicht (allein) der Aufsichtsrat entscheiden; vielmehr bedarf es eines Hauptversammlungsbeschlusses (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). x 803
Verlängerung von Anstellungsverträgen Enthält ein Geschäftsführeranstellungsvertrag eine Haftungsreduktion und wird dieser verlängert, können für den Geschäftsführer unangenehme Überraschungen entstehen, wenn die ursprünglich nicht mitbestimmte GmbH während der Amtszeit des Geschäftsführers wächst, also mitbestimmungspflichtig geworden ist und daher einen Aufsichtsrat gebildet hat. Die Verlängerung des Anstellungsvertrags wird der Geschäftsführer angesichts der gesellschaftsinternen Zuständigkeit hierfür in der mitbestimmten GmbH mit dem Aufsichtsrat1254) vereinbaren. Holt der Aufsichtsrat vor Abschluss der Vertragsverlängerung nicht die für die Haftungsmilderung notwendige Zustimmung der Gesellschafterversammlung1255) ein, fehlt es an dem für die Wirksamkeit der Haftungsreduktion notwendigen Gesellschafterbeschluss. Trotz Verlängerung des Anstellungsvertrages mit der ursprünglich wirksamen Haftungsbeschränkung sieht sich der Geschäftsführer nun auch Ansprüchen der Gesellschaft wegen einfach fahrlässigen Pflichtverletzungen ausgesetzt. Er mag gegen die Aufsichtsratsmitglieder einen Freistellungsanspruch (entsprechend § 179 BGB) haben; im Verhältnis zur Gesellschaft nutzt ihm dies in der Regel allerdings nichts, von Fällen abgesehen, in denen eine Inanspruchnahme des Geschäftsführers durch die Gesellschaft rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB)1256) sein sollte.
___________ 1253) MünchKomm-GmbHG/Spindler, § 52 Rn. 426. 1254) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 52 Rn. 303. 1255) Vgl. etwa: LG Kaiserslautern BeckRS 2004, 11895. 1256) Etwa im Fall des Vertretenen unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo (§§ 280, 311 Abs. 2 BGB) bei Mängel in der Vertretungsmacht: BGH NJW 1985, 1778, 1780 f.; zur Haftung für schuldhaftes Nichtverhindern vollmachtloser Vertretung: OLG Hamm NJOZ 2010, 2604, 2608; allerdings dürfen über eine Haftung aus culpa in contrahendo die Regelungen über die Vertretungsmacht und gesellschaftsrechtlichen Kompetenzen nicht umgangen werden (Einzelheiten str. vgl. Palandt/ Ellenberger, BGB, § 179 Rn. 9; BeckOK BGB/Valenthin, Stand: 1.11.2013, § 177 Rn. 37 ff.; MünchKomm-BGB/Schubert, § 177 Rn. 58 ff.
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Beweislastfragen Soweit in dem Anstellungsvertrag des Geschäftsführers ein Haftungsaus- 804 schluss für leichte Fahrlässigkeit vorgesehen ist und dieser wirksam sein sollte, hat grundsätzlich der Geschäftsführer zu beweisen, dass er schuldlos oder nur einfach fahrlässig gehandelt hat.1257) In der Praxis können davon abweichende Beweislastregelungen in Anstellungsverträgen durchaus vorkommen, etwa in folgender Klausel: „Die Gesellschaft macht gegen den Geschäftsführer keine … Ansprüche geltend …, es sei denn die Ansprüche beruhen auf vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten des Geschäftsführers.“
Soweit eine solche Klausel nach allgemeinen Grundsätzen als Regelung zur 805 Umkehr der Beweislast1258) auszulegen sein sollte, ist für den Geschäftsführer dennoch Vorsicht geboten. Aufgrund einer solchen Beweislastregelung würde der Geschäftsführer auch bei grober Fahrlässigkeit nicht haften, wenn die Gesellschaft den Nachweis der groben Fahrlässigkeit nicht führen kann.1259) Hält man eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit für den „absoluten Mindeststandard“,1260) bestehen erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit abweichender Beweislastregelungen,1261) zumal Beweislastnormen zum materiellen Recht gehören.1262). x
Haftungsbeschränkungen bei D&O-Versicherungsschutz
Soweit Haftungsbeschränkungen Ansprüche der Gesellschaft ausschließen, 806 gilt dies auch zu Gunsten des D&O-Versicherers. Die Gesellschaft kann diese Wirkung nicht auf den Geschäftsführer beschränken. Sorgt – und bezahlt – die Gesellschaft für einen D&O-Versicherungsschutz, bestehen erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Haftungsbeschränkungen.1263) Dies gilt umso mehr, als D&O-Versicherungsbedingungen in der Praxis einen Ausschluss des Versicherungsschutzes auch bei wissentlichen Pflichtverletzungen enthalten1264) und grobe Fahrlässigkeit in der Regel das Bewusstsein der Gefährlichkeit des Handelns voraussetzt.1265) Insbesondere ___________ 1257) BeckOK BGB/Unberath, Stand: 1.3.2011, § 280 Rn. 98. 1258) Großzügig: Werner, GmbHR 2014, 792, 798. 1259) Unterschiedliche Regelungen in den Anstellungsverträgen verschiedener Geschäftsführer können zu Störungen im Gesamtschuldnerausgleich führen: MünchKommBGB/Bydlinski, § 426 Rn. 59 (hierzu: Ultsch, Rn. 827 ff.). 1260) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 46. 1261) BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 326; a. A. sofern keine Gläubigergefährdung: Jula, GmbHR 2001, 806, 808 f. 1262) Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 115 Rn. 31; plastisch: Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO für Beweislastnormen des Schuldvertragsrecht. 1263) Ähnlich zum (nachträglichen) Haftungsverzicht: Ehmann, Rn. 696. 1264) Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, § 28 Rn. 117; OLG München DStR 2015, 2799 f. 1265) BGH NJW-RR 1989, 991; OLG Schleswig NJW-RR 2010, 957, 958; LG Landshut BeckRS 2011, 20294.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
bei Verletzung von „Kardinalpflichten“ kann das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung indiziert werden.1266) In der Praxis liegt bei grob fahrlässigem Verhalten die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung1267) nahe, so dass in diesen Fällen D&O-Versicherungsschutz nur (sehr) eingeschränkt besteht. Praxistipp: Als Alternative zu Haftungsbeschränkungen kommt eine Freistellung durch Dritte (etwa einem Mehrheitsgesellschafter) in Betracht. In diesen Fällen haftet der Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber nach Maßgabe von § 43 GmbHG. Er kann im Schadensfall allerdings Regress bei dem Befreiungsschuldner nehmen.1268)
d) Mitverschulden der Gesellschaft? 807 Nach § 254 BGB sind Schadensersatzansprüche zu kürzen, soweit dem Geschädigten ein (relevantes) Mitverschulden trifft. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn dem Geschädigten das Verhalten eines Dritten zuzurechnen ist (§ 254 Abs. 2 Satz 2 BGB); § 278 BGB findet entsprechende Anwendung.1269) 808 Da das seiner Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet Organ nicht einwenden kann, das Verschulden anderer als Gesamtschuldner mithaftender Organe habe zur Entstehung des Schadens beigetragen,1270) führt ein Mitverschulden anderer Geschäftsführer (Solidarhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG) nicht zu einer Anspruchskürzung zu Lasten der Gesellschaft.1271) Auch ein Mitverschulden von Mitgliedern eines Aufsichtsrats muss sich die Gesellschaft nicht zurechnen lassen.1272) 809 Handelt der Geschäftsführer aufgrund Weisung der Gesellschafterversammlung, ist zu differenzieren. Bei einer rechtmäßigen Weisung entfällt die Haftung des Geschäftsführers vollständig.1273) In diesem Fall stellt sich die Frage nicht, ob das Verhalten der Gesellschafterversammlung der Gesellschaft zuzurechnen ist. Anders allerdings im Falle einer nichtigen, ggf. auch bei einer anfechtbaren Weisung: Hier wird in der Literatur diskutiert, ob der Scha___________ 1266) Vgl. BGH NZI 2015, 271, 272 = ZIP 2015, 184 und Jüngel, Anm. zu BGH NZI 2015, 271, 273. 1267) Zur Darlegungs- und Beweislast für den Ausschlusstatbestand der wissentlichen Pflichtverletzung: BGH WM 2015, 185 f. = ZIP 2015, 184. 1268) Zur Haftungsfreistellung im Innenverhältnis durch vertragliche Vereinbarung des Geschäftsführers mit einem Dritten, insbes einem beherrschenden Gesellschafter: Habersack, in: Festschrift Ulmer, 2003, S. 151, 171 f.; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 207 sowie Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1309 m. w. N. 1269) Palandt/Grüneberg, BGB, § 254 Rn. 48 ff. 1270) BGH NZG 2015, 38, 39 = ZIP 2015, 166; Palandt/Grüneberg, BGB, § 254 Rn. 49. 1271) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 45. 1272) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 213. 1273) Ultsch, Rn. 754 ff.
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densersatzanspruch der Gesellschaft wegen eines Mitverschuldens der Gesellschafterversammlung zu kürzen ist; Einzelheiten sind streitig.1274) Das Mitverschulden eines Arbeitnehmers an sich mindert den Schadenser- 810 satzanspruch der Gesellschaft nicht.1275) Besonderes Augenmerk verdient aber die arbeitsrechtliche Haftungsprivilegierung von Arbeitnehmern („innerbetrieblicher Schadensausgleich“),1276) die jedenfalls bei einfacher Fahrlässigkeit ggf. nur beschränkt haften. Diese Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers soll sich auch auf den Anspruch des Arbeitgebers gegen einen Zweitschädiger auswirken: der Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Zweitschädiger ist zu kürzen, soweit die Haftungsquote im Innenverhältnis der beiden Schädiger auf den Arbeitnehmer entfällt.1277) Ob dies auch dann gilt, wenn neben dem Arbeitnehmer der Geschäftsführer und nicht ein außenstehender Dritter1278) haftet, ist in Rechtsprechung und Literatur1279) noch nicht abschließend geklärt. Selbst wenn man diese Frage bejahen sollte, wäre bei der „Quotelung“ zu Lasten des Geschäftsführers zu berücksichtigen, dass gerade ihm die Überwachung der Angestellten obliegt. e) Verjährung Ansprüche der Gesellschaft aus § 43 GmbHG gegen Geschäftsführer verjäh- 811 ren in fünf Jahren (§ 43 Abs. 4 GmbHG). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Pflichtverletzung fahrlässig oder vorsätzlich war oder auf einer „böslichen“ Handlungsweise beruhte.1280) Stellt die Pflichtverletzung zugleich eine unerlaubte Handlung nach den §§ 823 ff. BGB gegenüber der Gesellschaft dar, so besteht Anspruchskonkurrenz.1281) Die Verjährung des deliktsrechtlichen Anspruchs richtet sich nach den §§ 195, 199 BGB.1282) Strittig ist, welche Verjährungsfrist bei Ansprüchen der GmbH gegen Organe gilt, die auf einer Verletzung von „rein GmbH-rechtliche[n] Normen [beruhen, die] ausnahmsweise als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der GmbH anzu___________ 1274) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 214. 1275) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 114; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 45. 1276) Palandt/Weidenkaff, BGB, § 611 Rn. 156 ff. 1277) OLG Karlsruhe OLGZ 69, 158, 159; Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rn. 27; bei Personenschäden im Sozialversicherungsrecht: BGH NZA 2015, 689, 693; zur gestörten Gesamtschuld bei Haftungsprivilegierungen allgemein: Walker, JuS 2015, 865, 865 ff. 1278) OLG Karlsruhe OLGZ 69, 158, 158 f. 1279) BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 260. 1280) Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn. 278. 1281) BGH BeckRS 2014, 07705; BGH BB 1989, 1637, 1640 = ZIP 1989, 1390; BGH BB 1992, 726, 727; Woedtke, NZG 2013, 484, 485. 1282) BGH NJW 2001, 223 f. = ZIP 2000, 2164; BGH NJW 2009, 2127, 2130 = ZIP 2009, 802; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 58; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn. 279, nur bei parallelen deliktischen Ansprüchen kann sich Gesellschaft auf von § 43 Abs. 5 GmbHG abweichende Verjährung berufen: OLG München BeckRS 2013, 03726.
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sehen sind“.1283) Der BGH wendet hier (grundsätzlich) nicht die Fünfjahresfrist nach § 43 Abs. 4 GmbHG, sondern die deliktsrechtliche Frist nach §§ 195, 199 BGB an.1284) 812 Die fünfjährige Verjährungsfrist1285) nach § 43 Abs. 4 GmbHG beginnt mit Entstehung des jeweiligen Anspruchs (§ 200 BGB).1286) Der Beginn der Verjährungsfrist setzt daher den Eintritt eines Schadens aufgrund einer pflichtwidrigen Handlung oder Unterlassung voraus; auf die Kenntnis der Gesellschaft hiervon kommt es nicht an.1287) 813 Schadensersatzansprüche entstehen (erst) mit Schadenseintritt. Das Setzen der Schadensursache und das Entstehen einer risikobehafteten Situation allein genügen nicht.1288) Es muss eine konkrete Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten sein.1289) Die Anspruchsentstehung und damit der Beginn der Verjährung setzen voraus, dass ein Schaden eingetreten ist, auch wenn er in seiner Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist (Grundsatz der Schadenseinheit). Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem der Schaden dem Grunde nach entstanden oder zumindest die Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten ist. Eine bloße Vermögensgefährdung begründet noch keinen Schaden,1290) auch wenn sie Grund für die Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags sein kann. Schließt der Geschäftsführer einen für die Gesellschaft nachteiligen Vertrag, entsteht der Schaden bereits mit Vertragsschluss.1291) Auf den Eintritt einer endgültigen Vermögenseinbuße kommt es nicht an.1292) So entstehen Schadensersatzansprüche einer Gesellschaft gegen ihre Organe wegen vorschriftswidriger Anlage von Gesellschaftsvermögen bereits mit Vornahme der Anlage selbst und nicht erst, wenn die Anlage einen Verlust erbracht hat.1293) Dementsprechend sollte ___________ 1283) Vgl. hierzu: Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 58 insbesondere Fn. 494. 1284) LG Bonn BeckRS 2015, 18552; BGH NZG 2011, 624, 626; a. A. die wohl h. L.: vgl. etwa Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 68; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack, GmbHG, § 43 Rn. 58; Henssler/Strohn/Oetker, GmbHG § 43 Rn. 71. 1285) Zur Haftungsbeschränkung durch Vereinbarung einer Ausschluss- oder Verjährungsfrist: Werner, GmbHR 2014, 792, 796 f.; ausführlich: Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 462 ff. 1286) Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn. 281. 1287) Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn. 280. 1288) Palandt/Ellenberger, BGB, § 199 Rn. 15. 1289) LG Stuttgart BeckRS 2015, 12647 Rn. 43; BGHZ 100, 228, 231 = ZIP 1987, 776. 1290) MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 263; BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 309. 1291) BGH NJW 2012, 3647, 3653; BGH WM 2010, 1493, 1495 = ZIP 2010, 1548; BeckOK BGB/Henrich/Spindler, Stand: 1.11.2015, § 199 Rn. 14.; MünchKomm-BGB/Grothe, § 199 Rn. 26. 1292) MünchKomm-BGB/Grothe, § 199 Rn. 26; RG JW 1932, 1648. 1293) MünchKomm-BGB/Grothe, § 199 Rn. 26.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers
die Schadensentstehung bei der „Annahme“1294) einer nach dem Insolvenzrecht (§§ 129 ff. InsO) anfechtbaren Leistung bereits in der Leistungsannahme bestehen, auch wenn das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann.1295) Nicht erforderlich ist es, dass der Schaden bereits der Höhe nach beziffert werden kann.1296) Es genügt somit, dass die Gesellschaft bereits eine Feststellungsklage erheben kann.1297) Praxistipp: Anders als bei der regelmäßigen Verjährung beginnt der Fristenlauf nicht erst zum Ende des jeweiligen Jahres („Ultimoverjährung“), sondern bereits mit der Schadensentstehung. Daher verjähren Ansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG – entgegen einem in der Praxis weit verbreiteten Missverständnis – nicht zum Jahresende, sondern unterjährig.1298)
Bei dauernden und wiederholten Beeinträchtigungen ist zu differenzieren: x
814
Dauerverhalten
Als Dauerverhalten ist ein solches Tun oder Unterlassen anzusehen, das 815 ununterbrochen verletzt, solange der dadurch hervorgerufene Zustand andauert. Der auf einer solchen Verletzung beruhende Anspruch ist im Normalfall für die Zwecke des Verjährungsrechts als nicht entstanden anzusehen, solange der Eingriff andauert.1299) Bei Dauerhandlungen beginnt die Verjährung nicht, solange der Eingriff noch andauert.1300) Im ___________ 1294) Schaden durch die konkreter Form einer Leistungsannahme denkbar, wenn „Leistungsannahme“ auf andere Weise nicht anfechtbar gewesen wäre. 1295) Sonst droht die Fünf-Jahres-Frist nach § 43 Abs. 4 GmbHG „ausgehöhlt“ zu werden: Insolvenzanfechtung bis zehn Jahre vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 133 Abs. 1 InsO) möglich! Verkürzung der Anfechtungsfrist auf vier Jahre geplant, vgl.: Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, BRDrucks. 495/15 sowie BT-Drucks. 18/7054; 1. Durchgang Bundesrat: 939. Sitzung am 27.11.2015; 1. Lesung Bundestag: 150. Sitzung am 15.1.2016. 1296) Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn. 281; zu Besonderheiten bei nicht voraussehbaren Schadensfolgen: BGH NJW 2015, 1252; RGZ 102, 143, 144; BGH NJW 1995, 1614 f.; BGH NJW 1987, 1887, 1888 = ZIP 1987, 776; GroßKommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 595; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 292; Fezer, Markenrecht, § 20 MarkG Rn. 43; a. A. aber: Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 551, 365 ff. (kein neuer Verjährungsbeginn selbst bei unvorhersehbaren Spätschäden). 1297) BAG NZA 2010, 1418, 1419 = ZIP 2010, 1361; BGHZ 100, 228, 231 = ZIP 1987, 776; BGH WM 1971, 1548, 1549; OLG Bremen GmbHR 1964, 8, 9. 1298) BeckOK BGB/Henrich, Stand: 1.11.2015, § 200 Rn. 3; HandKommBGB/Dörner, § 200 Rn. 2; Jauernig/Mansel, BGB, § 200 Rn. 1. 1299) OLG Stuttgart BeckRS 2015, 10938; BGH NJW 1973, 2285, 2285; MünchKommBGB/Grothe, § 199 Rn. 13; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 373. 1300) OLG Stuttgart BeckRS 2015, 10938; BGH NJW 2010, 1292, 1293; BGH NJW 1973, 2285, 2285; bei § 1004 BGB: OVG Saarlouis KommJuR 2014, 383, 384.
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Falle der Nachholbarkeit der unterlassenen Handlung beginnt die Verjährung nicht schon dann, wenn die Verhinderungshandlung spätestens hätte erfolgen müssen, sondern erst dann, wenn die Nachholbarkeit endet.1301) x
Wiederholte Verhaltensweisen Bei wiederholten Verhaltensweisen selbständiger Art entsteht mit jeder einzelnen Handlung oder Unterlassung ein neuer Schadensersatzanspruch.1302) Mit jeder einzelnen Pflichtverletzung und dem dadurch verursachten Schaden entsteht ein neuer Anspruch, der seiner eigenen, neuen Verjährung unterliegt; der „Gesamtschaden“ wird also aufgeteilt, so dass insoweit der Grundsatz der Schadenseinheit relativiert wird.1303) Dies gilt auch dann, wenn sämtliche tatbestandsmäßigen Handlungen (Pflichtverletzungen) denselben Schaden nach sich ziehen.1304) Eine Schadensvertiefung oder -erweiterung durch die späteren Pflichtverletzungen ist nicht erforderlich.1305) Der strafrechtliche Begriff der fortgesetzten Handlung ist auf das Privatrecht nicht übertragbar.1306)
816
x
Dauernde Beeinträchtigung durch einmalige Verhaltensweise Von Dauerhandlungen und wiederholten Handlungen zu unterscheiden ist die einmalige Handlung, die eine dauernde Beeinträchtigung nach sich zieht. Hier entsteht der Anspruch auf Beseitigung oder Schadensersatz bereits mit Beginn der Beeinträchtigung.1307)
817
___________ 1301) LG München I NZG 2014, 345, 346 = ZIP 2014, 570. 1302) RGZ 134, 335, 339 f. insbesondere 341; BGHZ 71, 86, 94; BGH NJW 1981, 573; BGH NJW 1985, 1023, 1024; BGH NJW 1986, 2309, 2311 f.; BGH NJW 1986, 2827, 2829; BGH NJW 1993, 648, 650; BGH BB 2002, 1507, 1508; OLG Stuttgart BeckRS 2015, 10938; MünchKomm-BGB/Grothe, § 199 Rn. 13a.; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 371 f. 1303) BGH NJW 2015, 2407, 2408; BGH NJW-RR 2011, 842, 844; OLG Hamm NZG 2010, 589, 591; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 302 m. w. N. (für die vergleichbare Haftung des Vorstands einer Aktiengesellschaft); Palandt/Ellenberger, BGB, § 199 Rn. 22. 1304) Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, § 199 Rn. 28; in diesem Sinne auch BGH BeckRS 2013, 9015; BeckOK BGB/Henrich/Spindler, Stand: 1.11.2013, § 199 Rn. 7; BGH NJW 2015, 2407, 2408 = ZIP 2015, 1395; BGH NJW-RR 2011, 842, 844 = ZIP 2011, 1012; a. A. OLG Saarbrücken BeckRS 2008, 09089. 1305) OLG Düsseldorf BeckRS 2013, 09015; BeckOK BGB/Henrich/Spindler, Stand: 1.11.2013, § 199 Rn. 7. 1306) OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 17537; KG BeckRS 2013, 14606; BGHZ 71, 86, 94; Palandt/Ellenberger, § 199 Rn. 22; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 292; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 372. 1307) MünchKomm-BGB/Grothe, § 199 Rn. 15; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 371.
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Die Abgrenzung ist insbesondere schwierig bei einer „punktuellen“ scha- 818 densverursachenden Pflichtverletzung des Geschäftsführers, an die sich ein Zeitraum anschließt, in dem der Geschäftsführer den Schaden hätte verhindern können, dies aber schuldhaft unterlässt. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob ein Dauerverhalten oder ein wiederholtes Verhalten (Unterlassen) vorliegt. Wiederholt der Schädiger die pflichtwidrige Handlung, liegt eine wiederholte Verhaltensweise vor, so dass jede einzelne Pflichtverletzung und der dadurch verursachte Schaden einer eigenen, neuen Verjährung unterliegt.1308) Bereits bei positivem Tun ist die Frage nicht eindeutig geklärt, wann mehrere (eigenständige) pflichtwidrige Handlungen vorliegen;1309) zum Teil wird ein späteres Fehlverhalten nicht als eine weitere, selbstständig verjährende Pflichtwidrigkeit, sondern als (bloßes) „auf der ursprünglichen Fehleinschätzung beruhendes weiteres Versäumnis“ angesehen.1310) Wächst der Schaden durch fortgesetztes Unterlassen von verhindernden Maßnahmen, beginnt die Verjährung erst mit Abschluss des pflichtwidrigen Unterlassens.1311) Das pflichtwidrige Unterlassen endet mit dem Zeitpunkt, bis zu dem eine pflichtgemäße Handlung den Schadenseintritt hätte verhindern können.1312) Ist die pflichtgemäße Handlung nachholbar, beginnt die Verjährung mit Verstreichenlassen dieser Möglichkeit.1313) Gerade bei einem Unterlassen ist die trennscharfe Unterscheidung zwischen einem Dauerverhalten und wiederholten Verhaltensweisen äußerst schwierig.1314) Richtigerweise ist danach zu differenzieren, ob ein bloßes „Dauerunterlassen“ vorliegt oder ob – ggf. wegen zeitlicher Zäsuren – mehrere selbständige Unterlassungstatbestände vorliegen. In der Rechtsprechung und Literatur fehlen allgemein anerkannte, eindeutige Abgrenzungskriterien: x
Nicht (allein) entscheidend kann es sein, ob der Gesamtschaden schon bereits mit dem ersten Unterlassen eintritt. Es ist anerkannt, dass auch dann eine wiederholte Verhaltensweise vorliegen kann, wenn die selbständigen tatbestandsmäßigen Handlungen denselben Schaden nach sich ziehen;
___________ 1308) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 292. 1309) Vgl. Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 373. 1310) BeckOK BGB/Henrich/Spindler, Stand: 1.11.2013, § 199 Rn. 7 mit dem Beispiel, dass ein Rechtsanwalt pflichtwidrig eine aussichtslose Klage erhebt und nach Klageabweisung in der ersten Instanz Rechtsmittel einlegt. 1311) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 293; Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 337. 1312) GroßKommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 591 f.; Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 337. 1313) Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 337. 1314) Vgl. nur: MünchKomm-BGB/Grothe, § 199 Rn. 13; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, § 199 Rn. 29; GroßKommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 595; OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 17537; BGH BB 2002, 1507, 1508; RGZ 80, 436, 438; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 376.
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eine Schadensvertiefung oder -erweiterung durch die späteren Pflichtverletzungen ist gerade nicht erforderlich.1315) x
Bei „Zuständen“ stellt sich zudem immer die Frage, was denn der „Gesamtschaden“ ist, also ob nacheinander eintretende Schäden selbständige „Gesamtschäden“ sind oder wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit zusammenzufassen sind. Eine prozessrechtliche Abgrenzung anhand des Streitgegenstandsbegriffs1316) lehnt der BGH ausdrücklich ab.1317)
x
Beruhen eine Reihe von Maßnahmen auf einem einheitlichen „Tatplan“, ist nach einer BGH-Entscheidung, die in der Literatur Zustimmung erfahren hat, ein einheitliches Geschehen im Sinne eines Dauerverhaltens anzunehmen, so dass der Verjährungslauf erst mit Beendigung des Dauerverhaltens beginnt.1318)
x
Soweit die Literatur überhaupt Abgrenzungskriterien diskutiert, wird vorgeschlagen, darauf abzustellen, ob eine „soziale Handlungseinheit“ vorliegt (dann Dauerunterlassen) oder ob mehrere soziale Handlungseinheiten vorliegen (dann wiederholtes Unterlassen).1319) Zu beachten seien „zeitliche Einschnitte“, die für die Pflichtenlage der Organe (Schädiger) von Bedeutung sind sowie Zeitpunkte, „die das Leben einer [Gesellschaft] rechtlich untergliedern“.1320)
819 Da die Verjährung mit dem objektiven Entstehen des Anspruchs beginnt und eine Kenntnis nicht Voraussetzung ist, stellt sich die Frage, ob das Verschweigen des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft über eigene Pflichtverletzungen wiederum eine Pflichtverletzung darstellt. Das ist grundsätzlich zu verneinen, da kein Organ verpflichtet ist, sich selbst anzuzeigen.1321)
___________ 1315) Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, § 199 Rn. 28; in diesem Sinne auch: BGH NJW 2015, 2407, 2408 = ZIP 2015, 1395; OLG Düsseldorf BeckRS 2013, 09015; BeckOK BGB/Henrich/Spindler, Stand: 1.11.2013, § 199 Rn. 7. 1316) Vgl. etwa OLG Karlsruhe WM 2012, 1026, 1027. 1317) BGH WM 2013, 2216, 2218 f.; lediglich im Rahmen der Hemmungswirkung Streitgegenstand bildender prozessualer Anspruch relevant: BGH NZG 2016, 273, 274. 1318) BGH NJW 2008, 3361, 3363; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 233; MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 331b; BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 1.12.2013, § 43 Rn. 365; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 57; vgl. etwa für den Unterlassungsanspruch § 1004 BGB: VG Neustadt a. d. Weinstraße BeckRS 2014, 53128. 1319) KK-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 203; GroßKommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 593; Fleischer, AG 2014, 457, 462. 1320) KK-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 203. 1321) Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 339; Fleischer, AG 2014, 457, 461; detailliert: Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 453 ff.
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III. Geltendmachung und Strategie 1. Gesellschafterbeschluss Nach § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG bedarf es für die Geltendmachung von An- 820 sprüchen gegen Geschäftsführer eines Gesellschafterbeschlusses,1322) der die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung und die betreffende Angelegenheit hinreichend genau umreißen muss.1323) Der Beschluss ist materielle Voraussetzung1324) für die Geltendmachung, auch im Außenverhältnis; ohne wirksamen Beschluss ist eine Klage unbegründet,1325) falls der Beschluss nicht während des Schadensersatzprozesses nachgeholt wird.1326) Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB tritt auch ohne Beschluss ein.1327) Dies hat nicht nur bei der Klage zu gelten, sondern auch bei anderen verjährungshemmenden Maßnahmen, wie etwa beim Mahnbescheid (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB) oder dem Güteantrag1328) (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Im Schadensersatzprozess der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer sind Beschlussmängel zu berücksichtigen.1329) Bei Nichtigkeit des Beschlusses ist die Klage abzuweisen.1330) Durch Beschluss nach § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG bestimmen die Gesellschaf- 821 ter auch die Vertretung der Gesellschaft für die Geltendmachung von Scha-
___________ 1322) Zur Kompetenzabgrenzung bei einer GmbH mit einem Aufsichtsrat: Lutter/ Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 35; Beschluss auch im Außenverhältnis als materielle Anspruchsvoraussetzung: OLG München, BeckRS 2012, 19388; Beschluss nicht erforderlich bei der GmbH & Co. KG: BGH NZG 2013, 1021, 1022; ebenso wenig bei einer Zwei-Personen-GmbH: OLG Düsseldorf DStR 2012, 1350, 1350 f. 1323) OLG Düsseldorf BB 1995, 11; LG Karlsruhe NZG 2001, 169, 171 (keine „übertriebenen“ Anforderungen); MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 249. 1324) Bayer, GmbHR 2014, 897, 900. 1325) BGH DNotZ 2014, 138, 141 (Umkehrschluss aus der Lage bei Ansprüchen der KG); BGH NJW 1959, 194, 194; BGH NZG 2004, 962, 964 (mit insolvenzbedingten Besonderheiten); MünchKomm-GmbHG/Liebscher, § 46 Rn. 249 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 900. 1326) Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 40; zur actio pro societate im Falle eines ablehnenden Beschlusses: Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 41; Roth/ Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 98. 1327) OLG München WM 2016, 164, 169 = ZIP 2016, 621; BGH NJW 1999, 2115; Lutter/ Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 40 (str.), a. A. Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, S. 403. 1328) Derzeit noch wenig geklärt und untersucht, ist die Frage, ob und inwieweit auf die Wirksamkeit des Güteantrags die Vorschriften des materiellen Rechts oder des Prozessrechts anwendbar sind, z. B. im Hinblick auf Vollmachtsfragen (§ 174 BGB oder § 80 ZPO) etc. 1329) BGH NJW 1999, 2115, 2116; zum Vorgehen bei bloßer Anfechtbarkeit: Baumbach/ Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 64; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 41; Beschluss „als materielle Anspruchsvoraussetzung erforderlich“: OLG München WM 2016, 164, 167 = ZIP 2016, 621. 1330) BGH NJW 1999, 2115, 2116; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 64.
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densersatzansprüchen.1331) Sofern die Gesellschaft über einen Aufsichtsrat verfügt,1332) vertritt dieser die Gesellschaft gegenüber dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer,1333) soweit die Gesellschafterversammlung nicht einen besonderen Vertreter bestellt.1334) 2. Gesamtschuld bei mehreren Geschäftsführern 822 Verfügt eine Gesellschaft über mehrere Geschäftsführer, haften diese gesamtschuldnerisch, soweit sie für denselben Schaden verantwortlich sind.1335) Voraussetzung für die Haftung eines Mitgeschäftsführers ist, dass er selbst den Haftungstatbestand nach § 43 Abs. 2 GmbHG erfüllt.1336) Eine Zurechnung von Fremdverschulden für Mitgeschäftsführer1337) oder Arbeitnehmer1338) scheidet aus.1339) Bei horizontaler Delegation1340) aufgrund Ressortaufteilung haftet primär der ressortverantwortliche Geschäftsführer,1341) die übrigen Mitgeschäftsführer haften nur bei Verletzung von Überwachungs- oder Organisationspflichten.1342) 823 Die Geschäftsführer haften nicht quotal, sondern als Gesamtschuldner. Die Gesellschaft kann von jedem gesamtschuldnerisch haftenden Geschäftsführer vollen Ersatz verlangen.1343) Unter den Gesamtschuldnern besteht grundsätzlich eine Ausgleichspflicht im Innenverhältnis.1344) Insoweit gilt zwischen den Mitgeschäftsführern § 254 BGB analog; entscheidend sind also ihre Verursachungsbeiträge, sofern nicht ausnahmsweise in Satzung oder Anstellungsverträgen eine anderweitige Regelung getroffen ist.1345) Grundsätzlich tritt ___________ 1331) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 65. 1332) OLG Brandenburg BeckRS 2009, 18749; zur Zulässigkeit, den Beiratsvorsitzenden als Vertreter der Gesellschaft im Prozess gegen den Geschäftsführer zu bestimmen: BGH NZG 2016, 429. 1333) Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 66; OLG Brandenburg BeckRS 2009, 18749. 1334) Zur streitigen Frage der analogen Anwendbarkeit von § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bei der mitbestimmten GmbH: Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 46 Rn. 43; Baumbach/ Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 66. 1335) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 25. 1336) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 26. 1337) BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 251 f.; Ehmann, Rn. 719 f. mit taktischen Erwägungen. 1338) BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 249 f. und 250 zum Streit bei fehlerhafter vertikaler Delegation (hierzu: Ultsch, Rn. 777 ff.). 1339) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 28. 1340) Ultsch, Rn. 780 ff. 1341) Ehmann, Rn. 700. 1342) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 29; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack, GmbHG, § 43 Rn. 28. 1343) Ultsch, Rn. 808. 1344) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rn. 29; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack, GmbHG, § 43 Rn. 28. 1345) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 29; Freund, NJW 2013, 2545, 2546.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers
die Verletzung bloßer Beaufsichtigungspflichten voll hinter die Schädigung durch den unmittelbaren Täter zurück;1346) bei klarer Ressortverteilung ist im Innenverhältnis typischerweise der ressortverantwortliche Geschäftsführer alleinverantwortlich.1347) Soweit ein gesamtschuldnerisch haftender Mitgeschäftsführer die Gesellschaft 824 befriedigt hat und er im Innenverhältnis Ausgleich verlangen kann, geht auf ihn der Schadensersatzanspruch im Wege der cessio legis nach § 426 Abs. 2 BGB über. Darüber hinaus besteht unter den mithaftenden Geschäftsführern der Anspruch nach § 426 Abs. 1 BGB und zwar bereits mit Begründung der Gesamtschuld.1348) Dieser ist zunächst auf Schuldbefreiung,1349) nach Befriedigung der Gesellschaft auf Zahlung gerichtet.1350) Wird ein Mitgeschäftsführer von der Gesellschaft in Anspruch genommen, 825 sollte er zeitnah von mithaftenden Geschäftsführern Schuldbefreiung nach § 426 Abs. 1 BGB verlangen. Bei schuldhafter Verletzung des Befreiungsanspruchs kann ein Schadensersatzanspruch gegen die „vergebens“ auf Befreiung in Anspruch genommenen Mitgeschäftsführer entstehen und zwar unter dem Gesichtspunkt des Verzugs.1351) Gegenüber dem Zahlungsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB kommt dem Schadensersatzanspruch Bedeutung zu, wenn durch die unterbliebene Freistellung besondere Schäden entstehen, etwa bei kostspieliger Aufnahme von Krediten.1352) Die für die Verzugsbegründung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche Mahnung kann in der Praxis Schwierigkeiten bereiten, wenn der Freistellungsberechtigte den Umfang der begehrten Freistellung nicht bezeichnet oder das Freistellungsverlangen das im Innenverhältnis geschuldete Maß überschreitet.1353) Zur eigenen Sicherheit sollte der Freistellungsberechtigte den Freistellungsumfang realistisch schätzen und nicht unverhältnismäßig mehr verlangen; sonst riskiert er die Unwirksamkeit seiner Mahnung.1354) Der Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB hat auch insoweit Bedeu- 826 tung, weil er nach herrschender Meinung einer selbständigen Verjährung un___________ 1346) Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rn. 29; Freund, NJW 2013, 2545, 2546; MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 22 m. w. N. 1347) Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 934. 1348) BGH NZG 2015, 1353, 1356 Rn. 34 = ZIP 2015, 2268; BGH NJW 2010, 60, 61 = ZIP 2009, 1821; BGH NJW-RR 2008, 256, 257 = ZIP 2007, 2313; Zahn, ZfBR 2007, 627, 627; MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 71 und 12 m. w. N. 1349) Zum Übergang von Freistellungsansprüchen in Schadensersatzansprüche: MünchKommBGB/Bydlinski, § 426 Rn. 71; Zahn, ZfBR 2007, 627, 631. 1350) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 12. 1351) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 71; Zahn, ZfBR 2007, 627, 631. 1352) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 71. 1353) Zu Voraussetzungen und Wirksamkeit einer Mahnung: MünchKomm-BGB/Ernst, § 286 Rn. 51. 1354) OLG Brandenburg BeckRS 2016, 04683 Rn. 37; BGH NJW 2006, 3271, 3272; BGH NJW 1991, 1286, 1288; BeckOK BGB/S. Lorenz, Stand: 1.11.2015, § 286 Rn. 27.
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terliegt.1355) Maßgeblich ist die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB,1356) deren Beginn sich nach § 199 BGB richtet, also insbesondere Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw. deren grob fahrlässige Unkenntnis voraussetzt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Gerade wegen des subjektiven Erfordernisses (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis) kann der Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB noch unverjährt sein, während hinsichtlich des Regressanspruchs aus §§ 426 Abs. 2 BGB, 43 Abs. 2 GmbHG – infolge seines kenntnisunabhängigen Beginns der fünfjährigen Frist nach § 43 Abs. 4 GmbHG1357) – bereits Verjährung eingetreten ist. 3. Gestörte Gesamtschuld 827 „Störungen“ beim Gesamtschuldnerausgleich unter an sich haftenden Mitgeschäftsführern können in der Praxis eintreten, wenn die Gesellschaft mit ihren Geschäftsführern einen unterschiedlichen Sorgfaltsmaßstab vereinbart hat (etwa teilweiser Haftungsausschluss bei einfacher Fahrlässigkeit,1358) sie gegenüber einem haftenden Geschäftsführer auf den Schadensersatzanspruch verzichtet oder ihn entlastet1359) hat, oder wenn die Gesellschaft ihren Schadensersatzanspruch nicht gegen alle der haftenden Geschäftsführer geltend macht und gegenüber anderen die Verjährung eintreten lässt. Letzteres ist deshalb von Bedeutung, weil verjährungshemmende Tatbestände bei Gesamtschuldnern nur Einzelwirkung haben (§ 425 Abs. 1 und 2 BGB), also nur gegen denjenigen Gesamtschuldner wirken, gegenüber dem sie vorgenommen werden. Wird ein nichtprivilegierter Gesellschaftsführer von der Gesellschaft in Anspruch genommen und leistet dieser vollständig Schadensersatz, besteht das Risiko, dass sein Ausgleichsbegehren gegenüber einem privilegierten Mitgeschäftsführer von diesem zurückgewiesen wird. 828 Wie diese Störungen im Gesamtschuldnerausgleich zu lösen sind, ist nach wie vor nicht eindeutig. Richtigerweise ist nach der Art der Störung zu differenzieren: 829 Der (nachträgliche) Erlass gegenüber einem Mitgeschäftsführer soll grundsätzlich nur Einzelwirkung haben (vgl. § 423 BGB: Frage der Auslegung); er berührt dann die Ausgleichspflicht des „privilegierten“ Mitgeschäftsführer nicht.1360) Gleiches gilt konsequenterweise auch für den Verzicht, den Vergleich oder die Entlastung. ___________ 1355) BGH NJW-RR 2015, 1058 = ZIP 2015, 1189 Rn. 19; BGH NJW 2010, 62, 63 = ZIP 2009, 2299; zum Meinungsstand: Pfeiffer, NJW 2010, 23, 23 f. 1356) BGH NJW-RR 2015, 1058 = ZIP 2015, 1189 Rn. 19; BGH NJW 2010, 62, 63 = ZIP 2009, 2299. 1357) Ultsch, Rn. 811 ff. 1358) Zur Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen: Ultsch, Rn. 797 ff. 1359) Ultsch, Rn. 791 ff. 1360) Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rn. 19; MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 8.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers
Das Unterlassen verjährungshemmender Tatbestände hat praktisch die glei- 830 che Wirkung wie ein Verzicht oder Vergleich. Daher sollte auch der Eintritt der Verjährung bei einem Mitgeschäftsführer seiner Ausgleichspflicht nicht entgegenstehen,1361) jedenfalls soweit die Untätigkeit der Gesellschaft und das Verstreichenlassen der Verjährungsfrist gegenüber einem Mitgeschäftsführer keinen Rechtsmissbrauch darstellen.1362) Erkennt man in besonderen Fallkonstellationen einen Rechtsmissbrauch, sollte dies auch für Erlass, Verzicht und Entlastung gelten. Eine sichere und gefestigte Rechtsprechung ist hierzu allerdings nicht vorhanden. Bei anfänglichen „Störungstatbeständen“, wie Haftungsreduktionen oder Be- 831 weisabreden,1363) sind Einzelheiten stark umstritten. Nach der Rechtsprechung sollen diese, sofern sie auf einer Vereinbarung beruhen,1364) nur im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer wirken, letzteren aber nicht von einer Ausgleichspflicht befreien.1365) Die überwiegende Literatur bevorzugt eine andere Lösung durch Auslegung1366) der Privilegierungsabrede: Möchte die Gesellschaft den betreffenden Mitgeschäftsführer ohne Zustimmung seiner Kollegen endgültig, also auch vom Innenregress befreien, dann hat sie die übrigen Mitgeschäftsführer in dem Umfang mit zu befreien, in dem der Privilegierte intern regresspflichtig wäre.1367) Eine solche Regelung hat dann konsequenterweise Außenwirkung; der Anspruch der Gesellschaft gegen die nichtprivilegierten Geschäftsführer ist um den Haftungsanteil des freigestellten Mitgeschäftsführers zu kürzen.1368) Soweit die Privilegierung in den Anstellungsverträgen der Mitgeschäftsführer 832 verabredet sein soll, kann die Auslegung der Abrede AGB-Grundsätzen unterliegen, also im Zweifel gegen den Verwender ausgelegt werden (§ 305c Abs. 2 BGB).1369) § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB findet auf Anstellungsverträge keine Anwendung.1370) Vor diesem Hintergrund sollte sich die Gesellschaft stets hüten, selbständig Haftungsprivilegierungen vorzuschlagen, also Verwender der entsprechenden Klausel i. S. v. §§ 305 Abs. 1 Satz 1, 305c Abs. 2 BGB zu sein. ___________ 1361) BGH NJW 2010, 62, 63 = ZIP 2009, 2299. 1362) Vgl. hierzu: Pfeiffer, NJW 2010, 23, 24 m. w. N. zum Meinungsstand. 1363) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 59 (hierzu: Ultsch, Rn. 804 f.). Zu summenmäßigen Haftungsfreistellungen: MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 60 sowie de lege ferenda: Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 929 ff. 1364) Anders bei gesetzlichen Privilegierungen wie etwa § 1664 BGB: LG Münster BeckRS 2015, 12026; BGH NJW 2004, 2892, 2893; Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rn. 22; Hager, NJW 1989, 1640, 1646 f. 1365) BGH NJW-RR 2004, 1243, 1245; BGH NJW 1989, 2386, 2387; BGH NJW 1954, 875, 876. 1366) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 57; Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rn. 20. 1367) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 57; Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rn. 20. 1368) MünchKomm-BGB/Bydlinski, § 426 Rn. 57; Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rn. 20. 1369) Zum europarechtlichen Hintergrund: EuGH BeckRS 2015, 80063 Rn. 34. 1370) BeckOK BGB/Becker, Stand: 1.11.2015, § 310 Rn. 31; Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2338 (für Vorstandsverträge).
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
Dies gilt nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch bei „Einmalklauseln“,1371) da Geschäftsführer wie Arbeitnehmer Verbraucher i. S. v. § 13 BGB1372) sind. 833 All diese Gesichtspunkte sind von der Gesellschaft von Anfang an zu beachten, wenn sie eine Strategie zur Geltendmachung ihr entstandener Schäden entwickelt. Zur Sicherheit ist der Gesellschaft anzuraten, gegen alle (potentiell) haftenden Geschäftsführer (gleichermaßen) vorzugehen. Tut sie dies nicht, können ggf. zusätzliche Verteidigungsmöglichkeiten von Mitgeschäftsführern entstehen. Umgekehrt formuliert: in Anspruch genommene Geschäftsführer sollten die (unterlassene) Inanspruchnahme ihrer Geschäftsführerkollegen im Auge haben und prüfen, inwieweit sich hieraus Einwendungen gegen die Forderung der Gesellschaft ergeben. 4. Regressfragen: Streitverkündung und Streitverkündungsvertrag 834 Verklagt die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) und hat die Klage Erfolg, so wird jeder Beklagte (gesamtschuldnerisch) zur Zahlung des vollen Schadens verurteilt. Den Urteilen zugrunde liegende (tatsächliche und rechtliche) Feststellung entfalten keine Bindungswirkung: im Verhältnis zur Gesellschaft nicht, weil nur die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch (§ 322 Abs. 1 ZPO: der „Tenor“) in Rechtskraft erwächst, unter den Mitgeschäftsführern nicht, weil sie in keinem Prozessrechtsverhältnis stehen. Besonderheiten gelten, soweit ein verurteilter Mitgeschäftsführer die Gesellschaft befriedigt. Hier kommt es zur cessio legis nach § 426 Abs. 2 BGB, der titulierte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführerkollegen geht auf den Schadensersatzleistenden über, soweit er im Innenverhältnis nicht selbst verpflichtet ist. Die cessio legis führt zur Rechtskrafterstreckung nach § 325 Abs. 1 ZPO.1373) Allerdings ist über den Umfang der cessio legis noch nicht erkannt, so dass eine Titelumschreibung nach § 727 Abs. 1 ZPO in der Regel an der fehlenden Beweisbarkeit1374) durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden scheitern wird.1375) Daher kann die Klausel nur im Wege der Klage nach § 731 ZPO umgeschrieben werden; allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, ob die cessio legis nach § 426 ___________ 1371) Hierauf weist zu Recht hin: Fleischer, NZG 2010, 561, 562. 1372) OLG Dresden BeckRS 2013, 08324; BAG NZG 2010, 1063; BGH NJW 2004, 3039, 3040; Fleischer, NZG 2010, 561, 562 m. w. N.; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff, S. 235 ff.; Ultsch, in: Schwarz/Peschel-Mehner, 44. Lfg., 2015, 3-G 1.6.1 Rn. 44 sowie 3-G 1.6.7 Rn. 60 ff. 1373) BeckOK ZPO/Gruber, Stand: 1.12.2015, § 325 Rn. 10; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 12. Aufl., § 727 Rn. 8, 5. 1374) Zur Beweislast bei Abweichung vom Grundfall des kopfteiligen Ausgleichs: BGH NJW 2001, 365, 366; BGH NJW 1988, 133, 134; OLG München BeckRS 2015, 09714 Rn. 19 f.; OLG Hamm NJW-RR 2010, 755, 756; OLG Köln NJW-RR 1996, 557, 577. 1375) OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 09639; OLG Schleswig BeckRS 1998, 12708; KG NJW 1955, 913, 913; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 12. Aufl., § 727 Rn. 8; vgl. auch OLG Stuttgart BeckRS 2013, 06694; krit. MünchKomm-ZPO/Wolfsteiner, § 727 Rn. 22. wegen kopfteiligem Ausgleich als Grundregel, soweit Kläger hiervon nicht abweichen möchte.
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C. Organhaftung GmbH: Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers
Abs. 2 BGB eine Rechtsnachfolge i. S. v. §(§ 727,) 731 ZPO darstellt.1376) Selbst wenn eine Klage nach § 731 ZPO möglich sein sollte, stünde dies nach herrschender Meinung einer gewöhnlichen Leistungsklage des Ausgleichsberechtigten gegen seine mitverurteilten Geschäftsführerkollegen nicht entgegen.1377) Bei Regressklagen kann die Differenzierung zwischen gewöhnlicher Leistungs- 835 klage und der Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel nach § 731 ZPO taktische Bedeutung haben, insbesondere wenn der Mitgeschäftsführer in der Zwischenzeit seinen Wohnsitz nach § 7 BGB und damit seinen allgemeinen Gerichtsstand nach § 13 ZPO verlegt hat. Für eine Klage aus § 731 ZPO1378) ist das Prozessgericht („Erstgericht“) ausschließlich (§ 802 ZPO) zuständig; der Wohnsitz der in Regress zu nehmenden Kollegen ist ohne Bedeutung. Ebenso wie bei einer Klage nach § 731 ZPO muss der Ausgleichsberechtigte 836 bei einer gewöhnlichen Leistungsklage gegen mitverurteilte Geschäftsführerkollegen den Umfang seines Ersatzanspruchs darlegen und beweisen, sofern er vom Schaden weniger als die ihn nach Kopfteilen treffende Summe tragen möchte. Trotz Rechtskrafterstreckung binden die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Erstgerichts zu den Tatbeiträgen der Geschäftsführer nicht. Dies kann nur über das Institut der Streitverkündung nach §§ 72 ff. ZPO erreicht werden, da die Interventionswirkung nach § 68 ZPO die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Vorprozesses umfasst.1379) Jedoch bezieht sich die Interventionswirkung nach § 68 ZPO nur auf die tragenden Feststellungen des Erstgerichts, also auf diejenigen, auf denen das Ersturteil beruht. Haftet ein Mitgeschäftsführer – wie nach § 43 Abs. 1 GmbHG vorgesehen – für jegliche Art von Fahrlässigkeit und stellt das Erstgericht insoweit grobe Fahrlässigkeit fest, gilt für den Folgeprozess nur die Fahrlässigkeit als festgestellt; im Übrigen liegt eine überschießende Feststellung vor, die außerhalb ___________ 1376) Bejahend: OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 09639; BayObLG NJW 1970, 1800, 1801; OLG Schleswig BeckRS 1998, 12708; KG NJW 1955, 913, 913; Thomas/Putzo/ Seiler, ZPO, § 727 Rn. 12; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 12. Aufl., § 727 Rn. 8; MünchKomm-ZPO/Wolfsteiner, § 727 Rn. 22; verneinend: OLG Düsseldorf NJWRR 2000, 1596, 1596; wohl grundsätzlich bejahend: KG BeckRS 2007, 15890; zweifelnd: BGH BeckRS 2002, 03740. 1377) BGH NJW 1987, 2863, 2863; LG Osnabrück JurBüro 1991, 1401, 1401; Saenger/ Kindl, ZPO, § 731 Rn. 1; BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1.12.2015, § 731 Rn. 5; dogmatisch zweifelhaft wegen des von Amts wegen zu berücksichtigenden Verbots „ne bis in idem“: BGH WuB VII A § 322 ZPO 1.09 m. Anm. Ultsch; vgl. auch MünchKommZPO/Wolfsteiner, § 731 Rn. 1 („erneute Klage eigentlich ausgeschlossen“); Musielak/ Voit/Lackmann, ZPO, 12. Aufl., § 731 Rn. 1; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, 12. Aufl., § 325 Rn. 7 und Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 12. Aufl., § 265 Rn. 5; MünchKommZPO/Gottwald, § 325 Rn. 27; LAG Hessen BeckRS 2013, 65743; OLG Köln BeckRS 2013, 16599 (Klage auf Schaffung eines neuen Titels und Klage auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel alternativ nebeneinander); a. A. Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900, S. 176 f. 1378) Zuständigkeiten betonend: a. A. Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900, S. 177. 1379) MünchKomm-ZPO/Schultes, § 68 Rn. 6.
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der Interventionswirkung liegt.1380) Anders aber, wenn ein Geschäftsführer privilegiert ist, etwa für einfache Fahrlässigkeit nicht haftet, das Erstgericht ihn jedoch unter Feststellung grober Fahrlässigkeit verurteilt. Dann beruht das Ersturteil auf dieser Feststellung, die grobe Fahrlässigkeit wird von der Interventionswirkung erfasst. 837 Je nach Lage des Einzelfalls kann also eine Streitverkündung1381) unter den beklagten Mitgeschäftsführern sinnvoll sein. Soweit diese den Eindruck vermeiden wollen, zwischen ihnen herrsche nun Streit, die Gesellschaft habe sie also erfolgreich „auseinander dividiert“, können die Mitgeschäftsführer eine privatrechtliche Streitverkündungsvereinbarung1382) schließen, von der die Gesellschaft im Erstprozess keine Kenntnis erlangt. 838 Da die Streitverkündung nach überwiegender Auffassung nur zu Gunsten des Streitverkünders1383) wirkt, kann es für den Streitverkündungsempfänger zweckmäßig sein, eine „Gegenstreitverkündung“ auszusprechen, auf Grund deren er dann auch von der Interventionswirkung profitiert. 839 Nimmt die Gesellschaft nicht alle Mitgeschäftsführer klageweise in Anspruch und droht die Verjährung gegenüber den anderen Mitgeschäftsführern, kann der in Anspruch Genommene seinen Regressanspruch gegen die Mitgesamtschuldner sichern, indem er diesen den Streit verkündet (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). 5. Gerichtliche Zuständigkeit 840 Im Hinblick auf die Rechtswegzuständigkeit für Haftungsklagen der Gesellschaft gegen Geschäftsführer ist zu unterscheiden. 841 Für Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und ihrem noch amtierenden Geschäftsführer aus dem Organverhältnis und/oder dem Anstellungsvertrag sind die ordentlichen Gerichte zuständig (§ 13 GVG), sofern die Parteien keine Vereinbarung nach § 2 Abs. 4 ArbGG geschlossen haben.1384) Ist der Geschäftsführer noch im Amt, kann dahinstehen, ob der konkrete Anstellungsvertrag einen freien Dienstvertrag oder (ausnahmsweise) einen Arbeits-
___________ 1380) MünchKomm-ZPO/Schultes, § 68 Rn. 15; BGH MDR 2004, 464, 465; BGH VIZ 2004, 176, 177; BGH FamRZ 2008, 1435, 1437; BGH NJW 2015, 559, 560; BGH NJW 2015, 1824, 1825. 1381) Zur Zulässigkeit der Nebenintervention eines D&O-Versicherers: OLG Frankfurt/M. BeckRS 2015, 11212 Rn. 15 – 18. 1382) Bacher, in: Geigel, Kap. 39 Rn. 173 f. 1383) BGH NJW 2015, 1824, 1825 Rn. 7; BGH NJW 1997, 2385, 2386; BGH NJW 1987, 1894, 1895; OLG Köln NJW-RR 1995, 1085, 1085; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 12. Aufl., § 68 Rn. 5; a. A. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 57. 1384) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn. 152; ErfKommArbR/Preis, BGB § 611 Rn. 137.
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vertrag darstellt.1385) Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt1386) der amtierende Geschäftsführer nicht als Arbeitnehmer. Innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind ab einem Streitwert von über EUR 5.000 die Landgerichte zur Entscheidung befugt (§ 23 Nr. 1 GVG), darunter die Amtsgerichte (§ 71 Abs. 1 GVG). Örtlich zuständig sind die Gerichte am Sitz der Gesellschaft (Erfüllungsort 842 für die Pflicht zur Unternehmensleitung: § 29 ZPO) und am Wohnsitz des beklagten Geschäftsführers (§ 13 ZPO i. V. m. § 7 BGB). Erfüllt die Sorgfaltspflichtverletzung nach dem Tatsachenvortrag der klagenden Gesellschaft gleichzeitig den Tatbestand einer unerlaubten Handlung nach §§ 823 ff. BGB, ist zusätzlich der deliktische Gerichtsstand nach § 32 ZPO1387) gegeben und zwar auch für den Anspruch aus § 43 GmbHG. Entscheidend ist der vom Kläger geltend gemachte prozessuale Anspruch,1388) über den das angerufene Gericht umfassend entscheidet (§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG analog).1389) Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 Abs. 1 ZPO sind unzulässig, weil Geschäftsführer nicht zum Kreis der prorogationsbefugten Personen gehören und insbesondere keine Kaufleute sind. Unter den verschiedenen zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl (§ 35 ZPO). Schadensersatzklagen der Gesellschaft gegen ihren (ehemaligen) Geschäfts- 843 führer stellen Handelssachen i. S. v. § 95 Abs. 1 Nr. 4 lit. a GVG1390) dar. Der Kläger hat also zu wählen, ob er die Klage beim Landgericht zur Zivilkammer oder zur Kammer für Handelssachen erhebt (§ 96 Abs. 1 GVG). Erhebt er die Klage zur Zivilkammer, verweist diese den Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten (§ 98 Abs. 1 Satz 1 GVG) an die Kammer für Handelssachen. Die Kammern für Handelssachen sind mit einem Berufsrichter (als Vorsitzenden) und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt (§ 105 Abs. 1 GVG). Diese Handelsrichter (§ 45a DRiG) werden auf Vorschlag der Industrie- und Handelskammern ernannt (§ 108 GVG). Nach § 109 Abs. 1 Nr. 3 GVG muss ein Handelsrichter Kaufmann, Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer einer kaufmännischen juristischen Person sein.1391) Den Kammern für Handelssachen wird – im Allgemeinen zu Recht – auf Grund ihrer Besetzung mit Handels___________ 1385) BAG GmbHR 2013, 253, 254; BAG GmbHR 1999, 816, 817 f.; ErfKommArbR/Preis, BGB § 611 Rn. 137. 1386) Zur Rechtsnatur dieser oft ungenau als Fiktion bezeichneten Vorschrift: Roth/ Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn. 152. 1387) Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 12. Aufl., § 32 Rn. 11. 1388) BeckOK ZPO/Toussaint, Stand: 1.12.2015, § 32 Rn. 15; Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 12. Aufl., § 17 GVG Rn. 9. 1389) LG Düsseldorf BeckRS 2016, 00627; BGH NJW 2003, 828, 829 f.; BayObLG NJWRR 1996, 508, 509; BeckOK ZPO/Toussaint, Stand: 1.12.2015, § 32 Rn. 15. 1390) OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 699, 699; Saenger/Rathmann, ZPO, § 95 GVG Rn. 6; MünchKomm-ZPO/Zimmermann, § 95 GVG Rn. 12. 1391) An Seeplätzen können Handelsrichter auch aus dem Kreis der Schifffahrtskundigen ernannt werden (§ 110 GVG).
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richtern besondere Sachkunde im kaufmännischen Bereich nachgesagt1392) (vgl. auch § 114 GVG). Maßgeblich für die Wahl des Spruchkörpers sind prozesstaktische Erwägungen, Erfahrungen mit der konkret zuständigen Kammer für Handelssachen und Fragen der Zweckmäßigkeit.1393) 844 Bei Schadensersatzprozessen gegen bereits ausgeschiedene Geschäftsführer – diese sind in der Praxis am weitesten verbreitet – hat die jüngste Rechtsprechung des BAG zur Verunsicherung geführt. Die „Fiktion“ des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG endet mit der Abberufung des Geschäftsführers.1394) Nach diesem Zeitpunkt richtet sich die Rechtswegzuständigkeit nach allgemeinen Grundsätzen.1395) Die Abberufung ist auch dann vom Gericht zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Klageerhebung erfolgt, soweit noch keine rechtskräftige Rechtswegentscheidung ergangen ist.1396) Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr vor, soll dies auch für Ansprüche gelten, die in einem Zeitraum begründet wurden, als die Voraussetzungen noch vorlagen.1397) Allerdings ist die Reichweite der neueren BAG-Entscheidungen noch nicht abschließend geklärt. Teilweise wird vertreten, dass sich diese Rechtsprechung nur auf sog. sic-non-Fälle bezöge,1398) also wenn der Arbeitnehmerstatus des Geschäftsführers „doppeltrelevant“ (für die Zulässigkeit und die Begründetheit) der Klage ist.1399) Das BAG hat eine dahingehende Einschränkung abgelehnt.1400) 845 Wenn nach der neueren BAG-Rechtsprechung die „Fiktion“ des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG mit der Organstellung endet, richtet sich der Rechtsweg danach, ob der Anstellungsvertrag einen freien Dienstvertrag oder einen Arbeitsvertrag darstellt.1401) Im Regelfall1402) liegt ein freier Dienstvertrag vor1403) ___________ 1392) Rosener, in: Festschrift Glossner, 1994, S. 271, 279. 1393) Vgl. Thomas, in Hülshörster/Mirow, S. 163, 172. 1394) BAG NZA 2015, 60, 61 = ZIP 2015, 98; BAG NZA 2015, 180, 181; hierzu: Stagat, NZA 2015, 193, 195; LAG Hamm BeckRS 2016, 65933 Rn. 26. 1395) BAG NZA 2015, 60, 61 = ZIP 2015, 98; BAG NZA 2015, 180, 181; hierzu: Stagat, NZA 2015, 193, 195. 1396) BAG NZA 2015, 60, 61 = ZIP 2015, 98; BAG NZA 2015, 180, 181; hierzu: Stagat, NZA 2015, 193, 195. 1397) BAG NZA 2015, 1342, 1344. 1398) LAG Sachsen NZA-RR 2015, 493, 494, aufgehoben durch: BAG NZA 2015, 1342, 1344; LAG Mecklenburg-Vorpommern NZA-RR 2016, 100, 100. 1399) ErfKommArbR/Koch, ArbGG § 2 Rn. 36 f. 1400) BAG NZA 2015, 1342, 1344. 1401) LAG Hamm BeckRS 2016, 65933 Rn. 27. 1402) LAG Hamm BeckRS 2016, 65933 Rn. 28; Ausnahmen denkbar, wenn die Gesellschafterversammlung in besonders starkem Umfang von ihrem Weisungsrecht Gebrauch macht (vgl. allerdings zu Grenzen des Weisungsrechts im Hinblick auf die Intensität der Weisungen: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rn. 18a. 1403) BGH NJW 1981, 1270, 1271 f. = ZIP 1981, 367; BAG NZA 2006, 366, 367 = ZIP 2006, 821; BAG NZA 1987, 845 f. = ZIP 1988, 91; Goette, DStR 2003, 2175 (Anm. zu BGH DStR 2003, 2174); Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn. 73; ErfKommArbR/Preis, BGB § 611 Rn. 138; Lücke, NJOZ 2009, 3469, 3476.
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und dies wohl auch bei Fremd- oder Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführern.1404) Es bleibt also auch beim ausgeschiedenen Geschäftsführer bei der Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Wollen die Parteien vermeiden, dass über einen möglichen Streit zwischen 846 Gesellschaft und Geschäftsführer „öffentlich“ verhandelt wird (§ 169 Satz 1 GVG), können sie ein Schiedsverfahren1405) vereinbaren.1406) Schadensersatzansprüche der Gesellschaft sind als vermögensrechtliche Ansprüche objektiv schiedsfähig (§ 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Schiedsvereinbarung hat die Form des § 1031 ZPO zu erfüllen. Da der Geschäftsführer nicht Unternehmer (§ 14 BGB), sondern Verbraucher nach § 13 BGB1407) ist, sind die Voraussetzungen von § 1031 Abs. 5 ZPO zu wahren. Insbesondere ist die Schiedsvereinbarung von beiden Parteien eigenhändig zu unterzeichnen (§ 1031 Abs. 5 Satz 1 ZPO), elektronische Form nach § 126a BGB1408) genügt (§ 1031 Abs. 5 Satz 2 ZPO). Die Schiedsklausel darf nicht im Anstellungsvertrag „versteckt“ sein; die Urkunde (bei elektronischer Form: das Dokument) darf keine anderen Vereinbarungen als die Schiedsabrede und deren Verfahrensregelungen enthalten (§ 1031 Abs. 5 Satz 3 ZPO). 6. D&O-Versicherung Schäden lassen sich nicht immer vermeiden. Daher liegt es nahe, dass die Ge- 847 sellschaft sich gegen Schäden versichert. Gegen Schäden aus der Tätigkeit der Geschäftsleiter (ggf. auch der leitenden Angestellten) soll eine sog. D&OVersicherung1409) helfen. a) Grundlagen Dieser Versicherungstyp ist – stark verkürzt dargestellt1410) – ein Konstrukt 848 aus dem US-amerikanischen Kapitalmarkt.1411) Versichert werden damit nicht unmittelbar Schädigungen der Gesellschaft, wie etwa bei Sachversicherungen (Hausratversicherung, Wohngebäudeversicherung etc.), sondern die Risiken, ___________ 1404) Hildebrand, Arbeitnehmerschutz von geschäftsführenden Gesellschaftsorganen im Lichte der Danosa-Entscheidung des EuGH, S. 22 ff.˺m. w. N.; zu – für den Rechtsweg irrelevanten – europarechtlichen Fragen: Lunk, NZA 2015, 917, 917 ff. 1405) Rieder, Rn. 558. 1406) Zu Organhaftung und Schiedsverfahren: Leuering, NJW 2014, 657. 1407) Musielak/Voit/Voit, ZPO 12. Aufl., § 1031 Rn. 9; MünchKomm-ZPO/Münch, § 1031 Rn. 48; zu § 13 BGB und Schiedsvereinbarung: Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff, S. 262 ff. 1408) Hierzu: Ultsch, in: Schwarz/Peschel-Mehner, 2-G 2.1.2.15 Rn. 169. 1409) Directors’ and Officers’ Liability Insurance. 1410) Zur geschichtlichen Entwicklung in Deutschland: MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 2 ff. 1411) MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 325; Peltzer, NZG 2009, 970, 971, insbesondere die Nachweise in Fn. 10.
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dass der Gesellschaft aus der Geschäftsleitertätigkeit ein Schaden entsteht.1412) Versicherungsschutz wird für Vermögensschäden auf der Grundlage gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen1413) gewährt. Voraussetzung ist also, dass eine Haftung des Geschäftsleiters gegenüber seiner Gesellschaft besteht. Versichert wird dabei nicht nur das Ausfallrisiko, etwa weil der Geschäftsleiter den von ihm geschuldeten Schadensersatz nicht erbringen kann. Vielmehr soll die Versicherung die Schadensersatzleistung wirtschaftlich erbringen; primärer Nutznießer1414) der Versicherung ist also der Geschäftsleiter, die versicherte Person. Versicherungsnehmer ist die Gesellschaft, die also auch die Versicherungsprämien1415) zu tragen hat. Es handelt sich daher um eine Versicherung auf fremde Rechnung.1416) 849 Die D&O-Versicherung schützt also den Geschäftsleiter als versicherte Person gegen Ansprüche, insbesondere seiner Gesellschaft. Diesen Schutz kann die Versicherung durch Befriedigung der Gesellschaft vornehmen oder durch Abwehr des Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft gegenüber dem Organ.1417) Bei D&O-Versicherungen besteht ein Dreiecksverhältnis zwischen Versicherung, versicherter Person (Geschäftsführer) und Gesellschaft. Dabei besteht typischerweise ein Interessenkonflikt: 850 Die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin finanziert den Versicherungsschutz und begehrt im Haftungsfall eine möglichst umfassende und schnelle Regulierung. Im Gegensatz dazu versuchen die Versicherungen oft, einen Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsleiter abzuwehren, zumindest die Zahlung zeitlich hinauszuzögern. Die Interessenlage des Geschäftsführers ist ambivalent: sein primäres Interesse wird es sein, selbst nicht für die Schäden aufkommen zu müssen, entweder durch Abwehr des gegen ihn gerichteten Schadensersatzanspruches oder durch Übernahme des von ihm geschuldeten Schadensersatzes durch die Versicherung. Prima facie skurril ist dabei, dass die Gesellschaft den Versicherungsschutz bezahlt und bei einem erlittenen Schaden oft beobachten muss, dass die Versicherung die Prämien aufwendet, um den gegenüber dem Geschäftsleiter von der Gesellschaft geltend gemachten Schadensersatzanspruch abzuwehren.1418) ___________ 1412) Policen auf Basis des Anspruchserhebungsprinzips (Claims made): MünchKommVVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 14. 1413) Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, § 28 Rn. 65. 1414) Mittelbar begünstigt ist die Gesellschaft (Ausfallrisiko): Werner, Compliance Berater 2014, 388. 1415) Krit. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 279; zur steuerlichen Behandlung der Versicherungsprämien: MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 19 ff. 1416) Werner, Compliance Berater 2014, 388; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, § 28 Rn. 48. 1417) Peltzer, NZG 2009, 970, 971. 1418) Peltzer, NZG 2009, 970, 971; Armbrüster, NJW 2016, 897.
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Die D&O-Versicherungsbedingungen sehen umfassende Ausschlusstatbe- 851 stände vor;1419) in der Praxis besonders wichtig ist der Ausschlusstatbestand der „wissentlichen Pflichtverletzung“.1420) Dieser Ausschlusstatbestand erfordert nicht eine vorsätzliche Schadensverursachung. Ausreichend ist ein bewusstes Abweichen von einer bestehenden Pflicht.1421) Die Verletzung von „Kardinalpflichten“ kann das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung indizieren.1422) b) Anspruch des Geschäftsführers auf angemessenen D&OVersicherungsschutz? Um die Geschäftsführer vor einer (ausufernden?) Haftung zu entlasten, sehen 852 Geschäftsführer-Anstellungsverträge vor, dass die Gesellschaft1423) gegenüber ihren Geschäftsleitern verpflichtet ist, für angemessenen D&O-Versicherungsschutz zu sorgen.1424) Sinnvollerweise sollte dabei der Begriff „angemessen“ konkretisiert werden, etwa im Hinblick auf den Mindestbetrag und die gedeckten Risiken.1425) Es besteht – anders als im Aktienrecht – keine Verpflichtung zur Vereinbarung eines Selbstbehalts.1426) Ohne Vereinbarung im Anstellungsvertrag hat der Geschäftsführer keinen 853 Anspruch auf Abschluss einer D&O-Versicherung durch die Gesellschaft.1427) c) Schadensfall Grundsätzlich besteht kein Direktanspruch der Gesellschaft gegenüber dem 854 Versicherer. Die Gesellschaft hat also in einem ersten Schritt den Geschäftsführer (gerichtlich) in Anspruch zu nehmen; erst in einem zweiten Schritt stellt sich die Frage nach der Deckung und damit nach der Haftung des D&OVersicherers.1428) ___________ 1419) Notthoff, NJW 2003, 1350, 1353; MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 371 ff.; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, § 28 Rn. 116 ff. 1420) Notthoff, NJW 2003, 1350, 1353; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, § 28 Rn. 117; OLG München DStR 2015, 2799, 2799 f.; MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 374 ff. 1421) Notthoff, NJW 2003, 1350, 1353; MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 374. 1422) Vgl. BGH NZI 2015, 271, 272 und Jüngel, Anm. zu BGH NZI 2015, 271, 273. 1423) Zur Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung: MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 30. 1424) Müller, NZA-Beilage 2014, 30, 36. 1425) Müller, NZA-Beilage 2014, 30, 36 f.; BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 391 ff. 1426) Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 175. 1427) Kort, DStR 2006, 799, 801; BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, Stand: 15.11.2015, § 43 Rn. 391; MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 16. 1428) Gädtke, Rn. 955.
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855 Je nach Ausgestaltung der Versicherungs-Police kann der Gesellschaft die Befugnis zustehen, eine direkte Auseinandersetzung mit dem D&O-Versicherer aus eigenem Recht herbeizuführen (Company-Reimbursement-Klausel).1429) Ggf. kommt auch eine Abtretung1430) des dem Geschäftsführer gegen den D&O-Versicherer zustehenden Freistellungsanspruchs an die Gesellschaft in Betracht.1431) Wenn es der Gesellschaft (aber nur) um eine Haftung des D&O-Versicherers geht, stellt sich in der Praxis die Frage, ob überhaupt ein Versicherungsfall eingetreten ist, wenn dieser nach den Versicherungsbedingungen die Inanspruchnahme der versicherten Person, also des Geschäftsführers, voraussetzt.1432) 856 Bei nicht ausreichender Versicherungssumme stellt sich die Frage, wie die Versicherungssumme auf die verschiedenen versicherten Personen „aufgeteilt“ wird.1433) Dies ist ebenso wenig abschließend geklärt wie die Frage, ob – wie in den Versicherungsbedingungen vorgesehen1434) – Verteidigungskosten zu Lasten der Versicherungssumme gehen dürfen.1435) 857 Der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin treffen zahlreiche Obliegenheiten, auch im Schadensfall.1436) Der Versicherer verlangt von der Gesellschaft umfassende Informationen, um den Schadensersatzanspruch gegen die die Information schuldende Gesellschaft abzuwehren. Kommt die Gesellschaft dem nicht nach, riskiert sie den Vorwurf der Obliegenheitsverletzung und damit den Verlust des Versicherungsschutzes. Sinnvollerweise ist der Umfang der Informationsobliegenheiten gerade vor oder während eines Rechtsstreits1437) unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit1438) zu begrenzen. In einem Haftungsrechtsstreit stellen sich verschiedene strategische Fragen insbesondere im Hinblick auf eventuelle Streitverkündungen.1439)
___________ 1429) MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 14; Gädtke, Rn. 957. 1430) Zur Anwendbarkeit von § 108 Abs. 2 VVG auf D&O-Versicherungen: Werner, Compliance Berater 2014, 388, 390. 1431) Gädtke, Rn. 964. 1432) OLG Düsseldorf r + s 2014, 122; hierzu: Gädtke, Rn. 960. 1433) Armbrüster, VersR 2014, 1; Werner, Compliance Berater 2014, 388, 391 f.; Armbrüster, NJW 2016, 897, 897 f. 1434) Vgl. etwa: Schilling, VW 2014, 22; Werner, Compliance Berater 2014, 388, 391; Armbrüster, NJW 2016, 897, 898. 1435) OLG Frankfurt/M. VersR 2012, 432; Grooterhorst/Looman, r + s 2014, 157; Werner, Compliance Berater 2014, 388, 391; MünchKomm-VVG/Ihlas, Kapitel 1 Directors & Officers Versicherung Rn. 322; Armbrüster, NJW 2016, 897, 898. 1436) Gädtke, Rn. 948; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, § 28 Rn. 155 ff. 1437) Zulässigkeit der Nebenintervention eines D&O-Versicherers: BeckRS 2015, 11212. 1438) Zur prozessualen Waffengleichheit: vgl. etwa BGH WuB VII A § 448 ZPO 1.98 m. Anm. Ultsch. 1439) Ehmann, Rn. 730.
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d) Einstweiliger Rechtschutz: Arrest Kommt es beim haftenden Geschäftsführer nach Eintritt eines Haftungsfalls 858 zu bemerkenswerten Vermögensverschiebungen,1440) schafft er sein Vermögen beiseite1441) oder verschleiert er es,1442) und ist zu befürchten, dass die spätere Vollstreckung aus einem gegen den Geschäftsführer erwirkten Schadensersatzurteil vereitelt oder erschwert wird,1443) können Sicherungsmaßnahmen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlich werden. In solchen Fällen sollte die Gesellschaft zur Sicherung ihrer Ansprüche die Beantragung eines Arrestes1444) erwägen (§§ 916 ff. ZPO). Die Anordnung des Arrestes setzt neben der Dringlichkeit (Arrestgrund) einen Arrestanspruch voraus.1445) Das ist der zu sichernde materiell-rechtliche Anspruch1446) der Gesellschaft auf Schadensersatz aus § 43 Abs. 2 GmbHG. Obwohl ein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG an sich materielle Voraussetzung für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs ist, entfällt dieses Erfordernis1447) wegen der Eilbedürftigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet des einstweiligen Rechtsschutzes. Eine gerichtliche Arrestanordnung durch Beschluss oder Urteil1448) kann ohne Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG also nicht nur beantragt werden,1449) sondern auch ergehen.1450) Allerdings ist in der Praxis noch nicht abschließend geklärt, ob die Gesellschaft den Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG alsbald nachholen muss.1451) Aus Gründen der Vorsicht sollte dies geschehen.
___________ 1440) Baumann/Doukoff/Ultsch, BeckOF Prozess, Stand: 1.4.2016, Nr. 1.2.1 Rn. 18 ff. 1441) Vgl. etwa: OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 453, 454; OLG München BeckRS 2007, 16157 (Weiterveräußerung von Vermögenswerten). 1442) Vgl. etwa: OLG Frankfurt/M. FamRZ 1996, 747, 749; OLG Frankfurt/M. BeckRS 2010, 25762 (falsche Auskunft über eigenes Vermögen). 1443) OLG Frankfurt/M. BeckRS 2011, 08475, OLG Köln BeckRS 2011, 05576; LG Konstanz BeckRS 2013, 11552. 1444) Baumann/Doukoff/Ultsch, BeckOF Prozess, Stand: 1.4.2016, Nr. 1.2.1 Rn. 4. 1445) Baumann/Doukoff/Ultsch, BeckOF Prozess, Stand: 1.4.2016, Nr. 1.2.1 Rn. 10. 1446) Baumann/Doukoff/Ultsch, BeckOF Prozess, Stand: 1.4.2016, Nr. 1.2.1 Rn. 11. 1447) Zur dogmatischen Begründung: Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 431. 1448) Baumann/Doukoff/Ultsch, BeckOF Prozess, Stand: 1.4.2016, Nr. 1.2.1 Rn. 40. 1449) Ultsch, Rn. 820 ff. 1450) Fastrich, DB 1981, 925, 926; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 60. 1451) Vgl. hierzu: Michalski/Römermann, GmbHG, § 46 Rn. 432.
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D. Kapitalmarkthaftung Beteiligtenstellungen und Bindungswirkungen im erstinstanzlichen Kapitalanleger-Musterverfahren I. Einführung und Problembeschreibung Ferdinand Kruis
859 In „Kapitalmarkthaftungsfällen“ steht mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz („KapMuG“)1452) seit einigen Jahren ein neues prozessuales Instrument zur Verfügung, das dem Ziel dienen soll, die Verfolgung vor allem von Schadensersatzansprüchen zu vereinfachen und kostengünstiger zu gestalten.1453) Die Grundidee besteht darin, Rechts- und/oder Tatsachenfragen, die sich in einer Vielzahl von gleichgerichteten Verfahren stellen, vor die Klammer zu ziehen, um sie einheitlich und mit Wirkung für alle erfassten Ausgangsverfahren durch ein Oberlandesgericht entscheiden zu lassen. Im Folgenden soll das bisher kaum beachtete Thema der verschiedenen möglichen Beteiligungsformen an einem typischen KapMuG-Verfahren und der daraus folgenden Bindungen untersucht werden verbunden mit der Frage, inwieweit sich ungeachtet des grundsätzlich „gestaltungsfeindlichen“ Charakters von Verfahrensrecht Schlussfolgerungen für eine aktive Verfahrensgestaltung ableiten lassen. Die Darstellung beschränkt sich dabei auf das „erstinstanzliche“ Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht, d. h. ohne Einbeziehung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gem. §§ 20, 21 KapMuG. 860 Der Ablauf eines Musterverfahrens lässt sich wie folgt beschreiben: Werden Schadensersatzklagen wegen der Unrichtigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen der Verwendung einer unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen der Unterlassung der gebotenen Aufklärung über einen solchen Mangel erhoben,1454) haben die Parteien die Möglichkeit, einen „Musterverfahrensantrag“ des Inhalts zu stellen, dass Rechts- oder Tatsachenfragen, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Verfahren stellen, vorab einheitlich vom Oberlandesgericht entschieden werden (§§ 1 – 3 KapMuG). Kommen zehn gleichgerichtete Anträge zusammen, fertigt das Landgericht, bei dem der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag gestellt wurde, den sog. Vorlagebeschluss, durch den das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht eingeleitet wird (§ 6 KapMuG). 861 Der Beginn des Musterverfahrens hat zur Folge, dass alle erstinstanzlichen Verfahren, in denen die im Vorlagebeschluss genannten Rechts- oder Tatsa___________ 1452) Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 16.6.2005 (BGBl. I 2005, 2437), grundlegend reformiert durch Gesetz vom 28.6.2012 (BGBl. I 2010, 2182), derzeit geltend bis 31.10.2020. 1453) Eingehend zu Zielsetzung und Konzeption des Gesetzes Reuschle, Das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz, 2006; KK-KapMuG/Hess, Einleitung Rn. 17 ff., 27 ff. 1454) Auf die weiteren Anwendungsfälle in § 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG, die bisher in der Praxis keine größere Bedeutung erlangt haben, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
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chenfragen („Feststellungsziele“) entscheidungserheblich sein können, ausgesetzt werden, und dies ohne Rücksicht darauf, ob in dem jeweiligen Ausgangsverfahren ein Musterverfahrensantrag gestellt wurde (§ 8 KapMuG). Die Parteien der ausgesetzten Verfahren werden dann am Musterverfahren beteiligt, wobei aus den Klägern der ausgesetzten Verfahren zunächst der sog. Musterkläger bestimmt wird (§ 9 Abs. 2 KapMuG), dem die Führung des Musterverfahrens in erster Linie übertragen ist. Die anderen Kläger werden „Beigeladene des Musterverfahrens“, womit sie eine einem Nebenintervenienten ähnliche Rechtsstellung erhalten.1455) Hinsichtlich der Beklagten der ausgesetzten Ausgangsverfahren sieht § 9 Abs. 5 KapMuG vor, dass diese ohne Unterschied „Musterbeklagte“ werden, wobei bei einer Mehrheit von Musterbeklagten die §§ 61 ff. ZPO zur Streitgenossenschaft gelten. Das Musterverfahren selbst wird sodann nach den allgemeinen Regeln der 862 ZPO für das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten durchgeführt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG). Es endet mit einem „Musterentscheid“ (§ 16 KapMuG), der im Wege der stets zulässigen Rechtsbeschwerde zum BGH angefochten werden kann (§ 20 KapMuG). Der rechtskräftige Musterentscheid bindet gem. § 22 Abs. 1 KapMuG alle Beteiligten des Musterverfahrens sowie die Prozessgerichte der ausgesetzten Verfahren. Zudem erwächst er in Rechtskraft (§ 22 Abs. 2 KapMuG). Für Anspruchsteller, die den Ausgang des Musterverfahrens zunächst abwar- 863 ten möchten, besteht die Möglichkeit, ihren (potentiellen) Anspruch gem. § 10 KapMuG zunächst nur zum Musterverfahren „anzumelden“. Die Anmeldung bewirkt keine Beteiligung am Musterverfahren und auch keine Bindung an dessen Ausgang, bis zu dessen rechtskräftiger Beendigung wird die Verjährung des Anspruchs jedoch gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB). Ein Musterverfahren nach dem KapMuG zeichnet sich durch zahlreiche Ei- 864 genheiten aus, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll. Statt dessen soll ein bisher wenig beachtetes Thema untersucht werden: Es geht darum, welche Personen in typischen Anwendungsfällen auf welche Weise in ein Musterverfahren einbezogen sind oder von einem solchen Verfahren in ihren Interessen zumindest berührt werden, so dass sich die Frage nach der Möglichkeit einer Beteiligung bzw. Einbeziehung stellt. Bei den Regelungen des KapMuG handelt es sich um originäres Zivilprozessrecht. Ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem „normalen“ Zivilprozess besteht allerdings darin, dass einerseits der Anwendungsbereich des Gesetzes in sachlicher und persönlicher Hinsicht stark eingeschränkt ist, andererseits aber, sofern der Anwendungsbereich eröffnet ist, eine Zwangswirkung vorgesehen ist, die für die Betroffenen eine Bindung an die Ergebnisse des Musterverfahrens vorschreibt und ihnen faktisch die Entscheidungsbefugnis entzieht, ob sie sich an dem Verfahren beteiligen wollen oder nicht (Beteiligungsobliegenheit). ___________ 1455) Eingehend KK-KapMuG/Reuschle, § 14 Rn. 17 ff.
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Eine weitere Besonderheit folgt schließlich aus speziellen Regeln zur ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit in § 32b ZPO. 865 Die soeben zunächst nur in ihren Grundsätzen beschriebenen Besonderheiten erhellen bereits, dass sich insbesondere bei einer Vielzahl von verfahrensmäßig oder materiell Beteiligten eine ganze Reihe von schwierigen Fragen stellen kann. Diese hat der Gesetzgeber allerdings nur für die Aktivseite eines Musterverfahrens im Ansatz näher geregelt. So ist, wie oben bereits kurz dargelegt, nach § 9 Abs. 2 KapMuG vorgesehen, dass nach Einleitung eines Musterverfahrens das Oberlandesgericht aus dem Kreise der Kläger der ausgesetzten Verfahren nach billigem Ermessen einen Musterkläger auswählt, wobei es dessen Eignung, das Verfahren im Interesse auch der Beigeladenen angemessen zu führen, die Höhe des von ihm verfolgten Anspruchs sowie eine etwaige Einigung mehrerer Kläger auf einen Musterkläger zu berücksichtigen hat. Die anderen Kläger der ausgesetzten Verfahren erhalten dagegen nach § 9 Abs. 3 KapMuG die Rolle eines Beigeladenen.1456) 866 Die – sehr naheliegende – Möglichkeit, dass auch auf der Passivseite mehrere Parteien beteiligt sind, hatte der Gesetzgeber in der ersten Gesetzesfassung vollständig übersehen und dementsprechend in dieser Hinsicht keinerlei Regelungen in das Gesetz aufgenommen.1457) Die geltende Fassung sieht nun zwar vor, dass jeder Beklagte eines ausgesetzten Verfahrens im Musterverfahren die Rolle eines (Mit-)Musterbeklagten erhält (§ 9 Abs. 5 KapMuG). Doch abgesehen davon, dass damit – z. B. bei einem sukzessiven Hinzutreten weiterer Musterbeklagter – erhebliche Probleme verbunden sein können,1458) sind mit dieser Regelung die Aspekte noch nicht ausreichend beleuchtet worden, die die möglichen Beteiligten auf der Passivseite betreffen. 867 Den Fragen, die sich gerade bei einer Vielzahl von Beteiligten stellen, soll im Folgenden nachgegangen werden. Zunächst soll diesbezüglich an einem Beispielsfall demonstriert werden, dass es sich hierbei nicht etwa nur um theoretische oder nur in Ausnahmefällen auftretende Fragestellungen handelt. Steht eine Kapitalmarkthaftung im Raum, z. B. nach einem Börsengang oder in Zusammenhang mit dem Angebot einer geschlossenen Beteiligung, geht es vielmehr im Regelfall eben nicht nur um Haftungsansprüche von Anlegern gegen den Emittenten oder den Anlageberater, sondern vor allem auch um Rückgriffsansprüche der zunächst in Anspruch genommenen Beteiligten. II. Beispielsfall 868 Die börsennotierte A-AG (Emittentin) mit Sitz in Frankfurt bringt eine große Anzahl von Aktien an die Börse. Diese stammen zu drei Vierteln aus einer Kapitalerhöhung, zu einem Viertel aus dem Bestand des Mehrheitsge___________ 1456) Dazu unten Rn. 890 f. 1457) Dazu Rimmelspacher, in: Festschrift Canaris, Bd. 2, S. 343, 348 ff. 1458) Siehe unten Rn. 893 ff.
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sellschafters mit Sitz in München. Für die Börseneinführung wird ein Prospekt erstellt (§ 3 Abs. 1 WpPG), für den die Emittentin sowie die I-Investmentbank AG mit Sitz in Hamburg, die den Börsengang begleitet, die Verantwortung übernehmen (§ 5 Abs. 3 WpPG). In die Vorarbeiten eingebunden ist ferner die W-Wirtschaftsprüfungs AG mit Sitz in Hannover. Nach einiger Zeit ergibt sich, dass eine wesentliche Information im Prospekt 869 falsch gewesen sein soll, weshalb Erwerber der an der Börse eingeführten Aktien Schadenersatzklagen erheben. Ihr Vorwurf geht dahin, das Vorstandsmitglied V der A-AG habe – nach ihrer Überzeugung vorsätzlich – falsche Angaben in den Prospekt einfließen lassen. Die anderen Vorstandsmitglieder sollen dies aufgrund eigener grober Fahrlässigkeit nicht bemerkt haben. Vor diesem Hintergrund möchten die Kläger K 1 – K 14, bei denen es sich 870 um Kapitalanlagegesellschaften handelt, die jeweils mehrere Millionen Euro investiert haben, Schadensersatzklagen gegen die „Prospektverantwortlichen“ erheben. Der Kläger K 15 ist dagegen ein Privatanleger aus Landshut, der seine Aktien der A-AG im Wert von EUR 10.000 auf ausdrückliches Anraten seines Bankberaters gekauft hat. Er ist der Meinung, dass dieser die Prospektunrichtigkeit hätte erkennen können, im Übrigen aber die Empfehlung bereits nicht anlegergerecht war, weshalb seiner Ansicht nach Schadensersatzansprüche auch gegen die Bank, die ihren Sitz in ebenfalls in Landshut hat, bestehen. Die anderen Beteiligten stellen sich dagegen die Frage, wer, sollten sich die 871 Vorwürfe hinsichtlich der Unrichtigkeit des Prospekts bewahrheiten, am Ende den Schaden tragen soll. Es geht also von Anfang an auch um die Sicherung bzw. Durchsetzung etwaiger Rückgriffs- oder Ausgleichsansprüche. In einer solchen Konstellation stehen somit vielfältige Ansprüche im Raum. 872 Sie lassen sich überblicksmäßig wie folgt zusammenfassen: a) Die Kläger K 1 – K 15 könnten „Prospekthaftungsansprüche“ gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG gegen die Emittentin und die I-Investmentbank AG als Verantwortliche i. S. v. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpPG und gegen die Mehrheitsgesellschafterin als Veranlasserin i. S. v. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpPG geltend machen. Daneben kommen als Schuldner auch noch das Vorstandsmitglied V – aus § 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG1459) oder aus § 826 BGB – und die W-Wirtschaftsprüfungs AG – ebenfalls aus § 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG1460) – in Betracht. Der Kläger K 15 überlegt wiederum, ob er zusätzlich oder u. U. alleine seine Bank wegen der von ihm angenommenen Verletzung eines Beratungsvertrages in Anspruch nehmen soll. Der Anleger K 14 wiederum scheut das Prozessrisiko und fragt sich, ob seine ___________ 1459) Zur Frage, ob einzelne Vorstandsmitglieder aus § 21 WpPG in Anspruch genommen werden können, siehe Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rn. 35 f. 1460) Zur Anwendbarkeit von § 21 WpPG insoweit siehe Groß, a. a. O.
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Interessen nicht vorerst zumindest durch ein „Anspruchsanmeldung“ ausreichend gewahrt sind. b) Die Emittentin möchte im Falle einer Verurteilung Regress bei ihren Vorstandsmitgliedern wegen Verletzung der Vorstandspflichten (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) nehmen. c) Die Mehrheitsgesellschafterin G-GmbH möchte für den Fall, dass (i) sich die Prospektvorwürfe bewahrheiten und (ii) ihr keine Exkulpation (§ 23 Abs. 1 WpPG) gelingt, Ausgleichsansprüche nach § 426 Abs. 1 BGB gegen die Emittentin und das angeblich vorsätzlich handelnde Vorstandsmitglied offen halten. Gleiches gilt für die I-Investmentbank AG, die sich zudem Ausgleichsansprüche (§ 426 Abs. 1 BGB) gegen die Mehrheitsgesellschafterin offen halten möchte. d) Die übrigen Mitglieder des Vorstands der A-AG möchten sich für den Fall, dass sie persönlich in Anspruch genommen werden, Rückgriffsansprüche (§ 426 Abs. 1 BGB) gegen das Vorstandsmitglied offen halten, das möglicherweise vorsätzlich gehandelt hat. 873 Inwieweit sich die verschiedenen Interessen der oben genannten, im weitesten Sinne beteiligten Personen in spezifischen prozessualen Situationen konkretisieren, hängt natürlich vor allem von der Einschätzung der jeweiligen materiell-rechtlichen Lage ab. Im Folgenden soll analysiert werden, welche prozessualen Aspekte von den Beteiligten zu bedenken und berücksichtigen sind. Für die nachfolgende Analyse wird folgendes Szenario unterstellt: 874 Die Kläger K 1 – K 12 erheben gleichzeitig Klage und reichen bereits mit der Klage einen gleichgerichteten und auch im Übrigen zulässigen Musterverfahrensantrag ein, mit dem die „Unrichtigkeit des Börsenzulassungsprospekts“ festgestellt werden soll. Hinsichtlich der in Anspruch zu nehmenden Beklagten konnten sich die Kläger jedoch nicht einigen. Die Kläger K 1 – K 6 richten ihre Klage gegen die Emittentin A-AG, die I-Investmentbank AG sowie die Mehrheitsaktionärin. Die Kläger K 7 – K 11 nehmen dagegen nur die IInvestmentbank AG in Anspruch, der Kläger K 12 nur das Vorstandsmitglied, das (vermutlich) vorsätzlich die Unrichtigkeit des Prospekts verursacht hat. Kläger K 13 nimmt wiederum die Emittentin A-AG sowie die W-Wirtschaftsprüfungs AG in Anspruch, die Klage wird allerdings erst eingereicht, nachdem das Musterverfahren bereits begonnen, ein Musterkläger bestimmt und im Musterverfahren bereits eine Reihe von Zeugen einvernommen wurden. 875 Der Kläger K 14 ist skeptisch hinsichtlich der Erfolgsaussichten und beschränkt sich zunächst auf eine Anmeldung seines Anspruchs zum Musterverfahren, wobei er als Anspruchsgegner die Emittentin A-AG, die I-Investmentbank AG, die Mehrheitsaktionärin sowie die W-Wirtschaftsprüfungs AG benennt. 876 Einen ganz anderen Weg wählt schließlich der Kläger K 15, der nur gegen seine Bank vorgehen möchte, gegen die er Klage erhebt, bevor die Kläger K 1 – 284
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12 ihrerseits Klage einreichen. Seine Klage verbindet er ebenfalls mit einem Musterverfahrensantrag, mit dem die Unrichtigkeit des Prospekts festgestellt werden soll. III. Vorbemerkung: Örtliche Zuständigkeit für Ausgangsverfahren und Musterverfahren Bei der Prüfung, wer in der oben beschriebenen Konstellation welche verfah- 877 rensrechtlichen Rollen einnehmen kann, ist zwar nicht unter dogmatischen, aber unter praktischen Gesichtspunkten bei der örtlichen Zuständigkeit anzusetzen, da sich bereits aus dieser Frage erhebliche Konsequenzen und Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Hinsichtlich der Klagen der Kläger K 1 – 6 und K 13 ist die örtliche Zustän- 878 digkeit unproblematisch, sie ergibt sich aus § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Danach ist für Klagen, mit denen ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation geltend gemacht wird, das Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten ausschließlich zuständig, wenn sich dieser Sitz im Inland befindet und die Klage zumindest auch gegen den Emittenten gerichtet wird. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, zuständig ist damit das LG Frankfurt/M.1461) Nicht so eindeutig ist die Lage dagegen für die Klagen der Kläger K 7 – 12, 879 da sie sich nicht zumindest auch gegen die Emittentin, die A-AG, richten, wie es der Wortlaut für eine Zuständigkeitsbegründung nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO verlangt. Allerdings besteht Einigkeit, dass es sich bei dieser scheinbaren weiteren Voraussetzung um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handelt. Immer dann, wenn der Beklagte wegen seiner unmittelbaren Verantwortlichkeit für die betreffende öffentliche Kapitalmarktinformation in Anspruch genommen wird, ist gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO die (ausschließliche) Zuständigkeit am Sitz des Emittenten, hier der A-AG, eröffnet,1462) was wiederum zur Zuständigkeit des LG Frankfurt/M. führt. Der Kläger K 14 beschränkt sich auf eine Anmeldung zum Musterverfah- 880 ren, um den weiteren Lauf der Verjährungsfrist zu hemmen. Zuständigkeitsfragen stellen sich hier nicht, da die Anmeldung zu einem Musterverfahren voraussetzt, dass ein solches bereits eingeleitet wurde und die Anmeldung gegenüber dem Oberlandesgericht erfolgt. Gänzlich anders ist die Lage für den Kläger K 15. Da sich seine Klage aus- 881 schließlich gegen seine beratende Bank richtet, käme eine Zuständigkeit an
___________ 1461) Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich unabhängig vom Streitwert aus § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG. 1462) BGH WM 2013, 1643 = ZIP 2013, 1688; siehe näher auch Wieczorek/Schütze/ Reuschle/Kruis, ZPO, § 32b Rn. 45 f., 48 f.
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Sitz des Emittenten gem. § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur in Frage, wenn sich die Klage zugleich auch gegen den Emittenten richten würde.1463) Dies ist aber nicht der Fall, so dass es bei der Zuständigkeit des LG Landshut verbleibt. 882 Die örtliche Zuständigkeit für ein Musterverfahren richtet sich danach, bei welchem erstinstanzlichen Gericht der erste veröffentlichte Musterverfahrensantrag eingereicht wird. Im Beispielsfall können alle Kläger K 1 – 13 und K 15 einen zulässigen Musterverfahrensantrag einreichen. Für die Klagen 1 – 13 ist der Anwendungsbereich des KapMuG nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG eröffnet, da mit den Klagen die unmittelbare Verantwortlichkeit der Beklagten für eine unrichtige öffentliche Kapitalmarktinformation geltend gemacht wird. Für die Klage des Klägers K 15 folgt die Eröffnung des Anwendungsbereichs aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG, da die Klage auf die unterlassene Aufklärung über die Unrichtigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt wird.1464) Der Umstand, dass zur Begründung der Klage in diesem Fall zudem vorgebracht wird, die Beratung sei nicht anlegergerecht erfolgt, steht der Teilnahme an einem Musterverfahren zur Klärung der Richtigkeit des Prospekts nicht entgegen.1465) 883 Für die Frage, welches Oberlandesgericht für die Durchführung eines – dann alle Ausgangsverfahren erfassenden – Musterverfahrens zuständig sein wird, kommt es also darauf an, ob zuerst die Musterverfahrensanträge beim LG Frankfurt/M. (dann Zuständigkeit des OLG Frankfurt/M.) oder beim LG Landshut (dann Zuständigkeit des OLG München) gestellt werden. Praxistipp: Da in der Regel die Senate für Kapitalanleger-Musterverfahren und ihre Besetzungen den auf diesem Gebiet tätigen Anwälten gut bekannt sind, besteht somit bereits auf dieser Stufe u. U. eine Gelegenheit zur „Auswahl“ des „besseren“ Senats, indem darauf geachtet wird, vor welchem Ausgangsgericht der erste Musterverfahrensantrag gestellt wird. Der unterschiedliche Anwendungsbereich von § 1 KapMuG einerseits und § 32b ZPO andererseits eröffnet somit einen „Gestaltungsspielraum“ für die Beteiligten. Dieser ist auch deshalb besonders hervorzuheben, da ein Musterverfahrensantrag nach § 2 Abs. 1 KapMuG nicht nur vom Kläger, sondern ebenso – gerichtet auf das Nichtvorliegen anspruchsbegründender oder das Vorliegen anspruchsausschließender Voraussetzungen – vom Beklagten gestellt werden kann. Erfährt z. B. in dem obigen Beispielsfall die A-AG von der Klage in Landshut, könnte sie sich mit der dortigen Beklagten ins Benehmen setzen, damit diese nach Möglichkeit den ersten Musterverfahrensantrag stellt und so die Zuständigkeit des OLG München an Stelle des OLG Frankfurt/M. bewirkt, sofern man sich davon einen
___________ 1463) Abweichend nur LG Neuruppin, 12.6.2014 – 5 O 127/13, wonach es für die Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO ausreichen soll, dass eine zweite, separate Klage gegen den Emittenten gerichtet wird; siehe dazu auch VerfGH Brandenburg, 19.6.2015 – 24/15. 1464) Zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf diesen Fall BT-Drucks. 17/8799, S. 16. 1465) Mögliche Entscheidungserheblichkeit genügt OLG München ZIP 2013, 2077; BTDrucks. 17/8799, S. 20; KK-KapMuG/Kruis, § 8 Rn. 28.
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D. Kapitalmarkthaftung Vorteil verspricht. Da, wie unten noch darzustellen ist, das Musterverfahren letztendlich auch dazu dienen kann, wichtige Fragen etwaiger Regressansprüche zwischen den Beklagten oder der Beklagten gegenüber Dritten zu klären, besteht auf diese Weise die Möglichkeit, entscheidende Teile der prozessualen Aufarbeitung eines (potentiellen) Haftungsfalles zu den „besseren“ Gerichten zu verlagern.
IV. Gesetzliche Beteiligte und deren Bindung nach Einleitung eines Musterverfahrens 1. Rechtsstellung der gesetzlichen Beteiligten im Musterverfahren Kommt es in dem obigen Beispielsfall zu einem Musterverfahren, sind die 884 genannten Kläger und Beklagten in einer Weise beteiligt, die der Gesetzgeber vorausgesehen und geregelt hat, d. h. als Musterkläger, Beigeladene oder Musterbeklagte, § 9 Abs. 1 Nr. 1 – 3 KapMuG. Für alle diese Personen sieht das Gesetz zugleich eine grundsätzliche Bindung an das Ergebnis des Musterverfahrens vor (dazu unten Rn. 908 ff.). a) Musterkläger Nach § 9 Abs. 2 KapMuG ist vom Oberlandesgericht ein Kläger der ausge- 885 setzten Ausgangsverfahren zum Musterkläger zu bestimmen. Das Gesetz geht davon aus, dass es jeweils nur einen Musterkläger gibt, also auch dann, wenn der Musterkläger in seinem Ausgangsrechtsstreit einer von mehreren Klägern ist.1466) In der Führung des Musterverfahrens unterliegt der Musterkläger keinen Einschränkungen, wobei nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG mit Ausnahme explizit genannter Bestimmungen auf das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht die Vorschriften über das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten Anwendung finden. Der Musterkläger unterliegt keinen Weisungen der Beigeladenen, d. h. der 886 Kläger der anderen ausgesetzten Verfahren. Nicht einmal eine Verpflichtung zur Abstimmung oder Konsultation besteht, mag eine solche auch regelmäßig sinnvoll sein. Da die Durchführung eines Musterverfahrens zudem völlig ohne Einfluss auf die materielle Rechtslage und damit auf die Darlegungsund Beweislast ist,1467) kann das Musterverfahren verloren werden, wenn der Musterkläger zu entscheidungserheblichen Punkten nicht oder nicht rechtzeitig (§ 296 ZPO – Präklusion)1468) vorträgt. Allerdings kann die unangemessene Missachtung der Interessen der Beigeladenen zu seiner Abberufung führen. Auch wenn somit die verfahrensrechtliche Stellung des Musterklägers ___________ 1466) A. A. für den Fall der notwendigen Streitgenossenschaft im Ausgangsverfahren Rimmelspacher, in: Festschrift Canaris, Bd. 2, S. 343, 347. 1467) Der Beibringungsgrundsatz ist jedoch teilweise eingeschränkt, § 22 Abs. 1 Satz 2 KapMuG. 1468) Zur Anwendbarkeit der Präklusionsregeln KK-KapMuG/Vollkommer, § 11 Rn. 108.
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relativ einfach konzipiert zu sein scheint und der Stellung eines „normalen“ Klägers entspricht, sind einige Fragen ungeklärt. aa) Auswechslung des Musterklägers 887 Dies gilt zunächst für die Auswirkungen einer Auswechslung des Musterklägers. Diese kann Folge davon sein, dass der Musterkläger wegfällt (§ 13 Abs. 1 und 2 KapMuG) oder dass das Oberlandesgericht ihn von seinen Aufgaben entbindet, wenn er das Musterverfahren nicht angemessen führt und ein Beigeladener dies beantragt (§ 9 Abs. 4 KapMuG). 888 In diesem Fall stellt sich zunächst die Frage, in welchem Umfang der neue Musterkläger an die vorgefundene Prozesslage gebunden ist, wie dies allgemeinen Grundsätzen bei einem Parteiwechsel entsprechen würde.1469) Ausdrückliche Regelungen zu dieser Frage finden sich im Gesetz nicht. In einer solchen Konstellation wird man abwägen müssen: Die Ablösung des zunächst bestimmten Musterklägers nach § 9 Abs. 4 KapMuG erfolgt gerade vor dem Hintergrund, dass dieser das Musterverfahren unter Berücksichtigung der Interessen der Beigeladenen nicht angemessen führt. Insofern scheidet die Möglichkeit aus, dass der neue Musterkläger in der Weise an die vorgefundene prozessuale Lage gebunden sein könnte, dass es ihm ohne Ausnahme verwehrt wird, die prozessualen Versäumnisse des ersten Musterklägers zu beseitigen. Andererseits erschiene es auch nicht richtig, der Klägerseite durch eine von ihr betriebene Auswechslung des bisherigen Musterklägers die Möglichkeit zu eröffnen, das Musterverfahren nochmals von vorne zu beginnen. Richtigerweise sollte daher auf den Maßstab des § 22 Abs. 3 KapMuG zurückgegriffen werden. In dem Umfang, in dem sich der neue Musterkläger, wäre er Beigeladener geblieben, oder ein anderer Beigeladener, der den Antrag auf Ablösung gestellt hat, im Folgeverfahren auf eine Einschränkung der Bindungswirkung berufen könnte, muss er auch im Musterverfahren von einer Bindung an die vorgefundene Prozesslage befreit sein. Praxistipp: Durch die Auswechslung des Musterklägers kann die Möglichkeit geschaffen werden, prozessuale Versäumnisse zu heilen. Dafür bedarf es aber einer sorgfältigen „Auswahl“1470) des neuen Musterklägers, jedenfalls aber der Beigeladenen, die eine Ablösung beantragen, um insbesondere die Nachholung versäumter Angriffs- und Verteidigungsmittel zu ermöglichen.
___________ 1469) Siehe Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., vor § 50 Rn. 21. 1470) Auch die Auswahl eines neuen Musterklägers erfolgt selbstverständlich durch das Oberlandesgericht. Allerdings hat dieses auch insoweit zu beachten, ob eine Einigung der Kläger der Ausgangsverfahren auf einen neuen Musterkläger vorliegt, § 9 Abs. 4, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KapMuG.
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bb) Nebenintervention auf Seiten des Musterklägers Schließlich ist, soweit ersichtlich, noch nicht beleuchtet worden, wie sich eine 889 Nebenintervention auf Seiten des Musterklägers auswirkt. Zu denken ist dabei zunächst an den Fall, dass die Nebenintervention bereits im Ausgangsverfahren erklärt worden ist, wobei es sich um eine einfache wie eine streitgenössische (§ 69 ZPO) Nebenintervention handeln kann. Da das Gesetz insoweit nichts vorsieht, ist davon auszugehen, dass die Nebenintervenienten der Ausgangsverfahren nicht „automatisch“ am Musterverfahren beteiligt sind. Hält man dementsprechend eine „erneute“ Erklärung eines Streitbeitritts im Verfahren vor dem Oberlandesgericht für erforderlich und gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i. V. m. §§ 66 ff. ZPO für zulässig, stellt sich die Frage, ob eine Nebenintervention auf Seiten des Musterklägers ggf. erneut als „streitgenössische“ erfolgen kann mit der Folge, dass der Streithelfer z. B. auch in Widerspruch zum Musterkläger Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen dürfte.1471) Würde man dies bejahen, stünden dem streitgenössischen Nebenintervenienten allerdings mehr Befugnisse zu als den Beigeladenen, die, obwohl sie nicht (nur) Streithelfer des Musterklägers sind,1472) sondern ihren eigenen Prozess führen, sich nach § 14 Satz 2 KapMuG mit den Handlungen des Musterklägers nicht in Widerspruch setzen dürfen. Einem Nebenintervenienten des Ausgangsverfahrens ein Mehr an Rechten einzuräumen als den Klägern der anderen Ausgangsverfahren ginge jedoch zu weit. Aufgrund der Besonderheiten des Musterverfahrens ist somit auf Seiten des Musterklägers nur eine einfache, nicht aber eine streitgenössische Nebenintervention möglich. b) Beigeladene Die anderen Kläger der Ausgangsverfahren erhalten die Stellung eines „Bei- 890 geladenen“, § 9 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 KapMuG. Damit können sie zwar ebenfalls alle Prozesshandlungen vornehmen, allerdings nur insoweit, wie die eigenen Handlungen mit denen des Musterklägers nicht in Widerspruch stehen (§ 14 Satz 2 KapMuG). Die Rechtsstellung ähnelt damit einerseits einem einfachen Nebenintervenienten.1473) Andererseits ist zu bedenken, dass die Bindung des Beigeladenen nach § 22 KapMuG – anders als im Fall der „echten“ Nebenintervention – nicht gegenüber der unterstützten Partei, sondern gegenüber der Gegenseite eintritt, was den konzeptionellen Unterschied der beiden Beteiligungsformen belegt. Ferner hat der Gesetzgeber in dieser Konstellation zutreffend erkannt, dass 891 damit zu rechnen ist, dass ein Ausgangsverfahren in vielen Fällen erst ausgesetzt werden wird, wenn das Musterverfahren bereits begonnen hat und u. U. ___________ 1471) Zu den Befugnissen des streitgenössischen Nebenintervenienten allgemein siehe Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., § 69 Rn. 7. 1472) Zur Stellung des Beigeladenen, der gerade nicht Streithelfer des Musterklägers ist, siehe KK-KapMuG/Reuschle, § 14 Rn. 1, 13 ff. 1473) KK-KapMuG/Reuschle, § 14 Rn. 15.
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schon weiter fortgeschritten ist. Gem. § 14 Satz 1 KapMuG hat deshalb ein Beigeladener, der erst später hinzutritt, das Musterverfahren in der Lage „anzunehmen“, in der es sich im Zeitpunkt der Aussetzung des von ihm geführten Rechtsstreits befindet. Diese Einschränkung der Mitwirkungsrechte wird in § 22 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG durch eine gelockerte Bindung an das Ergebnis des Musterverfahrens kompensiert (dazu unten Rn. 918 f.). c) Musterbeklagte aa) Gesetzlicher Regelungsbestand 892 Problematisch ist die Konstellation auf der Beklagtenseite. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 5 KapMuG angeordnet, dass alle Beklagten der ausgesetzten Verfahren als „Musterbeklagte“ am Musterverfahren beteiligt sind. Nähere Regelungen zur Ausgestaltung dieser Konstellation finden sich im Gesetz nicht, so dass davon ausgegangen werden muss, dass alle „Mitmusterbeklagten“ Streitgenossen i. S. v. § 61 ZPO sind.1474) Soweit sie von den Feststellungszielen des Musterverfahrens in gleicher Weise betroffen sind, handelt es sich um eine notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO).1475) Grundsätzlich können also alle Musterbeklagten unabhängig voneinander alle Prozesshandlungen vornehmen und insbesondere Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen. Soweit sie gleichermaßen von dem oder den Feststellungszielen betroffen sind, kann jedoch nur eine einheitliche Sachentscheidung ihnen gegenüber ergehen. Insoweit müsste z. B. auch die Insolvenz eines Musterbeklagten gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i. V. m. § 240 ZPO zur Unterbrechung des gesamten Musterverfahrens führen.1476) bb) Nachträgliches Hinzutreten neuer Musterbeklagter 893 Schwerwiegender erscheinen die Probleme, die durch das nachträgliche Hinzutreten eines neuen Musterbeklagten – in unserem Beispielsfall die W-Wirtschaftsprüfungs AG – entstehen können, wenn bis zu diesem Zeitpunkt bereits wesentliche Verfahrensschritte des Musterverfahrens durchgeführt wurden. Denn es stellt sich die Frage, ob die schon durchgeführten Verfahrensschritte, z. B. Beweisaufnahmen, wiederholt werden müssen. Viel spricht dafür, dass genau dies der Fall ist, da § 22 Abs. 1 KapMuG die uneingeschränkte Bindung aller Musterbeklagten an das Ergebnis des Musterverfahrens vorsieht, was zwingend voraussetzt, dass alle Musterbeklagten auch in Bezug auf alle Verfahrensschritte ihre Beteiligungsrechte ausüben konnten. ___________ 1474) BT-Drucks. 15/5091, S. 25. 1475) KK-KapMuG/Reuschle, § 9 Rn. 33 ff.; a. A. Rimmelspacher, in: Festschrift Canaris, Bd. 2, S. 343, 345. 1476) So allgemein zur Unterbrechung in Fällen der notwendigen Streitgenossenschaft Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., § 62 Rn. 18 m. w. N.; a. A. wohl BAG NJW 1972, 1388.
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Soweit diese Konstellation in der Literatur überhaupt behandelt wird, wird 894 angenommen, dass das nachträgliche Hinzutreten eines weiteren Musterbeklagten wie eine gewillkürte Parteierweiterung auf Beklagtenseite zu behandeln sei.1477) Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein neuer Beklagter, der erst aufgrund einer gewillkürten Parteierweiterung nachträglich in den Prozess einbezogen wird, an die bisherigen Prozessergebnisse und insbesondere an die Ergebnisse einer Beweisaufnahme nicht gebunden, so dass diese zu wiederholen ist, wenn er dies verlangt und anderenfalls seine Verteidigungsrechte verletzt würden.1478) Dies kann zu einer erneuten Einvernahme von Zeugen, aber auch zu einer Ergänzung oder einer Neuerstellung von Sachverständigengutachten führen.1479) Zudem kann der neue Beklagte Verteidigungsmittel vorbringen, mit denen die bisherigen Musterbeklagten möglicherweise präkludiert wären.1480) Kompensiert wird dieses Risiko einer erheblichen Verfahrensverzögerung im 895 Falle der gewillkürten Parteierweiterung im normalen Verfahren dadurch, dass die Rechtsprechung § 263 ZPO zumindest entsprechend zur Anwendung bringt und die Erweiterung nur im Falle der Sachdienlichkeit zulässt. Ist eine erhebliche Verfahrensverzögerung zu erwarten, kann das Gericht die Sachdienlichkeit verneinen, die Parteierweiterung ist dann unzulässig. Berücksichtig man die Rechtsprechung zur gewillkürten Parteierweiterung kommen grundsätzlich folgende Lösungsmöglichkeiten in Betracht: Zum einen könnte daran gedacht werden, nach Beginn des Musterverfahrens 896 die Aussetzung eines Ausgangsrechtsstreits gem. § 8 KapMuG in analoger Anwendung von § 263 ZPO von einer Prüfung der Sachdienlichkeit abhängig zu machen, wenn der Beklagte bisher noch nicht am Musterverfahren beteiligt ist. Hierfür spricht, dass eine ansonsten drohende ganz erhebliche Verzögerung des Musterverfahrens eine Vielzahl von Beteiligten treffen würde, die u. U. zu dem neuen Beklagten in keinerlei Beziehung stehen. Gegen diese Lösung spricht jedoch, dass nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG die Aussetzung zwingend und von Amts wegen erfolgt,1481) eine Sachdienlichkeitsprüfung also eindeutig nicht vorgesehen ist. Das Ausgangsgericht dürfte zudem regelmäßig zu einer Einschätzung, ob angesichts des bisherigen Verlaufs der Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Sachdienlichkeit anzunehmen ist, auch nicht in der Lage sein.
___________ 1477) KK-KapMuG/Reuschle, § 9 Rn. 34. 1478) BGHZ 131, 76; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., Vorbem § 50 Rn. 25. 1479) Dies gilt auch dann, wenn der neue Beklagte zuvor an dem Verfahren bereits als Nebenintervenient beteiligt war. 1480) BGHZ 131, 76. 1481) KK-KapMuG/Kruis, § 8 Rn. 18.
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897 Eine andere Möglichkeit bestünde darin, eine Aussetzung stets vorzunehmen,1482) dem neuen Musterbeklagten in analoger Anwendung von § 68 ZPO und § 22 Abs. 3 KapMuG aber nur eine eingeschränkte Bindung durch den Musterentscheid aufzuerlegen. Dieser könnte dann zwar keine Wiederholung einer Beweisaufnahme o. Ä. verlangen, wohl aber in seinem Ausgangsverfahren geltend machen, er sei durch die Lage des Verfahrens zur Zeit seines Eintritts daran gehindert worden, bestimmte Verteidigungsmittel geltend zu machen. Gegen diese Lösung spricht allerdings, dass die Bindungswirkung des Musterentscheids einerseits noch weiter fragmentiert würde und andererseits gleichwohl die Gefahr bestünde, dass die Rechte des betreffenden Musterbeklagten zumindest faktisch erheblich beeinträchtigt werden. Vor allem aber spricht dagegen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit gesehen hatte,1483) dass Parteien erst nachträglich zum Musterverfahren hinzutreten, gleichwohl aber von einer weiteren Regelung abgesehen hat. 898 Vor diesem Hintergrund lässt die gesetzliche Regelung somit nur eine Lösung zu. Wird ein Beklagter in ein laufendes Musterverfahren einbezogen, erhält er durch die Aussetzung seines Ausgangsrechtsstreits gem. § 9 Abs. 5 KapMuG die Stellung eines Musterbeklagten. Ist es zur effektiven Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte erforderlich, sind somit alle Prozesshandlungen und vor allem bereits durchgeführte Beweisaufnahmen zu wiederholen oder zu ergänzen. Ebenso kann er Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen, mit denen andere Musterbeklagte bereits präkludiert sind. Daraus können sich de lege lata ganz erhebliche Verzögerungen für das Musterverfahren ergeben, die nach der Entscheidung des Gesetzgebers aber in Kauf zu nehmen sind. Rechtspolitisch erscheint diese Lösung zweifelhaft, da Verfahrensbeteiligte versucht sein könnten, durch die Initiierung und Aussetzung weiterer Ausgangsverfahren mit neuen Beklagten ein Musterverfahren zu verzögern. Im Extremfall könnte § 9 Abs. 5 KapMuG sogar dazu führen, dass ein mehrmonatiger Verfahrensgang wiederholt werden muss. Die anderen Parteien, die bereits am Musterverfahren beteiligt sind, können dies auch nicht durch eine Streitverkündung an die potentiell später noch hinzukommenden Musterbeklagten verhindern, selbst wenn sie ihnen bekannt wären. Denn zum einen fehlt es für eine Streitverkündung, mit der lediglich Verfahrensverzögerungen vermieden werden sollen, an einem rechtlichen Interesse i. S. v. § 72 ZPO. Und zum anderen würde dem Streitverkündeten durch eine Nebenintervention keine einem Musterbeklagten identische Position verschafft.
___________ 1482) Dass die Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG vorliegen, wird natürlich vorausgesetzt. 1483) BT-Drucks. 17/8799, S. 21.
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D. Kapitalmarkthaftung Praxistipp: Musterverfahren zeichnen sich häufig durch eine hohe Koordination der Parteiinteressen auf beiden Seiten aus, die durch die einheitliche Mandatierung von Prozessvertretern oder durch Absprachen zum Vorgehen erreicht wird. Die Notwendigkeit einer solchen Koordination zeigt sich auch hier, da es im Gesamtinteresse der Musterklägerseite bzw. der Musterbeklagtenseite liegen kann, die Aussetzung von Ausgangsverfahren mit „neuen“, bisher nicht am Musterverfahren beteiligten Beklagten zu beschleunigen bzw. zu verzögern, um ggf. eine Wiederholung von Teilen des Musterverfahrens zu erzwingen, was in eine Verfahrensplanung einzubeziehen ist.
d) Anspruchsanmelder Einfach ist dem Grunde nach die Rechtslage hinsichtlich eines „Betroffenen“, 899 der lediglich eine Anspruchsanmeldung i. S. v. § 10 Abs. 2 – 4 KapMuG vorgenommen hat. Er ist am Musterverfahren nicht beteiligt. Er kann damit weder auf dessen Verlauf Einfluss nehmen, noch wirkt das Ergebnis von Rechts wegen für bzw. gegen ihn oder seinen Prozessgegner in einem späteren Verfahren. Die Folgen der Anmeldung beschränken sich von Gesetzes wegen auf die Hemmung der Verjährung, § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB. Für einen Anspruchsanmelder stellt sich allerdings die Frage, ob er sich nicht 900 als Nebenintervenient des Musterklägers am Musterverfahren beteiligen kann. Dies hätte für ihn den Vorteil, dass er auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss nehmen könnte. Ein solches Recht zur Nebenintervention ist jedoch zu verneinen. Dem Anmelder fehlt es an einem rechtlichen Interesse an einem Obsiegen des Musterklägers i. S. v. § 66 ZPO, da der Musterentscheid für ihn keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet und die Hemmung der Verjährung vom Ausgang des Verfahrens unabhängig ist. Umgekehrt ergeben sich im Fall einer Anspruchsanmeldung für die Anspruchs- 901 gegner erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten: Aus Sicht der Anspruchsgegner, gegen die sich die Anspruchsanmeldung 902 richtet, ist es „ärgerlich“, dass der Anmelder mit einem sehr geringen Kostenaufwand1484) den Ausgang des Musterverfahrens abwarten und bei entsprechendem Ausgang zwar nicht rechtlich, aber faktisch von diesem profitieren kann. Denn die Chance, dass in einem nachfolgenden Prozess die Gerichte zu einer von einem rechtskräftigen Musterentscheid abweichenden Einschätzung zu einem Feststellungsziel kommen, ist bei realistischer Betrachtung gering. Will der Anspruchsgegner dies nicht hinnehmen, besteht für ihn die Mög- 903 lichkeit, eine negative Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 Alt. 2 ZPO) zu erheben. Eine solche Klage ist zulässig, da der Anmelder sich durch die Anspruchsanmeldung eines entsprechenden Anspruchs berühmt, was das Fest___________ 1484) Für die Anmeldung fällt eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 1902 KV GKG sowie eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3338 VV RVG an.
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stellungsinteresse begründet.1485) Die Anmeldung selbst hindert eine negative Feststellungsklage nicht, denn durch sie wird keine (entgegenstehende) Rechtshängigkeit des Anspruchs begründet. 904 Die Erhebung der negativen Feststellungsklage hat für den Anspruchsgegner mehrere interessante Konsequenzen: Da durch eine negative Feststellungsklage nicht das Bestehen eines Schadensersatzanspruches geltend gemacht wird, sondern gerade sein Nichtbestehen, ist der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 KapMuG nach fast einhelliger Ansicht nicht eröffnet.1486) Das Verfahren kann daher nicht nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt werden, da für eine Aussetzung auf dieser Grundlage für das betreffende Verfahren der Anwendungsbereich des KapMuG eröffnet sein muss.1487) Ebenso wenig kommt mangels Vorgreiflichkeit eine Aussetzung nach § 148 ZPO in Betracht.1488) Der Anmelder ist also gezwungen, alleine und bei vollem Kostenrisiko (auch hinsichtlich aufwendiger Beweisaufnahmen) und bei unveränderter Darlegungs- und Beweislast1489) die inhaltlich identischen Fragen „auszufechten“, die Gegenstand des Musterverfahrens sind. Dieser Konsequenz, mit der ihm alle Vorteile der Anspruchsanmeldung genommen werden, kann der Anmelder nur entgehen, wenn er seinerseits eine Leistungsklage erhebt, die, sobald mündlich verhandelt wurde, zu einer Unzulässigkeit der negativen Feststellungsklage und zu einer Aussetzung und Beteiligung am Musterverfahren führt. 905 Bereits diese Konsequenz macht die negative Feststellungsklage zu einer interessanten Gestaltungsmöglichkeit für den Anspruchsgegner. Noch interessanter ist es allerdings, wenn der Anmelder keine Leistungsklage erhebt. Für die negative Feststellungsklage besteht kein ausschließlicher Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 ZPO,1490) weshalb so die Möglichkeit eröffnet wird, ein weiteres Gericht (z. B. am Wohnsitz des Anspruchsanmelders) mit den betreffenden Fragen zu befassen. Ist der Anspruchsanmelder nicht in der Lage, das Verfahren sachgerecht zu führen, besteht u. U. aufgrund der strukturellen Schwerfälligkeit eines Musterverfahrens zudem die Möglichkeit, dieses zu „überholen“ und mit einer früheren Entscheidung eines anderen Gerichts auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. ___________ 1485) Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 256 Rn. 14a. 1486) Siehe KK-KapMuG/Kruis, § 1 Rn. 13; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, S. 241 ff.; a. A. zu § 32b ZPO a. F. LG Göttingen, Urt. v. 26.7.2011 – 2 O 1096/11, juris. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs bei positiven Feststellungsklagen ist dagegen inzwischen anerkannt, vgl. BGH ZIP 2015, 2437. 1487) KK-KapMuG/Kruis, § 1 Rn. 2; § 8 Rn. 14; zur alten Gesetzesfassung siehe BGH ZIP 2011, 493; BGH ZIP 2009, 1393 f. 1488) BGH ZIP 2009, 1393; BGH ZIP 2014, 1045. 1489) Diese ändert sich alleine durch die „Einkleidung“ als negative Feststellungsklage nicht, vgl. MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, § 256 Rn. 68 m. w. N. 1490) Str., zum Meinungsstand siehe Wieczorek/Schütze/Reuschle/Kruis, ZPO, § 32b Rn. 29 f.
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D. Kapitalmarkthaftung Praxistipp: Eine einfache Anspruchsanmeldung zum Musterverfahren eröffnet dem Anspruchsgegner besonders viele Gestaltungen bzw. Möglichkeiten, den Anmelder mittels einer negativen Feststellungsklage unter Druck zu setzen. Richtet sich die Anmeldung gegen verschiedene Musterbeklagte und entschließen sich diese zu einem koordinierten Vorgehen, kann zudem auch noch ein besonders hohes Kostenrisiko für den Anmelder geschaffen werden. Im Rahmen der Erarbeitung einer Gesamtstrategie sollte möglichst frühzeitig festgelegt werden, ob und ggf. in welchen Fällen in dieser Weise auf Anspruchsanmeldungen reagiert werden soll.
e) Nebenintervention der Parteien der Ausgangsverfahren? Fraglich ist weiter, ob Parteien eines Ausgangsverfahrens, das noch nicht 906 nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt ist, eine Nebenintervention zum Musterverfahren erklären können, um dort frühzeitig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen zu können. Das nach § 66 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse soll sich nach einer Ansicht daraus ergeben, dass die Möglichkeit besteht, im Falle einer späteren Aussetzung von der Bindungswirkung des Musterentscheids erfasst zu werden.1491) Nimmt man diese Möglichkeit an, kann allerdings ein Nebenintervenient, der später zum Beigeladenen wird, ab dem Zeitpunkt seines Streitbeitritts keine gelockerte Bindungswirkung i. S. v. § 22 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG mehr geltend machen.1492) Ob diese Möglichkeit eines „antizipierenden Streitbeitritts“ indes tatsächlich 907 besteht, erscheint zweifelhaft. Zum einen würde damit die vom Ausgangsgericht gem. § 8 Abs. 1 KapMuG vorzunehmende Prüfung der Vorgreiflichkeit umgangen und, sofern es zu einem Zwischenstreit (§ 71 ZPO) über die Zulässigkeit des Streitbeitritts kommt, sachwidrig auf das Oberlandesgericht verlagert. Zum anderen hat der Beitretende in dieser Konstellation kein eigentliches Interesse daran, der von ihm unterstützten Partei zum Erfolg zu verhelfen, vielmehr will er seine eigene erwartete Beteiligung am Musterverfahren erfolgreich gestalten. Dies dürfte kein Anwendungsfall von § 66 Abs. 1 ZPO sein, was jedoch keine Partei eines Ausgangsverfahrens daran hindern sollte, diesen Weg auszuprobieren und ggf. im Rahmen eines Zwischenstreits klären zu lassen. Praxistipp: In dieser wie auch in zahlreichen anderen Konstellationen liegen noch keine Stellungnahme seitens der Rechtsprechung vor. Dies spricht dafür, alle denkbaren Gestaltungen auszuprobieren und zwar insbesondere dann, wenn damit verbundene Verzögerungen des Musterverfahrens aus eigener Sicht nicht negativ ins Gewicht fallen.
___________ 1491) Dafür KK-KapMuG/Vollkommer, § 11 Rn. 80. 1492) Vollkommer, NJW 2007, 3094, 3098.
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2. Bindung der gesetzlichen Beteiligten und der Ausgangsgerichte an den Musterentscheid a) Gesetzlicher Regelungsbestand 908 Für alle Beteiligen i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 – 3 KapMuG sowie die Gerichte der Ausgangsverfahren sieht das Gesetz eine grundsätzliche Bindung an das Ergebnis („Feststellungen“1493)) des Musterverfahrens vor. So bestimmt § 22 Abs. 1 KapMuG zum einen, dass der Musterentscheid die Prozessgerichte aller ausgesetzten Verfahren bindet. Darüber hinaus gilt nach dem Gesetzeswortlaut, dass der Musterentscheid für und gegen alle Beteiligten des Musterverfahrens, d. h. den Musterkläger, die Musterbeklagten sowie die Beigeladenen, wirkt und dies unabhängig davon, ob der Beteiligte alle im Musterverfahren festgestellten Tatsachen selbst ausdrücklich geltend gemacht hat. Nach § 22 Abs. 2 KapMuG erwächst der Musterentscheid zudem in Rechtskraft, soweit über die Feststellungsziele des Musterverfahrens entschieden ist. 909 Einen Vorbehalt enthält § 22 Abs. 3 KapMuG, wonach die Beigeladenen in ihrem jeweiligen Rechtsstreit mit der Behauptung, dass der Musterkläger das Musterverfahren mangelhaft geführt habe, gegenüber den Musterbeklagten gehört werden, d. h. sich auf eine mangelhafte Prozessführung seitens des Musterklägers berufen können, wenn sie durch die Lage des Musterverfahrens zur Zeit der Aussetzung des von ihnen geführten Rechtsstreits (Zeitmoment) oder durch Erklärungen und Handlungen des Musterklägers gehindert worden sind, Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, oder wenn Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die ihnen unbekannt waren, vom Musterkläger absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht wurden (Umstandsmomente). 910 Die Regelung in § 22 KapMuG wirft zahlreiche in Literatur und Rechtsprechung bisher kaum geklärte Fragen auf, so z. B. ob zwischen der Bindung der Beteiligten und der Bindung der Ausgangsgerichte ein Unterschied besteht, wie sich die Rechtskraft des Musterentscheids zur Bindungswirkung verhält1494) und in Person welcher Beteiligten die Rechtskraftwirkung eintritt.1495) b) Bindung der Prozessgerichte 911 Das Gesetz spricht in § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG zunächst von der Bindung der Prozessgerichte, womit offensichtlich zum Ausdruck gebracht werden soll, dass diese die Feststellungen des Musterentscheids ihrer Urteilsfindung ___________ 1493) Dazu zählt auch die Ablehnung einer begehrten Feststellung, durch die dann das kontradiktorische Gegenteil feststeht. 1494) Zu möglichen Ansätzen KK-KapMuG/Hess, § 22 Rn. 4 ff., 10 ff. 1495) Für eine Beschränkung der Rechtskraft auf das Verhältnis von Musterkläger zu Musterbeklagten wohl KK-KapMuG/Hess, § 22 Rn. 4 ff., 10 ff.; dagegen spricht aber wohl der Wortlaut von § 325a ZPO, der gegenüber der „normalen“ Rechtskraft gerade von den „weitergehenden Wirkungen“ des Musterentscheids spricht.
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zugrunde legen müssen. Dabei ist richtigerweise von einer Bindung an den Tenor und die den Tenor tragenden tatsächlichen Feststellungen auszugehen.1496) Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob ein Unterschied zur Wirkung des 912 Musterentscheids für und gegen alle Beteiligten des Musterverfahrens, die durch § 22 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordnet wird, besteht. Diese Frage ist nicht rein akademisch: So kann z. B. eine subjektive Klagehäufung im Ausgangsprozess dazu führen, dass einer der Kläger Musterkläger des Musterverfahrens wird, während die anderen „nur“ Beigeladene sind. Bei der Fortsetzung des Ausgangsrechtsstreits könnten die Kläger, die Beigeladene des Musterverfahrens waren, unter Berufung auf § 22 Abs. 3 KapMuG geltend machen, wegen einer mangelhaften Prozessführung des Musterklägers dürfe das Prozessgericht aus ihrer Sicht nachteilige Feststellungen des Musterentscheids nur im Verhältnis zum Kläger, nicht aber ihnen gegenüber zur Grundlage des Urteils machen. Voraussetzung dafür wäre, dass die in § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG angeordnete Bindung des Gerichts eine solche Differenzierung nicht ausschließt. Richtigerweise muss wohl davon ausgegangen werden, dass die Bindung des 913 Gerichts jedenfalls gegenüber dem Vorbehalt § 22 Abs. 3 KapMuG zurückstehen muss, soll letztgenannte Vorschrift nicht leerlaufen.1497) In anderen Konstellationen kommt § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG dagegen eine eigene Wirkung zu, so z. B. dann, wenn nach Fortsetzung des Verfahrens ein Parteiwechsel stattfindet. In diesem Fall kann die Vorgreiflichkeit des Musterentscheids wegen der Bindung des Prozessgerichts nicht in Abrede gestellt werden, selbst wenn die neu eingetretene Partei am Musterverfahren nicht beteiligt war. Der Musterkläger, aber auch die Beigeladenen können sich also nicht etwa dadurch der Verbindlichkeit negativer Entscheidungen des Musterverfahrens entziehen, indem sie den streitbefangenen Anspruch abtreten und im Wege eines Parteiwechsels aus dem Ausgangsprozess ausscheiden. Bindung des Prozessgerichts und Bindung der Beteiligten durch die Ergebnisse des Musterentscheids sind damit nicht deckungsgleich. Aufgrund kumulativer Bindungswirkung sind „Gestaltungen“ nach Rechtskraft des Musterentscheids enge Grenzen gesetzt. c) Bindung des Musterklägers In der Führung des Musterverfahrens unterliegt der Musterkläger keinen 914 Einschränkungen (siehe oben Rn. 885 ff.) und ist dementsprechend grundsätzlich auch ohne Einschränkungen an das Ergebnis des Musterverfahrens gebunden. Zum einen entfaltet der Musterentscheid ohne jede Einschränkung ___________ 1496) Näher Hanisch, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – Anwendungsfragen und Rechtsdogmatik, S. 372 ff. 1497) Wie hier Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Streitgegenstand des Musterverfahrens und Bindungswirkung des Musterentscheids, S. 286 f. (zu § 16 KapMuG a. F.).
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Bindungswirkungen für das eigene Ausgangsverfahren des Musterklägers, das unter Beachtung der Entscheidung über die Feststellungsziele fortzuführen ist. Gebunden ist insoweit das Prozessgericht, aber auch der Musterkläger, für und gegen den der Musterentscheid „wirkt“ (§ 22 Abs. 1 Satz 2 KapMuG). Unter dieser „Wirkung“ ist, wie sich aus den weiteren Regelungen in § 22 Abs. 1 Satz 2 und 3 KapMuG ergibt, eine rein innerprozessuale Bindungswirkung im Ausgangsverfahren zu verstehen. 915 Zum anderen erwachsen die Feststellungen des Musterentscheids aber auch in Rechtskraft, § 22 Abs. 2 KapMuG i. V. m. § 325a ZPO. Ganz augenscheinlich ging es dem Gesetzgeber hier um ein „Mehr“ gegenüber der bloßen Verbindlichkeit für den Ausgangsprozess. Dies wird durch die Aussage in den Gesetzesmaterialien bestätigt, wonach die explizite Anordnung der Rechtskraftfähigkeit dem Musterentscheid zur Anerkennungsfähigkeit im Europäischen Justizraum verhelfen soll,1498) was überhaupt nur denkbar ist, wenn die Bindung an den Musterentscheid über die Bindung im Ausgangsprozess, der ja mit einem eigenen Urteil abgeschlossen wird, hinausgeht und sich auch nicht in der formellen Unanfechtbarkeit des Musterentscheids erschöpft.1499) 916 Was bedeutet dies konkret? Hat z. B. der Musterkläger nur eine Teilklage erhoben, bleibt er auch in einem Prozess über die Restforderung gegen den Musterbeklagten, der in seinem Ausgangsrechtsstreit Beklagter war, an die Feststellungen im Musterentscheid gebunden, mögen sie für ihn nun günstig oder ungünstig sein.1500) Unklar ist dagegen, ob die Rechtskraftwirkung auch gegenüber den anderen Musterbeklagten eintritt, d. h. gegenüber jenen, die nicht im Ausgangsverfahren des Musterklägers, sondern in anderen Ausgangsverfahren Beklagte waren. Dem Wortlaut nach ist dies zu bejahen. Hierfür spricht auch, dass § 325a ZPO von den gegenüber § 325 ZPO „weitergehenden“ Wirkungen des Musterentscheids spricht, was impliziert, dass die materielle Rechtskraft im Sinne einer über das Ausgangsverfahren hinausgehenden Bindungswirkung nicht nur im Verhältnis zwischen dem Musterkläger und „seinem“ Musterbeklagten eintritt.1501) Lässt man die Beigeladenen an der Rechtskraftwirkung nicht teilnehmen,1502) entfaltet damit für den Musterkläger (und korrespondierend für die Musterbeklagten) der Musterentscheid in positiver wie in negativer Hinsicht eine weit größere Bindungswirkung als für die Beigeladenen. ___________ 1498) BT-Drucks. 15/5091, S. 34. 1499) A. A. Hanisch, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – Anwendungsfragen und Rechtsdogmatik, S. 382 ff., zu § 16 KapMuG a. F., wonach der „Rechtskraft“ des Musterentscheids keinerlei Bedeutung zukommen soll. Ähnlich Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 306. 1500) Eine weitergehende Wirkung für spätere Prozesse dagegen verneinend Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Streitgegenstand des Musterverfahrens und Bindungswirkung des Musterentscheids, S. 222, 286 (zu § 16 KapMuG a. F.). 1501) A. A. KK-KapMuG/Hess, § 22 Rn. 10 ff. 1502) Dazu siehe unten Rn. 919.
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D. Kapitalmarkthaftung Praxistipp: Den Beteiligten eröffnen sich Gestaltungsmöglichkeiten, auch wenn diese in der Praxis möglicherweise nur schwierig zu handhaben sind. So könnte der Musterkläger z. B. davon absehen, gegen einzelne potentielle Anspruchsgegner Klage zu erheben, wenn er sicher weiß, dass andere Anspruchsinhaber diese in Anspruch genommen haben, und er damit rechnet, dass auch diese Verfahren ausgesetzt werden. Denn in diesem Fall käme ihm die Wirkung des Musterentscheids gegenüber diesen weiteren Anspruchsgegnern in Form der Rechtskraft zugute, ohne dass er jetzt schon das mit einer gesonderten Klageerhebung verbundene Kostenrisiko übernehmen müsste. Umgekehrt können potentielle Anspruchsgegner, die bisher nur von anderen, nicht aber vom Musterkläger in Anspruch genommen wurden, bei für sie günstigen Feststellungen durch das Oberlandesgericht erreichen, dass aufgrund der Rechtskraft auch eine spätere Inanspruchnahme durch den Musterkläger ausgeschlossen ist.
Über eine Bindungswirkung der im Musterentscheid getroffenen Feststel- 917 lungen im Verhältnis zwischen dem Musterkläger und den Beigeladenen sagt das Gesetz nichts, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass es eine solche Wirkung von Gesetzes wegen und entsprechenden den allgemeinen zivilprozessualen Regeln nicht gibt. d) Bindung der Beigeladenen Die Beigeladenen trifft gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 KapMuG im Verhältnis zu ihren 918 Prozessgegnern in den Ausgangsverfahren (nicht aber untereinander oder im Verhältnis zum Musterkläger) wiederum die innerprozessuale Verbindlichkeit der Feststellungen des Musterentscheids, mit denen die Bindung des Ausgangsgerichts korrespondiert. Nach § 22 Abs. 3 KapMuG können sich die Beigeladenen allerdings in ihrem Rechtsstreit darauf berufen, dass der Musterkläger das Musterverfahren mangelhaft geführt hat und sie durch die Lage des Musterverfahrens zur Zeit der Aussetzung des von ihnen geführten Rechtsstreits oder durch Erklärungen und Handlungen des Musterklägers verhindert worden sind, Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, oder Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die ihnen unbekannt waren, vom Musterkläger absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht wurden. Praxistipp: Wegen dieser gelockerten Bindung sollten Beklagte der Ausgangsverfahren, sofern deren Aussetzung ohnehin erfolgen muss, darauf achten, dass die Aussetzung nicht unnötig verzögert wird. Denn da die Beigeladenen sich auf die für sie positiven Aspekte des Musterentscheids in jedem Fall berufen können, sollten sie auch an die für sie negativen Teile gebunden sein.
Schließlich stellt sich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die (mate- 919 rielle) Rechtskraftwirkung des Musterentscheids auch in der Person der Beigeladenen eintritt. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass § 22 Abs. 2 KapMuG nicht für die Beigeladenen und ihr Verhältnis zu ihren Prozessgegnern gilt. Wie oben dargelegt wurde, kommt der Rechtskraftwirkung ge-
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genüber der ohnehin bestehenden innerprozessualen Bindung nur dann eine eigene Bedeutung zu, wenn es zu weiteren Verfahren zwischen Parteien kommen sollte. Da aber die Bindung der Beigeladenen in einem potentiellen weiteren Verfahren nicht über die innerprozessuale Bindungswirkung im ersten Verfahren hinausgehen kann, müsste die Rechtskraftwirkung ebenfalls durch den Vorbehalt des § 22 Abs. 3 KapMuG eingeschränkt werden. Dagegen spricht aber nicht nur der Wortlaut von § 22 Abs. 3 KapMuG. Mit dem Charakter einer materiell rechtkräftigen Entscheidung ist eine solche Einschränkung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch nicht zu vereinbaren. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Rechtskraftwirkung des Musterentscheids nicht für und gegen die Beigeladenen eintritt. e) Bindung der Musterbeklagten 920 In der Person der Musterbeklagten treten korrespondierend zu den Folgen für den Musterkläger ebenfalls die innerprozessuale Bindungswirkung sowie – im Verhältnis zum Musterkläger, nicht aber zu den Beigeladenen – die Wirkungen der materiellen Rechtskraft gem. § 22 Abs. 2 KapMuG ein. Hinsichtlich der Frage eventueller Gestaltungsmöglichkeiten kann auf die Ausführungen zum Musterkläger verwiesen werden. 921 Über eine Bindungswirkung der im Musterentscheid getroffenen Feststellungen im Verhältnis zwischen verschiedenen Musterbeklagten sagt das Gesetz wiederum nichts, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass es eine solche Wirkung von Gesetzes wegen und entsprechenden den allgemeinen zivilprozessualen Regeln nicht gibt. Gerade an einer solchen Bindungswirkung können aber Musterbeklagte Interesse haben, um interne Ausgleichsansprüche abzusichern. Wie diesbezüglich zu verfahren ist, soll daher an anderer Stelle noch geklärt werden. f) Bindung des Anspruchsanmelders 922 Einfach ist die prozessuale Situation für solche potentiellen Anspruchsinhaber, die sich nur zu einer Anmeldung ihres Anspruchs zu Musterverfahren entschließen. Der Musterentscheid hat für sie in keiner Hinsicht eine rechtliche Bindung zur Folge. V. Einbeziehung Dritter und außenstehender Rechtsverhältnisse in das Musterverfahren 1. Einführung und Problemstellung 923 Gerade ein Musterverfahren zeichnet sich aufgrund der vom Gesetzgeber gewollten Breitenwirkung mehr noch als gewöhnliche Verfahren dadurch aus, dass das Ergebnis nicht nur für die Beteiligten von Bedeutung ist, deren Rechtsstellung im KapMuG angelegt ist. Vom Ergebnis des Musterverfahrens kann vielmehr auch abhängen, ob eine Musterpartei Rückgriffsansprüche
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gegen Dritte oder Ausgleichsansprüche gegen andere Musterparteien geltend machen muss. Diese Konstellation kann sich sowohl auf der Kläger- wie auch auf der Beklagtenseite ergeben, wobei letzteres häufiger der Fall ist und deshalb im Folgenden auch alleine untersucht werden soll. Im oben dargelegten Beispielsfall läge es z. B. nahe, dass dann, wenn im Musterverfahren ein Prospektfehler festgestellt wird und es auf dieser Grundlage auch zu einer Verurteilung in den Ausgangsverfahren kommt, die I-Investmentbank Ausgleichsansprüche gegen die Emittentin und die Emittentin wiederum Schadensersatzansprüche gegen ihre Vorstandsmitglieder geltend machen. Ferner läge es nahe, dass die anderen Vorstandsmitglieder sich Rückgriffsansprüche gegen das Vorstandsmitglied offen halten wollen, das vorsätzlich gehandelt haben soll. Auch wenn die letztendliche Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch 924 der klagenden Anleger wegen unrichtiger Darstellungen im Prospekt und damit über die Notwendigkeit der Geltendmachung von Ausgleichs- oder Rückgriffsansprüchen durch das Urteil im Ausgangsverfahren getroffen wird, kann das Musterverfahren die Vorentscheidung hierfür bedeuten, weshalb sich die Frage stellt, in welcher Form die an den Ausgleichs- und Rückgriffsrechtsverhältnissen beteiligten Parteien am Musterverfahren beteiligt und an dessen Ausgang gebunden werden können oder sollen. Nach der in § 9 KapMuG zum Ausdruck kommenden Konzeption hat der 925 Gesetzgeber als Beteiligte des Musterverfahrens nur die Kläger und Beklagten der Ausgangsverfahren im Blick gehabt. Eine Beteiligung und Bindung an das Ergebnis des Musterverfahrens ist deshalb nur möglich, wenn die Betroffenen entweder ohnehin schon am Verfahren vor dem Oberlandesgericht beteiligt sind oder über die nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG anwendbaren allgemeinen Vorschriften durch Streitverkündung und Nebenintervention in das Musterverfahren einbezogen werden können. 2. Anwendbarkeit des KapMuG auf Rückgriffs- und Ausgleichsansprüche? Bevor auf die Möglichkeiten von Streitverkündung und Nebenintervention 926 einzugehen ist, ist zu prüfen, ob Rückgriffs- oder Ausgleichsansprüche in den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KapMuG fallen. Wäre dies der Fall, könnten die Rückgriffs- bzw. Ausgleichsberechtigten jeweils (positive) Feststellungsklagen1503) erheben, die dann mit Blick auf das inhaltlich vorgreifliche Musterverfahren nach § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen wären und zu einer Bindung der Anspruchsgegner an den Ausgang des Musterverfahrens führen würden. Zumindest auf den ersten Blick ist dies dem Wortlaut nach nicht ausge- 927 schlossen. So könnte z. B. die schuldhafte Aufnahme einer unzutreffenden ___________ 1503) Musterverfahren sind auch für (positive) Feststellungsklagen eröffnet, siehe BGH ZIP 2015, 2437.
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wesentlichen Information in einen Börsenzulassungsprospekt und dessen anschließende Veröffentlichung durch die Vorstandsmitglieder eines Emittenten sprachlich durchaus als Grundlage für eine Haftung wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG) bzw. wegen Verwendung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG) einer unrichtigen öffentlichen Kapitalmarktinformation angesehen werden, wenn dem Emittenten daraus in der Folgezeit ein Schaden erwächst und deshalb die Vorstandsmitglieder wegen Verletzung ihrer Pflichten in Anspruch genommen werden sollen. Indes ging der Gesetzgeber von Anfang an1504) davon aus, dass das Gesetz nur für solche Schadensersatzansprüche gelten sollte, die von Kapitalanlegern in dieser Eigenschaft geltend gemacht werden. An dieser Konzeption hat der Gesetzgeber auch anlässlich der Reform des Gesetzes im Jahr 2012 festgehalten,1505) was gegen eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs spricht. 928 Hinzu kommt, dass die gegenwärtige Konzeption des KapMuG auf eine solche Konstellation nicht vorbereitet ist. Würde z. B. im obigen Beispielsfall die Emittentin, nachdem Anleger gegen sie Prospekthaftungsklagen erhoben haben, gegen ihre verantwortlichen Vorstandsmitglieder eine Feststellungsklage hinsichtlich einer entsprechenden Schadensersatzpflicht einreichen und wäre diese Klage musterverfahrensfähig i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KapMuG, würde eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG dazu führen, dass die Emittentin aufgrund der Klage der Anleger als Musterbeklagte, aufgrund ihrer eigenen Klage gegen die Vorstandsmitglieder dagegen als Beigeladene auf Musterklägerseite am Musterverfahren beteiligt wäre. Dies kann nicht richtig sein und führt zu der Konsequenz, dass insoweit der Anwendungsbereich als nicht eröffnet angesehen werden muss. 3. Streitverkündung und Nebenintervention im Musterverfahren a) Grundsätzliche Notwendigkeit einer Streitverkündung 929 Es lassen sich zwei typische Konstellationen unterscheiden, in denen es in einem Musterverfahren zu Streitverkündungen und Nebeninterventionen kommen kann. Zum einen kann es darum gehen, Ausgleichsansprüche (z. B. § 426 Abs. 1 BGB) zwischen mehreren Musterbeklagten (z. B. zwischen der begleitenden Emissionsbank und dem Emittenten) abzusichern, zum anderen kann (z. B. von der Emittentin) das Ziel verfolgt werden, im Falle einer Verurteilung zu Schadensersatzleistungen an klagende Anleger bei den Vorstandsmitgliedern wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten Rückgriff nehmen zu können. Diese Vorstandsmitglieder sind regelmäßig nicht selbst Beklagte der Ausgangsverfahren und damit auch nicht Musterbeklagte des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht. ___________ 1504) Eingehend dazu KK-KapMuG/Kruis, § 1 Rn. 76 ff. 1505) BT-Drucks. 17/8799, S. 1, 13 f.; siehe auch Halfmeier, ZIP 2011, 1900 f.
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Dass in der zweiten genannten Konstellation eine Streitverkündung erforder- 930 lich ist, um die Rückgriffsansprüche gegen die Vorstände zu sichern, liegt auf der Hand. Dies gilt aber auch in der ersten Konstellation. Denn ungeachtet des Umstandes, dass in unserem Beispielsfall Emittentin und Emissionsbank beide bereits als (Mit-)Musterbeklagte am Musterverfahren beteiligt sind, kennt das Gesetz keine Vorschrift, die eine Bindungswirkung des Musterentscheids im Verhältnis zwischen den Musterbeklagten statuiert. Da auch in den Ausgangsverfahren bei einer subjektiven Klagehäufung auf Beklagtenseite ein stattgebendes Urteil zwischen den Beklagten keine Wirkungen entfaltet, eine solche vielmehr durch eine Streitverkündung herbeigeführt werden muss,1506) kann eine solche Bindung auch nicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleitet werden. b) Zulässigkeit Die Lösung für die oben skizzierten Konstellationen muss somit mit den 931 Mitteln der Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO) und Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) gesucht werden. Ob diese prozessualen Instrumente im Musterverfahren anwendbar sind, ist allerdings umstritten. Nach einer Ansicht soll die Anwendbarkeit zu verneinen sein, da ansonsten die Nebenintervenienten als Streithelfer größere Mitwirkungsrechte erhielten als die Beigeladenen. Eine Nebenintervention im Musterverfahren (und damit auch eine Streitverkündung) sei deshalb unzulässig, stattdessen komme den Nebenintervenienten der Ausgangsverfahren im Musterverfahren die Stellung eines Beigeladenen zu.1507) Nach zutreffender anderer Ansicht sind dagegen die Regeln über Streitver- 932 kündung und Nebenintervention im Musterverfahren anwendbar,1508) was sich bereits aus der einschränkungslosen Verweisung in § 11 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergibt. Die Argumente der Gegenansicht, die für eine generelle Unanwendbarkeit plädieren, überzeugen nicht. Eine „Besserstellung“ der Streithelfer gegenüber den Beigeladenen droht bei Nebeninterventionen auf Seiten der Musterbeklagten, die den Hauptanwendungsfall darstellen dürften, ohnehin nicht. Und in Bezug auf einen Streithelfer des Musterklägers ist richtigerweise davon auszugehen, dass er sich gegenüber den Beigeladenen nicht auf § 14 Satz 2 KapMuG berufen kann, ihm also insoweit keine „bevorrechtigte“ Stellung zukommt. ___________ 1506) Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 72 Rn. 1 m. w. N. 1507) So zu § 16 KapMuG a. F. Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 9 Rn. 11; Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Streitgegenstand des Musterverfahrens und Bindungswirkung des Musterentscheids, S. 169 f. 1508) KK-KapMuG/Vollkommer, § 11 Rn. 77 ff.; a. A. Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 9 Rn. 11, wonach alleine Streitverkündung und Nebenintervention im Ausgangsverfahren möglich und ausreichend sein sollen. Ähnlich zur ersten Gesetzesfassung Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Streitgegenstand des Musterverfahrens und Bindungswirkung des Musterentscheids, S. 169 f., wonach eine Nebenintervention im Ausgangsverfahren eine Beiladung im Musterverfahren zur Folge haben soll.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
c) Alleinige Streitverkündung im Ausgangsverfahren ausreichend? 933 Die Frage nach einer Streitverkündung im Musterverfahren könnte jedoch u. U. dahinstehen, wenn bereits durch eine Streitverkündung im Ausgangsverfahren Ausgleichs- bzw. Rückgriffsansprüche ausreichend geschützt würden. Ob eine im Ausgangsverfahren ausgesprochene Streitverkündung ausreichend ist, ist jedoch zweifelhaft und wohl zu verneinen. Bei einer Streitverkündung im Ausgangsverfahren ist der Streitverkündete im Verhältnis zum Streitverkünder gem. §§ 74 Abs. 1, 68 ZPO an den Ausgang des Verfahrens gebunden und zwar sowohl hinsichtlich des Tenors als auch der das Urteil tragenden Gründe. Diese Bindung ist gerechtfertigt, da für den Streitverkündeten die Möglichkeit der Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) besteht, um die eigenen Rechtspositionen zu verteidigen. 934 Wird ein wesentlicher Teil der Urteilsfindung des Ausgangsverfahrens durch den Musterentscheid vorgegeben, muss der Streitverkündete somit die Gelegenheit haben, am Musterverfahren teilzunehmen, wenn die Bindungswirkung gem. §§ 74 Abs. 1, 68 ZPO auch in diesem Fall bestehen und rechtsstaatlich begründbar sein soll. Eine Streitverkündung im Ausgangsverfahren wäre demnach nur dann ausreichend, wenn ein Nebenintervenient des Ausgangsverfahrens von Gesetzes wegen auch am Musterverfahren beteiligt wird. Denn dann könnten alle Streitverkündeten, die dem Ausgangsrechtsstreit beigetreten sind, auch am Musterverfahren mitwirken, und alle anderen müssen sich darauf verweisen lassen, dass sie, wären sie beigetreten, die entsprechenden Mitwirkungsmöglichkeiten gehabt hätten. 935 Indes sieht das Gesetz eine solche „automatische“ Beteiligung der Nebenintervenienten der Ausgangsverfahren am Musterverfahren nicht vor, die von Gesetzes wegen beteiligten Personen nennt § 9 Abs. 1 KapMuG abschließend. Da nach der gesetzlichen Konzeption die Streithelfer des Ausgangsverfahrens somit nicht ohne Weiteres am Musterverfahren beteilig sind, wirkt die Streitverkündung im Ausgangsverfahren auch nicht in der Weise, dass es Sache des Streitverkünders wäre, von sich aus i. S. v. § 66 ZPO den Beitritt zum Musterverfahren zu erklären. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Anwendung von § 74 Abs. 3 ZPO erfordert, dass eine erneute Streitverkündung gerade in Bezug auf das Musterverfahren erklärt wird. Erklärt der Empfänger der erneuten Streitverkündung sodann eine Nebenintervention zum Musterverfahren, ergibt sich sein rechtliches Interesse i. S. v. § 66 Abs. 1 ZPO aus der (insoweit ausreichenden) potentiellen Maßgeblichkeit des Ausgangs des Musterverfahrens für ein Obsiegen der unterstützten Partei im Ausgangsverfahren.1509)
___________ 1509) Vergleichbar zum selbständigen Beweisverfahren BGH, Beschl. v. 18.11.2015 – VII ZB 57/12, NJW 2016, 1018.
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D. Kapitalmarkthaftung Praxistipp: Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die Einleitung eines Musterverfahrens eine erneute, d. h. ergänzende Streitverkündung erfordert, wenn der Streitverkündete des Ausgangsverfahrens an das spätere Urteil in vollem Umfang gebunden sein soll. Mag auch eine gegenteilige Beurteilung vertretbar sein, so handelt es sich jedoch bei dem hier befürworteten Vorgehen um den sichersten Weg, der zur Vermeidung von Risiken – insbesondere vor dem Hintergrund des damit verbundenen vergleichsweisen geringen Aufwands – einzuschlagen ist. Hinzu kommt, dass sich aus einer Streitverkündung im Musterverfahren Bindungswirkungen ergeben, die über die Wirkungen der Streitverkündung im Ausgangsverfahren hinausgehen, wie gesondert dargestellt wird.1510)
d) Streitverkündung im Musterverfahren Ferner stellt sich die Frage, ob ggf. auch eine Streitverkündung im Muster- 936 verfahren ausreichend sein kann. Ein solches Vorgehen würde voraussetzen, dass eine isolierte Streitverkündung zulässig ist und sich daraus eine Bindung des Streitverkündeten an die Ergebnisse des Musterverfahrens ableiten lässt. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Streitverkündung ergibt sich, wie 937 dargelegt, bereits aus § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Besondere verfahrensrechtliche Gründe, die gegen eine isolierte Streitverkündung und die Nebenintervention von Betroffenen, die in keinem Ausgangsverfahren beteiligt sind, sprechen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Zweifel könnten allenfalls dahingehend bestehen, ob sich aus der Streitverkündung ohne „Vermittlung“ durch ein Urteil in einem Ausgangsverfahren eine Bindungswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO ableiten lässt. Bedenken könnten insoweit bestehen, da das KapMuG zu Entstehen und Umfang der Bindungswirkung in dieser Konstellation nichts vorsieht und § 68 ZPO an die Endentscheidung in einem Rechtsstreit anknüpft. Allerdings ist auch in Bezug auf das selbständige Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) anerkannt, dass in analoger Anwendung der §§ 66 ff. ZPO eine Streitverkündung möglich ist, die dann dazu führt, dass sich der Streitverkündete das Ergebnis der Beweisaufnahme entgegen halten lassen muss.1511) Dies spricht dafür, dass eine Streitverkündung im Musterverfahren dazu führt, dass der Streitverkündete in entsprechender Anwendung der §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO die Feststellungen des Musterentscheids gegen sich gelten lassen muss. Eine (isolierte) Streitverkündung im Musterverfahren ist somit möglich. Ihr 938 kommen zudem weiterreichende Bindungswirkungen zu, die sie nicht nur als Ergänzung einer erstinstanzlichen Streitverkündung sinnvoll erscheinen lassen:
___________ 1510) Siehe Rn. 936 ff. 1511) Umfasst von der Bindungswirkung des § 68 ZPO ist grundsätzlich jedes Beweisergebnis, das im Verhältnis zum Antragsgegner von rechtlicher Relevanz ist, siehe BGHZ 204, 12; BGH ZIP 1997, 296.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
939 Die Bindung des Streitverkündungsempfängers an das Ergebnis des Ausgangsverfahrens gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO bezieht sich auf den Tenor sowie die tragenden Gründe der Entscheidung. Eine Bindung an die Feststellungen des Musterentscheids folgt daraus also nur, wenn diese für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits relevant werden. Das ist wahrscheinlich, aber nicht zwingend. Des Weiteren beschränkt sich die Bindung auf den konkreten Rechtsstreit. Im obigen Beispielsfall führt dies z. B. dazu, dass die Emittentin wegen des aus diesem Rechtsstreit entstehenden Schadens bei ihren Vorstandsmitgliedern Rückgriff nehmen kann. Für andere Fälle ergibt sich zumindest von Rechts wegen keine vorgreifliche Bindung, weshalb in allen Ausgangsverfahren eine Streitverkündung erfolgen muss. 940 Für eine Streitverkündung im Musterverfahren ist dies anders, da in diesem Fall – ähnlich wie bei der Streitverkündung im selbständigen Beweisverfahren – das Ergebnis des Musterverfahrens dem Streitverkündeten in allen denkbaren Regresskonstellationen entgegen gehalten werden kann. Und schließlich setzen die §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO voraus, dass es im Ausgangsverfahren zu einem Urteil kommt. Wird das Ausgangsverfahren dagegen z. B. durch einen Vergleich abgeschlossen, kann sich eine im Verhältnis zwischen Emittentin und Vorstandsmitgliedern verbindliche Feststellung von Prospektfehlern nur aus dem Musterentscheid ergeben. Auf die Streitverkündung im Musterverfahren kann also nicht verzichtet werden. 941 In praktischer Hinsicht ist umgekehrt zu beachten, dass im Musterverfahren selbst von den verallgemeinerungsfähigen und im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Umständen regelmäßig nur ein Ausschnitt geprüft werden wird. Eine alleinige Streitverkündung im Musterverfahren wird daher meist nicht ausreichen, um Ausgleichs- bzw. Rückgriffsansprüche im notwendigen Umfang abzusichern. Eine Streitverkündung in den einzelnen Ausgangsverfahren wird damit nicht entbehrlich. Praxistipp: Eine optimale Interessenwahrung bzw. Sicherung von Ausgleichs- und Rückgriffsansprüchen ist nur gewährleistet, wenn sowohl im Ausgangsverfahren als auch im Musterverfahren eine Streitverkündung erfolgt.
e) Rechtsstellung der Nebenintervenienten im Musterverfahren 942 Die Rechtsstellung der Nebenintervenienten im Musterverfahren richtet sich nach der der unterstützten Hauptpartei. Dies gilt auch bei einer Nebenintervention auf Seiten des Musterklägers,1512) wobei in diesem Fall § 14 Satz 2 KapMuG nicht zugunsten des Streithelfers gilt.
___________ 1512) Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 8 Rn. 43: Beteiligungsrechte nur wie Beigeladene.
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E. D&O-Streitigkeiten
Für die Streithelfer besteht dementsprechend zunächst die Möglichkeit, selbst 943 Dritten den Streit zu verkünden, um Ausgleichsansprüche abzusichern. So könnten in unserem Beispielsfall die Vorstandsmitglieder, denen nur eine fahrlässige Pflichtverletzung vorgeworfen wird, wiederum dem Vorstandsmitglied den Streit verkünden, das vorsätzlich gehandelt haben soll. Die Streithelfer können ferner auch gem. § 15 KapMuG die Erweiterung des 944 Musterverfahrens um zusätzliche Feststellungsziele beantragen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG das zusätzliche Feststellungsziel für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits der unterstützten Partei entscheidungserheblich sein muss. Feststellungsziele, die alleine für das der Streitverkündung zugrunde liegende Rückgriffs- oder Ausgleichsverhältnis von Bedeutung sind, sind dagegen unzulässig. Ist streitig, ob eine nach Streitverkündung erklärte Nebenintervention zuläs- 945 sig ist, ist dies in einem Zwischenstreit gem. § 71 ZPO zu klären. Die Besonderheiten des Musterverfahrens erfordern allerdings eine Anpassung dahingehend, dass die Entscheidung im Wege eines (Zwischen-)Beschlusses zu treffen ist, gegen den gem. § 574 Abs. 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 KapMuG analog stets die Rechtsbeschwerde zum BGH stattfindet. E. D&O-Streitigkeiten I. Einleitung Thomas Gädtke
Der Begriff „D&O-Streit(igkeit)“ bezeichnet Auseinandersetzungen um die 946 potentielle Schadensersatzpflicht von Organmitgliedern aufgrund einer Verletzung von Organpflichten, für die eine spezielle Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (die sog. D&O-Versicherung) besteht. Er verweist also zugleich auf die haftungs- wie die deckungsrechtliche Komponente von Organhaftungsansprüchen und impliziert damit, was für die strategische Verfolgung oder Abwehr solcher Ansprüche entscheidend ist: die Berücksichtigung des Umstands, dass Gesellschafts- und Versicherungsrecht in ihnen auf vielfältige Weise ineinandergreifen und den Eigenarten beider Bereiche hinreichend Rechnung getragen werden muss.1513) Werden D&O-Streitigkeiten (schieds-)gerichtlich ausgetragen, stellen sich darüber hinaus besondere prozessuale Probleme. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Struktur des D&O-Streits und diskutiert einige der sich bei der Abwicklung solcher Streitigkeiten stellenden Schwierigkeiten. II. Die Struktur des D&O-Streits Die D&O-Versicherung ist eine Ausprägung der Haftpflichtversicherung 947 (§§ 100 ff. VVG),1514) für die das sog. Trennungsprinzip gilt. Ob das Organmitglied dem Anspruchsteller – einem Dritten oder der Gesellschaft, de___________ 1513) Vgl. dazu im Rahmen der Diskussion um die Reform des Organhaftungsrechts Gädtke, VP 2/2015, 26 ff. 1514) OLG München VersR 2005, 540, 541 f.; Prölss/Martin/Voit, VVG, AVB-AVG Nr. 1 Rn. 6.
Thomas Gädtke
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E. D&O-Streitigkeiten
Für die Streithelfer besteht dementsprechend zunächst die Möglichkeit, selbst 943 Dritten den Streit zu verkünden, um Ausgleichsansprüche abzusichern. So könnten in unserem Beispielsfall die Vorstandsmitglieder, denen nur eine fahrlässige Pflichtverletzung vorgeworfen wird, wiederum dem Vorstandsmitglied den Streit verkünden, das vorsätzlich gehandelt haben soll. Die Streithelfer können ferner auch gem. § 15 KapMuG die Erweiterung des 944 Musterverfahrens um zusätzliche Feststellungsziele beantragen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG das zusätzliche Feststellungsziel für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits der unterstützten Partei entscheidungserheblich sein muss. Feststellungsziele, die alleine für das der Streitverkündung zugrunde liegende Rückgriffs- oder Ausgleichsverhältnis von Bedeutung sind, sind dagegen unzulässig. Ist streitig, ob eine nach Streitverkündung erklärte Nebenintervention zuläs- 945 sig ist, ist dies in einem Zwischenstreit gem. § 71 ZPO zu klären. Die Besonderheiten des Musterverfahrens erfordern allerdings eine Anpassung dahingehend, dass die Entscheidung im Wege eines (Zwischen-)Beschlusses zu treffen ist, gegen den gem. § 574 Abs. 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 KapMuG analog stets die Rechtsbeschwerde zum BGH stattfindet. E. D&O-Streitigkeiten I. Einleitung Thomas Gädtke
Der Begriff „D&O-Streit(igkeit)“ bezeichnet Auseinandersetzungen um die 946 potentielle Schadensersatzpflicht von Organmitgliedern aufgrund einer Verletzung von Organpflichten, für die eine spezielle Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (die sog. D&O-Versicherung) besteht. Er verweist also zugleich auf die haftungs- wie die deckungsrechtliche Komponente von Organhaftungsansprüchen und impliziert damit, was für die strategische Verfolgung oder Abwehr solcher Ansprüche entscheidend ist: die Berücksichtigung des Umstands, dass Gesellschafts- und Versicherungsrecht in ihnen auf vielfältige Weise ineinandergreifen und den Eigenarten beider Bereiche hinreichend Rechnung getragen werden muss.1513) Werden D&O-Streitigkeiten (schieds-)gerichtlich ausgetragen, stellen sich darüber hinaus besondere prozessuale Probleme. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Struktur des D&O-Streits und diskutiert einige der sich bei der Abwicklung solcher Streitigkeiten stellenden Schwierigkeiten. II. Die Struktur des D&O-Streits Die D&O-Versicherung ist eine Ausprägung der Haftpflichtversicherung 947 (§§ 100 ff. VVG),1514) für die das sog. Trennungsprinzip gilt. Ob das Organmitglied dem Anspruchsteller – einem Dritten oder der Gesellschaft, de___________ 1513) Vgl. dazu im Rahmen der Diskussion um die Reform des Organhaftungsrechts Gädtke, VP 2/2015, 26 ff. 1514) OLG München VersR 2005, 540, 541 f.; Prölss/Martin/Voit, VVG, AVB-AVG Nr. 1 Rn. 6.
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ren (ehemaliges) Organ er ist – haftet, ist danach grundsätzlich im Haftpflichtprozess zu entscheiden, ob der Versicherer dem Organmitglied Versicherungsschutz zu gewähren hat, ist im Deckungsprozess zu beurteilen.1515) Die rechtskräftige Entscheidung des Haftpflichtprozesses ist für den Deckungsprozess bindend.1516) Das gilt nicht nur für den Tenor der Entscheidung, sondern auch für die Einzelfeststellungen im Urteil, soweit die Sachverhaltsumstände sowohl für die Entscheidung der Haftpflichtfrage als auch für die Beurteilung der Deckung gleichermaßen relevant sind, also Voraussetzungsidentität besteht.1517) Letzteres ist in der Praxis aufgrund des Deckungsausschlusses für wissentlich begangene Pflichtverletzungen1518) vor allem für die Frage relevant, ob das Organmitglied vorsätzlich gehandelt hat, und für einzelne Tatbestände (z. B. § 826 BGB) noch ungeklärt. 948 D&O-Versicherungen werden regelmäßig von der Gesellschaft zum Schutz ihrer Organmitglieder abgeschlossen (sog. Unternehmenspolice), daneben stellen sie wirtschaftlich – jedenfalls hinsichtlich der in D&O-Streitigkeiten im Vordergrund stehenden Innenhaftungsansprüche (vgl. Rn. 950) – zugleich ein Schutzinstrument zugunsten der Gesellschaft dar. Strukturell ist die D&OVersicherung daher eine Haftpflichtversicherung in Form einer Versicherung für fremde Rechnung (vgl. §§ 43 ff. VVG). Vertragspartner des Versicherers ist die Gesellschaft, die grundsätzlich auch über die Rechte aus der Police verfügt (§ 45 Abs. 1 VVG) und aufgrund ihrer Stellung als Vertragspartei Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer zu erfüllen hat. Materiell-rechtlich stehen die Rechte aus der D&O-Versicherung, d. h. die Ansprüche auf Rechtsschutz und Freistellung, den Organmitgliedern zu (§ 44 Abs. 1 Satz 1 VVG). Ob diese – abweichend von § 45 Abs. 1 VVG – auch über diese Rechte verfügen können, wird in den einzelnen D&O-Policen unterschiedlich geregelt; gerade Großunternehmen halten häufig an der Regelung in § 45 Abs. 1 VVG fest.1519) Zwischen der Gesellschaft und den Organmitgliedern als versicherten Personen entsteht mit Abschluss der D&O-Versicherung ein gesetzliches Treuhandverhältnis,1520) das erstere im Schadenfall zur Einziehung und Auskehrung der Versicherungssumme an die versicherte Person verpflichtet. Aus diesem Treuhandverhältnis können dem Organmitglied ggf. Schadensersatzansprüche erwachsen, sofern die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin beispielsweise ihre Obliegenheiten nicht erfüllt und der Versicherer sich aufgrund derartiger Obliegenheitsverletzungen zulässigerweise auf Leistungsfreiheit beruft.1521) ___________ 1515) Prölss/Martin/Lücke, VVG, § 100 Rn. 46; Bruck/Möller/R. Koch, VVG, Vorbem. zu §§ 100 – 112 Rn. 60 f., zu Ausnahmen Rn. 99 f. 1516) St. Rspr., vgl. etwa BGH VersR 2011, 1003, 1004. Zu Ausnahmen vgl. etwa Prölss/ Martin/Lücke, VVG, § 100 Rn. 58 ff. 1517) BGH VersR 2011, 1003, 1004. 1518) Dazu Bruck/Möller/Gädtke, VVG, Ziff. 5 AVB-AVG Rn. 32 ff. 1519) Unzutreffend daher Bruck/Möller/Baumann, VVG, AVB-AVG Ziff. 10 Rn. 6, auch Einf. AVB-AVG Rn. 11. 1520) Vgl. dazu etwa Prölss/Martin/Klimke, VVG, § 46 Rn. 4 ff. 1521) Vgl. zu diesem Thema z. B. Lange, VersR 2010, 162 ff.
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E. D&O-Streitigkeiten
Grafisch lassen sich die Rechtsbeziehungen wie folgt darstellen:
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Haftpflicht-/ Regressanspruch V N
Haftpflichtprozess:
vP Abwehr Abwehr/Freistellung
Abwehr
V N
vP (VR)
VR V Treuhandverhältnis vP N Verfügungsbefugnis
Deckungsprozess: VN
deckungsrechtl. Anspruch
VR
(vP)
VR
Die Grafik geht von den sog. Innenhaftungsfällen aus, also Fällen, in denen 950 die Gesellschaft (Versicherungsnehmerin) ihre eigenen, meist ehemaligen Organmitglieder (versicherte Personen) auf Schadensersatz in Anspruch nimmt (vgl. §§ 93, 116 AktG, § 43 GmbHG). Das hat zwei Gründe: Zum einen sind D&O-Streitigkeiten nach dem deutschen Haftungsrecht zumeist Innenhaftungsfälle.1522) Geschädigte Dritte können regelmäßig nur gegen die Gesellschaft, nicht aber gegen deren Organmitglieder vorgehen. Ist ein solcher Anspruch erfolgreich oder hat das Verhalten des Organmitglieds unmittelbar zu einem Schaden der Gesellschaft geführt, besteht nach der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH1523) im Regelfall eine Verpflichtung der Gesellschaft, im Innenverhältnis Regress beim verantwortlichen Organmitglied zu nehmen.1524) Zum anderen sorgen die Innenhaftungsfälle für eine eigentümliche Spannung innerhalb der D&O-Versicherung, die aus den Interessenkonstellationen im Haftpflicht- und im Deckungsverhältnis resultiert: x
Im Haftpflichtprozess sind die Interessen des Organmitglieds und des Versicherers, der das Organmitglied vorbehaltlich berechtigter deckungsrechtlicher Einwände von begründeten Haftungsansprüchen freizustellen
___________ 1522) Münchener Anwaltshandbuch VersicherungsR/Sieg, § 17 Rn. 14. 1523) BGH NJW 1997, 1926 ff. = ZIP 1997, 883 ff. 1524) Münchener Anwaltshandbuch VersicherungsR/Sieg, § 17 Rn. 14. Außenhaftungsfälle beruhen vor allem auf deliktischen Ansprüchen gegen Organmitglieder. Hierzu werden von Insolvenzverwaltern geltend gemachte Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung gezählt, vgl. Münchener Anwaltshandbuch VersicherungsR/Sieg, § 17 Rn. 11. Ein weiteres prominentes Beispiel für einen Außenhaftungsfall ist die Klage Dr. Kirchs gegen Dr. Breuer, vgl. BGH NJW 2006, 830 ff. = ZIP 2006, 317 ff.; OLG München ZIP 2013, 558 ff.
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Teil 2 Streitigkeiten aus dem Organverhältnis
hat, auf die erfolgreiche Verteidigung gegen die Haftungsansprüche gerichtet. Das Organmitglied wird dabei durch den Versicherer aktiv unterstützt und gleichermaßen kontrolliert. In der Praxis verfolgen die Versicherer hierzu verschiedene Wege (vgl. dazu Kapitel V. Rn. 991 ff.) und nehmen entsprechende Klauseln in die Versicherungspolicen auf, die ihnen die „Verfahrensherrschaft“ bei der Haftungsabwehr sichern. x
Im Deckungsprozess – nach erfolgreicher Durchsetzung eines Haftungsanspruchs – sind hingegen die Interessen von Gesellschaft und Organmitglied gleichermaßen auf die Einstandspflicht des Versicherers gerichtet.
951 Der Umstand, dass die Inanspruchnahme des Organmitglieds nur ein „Durchgangsstadium“ zur Zahlungspflicht des Versicherers ist, gibt immer wieder Anlass zu der Befürchtung, die D&O-Versicherung könne ein Instrument kollusiven Zusammenwirkens von Gesellschaft und Organmitglied zu Lasten des Versicherers werden (sog. freundliche Inanspruchnahme1525)) – ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen um die verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten in der D&O-Versicherung zieht.1526) Explizit zeigt es sich in der Auseinandersetzung um den sog. Direktanspruch, der aus Sicht der Gesellschaft eines der interessantesten Gestaltungsmittel im Rahmen von D&O-Streitigkeiten darstellt. 952 Aus der Struktur des D&O-Streits ergibt sich eine Reihe von systematischen Problemen. Im Folgenden werden aus der jeweiligen Perspektive (Gesellschaft, Organmitglied, Versicherer) einige dieser Schwierigkeiten diskutiert: die Wege zur Anspruchsdurchsetzung aus Sicht der Gesellschaft (Kapitel III. Rn. 953 f.), die Frage, ob es vorteilhaft ist, den Haftungs- und/oder den Deckungsprozess als Schiedsverfahren durchzuführen (Kapitel IV. Rn. 982 ff.) sowie die Frage, wie das Verhältnis zwischen Organmitglied und Versicherer bei der Anspruchsabwehr aussehen kann (Kapitel V. Rn. 991 ff.). III. Perspektive der Gesellschaft: Drei Wege der Anspruchsdurchsetzung 953 Nach der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung des BGH haben die zuständigen Organe der Gesellschaft Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung bei der Entscheidung der Frage, ob sie Schadensersatzansprüche gegen ein Organmitglied geltend machen, grundsätzlich eine zweistufige Prüfung zu vollziehen. Auf der ersten Stufe ermitteln sie die materiell-rechtlichen Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme und prognostizieren, ob und in wel___________ 1525) Vgl. Lange, in: Veith/Gräfe/Gebert, § 21 Rn. 57. 1526) Die D&O-Versicherung wurde zunächst nur mit diversen Spielarten an Innenverhältnisausschlüssen angeboten. Nach der Reform des VVG zum 1.1.2008 wurde der Direktanspruch in der D&O-Versicherung aufgrund der Missbrauchsgefahren als unzulässig bezeichnet. Ihre jüngste Fortsetzung haben die Versuche, die (vermeintliche) Manipulationsanfälligkeit der D&O-Versicherung in den Griff zu bekommen, in zwei Urteilen des OLG Düsseldorf (vgl. dazu Rn. 960 ff.) zum Erfordernis einer „ernstlichen Inanspruchnahme“ gefunden. Dagegen jetzt BGH VersR 2016, 786, 790.
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E. D&O-Streitigkeiten
cher Höhe potentiell bestehende Ansprüche durchsetzbar wären.1527) Für diese Prognose spielt es regelmäßig eine entscheidende Rolle, ob die Gesellschaft über eine D&O-Versicherung verfügt, die für die potentiellen Schadensersatzansprüche einstandspflichtig wäre.1528) Auf der zweiten Stufe prüfen sie, ob es Gründe gibt, die es rechtfertigen, von einer Inanspruchnahme abzusehen, obwohl die Prozessrisikoanalyse auf der ersten Stufe ergeben hat, dass der Gesellschaft voraussichtlich Schadensersatzansprüche gegen das Organmitglied zustehen.1529) Die Organe haben insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen. Inwieweit das Ermessen des Aufsichtsrats einer AG reicht und ob die Entscheidung justitiabel ist, ist dabei sehr umstritten.1530) Hat sich die Gesellschaft zur Inanspruchnahme ihres Organmitglieds ent- 954 schieden, ist im Regelfall jedenfalls dessen schriftliche Inanspruchnahme notwendig, um den Versicherungsfall auszulösen. Im Anschluss daran wird die Gesellschaft meist außergerichtlich ausloten, ob auf Seiten des Organmitglieds und der Versicherer die Bereitschaft zu einer außergerichtlichen Vereinbarung über die Schadenskompensation besteht. Scheitern diese Verhandlungen, wird die Gesellschaft prüfen, welcher Weg zur Realisierung der Einstandspflicht von Organmitglied und Versicherern aus ihrer Sicht im jeweiligen Einzelfall am günstigsten ist. Zur Anspruchsdurchsetzung kommen dabei grundsätzlich drei Wege in Betracht: 1. Rechtskräftige Feststellung der Haftung vor Entscheidung über die Deckung Dem Trennungsprinzip entsprechend besteht der übliche Weg für die Ge- 955 sellschaft bei Innenhaftungsansprüchen darin, den Schadensersatzanspruch gegen ihr Organmitglied zunächst im Haftungsprozess rechtskräftig feststellen zu lassen, bevor sie in einem zweiten Schritt den D&O-Versicherer auf Basis des rechtskräftigen Urteils gegen das Organmitglied auf Zahlung in Anspruch nehmen kann. Dieser Regressweg birgt anders als die beiden nachfolgend diskutierten 956 Möglichkeiten keine rechtlichen Risiken hinsichtlich seiner Zulässigkeit, kann aber in der Praxis erhebliche Nachteile haben. Die Feststellung der Haftung in einem öffentlichen Rechtsstreit ist unter Umständen langwierig und öffentlichkeitswirksam. Sie kann damit die Reputation des Unternehmens wie der Organmitglieder nachhaltig beschädigen. Sofern die deckungsrechtliche Situation nicht eindeutig ist, besteht außerdem das Risiko, dass die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum Ressourcen im Unternehmen bin___________ 1527) Vgl. z. B. Goette, in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 379 ff. 1528) Goette, in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 386. 1529) BGH NJW 1997, 1926, 1928 = ZIP 1997, 883. 1530) Vgl. z. B. LG Essen NZG 2012, 1307 ff. = ZIP 2012, 2061; J. Koch, NZG 2014, 934 ff.; Goette, in: Gedächtnisschrift Martin Winter, 2011, 153 ff.; ders., in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 377 ff.; Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832 ff.
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det und erhebliche Kosten aufwendet, ohne die Haftungsansprüche am Ende tatsächlich durchsetzen zu können, wenn der D&O-Versicherer für sie letztlich nicht einstandspflichtig ist. 2. Company Reimbursement 957 Aufgrund dieser Nachteile bevorzugt die Gesellschaft in der Regel eine direkte Auseinandersetzung mit dem D&O-Versicherer. Häufig wird dabei diskutiert, ob die Gesellschaft mittels einer Anwendung der sog. Company Reimbursement-Klausel,1531) die in D&O-Policen üblicherweise enthalten ist, eine solche direkte Auseinandersetzung aus eigenem materiellen Recht herbeiführen kann. Die Company-Reimbursement-Klausel bewirkt grundsätzlich eine Verlagerung des deckungsrechtlichen Anspruchs vom Organmitglied auf die Gesellschaft für den Fall, dass das Organmitglied nicht (zuerst) durch den Versicherer, sondern durch die Gesellschaft vom Haftungsanspruch eines Dritten, also einem Außenhaftungsanspruch, freigestellt wird.1532) Die in der Praxis verwendeten Company-Reimbursement-Klauseln sind allerdings unterschiedlich gefasst und werfen häufig Auslegungsprobleme auf. Teilweise setzen sie allein voraus, dass die Gesellschaft das Organmitglied entlastet, einen Vergleich mit ihm schließt, es freistellt oder auf berechtigte Ansprüche verzichtet. Damit stellt sich die Frage, ob auch bei Innenhaftungsansprüchen die Möglichkeit besteht, das Organmitglied von einer bestehenden Schadensersatzpflicht freizustellen, um anschließend aus eigenem materiellen Recht in Höhe der Versicherungssumme gegen den D&O-Versicherer vorzugehen. Diese Frage ist bislang nicht abschließend geklärt.1533) 958 Selbst wenn sich die in den jeweiligen D&O-Bedingungen enthaltene Klausel im Einzelfall so auslegen lässt, dass auch Innenhaftungsansprüche von ihr erfasst werden, ist ihre Anwendung auf Basis der derzeitigen Rechtslage mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden: 959 Für den Abschluss eines Vergleichs mit dem Organmitglied ist neben der bei Aktiengesellschaften erforderlichen Zustimmung der Hauptversammlung die Zustimmung des D&O-Versicherers erforderlich. Dass ein D&O-Versicherer, der nicht bereit ist, Haftungs- und Deckungsansprüche in einem Gesamtvergleich zu erledigen, einem Haftungsvergleich zustimmt, der das Ziel hat, direkte Ansprüche der Gesellschaft gegen ihn selbst zu ermöglichen, ist ___________ 1531) Beispiel: Ziff. 1.2 AVB-AVG (Musterbedingungen des GdV, derzeit in der Fassung vom Mai 2013). 1532) Lange, D&O-Versicherung, § 20 Rn. 3. 1533) Bejahend Gruber/Mitterlechner/Wax, D&O-Versicherung, § 4 Rn. 16; ablehnend Lange, D&O-Versicherung, § 20 Rn. 25. Seit kurzem finden sich teilweise Klauseln, die einen Direktanspruch der Gesellschaft bei Innenhaftungsfällen ausdrücklich ermöglichen sollen. Derartige Erweiterungen der Side B-Deckung stellen derzeit aber die Ausnahme dar.
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regelmäßig nicht zu erwarten.1534) Wird der Haftungsvergleich trotz fehlender Zustimmung geschlossen, ist der D&O-Versicherer nur in dem Umfang zur Leistung verpflichtet, wie es der Fall wäre, wenn der Vergleich mit dem Organmitglied nicht geschlossen worden wäre.1535) Die Gesellschaft müsste in einem Rechtsstreit mit dem Versicherer damit nach wie vor nachweisen, dass neben dem Deckungsanspruch gegen den D&O-Versicherer auch der behauptete Haftungsanspruch gegen das Organmitglied besteht. Insoweit ist bislang nicht geklärt, wem im Direktprozess zwischen Gesellschaft und Versicherer die Beweislast für den Nachweis der schuldhaften Pflichtverletzung obliegt.1536) Diese trifft im Haftpflichtprozess grundsätzlich das Organmitglied, das jedoch am Prozess zwischen Gesellschaft und D&O-Versicherer nicht als Partei beteiligt ist. Die direkte Auseinandersetzung mit dem D&OVersicherer birgt also für die Gesellschaft die Gefahr einer verschlechterten Beweislastsituation. Die von ihr häufig verfolgte Absicht, die Auseinandersetzung mit dem (ehemaligen) Organmitglied möglichst schnell zu beenden, lässt sich auf diesem Weg ebenfalls nur sehr bedingt realisieren, da das Organmitglied als Zeuge am Prozess beteiligt und dem Versicherer aufgrund der bestehenden Auskunftsobliegenheiten auch zur Mitwirkung an der Haftungsabwehr verpflichtet ist. Gebannt scheint dagegen mittlerweile das weitere Risiko, dass der D&O- 960 Versicherer bei Abschluss eines Haftungsvergleichs vor einer formellen Inanspruchnahme des Organmitglieds unter Bezugnahme auf zwei sehr umstrittene Entscheidungen des OLG Düsseldorf1537) bereits das Bestehen eines Versicherungsfalls verneint. Ein Versicherungsfall liegt nach § 100 VVG grundsätzlich vor, wenn ein Dritter Schadensersatzansprüche geltend macht. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des BGH erfüllt, wenn sich der Dritte oder die Gesellschaft dazu entschlossen haben, gerade gegen die versicherte Person Schadenersatzansprüche geltend zu machen, und er bzw. sie diesen Entschluss in einer Art und Weise zu erkennen gibt, die von der versicherten Person als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme verstanden werden kann.1538) Damit wird vor allem die Abgrenzung einer Inanspruchnahme von anderen Aufforderungen bezweckt, wie etwa dem Verlangen, einen ___________ 1534) Anders ist dies, wenn die jeweiligen Klauseln ganz bewusst so gefasst sind, um einen Direktanspruch der Gesellschaft bei Innenhaftungsfällen zu ermöglichen, vgl. Fn. 1532. 1535) Vgl. z. B. Bruck/Möller/R. Koch, VVG, § 106 Rn. 30. 1536) Vgl. zum Streitstand zur Beweislastverteilung beim Direktanspruch Bruck/Möller/ Baumann, VVG, Ziff. 10 Rn. 49; Grooterhorst/Looman, NZG 2015, 215, 217 f. 1537) OLG Düsseldorf VersR 2013, 1522, 1523 f. sowie RuS 2014, 122, 123 mit kritischer Anmerkung von Schimikowski. Vgl. dazu etwa R. Koch, VersR 2013, 1525 ff.; Sieg, ZWH 2014, 124 ff.; Staudinger/Richters, BB 2013, 2725 ff.; Lenz/Weitzel, PHi 2013, 170 ff. Gegen diese Entscheidungen des OLG Düsseldorf nunmehr BGH VersR 2016, 786 ff. (IV ZR 304/13), sowie die weitere, gleichlautende Entscheidung des BGH BeckRS 2016, 07881 (IV ZR 51/14). Beide BGH-Entscheidungen lagen bei Abschluss des Typoskripts dieses Artikels noch nicht vor. 1538) BGH RuS 2004, 411, 412.
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Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu erklären, bei dem sich die Frage stellt, ob es konkludent bereits eine Inanspruchnahme enthält.1539) Die AVB der D&O-Versicherer definieren den Versicherungsfall regelmäßig als schriftliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen ein Organmitglied aufgrund einer Organpflichtverletzung. Weitere Voraussetzungen bestehen nicht. 961 Diese schriftliche Geltendmachung reicht vom Auslegungshorizont eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers aus, um die Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme nachzuweisen, sie jedenfalls zu indizieren.1540) Das OLG Düsseldorf ist hingegen der Auffassung, dass die Antwort auf die Frage, ob eine ernstliche Inanspruchnahme vorliegt, über die schriftliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs hinaus einer tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unterliegen soll. Es stipuliert damit eine zusätzliche Voraussetzung, die in den Versicherungsbedingungen keine Grundlage findet und die Feststellung des Versicherungsfalls zu einer Billigkeitsprüfung anhand von teilweise wenig überzeugenden Kriterien1541) macht, bei der – anders als im Rahmen von § 242 BGB – denjenigen die Beweislast trifft, der zur Verfügung über den deckungsrechtlichen Freistellungsanspruch berechtigt ist (d. h. Gesellschaft oder Organmitglied). Das Motiv des OLG Düsseldorf, potentielle Fälle einer freundlichen Inanspruchnahme, insbesondere in Fällen, in denen die versicherte Person ihren Freistellungsanspruch gegen den D&O-Versicherer an die Gesellschaft abgetreten hat, zu unterbinden, ist zwar nachvollziehbar. Der gewählte systematische Ansatz schießt allerdings über das Ziel hinaus. Dies hat der BGH in seinen kürzlich ergangenen Revisionsentscheidungen zu den beiden Entscheidungen des OLG Düsseldorf deutlich herausgearbeitet.1542) Einzelfälle von freundlicher Inanspruchnahme lassen sich mit § 242 BGB – mit entsprechender Verteilung der Beweislast – begegnen, wie es auch sonst im Zivilrecht bei missbräuchlichem Verhalten der Fall ist. 3. Direktanspruch 962 Die Gesellschaft kann ihren D&O-Versicherer nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur1543) direkt auf Zahlung in Anspruch ___________ 1539) Weitere Beispiele z. B. bei Römer/Langheid/Rixecker/Langheid, VVG, § 100 Rn. 28. 1540) R. Koch, VersR 2013, 1525, 1526. Der BGH VersR 2016, 786, 790, geht ebenfalls davon aus, dass bereits die schriftliche Inanspruchnahme die Ernstlichkeit nachweist, ohne dass es auf die dahinter stehende Motivation ankommt; vgl. dazu R. Koch, VersR 2016, 765, 766. 1541) Vgl. dazu die Gründe des OLG Düsseldorf VersR 2013, 1522, 1524 f. 1542) BGH VersR 2016, 786, 790, dazu. R. Koch, VersR 2016, 765, 766. 1543) Vgl. BGH VersR 2016, 786, 788 f., aus der Literatur z. B. Bruck/Möller/Baumann, VVG, Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 8 ff., 31; MünchKomm-VVG/Wandt, § 108 Rn. 108; Prölss/Martin/Lücke, VVG, § 108 Rn. 8, Terno, SpV 2014 2, 5 ff.; Klimke, RuS 2014 105, 114 f.; Grooterhorst/Looman, NZG 2015, 215, 216; Lange, D&O-Versicherung, § 21 Rn. 8 ff.; grundsätzlich auch Bruck/Möller/R. Koch, VVG, § 100 Rn. 160 ff.; ablehnend z. B. Armbrüster, RuS 2010, 441, 448; Schimmer, VersR 2008, 875, 877 f.
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nehmen, wenn ihr das Organmitglied seine Ansprüche aus der D&O-Versicherung abtritt. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, zunächst einen Haftpflichtprozess gegen das Organmitglied zu führen, um Ersatzansprüche gegen die Versicherer feststellen zu lassen. Vielmehr werden Haftung und Deckung in einem Prozess gegen den D&O-Versicherer geklärt. Dieser Umstand verleitet die betroffenen Organmitglieder häufig zu der unrealistischen Erwartung, dass die Angelegenheit mit der Abtretung ihrer Freistellungsansprüche für sie erledigt sei und Gesellschaft und Versicherer die Frage der Schadenskompensation „unter sich ausmachen“. Das Organmitglied ist zwar nicht Partei des Direktprozesses und damit weniger im Fokus, bleibt aber natürlich ein wichtiger Zeuge.1544) Es ist außerdem aufgrund der fortbestehenden Obliegenheiten gegenüber dem D&O-Versicherer zur Mitwirkung und Auskunft bei der Haftungsabwehr verpflichtet. Darüber hinaus stellen sich im Einzelnen schwierige rechtliche Fragen zu den Rechtsfolgen, wenn die Gesellschaft die Deckungsansprüche an das Organmitglied rückabtritt (was sie sich meist ausdrücklich vorbehält) oder sie sich aus den Deckungsansprüchen nicht befriedigen kann.1545) Voraussetzungen und Wirkung der Abtretung und des daraus folgenden Di- 963 rektanspruchs sind in fast allen Einzelheiten umstritten.1546) Im Folgenden werden nur drei, bislang nicht oder nur am Rande diskutierte Probleme aufgegriffen: a) Abtretung bei Verfügungsbefugnis der Gesellschaft Nach mittlerweile überwiegender Auffassung1547) kann das versicherte Or- 964 ganmitglied den ihm zustehenden deckungsrechtlichen (Freistellungs-)Anspruch gegen den D&O-Versicherer an die Gesellschaft abtreten und dieser damit ein direktes Vorgehen gegen den D&O-Versicherer ermöglichen. Teilweise wird allerdings danach differenziert, ob die Gesellschaft (als Versicherungsnehmerin) gemäß der zugrunde liegenden D&O-Police über den Freistellungsanspruch verfügen kann.1548) Eine Abtretung der Versicherungsnehmerin an sich selbst soll dann unzulässig sein.1549) Das ist jedoch nicht überzeugend. Zum einen ist nicht ersichtlich, weshalb 965 die Gesellschaft schlechtergestellt sein sollte, wenn ihr die Verfügungsbefugnis über die deckungsrechtlichen Ansprüche des Organmitglieds zusteht, als ___________ 1544) Vgl. bereits oben Abschnitt III. 2. Rn. 957. 1545) Vgl. dazu im Einzelnen z. B. Baumann, VersR 2010, 984, 989 ff.; Lange, RuS 2011, 185, 196 f.; Grooterhorst/Looman, NZG 2015, 215, 219 f.; Armbrüster, RuS 2010, 441, 450 f. 1546) Vgl. die Darstellung bei Lange, D&O-Versicherung, § 21 Rn. 8 ff. Die Entscheidung des BGH VersR 2016, 786 ff., thematisiert einen Teil dieser Streitpunkte und dürfte insoweit klärende Wirkung haben. 1547) Vgl. oben Fn. 1542. 1548) Bruck/Möller/R. Koch, VVG, § 100 Rn. 160 ff., insb. Rn. 163. 1549) Bruck/Möller/R. Koch, VVG, § 100 Rn. 163.
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wenn diesem die Verfügungsbefugnis in Abweichung von der gesetzlichen Ausgangslage eingeräumt wurde. Zum anderen kann das Organmitglied nach § 44 Abs. 2 VVG trotz fehlender vertraglicher Einräumung über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügen, wenn die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin der Verfügung zustimmt (Alt. 1) oder das Organmitglied im Besitz des Versicherungsscheins ist (Alt. 2). Die Gesellschaft kann einer Verfügung des Organmitglieds über seinen Freistellungsanspruch also zunächst zustimmen und dieses den Freistellungsanspruch anschließend an die Versicherungsnehmerin abtreten. Damit ist die Abtretung des Freistellungsanspruchs auch bei Verfügungsbefugnis der Gesellschaft möglich. b) Erforderlichkeit einer Zustimmung der Hauptversammlung bei der AG 966 Nach ganz überwiegend vertretener Auffassung erfolgt die Abtretung des deckungsrechtlichen Anspruchs grundsätzlich erfüllungshalber (vgl. § 364 Abs. 2 BGB) und soll als solche zumindest mit der stillschweigenden Vereinbarung verbunden sein, dass die Gesellschaft ihren Schaden zunächst mittels einer Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs gegen den D&O-Versicherer zu kompensieren sucht und nur dann (wieder) gegen das Organmitglied vorgeht, wenn die Durchsetzung dieses Anspruchs fehlgeschlagen ist.1550) Diese stillschweigende Vereinbarung wird in der versicherungsrechtlichen Literatur als pactum de non petendo betrachtet.1551) In der Kommentarliteratur zum bürgerlichen Recht ist allerdings umstritten, ob die Leistung erfüllungshalber zu einer Stundung oder einem pactum de non petendo führt.1552) Die Wirkung eines pactum de non petendo wird ebenfalls nicht einheitlich beurteilt.1553) 967 Sowohl eine Stundung1554) des Anspruchs der Gesellschaft als auch ein pactum de non petendo1555) bedürfen nach der aktienrechtlichen Literatur grundsätzlich der Zustimmung der Hauptversammlung. Damit stellt sich die Frage, ob für die Abtretung der deckungsrechtlichen Ansprüche des Organmitglieds auf___________ 1550) Bruck/Möller/R. Koch, VVG, § 108 Rn. 63; Lange, RuS 2011, 185, 188; Prölss/ Martin/Lücke, VVG, § 108 Rn. 27; Hösker, VersR 2013 952, 956; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, S. 464; Baumann, VersR 2010, 984, 989. 1551) Lange, RuS 2011 185, 188; Grooterhorst/Looman, NZG 2015, 215, 220; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, S. 464 (Fn. 144). 1552) Vgl. die unterschiedlichen Auffassungen von Palandt/Grüneberg, BGB, § 364 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Fetzer, § 364 Rn. 13, Staudinger/Olzen, BGB, Neubearbeitung 2011, § 364 Rn. 28, jeweils mit weiteren Verweisen auf die Rechtsprechung des BGH. 1553) Für vorübergehenden Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung z. B. MünchKomm-BGB/Fetzer, § 364 Rn. 13; Palandt/Ellenberger, BGB, § 205 Rn. 2; Palandt/Grüneberg, BGB, § 271 Rn. 13, § 397 Rn. 4; für vorübergehenden Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung MünchKomm-BGB/Grothe, § 205 Rn. 5. 1554) Vgl. etwa GroßkommAktG/Hopt, 4. Aufl., § 93 Rn. 375 m. w. N.; Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 309; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 287; MünchKomm-AktG/ Spindler, § 93 Rn. 261. 1555) Hölters/Hölters, AktG, § 93 Rn. 309; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 171; Spindler/ Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 287.
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grund der in ihr enthaltenen Abrede (Stundung oder pactum de non petendo) ebenfalls die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist. Richtigerweise ist diese Frage zu verneinen: aa) Leistung erfüllungshalber Die Leistung erfüllungshalber führt nicht zum Erlöschen des ursprünglichen 968 Anspruchs. Sie gewährt dem Gläubiger lediglich bei Weiterbestehen der bisherigen Forderung eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit. Welche Rechte der Gläubiger hinsichtlich des erfüllungshalber geleisteten Gegenstands im Einzelnen erwirbt und welcher Rechte er sich hinsichtlich des ursprünglichen Anspruchs begibt, hängt grundsätzlich von der Auslegung der getroffenen Verwertungs- und Tilgungsabrede ab.1556) Wird im Rahmen der Abtretung des deckungsrechtlichen Freistellungsan- 969 spruchs keine explizite Regelung zum Umgang mit dem Haftungsanspruch getroffen, ist von einem pactum de non petendo in Form eines zeitlich befristeten Verzichts auf die gerichtliche Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen das Organmitglied auszugehen. Die Abtretung des deckungsrechtlichen Anspruchs durch das Organmitglied ist nicht darauf gerichtet, die Fälligkeit des Haftungsanspruchs bei verbleibender Erfüllbarkeit hinauszuschieben, ihn also zu stunden.1557) Es geht vielmehr um ein Stillhalteabkommen. Dabei kann dem pactum de non petendo nicht die Wirkung eines zeitlich befristeten Verzichts der Gesellschaft auf die Geltendmachung des Organhaftungsanspruchs beigemessen werden. Ein solcher Verzicht würde sich nämlich auch auf die außergerichtliche Geltendmachung der Haftungsansprüche beziehen, was dazu führte, dass während dieser Zeit keine Inanspruchnahme des Organmitglieds und damit kein Versicherungsfall vorläge. Konsequenterweise bestünde dann aber auch kein Freistellungsanspruch des Organmitglieds, der nach Abtretung an die Gesellschaft einen Zahlungsanspruch gegen die D&O-Versicherer begründen könnte. Die Abtretung kann also nur einen zeitlich befristeten Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen das Organmitglied beinhalten. bb) Parallele zu § 50 AktG Nach der Kommentarliteratur zu § 50 AktG löst die Leistung erfüllungshalber 970 keine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung aus, sofern der Wert dieser Leistung nicht hinter dem Wert des ursprünglichen Anspruchs zurückbleibt.1558) Anders wird die Sachlage bei einer Stundung oder einem pactum de non petendo des ursprünglichen Anspruchs ohne eine Leistung erfüllungs___________ 1556) Vgl. die in Fn. 1552 genannten Nachweise. 1557) Vgl. zur Definition der Stundung etwa BGH NJW 1998, 2060, 2061. 1558) MünchKomm-AktG/Pentz, § 50 Rn. 13; GroßkommAktG/Ehricke, 4. Aufl., § 50 Rn. 17; GroßkommAktG/Hopt, 4. Aufl., § 93 Rn. 375; KK-AktG/Arnold, 3. Aufl., § 50 Rn. 9; KK-AktG/Kraft, 2. Aufl., § 50 Rn. 9.
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halber beurteilt: Im Fall einer Stundung sei die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich, wenn die „Gesellschaft für längere Zeit auf die Geltendmachung des Anspruchs verzichtet“.1559) Dies führe zu Zinsverlusten, die den Barwert der Forderung schmälerten.1560) Umstritten ist dabei, ob auch eine kurzzeitige Stundung in den Anwendungsbereich des § 50 AktG fällt.1561) Das Zustimmungserfordernis bei einem pactum de non petendo wird meist ohne nähere Begründung bejaht.1562) 971 Diese unterschiedliche Behandlung lässt sich durch die bei der Leistung erfüllungshalber bestehende Verpflichtung des Gläubigers erklären, zunächst Befriedigung aus dem erfüllungshalber hingegebenen Gegenstand zu suchen. Der Anspruch des Gläubigers bleibt in voller Höhe bestehen, der Vermögenswert ist der Gesellschaft also nicht entzogen, in seiner Realisierung richtet er sich nun jedoch zunächst auf den erfüllungshalber hingegebenen Gegenstand. Als Reflex aus seiner auftragsähnlichen1563) Verpflichtung hierzu ist die Realisierung der Forderung zugleich auf den erfüllungshalber hingegebenen Gegenstand begrenzt und im Übrigen temporär ausgesetzt. Dieser Umstand unterscheidet die Sachlage bei der Leistung erfüllungshalber von der Sachlage bei einer Stundungsabrede oder der Vereinbarung eines pactum de non petendo ohne derartige Leistung. In diesen Fällen fehlt es an einem zusätzlich zum Zwecke der Befriedigung des Anspruchs hingegebenen Gegenstand, vielmehr wird allein das Recht der Gesellschaft, den Anspruch geltend zu machen, für die Dauer der Stundung oder des pactum de non petendo ausgeschlossen. cc) § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG 972 Auf Basis einer Parallele zu § 50 AktG entfällt auch im Rahmen von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG die Zustimmungspflicht der Hauptversammlung zur Abtretung des dem Organmitglied zustehenden deckungsrechtlichen Anspruchs an die Gesellschaft. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Organhaftungsanspruch betragsmäßig höher als die zur Verfügung stehende Versicherungssumme ist: Der Gläubiger, der auf den Haftungsanspruch, d. h. einen teilbaren Zahlungsanspruch, eine deckungsrechtliche Forderung im maximalen Wert der Versicherungssumme hin erfüllungshalber annimmt, will auch nur in Höhe der Versicherungssumme die Durchsetzung seines Zahlungsanspruchs temporär aussetzen, um sich insoweit aus der erfüllungshalber hingegebenen Forderung zu befriedigen. Die Reichweite des pactum de non petendo ist vorsorglich in der Abtretungsvereinbarung zu regeln. ___________ 1559) KK-AktG/Arnold, 3. Aufl., § 50 Rn. 12; KK-AktG/Kraft, 2. Aufl., § 50 Rn. 12. 1560) KK-AktG/Arnold, 3. Aufl., § 50 Rn. 12; KK-AktG/Kraft, 2. Aufl., § 50 Rn. 12. 1561) Dafür KK-AktG/Arnold, 3. Aufl., § 50 Rn. 12; dagegen GroßkommAktG/Ehricke, 4. Aufl., § 50 Rn. 20; KK-AktG/Arnold, 3. Aufl., § 50 Rn. 12; KK-AktG/Kraft, 2. Aufl., § 50 Rn. 12. 1562) Vgl. z. B. MünchKomm-AktG/Penz, § 50 Rn. 13 sowie oben Fn. 1554. 1563) MünchKomm-BGB/Fetzer, § 364 Rn. 12.
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E. D&O-Streitigkeiten
Gegen eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung spricht darüber hin- 973 aus, dass der Organhaftungsanspruch nach Abtretung des deckungsrechtlichen Anspruchs und dessen direkter Geltendmachung im Verfahren gegen die D&O-Versicherer inzident geprüft wird. Er wird also nur in anderer Gestalt durchgesetzt; denn der deckungsrechtliche Anspruch setzt voraus, dass der Organhaftungsanspruch begründet ist. Auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtung ist diese Lösung überzeugend. 974 Durch die Abtretung des deckungsrechtlichen Anspruchs wird der Gesellschaft kein Vermögen entzogen. Das pactum de non petendo soll vielmehr gerade die Durchsetzung des deckungsrechtlichen Anspruchs gegen die D&OVersicherer ermöglichen, die in der Regel den Haftungsanspruch gegen das versicherte Organ erst substantiell werthaltig machen. Sofern diese Ansprüche nicht durchsetzbar sein sollten, erlischt das pactum de non petendo, was dazu führt, dass die ursprünglichen Haftungsansprüche wieder gegen das Organmitglied geltend gemacht werden können. Der in den Organhaftungsansprüchen enthaltene Vermögenswert wird der Gesellschaft damit zu keinem Zeitpunkt entzogen.1564) c) Ordnungsgemäße Vertretung der AG im Prozess Die Frage, wer die AG vertritt, wenn diese einen Direktanspruch gerichtlich 975 geltend macht, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Zuständigkeit des Vorstands unter Bezugnahme auf dessen allgemeine Vertretungszuständigkeit (§ 78 AktG) angenommen.1565) Teilweise wird aus § 112 AktG eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats abgeleitet, die darauf beruhen soll, dass auch bei Inanspruchnahme des D&O-Versicherers im Wege des Direktanspruchs eine Gefahr mangelnder Unbefangenheit des Vorstands bestehe.1566) Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Aufsichtsrat das für die Vertre- 976 tung der Gesellschaft zuständige Organ, wenn bei Vertretung durch den Vorstand eine abstrakte Gefährdung der Interessen der AG vorläge. Ob das der Fall ist, ist durch eine typisierende Betrachtung zu ermitteln; das Vorliegen einer konkreten Gefährdung der Belange der Gesellschaft ist nicht erforderlich.1567) Insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen sprechen dabei für die 977 Zuständigkeit des Vorstands: Der Direktprozess wird formal nicht wie es für eine Anwendung von § 112 AktG erforderlich ist gegen ein Vorstandsmitglied geführt. Verfahrensgegner ist vielmehr der D&O-Versicherer, ___________ 1564) Im Ergebnis ebenso Grooterhorst/Looman, NZG 2015, 215, 220; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, S. 461. 1565) Münchener Anwaltshandbuch VersicherungsR/Sieg, § 17 Rn. 174. 1566) Bruck/Möller/Baumann, VVG, AVB-AVG Ziff. 10 Rn. 48. 1567) Vgl. dazu und zu Nachweisen auf die Rechtsprechung MünchKomm-AktG/Habersack, § 112 Rn. 1.
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das Vorstandsmitglied ist allein als Zeuge am Verfahren beteiligt. Die direkte Inanspruchnahme des D&O-Versicherers setzt außerdem voraus, dass der Aufsichtsrat zuvor die Abtretung der deckungsrechtlichen Ansprüche des versicherten Organmitglieds annimmt und dieses schriftlich in Anspruch nimmt. Ohne vorherige Beteiligung des Aufsichtsrats kann der Direktprozess daher nicht durchgeführt werden; die Geltendmachung der deckungsrechtlichen Ansprüche durch den Vorstand ist damit der Vollzug der durch das vorherige Handeln des Aufsichtsrats eröffneten Möglichkeit eines direkten Vorgehens gegen den D&O-Versicherer. Gegen die Annahme einer abstrakten Gefährdung der Gesellschaftsbelange spricht weiter, dass es im Interesse der Gesellschaft und ihres aktuellen Vorstands liegt, vom Versicherer eine möglichst hohe Deckung des erlittenen Schadens zu erlangen. Schließlich lässt sich die Vertretung durch den Vorstand als konsequente Fortsetzung seiner Zuständigkeit für den Abschluss der D&O-Versicherung1568) ansehen, bei dem er ebenfalls mit den ggf. später gegenläufigen Interessen von Organmitgliedern der Mutter- und Tochtergesellschaften befasst ist. 978 Die für die Annahme einer abstrakten Gefährdung sprechenden Überlegungen resultieren aus den möglichen Konsequenzen der im Direktprozess vorgenommenen inzidenten Haftungsprüfung.1569) Die Prozessführung durch den Vorstand könnte dann beeinträchtigt sein, wenn im Falle einer Haftung Regressansprüche des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds gegen weitere Vorstandsmitglieder im Rahmen eines Gesamtschuldnerinnenausgleichs in Betracht kämen. Denkbar wäre dies zunächst für Haftungsansprüche, die die Versicherungssumme übersteigen. Derartige Ansprüche werden allerdings im Direktprozess, der auf Zahlung der Versicherungssumme gerichtet ist, nicht geltend gemacht. Sollten sie bestehen und nach der Beitreibbarkeitsanalyse des Aufsichtsrats1570) durchsetzbar sein, wären sie Gegenstand eines separaten Prozesses; ggf. hätte sich die Gesellschaft dann auch für einen anderen Regressweg zu entscheiden. Deckt die Versicherungssumme den Schaden der Gesellschaft vollständig ab, geht ein potentieller Regressanspruch des in Anspruch genommenen Organmitglieds bei bestehender Einstandspflicht des Versicherers auf diesen über (§ 86 VVG). Ein Regress des D&O-Versicherers (und damit auch eine potentielle Streitverkündung) gegen ein weiteres Organmitglied wäre nur dann denkbar, wenn dieses nicht seinerseits unter der Police des D&O-Versicherers versichert, sondern der Versicherungsschutz ausgeschlossen wäre,1571) z. B. aufgrund einer wissentlichen Pflichtverletzung. Dass ein einzelnes Organmitglied imstande ist, die Prozessführung im Direktprozess zu beeinflussen, um eine potentielle eigene wissentliche Pflichtverletzung zu kaschieren, die zudem im Regelfall aufgrund der Haftungsana___________ 1568) Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 234; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 48 ff. 1569) Vgl. auch Gruber/Mitterlechner/Wax, D&O-Versicherung, § 10 Rn. 52. 1570) Goette, in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 386. 1571) Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, § 86 Rn. 22, auch 27, 31.
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lyse des Aufsichtsrats bereits bekannt sein wird, erscheint zu hypothetisch, um daraus eine abstrakte Gefährdung der Interessen der AG und damit eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den Direktprozess abzuleiten. Teilweise wird die Zuständigkeit des Aufsichtsrats qua abstrakter Gefähr- 979 dungslage damit begründet, dass die Gesellschaft oder der D&O-Versicherer eine Zwischenfeststellungs(wider)klage auf Bestehen oder Nichtbestehen des Haftungsanspruchs gegen das Vorstandsmitglied erheben könnte „und damit jedenfalls faktisch eine erhebliche Ausstrahlungswirkung“ für dessen Schadensersatzpflicht verbunden sei.1572) Auch dieses Argument überzeugt nicht. Einerseits ist nicht ersichtlich, inwiefern das Zwischenurteil, das eine Bindungswirkung inter partes, d. h. zwischen Gesellschaft und D&O-Versicherer, über das Haftpflichtverhältnis zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied erzeugt, ein zusätzliches Argument zur Beurteilung der potentiellen abstrakten Gefährdungslage liefern soll; für letztere ist es inhaltlich irrelevant, ob die inzidente Haftungsprüfung auch in Rechtskraft erwächst. Eine grundsätzlich mögliche Erstreckung1573) der Zwischenfeststellungsklage auf das betroffene Vorstandsmitglied ist jedenfalls aufgrund des pactum de non petendo nicht zulässig.1574) Andererseits erscheint es nur schwer nachvollziehbar, inwiefern eine mögliche „faktische Ausstrahlung“, die sich nur auf einen Folgeprozess zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied beziehen kann, eine abstrakte Gefährdungslage für den (vorgelagerten) Deckungsprozess begründen soll. Die besseren Gründe sprechen daher für die Zuständigkeit des Vorstands.1575) 980 Wird die Gesellschaft im Prozess durch den Vorstand vertreten und dies – anders als hier vertreten – vom angerufenen Gericht als Vertretungsmangel angesehen, ist eine Heilung des Fehlers dadurch möglich, dass der Aufsichtsrat die Prozessführung des Vorstands genehmigt und als gesetzlicher Vertreter in den Prozess eintritt.1576) Im umgekehrten Fall, wenn also der Aufsichtsrat die Gesellschaft im Direktprozess vertritt und das zuständige Gericht die An___________ 1572) Bruck/Möller/Baumann VVG, AVB-AVG Ziff. 10 Rn. 48 i. V. m. Baumann, VersR 2010, 984, 990 f. 1573) MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, § 256 Rn. 84. 1574) Es fehlt schon am Abhängigkeitsverhältnis i. S. v. § 256 Abs. 2 ZPO, da das Haftungsverhältnis zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied zwar präjudiziell für die Beurteilung des Zahlungsanspruchs der Gesellschaft gegenüber dem D&O-Versicherer ist, aber es für eine entsprechende Zwischenfeststellungsklage keiner Parteierweiterung bedarf. Das in diesem Fall erforderliche Feststellungsinteresse scheidet wegen des Vorrangs der Leistungsklage aus. In jedem Fall dürfte die Parteierweiterung aber am pactum de non petendo scheitern, womit das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlte. Das Organmitglied selbst kann, selbst wenn es per Nebenintervention beitreten sollte, keine Zwischenfeststellungswiderklage erheben. Vgl. zu den prozessualen Grundsätzen MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, § 256 Rn. 33, 84. 1575) Im Ergebnis ebenso Münchener Anwaltshandbuch VersicherungsR/Sieg, § 17 Rn. 174. 1576) Vgl. z. B. BGH WM 2009, 702, 703 = ZIP 2009, 717.
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wendbarkeit von § 112 AktG ablehnen sollte, muss das Gleiche gelten. Die Heilungsmöglichkeit besteht auch im Schiedsverfahren.1577) 981 Ob derartigen Zuständigkeitsproblemen von vornherein mit einer Doppelvertretung von Aufsichtsrat und Vorstand begegnet werden kann, ist unklar. Das AktG sieht eine solche Doppelvertretung ausdrücklich bei Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen vor (vgl. §§ 246 Abs. 2 Satz 2, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Damit soll eine Kollusion von klagendem Aktionär und Vorstand vermieden werden.1578) Dass das AktG eine solche Doppelvertretung nur in den genannten Fällen vorsieht, könnte allerdings im Umkehrschluss auch dafür sprechen, dass sie in anderen Fällen gerade nicht zulässig sein soll.1579) Diese Ambiguität zeigt sich an ihrer unterschiedlichen Beurteilung im Freigabeverfahren zur Aufhebung der Registersperre eines angefochtenen Squeeze-Out-Beschlusses (§§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG) durch verschiedene Oberlandesgerichte.1580) Das OLG Hamm hat allerdings auch angenommen, dass eine unzulässige Doppelvertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat die Prozesshandlungen des zuständigen Organs nicht unwirksam werden lässt, sondern dessen Handlungen als wirksame Vertretung der Gesellschaft anzusehen sind.1581) IV. D&O-Streitigkeiten als Schiedsverfahren? 982 D&O-Streitigkeiten betreffen häufig sensible Themen und berühren Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft, was nahelegt, sie nichtöffentlich im Schiedsverfahren zu verhandeln. Dennoch haben Schiedsverfahren bislang weder in Organhaftungs- noch in Deckungsstreitigkeiten größere praktische Bedeutung erlangt.1582) Als auf Geldzahlungen gerichtete, vermögensrechtliche Ansprüche sind Organhaftungsansprüche gem. § 1030 Abs. 1 ZPO generell tauglicher Gegenstand eines Schiedsverfahrens.1583) Bei der Entscheidung über die Aufnahme einer Schiedsklausel in die Anstellungs- bzw. Versicherungsverträge oder einer späteren Vereinbarung über die Durchführung eines Schiedsverfahrens sind folgende Umstände mit zu berücksichtigen.1584)
___________ 1577) Vgl. OLG Frankfurt/M. BeckRS 2008, 13119, Tz. II. 1578) Vgl. BGH NJW 1960, 1006, 1007; Hölters/Englisch, AktG, § 246 Rn. 36 m. w. N. 1579) In dieser Richtung MünchKomm-AktG/Spindler, § 78 Rn. 18 unter Bezug auf Faßbender, AG 2006, 872: „Zunächst ist festzustellen, dass § 246 Abs. 2 S. 2 als Ausnahmeregelung zu § 78 Abs. 1 grundsätzlich eng auszulegen ist, sodass bereits die Analogiefähigkeit bezweifelt werden kann.“ 1580) Für eine Doppelvertretung OLG Düsseldorf NZG 2004, 328, 328 = ZIP 2004, 359; dagegen und für die Vertretungsbefugnis des Vorstands OLG Hamm BeckRS 2005, 05914. 1581) Vgl. OLG Hamm BeckRS 2005, 05914 Tz. B.I. 1582) Thümmel, in: Festschrift Rolf A. Schütze, 2014, S. 633. 1583) Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 245; Herresthal, ZIP 2014, 345, 346. 1584) Vgl. schon Gädtke/Ruttmann, VP 9/2015, 16 ff.
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1. Vertraulichkeit von Schiedsverfahren Die Vertraulichkeit gehört zu den Vorteilen, die dem Schiedsverfahren üb- 983 licherweise attestiert werden.1585) Sie kann bei Innenhaftungsansprüchen zum einen Reputationsschäden auf Seiten der Gesellschaft oder des betroffenen Organmitglieds durch die Presseberichterstattung über den Schadensfall vorbeugen, zum anderen Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft wahren. Generell sind Organmitglieder zwar über das Ende ihrer Amtszeit hinaus zur Verschwiegenheit verpflichtet.1586) Die Verschwiegenheitsverpflichtung tritt allerdings hinter das berechtigte Interesse des Organmitglieds an einer ordnungsgemäßen Verteidigung gegen die gegen ihn geltend gemachten Haftungsansprüche zurück.1587) Bei einer Austragung des Streits vor ordentlichen Gerichten droht damit eine Veröffentlichung von internen Vorgängen bis hin zu Geschäftsgeheimnissen der Gesellschaft. Dagegen haben bei einem Schiedsverfahren grundsätzlich weder Unbeteiligte Zugang zum Verfahren noch wird der Schiedsspruch oder ein Vergleich veröffentlicht. Grenzen ergeben sich dabei aus den bestehenden Veröffentlichungspflichten der beteiligten Parteien, z. B. aus § 15 WpHG1588) oder im Rahmen der Durchführung der Hauptversammlung.1589) Die Vertraulichkeit kann sich darüber hinaus auch auf die materielle Rechts- 984 lage auswirken, da sie bei der Prüfung von Organhaftungsansprüchen nach Maßgabe der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung des BGH1590) in die Abwägung der für und wider die Inanspruchnahme sprechenden Faktoren einzubeziehen ist. Der Umstand, dass die Gefahr eines Bekanntwerdens von Geschäftsgeheimnissen bzw. einer negativen Presseberichterstattung aufgrund der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren weitaus geringer als in Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist, kann sich gerade bei ungewissen Erfolgsaussichten im Abwägungsprozess zugunsten einer Inanspruchnahme auswirken, d. h. deren Wahrscheinlichkeit erhöhen.1591) Dies gilt gleichermaßen für Inanspruchnahmen von Vorstand oder Aufsichtsrat1592) in der AG wie bei Ansprüchen gegenüber dem Geschäftsführer einer GmbH, mit dem Unterschied, dass deren Gesellschafter grundsätzlich wesentlich freier über die Inanspruch___________ 1585) Vgl. z. B. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rn. 8 ff.; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, Rn. 119 ff. 1586) Vgl. Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 3 Rn. 33; Leuering, NJW 2014, 657, 658. 1587) Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 168; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 133. 1588) Thümmel, in: Festschrift Rolf A. Schütze, 2014, S. 634; Leuering, NJW 2014, 657, 658. 1589) Vgl. zur Befürchtung, die strengen Anforderungen von Vergleich und Verzicht gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG könnten im Schiedsverfahren umgangen werden, Scholz/Weiß, AG 2015, 523 ff. 1590) BGH NJW 1997, 1926, 1928. 1591) So Leuering, NJW 2014, 657, 658. 1592) Spindler/Stilz/Spindler, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 119.
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nahme oder den Verzicht auf sie entscheiden können, als dies in der AG der Fall ist.1593) 985 Bei Außenhaftungsansprüchen nutzt der Dritte die Öffentlichkeit des Verfahrens häufig als Druckmittel und hat daher kein Interesse an der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens.1594) Zudem handelt es sich bei den geltend gemachten Ansprüchen mangels direkter vertraglicher Beziehungen zum jeweiligen Organmitglied im Regelfall um deliktische Ansprüche, weshalb der Abschluss einer Schiedsvereinbarung regelmäßig erst nach Entstehung der jeweiligen Streitigkeit in Betracht kommt. Eine Einigung auf ein institutionelles oder ein Ad-hoc-Schiedsverfahren mit Zustimmung des D&O-Versicherers ist allerdings in einer derartigen Konstellation eher unwahrscheinlich. Sofern das D&O-Versicherungsprogramm der Gesellschaft nicht nur eine Grundversicherung, sondern auch mehrere Exzedentenversicherungen umfasst, und somit eine Vielzahl von D&O-Versicherern zu beteiligen sind, wird ein solcher Verständigungsversuch außerdem regelmäßig zu einem erheblichen Aufwand führen. 986 Bei Deckungsstreitigkeiten wiederum besteht in der Regel auf allen drei Seiten – Gesellschaft, versichertes Organmitglied, Versicherer – ein Interesse an der Wahrung der Vertraulichkeit. Das Interesse des Versicherers gründet sich dabei unter anderem darauf, dass die in der Auseinandersetzung streitigen Klauseln des Versicherungsvertrags häufig in einer Vielzahl von Policen verwendet werden und durch ein Schiedsverfahren ein veröffentlichtes Präjudiz für eine Vielzahl von Vertragsverhältnissen vermieden werden kann.1595) Für die Wahl des Schiedsverfahrens spricht darüber hinaus, dass in Deckungsstreitigkeiten über D&O-Versicherungen die Sachkunde der Schiedsrichter und deren Vertrautheit mit den Regelungstechniken der D&OVersicherung von besonderer Bedeutung ist und dies bei einer Auswahl der Schiedsrichter durch die Parteien (anders als vor ordentlichen Gerichten) sichergestellt werden kann. 2. Regelungen zur Beweislast 987 Teilweise wird als Argument für die Wahl des Schiedsverfahrens als Konfliktlösungsmechanismus angeführt, dass die vielfach als unbefriedigend empfundene Darlegungs- und Beweislast ausgeschiedener Organmitglieder1596) im ___________ 1593) Hasselbach, DB 2010, 2037, 2038; Kleindiek, in: Festschrift Graf von Westphalen, 2010, S. 387, 393. 1594) Thümmel, in: Festschrift Rolf A. Schütze, 2014, S. 633, 636. 1595) Thümmel, in: Festschrift Rolf A. Schütze, 2014, S. 633, 638. 1596) Vgl. zu den Bedenken gegen die Beweislastsituation z. B. Haarmann/Weiß, BB 2014, 2115, 2119; Grooterhorst, AG 2011, 389, 392˺f.; Paefgen, NZG 2009, 891; Bachmann, Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag Hannover 2014, E 24, E 35˺ff., E 122, der sich im Ergebnis jedoch nicht anschließt; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1803 (ohne Entscheidung).
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Schiedsverfahren zumindest teilweise ausgeglichen werden könne. Zwar lässt sich die Darlegungs- und Beweislastumkehr mangels Dispositivität der gesetzlichen Regelungen1597) auch im Schiedsverfahren nicht insgesamt wirksam abbedingen. Die Parteien eines Schiedsverfahrens können sich aber im Rahmen ihrer grundsätzlichen Hoheit über die Verfahrensgestaltung (§ 1042 Abs. 3 ZPO) über die Beweismittel und Beweiserhebungsmethoden einigen.1598) Ihnen steht es daher beispielsweise frei, ein Verfahren hinsichtlich der gegenseitigen Urkundenvorlage (disclosure) zu vereinbaren, um die typische Beweisnot des ausgeschiedenen Organmitglieds zu beseitigen oder das anspruchsstellende Unternehmen bereits in der Schiedsvereinbarung zu verpflichten, im Falle eines Schiedsverfahrens alle Dokumente vorzulegen, die im Zusammenhang mit dem Haftungsfall stehen.1599) Ob ein Wille auf Seiten der Gesellschaft besteht, einer solchen Modifikation der Gesetzeslage zuzustimmen (und sich damit im Falle der Inanspruchnahme eines Vorteils zu begeben), dürfte allerdings zweifelhaft sein. Im Übrigen lässt sich die Beweisnot der Organmitglieder auch über andere Regelungen beheben (z. B. Regeln der sekundären Darlegungs- und Beweislast, Auskunftsobliegenheiten des Unternehmens in den D&O-Versicherungsbedingungen). 3. Nachteile von Schiedsverfahren Neben der für Organmitglieder unter Umständen ambivalenten Wirkung der 988 Vertraulichkeit des Verfahrens hat die Durchführung eines Schiedsverfahrens grundsätzlich den Nachteil, dass wichtige prozessuale Instrumente der Zivilprozessordnung nur dann zur Verfügung stehen, wenn zwischen allen Beteiligten entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden. So sind etwa die Streitverkündung mit Interventionswirkung, die Einbeziehung Dritter in das Verfahren, die Verbindung von Verfahren und die Nebenintervention nur dann möglich, wenn alle Beteiligten ihre Zustimmung erteilen.1600) Bei Organhaftungsstreitigkeiten kann dies durchaus problematisch sein, da die Beteiligung mehrerer Parteien am Verfahren etwa aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung der Geschäftsleitung oder auch aufgrund einer möglichen Nebenintervention des D&O-Versicherers eher die Regel als die Ausnahme ist. Die Anpassung der schiedsverfahrensrechtlichen Regeln an die Erfordernisse eines Organhaftungsstreits ist daher durch entsprechende Vereinbarungen zwischen den Parteien herzustellen.1601) Schiedsabreden für die Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen sind 989 darüber hinaus aufgrund der möglicherweise mit ihnen verbundenen stärke___________ 1597) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 189; für die GmbH: Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rn. 257. 1598) Waclawik, Prozessführung im Gesellschaftsrecht, Rn. 737. 1599) Vgl. Leuering, NJW 2014, 657, 660. 1600) Herresthal, ZIP 2014, 345, 346. 1601) Vgl. im Einzelnen Thümmel, in: Festschrift Rolf A. Schütze, 2014, S. 633, 642; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 148.
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ren Kostenbelastung bzw. der Unterschiede des Schiedsverfahrens gegenüber den ordentlichen Verfahren mit den D&O-Versicherern abzustimmen. Soll die Durchführung eines Schiedsverfahrens nachträglich für einen konkreten Fall zwischen Gesellschaft und Organmitglied vereinbart werden, kann dies bei Bestehen eines umfangreich gelayerten D&O-Programms problematisch und u. U. zu einem langwierigen Vorgang werden.1602) 990 Gerade in komplexen Verfahren kann sich im Übrigen der bekannte Umstand als Nachteil erweisen, dass der Schiedsspruch nur in Ausnahmefällen zum Gegenstand eines weiteren Verfahrens zu dessen Überprüfung gemacht werden kann. Kürzt das Schiedsgericht die relevante Prüfung aus vermeintlichen rechtlichen Gründen ab, ist die rechtliche Handhabe dagegen vergleichsweise gering (vgl. § 1059 ZPO). V. Die Organisation der Anspruchsabwehr durch den D&O-Versicherer 991 Die Organisation der Anspruchsabwehr durch den D&O-Versicherer ist in der Praxis eine häufige Quelle von Auseinandersetzungen zwischen dem Organmitglied und dem D&O-Versicherer bzw. den jeweils tätigen Anwälten. Ihren Ursprung haben diese Streitigkeiten in dem Umstand, dass sich die jeweiligen Befugnisse nicht trennscharf gegeneinander abgrenzen lassen. Besonders deutlich wird dies, wenn mehrere Organmitglieder in Anspruch genommen wurden. 992 Im üblichen Fall, d. h. nach einer Inanspruchnahme des Organmitglieds und einem Vorgehen nach dem Trennungsprinzip, teilen das Organmitglied und der D&O-Versicherer das Interesse an einer möglichst effektiven Haftungsabwehr. Grundsätzlich hat der Versicherer zwar nach überwiegender Auffassung1603) ein Erfüllungswahlrecht: Er kann entweder Rechtsschutz zur Abwehr der Ansprüche gewähren oder aber die versicherte Person sofort von den Ansprüchen freistellen. Dass der Versicherer einen Anspruch von vornherein – etwa auf ein vom Anspruchssteller erstelltes Gutachten hin – erfüllt, ist in der Praxis jedoch selten der Fall; vielmehr übt der Versicherer sein Wahlrecht regelmäßig zugunsten der Haftungsabwehr aus. In diesem Fall gewährt er dem Organmitglied vorläufige Deckung in Form der Übernahme der bei der Verteidigung anfallenden Kosten, die insbesondere für die Tätigkeit des Anwalts anfallen, der das Organmitglied im Rahmen der Anspruchsabwehr berät und vertritt. Das bedeutet, dass er seiner Hauptleistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag auf Gewähr von Rechtsschutz nachkommt, sich aber vorbehält, die Zahlungen im Rahmen der Haftungsabwehr später zurückzufordern, wenn sich herausstellen sollte, dass ein Ausschlusstatbestand des Versicherungsvertrags erfüllt ist. Dieses Vorgehen ist zulässig1604) ___________ 1602) Vgl. bereits oben IV. 1. Rn. 983. 1603) Vgl. z. B. Römer/Langheid/Rixecker/Langheid, VVG, § 100 Rn. 5; dagegen Prölss/ Martin/Lücke, VVG, § 100 Rn. 2. 1604) Vgl. BGH RuS 2007, 191, 193.
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und der Tatsache geschuldet, dass der Versicherer zu Beginn des Verfahrens, in einem Stadium, in dem er in aller Regel nur wenig über die Fakten des Falls weiß und diese zunächst mit Hilfe der Auskunftsobliegenheiten in Erfahrung bringen muss, noch nicht beurteilen kann, ob er tatsächlich einstandspflichtig ist, das Organmitglied aber unmittelbar auf Rechtsschutz angewiesen ist. Nach der BGH-Rechtsprechung muss der Versicherer zur Erfüllung der 993 Rechtsschutzverpflichtung alles tun, was zur Abwehr des Haftungsanspruchs notwendig ist.1605) Er hat die aus der Prüfung und Abwehr folgende Arbeitslast und Verantwortung allein zu tragen und im Haftpflichtprozess die Interessen des Versicherten so zu wahren, wie das ein von diesem beauftragter Anwalt tun würde.1606) Das gilt selbst dann, wenn eine Kollision zwischen den Interessen der versicherten Person und denen des Versicherers nicht zu vermeiden ist. In diesem Fall muss der Versicherer seine eigenen Interessen hintanstellen.1607) Damit ist jedoch nur der Rahmen der Haftungsabwehr abgesteckt. Die De- 994 tails der Befugnisse im Verhältnis zwischen D&O-Versicherer und Organmitglied werden in den Versicherungsbedingungen geregelt. Ein Beispiel einer solchen Klausel stellt Ziff. 4.5 AVB-AVG1608) dar. Dort heißt es: „Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadensersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Rahmen der versicherten Personen abzugeben. Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche gegen versicherte Personen, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt. Er führt den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen. […]“
Gebräuchlicher sind allerdings Klauseln, die dem Versicherer weniger weit- 995 gehende Befugnisse und dem versicherten Organmitglied mehr Mitsprachrechte als Ziff. 4.5 AVB-AVG einräumen. In der Praxis reizen die Versicherer die ihnen eingeräumten Befugnisse zudem häufig nicht vollständig aus,1609) sondern streben eine einvernehmliche Haftungsabwehr mit dem Organmitglied und dessen Anwalt an und sind insbesondere bei der Erteilung von Weisungen zurückhaltend. Grundsätzlich bestehen für den Versicherer drei Möglichkeiten, die Haftungsabwehr zu organisieren:1610)
___________ 1605) St. Rspr., vgl. z. B. BGH NJW 1993, 68, 69, und BGH RuS 2007, 239, 240. 1606) BGH NJW 1993, 68, 69, und BGH RuS 2007, 239, 240. 1607) BGH NJW 1993, 68, 69, und BGH RuS 2007, 239, 240. 1608) Musterbedingungen des GdV in der Fassung vom Mai 2013. 1609) Was rechtlich zulässig ist, vgl. auch Bruck/Möller/R. Koch, VVG, AHB 2012 Ziff. 25 Rn. 61. 1610) Zum Organisationsrecht des Versicherers bzw. der entsprechenden Verpflichtung vgl. Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 47 ff.
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1. Haftungsabwehr durch den Anwalt des Organmitglieds und den Monitoring Counsel 996 Das Organmitglied mandatiert nach Abstimmung mit dem D&O-Versicherer einen Anwalt seiner Wahl, der seine Interessen im Rahmen der Haftungsabwehr wahrnimmt (im Folgenden vereinfachend als „Defense Counsel“1611) bezeichnet). Dies wird häufig im Anschluss an seine schriftliche Inanspruchnahme erfolgen, kann aber auch früher der Fall sein, z. B. wenn sich die Inanspruchnahme abgezeichnet hat oder das Organmitglied bereits im Rahmen der Aufklärung des Schadenfalls vor seiner Inanspruchnahme vom Unternehmen zum Sachverhalt befragt werden soll. Im ersteren Fall ist die Inanspruchnahme dem Versicherer regelmäßig unverzüglich anzuzeigen1612) und jede Maßnahme, die zur Haftungsabwehr vorgenommen wird, mit ihm abzustimmen. Dazu gehört nicht erst die inhaltliche Einlassung zu den Haftungsansprüchen, sondern bereits die Beauftragung des Defense Counsel1613) ebenso wie z. B. die Abgabe eines befristeten Verzichts auf die Einrede der Verjährung durch das Organmitglied. Auch bei einer Mandatierung vor einer Inanspruchnahme ist die Abstimmung mit dem Versicherer grundsätzlich empfehlenswert und erforderlich, wenn die Police (wie häufig) eine Klausel vorsieht, die den Versicherer zur Übernahme von Kosten einer vorsorglichen Rechtsberatung zur Abwehr von Organhaftungsansprüchen verpflichtet und das Organmitglied von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will. Die Kosten für die Tätigkeit des Defense Counsel trägt der Versicherer als Teil seiner Hauptleistungspflicht zur Gewähr von Rechtsschutz. Dass das Organmitglied zusätzlich einen sog. Coverage Counsel1614) zu seiner deckungsrechtlichen Beratung mandatiert, ist selten. Insoweit besteht keine Pflicht zur Abstimmung mit dem Versicherer, weil die deckungsrechtliche Beratung nicht zur Rechtsschutzverpflichtung des Versicherers gehört. Das Organmitglied hat daher auch keinen Anspruch auf Übernahme der Anwaltskosten für diese Art der Beratung. Übernimmt der Defense Counsel jedenfalls partiell auch die deckungsrechtliche Beratung, z. B. hinsichtlich der Erfüllung der Auskunftsobliegenheiten, sind entsprechende Tätigkeiten nicht von der vorläufigen Zusage zur Kostenübernahme durch den Versicherer umfasst. 997 Die Organisation der Haftungsabwehr über einen Defense Counsel stellt in der Praxis den Regelfall dar. Der Versicherer bleibt im Hintergrund und überwacht die Maßnahmen der Haftungsabwehr durch die Mitarbeiter seiner Schadenabteilungen. In komplexen Schadenfällen mit hohem Streitwert mandatiert der D&O-Versicherer häufig selbst einen Anwalt, der ihm diese Aufgabe weitgehend abnimmt, d. h. die Verteidigung gegen die Haftungsansprüche ___________ 1611) Vgl. auch Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 33 ff. 1612) Vgl. in den AVB-AVG Ziff. 7.3.2.1; das Unverzüglichkeitsgebot wird in der Praxis teilweise durch eine präziser definierte Frist ersetzt. 1613) Die Anwaltswahl wird in den D&O-Versicherungsbedingungen meist ausdrücklich geregelt. 1614) Vgl. Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 46.
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durch den Defense Counsel für ihn inhaltlich überprüft und Schriftsätze und alle weiteren Verteidigungshandlungen in Abstimmung mit ihm freigibt (sog. Monitoring Counsel).1615) Der Monitoring Counsel übt oft erheblichen Einfluss auf die Haftungsabwehr aus, bleibt aber häufig ebenfalls im Hintergrund, so dass sich der Anspruchsteller (jedenfalls zunächst) allein mit dem Organmitglied und dessen Defense Counsel auseinandersetzt. Regelmäßig berät der Monitoring Counsel den Versicherer zugleich auch in deckungsrechtlicher Hinsicht. Da er die Interessen des Versicherers wahrnimmt, werden die Kosten seiner Tätigkeit nicht aus der Versicherungssumme beglichen.1616) Versicherer und Monitoring Counsel müssen die Interessen des Organmit- 998 glieds so wahren, wie das der vom Organmitglied beauftragte Anwalt (vernünftigerweise) tun würde; sie müssen dabei möglicherweise abweichende Interessen des Versicherers hintanstellen.1617) Ein Beispiel für eine solche Interessenkollision sind Streitverkündungen an andere Organmitglieder durch das in Anspruch genommene Organmitglied. Solche Streitverkündungen stehen jedenfalls dann regelmäßig nicht im Interesse des Versicherers, wenn die Streitverkündeten ebenfalls unter die D&O-Versicherung des Versicherers fallen. In diesem Fall wird aus Sicht des Versicherers häufig nur die Abwicklung komplizierter, ohne dass sich an seiner potentiellen Einstandspflicht etwas änderte. Aus Sicht der versicherten Person ist die Streitverkündung jedoch unter Umständen erforderlich, um eine Bindungswirkung für einen potentiellen Regressanspruch gegen andere Organmitglieder zu erzielen, der notwendig werden kann, wenn der Versicherer letztlich die Deckung des Schadens ablehnt oder der Schaden die Versicherungssumme übersteigt. Darüber hinaus gibt es weitere Konstellationen, in denen sich die besondere 999 Treuepflicht zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer bzw. versicherter Person1618) auf die Erfüllung der Rechtsschutzverpflichtung auswirken und die Handlungsmöglichkeiten des Versicherers begrenzen kann. Das kann etwa der Fall sein, wenn neben versicherten auch (der Höhe oder dem Grunde nach) unversicherte Ansprüche gegen das Organmitglied geltend gemacht werden und die Prozessführung oder Weisungserteilung durch den Versicherer zugleich auch in die Verteidigung gegen unversicherte Ansprüche eingriffe. Schwierig ist die Situation, wenn der Versicherer auf die Haftungsabwehr Einfluss nimmt, obwohl Deckungseinwendungen im Raum stehen, die der Versicherer jedoch mangels ausreichender Sachverhaltskenntnis noch nicht abschließend beurteilen kann. In dieser Situation muss der Versicherer auf die Haftungsabwehr Einfluss nehmen können, ohne sein Recht zu verlieren, sich anschließend, sofern der Haftpflichtprozess entsprechende Anhaltspunkte liefert, auch auf Deckungsausschlüsse zu berufen. Anderenfalls würde er seine ___________ 1615) Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 46. 1616) Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 46. Zum Streit um die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln vgl. insbesondere Terno, RuS 2013, 577 ff. 1617) Vgl. oben Fn. 1604. 1618) Vgl. MünchKomm-VVG/Looschelders, 2. Aufl., § 1 Rn. 149.
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Pflicht zur Gewähr von Rechtsschutz verletzen. Bis er konkrete Anhaltspunkte für die Verwirklichung eines Ausschlusstatbestands hat, muss er die Verteidigung dementsprechend so führen, als sei der Ausschlusstatbestand nicht anwendbar. Relevant ist dies insbesondere für den Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung: Solange der Versicherer keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche wissentliche Pflichtverletzung hat, muss er im Haftungsprozess davon ausgehen, dass allenfalls eine fahrlässige Pflichtverletzung im Raum steht. Erweist der Haftungsprozess später, dass das Organmitglied wissentlich handelte, muss sich der Versicherer darauf auch berufen können. Die Treuepflicht gebietet es allerdings, es dem versicherten Organmitglied anzuzeigen, sobald der Versicherer zu der Erkenntnis gelangt ist, dass ein Deckungsausschluss anwendbar ist und er deshalb den Versicherungsschutz versagen will. 1000 Schwierigkeiten können sich den Organmitgliedern insbesondere auch im gelayerten D&O-Versicherungsprogramm stellen. Ein typischer Fall ist die Abstimmung einer Erklärung zum befristeten Verzicht auf die Einrede der Verjährung. Da die Versicherungsbedingungen der Exzedentenpolicen regelmäßig „follow form“ zur Grundpolice ausgestaltet sind, d. h. die Bedingungen der Grundversicherung für anwendbar erklären, soweit in der Exzedentenversicherung keine anderweitigen Regelungen getroffen werden, sind derartige Erklärungen regelmäßig mit allen Versicherern abzustimmen. Dies kann zu erheblichen Problemen führen, wenn die D&O-Versicherer die Abgabe des Verjährungsverzichts wie zumeist nur unter bestimmten Bedingungen als deckungsunschädlich erachten und diese differieren, sie unterschiedlicher Auffassung sind, ob die Verzichtserklärung überhaupt abgegeben werden soll, oder schlicht gar nicht auf die Abstimmungsbemühungen reagieren. In dieser Konstellation kann es nicht zu Lasten des Organmitglieds gehen, wenn die Versicherer keine einheitliche Entscheidung treffen. Es ist ihm auch nicht zuzumuten, aus diesem Grund die Erhebung einer Klage oder die Einleitung sonstiger verjährungshemmender Maßnahmen durch den Anspruchsteller zu riskieren. Richtig erscheint daher, ihm in einer solchen Konstellation analog § 82 Abs. 2 Satz 2 VVG das Recht zu gewähren, selbst eine Entscheidung nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen über die Abgabe der Verjährungsverzichtserklärung herbeizuführen. 2. „Sockelverteidigung“ und Nebenintervention des D&O-Versicherers 1001 Werden mehrere Organmitglieder in Anspruch genommen, wird der D&OVersicherer bzw. der von ihm beauftragte Monitoring Counsel im Regelfall eine einheitliche Haftungsabwehr organisieren. Damit soll vermieden werden, dass die in Anspruch genommenen Organmitglieder sich von vornherein durch gegenseitige Schuldzuweisungen schwächen. Vielmehr wird – als kleinster gemeinsamer Nenner – eine Verteidigungsstrategie zu bestimmen versucht, mit der die Haftung für alle Organmitglieder gleichermaßen abgewehrt werden kann. Es wird dementsprechend nur eine Erwiderung auf die außergerichtlichen Inanspruchnahmen der Organmitglieder bzw. nur eine Klageerwiderung auf die Klageschrift gegen verschiedene Organmitglieder verfasst, in der die für alle Organmitglieder gleichermaßen relevanten tatsächlichen und 330
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E. D&O-Streitigkeiten
rechtlichen Verteidigungsargumente vorgetragen werden (sog. Sockelverteidigung).1619) Der Versicherer kann insoweit entweder einen der Defense Counsels beauftragen, diesen einheitlichen Vortrag auszuarbeiten, oder seinen Monitoring Counsel, der in einem Haftungsprozess zulässigerweise1620) als Nebenintervenient auftreten und dort die Federführung bei der Haftungsabwehr übernehmen kann. Die Anwälte der (übrigen) Organmitglieder machen sich den Vortrag des ausgewählten Defense oder Monitoring Counsels nach Prüfung und Abstimmung in ihren eigenen Schriftsätzen zu eigen und ergänzen allenfalls noch weitere Details, die für ihre Mandanten günstig sind, soweit sie der einheitlichen Linie nicht schaden und andere Organmitglieder nicht belasten. Letzteres wird vom Monitoring Counsel kontrolliert. Diese Vorgehensweise hat eine Reihe von Vorteilen.1621) Ein einheitlicher Vor- 1002 trag reduziert (bei der üblichen Abrechnung auf Stundensatzbasis) die auf die Versicherungssumme anzurechnenden Anwaltskosten, was im Hinblick auf eine möglicherweise erforderliche Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen im Interesse aller Organmitglieder steht. Die Vermeidung von unterschiedlichem Sachvortrag und gegenseitigen Schuldzuweisungen verstärkt im Übrigen das Gewicht der Verteidigung gegen die Inanspruchnahme. Nicht zuletzt wird es auch das mit den Haftungsvorwürfen befasste Gericht wertschätzen, wenn der Verteidigungsvortrag strukturiert und gebündelt erfolgt. In Fällen, in denen eine Vielzahl von Organmitgliedern in Anspruch genommen wird, wird daher mittlerweile standardmäßig eine Sockelverteidigung durchgeführt. 3. Erteilung einer Prozessvollmacht an den D&O-Versicherer Eine dritte Möglichkeit besteht grundsätzlich darin, dass der D&O-Versi- 1003 cherer – wie es in Ziff. 4.5 AVB-AVG vorgesehen ist – selbst zur Prozessführung für die versicherten Organmitglieder bevollmächtigt wird. Er kann damit im Namen des Organmitglieds einen Anwalt bestellen und durch diesen alle Prozesserklärungen abgeben lassen. Obwohl diese Alternative bei mehreren in Anspruch genommen Organmitgliedern gegenüber der Sockelverteidigung den Vorteil einer weiteren Kostenersparnis hätte und ebenso wie diese ein koordiniertes Vorgehen ermöglichte, spielt sie jedenfalls in der Praxis der D&O-Versicherung kaum eine Rolle. Abgesehen davon, dass entsprechende Klauseln wie Ziff. 4.5 AVB-AVG Wirksamkeitsprobleme aufwerfen,1622) bietet diese Alternative keine ausreichende Handhabe dagegen, dass Interessenkonflikte zwischen Versicherer und Organmitglied nicht zu Lasten des letzteren entschieden werden. ___________ 1619) Vgl. auch Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 59 f. 1620) OLG Frankfurt/M. RuS 2015, 347, 347; OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.9.2010 – 12 W 1302/10 (nicht veröffentlicht); OLG Hamm RuS 1997, 55, 55; Lange, D&O-Versicherung, § 14 Rn. 59; Prölss/Martin/Lücke, VVG, Nr. 5 AHB Rn. 25; ablehnend (aber nicht überzeugend) Herdter, VP 3/2014, 46 ff. 1621) Vgl. dazu auch Fehre/Hardt, PHi 2013, 74 ff. 1622) Bruck/Möller/Baumann, VVG, AVB-AVG Ziff. 4 Rn. 64 ff.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten A. Schiedsverfahren Markus Rieder
Unternehmenskaufverträge, die in Deutschland geschlossen werden, enthal- 1004 ten typischerweise Schiedsvereinbarungen.1623) Die praktische Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit zur Lösung von Post-M&A-Streitigkeiten ist mittlerweile so groß, dass verschiedentlich eine diesbezügliche Erosion der staatlichen Gerichtsbarkeit beklagt wird.1624) In der Tat sucht man vielfach vergeblich nach Rechtsprechung zu zentralen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Post-M&A-Streitigkeiten. Gleichwohl lohnt vorab eine genauere Analyse der Vor- und Nachteile der staatlichen Gerichtsbarkeit und der Schiedsgerichtsbarkeit für die Lösung von Streitigkeiten, die sich aus M&A-Transaktionen ergeben (nachfolgend I, Rn. 1005 ff.). Die weiteren Abschnitte dieses Kapitels beschäftigen sich mit dem Abschluss der Schiedsvereinbarung (nachfolgend II, Rn. 1009 ff.), der Konstituierung des Schiedsgerichts (nachfolgend III, Rn. 1020 ff.), der Durchführung des Schiedsverfahrens (nachfolgend IV, Rn. 1033 ff.), der Erledigung des Rechtsstreits durch Schiedsspruch oder auf andere Weise (nachfolgend V, Rn. 1064) und Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes (nachfolgend VI, Rn. 1065). Abschließend werden einige praktisch bedeutsame Sonderkonstellationen erörtert (nachfolgend VII, Rn. 1066 ff.). I. Staatliche Gerichtsbarkeit vs. Schiedsverfahren1625) Wie bereits in Kapitel 1 F (dort Rn. 555 ff.) ausgeführt, gilt allgemein, dass 1005 die Schiedsgerichtsbarkeit eine Reihe möglicher Vorteile gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit aufweist, insbesondere im Hinblick auf die Vertraulichkeit des Verfahrens, die Möglichkeit maßgeschneiderter Verfahrensregeln, mögliche Kosten- und Geschwindigkeitsvorteile und, insbesondere im internationalen Kontext, die Anerkennung und Vollstreckung nach den Regeln des New Yorker Übereinkommens. Gleichermaßen gibt es Fälle, die sich besser für eine Erledigung durch die staatlichen Gerichte eignen, beispielsweise wegen des vergleichsweise geringen Streitwertes oder weil eine Partei Wert auf eine Grundsatzentscheidung durch öffentliches Urteil legt und insoweit auch den Zugang zur Rechtsmitteln und zur höchstrichterlichen Rechtsprechung wünscht. Die Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze auf Post-M&A-Streitigkeiten kann in zwei Schritten geschehen:
___________ 1623) Sachs, SchiedsVZ 2004, 123 ff.; Demuth, SchiedsVZ 2012, 271 ff.; Weißhaupt, WM 2013, 782, 786; Maier-Reimer/Niemeyer, NJW 2015, 1713, 1719; Busse, SchiedsVZ 2005, 118, 119; aus „Nutzerperspektive“ Reul, ASA Special Series No. 24, 2005, 85 ff. 1624) Kästle, NZG 2014, 288, 295; ferner etwa Louven/Merbrey, NZG 2014, 1321. 1625) Zur Abgrenzung von Schiedsgutachtenverfahren in M&A-Fällen vgl. Kapitel 3 C III 2., Rn. 1214 ff.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten
1006 Im ersten Schritt richtet sich der Blick auf die typischen Streitfelder in der Folge von M&A-Transaktionen.1626) Diese betreffen häufig den Kaufpreis, insbesondere wenn kein Festkaufpreis vereinbart ist, sondern eine Kaufpreisanpassung auf den Übertragungsstichtag stattfindet.1627) Aber auch bei einem Festpreis können Streitigkeiten entstehen, etwa wenn der Verkäufer zwischen Unterzeichnung und Vollzug des Kaufvertrages Handlungen vornimmt, die zu einem im Kaufvertrag nicht vorgesehenen bzw. nicht gestatteten Wertabfluss (leakage) führen.1628) Ein weiteres häufiges Streitfeld betrifft im Vertrag abgegebene Garantien (representations and warranties) zu den übertragenen Anteilen bzw. zur Geschäftstätigkeit und zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Zielgesellschaft.1629) Auch spezifisch auf den Vollzug des Vertrages bezogene Streitigkeiten sind nicht selten, etwa weil sich der Käufer unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder das Vorliegen eines im Vertrag definierten material adverse change (MAC)1630) weigert, das Unternehmen abzunehmen, oder weil die Erfüllung von Bedingungen wie beispielsweise kartellrechtlicher Auflagen im Zusammenhang mit der Zusammenschlusskontrolle der Transaktion in Streit gerät.1631) Schließlich spielen gesetzliche Ansprüche, etwa aus culpa in contrahendo oder Delikt, häufig eine wichtige Rolle. 1007 Führt man sich diese Arten der Auseinandersetzung vor Augen, fällt es im zweiten Schritt nicht schwer, die möglichen Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber staatlichen Gerichten bei der Lösung von Post-M&AStreitigkeiten zu erkennen. Besondere Bedeutung kommt insoweit häufig der Vertraulichkeit von Schiedsverfahren zu (die allerdings gesondert vereinbart werden muss), da regelmäßig weder der Käufer noch der Verkäufer ein Inte___________ 1626) Vgl. hierzu etwa Rieder, in: Festschrift Schütze, S. 491 ff. m. w. N. Gelegentlich treten auch Streitigkeiten im Vorfeld eines eigentlichen Unternehmenskaufvertrages auf, beispielsweise aus einem Letter of Intent oder wegen Abbruchs von Vertragsverhandlungen (break-up fees etc.); hierzu Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 126; von Segesser, ASA Special Series No. 24, 2005, 17, 21 ff.; instruktives Fallbeispiel bei OLG München NZG 2013, 257 = ZIP 2013, 23. 1627) Peter, ASA Special Series No. 24, 2005, 55 ff. 1628) Zu diesbezüglichen Vertragsgestaltungen siehe Münchener Vertragshandbuch Bd. 4/ Rieder, S. 327 ff.; Jaletzke, in: Jaletzke/Henle, S. 19 ff.; Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 60 ff.; Schrader, in: Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, S. 160 ff. 1629) Tschäni, ASA Special Series No. 24, 2005, 67 ff. – Klauseln dieser Art beispielsweise bei Münchener Vertragshandbuch Bd. 4/Rieder, S. 365 ff.; Jaletzke/Henle/Ziegler, in: Jaletzke/Henle, S. 100 ff.; Lips/Stratz/Rudo, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, 2004, § 4 Rn. 123; Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 153 ff.; Schrader, in: Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, S. 285 ff. 1630) Hierzu Münchener Vertragshandbuch Bd. 4/Rieder, S. 358 ff.; Zimmer/Henle, in: Jaletzke/Henle, S. 75 f., 86 ff.; Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 124. 1631) Hierzu Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 128; von Segesser, ASA Special Series No. 24, 2005, 17, 25 ff.
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A. Schiedsverfahren
resse daran haben, Probleme der Zielgesellschaft, die beispielsweise Auslöser für eine Kaufpreisanpassung, einen Garantiefall oder gar einen material adverse change sein mögen, in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung, womöglich vor den Augen der interessierten Konkurrenz oder Kundschaft, auszutragen.1632) Gerade im grenzüberschreitenden Kontext spielt Englisch als Verfahrenssprache eine wesentliche Rolle, was vor den staatlichen Gerichten üblicherweise nicht möglich ist.1633) Auch die Qualifikation der Entscheider, insbesondere die Auswahl von Schiedsrichtern, die Erfahrungen im Bereich des Unternehmenskaufs haben, wird häufig als Grund für die Präferenz der Schiedsgerichtsbarkeit über der staatlichen Gerichtsbarkeit angeführt.1634) Schließlich spielt die internationale Vollstreckbarkeit auch bei Post-M&ASchiedsverfahren eine bedeutende Rolle bei der Wahl der Verfahrensart.1635) Vor diesem Hintergrund hat sich in Deutschland eine Marktpraxis heraus- 1008 gebildet, die beim Unternehmenskauf weitgehend, in manchen Bereichen sogar nahezu ausschließlich auf die Schiedsgerichtsbarkeit zur Lösung von PostM&A-Streitigkeiten setzt.1636) Dass dies nicht zwingend so sein muss, zeigt der Blick auf die durchaus abweichende Praxis in anderen Ländern. So ist beispielsweise in den USA bei Post-M&A-Streitigkeiten keine eindeutige Präferenz für die staatliche oder die Schiedsgerichtsbarkeit zu erkennen. Dies mag u. a. daran liegen, dass in den USA eine deutlich ausgefeiltere Kasuistik der staatlichen Gerichte, beispielsweise in den Bundesstaaten New York und Delaware, zu Fragen des Unternehmenskaufs vorliegt. II. Schiedsvereinbarung Die für Schiedsvereinbarungen im unternehmerischen Verkehr erforderliche 1009 Schriftform (§ 1031 Abs. 1 ZPO) lässt sich beim Unternehmenskauf, der in der Praxis stets mindestens schriftlich, häufig sogar in notariell beurkundeter Form abgeschlossen wird, ohne weiteres einhalten. Insoweit stellen sich beim Unternehmenskauf grundsätzlich keine Formprobleme. Dies gilt auch, wenn der Unternehmenskauf selbst der notariellen Beurkundung bedarf, beispielsweise wegen § 15 GmbHG. Auch in diesem Fall reicht für die Schiedsvereinbarung die Schriftlichkeit nach § 1031 Abs. 1 ZPO.1637) Ein dynamischer Ver___________ 1632) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 143 ff.; Redfern/Hunter, Rn. 1.105. 1633) Wolff, JuS 2008, 108, 109; MünchKomm-ZPO/Münch, § 1045 Rn. 1 ff.; Kreindler/ Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 616; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1402. 1634) Kreindler/Rust, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, § 7 Rn. 26; Berger, WM 2012, 1701, 1702; Redfern/Hunter, Rn. 4.58, 4.65. 1635) Kreindler/Rust, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, § 7 Rn. 31 ff.; Kreindler/ Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 14; Redfern/Hunter, Rn. 11.42. 1636) Vgl. die Gestaltungsempfehlungen in den gängigen Formularbüchern: Münchener Vertragshandbuch Bd. 4/Rieder, S. 313 ff.; Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 300. 1637) BGH NJW 2014, 3652, 3654 = ZIP 2014, 1852; BGH NJW 1978, 212.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten
weis auf eine Schiedsordnung in ihrer jeweils bei Einleitung des Schiedsverfahrens gültigen Fassung ist, wie der BGH zwischenzeitlich klargestellt hat, ebenfalls möglich, unabhängig davon, ob der Unternehmenskauf selbst der notariellen Beurkundung bedarf oder nicht.1638) 1010 Anders ist es bei Beteiligung von Verbrauchern; dann sind die besonderen Formanforderungen nach § 1031 Abs. 5 ZPO zu beachten. Das bedeutet beim privatschriftlichen Unternehmenskauf, dass die Schiedsvereinbarung in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein muss, welche andere Vereinbarungen als solche, die sich auf das schiedsrichterliche Verfahren beziehen, nicht enthalten darf. Dies geschieht am besten durch Abschluss einer gesonderten Schiedsabrede i. S. v. § 1029 Abs. 2 Alt. 1 ZPO, um sämtlichen Formdiskussionen von vorneherein den Boden zu entziehen. Bei notariell beurkundetem Unternehmenskaufvertrag gilt das Erfordernis einer eigenen Urkunde nicht (§ 1031 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2 ZPO); insoweit bedarf es keines diesbezüglichen Schutzes, da die Aufklärung des Verbrauchers über die möglichen Nachteile einer Schiedsvereinbarung durch den beurkundenden Notar erfolgt. 1011 Wer Verbraucher und wer Unternehmer ist, bemisst sich nach §§ 13, 14 BGB. Verbraucher ist danach „jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können“ (§ 13 BGB). Unternehmer ist demgegenüber „eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt“ (§ 14 BGB). Wer beim Unternehmenskauf als Privatperson Anteile kauft oder verkauft, ist – abgesehen von Existenzgründerfällen – häufig Verbraucher, nicht Unternehmer,1639) so dass § 1031 Abs. 5 ZPO zu prüfen und einzuhalten ist. 1012 Beim Unternehmenskauf empfiehlt sich im Übrigen die Wahl einer institutionellen Schiedsordnung; Ad-hoc-Schiedsverfahren sind insoweit – anders als etwa bei gesellschaftsrechtlichen Binnenstreitigkeiten (Kapitel 1 F Rn. 549) – eher selten, insbesondere bei Verfahren mit internationalem Bezug.1640) Gerade bei Post-M&A-Streitigkeiten haben die Parteien typischerweise ein gesteigertes Interesse an einer raschen Streiterledigung. Dazu kann das Vorhandensein einer Schiedsinstitution maßgeblich beitragen, etwa durch zeitnahe Unterstützung bei der Benennung oder Ablehnung von Schiedsrichtern. Im internationalen Verkehr kommt hinzu, dass eine oder beide Parteien in die Gerichtsbarkeit des Schiedsortes und deren Neutralität weniger Vertrauen ___________ 1638) BGH NJW 2014, 3652, 3654 = ZIP 2014, 1852; ferner etwa Böttcher/Fischer, NZG 2011, 601, 603 ff.; Hilgard/Haubner, BB 2014, 970 ff. 1639) Zur Existenzgründerrechtsprechung siehe BGH WM 2005, 755, 756 = ZIP 2005, 622. 1640) Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 125; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 103; Kreindler/ Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 272.
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A. Schiedsverfahren
haben mögen als gegenüber einer Schiedsinstitution. In der Praxis werden daher bei Unternehmenskäufen mit Bezug zu Deutschland häufig die DISSchO oder die ICC-SchO gewählt.1641) Zur Gestaltung von Schiedsvereinbarungen gelten dieselben Grundsätze, 1013 die bereits in Kapitel 1 F (dort Rn. 573 ff.) vorgestellt wurden. Empfehlenswert ist insbesondere die Festlegung des Schiedsortes, der Zahl der Schiedsrichter, der Verfahrenssprache und des anwendbaren materiellen Rechts. Dass der Schiedsort nicht nach touristischen Aspekten gewählt werden sollte, leuchtet unmittelbar ein, wenn man sich seine Bedeutung vor Augen führt, die insbesondere darin besteht, das anwendbare Schiedsverfahrensrecht (lex arbitri) und die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für Unterstützungsleistungen während des Verfahrens und eine mögliche Aufhebung eines Schiedsspruchs zu bestimmen. Bei einer in Deutschland belegenen Zielgesellschaft spricht in der Regel nichts gegen einen deutschen Schiedsort. Umgekehrt spricht auch nichts gegen einen neutralen Schiedsort, wie beispielsweise einen Ort in der Schweiz oder Paris. Der Sitz einer der Parteien als Schiedsort scheidet häufig wegen Neutralitätsbedenken der anderen Partei aus. Für Post-M&A-Streitigkeiten werden häufig Dreier-Schiedsgerichte gewählt. 1014 Dies ist wegen der Komplexität der sich regelmäßig stellenden Sach- und Rechtsfragen in den meisten Fällen sehr sinnvoll. Hinzu kommt, dass sich Streitparteien jedenfalls unter psychologischen Gesichtspunkten üblicherweise „besser fühlen“, wenn sie eine Person im Schiedsgericht selbst benannt haben. Die Verfahrenssprache orientiert sich häufig an der Sprache des Unterneh- 1015 menskaufvertrages. Im internationalen Kontext ist dies vorwiegend Englisch.1642) Soweit im Schiedsverfahren verwendete Unterlagen, z. B. für Zwecke des Urkundsbeweises, in einer anderen Sprache abgefasst sind, ist regelmäßig eine Übersetzung erforderlich, es sei denn, die Parteien vereinbaren, dass Unterlagen auch in einer anderen Sprache vorgelegt werden können. Letzteres bedingt dann allerdings, dass die Schiedsrichter auch dieser Sprache mächtig sind. Das anwendbare materielle Recht ist im engeren Sinne kein Inhalt der Schieds- 1016 vereinbarung, sondern des Hauptvertrages. Gleichwohl ist es üblich, das anwendbare materielle Recht im räumlich-textlichen Zusammenhang mit der Streitschlichtungsklausel zu regeln. Beim Unternehmenskauf besteht insoweit weitgehende Wahlfreiheit, was das schuldrechtliche Geschäft anbelangt.1643) ___________ 1641) Wolff, JuS 2008, 108, 109; Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 125; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 289, 307; Pörnbacher/Baur, BB 2011, 2627. 1642) Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 125; Wolff, JuS 2008, 108, 109; Illmer, ZRP 2011, 170, 172; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1045 Rn. 1. 1643) Anderes gilt für die dingliche Übertragung der verkauften Anteile oder Gegenstände, die sich idR. zwingend nach dem Belegenheitsprinzip, d. h. dem Recht der Belegenheit der Sache, richtet; Schneider/Korn, WM 2015, 62, 63; Land, BB 2013, 2697, 2699; MünchKomm-BGB/Martiny, Bd. 10, Rom I-VO Art. 3 Rn. 8; MünchKomm-BGB/ Wendehorst, Bd. 11, EGBGB Art. 43 Rn. 3.
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Dies muss nicht notwendigerweise das Recht des Gesellschaftsstatuts sein, was praktisch auch häufig gar nicht möglich wäre, wenn in einer Transaktion unmittelbar oder mittelbar mehrere Gesellschaften unterschiedlicher Herkunft veräußert werden. Vielfach stellen die Parteien darauf ab, welches Recht ihnen am besten vertraut ist. Ob das stets die beste Wahl ist, darf allerdings bezweifelt werden. Parteien, die rechtsvergleichend erfahren oder beraten sind, können insoweit eine gezieltere Auswahl treffen. So mag der Umstand eine Rolle spielen, dass das deutsche Recht einerseits den Ausschluss der Haftung bis zur Vorsatzgrenze zulässt (§§ 276 Abs. 3, 444 BGB), andererseits aber auch eine Reihe von Werkzeugen und Mechanismen entwickelt hat, um diese Grenze überwinden zu können (Aufklärungspflichten,1644) Wissenszurechnung1645) etc.). Andere Rechtsordnungen mögen beispielsweise der Annahme von Aufklärungspflichten zurückhaltender gegenüber stehen als die deutsche Rechtsprechung, was auch aus Sicht eines deutschen Verkäufers Anlass geben kann, über die Wahl eines anderen materiellen Rechts nachzudenken. 1017 In letzter Zeit häufiger diskutiert wird die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle auf Unternehmenskaufverträge und wie eine ggf. unerwünschte AGB-Kontrolle vermieden werden kann.1646) Virulent wird das AGB-Problem beispielsweise, wenn der Verkäufer ein auktionsartig ausgestaltetes Verfahren anwendet und jedem Bieter denselben Vertragsentwurf vorgibt.1647) Ferner mögen Parteien, die häufig als Käufer oder Verkäufer auftreten, standardmäßig bestimmte Klauseln immer wieder verwenden, insbesondere im Zusammenhang mit Garantien und den zugehörigen Rechtsfolgenbestimmungen.1648) 1018 Ob in solchen Fällen AGB vorliegen und daher eine AGB-Kontrolle vorzunehmen sein kann, ist höchstrichterlich bislang ungeklärt. In der jüngeren Literatur fehlt es nicht an Ideen und Vorschlägen, die vielfach beim Unternehmenskauf als unerwünscht bzw. unangemessen empfundene AGB-Kontrolle für nicht anwendbar zu befinden.1649) Eine Möglichkeit, das Problem zu umgehen, wäre die Wahl eines materiellen Rechts, das eine AGB-Kontrolle nach deutschem bzw. europäischem Muster nicht vorsieht, wie beispielsweise das ___________ 1644) Speziell für den Unternehmenskauf geht der BGH von weitergehenden Aufklärungspflichten als im „Normalfall“ aus, vgl. BGH BB 2001, 428: „gesteigerte Aufklärungsund Sorgfaltspflicht“. 1645) Vgl. hierzu die Trilogie der Grundsatzentscheidungen BGH NJW 1990, 975; BGH NJW 1996, 1339 = ZIP 1996, 548 und BGH NJW 2001, 359 = ZIP 2001, 26; Hoenig/ Klingen, NZG 2013, 1046 ff. Zum aktuellen Stand der Diskussion vgl. Kapitel 3 B Rn. 1140 ff. 1646) Aus der Lit. hierzu etwa Kästle, NZG 2014, 288 ff.; Kirchner/Giessen, BB 2015, 515 ff.; Wittuhn/Quecke, NZG 2014, 131 ff.; Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283 ff. 1647) Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1288 f. 1648) Maier-Reimer/Niemeyer, NJW 2015, 1713, 1714 f. 1649) Kästle, NZG 2014, 288 ff.; Maier-Reimer/Niemeyer, NJW 2015, 1713 ff.; krit. hierzu Wittuhn/Quecke, NZG 2014, 131, 135.
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A. Schiedsverfahren
schweizerische materielle Recht.1650) Ein weiterer, allerdings nicht unumstrittener Gestaltungsvorschlag geht dahin, die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts zu vereinbaren, und hinsichtlich des anwendbaren materiellen Rechts vorzusehen, dass zwar deutsches Recht zur Anwendung gelangen soll, allerdings mit Ausnahme der Vorschriften über die AGB-Kontrolle (§§ 305 – 310 BGB).1651) Da die Parteien das Schiedsgericht ermächtigen können, ohne Rücksicht auf rechtliche Bestimmungen allein nach den Grundsätzen der Billigkeit zu entscheiden (§ 1051 Abs. 3 Satz 1 ZPO), sprechen – gleichsam a maiore ad minus – gute Gründe dafür, dass die Parteien eine lediglich partielle Rechtswahl im vorgenannten Sinne treffen können, d. h. eine bestimmte Rechtsordnung als anwendbares materielles Recht bestimmen, davon aber definierte Einzelregelungen ausnehmen dürfen.1652) Im internationalen Geschäftsverkehr, einschließlich des Unternehmenskaufs, ist ein solches Vorgehen in Bezug auf ein anderes Regelwerk längst zum praktischen Standard geworden: üblicherweise schließen die Parteien beispielsweise die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts ausdrücklich aus. Über die vorgenannten Punkte hinausgehende Regelungen sind in Schieds- 1019 vereinbarungen meist entbehrlich – less is more; insbesondere ist von pauschalen und unspezifizierten Verweisen auf die ZPO abzuraten (vgl. bereits Kapitel 1 F Rn. 579 ff.). Im Einzelfall mag sich eine kombinierte Klausel aus ADR- und Schiedsverfahren anbieten, beispielsweise durch Vorschaltung eines Verhandlungs-, Mediations- oder Schlichtungsverfahrens. Allerdings ist in der Praxis festzustellen, dass die Popularität solcher kombinierter Klauseln zwischenzeitlich wohl wieder etwas abgenommen hat, möglicherweise nicht zuletzt deshalb, weil sie ihr eigenes Streitpotential etwa in dem Fall in sich bergen können, dass zwischen den Parteien Uneinigkeit darüber herrscht, ob die dem Schiedsverfahren vorgeschalteten konsensualen Einigungsschritte ordnungsgemäß durchgeführt sind und ein Schiedsverfahren nunmehr statthaft ist oder nicht. Im Zweifel ist die vertragliche Festlegung vorgeschalteter ADR-Versuche entbehrlich. Sind die Parteien auch nach Entstehung des Konfliktes noch dazu bereit, werden sie es ohnehin versuchen. Fehlt eine echte Einigungsbereitschaft, bedeutet ein vorgeschaltetes, von einer Partei aber letztlich nicht (mehr) gewolltes ADR-Verfahren häufig nur zusätzliche Kosten und Zeitverlust. III. Konstituierung des Schiedsgerichts Die Herangehensweise bei der Auswahl von Schiedsrichtern sollte auch bei 1020 Post-M&A-Schiedsverfahren dem allgemein zu empfehlenden Prozedere ___________ 1650) Kondring, RiW 2010, 184, 185; Kessel/Stomps, BB 2009, 2666; Müller/Griebeler/Pfeil, BB 2009, 2658, 2662. 1651) So namentlich Pfeiffer, NJW 2012, 1169, 1170; Kästle, NZG 2014, 288, 295; krit. hierzu Saenger/Saenger, ZPO, § 1051 Rn. 4. 1652) Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1051 Rn. 2; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 55 Rn. 6.
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(vgl. Kapitel 1 F Rn. 583 ff.) folgen, d. h. im ersten Schritt sollte ein Anforderungsprofil erstellt, dann eine überschaubare Liste in Frage kommender Kandidaten, ggf. mit Priorisierung zusammengestellt und schließlich der oder die Wunschkandidaten auf seine/ihre Verfügbarkeit hin angesprochen werden. 1021 Das zu erstellende Anforderungsprofil kann sich angesichts der thematischen Bandbreite möglicher Post-M&A-Streitigkeiten (vgl. Rn. 1007) von Fall zu Fall erheblich unterscheiden. Wichtig ist, die identifizierten Kriterien angemessen zu bewerten und zu gewichten. Insbesondere sollte Zurückhaltung bei der Definition von absoluten „K.O.-Kriterien“ geübt werden. Das Anforderungsprofil ist ein Gesamtpaket an Eigenschaften, von denen häufig die eine mehr und die andere weniger ausgeprägt sein kann („bewegliches System“), ohne dass ein Kandidat von vorneherein auszuschließen ist. 1022 In tatsächlicher Hinsicht kann der Streit eine gewisse Vertrautheit mit dem Geschäftsfeld oder der Branche der Zielgesellschaft und/oder der Parteien erfordern oder zumindest nützlich erscheinen lassen. Dies mag beispielsweise der Fall sein, wenn es um die rechtlichen Implikationen bestimmter Geschäftspraktiken geht. Vielfach ist aber Industrie- oder Branchenkenntnis gerade kein Muss. Die Streitparteien selbst neigen bisweilen dazu, die Bedeutung von Industrie- oder Branchenkenntnis zu überschätzen, so dass der juristische Berater hier ggf. korrigierend zur Seite stehen sollte. 1023 Ein gewisses betriebs- und finanzwirtschaftliches Verständnis dürfte demgegenüber in den meisten Fällen von erheblichem Nutzen sein, beispielsweise wenn es um die zutreffende Kaufpreisberechnung oder die Quantifizierung von Schäden aus Garantieverletzungen geht. Letzteres hat häufig durch eine Neubewertung des Zielunternehmens, beispielsweise unter Zugrundelegung der Ertragswert- oder Discounted Cash Flow-Methode zu geschehen. Obgleich hierfür in der Regel Sachverständigengutachten erstellt werden, sollte ein Schiedsrichter gleichwohl willens und in der Lage sein, solche Berechnungen und ihre Erläuterungen nachzuvollziehen und auf Plausibilität hin zu prüfen. 1024 In rechtlicher Hinsicht sollte ein Schiedsrichterkandidat sowohl mit dem Recht des Unternehmenskaufs und verwandter Materien als auch mit einschlägigen schiedsverfahrensrechtlichen Maßstäben vertraut sein. In vielen Fällen reicht zur Beurteilung des Falles – entgegen einem landläufigen Fehlurteil der Transaktionsbeteiligten und ihrer Transaktionsanwälte – die Lektüre des Unternehmenskaufvertrags und der darin enthaltenen Anspruchsgrundlagen gerade nicht aus. Zumeist werden sich zumindest Fragen der Vertragsauslegung stellen, bei denen es nicht nur auf den Wortlaut (Verbot der Buchstabeninterpretation, § 133 BGB), sondern auch die Umstände des Vertragsschlusses und die Interessenlage der Parteien ankommt (Gebot der beiderseits interessengerechten Auslegung).1653) Häufig kommen aber auch noch außer___________ 1653) BGH NJW-RR 1992, 1386; BGH NJW 1994, 2228; BGH NJW 2000, 2508; BGH NJW 2002, 747; BGH NJW-RR 2007, 1309; Palandt/Ellenberger, BGB, § 133 Rn. 18.
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halb des Vertragstextes liegende Anspruchsgrundlagen und Rechtsmaterien zur Anwendung, beispielsweise in Bezug auf vorvertragliche Informationsund Aufklärungspflichten, Kausalitätsmaßstäbe, Fragen der Wissenzurechnung und –zusammenrechnung sowie teils komplexe Probleme der Schadensberechnung. Ein gutes zivil-, insbesondere schuld- und schadensrechtliches Gesamtverständnis ist daher in der Regel sehr wichtig. Hinzu kommen möglicherweise Spezialrechtsmaterien, aus denen sich die 1025 geltend gemachten Garantieverstöße ableiten, wie beispielsweise gewerblicher Rechtsschutz, Arbeitsrecht, Steuerrecht u.v. a.m. Inwieweit ein Schiedsrichterkandidat mit solchen Materien vertraut sein soll, ist eine Frage des Einzelfalles. Soweit sich eine Post-M&A-Streitigkeit beispielsweise ausschließlich um die Verletzung einer Steuerfreistellung oder einer IP-Garantie dreht, mag es naheliegen, einen Kandidaten zu suchen, der einschlägige steuer- bzw. IPrechtliche Vorkenntnisse hat. Anders wird es sein, wenn ein größerer Strauß von Garantiebestimmungen im Raum steht; denn dann wurde es den Kandidatenkreis zu sehr einengen (oder ggf. auf Null reduzieren), wollte man spezifische Vorkenntnisse in allen berührten Rechtsmaterien erwarten. In prozessrechtlicher Hinsicht sollte auch ein parteibenannter Schiedsrichter 1026 mit den Regeln der gewählten Verfahrensordnung, mit internationalen schiedsverfahrensrechtlichen Gepflogenheiten, beispielsweise im Rahmen der Beweiserhebung (kontinentaler vs. anglo-amerikanischer Stil, IBA Rules of Evidence etc.) vertraut sein. Die vorstehend erörterten Anforderungen an die üblicherweise zu wünschen- 1027 den materiell- und prozessrechtlichen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Schiedsrichterkandidaten sprechen häufig gegen die Wahl eines NichtJuristen (vgl. bereits Kapitel 1 F Rn. 586). Nicht zwingend erforderlich ist in der Regel, dass der Schiedsrichterkandidat 1028 selbst bereits mit der Verhandlung und Durchführung von Unternehmenskäufen – etwa als Transaktionsanwalt – vertraut ist. Zwar gibt es eine Reihe sehr fähiger Schiedsrichterkandidaten, die ehedem selbst in der M&A-Praxis tätig waren, und solche Kandidaten können häufig eine wesentliche Perspektive beispielsweise zu Fragen der Vertragsverhandlung und –auslegung beisteuern. Ein zwingendes Kriterium ist dies aber zumeist nicht, zumal es eine Reihe von Fällen gibt, bei denen die tatsächlichen und rechtlichen Schwerpunkte gerade nicht auf Themen liegen mögen, die Transaktionserfahrung voraussetzen würden. Schließlich sollte hinreichendes Augenmerk auf Punkte gelegt werden, die 1029 zwar als Selbstverständlichkeit erscheinen mögen, in der Praxis aber durchaus zu Schwierigkeiten führen können. Dies gilt naheliegender Weise für die Verfahrenssprache; dieser sollte ein Kandidat unbedingt hinreichend mächtig sein, um sich in Beratungen des Schiedsgerichts, in mündlichen Verhandlungen, bei Beweisaufnahmen (Befragung von Zeugen und Sachverständigen), aber auch ggf. bei der Abfassung des Schiedsspruchs hinreichend artikulieren zu können. Markus Rieder
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1030 Ferner gilt dies für die zeitliche Verfügbarkeit des Kandidaten. Der beste Kandidat ist von geringem Nutzen, wenn er oder sie nicht über genügend Zeit verfügt, um die Verfahrensakte selbst gründlich zu lesen und den Fall zu analysieren, oder wenn zeitnahe Terminierungen an einem überfüllten Terminkalender scheitern. Gerade für parteibenannte Schiedsrichter ist es besonders wichtig, dass sie das Gebot höchstpersönlicher Amtsausübung sehr ernst nehmen. Andernfalls können sie der üblicherweise bestehenden Erwartungshaltung, den Positionen, die die sie benennende Partei vorbringt, im Schiedsgericht Gehör zu verschaffen, von vorneherein nicht nachkommen. Diese Erwartungshaltung ist legitim; sie hat als solche nichts mit fehlender Neutralität zu tun.1654) Abzuraten ist demgegenüber von der Benennung eines Kandidaten, der bekanntermaßen einen Hang zur eher parteilichen Amtsführung hat. Das Risiko, dass sich der Kandidat mit einer solchen Haltung im Schiedsgericht selbst isoliert und daher bei der verbleibenden Mehrheit aus Obmann und von der Gegenseite benanntem Schiedsrichter kein Gehör mehr findet, ist groß.1655) 1031 Fällt die Wahl – was meist sinnvoll ist – auf einen Juristen, kommen verschiedene juristische Berufsgruppen in Betracht, vom Profi-Schiedsrichter bis hin zu Gelegenheits-Schiedsrichtern mit unterschiedlichsten Hauptberufen, seien es Rechtsanwälte, Hochschullehrer, amtierende oder pensionierte Richter oder Notare. Eine generelle Präferenz oder Hintanstellung einer bestimmten Berufsgruppe ist bei Post-M&A-Fällen – wie auch sonst – nicht angebracht, wenngleich in der Praxis Rechtsanwälte und Hochschullehrer besonders häufig als Schiedsrichter für Post-M&A-Fälle benannt werden.1656) 1032 Es mag beispielsweise sein, dass der Gelegenheits-Schiedsrichter, der ansonsten im M&A-Transaktionsgeschäft tätig ist, die identifizierten Anforderungen am besten erfüllt. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn es um die Auslegung und Anwendung komplexer Vertragsbestimmungen geht, die für Unternehmenskäufe typisch sind (beispielsweise Kaufpreisanpassungsmechanismen oder umfangreiche Steuerfreistellungsklauseln). Umgekehrt sollte die Wahl möglicherweise eher auf einen Hochschullehrer fallen, wenn der Fall seinen Schwerpunkt voraussichtlich gerade nicht auf vertraglichen Bestimmungen, sondern den gesetzlichen Regeln haben wird (Mängelgewährleistung, culpa in contrahendo, Wissenszurechnung etc.). Ein aktiver oder pensionierter Richter mag sich beispielsweise besonders als Obmann eignen, wenn die Parteien übereinstimmend eine Herangehensweise wünschen, die dem Verfahren vor den deutschen staatlichen Gerichten angenähert ist (Relationstechnik, zurückhaltende Vorlagepraxis bei Urkunden). Komplexe internationale Fälle können ___________ 1654) Mankowski, SchiedsVZ 2004, 304, 309; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 23. Aufl., § 1036 Rn. 27. 1655) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 125; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 509. 1656) Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 125.
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dagegen bei einem Schiedsprofi als Obmann besonders gut aufgehoben sein, der auch über die entsprechende administrative Unterstützung und Logistik verfügt, um einen großen Fall effektiv voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen. IV. Durchführung des Schiedsverfahrens Nach einigen grundlegenden Überlegungen, insbesondere zu Strukturierungs- 1033 fragen (nachfolgend 1., Rn. 1034 ff.) beschäftigt sich dieser Abschnitt mit den Schriftsätzen der Parteien (nachfolgend 2., Rn. 1040 ff.), Beweismitteln in Post-M&A-Schiedsverfahren (nachfolgend 3., Rn. 1043 ff.) und der Durchführung der mündlichen Verhandlung (nachfolgend 4., Rn. 1061 ff.). 1. Grundlagen Soweit keine zwingenden Vorschriften des Zehnten Buchs der ZPO ein- 1034 schlägig sind und die Parteien keine Verfahrensvereinbarungen getroffen haben, liegt die Durchführung des Schiedsverfahrens im Verfahrensermessen des Schiedsgerichts (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Zwingende Vorschriften über die Durchführung des schiedsrichterlichen Verfahrens enthält die ZPO allenfalls am Rande (beispielsweise §§ 1042, 1048 ZPO). In der Phase bis zur Konstituierung des Schiedsgerichts sind auch diesbezügliche Verfahrensvereinbarungen der Parteien in der Praxis eher die Ausnahme. Dem Schiedsgericht stehen daher bei der Gestaltung von Post-M&A-Schieds- 1035 verfahren in der Praxis erhebliche Freiräume offen. Es kann einen Verfahrensstil wählen, der dem deutschen staatlichen Gerichtsverfahren angenähert ist. Genauso gut kann es das Verfahren nach Art eines anglo-amerikanischen Prozesses gestalten, oder Mischformen und Mittelwege anwenden. Mit Schiedsverfahren weniger vertraute Parteien und ihre Vertreter sind insoweit gerade bei Post-M&A-Schiedsverfahren, die häufig internationale Bezüge aufweisen, nicht selten überrascht. Gleichwohl gibt es bei Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung keinerlei Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Verfahrensgestaltung, und dahingehende Wünsche oder Verlangen einer Partei sollten sorgsam erwogen werden, um das Schiedsgericht nicht unnötig zu befremden oder gar zu verärgern. Soweit die Parteien keine Verfahrensvereinbarung getroffen haben, können 1036 aus Sicht des Schiedsgerichts bei der Wahl des Verfahrensstils verschiedene Überlegungen eine Rolle spielen. So kann für das Schiedsgericht beispielsweise die Herkunft der Kaufvertragsparteien, der Zielgesellschaft und weiterer Beteiligter, sowie deren Verwurzelung in der einen oder anderen Rechtsund Prozesstradition eine Rolle spielen. Streiten zwei rein deutsche Parteien über den Verkauf einer deutschen Zielgesellschaft nach deutschem materiellen Recht, liegt es sicherlich ferner, einen internationalen oder anglo-amerikanischen Verfahrensstil zu wählen, als wenn die Parteien unterschiedlichen Rechtskreisen entstammen oder gar beide der anglo-amerikanischen Prozess-
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tradition nahestehen. Umgekehrt mag es ebenso wenig naheliegen, bei ausschließlich ausländischen Kaufvertragsparteien genuin deutsche ZPO-Verfahrenstechniken wie beispielsweise die Relationstechnik, hohe Substantiierungsanforderungen oder die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast übermäßig zu strapazieren. 1037 Ein wesentlicher Treiber bei der Wahl des Verfahrensstils ist in der Praxis der Erfahrungshintergrund der Schiedsrichter selbst, namentlich des Vorsitzenden. Schiedsrichter, die häufiger als Vorsitzende agieren, entwickeln häufig über die Jahre eine gewisse Vorstellung davon, wie ein Schiedsverfahren üblicherweise abzulaufen hat. Diese Grundvorstellungen äußern sich oftmals in dem Entwurf des Vorsitzenden zur ersten prozessleitenden Verfügung (Procedural Order No. 1 – PO 1), und für eine Partei ist es in der Regel schwierig, wesentliche Abweichungen davon durchzusetzen, es sei denn, dies geschähe im Einvernehmen mit der Gegenpartei. 1038 Abgesehen von grundsätzlichen Fragen des Verfahrensstils stellt sich üblicherweise die Frage nach der sinnvollen Abfolge der Verfahrensschritte. In PostM&A-Verfahren ist es praktisch üblich, zumal wenn es sich um administrierte Verfahren handelt, dass eingangs des Verfahrens, in der Regel nach Konstituierung des Schiedsgerichts, ein Verfahrensplan aufgestellt wird, der auf einen Schiedsspruch hinführt. In ICC-Verfahren ist dies sogar verbindlich vorgeschrieben (procedural timetable, vgl. Art. 24(2) ICC-SchO). In geeigneten Fällen kann es sich ferner anbieten, das Verfahren in Phasen einzuteilen, beispielsweise zu Haftungsgrund (liability) und Haftungsumfang (quantum), ggf. ergänzt durch eine diesen beiden vorangestellte Phase zur Zuständigkeit des Schiedsgerichts (jurisdiction), falls diese streitig ist. 1039 Gerade in Post-M&A-Schiedsverfahren ist ein solcher Verfahrensplan zur effizienten Verfahrensstrukturierung häufig sinnvoll. So sind Fragen der Schadensberechnung bei Garantieverletzungen üblicherweise sehr komplex, insbesondere wenn für Zwecke der Schadensermittlung eine Neubewertung des Zielunternehmens erforderlich ist, die den Wert des Unternehmens im mangelhaften mit dem Wert im mangelfreien Zustand vergleicht. Solange noch nicht einmal feststeht, ob überhaupt eine Garantie verletzt worden ist, mag es weder für das Schiedsgericht noch für die Parteien lohnend erscheinen, sich hierzu mit komplexen Gutachten zur Unternehmensbewertung zu beschäftigen. Steht fest, welche Garantien verletzt wurden (und welche nicht), kann in der nächsten Phase eine fokussiertere Schadensbetrachtung erfolgen. 2. Schriftsätze der Parteien 1040 Da die Parteien vorab üblicherweise keine Vereinbarungen zur Häufigkeit, Taktung, Länge und inhaltlichen Gestaltung von Schriftsätzen treffen und das deutsche Schiedsverfahrensrecht hierzu ebenfalls schweigt, liegen Vorgaben für die Schriftsatzgestaltung im Wesentlichen im Ermessen des Schiedsgerichts, das sich häufig in den Bestimmungen der ersten prozessleitenden Ver-
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fügung (PO 1) konkretisiert. Anzahl und Detailtiefe der vorbereitenden Schriftsätze hängen von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Komplexität der Thematik und von der Herangehensweise der Parteien bei den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen. Reicht der Schiedskläger eine Schiedsklage ein, die den Substantiierungsan- 1041 forderungen des deutschen staatlichen Gerichtsverfahrens nachgebildet ist, und gestaltet der Schiedsbeklagte seine Schiedsklageerwiderung entsprechend, kann es sich in einfacher gelagerten Fällen anbieten, auf weitere vorbereitende Schriftsätze zu verzichten und stattdessen frühzeitig eine erste mündliche Verhandlung durchzuführen. Sind die einleitenden Schriftsätze dagegen – wie international üblich – eher substantiierungsarm, wird das Schiedsgericht jedenfalls eine detaillierte Schiedsklagebegründung und –beantwortung verfügen. Je nach Komplexität der Materie mag eine weitere Schriftsatzrunde sinnvoll sein (Replik und Duplik). Hinzu kommen mögliche Widerklageanträge der Schiedsbeklagten und die entsprechende schriftsätzliche Reaktion der Schiedsklägers hierauf. Welche Herangehensweise der Schiedskläger bei der Detaillierung der Schieds- 1042 klage wählt, sollte wiederum von seinen taktischen und strategischen Erwägungen abhängen (und nicht nur von der Prozessrechtstradition, der sein Verfahrensbevollmächtigter entstammt). Ist der Sachverhalt weitgehend ausermittelt, steht die Fallstrategie fest und möchte der Schiedskläger den Gegner durch eine besonders gut vorbereitete und vertieft ausgearbeitete Schiedsklage beeindrucken, kann sich ein Herangehen anbieten, wie es im staatlichen Zivilverfahren vorgeschrieben ist. Häufig ist es allerdings in Post-M&ASchiedsverfahren so, dass der Sachverhalt bei Ablauf der üblicherweise kurzen vertraglichen Gewährleistungsfristen (häufig lediglich 12 – 18 Monate) noch nicht vollständig ausermittelt ist und/oder sich die Schadenshöhe noch in Entwicklung befindet. In solchen Fällen mag es ratsamer sein, eine allgemeine, mehr im Stil anglo-amerikanischer notice-pleadings gefasste Schiedsklage einzureichen und sich noch nicht auf sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Details festzulegen, um größeren Spielraum für künftige Sachverhaltsentwicklungen zu haben, ohne sich die Blöße geben zu müssen, seine Anspruchsbegründung ständig zu ändern. 3. Beweismittel in Post-M&A-Schiedsverfahren Wie in den meisten Schiedsverfahren spielen die einer Partei zu Gebote ste- 1043 henden Beweismittel auch in Post-M&A-Schiedsverfahren bei der Verfahrensgestaltung durch die Parteien und bei der Entscheidung durch das Schiedsgericht eine herausragende Rolle. Jedenfalls bei der aus Sicht der Parteien gebotenen ex ante-Betrachtung wird es kaum einen Fall geben, der sich ausschließlich um Rechtsfragen dreht, oder bei dem sämtliche Sachverhaltsfragen unstreitig sind.
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1044 Das Schiedsgericht ist nicht auf den Kanon der Strengbeweismittel beschränkt, der die Beweisaufnahme vor den staatlichen Gerichten prägt. § 1042 Abs. 4 Satz 2 ZPO erstreckt das Verfahrensermessen des Schiedsgerichts ausdrücklich auf die Zulässigkeit der Beweiserhebung, deren Durchführung und die Beweiswürdigung. In der Praxis spielen in Post-M&A-Schiedsverfahren v. a. drei Kategorien von Beweismitteln eine tragende Rolle, nämlich Dokumente (dazu a), Rn. 1045 ff.), Zeugen (dazu b), Rn. 1051 ff.) und Sachverständige (dazu c), Rn. 1056 ff.). Weitere mögliche Beweismittel wie Inaugenscheinnahmen und amtliche Auskünfte sind ebenfalls denkbar, kommen bei PostM&A-Verfahren praktisch allerdings selten vor. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Besonderheiten der jeweiligen Beweismittel in Post-M&A-Schiedsverfahren und erheben nicht den Anspruch, diese Beweismittel für Zwecke des Schiedsverfahrens erschöpfend zu erörtern. a) Dokumente 1045 Dokumente sind in Post-M&A-Schiedsverfahren üblicherweise ein Kernbestandteil der Beweisführung beider Parteien. Dies beginnt bereits mit dem Unternehmenskaufvertrag und dessen Auslegung. Zu beweisrechtlich relevanten Dokumenten gehören nicht nur Urkunden im herkömmlichen Sinn verkörperter Gedankenerklärungen, sondern schriftliche Äußerungen jedweder Art und Form, einschließlich elektronischer Dokumente, wie beispielsweise E-Mails, Excel-Listen und Powerpoint-Präsentationen. 1046 Gerade die E-Mail-Korrespondenz ist zu einem nicht mehr hinweg zu denkenden Wesensmerkmal modernen Geschäftsverkehrs geworden und spielt daher auch bei streitigen Auseinandersetzungen über Unternehmenskäufe eine tragende Rolle. Häufig ergeben sich beispielsweise aus der E-Mail-Korrespondenz innerhalb der Zielgesellschaft mögliche Hinweise auf Garantieverletzungen oder aufklärungsbedürftige Umstände. Der E-Mail-Verkehr zwischen Veräußerer und Erwerber kann Aufschluss über das Verständnis der Parteien zu einschlägigen Vertragsbestimmungen geben. 1047 Zugang zu Dokumenten ist daher für beide Parteien essentiell. Für den Erwerber ist dies regelmäßig vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen, soweit es sich um in der Zielgesellschaft vorhandene Informationen handelt, da er die Kontrolle über das Zielunternehmen hat und sich daher im Regelfall unschwer Zugang zu den Informationen aus der Zielgesellschaft beschaffen kann, die für seine Verfahrensführung von Bedeutung sind. Der Veräußerer ist demgegenüber nach Vollzug des Unternehmenskaufvertrages regelmäßig von Informationen in der Zielgesellschaft abgeschnitten. Darüber hinaus ist es für beide Parteien regelmäßig von Interesse, Zugang zu Dokumenten aus der Sphäre des jeweils anderen zu erlangen. Der Erwerber mag in der Pflicht sein, ein wie auch immer geartetes Wissen, Kennenmüssen oder Vertretenmüssen des Veräußerers hinsichtlich garantie- oder aufklärungsrelevanter Umstände zu begründen. Umgekehrt kann die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Erwerbers von solchen Umständen Ansprüche mindern oder ausschließen. 346
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Aus diesen Gründen stellt sich in Post-M&A-Schiedsverfahren regelmäßig 1048 die Frage nach der Offenlegung von Dokumenten durch die nicht beweisbelastete Partei (disclosure).1657) Welche Herangehensweise das Schiedsgericht hierbei wählt, steht in Ermangelung einer Parteivereinbarung in seinem Ermessen. Es kann sich dabei von den Grundsätzen des staatlichen Gerichtsverfahrens leiten lassen (insbesondere § 142 ZPO), namentlich wenn das Schiedsverfahren insgesamt stilistisch dem deutschen staatlichen Gerichtsverfahren angenähert ist. Das Schiedsgericht kann insoweit aber auch die deutlich großzügigere Herangehensweise des anglo-amerikanischen Rechtskreises anwenden, die im Wesentlichen darauf abstellt, ob ein herausverlangtes Dokument vernünftigerweise zu zulässigen Beweisen führen kann (Ausforschung). Eine Kompromisslösung, der Schiedsgerichte bei Post-M&A-Schiedsverfahren 1049 mittlerweile häufig folgen, stellen die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration (i. d. F.v. 2010) dar („IBA Rules“). Diese gestatten in ihrem Art. 3 dokumentenbezogene Herausgabeverlangen der Parteien gegen die jeweils andere Partei, setzen aber u. a. voraus, dass herausverlangte Dokumente möglichst konkret bezeichnet werden (Art. 3.3(a)) und entscheidungserheblich sein müssen (Art. 3.3(b) – „relevant to the case and material to its outcome“). In der Praxis geben Schiedsgerichte hierfür auch in PostM&A-Schiedsverfahren häufig die Verwendung tabellarischer Aufstellungen und standardisierten Einwendungen gegen Herausgabeverlangen auf, wie beispielsweise den nach seinem „Erfinder“ benannten Redfern-Schedule. Auch hier gelten die Ausführungen aus Kapitel 1 F zur Beweiswürdigung von 1050 Dokumenten (dort Rn. 599 f.), beispielsweise bei der Würdigung von E-MailVerkehr in der Zielgesellschaft oder der Vertragsparteien, oder bei der Würdigung von Präsentationen im Rahmen des Verkaufsprozesses. b) Zeugen Der Zeugenbeweis spielt in Post-M&A-Schiedsverfahren praktisch eine 1051 große Rolle, gerade wenn es darum geht, ein komplexes Geschehen im Zusammenhang zu schildern oder Dokumente in den richten Kontext zu setzen. Die im staatlichen Verfahren wesentliche Unterscheidung zwischen Zeugenund Parteivernehmung ist im Zehnten Buch der ZPO nicht angelegt und spielt auch in der Praxis normalerweise keine Rolle (vgl. Kapitel 1 F Rn. 601). In Post-M&A-Schiedsverfahren werden Zeugen häufig einer der Parteien 1052 nahe stehen, und zwar üblicherweise der benennenden Partei. Der Erwerber wird sich zur Begründung etwaiger Mängel oder Garantieverletzungen häufig auf Manager und Mitarbeiter der Zielgesellschaft berufen, die sich seit Vollzug des Kaufvertrages in der Kontrolle des Erwerbers befindet. Soweit es um Vertretenmüssen oder gar Vorsatz des Veräußerers geht, kommt es vielfach auf dessen Management bzw. Mitarbeiter an. ___________ 1657) Fletcher, ASA Special Series No. 24, 2005, 247, 253 ff.
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1053 Hinzu kommt, dass es in Schiedsverfahren üblich ist, Zeugen auf ihre Aussage vor dem Schiedsgericht vorzubereiten, beispielsweise durch Erläuterung der Bedeutung einer Aussage vor dem Schiedsgericht, Bekanntgabe möglicher Beweisthemen, Besprechung von Antworten auf mögliche Fragen oder simulierte Vernehmungssituationen (mock trials, vgl. zum Ganzen Kapitel 1 F Rn. 605). Solange dabei keinerlei Einfluss auf den Zeugen ausgeübt wird, unwahre Aussagen zu tätigen, sind Vorbereitungsmaßnahmen dieser Art ohne weiteres zulässig und vielfach zweckmäßig oder gar erforderlich, um den Zeugen zu einer Aussage zu bewegen, zumal das Erscheinen vor dem Schiedsgericht freiwillig ist (vgl. Kapitel 1 F Rn. 602). 1054 Die Nähe zu einer Partei oder die Vorbereitung auf die Zeugenaussage begründen daher in keiner Weise die Unzulässigkeit des Zeugenbeweises. Diese Umstände sind allerdings bei der Würdigung von Zeugenaussagen zu berücksichtigen. Ggf. kann es sich aus Sicht des Schiedsgerichts auch anbieten, insoweit etwas härtere Kreuzverhöre zuzulassen, als dies vor deutschen staatlichen Gerichten die Regel ist, wenngleich Schiedsgerichte üblicherweise Kreuzverhöre US-amerikanischen Zuschnitts wenig goutieren bzw. von vorneherein nicht zulassen. Nicht praxisgerecht wäre es dagegen, wollte ein Schiedsgericht einer Zeugenaussage allein deshalb jeden Beweiswert absprechen, weil der Zeuge einer Partei nahe steht oder eine Vorbereitung des Zeugen auf seine Aussage im vorstehend beschriebenen Sinn stattgefunden hat. 1055 Praxistaugliche und in Post-M&A-Schiedsverfahren häufig angewandte Konzepte für Fragen des Zeugenbeweises enthält Art. 4 IBA Rules, der die Zulässigkeit von Vorbereitungsmaßnahmen ausdrücklich bejaht (Art. 4.3 IBA Rules) und im Übrigen stark auf die international weit verbreitete Praxis von vorbereitenden schriftlichen Zeugenaussagen (written witness statements) abstellt (Art. 4.4 – 4.8 IBA Rules). c) Sachverständige 1056 Der Sachverständigenbeweis ist das einzige Beweismittel, das im Zehnten Buch der ZPO mit einer eigenen Vorschrift ausdrücklich geregelt wird (§ 1049 ZPO). Die ZPO bleibt insoweit dem Leitbild des schiedsgerichtlich bestellten Sachverständigen verhaftet und erwähnt von den Parteien beauftragte Sachverständige lediglich beiläufig (§ 1049 Abs. 2 Satz 2 ZPO). In der Praxis von PostM&A-Schiedsverfahren spielen Sachverständige häufig eine tragende Rolle, und zwar sowohl Parteigutachter als auch schiedsgerichtlich bestellte Gutachter. 1057 Kaum eine Partei wird es bei einem bedeutsamen Streit aus einem Unternehmenskauf darauf ankommen lassen, was ein schiedsgerichtlich bestellter Sachverständiger zu der maßgeblichen Fragestellung – ob beispielsweise eine Garantie verletzt oder wie hoch der daraus folgende Schaden anzusetzen ist – zu einem häufig nicht näher prognostizierbaren Zeitpunkt im Lauf des Verfahrens feststellen wird. Stattdessen stellt die Vorbereitung der Anspruchsbegründung bzw. –erwiderung mithilfe professionellen externen Sachver-
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standes häufig einen zentralen Arbeitsstrang aus Sicht der Parteien und ihrer Bevollmächtigten dar.1658) Gerade bei der Frage der Schadensberechnung ist dies häufig nahezu alter- 1058 nativlos, zumal wenn der Schaden, wie dies die Rechtsprechung im Grundsatz fordert, durch eine Neubewertung des Unternehmens (Vergleich des Unternehmenswertes im mangelhaften und mangelfreien Zustand) zu berechnen ist.1659) Hierzu werden sich beide Parteien betriebswirtschaftlichen Sachverstandes bedienen, beispielsweise von Wirtschaftsprüfern oder sog. forensic accountants. Aber auch die Frage, ob eine Garantie verletzt ist, mag sachverständiger 1059 Würdigung bedürfen, beispielsweise wenn die Verletzung von Rechnungslegungsstandards im Rahmen einer Bilanzgarantie oder die Verletzung anwendbaren ausländischen Rechts im Zusammenhang mit einer Rechtstreuegarantie (Compliance) geltend gemacht wird. Soweit das Schiedsgericht einen eher internationalen Verfahrensstil pflegt, können selbst zu Fragen des anwendbaren deutschen Rechts Stellungnahmen von Sachverständigen erforderlich werden, beispielsweise zu Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes oder des Steuerrechts. Art. 5 IBA Rules enthalten ausführliche Praxisempfehlungen für parteibe- 1060 nannte Sachverständige, Art. 6 IBA Rules behandeln den vom Schiedsgericht bestellten Sachverständigen. Auch diese Bestimmungen der IBA Rules haben mittlerweile in der Praxis von Post-M&A-Schiedsverfahren breite Akzeptanz gefunden. 4. Mündliche Verhandlung Obgleich § 1047 ZPO vom Grundsatz der fakultativen mündlichen Verhand- 1061 lung ausgeht, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Praxis von Post-M&A-Schiedsverfahren eindeutig die Regel. In Ermangelung näherer gesetzlicher Regelungen und soweit keine Verfahrensvereinbarung der Parteien vorliegt, liegen Fragen der Terminierung und Gestaltung mündlicher Verhandlungen im Verfahrensermessen des Schiedsgerichts (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO). So kann das Schiedsgericht beispielsweise versuchen, den Fall im Rahmen eines 1062 umfassenden, ggf. auch mehrere Tage oder Wochen währenden Hauptverhandlungstermins zu erledigen. Alternativ kommen gestaffelte Verhandlungstermine mit thematischen Schwerpunkten in Betracht. Letzteres liegt besonders nahe, wenn das Schiedsgericht einen Phasenplan (z. B. mit den Phasen Zuständigkeit, Haftungsgrund, Haftungsumfang) verfolgt. Dann mag sich (mindestens) ein Verhandlungstermin pro Phase anbieten. ___________ 1658) Ähnlich Fletcher, ASA Special Series No. 24, 2005, 247, 249 ff. 1659) Vgl. OLG Köln ZIP 2009, 2063.
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1063 Für die inhaltliche Gestaltung einzelner Verhandlungstermine hat das Schiedsgericht erneut Ermessen. Insoweit gelten in Bezug auf Post-M&A-Verfahren keine Besonderheiten. Das Schiedsgericht kann die Parteien bzw. ihre Vertreter beispielsweise auffordern, mündliche Plädoyers zum gesamten Fall oder einzelnen Aspekten des Falles zu halten, an die sich Fragen des Schiedsgerichts anschließen können. Das Schiedsgericht kann auch von sich aus Hinweise zum Sach- und Streitstand und zu etwaigen vorläufigen Ansichten, die sich das Schiedsgericht insoweit gebildet hat, geben. Zu berücksichtigen ist, dass die Hinweispflicht des § 139 ZPO im Schiedsverfahren nicht gilt.1660) In jedem Fall bietet es sich an, den Ablauf einer mündlichen Verhandlung durch eine vorab den Parteien rechtzeitig bekannt gegebene Agenda zu strukturieren. V. Schiedsspruch und andere Formen der Erledigung 1064 Hinsichtlich der Erledigung von Schiedsverfahren durch Schiedsspruch oder auf andere Art und Weise gelten bei Post-M&A-Schiedsverfahren die allgemeinen Grundsätze; insoweit kann auf die Ausführungen in Kapitel 1 F (dort Rn. 608 ff.) verwiesen werden. Schiedsgerichte haben deutsches und europäisches Kartellrecht zu beachten und zu prüfen; verstoßen sie dagegen, kommt eine Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verstoßes gegen den ordre public in Betracht.1661) VI. Einstweiliger Rechtsschutz 1065 Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes können sich bei Post-M&A-Schiedsverfahren in ähnlicher Weise stellen wie generell in Schiedsverfahren. Daher ist insoweit zunächst auf die in Kapitel 1 F (dort Rn. 617 ff.) ausgeführten allgemeinen Grundsätze zu verweisen, insbesondere die Parallelität von einstweiligem Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten und vor dem Schiedsgericht (§§ 1033, 1041 ZPO). Vorläufige Anordnungen im Zusammenhang mit Post-M&A-Schiedsverfahren können sich beispielsweise beziehen auf die Verhinderung einer Anteilsübertragung, das Verbot von leakage Transaktionen zwischen Signing und Closing, die Einhaltung sonstiger Verpflichtungen (covenants) in diesem Zeitraum, den Zugriff auf Treuhandgelder, die Ziehung von Sicherheiten (Bürgschaft, Letter of Credit), Vertraulichkeitsverletzungen, die Leistung einer Kostensicherheit (allerdings in der Praxis nur in Ausnahmefällen und unter besonderen Voraussetzungen) oder die Sicherung von Beweismitteln.1662) ___________ 1660) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1300; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1042 Rn. 13; OLG München SchiedsVZ 2011, 230, 232; a. A. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 15 Rn. 5. 1661) EuGH, Rs. C-126/97, Slg. I 1999, 3055 – Eco Swiss; BGH GRUR 1966, 576. 1662) von Segesser, ASA Special Series No. 24, 2005, 17, 40 ff.; Fletcher, ASA Special Series No. 24, 2005, 247, 261 ff.
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VII. Sonderkonstellationen Praktisch immer wieder vorkommende Sonderkonstellationen im Zusam- 1066 menhang mit M&A-Schiedsverfahren sind Überlegungen zu sog. fast-trackVerfahren, namentlich bei Streitigkeiten über Material Adverse Change-Klauseln (sog. MAC-Klauseln, nachfolgend 1., Rn. 1067 ff.), und der Umgang mit Compliance-Problemen, insbesondere Korruptionsvorfällen in der Zielgesellschaft (nachfolgend 2., Rn. 1073 ff.). Hinsichtlich der Beteiligung Dritter und der Führung mehrerer paralleler Verfahren gelten die in Kapitel 1 F (dort Rn. 621 ff. und Rn. 624 ff.) ausgeführten Grundsätze entsprechend. 1. Fast-track-Verfahren, insbesondere bei MAC-Streitigkeiten a) Problemstellung Ein besonderes Gestaltungsinstrument, das in den letzten Jahren in Unterneh- 1067 menskaufverträgen zunehmend Verbreitung gefunden hat, sind sog. Material Adverse Change-Klauseln (abgekürzt MAC-Klauseln).1663) MAC-Klauseln, die ein Tansplantat aus der US-amerikanischen Vertragsgestaltungspraxis darstellen, gestatten dem Käufer typischerweise die Lösung vom Unternehmenskaufvertrag, wenn sich zwischen Vertragsschluss und geplantem Vollzug gravierende, vertraglich ggf. qualitativ und/oder quantitativ näher umschriebene Veränderungen ergeben, die dem Käufer ein Festhalten am Vertrag unzumutbar erscheinen lassen. In der Sache weisen MAC-Klauseln daher eine gewisse Nähe zu den Grundsätzen des deutschen Rechts über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf, wobei allerdings zwei wesentliche Unterschiede zu beachten sind. Zum einen kann die Aufgreifschwelle für einen MAC anders bzw. geringer sein als für eine Grundlagenstörung. Zum anderen ist die Rechtsfolge der Grundlagenstörung primär Vertragsanpassung und lediglich als ultima ratio die Vertragsaufhebung, während bei MAC-Klauseln typischerweise letzteres der Fall ist. Entsteht zwischen den Parteien Streit über die Frage, ob ein MAC vorliegt, 1068 tritt die missliche Situation ein, dass sich der Vollzug des Unternehmenskaufvertrages auf längere, ggf. nicht näher absehbare Zeit verzögern kann. Ein reguläres Schiedsverfahren über das Vorliegen eines MAC kann erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, zumal wenn die den behaupteten MAC begründenden Umstände komplexer Natur sind oder der sachverständigen Begutachtung bedürfen. Ein langer Schwebezustand zur Frage der Vollzugspflicht ist häufig allseitig unerwünscht. Der Verkäufer möchte den Verkauf vollziehen. Der Käufer dürfte regelmäßig – nicht zuletzt mit Blick auf eine etwaige Fremdfinanzierung – ebenfalls ein Interesse an einer raschen Klärung der Frage haben, ob er nun zur Abnahme des Unternehmens verpflichtet ist oder ___________ 1663) Formulierungsbeispiele bei Münchener Vertragshandbuch Bd. 4/Rieder, S. 358 ff.; Zimmer/Henle, in: Jaletzke/Henle, S. 75 f., 86 ff.; Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 124.
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nicht. Schließlich kann ein längerer Schwebezustand zu der Frage, wer nun eigentlich langfristig Eigentümer des Unternehmens ist, für die Zielgesellschaft, ihre Mitarbeiter, Kunden und weitere Stakeholder außerordentlich belastend sein. b) Gestaltungsmöglichkeiten 1069 Vor diesem Hintergrund gibt es seit Längerem Überlegungen, Streitigkeiten über das Vorliegen eines MAC einem isolierten, besonders zügig durchzuführenden Schiedsverfahrensregime zu unterwerfen (sog. fast-track arbitration).1664) Erforderlich hierfür ist entweder die Bezugnahme auf ein beschleunigtes Verfahren, wie es in einigen Schiedsordnungen angeboten wird,1665) oder aber eine zusätzliche Schiedsvereinbarung, die ausschließlich für das MAC-Verfahren gilt und spezifische Gestaltungselemente aufzuweisen hat. Empfohlen wird beispielsweise, das Schiedsgericht bereits bei Vertragsschluss als stand-by Spruchkörper zu installieren, damit im Fall eines Streits keine Zeit für die Konstituierung des Schiedsgerichts verloren geht.1666) Im Interesse weiterer Zeitersparnis wird ferner dazu geraten, ein Ad-hoc-Schiedsverfahren, beispielsweise unter Zugrundelegung der UNCITRAL-Regeln, zu vereinbaren, wenn man nicht auf Regeln über das beschleunigte Verfahren einer Schiedsordnung zurückgreift.1667) 1070 Entscheidend für die Abkürzung und Verdichtung des Verfahrens sind nach wenigen Wochen bemessene, kurze Fristen für die Schiedsklageerhebung, Klageerwiderung, ggf. weitere Schriftsätze, die Durchführung der mündlichen Verhandlung einschließlich Beweisaufnahme und die Absetzung des Schiedsspruchs.1668) Auch eine Konzentration und ggf. Reduzierung der zulässigen Beweismittel ist zu erwägen, wie beispielsweise der weitgehende Verzicht auf document disclosure oder Sachverständigengutachten.1669) 1071 Bei idealtypischer Betrachtung können auf diese Weise Verfahrensdauern von nicht mehr als drei Monaten erzielt werden.1670) Zu beachten ist allerdings, dass stets unvorhergesehene Umstände eine gewisse Verlängerung des Zeitplans erzwingen können (beispielsweise aufgrund Ablehnung eines Schiedsrichters). Die fast-track-Schiedsklausel sollte daher tunlichst nicht so formuliert sein, dass ihre Gültigkeit in Frage steht, wenn die vorgesehene Gesamtverfah___________ 1664) Exemplarisch Borris, BB 2008, 294 ff.; ferner Berger, SchiedsVZ 2008, 105, 110; Broichmann, in: Festschrift Pöllath+Partners, S. 115 ff.; von Segesser, ASA Special Series No. 24, 2005, 17, 38 ff.; Wächter, M&A-Litigation, Rn. 318. 1665) Siehe beispielsweise Art. 28 Swiss Rules. 1666) Borris, BB 2008, 294, 296. 1667) Borris, BB 2008, 294, 296. 1668) Borris, BB 2008, 294, 297. 1669) Borris, BB 2008, 294, 297. 1670) Borris, BB 2008, 294, 297.
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A. Schiedsverfahren
rensdauer überschritten wird;1671) denn dies kann zu gerade nicht erwünschten langanhaltenden weiteren Streitigkeiten darüber führen, ob das Schiedsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde und ein etwaiger Schiedsspruch verbindlich ist oder nicht (vgl. § 1059 Abs. 2 Nr. 1c ZPO). Es versteht sich von selbst, dass die notwendige starke Verfahrenskonzentration 1072 und –verkürzung zu einer Beschränkung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln einer (oder aller) Parteien führen können. Rechtliches Gehör einerseits und Effizienz des Verfahrens andererseits müssen daher im Vorfeld sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. 2. Compliance, insbesondere Korruption im Zielunternehmen a) Problemstellung Eine in den letzten Jahren zunehmend ernster werdende Problematik betrifft 1073 die Feststellung von Compliance-Verstößen und Compliance-Verdachtsfällen im Zielunternehmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Transaktionsverlauf. Praktisch häufig sind Korruptionsfälle, also Situationen, in denen der Verdacht besteht (oder gar der Nachweis erbracht ist), dass das Zielunternehmen den Absatz seiner Produkte durch korrupte Geschäftspraktiken fördert (beispielsweise durch Einschaltung dubioser Berater), oder aber dass sich Angehörige des Zielunternehmens beim Bezug von Lieferungen und Leistungen bestechen lassen. Ein weiteres sensibles Feld betrifft Verstöße gegen das Kartellrecht, beispielsweise durch unzulässige Absprachen oder abgestimmtes Verhalten in Bezug auf die Preisbildung. Daneben gibt es eine Fülle weiterer Compliance-relevanter Felder, von Arbeits- und Produktsicherheit über Datenschutz bis hin zu Fragen der Steuerehrlichkeit und der Einhaltung von Umweltstandards, die in den letzten Jahren vermehrt nationale und internationale Aufmerksamkeit erlangt haben.1672) Werden solche (Verdachts)Fälle im Zuge der Vertragsverhandlungen auf- 1074 gedeckt, besteht die Möglichkeit zu vertraglicher Vorsorge, beispielsweise durch einen reduzierten Kaufpreis, durch Freistellungs- und Garantieerklärungen oder durch Abstandnahme vom Vertragsschluss. Zu Post-M&A-Schiedsverfahren kann es dagegen kommen, wenn Compliance-(Verdachts)Fälle nach Vollzug der Transaktion oder zwischen Vertragsschluss und Vollzug auftreten. In materiell-rechtlicher Hinsicht stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob Garantiebestimmungen des Kaufvertrages einschlägig sind, ob der Käufer – ggf. über die ausdrücklichen vertraglichen Rechtsbehelfe hinaus – vom Vertrag zurücktreten bzw. dessen Rückabwicklung verlangen kann, ob ihm ___________ 1671) Borris, BB 2008, 294, 297. 1672) Zum Ganzen siehe die Standardwerke zu Rechtsfragen der Compliance, etwa Hauschka, Corporate Compliance, 3. Aufl., 2016; Inderst/Bannenberg/Poppe, Compliance, 2. Aufl. 2013; Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385 ff.; Wiederholt/Walter, BB 2011, 968 ff.
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weitergehende Schadensersatzansprüche bis hin zu entgangenem Gewinn zustehen u.v. a.m.1673) 1075 Praktisch stellt sich häufig die Frage, ob nur der nachgewiesene ComplianceVerstoß Rechtsbehelfe begründet, oder ob dies auch bereits bei Vorliegen eines konkreten, nicht kurzfristig auszuräumenden Verdachts der Fall sein kann („Verdacht als Mangel“), wofür gute Gründe sprechen.1674) b) Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und Zuständigkeit des Schiedsgerichts 1076 Compliance-(Verdachts)Fälle in Post-M&A-Schiedsverfahren geben darüber hinaus zu einer Reihe von prozessualen Fragestellungen Anlass. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob sich Korruptions- und ähnliche Straftaten im Zielunternehmen auf die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung im Unternehmenskaufvertrag auswirken. Dies ist im Regelfall zu verneinen. Die Schiedsvereinbarung ist ohnehin vom Hauptvertrag getrennt zu betrachten (§ 1040 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Hinzu kommt, dass Hauptvertrag der Unternehmenskauf ist, und nicht etwa der einzelne durch Korruption o. Ä. induzierte Geschäftsabschluss innerhalb des Zielunternehmens. 1077 Etwas anderes kann gelten, wenn das Schiedsverfahren gezielt zur Verschleierung einer Straftat (wie beispielsweise Korruption) missbraucht wird, wenn also beispielsweise das Zielunternehmen lediglich zum Schein verkauft wird und durch das Schiedsverfahren eine Geldzahlung (z. B. Kaufpreis) legitimiert werden soll, die in der Sache eine Bestechungszahlung darstellt.1675) Dass solche Fälle selten sind, liegt auf der Hand. c) Anzeige und Amtsniederlegung? 1078 Ein weiterer praktisch relevanter Problemkreis betrifft die Frage, wie Schiedsrichter mit dem Verdacht von Straftaten umgehen sollen, der ihnen im Lauf des Schiedsverfahrens bekannt wird. Nach zutreffender herrschender Meinung sind Schiedsrichter – anders als staatliche Gerichte – aufgrund der aus dem Schiedsrichtervertrag folgenden Verschwiegenheitsverpflichtung nicht befugt, den Verdacht von Straftaten (unterhalb der Schwelle von § 138 StGB) bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.1676) 1079 Denkbar ist allerdings, dass einem Schiedsrichter im Einzelfall die Fortführung seines Amtes nicht zumutbar ist und daher ein wichtiger Grund zur Kündigung des Schiedsrichtervertrages vorliegt (§§ 314, 626 BGB).1677) Die ___________ 1673) Louven/Mehrbrey, NZG 2014, 1321 ff. 1674) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1171; Faust, in: Festschrift Picker, S. 185, 196 ff.; krit. Grunewald, in: Festschrift Konzen, S. 131, 138. 1675) Vgl. hierzu allgemein Hilgard, BB 2015, 1091 ff. 1676) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1174 m. w. N. 1677) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1170.
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A. Schiedsverfahren
Amtsniederlegung ist ohnehin jederzeit wirksam möglich,1678) wenngleich eine Niederlegung ohne wichtigen Grund missliche Folgen für die Vergütungsansprüche des Schiedsrichters bzw. etwaige diesbezügliche Rückerstattungspflichten bei bereits vereinnahmten Gebühren und Vorschüssen haben kann (Rechtsgedanke § 628 BGB).1679) Wann Unzumutbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Nicht jeder Ge- 1080 setzesverstoß im Zielunternehmen (oder gar der bloße Verdacht eines solchen) betrifft die Amtsführung des Schiedsrichters im Rahmen eines Schiedsverfahrens über den Unternehmenskaufvertrag. Im Gegenteil sind solche Verstöße häufig ausdrücklich Gegenstand vertraglicher Garantieerklärungen (z. B. Compliance-Garantie).1680) Über daraus folgende Ansprüche zu judizieren ist gerade der Kern des Auftrags an die Schiedsrichter. Anders mag es sein, wenn das Zielunternehmen ausschließlich oder vorwiegend unlauteren Zwecken dient (Briefkastenfirma, schwarze Kasse etc.). Nicht leicht zu beantworten ist die Frage, wie Schiedsrichter in solchen Fällen 1081 hinreichende tatsächliche Gewissheit erlangen können, ob ein Kündigungsgrund vorliegt, wenn die Fakten nicht evident „auf dem Tisch liegen.“ Auf Grundlage des im Schiedsverfahren geltenden beschränkten Untersuchungsgrundsatzes1681) wird man das Schiedsgericht für befugt halten dürfen, auch insoweit in gewissem Umfang Ermittlungen anzustellen.1682) Dabei ist zu beachten, dass für die Kündigung des Schiedsrichtervertrages, der ein Dauerschuldverhältnis ist, kein Tatnachweis erforderlich ist, sondern der konkrete, nicht kurzfristig ausräumbare Verdacht ausreichen kann (Verdachtskündigung).1683) d) Beweis- und Verfahrensfragen Ferner stellt sich in Compliance-(Verdachts)Fällen die Frage nach Beweis- 1082 last und Beweismaß. Erstere ist – jedenfalls nach deutschem Verständnis – eine materiell-rechtliche Frage; nach dem allgemeinen Günstigkeitsgrundsatz1684) trägt derjenige die Beweislast, der aus dem Vorliegen eines Compliance-(Verdachts-)Falls eine ihm günstige Rechtsfolge ableiten will. Da es sich häufig um Vorgänge aus der Sphäre des Beweisgegners handelt, kann 1083 an die Anwendung der im deutschen staatlichen Gerichtsverfahren entwi___________ 1678) Altenkirch, SchiedsVZ 2014, 113, 115; Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1174. 1679) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 4369; Altenkirch, SchiedsVZ 2014, 113, 116 ff. 1680) Formulierungsbeispiel bei Münchener Vertragshandbuch Bd. 4/Rieder, S. 373. 1681) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1042 Rn. 108; Nedden/Herzberg/Stumpe/Haller, § 27 DIS-SchO Rn. 4; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1281 ff.; Quinke, SchiedsVZ 2013, 129, 132. 1682) Saenger/Saenger, ZPO, § 1042 Rn. 16; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1281 ff.; Quinke, SchiedsVZ 2013, 129, 132. 1683) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1170. 1684) BGH NJW 2005, 2395, 2396; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 863.
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ckelten Grundsätze über die sekundäre Darlegungs- und Beweislast1685) in Betracht kommen. Allerdings ist zu bedenken, dass wesentlicher Geltungsgrund dieser Regeln der Grundsatz ist, dass im staatlichen Gerichtsverfahren jede Seite selbst für die Gewinnung der für die Prozessführung erforderlichen Informationen verantwortlich ist, eine Seite nicht gehalten ist, ihrem Gegner die Waffen für dessen Prozesssieg an die Hand zu geben und nur beschränkte Möglichkeiten der Informationsgewinnung beim Prozessgegner bestehen (vgl. aber § 142 ZPO). Je mehr ein Schiedsgericht wechselseitige Anträge auf Dokumentenvorlage (disclosure) gestattet, umso weniger mag Anlass bestehen, der beweisbelasteten Partei durch die Grundsätze über die sekundäre Darlegungs- und Beweislast „unter die Arme zu greifen.“1686) 1084 Zur Frage des Beweismaßes für die Annahme von Compliance-(Verdachts-) Fällen ist zu beachten, dass das deutsche Schiedsverfahrensrecht keine allgemeine Beweismaßregel enthält; § 286 ZPO gilt lediglich im staatlichen Gerichtsverfahren. Das Schiedsgericht ist in der Beweiswürdigung frei (§ 1042 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Gleichwohl orientieren sich Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland häufig an dem in § 286 ZPO vorgezeichneten Beweismaß, wonach die entscheidungserheblichen Tatsachen grundsätzlich zur Überzeugung des Schiedsgerichts nachgewiesen sein müssen, wenn auch Restzweifel verbleiben dürfen.1687) Regelmäßig bietet es sich an, dieses Beweismaß auch für den Nachweis eines Compliance-Verstoßes bzw. den Nachweis eines hinreichenden Compliance-Verdachtsfalles anzunehmen.1688) Ein strengeres Beweismaß, wie es etwa im Strafprozess zur Anwendung kommt, ist nicht veranlasst.1689) 1085 Abschließend ist aus praktischer Hinsicht darauf hinzuweisen, dass der Nachweis von Compliance-Verstößen häufig nur unter Rückgriff auf den Indizienbeweis geführt werden kann, zumal, wenn es sich um Korruptionsfälle handelt. Denn typischerweise werden die Zahlungswege, beispielsweise durch Einschaltung von „Beratern“ und ähnlichen Intermediären so verschleiert, dass ein direkter Nachweis einer korrupten Zahlung an einen Amts- bzw. Entscheidungsträger nicht geführt werden kann (kein Zugriff auf Unterlagen zu ausländischen Bankkonten Dritter etc.). Indizien, die Schiedsgerichte in der Praxis bisweilen haben ausreichen lassen, sind beispielsweise extrem hohe Provisionszahlungen, das Fehlen jeglicher Leistungsnachweise für die vorgeblich erbrachten Leistungen, ggf. verbunden mit dem Umstand, dass eine Partei die Sachaufklärungsversuche des Schiedsgerichts unterläuft, indem sie
___________ 1685) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1174. 1686) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1774 f. 1687) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1042 Rn. 119; Saenger/Saenger, ZPO, § 1042 Rn. 18; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 13. Aufl., § 286 Rn. 18; Elsing, SchiedsVZ 2011, 114, 120. 1688) Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1173. 1689) MünchKomm-ZPO/Münch, § 1042 Rn. 110; Elsing, SchiedsVZ 2011, 114, 120.
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B. Post Merger Litigation
sich beispielsweise weigert, angeforderte aussagekräftige Belege vorzulegen oder an einer sachverständigen Begutachtung mitzuwirken.1690) In verfahrensmäßiger Hinsicht ist zu überlegen, wie das Schiedsgericht mit 1086 der häufig gegebenen Parallelität behördlicher Ermittlungen bzw. Strafverfahren einerseits und des Schiedsverfahrens andererseits praktisch umgehen soll. Zwar ist das Schiedsgericht aus rechtlicher Sicht gehalten, zu einer eigenen Beurteilung zu gelangen und daher an Ergebnisse behördlicher oder gar strafgerichtlicher Verfahren nicht gebunden. Aus Gründen der Verfahrensökonomie und mit Blick auf ggf. weiterreichende Ermittlungsmöglichkeiten staatlicher Behörden und Gerichte kann sich allerdings gleichwohl eine Aussetzung des Schiedsverfahrens für eine gewisse Dauer anbieten.1691) B. Post Merger Litigation I. Vorbemerkung Stephan Brandes
Post-Merger-Streitigkeiten sind Auseinandersetzungen mit Bezug zu einem 1087 verkauften Unternehmen, die nach Vollzug des Kaufvertrages, also nach Übertragung der gekauften Geschäftsanteile oder Vermögensgegenstände entstehen. In aller Regel wird es sich um Differenzen zwischen Verkäufer und Käufer handeln. Für den Fall, dass der Unternehmenskauf in Form eines Share Deals, also einer Übertragung von Geschäftsanteilen durchgeführt wurde, rechnen zu den Post-Merger-Streitigkeiten ferner solche, die im Anschluss an den Vollzug des Vertrages zwischen der Zielgesellschaft, also dem erworbenen Unternehmen selbst und dem Verkäufer geführt werden. Abzugrenzen sind Post-Merger-Streitigkeiten damit von Auseinanderset- 1088 zungen, die vor Vollzug des Kaufvertrages, also entweder im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Vollzug oder sogar schon vor Abschluss des bindenden Kaufvertrages anhängig gemacht werden. Solche Auseinandersetzungen werden als Pre-M&A-Streitigkeiten oder Pre-Closing-Litigation bezeichnet. Angesprochen sind damit vor allen Dingen Klagen auf Erfüllung der Hauptleistungspflichten aus dem Unternehmenskaufvertrag, also auf Zahlung des Kaufpreises bzw. Lieferung des gekauften Unternehmens, wenn eine Seite ihre vertraglichen Verpflichtungen – aus welchem Grunde auch immer – nicht erfüllt. Zum anderen fallen in den Bereich der Pre-Closing-Litigation Klagen bei Nichtzustandekommen von M&A-Transaktionen sowie Klagen aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Vereinbarungen wie Term Sheets, Memoranda of Understanding, Letters of Intent und ähnliche, vorvertragliche Bindungen unterschiedlicher Intensität begründende Dokumente, die in einem M&A-Prozess dem Verkäufer dazu dienen, von den Kaufinteressenten schrittweise ein immer stärkeres Commitment einzufordern, um unter den verschie___________ 1690) Näher Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1174; instruktiv Arbitration Case No. 6497, Yearbook Commercial Arbitration, 1999, Vol. XXIVa, S. 71. 1691) Ähnlich Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 129 speziell für kartellrechtliche Ermittlungen.
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B. Post Merger Litigation
sich beispielsweise weigert, angeforderte aussagekräftige Belege vorzulegen oder an einer sachverständigen Begutachtung mitzuwirken.1690) In verfahrensmäßiger Hinsicht ist zu überlegen, wie das Schiedsgericht mit 1086 der häufig gegebenen Parallelität behördlicher Ermittlungen bzw. Strafverfahren einerseits und des Schiedsverfahrens andererseits praktisch umgehen soll. Zwar ist das Schiedsgericht aus rechtlicher Sicht gehalten, zu einer eigenen Beurteilung zu gelangen und daher an Ergebnisse behördlicher oder gar strafgerichtlicher Verfahren nicht gebunden. Aus Gründen der Verfahrensökonomie und mit Blick auf ggf. weiterreichende Ermittlungsmöglichkeiten staatlicher Behörden und Gerichte kann sich allerdings gleichwohl eine Aussetzung des Schiedsverfahrens für eine gewisse Dauer anbieten.1691) B. Post Merger Litigation I. Vorbemerkung Stephan Brandes
Post-Merger-Streitigkeiten sind Auseinandersetzungen mit Bezug zu einem 1087 verkauften Unternehmen, die nach Vollzug des Kaufvertrages, also nach Übertragung der gekauften Geschäftsanteile oder Vermögensgegenstände entstehen. In aller Regel wird es sich um Differenzen zwischen Verkäufer und Käufer handeln. Für den Fall, dass der Unternehmenskauf in Form eines Share Deals, also einer Übertragung von Geschäftsanteilen durchgeführt wurde, rechnen zu den Post-Merger-Streitigkeiten ferner solche, die im Anschluss an den Vollzug des Vertrages zwischen der Zielgesellschaft, also dem erworbenen Unternehmen selbst und dem Verkäufer geführt werden. Abzugrenzen sind Post-Merger-Streitigkeiten damit von Auseinanderset- 1088 zungen, die vor Vollzug des Kaufvertrages, also entweder im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Vollzug oder sogar schon vor Abschluss des bindenden Kaufvertrages anhängig gemacht werden. Solche Auseinandersetzungen werden als Pre-M&A-Streitigkeiten oder Pre-Closing-Litigation bezeichnet. Angesprochen sind damit vor allen Dingen Klagen auf Erfüllung der Hauptleistungspflichten aus dem Unternehmenskaufvertrag, also auf Zahlung des Kaufpreises bzw. Lieferung des gekauften Unternehmens, wenn eine Seite ihre vertraglichen Verpflichtungen – aus welchem Grunde auch immer – nicht erfüllt. Zum anderen fallen in den Bereich der Pre-Closing-Litigation Klagen bei Nichtzustandekommen von M&A-Transaktionen sowie Klagen aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Vereinbarungen wie Term Sheets, Memoranda of Understanding, Letters of Intent und ähnliche, vorvertragliche Bindungen unterschiedlicher Intensität begründende Dokumente, die in einem M&A-Prozess dem Verkäufer dazu dienen, von den Kaufinteressenten schrittweise ein immer stärkeres Commitment einzufordern, um unter den verschie___________ 1690) Näher Rieder/Schönemann, NJW 2011, 1169, 1174; instruktiv Arbitration Case No. 6497, Yearbook Commercial Arbitration, 1999, Vol. XXIVa, S. 71. 1691) Ähnlich Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 129 speziell für kartellrechtliche Ermittlungen.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten
denen Interessenten eine Auswahl treffen zu können.1692) Ferner gehören hierher Klagen aus der Verletzung von Non-Disclosure Agreements (NDA), also von Vertraulichkeitsvereinbarungen, die im M&A-Prozess zwischen dem Kaufinteressenten und dem Verkäufer bzw. der Zielgesellschaft abgeschlossen werden, um die Vertraulichkeit der im Rahmen der Due Diligence offengelegten Dokumente zu schützen. Derartige „Pre-Closing“- oder „Pre M&A“Streitigkeiten sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. 1089 Die häufigste Ursache von Post-Merger-Streitigkeiten ist, dass das gekaufte Unternehmen nach Auffassung des Käufers nicht die im Kaufvertrag vereinbarte Beschaffenheit aufweist oder nicht den bei Berechnung des Kaufpreises zugrunde gelegten Wert hat. Zu den Post-Merger-Streitigkeiten gehören daher vor allem Klagen, die auf die Verletzung vertraglicher Garantien und Zusicherungen des Verkäufers gestützt werden. Ferner fallen in diese Kategorie Ansprüche, die der Käufer aus der Verletzung einer Aufklärungs- und Informationspflicht des Verkäufers herleitet. 1090 Wird das verkaufte Unternehmen nach Vollzug des Vertrages von Dritten in Anspruch genommen, beispielsweise vom Staat auf Zahlung rückständiger Steuern oder Abgaben oder von einem Kunden wegen eines fehlerhaften Produktes, so kann zwischen Verkäufer und Käufer Streit darüber entstehen, ob der Verkäufer den Käufer bzw. das verkaufte Unternehmen von derartigen Ansprüchen freizustellen hat, wenn die von den Dritten geltend gemachten Ansprüche ihre Wurzeln in der Zeit vor Übertragung des Unternehmens auf den Käufer haben, also noch im Verantwortungsbereich des Verkäufers liegen. Derartige Auseinandersetzungen gehören ebenfalls in den Bereich der PostMerger-Litigation. 1091 Entstehen zwischen Käufer und Verkäufer Differenzen über eine nachträgliche Anpassung des Kaufpreises nach Maßgabe von im Kaufvertrag enthaltenen Kaufpreisanpassungsklauseln, handelt es sich auch dabei um eine Post-MergerStreitigkeit. Aus derartigen Klauseln können sich nach dem Vollzug des Vertrages sowohl Ansprüche des Käufers auf Rückzahlung eines Teiles des Kaufpreises wie auch Ansprüche des Verkäufers auf Nachzahlungen des Käufers ergeben. Klagen aufgrund derartiger Kaufpreisanpassungsklauseln sind nicht Gegenstand dieses Kapitels; ihnen ist in diesem Handbuch ein gesonderter Beitrag gewidmet.1693) 1092 Eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung durch den Käufer eines Unternehmens setzt voraus, dass dieser rechtzeitig Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erhält. Dies sicherzustellen ist in erster Linie eine ___________ 1692) Zu solchen Vorvereinbarungen Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 11 ff.; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.26 ff.; Stratz/Hettler, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 1 Rn. 101 ff.; Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, § 1 Rn. 67. 1693) Vgl. dazu nachfolgender Abschnitt C, Rn. 1175 ff.
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B. Post Merger Litigation
Managementaufgabe, der der erste Abschnitt dieses Kapitels gewidmet ist. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den Parametern, die im Vorfeld der klageweisen Geltendmachung von Ansprüchen bei Post M&A-Streitigkeiten zu bedenken sind. Im dritten Abschnitt werden Ansprüche der Zielgesellschaft gegen den Verkäufer untersucht. Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mit der Verjährung von Ansprüchen, bevor im fünften Abschnitt Fragen im Zusammenhang mit einem möglichen Vergleichsschluss erörtert werden. II. Claims Management M&A-Verträge enthalten eine Vielzahl unterschiedlichster Anspruchsgrund- 1093 lagen. Neben den üblichen Garantiekatalogen sind dies vor allem konkrete Handlungspflichten für den Zeitraum zwischen Signing und Closing sowie für den Zeitraum danach, sowie Ansprüche auf Freistellung von konkreten Verbindlichkeiten und Risiken, die im Rahmen des Due Diligence Prozesses identifiziert bzw. aufgedeckt wurden. Die Geltendmachung derartiger Ansprüche ist im Regelfall nicht nur Gegenstand von Haftungsbegrenzungen, die im Vertrag im Einzelnen benannt sind, sondern ist auch an die Einhaltung bestimmter Formalien und Fristen gebunden, namentlich Verjährungsund Präklusionsfristen.1694) Die erfolgversprechende Geltendmachung von Ansprüchen aus M&A- 1094 Verträgen setzt nicht nur voraus, dass der Anspruchsberechtigte diese Fristen im Auge behält; er muss auch dafür sorgen, dass alle relevanten Informationen umgehend an ihn weitergeleitet werden. Die Koordinierung und Steuerung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Ansprüche des Käufers aus einem M&A-Vertrag nachzuhalten, wird als Claims Management bezeichnet. Im Bereich des Anlagenbaus sowie bei der Abwicklung komplexer Lieferverträge in der Industrie gehört die Einrichtung eines Claims Management heute zum Standard Prozedere.1695) Obwohl die Integration eines gekauften Unternehmens derartigen Projekten 1095 an Komplexität nicht nachstehen dürfte, kann man Entsprechendes vom Claims Management bei Unternehmenskäufen nicht behaupten. Während die Prozesse zur Vorbereitung und zum Abschluss von Transaktionen mit großer Sorgfalt und Professionalität durchgeführt werden, ist die Geltendmachung von Ansprüchen aus derartigen Verträgen im Zeitraum nach dem Vollzug häufig noch eine Frage von Opportunitäten. Studien haben ergeben, dass die meisten Unternehmen in Deutschland nicht auf die Betreuung von PostM&A-Streitigkeiten vorbereitet sind.1696) Eine Überprüfung, inwieweit das erworbene Unternehmen dem vorher verhandelten Soll-Zustand entspricht, ___________ 1694) Vgl. dazu B II 2 d) Rn. 1112 f. 1695) Die DIN 69905 versteht unter Nachforderungsmanagement die „Überwachung und Beurteilung von Abweichungen bzw. Änderungen und deren wirtschaftlichen Folgen zwecks Ermittlung und Durchsetzung von Ansprüchen”. 1696) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 13.
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wird in der Praxis nur selten durchgeführt. Mögliche Ansprüche werden eher zufällig entdeckt, etwa im Rahmen der Abschlussprüfung oder im Falle der Geltendmachung von Ansprüchen durch Dritte.1697) Die Zurückhaltung vieler Unternehmen bei der systematischen Verfolgung von Ansprüchen aus M&A-Verträgen mag eine Nachwirkung der Konsenskultur der achtziger und frühen neunziger Jahre sein, in denen es als unschicklich galt, den Vertragspartner nach Durchführung einer Transaktion zu verklagen.1698) 1096 Vor einer solchen Praxis kann in Zeiten immer strenger werdender Anforderungen der Rechtsprechung an die von den Geschäftsführern eines Unternehmens zu beachtenden Sorgfaltspflichten nur gewarnt werden. Ansprüche des Unternehmens gegen Dritte sind grundsätzlich geltend zu machen und durchzusetzen.1699) Allerdings scheidet ein Pflichtwidrigkeitsvorwurf nach der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 43 Abs. 2 Satz 3 GmbHG) aus, wenn der Geschäftsleiter eine fundierte Ermessensentscheidung auf Basis aller verfügbaren Erkenntnisquellen getroffen hat. Vor diesem Hintergrund kann die Einrichtung eines Claims Managements, das Ansprüche aus M&A-Verträgen nach Closing einem aktiven Monitoring unterwirft, für die Geschäftsleitung haftungsentlastende Wirkung entfalten. 1097 Dass sich die Einrichtung eines Claims Management in der Praxis bezahlt macht, belegen die Erfahrungen solcher Unternehmen, die regelmäßig M&ATransaktionen durchführen und eine aktive Überwachung möglicher Kaufpreisanpassungen sowie die Einhaltung der Garantien und Freistellungen auch nach dem Closing betreiben.1700) So berichteten zwei Drittel der an einer Studie teilnehmenden Unternehmen, die oft und sehr häufig standardisierte Verfahren und Prozesse zur Identifikation möglicher Ansprüche einsetzen, hierdurch überdurchschnittlich häufig auf relevante Mängel und Ansprüche aufmerksam geworden zu sein.1701) Nach Aussage der Teilnehmer der Studie kam es desto häufiger zu signifikanten Anpassungen des Kaufpreises nach Closing, je intensiver die betreffenden Unternehmen den M&A-Prozess auch nach dem Closing aktiv steuerten.1702) 1. Ziele des Claims Managements 1098 Die Ursache von Post-M&A-Streitigkeiten besteht in der Mehrzahl der Fälle darin, dass sich die Annahmen, die der Käufer seiner Kalkulation des Kaufpreises zugrunde gelegt hat, nach Vollzug des Kaufvertrages als unzutreffend ___________ 1697) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 5. 1698) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 7. 1699) Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 88; MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 101; GroßKommAktG/Hopt, § 93 Rn. 112; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 89. 1700) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 15. 1701) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014., S. 20. 1702) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014., S. 20.
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erweisen. Dass die Wertbestimmung eines Unternehmens eine komplexe Angelegenheit ist, zeigen die gängigen Methoden der Kaufpreisermittlung.1703) Denn die Ermittlung der zukünftigen Ertragskraft eines Unternehmens beruht auf einer Vielzahl von Annahmen hinsichtlich der Chancen in der Zukunft und der Risiken, die der Käufer aus der Vergangenheit mit übernimmt. Der Validierung dieser Planannahmen dient im Vorfeld des Vertragsschlusses die Due Diligence.1704) Doch auch wenn die Due Diligence eine wichtige Informationsquelle des 1099 Käufers beim Unternehmenskauf darstellt, darf sie nicht zu dem Trugschluss verleiten, dass sie dem Käufer ein abschließendes und vollständiges Bild über die Chancen- und Risikolage des zu erwerbenden Unternehmens vermittelt. Zum einen ist ein Unternehmen zu komplex, um es in einem Datenraum vollständig durchleuchten zu können; hinzu tritt, dass der Käufer in der Due Diligence darauf angewiesen ist, dass Verkäufer und Zielgesellschaft die Risiken, die im Unternehmen schlummern, auch wirklich ehrlich und vollständig offenlegen. Die Interessenlage des Käufers entspricht in der Due Diligence nicht der des Verkäufers, der an einem besonders hohen Kaufpreis interessiert und daher möglicherweise nicht gewillt ist, sich hinsichtlich wesentlicher Risiken, die sich auf die Kaufpreisbildung nachteilig auswirken könnten, wenn sie bekannt würden, in allzu großer Offenheit zu üben. Auch das Management der Zielgesellschaft wird nicht eine uneingeschränkt verlässliche Informationsquelle sein; denn in der Praxis ist es nicht selten, dass der Verkäufer das Management der Zielgesellschaft dadurch zu – aus seiner Sicht – konstruktiver Zusammenarbeit im Verkaufsprozess motiviert, indem er diesem eine Prämie in Aussicht stellt, die sich an der Höhe des zu erzielenden Kaufpreises orientiert. Aus den genannten Gründen muss der Käufer vor der Fehlvorstellung ge- 1100 warnt werden, dass ihm die Due Diligence ein vollständiges und verlässliches Bild der Chancen- und Risikolage des Unternehmens vermittelt. Er muss vielmehr damit rechnen, dass sich die seiner Kaufpreisermittlung zugrunde gelegten Annahmen und Parameter nach Vollzug des Kaufvertrages als unzutreffend erweisen. Diesem Risiko Rechnung zu tragen, dienen die im Kaufvertrag vereinbarten Garantien, Kaufpreisanpassungsklauseln und Freistellungen. Allerdings wird der Käufer dieses Instrumentarium nur dann zu seinem Vorteil nutzen können, wenn er die Validierung der kaufpreisbestimmenden Annahmen nicht dem Zufall überlässt, sondern die im Rahmen der Due Diligence identifizierten Risiken konsequent nachhält. ___________ 1703) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl., 2016; Kranebitter, Unternehmensbewertung für Praktiker, 2. Aufl., 2007; Keim/Jeromin, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Teil 2; Zwirner/Mugler, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 4; Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, § 3. 1704) Dazu Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 19 ff.; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.43 ff.; Hörtnagl/Zwirner, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 2; Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, § 2.
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a) Validierung der kaufpreisbestimmenden Annahmen des Käufers 1101 Anknüpfungspunkt für die Unternehmensbewertung des Käufers sind in der Praxis häufig die von der Zielgesellschaft aufgestellten Bilanzen. Die in der Praxis vermutlich noch häufigste Methode der Bewertung besteht darin, ein aus der Bilanz abgeleitetes EBITDA oder EBIT – gewichtet oder nicht – mit einem bestimmten Faktor zu multiplizieren. Von dem so ermittelten Unternehmenswert (Enterprise Value) werden dann die Finanzverbindlichkeiten zum Vollzugsstichtag in Abzug gebracht und die Cashbestände – sofern sie über ein notwendiges Minimum hinausgehen – hinzu addiert, was dann dem Eigenkapitalwert (Equity Value) entspricht.1705) 1102 Sind die Bilanzen falsch, beispielsweise weil wesentliche Verbindlichkeiten nicht bilanziert oder die Bildung von nach den einschlägigen Rechnungsstandards erforderlichen Rückstellungen unterblieben ist, so entspricht der tatsächliche Unternehmenswert nicht dem, welchen der Käufer aufgrund der ihm zur Verfügung gestellten Informationen errechnet hat. Doch müssen gar nicht unbedingt Bilanzierungsfehler vorliegen, um Wertannahmen des Käufers vor Vertragsschluss nachträglich zu erschüttern. Gleiches kann eintreten, wenn sich nach Vollzug des Vertrages herausstellt, dass bei Aufstellung der Bilanzen Bewertungs- und Beurteilungsspielräume nach den einschlägigen Rechnungslegungsstandards in einer anderen Weise ausgeübt worden sind als dies den Vorstellungen des Käufers entsprach. Insbesondere der Wechsel in der Konzernrechnungslegung vom HGB zu IFRS oder US-GAAP1706) ist in der Praxis Ursache einer steigenden Anzahl von Auseinandersetzungen über Kaufpreisanpassungen. Denn anders als das vom strengen Niederstwertprinzip geprägte HGB beinhalten die internationalen Rechnungslegungsstandards in sehr viel stärkerem Maße Elemente der Prognose, der Bewertung und der Einschätzung der Profitabilität von Projekten als Ganzes. Gerade die auf subjektive Prognosen abstellenden Bewertungsvorschriften der internationalen Rechnungslegungsstandards haben sich damit als eine häufige Streitquelle bei der Bestimmung kaufpreisbestimmender Kennzahlen erwiesen.1707) 1103 Ob die Bilanzen des verkauften Unternehmens Bilanzierungsfehler enthalten oder ob Bewertungsspielräume in einer von den Vorstellungen des Käufers abweichenden Weise ausgeübt worden sind, wird der Käufer häufig erst nach Vollzug des Unternehmenskaufvertrages und Übernahme des Unternehmens mit hinreichend verlässlicher Sicherheit feststellen können. Mängel in den Bilanzen des erworbenen Unternehmens werden in der Praxis häufig erst im Rahmen der nächsten turnusgemäßen Jahresabschlussprüfung entdeckt.1708) So zeigt sich häufig erst im Rahmen der nächsten Inventur, ob beispielsweise ___________ 1705) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 866; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.160. 1706) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 8. 1707) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 8. 1708) Alvarez & Marsal/Baker & McKenzie, Post-M&A-Dispute Study, 2013/2014, S. 14.
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bei der Erhebung und Bewertung des Umlaufvermögens geschummelt wurde. Die Prüfung des Jahresabschlusses hat nicht die Zielsetzung, die Unternehmensbewertung im Rahmen einer M&A-Transaktion zu überprüfen. Sie bietet daher keine Gewähr dafür, dass wirklich alle kaufpreisbestimmenden Faktoren untersucht werden. Da die Geltendmachung von Ansprüchen auf Anpassung des Kaufpreises nach dem Unternehmenskaufvertrag ggf. Ausschlussund Verjährungsfristen unterworfen ist, empfiehlt es sich, die wesentlichen kaufpreisbestimmenden Annahmen bereits unmittelbar nach Vollzug des Kaufvertrages und nicht erst im Rahmen der nächsten Jahresabschlusserstellung einer kritischen Würdigung zu unterziehen. b) Überwachung der wesentlichen Risikofelder Jeder Unternehmenskauf ist mit Risiken verbunden, denen der Erwerber durch 1104 einen Katalog von Zusicherungen, Garantien und Freistellungen im Kaufvertrag Rechnung tragen wird. Diese Risiken erstmals zu identifizieren ist Aufgabe der Due Diligence. Dem Claims Management obliegt es, diese Risikofelder nach dem Vollzugsstichtag laufend zu überwachen und – für den Fall, dass sich eines der genannten Risiken materialisiert – das im Vertrag vorgesehene Prozedere für die Freistellung bzw. Schadloshaltung des Erwerbers bzw. des erworbenen Unternehmens in Gang zu setzen. Die Risikostruktur kann je nach Unternehmen unterschiedlich sein. Wäh- 1105 rend z. B. Unternehmen der chemischen Industrie in aller Regel ein erhöhtes Umweltgefährdungspotenzial aufweisen, kommt in den Bereichen der Pharmabzw. der Automobilindustrie dem Thema Produkthaftung eine entscheidende Rolle zu. Der Käufer wird Wert darauf legen, dass seine Ergebnisplanungen, auf denen seine Unternehmensbewertung beruht, nicht in Zukunft durch den Eintritt von Risiken belastet wird, die ihre Ursache noch im Zeitraum vor dem Vollzugsstichtag haben. Hat beispielsweise ein Hersteller für ein Produkt langfristige Garantien gegeben, so wird er den damit verbundenen Vertriebserfolg bereits ergebniswirksam in der Vergangenheit verbucht haben; das Risiko, dass sich ein Garantiefall materialisiert, liegt aber noch in der Zukunft und wird damit das Ergebnis des Erwerbers belasten. In solchen Fällen ist es sachgerecht, wenn sich der Erwerber im Kaufvertrag von derartigen Risiken freistellen oder sie sonst bei der Kaufpreisbemessung berücksichtigen wird. Da umgekehrt der Kaufvertrag die Geltendmachung von derartigen Freistellungsansprüchen an bestimmte Voraussetzungen, beispielsweise die Einhaltung von Ausschlussfristen knüpfen wird, ist es wichtig, dass der Erwerber das Monitoring derartiger Risiken ordnungsgemäß organisiert, um sicherzustellen, dass im Falle eines Risikoeintritts eine umgehende Berichterstattung an die für die Geltendmachung von Ansprüchen berufene Stelle erfolgt. Ansonsten wird es für die Realisierung derartiger Ansprüche zu spät sein.
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2. Aufgaben des Claims Managements 1106 Welche Aufgaben das Claims Management im Einzelnen zu erfüllen hat, ist im Idealfall schon unmittelbar nach Vertragsschluss, spätestens aber nach Vollzug des Vertrages festzulegen. Die Festlegung der einzelnen Aufgabenfelder des Claims Managements hängt dabei von der Risikoanalyse ab. a) Fristenkontrolle 1107 Ein Aufgabenfeld, das Bestandteil jeden Claims Managements sein sollte, ist eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle. Je nach Anspruchsgrundlage können sich unterschiedliche Verjährungsfristen ergeben, die der Erwerber im Blick behalten muss.1709) 1108 Will der Erwerber vermeiden, derartige Fristen zu versäumen, muss er die Fristen für jeden einzelnen Anspruch oder jede einzelne Anspruchsgruppe notieren. Aufgabe des Claims Management ist es, denjenigen Personen, die über die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Unternehmenskaufvertrag zu entscheiden haben, rechtzeitig vor Ablauf der entsprechenden Fristen Hinweise zu geben. Nicht selten scheitert die erfolgversprechende Geltendmachung von Ansprüchen daran, dass Fristen versäumt oder die Suche nach etwaigen Ansprüchen aus dem Kaufvertrag erst unmittelbar vor Ablauf der Verjährungsfrist in Gang gesetzt wird, so dass eine erfolgversprechende Geltendmachung an einer mangelhaften Aufbereitung des Sachverhaltes scheitert. b) Einrichtung eines Mängel-Reportings 1109 Die fristwahrende Erhebung von Ansprüchen setzt neben der Kenntnis der Fristen auch die Kenntnis des relevanten Sachverhalts voraus. Diese Kenntnis kann in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe an den unterschiedlichsten Stellen vorhanden sein. All das nützt wenig, wenn denjenigen Personen, die über die Geltendmachung von Ansprüchen zu entscheiden haben, die Mängel verborgen bleiben, weil es an einem entsprechenden Reporting innerhalb des Unternehmens fehlt.1710) 1110 Aufgabe des Claims Managements ist es, diejenigen Personen zu identifizieren, die innerhalb der Gruppe am ehesten mit den spezifischen Risiken, die in der Due Diligence beziehungsweise den Vertragsverhandlungen identifiziert worden sind, konfrontiert werden. Diese Personen sind anzuweisen, alle Mängel, die ihnen bekannt werden, an die für das Claims Management zuständige Stelle zu berichten und damit das für die Geltendmachung der Ansprüche erforderliche Wissen zu bündeln. Wurden beispielsweise im Rahmen der Due Diligence Gewährleistungsrisiken identifiziert, für die der Veräußerer im Kaufvertrag eine vertragliche Garantie übernommen hat, so wird der ___________ 1709) Vgl. dazu unter B V Rn. 1152 ff. 1710) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 50.
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Erwerber derartige Ansprüche nur dann geltend machen können, wenn die im Vertrieb tätigen Mitarbeiter der Zielgesellschaft entsprechende Mängelrügen von Kunden dem Claims Management melden. Dessen Aufgabe ist es, den Vertrieb entsprechend zu instruieren, die einzuhaltenden Abläufe festzulegen und durch entsprechende Schulungsmaßnahmen zu implementieren. c) Post-Closing Due Diligence Häufig wird es dem Käufer eines Unternehmens im Rahmen der im Vorfeld 1111 des Vertragsschlusses durchgeführten Due Diligence nicht gelingen, sämtliche Risiken, die im Unternehmen schlummern, aufzudecken. Dafür wird es im Rahmen eines M&A-Prozesses nicht selten an der Zeit, aber auch an der Bereitschaft des Verkäufers zur Gewährung entsprechender tiefgehender Einblicke fehlen. Soweit es dem Käufer im Rahmen der Vertragsverhandlungen gelungen ist, sich das Risiko durch Gewährung einer entsprechenden Zusicherung oder Gewährleistung abdecken zu lassen, ist ihm zu empfehlen, unverzüglich nach Vollzug des Kaufvertrages Beweissicherung zu betreiben und eine aktive Untersuchung in die Wege zu leiten, ob die entsprechende Gewährleistung oder Zusicherung eingehalten oder verletzt ist.1711) So kann der Erwerber beispielsweise zur Überprüfung einer etwaigen Umweltgarantie des Verkäufers Probebohrungen veranlassen, wo er sich im Rahmen der vor Vertragsschluss durchgeführten Due-Diligence mit der Einsicht von im Datenraum zur Verfügung gestellten Unterlagen zufrieden gegeben hat. d) Rechtzeitige Anzeige von Mängeln Neben der Verjährung wird die Haftung des Veräußerers für Mängel des Un- 1112 ternehmens in der Praxis häufig dadurch beschränkt, dass der Erwerber die Mängel innerhalb einer bestimmten Frist und in einer bestimmten Form gegenüber dem Veräußerer anzeigen muss.1712) Unterlässt er diese Anzeige, kann dies zum Verlust des Anspruches oder zu einer Beschränkung der Haftung des Veräußerers der Höhe nach führen. Nicht selten ist zudem im Vertrag geregelt, dass sich die im Kaufvertrag vereinbarte Haftungshöchstgrenze für Ansprüche gegen den Verkäufer Jahr für Jahr sukzessive um einen bestimmten Betrag verringert, wenn der Käufer nicht vor Ablauf der entsprechenden Jahresfristen eine den im Kaufvertrag festgelegten formalen Anforderungen gerecht werdende Mängelrüge abgegeben hat. Deswegen hat das Claims Management neben der Einhaltung der Verjäh- 1113 rungsfristen auch darauf zu achten, dass Mängel nicht nur rechtzeitig innerhalb des Unternehmens an die zuständige Stelle weitergemeldet, sondern dort auch umgehend entsprechend aufbereitet und gegenüber dem Veräußerer angezeigt werden. ___________ 1711) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 50. 1712) Wächter, M&A Litigation, Rn. 1566; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 726; Duys/Henrich, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 16.138.
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III. Klageweise Geltendmachung durch den Käufer 1114 Die Mängelanzeige des Erwerbers führt in der Praxis zunächst dazu, dass die Parteien des Kaufvertrages Verhandlungen über den vom Käufer geltend gemachten Anspruch aufnehmen werden. Soweit die vertraglichen Regelungen die Regulierung des Anspruchs mit hinreichender Klarheit regeln, werden die Parteien eine gerichtliche oder schiedsgerichtliche Auseinandersetzung über den Anspruch in der Regel zu vermeiden suchen. Bestehen dagegen unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Auslegung des Vertrages oder ist eine Partei vertragsreuig, steht der Käufer vor der Entscheidung, den geltend gemachten Anspruch klageweise durchzusetzen. Dem wird der Käufer eine Kosten-Nutzenanalyse zugrunde legen, in der neben den zu erwartenden Kosten des Verfahrens1713) eine Vielzahl von unterschiedlichen Parametern Berücksichtigung finden. 1. Festlegung des Klageziels 1115 Zunächst ist das Klageziel zu bestimmen. In der Regel geht es dem Kläger um monetäre Kompensation, die in einer Herabsetzung des Kaufpreises, in Schadensersatzzahlungen oder in der Freistellung von Ansprüchen Dritter bestehen kann. 1116 Ein Anspruch auf Herabsetzung des Kaufpreises kann sich aus vertraglich vereinbarten Kaufpreisanpassungsklauseln ergeben. Wird beispielsweise bei einem Asset Deal vereinbart, dass der Kaufpreis für das Vorratsvermögen nach Vollzug der Transaktion im Wege einer Stichtagsinventur zu überprüfen ist, so kann sich ein Rückzahlungsanspruch des Käufers ergeben, wenn die Inventur zu dem Ergebnis führt, dass das Vorratsvermögen im Rahmen der Kaufpreisfindung ursprünglich zu hoch bewertet wurde. Ebenfalls zu einer Herabsetzung des Kaufpreises führt es, wenn der Käufer aufgrund behaupteter Mängel des Unternehmens Minderung verlangt. Üblicherweise kann der Käufer bei Mängeln des Unternehmens nur Schadensersatz und ggf. auch Nachbesserung fordern. Weitergehende Rechte wie Minderung und auch der Rücktritt vom Vertrag werden in aller Regel ausgeschlossen.1714) 1117 Verlangt der Käufer Schadensersatz, setzt dies den Nachweis des ursächlichen Zusammenhanges zwischen einer behaupteten Vertrags- oder Garantieverletzung und einem dem Käufer beziehungsweise dem verkauften Unternehmen entstandenen Schaden voraus. Steuerlich führt eine Schadensersatzleistung des Verkäufers beim Käufer zu einer Minderung der Anschaffungskosten.1715)
___________ 1713) Auf die Kosten geht dieser Beitrag nicht näher ein. 1714) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 724; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.237 ff.; Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 207. 1715) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 667.
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Freistellungsansprüche gegenüber Dritten sind im Vertrag in aller Regel po- 1118 sitiv geregelt. Das gilt vor allem dann, wenn im Rahmen der Due Diligence spezifische oder konkrete Risiken identifiziert wurden, die nicht bereits bei der Bemessung des Kaufpreises in Abzug gebracht worden sind. Besteht beispielsweise ein Risiko aus einem schwebenden Passivprozess der Zielgesellschaft, so wird der Verkäufer in aller Regel nicht bereit sein, die eingeklagte Summe kaufpreismindernd zu berücksichtigen, soweit in der Bilanz der Zielgesellschaft aufgrund einer positiven Einschätzung der Prozessaussichten auf die Bildung einer Rückstellung verzichtet wurde. Umgekehrt wird der Käufer sich nicht mit der Erklärung des Verkäufers zufrieden geben, das Prozessrisiko sei mit dem Kaufpreis abgegolten, sondern sich für den Fall, dass die Zielgesellschaft in dem Prozess unterliegt, einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Verkäufer sichern. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages wird in aller Regel nicht den Inte- 1119 ressen der Parteien entsprechen. Gleichwohl kann eine auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage vom Käufer aus prozesstaktischen Gründen in Erwägung gezogen werden. Eine Klage auf Rückabwicklung setzt den Verkäufer erheblich unter Druck und kann seine Bereitschaft zu einem Vergleichsschluss befördern. Denn dieser hat an einer Rückabwicklung ungeachtet des Umstandes, dass er dann den gesamten Kaufpreis zurückzahlen müsste, schon deswegen kein Interesse, weil er nach dem Vollzug des Vertrages keinen Einfluss mehr auf das Unternehmen hat und befürchten muss, am Ende eines langjährigen Verfahrens ein deutlich schlechteres Unternehmen zurückzubekommen als er ursprünglich verkauft hat. Zwar wird die Rechtsfolge der Rückabwicklung vertraglich im Allgemeinen ausgeschlossen; ein vertraglich vereinbarter Haftungsausschluss ist indessen unwirksam, wenn der Käufer nachweist, vom Verkäufer arglistig getäuscht worden zu sein, oder wenn der Verkäufer vorsätzlich eine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt hat.1716) 2. Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers Ist das Klageziel festgelegt, muss der Kläger bestimmen, welcher Spruchkörper 1120 für die Durchsetzung seines Anspruches zuständig ist. Es ist heute Standard, das anwendbare Recht und den Gerichtsstand positiv im Vertrag zu regeln. In internationalen M&A-Verträgen haben sich Schiedsklauseln durchgesetzt. 1121 Das hängt damit zusammen, dass ein Schiedsspruch aufgrund des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958, welches 156 Staaten ratifiziert haben, nahezu überall auf der Welt vollstreckt werden kann.1717) Ist ein staatlicher Gerichtsstand vereinbart und hat die Gegenpartei ihren 1122 Sitz im Ausland, sollte der Kläger zunächst prüfen, ob ein staatliches Urteil ___________ 1716) Vgl. dazu B III 3 a) Rn. 1125 f. und B III 4 c) Rn. 1148 f. 1717) F I 2 Rn. 555.
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am Sitz des Beklagten überhaupt vollstreckt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so lohnt sich eine Klage nur, wenn der Prozessgegner über im Inland oder in einem Drittstaat gelegenes Vermögen verfügt, auf das der Kläger ggf. Zugriff hat. 1123 Enthält der Vertrag eine Schiedsklausel, muss der Kläger prüfen, ob der von ihm geltend gemachte Anspruch auch tatsächlich von der Schiedsklausel erfasst ist. Dazu gehört auch die Vorfrage, ob die Schiedsklausel als solche überhaupt wirksam ist. Deckt die Schiedsklausel den geltend zu machenden Anspruch ab, sollte der Kläger sich Gedanken machen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schiedsspruch im Sitzstaat des Prozessgegners vollstreckt werden kann. Selbst wenn der Sitzstaat des Prozessgegners das New Yorker Übereinkommen ratifiziert hat, ist die Praxis der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche in den Vertragsstaaten ungeachtet des einheitlichen Regelungsregimes recht unterschiedlich.1718) Gerade wenn es sich um Klagen mit einem höheren Streitwert handelt, ist es dringend empfehlenswert, hierfür ausländischen Rechtsrat hinzuzuziehen. 3. Begründung des Klaganspruchs 1124 Zur Begründung der Klage sind zunächst die maßgeblichen Anspruchsgrundlagen, auf die der Kläger sein Klageziel stützt, zu identifizieren. Diese können sowohl vertraglicher als auch außervertraglicher Art sein. a) Ansprüche wegen Verletzung von Aufklärungspflichten 1125 Das Bestreben des Verkäufers, das Haftungsregime im Kaufvertrag so abschließend zu regeln, dass Ansprüche gegenüber dem Verkäufer durch den Käufer ausschließlich aus dem Vertrag hergeleitet werden können, lässt sich im deutschen Kaufrecht nicht lückenlos umsetzen.1719) Eine in der Praxis bedeutsame Grundlage für die Begründung von Ansprüchen bei Unternehmenskaufverträgen sind die Regelungen zur Verletzung vorvertraglicher Pflichten des Verkäufers (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hauptanwendungsfall sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Verletzung von Aufklärungspflichten des Verkäufers. Das gilt vor allem dann, wenn das Haftungsregime des Kaufvertrages verkäuferfreundlich ausgestaltet und die Haftung des Verkäufers in vielfältiger Hinsicht vertraglich beschränkt ist. Denn gelingt dem Käufer der Nachweis, dass der Verkäufer vorsätzlich eine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt hat, gelten diese Haftungsbeschränkungen nicht.1720)
___________ 1718) Kröll, SchiedsVZ 2009, 40. 1719) Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 188. 1720) Vgl. dazu unter B III 4 c) Rn. 1148 f.
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Im Bereich des Unternehmenskaufrechts hat der BGH die vorvertraglichen 1126 Aufklärungspflichten des Verkäufers deutlich ausgeweitet.1721) Der Verkäufer hat den Kaufinteressenten beim Unternehmenskauf auch ungefragt über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des Kaufinteressenten vereiteln können und daher für seinen Kaufentschluss von wesentlicher Bedeutung sind.1722) So ist eine vorvertragliche Aufklärungspflicht nach dem BGH bereits dann verletzt, wenn der Verkäufer den Erwerber nicht darauf hinweist, dass er die Kaufpreisberechnung gegenüber der übereinstimmenden Annahme beider Parteien bei den Verhandlungen geändert hat.1723) Der Verkäufer hat ungefragt sämtliche Verbindlichkeiten des Unternehmens zu offenbaren, wenn deren Vorhandensein die Überlebensfähigkeit des Unternehmens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ernsthaft gefährdet.1724) Ihn trifft auch eine Aufklärungspflicht bezüglich Kosten oder Fehlbeträgen, die in Folge einer bestimmten Kostenquote entstehen und dadurch den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können.1725) Bei der Beurteilung der Aufklärungspflichten hat der Verkäufer auch die Geschäftsgewandtheit und Sachkunde sowie die Ziele des Käufers zu berücksichtigen.1726) Da ein im Rahmen der Due Diligence von der Zielgesellschaft eingerichteter 1127 Datenraum nach der Lebenserfahrung selten sämtliche, für die Kaufentscheidung bedeutsamen Risiken offenlegen wird, ist es für den Käufer keineswegs unmöglich, durch entsprechende Suche solche Umstände aufzudecken, bei denen nach der Rechtsprechung zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf eine Offenlegung hätte erfolgen müssen. Namentlich im Bereich intern aufgeklärter aber noch nicht von außen aufgedeckter Compliance-Verstöße wird seitens der Zielgesellschaft wenig Bereitschaft bestehen, die dafür maßgeblichen Unterlagen in einem Datenraum offenzulegen. Wird dieses Wissen im Rahmen der Due Diligence dem Käufer vorenthalten, so dürfte dies im Regelfall zu einer Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht durch den Verkäufer führen. Zwar können Käufer und Verkäufer eine Haftung des Verkäufers aufgrund 1128 der Verletzung von Aufklärungspflichten vertraglich abbedingen; dies gilt
___________ 1721) Wagner, DStR 2002, 958 ff.; Geldsetzer, M&A Review 2005, 475 ff. 1722) BGH NJW 2001, 2163, 2164 = ZIP 2001, 918; BGH NJW 2002, 1042, 1043 = ZIP 2002, 440; BGH NJW-RR 1996, 429 = ZIP 1996, 120; Wagner, DStR 2002, 958, 962; Schuppen/Lennertz, M&A Review 2003, 476; Geldsetzer, M&A Review 2005, 475, 476; Kersting, JZ 2008, 714, 715; Hübner, BB 2010, 1483, 1485; Koppmann, BB 2014, 1673. 1723) BGH DB 1981, 1816. 1724) BGH DStR 2002, 1098 = ZIP 2002, 853. 1725) BGH NZG 2002, 299. 1726) BGH ZIP 1991, 321; BGH ZIP 2002, 440; Weißhaupt, WM 2013, 782, 785.
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jedoch nicht für solche Fälle, in denen der Verkäufer vorsätzlich gehandelt hat (§ 276 Abs. 3 BGB).1727) Die Schwelle zum Vorsatz kann schnell überschritten sein. Denn nach der Rechtsprechung kommt es für die Frage, ob eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Käufer vorsätzlich verletzt wurde, nicht nur auf den Sach- und Kenntnisstand der an den Vertragsverhandlungen beteiligten Personen des Verkäufers und seiner Organe an; vielmehr hat die Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, nach denen sich eine Körperschaft auch bei Unkenntnis der handelnden Personen die Kenntnis sonstiger, im Unternehmen vorhandener Wissensträger zurechnen lassen muss, wenn versäumt wurde, die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das relevante Wissen an die Entscheidungsträgern weitergeleitet wird.1728) Diese Lehre der Wissenszurechnung kommt nach der Rechtsprechung auch im Rahmen der Arglisthaftung zur Anwendung,1729) es findet also nicht nur die Zurechnung eines kognitiven, sondern de facto auch eines voluntativen Elementes statt.1730) 1129 Ob diese Grundsätze auch hinsichtlich der Zurechnung des Wissens von Wissensträgern in Tochtergesellschaften gelten und daher auch Wissensträger in der Zielgesellschaft mit einschließen, ist umstritten. Das Schrifttum beurteilt eine konzerndimensionale Wissenszurechnung unter Hinweis auf das Nichtvorhandensein einer Pflicht zur Konzernleitung und mit Blick auf das Fehlen einer dogmatischen Grundlage für die Zurechnung von Wissen über die gesellschaftsrechtlichen Grenzen hinweg mit Zurückhaltung.1731) Eine Zurechnung „von unten nach oben“ wird in Sonderfällen erwogen, z. B. bei Personalunion, oder bei aktivem Datenaustausch zwischen den Konzernunternehmen, aber nur soweit eine rechtlich abgesicherte Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten des abhängigen Unternehmens besteht.1732) b) Gewährleistungsansprüche 1130 Da sich die gesetzlichen Regelungen der kaufrechtlichen Gewährleistung im Fall von Unternehmenskaufverträgen regelmäßig als wenig sachgerecht erweisen, tragen die Vertragsparteien ihren individuellen Regelungsbedürfnissen meist durch die Vereinbarung vertraglicher Gewährleistungen Rech___________ 1727) BGH NJW-RR 1990, 78, 79; BGHZ 180, 205, 210 ff.; BGH NJW-RR 1988, 10, 11; BGH NJW 2013, 1671, 1673; Huber, AcP 202 (2002) 179, 182; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.237; Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 188. 1728) BGHZ 132, 30, 37 = ZIP 1996, 548; zust. Drexl, ZHR 161 (1997), 491 ff.; Lorenz, JZ 1994, 549; Taupitz, JZ 1996, 734; Waltermann, AcP 192 (1992), 181; ders., NJW 1993, 889. 1729) BGHZ 109, 327 ff.; BGHZ 132, 30 = ZIP 1996, 548. 1730) Krit. Flume, AcP 197 (1997), 441, Dauner-Lieb, in: Festschrift Kraft, 1998, S. 43; Altmeppen, BB 1999, 749. 1731) MünchKomm-AktG/Spindler, § 78 Rn. 99; Spindler/Speier, BB 2005, 2031, 2032; MünchKomm-GmbHG/Jaeger/Stephan/Tieves, § 35 Rn. 225. 1732) Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 2. Aufl., § 78 Rn. 55; GroßKommAktG/Habersack, 4. Aufl., § 78 Rn. 27; MünchKomm-AktG/Spindler, § 78 Rn. 99; MünchKomm-GmbHG/ Jaeger/Stephan/Tieves, § 35 Rn. 225; BGHZ 123, 224.
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nung. Unternehmenskaufverträge enthalten daher typischerweise mehr oder weniger umfassende Gewährleistungskataloge des Verkäufers im Hinblick auf bestimmte Beschaffenheitsmerkmale des verkauften Unternehmens sowie positive Regelungen über die Rechtsfolgen für den Fall ihres Nichtvorliegens unter Ausschluss der gesetzlichen Vorschriften. In der Vertragspraxis steht der Haftungsübernahme des Unternehmensverkäufers in Form von Garantien regelmäßig eine Beschränkung der Rechtsfolgen im Garantiefall – etwa hinsichtlich der Höhe und Zeitdauer der vom Verkäufer geschuldeten Gewährleistung oder hinsichtlich der Rücktrittsmöglichkeiten – gegenüber. Enthält der Kaufvertrag hinsichtlich des Risikos, dessen Kompensation der 1131 Käufer verlangt, keine ausdrückliche Gewährleistung, so kann sich für den Käufer die Prüfung der Frage empfehlen, ob Ansprüche gleichwohl aus einer Bilanzgarantie1733) hergeleitet werden können. War die Zielgesellschaft nach handelsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet, für ein bestimmtes Risiko eine Rückstellung zu bilden und ist diese Rückstellung unterblieben, oder ist eine bestimmte Verbindlichkeit nicht passiviert worden, so ist die Bilanz möglicherweise unrichtig und eine auf die Richtigkeit der Bilanz abgegebene Garantie falsch. Der Standardfall einer Bilanzgarantie ist die Zusicherung, dass der Jahresab- 1132 schluss mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften des HGB und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung unter Wahrung der Bewertungs- und Bilanzkontinuität erstellt worden ist und unter Beachtung dieser Grundsätze ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu einem bestimmten Stichtag vermittelt. Derartige Bilanzgarantien werden im Schrifttum auch als „subjektive Bilanzgarantien“ bezeichnet,1734) wodurch dem Umstand Rechnung getragen wird, dass es für die Beurteilung, ob die Bilanz richtig oder falsch ist, auf die subjektive Kenntnis des Kaufmanns zu dem Zeitpunkt ankommt, an dem die Bilanz aufgestellt wird. Mit anderen Worten: die subjektive Bilanzgarantie enthält die Zusicherung, dass der Bilanzersteller, was die Aufklärung der für die Bilanz relevanten faktischen Umstände anging, die vom Bilanzrecht verlangte Sorgfalt beziehungsweise sonstigen Regeln angewandt hat und die gewonnenen Erkenntnisse nach den Regeln des jeweiligen Bilanzrechts in Zahlen überführt hat.1735) Ist dementsprechend eine tatsächlich bestehende Verbindlichkeit in der Bi- 1133 lanz nicht erfasst worden oder wurde ein Risiko, für das nach den Regeln des Bilanzrechts eine Rückstellung hätte gebildet werden müssen, in der Bilanz nicht gebildet, so ist die Bilanzgarantie nur dann verletzt, wenn der Bilan___________ 1733) Dazu Wächter, BB 2016, 711; ders., NJW 2013, 1270; Hennrichs, NZG 2014, 1001. 1734) Wächter, M&A Litigation, Rn. 482. 1735) Wächter, M&A Litigation, Rn. 481.
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zersteller zum Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz die für die Bildung der Rückstellung beziehungsweise die Passivierung der Verbindlichkeit maßgeblichen Umstände kannte. Eine für die Praxis durchaus bedeutsame, wissenschaftlich aber noch nicht geklärte Frage ist dabei, ob auch insoweit die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung1736) zum Tragen kommen, ob also dem tatsächlich unwissenden Bilanzersteller das Wissen von Wissensträgern innerhalb des Unternehmens zugerechnet wird, das bei ordnungsgemäßer Organisation des Informationsflusses im Unternehmen an diesen weitergegeben worden wäre. 1134 Weniger häufig sind sog. „objektive“ oder „harte“ Bilanzgarantien. Diesen kommt eine über die Einhaltung der bilanzrechtlichen Regelungen hinausgehende Bedeutung zu; ihr Ziel ist die Zusicherung, dass die Bilanz die wirtschaftlichen Fakten objektiv richtig abbildet.1737) Ob eine Zusicherung in diesem objektivierten Sinne tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Auslegung und nicht immer einfach zu beantworten.1738) Wird beispielsweise eine Garantie auf die Höhe des Eigenkapitals1739) zu einem bestimmten Bilanzstichtag abgegeben, so ist damit noch nicht abschließend geklärt, ob ein Risiko, das zum Zeitpunkt des Bilanzstichtages bereits vorhanden war und Anlass für die Bildung einer entsprechenden Rückstellung gegeben hätte, deren Bildung tatsächlich nicht erfolgt ist, zur Unrichtigkeit der Garantie führt. Denn wenn das Risiko für den Bilanzersteller nicht erkennbar war, kann dieser sich auf den Standpunkt stellen, das Eigenkapital sei unter Berücksichtigung der bilanziellen Regeln ordnungsgemäß ermittelt worden, eine Rückstellung habe also nicht gebildet werden müssen. Der Käufer wird dagegen argumentieren, dass es nicht auf die Einhaltung der Regelungen über die Bilanzerstellung ankomme; vielmehr sei der objektive Wert des Eigenkapitals maßgeblich. c) Freistellungsansprüche 1135 Während Gegenstand von Garantien in der Regel das Nichtvorhandensein abstrakt umschriebener Risiken ist, richten sich Freistellungsansprüche1740) auf konkret identifizierte Risiken, die im Rahmen der Due Diligence oder der Kaufvertragsverhandlungen von Käuferseite identifiziert worden sind. So ist es in der Praxis nicht selten, dass der Verkäufer bestimmte Zusicherungen z. B. hinsichtlich des Nichtvorhandenseins von Bodenverunreinigungen auf dem Betriebsgelände dadurch qualifiziert, dass er bestimmte Risiken selbst offenlegt, z. B. eine Bodenverunreinigung an einer bestimmten Stelle. Diese Qualifizierung führt dazu, dass die Zusicherung hinsichtlich der offengelegten Bodenverunreinigung nicht unrichtig ist. Gleichwohl wird der Käufer ein ___________ 1736) Vgl. dazu vorstehend unter B III 3 a) Rn. 1128 f. 1737) Wächter, M&A Litigation, Rn. 487 ff. 1738) Dazu jüngst OLG Frankfurt/M. BB 2016, 721 mit krit. Anm. Wächter, BB 2016, 711. 1739) Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.246. 1740) Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 244; dazu auch Schütt, NJW 2016, 980.
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Interesse daran haben, eine Regelung hinsichtlich des Risikos zu treffen, dass er aufgrund behördlicher Anordnung zur Beseitigung der fraglichen Bodenverunreinigung herangezogen wird. Für einen solchen Fall können die Parteien im Kaufvertrag eine Regelung vereinbaren, der zufolge der Verkäufer den Käufer beziehungsweise die Zielgesellschaft von den Kosten freizustellen hat, die diese im Fall einer behördlichen Anordnung ggf. für die Beseitigung der Bodenverunreinigung aufwenden muss. Ähnliche Freistellungsansprüche können sich z. B. auch auf Gewährleistungs- oder Produkthaftungsrisiken1741) beziehen, die im Rahmen des Due Diligence Prozesses oder der Kaufvertragsverhandlungen aufgedeckt beziehungsweise offengelegt worden sind. Häufig Gegenstand von Freistellungsverpflichtungen sind Steuern,1742) die 1136 sich auf Veranlagungszeiträume beziehen, die vor dem für die Bewertung des Unternehmens beziehungsweise für den Vollzug des Unternehmenskaufvertrages maßgeblichen Stichtag liegen. 4. Haftungsbeschränkungen Ein weiterer wichtiger Prüfungspunkt bei der Vorbereitung einer Klage gilt 1137 der Frage, welchen vertraglichen Beschränkungen die Haftung des Verkäufers nach dem Unternehmenskaufvertrag unterworfen ist. Da die gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Gewährleistung für einen 1138 Unternehmenskauf in der Praxis wenig geeignet sind, da sie mit ihrem grundsätzlich käuferfreundlichen Inhalt dem Bedürfnis nach Interessenausgleich der Vertragsparteien und den Besonderheiten jedes individuellen Unternehmenskaufvertrages kaum gerecht werden können, ist es in der Praxis üblich, im Kaufvertrag ein eigenständiges Haftungsregime zu schaffen, das nach Möglichkeit abschließend regelt, nach welchen Anspruchsgrundlagen der Veräußerer im Rahmen der Gewährleistung (im weitesten Sinne) haften soll, diese Haftung bestimmten Beschränkungen unterwirft und im Übrigen die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen ausschließt. Insbesondere das Recht auf Rückabwicklung des Vertrages sowie die Wahl 1139 des sog. „großen Schadensersatzes“ werden im Regelfall ausgeschlossen.1743) Gleiches gilt für das Recht des Käufers auf Minderung des Kaufpreises. An dessen Stelle tritt der sog. „kleine Schadensersatzanspruch“ des Erwerbers, bei dem sich der Schaden des Käufers grundsätzlich nach der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Sollzustand des Unternehmens und seinem tatsächlichen Istzustand richtet.1744)
___________ 1741) Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 246. 1742) Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 246. 1743) Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.249. 1744) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 718.
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a) Kenntnis des Käufers 1140 Der Verkäufer wird häufig bestrebt sein, sich gegen Ansprüche wegen Unternehmenswertbeeinträchtigungen damit zu verteidigen, dass der Käufer Kenntnis von ihnen gehabt habe oder hätte erlangen können. Inwieweit der Verkäufer mit einem solchen Einwand durchdringt, hängt davon ab, inwieweit der Käufer sich eigene Kenntnis entgegenhalten lassen muss. 1141 Bei der kaufrechtlichen Gewährleistung ist es für den Verkäufer vorteilhaft, wenn der Vertrag schweigt, da in diesem Fall § 442 BGB zur Geltung kommt. In der Praxis ist die kaufrechtliche Gewährleistung allerdings bedeutungslos; auch § 442 BGB wird in aller Regel abbedungen. 1142 Üblich ist es, im Vertrag selbst zu regeln, inwieweit der Käufer sich bei der Geltendmachung von Ansprüchen eigenes Wissen, das bei Vertragsschluss vorhanden war, entgegenhalten lassen muss.1745) Derartige Kenntnisklauseln können an § 442 BGB orientiert sein, aber auch stark davon abweichen. Nicht selten sind Klauseln, die eine etwaige relevante Kenntnis des Käufers auf diejenigen Informationen beschränken, die Inhalt von Anlagen des Kaufvertrages sind oder die im Datenraum offengelegt worden sind. 1143 Weitere Regelungsgehalte derartiger vertraglicher Bestimmungen sind die Frage, ob auf Käuferseite positive Kenntnis erforderlich war oder ob auch grob fahrlässige Unkenntnis ausreicht, und das Wissen welchen Personenkreises sich der Käufer für diese Frage zurechnen lassen muss. Eine in der Praxis durchaus gängige Vorgehensweise besteht darin, den Kreis der für die Zurechnung relevanten Personen auf die Organe des Käufers und den mit der Durchführung der Due Diligence und der Kaufvertragsverhandlungen befassten Personenkreis zu beschränken. Fehlt es an derartigen Regelungen, so wird man im Regelfall davon ausgehen müssen, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung zum Tragen kommen. Der Käufer wird sich in einem solchen Fall also neben dem Wissen seiner Organe und der handelnden Personen auch das Wissen solcher Personen zurechnen lassen müssen, das bei ordnungsgemäßer Organisation des Informationsflusses im Unternehmen an die Organe bzw. die handelnden Personen weitergegeben worden wäre.1746) 1144 Enthält der Vertrag – wie üblich – einen Katalog selbständiger Garantien, fehlt es aber an einer Kenntnisklausel, so stellt sich die Frage, ob § 442 BGB oder der diesem zugrunde liegende Rechtsgedanke analog anwendbar ist. Das ist letztlich eine Frage der Vertragsauslegung, wird im Regelfall aber zu verneinen sein.1747) Auch der Rechtsgedanke des venire contra factum proprium ___________ 1745) Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 234. 1746) Zur Wissenszurechnung auf Verkäuferseite vgl. bereits vorstehend B III 4 c) Rn. 1148 f. 1747) Wächter, M&A Litigation, Rn. 983 ff.; Mellert, BB 2011, 1667, 1671; Hilgard, BB 2013, 963; Rasner, WM 2006, 1425, 1431.
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(§ 242 BGB) wird einer Anspruchsgeltendmachung durch den Käufer in einem solchen Fall in aller Regel nicht entgegenstehen.1748) b) Betragsmäßige Haftungsbeschränkungen Von erheblicher praktischer Bedeutung für die Beschränkung der Haftung 1145 des Verkäufers sind De-Minimis-Regelungen. Diese sehen vor, dass eine Haftung im Einzelfall erst bei Überschreitung eines bestimmten Mindestbetrages in Betracht kommt. Ergänzt werden diese durch Freibeträge oder Freigrenzen.1749) Dabei ist die Haftung des Veräußerers insgesamt bis zu einem bestimmten Betrag (Freibetrag, Selbstbehalt, Sockelbetrag) ganz ausgeschlossen. Gehaftet wird erst für (einzeln oder kumulativ) darüber hinausgehende Ansprüche. Eine solche Regelung erkennt letztlich an, dass Unschärfen beim Unternehmenskauf unvermeidlich sind. Auch die Ausgestaltung als Freigrenze ist möglich. In diesem Fall greift die volle 1146 Haftung, sobald ein bestimmter Betrag überschritten wird. Eine Freigrenze wird allerdings den Käufer motivieren, bei Auftreten erster Ansprüche nach weiteren Ansprüchen zu suchen, um die Grenze der Durchsetzbarkeit zu erreichen.1750) Freigrenze und Freibetrag lassen sich auch kombinieren. Möglich sind etwa Regelungen, dass für Bagatelleinzelfälle eine niedrigere Freigrenze, aber insgesamt ein deutlich höherer Freibetrag zur Anwendung kommt. Einzelfälle, die unter der niedrigeren Freigrenze liegen, bleiben dann unberücksichtigt. Auch Haftungshöchstgrenzen („Cap“) sind in der Praxis üblich.1751) Wird 1147 ein degressives Cap dergestalt vereinbart, dass der Haftungshöchstbetrag jährlich um einen bestimmten Betrag oder um einen bestimmten Prozentsatz sinkt,1752) wenn ein Anspruch nicht innerhalb des jeweils abgelaufenen Jahres geltend gemacht wird, so kann die Kombination von Haftungshöchstbeträgen mit Schwellenwerten für den Käufer das Dilemma begründen, dass er möglicherweise einen Anspruch anmelden oder sogar Klage erheben muss, bevor er wissen kann, ob der Schwellenwert überhaupt erreicht wird.1753) c) Unwirksamkeit von Haftungsbeschränkungen Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass vertragliche Haftungsbeschrän- 1148 kungen bei Arglist oder bei vorsätzlicher Verletzung von vorvertraglichen ___________ 1748) Wächter, M&A Litigation, Rn. 983 ff.; Mellert, BB 2011, 1667, 1671; Hilgard, BB 2013, 963. 1749) Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.249; Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 235. 1750) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 722; Hilgard, BB 2004, 1233 ff.; Roschmann, ZIP 1998, 1941, 1947. 1751) Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.249; Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 236. 1752) Vgl. oben B II 2 d) Rn. 1112. 1753) Hilgard, BB 2004, 1233, 1234.
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Aufklärungspflichten nicht gelten. Das ist für die Taktik des Käufers von erheblicher Bedeutung, wenn es ihm in den Kaufvertragsverhandlungen nicht gelungen ist, ein käuferfreundliches Haftungsregime durchzusetzen. Der Käufer, dessen Ansprüche aus der Verletzung vertraglicher Garantien an den im Kaufvertrag vereinbarten Haftungsbeschränkungen scheitern würde, wird stets bestrebt sein, dem Verkäufer nachzuweisen, dass dieser bei den Kaufvertragsverhandlungen relevantes Wissen, das für die Kaufentscheidung des Käufers wesentlich war, vorsätzlich zurückgehalten hat. Der Verweis auf den Vorrang des vertraglich vereinbarten Haftungsregimes gegenüber der Haftung aus c. i. c. ist dem Verkäufer in diesem Fall abgeschnitten; er gilt bei Vorsatz nicht.1754) IV. Geltendmachung von Ansprüchen durch die Zielgesellschaft 1149 Entspricht das gekaufte Unternehmen nicht den Erwartungen des Käufers, so führt der Weg über eine mögliche Kompensation keineswegs zwingend immer über einen Anspruch, den der Käufer gegenüber dem Verkäufer geltend macht. Ein taktisch versierter Käufer wird darüber hinaus stets auch prüfen, ob der Zielgesellschaft Ansprüche gegenüber dem Verkäufer zustehen, insbesondere aus seiner Stellung als ehemaliger Gesellschafter. Die im Kaufvertrag vereinbarten Haftungsbeschränkungen gelten für derartige Ansprüche nicht. Denkbar ist allerdings, dass der Verkäufer sich im Kaufvertrag gegen solche Ansprüche der Zielgesellschaft dadurch abgesichert hat, dass eine Vereinbarung getroffen wurde, durch die der Käufer verpflichtet ist, den Verkäufer von Ansprüchen der Zielgesellschaft freizustellen, die nach Vollzug des Kaufvertrages geltend gemacht werden. Geht der Käufer aufs Ganze und verlangt Rückabwicklung des Vertrages, so wird ihn die Freistellungsklausel allerdings auch nicht davon abhalten, gleichzeitig eine Klage durch die Zielgesellschaft anzustrengen. 1150 Besonders groß sind die Gefahren einer Inanspruchnahme des Veräußerers dann, wenn zwischen Veräußerer und Zielgesellschaft ein Beherrschungs- und/ oder Gewinnabführungsvertrag bestand.1755) Nicht selten nutzt der Käufer nach der Anteilsübertragung den gesetzlichen Verlustausgleichsanspruch des erworbenen Unternehmens, um beim Kaufpreis nachzubessern. Dabei macht er sich seinen Einfluss auf die Organe der Zielgesellschaft zunutze, um möglichst negative Ergebnisse zu erzielen. Beliebte Übung ist es, im Jahresabschluss für das letzte Geschäftsjahr der Organschaft, der nicht selten erst nach Anteilsübertragung aufgestellt werden kann, Ermessensspielräume und Bilanzierungswahlrechte soweit wie möglich zu Lasten des ehemals herrschenden Unternehmens auszuüben. Noch erheblich gravierender können die wirtschaftlichen Auswirkungen eines solchen Vorgehens für das ehemals herrschende Unternehmen sein, wenn der Käufer Hand an die Bilanzen der dem ___________ 1754) Vgl. oben B III 3 a) Rn. 1125 ff. 1755) Dazu Brandes, Lib. Amic. M. Winter, 2011, 43 ff.
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Vollzug des Kaufvertrages vorausgegangenen Geschäftsjahre legt. In der Praxis lässt sich vermehrt feststellen, dass Jahresabschlüsse zurückliegender Geschäftsjahre unter Hinweis auf tatsächliche oder vermeintliche Bilanzierungsfehler geöffnet werden, nicht selten im Anschluss an die Durchführung umfangreicher und kostspieliger Ermittlungen. Von dem Risiko eines möglichen Scheiterns der steuerlichen Organschaft abgesehen kann sich die frühere Organträgerin erheblichen Ansprüchen auf Zahlung von Verlustausgleich oder Rückzahlung in der Vergangenheit abgeführter Gewinne ausgesetzt sehen. Veranlasst der Käufer die Zielgesellschaft, die Bilanzen zu öffnen und ggf. neu aufzustellen, so führt ein niedrigerer Gewinn bzw. höherer Verlustausweis in diesen Bilanzen automatisch zu einem Rückzahlungsanspruch der Zielgesellschaft gegen den ehemaligen Gesellschafter gem. § 62 Satz 1 AktG. Ist das erworbene Unternehmen eine Aktiengesellschaft, können die Kapi- 1151 talerhaltungsvorschriften auch ohne Bestehen eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages eine lohnende Quelle für die Begründung von Ansprüchen der Zielgesellschaft gegen den Veräußerer sein. Bei der Aktiengesellschaft führt jede Einlagenrückgewähr zu einem Rückgewährungsanspruch der AG gem. § 62 Satz 1 AktG.1756) Eine Einlagenrückgewähr liegt dabei nicht nur dann vor, wenn tatsächlich eine Rückzahlung der Einlage erfolgt, sondern bei jeder Form von sog. verdeckten Gewinnausschüttungen. Ist es in der Vergangenheit zwischen der Zielgesellschaft und dem Veräußerer bzw. seinen sonstigen Konzerngesellschaften zu Leistungsverkehr gekommen, was in einem Konzern nicht unwahrscheinlich ist, so kann es für den Erwerber eine lohnende Übung sein, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, das in diesem Leistungsverkehr vereinbart wurde, auf seine Angemessenheit zu überprüfen. Weitere Ansprüche der Zielgesellschaft können sich aus konzernrechtlichen 1152 Vorschriften ergeben. Zu denken ist in etwa an eine Haftung auf Nachteilsausgleich bei schädigenden Einwirkungen oder eine Haftung aus § 317 AktG. V. Verjährung Eine erfolgsversprechende Anspruchsverfolgung setzt voraus, dass der Pro- 1153 zessgegner nicht mit Aussicht auf Erfolg die Einrede der Verjährung erheben kann. 1. Vertragliches Verjährungsregime Üblicherweise enthalten M&A-Verträge Regelungen zur Verjährung von 1154 Ansprüchen aus dem Kaufvertrag. Dabei können die gesetzlichen Gewährleistungsfristen im Grundsatz sowohl verkürzt (§ 202 Abs. 1 BGB) als auch verlängert werden (§ 202 Abs. 2 BGB).1757) Manche M&A-Verträge enthalten ___________ 1756) Bei der GmbH ist dies erst der Fall, wenn die durch die §§ 30, 31 GmbH gezogenen Grenzen überschritten sind. 1757) Brüggemeier, WM 2002, 1376, 1383.
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einheitliche Verjährungsfristen, die sich auf sämtliche Ansprüche aus dem Vertrag beziehen. In der Praxis häufiger anzutreffen sind Verträge, die hinsichtlich des Beginns oder des Endes der Verjährungsfristen je nach Anspruchsgrundlage differenzieren.1758) Für Ansprüche, die sich auf die Eigentümerstellung des Veräußerers beziehen wie die sog. „Title“-Garantien und für Ansprüche aus Risiken, die sich ggf. erst nach Ablauf einer längeren Zeit materialisieren oder die schwer erkennbar sind, wird üblicherweise eine längere Verjährungsfrist vereinbart; für Umstände und Angaben, die der Erwerber leicht selbst überprüfen kann, gelten dagegen kürzere Verjährungsfristen. Ansprüche auf Freistellung von Steuerrisiken verjähren in der Praxis häufig erst nach Ablauf einer bestimmten Frist nach endgültiger Festsetzung der Steuern. 1155 Problematisch ist in der Praxis nicht selten die Bestimmung des Verjährungsbeginns bei Freistellungsansprüchen.1759) Für gesetzliche Freistellungsansprüche i. S. d. § 257 Satz 2 BGB hat der BGH – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung1760) – entschieden, dass für den Verjährungsbeginn auf die Fälligkeit des Drittanspruchs abzustellen sei.1761) Ob diese Rechtsprechung auch auf vertragliche Freistellungsansprüche anzuwenden ist, ist im Schrifttum umstritten. Die herrschende Ansicht geht ungeachtet der geänderten BGH-Rechtsprechung für vertragliche Freistellungsansprüche von sofortiger Fälligkeit i. S. v. § 271 BGB aus.1762) Nach der Gegenauffassung beginnt die Verjährung erst, wenn der Drittanspruch fällig wird1763) und wenn die Geltendmachung eines Drittanspruchs droht.1764) 2. Gesetzliche Verjährungsfristen 1156 Enthält der Vertrag – was in der Praxis eher unüblich ist – keine Regelungen hinsichtlich der Verjährung, so gelten die gesetzlichen Gewährleistungsfristen. Für die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche des Erwerbers gilt – soweit diese nicht abbedungen worden sind – grundsätzlich die Verjährungsfrist von zwei Jahren gem. § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Haben die Parteien die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche abbedungen und stattdessen einen Katalog von selbstständigen Garantien vereinbart, es aber unterlassen, auch hinsichtlich der Verjährung eine vertragliche Sonderregelung zu treffen, so ___________ 1758) Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.255; Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 233. 1759) Dazu Link, BB 2012, 856 ff. 1760) BGH NJW 1984, 2151, 2152 ff. 1761) BGH NJW-RR 2010, 333 = ZIP 2010, 1299; BGH NJW 2010, 2197 = ZIP 2010, 1295; BGH BB 2011, 1807. 1762) Rutschmann, NZG 2010, 776, 777 ff.; ders., DStR 2010, 555, 559; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.93. 1763) Jagersberger, NZG 2010, 136, 138. 1764) Staudinger/Bittner, BGB, § 257 Rn. 26.
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gilt grundsätzlich die dreijährige Regelverjährung gem. § 195 BGB mit Verjährungsbeginn gem. § 199 BGB.1765) Die dreijährige Regelverjährung gilt auch für Ansprüche wegen einer vorver- 1157 traglichen Pflichtverletzung. Rücktritts- und Minderungsrechte des Käufers (§§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB) 1158 unterliegen als Gestaltungsrechte keiner Verjährung. Die Ausübung beider Rechte ist jedoch nach § 438 Abs. 4, 5, § 218 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn der Anspruch des Käufers auf Leistung oder auf Nacherfüllung verjährt ist. Die Verjährung beginnt beim Sachkauf gem. § 438 Abs. 2 BGB mit der Über- 1159 gabe bzw. Ablieferung der Sache, also regelmäßig mit dem Vollzug des Kaufvertrages. Für den Rechtskauf gibt es keine ausdrückliche Regelung. Hier wird der Verjährungsbeginn in der Regel im Zeitpunkt der Abtretung des Rechts liegen.1766) Ansprüche der Zielgesellschaft aus aktienrechtlichem Kapitalerhaltungsrecht 1160 verjähren gem. § 62 Abs. 3 AktG erst nach 10 Jahren. Gleiches gilt für den Anspruch auf Verlustausgleich bei Bestehen eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages (§ 302 Abs. 4 AktG). Ansprüche aus § 317 AktG verjähren nach fünf Jahren (§§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 5 AktG). 3. Hemmung der Verjährung Ist im Vertrag nichts geregelt, gilt bzgl. der Hemmung der Verjährung § 203 1161 BGB. Danach wird die Verjährung auch dann gehemmt, wenn die Parteien Verhandlungen über den Anspruch führen. In der Praxis wird § 203 BGB im Regelfall abbedungen. Macht der Kaufver- 1162 trag eine Anspruchserhebung durch den Erwerber von der Abgabe einer sog. „Claim-Notice“ abhängig, kann vereinbart werden, dass diese gleichzeitig zur Hemmung der Verjährung führt. Das ist indes keineswegs zwingend. Manche Verträge sehen auch vor, dass zur Hemmung der Verjährung die Erhebung einer Klage erforderlich ist. VI. Vergleich Kommt es im Nachgang eines Unternehmenskaufes zu Streitigkeiten zwi- 1163 schen den Parteien, so wird deren Bestreben in aller Regel darauf gerichtet sein, einen kostspieligen und langwierigen Prozess zu vermeiden und eine gütliche Einigung zu erreichen. In vielen Fällen wird den Parteien eine solche bereits im Vorfeld einer Klageerhebung gelingen. Selbst wenn es zum Prozess kommt, lehrt die Erfahrung, dass die Parteien nach Austausch einiger ___________ 1765) Palandt/Weidenkaff, BGB, § 443 Rn. 23; MünchKomm-BGB/Westermann, § 443 Rn. 19; Wächter, M&A-Litigation, Rn. 578; Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, § 16 Rn. 93. 1766) Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 665.
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Schriftsätze und ggf. einer Erörterung durch den zuständigen Spruchkörper die Chancen und Risiken eines Prozesses kritischer einschätzen und mit erhöhter Kompromissbereitschaft erneut Gespräche miteinander aufnehmen. 1. Typische Vergleichsinhalte 1164 Was im Einzelnen im Vergleich zu regeln ist, hängt stark von dem der Auseinandersetzung zugrunde liegenden Sachverhalt ab und entzieht sich einer generalisierenden Darstellung. Der Sache nach ist der Vergleich eine vertragliche Regelung zwischen den Parteien, die in aller Regel dazu führt, dass der Regelungsgehalt des Unternehmenskaufvertrages in einzelnen Punkten abgeändert oder ergänzt wird. Dadurch werden bestehende Rechte und Pflichten der Parteien in dem Unternehmenskaufvertrag modifiziert bzw. es werden neue Rechte und Pflichten begründet, die in der Vergleichsvereinbarung im Einzelnen zu regeln sind. 1165 Waren Ursache der Streitigkeiten Unklarheiten im bisherigen Vertragskonvolut, so sind diese in der Vergleichsvereinbarung entsprechend klarzustellen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Rechte und Pflichten der Parteien explizit zu regeln. Dabei ist darauf zu achten, dass weitere Unklarheiten vermieden werden, um zu verhindern, dass es bei der Abwicklung der Vergleichsvereinbarung erneut zu einem Rechtsstreit kommt. 1166 Zwingender Regelungsgehalt des Vergleiches muss sein, welches Schicksal die Klageanträge der Parteien erfahren. Werden diese zurückgenommen oder für erledigt erklärt, so ist im Vergleichstext eine entsprechende Verpflichtung der Parteien zu regeln und festzulegen, von welchen Voraussetzungen diese abhängig sein soll. 1167 Vielfach werden die Parteien daran interessiert sein, über den Gegenstand des eigentlichen Rechtsstreits hinaus eine generelle Befriedigung ihrer Geschäftsbeziehungen herbeizuführen. Daher werden häufig Klauseln vereinbart, die vorsehen, dass mit dem Vergleich sämtliche Ansprüche zwischen den Parteien, ob bekannt und unbekannt, die zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bestehen, endgültig erledigt und abgegolten sein sollen. Lässt sich eine Partei auf eine solche vertragliche Regelung ein, obwohl tatsächlich noch anderweitige Ansprüche bestehen, so hat eine solche, auch als „Ausgleichsquittung“ bezeichnete Klausel, die Wirkung eines negativen Schuldanerkenntnisses.1767) Beabsichtigen die Parteien, eine solche Regelung in den Vergleich mit aufzunehmen, so bedarf es sorgfältiger Prüfung, ob sich aus den Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien Ansprüche ergeben können, die bisher nicht Gegenstand des Rechtsstreits oder der Vergleichsverhandlungen waren. Sollen bestimmte Ansprüche von der Ausgleichsquittung ausgenommen werden, so ist dies im Vergleich explizit zu regeln. ___________ 1767) MünchKomm-BGB/Schlüter, § 397 Rn. 15.
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Ein weiterer Regelungsgegenstand, der zum Standard einer Vergleichsrege- 1168 lung gehört, sind Bestimmungen bzgl. der Aufteilung der Prozesskosten. Empfehlenswert ist ferner eine Vereinbarung hinsichtlich des anwendbaren 1169 Rechts und des Gerichtsstandes. Fehlt es an einer solchen Regelung, wird es im Zweifel dem Willen der Parteien entsprechen, die im Unternehmenskaufvertrag vereinbarten Regelungen auch für den Vergleich gelten zu lassen. Häufig werden Bestimmungen mit Blick auf die zu wahrende Vertraulich- 1170 keit der Vergleichsvereinbarung und ihres Inhalts vereinbart oder Regelungen zur Kommunikation des Vergleichsinhalts gegenüber Presse und Öffentlichkeit getroffen. 2. Prozessuale Fragen des Vergleichsschlusses Führen die Parteien Vergleichsverhandlung während des laufenden Verfah- 1171 rens, so ist zu bedenken, dass Vergleichsgespräche und -verhandlungen nicht selten mit einem beträchtlichem zeitlichen Aufwand verbunden sind und entsprechend Ressourcen binden, die eigentlich für die Arbeit an der Vorbereitung der Schriftsätze benötigt werden. Unterbreitet die Partei, die ihre Schriftsätze gerade eingereicht hat, der anderen Partei einen Vergleichsvorschlag, so kann dies ein taktisches Manöver sein, um die Gegenpartei davon abzuhalten, ihre ganzen Ressourcen auf die Erstellung des Erwiderungsschriftsatzes zu konzentrieren. Um dem zu begegnen, kann es für die Gegenpartei ratsam sein, die Aufnahme von Vergleichsgesprächen von einer Zustimmung zu einem Ruhen oder einer Aussetzung des Verfahrens abhängig zu machen. Im deutschen Zivilprozess wird ein Ruhen des Verfahrens (§ 251 ZPO) in aller Regel angeordnet, wenn die Parteien Vergleichsgespräche führen und einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellen. Die Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens auf Betreiben der Parteien ist auch in den meisten Schiedsordnungen möglich und liegt im Ermessen des Schiedsgerichts. Schließen die Parteien einen Vergleich, so haben sie darüber zu entscheiden, 1172 ob sie eine gerichtliche Protokollierung des Vergleiches wünschen. Ein gerichtlich protokollierter Vergleich hat dieselben Wirkungen wie ein Urteil, ermöglicht also den Parteien, unmittelbar aus dem Vergleich die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Ein außergerichtlich protokollierter Vergleich hat dagegen lediglich die Wirkung eines schuldrechtlichen Vertrages. Erfüllt eine Partei ihre Pflichten nicht, so muss erneut geklagt werden. Umgekehrt schließt ein gerichtlich protokollierter Vergleich die Erhebung einer erneuten Klage aus. Verpflichten sich die Parteien lediglich zu einer Rücknahme der Klage, so 1173 steht dies nach deutschem Zivilprozessrecht der Erhebung einer erneuten Klage prozessual nicht entgegen; die Erhebung einer erneuten Klage aufgrund desselben Sachverhaltes kann aber daran scheitern, dass der Anspruch aufgrund der Wirkungen des Vergleichsschlusses nicht mehr besteht und die Klage damit als unbegründet abzuweisen wäre. Andere Rechtsordnungen sehen die Rücknahme einer Klage „with prejudice“ vor. Willigt die Partei in eine Stephan Brandes
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derart qualifizierte Klagerücknahme ein, so kann dies zur Unzulässigkeit einer erneuten Klage führen. 1174 Die meisten Schiedsordnungen sehen die Möglichkeit vor, das Schiedsgericht dazu zu veranlassen, aufgrund des Vergleichsschlusses einen Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut zu erlassen (§ 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 32 DISSchO, Art. 26 ICC-SchO).1768) Ein solcher hat zwar nicht die Wirkungen wie ein gerichtlich protokollierter Vergleichsschluss, da er keinen vollstreckbaren Titel darstellt; der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut kann aber – so wie jeder andere Schiedsspruch – nach den einschlägigen Regelungen ggf. für vollstreckbar erklärt werden. C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen I. Einführung und Abgrenzung zu Post Merger Litigation Daniel Wiegand
1175 Neben der im vorstehenden Kapitel beschriebenen „Post Merger Litigation“ wegen der Verletzung von Verkäufergarantien im Unternehmensvertrag oder anderweitiger Haftung des Verkäufers wegen nicht erwartungsgerechter Beschaffenheit des erworbenen Unternehmens (Rn. 1093 ff.) treten in der M&APraxis häufig auch Streitigkeiten über die genaue und endgültige Abrechnung des Kaufpreises auf. Bei vielen großen M&A-Transaktionen steht nämlich beim Vertragsschluss der endgültige Kaufpreis noch nicht fest, sondern ergibt erst aus einer Kaufpreisformel. Das Erfordernis einer solchen nachträglichen Kaufpreisbestimmung kann sich zum einen daraus ergeben, dass der Vollzug der Transaktion z. B. wegen noch erforderlicher kartellrechtlicher Freigaben erst nach einiger Zeit erfolgen kann und die Parteien den Kaufpreis aufgrund des bei Vertragsabschluss noch nicht bekannten Wertes des Zielunternehmens bei Vollzug bestimmen wollen, in anderen Fällen auch daraus, dass die Parteien ihre unterschiedlichen Preisvorstellungen dadurch überbrücken, dass ein Teil des Kaufpreises von zukünftigen Entwicklungen des Zielunternehmens abhängt.1769) 1176 In der Kaufpreisformel finden sich in der Regel verschiedene Elemente, die aus der Bilanz des Zielunternehmens zu einem bestimmten Stichtag oder – seltener – aus der Gewinn-und Verlustrechnung des Zielunternehmens für eine bestimmte Periode zu entnehmen sind und über deren Berechnung Streit zwischen den Parteien entstehen kann. Unternehmenskaufverträge sehen daher bei der Verwendung von Kaufpreisformeln typischerweise detaillierte Regeln für die Aufstellung von Abrechnungsbilanzen und die Streitbeilegung bei Meinungsverschiedenheiten bei. Da es typischerweise schwerpunktmäßig um Fragen der richtigen Bilanzierung von Sachverhalten geht, wird die Streit___________ 1768) Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, § 18 Rn. 10. 1769) Umfassend zu Kaufpreisformeln in Unternehmensverträgen: Ziegenhain, in: Beck’sches Handbuch M&A (im Erscheinen), § 13 m. z. N.; Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2015.
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derart qualifizierte Klagerücknahme ein, so kann dies zur Unzulässigkeit einer erneuten Klage führen. 1174 Die meisten Schiedsordnungen sehen die Möglichkeit vor, das Schiedsgericht dazu zu veranlassen, aufgrund des Vergleichsschlusses einen Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut zu erlassen (§ 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 32 DISSchO, Art. 26 ICC-SchO).1768) Ein solcher hat zwar nicht die Wirkungen wie ein gerichtlich protokollierter Vergleichsschluss, da er keinen vollstreckbaren Titel darstellt; der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut kann aber – so wie jeder andere Schiedsspruch – nach den einschlägigen Regelungen ggf. für vollstreckbar erklärt werden. C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen I. Einführung und Abgrenzung zu Post Merger Litigation Daniel Wiegand
1175 Neben der im vorstehenden Kapitel beschriebenen „Post Merger Litigation“ wegen der Verletzung von Verkäufergarantien im Unternehmensvertrag oder anderweitiger Haftung des Verkäufers wegen nicht erwartungsgerechter Beschaffenheit des erworbenen Unternehmens (Rn. 1093 ff.) treten in der M&APraxis häufig auch Streitigkeiten über die genaue und endgültige Abrechnung des Kaufpreises auf. Bei vielen großen M&A-Transaktionen steht nämlich beim Vertragsschluss der endgültige Kaufpreis noch nicht fest, sondern ergibt erst aus einer Kaufpreisformel. Das Erfordernis einer solchen nachträglichen Kaufpreisbestimmung kann sich zum einen daraus ergeben, dass der Vollzug der Transaktion z. B. wegen noch erforderlicher kartellrechtlicher Freigaben erst nach einiger Zeit erfolgen kann und die Parteien den Kaufpreis aufgrund des bei Vertragsabschluss noch nicht bekannten Wertes des Zielunternehmens bei Vollzug bestimmen wollen, in anderen Fällen auch daraus, dass die Parteien ihre unterschiedlichen Preisvorstellungen dadurch überbrücken, dass ein Teil des Kaufpreises von zukünftigen Entwicklungen des Zielunternehmens abhängt.1769) 1176 In der Kaufpreisformel finden sich in der Regel verschiedene Elemente, die aus der Bilanz des Zielunternehmens zu einem bestimmten Stichtag oder – seltener – aus der Gewinn-und Verlustrechnung des Zielunternehmens für eine bestimmte Periode zu entnehmen sind und über deren Berechnung Streit zwischen den Parteien entstehen kann. Unternehmenskaufverträge sehen daher bei der Verwendung von Kaufpreisformeln typischerweise detaillierte Regeln für die Aufstellung von Abrechnungsbilanzen und die Streitbeilegung bei Meinungsverschiedenheiten bei. Da es typischerweise schwerpunktmäßig um Fragen der richtigen Bilanzierung von Sachverhalten geht, wird die Streit___________ 1768) Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, § 18 Rn. 10. 1769) Umfassend zu Kaufpreisformeln in Unternehmensverträgen: Ziegenhain, in: Beck’sches Handbuch M&A (im Erscheinen), § 13 m. z. N.; Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2015.
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entscheidung einem Wirtschaftsprüfer als neutralem Schiedsgutachter i. S. v. § 317 BGB anvertraut und landet – anders als in Fällen der sonstigen Post Merger Litigation – nur selten bei einem Schiedsgericht. Daher erlangen Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten selten große Aufmerksamkeit und sind auch in der juristischen Literatur bisher vergleichsweise wenig behandelt werden.1770) Wirtschaftlich geht es jedoch teilweise um erhebliche Summen (häufig um größere Beträge als bei der Verletzung von Verkäufergewährleistungen)1771) und auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht stellen sich einige interessante Fragen. In dem folgenden Beitrag soll zuerst ein Überblick über die wichtigsten in 1177 der M&A-Praxis verbreiteten Kaufpreisanpassungsmechanismen (und damit über mögliche Streitgegenstände) gegeben werden (dazu Rn. 1178 ff.) und anschließend das typische Verfahren zur Ermittlung von Kaufpreisanpassungen beschrieben werden (Rn. 1204 ff.). II. Typische Kaufpreisanpassungsregeln (Kaufpreisformeln) 1. Festkaufpreise und variable Kaufpreise Vereinbaren die Parteien einen festen Kaufpreisbetrag, der am Tage des Voll- 1178 zuges Zug um Zug gegen Übertragung des Unternehmens durch den Käufer zu begleichen ist, scheidet eine Kaufpreisanpassung und eine spätere Streitigkeit darüber naturgemäß aus. Festkaufpreise sind in der Unternehmenskaufpraxis jedoch insgesamt relativ selten und finden sich typischerweise in drei Fallkonstellationen: x
Erwerb aus der Insolvenz auf Grundlage eines sog. „All-in“ Kaufpreises.1772) Hier liegt es im Interesse des Insolvenzverwalters sowie der Insolvenzgläubiger, fixierte Kaufpreiserlöse einplanen zu können, die keiner weiteren Anpassung unterliegen
x
Kleine Transaktionen, die zeitgleich mit Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrages vollzogen werden können. Dies ist nur dann der Fall, wenn keine Kartellfreigaben erforderlich sind, weil die relevanten Umsatzschwellen nicht erreicht werden.1773) Hier besteht kein Risiko für
___________ 1770) Vgl. immerhin Habersack/Tröger, DB 2009, 44 ff., Frey/Müller, in: Festschrift Tschäni, 2010, S. 192. 1771) Dazu oben Rn. 1130 ff. 1772) Vgl. Hörtnagl/Marxer, in: Petersen/Zwirner/Brösel, E. 12. Rn. 8. 1773) In Deutschland ist nach § 35 Abs. 1 GWB eine Freigabe des Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt erforderlich, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Jahr insg. insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. Euro und im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Mi. Euro und ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 5 Mio. Euro erzielt haben.
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Wertveränderungen des Zielunternehmens, die eine Kaufpreisanpassung erfordern würden.1774) x
Verkauf des Zielunternehmens zu einem in der Vergangenheit liegenden wirtschaftlichen Stichtag. In diesem Fall erfolgt die Bewertung und Kaufpreisbestimmung auf Basis eines bereits vorliegenden, historischen Jahres- oder Zwischenabschlusses (z. B. Verkauf im April 2016 auf Basis des Jahresabschlusses zum 31.12.2015). Sämtliche Bewertungsparameter (Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten) sind dann bei Vertragsschluss bekannt und eine Kaufpreisanpassung erübrigt sich. Allerdings muss der Käufer bei diesem Konzept das Risiko negativer Wertveränderungen des Zielunternehmens zwischen Stichtag und Vollzug übernehmen und durch Garantien sicherstellen, dass keine Wertabflüsse erfolgen. Daher wird dieser Ansatz heute als „Locked Box“-Verfahren bezeichnet.1775)
1179 Wenn keine der vorgenannten Konstellationen vorliegt, in denen sich ein Festkaufpreis anbietet, werden die Parteien einen variablen Kaufpreis wählen, der auf Grundlage einer noch zu erstellenden Stichtagsbilanz des Zielunternehmens zu ermitteln ist (sog. „Effective Date Accounts“ oder auch „Closing Accounts“).1776) Die Stichtagsbilanz wird in der Regel auf den Tag des Vollzugs der M&A-Transaktion (wenn dieser zu einem Monatsende erfolgt) oder auf das letzte Monatsende vor Vollzug erstellt. Im Unternehmenskaufvertrag wird ein vorläufiger Kaufpreis vereinbart (z. B. auf Basis der Werte aus der letzten vorliegenden Bilanz oder einer Schätzung der Werte zum zukünftigen Stichtag), der dann anhand der Werte in der Stichtagsbilanz anzupassen ist. 1180 In den allermeisten Fällen fließen nicht alle Bilanzpositionen in die Kaufpreisanpassung ein. Die in der Vergangenheit häufige Kaufpreisanpassung auf Basis des bilanziellen Eigenkapitals des Zielunternehmens (die zu einer Berücksichtigung aller Bilanzpositionen führt, weil das Eigenkapital die Residualgröße ist1777) findet man heutzutage nur noch vereinzelt bei kleineren Transaktionen und bei Transaktionen im Finanzsektor.1778) Der praktisch bedeutendste Anwendungsfall eines variablen Kaufpreises ist die sog. „Cash Free/Debt Free“-Kaufpreisformel, bei der ein ohne Berücksichtigung der Verschuldung („Debt“) und liquider Mittel („Cash“) des verkauften Unter___________ 1774) Die Kosten für Ermittlung einer Kaufpreisanpassung stehen in diesen Fällen häufig auch nicht in angemessenem Verhältnis zur Kaufpreissumme, vgl. Bruski, BB 2005 (BB-Spezial 7), 19 (19); Picot, in: Picot, § 4 Rn. 125. 1775) Ab dem Stichtag ist das Zielunternehmen wie eine verschlossene Kiste, aus der nichts mehr entnommen werden darf (und auch nichts mehr hereingelegt werden darf). Ausführlich dazu Ziegenhain, in: Beck’sches Handbuch M&A, § 13 Rn. 15 ff. 1776) Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, 6. Aufl., Kap. 11 Rn. 2; Lehmann, CFL 2011, 31, 32 f. 1777) Baumbach/Hopt/Merkt, § 266 Rn. 14 ff. 1778) Hörtnagl/Zwirner/Busch, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 5 Rn. 25.
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nehmens ermittelter Gesamtunternehmenswert (sog. „Enterprise Value“)1779) zum Marktwert des verkauften Eigenkapitals zum Stichtag (sog. „Equity Value“)1780) übergeleitet wird (dazu gleich Rn. 1182 ff.) Schließlich gibt es auch erfolgsbezogene Kaufpreisanpassungen, bei denen 1181 der Kaufpreis in Folge zukünftiger Umsätze, Ergebnisse oder sonstiger Entwicklungen des Zielunternehmens auf Basis vertraglich vereinbarter Parameter angepasst wird (sog. Earn-Out-Klauseln, dazu unten Rn. 1199 ff.).1781) 2. Cash Free/Debt Free Kaufpreisformeln a) Grundprinzip Bei der Cash Free/Debt Free-Kaufpreisformel sind alle Bilanzpositionen, die 1182 als Cash (Liquide Mittel) oder Debt (Verschuldung) zu qualifizieren sind, Grundlage der genauen Bestimmung des Kaufpreises und damit der Kaufpreisanpassung. Mit anderen Worten ist die Nettoverschuldung vom Gesamtunternehmenswert abzuziehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Gesamtunternehmenswert (d. h. der Enterprise Value) unter Außerachtlassung der bestehenden Verschuldung des Unternehmens ermittelt wird, um auf diese Weise eine Vergleichbarkeit von Kaufpreisen für Unternehmen herzustellen.1782) Denn nur ein Vergleich der Gesamtunternehmenswerte lässt eine Aussage über die Ertragskraft eines Unternehmens zu, wie sie unabhängig von der Finanzierungsform besteht. Der sog. Enterprise Value berücksichtigt aber nicht, dass ein Teil der zukünftigen Erträge oder Cash Flows nicht den Anteilsinhabern zusteht, sondern für die Bedienung von Bankverbindlichkeiten oder ähnlichen Fremdverbindlichkeiten verwendet werden muss. Daher ist der Wert der Anteile, die bei einer M&A-Transaktion das Kaufobjekt bilden, um den Wert dieser Verbindlichkeiten zum Stichtag der Übertragung gemindert. Umgekehrt erhöht sich der Wert der verkauften Anteile (d. h. der sog. Equity Value), um den Betrag der liquiden Mittel (Cash), der am Stichtag bereits im Unternehmen vorhanden ist und den Anteilseigners zusätzlich zu künftigen Cash Flows zur Bedienung von Verbindlichkeiten oder Zahlung von Dividenden zur Verfügung steht. ___________ 1779) Zu den gängigen Bewertungsmethoden bei Unternehmenskäufen vgl. statt vieler Aders, in: Beck’sches Handbuch M&A, §§ 11 und 12. 1780) Der Marktwert des Eigenkapitals ist der Wert des Unternehmens, der den Inhabern der Eigenkapitalanteile zusteht (und nicht den Kreditgebern, Pensionären u. a.). Er ist nicht zu verwechseln mit dem bilanziellen Eigenkapital. 1781) Vertiefend etwa Hilgard, BB 2010, 2912 ff.; Ihlau/Gödecke, BB 2010, 687 ff.; Werner, DStR 2012, 1662 ff. 1782) Eine Cash Free/Debt Free Anpassung ist daher bei einer Bestimmung des Unternehmenswerts nach dem Ertragswertverfahren oder der DCF-Nettomethode nicht erforderlich, da Zins- und Schuldendienst bei dieser Methode bereits mitberücksichtigt sind: hierzu ausf. Hörtnagl/Marxer, in: Petersen/Zwirner/Brösel, E. 12. Rn. 18, 56; Mirow, CFL 2011, 145, 147.
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1183 In der Kaufpreisformel wird typischerweise in einem ersten Schritt der Enterprise Value um Cash-Positionen erhöht und in einem zweiten Schritt um Debt-Positionen vermindert:1783) „Der vom Käufer für die verkauften Geschäftsanteile an der Gesellschaft zu zahlende Kaufpreis berechnet sich wie folgt: 1. EUR [·] („Grundkaufpreis“ oder „Enterprise Value“) plus 2. den Betrag der Liquiden Mittel der Gesellschaft zum Stichtag, die auf Basis der Stichtagsbilanz zu ermitteln sind minus 3. den Betrag der zum Stichtag bestehenden Finanzverbindlichkeiten [und Sonstigen Relevanten Verbindlichkeiten] der Gesellschaft, die auf Basis der Stichtagsbilanz zu ermitteln sind“
b) Relevante Bilanzpositionen 1184 Die Definition der Cash-Positionen ist in den Verhandlungen typischerweise wenig umstritten, da in der M&A-Praxis weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass nur kurzfristig verfügbare liquide Mittel als „Cash“ zu qualifizieren sind und kaufpreiserhöhende berücksichtigt werden können: „Liquide Mittel“ sind die in § 266 Abs. 2 B III 2 und Abs. 4 HGB genannten Vermögensbestandteile, nämlich sonstige Wertpapiere (z. B. Wechsel), Schecks, Kassenbestand, Bundesbankguthaben sowie Guthaben bei Kreditinstituten“.1784)
1185 In relevanten Fällen findet sich manchmal eine Regelung, nach der sog. „Trapped Cash“ nicht zu berücksichtigen ist. Mit „Trapped Cash“ sind liquide Mittel gemeint, die innerhalb der Unternehmensgruppe nicht frei transferiert werden können, z. B. wegen Beschränkungen internationaler Geldtransfers1785) eingeschränkt werden. 1186 Die Definition der Debt-Positionen ist schwieriger und häufig Gegenstand kontroverser Verhandlungen. Unstreitig sind klassische Finanzierungsverbindlichkeiten gegenüber Banken und anderen Kreditgebern, das sog. „Financial Debt“: „Finanzverbindlichkeiten“ sind alle Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten und ähnlichen Darlehensgebern und gegenüber verbundenen Unternehmen, soweit sie nicht auf Lieferungen und Leistungen beruhen.
___________ 1783) Vgl. auch Lappe/Schmitt, DB 2007, 153, 156; Lips, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 3 Rn. 161; Picot, in: Picot, § 4 Rn. 149 ff.; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Teil VII Rn. 160; Schrader, in: Beck’sches Formularbuch M&A, Form. C.II.1 Anm. 26. 1784) Zahlungsansprüche der Zielgesellschaft gegen den Verkäufer aus Cash Pooling oder sonstigen Ausleihungen werden in der Regel zusätzlich ausdrücklich als „Liquide Mittel“ definiert. 1785) Der in der heutigen M&A Praxis häufigste Fall sind Cash-Bestände in einer chinesischen Tochtergesellschaft, die wegen der Devisenbeschränkungen nicht ohne weiteres an die Muttergesellschaft ausgeschüttet werden können.
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C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen
Aus der Sicht des Käufers werden typischerweise weitere zu künftigen Li- 1187 quiditätsabflüssen führende Bilanzpositionen als „Other Debt“ oder „Sonstige Relevante Verbindlichkeiten“ und damit als Abzugsposten definiert. Zu nennen sind hier beispielsweise: aa) Nicht ausgeschüttete Dividenden Eindeutig und wenig streitanfällig ist der Fall einer nach dem Stichtag noch 1188 an den Verkäufer auszuschüttenden Dividende. Andernfalls würde der Käufer für eine Cash-Position zahlen würde, die sich der Verkäufer qua Dividende nach dem Stichtag noch vereinnahmt.1786) bb) Nicht gedeckte Pensionsverbindlichkeiten Ausgangspunkt bei der Behandlung von Pensionsverbindlichkeiten ist, dass 1189 das Zielunternehmen nicht gedeckte Pensionszusagen gegenüber Arbeitnehmern und Organmitgliedern aus den zukünftigen Cash Flows bedienen muss und die zur Bedienung der Pensionsverpflichtungen benötigten Cash Flows nicht den Anteilseignern zur Verfügung stehen. Damit sind nicht gedeckte Pensionsverbindlichkeiten aus Sicht einer Cash Free/Debt Free-Bewertung vergleichbar mit Kreditverbindlichkeiten oder nicht ausgeschütteten Dividenden, aber ungleich schwerer genau zu beziffern.1787) Dabei sind nur die sog. leistungsorientierten Versorgungspläne (sog. Defined Benefit Plan) relevant, weil bei diesen Plänen eine Verpflichtung des Unternehmens zu künftigen Erfüllung von in der Vergangenheit zugesagten Leistungen an aktive und frühere Arbeitnehmer besteht.1788) Für diese zukünftigen Verpflichtungen aus Pensionszusagen sind Rückstellungen in der Bilanz zu bilden, die dem abgezinsten Barwert der zu erwartenden Zahlungsabflüsse an die Betriebsrentenempfänger entsprechen. Die Berechnung der Rückstellungen ist eine Wissenschaft für sich und erfordert in der Regel ein sog. versicherungsmathematisches Gutachten.1789) Die verschiedenen Rechnungslegungsvorschriften führen zudem oft zu erheblichen Unterschieden in der Bewertung.1790) Oft werden die Pensionsverpflichtungen wegen ihres erheblichen Umfangs und zur Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer ganz oder teilweise durch spezielle Pensionsvermögen abgesichert. Der durch derartige Aktiva („Pension ___________ 1786) Hilgard, DB 2007, 559, 560. 1787) Dazu ausf. Koesling, in: Kiem, § 7 Rn. 111 ff. 1788) Bei sog. beitragsorientierten Plänen („Defined Contribution Plans“) leistet die Gesellschaft dagegen laufend Beitragszahlungen in ein Sondervermögen (z. B: Pensionsfonds) und dem Begünstigten stehen nur die Ansprüche zu, die sich aus der Summe von eingezahltem Kapital und Kapitalerträgen ergeben. Diese Pensionsmodelle sind für Kaufpreisformeln irrelevant, weil die laufenden Beitragszahlungen das Cash vermindert haben. 1789) Bei der Berechnung sind u. a. zu berücksichtigen: Höhe der zukünftigen Lohn- und Gehaltszahlungen, Lebenserwartung der Pensionäre, Abzinsungsfaktor. 1790) Dazu Baumbach/Hopt/Merkt, § 249 Rn. 5 ff. und § 253 Rn. 3 ff. m. w. N.
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Assets“) nicht gedeckte Teil der Pensionsverpflichtungen wird als „Unfunded Pension Liabilities“ bezeichnet und im Rahmen der Cash Free/Debt FreeKaufpreismechanik als Debt oder „Sonstige Relevante Verbindlichkeit“ und damit als Abzugsposten behandelt. 1190 Wegen der Schwierigkeiten bei der Berechnung verzichten die Parteien allerdings manchmal auf eine aufwendige Neubewertung der nicht gedeckten Pensionsverbindlichkeiten zum Stichtag, die ein neues versicherungsmathematisches Gutachten erfordern würde, und damit auf eine Kaufpreisanpassung wegen Differenzen zwischen vorläufiger und endgültiger Bewertung der Pensionsverbindlichkeiten, sondern einigen sich vorab auf einen Pauschalabzug. cc) Steuerverbindlichkeiten und Steuerrückstellungen 1191 Im Falle der Nichtzahlung von Steuern durch das Zielunternehmen, die den Zeitraum vor dem wirtschaftlichen Stichtag betreffen, ist die Cash-Position um den Betrag der ausstehenden Steuern überhöht ist. Dem Verkäufer soll jedoch nur das Cash kaufpreiserhöhend vergütet werden, das nach Begleichung aller Steuern, die den Zeitraum vor dem wirtschaftlichen Stichtag betreffen, verblieben ist. Sofern und soweit Steuern zum Stichtag nicht beglichen sind, kann man diese entweder sogleich kaufpreisreduzierend als Debt-Position in der Kaufpreisklausel behandeln oder alternativ über eine Steuerfreistellung erfassen.1791) Gegen die Behandlung als Debt-Position spricht, dass die richtige Berechnung der Rückstellung für ausstehende Steuern von einer Vielzahl von Annahmen abhängig ist und daher bei der Aufstellung und Prüfung der Stichtagsbilanz und dem daran anknüpfenden Kaufpreisanpassungsverfahren besonders streitanfällig ist. dd) Leasingverbindlichkeiten 1192 Zukünftige Verpflichtungen des verkauften Unternehmens aus einem Mietoder Leasingverhältnis sind in der Bilanz als Verbindlichkeit zu bilanzieren, wenn das zugrunde liegende Rechtsverhältnis nach den anwendbaren Bilanzierungsregeln als Finanzierungsleasing zu qualifizieren ist.1792) Sofern die Voraussetzungen für eine Qualifikation als Finanzierungsleasing nicht erfüllt sind, dürfen die künftigen Verpflichtungen nicht als Verbindlichkeit bilanziert werden, tauchen aber in der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. in der künftigen Ergebnisplanung als Aufwand auf; dieser Aufwand reduziert damit künftige Ergebnisse bzw. Cash Flows und somit bei Berwertung nach der herrschenden Discounted Cash Flow Methode den Enterprise Value. Diese ___________ 1791) Vgl. Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 89; Moser, in: Berens/Brauner/Strauch/Knauer, S. 373. 1792) Dann wird das Leasing bilanziell so behandelt, als ob das Unternehmen ein Darlehen aufgenommen und den geleasten Gegenstand gekauft hätte, ausführlich Ziegenhain, in: Beck’sches Handbuch M&A, § 13 Rn. 36 f.; Schrader, in: Beck’sches Formularbuch M&A, Form. C.II.1 Anm. 36.
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C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen
sog. Operating Leases als Form einer Off-Balance-Sheet-Finanzierungen sind in einer Cash Free/Debt Free-Kaufpreisformel nicht nochmals als Abzugsposten zu berücksichtigen, da es andernfalls zu einem doppelten Abzug käme.1793) Maßgeblich für die Berücksichtigung von Leasingverhältnissen im Rahmen einer Kaufpreisanpassung ist daher die Qualifikation eines Leasingverhältnisses als Finanzierungsleasing,1794) was der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Erstellung der Stichtagsbilanz zu prüfen hat und ggf. im Rahmen einer Kaufpreisanpassung streitig wird. ee) Weitere Positionen Darüber werden je nach Umständen des Einzelfalls weitere „verschuldungs- 1193 ähnliche“ Positionen („Debt Like Items“) als Abzugsposten und damit als Kaufpreisanpassungsparameter definiert, weil sie entweder zu künftigen CashAbflüssen für historische Risiken außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs führen, wie z. B. Rückstellungen für Abfindungszahlungen, Rückstellungen für größere Rechtsstreitigkeiten und Altlasten oder weil sie zu einer künstlichen Erhöhung der Cash-Position zum Stichtag geführt haben (z. B. Factoring, unterlassene Investitionen) c) Working Capital Anpassung In den meisten Fällen erfolgt bei einer Cash Free/Debt Free-Kaufpreisformel 1194 neben der Anpassung des Enterprise Value um die soeben beschriebenen Cashund Debt-Positionen zum zukünftigen Stichtag auch eine Anpassung bezogen auf das sog. Working Capital (Nettoumlaufvermögen) des verkauften Unternehmens zum Stichtag. Diese dient in erster Linie dazu, eine Manipulation der Cash-Positionen durch den Verkäufer zu unterbinden, indem dieser beispielsweise Forderungen aus Lieferungen und Leistungen kurz vor dem wirtschaftlichen Stichtag durch Factoring oder Gewährung von außergewöhnlichen Skonti an Kunden in Cash umwandelt.1795) Dadurch wird die kaufpreisrelevante Cash Position „künstlich“ erhöht und der Käufer erhält weniger Forderungen, die zukünftigen Cash Flow generieren. Auch die umgekehrte Manipulation zugunsten des Käufers durch das Management der Zielgesellschaft, z. B. durch beschleunigte Zahlung von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen kurz vor dem Stichtag und entsprechende Reduktion ___________ 1793) Matzen, in: Knott/Mielke, Rn. 806. 1794) Das richtet sich im Wesentlichen nach folgenden Kriterien (nach HGB, US-GAAP und IFRS teils unterschiedlich): (1) Barwert der Leasingraten entspricht mindestens 90 % des Marktwertes des geleasten Vermögensgegenstandes, (2) Dauer des Leasingverhältnisses entspricht einem wesentlichen Teil der Nutzungsdauer des Vermögensgegenstandes und (3) Gegenstand des Leasingverhältnisses ist ein speziell auf die Bedürfnisse des Leasingnehmers zugeschnittener Gegenstand. Ausf. dazu etwa Claßen/ Schulz, IRZ 2009, 313, 314 f.; MünchKomm-BilR/Hennrichs, § 246 HGB Rn. 204 ff.; vgl. auch BFH DStRE 2000, 362, 364 f. 1795) Lappe/Schmitt, DB 2007, 153, 156; Schrader, in: Beck’sches Formularbuch M&A, Form. C.II.1 Anm. 26; weitere Beispiele finden sich etwa bei Hilgard, DB 2007, 559 ff.
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der Cash Position, ist denkbar und durch eine Working Capital Anpassung zu verhindern.1796) 1195 In der Kaufpreisformel wird daher der nach Cash/Debt-Anpassung ermittelte Kaufpreis um Veränderung des Working Capital gegenüber einer zwischen den Parteien vorab vereinbarten Zielgröße „nach oben“ oder „nach unten“ adjustiert: „Der vom Käufer für die verkauften Geschäftsanteile an der Gesellschaft zu zahlende Kaufpreis berechnet sich wie folgt: 1. EUR [·] („Grundkaufpreis“ oder „Enterprise Value“) plus 2. den Betrag der Liquiden Mittel der Gesellschaft zum Stichtag, die auf Basis der Stichtagsbilanz zu ermitteln sind minus 3. den Betrag der zum Stichtag bestehenden Finanzverbindlichkeiten und Sonstigen Relevanten Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die auf Basis der Stichtagsbilanz zu ermitteln sind plus 4. den Betrag, um den das Nettoumlaufvermögen der Gesellschaft am Stichtag, das auf Basis der Stichtagsbilanz zu ermitteln ist, den Betrag von EUR [·] überschreitet bzw. minus 5. den Betrag, um den das Nettoumlaufvermögen der Gesellschaft am Stichtag, das auf Basis der Stichtagsbilanz zu ermitteln ist, den Betrag von EUR [·] überschreitet“.
1196 Ebenso wie bei der Anpassung um Cash und Debt ist die entscheidende Frage, welche Bilanzpositionen als Bestandteil des Nettoumlaufvermögens definiert werden. Unstreitig gehören Vorräte, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen dazu (sog. Trade Working Capital): „‚Nettoumlaufvermögen‘ ist die Summe der Vorräte (§ 266 Abs. 2 B I HGB) der Gesellschaft zuzüglich der Forderungen der Gesellschaft aus Lieferungen und Leistungen (§ 266 Abs. 2 B II 1 HGB) abzüglich der Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus Lieferungen und Leistungen (§ 266 Abs. 3 C 4 HGB).“
1197 Je nach Zuschnitt des von der verkauften Geschäftsbetriebs des verkauften Unternehmens wird die Definition des Working Capital auf weitere Bilanzpositionen ausgedehnt, wie z. B. „sonstige Vermögensgegenstände“, „sonstige Rückstellungen“, „sonstige Verbindlichkeiten“.1797) Je umfangreicher die ___________ 1796) Beispielrechnungen bei Ziegenhain, in: Beck’sches Handbuch M&A, § 13 Rn. 39 ff. Vgl. auch Hörtnagl/Zwirner/Busch, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 5 Rn. 47; v. Braunschweig, DB 2002, 1815, 1817. 1797) Moser, in: Berens/Brauner/Strauch/Knauer, S. 363, 373 f.
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C. Kaufpreisanpassungsstreitigkeiten bei M&A-Transaktionen
in die Bestimmung des Working Capital einbezogenen Bilanzpositionen sind, desto stärker rückt die Working Capital Anpassung jedoch in die Nähe einer Kaufpreisanpassung auf Basis des Eigenkapitals. Während als Cash und Debt definierte Bilanzpositionen unmittelbar zu einer 1198 Kaufpreisanpassung führen, kommt es bei der Working Capital-Anpassung – wie aus dem Zweck der Anpassung und der o.g. Formulierung ersichtlich – auf die Abweichung von einer Zielgröße an. Die Festlegung dieser Zielgröße erfolgt zumeist auf der Basis des sog. normalisierten Working Capitals,1798) d. h. dem Jahresdurchschnitt des Nettoumlaufvermögens über einen bestimmten Betrachtungszeitraum, ggf. angepasst an zwischenzeitliches Umsatzwachstum.1799) Mit anderen Worten bleiben unterjährige Höhen und Tiefen des Working Capitals (z. B. wegen Vorratsaufbau vor dem Weihnachtsgeschäft) unberücksichtigt. Früher war es üblich, eine Bandbreite für das Working Capital vorzusehen, um unnötige Streitigkeiten über die Kaufpreisabrechnung wegen geringfügiger Abweichungen vom „normalen“ Nettoumlaufvermögen zu vermeiden. In der jüngsten M&A-Praxis hat sich jedoch ein fixer Euro-Betrag als Zielgröße etabliert, weil ansonsten eine der beiden Vertragsparteien einen Vorteil daraus ziehen kann, dass sich das Working Capital am unteren oder oberen Ende der Bandbreite bewegt, ohne dass hieraus eine Korrektur des Kaufpreises resultieren würde. Das erhöht natürlich wiederum die Zahl möglicher Streitigkeiten um eine Kaufpreisanpassung, weil jeder Euro Abweichung beim Working Capital Auswirkungen auf den Kaufpreis hat. 3. Earn-Out- und Mehrerlösmechanismen a) Anpassungsmodelle und Zweck Neben den Kaufpreisanpassungen auf Grundlage des genauen Wertes des 1199 Unternehmens zum Stichtag des Übergangs gibt es auch die von der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens abhängigen Kaufpreisanpassungen. Diese kommen zum Einsatz, wenn zwischen Verkäufer und Käufer unterschiedliche Auffassungen über die Unternehmensentwicklung und damit über den Wert des Unternehmens bestehen. Der Käufer wird in der Regel darauf setzen, diesen ergebnisabhängigen Teil des Kaufpreises nicht vorab finanzieren, sondern bestenfalls aus laufenden Cash Flows des Unternehmens begleichen zu können. Die Parteien verständigen sich darauf, dass neben der Hauptzahlung beim Vollzug der Transaktion weitere Kaufpreisanteile in Abhängigkeit von der Erreichung bestimmter Umsatz- oder Ergebnisziele zu bezahlen sind (sog. „Earn-Outs“).1800) Neben dieser herkömmlichen Form des ___________ 1798) Hörtnagl/Zwirner/Busch, in: Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, § 5 Rn. 48; Meyding/Adolphs, BB 2012, 2383, 2385. 1799) Koesling, in: Kiem, § 8 Rn. 31. 1800) Vertiefend etwa Hilgard, BB 2010, 2912 ff.; Ihlau/Gödecke, BB 2010, 687 ff.; Labbé, FB 2004, 117 ff.; Werner, DStR 2012, 1662 ff.
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Earn-Outs finden sich in der jüngeren Vergangenheit auch vermehrt auf die Weiterveräußerung des Unternehmens und den dabei erzielten Veräußerungsgewinn (im weiteren Sinne) abstellende Klauseln, die sog. Mehrerlösklauseln.1801) b) Herkömmlicher Earn-Out-Mechanismus 1200 Beim herkömmlichen Earn-Out erhält der Verkäufer eine Kaufpreisanpassung, wen das erworbene Unternehmen in den ersten 1 bis 3 Jahren nach der Übernahme bestimmte Finanzkennzahlen erreicht. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird auf das EBIT oder das EBITDA der Zielgesellschaft abgestellt, weil diese Kennzahlen bezogen auf die generierten Cash Flows der Zielgesellschaft aussagekräftiger sind als der Umsatz oder andere Kennzahlen1802): „Der Basiskaufpreis erhöht sich um 50 % des Betrages, um den das gemäß Anlage [·] zu bestimmende EBITDA für das am 31. Dezember 2016 ablaufende Geschäftsjahr der Gesellschaft einen Betrag von EUR [·] überschreitet, maximal jedoch um EUR [·]“.
1201 Andererseits sind diese Ergebniskennzahlen auch relativ manipulationsanfällig, weil sie relativ weit „unten“ in der Gewinn-und Verlustrechnung stehen und der Käufer daher an vielen Schrauben drehen kann, um die Zahlung des Earn-Out zu vermeiden. Daher wird oft auch der Umsatz als Anknüpfungspunkt genommen, weil er in der Gewinn- und Verlustrechnung ganz „oben“ steht und abgesehen von Periodenverschiebungen relativ wenig durch „bilanzpolitische Maßnahmen“ steuerbar ist.1803) Manchmal werden Earn-Outs auch an den Eintritt bestimmter Ereignisse wie z. B. die Zulassung eines Medikaments oder den erfolgreichen Abschluss eines Projekts geknüpft. EarnOut-Vereinbarungen sehen in der Regel vor, dass Geschäftsvorfälle, die ausschließlich der Beeinflussung der Finanzkennzahl dienen, „neutralisiert“ werden, d. h. sie werden „zurückgedreht“ indem man sie für Zwecke der Berechnung des Earn-Out außer Betracht lässt. c) Mehrerlösmechanismus 1202 Von einem sog. Mehrerlösmechanismus spricht man, wenn dem Verkäufer im Fall einer durch den Käufer innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfolgenden Weiterveräußerung des Unternehmens (oder Unternehmensteilen) ein Teil des hierbei erzielten Veräußerungserlöses zusteht.1804) Solche Mehrerlösklauseln werden in jüngerer Vergangenheit insbesondere von Private Equity In___________ 1801) Zu bilanziellen und steuerrechtlichen Aspekten ausf. Link, BB 2014, 554 ff. 1802) Hörtnagl/Marxer, in: Petersen/Zwirner/Brösel, E. 12. Rn. 43; v. Braunschweig, DB 2010, 713, 716; vgl. auch noch König, in: Kiem, § 14 Rn. 14. 1803) König, in: Kiem, § 14 Rn. 12. 1804) Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, S. 110 f.; Hofer, BB 2013, 972, 975; Schmidt-Hern/Behme, NZG 2012, 81, 81 ff.; Werner, DStR 2012, 1662, 1663.
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vestoren1805) genutzt. Neben dem bereits genannten Zweck, unterschiedliche Auffassungen des Verkäufers und des Käufers über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens und damit über den Gesamtwert des Unternehmens zu überbrücken, werden Mehrerlösmechanismen auch dafür eingesetzt, den Verkäufer bei schnellem Weiterverkauf an „Mitnahmegewinnen“ des Käufers zur Gesichtswahrung teilhaben zu lassen (daher auch „Anti-Embarassment“ genannt). Als Anknüpfungspunkt wird zumeist auf die Kapitalrendite des Käufers ab- 1203 gestellt, berechnet etwa auf Basis der Internal Rate of Return (IRR).1806) Dabei gilt als eingesetzes Kapital jede Form von im Zusammenhang mit der Transaktion durch den Käufer eingesetzten eigenen Mitteln. Umfasst sind also auch Gesellschafterdarlehen und andere mit Eigenkapital vergleichbare Instrumente. Der so ermittelte Betrag wird, üblicherweise nach Abzug von Transaktionskosten und Steuern, mit dem Betrag verglichen, den der Käufer im Zeitpunkt der Weiterveräußerung erlöst. Überschreitet der erlöste Betrag den eingesetzten Betrag um einen vorher vereinbarten Faktor, partizipiert der Verkäufer in vereinbarter Höhe am Verkaufserlös. Die Höhe des Faktors und der Beteiligung des Verkäufers am Verkaufserlös sind dabei Verhandlungssache, so dass unterschiedlichste Ausgestaltungen denkbar sind. III. Verfahren zur Ermittlung von Kaufpreisanpassungen 1. Erstellung von Stichtagsabschlüssen Die endgültige Ermittlung des Kaufpreises und damit der Kaufpreisanpas- 1204 sung erfolgt in der Regel auf Grundlage einer Abrechnungsbilanz, die in Fällen derKaufpreisanpassung zum wirtschaftlichen Stichtag der Transaktion (z. B. aufgrund einer Cash Free/Debt Free Kaufpreisformel) auf diesen wirtschaftlichen Stichtag aufgestellt wird (sog. Closing Accounts oder Effective Date Accounts). Bei Earn-Out-Mechanismen wird auf einen späteren Jahresabschluss für die Earn-Out-Periode abgestellt, bei Mehrerlösklauseln müssen dagegen „nur“ Kapitaleinsatz und Erlös des Käufers gegeneinander verglichen werden (was in der Regel einfacher und weniger streitanfällig ist). Im Unternehmenskaufvertrag wird geregelt, dass eine Partei die Aufstellung 1205 des Stichtagsabschlusses (oder der sonstigen Abrechnung) übernimmt und die andere Partei das Recht, diesen zu prüfen und Einwendungen dagegen zu erheben. Können sich die Parteien nicht über den richtigen Inhalt der Stichtagsbilanz (und damit die Grundlage der Kaufpreisanpassung) einigen, kann ein Schiedsgutachter oder ein Schiedsgericht zur Entscheidung angerufen werden.
___________ 1805) Siehe den Beitrag von Egbers (Rn. 1228 ff.) mit allgemeinen Erläuterungen zum Geschäftsmoedell der Private Equity Investoren, 1806) König, in: Kiem, § 14 Rn. 39.
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a) Aufstellung des Stichtagsabschlusses 1206 In den Verhandlungen über Kaufpreisanpassungen beanspruchen typischerweise beide Parteien das Recht der Aufstellung des maßgeblichen Stichtagsabschlusses für sich, weil sich beide einen Vorteil davon versprechen („Wer schreibt, der bleibt“). Ab Vollzug des Unternehmenskaufs hat der Käufer die Sachherrschaft über das Zielunternehmen und dessen Bücher, so dass es ihm leichter fällt, die erforderlichen Informationen und Daten zu sammeln.1807) Andererseits kennt er das Unternehmen und die Historie (auch bzgl. Bewertungs- und Bilanzierungswahlrechten) noch nicht. Es ist daher in der Praxis mindestens genauso häufig der Fall, dass der Verkäufer die Aufstellung übernimmt. Da dieser gerade keinen Zugriff mehr auf das Unternehmen haben wird, muss er im Vertrag mit hinreichend weitgehenden Einsichts- und Informationsrechten ausgestatten werden.1808) 1207 Die mit der Aufstellung betraute Partei darf Bewertungsspielräume nur in Konformität mit den anwendbaren Bewertungsgrundsätzen und im Einklang mit der bisherigen Praxis nutzen, um ein möglichst unangreifbares Ergebnis zu liefern. Der Versuchung, ein günstiges Ergebnis zu „errechnen“, steht stets die drohende Möglichkeit des Widerspruchs der anderen Seite gegenüber.1809) b) Anwendbare Bilanzierungsregeln 1208 Um die im ersten Teil (Rn. 1178 ff.) beschriebenen Parameter für eine Kaufpreisanpassung berechnen zu können, muss aus dem Kaufvertrag deutlich hervorgehen, welche Rechnungslegungsgrundsätze (z. B. HGB, IFRS, US GAAP) heranzuziehen sind, in aller Regel sind das diejenigen, die das Zielunternehmen in den letzten Jahren regelmäßig angewendet hat. Darüber hinaus ist die Bilanzierungs- und Bewertungsstetigkeit einzuhalten; bei Unternehmensverkäufen aus einem Konzern werden die im Konzern verwendeten Accounting Manuals oder Reporting Guidelines zur Konkretisierung der Vorgaben herangezogen. 1209 Um eine schnelle Konfliktbeilegung durch Einsetzung und Entscheidung eines Schiedsgutachters1810) zu erreichen, sollten die Parteien diesem möglichst noch genauere Vorgaben zu den anwendbaren Bilanzierungsregeln (sog. Specific ___________ 1807) Dazu Rn. 1210 ff. und Bruski, BB 2005 (BB-Spezial 7), 19, 29; Koesling, in: Kiem, § 12 Rn. 41; Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Teil VII Rn. 163. Beim Earn-out oder Mehrerlös kann nur der Käufer die Abrechnung aufstellen. 1808) Diese Informations- und Einsichtsrechte setzen sich logischerweise auch dann fort, wenn es um die Vorbereitung von Einigungsverhandlungen nach einer Notice of Objection bzw. die Stellungnahmen vor einem Schiedsgutachter oder –gericht geht. 1809) Insofern herrscht im Idealfall „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien. Welche Partei dagegen im Streitfall Klägerin, welche Partei Beklagte ist, was etwa unter Gesichtspunkten der Beweislastverteilung ankommen kann, kann zumeist dahinstehen, da derartige prozessrechtliche Aspekte im regelmäßig vereinbarten Schiedsgutachterverfahren nicht zum Tragen kommen; vgl. näher unten Rn. 1222 ff. 1810) Vgl. unten Rn. 1214 ff.
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Accounting Principles) machen. Das können Regelungen zur Ermittlung von Standardkosten oder speziellen Korrekturen bei der Vorratsbewertung, bei Abweichungen vom Vorsichtsprinzip, oder bei speziellen Vereinbarungen zur Bildung und Berechnung von Rückstellungen sein (z. B. die Nichtberücksichtigung von Ereignissen, die durch den Verkauf ausgelöst werden, wie Kündigungen von Kunden oder Handelsvertretern, die nicht mit dem neuen Eigentümer zusammenarbeiten wollen). Auch Sonderregelungen für den zu berücksichtigenden Zeitraum für werterhellender Tatsachen können Konfliktpotential vermeiden.1811) c) Überprüfung durch die andere Partei und Einwendungen Im nächsten Verfahrensschritt wird derjenigen Partei, die nicht das Privileg der 1210 Aufstellung des Abschlusses hatte, das Recht eingeräumt, ihre Einwendungen gegen den Stichtagsabschluss und die Berechnung der Kaufpreisanpassung innerhalb einer bestimmten Frist geltend zu machen (sog. Notice of Objection). Die M&A-Praxis stellt diesbezüglich hohe Substantiierungserfordernisse: „Ist der Käufer mit der Berechnung der Kaufpreisanpassung und/oder mit der zugrunde liegenden Stichtagsbilanz nicht einverstanden, so hat er dem Verkäufer innerhalb von 20 Werktagen nach Erhalt der Bilanz eine schriftliche Widerspruchsanzeige zu übersenden, in welcher er schriftlich und detailliert die Gründe für seinen Widerspruch darlegt. Diese Widerspruchsanzeige muss eine Auflistung der der Bilanzpositionen, gegen die Widerspruch eingelegt wird, sowie eine überarbeitete Version der Stichtagsbilanz enthalten, die die aus der Sicht des Käufers notwendigen Berichtigungen kenntlich macht“
Die Pflicht zur detaillierten Darlegung von Einwendungen in einer Notice of 1211 Objection soll vermeiden, dass allein wegen des Lästigkeitswerts einer Einwendung und eines möglichen anschließenden Verfahrens eine möglicherweise nicht berechtigte Kaufpreisanpassung erreicht wird. Außerdem werden die strittigen Berechnungsbestandteile frühzeitig festgelegt – das liegt im Parteiinteresse an einer schnellen Beilegung des Konflikts, da schon früh im Verfahren der Streitgegenstand definiert und begrenzt wird.1812) Die Notice of Objection ist der erste Schritt zur einer streitigen Kaufpreisan- 1212 passung. Aus Sicht der Litigation-Praxis sind dabei folgende praktische und rechtliche Gesichtspunkte zu beachten: Erscheint eine schnelle Einigung möglich (und liegen die Positionen der Parteien nicht weiter auseinander), spricht aus taktischer Sicht manches dafür, möglichst genau und mit umfang___________ 1811) Also abweichend von der Grundregel des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB; die Käuferpartei ist häufig daran interessiert, Tatsachen, von denen sie erst bei Überprüfung des Stichtagsabschlusses Kenntnis erlangt, noch wertaufhellend in der Stichtagsbilanz zu berücksichtigen, während insbesondere der Verkäufer die Beendigung des relevanten Zeitraumes spätestens zum Zeitpunkt der Übergabe der Stichtagsbilanz für angemessen halten wird; vgl. ausführlich Koesling, in: Kiem, § 12 Rn. 28 f., 42. 1812) Frey/Müller, in: Bilanzgarantien bei M&A-Transaktionen: Beiträge der 1. Leipziger Konferenz 'Mergers & Acquisitions' am 16. und 17.5.2014 in Leipzig, S. 201.
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reicher Dokumentation auf die Gründe für den Widerspruch einzugehen. Besteht dagegen zwischen den Parteien kaum mehr Verhandlungsbereitschaft (etwa dann, wenn Manipulationsvorwürfe hinsichtlich der Berechnung der Kaufpreisanpassungsparameter im Raum stehen) so kann es Sinn machen, den Kern der Informationen taktisch für das gutachterliche oder schiedsgerichtliche Verfahren zurückzuhalten. 1213 Wird die im Unternehmenskaufvertrag festgelegte Frist nicht eingehalten oder genügt die Notice of Objection nicht den inhaltlichen Substantiierungserfordernissen, so sieht der Unternehmenskaufvertrag vor, dass die nicht bzw. nicht frist- oder ordnungsgemäß gerügte Kaufpreisanpassungsberechnung zwischen den Parteien bindend wird.1813) Bei Eingang einer fristund formgerechten Notice of Objection finden in der Regel Verhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer statt bzw. sind im Unternehmenskaufvertrag vorgesehen. Ziel einer solchen Verhandlungsphase ist es, die Einleitung eines formellen schiedsgutachterlichen Verfahrens oder Schiedsverfahrens durch Erreichung einer einvernehmlichen Einigung zu verhindern. Auch hier können prozesstaktische Erwägungen den Ausschlag dahingehend geben, sich auf schriftliche, dokumentierte und nachvollziehbare Kommunikation zu beschränken. Dadurch kann eventuell eine bessere Ausgangslage für ein sich anschließendes Schiedsgutachterverfahren aufgebaut werden, insbesondere dann, wenn im Schiedsgutachterverfahren nur beschränkte Möglichkeiten gegeben sind, erneut Stellung zur eigenen Einschätzung der Berechnungsdetails zu beziehen. 2. Entscheidung durch Schiedsgutachter oder schiedsgerichtliches Verfahren 1214 Bis zu diesem Punkt spielt sich die Auseinandersetzung um die Kaufpreisanpassung ausschließlich zwischen den Parteien bzw. deren Parteivertretern ab. Der nächste Schritt, der in der M&A-Vertragspraxis für den Fall der Nichteinigung vorgesehen wird, ist die Entscheidung durch einen Schiedsgutachter nach § 317 BGB oder – deutlich seltener – durch ein schiedsgerichtliches Verfahren.1814) 1215 Bei unklar formulierten M&A-Verträgen kann bisweilen zweifelhaft sein, ob eine Schiedsgutachterabrede (dazu sogleich) oder eine echte Schiedsklausel gewollt ist, welche die Entscheidung über die Kaufpreisanpassung einem Schiedsgericht zuweist. Unklarheiten entstehen dann, wenn der zur Entscheidung Befugte nicht nur mit der Bestimmung einzelner Bilanzpositio___________ 1813) Ob und in einem welchem Umfang eine solche Bindungswirkung eingetreten ist, kann seinerseits Gegenstand einer Auseinandersetzung vor dem Schiedsgericht oder Schiedsgutachter werden. 1814) Bei unklar formulierten Verträgen kann zweifelhaft sein, welches Verfahren genau gewollt ist, zur richtigen Formulierung von Schiedsgutachtervereinbarungen vgl. ausführlich Frey/Müller, in: Bilanzgarantien bei M&A-Transaktionen: Beiträge der 1. Leipziger Konferenz 'Mergers & Acquisitions' am 16. und 17.5.2014 in Leipzig, S. 206 ff.
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nen betraut werden soll, sondern insgesamt über streitige Fragen bei der vorzunehmenden Kaufpreisanpassung entscheiden soll.1815) Für die Auslegung ist i. S. d. §§ 133, 157 BGB maßgeblich, ob die Parteien 1216 eine gerichtliche Überprüfung der Bestimmung der Kaufpreisanpassung durch den Dritten noch zulassen wollen. Ist dies der Fall, so liegt eine Schiedsgutachtervereinbarung zur Bestimmung der Kaufpreisanpassung nach § 317 BGB vor1816)Im Zweifel kann aber aufgrund der geringeren Beschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten von einer einfachen Schiedsgutachterabrede ausgegangen werden.1817) a) Auswahl und Beauftragung des Schiedsgutachters Das Schiedsgutachterverfahren unterliegt keiner unbedingten gesetzlich vor- 1217 gesehenen Form. Die meisten Gesichtspunkte, die für die beteiligten Parteien wesentlich sind, werden Gegenstand entsprechender Regelungen im Kaufvertrag und/oder der Beauftragungsvereinbarung mit dem Gutachter (Terms of Engagement) sein. Als Schiedsgutachter i. S. v. § 317 BGB werden regelmäßig neutrale Wirt- 1218 schaftsprüfer berufen. Werden sich die Parteien schon bei Aushandlung der Vertragsinhalte nicht über einen Schiedsgutachter einig, oder fällt der bestimmungsgemäße Schiedsgutachter nachträglich in seiner Funktion aus (etwa wegen eines Interessenkonflikts), so wird in aller Regel einer weiteren neutralen Instanz (Appointing Authority), etwa der Industrie- und Handelskammer oder dem Institut der Wirtschaftsprüfer e. V. die Benennung des Schiedsgutachters überlassen.1818) Die Beauftragung des Schiedsgutachters sollte durch eine einvernehmliche 1219 Mandatierung der beteiligten Transaktionsparteien. Hierzu wird ein gesondertes, wenn auch knappes Vertragswerk zur Beauftragung erstellt (Terms of Engagement). Die Ausgestaltung des schiedsgutachtlichen Verfahrens liegt grundsätzlich im Ermessen des von den Parteien beauftragten Schiedsgutachters,1819) allerdings werden häufig schon im Unternehmenskaufvertrag Regelungen zu maximaler Verfahrensdauer, Informationsrechten der Parteien und des Schiedsgutachters aufgenommen. Insbesondere muss geregelt werden, dass der Schiedsgutachter die vertraglich vereinbarten Bilanzierungsgrundsätze (dazu oben Rn. 1208) anzuwenden hat,1820) und nicht etwa nach seiner eige___________ 1815) Witte/Mehrbrey, NZG 2006, 241 (241). 1816) Palandt/Grüneberg, BGB, § 317 Rn. 8; Werner, DStR 2012, 1662, 1666. 1817) Dazu etwa BGH BB 1982, 1077, 1078 Rn. 22; OLG München SchiedsVZ 2006, 286, 288; Witte/Mehrbrey, NZG 2006, 241, 242. 1818) Semler, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Rn. 7.167 sowie König, in: Kiem, § 13 Rn. 54. 1819) Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 88; MünchKomm-BGB/Würdinger, § 317 Rn. 52; Palandt/Grüneberg, BGB, § 317 Rn. 7. 1820) König, in: Kiem, § 13 Rn. 42; Werner, DStR 2012, 1662, 1666.
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nen Interpretation bestimmter IFRS- oder HGB-Regeln entscheiden kann. Eine typische Klausel lautet etwa wie folgt: „Wenn und soweit sich die Parteien nicht gemäß Ziffer[…] über den Widerspruch des Käufers gegen den Stichtagsabschluss einigen, sind sowohl der Verkäufer als auch der Käufer berechtigt, den Widerspruch und alle streitigen Gegenstände bezüglich der Positionen [Cash], [Debt] und [Working Capital] an [KPMG, München] („Sachverständiger“) zu verweisen. Verkäufer und Käufer sind verpflichtet, den Sachverständigen gemeinsam zu beauftragen, als Schiedsgutachter die richtigen Werte für [Cash], [Debt] und [Working Capital]zu ermitteln, soweit diese Positionen zwischen den Parteien streitig sind. Falls (i) der Sachverständige den Auftrag nicht annimmt und (ii) Verkäufer und Käufer sich nicht innerhalb von (fünf) 5 Bankarbeitstagen auf einen Ersatz einigen können, wird der Deutsche Sachverständige vom Vorstand des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. mit für die Parteien bindender Wirkung benannt. Der Sachverständige soll angewiesen werden, das Verfahren auf faire und unparteiische Art und Weise durchzuführen und dem Verkäufer und dem Käufer die Möglichkeit zu geben, ihre Argumente schriftlich und in mindestens einer Anhörung vorzutragen und seine Entscheidung in einem schriftlichen Sachverständigengutachten innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens von längstens zwei (2) Monaten zu treffen. Der Verkäufer und der Käufer haben dafür Sorge zu tragen, dass dem Sachverständigen im Rahmen des gesetzlich Zulässigen jegliche Unterstützung sowie Zugang zu allen Informationen, die der Sachverständige zur Bestimmung der Werte für [Cash], [Debt] und [Working Capital] benötigt, gewährt wird. Insbesondere sind dem Sachverständigen auf Verlangen alle relevanten Bücher und Geschäftsunterlagen der Zielgesellschaften, unterstützende Unterlagen zum Stichtagsabschluss und die Arbeitspapiere der Wirtschaftsprüfer zugänglich zum machen“.
1220 Haftungsregelungen, Honorar und Kostenverteilung für das Schiedsgutachterverfahren (in der Regel entsprechend § 91 ZPO im Verhältnis des Obsiegens/Unterliegens oder 50/50) werden ebenfalls in die Terms of Engagement aufgenommen oder gleich im Unternehmenslaufvertrag geregelt. b) Gegenstand des Schiedsgutachtens 1221 Der Schiedsgutachter soll möglichst eine abschließende Streitbeilegung hinsichtlich streitiger Positionen des Stichtagsabschlusses (bzw. der sonstigen Grundlage der streitigen Kaufpreisanpassung) herbeiführen, so dass der endgültige Kaufpreis zwischen den Parteien verbindlich festgelegt wird. Dementsprechend soll der Schiedsgutachter zwischen den beiden Positionen der Parteien, die im Entwurf des Stichtagsabschlusses und in der Notice of Objection zum Ausdruck gekommen sind, eine Entscheidung treffen und keine völlige Neubewertung des Sachverhalts vornehmen: Wenn beispielsweise die Höhe einer im Rahmen der Cash Free/Debt Free-Kaufpreisklausel relevanten Unfunded Pension Liability (dazu oben Rn. 1189 f.) im Streit ist und der Verkäufer diese im Stichtagsabschluss mit 5 Mio. EUR bewertet hat, der Käufer aber in der Notice of Objection eine Bewertung in Höhe von 6 Mio. EUR geltend gemacht hat (und damit einen um 1 Mio. niedrigeren Kaufpreis), weil Renten- und Gehaltsanpassungen bei der Berechnung nicht richtig berück398
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sichtigt wurden, kann nicht der Schiedsgutachter plötzlich einen Wert von 7 Mio. EUR annehmen, weil der Abzinsungsfaktor seiner Meinung nach anders sein sollte. Das entspricht dem Dispositionsgrundsatz im Zivilprozess, ist aber im Schiedsgutachterverfahren nicht selbstverständlich und daher vertraglich ausdrücklich zu regeln (vgl. vorstehendes Klauselbeispiel). c) Entscheidung des Schiedsgutachters und weiterer Rechtsschutz Die „Entscheidung“ des Schiedsgutachters erfolgt in Form einer schriftlichen 1222 Stellungnahme, die alle zwischen den Parteien strittigen Bilanzpositionen abhandelt und die aus Sicht des Gutachters richtigen Werte für die Positionen darlegt. Am Ende sollte neben der Darlegung und Begründung der einzelnen Bilanzpositionen auch eine endgültige Berechnung der Kaufpreisanpassung erfolgen. Die Entscheidung des Schiedsgutachters ist – darin liegt der Hauptunter- 1223 schied zum Schiedsspruch – nicht auf die verbindliche Entscheidung einer Rechtsfrage gerichtet,1821) so dass das Schiedsgutachten des Wirtschaftsprüfers nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB der (beschränkten) inhaltlichen Kontrolle durch ordentliche Gerichte unterliegt.1822) Bei „offenbarer Unbilligkeit“ kann die Bestimmung des Schiedsgutachters durch ein Gericht aufgehoben und durch Urteil ersetzt werden. Im Rahmen des schiedsgutachterlichen Verfahrens stellen sich oft auch Ver- 1224 tragsauslegungsfragen, die der Schiedsgutachter in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsprüfer zu entscheiden hat. Fehlt es ihm an der rechtlichen Expertise hierfür kann die Auslegung des Vertragswerks zu rechtlich nicht naheliegenden Ergebnissen kommen. Die darauf basierende Entscheidung des Schiedsgutachters kann durch ein Gericht nach § 319 Abs. 1 BGB nur ersetzt werden, wenn sie „offenbar unbillig“ ist. d) Schiedsverfahren statt Schiedsgutachten? Für ein schiedsgerichtliches Verfahren spricht einerseits vor allem, dass sich 1225 dort in den Personen der Schiedsrichter nötiges Expertenwissen in Bilanzierungsfragen als auch Kompetenz in Auslegungs- und Rechtsanwendungsfragen kombinieren lassen, bei der typischen Besetzung eines Schiedsgerichts mit drei Schiedsrichtern z. B durch zwei Wirtschaftsprüfer und einen Wirtschaftsanwalt. Zudem stellt das Schiedsgutachten keinen vollstreckungsfähigen Titel dar, da es die Parteien lediglich schuldrechtlich bindet.1823) ___________ 1821) Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, Kap. 18 Rn. 1 f. 1822) BGH NZG 2004, 518; Palandt/Grüneberg, BGB, § 317 Rn. 8; die Entscheidung nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB kann durch Vereinbarung auch einem Schiedsgericht übertragen werden: BGHZ 6, 335 = NJW 1952, 1296, 1297; MünchKomm-BGB/Würdinger, § 319 Rn. 26. 1823) Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, Kap. 18 Rn. 1 f.; ausf. zu den Vor- und Nachteilen: Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 86 f.; König, in: Kiem, § 13 Rn. 16 ff.
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1226 Andererseits können die Parteien auch mit der Einsetzung eines bestimmten Schiedsgutachters1824) sicherstellen, dass dieser nicht nur über Fachwissen und Erfahrung in Bewertungsfragen verfügt, sondern auch ausreichend M&AErfahrung und Know-how mitbringt, um nicht nur die verschiedenen Auffassungen zu den in den Streit stehenden Positionen der Stichtagsbilanz beurteilen, sondern auch den größeren Kontext der Kaufpreisanpassung einordnen kann. Das gewährleistet eine praxisbezogene Entscheidung über die relevanten Fragen der Kaufpreisanpassung und vor allem auch ein einfacheres und unkomplizierteres Verfahren als bei Einsetzung eines Schiedsgerichts. Obwohl das Gutachterverfahren selbst im Ermessen des beauftragten Schiedsgutachters liegt, können die Parteien durch vertragliche Regelung im Unternehmensvertrag oder die Terms of Engagement wesentlichen Einfluss auf Gang und Aufwand des Verfahrens nehmen, was Zeit und Streitschlichtungskosten sparen kann.1825) 1227 Wenn – was bei fehlgeschlagenen oder überteuerten M&A-Transaktionen nicht selten ist – allerdings neben Auseinandersetzungen über die Kaufpreisanpassungen auch noch Streitigkeiten aus Gewährleistungen oder sonstige Post Merger Litigation dazu kommt, müssen ggf. mehrere Verfahren (Schiedsgutachter für die Kaufpreisanpassung und Schiedsgericht für die Gewährleistungsansprüche) parallel geführt werden. D. Private Equity I. Einleitung Bernd Egbers
1228 Private Equity fungiert als Oberbegriff für alle Formen des Beteiligungskapitals, das zur Unterstützung des Wachstums in Unternehmen investiert wird. Darunter fallen vor allem Leveraged Buy-Outs („LBOs“), Management BuyOuts („MBOs“), Management Buy-Ins („MBIs“) sowie Mezzanine-Kapital. Private Equity Fonds investieren mittel- bis langfristig in Unternehmensbeteiligungen, den Wiederverkauf seiner Beteiligung strebt ein Private Equity Fonds regelmäßig innerhalb einer üblichen Halteperiode von 5 bis 7 Jahren an. 1229 Im Gegensatz zu Corporate M&A-Transaktionen zeichnen sich Private EquityTransaktionen im Wesentlichen durch den (hohen) Einsatz von Fremdkapital aus. 1230 Der Private Equity Fonds (auch „Sponsor“ genannt) nutzt dabei die Hebelwirkung des Fremdkapitals (den sog. „Leverage-Effekt“), um die Rendite seines eingesetzten Kapitals zu steigern; die Rendite des eingesetzten Eigenkapitals nimmt mit steigender Verschuldung zu, solange die Gesamtkapital___________ 1824) Bei größeren Transaktionien in der Regel einer der „Big4“ der globalen Wirtschaftsprüfergesellschaften (Deloitte, Ernst&Young, KPMG, PwC). 1825) Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 88; MünchKommBGB/Würdinger, § 317 Rn. 52; Palandt/Grüneberg, BGB, § 317 Rn. 7; König, in: Kiem, § 13 Rn. 42; Werner, DStR 2012, 1662, 1666.
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1226 Andererseits können die Parteien auch mit der Einsetzung eines bestimmten Schiedsgutachters1824) sicherstellen, dass dieser nicht nur über Fachwissen und Erfahrung in Bewertungsfragen verfügt, sondern auch ausreichend M&AErfahrung und Know-how mitbringt, um nicht nur die verschiedenen Auffassungen zu den in den Streit stehenden Positionen der Stichtagsbilanz beurteilen, sondern auch den größeren Kontext der Kaufpreisanpassung einordnen kann. Das gewährleistet eine praxisbezogene Entscheidung über die relevanten Fragen der Kaufpreisanpassung und vor allem auch ein einfacheres und unkomplizierteres Verfahren als bei Einsetzung eines Schiedsgerichts. Obwohl das Gutachterverfahren selbst im Ermessen des beauftragten Schiedsgutachters liegt, können die Parteien durch vertragliche Regelung im Unternehmensvertrag oder die Terms of Engagement wesentlichen Einfluss auf Gang und Aufwand des Verfahrens nehmen, was Zeit und Streitschlichtungskosten sparen kann.1825) 1227 Wenn – was bei fehlgeschlagenen oder überteuerten M&A-Transaktionen nicht selten ist – allerdings neben Auseinandersetzungen über die Kaufpreisanpassungen auch noch Streitigkeiten aus Gewährleistungen oder sonstige Post Merger Litigation dazu kommt, müssen ggf. mehrere Verfahren (Schiedsgutachter für die Kaufpreisanpassung und Schiedsgericht für die Gewährleistungsansprüche) parallel geführt werden. D. Private Equity I. Einleitung Bernd Egbers
1228 Private Equity fungiert als Oberbegriff für alle Formen des Beteiligungskapitals, das zur Unterstützung des Wachstums in Unternehmen investiert wird. Darunter fallen vor allem Leveraged Buy-Outs („LBOs“), Management BuyOuts („MBOs“), Management Buy-Ins („MBIs“) sowie Mezzanine-Kapital. Private Equity Fonds investieren mittel- bis langfristig in Unternehmensbeteiligungen, den Wiederverkauf seiner Beteiligung strebt ein Private Equity Fonds regelmäßig innerhalb einer üblichen Halteperiode von 5 bis 7 Jahren an. 1229 Im Gegensatz zu Corporate M&A-Transaktionen zeichnen sich Private EquityTransaktionen im Wesentlichen durch den (hohen) Einsatz von Fremdkapital aus. 1230 Der Private Equity Fonds (auch „Sponsor“ genannt) nutzt dabei die Hebelwirkung des Fremdkapitals (den sog. „Leverage-Effekt“), um die Rendite seines eingesetzten Kapitals zu steigern; die Rendite des eingesetzten Eigenkapitals nimmt mit steigender Verschuldung zu, solange die Gesamtkapital___________ 1824) Bei größeren Transaktionien in der Regel einer der „Big4“ der globalen Wirtschaftsprüfergesellschaften (Deloitte, Ernst&Young, KPMG, PwC). 1825) Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 88; MünchKommBGB/Würdinger, § 317 Rn. 52; Palandt/Grüneberg, BGB, § 317 Rn. 7; König, in: Kiem, § 13 Rn. 42; Werner, DStR 2012, 1662, 1666.
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rendite (d. h. die Rendite des insgesamt eingesetzten Eigen- und Fremdkapitals) größer ist als der Fremdkapitalzins.1826) Im Folgenden finden Sie eine sehr vereinfachte Darstellung einer üblichen 1231 Akquisitionsstruktur wie sie regelmäßig in Private Equity getriebenen Unternehmensübernahmen zu finden ist. Dabei nutzt der Private Equity Fonds bzw. die den Fonds verwaltende Gesellschaft regelmäßig mindestens zwei neu gegründete oder erworbene Zweckgesellschaften, um die Transaktion durchzuführen. So wird auch gewährleistet, dass es keinen Rückgriff aus der Unternehmensgruppe auf den Private Equity Fonds gibt. Die NewCo/Käufergesellschaft schließt mit dem Verkäufer den Kaufvertrag („Sale and Purchase Agreement“ oder „SPA“) über den Erwerb der entsprechenden Geschäftsanteile an der Zielgesellschaft. Die zur Kaufpreiszahlung benötigten finanziellen Mittel stellt zu einem geringeren Teil (siehe oben „LeveragedEffekt“) der Private Equity Fonds in Form von Eigenmitteln oder Gesellschafterdarlehen zur Verfügung. Der größere Teil der Finanzierung wird entweder durch eine Konsortialfinanzierung oder eine Unitranche oder sonstige Finanzierungsmittel bei Fremdkapitalgebern in Anspruch genommen. Zu Streitfällen kann es im Rahmen von Private Equity-Transaktionen grund- 1232 sätzlich in jedem bestehenden Rechtsverhältnis kommen: bei den Investoren (meistens als LPs organisiert) und der den Fonds verwaltenden Gesellschaft (meist eine GmbH), zwischen dem Fonds bzw. der neu aufgesetzten Käufergesellschaft/NewCo und dem Verkäufer der Unternehmensbeteiligung sowie zwischen dem Fonds/NewCo und den Fremdkapitalgebern. Management der Zielgesellschaft
Gesellschafterdarlehen
Private Equity Fund
HoldCo
BankenKonsortium
Darlehensvertrag §§ 488 ff. BGB
NewCo Käufer
Kaufvertrag
Verkäufer
§§ 433 ff. BGB
Target Zielgesellschaft
OpCo 1
OpCo 2
OpCo 3
___________ 1826) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 1 Rn. 13.
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1233 Aufgrund des Einsatzes von Fremdkapital ergeben sich, zusätzlich zu den an anderer Stelle dieses Buches bereits dargestellten Spannungen im Verhältnis des Käufers zum Verkäufer einer Unternehmensbeteiligung (z. B. aufgrund von Garantieverletzungen unter dem Kaufvertrag), noch etwaige Risikoallokationen zwischen den Fremdkapitalgebern und dem Käufer sowie zu bzw. aus dem operativen Geschäft der zu erwerbenden Zielgesellschaft/Gruppe. Diese sollen im Folgenden näher erläutert werden. Bezüglich der auch in sonstigen M&A-Transaktionen auftretenden Spannungen zwischen Käufer und Verkäufer wird auf Teil 3 (M&A) des Buches verwiesen. 1234 Das Rechtsverhältnis zwischen Fremdkapitalgebern und der NewCo als Darlehensnehmer wird in der Regel durch Abschluss eines Darlehensvertrags gem. § 488 BGB begründet. Dies ist jedoch nicht zwingend. So gibt es mittlerweile viele verschiedene „Typen“ von Fremdkapitalgebern, wie z. B. sog. DebtFonds, die in der Regel nicht über eine Banklizenz verfügen und somit auch kein typisches Bankgeschäft betreiben dürfen. Diese Investoren-/Kapitalgebergruppen sind auf Investitionen in solcher Art von Finanzprodukten ausgelegt. Rechtlich gibt es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, einem solchen Fremdkapitalgeber die Investition in diese Finanzprodukte zu ermöglichen. So kann die NewCo z. B. Inhaberschuldverschreibungen ausgeben, die dann von dem Debt-Fonds vollständig übernommen werden. Auf diese Art stellt der Debt-Fonds der NewCo das für die bevorstehende Akquisition notwendige Fremdkapital zur Verfügung. 1235 Typische Bankfinanzierungen bei grenzüberschreitenden LBO-Transaktionen basieren jedoch in der Regel auf Darlehensverträgen, die einem von der Loan Market Association1827) entwickelten und ihren Mitgliedern zur Verfügung gestellten Muster folgen (sog. SFA, „Senior Facilities Agreement“ bzw. FA, „Facilities Agreement“.1828) Dabei dient das Muster des sog. „LMA Standard“-Vertrages als Grundlage, die auf die jeweilige Transaktion und ihre Bedürfnisse angepasst und modifiziert wird und meist vollständig Gegenstand von Verhandlungen ist. Vorteil dieser Art der Dokumentation ist es, dass dieser Standard der überwiegenden Anzahl der Marktteilnehmer bekannt ist und regelmäßig den Anforderungen der Beteiligten Rechnung trägt. Zudem gewährleistet die Dokumentation, basierend auf einem englischsprachigen ___________ 1827) Die LMA ist ein im Jahr 1996 gegründeter Interessenverband mit Sitz in London aus derzeit über 600 institutionellen Mitgliedern aus 55 verschiedenen Ländern wie beispielsweise Banken, Finanzinvestoren und internationale Rechtsanwaltskanzleien mit dem Ziel, den europäischen Markt für syndizierte Kredite durch eine allgemein anerkannte Muster-Vertragsdokumentation zu fördern und damit eine gängige Marktpraxis im Primär- und Sekundärmarkt für syndizierte Kredite zu etablieren (http://www.lma.eu.com). 1828) Vollständig: „Senior Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement for Leveraged Acquisition Finance Transactions (SFA)“, welches speziell für LBO-Transaktionen entwickelt wurde, basierend auf englischem Recht. Speziell für den deutschen Markt entwickelte die LMA das „Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement (FA)“, welches auf die Erfordernisse deutschen Rechts angepasst wurde; letzteres unterliegt deutschem Recht.
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Standard, dass die überwiegend grenzüberschreitenden Transaktionen sowohl sprachlich als auch inhaltlich effektiver bearbeitet werden können. Inhaltlich spielt es hingegen eine untergeordnete Rolle, ob das Rechtsver- 1236 hältnis zwischen dem Akquisitionsvehikel und dem Fremdkapitalgeber durch einen auf dem LMA Standard basierten Darlehensvertrag beruht oder durch Inhaberschuldverschreibungen begründet ist. Die Regelungen sind weitgehend vergleichbar, sodass für die Zwecke der folgenden Erörterungen exemplarisch auf die Regelungen des LMA-Musters1829) verwiesen wird. Der Darlehensvertrag reflektiert grundsätzlich das Spannungsfeld der Inte- 1237 ressen von Darlehensgeber und Darlehensnehmer. Allein aus diesem Spannungsfeld können sich, ebenso wie zwischen Darlehensnehmer (= Käufer) und dem Verkäufer im Rahmen des Kaufvertrages, zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer Differenzen im Rahmen der Finanzierungsdokumentation sowie deren Auslegung ergeben. Hinzu kommt, dass für die finanzierenden Fremdkapitalgeber auch die Pro- 1238 zessrisiken der zu erwerbenden Zielgruppe eine Rolle spielen. Ausgangspunkt dieser Risikobetrachtung ist der Ansatz der Fremdfinanzierer, dass diese einen Großteil des Kaufpreises der Akquisition finanzieren und damit faktisch auch die Zielgruppe als solche. Deutlich wird dies spätestens dadurch, dass die Fremdkapitalgeber zusätzlich zu dem Akquisitionskredit üblicherweise auch den Betriebsmittelkredit zur Verfügung stellen, der insbesondere den Betriebsmittelbedarf eben dieser Zielgruppe decken soll. Demnach besteht ein großes Interesse der Fremdfinanzierer darin, (i) wesentlicher alleiniger Gläubiger der Zielgruppe zu sein und (ii) dass keine wesentlichen Vermögenswerte diese finanzierte Gruppe verlassen. Hinzu kommt, dass, anders als bei dem einmaligen Aufeinandertreffen von Käufer und Verkäufer, ein Finanzierungsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, welches üblicherweise über eine Laufzeit von ca. 5 bis 7 Jahren besteht. Nicht selten sind während der Laufzeit Anpassungen der Finanzierungsdo- 1239 kumentation notwendig, wenn z. B. Add-On Akquisitionen geplant sind und weiteres Fremdkapital erforderlich wird, oder bereits vor Ende der Laufzeit eine Refinanzierung oder Rekapitalisierung gewünscht bzw. sinnvoll ist. Ausgehend von dieser Risikobetrachtung spielt somit für die Fremdfinanzie- 1240 rer nicht nur das direkte Vertragsverhältnis mit dem Darlehensnehmer (= Akquisitionsvehikel) eine Rolle, sondern auch das Risikoprofil der zu erwerbenden Zielgruppe. Diese stellt über die Laufzeit des Rechtsverhältnisses die Basis für die Cashflows dar, die zur Rückführung der Finanzierung benötigt werden. Sollte die akquirierte Unternehmensgruppe einmal in Zahlungs___________ 1829) Soweit nicht anders gekennzeichnet, wird auf die Regelungen des „Senior Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement for Leveraged Acquisition Finance Transactions (SFA)“, welches speziell für LBO-Transaktionen entwickelt wurde, verwiesen.
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schwierigkeiten geraten, so sind die Fremdfinanzierer regelmäßig auch mit allen wesentlichen Vermögenswerten der Gruppe besichert. 1241 Der LMA-Vertrag beinhaltet ein sog. Garantenkonzept, wonach alle wesentlichen Gesellschaften (in der Regel alle Gesellschaften der Gruppe, die 5 % oder mehr des EBITDA oder der Vermögenswerte der Gruppe ausmachen) der erworbenen Zielgruppe nach Erwerb innerhalb eines gewissen Zeitraumes der Vertragsdokumentation als „Garant“ beitreten müssen. Dies bedeutet, dass diese Gesellschaften nicht nur im Rahmen des Darlehensvertrages eine Garantie für die ausstehenden Forderungen der Finanzierungsparteien unter den Finanzierungsdokumenten abgeben, sondern vielmehr auch Sicherheiten über all ihre Vermögenswerte zur Besicherung dieser Forderungen bestellen. 1242 Dies kann jedoch gerade bei den Gesellschaften der Zielgruppe mit den Grundsätzen der Kapitalerhaltung kollidieren.1830) Gem. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Auszahlungen umfassen Leistungen jeder Art, denen keine vollwertige Gegenleistung gegenübersteht und die wirtschaftlich das zur Erhaltung des Stammkapitals notwendige Gesellschaftsvermögen schmälern. Der Begriff wird weit ausgelegt: Er umfasst offene und verdeckte, unmittelbare und mittelbare Zuwendungen an Gesellschafter sowie Umgehungsgeschäfte, auch die Bestellung von Sicherheiten aus dem Gesellschaftsvermögen für Forderungen Dritter gegen die Gesellschafter kann eine Zuwendung darstellen. 1243 Ausnahmen bestehen nur bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags erfolgen (gem. § 291 AktG) oder bei solchen Leistungen, die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind (gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Als Rechtsfolgen von Verstößen gegen den Grundsatz der Kapitalerhaltung müssen zum einen Zahlungen, welche den Vorschriften zur Kapitalerhaltung zuwider geleistet worden sind, der Gesellschaft rückerstattet werden. Zum anderen haftet der Geschäftsführer bei Zahlungen unter Verstoß gegen die Grundsätze der Kapitalerhaltung bzw. bei Verstößen gegen seine Überwachungspflicht, welche einen Verstoß gegen § 30 GmbHG zur Folge hat, gem. § 43 Abs. 2, 3 GmbHG persönlich. 1244 Um eine Haftung des Geschäftsführers des Zielunternehmens bzw. der Geschäftsführer der wesentlichen Gruppenunternehmen aufgrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Kapitalerhaltung zu verhindern, wird üblicherweise eine Regelung in den Kreditvertrag aufgenommen, welche das Recht des Sicherungsnehmers, die Sicherheiten für Gesellschafterverbindlichkeiten in Anspruch zu nehmen, einschränkt (sog. „Limitation Language“). In der Regel wird in der Limitation Language vereinbart, dass die Sicherheiten nur in___________ 1830) Die Schilderung der Regelungen zur Kapitalerhaltung erfolgt anhand einer GmbH, da Unternehmen, die unter der Rechtsform einer GmbH firmieren, in der Praxis am häufigsten Ziel von Private Equity-Transaktionen sind.
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soweit in Anspruch genommen bzw. verwertet werden können, als dadurch beim Sicherungsgeber keine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird. Folge des Garantenkonzepts ist, dass es für die Kreditgeberseite unerheblich 1245 ist, bei welcher der Gesellschaften der NewCo bzw. der wesentlichen Gesellschaften der Zielgruppe sich Vermögenswerte befinden. Solange sie sich innerhalb der Garantengruppe befinden, stehen sie als Sicherungsgut zur Verfügung. Um dennoch sicherzustellen, dass aus der Garantengruppe keine Vermögens- 1246 werte über die Laufzeit des Vertrages abfließen, die nicht anderweitig ersetzt werden oder parallel eine Anpassung des Kreditrisikos durch z. B. entsprechende Rückführung der Darlehensvaluta erfolgt, werden diese Konzepte mit weiteren Regelungen wie Zusicherungen, Auflagen und erweiterten Kündigungsgründen flankiert. Somit bedarf es für die Beurteilung des Kreditrisikos seitens der Fremdfi- 1247 nanzierer neben den Regelungen, die sicherstellen sollen, dass keine Vermögenswerte aus der Gruppe abfließen, auch der Betrachtung von Prozessrisiken der zu erwerbenden oder erworbenen Unternehmensgruppe, die möglicherweise einen Einfluss auf die Vermögenswerte der Gruppe bzw. die Gruppe als solche haben. Dies hat die LMA in ihrem Vertragsmuster an verschiedenen Stellen reflek- 1248 tiert. So (i) gibt der Kreditgeber eine Zusicherung ab, dass keine wesentlichen Prozesse bestehen, (ii) verpflichtet er sich, die Kreditgeber zu informieren sobald ein wesentliches Prozessrisiko auftritt und (iii) stellt ein wesentliches Prozessrisiko einen Kündigungsgrund unter dem Kreditvertrag dar. II. Zusammenfassung Charakteristisch für Private Equity-Transaktionen ist der hohe Einsatz von 1249 Fremdkapital zum Erwerb der Zielgesellschaft/-gruppe. Durch den hohen Einsatz von Fremdkapital soll eine hohe Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals erreicht werden (sog. „Leverage-Effekt“). Das Fremdkapital wird in aller Regel in Form eines Darlehensvertrags von einem Konsortium von Banken dem Akquisitionsvehikel/NewCo zur Verfügung gestellt. Letztere erwirbt die Geschäftsanteile des Zielunternehmens vom Verkäufer. Dieser Darlehensvertrag (der sog. Senior-Kreditvertrag, „Senior Facilities Agreement“) basiert regelmäßig auf einem Muster der LMA. Im Rahmen einer solchen Unternehmensübernahme und deren fortlaufender 1250 Finanzierung dürfen Rechtsstreitigkeiten gerade auch bei Private Equity gesteuerten Transaktionen nicht außer Betracht bleiben, jedenfalls nicht, sofern sie einen wesentlichen Einfluss auf die Zielgruppe bzw. deren Vermögenswerte haben. Daher geben NewCo sowie sonstige wesentliche Gesellschaften der Zielgruppe Zusicherungen (sog. „Representations“) über die finanzielle Lage des Unternehmens sowie sonstige kreditentscheidende Umstände ab und unterwerfen sich gewissen Handlungs- bzw. Unterlassungspflichten (sog. „Undertakings“ oder „Covenants“). Diese umfassen auch Zusicherungen über
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das Nichtbestehen von erheblichen Prozessrisiken, sowie die Pflicht, Rechtsstreitigkeiten, welche wesentlich nachteilig für die Vermögenslage der Zielgruppe sein können, den Banken unverzüglich mitzuteilen. Im Falle eines Verstoßes hat das Bankenkonsortium unmittelbar das Recht, den Kredit zu kündigen und fällig zu stellen. Des Weiteren kann alleine die Anhängigkeit eines Prozesses, dessen negativer Ausgang wesentliche Nachteile für die Vermögenslage der finanzierten Gruppe haben kann, einen Kündigungsgrund darstellen.1831) 1251 Gemein ist jeglichen Verstößen gegen Zusicherungen bzw. Auflagen zu Prozessrisiken sowie dem Bestehen von Prozessrisiken an sich, dass sie dann einen Kündigungsgrund (sog. „Event of Default“) darstellen, wenn die potentiell nachteiligen Änderungen für die Zielgruppe bzw. deren Vermögenswerte wesentlich sind bzw. sein können (sog. „Material Adverse Effect“). Durch die jeweilige Verweisung auf den sog. Material Adverse Effect spielt dessen Definition eine zentrale Rolle bei der Beurteilung, ob Kündigungsgründe vorliegen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Kündigungsgründe nach dem LMA-Muster mit dem Leitbild des § 490 BGB im Einklang stehen. Danach kann ein Darlehensvertrag ebenfalls außerordentlich gekündigt werden, wenn eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder einzutreten droht, durch die die Rückzahlung des Darlehens, auch unter Verwertung der Sicherheit, gefährdet wird. 1252 Primär streben die Banken jedoch nicht eine Kündigung der Kredite an, sondern eine Erfüllung der Darlehensverträge. In der Praxis treten deshalb im Falle von anhängigen Gerichtsverfahren beide Seiten frühzeitig in Verhandlungen ein, um die genaueren Umstände und die Auswirkungen zu eruieren. Stellt sich dabei heraus, dass die Rückzahlung des Darlehens durch Einleitung und Umsetzung operativer und vertraglicher Maßnahmen nicht gefährdet ist, verzichten die Kreditgeber in aller Regel auf das Kündigungsrecht (sog. „Waiver“1832)). 1253 Während der Aufarbeitungs- und Informationsphase vereinbaren die Parteien üblicherweise zunächst ein sog. „Stillhalten“ („Standstill Agreement“), sodass zunächst Kündigungsrechte bis zur umfassenden Aufklärung der Situation nicht ausgeübt werden. Dieses mündet dann später häufig in der Anpassung der Vertragsdokumentation unter Aufnahme bestimmter Maßnahmen, zu deren Umsetzung sich die Parteien verpflichten. III. Spannungsverhältnis Darlehensgeber – Darlehensnehmer 1254 Das Rechtsverhältnis zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer ist wie bereits dargelegt im Wesentlichen durch einen Darlehensvertrag gem. § 488 BGB dokumentiert, der dem LMA-Muster folgt. Dieser sieht eine Vielzahl ___________ 1831) Vgl. Clause 28.17 des Senior Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement for Leveraged Acquisition Finance Transactions. 1832) Gemeint ist ein Waiver im untechnischen Sinne, nicht ein Waiver i. S. d. Clause 40 SFA.
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von Regelungen vor, die ausgehend von der Risikoposition der Finanzierungsparteien das Gleichgewicht zwischen Darlehensvaluta, und damit des Kreditrisikos auf der einen Seite, und der finanzierten Gruppe, und somit der haftenden Vermögensmasse auf der anderen Seite, erhalten soll. Rechtsstreitigkeiten vor einem ordentlichen Gericht zwischen Darlehens- 1255 geber und Darlehensnehmer spielen – wie bereits eingangs erwähnt – im Rahmen der Akquisitionsfinanzierung eine eher untergeordnete Rolle. Allerdings sind von dem Kreditnehmer Zusicherungen zu bestimmten Sach- 1256 verhalten abzugeben, die den Zeitraum bis zum Vertragsschluss erfassen sollen. Für den Zeitraum ab Vertragsschluss sieht der Vertrag dann entsprechende Verhaltenspflichten vor. Hinzu kommen vereinbarte Finanzkennzahlen, die die Banken als eine Art Frühwarnsystem bei einer negativen Geschäftsentwicklung der finanzierten Gruppe frühzeitig in eine entsprechende Verhandlungsposition mit dem Darlehensnehmer bringen. Flankiert werden diese Pflichten von entsprechenden Informationspflichten. Somit sind die Finanzierungsparteien fortlaufend und regelmäßig über die Unternehmens- und Geschäftsentwicklung der einzelnen Gruppengesellschaften sowie der finanzierten Gruppe als Ganzes informiert und jederzeit in der Lage, bei negativer Geschäftsentwicklung oder eines solchen wesentlichen Geschäftsvorfalles zeitnah zu reagieren und das Gespräch mit den Beteiligten zu suchen. Die finanzierenden Banken können nur auf Basis von konkret vorhandenen 1257 Informationen zur wirtschaftlichen Lage des Kreditnehmers bzw. durch die rechtliche Absicherung dahingehend, dass der Kreditnehmer bestimmte Handlungen während der Kreditlaufzeit vornimmt bzw. unterlässt, einerseits eine Kreditvergabe rechtfertigen und andererseits davon ausgehen, dass die Bedienung und Rückführung des Kredits gewährleistet ist. Prozessrisiken auf Seiten des Darlehensnehmers können auf dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durchschlagen. Die Kreditgeber haben deshalb ein essentielles Interesse daran, sowohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als auch während der Laufzeit des Kreditvertrags jederzeit über bestehende Prozessrisiken informiert zu sein. Im Einzelnen beinhaltet das LMA-Muster folgende Regelungen: 1. Zusicherungen – Representations Representations, also Zusicherungen, werden regelmäßig von allen Kredit- 1258 nehmern und Garanten gegenüber jedem Kreditgeber abgegeben.1833) Neben allgemeinen Zusicherungen1834) sichern die Kreditnehmer und Garanten die Richtigkeit und Vollständigkeit der Grundlagen der Kreditvergabe, u. a. des ___________ 1833) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 22 Rn. 1. 1834) U. a. hinsichtlich des wirksamen Bestehens der entsprechenden Parteien, der Steuerpflicht sowie sonstigen Grundlagen der Geschäftstätigkeit.
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„Information Memorandum“1835) sowie der veröffentlichten Bilanzen1836) zu. Ebenso wird zugesichert, dass alle Finanzplanungen und -projektionen im Rahmen der Transaktion auf aktuellen Daten und vernünftigen Erwägungen beruhen.1837) Zudem enthält der LMA Standard-Vertrag auch eine Zusicherung hinsichtlich bestehender Gerichtsverfahren, die wie folgt lautet: 24.1 General (a) Each Obligor makes the representations and warranties set out in this Clause 24 to each Finance Party. 24.14 No proceedings pending or threatened1838) No litigation, arbitration or administrative proceedings or investigations of, or before, any court, arbitral body or agency which, if adversely determined, are reasonably likely to have a Material Adverse Effect have (to the best of its knowledge and belief (having made due and careful enquiry)) been started or threatened against it or any of its Subsidiaries.
1259 Zu beachten ist dabei, dass es bei den Zusicherungen nicht darum geht, ob der Geschäftsführer des jeweiligen Unternehmens diese Zusicherung in der Form wirklich abgeben kann; hier wird oft argumentiert, dass dieses nur „nach bestem Wissen“ zugesichert werden kann, was in der Regel auch nachvollziehbar und ggf. auch den Umständen entspricht. Allerdings geht es bei den Zusicherungen nicht darum, ob diese wirklich am Ende in der jeweiligen Form abgegeben werden können. Vielmehr beziehen sich die Zusicherungen auf die Umstände, die Grundlage der Kreditentscheidung der Fremdkapitalgeber sind. Trifft eine dieser Grundlagen nicht zu, ist also eine Zusicherung falsch, so haben die Fremdkapitalgeber somit die Möglichkeit, sich von dem Kreditengagement zu trennen. 1260 Im Hinblick auf Litigation besteht die wesentliche Zusicherung darin, dass keine Rechtsstreitigkeiten, Verwaltungs- oder sonstige Ermittlungsverfahren gegen den Kreditnehmer bzw. seine Tochterunternehmen angedroht, anhängig oder eingeleitet sind, die eine „wesentliche nachteilige Änderung“ der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers herbeiführen könnten (sog. „Material Adverse Effect“).1839) 1261 Eine Qualifizierung von Zusicherungen, Verhaltenspflichten und Kündigungsgründen mit dem Verweis auf den Material Adverse Effect ist ein übliches ___________ 1835) Clause 24.12 SFA. 1836) Clause 24.13 SFA. 1837) Clause 24.12(c) SFA. 1838) Clause 24.14 SFA; ähnlich der Wortlaut in dem Muster, welcher deutschem Recht unterliegt. Dort heißt es in Clause 19.13 FA unter gleichlautender Überschrift: No litigation, arbitration or administrative proceedings of or before any court, arbitral body or agency which, if adversely determined, might reasonably be expected to have a Material Adverse Effect has or have (to the best of its knowledge and belief) been started or threatened against it or any of its Subsidiaries. 1839) Vgl. die entsprechenden Verweise in Clause 24.14 SFA bzw. Clause 19.13 FA.
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Vorgehen, um (i) den Geschäftsbetrieb nicht zu sehr zu beeinträchtigen und (ii) im Hinblick auf § 490 BGB nur solche Tatbestände zu erfassen, die die Qualität einer Kreditrisikoerhöhung beinhalten. Darüber hinaus sichern lt. LMA-Vertrag alle Garanten im Hinblick auf In- 1262 solvenzverfahren folgendes zu: 24.8 Insolvency No: (a) corporate action, legal proceeding or other procedure or step described in paragraph (a) of Clause 28.7 (Insolvency proceedings); or (b) creditors' process described in Clause 28.8 (Creditors' process), has been taken or, to the knowledge of the Parent, threatened in relation to a member of the Group; and none of the circumstances described in Clause 28.6 (Insolvency) applies to a member of the Group.
Diese Zusicherung soll im Wesentlichen vermeiden, dass Darlehen an insol- 1263 vente Gruppengesellschaften bzw. eine insolvente Gruppe vergeben werden. 2. Auflagen – Undertakings bzw. Covenants Neben den Zusicherungen unterliegen die Kreditnehmer nach dem LMA- 1264 Muster auch umfangreichen Auflagen (sog. „Undertakings“ oder „Covenants“). Auflagen sind im Gegensatz zu den Zusicherungen in die Zukunft gerichtet und bestehen aus Verpflichtungen der Kreditnehmer und Garanten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen.1840) In Bezug auf Prozessführungen und entstehende Prozessrisiken bestehen entsprechende Informationspflichten (sog. „Information Undertakings“).1841) 25.8 Information: miscellaneous1842) The Parent shall supply to the Agent (in sufficient copies for all the Lenders, if the Agent so requests): (…) (b) promptly upon becoming aware of them, the details of any litigation, arbitration or administrative proceedings which are current, threatened or pending against any member of the Group, and which, if adversely determined, are reasonably likely to have a Material Adverse Effect [or which would involve a liability, or a potential or alleged liability, exceeding £[ ] (or its equivalent in other currencies)]; (c) promptly upon becoming aware of the relevant claim, the details of any claim which is current, threatened or pending against the Vendor or any other person in respect of the Acquisition Documents and details of any disposal or insurance claim which will require a prepayment under Clause 12.2 (Disposal, Insurance and Acquisition Proceeds and Excess Cashflow).
Zunächst werden Kreditnehmer und Garanten u. a. verpflichtet, die Darle- 1265 hensgeberseite über Tatsachen zu informieren, die finanzielle Schwierigkeiten eines Kreditnehmers oder Garanten – oder eine Gefährdung von Sicherheiten ___________ 1840) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 22 Rn. 1. 1841) Clause 25.8(b) SFA bzw. Clause 20.4 FA. 1842) Clause 25.8 SFA.
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– indizieren. Dies umfasst u. a. die Verletzung einer Gewährleistung aus dem Unternehmenskaufvertrag.1843) 1266 Auf Seiten des Darlehensnehmers können natürlich auch Prozessrisiken zu finanziellen Schwierigkeiten führen. Es besteht deshalb die Pflicht, die Gegenseite unverzüglich von jeglichen angedrohten bzw. anhängigen Gerichtsverfahren, Schiedsverfahren oder administrativen Verfahren in Kenntnis zu setzen, wenn diese im Falle eines negativen Ausgangs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine wesentliche nachteilige Änderung der Vermögensverhältnisse der Unternehmensgruppe („Material Adverse Effect“) nach sich ziehen. Diese Beurteilung ist gerade bei anhängigen Verfahren, dessen Ausgang schwer zu prognostizieren ist, in der Praxis schwer praktikabel, sodass im Hinblick auf diese Informationspflicht alternativ ein Schwellenwert aufgenommen wird, der die entsprechende Informationspflicht auslöst.1844) Dieses vereinfacht die operative Umsetzung dieser Pflicht für die Geschäftsführung des betroffenen Unternehmens. 3. Verweisungen bei Zusicherungen und Auflagen auf den sog. „Material Adverse Effect“ 1267 Gemein ist den Zusicherungen und Auflagen betreffend die Prozessrisiken, dass sie im Hinblick auf ihre Erheblichkeit, d. h. ab wann ein Verstoß vorliegt bzw. eine Informationspflicht ausgelöst wird, auf den sog. „Material Adverse Effect“ abstellen. 1268 Wann ein Material Adverse Effect vorliegt, wird in jedem Kreditvertrag speziell definiert. Die Definition aus dem LMA Standard-Vertrag lautet wie folgt: „Material Adverse Effect“1845) means a material adverse effect on: (a) [the business, operations, property, condition (financial or otherwise) or prospects of the Group taken as a whole; or (b) [the ability of an Obligor to perform [its obligations under the Finance Documents]/[its payment obligations under the Finance Documents and/or its obligations under Clause 22.2 (Financial condition)]]/[the ability of the Obligors (taken as a whole) to perform [their obligations under the Finance Documents]/[their payment obligations under the Finance Documents and/or their obligations under Clause 26.2 (Financial condition)]]; or (c) the validity or enforceability of, or the effectiveness or ranking of any Security granted or purporting to be granted pursuant to any of, the Finance Documents or the rights or remedies of any Finance Party under any of the Finance Documents.]
___________ 1843) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 22 Rn. 7. 1844) Vgl. Clause 25.8(b) letzter Halbsatz SFA bzw. Clause 20.4 FA; letztere sieht für das deutsche Recht keinen Platzhalter für die Definition eines Schwellenwerts vor, ab welchem von einem Material Adverse Effect ausgegangen werden kann. 1845) Definitions, SFA, p. 27.
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Ein „Material Adverse Effect“ liegt demnach nicht nur vor, wenn der vorlie- 1269 gende Umstand eine wesentliche Auswirkung auf die Fähigkeit der Darlehensnehmer zur Rückzahlung der Darlehensverbindlichkeiten hat, sondern auch dann, wenn eine wesentliche nachteilige Änderung, u. a. auf den Geschäftsbetrieb, die Substanz des Geschäfts oder die Geschäftsaussichten der Gruppe als Ganzes vorliegt. Auch wesentliche nachteilige Änderungen auf die Wirksamkeit bestellter Sicherheiten (bzw. Hindernisse bei der Vollstreckung von Sicherheiten) können einen Material Adverse Effect darstellen. Diese Regelung ist eine konsequente Fortsetzung des oben bereits beschrie- 1270 benen Finanzierungskonzeptes, nach dem zu jeder Zeit sichergestellt sein muss, dass die unter den Finanzierungsverträgen gewährten Fremdmittel im Verhältnis zu der finanzierten Unternehmensgruppe und deren Vermögenswerten stehen. 4. Folgen falscher Zusicherungen und Auflagen Gemäß der Systematik des LMA-Musters (vgl. Clause 28) liegt sowohl im 1271 Falle falscher Zusicherungen als auch beim Verstoß gegen Auflagen ein Kündigungsgrund (sog. „Event of Default“) vor. Der entsprechende Kündigungsgrund bei Vorliegen einer falschen Zusicherung 1272 ist im LMA-Muster wie folgt formuliert: 28. EVENTS OF DEFAULT Each of the events or circumstances set out in this Clause 28 is an Event of Default (save for Clause 28.20 (Acceleration) [and Clause 28.21 (Clean-Up Period)]). 28.4 Misrepresentation Any representation or statement made or deemed to be made by an Obligor in the Finance Documents or any other document delivered by or on behalf of any Obligor under or in connection with any Finance Document is or proves to have been incorrect or misleading when made or deemed to be made.
Erweist sich also eine Zusicherung, z. B. dass keine wesentlichen Prozessrisiken 1273 anhängig sind,1846) als unrichtig, liegt nach dem LMA-Muster ein Kündigungsgrund vor.1847) Folglich sind die Finanzierungsparteien dann berechtigt, u. a. den Darlehensvertrag zu kündigen und alle geschuldeten Beträge fällig zu stellen (sog. „Acceleration“1848)).
___________ 1846) Clause 24.14 SFA. 1847) Clause 28.4 SFA; hat ein Prozessrisiko einen „Material Adverse Effect“ i. S. d. Clause 24.14 SFA, so liegt zwangsläufig auch ein eigenständiger Event of Default im Sinne einer „Material Adverse Change“ gem. Clause 28.19 SFA (bzw. Clause 23.4 FA) vor. 1848) Vgl. Clause 28.20(a) und (b) SFA bzw. Clause 23.13 FA.
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1274 Auch die Verletzung der entsprechenden Informationspflicht führt nach dem LMA-Muster zu einem Kündigungsgrund, der dort wie folgt lautet: 28. EVENTS OF DEFAULT Each of the events or circumstances set out in this Clause 28 is an Event of Default (save for Clause 28.20 (Acceleration) [and Clause 28.21 (Clean-Up Period)]). 28.2 Financial covenants and other obligations (a) Any requirement of Clause 26 (Financial covenants) is not satisfied [or an Obligor does not comply with the provisions of Clause 25 (Information Undertakings)] [and/or Clause 27 (General Undertakings)].
1275 Unterlässt es der Kreditnehmer demnach, die Kreditgeber über ein wesentliches Prozessrisiko zu informieren, könnten die Kreditgeber – ebenso wie bei falschen Zusicherungen – den Kredit fällig stellen und sofortige Rückzahlung verlangen.1849) 1276 Allerdings besteht der Rechtsprechung in Deutschland zufolge bereits ohne diese konkreten vertraglichen Regelungen eine entsprechende Verpflichtung der Vertragspartner, den anderen Teil von sich aus über die Umstände aufzuklären, die zur Vereitelung des Vertragszwecks geeignet und daher für die Entschließung des anderen Teils von wesentlicher Bedeutung sind; diese Informations- und Aufklärungspflicht setzt voraus, dass der Vertragspartner die Mitteilung der betreffenden Tatsache nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung erwarten durfte.1850) 1277 Das Verschweigen von Rechtsstreitigkeiten kann somit auch eine arglistige Täuschung darstellen, welche zu einer Anfechtung des Rechtsgeschäftes und damit der Finanzierungsverträge berechtigt.1851) Eine solche arglistige Täuschung liegt z. B. dann vor, wenn ein Verhandlungspartner einen offenbarungspflichtigen Umstand kennt und weiß oder damit rechnet, dass der andere Teil bei dessen Offenlegung den Vertrag nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätte. 1278 Werden also Prozessrisiken erheblichen finanziellen Umfangs verschwiegen, besteht neben der vertraglichen Beendigungsmöglichkeit ggf. auch die Möglichkeit einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. 5. Kündigungsgründe 1279 Zusätzlich zu den vorgenannten Regelungen betreffend das Bestehen von Rechtstreitigkeiten bei Vertragsschluss und die fortlaufende Informationspflicht über etwaige (gerichtliche) Verfahren mit der bei negativen Abweichungen festgelegten Rechtsfolge des Vorliegens eines Kündigungsgrundes ___________ 1849) Zu den kompletten Rechtsfolgen: vgl. die sog. Acceleration-Clause (Clause 28.20). 1850) BGH NJW-RR 1991, 439, 440. 1851) BGH NJW 1980, 2460, 2461.
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sieht das Kreditvertragsmuster der LMA weitere Kündigungsgründe vor, welche zu einer Kündigung der Kredite berechtigen.1852) a) Wesentliche Prozessrisiken im Zusammenhang mit der Transaktion als isolierter Kündigungsgrund Neben Verstößen gegen die Zusicherungen bzw. Mitteilungspflichten bei 1280 Prozessrisiken (vgl. oben) kann das Vorliegen eines Prozessrisikos auch einen isolierten Kündigungsgrund darstellen. Diesen sieht das LMA-Muster wie folgt vor: 28. EVENTS OF DEFAULT Each of the events or circumstances set out in this Clause 28 is an Event of Default (save for Clause 28.20 (Acceleration) [and Clause 28.21 (Clean-Up Period)]). 28.17 Litigation Any litigation, arbitration, administrative, governmental, regulatory or other investigations, proceedings or disputes are commenced or threatened in relation to the Transaction Documents or the transactions contemplated in the Transaction Documents or against any member of the Group or its assets which have or are reasonably likely to have a Material Adverse Effect.
Gerichtsverfahren, Schiedsgerichtsverfahren oder sonstige hoheitliche Ermitt- 1281 lungen oder Verfahren bzw. Streitigkeiten gegen jegliche der Gesellschaften des Darlehensnehmers – inklusive dessen Tochtergesellschaften – die im Zusammenhang mit den Transaktionsdokumenten stehen (oder auch mit der geplanten Transaktion), stellen gemäß Clause 28.17 des LMA-Musters einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet sind, eine wesentliche nachteilige Änderung herbeizuführen.1853) Demnach sind alle aus etwaig bestehenden oder entstehenden Prozessen bzw. 1282 Prozessrisiken resultierenden Kündigungsgründe, sei es über eine falsche Zusicherung, die fehlende Information oder das einfache Vorliegen oder Entstehen mit einem Verweis auf den „Material Adverse Effect“ insoweit „qualifiziert“, dass jeder dieser Umstände nur dann zu einer Kündigung berechtigt, wenn der jeweilige Verstoß geeignet ist, eine „wesentliche nachteilige Veränderung“ zur Folge zu haben. b) „Material Adverse Effect“ als Auffangtatbestand Gemäß Clause 28.19 des LMA-Muster-Kreditvertrags ist das Vorliegen eines 1283 Umstandes (unabhängig davon, ob dieser Prozessrisiken betrifft oder anderes), welcher geeignet ist, eine „wesentliche nachteilige Veränderung“ zur Folge zu haben, bereits ein „eigenständiger“ Kündigungsgrund. ___________ 1852) Clause 28 SFA bzw. Clause 23 FA. 1853) Vgl. Clause 28.17 SFA.
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1284 Dieser „Auffangtatbestand“, der im Wesentlichen wieder ein Ausfluss des § 490 BGB ist, lautet im LMA-Muster wie folgt: 28.19 Material adverse change Any event or circumstance occurs which the Majority Lenders reasonably believe has or is reasonably likely to have a Material Adverse Effect.
1285 Demnach könnte man die Frage stellen, ob die konkreteren auf Prozessrisiken bezogenen Kündigungsgründe überhaupt erforderlich sind, da sie gleichzeitig auch unter dem allgemeinen Kündigungsgrund gemäß Clause 28.19 des LMA-Musters zu subsumieren sind. Allerdings haben die spezifischen Vorschriften zu den Prozessrisiken nicht nur den Hintergrund, bei entsprechenden Verstößen einen Kündigungsgrund zu schaffen, sondern sollen vielmehr auch den Vertragsparteien die wesentlichen Grundlagen des Darlehensverhältnisses bewusst machen. Zudem enthalten sie konkrete Verpflichtungen, die nicht ohne Weiteres allein aus dem allgemeinen Kündigungsgrund nach Clause 28.19 des LMA-Musters abzuleiten sind. c) Zwischenergebnis 1286 Eine falsche Zusicherung über das Nichtbestehen wesentlicher Prozessrisiken stellt ebenso einen Kündigungsgrund dar wie ein Verstoß gegen die Auflage, über das Entstehen von jeglichen wesentlichen Prozessrisiken informieren zu müssen. Selbst wenn letzteres ordnungsgemäß erfolgt, liegt dennoch allein im Bestehen von wesentlichen Prozessrisiken ein Kündigungsgrund (vgl. Clause 28.17 SFA) vor; zudem erfasst auch die weite Formulierung von Clause 28.19 SFA zusätzlich Prozessrisiken, die eine wesentlich nachteilige Auswirkung auf die finanzierte Gruppe bzw. ihre Vermögensgegenstände haben. IV. Rechtsfolge: Kündigung gemäß Clause 28.20 SFA 1287 Folge des Vorliegens eines – oder mehrerer – Kündigungsgründe ist, dass gem. Clause 28.20 des Mustervertrages der LMA die Kreditgeber die Kredite kündigen und sofortige Rückzahlung verlangen können. Die Regelung ist wie folgt formuliert: 28.20 Acceleration On and at any time after the occurrence of an Event of Default [which is continuing] the Agent may, and shall if so directed by the Majority Lenders, by notice to the Parent: (a) cancel the Total Commitments and/or Ancillary Commitments at which time they shall immediately be cancelled; (…) (d) declare that cash cover in respect of each Letter of Credit is immediately due and payable at which time it shall become immediately due and payable; (…) (h) exercise or direct the Security Agent to exercise any or all of its rights, remedies, powers or discretions under the Finance Documents.
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D. Private Equity
Das Recht zur sofortigen Rückzahlung muss vom Agenten der Banken aus- 1288 geübt werden, wenn die Mehrheit der finanzierenden Banken sich zur Ausübung entschließt. Vorgenannte Regelung zur Kündigung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. 1289 Das Recht zur sofortigen Kündigung kann im Einzelfall eingeschränkt sein, wenn der individuell vorliegende Kündigungsrund auf einer sog. „Clean-Up Representation“, auf einem „Clean-Up Undertaking“ bzw. einem sog. „CleanUp Default“ beruht und innerhalb einer festgelegten Zeit (sog. „Clean-Up Period“) beseitigt werden kann. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Geschäftsführer des Akquisitionsvehikels und der Sponsor zum Zeitpunkt der Übernahme der Unternehmensgruppe trotz umfassender Prüfung („Due Diligence“) der Unternehmensgruppe, einige Umstände erst nach der Übernahme des Unternehmens feststellt. Je größer und internationaler die übernommene Unternehmensgruppe ist, desto größer auch das Risiko solcher nicht bekannten Umstände. Um in einem solchen Fall zu vermeiden, dass der Kredit unmittelbar fällig gestellt werden kann, wird regelmäßig eine Übergangsfrist eingeräumt (sog. „Clean-Up Period“), in der der neue Eigentümer die Möglichkeit hat, solche Umstände zu beseitigen und einen Zustand herzustellen, der mit den Finanzierungsdokumenten übereinstimmt. Dieses gilt auch für etwaig bestehende vorher nicht erkannte Prozessrisiken. 1290 Ob allerdings ein Prozessrisiko während einer Clean-Up Period geheilt werden kann, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Möglicherweise lässt sich während der Clean-Up Period eine gütliche Einigung erzielen oder das Prozessrisiko genauer spezifizieren. Ist dieses nicht möglich, so sind die Fremdkapitalgeber nach fruchtlosem Ablauf der Frist berechtigt, von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen und die Kredite fällig zu stellen. V. Umgang mit Prozessrisiken und Verfahren im Rahmen von Akquisitionsfinanzierungen in der Praxis Prozessrisiken auf Seiten des Darlehensnehmers, die eine wesentliche nachtei- 1291 lige Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der akquirierten Unternehmensgruppe mit sich bringen oder bringen können, ermöglichen den Darlehensgebern wie oben dargestellt gemäß den LMA-Mustern regelmäßig ein Recht auf eine Kündigung der Kredite. Darin manifestiert sich – vertraglich verankert – nichts anderes als der Rechts- 1292 gedanke des § 490 BGB: § 490 BGB sieht ein außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensgebers bei Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs vor. Ein außerordentliches Kündigungsrecht besteht, wenn ein drohender Vermögensverfall vorliegt, also wenn sich die aus dem Vermögensverfall folgende Gefährdung der Rückzahlung sichtbar abzeichnet,1854) wozu objektive Kriterien vorliegen müssen. Ebenso berechtigt bereits die drohende wesentliche ___________ 1854) Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 254; 14. Wahlperiode, 14.5.2001.
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Verschlechterung der Werthaltigkeit einer gestellten Sicherheit zur Kündigung des Kredits.1855) Unschwer ist zu erkennen, dass ein anhängiger Prozess, der zu einer wesentlichen nachteiligen Änderung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers führen kann, regelmäßig auch einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 490 BGB darstellt. 1293 Insofern besteht im Falle des Bestehens eines Beendigungsgrundes keine erheblich abweichende Rechtslage zum gesetzlichen Kündigungsrecht. Die LMAMuster erreichen jedoch eine Konkretisierung der Pflichten und eine laufende Information über Prozessrisiken. 1. Vorgehen bei Gerichtsprozessen im Rahmen von Akquisitionsfinanzierungen 1294 In der Praxis streben im Rahmen einer Akquisitionsfinanzierung die Banken jedoch primär nicht eine Kündigung der Kredite, sondern eine Erfüllung der Darlehensverträge an. 1295 Um eine unkoordinierte Kündigung durch einzelne Konsortialmitglieder zu verhindern, verpflichten sich die Kreditgeber regelmäßig untereinander, die Kredite nur dann zu kündigen bzw. Sicherheiten nur dann zu verwerten, wenn sie dies mit einer Mehrheit (meist Zweidrittelmehrheit, bezogen auf die Konsortialkredite) beschlossen haben.1856) 1296 Treten Umstände ein, die einen Kündigungsgrund darstellen, so kommt es selten sofort zu einer Kündigung der Kredite. Vielmehr stellt das Vorliegen eines Kündigungsgrundes einen Anlass dar, um sich unter den Vertragsparteien über die zugrunde liegenden Umstände auszutauschen und gemeinsame Lösungen und weiteres Vorgehen zu besprechen. 1297 Um in dieser Situation keine Rechte zu verwirken, wird häufig ein sog. „Standstill Agreement“, eine Stillhaltevereinbarung zwischen den Parteien geschlossen, in der auf die Ausübung der Kündigungsrechte für eine gewisse Zeit (häufig ca. 3 Monate, abhängig von den Umständen) verzichtet wird, ohne auf dieses Recht vollständig zu verzichten. Vielmehr lebt dieses nach fruchtlosem Ablauf der sog. „Standstill Period“/Stillhalteperiode wieder auf, und die Kreditgeber sind berechtigt, die Kredite fällig zu stellen. Diese Stillhalteperiode wird dazu genutzt, ggf. Sanierungsgutachten zu erstellen oder sonstige Restrukturierungsmaßnahmen zu vereinbaren. 1298 Bei eher kleineren Verstößen wie z. B. die minimale Überschreitung des Schwellenwertes für Prozessrisiken, kann der Kreditnehmer auch von den Kreditgebern einen Verzicht auf das Kündigungsrecht erfragen (sog. „Waiver“). Wird dieser erteilt, so stellt dieser Verstoß gegen die Vorschriften des Kre___________ 1855) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 23 Rn. 10 f. 1856) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 6 Rn. 18.
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D. Private Equity
ditvertrages keinen Kündigungsgrund mehr dar, und eine Fälligstellung der Kredite seitens der Banken auf dieser Grundlage ist nicht mehr möglich. 2. Weitere Ansprüche der Banken An das Vorliegen von Kündigungsgründen sind weitere vertragliche Rechts- 1299 folgen geknüpft wie z. B. die Erhöhung der Marge.1857) Regelmäßig wird in den LMA-Verträgen ein sog. Margenraster (sog. „Margin 1300 Ratchet“) vereinbart. Danach richtet sich die Marge nach dem jeweils aktuellen Verschuldungsgrad (die sog. „Leverage Ratio“) der Unternehmensgruppe. Für den Zeitraum des Bestehens und Andauerns eines Kündigungsgrundes gilt allerdings regelmäßig die höchste im Margenraster genannte Marge plus einer „Strafmarge“ von 100 Basispunkten.1858) Ist der Kündigungsgrund bzw. dessen zugrunde liegenden Umstände beseitigt, findet das Margenraster wieder Anwendung. Eine weitere Rechtsfolge, die sich aus dem Kreditvertrag ergibt, ist das Ver- 1301 bot der weiteren Inanspruchnahme von Krediten während des Vorliegens eines Kündigungsgrundes. 3. Wechselwirkungen mit gesetzlichen Kündigungsrechten Schon nach den gesetzlichen Regelungen ist die Ausübung eines Kündigungs- 1302 rechts der Kreditgeber durch das Gebot der Rücksichtnahme eingeschränkt, was sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleitet. Demnach kann ein Kreditgeber einen Kredit nicht zur Unzeit kündigen, sich nicht widersprüchlich verhalten und darf ein zuvor – in zurechenbarer Weise – geschaffenes Vertrauen des Kunden nicht enttäuschen.1859) Zu beachten ist deshalb, dass die vertraglich vereinbarten Kündigungsgründe 1303 – bzw. deren Nichtausübung – durchaus Einfluss auf die Rechtslage haben können. Zwar soll gemäß dem LMA-Muster das Unterlassen, ein bestimmtes Recht einzufordern, nicht dazu führen, dass man das entsprechende Recht verliert.1860) Dennoch kann dies nicht gesetzliche Wertungen außer Kraft setzen. Wenn die Kreditgeber also z. B. bei der Verletzung einer Auflage mehrmals einen zeitlich befristeten Waiver erteilen, kann dies zur Folge haben, dass sie nach gewisser Zeit und „Übung“ einen Vertrauenstatbestand schaffen und in diesem und ggf. auch bei ähnlich gelagerten Verstößen ihre Kündigungsmöglichkeit verlieren.1861) ___________ 1857) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 22 Rn. 76. 1858) Vgl. die Definition „Margin“ des SFA. 1859) OLG Hamm NJW-RR 1991, 242 f. 1860) Vgl. Clause 40 SFA bzw. 34 FA, Remedies and Waivers. 1861) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 23 Rn. 29.
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1304 Ein Kündigungsgrund besteht ebenfalls nicht, wenn die Umstände, die zur Kündigung berechtigen würden, dem Kreditgeber schon im Zeitpunkt der Kreditgewährung bekannt waren.1862) Hat also ein Kreditnehmer eine falsche Zusicherung zu einem Prozessrisiko abgegeben, von welchem die Banken wussten, ist eine Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 242 BGB ausgeschlossen. 1305 Aufgrund von § 242 BGB kann die Kündigung eines Kredits auch dann ausgeschlossen sein, wenn auch in sonstiger Weise kein schutzwürdiges Interesse der Banken besteht. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn dem Kreditgeber zweifelsfrei werthaltige und von keinem Wertverlust bedrohte Sicherheiten zur Verfügung stehen, die die Hauptforderung und künftige Zinsen decken. Teilweise wird vertreten, dass dies jedoch nur solange gilt, wie die Aussicht besteht, dass der Kreditnehmer seine Krise ohne Insolvenzverfahren überwinden kann.1863) Stellen sich Prozessrisiken allerdings als dergestalt gravierend dar, dass ein Insolvenzverfahren überwiegend wahrscheinlich ist, ist den Kreditgebern nicht zuzumuten, dieses abzuwarten, um dann Befriedigung zu suchen. Es muss bereits vorher eine Kündigung und Verwertung der Sicherheiten möglich sein. E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management I. Corporate Litigation aus Unternehmenssicht: wenige Lichtblicke, viele Schattenseiten Jörn Gendner/Alexander Steinbrecher
1306 Corporate Litigation hat sich im deutschsprachigen Raum als griffige Bezeichnung für die Beratung und Vertretung in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten etabliert. Der Begriff legt nahe, dass Litigation, also die Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Konflikten durch gerichtliche Entscheidung, die Regel ist, während die außergerichtliche Streitbeilegung im Gesellschaftsrecht die Ausnahme ist. 1307 Praktisch ist diese Regel auch im Jahre 2015 zutreffend, denn die weit überwiegende Anzahl von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten wird vor staatlichen Gerichten und privaten Schiedsgerichten ausgefochten. 1308 Ob diese Regel auch aus Gesellschafter- und Unternehmenssicht richtig ist, wollen wir im Folgenden hinterfragen, wenn nicht gar widerlegen. 1309 Die keinesfalls neue, aber beharrliche Kritik an der gerichtlichen Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen bildet den Ausgangspunkt dieses Beitrags (I.). Anschließend erfolgt eine kurze, zusammenfassende Darstellung der Möglichkeiten, aber auch der Grenzen, die außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten von Personal- und Kapitalgesellschaften aus Unternehmenssicht bieten können (II.). ___________ 1862) BGH NJW-RR 2002, 1273 = ZIP 2002, 1241. 1863) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 23 Rn. 29.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten
1304 Ein Kündigungsgrund besteht ebenfalls nicht, wenn die Umstände, die zur Kündigung berechtigen würden, dem Kreditgeber schon im Zeitpunkt der Kreditgewährung bekannt waren.1862) Hat also ein Kreditnehmer eine falsche Zusicherung zu einem Prozessrisiko abgegeben, von welchem die Banken wussten, ist eine Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 242 BGB ausgeschlossen. 1305 Aufgrund von § 242 BGB kann die Kündigung eines Kredits auch dann ausgeschlossen sein, wenn auch in sonstiger Weise kein schutzwürdiges Interesse der Banken besteht. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn dem Kreditgeber zweifelsfrei werthaltige und von keinem Wertverlust bedrohte Sicherheiten zur Verfügung stehen, die die Hauptforderung und künftige Zinsen decken. Teilweise wird vertreten, dass dies jedoch nur solange gilt, wie die Aussicht besteht, dass der Kreditnehmer seine Krise ohne Insolvenzverfahren überwinden kann.1863) Stellen sich Prozessrisiken allerdings als dergestalt gravierend dar, dass ein Insolvenzverfahren überwiegend wahrscheinlich ist, ist den Kreditgebern nicht zuzumuten, dieses abzuwarten, um dann Befriedigung zu suchen. Es muss bereits vorher eine Kündigung und Verwertung der Sicherheiten möglich sein. E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management I. Corporate Litigation aus Unternehmenssicht: wenige Lichtblicke, viele Schattenseiten Jörn Gendner/Alexander Steinbrecher
1306 Corporate Litigation hat sich im deutschsprachigen Raum als griffige Bezeichnung für die Beratung und Vertretung in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten etabliert. Der Begriff legt nahe, dass Litigation, also die Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Konflikten durch gerichtliche Entscheidung, die Regel ist, während die außergerichtliche Streitbeilegung im Gesellschaftsrecht die Ausnahme ist. 1307 Praktisch ist diese Regel auch im Jahre 2015 zutreffend, denn die weit überwiegende Anzahl von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten wird vor staatlichen Gerichten und privaten Schiedsgerichten ausgefochten. 1308 Ob diese Regel auch aus Gesellschafter- und Unternehmenssicht richtig ist, wollen wir im Folgenden hinterfragen, wenn nicht gar widerlegen. 1309 Die keinesfalls neue, aber beharrliche Kritik an der gerichtlichen Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen bildet den Ausgangspunkt dieses Beitrags (I.). Anschließend erfolgt eine kurze, zusammenfassende Darstellung der Möglichkeiten, aber auch der Grenzen, die außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten von Personal- und Kapitalgesellschaften aus Unternehmenssicht bieten können (II.). ___________ 1862) BGH NJW-RR 2002, 1273 = ZIP 2002, 1241. 1863) Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 23 Rn. 29.
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E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management
Wie sich zeigen wird, hängt die Realisierung der Vorteile, die außergerichtliche gegenüber gerichtlichen Streitbeilegungsverfahren haben können, entscheidend von der Einigungsbereitschaft der Parteien und der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen ADR-Verfahrens ab. Den Schwerpunkt dieses Beitrags bilden die Erläuterungen zu ausgewählten ADR-Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten in Personen- und Kapitalgesellschaften. Wir beschränken uns dabei auf die nach unserer Erfahrung relevantesten außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren (III.). In der Zukunft werden Unternehmen, die als Gesellschafter oder als Gesell- 1310 schaft in gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten involviert sind, die Ausnahme zur Regel machen: sie werden im Rahmen des rechtlich Machbaren und wirtschaftlich Vernünftigen ihre Interessen zuvörderst in ADR-Verfahren zu realisieren versuchen. Verfahren vor privaten Schiedsgerichten oder staatlichen Gerichten werden die ultima ratio und damit die Ausnahme bleiben. In diesem Sinne wird sich Corporate Litigation inhaltlich und begrifflich zu Corporate Dispute Management weiterentwickeln (IV.). Die gegenwärtige Praxis der gesellschaftsrechtlichen Streitbeilegungspraxis 1311 lässt sich – zugegeben pointiert – darauf reduzieren, dass es wenige Lichtblicke und viele Schattenseiten gibt – zumindest aus der Sicht von Unternehmen, die an gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind. Zweifelsohne bieten staatliche Gerichte und private Schiedsgerichte den strei- 1312 tenden Gesellschaftern, Gesellschaften sowie ihren Geschäftsführern oder Vorständen Vorteile. Gerade im internationalen Vergleich zeigen sich deutsche Gerichte als ver- 1313 hältnismäßig schnelle und kostengünstige Foren für die Entscheidung von gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen. Dies gilt – schenkt man Statistiken Glauben – auch und gerade im Vergleich zu privaten Schiedsgerichten, deren Nimbus als effiziente Streitentscheidungsinstitution in der Praxis mehr und mehr dahinschwindet. Auch die Qualität der Gerichtsurteile zu gesellschaftsrechtlichen Fragestel- 1314 lungen ist in Deutschland – im internationalen Vergleich – hoch. Den streitenden Gesellschaftern, Gesellschaften, Geschäftsführern und Vor- 1315 ständen stehen zudem hochqualifizierte und erfahrene Anwälte zur Seite. Es gibt in Deutschland mehr und mehr ausgewiesene Corporate Litigator, die hochspezialisiert auf die Prozessführung in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten sind. Vor diesem Hintergrund mag es nicht überraschen, dass die Entscheidung 1316 von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten durch staatliche Gerichte und private Schiedsgerichte praktisch die Regel und die Durchführung von außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren – sieht man von bilateralen Verhandlungen ab – die Ausnahme ist. Jörn Gendner/Alexander Steinbrecher
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1317 Sieht man genauer hin und untersucht, warum Unternehmen, die als Gesellschafter oder Gesellschaften an derlei Streitigkeiten beteiligt sind, noch so regelmäßig und häufig auf staatliche Gerichte und private Schiedsgerichte als Streitentscheidungsforum zurückgreifen, zeigt sich ein anderes Bild mit vielen Schattenseiten. 1318 Empirische Studien belegen seit Jahren, dass Unternehmen in Deutschland der gerichtlichen Streitentscheidung abgeneigt sind, weil der Zivilprozess und das Schiedsgerichtsverfahren in den seltensten Fällen die Interessen der Streitparteien zu erfüllen vermögen. Es scheint ein weit verbreitetes Handlungsmuster zu geben: wenn ein gesellschaftsrechtlicher Konflikt zwischen Gesellschaftern oder zwischen Gesellschafter oder Organ und Gesellschaft auftritt, versuchen die Streitparteien in aller Regel, die Auseinandersetzung eigenverantwortlich außergerichtlich, nämlich im Verhandlungswege, beizulegen. Gelingt dies den streitenden Parteien nicht, eskalieren sie die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung in der noch weit überwiegenden Anzahl der Fälle an staatliche Gerichte oder private Schiedsgerichte. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: 1319 Wenn Verhandlungen zumindest aus Sicht einer der Streitparteien gescheitert sind, ist diese scheinbar nicht mehr kompromiss- oder gar einigungsbereit. Die Folge: die widerstreitenden Positionen werden „mit der Härte des Rechts“ vor Gericht ausgefochten und nötigenfalls gerichtlich entschieden. Dieses Verhaltensmuster liegen – das zeigen empirische Studien anschaulich – regelmäßig Irrtümer bzw. Fehleinschätzungen zumindest einer der Streitparteien zugrunde. Denn nicht nur in gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen überschätzen Parteien ihre juristischen Erfolgsaussichten. Es mag ernüchternd klingen, aber Gerichtsverfahren sind sehr häufig reine Glücksspiele. Dass diese Erkenntnis nahe an der Wahrheit zu liegen scheint, belegen deutsche Gerichtsstatistiken eindringlich: Kläger gehen nur noch in der Hälfte der Gerichtsverfahren als Sieger aus dem Gerichtssaal.1864) Hinzu kommt eine weitere Fehleinschätzung von Streitparteien. Dass Menschen ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten regelmäßig überschätzen ist in unzähligen psychologischen Untersuchungen nachgewiesen worden. Dass dies gleichermaßen für die Verhandlungsfähigkeiten von Menschen gilt, also auch von Gesellschaftern, Geschäftsführern, Vorständen und die sie beratenden Rechtsanwälte, mag erklären, warum Parteien nach gescheiterten Verhandlungen direkt zu Gericht gehen. 1320 Zu den Schattenseiten der Corporate Litigation zählt die lange Dauer von staatlichen Gerichtsverfahren und privaten Schiedsgerichtsverfahren. Es ist keine Seltenheit, dass mehr als ein Jahr vergeht, bis ein erstinstanzliches Urteil vorliegt. Und in vielen Fällen ist es die Regel, dass endgültige Urteile und Schiedssprüche erst nach mehreren Jahren gefällt werden. Es überrascht daher wenig, dass allein die Gerichts- und Anwaltskosten in gesellschafts___________ 1864) Vgl. Wolf, NJW 2015, 1656, 1658.
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E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management
rechtlichen Streitigkeiten im Vergleich zum Streitwert sehr hoch sind – und in Extremfällen den Streitwert gar übersteigen. II. Möglichkeiten und Grenzen der Mediation und anderer ADR-Verfahren Die kritische Haltung von Unternehmen gegenüber Corporate Litigation 1321 wirft die praktische Frage auf, ob es nicht bessere Alternativen gibt, als gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nahezu ausschließlich in staatlichen Gerichtsverfahren und privaten Schiedsgerichtsverfahren auszufechten. Die Abwägung zwischen der rechtlichen Machbarkeit, der wirtschaftlichen Vernunft und den unternehmerischen Interessen legt den Schluss nahe, dass außergerichtliche Verfahren aus Unternehmenssicht regelmäßig vorzugswürdig sein dürften. Seit Jahren wird der Ruf nach der Mediation und anderen Verfahren der alternativen Streitbeilegung lauter. ADR-Verfahren sind auch bei gesellschaftsrechtlichen Konflikten kein Allheilmittel. Die Annahme, jede gesellschaftsrechtliche Streitigkeit ließe sich schneller und kostengünstiger in einem ADR-Verfahren beilegen, ist praxisfern. Die Chancen und Risiken von Mediation und ADR-Verfahren müssen ana- 1322 lysiert werden, bevor Parteien eine informierte Entscheidung darüber treffen können, ob und – falls ja – welches konkrete außergerichtliche Verfahren aufgrund seiner spezifischen Charakteristika am besten geeignet ist, um die gesellschaftsrechtliche Streitigkeit zu klären.1865) Mangelnde (Verfahrens-)Kenntnis ist weiterhin der Hauptgrund dafür, warum Parteien und vor allem die sie beratenden und vertretenden Rechtsanwälte, die Anwendung eines ADR-Verfahrens vor Einleitung eines staatlichen Gerichts- oder privaten Schiedsgerichtsverfahrens nicht ernsthaft in Erwägung ziehen.1866) In der Praxis werden durchgängig die kurze Dauer und die geringen Kosten 1323 von ADR-Verfahren als wesentliche Vorteile gegenüber langwierigen und kostspieligen (Schieds-)Gerichtsverfahren hervorgehoben. Richtig daran ist, dass in ADR-Verfahren schlichtweg weniger Kostenfaktoren von den Parteien zu tragen sind: So entfallen von vorneherein Gerichtskosten und Honorare für Schiedsrichter. Und mangels Anwaltszwangs in einer Mediation oder in einem anderen ADR-Verfahren, können die Parteien zudem Kosten sparen, wenn sie auf die Vertretung oder den Beistand von Rechtsanwälten verzichten.1867) Als Kostenfaktor fällt in aller Regel lediglich das Honorar des Mediators, des Schiedsgutachters oder Adjudikators an.1868) ___________ 1865) Instruktiv zur Systematik der Verfahrensauswahl Hagel/Steinbrecher, in: Gläßer/ Kirchhoff/Wendenburg, S. 53 ff. 1866) Steinbrecher, Systemdesign, S. 70 m. w. N. 1867) In der Praxis nehmen zumindest die Unternehmensjuristen beratend an der Vorbereitung und Durchführung der ADR-Verfahren bei. 1868) In aller Regel ist zwischen den Parteien – unabhängig vom Ausgang des ADR-Verfahrens – Kostenteilung vereinbart. Vgl. hierzu auch die Kostentragungsregelungen in den institutionellen ADR-Verfahrensordnungen der DIS und ICC.
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1324 Die kurze Dauer von ADR-Verfahren ist ein weiterer Vorteil der Mediation und anderer ADR-Verfahren. Die Dauer ist zudem ein unmittelbarer Einflussfaktor auf die Verfahrenskosten. Denn je länger ein ADR-Verfahren dauert, desto größer werden die zeitabhängigen Kosten sein. Während in staatlichen Gerichtsverfahren und private Schiedsgerichtsverfahren mehrere Jahre bis zum Vorliegen einer endgültigen und rechtlich bindenden Entscheidung vergehen können, liegen in ADR-Verfahren zwischen der Einleitung und dem Abschluss nur Wochen oder wenige Monate. Eine Mediation1869) kann ebenso wie ein Mini-Trial1870) oder ein Dispute Board Verfahren1871) binnen Tagen oder Wochen erfolgreich durchgeführt werden. Die Betonung liegt auf kann. Denn es hängt entscheidend von Einigungswillen, um nicht zu sagen von der Kompromissbereitschaft der Parteien ab, wie schnell in einem ADR-Verfahren eine Konfliktklärung durch die Parteien erzielt werden kann. 1325 Damit ist bereits die Barriere und Grenze von Mediation und anderen ADRVerfahren benannt: die Parteien müssen willens sein, die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung außergerichtlich beilegen zu wollen. Ohne Einigungswillen und ein Mindestmaß an Kompromissbereitschaft wird jede Mediation scheitern. Aus demselben Grund werden auch andere ADR-Verfahren nicht zum Abschluss kommen, denn zumindest die nichteinigungsbereite Partei wird der Empfehlung oder Entscheidung des Schiedsgutachters, Dispute Boards oder des Mini-Trial-Panels nicht folgen. Aus diesem Grunde wird zu recht dafür plädiert, dass Mediations- und andere konsensorientierte ADRVerfahren freiwillig durchzuführen sind.1872) Denn jeder Zwang zur Teilnahme oder gar Durchführung eines vereinbarten ADR-Verfahrens steht im Widerspruch zum Einigungswillen der Parteien. 1326 Angesichts dieses Umstandes sind etwa die vielzitierten Erfolgsprognosen von 70 oder gar 80 Prozent aller Mediationen1873) mit Vorsicht zu beurteilen. Denn diese Statistiken sagen nichts darüber aus, ob die Parteien in allen Verfahren einigungs- oder gar kompromissbereit waren oder nicht. 1327 Die Mediation und andere ADR-Verfahren stoßen zudem an ihre Grenzen, wenn ausschließlich Rechtsansprüche den Verfahrensgegenstand bilden. Denn dann mag es zumindest im Interesse einer Partei sein, dass über den Rechtsanspruch (höchst-)richterlich entschieden wird. An der nötigen Kompromissbereitschaft dieser Partei wird es in einem solchen Fall schlichtweg fehlen. Dieser Umstand dürfte erklären, warum beispielsweise so selten ADR-Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelstreitigkeiten geführt werden. ___________ 1869) Vgl. die Mediationsordnung der DIS und die ADR-Rules der ICC. 1870) Vgl. die Mini-Trial Procedures der AAA. 1871) Vgl. die Dispute Board Rules der ICC. 1872) Diop/Steinbrecher, BB 2011, 131, 133. 1873) Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, S. 75.
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E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management
III. Praxis der ADR-Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten Die bisherigen Ausführen haben gezeigt, dass ADR-Verfahren zwar keine 1328 Allheilmittel sind, aber im Einzelfall sehr wohl von großem Nutzen für die streitenden Parteien sein können, um eine konkrete gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzungen schnell, kostengünstigen und interessenorientiert zu klären. Welche ADR-Verfahren insoweit größtes Potential haben, wird nachfolgend erläutert. Den Schwerpunkt bildet dabei die Mediation als konsensuales Konfliktbearbeitungsverfahren (1.). Aber auch Verfahren der Streitentscheidung, namentlich das Schiedsgutachten und die Early Neutral Evaluation (2.) sowie Dispute Boards (3.) und der Mini-Trial (4.) sind bestens geeignet, um gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten außergerichtlich beizulegen. 1. Mediation Obwohl die Möglichkeit, Vergleichsverhandlungen durch Hinzuziehen eines 1329 neutralen Dritten zu strukturieren und fachlich versiert leiten zu lassen heutzutage allgemein bekannt ist, kann sich die Mediation (und auch die Schlichtung) in Gesellschafterstreitigkeiten – von einigen Ausnahmen abgesehen1874) – in der Praxis nur schwer durchsetzen.1875) Aus Sicht der Konfliktparteien besteht offenbar noch häufig kein hinreichender Bedarf für die Durchführung von Mediationsverfahren,1876) sofern den Gesellschaftern überhaupt bewusst ist, dass ihr konkreter Konflikt für eine Mediation geeignet ist. Damit verschenken die Parteien jedoch in vielen Fällen eine wertvolle und zeit- sowie kostenschonende Gelegenheit, ihre Konflikte unter ganzheitlicher Berücksichtigung ihrer Interessen und mit Blick auf ihre bestehende geschäftliche Verflechtung und gesellschaftsrechtliche Verbindung auch nachhaltig zu lösen. a) Begrifflichkeiten und Grundzüge Die seit Inkrafttreten des Mediationsgesetzes (MediationsG) am 26.7.2012 1330 gültige Legaldefinition beschreibt die Mediation als ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konfliktes anstreben (§ 1 Abs. 1 MediationsG). Der oder die Mediatoren haben keine eigene Entscheidungskompetenz (§ 1 Abs. 2 MediationsG), sie vermitteln nur.1877) Die Parteien bleiben also zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens handelnde Subjekte in ihrem Konflikt, von ihnen allein hängt das Ver___________ 1874) Zu denken ist hier z. B. an emotionsgeladene Konflikte im Rahmen der Übernahme von familiengeführten Unternehmen an die nachfolgende Generation. Beispiele dieser Kategorie dürfen in keiner Mediatorenausbildung fehlen. 1875) Lutz, Der Gesellschafterstreit, 3. Teil, II.2., Rn. 577, S. 303. 1876) Lutz, Der Gesellschafterstreit, 3. Teil, II.2., Rn. 577, S. 303. 1877) Risse, NJW 2000, 1614, 1615.
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handlungsergebnis ab.1878) Auch steht es jeder Partei jederzeit frei, den Mediationsprozess für gescheitert zu erklären und den Verhandlungstisch zu verlassen.1879) Ohne eine grundlegende Einigungsbereitschaft der Parteien ist also jede Mediation zum Scheitern verurteilt. 1331 Die Mediatoren führen die Parteien durch die Mediation (§ 1 Abs. 2 MediationsG) und übernehmen dabei lediglich die – freilich elementare – Aufgabe, dem Einigungsprozess die in bilateralen Verhandlungen oft fehlende zielführende Struktur zu geben und die Parteien dabei zu unterstützen, die strittigen Themen zu identifizieren und Lösungsoptionen zu erarbeiten.1880) Eine der Kernaufgaben der Mediatoren ist es dabei, den Parteien Möglichkeiten aufzuzeigen, die zumeist rein normativ geprägte Positionsebene zu verlassen, um auf der Interessenebene Möglichkeiten der Verständigung auszuloten.1881) Ein wesentliches Merkmal ist dabei die Allparteilichkeit der Mediatoren. Im Unterschied zu Neutralität meint Allparteilichkeit nicht passive Zurückhaltung, sondern aktives Gewährleisten der mediativen Grundhaltung der Offenheit und Vorurteilslosigkeit, Äquidistanz zu und Unparteilichkeit gegenüber den Parteien.1882) Die Mediatoren unterstützen die Parteien also aktiv dabei, Ihre Positionen und die dahinter liegenden Interessen zu artikulieren und können und sollen – z. B. bei einer offensichtlichen Asymmetrie der Ausdrucksfähigkeiten der Parteien – durch entsprechende Fragetechniken dafür Sorge tragen, dass die Positionen und Interessen adäquat zur Sprache kommen und von der andern Seite verstanden werden. 1332 Mediationen folgen in ihrem Ablauf einer festen Struktur,1883) wobei die einzelnen Prozessabschnitte nicht immer die gleiche Tiefe und Intensität aufweisen müssen. x
In Vorgesprächen klärt der Mediator noch einmal, ob die Mediation das geeignete Verfahren ist. Zugleich stellt er sicher, dass die Parteien Inhalt und Ablauf des Mediationsverfahrens verstanden haben und stellt sich möglichen Fragen der Parteien zu seinem Vorgehen und seiner Person. Mediatoren und Parteien halten die Rahmenbedingungen im Mediatorenvertrag fest.1884)
___________ 1878) § 2 Abs. 5 Satz 1 Mediationsgesetz; siehe auch Hagen/Lenz, Wirtschaftsmediation, Pkt. 1.2.1, S. 5. 1879) In der Praxis ist die Androhung einer der Parteien, die Mediation beenden zu wollen, oft erst der Beginn wirklich ernsthafter Gespräche, sofern der Mediator in der Lage ist, die Gründe für diese vehemente Grenzziehung (ggf. in einem Einzelgespräch) herauszuarbeiten. 1880) Trenczek, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 1.1.3.2, S. 35. 1881) Lenz, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 1.1.3.2, S. 38. 1882) Lenz, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 1.1.3.2, S. 38; Klowait/Gläßer/Hagel, MediationsG, § 1 Rn. 21 – 23. 1883) In der Literatur werden verschiedene Phasenmodelle vorgeschlagen. Gängig sind Einteilungen in drei, fünf oder sechs Phasen; Übersicht hierzu siehe MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 150 Rn. 17 ff. 1884) Im Unterschied dazu ist die Mediationsvereinbarung die Absprache zwischen den Parteien, den Konflikt durch Mediation beilegen zu wollen.
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Sodann bekommen die Medianden die Gelegenheit, den Konflikt aus ihrer Sicht sowie Ihre Positionen zu schildern. Dies kann auch im Vorfeld der eigentlichen Mediationssitzung durch Einreichen kurzer „Positionspapiere“ an den Mediator erfolgen.1885) Auf dieser Grundlage werden in der ersten Mediationssitzung die unstreitigen Zahlen, Daten und Fakten (sog. „ZDF-Sammlung“) sowie die für den Konflikt relevanten und in der Mediation zu behandelnden Themen herausgearbeitet und festgehalten.
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Danach folgt – als ein Kernelement der Mediation und als Grundlage für die zukunftsgerichtete und perspektivische Bearbeitung des Konflikts – das Herausarbeiten der hinter den Positionen stehenden Interessen der Parteien. Besonders in dieser Phase kommt es auf den virtuosen Umgang des Mediators mit den Kommunikations- und Fragetechniken an, die ihm seine besondere Ausbildung zur Verfügung stellt.
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Auf Grundlage der Zahlen, Daten, Fakten und der herausgearbeiteten Interessen entwickeln die Medianden nun gemeinsam mit Unterstützung des Mediators Lösungsansätze. Dies ist die kreativste Phase der Mediation, in der unterschiedlichste Kreativtechniken1886) zur Anwendung kommen.
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Die so erarbeiteten Lösungsmöglichkeiten werden dann gemeinsam verhandelt, bewertet und auf praktische Umsetzbarkeit geprüft.1887) Ggf. werden unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten kombiniert. Auf dieser Grundlage wird ein Lösungspaket geschnürt, das die Parteien dann mit Hilfe des Mediators in der Abschlussphase in einer Abschlussvereinbarung festhalten.
b) Anwendungsmöglichkeiten von Mediation Kennzeichen nahezu aller gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse ist deren Aus- 1333 legung auf gewisse, in vielen Fällen auch unbestimmte Dauer.1888) Der gemeinsam verfolgte Gesellschaftszweck ist dabei im Regelfall von einem komplexen Zusammenspiel stark differierender Individualinteressen der Gesellschafter unterlegt, die nicht immer rein rechtlicher Natur sind.1889) Damit eignen sich gesellschaftsrechtliche Konflikte a priori gut für die Mediation.1890) Dies gilt bereits bei Gründung der Gesellschaft und im Rahmen der Ver- 1334 handlungen zum Abschluss des Gesellschaftsvertrages. Gerade in der Gründungsphase einer Gesellschaft und beim Aushandeln des Gesellschaftsver___________ 1885) In der Praxis empfiehlt sich hier dringend eine verbindliche Seitenbegrenzung, üblicherweise zwischen 10 und 15 Seiten. 1886) Lenz, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 3.13 Rn. 28 ff.; Novak, in: Trenczek/Berning/ Lenz, Kap. 3.14; siehe auch Wikipedia unter dem Stichwort „Kreativitätstechniken“. 1887) Lenz, in: Trenczek/Berning/Lenz, Rn. 44 – 52. 1888) MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 151 Rn. 20. 1889) Vgl. Schröder-Frerkes, in: Büchner/Groner/Häusler, Teil B. Gesellschaftsrecht, Rn. 1. 1890) Fritz/Pielsticker/Schröder, MediationsG, Kap. V Rn. 9.
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trages kommt es auf eine ausgewogene Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen an. Schon in dieser frühen Phase sollten die Gesellschafter über die Einschaltung eines Mediators nachdenken, der die Parteien darin unterstützen kann, ihre Interessen von Beginn an klar herauszuarbeiten, um auf dieser Basis zu interessengerechten Vertragsregelungen zu gelangen (sog. „DealMediation“1891)). 1335 Doch auch für die gesamte Bandbreite gesellschaftsrechtlicher Konflikte nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages stellt die Mediation ein gutes, in vielen Fällen sogar sehr gutes Konfliktlösungsinstrument dar.1892) Ob Streitigkeiten der Gesellschafter über die Tätigkeit der Geschäftsführer (insbesondere bei Beteiligung von Minderheitsgesellschaftern), Konflikte im Zusammenhang mit der Gesellschafterversammlung oder dem Ausschluss eines Gesellschafters, Konflikte bei Liquidation oder Veräußerung der Gesellschaft, Konflikte zwischen Altgesellschaftern und Erben eines verstorbenen Gesellschafters, Unklarheiten im Zusammenhang mit der Ausschüttung von Unternehmensgewinnen oder Konflikte zwischen Groß- und Kleinaktionären,1893) eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Konflikte zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesellschafter zum einen oft persönlich betroffen und zum anderen trotz der schwelenden Konflikte auch in Zukunft durch die Gesellschaft eng miteinander verbunden sind. 1336 Zudem können Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft das Bild der Gesellschaft nach außen oder gegenüber der Belegschaft empfindlich schädigen, so dass ein erhöhtes Geheimhaltungsinteresse besteht. Darüber hinaus kann auch das operative Geschäft durch Störungen der internen Entscheidungsprozesse oder Ressourcenbindung nachhaltig beeinträchtigt werden, so dass eine schnelle Lösung des Konflikts im Extremfall existentiell für den Fortbestand der Gesellschaft sein kann. Alle diese Aspekte – Emotionalität, Beziehungsgeflecht, Zukunftsorientierung, Geheimhaltungsinteresse und zeitlicher Druck – können von einer Mediation, anders als bei staatlichen Gerichtsverfahren, abgedeckt und in die Konfliktlösung einbezogen werden. 1337 Die grundsätzliche Frage der Mediationsfähigkeit für Streitgegenstände im Gesellschaftsrecht stellt sich dabei von vorneherein nicht,1894) denn anders als das schiedsgerichtliche Verfahren ist die Mediation kein Drittentscheidungsverfahren, das an die Stelle des staatlichen Prozesses tritt. So fehlt es für das Mediationsverfahren insbesondere an einer mit § 1032 Abs. 1 ZPO vergleichbaren Regelung, durch welche der Zugang zu staatlichen Gerichten ausgeschlossen wird. Mediation ersetzt also nicht die gesetzlich vorgesehene Klärung be___________ 1891) Diop/Steinbrecher, BB 2012, 3023, 3027; MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 151 Rn. 1 m. w. N. 1892) Siehe die ausführliche Übersicht bei MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 153 Rn. 3. 1893) Eine ausführlichere Beschreibung dieser Konfliktfelder findet sich bei Schröder-Frerkes, in: Büchner/Groner/Häusler, Teil B. Gesellschaftsrecht, Rn. 8 ff. 1894) Fritz/Pielsticker/Schröder, MediationsG, Kap. V Rn. 9.
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stimmter gesellschaftsrechtlicher Konstellationen durch staatliche Gerichte, sondern tritt neben oder zeitlich vor sie.1895) Es kommt dementsprechend nicht darauf an, ob der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutzzweck durch das gewählte alternative Verfahren der Mediation ebenfalls erfüllt wird. Dennoch existieren für die Mediation im Gesellschaftsrecht Grenzen. Nicht 1338 einsetzbar ist Mediation in Fällen, in denen die zu verhandelnden Ansprüche nicht zur (alleinigen) Disposition der Parteien stehen, z. B. aus Gründen des Gläubigerschutzes. Zu nennen sind hier Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft über die Höhe der Bareinlage nach verdeckter Sacheinlage, über die Differenzhaftung bei Überbewertung der Sacheinlage (§ 9 GmbHG) oder über die Ausfallhaftung für anders nicht aufzubringende Einlagen (§ 24 GmbHG).1896) Aus diesem Grund sind auch Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer gem. § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG oder gegen die Gesellschafter und Geschäftsführer gem. § 9a GmbHG nur eingeschränkt der Mediation zugänglich. Ein Verzicht oder Vergleich über diese Ansprüche ist gem. § 9 b GmbHG nämlich dann unwirksam, wenn sie zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sind.1897) Ebenfalls nicht geeignet für Mediation sind hoch eskalierte Konflikte. Nach 1339 Glasl gibt es neun Konfliktstufen.1898) Der Hauptanwendungsbereich für Mediation sind dabei die Konfliktstufen 4 (Parteien beginnen, den Konflikt als „Win-Lose-Situation“ wahrzunehmen und starten Imagekampagnen gegen den Gegner1899) bis 6 (das Geschehen wird beherrscht von Drohung und Gegendrohung.1900) Mit Stufe 7 des Eskalationsmodells haben die Parteien die Grenze zur „Lose-Lose-Situation“ überschritten. Man will sich vordringlich gegenseitig schädigen, ein eigener Schaden wird einkalkuliert und hingenommen. Auf dieser Ebene ist eine Mediation zwar nicht völlig aussichtlos, kann aber nur dann gelingen, wenn der Mediator es schafft, durch strenge Verhaltens- und Gesprächsregeln wieder eine Kommunikationsebene herzustellen, die es den Parteien erlaubt, wieder den Menschen hinter dem Gegner zu sehen.1901) Es ist Aufgabe der Mediatoren, in den Vorgesprächen mit den Parteien die Eskalationsstufe des Konfliktes zu erkennen, um das Mediationsverfahren entsprechend auszurichten und zu gestalten.
___________ 1895) Zur Problematik des dilatorischen Klageverzichts in Mediationsklauseln im Zusammenhang mit satzungsmäßigen oder gesetzlichen Ausschlussfristen siehe unten Rn. 1346. 1896) MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 151 Rn. 17; Heckschen, NotBZ 2002, 200, 203; Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2/2008, 85, 91; Töben, RNotZ 2013, 321, 337. 1897) Töben, RNotZ 2013, 321, 337. 1898) Vgl. Glasl, Konfliktmanagement, S. 234 ff. 1899) Vgl. Glasl, Konfliktmanagement, S. 256 ff. 1900) Vgl. Glasl, Konfliktmanagement, S. 277 ff. 1901) Fritz/Pielsticker/Etscheit, MediationsG, Kap. I Rn. 90.
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c) Ausgewählte Aspekte der Mediationspraxis aa) Mediatorenauswahl 1340 Mediatoren müssen von allen Konfliktbeteiligten akzeptiert und respektiert werden. Es muss sich um eine oder mehrere Personen handeln, die das Vertrauen der Konfliktparteien genießen oder sich erwerben und deren Kompetenz nicht bestritten wird.1902) Die Prozesssicherheit ist dabei unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen der Mediation. Ein Mediator muss jederzeit in der Lage sein, der Mediationssitzung auch in unübersichtlichen Verhandlungssituationen durch klare Führung mit dem erforderlichen Fingerspitzengefühl und empathischer Zugewandtheit die unbedingt erforderliche Struktur zu geben. 1341 Ob der Mediator darüber hinaus auch noch über eigenes Expertenwissen in dem dem Konflikt zugrunde liegenden Sachgebiet (z. B. als Baurechtsexperte oder technischer Sachverständiger) benötigt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Grundsätzlich sind die Verfasser der Auffassung, dass der Mediator keine fachspezifischen Kenntnisse benötigt, da seine Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, den Verhandlungsprozess zwischen den Parteien unterstützend zu begleiten. Eine Entscheidung in der Sache steht ihm nach § 1 Abs. 2 MediationsG nicht zu. Das erforderliche Fachwissen bringen zunächst einmal die Parteien mit. Sollte zu Einzelaspekten des Konfliktes die Bewertung durch einen neutralen Dritten erforderlich werden, so kann dies durch Hinzuziehen eines gemeinsam bestimmten Sachverständigen im Rahmen der Mediation erfolgen. Gleichwohl zeigt die Praxis, dass ein völlig fachfremder Mediator, dem es bereits am grundlegenden Verständnis oder Kenntnissen des Fachvokabulars des streitigen Sachgebietes fehlt, es schwer haben wird, die nötige Akzeptanz und den Respekt der Parteien zu erwerben. 1342 Den Parteien fällt es oft schwer, einen von der Gegenseite vorgeschlagenen Mediator zu akzeptieren. Die Ablehnung erfolgt dabei in vielen Fällen reflexhaft1903) und bei näherer Betrachtung ohne tatsächliche und inhaltlich nachvollziehbare Gründe. 1343 In der Praxis bewährt hat sich in diesen Fällen die Durchführung einer CoMediation, wobei jede der Parteien einen Mediator auswählt. Dabei sollten die Parteien aber vorher abklären, ob die Mediatoren nachweislich Erfahrungen mit Co-Mediation haben und bereit sind zusammen zu arbeiten,1904) um spätere Abstimmungsprobleme zu vermeiden. Seine praktischen Grenzen findet dieses Verfahren unter Umständen dort, wo – wie oft in gesellschaftlichen Kontexten – mehr als zwei Parteien betroffen sind. In diesen Fällen und in Fällen, in denen die Parteien aus Kosten- oder sonstigen Gründen keine Co-Mediation wünschen, kann auf Mediatorenlisten von Verbänden und Insti___________ 1902) Trenczek, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 2.12.1, S. 179. 1903) Gendner, in: DisputeResolution, Ausgabe 02//25.6.2014, S. 36, 38. 1904) Diop/Steinbrecher, BB 2012, 3023, 3025.
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tutionen1905) zurückgegriffen oder die Auswahl des Mediators auch einer neutralen Stelle1906) übertragen werden. Die Gefahr der reflexhaften Ablehnung eines vorgeschlagenen Mediators kann auch auf diese Weise minimiert werden. Alternativ zu einer klassischen Co-Mediation kann es sich auch anbieten, dem Mediator einen Sachverständigen zur Seite zu stellen, der sein Fachwissen und seine Erfahrung in die Mediation einbringt, ohne die Rolle und Aufgabe eines Mediators auszuüben.1907) bb) Besonderheiten im Falle von Beschlussmängelstreitigkeiten Grundsätzlich können auch Beschlussmängelstreitigkeiten im Rahmen einer 1344 Mediation verhandelt werden.1908) Die im Zusammenhang mit Schiedsgerichtsverfahren bei Beschlussmängelstreitigkeiten vorgebrachten Bedenken greifen im Hinblick auf die Mediation nicht.1909) Vorrausetzung ist allerdings, dass alle Gesellschafter an der Mediation mitwirken, da ein im Zuge einer Einigung zu fassender Aufhebungs- oder Änderungsbeschluss von allen Gesellschaftern gefasst werden muss,1910) so dass die Durchführung einer Mediation bei größeren Gesellschaften an praktische Grenzen stoßen könnte.1911) Die gesetzliche Anfechtungsfrist für Beschlüsse beträgt gem. § 246 Abs. 1 1345 AktG bei Aktiengesellschaften einen Monat nach Beschlussfassung. Da diese Frist wegen § 23 Abs. 5 AktG nicht verlängerbar ist und es sich zudem um eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt, also weder Verhandlungen noch Mediation eine Hemmung bewirken würden,1912) und es zudem praktisch so gut wie ausgeschlossen ist, innerhalb des zur Verfügung stehenden Monats eine Mediation zu organisieren und zum Abschluss zu bringen (unabhängig davon, ob die Satzung bereits eine Mediationsklausel beinhaltet oder nicht), bleibt dem anfechtenden Gesellschafter nur die Möglichkeit, innerhalb der Monatsfrist Klage zu erheben.1913) Parallel dazu bleibt es den Parteien unbenommen, eine Mediation durchzuführen und das Gerichtsverfahren ruhen zu lassen (dies geschieht bei vom Gericht vorgeschlagener Mediation gem. § 278a ZPO ohne Antrag der Parteien oder auf Antrag gem. § 251 ZPO). ___________ 1905) Diese werden z. B. von Verbänden (z. B. BMWA, BM, BFMA, IMI), regionalen IHKs, Anwaltskammern oder Mediationsinstitutionen (Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), dem Europäischen Institut für Conflict Management (EUCON) oder dem International Chamber of Commerce (ICC) angeboten. 1906) Wie z. B. DIS, EUCON oder ICC. 1907) Diop/Steinbrecher, BB 2012, 3023, 3025. 1908) Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, 85, 90; Casper/Risse, ZIP 2000, 437, 440 f.; Heckschen, NotBZ 2002, 200. 1909) Siehe oben Rn. 569 f. sowie Rn. 1337 ff. 1910) Lutz, Der Gesellschafterstreit, 3. Teil, II.2. Rn. 579, S. 304. 1911) Zwar bestünde die Möglichkeit, dass sich Gesellschafter mit gleichgelagerten Interessen in der Mediation auf einen gemeinsamen Vertreter einigen, die Vertretung mehrerer Beteiligter durch eine Person erschwert jedoch die Mediation. 1912) Töben, RNotZ 2013, 321, 335. 1913) Töben, RNotZ 2013, 321, 335.
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1346 Sofern bei einer GmbH die Satzung eine Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage für Gesellschafter- und Beschlussmängelstreitigkeiten vorsieht kann diese – selbst im Einvernehmen der Gesellschafter – nicht ohne weiteres verlängert werden.1914) Auch in diesen Fällen ist es also anzuraten, zunächst fristwahrend Anfechtungsklage zu erheben und nachfolgend mit den anderen Gesellschaftern ein pactum de non petendo für den Zeitraum der Durchführung des Mediationsverfahrens zu vereinbaren.1915) Dies hat auch den Vorteil, dass ein in der Mediation ausgehandelter Vergleich unmittelbar gerichtlich protokolliert und damit zu einem vollstreckbaren Titel erhoben werden kann.1916) 1347 Da bei der GmbH – anders als bei einer Aktiengesellschaft – die Länge der Anfechtungsfrist nach oben frei bestimmt werden kann, besteht jedoch auch die Möglichkeit, die Frist von Beginn an so zu gestalten, dass die Durchführung eines Mediationsverfahrens vor deren Ende ermöglicht wird1917) (dies dürfte eine Frist von mindestens drei Monaten erfordern). Die vielfach vorgeschlagene Lösung, den Beginn der Anfechtungsfrist an den Abschluss eines Mediationsverfahrens zu koppeln,1918) erscheint wegen der damit verbundenen Unsicherheiten und der zur Vermeidung von Missbrauch sowieso erforderlichen Maximalfrist1919) praktisch nicht ratsam. cc) Ausgestaltung von Mediationsklauseln in Gesellschaftsverträgen oder Satzungen 1348 Sorgfältig formulierte Mediationsklauseln regeln sowohl die Durchführung des Mediationsverfahrens als auch das Vorgehen zur Auswahl des Mediators und die Folgen für den Fall der Nichteinleitung oder der Verweigerung eines Mediationsverfahrens.1920) 1349 Um einen möglichst flexiblen Umgang mit allen zur Verfügung stehenden ADR-Verfahren zu ermöglichen, sollte die vertragliche Streitbeilegungsklausel für den Fall des Scheiterns von Verhandlungen den Weg zu einem für den konkreten Fall sinnvollen Streitbeilegungsverfahren nach Absprache zwischen den Parteien öffnen, wobei als Rückfallebene – sofern sich die Parteien nicht auf ein Verfahren einigen können – die Mediation vorgesehen sein sollte. Da die Parteien aber gerade in gesellschaftsrechtlichen Konflikten oft unter er___________ 1914) Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, 85, 90. 1915) Casper/Risse, ZIP 2000, 437, 443 f. 1916) Prozessual ist hierfür der Beitritt der übrigen Gesellschafter zum Zwecke des Vergleichsschlusses erforderlich. Zudem ersetzt ein gerichtlich protokollierter Vergleich eine notarielle Beurkundung, so dass etwaige im Rahmen der Einigung vorgesehenen Satzungsänderungen oder Anteilsübertragungen kostengünstig ohne teuren Notar umgesetzt werden können, siehe Casper/Risse, ZIP 2000, 437, 444. 1917) Töben, RNotZ 2013, 321, 335. 1918) Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, 85, 91 m. w. N. 1919) Siehe Caspar/Risse, ZIP 2000, 437, 441. 1920) Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2/2008, 85, 90.
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heblichem zeitlichen Druck stehen, erscheint es sinnvoll, für „typische“ und absehbare Situationen bereits in der Streitbeilegungsklausel konkrete Konfliktlösungsmechanismen festzulegen, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden. So können sich die Gesellschafter z. B. für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters durch Tod oder Ausschluss von vornherein darauf verständigen, die Frage eines möglicherweise zu zahlenden Ausgleichs oder einer Abfindung einem neutralen Experten (Schiedsgutachten1921) zu übertragen. Es ist möglich, in der Mediationsklausel den ordentlichen Rechtsweg für die 1350 Dauer der Mediation auszuschließen. Dies wird als Prozessvertrag mit dilatorischem Klageverzicht (pactum de non petendo) bis zur Beendigung des Mediationsverfahrens für zulässig erachtet.1922) Im Hinblick auf die nötige Rechtssicherheit wird jedoch empfohlen, die Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes auszunehmen.1923) Zudem ist hier zu beachten, dass gesetzliche oder satzungsmäßige Ausschlussfristen von einem solchen pactum de non petendo nicht erfasst werden.1924) Um hier die notwendige Klarheit herzustellen, sollte die Mediationsklausel Klagen zur Wahrung von Ausschlussfristen ausdrücklich zulassen und sich die Gesellschafter zugleich zur Stellung eines Antrags auf Ruhen des Verfahrens verpflichten.1925) Sofern die Mediationsklausel auch für Beschlussmängelstreitigkeiten bei Ka- 1351 pitalgesellschaften gelten soll, sollte sie die Beteiligung aller Gesellschafter an der Mediation ermöglichen.1926) Mediationsklauseln in Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften 1352 sind grundsätzlich formfrei möglich,1927) während Mediationsklauseln, die Bestandteil des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung einer Kapitalgesellschaft sind, nach § 2 Abs. 1 GmbHG (bzw. § 23 Abs. 1 AktG) notariell zu beurkunden sind. Sie entfalten dann auch Wirkung für später hinzutretende Gesellschafter, die Organe der Gesellschaft und die Gesellschaft selbst.1928) dd) Vertraulichkeit Vertraulichkeit ist eins der wohl wichtigsten Grundprinzipien der Mediation. 1353 Ohne die Sicherheit, dass im Rahmen der Mediation offengelegte Informationen in einem ggf. folgenden gerichtlichen Verfahren nicht gegen sie verwendet werden können, werden die Parteien sich schwer damit tun, ihre hin___________ 1921) Siehe hierzu unten Rn. 1362 ff. 1922) Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2/2008, 85, 90; Böttcher-Laskawy, DB 2004, 1247, 1249 m. w. N. 1923) Böttcher-Laskawy, DB 2004, 1247, 1250. 1924) Siehe oben Rn. 1344 ff. 1925) Böttcher-Laskawy, DB 2004, 1247, 1251. 1926) Schröder, GmbHR 2014, 960, 962. 1927) MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 152 Rn. 7. 1928) MünchHdb. GesR Bd. 7/Hagel, 5. Aufl., § 152 Rn. 9.
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ter dem Konflikt stehenden Interessen in die Verhandlung einzubringen. Praxisrelevant ist dabei, dass die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht des § 4 MediationsG nur für den Mediator und alle in die Durchführung des Mediationsverfahrens eingebundenen Personen (worunter nur die Hilfspersonen des Mediators zu verstehen sind1929) gilt, nicht jedoch für die Parteien selbst, deren Vertreter und andere von den Parteien hinzugezogene Dritte.1930) Die Parteien sollten also in der Mediationsvereinbarung und/oder im Mediatorenvertrag eine weitreichende Vertraulichkeit einschließlich eines Verwertungsverbots von ausschließlich durch das Mediationsverfahren erlangten Informationen in Folgeverfahren festschreiben.1931) ee) Einzelgespräche mit den Parteien (Caucuses) 1354 Da der Mediator keine eigenen Entscheidungen trifft,1932) hat er auch die Möglichkeit zu Einzelgesprächen mit den Parteien (sog. Caucuses), wozu allerdings die ausdrückliche Zustimmung aller Beteiligten erforderlich ist (§ 2 Abs. 3 Satz 3 MediationsG).1933) Dies kann gerade mit Parteien, die wenig Erfahrung mit Mediation haben, ein Problem darstellen, denn der von gerichtlichen Verfahren herrührende Reflex, die Gegenseite nicht mit „dem Richter“ alleine reden zu lassen, ist häufig sehr ausgeprägt. Es empfiehlt sich daher, diesen Punkt in der Mediationsvereinbarung explizit zu regeln, und deutlich zu machen, dass der Mediator die ihm mitgeteilten Informationen weder der Gegenseite von sich aus offenbaren darf,1934) noch diese in eine eigene Entscheidung umsetzen kann.1935) In den Einzelgesprächen kann der Mediator die Parteien bei der Einschätzung des bisherigen Verhandlungsverlaufs und ihrer Position durch einen Realitätscheck unterstützen,1936) die ohne diesen neutralisierenden Faktor in den meisten Fällen von Überoptimismus geprägt ist, oder individuelle Verhandlungsblockaden bei den Parteien aufspüren und gezielt zu lösen versuchen.1937) ___________ 1929) So die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 17/5335, 17; Klowait/Gläßer/Goltermann, MediationsG, § 4 Rn. 20. 1930) Klowait/Gläßer/Hagel, MediationsG, § 1 Rn. 8. 1931) Diop/Steinbrecher, BB 2012, 3023, 3023 f. 1932) Dies gilt auch für Mediationen mit dem sog. „Evaluative Approach“, in denen der Mediator zwar zu Einzelfragen oder auch zum Gesamtkonflikt seine fachliche Bewertung abgeben kann, jedoch nicht in der Sache entscheidet. Bei Hybridverfahren, in denen die Mediation im Falle ihres Scheiterns in ein Entscheidungsverfahren wie z. B. Arbitration (MedArb) oder Adjudication (MedAdj) übergeht, trifft der Mediator seine Entscheidung nicht mehr in seiner Funktion als Mediator, sondern als Schiedsrichter oder Adjudicator. 1933) Ausführlich zur Caucus-Mediation Eidenmüller, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, S. 18 ff. 1934) Fritz/Pielsticker/Etscheit, MediationsG, Kap. II Rn. 26. 1935) Risse, NJW 2000, 1614, 1616. 1936) Lenz, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 3.11.3, Rn. 4. 1937) Diob/Steinbrecher, BB 2012, 3023, 3025; Praxisbeispiel „Das innere Team“ von Berning/ Lenz, in: Trenczek/Berning/Lenz, Kap. 7.1.11, S. 660.
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ff) Exkurs: Collaborative Law Eine in den USA bereits verbreitete, in Deutschland jedoch noch recht un- 1355 bekannte Variation in der Verhandlungsführung stellt das sog. Collaborative Law dar, eine besondere Form der Anwaltsmediation.1938) Dies ist ein konsensorientiertes Verfahren, in dem die Rechtsanwälte der Parteien gemeinsam die Verfahrensleitung übernehmen, dabei jedoch auch weiterhin die Interessen ihrer jeweiligen Partei vertreten, sich aber zugleich auch verpflichten, die Parteien nicht außerhalb des Mediationsverfahrens, also z. B. in einem anschließenden Zivilprozess, zu vertreten (sog. Disqualifikationsklausel).1939) Dies baut bei allen Beteiligten einen zusätzlichen Lösungsdruck auf, insbesondere auch bei den teilnehmenden Anwälten, die aus wirtschaftlicher Sicht durchaus ein – freilich niemals offen geäußertes – Interesse an der Durchführung eines Nachfolgeprozesses und damit an einem Scheitern einer Mediation haben können. Diese Form der „Mediation ohne Mediator“1940) stellt erhebliche Anforde- 1356 rungen an die begleitenden Rechtsanwälte. Sie müssen nicht nur – wie als Parteivertreter im Rahmen einer klassischen Mediation – vom bisherigen Positionsdenken und kompetitiven Verhandlungsmustern Abschied nehmen, sondern darüber hinaus noch in enger Kooperation mit dem Parteivertreter der Gegenseite die Verhandlung im Interesse beider Parteien „quasimediatorisch“ führen. Diese Doppelrolle erfordert ein hohes Maß an Souveränität und Übersicht. In Betracht kommt diese Art des Verfahrens insbesondere dann, wenn der 1357 Konfliktgegenstand rechtliche Beratung auf beiden Seiten erfordert, gleichzeitig aber eine rein positionsorientierte Verhandlung von vorneherein nicht erfolgversprechend erscheint. Sofern die am Verfahren wegen der rechtlichen Implikationen sowieso eng in das Verfahren einzubeziehenden Rechtsanwälte in der Lage sind, durch kooperatives Zusammenwirken die Verhandlungen ähnlich einer Co-Mediation zu gestalten, können die Kosten für einen zusätzlichen Mediator gespart werden. Grundvoraussetzung sind aber auf alle Fälle im Cooperative Law geschulte Rechtsanwälte, die den besonderen Anforderungen dieser Verfahrensart gewachsen sind. Nicht geeignet erscheint dieses Verfahren in Fällen, in denen zur Wahrung 1358 von Ausschlussfristen unabhängig von der Mediationswilligkeit der Parteien fristwahrend Klage zu erheben ist. In diesen Fällen wären beide Parteien von vorneherein gezwungen, zwei Anwälte zu beauftragen, was die Vorteile des Collaborative Laws wieder nahezu komplett nivelliert. ___________ 1938) Hagen, in Hagen/Lenz, Pkt. 1.5, S. 18; Mähler/Mähler, in: Beck’sches RechtsanwaltsHandbuch, § 48 Rn. 45 f. 1939) Engel, ZKM 6/2013, 170, 171; siehe zum Ganzen Georg Fialka, Collaborative Law (Cooperatives Anwaltsverfahren), NetV 2006, 33 ff. 1940) Engel, ZKM 6/2013, 170, 171.
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2. Schiedsgutachten und Early Neutral Evaluation 1359 Bei allen Vorteilen und den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Mediation, die wir im vorangegangenen Abschnitt vorgestellt haben, ist es wichtig festzustellen, dass sich professionelle und handhabbare Konfliktmanagementsysteme, die für sich in Anspruch nehmen, eine systematische Zusammenfassung von Instrumenten und Prozessen zum sinnvollen Umgang mit Konflikten darzustellen, nicht nur auf ein einziges Instrument wie die Mediation beschränken können.1941) Gerade streitentscheidende Verfahren wie das Schiedsgutachten und die Neutral Early Evaluation bilden eine sinnvolle Ergänzung zum konsensualen Verfahren der Mediation. a) Begrifflichkeiten und Grundzüge 1360 Häufig sind es ganz konkrete Tatsachen- oder Rechtsfragen zu abgrenzbaren Sachverhalten, die Ausgangpunkt für umfangreiche Streitigkeiten bilden. Mit dem Instrument des Schiedsgutachtens existieren für die Parteien Möglichkeiten, ein Ausweiten von Konflikten auf niedriger Stufe durch Klärung dieser zentralen Tatsachen- oder Rechtsfragen durch einen neutralen Dritten zu verhindern.1942) 1361 In komplexen Konfliktsituationen gibt die Early Neutral Evaluation den Parteien die Möglichkeit, Ihre Positionen und Argumente in einem frühen Stadium des Konflikts durch unverbindliche Einschätzung des Falles durch einen neutralen Dritten realistisch einzuschätzen. Der Hauptunterschied zum Schiedsgutachten liegt dabei in der besonderen Schnelligkeit und Unverbindlichkeit dieses Verfahrens. aa) Schiedsgutachen 1362 Im Gegensatz zur Mediation handelt es sich bei einem Schiedsgutachten um ein evaluatives Verfahren, an dessen Ende eine Entscheidung eines neutralen Dritten über eine durch die Parteien festgelegte konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage steht. Das Ergebnis des Schiedsgutachtens ist also nicht vom Einigungswillen der Parteien abhängig, wie etwa bei einer Mediation, sondern schafft – nachdem sich die Parteien erst einmal über das „Ob“ eines Schiedsgutachtens und dessen Untersuchungsgegenstand verständigt haben – durch Bewertung der streitigen Tatsachen- oder Rechtsfrage durch einen neutralen Dritten punktuell Klarheit. Dies können die Parteien dann als Grundlage für weitere Verhandlungen oder ggf. eine anschließenden Mediation verwenden. In anderen Fällen bestimmt das Schiedsgutachten unmittelbar den Inhalt eines Anspruchs der Höhe nach und kann ohne weitere Zwischenschritte umgesetzt werden. ___________ 1941) Vgl. Stubbe, SchiedsVZ 2006, 150, 151. 1942) Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84.
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Die Parteien sind frei darin, den Entscheidungsmaßstab des Schiedsgutach- 1363 ters nach Belieben zu bestimmen. Fehlt eine solche Vorgabe, entscheidet der Schiedsgutachter nach billigem Ermessen (§ 317 Abs. 1 BGB). Sofern für die zu begutachtenden Sachverhalte normierte Richtlinien oder Bewertungsmaßstäbe und -verfahren existieren,1943) ist zu empfehlen, deren Anwendung bereits in der Schiedsgutachtervereinbarung, spätestens jedoch im Werkvertrag mit dem Schiedsgutachter so konkret wie möglich vorzugeben.1944) Für die Auswahl und die Benennung des Schiedsgutachters gilt ähnliches 1364 wie für die Auswahl eines Mediators: Können sich die Parteien nicht auf eine Person einigen, besteht die Möglichkeit, die Auswahl einer unabhängigen Stelle, wie z. B. Architekten-, Wirtschaftsprüfer-, Rechtsanwalts- oder Industrie- und Handelskammern zu übertragen. Anders als ein Mediator muss jedoch ein Schiedsgutachter selbstverständlich über besondere Sachkenntnis in dem zu bewertenden Sachverhaltsbereich verfügen. Eine gleichzeitige Beauftragung von zwei, jeweils von den Parteien vorgeschlagenen, Sachverständigen ähnlich einer Co-Mediation dürfte jedoch schon aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben und Herangehensweisen von Schiedsgutachtern einerseits und Mediatoren andererseits nur in Ausnahmefällen praktikabel sein. Hinsichtlich der Bindungswirkung des Schiedsgutachtens haben die Parteien 1365 umfassende Gestaltungsfreiheit: Das Schiedsgutachten kann bindend, einseitig bindend,1945) vorläufig bindend oder nicht bindend ausgestaltet werden.1946) Haben sich die Parteien auf ein bindendes Schiedsgutachten verständigt, sind 1366 die Feststellungen des Schiedsgutachters auch für das entscheidende Gericht in einem Folgeprozess maßgeblich, es sei denn, dass sich eine Fehlerhaftigkeit des Schiedsgutachtens in analoger Anwendung des § 319 BGB einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter bei eingehender Prüfung sofort aufdrängen muss1947) oder wenn die Ausführungen des Schiedsgutachters so lückenhaft sind, dass eine solche Prüfung nicht möglich ist.1948) Unverbindliche oder vorläufig bindende Schiedsgutachten stehen per de- 1367 finitionem in einem Folgeprozess in vollem Umfang zur Überprüfung des Gerichts und ggf. einzusetzender gerichtlicher Sachverständiger. ___________ 1943) Z. B. Wertermittlung nach der Wertermittlungsverordnung, Ertrags- oder Substanzwertverfahren, Buchwert o. Ä. 1944) Siehe auch Schwarzmann, in: Walz, Kap. 8, § 21 Rn. 27. 1945) Dies ist häufig bei formalisierten Schlichtungsstellen der Fall, z. B. Schlichtungsstelle Energie, bei denen sich die Mitgliedsunternehmen den Schiedsgutachterentscheidungen bei Streitigkeiten mit Verbrauchern einseitig unterwerfen, siehe Chatzinerantzis, in: Schulz, S. 686 Rn. 899. 1946) Stubbe, SchiedsVZ 2006, 150, 152 f. 1947) Greger, ZKM 2/2013, 43, 44; BGH MDR 1981, 1005; BGH NJW 1979, 1885; BGH MDR 1983, 839 f. = NJW 1983, 2244 f. 1948) Greger, ZKM 2/2013, 43, 44; BGH NJW 2001, 3775, 3777 = MDR 2001, 1281.
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1368 Zu beachten ist, dass auch von den Parteien als bindend vorgesehene Schiedsgutachten, sofern sie reine Rechtsfragen betreffen (also z. B. Ausführungen über die Wirksamkeit oder Auslegung bestimmter Vertragsklauseln oder AGB, die Subsumption des Sachverhalts unter gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen oder normative Wertungen enthalten), zur vollen Überprüfung des Gerichts in einem Folgeprozess stehen. Die Richter sind verpflichtet, Rechtsfragen, die Grundlage ihres Urteils werden, selbst zu bewerten.1949) 1369 Unabhängig von der vertraglich vereinbarten Bindungswirkung handelt es sich bei Schiedsgutachten grundsätzlich nicht um vollstreckungsfähige Titel. Vielmehr steht ein Schiedsgutachten lediglich einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien gleich.1950) Hierin liegt ein wesentlicher Nachteil dieses Konfliktlösungsverfahrens, der sich jedoch nur unter bestimmten Umständen auswirkt, nämlich dann, wenn der Konflikt so sehr eskaliert ist, dass sich die Partei, zu deren Ungunsten das Schiedsgutachten ausfällt, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an die Entscheidung des Schiedsgutachters halten wird. In diesen Fällen bleibt der anderen Partei zur Durchsetzung ihrer Rechte nur der Gang zum Gericht (staatliches Gericht bzw. – sofern der Vertrag eine wirksame Schiedsklausel enthält – Schiedsgericht),1951) so dass die Vorteile der Einschaltung eines Schiedsgutachters (Kosten-, Zeit- und Ressourcenschonung) nicht mehr zum Tragen kommen. bb) Early Neutral Evaluation 1370 Im Unterschied zum Schiedsgutachten befasst sich eine Early Neutral Evaluation (ENE)1952) nicht nur mit abgrenzbaren Einzelaspekten eines Konflikts. In einer ENE wird der Konflikt vielmehr in seiner Gesamtheit betrachtet und bewertet, üblicherweise jedoch in einem sehr frühen Stadium des Konflikts und auf Grundlage einer von den Parteien nicht bis ins letzte Detail aufgearbeiteten und ausgeschriebenen Tatsachen- und Rechtsdarstellung. Dabei entfaltet die Einschätzung des neutralen Dritten keine formale Bindungswirkung und dient den Parteien nur dazu, in einer möglichst frühen Phase von komplexen Konflikten eine realistische Einschätzung der Stärken und Schwächen ihrer Positionen zu erhalten, um so den weiteren Verhandlungsprozess zu unterstützen. 1371 Da der neutrale Dritte den Fall nicht nur punktuell im Hinblick auf Einzelaspekte, sondern in seiner Gesamtheit bewertet, werden in der Regel angesehene Juristen mit besonderem Fachwissen auf dem streitgegenständlichen Gebiet eingesetzt.1953) ___________ 1949) Greger, ZKM 2/2013, 43, 44. 1950) Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 86. 1951) Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 86. 1952) Mähler/Mähler, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, § 48 Rn. 10 ff. 1953) Chatzinerantzis, in: Schulz, S. 702 Rn. 966.
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Für den Ablauf des Verfahrens gibt es zwar keine allgemeine Verfahrensord- 1372 nung, so dass die Parteien das Verfahren flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse des Einzelfalls abstimmen können. In der Praxis bewährt hat sich jedoch folgende Vorgehensweise: Zunächst stellt jede Partei in einem kurzen Eingangsplädoyer ihre Sichtweise und Position des Konflikts dar. Im Folgenden hat der neutrale Dritte die Möglichkeit, durch gezielte Fragen an beide Parteien ein klares Verständnis über Streitpunkte, Argumente sowie Stärken und Schwächen der Parteienstandpunkte zu erlangen. In dieser Phase können auch Übereinstimmungen der Parteien festgehalten werden. Mit dem so erlangten Wissen über die Konfliktlage zieht sich der neutrale Dritte zurück und erstellt seine Bewertung des Falles, einschließlich seiner Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeiten für die jeweiligen Standpunkte und Argumente der Parteien. Bevor er seine Bewertung verliest, gibt er den Parteien noch einmal die Möglichkeit, sich ohne seine Einschätzung zu vergleichen. Gelingt dies nicht, verliest er seine Würdigung des Falles. Auf dieser Grundlage erfolgt ein weiterer gemeinsamer und von dem neutralen Dritten unterstützter Versuch, eine Einigung zu erzielen.1954) b) Anwendungsmöglichkeiten von Schiedsgutachten und Early Neutral Evaluation Parteien eines Gesellschaftsvertrages können für alle Fragen im Rahmen des 1373 Gesellschaftsverhältnisses die Einholung eines Schiedsgutachtens oder die Durchführung einer ENE vereinbaren, wenn sie über die streitige Tatsachen- oder Rechtsfrage verfügen können.1955) Sofern konkrete Tatsachen- oder Rechtsfragen zu abgrenzbaren Sachverhalten 1374 Kern oder Ursprung von Konflikten sind und deren Regelung der alleinigen Verfügungsbefugnis der Parteien unterliegt, bietet sich die Einholung eines Schiedsgutachtens an. Dies gilt z. B. für die Bewertung von Gesellschaftsanteilen bei Ausscheiden eines Gesellschafters und die Bestimmung der Abfindung für seinen Anteil1956) oder im Zusammenhang mit der Vererbung von Gesellschaftsanteilen. Auch Streitigkeiten über einen angemessenen Aufwendungsersatz oder im Zusammenhang mit der Gewinnfeststellung zur Festlegung der Ausschüttung von Unternehmensgewinnen sind gut für die Einholung eines Schiedsgutachtens geeignet. Ebenso können isolierte Haftungsfragen, z. B. ob eine Pflichtverletzung eines Geschäftsführers vorliegt, durch ein Schiedsgutachten entschieden werden.1957) Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Parteien an einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit interessiert sind. Ist der Konflikt dagegen bereits so verhärtet, dass abzusehen ist, ___________ 1954) Hilber, BB-Beilage Nr. 2 (zu BB 2001, Heft 16), 22, 25. 1955) Vgl. Schröder-Frerkes, in: Büchner/Groner/Häusler, Teil B. Gesellschaftsrecht, Rn. 84 m. w. N. 1956) Schwarz, in: Walz, Kap. 8, § 21 C.I.1., Rn. 52/53. 1957) Vgl. Kasolowsky/Schnabl, SchiedsVZ 2012, 84, 87.
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dass die unterlegene Partei das Ergebnis des Schiedsgutachtens nicht hinnehmen wird, treten die Nachteile dieser Form der Konfliktlösung, insbesondere die fehlende Vollstreckbarkeit in den Vordergrund. 1375 Die Early Neutral Evaluation (ENE) ist hingegen insbesondere dann sinnvoll, wenn es den Parteien aufgrund der Komplexität der Streitsituation und dem Erfordernis besonderer Sachkenntnis bei deren Bewertung – ggf. weiter verstärkt durch eine enge persönliche und emotionale Verstrickung in den Konflikt – nicht (mehr) gelingt, Stärken und Schwächen der eigenen Position und die Erfolgsaussichten realistisch einzuschätzen. Eine gerichtliche Klärung scheint in diesen Situationen aufgrund der hieraus resultierenden erheblichen Abweichung der widerstreitenden Ansichten über die Tatsachen- oder Rechtslage aus der subjektiven Sicht der Parteien häufig unausweichlich. Hier bietet die ENE eine kostengünstige und zeitsparende Möglichkeit, Positionen und Argumente sowie die jeweiligen Erfolgsaussichten durch die Einschätzung eines neutralen Dritten unter Betrachtung des gesamten Konflikts einem Realitätscheck zu unterziehen, um so unüberbrückbar erscheinende Gräben zwischen den Verhandlungspositionen zumindest soweit zu schließen, dass weitere Verhandlungen sinnvoll erscheinen. 1376 Da eine Early Neutral Evaluation der Natur nach ein kontradiktorisches Verfahren ist,1958) ist jedoch zu bedenken, dass durch sie – anders als bei einer Mediation – eher das Gegeneinander der Parteien betont wird. Diese werden während des Verfahrens geneigt sein, den neutralen Dritten für sich zu gewinnen und von der Richtigkeit ihrer Position zu überzeugen. Es besteht also insbesondere in sensiblen Bereichen das Risiko, dass sich Fronten im Zuge des Verfahrens weiter verhärten oder neue Fronten geschaffen werden, die weiteren Zündstoff für die langfristige Beziehung der Parteien schaffen könnten.1959) 3. Dispute Boards 1377 Spätestens seitdem die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) im Jahre 2010 eine Verfahrensordnung1960) für die Adjudikation erstellt hat, gibt es einen etablierten eingedeutschten Begriff für die angelsächsische Adjudication.1961) Das Verfahren der Adjudication geht auf eine weitreichende Gesetzgebungsreform im Vereinigten Königreich in den 1990er Jahren zurück.1962) Bei dem Verfahren der Adjudikation, in den USA bereits länger unter dem Namen Dispute Adjudication Board bekannt, handelt es sich um ein Konfliktbearbeitungsverfahren, in dem Mitglieder eines neutralen Expertengremiums eine vorläufig bindende Entscheidung zur Klärung der Streitigkeit trifft. ___________ 1958) Hilber, BB-Beilage Nr. 2 (zu BB 2001, Heft 16), 22, 26. 1959) Vgl. Hilber, BB-Beilage Nr. 2 (zu BB 2001, Heft 16), 22, 26. 1960) Ausführlich zur DIS-AVO Köntges/Mahnken, SchiedsVZ 2010, 310. 1961) Vgl. Schulze-Hagen, BauR 2007, 1950, und Schramke, BauR 2007 1983, 1986 zu den Diskussionen des Deutschen Baugerichtstages über die Adjudikation. 1962) The Housing Grants, Construction and Regeneration Act 1996. Vgl. hierzu Steinbrecher, Systemdesign, S. 55.
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a) Begrifflichkeiten und Grundzüge Dispute Board ist ein Oberbegriff für die verschiedenen Verfahren, bei denen 1378 ein Expertengremium aus einem oder mehreren Mitgliedern1963) eine Entscheidung über die Streitigkeit(en) der Parteien fällt. Handelt es sich bei der Entscheidung um eine rechtlich unverbindliche Empfehlung, dann bezeichnet man das Gremium als Dispute Review Board (kurz: DRB); trifft das Gremium eine – zumindest vorläufig – rechtlich bindende Entscheidung, dann nennt man das Gremium Dispute Adjudication Board (kurz: DAB). Diese Begrifflichkeiten entsprechen den Dispute Board Regeln der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) in Paris, die am 1.10.2015 in neuer und überarbeiteter Fassung erlassen wurden.1964) Seiner Grundstruktur nach ist das Dispute Board ein Streitentscheidungsver- 1379 fahren. Damit weist es Ähnlichkeiten mit dem Schiedsgutachtenverfahren auf, denn hier wie dort wird eine streitige Sach- und/oder Rechtslage durch einen sachverständigen und neutralen Dritten entschieden.1965) Da die Verfahrensregeln beim Dispute Board – anders als beim privaten Schiedsgerichtsverfahren oder staatlichen Gerichtsverfahren – wenig förmlich sind, liegt die grundsätzliche Stärke von Dispute Boards in einer frühzeitigen und schnellen Entscheidung der Streitigkeit. Umfangreiche und zahlreiche Schriftsatzrunden entfallen nämlich ebenso wie eine förmliche Beweisaufnahme. Diese Möglichkeit der frühzeitigen Streitentscheidung verhindert eine zeitliche und inhaltliche Verfestigung und Verkomplizierung der typischen Gemengelage aus streitigen Tatsachen und rechtlichen Bewertungen. Die Parteien können mithilfe eines Dispute Boards eine Eskalation der Auseinandersetzung in eine unnötige Rechtsstreitigkeit, über die gemeinhin nur (Schieds-)Gerichte entscheiden würden, vermeiden. Damit haben Dispute Boards nicht nur streitentscheidenden, sondern – praktisch relevant – präventiven Charakter. Das Wesenswerkmal von Dispute Boards ist die jederzeitige Verfügbarkeit 1380 des Entscheidungsgremiums für die Parteien. Denn typischerweise erfolgt die Auswahl und Benennung der Mitglieder des Gremiums (Boards) bereits bei Abschluss des Vertrages, welcher die Geschäftsbeziehung regelt. Die Parteien verlieren dadurch im Streitfall keine unnötige Zeit für die Besetzung ___________ 1963) Zu den Vor- und Nachteilen von einem oder drei Mitgliedern des Dispute Boards siehe Stubbe/Wietzorek, SchiedsVZ 2011, 328, 329 f. Stubbe/Wietzorek (a. a. O., 330 f.) plädieren alternativ für eine Zweierbesetzung nach dem von ihnen entwickelten „1+1Modells“. 1964) Im Internet abrufbar unter www.iccwbo.org. Die ICC Dispute Board Rules sehen nunmehr auch sog. Combined Dispute Boards vor, die hinsichtlich der Bindungswirkung der Entscheidung des Boards eine Kombination aus DAB und DRB vorsehen: die Entscheidung ist lediglich empfehlender Natur; auf Antrag einer Partei, dem die andere Partei nicht widerspricht, oder nach bestimmten Kriterien trifft das Board keine Empfehlung, sondern eine Entscheidung. Siehe hierzu im Einzelnen Artikel 6 der ICC Dispute Board Rules. 1965) Siehe oben Rn. 1373 ff.
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des Dispute Boards. Pointiert lassen sich Dispute Boards – stark vereinfachend – als „Richter auf Abruf“ beschreiben. Vor diesem Hintergrund finden Dispute Boards in der Praxis bei langfristigen und komplexen Geschäftsbeziehungen und Projekten Anwendung. In solchen Geschäftsbeziehungen sind Auseinandersetzungen nämlich unausweichliche Realität und die Parteien haben ein Interesse daran, dass Streitigkeiten und deren Beilegung die termingerechte Vertragsabwicklung nicht beeinträchtigt oder gar lahmlegt. 1381 Hinzu kommt ein ganz praktischer Vorteil: wenn das Dispute Board von Beginn an integraler Bestandteil der Vertragsabwicklung ist, dann sind seine Mitglieder auf dem Laufenden und mit den relevanten Einzelheiten des Vertrages und seiner Abwicklung vertraut; nur dann können sie – der Grundidee eines Dispute Boards entsprechend – schnell und praktisch umsetzbare Entscheidungen zur Beilegung der Streitigkeit treffen, so dass die sonstige Vertragsabwicklung geringstmöglich tangiert wird. 1382 Möglich ist es aber auch, dass das Dispute Board ad hoc von den Parteien eingesetzt wird. Das hat den wirtschaftlichen Vorteil, dass den Parteien keine Kosten für die „Bereithaltung“ der Mitglieder des Dispute Boards entstehen. Die Schwierigkeit liegt allerdings in dieser Verfahrensvariante darin, dass die Parteien Zeit und Energie dafür aufwenden müssen, geeignete Board-Mitglieder zu identifizieren, auszuwählen und zu benennen.1966) Dieser Prozess kann Wochen, wenn nicht gar mehrere Monate in Anspruch nehmen. 1383 Für das Grundverständnis von Dispute Boards ist der bereits eingangs erwähnte Aspekt bedeutsam: die Bindungswirkung der Entscheidung eines Dispute Boards. Den Parteien stehen prinzipiell zwei Varianten zur Auswahl: entweder sie vereinbaren, dass die Entscheidung des Dispute Boards empfehlend ist.1967) Oder sie verständigen sich darauf, dass die Entscheidung des Dispute Boards rechtlich bindend ist.1968) In der Praxis hat sich bezüglich der zweiten Varianten die Regel etabliert, dass die Bindungswirkung nur vorläufig ist; die Parteien müssen nämlich binnen einer festzulegenden Frist der Entscheidung des Dispute Boards widersprechen, andernfalls wird die Entscheidung endgültig bindend.1969) 1384 Der typische Verfahrensablauf von Dispute Boards lässt sich zur einfachen Veranschaulichung wie folgt zusammenfassen1970): Die Parteien vereinbaren vertraglich die Durchführung eines permanenten oder ad hoc Dispute Boards (z. B. nach Maßgabe der Musterklausel der ICC Dispute Board Rules). ___________ x
1966) Köntges/Mahnken, SchiedsVZ 2010, 310, 315. 1967) Siehe Art. 4 der ICC Dispute Board Rules. 1968) Siehe Art. 5 der ICC Dispute Board Rules. 1969) Siehe Art. 5 Nr. 3 und 5 der ICC Dispute Board Rules. 1970) Die nachfolgende, stark vereinfachte Darstellung basiert auf den ICC Dispute Board Rules.
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Die Parteien benennen die Mitglieder des Dispute Boards.
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Die benannten Mitglieder des Dispute Boards schließen jeweils mit allen Parteien einen Vertrag über die Tätigkeit als Dispute Board (sog. Dispute Board Member Agreement).
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Eine Partei leitet das Verfahren durch Übermittlung seiner Fallbeschreibung (sog. Statement of Case) an die Gegenpartei ein, wobei die Gegenpartei darauf binnen 30 Tagen antworten muss.
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Bei einem permanenten Dispute Board sind die Parteien verpflichtet, die Mitglieder des Dispute Boards fortwährend über die Vertrags- oder Projektabwicklung informiert zu halten und mit den Dispute-Board-Mitgliedern zu kooperieren, damit das Dispute Board jederzeit arbeitsfähig ist.
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Die Mitglieder des Dispute Boards führen zu diesem Zweck persönliche, telefonische oder Video-Besprechungen mit den Parteien oder besuchen die Parteien, soweit möglich, an den jeweiligen für die Vertrags- oder Projektabwicklung relevanten Standorten. Diese Besprechungen sind von den Mitgliedern des Dispute Boards zu protokollieren. Außerhalb dieser Besprechungen können die Parteien mit dem Dispute Board in vereinbarter Form schriftlich oder elektronisch kommunizieren.
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Das Dispute Board ist berechtigt, die Verfahrenssprache festzulegen, relevante Unterlagen von den Parteien einzufordern, zu Besprechungen einzuladen sowie die Parteien, ihre Vertreter bzw. Verfahrensbevollmächtigten und Zeugen anzuhören, Sachverständige auszuwählen sowie Verfahrensverfügungen zu erlassen (sog. procedural orders) und Empfehlungen bzw. (vorläufig oder endgültig bindende) Entscheidungen zum Streitgegenstand zu treffen.
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Die Mitglieder des Dispute Boards hören die Parteien an und entscheiden anschließend in der Regel binnen 90 Tagen nach Einleitung des Verfahrens, wobei Inhalt und Bindungswirkung der Entscheidung – wie bereits erläutert – beim DAB, DRB und CDB variieren. Die Parteien können vereinbaren, dass die Entscheidung des Dispute Boards vor Bekanntmachung vom International Centre for ADR der ICC zu überprüfen ist.
b) Anwendungsmöglichkeiten von Dispute Boards Sinn und Zweck von Dispute Boards ist die frühzeitige und schnelle Streit- 1385 entscheidung in Auseinandersetzungen mit dem Ziel der geringstmöglichen zeitlichen und inhaltlichen Beeinträchtigung des zugrunde liegenden auf eine gewisse Dauer angelegten Vertrages. Somit eignen sich Dispute Boards grundsätzlich für eine Vielzahl von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, insbesondere bei Konflikten zwischen Gesellschaftern. Denn die Gesellschafter vereinbaren typischerweise die auf gewisse Dauer angelegte Zusammenarbeit zur Erfüllung des Gesellschaftszwecks. Paradebeispiel dürften insoweit Strei-
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tigkeiten von den Gesellschaftern eines Gemeinschaftsunternehmens, eines Konsortiums oder einer Arbeitsgemeinschaft sein. Denn in diesen Fallkonstellationen kann eine frühzeitige und schnelle Entscheidung oder Empfehlung des Dispute Boards verhindern, dass die Streitigkeiten unnötig Eskalieren und zu einer tatsächlichen und rechtlichen Gemengelage führt, die bei einer jahrelangen gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Auseinandersetzung, die erfolgreiche operative Arbeit an dem zugrunde liegenden Projekt nachhaltig stört oder gar paralysiert. 1386 Gleiches gilt für Gesellschaften, die konzernverbunden sind. Wenngleich diese Gesellschaften in aller Regel rechtlich selbständig sind und – je nach konkreter Ausgestaltung – auch mehr oder weniger wirtschaftlich und organisatorisch selbständig agieren, liegen ihre Zwecke und Interessen zumindest auch in der Erfüllung der übergeordneten Zwecke und Interessen der Konzerngesellschaft. Aus Sicht der Konzerngesellschaft ist es daher kaum opportun, wenn ihre konzernverbundenen Gesellschaften Auseinandersetzungen vor privaten Schiedsgerichten oder staatlichen Gerichten führen, auch wenn dies aufgrund ihrer juristischen Eigenständigkeit prozessrechtlich zulässig wäre. Daher bietet sich das Dispute Board sowohl für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen konzernverbundenen Gesellschaften als auch für die Entscheidung von Auseinandersetzungen zwischen Konzerngesellschaft und ihren verbundenen Gesellschaften an. 1387 Während die Mediation praktisch nahezu universell geeignet ist, um gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzungen schnell, vertraulich und interessenorientiert außergerichtlich beizulegen, dürfte der praktische Anwendungsbereich von Dispute Boards zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten kleiner sein. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass es sich bei Dispute Boards mehr um ein streitentscheidendes als ein konsensuales Konfliktbearbeitungsverfahren handelt. Der Streitgegenstand sollte daher einer Entscheidung zugänglich sein, sei es in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht.1971) 1388 Hinzu kommt, dass der Streitgegenstand einen gewissen tatsächlichen (beispielsweise technischen oder wirtschaftlichen) und/oder juristischen Komplexitätsgrad haben sollte; denn nur dann lohnt sich die Investition der Parteien in ein Entscheidungsgremium, welches mit Experten besetzt ist. Angesichts dessen erscheinen Dispute Boards eher ungeeignet zur Entscheidung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gesellschafterversammlung oder Konflikten zwischen Aktionären bzw. zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft. ___________ 1971) Dieser Aspekt dürfte praktisch weniger ins Gewicht fallen, wenn die Parteien vereinbaren, dass die Entscheidung des Dispute Boards lediglich empfehlend und damit rechtlich nicht bindend ist. Denn sofern die Parteien nicht vereinbaren, der Empfehlung zu folgen, wird es erforderlich sein, dass die Parteien auf der Basis der Empfehlung ein weiteres außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren (z. B. Verhandeln oder Mediation) durchführen oder aber eine rechtlich bindende Entscheidung einholen, indem ein privates Schiedsgerichtsverfahren oder ein staatliches Gerichtsverfahren eingeleitet wird.
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Folglich dürften die Fälle, in denen vereinbart wird, eine Beschlussmängelstreitigkeit von einem Dispute Board zu entscheiden, die Ausnahme bleiben.1972) Es gibt allerdings auch gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, bei denen Dispute 1389 Boards nicht anwendbar sind. Das gilt, wie im Rahmen der Darstellung der Mediation bereits erläutert,1973) für Ansprüche, die nicht zur (alleinigen) Disposition der Parteien stehen, z. B. aus Gründen des Gläubigerschutzes. Dies gilt für Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft über die Höhe der Bareinlage nach verdeckter Sacheinlage, über die Differenzhaftung bei Überbewertung der Sacheinlage (§ 9 GmbHG) oder über die Ausfallhaftung für anders nicht aufzubringende Einlagen (§ 24 GmbHG) sowie für Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer (§ 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) oder gegen die Gesellschafter und Geschäftsführer (§ 9a GmbHG). Ein Verzicht oder Vergleich über diese Ansprüche ist gem. § 9b GmbHG nämlich dann unwirksam, wenn sie zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sind.1974) 4. Mini-Trial Noch weithin unbekannt in Deutschland ist das Verfahren des Mini-Trial. 1390 Der Begriff geht auf eine Wortschöpfung eines Redakteurs der New York Times in den USA zurück, der über eine Patentrechtsstreitigkeit zweier Unternehmen berichtete.1975) Wesensmerkmal des Mini-Trials ist, dass Vertreter der in Streit befindlichen Parteien an der Entscheidungsfindung unmittelbar mitwirken. Wie sich zeigen wird, ist die Grundstruktur des Mini-Trial-Verfahrens mit der von Dispute Boards vergleichbar. a) Begrifflichkeiten und Grundzüge Beim Mini-Trial handelt es sich ebenfalls um ein Streitentscheidungsverfahren. 1391 Anders als bei einem Dispute Board sind die Mitglieder des Entscheidungsgremiums keine neutralen Experten, sondern Entscheidungsträger aus den am Streit beteiligten Unternehmen.1976) Anders als der Begriff des MiniTrials nahe legt, handelt es sich bei diesem Verfahren nicht (nur) um ein „kleines Gerichtsverfahren“. Das Verfahren des Mini-Trials verbindet vielmehr Elemente der Prozessrisikoanalyse, der Early Neutral Evaluation, mit Vergleichsverhandlung. Der Ansatz des Mini-Trials ist es, den Entscheidungsträgern der streitenden Parteien die Gelegenheit zu geben, auf der Basis einer neutralen Einschätzung zum wahrscheinlichen Ausgang des über den Streitgegenstand ___________ 1972) Zur Anwendung der Mediation auf Beschlussmängelstreitigkeiten siehe oben unter Rn. 1344 ff. 1973) Siehe oben Rn. 1338. 1974) Töben, RNotZ 2013, 321, 337. 1975) Mähler/Mähler, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 10. Aufl., § 47 Rn. 12. 1976) Steinbrecher, Systemdesign, S. 55.
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möglicherweise noch zu führenden (Schieds-)Gerichtsverfahrens Vergleichsverhandlungen zu führen.1977) Die Einschätzung des Mini-Trial-Gremiums ist folglich nicht rechtlich bindend, sondern lediglich empfehlend. 1392 Der Name „Mini-Trial“1978) bringt zum Ausdruck, wie die Einschätzung des Mini-Trial-Gremiums zustande kommt: in einem (kleinen) Quasi-Gerichtsverfahren, in dem die Unternehmensjuristen oder externen Rechtsanwälte der Parteien in Anwesenheit der Entscheidungsträger ihre Tatsachen- und Rechtsansichten vortragen, wobei eine Beweisaufnahme zu den strittigen Tatsachen in der Regel nicht erfolgt. Die Mitglieder des Mini-Trial-Gremiums ziehen sich nach den komprimierten Parteivorträgen üblicherweise zu einer (kurzen) Beratung zurück und Verkünden anschließend ihr Votum. Die Ähnlichkeiten zum Verfahren der Early Neutral Evaluation1979) sind evident. Das Mini-TrialGremium kann nicht nur seine Einschätzung zur Sach- und Rechtslage abgeben, sondern auch mit Zustimmung der Parteien die anschließenden Vergleichsverhandlungen der Parteien moderieren. 1393 Anders als im Verfahren der Early Neutral Evaluation oder Dispute Boards, ist das Mini-Trial-Gremium nicht mit unabhängigen, neutralen Dritten besetzt, sondern mit hochrangigen Entscheidungsträgern der streitenden Parteien.1980) Ihre Neutralität basiert darauf, dass sie trotz Zugehörigkeit zu den Streitparteien bislang nicht in die Verhandlungen oder andere Verfahren der Streitbeilegung in der betreffenden Auseinandersetzung involviert gewesen sind. Da sie hochrangige Unternehmensvertreter (z. B. Bereichsleiter, Geschäftsführer oder Vorstand) sind, ist zudem gewährleistet, dass sie zumindest eine gewisse Distanz zum betreffenden Streit und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt haben. 1394 In der US-amerikanischen Praxis ist es üblich, dass dem Mini-Trial-Gremium auch ein unabhängiger, neutraler Experte angehört, der dem Gremium vorsitzt.1981) Dies bietet sich aus zwei Gründen an: einerseits erhöht dies die Neutralität des Mini-Trial-Gremiums und dessen fachliche Expertise; andererseits besteht dadurch das Gremium typischerweise aus drei Mitgliedern, nämlich jeweils einem Parteivertreter und dem neutralen Dritten. Dadurch kann das Mini-Trial-Gremium Mehrheitsentscheidungen treffen, falls eine einstimmige Entscheidung aller Mitglieder des Gremiums nicht zustande kommt.
___________ 1977) Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, S. 252. 1978) Erstmalig durchgeführt wurde – laut Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, S. 252 Fn. 18 – ein Mini-Trial zur Beilegung eines Patentrechtsstreits zwischen den US-amerikanischen Unternehmen Telecredit, Inc., und TRW, Inc. 1979) Siehe oben Rn. 1370 ff. 1980) Vgl. Mähler/Mähler, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 10. Aufl., § 47 Rn. 12. 1981) Vgl. die Mini-Trial Procedures der American Arbitration Association (AAA).
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Führt der Mini-Trial nicht zur Beilegung der Streitigkeit, sei es indem die 1395 Parteien mit oder ohne Unterstützung des Mini-Trial-Gremiums oder dessen Vorsitzenden eine vergleichsweise Einigung erzielen oder aber die Entscheidung des Gremiums direkt zum Inhalt einer Vergleichsvereinbarung machen, dann steht es den Parteien frei, die Streitigkeit in einem anderen ADRVerfahren zu bearbeiten oder (schieds-)gerichtlich endgültig und rechtsverbindlich entscheiden zu lassen.1982) Der typische Verfahrensablauf eines Mini-Trial lässt sich zur einfachen Ver- 1396 anschaulichung wie folgt zusammenfassen1983): x
Die Parteien vereinbaren vertraglich die Durchführung eines Mini-Trial.
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Die Parteien benennen jeweils einen Entscheidungsträger als Mitglied des Mini-Trial; zudem einigen sich die Parteien auf einen neutralen Dritten als Vorsitzenden des Mini-Trial-Gremiums.
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Die Parteien tauschen schriftsätzliche Stellungnahmen zum jeweiligen Streitfall aus.
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Die Parteien präsentieren dem Mini-Trial-Gremium in einer Anhörung ihre Einschätzung zur Sach- und Rechtslage.
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Auf der Basis dieser Anhörung diskutieren bzw. verhandeln die Entscheidungsträger der Parteien als Mitglieder des Mini-Trial mögliche Ergebnisse für eine vergleichsweise Einigung der Parteien. Auf Verlangen teilt der neutrale Dritte als Vorsitzender des Mini-Trial den Entscheidungsträgern seine Einschätzung mit; auf dieser Grundlage können die Entscheidungsträger ihre Verhandlungen fortführen.
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Die Entscheidungsträger erzielen entweder eine Vergleichsvereinbarung oder bitten den neutralen Dritten als Vorsitzenden um Vermittlung.
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Können die Entscheidungsträger mit Unterstützung des neutralen Dritten keine vergleichsweise Einigung erzielen, dann können die Parteien den Mini-Trial entweder ergebnislos beenden oder aber die Streitigkeit in einem anderen ADR-Verfahren bearbeiten oder eine (schieds-)gerichtliche Entscheidung über die Streitigkeit herbeiführen.
b) Anwendungsmöglichkeiten von Mini-Trials Das Verfahren des Mini-Trials eignet sich grundsätzlich zur Klärung von allen 1397 gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, auf die auch Dispute Boards anwendbar sind.1984) ___________ 1982) Vgl. Ziffer 8 der AAA Mini-Trial Procedures. 1983) Die nachfolgende, stark vereinfachte Darstellung basiert auf den AAA Mini-Trial Procedures. 1984) Siehe oben Rn. 1377 ff.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten
1398 Besonders vielversprechend ist die Anwendung dementsprechend bei Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern bzw. zwischen Gesellschafter und Gesellschaft. 1399 Im Vergleich zu Dispute Boards liegt der praktische Nutzen von Mini-Trials besonders in der Entscheidung von (betriebs-)wirtschaftlichen oder technischen Sachkonflikten. Dies folgt daraus, dass Entscheidungsträger der Streitparteien unmittelbar an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Je weniger diese Sachkonflikte einer rein juristischen Beurteilung zugänglich sind, desto interessengerechter wird es für die streitenden Parteien sein, dass neutrale Vertreter der Parteien selbst eine empfehlende Entscheidung treffen und die Verhandlungen der Parteien auf dieser Basis moderieren. Aber auch in stark gesellschaftsrechtlich geprägten Streitigkeiten, etwa bei Streitigkeiten der Gesellschafter über die Tätigkeit der Geschäftsführer, Konflikte im Zusammenhang mit dem Ausschluss eines Gesellschafters, Konflikte bei Liquidation oder Veräußerung der Gesellschaft, Unklarheiten im Zusammenhang mit der Ausschüttung von Unternehmensgewinnen oder Konflikte zwischen Großund Kleinaktionären, ist der Mini-Trial aufgrund seines Verfahrensablaufs praktisch sinnvoll. Denn er bietet den Parteien die Möglichkeit, die eigene Rechtsauffassung neutral und kritisch hinterfragen zu lassen. Der Mini-Trial zielt auf eine fundierte und begründete Prozessrisikoanalyse ab, weil die Mitglieder des Entscheidungsgremiums in ihrer Meinungsbildung berücksichtigen, wie die Erfolgsaussicht der divergierenden Rechtsansichten der Parteien vor einem staatlichen Gericht oder privaten Schiedsgericht zu bewerten ist. Es ist dieser juristische Realitätstest, der die Parteien dazu bewegen kann, im Rahmen eines Mini-Trials eine vergleichsweise Einigung zu erzielen, anstatt ein langwieriges, teures und unvorhersehbares (Schieds-)Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang zu führen. 1400 Ebenso wenig wie Dispute Boards ist der Mini-Trial für all diejenigen gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten geeignet, bei denen es um gesellschaftsrechtliche Ansprüche geht, die nicht zur (alleinigen) Disposition der Parteien stehen.1985) IV. Ausblick in die Zukunft: Von Corporate Litigation zu Corporate Dispute Management 1401 Die bisherigen Ausführungen haben veranschaulicht, dass es eine Vielzahl von unterschiedlichen außergerichtlichen Verfahren der Streitbeilegung gibt, mit deren Hilfe Parteien ihre gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen beilegen können. Dass dies im Einzelfall – im Vergleich zur Durchführung eines privaten Schiedsgerichtsverfahrens oder staatlichen Gerichtsverfahrens – immense Kosten und Zeit spart, dürfte auch dem größten Kritiker von ADRVerfahren einleuchten. Die Bereitschaft, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten ___________ 1985) Siehe oben Rn. 1389.
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E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management
zunächst in ADR-Verfahren zu bearbeiten, bevor ein Zivilprozess oder Schiedsverfahren eingeleitet wird, erfordert ein aktives Umdenken in den Köpfen der Gesellschaftsorgane, der Gesellschafter und der sie beratenden Rechtsanwälte. Sie dürfen die gesellschaftsrechtliche Streitigkeit nicht als einen Entscheidungsgegenstand, sondern sollten die gesellschaftsrechtliche Streitigkeit als Gestaltungsgegenstand begreifen.1986) In dem so verstandenen Sinne können die Parteien also gestalten, dass ein Konflikt, der gesellschaftsrechtlich beurteilbar ist, nicht zwingend eine gesellschaftsrechtliche Entscheidung durch ein Gericht oder Schiedsgericht erfordert. Jede gesellschaftsrechtliche Rechtsstreitigkeit resultiert aus einem Interessenkonflikt im Zusammenhang mit einer bestimmten Gesellschaft im weitesten Sinne. Aber nicht jeder dieser Konflikte muss zu einer gesellschaftsrechtlichen Streitigkeit vor Gericht eskalieren. Entscheidend ist zu verstehen, dass die Eskalation eines Konflikts hin zu einer Corporate Litigation das Ergebnis von ausgeübter Gestaltungsfreiheit der betroffenen Parteien und der sie beratenden Rechtsanwälte ist. Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag vereinbaren, dass zunächst einzelne oder mehrere ADR-Verfahren erfolglos bleiben müssen, bevor ordentliche Klage oder Schiedsklage erhoben werden darf.1987) Auf diese Weise können die Parteien sicherstellen, dass ein staatliches Gerichtsverfahren oder ein privates Schiedsgerichtsverfahren immer nur die ultima ratio ist.1988) Dies setzt allerdings voraus, dass die Parteien überhaupt wissen, welche ADR- 1402 Verfahren zur Beilegung von gesellschaftsrechtlichen Konflikten geeignet sind. Zudem müssen Parteien wissen, wie diese ADR-Verfahren in der Praxis funktionieren. Erst dann können sie ihre Gestaltungsfreiheit in gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen auch konkret anwenden. Dies erfordert vor allem von den Rechtsanwälten, die Gesellschaften und Gesellschafter beraten und in Streitbeilegungsverfahren vertreten, Aufklärungsarbeit gegenüber ihren Mandanten. Denn es dürfte illusorisches Wunschdenken sein, dass ein Geschäftsführer einer mittelständischen Gesellschaft, der aus guten Gründen über keinerlei Kenntnisse über ADR-Verfahren verfügt, alleine auf die pragmatische und interessengerechte Idee kommt, im Streitfall zunächst eine Klärung in einer Mediation, in einem Dispute Board oder durch ein Schiedsgutachten zu erreichen. Und erst wenn diese Verfahren die gesellschaftsrechtliche Streitigkeit nicht beilegen können, bleibt im Zweifel keine andere Wahl, als die gesellschaftsrechtliche Streitigkeit (schieds-)gerichtlich entscheiden zu lassen. ___________ 1986) Vgl. Steinbrecher, Systemdesign, S. 299: „ein Konflikt ist kein Entscheidungs-, sondern ein Gestaltungsgegenstand“. 1987) Umfassend zu Eskalationsklauseln Arntz, Eskalationsklauseln: Recht und Praxis mehrstufiger Streiterledigungsklauseln, 2013, sowie ders., RIW 2014, 801 ff. 1988) Ausführlich zum Spannungsverhältnis zwischen ADR-Verfahren und staatlicher Justizgewährleistung siehe Papier, IWRZ 2016, 14 ff. Zum Verhältnis der Außergerichtlichen Streitbeilegung und gerichtlichen Streitentscheidung siehe auch Hirsch/Gerhardt, ZRP 2016, 28 ff.
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Teil 3 M&A-Streitigkeiten
1403 Die Wahl des geeigneten ADR-Instruments ist für die effektive Streitbeilegung genauso wichtig wie die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Konflikt selber. Sofern die Parteien nicht selbst über die notwendige Erfahrung im Umgang mit den zur Verfügung stehenden ADR-Verfahren verfügen bzw. nicht (mehr) in der Lage sind, sich über das geeignete Verfahren zu verständigen – was sehr häufig der Fall ist, sobald der Konflikt erst einmal aufgebrochen ist –, bietet die seit dem 1.5.2010 gültige Konfliktmanagementordnung (kurz KMO) der DIS1989) hierfür ein effizientes und unaufwändiges Instrument zur Auswahl des für den konkreten Konflikt geeigneten ADR-Verfahrens. 1404 Auf Antrag der Parteien (auch ein einseitiger Antrag ist möglich, erforderlich ist dann aber eine schriftliche Einverständniserklärung der anderen Partei, § 1, Ziff. 1.2 DIS-KMO) bestellt der Generalsekretär der DIS einen Konfliktmanager, nachdem er die Parteien formlos angehört hat, wobei er ggf. deren übereinstimmenden Wünsche berücksichtigt. In dem dann folgenden Erörterungstermin bestimmen die Parteien unter fachkundiger Anleitung des Konfliktmanagers das geeignete Verfahren für die Konflikterledigung und erstellen gemeinsam einen Konfliktmanagementplan. Eng gesteckte Fristen der DIS-KMO sorgen dafür, dass das Konfliktmanagementverfahren nicht als reine Verzögerungstaktik missbraucht wird.1990) 1405 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Begriff der Corporate Litigation in Bezug auf die Streitbeilegung im Gesellschaftsrecht zu eng gefasst ist und durch den Begriff des Corporate Dispute Managements zu ersetzen ist. 1406 Unternehmen müssen ihre gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten effizient und effektiv gestalten – neudeutsch: managen. Sie müssen die Risiken, die aus gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten resultieren, minimieren und die daraus erwachsenen Chancen maximieren.1991) Das gelingt nur, wenn das gesamte Spektrum an außergerichtlichen und gerichtlichen Streitbeilegungsverfahren ausgeschöpft wird. Zudem müssen die Parteien- idealerweise gemeinsam – eine informierte Entscheidung über die Auswahl des für den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Konflikt bestgeeigneten Streitbeilegungsverfahrens treffen.1992) Diese Auswahl kann im Konfliktfall ad hoc von den Parteien getroffen werden. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass es ungleich schwieriger ist, sich auf ein ADR-Verfahren zu verständigen, wenn die Streitigkeit bereits ausgebrochen ist. Zielführender ist es, die Verfahrensauswahl entweder während der Vertragsgestaltung mithilfe von vertraglichen Eskala___________ 1989) http://www.disarb.org/de/16/regeln/dis-konfliktmanagementordnung-10-kmo-id18. 1990) Siehe ausführlich zum Ganzen Scherer, SchiedsVZ 2010, 122 ff. 1991) Vgl. das Zitat von Edward Dauer: „Winning a lawsuit is not the goal. Minimizing risks and maximizing profit is.” Den Zusammenhang von Konfliktmanagement und Risikomanagement bei Kapitalgesellschaften erläutert ausführlich Knobloch, in: Gläßer/ Kirchhoff/Wendenburg, S. 375 ff. 1992) Instruktiv zur Systematik der Verfahrensauswahl Hagel/Steinbrecher, in: Gläßer/ Kirchhoff/Wendenburg, S. 53 ff.
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E. Moderne ADR-Verfahren – Corporate Dispute Management
tionsklauseln1993) oder vertraglich zu vereinbaren, im Konfliktfall die Verfahrensauswahlentscheidung mit Hilfe eines neutralen Dritten zu treffen.1994) Die beratenden Anwälte haben hierbei eine zentrale Rolle und Verant- 1407 wortung. Sie haben nicht nur berufsrechtlich die Aufgabe, ihre Mandanten „konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten“ (§ 1 Abs. 3 BORA). Sie müssen ihre Mandanten daher auch in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten darüber informieren, dass es außergerichtliche Verfahrensalternativen gibt. Der (vorschnelle) Gang zu Gericht sollte daher auch bei gesellschaftsrecht- 1408 lichen Streitigkeiten die Ausnahme von der Regel bleiben. Denn wie die obigen Ausführungen zeigen, gibt es eine Vielzahl von außergerichtlichen Verfahren, die im Erfolgsfall schnell, kostengünstig, interessengerecht und frei von Kollateralschäden und Nebenkriegsschauplätzen den konkreten gesellschaftsrechtlichen Konflikt klären können. Corporate Litigation findet dann nur statt, wenn im Interesse zumindest einer Partei die (schieds-)gerichtliche Entscheidung zwingend erforderlich ist.
___________ 1993) Ausführlich hierzu siehe Fn. 1985. 1994) Siehe hierzu die seit 1.5.2010 gültige Konfliktmanagementordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), wonach ein Konfliktmanager die Parteien bei der Verfahrensauswahlentscheidung unterstützt; instruktiv dazu Scherer, SchiedsVZ 2010, 122. Eine ähnliche Dienstleistung bitte die Internationale Handelskammer (ICC) im Rahmen der ICC ADR-Rules an; ausführlich dazu Tümpel, in: Gläßer/Kirchhoff/ Wendenburg, S. 93 ff.
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Teil 4 Restrukturierung A. Organhaftung in Krise und Insolvenz I. Einleitung Luidger Röckrath
In der Krise einer Gesellschaft treffen die Geschäftsleiter eines Unternehmens 1409 besondere Sorgfaltspflichten. Bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes müssen sie ihr Handeln primär an den Interessen der Gläubiger ausrichten, um im Insolvenzfall eine bestmögliche Befriedigung aller Gläubiger sicherzustellen. Werden diese Pflichten verletzt, droht den Geschäftsleitern persönliche Haftung. Zentral ist das Zahlungsverbot bei materieller Insolvenzreife. Ansprüche wegen 1410 Verletzung des Zahlungsverbots sind wegen der relativ geringen Voraussetzungen und der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für Insolvenzverwalter vergleichsweise einfach geltend zu machen. Da oft eine D&O-Versicherung zugunsten der Geschäftsleiter besteht, ist die erfolgreiche Geltendmachung zur effektiven Massemehrung geeignet. Gerade bei der Insolvenz kleiner und mittlerer Unternehmen werden fast immer und nicht selten erfolgreich Ansprüche wegen Verletzung des Zahlungsverbots gegen Geschäftsleiter geltend gemacht. Bei den größten Insolvenzen ist das Bild etwas anders, da sich die Organmitglieder in der Krise eher durch Anwälte und/oder Wirtschaftsprüfer zu der Frage beraten lassen, ob Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt und daher die Pflicht besteht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Derartige Haftungsfälle sind zwar wenig spektakulär und über sie wird kaum 1411 in der allgemeinen Presse berichtet. Das Haftungsrisiko ist aber beträchtlich und wird von Geschäftsleitern trotz offenkundiger Krise oft nicht ernst genug genommen. Vielmehr wird in der Krise oft in einer Weise agiert, die das Haftungsrisiko geradezu heraufbeschwört, falls sich die Hoffnung auf Rettung als trügerisch erweist. II. Einführung in die zentralen einschlägigen Anspruchsgrundlagen 1. Erstattung von unter Verstoß gegen das Zahlungsverbot geleisteten Zahlungen Zentral ist das bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer Kapitalge- 1412 sellschaft (GmbH/AG) oder einer Personengesellschaft, bei der kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, geltende Zahlungsverbot. Sie richten sich an die Geschäftsführer einer GmbH (§ 64 Satz 1 GmbHG), die Vorstandsmitglieder einer AG (§ 92 Abs. 2 Satz 1 AktG) und die organschaftlichen Vertreter juristischer Personen, die ihrerseits vertretungsberechtigte Gesellschafter einer Personen(handels)gesellschaft sind (§§ 130a Abs. 1 Satz 1, 177a
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Teil 4 Restrukturierung
Satz 1 HGB). Die Anwendbarkeit auf EU-Auslandsgesellschaften und deren Organe hat der EuGH zuletzt bestätigt.1995) a) Insolvenzreife als Voraussetzung des Zahlungsverbots 1413 Mit dem Eintritt eines Insolvenzgrundes (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) ist es Geschäftsleitern grundsätzlich verboten, weitere Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu tätigen. 1414 Die Zahlungsverbote greifen ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung ein. Auch wenn die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen laufender und nicht aussichtsloser Sanierungsbemühungen nach § 15a Abs. 1 InsO für bis zu drei Wochen suspendiert sein kann, haben die Geschäftsleiter bereits die Pflicht, das Gesellschaftsvermögen für den Fall des Scheiterns der Sanierungsbemühungen im Interesse der Gläubiger zu sichern.1996) Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens sollen verhindert und bei Verstößen gegen das Zahlungsverbot wieder rückgängig gemacht werden. aa) Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO 1415 Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). 1416 Die Fälligkeit bestimmt sich grundsätzlich nach den zivilrechtlichen Regeln (§ 271 BGB). Gestundete Forderungen sind nicht fällig. Insolvenzrechtlich ist zusätzlich erforderlich, dass die Leistung durch den Gläubiger ernsthaft eingefordert wird. Dazu reicht es aber aus, „wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt.“1997) Hält der Gläubiger nur deswegen still, weil er befürchtet, im Insolvenzfall nur eine geringe Quote zu erhalten, beseitigt dies die Fälligkeit in der Regel nicht. 1417 Grund der Nichtzahlung muss ein objektiver Mangel an Zahlungsmitteln sein. Kennt der Geschäftsleiter die Verbindlichkeit nicht oder übersieht er den Zahlungstermin versehentlich, bleibt dies außer Betracht. Ebenso, wenn er die Forderung für unbegründet hält. 1418 Die Zahlungsunfähigkeit ist von der bloßen Zahlungsstockung abzugrenzen. Kann eine Liquiditätsunterdeckung voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit behoben werden, liegt lediglich eine Zahlungsstockung vor. Maßgeblicher Zeit___________ 1995) EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-594/14, ZIP 2015, 2468; nach BGH, Vorlagebeschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68; BGH, Urt. v. 15.3.2016 – II ZR 119/14, ZIP 2016, 821; vgl. dazu Servatius, DB 2015, 1087; Mock, IPrax 2016, 237; Mankowski, NZG 2016, 281. 1996) Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 394. 1997) BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666, 1668 (Rn. 18).
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raum zur Beseitigung ist die Insolvenzantragsfrist von drei Wochen. Bei der Prognose („voraussichtlich“) werden den fälligen Verbindlichkeiten die innerhalb von drei Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit verfügbaren Mittel gegenübergestellt. Der Schuldner erhält also die Möglichkeit, durch kurzfristige Einnahmen, Kreditaufnahme oder Liquidierung von Vermögenswerten die bereits fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. In die Bewertung fließen dann aber auch die binnen dieser drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten mit ein. Schließlich gibt es eine Wesentlichkeitsschwelle. Die Rechtsprechung geht 1419 von einem Schwellenwert von 10 % der Gesamtverbindlichkeiten aus. Eine Überschreitung der 10 % Grenze löst eine widerlegliche Vermutung aus. Eine Widerlegung der Vermutung ist in der Regel möglich, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine (nahezu) vollständige Beseitigung der Liquiditätslücke in überschaubarer Zeit zu erwarten und den Gläubigern ein Zuwarten billigerweise zumutbar ist.1998) Spiegelbildlich wird auch unterhalb dieser Schwelle von 10 % eine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen sein, wenn deren Beseitigung über einen längeren Zeitraum nicht absehbar ist. Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit bedarf es einer Liquiditätsbilanz. 1420 Die am Stichtag verfügbaren und innerhalb der Karenzzeit von drei Wochen voraussichtlich zufließenden Mittel werden den am Prüfungsstichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt.1999) Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO wird Zahlungsunfähigkeit vermutet, wenn die 1421 Zahlungen eingestellt werden. Die Zahlungseinstellung lässt sich nicht durch den Nachweis einzelner erfolgter Zahlungen widerlegen. Das gilt auch, wenn erhebliche Forderungen beglichen werden. Erst bei einer vollständigen Wiederaufnahme der Zahlungen entfällt die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung. Auf die Wesentlichkeitsschwelle von 10 % kommt es bei der Wiederaufnahme nicht an. Der Nachweis für eine Zahlungseinstellung kann auch mit Indizien geführt 1422 werden. Indizien sind beispielsweise nicht eingehaltene Zahlungszusagen, gehäufte Mahnungen, zurückgegebene Lastschriften, Pfändungs- und Vollstreckungsversuche oder nicht beglichene Steuern und Abgaben (insbesondere Sozialabgaben für Arbeitnehmer). Der BGH sieht auch in einer dauerhaft schleppenden Zahlungsweise ein Indiz für eine Zahlungseinstellung, insbesondere wenn das Unternehmen einen Forderungsrückstand (Bugwelle) vor sich herschob und am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrundes ope___________ 1998) BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457, 1458 (Rn. 6); BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, 1430 ff. (Rn. 28 ff.); dazu Weber/Küting/ Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1010; vgl. auch IDW S 11; dazu Steffan/Solmecke, WPg 2015, 429; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912. 1999) Kritisch: Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1011: Berücksichtigung aller im Dreiwochenzeitraum zufließenden Zahlungen und fällig werdenden Verbindlichkeiten.
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rierte.2000) Der Indizienbeweis ist in Anfechtungs- und Organhaftungsprozessen von Insolvenzverwaltern von großer Bedeutung. bb) Überschuldung nach § 19 InsO 1423 Überschuldung liegt vor, wenn das gesamte Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Überschuldungsbegriff besteht aus zwei gleichwertigen Elementen: der rechnerischen Überschuldung und dem Fehlen einer positiven Fortführungsprognose.2001) 1424 Die rechnerische Überschuldung wird anhand eines Überschuldungsstatus festgestellt, in dem verwertbare Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten stichtagsbezogen gegenübergestellt werden. Die Aktiva des Unternehmens müssen zu dem Wert angesetzt werden, der bei der Liquidation erzielt werden kann. Der Überschuldungsstatus ist von der Handelsbilanz hinsichtlich Ansatz und Bewertung zu unterscheiden. Verwertbare Vermögensgegenstände, die in der Handelsbilanz nicht aktiviert sind (z. B. selbstgeschaffene immaterielle Vermögenswerte), müssen aktiviert werden. Stille Reserven sind aufzudecken. 1425 In der Praxis ist die Aufstellung eines Überschuldungsstatus seit der Einführung des neuen Überschuldungsbegriffs mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz im Jahr 2008 oft entbehrlich. Solange eine positive Fortführungsprognose besteht, ist eine Überschuldung ausgeschlossen (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die Fortführungsprognose ist eine Liquiditätsprognose. Es ist zu prüfen, ob die Gesellschaft mit mindestens überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, ihre im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten zu begleichen. Bei der Fortführungsprognose ist auf der Grundlage des Unternehmenskonzepts eine integrierte Unternehmensplanung zu erstellen, aus der die voraussichtliche Liquiditätsentwicklung im Prognosezeitraum abzuleiten ist. Dabei kann nicht nur die Binnenfinanzierung aus dem laufenden Geschäft, sondern auch eine Zufuhr von Liquidität durch die Gesellschafter oder Kreditgeber berücksichtigt werden, wenn sie hinreichend wahrscheinlich ist. Das IDW empfiehlt, angelehnt an die Reichweite von Sanierungskonzepten (IDW S 6), einen Betrachtungszeitraum, der das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr erfasst. Der BGH hat einzelfallbezogen auch deutlich kürzere Prognosezeiträume bis zu fünf Monaten ausreichen lassen.2002) 1426 Eine handelsbilanzielle Überschuldung lässt nicht ohne weiteres auf eine insolvenzrechtliche Überschuldung schließen. Eine handelsbilanzielle Überschul___________ 2000) BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015; OLG München, Urt. v. 6.11.2013 – 7 U 571/13, GmbHR 2014, 139. 2001) Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1014. 2002) BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382.
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dung ist aber ein deutliches Krisenanzeichen, bei dessen Vorliegen die Geschäftsleitung jedenfalls gehalten ist, das Vorliegen von Insolvenzgründen zu prüfen. Ist eine rechnerische Überschuldung festgestellt, muss der Geschäftsleiter eine 1427 positive Fortführungsprognose darlegen. Der Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO („es sei denn“) legt eine Beweislastumkehr nahe.2003) Der Geschäftsleiter hat allerdings nur die tatsächlichen Umstände darzulegen und notfalls zu beweisen, aus denen sich eine günstige Prognose ergibt.2004) Die Richtigkeit der positiven Prognose muss nicht nachträglich bewiesen werden.2005) b) Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen Zahlungen im Sinne des Zahlungsverbots sind Barauszahlungen, Überwei- 1428 sungen von im Guthaben (kreditorisch) geführten Konten, Abbuchungen im Lastschriftverfahren aber auch die Einlösung eines ausgestellten Schecks. Auch die Teilnahme am Cash-Pooling, wenn die Mutter-Gesellschaft selbst nicht in der Lage ist, die Verlustausgleichszahlungen zu leisten,2006) fällt unter den Zahlungsbegriff. Überweisungen und Abbuchungen von einem debitorisch geführten Konto 1429 sind keine erstattungspflichtigen Zahlungen. Es kommt lediglich zu einem masseunschädlichen Gläubigertausch.2007) Zahlung ist dagegen die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto, auch wenn dadurch eine Kreditlinie wieder auflebt. Gleiches gilt für die Zahlung eines Schuldners auf ein debitorisch geführtes Konto. Im Stadium der Insolvenzreife ist der Geschäftsleiter verpflichtet, Zahlungseingänge auf Konten auf Guthabenbasis umzuleiten. Nicht abschließend geklärt ist der Umgang mit Zahlungen auf Forderungen, die zuvor als Sicherheit an die kontoführende Bank abgetreten wurden (meist durch Globalzession).2008) Derartige Mittelzuflüsse stünden aufgrund des Absonderungsrechts der Gläubigergesamtheit ohnehin nicht zur Verfügung.2009) Im Einklang mit den insolvenzrechtlichen Wertungen fordert der BGH, dass die Forderung bereits bei Eintritt der Insolvenzreife entstanden und werthaltig war. Eine Masseschmälerung liegt dagegen vor, wenn die Forderung durch fortgesetzte Geschäftstätigkeit nach Insolvenzreife werthaltig wird.2010) Eine masseschmälernde Zahlung kann allerdings ausscheiden, wenn durch die Reduzierung des Debetsaldos bereits sicherungsabgetretene Forderungen zu ___________ 2003) Schmidt/Schmidt, InsO, § 19 Rn. 55. 2004) BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400, 2401. 2005) Schmidt/Schmidt, InsO, § 19 Rn. 55. 2006) OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2013 – I-17 U 51/12, ZIP 2015, 73 (Babcock Borsig). 2007) BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/10, ZIP 2010, 470; BGH, Urt. v. 23.7.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006; Kruth, NZI 2014, 981, 984. 2008) Überblick bei Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153. 2009) OLG Hamburg, Urt. v. 6.3.2015 – 11 U 222/13, DB 2015, 1095. 2010) BGH, Urt. v. 3.5.2016 – II ZR 318/15; kritisch Kreuzberg, NZG 2016, 371.
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Gunsten des Gesellschaftsvermögens frei werden.2011) Gleiches gilt, wenn die Forderung aus einer Veräußerung von ihrerseits sicherungsübereigneter Ware resultiert.2012) 1430 Verboten sind Schmälerungen der Masse, die der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger zur Verfügung stehen soll. Keine Zahlung liegt daher vor, wenn ein ausgleichender Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt.2013) Nach der bisherigen Rechtsprechung war strittig, ob der Gegenwert im Zeitpunkt des Insolvenzantrages noch vorhanden sein musste. Der BGH hat neuerdings klargestellt, dass es bei der Bewertung auf den Zeitpunkt des Leistungsabflusses ankommt.2014) Maßgeblich ist damit, dass der zugeflossene Gegenwert nach wirtschaftlicher Betrachtung einer einzelnen masseschmälernden Zahlung zugeordnet werden kann. 1431 Für den Geschäftsleiter hat das Zahlungsverbot durch diese Klarstellung etwas von seiner Schärfe verloren; für Insolvenzverwalter wird die Durchsetzung von Ersatzansprüchen etwas schwieriger. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie die Berücksichtigung einer in das Vermögen der Gesellschaft geflossenen Gegenleistung in der Praxis von den Gerichten gehandhabt wird. 1432 Keine Zahlung ist die Begründung einer Verbindlichkeit. Diese kann zwar die Befriedigungschancen der Gläubiger ebenso beeinträchtigen wie der Abfluss von Mitteln. Eine derartige Auslegung der Zahlungsverbote würde aber die Wortlautgrenze übersteigen.2015) c) Haftungsausschlüsse aa) Fehlende Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes 1433 Ist der Insolvenzgrund erkennbar, wird das Verschulden des Geschäftsleiters widerlegbar vermutet (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). Diese Vermutung korreliert mit den laufenden Kontroll- und Überwachungspflichten des Geschäftsleiters. Auch ohne konkrete Krisenanzeichen muss der Geschäftsleiter ein Risikomanagementsystem einrichten, um Entwicklungen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden, frühzeitig erkennen zu können.2016) In der Krise des Unternehmens intensivieren sich diese Pflichten, der Geschäftsleiter muss vor dem Hintergrund einer möglichen Insolvenzantragspflicht die vorhandenen Mittel und Verbindlichkeiten der Gesellschaft stets im Blick behalten. ___________ 2011) BGH, Urt.v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480; Casper, ZIP 2016, 793. 2012) BGH, Urt. v. 8.12.2015 – II ZR 68/14, ZIP 2016, 364; vgl. dazu Anmerkung Altmeppen, ZIP 2016, 366; Poertzgen, NZI 2016, 272. 2013) BGH, Urt. v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005. 2014) BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71; dazu Altmeppen, ZIP 2015, 949; ders., NZG 2016, 521; Gehrlein, ZInsO 2015, 477, 482; Theiselmann/Verhoeven, DB 2015, 671; Bitter, ZIP 2016, S006; Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153, 171. 2015) BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776. 2016) Vgl. zur AG MünchKomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 80.
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Unter strengen Voraussetzungen kann sich der insoweit beweisbelastete Ge- 1434 schäftsleiter durch fehlende Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes exkulpieren. Der Verweis auf unvollständige oder fehlerhafte Geschäftsunterlagen genügt den Anforderungen nicht. Die Exkulpation gelingt regelmäßig nur, wenn der Geschäftsleiter – mangels eigener Sachkunde – fachkundige Beratung durch Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte oder Steuerberater nachweisen kann und deren Einschätzung einer Plausibilitätsprüfung standhält.2017) Dies ist nur der Fall, wenn sich der Geschäftsleiter unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die Insolvenzprüfung fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt.2018) bb) Erlaubte/privilegierte Zahlungen Mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbare Zahlungen sind 1435 vom Zahlungsverbot ausgenommen (§§ 64 Satz 2 GmbHG, 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, 130a Abs. 1 Satz 2 HGB). Der BGH versteht darunter Zahlungen, die im (wohlverstandenen) Interesse der Gläubigergesamtheit liegen und – aus ex ante-Sicht – mehr Vor- als Nachteile versprechen.2019) Masseneutrale Zahlungen wurden in der Regel darunter gefasst, nach der 1436 neueren Rechtsprechung dürfte aber insoweit schon keine Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen vorliegen. Erlaubt ist auch die Bedienung von Aussonderungs- und Absonderungsrechten (häufig bei Kreditsicherheiten). Diese Mittel wären der Insolvenzmasse nach §§ 47 ff. InsO ohnehin entzogen. Die Gläubigergesamtheit wird also durch diese Zahlungen nicht schlechter gestellt. Zahlungen zur Erhaltung der Sanierungschancen können innerhalb der Drei- 1437 wochenfrist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO erlaubt sein. Dabei handelt es sich um Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes notwendig sind, vor allem Miet- und Nebenkosten, Löhne, Steuern und (Sozial-)Abgaben fallen darunter. Auch diese Zahlungen unterliegen dem Zahlungsverbot, sobald eine Sanierung nicht mehr realistisch ist. Zum Nachweis der noch vorhandenen Sanierungschancen bedarf es regelmäßig eines Sanierungskonzeptes, das den Anforderungen des Standards IDW S 6 standhält (vgl. auch unten Teil 4 C, Rn. 1597). Die Problematik von „Pflichtenkollisionen“ bei Abführung von Steuern und 1438 Sozialabgaben, die teilweise strafrechtlich bewehrt ist (vgl. § 266a StGB), wird von der Rechtsprechung zunehmend zu Lasten der Zahlungsverbote gelöst.2020)
___________ 2017) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265. 2018) BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867. 2019) BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72. 2020) Vgl. im Einzelnen Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 64 Rn. 74.
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d) Rechtsfolge 1439 Hat der Geschäftsleiter eine verbotene Zahlung trotz Erkennbarkeit eines Insolvenzgrundes geleistet, ist er zur Erstattung dieser Zahlung verpflichtet.2021) Haften mehrere Geschäftsleiter für verbotene Zahlungen sind sie Gesamtschuldner. 1440 Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Zahlungsverbot ist die Pflicht zur Erstattung der Zahlung, nicht die Leistung von Schadensersatz. Zu ersetzen sind nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgte Zahlungen, auf die Berechnung eines „Insolvenzverschleppungsschadens“ kommt es nicht an. Dies gilt auch für den jüngeren § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB, der von Schadensersatz spricht. Durch die Addition aller verbotenen Zahlungen kommt es leicht zu Ersatzpflichten, die den Schaden der Gesellschaft um ein Vielfaches übersteigen können. 1441 Ist die verbotene Auszahlung zugleich nach §§ 129 ff. InsO anfechtbar (siehe Teil 4 C, Rn. 1561 ff.), hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht. Er kann den Zahlungsempfänger als Anfechtungsgegner und den Geschäftsleiter nach seiner Wahl in Anspruch nehmen. Der Geschäftsleiter hat kein Leistungsverweigerungsrecht. Fließt die Zahlung aufgrund der Anfechtung tatsächlich an die Insolvenzmasse zurück, ist dies auf den Erstattungsanspruch gegen den Geschäftsleiter anzurechnen. Vor tatsächlicher Rückzahlung ist § 255 BGB entsprechend anzuwenden. Der Insolvenzverwalter kann den Erstattungsanspruch nur Zug-um-Zug gegen Abtretung des Rückzahlungsanspruches nach §§ 143, 129 ff. InsO geltend machen.2022) Begleitend ist der Insolvenzverwalter zur Auskunft über möglicherweise anfechtbare Zahlungen verpflichtet (siehe unten Rn. 1477). 1442 Da der durch die verbotene Zahlung vorweg befriedigte Gläubiger im Insolvenzverfahren seine Quote erhalten hätte, entspricht der zu ersetzende Nachteil der Gläubigergesamtheit nicht der zu erstattenden Zahlung. Es käme zu einer Bereicherung der Masse. Zum Ausgleich kann der Geschäftsleiter gegen die Masse eine Insolvenzforderung in gleicher Höhe und im gleichen Rang wie die verbotenerweise beglichene Forderung geltend machen.2023) e) Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats 1443 Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats schließt die Pflicht ein, Verstöße gegen das Zahlungsverbot zu verhindern. Insoweit kommt auch eine Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds in Betracht. Für einen fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH gilt allerdings die Einschränkung, dass die in § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG enthaltene Modifikation des Schadensbegriffs nicht gilt. Die Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats sind deshalb nur dann ersatzpflichtig, wenn durch ___________ 2021) Diese Rechtsfolge hält K. Schmidt, ZIP 2005, 2177 für überschießend. 2022) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 238 ff. 2023) Vgl. Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 92 Rn. 37.
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die Zahlung ausnahmsweise ein eigener Schaden der Gesellschaft entstanden ist.2024) f) Prozessuale Besonderheiten: Anwendbarkeit der EuInsVO Nur ein Aspekt sei wegen seiner Aktualität hervorgehoben: In Fortführung 1444 seiner Rechtsprechung zu Anfechtungsklagen hat der EuGH entschieden, dass für eine auf § 64 GmbHG gestützte Erstattungsklage eines Insolvenzverwalters jedenfalls nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Art. 3 Abs. 1 EuInsVO mit der Folge anwendbar ist, dass die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig seien, in dem das Insolvenzverfahren über die Gesellschaft eröffnet wurde.2025) 2. Haftung wegen verspäteter Antragstellung Daneben besteht eine Haftung für verspätete Insolvenzantragstellung nach 1445 §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. 15a InsO (Insolvenzverschleppungshaftung). Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO sind die Geschäftsleiter bei Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Stellung des Insolvenzantrages verpflichtet (zum Verhältnis Insolvenzantragspflicht und Weisung des Gesellschafters, siehe oben Teil 2 C, Rn. 756). Der Insolvenzantrag ist innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen („spätestens“) zu stellen. So sollen kurzfristige Sanierungsmöglichkeiten erhalten bleiben. Diese Höchstfrist darf jedoch nicht voll ausgeschöpft werden, wenn keine ernsthaften Sanierungschancen mehr bestehen. Da mit der Insolvenzantragspflicht auch die weitere Teilnahme der insolven- 1446 ten Gesellschaft am Geschäftsverkehr verhindert werden soll, können Gläubiger, die mit der insolventen Gesellschaft in Geschäftsbeziehung stehen, ihre Schäden, die sie durch die verspätete Antragstellung erleiden, vom Geschäftsleiter ersetzt verlangen. Dabei ist zwischen Alt- und Neugläubigern zu differenzieren: Altgläubiger sind solche, die bereits vor Eintritt der Insolvenzreife Forderungen gegen die Gesellschaft hatten. Ihr Schaden besteht in dem Quotenschaden, also der Verschlechterung der Insolvenzquote gegenüber der Quote, die bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung erzielbar gewesen wäre. Neugläubiger sind dagegen erst mit der bereits insolventen Gesellschaft Geschäftsbeziehungen eingegangen. Sie haben Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses, da sie bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung nicht in Rechtsbeziehungen mit der Gesellschaft getreten wären. Hier kann der in voller Höhe ersatzpflichtige Geschäftsleiter im Gegenzug verlangen, dass ihm gegen Leistung von Schadensersatz Zug um Zug die Insol___________ 2024) BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, ZIP 2010, 1988 (Doberlug); dazu K. Schmidt, GmbHR 2010, 1319; OLG Hamburg, Urt. v. 6.3.2015 – 11 U 222/13, ZIP 2015, 867. 2025) EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-295/13, ZIP 2015, 196, 197 ff. (Rn. 24 ff.); vgl. LG Darmstadt, Vorlagebeschl. v. 15.5.2013 – 15 O 29/12, NZI 2013, 712; in der Neufassung der EuInsVO, die im Jahr 2017 in Kraft tritt, wird die Zuständigkeit für Annexklagen in Art. 6 geregelt, vgl. auch Erwägungsgrund 35.
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venzforderung gegen die Gesellschaft analog § 255 BGB abgetreten wird, da es ansonsten zu einer Bereicherung des Neugläubigers käme. 1447 Der Quotenschaden der Altgläubiger ist als Gesamtschaden vom Insolvenzverwalter geltend zu machen (§ 92 InsO). In der Praxis kommt die Inanspruchnahme der Geschäftsleiter auf Ersatz der Quotenschäden der Altgläubiger kaum vor, da die fiktive Quote bei rechtzeitiger Antragstellung trotz der prozessualen Schätzmöglichkeit nach § 287 ZPO nur schwer darlegbar ist. Die Neugläubiger können hingegen ihre Forderungen selbst in voller Höhe gegen die Geschäftsleiter geltend machen.2026) 1448 Der Geschäftsleiter hat bereits für eine fahrlässig unterlassene Antragstellung einzustehen. Entlasten kann sich der Geschäftsleiter durch den Nachweis fehlender Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes. Es gilt entsprechend das oben zum Zahlungsverbot Ausgeführte. 3. Haftung wegen Insolvenzverursachung 1449 Mit der sog. Insolvenzverursachungshaftung (§§ 64 Satz 3 GmbHG, 92 Abs. 2 Satz 3 AktG) wird das Zahlungsverbot zeitlich vorverlagert. Zahlungen an Gesellschafter sind nicht erst ab Eintritt der Insolvenzreife erstattungspflichtig, sondern bereits, wenn sie zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen müssen. 1450 Zeigen sich aufgrund der laufenden Kontroll- und Überwachungspflichten des Geschäftsleiters Anhaltspunkte dafür, dass der Gesellschaft die Zahlungsunfähigkeit droht, hat der Geschäftsleiter Zahlungen an den Gesellschafter dahingehend zu überprüfen, ob diese die Zahlungsunfähigkeit auslösen muss. 1451 Erfasst sind alle Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen an einen Gesellschafter, die zu einem Abfluss des Gesellschaftsvermögens führen. Gegenleistungen des Gesellschafters sind jedoch zu berücksichtigen. Erhält die Gesellschaft einen gleichwertigen (liquide verwertbaren) Vermögensgegenstand, ist eine Insolvenzverursachungshaftung ausgeschlossen. Die Zahlung muss die Zahlungsunfähigkeit kausal herbeigeführt haben. Hierfür bedarf es eines engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs, der aus praktischen Erwägungen heraus kaum länger als ein Jahr sein dürfte.2027) 1452 Auch Zahlungen auf fällige Forderungen des Gesellschafters können – zumindest theoretisch – die Insolvenzverursachungshaftung auslösen. Der praktische Anwendungsbereich dürfte jedoch gering sein.2028) Solange die Gesell___________ 2026) MünchKomm-InsO/Klöhn, § 15a Rn. 158, 256; Für eine einheitliche Innenhaftung, Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 92 Rn. 45 f. 2027) Vgl. Henssler/Strohn/Arnold, GmbHG § 64 Rn. 58. 2028) Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, § 92 Rn. 54 sieht die relevante Funktion in den haftungsverschärfenden Rahmenbedingungen (Schadensvermutung und Liquiditätsentzug als Schaden).
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schaft noch zahlungsfähig ist, kann die Zahlung auf eine fällige Verbindlichkeit kaum die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen, da mit der vorhandenen Liquidität die Höhe der fälligen Verbindlichkeiten in gleichem Maße abnimmt. Ist die Gesellschaft dagegen bereits zahlungsunfähig, kann die Zahlung an den Gesellschafter nicht mehr zur Zahlungsunfähigkeit führen. In letztem Fall fällt die Zahlung nicht in den Anwendungsbereich des § 64 Satz 3 GmbHG,2029) sie wäre aber vom Zahlungsverbot des § 64 Satz 1 GmbHG erfasst.2030) Nach neuerer Rechtsprechung des BGH erfasst die Haftung aber auch Fälle, bei denen die Geschäftsführer auf eine fällige und durchsetzbare Forderung eines Gesellschafters zahlen, und dadurch mittelbar eine Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen. Diese kann eintreten, wenn externe Kreditgeber eigene Darlehen an das Belassen der Gesellschafterfinanzierung knüpfen und bei Zahlung ihrerseits Kreditrückführung verlangen und so die Grundlage für das Finanzierungskonzept der Gesellschaft zerschlagen wird.2031) 4. Haftung wegen Verletzung nicht insolvenzbezogener Pflichten Über die zentralen Organhaftungsnormen § 43 Abs. 2, 3 GmbHG und § 93 1453 Abs. 2 AktG sowie das allgemeine Deliktsrecht (§§ 823 Abs. 1, 2, 826 BGB) haften Geschäftsleiter auch für nicht insolvenzbezogene Pflichtverletzungen. In der Insolvenz kann die Inanspruchnahme des Organmitglieds so auch auf Sachverhalte und Rechtshandlungen gestützt werden, die deutlich vor der Krise des Unternehmens stattgefunden haben. Dieses Risiko wird durch die objektive Verjährungsfrist von fünf Jahren, die im Dezember 2010 für börsennotierte Aktiengesellschaften (§ 93 Abs. 6 AktG) und Banken auf zehn Jahre verlängert wurde, noch erheblich vergrößert. Zu den allgemeinen Haftungsvoraussetzungen kann auf das entsprechende 1454 Kapitel in diesem Handbuch zur AG und GmbH verwiesen werden (Teil 2 B, Rn. 674 ff. und C, Rn. 748 ff.). Die Insolvenz von Arcandor zeigt, welche Haftungsrisiken sich daraus ergeben 1455 können. Der Insolvenzverwalter verfolgt Haftungsansprüche gegen frühere Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, die sich aus verschiedensten, teilweise Jahre zurückliegenden Sachverhalten ergeben sollen.2032) Die Sachverhalte liegen teilweise länger als fünf Jahre vor der Insolvenz. Um einer Verjährung zu entgehen, stützt sich der Insolvenzverwalter auf verschiedenste Ansätze. Soweit Ansprüche gegen frühere Organmitglieder verjährt sind, wird z. B. versucht, Ansprüche gegen spätere Organmitglieder wegen der Nicht-
___________ 2029) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rn. 7). 2030) Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169, 173. 2031) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391, 2392 (Rn. 13); siehe auch: Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169, 173 f.; kritisch: Haas, NZG 2013, 41, 43. 2032) LG Essen, Urt. v. 9.9.2013 – 44 O 164/10; dazu Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901.
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verfolgung von Ersatzansprüchen entgegen den ARAG/Garmenbeck-Grundsätzen2033) geltend zu machen.2034) III. Praktische und taktische Überlegungen 1456 Die praktischen und taktischen Überlegungen bei der Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen in der Insolvenz bzw. der Verteidigung dagegen hängen von der Perspektive der beteiligten Parteien ab: der Insolvenzverwalter auf der einen und die Organe bzw. der D&O-Versicherer auf der anderen Seite. 1. Perspektive des Insolvenzverwalters a) Ermittlung der Hintergründe der Insolvenz 1457 Im Insolvenzverfahren muss sich der Insolvenzverwalter zunächst einen Überblick über das Unternehmen verschaffen. Ihm stehen dafür umfassende Einsichtsrechte in Geschäftsunterlagen und Auskunftsrechte gegen die Geschäftsleiter zu (§§ 22 Abs. 3, 97, 101 Abs. 1 InsO). Weitere Informationen kann der Insolvenzverwalter durch Einsichtnahme in Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (§ 475 StPO)2035) oder Steuerakten des Finanzamtes2036) erlangen. 1458 Das Insolvenzverfahren wird nur eröffnet, wenn im Eröffnungszeitpunkt ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 16 InsO). Für die Verfolgung von Ansprüchen gegen Organmitglieder und von Anfechtungsansprüchen gegen Dritte ist hingegen relevant, wie lange vor dem Antrag Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorlag.2037) Der Insolvenzverwalter kann zur Feststellung der Insolvenzgründe auf die Unterlagen der Buchhaltung und der Finanzplanung zurückgreifen, die er beim Unternehmen vorfindet. Im Idealfall lässt sich daraus ein Liquiditätsstatus bzw. ein Überschuldungsstatus für verschiedene Zeitpunkte in der Vergangenheit, ggf. mit sachverständiger Hilfe, rekonstruieren. 1459 Bei kleineren Unternehmen ist allerdings teilweise zu beobachten, dass in der Krise des Unternehmens die Verlässlichkeit der Buchhaltung und der Dokumentation von Geschäftsvorgängen abnimmt. Dann gewinnt der indirekte Beweis für das Vorliegen von Insolvenzgründen an Bedeutung. Zentral sind ___________ 2033) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, ZIP 1997, 883 (ARAG/Garmenbeck). 2034) LG Essen, Urt. v. 24.4.2012 – 41 O 45/10, ZIP 2012, 2061. 2035) OLG Köln, Beschl. v. 16.10.2014 – 2 Ws 396/14, ZInsO 2014, 2501; dazu, ob ein Insolvenzverwalter Verletzter i. S. d. § 406e StPO ist, vgl. OLG Jena, Beschl. v. 27.6.2011 – 1 Ws 237/11, ZIP 2012, 484. 2036) BFH, Urt. v. 19.3.2013 – II R 17/11, ZIP 2013, 1133: zwar sieht die Abgabenordnung (AO) kein Einsichtsrecht vor, das Finanzamt kann aber dem Steuerpflichtigen, dessen Rechte und Pflichten der Insolvenzverwalter nach §§ 80 Abs. 1 InsO, 34 Abs. 1, 3 AO übernimmt, im Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen Einsicht gewähren. 2037) Für die Anfechtung (unten Teil 4 C, Rn. 1561) ist wegen § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO auch der Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit von großer Relevanz.
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die Forderungsanmeldungen der Gläubiger. Ergeben sich daraus erhebliche Forderungen, die seit einiger Zeit vor dem Insolvenzantrag fällig waren, ergibt sich daraus ein gewichtiges Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit. Mahnungen, Zahlungsaufforderungen, Vollstreckungsversuche deuten auf eine Zahlungseinstellung hin. b) Prüfung der Inanspruchnahme von (ehemaligen) Organen Bei der Prüfung stehen die typischen insolvenzbezogenen Pflichtverletzun- 1460 gen, insbesondere Verstöße gegen das Zahlungsverbot, in der Regel im Vordergrund. Die Insolvenz kann auch Anlass sein, ältere Vorgänge aufzuarbeiten, wenn sich Hinweise auf Pflichtverletzungen und mögliche Ansprüche der Gesellschaft ergeben. Zwar reicht es (zunächst) aus, wenn der Insolvenzverwalter die einzelnen Zah- 1461 lungen und ihren Grund vorträgt. Bei der Auswahl der verbotenen Zahlungen, deren Erstattung der Insolvenzverwalter geltend macht, sollten jedoch zu erwartende Verteidigungslinien (insbesondere eine mögliche Gegenleistung für die Zahlung) im Auge behalten werden. Auch die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs muss bereits im Vorfeld der Kla- 1462 geerhebung geprüft werden, da die persönliche Leistungsfähigkeit der Geschäftsleiter in der Regel begrenzt sein dürfte. Die Deckung des Schadensfalls durch eine D&O-Versicherung ist dann entscheidend. Da die D&OVersicherung von der Gesellschaft abgeschlossen wird, lässt sich die Deckung anhand der Unternehmensunterlagen prüfen. Nach dem claims-made sind in der Regel alle Schadensfälle, aus denen in einer Versicherungsperiode Ansprüche geltend gemacht werden, unabhängig davon gedeckt, wann die schadensbegründende Pflichtverletzung erfolgt ist. Um auch eine künftige Inanspruchnahme zu versichern, sollte der Insolvenzverwalter die D&O-Versicherung ggf. verlängern oder auf ausreichend lange Nachhaftungsfristen hinwirken. In Anstellungsverträgen für Geschäftsleiter ist eine angemessene D&O-Versicherung oft vertraglich zugesichert. Nimmt der Insolvenzverwalter eine Verlängerung vertragswidrig nicht vor, kann der Geschäftsleiter mit eigenen Schadensersatzansprüchen aufrechnen.2038) c) Vergleichsverhandlungen Organhaftungsansprüche werden oft durch Vergleich geregelt.
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Dem Insolvenzverwalter ist es zum einen an einem raschen Massezufluss ge- 1464 legen. Ein streitiges Verfahren kann jedoch leicht mehrere Jahre dauern. Selbst nach dem Obsiegen ist die Zahlung mangels Direktanspruch gegen den Ver___________ 2038) Eine Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO wegen Nichtfortführung einer D&O-Versicherung lehnt der BGH ab, BGH, Beschl.v. 14.4.2016 – IX ZR 161/15, ZIP 2016, 1126.
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sicherer nicht gewährleistet. Wendet die Versicherung einen Deckungsausschluss (Deckungshöchstgrenze erreicht, Vorsatzausschluss, etc.) ein und lässt es auf einen Deckungsprozess ankommen, kann der Insolvenzverwalter mangels Leistungsfähigkeit des Geschäftsleiters häufig nicht in voller Höhe vollstrecken. Auch der D&O-Versicherung ist meist an einem Vergleichsschluss gelegen. In der Praxis greifen vollständige Deckungsausschlüsse selten durch. Eine Vergleichssumme bleibt in der Regel deutlich unter der Deckungshöchstsumme. 1465 In der Vergleichsvereinbarung sind die Besonderheiten des Anspruchs auf Erstattung verbotener Zahlungen zu berücksichtigen. Leistet der Geschäftsleiter eine Erstattung an die Gesellschaft für verbotene Zahlungen, so erhält er eine Insolvenzforderung in gleicher Höhe, mit der er an der Verteilung teilnimmt.2039) Erstattet die D&O-Versicherung den Betrag, ist im Vergleich zu klären, wem diese Insolvenzforderung zustehen soll. Ist eine endgültige Abgeltung der Ansprüche gewollt, kann z. B. die voraussichtliche Quote wirtschaftlich in der Vergleichshöhe berücksichtigt und zugleich eine spätere Rückerstattung ausgeschlossen werden. 1466 Im Einzelfall bestehen für Vergleiche Zustimmungserfordernisse. Beabsichtigt der Insolvenzverwalter einen Vergleich mit erheblichem Streitwert zu schließen, muss er die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. sekundär der Gläubigerversammlung einholen (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Gelingt eine Vergleichsverhandlung nicht, gelten die Zustimmungserfordernisse auch für die Klageerhebung. Starre Grenzen für erhebliche Streitwerte gibt es nicht. Maßgeblich ist die verfügbare Insolvenzmasse.2040) Beispielsweise kommt es darauf an, ob ein Prozess ohne nennenswerte Massereduzierung finanziert werden kann. Bei Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis des § 160 InsO bleiben Vergleich bzw. Klageerhebung wirksam. Der Insolvenzverwalter setzt sich wegen pflichtwidrigen Handelns aber einer Haftung nach § 60 Abs. 1 InsO aus, sollte sich sein Verhalten für die Masse als nachteilig erweisen. 2. Perspektive des Organs/der D&O-Versicherung a) Haftungsvermeidung im Vorfeld 1467 In den vergangenen Jahren haben die Kontroll- und Überwachungspflichten des Geschäftsleiters an Stellenwert gewonnen. Mit ihnen sind die generellen Anforderungen an Geschäftsleiter gestiegen. aa) Umgang mit Krisenanzeichen 1468 Bei Vorliegen von Krisenanzeichen (z. B. erhebliche Verluste, mittelfristig negative Ertragslage, bilanzielle Unterdeckung, etc.) müssen die Geschäfts___________ 2039) Vgl. unten Rn. 1585. 2040) Vgl. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, § 160 Rn. 27.
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leiter die finanzielle Situation der Gesellschaft laufend im Blick behalten und sicherstellen, dass sie den Tatbestand einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung rechtzeitig erkennen, um die rechtlich gebotenen Konsequenzen daraus zu ziehen.2041) Eine positive Fortführungsprognose schließt als solche eine Überschuldung 1469 aus. Mit fortgeschrittener Krise wird die dafür erforderliche Liquiditätsprognose jedoch unsicherer. In jedem Fall muss der Geschäftsleiter Prognosegrundlagen und -ergebnis umfassend dokumentieren, um später einen Entlastungsbeweis führen zu können. Wenn die Fortführungsprognose negativ ausfällt, ist ein Überschuldungsstatus nach Liquidationswerten zu erstellen und zu dokumentieren. In der Praxis stützen sich Insolvenzverwalter bei der Geltendmachung von 1470 Ansprüchen auf Erstattung verbotener Zahlungen allerdings eher auf eine Zahlungsunfähigkeit. Streit darüber, wann Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, entsteht meist durch Unklarheiten auf der Passivseite, während sich die verfügbaren liquiden Mittel meist relativ einfach feststellen lassen. Die Buchhaltung spiegelt die rechtliche Fälligkeit der Forderungen nicht immer richtig wieder. In der Praxis ist bei Liquiditätsengpässen zudem oft zu beobachten, dass Gläubiger aufgrund mündlicher Zusage demnächst zu erwartender Zahlung faktisch stillhalten, oft in dem Wissen, dass sie bei Vollstreckungsmaßnahmen oder Stellen eines Gläubigerantrags nicht besser stünden. Hier liegt ein großes Haftungsrisiko für Organmitglieder. Im Streitfall dürfte schwer nachweisbar sein, dass die Forderung vom Gläubiger stillschweigend gestundet bzw. im insolvenzrechtlichen Sinne nicht (mehr) ernsthaft eingefordert wurde. Eine schriftliche Dokumentation zumindest in Form eines E-MailWechsels empfiehlt sich. Zeichnet sich ein Insolvenzgrund ab, darf der Geschäftsleiter die eingeräumte 1471 Maximalfrist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO von drei Wochen nicht ohne weiteres voll ausnutzen. An die Sanierungsbemühungen werden hohe Anforderungen gestellt. Regelmäßig fordert der BGH schriftlich dokumentierte Feststellungen zur Lage des Unternehmens und ein ausgearbeitetes Sanierungskonzept. Hilfestellung für dessen Inhalt bietet etwa das Institut der Wirtschaftsprüfer mit dem Standard IDW S 6. bb) Sanierungsbemühungen zur Abwehr des Insolvenzgrundes Während der Sanierungsbemühungen gilt es ausreichend liquide Finanzmit- 1472 tel zur Begleichung fälliger Verbindlichkeiten bereitzuhalten. Mit Erreichen eines fortgeschrittenen Krisenstadiums reduzieren Banken häufig die verfügbare Kreditlinie, Lieferanten leisten nur gegen Vorkasse. Zusätzliche Finanzmittel ___________ 2041) Vgl. allgemein zu Selbstschutzmaßnahmen des Geschäftsführers einer kriselnden GmbH Lange, GmbHR 2015, 1009, 1133, 1254.
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können durch Gesellschafterdarlehen oder durch den kurzfristigen Verkauf von Vermögen zufließen. 1473 Liegen Anzeichen einer Krise oder gar eines Insolvenzgrundes vor, ist rasche Unterstützung durch Wirtschaftsprüfer und spezialisierte Rechtsanwälte geboten, die ggf. innerhalb weniger Wochen eine Aussage zum Zustand des Unternehmens treffen können. Der Geschäftsleiter muss dabei auf eine rasche Bearbeitung und eine unverzügliche Vorlage der Prüfungsergebnisse hinwirken. Die unverzügliche Auftragserteilung genügt nicht.2042) Der Geschäftsleiter darf auch nicht ohne weiteres das Ergebnis der Prüfung abwarten. Er muss auch während der laufenden Überprüfung anderen Hinweisen auf Insolvenzgründe nachgehen und ggf. Insolvenzantrag stellen.2043) b) Verhalten nach Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen aa) Beschaffung von Informationen und Auskünften 1474 Mit seinem Ausscheiden verliert ein Geschäftsleiter den unmittelbaren Zugriff auf die Unterlagen der Gesellschaft. Die Mitnahme von Unterlagen oder einer elektronischen Kopie von Daten des Unternehmens ist regelmäßig ausgeschlossen. Bei der Abwehr organhaftungsrechtlicher Ansprüche trägt der Geschäftsleiter hinsichtlich zahlreicher entlastender Umstände die Beweislast (mangelnde Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes, Rechtfertigung einer Zahlung, etc.). Zu diesem Zweck stehen dem Geschäftsleiter Auskunfts- und Einsichtsrechte zu. Der Umfang dieser Rechte ist im Einzelnen umstritten. Generell muss der Geschäftsleiter die zur Verteidigung notwendigen Unterlagen erhalten. Stellt der Insolvenzverwalter zur Verteidigung notwendige Unterlagen nicht zur Verfügung, trägt er selbst die volle Darlegungslast, dass eine Zahlung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar war.2044) Ein Anspruch auf Einsicht in interne Untersuchungsergebnisse oder Gutachten zur Aufarbeitung des Sachverhalts, die der Insolvenzverwalter nach dem Ausscheiden des Geschäftsleiters veranlasst hat, besteht nicht.2045) 1475 Anhand der erhaltenen Unterlagen gilt es insbesondere, masseneutrale Zahlungen und Stundungsvereinbarungen zu offengebliebenen Verbindlichkeiten zu ermitteln. 1476 Informationen zur Versicherungspolice muss der Geschäftsleiter ggf. vom Insolvenzverwalter erfragen. Das claims-made-Prinzip kann dazu führen, dass Pflichtverletzungen nicht abgedeckt sind, die während der Versicherungs___________ 2042) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174. 2043) Anders IDW-Standard S 11, ZInsO 2015, 1136, 1137 (Rn. 6): „dürfen sie das Ergebnis der Beurteilung abwarten“. Die als Referenz angeführte Entscheidung des BGH (Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 [Rn. 19 f.]) trifft diese Aussage jedoch nicht. 2044) LG München I, Urt. v. 14.9.2007 – 14 HKO 1877/07, ZIP 2007, 1960. 2045) Detaillierter Überblick zum Informationsanspruch des Geschäftsleiters bei Krieger, in: Festschrift Schneider, 2011, S. 717 ff.
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A. Organhaftung in Krise und Insolvenz
periode geschehen sind, aber erst nach Ende der Versicherungsdeckung geltend gemacht werden. Der Geschäftsleiter sollte sich deswegen eine Verlängerung der D&O-Versicherung oder Nachhaftungsfristen bis zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen vertraglich zusichern lassen. Auf der anderen Seite ist der Geschäftsleiter dem Insolvenzverwalter zu um- 1477 fangreichen Auskünften über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verpflichtet, §§ 101 Abs. 1, 97 InsO. Der Geschäftsleiter muss die Vermögensverhältnisse des Unternehmens aufklären und an der Prüfung von Forderungen und Verbindlichkeiten mitwirken. Ein Auskunftsverweigerungsrecht hat der Geschäftsleiter selbst dann nicht, wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, eigene strafbare Handlungen zu offenbaren oder sich zivilrechtlichen Forderungen auszusetzen.2046) bb) Koordination der Abwehr von Organhaftungsansprüchen Werden – wie in der Regel – mehrere Geschäftsleiter (und ggf. Aufsichts- 1478 ratsmitglieder) in Anspruch genommen, stellt sich die Frage, wie die Abwehr untereinander und mit dem D&O-Versicherer koordiniert werden kann. Bei der Abwehr von Organhaftungsansprüchen sind die Interessen der beklagten Organmitglieder zumindest teilweise gleichlaufend (dazu ausführlich Teil 3 E, Rn. 991 ff.). Es bietet sich daher eine sog. Sockelverteidigung an (siehe oben Rn. 1001). 1479 Gegenstand einer derartigen Sockelverteidigung bei insolvenzbezogenen Organhaftungsansprüchen kann z. B. die zentrale Frage sein, wann der Insolvenzgrund eingetreten ist. Die Sockelverteidigung wird oft vom D&O-Versicherer geleistet, der sich als Streithelfer (§ 66 ZPO) der beklagten Organmitglieder am Gerichtsverfahren beteiligt. Das erforderliche rechtliche Interesse ist wegen der Einstandspflicht des Versicherers ohne weiteres gegeben. Die Sockelverteidigung spart Kosten (soweit die Anwälte auf Stundenbasis abrechnen) und vermeidet widersprüchlichen Vortrag der einzelnen Organmitglieder zu demselben Sachverhalt durch ihre jeweils eigenen Anwälte. Hinsichtlich der individuellen Beteiligung der Organmitglieder und der 1480 subjektiven Voraussetzungen der Haftung dürften die Interessen jedoch oft divergieren. Insoweit ist ergänzender Vortrag zur Sockelverteidigung durch die individuellen Vertreter erforderlich. cc) Vergleichsverhandlungen mit D&O-Versicherern Häufig ist die D&O-Versicherung bei Vergleichsverhandlungen federfüh- 1481 rend, weil in der Regel nur von der Versicherung eine substantielle Zahlung erwartet werden kann. Sie verhandelt mit dem Insolvenzverwalter einen Haftungs- und mit den beklagten Geschäftsleitern einen Deckungsvergleich. ___________ 2046) BVerfG, Beschl. v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, ZIP 1981, 361.
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1482 Ungeachtet einer bestehenden D&O-Versicherung kann ein Vergleich auch bei einem Eigenbeitrag im Interesse des Organmitglieds sein. Wegen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bleibt ein nicht unerhebliches Prozessrisiko. Im Falle einer Verurteilung ist auch bei vorhandener D&O-Versicherung eine persönliche Inanspruchnahme nicht ausgeschlossen, nämlich dann, wenn die Deckungshöchstsumme überschritten oder die D&O-Versicherung Einwände gegen die Deckung erhebt. Der Versicherer kann bei erheblicher Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ebenfalls ein großes Interesse an einem Vergleich haben, wenn die Vergleichssumme unterhalb der Deckungshöchstsumme bleibt. Ob nach einer Verurteilung im Haftungsprozess im Deckungsprozess eine Einstandspflicht z. B. mit dem Einwand der wissentlichen Pflichtverletzung abgewendet werden kann, dürfte in der Regel schwer zu prognostizieren sein. 1483 In der Regel wird die D&O-Versicherung im Zuge der Vergleichsverhandlungen einen Eigenbeitrag des Geschäftsleiters verlangen, auch wenn der Pflichtselbstbehalt nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG nicht eingreift. 1484 Die Höhe des Eigenbeitrags ist Verhandlungssache. Seit der Einführung des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ist für Vorstände von Aktiengesellschaften ein Pflichtselbstbehalt gesetzlich vorgeschrieben. Er beträgt mindestens 10 % des Schadens, höchstens jedoch das Eineinhalbfache der festen jährlichen Vergütung. Für Vergleiche ist der gesetzliche Selbstbehalt jedoch nicht bindend, da eine Pflichtverletzung nicht feststeht. Für GmbH-Geschäftsführer und Aufsichtsräte gibt es keinen gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt. B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung I. Rechtliche Grundlagen Ingo Theusinger/Lars Teigelack
1485 Die §§ 62, 57 AktG und §§ 31, 30 GmbHG sollen das Kapital der AG bzw. GmbH vor unberechtigtem Zugriff durch die Gesellschafter schützen. Sie flankieren die Vorschriften zur Kapitalaufbringung und sollen bewirken, dass das einmal aufgebrachte (Garantie)Vermögen weder offen noch versteckt wieder an die Gesellschafter zurückfließt. Auch wenn die Reichweite des Schutzes dieser Normen unterschiedlich ist – in der GmbH ist lediglich das Stammkapital vor dem Zugriff der Gesellschafter geschützt, während in der AG das gesamte Vermögen geschützt ist –, bilden beide Normen grundlegende Prinzipien des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts ab und sind unverzichtbar. Sie stehen in der Praxis bei Auseinandersetzungen um unzulässige Vermögensverschiebungen im Fokus und werden daher hier näher behandelt. 1486 Kommt es zu einer Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften, kommt regelmäßig auch eine Schadensersatzhaftung der Vorstandsmitglieder bzw. der Geschäftsführer und auch der Aufsichtsratsmitglieder in Betracht, die in diesem Kapitel allerdings nicht näher behandelt wird.2047) ___________ 2047) Siehe dazu oben unter Teil 2 B.
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Teil 4 Restrukturierung
1482 Ungeachtet einer bestehenden D&O-Versicherung kann ein Vergleich auch bei einem Eigenbeitrag im Interesse des Organmitglieds sein. Wegen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bleibt ein nicht unerhebliches Prozessrisiko. Im Falle einer Verurteilung ist auch bei vorhandener D&O-Versicherung eine persönliche Inanspruchnahme nicht ausgeschlossen, nämlich dann, wenn die Deckungshöchstsumme überschritten oder die D&O-Versicherung Einwände gegen die Deckung erhebt. Der Versicherer kann bei erheblicher Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ebenfalls ein großes Interesse an einem Vergleich haben, wenn die Vergleichssumme unterhalb der Deckungshöchstsumme bleibt. Ob nach einer Verurteilung im Haftungsprozess im Deckungsprozess eine Einstandspflicht z. B. mit dem Einwand der wissentlichen Pflichtverletzung abgewendet werden kann, dürfte in der Regel schwer zu prognostizieren sein. 1483 In der Regel wird die D&O-Versicherung im Zuge der Vergleichsverhandlungen einen Eigenbeitrag des Geschäftsleiters verlangen, auch wenn der Pflichtselbstbehalt nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG nicht eingreift. 1484 Die Höhe des Eigenbeitrags ist Verhandlungssache. Seit der Einführung des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ist für Vorstände von Aktiengesellschaften ein Pflichtselbstbehalt gesetzlich vorgeschrieben. Er beträgt mindestens 10 % des Schadens, höchstens jedoch das Eineinhalbfache der festen jährlichen Vergütung. Für Vergleiche ist der gesetzliche Selbstbehalt jedoch nicht bindend, da eine Pflichtverletzung nicht feststeht. Für GmbH-Geschäftsführer und Aufsichtsräte gibt es keinen gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt. B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung I. Rechtliche Grundlagen Ingo Theusinger/Lars Teigelack
1485 Die §§ 62, 57 AktG und §§ 31, 30 GmbHG sollen das Kapital der AG bzw. GmbH vor unberechtigtem Zugriff durch die Gesellschafter schützen. Sie flankieren die Vorschriften zur Kapitalaufbringung und sollen bewirken, dass das einmal aufgebrachte (Garantie)Vermögen weder offen noch versteckt wieder an die Gesellschafter zurückfließt. Auch wenn die Reichweite des Schutzes dieser Normen unterschiedlich ist – in der GmbH ist lediglich das Stammkapital vor dem Zugriff der Gesellschafter geschützt, während in der AG das gesamte Vermögen geschützt ist –, bilden beide Normen grundlegende Prinzipien des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts ab und sind unverzichtbar. Sie stehen in der Praxis bei Auseinandersetzungen um unzulässige Vermögensverschiebungen im Fokus und werden daher hier näher behandelt. 1486 Kommt es zu einer Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften, kommt regelmäßig auch eine Schadensersatzhaftung der Vorstandsmitglieder bzw. der Geschäftsführer und auch der Aufsichtsratsmitglieder in Betracht, die in diesem Kapitel allerdings nicht näher behandelt wird.2047) ___________ 2047) Siehe dazu oben unter Teil 2 B.
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B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung
1. §§ 62, 57 AktG § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verbietet jede Leistung der AG an die Aktionäre, die 1487 wegen der Mitgliedschaft aller oder einzelner Aktionäre erbracht wird, wenn sie nicht aus dem Bilanzgewinn erfolgt oder ausnahmsweise gesetzlich zugelassen ist. Gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG sind gegen § 57 AktG verstoßende Leistungen zurückzugewähren. Unter den Begriff der Leistung fällt jede Vermögensverschiebung und grund- 1488 sätzlich auch die Übertragung von Verbindlichkeiten des Aktionärs auf die Gesellschaft. Sie ist gem. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG unzulässig, wenn die Gesellschaft dafür keine angemessene Gegenleistung erhält.2048) Zur Konkretisierung der Angemessenheit können für einzelne Vermögensgegenstände etwaige Marktpreise oder bei Gegenständen des Anlagevermögens u. U. die Wiederbeschaffungswerte angesetzt werden.2049) Sind Unternehmen oder Unternehmensteile Gegenstand der Leistung an den Aktionär, so sind regelmäßig die herkömmlichen Bewertungsmethoden bei der Ermittlung der Angemessenheit der Gegenleistung heranzuziehen.2050) Besteht auf der Grundlage dieser Wertermittlung ein Missverhältnis, liegt eine Verletzung des § 57 AktG nahe, ist aber keineswegs zwingend. Stets ist das gesamte Geschäft in den Blick zu nehmen und zu beurteilen, ob anderweitige Vorteile, die unmittelbar mit dem Geschäft verbunden sind, ein etwaiges Missverhältnis ausgleichen können.2051) Auf subjektive Erwägungen des Vorstands, der beispielsweise Leistung und Gegenleistung irrig für ausgeglichen hält, kommt es hingegen nicht an.2052) Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die Leistung offen oder ver- 1489 deckt erfolgt.2053) In der Praxis finden sich verdeckte Zuwendungen deutlich häufiger. Dabei wird versucht, die Zuwendung an den Aktionär durch andere Geschäfte zu verschleiern. Als eine Form der Verschleierung lassen sich Leistungen durch und an Drit- 1490 te verstehen. Der Wortlaut des § 57 AktG spricht zwar lediglich von Leistungen an Aktionäre. Sein Sinn und Zweck gebietet aber eine weite Auslegung. Erfasst sind daher sowohl das Handeln Dritter für Rechnung oder auf Veranlassung der AG sowie Leistungen an einen Dritten, die entweder im Hinblick auf seine frühere oder künftige Aktionärseigenschaft erfolgen oder ___________ 2048) Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 8; dort ebenfalls zum Verhältnis zwischen „Drittvergleich“ und „Vollwertigkeit“; siehe hierzu auch bereits Kiefner/Theusinger, NZG 2008, 801, 806. 2049) Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 10. 2050) Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 10. 2051) Vgl. Spindler/Stilz/Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rn. 17. 2052) Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 11. 2053) Spindler/Stilz/Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rn. 14.
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dem Aktionär zuzurechnen sind.2054) Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn Leistungen an eine Gesellschaft erfolgen, deren Alleingesellschafter der Aktionär ist oder die an den Aktionär weitergeleitet werden. 1491 Von diesem Verbot nicht erfasst sind die Zahlung des Kaufpreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien (§ 57 Abs. 1 Satz 2 AktG),2055) Leistungen die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags erfolgen2056) und Leistungen, die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt sind (§ 57 Abs. 1 Satz 3 AktG). Vom Verbot der Einlagenrückgewähr ebenfalls nicht erfasst sind Zahlungen auf Aktionärsdarlehen (§ 57 Abs. 1 Satz 4 AktG). In der Praxis wirft insbesondere die Gewährung von Darlehen durch die Gesellschaft Fragen auf, die unter Rn. 1504 ff. im Überblick behandelt werden. 1492 Verstößt eine Leistung gegen § 57 AktG, ist sie gem. § 62 Abs. 1 AktG zurückzugewähren. Bei Leistungen an Dritte, die von § 57 AktG erfasst sind, ist zu unterscheiden: Steht der Dritte einem Aktionär gleich, richtet sich der Anspruch in analoger Anwendung des § 62 AktG gegen ihn. Ist dies nicht der Fall, richtet sich der Anspruch gegen den Aktionär.2057) Der Rückgewähranspruch gem. § 62 Abs. 1 AktG verjährt gem. § 62 Abs. 3 Satz 1 AktG in zehn Jahren seit Empfang der Leistung. Gem. § 62 Abs. 3 Satz 2 AktG gilt § 54 Abs. 4 Satz 2 AktG entsprechend, so dass Verjährung im Falle der Insolvenzeröffnung nicht vor Ablauf von sechs Monaten ab Eröffnung des Verfahrens eintritt. 2. §§ 31, 30 GmbHG 1493 Gem. § 30 Abs. 1 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Die Geschäftsführer dürfen also keine Leistungen an oder zu Gunsten von Gesellschaftern erbringen, wenn und soweit eine Unterdeckung besteht oder dadurch herbeigeführt oder vertieft wird.2058) 1494 Eine Unterdeckung liegt vor, wenn das Aktivvermögen der Gesellschaft abzüglich der Summe aller Verbindlichkeiten einschließlich Rückstellungen, aber ___________ 2054) Bürgers/Körber/Westermann, AktG, § 57 Rn. 8. Eingehend zu Konstellationen unter Einbeziehung Dritter Spindler/Stilz/Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rn. 56 ff. 2055) Verstößt der derivative Erwerb eigener Aktien also gegen die §§ 71, 71a – e AktG stellt die Zahlung des Erwerbspreises grundsätzlich eine unzulässige Einlagenrückgewähr dar. 2056) Erfolgen gegen § 57 AktG verstoßende Leistungen im Rahmen eines faktischen Konzerns, verdrängen Ansprüche aus §§ 311, 317 AktG die Ansprüche aus § 62 AktG bis zum Ende des Geschäftsjahres, weil die herrschende Gesellschaft die Möglichkeit hat, diese Nachteile auszugleichen. 2057) Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rn. 5. 2058) Liese, in: Hauschka, § 7 Rn. 137. Siehe auch eingehend zum Ganzen: Sernetz/Kruis, Kapitalaufbringung und -erhaltung in der GmbH. Grundlegend: Schmolke, Kapitalerhaltung in der GmbH nach dem MoMiG, 2009.
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B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung
ohne Rücklagen, in seinem rechnerischen Wert unter die Ziffer des Stammkapitals sinkt.2059) Beispiel: Eine GmbH hat ein Stammkapital von EUR 100.000,00. Im Geschäftsjahr 2016 stehen dem Aktivvermögen (ausschließlich Rücklagen) in Höhe von EUR 250.000,00 Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 260.000,00 gegenüber. Die Gesellschaft weist eine Unterbilanz in Höhe von EUR 10.000,00 auf. Auszahlungen an Gesellschafter sind erst nach Beseitigung der Unterbilanz wieder zulässig. Der Begriff der Zahlung in § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG wird – wie bei § 57 1495 AktG – weit ausgelegt. Er ist nicht auf Geldleistungen beschränkt, sondern erfasst Leistungen aller Art, denen keine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht und die bei wirtschaftlicher Betrachtung das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen verringern.2060) Auch bei der Ermittlung der Angemessenheit der Gegenleistung gelten ähn- 1496 liche Grundsätze wie bei der Auslegung des § 57 AktG. Die Gegenleistung ist grundsätzlich angemessen, wenn sie dem Verkehrswert, d. h. dem Marktwert, des Vermögensgegenstandes entspricht. Besteht ein Missverhältnis, liegt eine Verletzung des § 30 GmbH nahe; allerdings ist zu bedenken, dass stets das gesamte Geschäft betrachtet werden muss und daher auch in unmittelbarem Zusammenhang gewährte Vorteile in die Betrachtung einfließen müssen. Auch § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG erfasst aufgrund seines Schutzzwecks un- 1497 ter bestimmten Voraussetzungen Leistungen der Gesellschaft an Dritte. Dabei ist zu unterscheiden: Leistungen an Dritte, die im wirtschaftlichen Ergebnis unmittelbar dem Gesellschafter zu Gute kommen, fallen unter § 30 GmbHG.2061) Differenzierter sind die Fälle zu beurteilen, in denen die Leistung unmittelbar an einen Dritten erbracht wird und auch diesem zu Gute kommt. In solchen Situationen ist zu ermitteln, ob zwischen dem Dritten und dem Gesellschafter ein Näheverhältnis besteht, das eine Zurechnung der Leistung an den Gesellschafter rechtfertigt.2062) Der Schutz des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG greift nicht ein, wenn Leistungen 1498 bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Verstößt eine Leistung gegen § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, steht der Gesell- 1499 schaft ein Rückgewähranspruch gem. § 31 Abs. 1 GmbHG zu. Dieser An___________ 2059) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 30 Rn. 19. Beispiel nach Liese, in: Hauschka, § 7 Rn. 137. 2060) Aufgrund des vergleichbaren Schutzzwecks beider Normen können die vorstehend zu § 57 AktG entwickelten Kriterien auch zur Auslegung der §§ 31, 30 GmbHG herangezogen werden. 2061) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 30 Rn. 25. 2062) Siehe hierzu ausführlich MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, § 30 Rn. 170 ff.
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spruch richtet sich grundsätzlich gegen den Gesellschafter. Umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist hingegen, wer passivlegitimiert ist, wenn die Leistung an einen Dritten, der dem Gesellschafter zuzurechnen ist, erfolgte.2063) Ferner ist der konkrete Inhalt des Anspruchs zu klären, der seinerseits abhängt vom Inhalt des betroffenen Leistungsaustauschs: Die Gesellschaft kann grundsätzlich Wiederauffüllung des Gesellschaftsvermögens verlangen. Dies kann durch Rückgewähr des übertragenen Gegenstandes oder durch Wertersatz erfolgen. Der konkrete Inhalt des Rückgewähranspruchs ist unproblematisch zu bestimmen bei Geldleistungen oder der Erbringung von Dienstleistungen. Sie können nur in Geld zurückgewährt werden. Bei Erwerbsgeschäften, die gegen § 30 GmbHG verstoßen, kommen dagegen zwei Lösungen in Betracht: Wertersatz oder Rückabwicklung des Erwerbsgeschäfts. Rechtsprechung und herrschende Lehre halten grundsätzlich die Rückgewähr in natura, bei Austauschgeschäften also deren Rückabwicklung für erforderlich.2064) Der vorstehend erläuterte Rückgewähranspruch nach § 31 Abs. 1 GmbHG ist begrenzt auf den Teil der Leistung, der verbotswidrig erfolgte. Beispiel: Eine GmbH verfügte vor einer Auszahlung in Höhe von EUR 100.000,00 an einen Gesellschafter über ungebundenes Vermögen in Höhe von EUR 50.000,00. Der Anspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG besteht lediglich in Höhe von EUR 50.000,00. Dies schließt allerdings nicht aus, dass die übrigen EUR 50.000,00 nach anderen Anspruchsgrundlagen zurückgefordert werden können. 1500 Der Anspruch ist zugleich nicht beschränkt auf die Höhe der Stammkapitalziffer. Der Rückforderungsanspruch kann die Stammkapitalziffer beispielsweise dann überschreiten, wenn die Gesellschaft vor der Auszahlung bereits bilanziell überschuldet war. Stets ist der Rückgewähranspruch aber begrenzt auf die Höhe des dem Gesellschafter zugeflossenen Vermögens.2065) Andernfalls bestünde eine Nachschusspflicht, die dem GmbH-Gesetz fremd ist. 1501 Der Gesellschafter kann sich gegen den Anspruch insbesondere mit dem Einwand verteidigen, er habe sich in gutem Glauben befunden, § 31 Abs. 2 GmbHG. Gutgläubig im vorgenannten Sinne handelt, wer die Umstände, die zur kapitalschutzrechtlichen Unzulässigkeit des Vorgangs führen, weder kennt noch grob fahrlässig kennen musste.2066) Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des „guten Glaubens“ ist der Zeitpunkt des Empfangs der Leistung.2067) Der Einwand, in gutem Glauben gehandelt zu haben, greift allerdings dann nicht durch, wenn die Rückerstattung zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, § 31 Abs. 2 GmbHG. ___________ 2063) Vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rn. 9 ff. 2064) Siehe hierzu ausführlich MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, § 31 Rn. 3 ff. 2065) Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff, GmbHG, § 31 Rn. 9. 2066) MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, § 31 Rn. 43 f. 2067) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rn. 18a.
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B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung
Ist die Erstattung vom Empfänger nicht zu erlangen, haften die übrigen Gesellschafter im Verhältnis ihrer Gesellschaftsanteile solidarisch, soweit der Betrag zur Befriedigung der Gläubigerinteressen erforderlich ist, § 31 Abs. 3 GmbHG. Ansprüche gem. § 31 Abs. 1 GmbHG verjähren innerhalb von zehn Jahren, An- 1502 sprüche gem. § 31 Abs. 3 GmbHG binnen fünf Jahren, § 31 Abs. 5 GmbHG. Die Verjährung beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem die verbotswidrige Zahlung geleistet wurde, § 31 Abs. 5 Satz 2 GmbHG. Gem. § 31 Abs. 5 Satz 3 GmbHG gilt § 19 Abs. 6 Satz 4 GmbHG entsprechend, so dass Verjährung im Falle der Insolvenzeröffnung nicht vor Ablauf von sechs Monaten ab Eröffnung des Verfahrens eintritt. II. Typische Fallgestaltungen Die Fälle, in denen es zu Verstößen gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften 1503 kommt, ähneln sich bei AG und GmbH. Stets ist allerdings zu bedenken, dass die Kapitalerhaltung in der GmbH nicht so streng ist wie in der AG, da aus dem ungebundenen Vermögen der GmbH Leistungen an den Gesellschafter ohne angemessene Gegenleistung abfließen dürfen. Bei der Darlehensgewährung an Gesellschafter, beispielsweise beim Cash-Pooling, und mit ihr zusammenhängenden Leistungen, wie der Stellung von Sicherheiten, sowie bei Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter stellen sich im Ergebnis sowohl in der AG als auch in der GmbH dieselben Fragen mit Blick auf die Kapitalerhaltung (dazu unter Rn. 1504 ff.). Besonderheiten der Konzernierung werden ebenfalls kurz beleuchtet (ebenfalls unter Rn. 1515 ff.).2068) Schließlich folgt ein kurzer Überblick über Fallgestaltungen bei der AG, insbesondere den Abkauf von Anfechtungsklagen sowie die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos. Sie runden den Überblick über typische Fälle, in denen die Kapitalerhaltung in der Praxis relevant wird, ab (dazu unter Rn. 1527 ff.). 1. Darlehen an Gesellschafter a) Darlehen Darlehensvergaben an Aktionäre bzw. an Gesellschafter einer GmbH sind 1504 an weitgehend identischen Kriterien zu messen, insbesondere der Kapitalerhaltung und der Einhaltung der allgemeinen Sorgfaltspflichten. Bei der Entscheidung über das Ob der Kreditvergabe sind Geschäftsführer der GmbH jedoch anders als Vorstände einer AG weisungsgebunden. Zahlreiche Einzelheiten sind umstritten, folgende Leitlinien lassen sich aller- 1505 dings aus Rechtsprechung und Literatur herausarbeiten:2069) ___________ 2068) Fragen der allgemeinen Sorgfaltspflicht werden an dieser Stelle ausgeblendet. 2069) Vgl. jüngst den umfassenden Überblick bei Mülbert/Sajnovits, WM 2015, 2345. Siehe auch schon zum Folgenden: Theusinger/Czernicky, CCZ 2009, 146, 154 ff.
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aa) Grundsätzliche Zulässigkeit 1506 Die GmbH darf Darlehen aus ihrem ungebundenen Vermögen ausreichen, wenn dabei die allgemeinen Sorgfaltspflichten eingehalten werden. Sog. „limitation languages” sind noch immer der sicherste Weg, einen Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften zu verhindern. 1507 Darlehen aus dem gebundenen Vermögen einer GmbH und Darlehen einer AG an ihre jeweiligen Gesellschafter sind generell zulässig, wenn sie durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt sind (§§ 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 AktG; 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GmbHG).2070) Bei der Darlehensvergabe ist der Rückzahlungsanspruch vom Zinsanspruch als Gegenleistungsanspruch zu unterscheiden. bb) Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs 1508 Der Darlehensrückzahlungsanspruch muss vollwertig sein. Die Bonität des Schuldners muss unzweifelhaft sein, der Schuldner also seine Gesamtverbindlichkeiten unter Einschluss derjenigen aus dem jeweiligen Neudarlehen decken können. Die Vollwertigkeit fehlt dagegen, wenn ein konkretes Ausfallrisiko besteht.2071) 1509 Eine Besicherung eines an sich vollwertigen Rückzahlungsanspruchs ist nicht erforderlich.2072) Allerdings kann die Besicherung eine fehlende Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs ausgleichen. Aufgrund der Trennung zwischen Rückzahlungs- und Zinsanspruch kann eine erhöhte Verzinsung allerdings keine Vollwertigkeit herstellen. 1510 Ein konkretes Ausfallrisiko ist anhand der Umstände des Einzelfalls von einem noch zu tolerierenden Risiko abzugrenzen. Gute Gründe sprechen dafür, ein konkretes Ausfallrisiko auszuschließen, wenn der Schuldner über ein Investment Grade-Rating verfügt.2073) Da aber viele unterschiedliche Faktoren die Darlehensgewährung an einen Gesellschafter bestimmen können, kann das Vorliegen eines konkreten Ausfallrisikos nicht nur an Hand der Bewertung von Ratingagenturen, sondern auch anders ermittelt werden, beispielsweise durch realistische Cash-Flow-Betrachtungen des Schuldners. Entscheidend ist eine realistische Mittelplanung, die eine belastbare Grundlage für die Prognose bietet.
___________ 2070) BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, NJW 2011, 2719 = ZIP 2011, 1306 – Telekom III. 2071) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS. 2072) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS. 2073) Ausführlich zum Rating Mülbert/Sajnovits, WM 2015, 2345, 2348.
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B. Streitigkeiten im Bereich Kapitalerhaltung
cc) Verzinsung; maßgeblicher Zeitpunkt Der Zinsanspruch muss regelmäßig, zumindest bei Darlehen mit Laufzeit von 1511 mehr als einem Jahr, marktüblich sein.2074) Dies ergibt sich aus dem Deckungsgebot und auch auch aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten. Eine nicht marktübliche Verzinsung kann unter Umständen durch andere Vorteile ausgeglichen werden, die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Darlehensgewährung stehen. Vollwertigkeit und Deckung müssen bei Ausreichung des Darlehens (falls 1512 abweichend: auch im Moment des Vertragsschlusses) gegeben sein, nachträgliche Verschlechterungen sind für die Beurteilung der Darlehensausreichung anhand der Kapitalerhaltungsregeln unbeachtlich.2075) dd) Geschäftsleiterpflichten Der Geschäftsleiter muss beurteilen, ob der Rückzahlungsanspruch gegen 1513 den Gesellschafter bei Ausreichung des Darlehens vollwertig und die Verzinsung marktüblich ist. Dabei steht dem Geschäftsleiter ein Beurteilungsspielraum zu.2076) Zudem muss er sorgfältig prüfen, ob die Ausreichung des Darlehens im Unternehmenswohl erfolgt. Dies kann bspw. dann ausscheiden, wenn die Gesellschaft auf die abfließende Liquidität angewiesen ist. Außerdem muss der Geschäftsleiter während der Laufzeit des Darlehens lau- 1514 fend etwaige Änderungen des Kreditrisikos überprüfen und auf Verschlechterungen durch Anforderung von Sicherheiten oder Kündigung reagieren.2077) Im Darlehensvertrag dürften daher regelmäßig entsprechende Einsichts- und Informationsrechte hinsichtlich der für die Bestimmung der Vollwertigkeit relevanten Kennzahlen vorgesehen und Mechanismen einer etwaigen späteren Sicherheitenbestellung vorgezeichnet werden. Verletzt der Geschäftsleiter diese Pflichten und entsteht daraus ein Schaden, kann der Gesellschaft ein Schadensersatzanspruch gegen ihn zustehen (dazu unter Rn. 1542 ff.). b) Insbesondere: Konzern-Konstellationen aa) Faktischer Konzern Im faktischen AG-Konzern richtet sich die Praxis der Kreditvergabe nach 1515 § 57 AktG. Vollwertigkeit und Deckung des Darlehensrückzahlungsanspruchs ___________ 2074) Str., zum Streitstand Mülbert/Sajnovits, WM 2015, 2345, 2349 f. 2075) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS; siehe auch Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 43 Rn. 49a. 2076) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 43 Rn. 49a (dort Fn. 426 auch m. N. zur AG); Mülbert/Sajnovits, WM 2015, 2345, 2346. Zur Frage, ob die business judgment rule eingreifen kann Mülbert/Sajnovits, WM 2015, 2345, 2353 ff. 2077) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS; ausführlich Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 43 Rn. 49a.
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orientieren sich daher an den soeben dargestellten Kriterien.2078) Daneben sind auch im faktischen Konzern die allgemeinen Sorgfaltspflichten sowie die Regeln zum Schutz der abhängigen Gesellschaft (§§ 311 ff. AktG) zu beachten. Allerdings wird die Auslegung der §§ 311 ff. AktG bei der Ausreichung von Darlehen an Gesellschafter durch § 57 AktG bestimmt. 1516 Daher gelten folgende Grundzüge: Reicht die abhängige AG ein unbesichertes Darlehen aus und ist der Rückzahlungsanspruch vollwertig, liegt darin kein Nachteil i. S. d. § 311 AktG. Eine Besicherung ist dann ebenfalls nicht erforderlich.2079) Bleibt die Verzinsung hinter dem Marktüblichen zurück, so liegt darin ein (gesondert zu prüfender) Verstoß gegen das für Gegenleistungsansprüche geltende Deckungsgebot. Der Nachteil kann in der Differenz der tatsächlichen zur marktüblichen Verzinsung liegen. 1517 Ist der Rückzahlungsanspruch nicht vollwertig (konkretes Ausfallrisiko und keine Besicherung), ist die Übernahme dieses konkreten Ausfallrisikos ein nach dem MPS-Urteil nicht ausgleichsfähiger Nachteil.2080) 1518 Für die GmbH gelten grundsätzlich die §§ 30, 31 GmbHG und nicht die §§ 311 ff. AktG analog. Flankiert und unter Umständen sogar verschärft werden können diese Regeln durch das aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht abgeleitete Schädigungsverbot. bb) Besonderheiten im Vertragskonzern 1519 Besteht ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag besteht der Kapitalschutz in der vorstehend skizzierten Form nicht, § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Die Gesellschaften sind – so der Grundgedanke – in solchen Fällen hinreichend durch das Vertragskonzernrecht, insbesondere des Bestehens des Verlustausgleichsanspruchs, geschützt. Allerdings dürfen die Geschäftsleiter der abhängigen Gesellschaft nur rechtmäßige nachteilige Weisungen befolgen. Als Grenze gilt nach überwiegender Auffassung der Schutz der Lebensfähigkeit der Gesellschaft (Stichwort: Existenzvernichtender Eingriff).2081) 1520 Darlehen, die nicht existenzgefährdend sind, können daher bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags ohne Prüfung der Vollwertigkeit des Verlustausgleichsanspruchs gewährt werden. ___________ 2078) Zusammenfassung der Ausführungen des MPS-Urteils (BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70) bei Theusinger/Cernicky, CCZ 2009, 146, 151. 2079) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS. 2080) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS. 2081) Vgl. ausführlich zum Ganzen Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 308 Rn. 60 ff. m. w. N.; Einzelheiten dieser Fragestellung können im Rahmen dieses Beitrags nicht näher untersucht werden.
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Sollte die Grenze zur Existenzvernichtung überschritten werden, sind ent- 1521 sprechende Weisungen nach herrschender Auffassung regelmäßig rechtswidrig. Dies gilt unabhängig davon, ob das herrschende Unternehmen eine nachteilige Weisung erteilt hat. Denn ausweislich des Wortlauts der jeweiligen Einschränkung kommt es lediglich auf das Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags an, nicht aber darauf, ob das herrschende Unternehmen sein Weisungsrecht ausnutzt. Die Schwelle zur Existenzvernichtung kann beispielsweise überschritten sein, 1522 wenn ein etwaiger Verlustausgleichsanspruch voraussichtlich nicht werthaltig ist. Die Werthaltigkeitsprüfung des Verlustausgleichsanspruchs folgt den Kriterien, die auch zur Bestimmung der Vollwertigkeit i. S. d. § 57 AktG herangezogen werden. c) Bestellung von Sicherheiten zu Gunsten von Gesellschaftern Bei aufsteigenden Sicherheiten bezieht sich das Vollwertigkeitsgebot auf den 1523 Rückgriffsanspruch, der der AG im Fall der Inanspruchnahme der Sicherheit gegenüber dem Aktionär und Schuldner der besicherten Forderung zusteht. Die besseren Gründe sprechen dafür, bei der Prüfung der Vollwertigkeit zweistufig vorzugehen und dabei an den Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung anzuknüpfen: Auf einer ersten Stufe ist zu prüfen, ob mit einer Inanspruchnahme aus der Sicherheit zu rechnen ist. Ist dies zu verneinen, ist der Vorgang bilanzneutral, da keine Notwendigkeit besteht, eine etwaige Inanspruchnahme aus der Sicherheit auf der Passivseite durch Bildung einer entsprechenden Rückstellung abzubilden; die etwaige Inanspruchnahme wird rechnungslegungstechnisch erst „unterm Strich” als Eventualverbindlichkeit erfasst. Ist hingegen mit einer Inanspruchnahme zu rechnen (mit der Folge, dass eine entsprechende Rückstellung zu bilden ist), ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Gewährung der Garantie ein werthaltiger Rückgriffsanspruch „neutralisierend” gegenübersteht.2082) Einzelheiten – insbesondere der Zeitpunkt für die Feststellung einer unzuläs- 1524 sigen Leistung im GmbH-Recht (Bestellung oder Verwertung der Sicherheit) – sind insbesondere bei der GmbH umstritten und können hier nicht erörtert werden.2083) 2. Weitere Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern unterliegen 1525 nicht per se dem Verdacht, dass auf diese Weise Vermögen unzulässig ver___________ 2082) Siehe hierzu Wand/Tillmann/Heckenthaler, AG 2009, 148; Theusinger/Kiefner, NZG 2008, 801. 2083) Eingehend Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 30 Rn. 60 ff.; Theusinger/Kapteina, NZG 2011, 881.
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schoben wird. Denn bereits aus steuerlichen Gründen werden die beteiligten Parteien bemüht sein, den Leistungsaustausch angemessen zu gestalten. 1526 In den Fällen, die gerichtlich entschieden wurden, zeigen sich allerdings gewisse Muster: Häufig werden Dienstleistungsverträge und Verträge im Zusammenhang mit Veränderungen im Gesellschafterkreis dazu genutzt, um gegen §§ 57 AktG bzw. 30 GmbHG verstoßende Leistungen zu verschleiern.2084) 3. Besonderheiten bei der AG 1527 § 57 AktG erfasst auch den sog. und früher weit verbreiteten Abkauf von Anfechtungsklagen. Im wirtschaftlichen Ergebnis einigen sich der Kläger und die Beklagte darauf, dass der Kläger gegen Zahlung einer bestimmten Summe seine Anfechtungsklage zurücknimmt. In jedem Einzelfall ist zu entscheiden, ob es sich dabei um eine – auch unter dem Gesichtspunkt des § 57 AktG – zulässige vergleichsweise Beilegung eines Beschlussmängelstreits handelt oder aber um eine gem. § 57 AktG unzulässige Leistung. Die Abgrenzung ist schwierig. Weder Rechtsprechung noch Literatur haben bislang griffige Formeln entwickelt. Angesichts der rückläufigen Zahlen von Anfechtungsklagen2085) kann die Praxis mit der bestehenden Situation jedenfalls umgehen. 1528 Auch in der Übernahme des Prospekthaftungsrisikos bei der Platzierung von Altaktien des Großaktionärs an der Börse kann eine nach § 57 AktG unzulässige Leistung liegen.2086) Wenn der Aktionär die Gesellschaft von diesem Risiko freistellt und die Freistellung werthaltig ist, liegt jedenfalls keine unzulässige Einlagenrückgewähr vor. Denn dann gleicht der Aktionär das Risiko, das durch die Prospekthaftung entsteht, aus. Einzelheiten, insbesondere bei der gemeinsamen Platzierung von jungen Aktien und Altaktien, sind umstritten.2087) III. Typische Situationen, in denen Verletzungen der Kapitalerhaltungsvorschriften geltend gemacht werden 1529 Typischerweise wird die Verletzung von Kapitalerhaltungsvorschriften immer dann geltend gemacht, wenn sich das Machtgefüge innerhalb der Gesellschaft ___________ 2084) BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, NJW 1987, 1194 = ZIP 1987, 575 (Übernahme von Bauleistungen durch eine GmbH zu unangemessenen Konditionen); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 30.11.1995 – 6 U 192/91, BB 1996, 445 (Überlassen eines Markenzeichens an Aktionär bei dessen Ausscheiden). Weitere Beispiele bei MünchKomm-AktG/ Bayer, § 57 Rn. 71; Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 12. 2085) Empirie bei Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329; Bayer/Hoffmann/Sawada, ZIP 2012, 897 und Bayer/Hoffmann, ZIP 2013, 1193. 2086) BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, NJW 2011, 2719 = ZIP 2011, 1306 – Telekom III. 2087) Im Einzelnen Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328; Mülbert/Wilhelm, in: Festschrift Hommelhoff, 2012, S. 303 jeweils m. w. N.
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verändert, insbesondere in der Insolvenz und bei einem Wechsel des Mehrheitsgesellschafters. IV. Durchsetzung von Ansprüchen Ansprüche wegen der Verletzung von Kapitalerhaltungsvorschriften richten 1530 sich regelmäßig gegen die Gesellschafter, unter Umständen auch gegen den Gesellschaftern nahestehende Dritte (oben Rn. 1490 und 1497) und ferner gegen die Geschäftsleiter, wenn und soweit sie pflichtwidrig und schuldhaft die Zahlungen veranlasst oder nicht unterbunden haben. Prozessuale Besonderheiten gegenüber anderen Ansprüchen gegen Gesellschafter oder Geschäftsleiter (wie etwa eine Beweislastumkehr) sind selten und belasten eher die Anspruchsgegner als die Gesellschaft. 1. Zuständigkeitsfragen Klagen gegen Aktionäre, Gesellschafter oder ihnen nahestehende Dritte 1531 sind an deren allgemeinem Gerichtsstand gem. §§ 12, 13 ZPO zu erheben. Daneben besteht der Gerichtsstand der Mitgliedschaft nach §§ 22, 17 ZPO.2088) Für Klagen gegen Vorstandsmitglieder einer AG und gegen Geschäftsführer 1532 einer GmbH besteht neben dem allgemeinen Gerichtsstand der Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Sitz der Gesellschaft.2089) Klagen der Gesellschaft gegen Aktionäre, Gesellschafter oder Geschäftsleiter 1533 sind regelmäßig Handelssachen nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG, weil die sachliche Zuständigkeit der Landgerichte in aller Regel eröffnet ist. Die Gesellschaft kann zwischen der Zivilkammer und der Kammer für Handelssachen wählen (§ 96 Abs. 1 GVG); erhebt sie Klage zur Zivilkammer, kann der Beklagte nach §§ 98 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 1 Satz 2 GVG innerhalb der Frist zur Klageerwiderung Verweisung an die Kammer für Handelssachen beantragen. 2. Aktiv- und Passivlegitimation; Vertretung der Gesellschaft Rückgewähransprüche stehen der Gesellschaft zu. Bei der GmbH & Co. 1534 KG steht der Erstattungsanspruch der KG zu, wenn die nach § 30 GmbHG verbotenen Leistungen aus dem Vermögen der KG stammen.2090) Die GmbH macht diesen Anspruch als Komplementärin geltend, kann aber 1535 nur auf Leistung in das Vermögen der KG klagen. Nach anderer Auffassung macht die GmbH einen eigenen Anspruch geltend.2091) Der Unterschied hat nicht nur Bedeutung für die Aktivlegitimation, sondern auch für die ggf. erforderliche actio pro socio. ___________ 2088) Zöller/Vollkommer, ZPO, § 22 Rn. 6. 2089) MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 337 m. w. N. Zur GmbH siehe auch BGH, Urt. v. 10.02.1992 – II ZR 23/91, BB 1992, 726. 2090) BGH, Urt. v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 = ZIP 1990, 578. 2091) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rn. 7; Scholz/Verse, GmbHG, § 31 Rn. 91.
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1536 Passivlegitimiert ist der Aktionär oder Gesellschafter, der die Leistung empfangen hat (dazu und zu Zweifeln bei Leistungen an nahestehende Dritte oben Rn. 1490 ff. bei Verstößen gegen § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG oder § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG der Geschäftsleiter. 1537 Die Vertretung der Gesellschaft richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Ansprüche der AG auf Rückgewähr hat der Vorstand grundsätzlich geltend zu machen. Es bedarf keines gesonderten Beschlusses. Richtet sich der Anspruch gegen ein Mitglied des Vorstands, ist nach § 112 Satz 1 AktG der Aufsichtsrat zuständig. 1538 Für Klagen der GmbH auf Rückgewähr ist schließlich kein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG erforderlich.2092) 3. Darlegungs- und Beweislast a) Klagen gegen Aktionäre 1539 Die Beweislast folgt den allgemeinen Regeln. Der Aktionär muss darlegen und beweisen, dass er die Leistung als Gewinnanteil aufgrund eines Gewinnverwendungsbeschlusses erhalten hat. Die AG muss dagegen den bösen Glauben des Aktionärs nachweisen.2093) Im Gegensatz zur GmbH (dazu sogleich) schadet dem Aktionär bereits einfache Fahrlässigkeit; der Aktionär muss noch bei Leistungsempfang gutgläubig sein.2094) b) Klagen gegen GmbH-Gesellschafter 1540 Auch im Recht der GmbH ist die Gesellschaft für die Voraussetzungen des Rückzahlungsanspruchs darlegungs- und beweisbelastet. Abweichendes gilt nur dann, wenn der Gesellschafter einwendet, die Auszahlung im guten Glauben erhalten zu haben (§ 31 Abs. 2 GmbHG). Hier muss der Gesellschafter seinen guten Glauben bei Erhalt der Leistung darlegen und ggf. beweisen. Entsprechend § 932 Abs. 2 BGB schaden dem Gesellschafter Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis der tatsächlichen Umstände aus denen sich die Unzulässigkeit der Auszahlung ergibt. Die Gesellschaft muss dagegen beweisen, dass die Leistung zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Umstritten ist, ob dieser Beweis sich auf den Auszahlungszeitpunkt oder den Zeitpunkt der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs beziehen muss.2095) 1541 Will die GmbH die übrigen Gesellschafter gem. § 31 Abs. 3 GmbHG auf den Ausfall in Anspruch nehmen, muss sie beweisen, dass sie vom Empfänger ___________ 2092) BGH, Urt. v. 8.12.1986 – II ZR 55/86, NJW 1987, 779 = ZIP 1987, 370. 2093) MünchKomm-AktG/Bayer, § 62 Rn. 71; Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rn. 14. 2094) MünchKomm-AktG/Bayer, § 62 Rn. 65, 69; Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rn. 13. 2095) Zum Ganzen auch Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rn. 18a ff. m. w. N. Ausführlich zum maßgeblichen Zeitpunkt: MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, § 31 Rn. 57.
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(voraussichtlich) keine Erstattung erlangen kann und dass der eingeklagte Betrag zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist.2096) Das Recht der AG kennt keine Ausfallhaftung der übrigen Aktionäre. c) Klagen gegen Geschäftsleiter Bei Klagen gegen Geschäftsleiter ist die Beweislast für den Schaden abwei- 1542 chend verteilt. Im Grundsatz muss die Gesellschaft selbst mit den Erleichterungen des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, der auch im Recht der GmbH gilt,2097) ihren Schaden darlegen und beweisen. Zugunsten der Gesellschaft gilt § 287 ZPO.2098) Bei verbotenen Auszahlungen nach § 57 Abs. 1 AktG oder § 30 Abs. 1 GmbHG 1543 wird dagegen vermutet, dass der Gesellschaft ein Schaden in Höhe der Auszahlung entstanden ist.2099) Die Geschäftsleiter können nur noch Ausgleich des Schadens, also Erstattung in das Vermögen der Gesellschaft, einwenden. Für über die verbotene Auszahlung hinausgehende Schäden gilt diese Vermutung allerdings nicht. Die Beweislast für den Verstoß gegen § 30 GmbHG, also für die Beeinträch- 1544 tigung des Stammkapitals, liegt jedoch bei der Gesellschaft; den Geschäftsführer trifft eine sekundäre Darlegungslast.2100) In der AG entfällt die Frage nach der Beeinträchtigung der Grundkapitalziffer, 1545 weil das gesamte Vermögen geschützt ist. 4. Klagearten a) Klagen der Gesellschaft gegen Gesellschafter Die Gesellschaft nimmt den Gesellschafter und/oder den ihm nahe stehen- 1546 den Dritten, der die verbotene Zuwendung erhalten hat, im Wege der Leistungsklage auf Rückgewähr in Anspruch. Geldzahlungen sind also vom Gesellschafter zurückzuerstatten, der Gesellschaft aufgebürdete Verpflichtungen sind aufzuheben. Hat der Gesellschafter einen Gegenstand erhalten, ist der Gegenstand zurückzugeben. Bei Dienstleistungen, Nutzungen oder Unmöglichkeit der Herausgabe ist 1547 der Wert zu ersetzen bzw. Schadensersatz in Geld zu leisten.2101) Neben dem gesellschaftsrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr sind weder dingliche Herausgabeansprüche noch bereicherungsrechtliche Ansprüche gegeben, weil so___________ 2096) Michalski/Heidinger, GmbHG, § 31 Rn. 75 m. w. N. 2097) BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314. 2098) BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314. 2099) Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 43 Rn. 49; Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 68. 2100) BGH, Beschl. v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, NZG 2006, 429 = ZIP 2006, 805. 2101) Vgl. MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, § 31 Rn. 3, 11; HüfferKoch, AktG, § 62 Rn. 9 ff.
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wohl das Verfügungsgeschäft als auch das Verpflichtungsgeschäft wirksam sind.2102) 1548 Feststellungsanträge dürften selten sein, weil der Abfluss aus dem Vermögen der Gesellschaft in der Regel feststeht, wenn der Erstattungsanspruch geltend gemacht wird. 1549 Die Solidarhaftung der übrigen Gesellschafter gem. § 31 Abs. 3 GmbHG ist insgesamt auf den Betrag der Stammkapitalziffer beschränkt.2103) 1550 Bei Klagen nach § 31 Abs. 3 GmbHG ist dies bei der Höhe des Zahlungsantrags zu berücksichtigen. Zahlt ein Gesellschafter nach § 31 Abs. 3 GmbHG, kann er sich bei den Geschäftsführern, die die Auszahlung verschuldet haben, als Gesamtschuldner schadlos halten (§ 31 Abs. 6 GmbHG). Im Verhältnis dieser Geschäftsführer ist an den Gesamtschuldnerregress und ggf. erforderliche Streitverkündungen zu denken. 1551 Nach umstrittener Ansicht ist der Rückgewähranspruch ab Verzugseintritt zu verzinsen. Die Gegenansicht wendet § 62 Abs. 2 AktG analog an (5 % ab Fälligkeit).2104) b) Klagen der Gesellschaft gegen Geschäftsleiter 1552 Schadensersatzklagen gegen Geschäftsleiter sind ebenfalls in aller Regel Leistungsklagen, unter Umständen verbunden mit Feststellungsanträgen in Bezug auf über die verbotene Auszahlung hinausgehende zukünftige Schäden. 1553 Neben den Geschäftsleitern haften die Zahlungsempfänger; ob als Gesamtschuldner, ist streitig.2105) Dies hat zum einen für den Antrag auf Zahlung „als Gesamtschuldner“ Bedeutung. Sind zum anderen nicht alle Gesamtschuldner zusammen verklagt, können Streitverkündungen zu erwägen sein. c) Klagen von Gesellschaftsgläubigern (AG) 1554 Anders als in der GmbH können in der AG die Gläubiger der Gesellschaft den Anspruch der Gesellschaft im eigenen Namen geltend machen (gesetzliche Prozessstandschaft), wenn keine Befriedigungsmöglichkeit bei der Gesellschaft besteht. Das hat insbesondere Bedeutung für die Einwendungen, ___________ 2102) Für die AG: BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819. Für die GmbH: BGH, Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = ZIP 1997, 1450; BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = ZIP 2001, 1458. Nachweise aus dem Schrifttum zur AG bei Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 32. Zur GmbH bei Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rn. 67. 2103) BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 285/03, NZG 2005, 845 = ZIP 2005, 1638. 2104) Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rn. 11. 2105) Für Gesamtschuld: Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 43 Rn. 49; gegen Gesamtschuld (§ 255 BGB analog): MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 290 jeweils m. w. N.
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die der Beklagte Aktionär dem Gläubiger entgegenhalten kann. Der Aktionär kann dem klagenden Gläubiger alle Einwendungen der AG gegen den Gläubiger sowie alle eigenen Einwendungen gegen die AG entgegenhalten. Eigene Einwendungen gegen den Gläubiger kann der Aktionär dagegen nicht vorbringen; anders nur, wenn der Gläubiger ihm versprochen hatte, ihn nicht in Anspruch zu nehmen. Der Gläubiger muss nach ganz herrschender Meinung auf Leistung an die AG klagen. Alles andere würde den Zweck der Kapitalerhaltung unterlaufen.2106) Gläubiger einer GmbH können aufgrund eines Titels gegen die Gesellschaft 1555 Ansprüche der Gesellschaft gegen Gesellschafter gem. § 31 GmbHG pfänden und an sich überweisen lassen. d) Klagen des Insolvenzverwalters oder Sachwalters Auch der Insolvenzverwalter kann (in der AG nach § 62 Abs. 2 Satz 2 AktG, 1556 in der GmbH nach § 148 InsO) einen Anspruch der Gesellschaft geltend machen. Seine Klagebefugnis endet erst mit Ende des Insolvenzverfahrens. Ist bereits ein Rechtsstreit anhängig, wird dieser gem. § 240 ZPO unterbrochen; der Insolvenzverwalter kann, muss ihn aber nicht aufnehmen. Die Klagebefugnis der Gläubiger einer AG ruht unabhängig von der Aufnahme bis zum Ende des Insolvenzverfahrens.2107) 5. Einstweiliger Rechtsschutz Einstweiliger Rechtsschutz ist im Zusammenhang mit Rückzahlungsansprü- 1557 chen nach §§ 62 AktG, 31 GmbHG und Schadensersatzansprüchen nach §§ 93 AktG, 43 GmbHG ohne weiteres vorstellbar. Die Bedenken gegen vorläufigen Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht (dazu insbesondere Rn. 126 ff.) richten sich nicht gegen die hier in Rede stehenden Zahlungsansprüche, weil keine Eingriffe in die Willensbildung der Gesellschaft zu befürchten sind. Etwas Anderes gilt jedoch, wenn der Antragsteller einen Beschluss über eine Zuwendung oder die Vollziehung eines solchen Beschlusses verhindern will. Zur Sicherung von Geldforderungen kommt in aller Regel der Arrest nach 1558 §§ 916 ff. ZPO in Betracht. Arrestanspruch ist die Forderung der Gesellschaft gegen den Gesellschafter, den nahestehenden Dritten oder den Geschäftsleiter. Arrestgrund für den dinglichen Arrest ist die drohende Verschlechterung der Vollstreckungsmöglichkeiten. Die Gesellschaft muss unmittelbar bevorstehende Verschlechterungen der Vermögenslage darlegen. Der Arrest kann allerdings nicht dazu eingesetzt werden, um das allgemeine Risiko, dass der Schuldner in die Insolvenz fällt, zu beseitigen oder jedenfalls
___________ 2106) Zum Ganzen: Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rn. 15 ff. 2107) Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rn. 18.
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zu minimieren.2108) Die Voraussetzungen des persönlichen Arrests (§ 918 ZPO) werden in der Praxis selten vorliegen. 1559 Die Hauptsacheklage muss für den Erlass eines Arrests nicht anhängig sein. Daher kann der Arrestschuldner nach § 926 Abs. 1 ZPO beim Arrestgericht beantragen, der Gesellschaft eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage zu setzen. Erhebt die Gesellschaft innerhalb dieser Frist keine Klage, wird der Arrest auf erneuten Antrag des Arrestschuldners nach § 926 Abs. 2 ZPO aufgehoben. 1560 Erweisen sich Arrest oder einstweilige Verfügung als von Anfang an unbegründet, steht dem Gegner ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch zu (§ 945 Abs. 1 ZPO), auf den der beratende Anwalt stets hinweisen sollte. C. Insolvenzanfechtung I. Grundlagen und Bedeutung der Insolvenzanfechtung 1. Zweck der Insolvenzanfechtung Stephan Kolmann
1561 Die Regeln zur Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) bezwecken, Vermögensverschiebungen im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung, welche die Befriedigungsaussichten der Gesamtheit der Gläubiger verschlechtert haben, rückgängig zu machen. Insoweit gelten eher wirtschaftliche als formalrechtliche Maßstäbe. 1562 Aus Sicht der Gläubigergesamtheit dient die Insolvenzanfechtung – neben der Inanspruchnahme von Geschäftsführungsorganen – als zentrales Instrument der Massemehrung, insbesondere mit der Zielsetzung, angesichts der wirtschaftlichen Situation des Schuldners ungerechtfertigte Sondervorteile zu beseitigen. Gegenläufig sind die an der Rechtssicherheit sowie am Vertrauensschutz orientierten Interessen des Anfechtungsgegners, den erlangten Vermögensvorteil behalten zu können. 1563 Das Gesetz operiert als Ergebnis einer Abwägung mit verschiedenen Elementen und unterschiedlichen Hürden im objektiven und/oder subjektiven Anfechtungstatbestand sowie über differenziert ausgestaltete „Verdachtsperioden“, um diesen Interessenkonflikt auszugleichen. Mit dieser Maßgabe lässt sich sagen, dass die Insolvenzanfechtung den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung auch im Vorfeld der Verfahrenseröffnung zu verwirklichen sucht. Denn setzt sich die Rückgewährverpflichtung des Einzelnen zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger durch, lebt die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner wieder auf, allerdings nur in dem Rang, den sie ohne die anfechtbare Rechtshandlung gehabt hätte. ___________ 2108) BGH, Urt. v. 19.10.1995 – IX ZR 82/94, BGHZ 131, 95. Weitere Beispiele für zulässige Arrestgründe bei Zöller/Vollkommer, ZPO, § 917 Rn. 5 ff.
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Stephan Kolmann
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zu minimieren.2108) Die Voraussetzungen des persönlichen Arrests (§ 918 ZPO) werden in der Praxis selten vorliegen. 1559 Die Hauptsacheklage muss für den Erlass eines Arrests nicht anhängig sein. Daher kann der Arrestschuldner nach § 926 Abs. 1 ZPO beim Arrestgericht beantragen, der Gesellschaft eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage zu setzen. Erhebt die Gesellschaft innerhalb dieser Frist keine Klage, wird der Arrest auf erneuten Antrag des Arrestschuldners nach § 926 Abs. 2 ZPO aufgehoben. 1560 Erweisen sich Arrest oder einstweilige Verfügung als von Anfang an unbegründet, steht dem Gegner ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch zu (§ 945 Abs. 1 ZPO), auf den der beratende Anwalt stets hinweisen sollte. C. Insolvenzanfechtung I. Grundlagen und Bedeutung der Insolvenzanfechtung 1. Zweck der Insolvenzanfechtung Stephan Kolmann
1561 Die Regeln zur Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) bezwecken, Vermögensverschiebungen im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung, welche die Befriedigungsaussichten der Gesamtheit der Gläubiger verschlechtert haben, rückgängig zu machen. Insoweit gelten eher wirtschaftliche als formalrechtliche Maßstäbe. 1562 Aus Sicht der Gläubigergesamtheit dient die Insolvenzanfechtung – neben der Inanspruchnahme von Geschäftsführungsorganen – als zentrales Instrument der Massemehrung, insbesondere mit der Zielsetzung, angesichts der wirtschaftlichen Situation des Schuldners ungerechtfertigte Sondervorteile zu beseitigen. Gegenläufig sind die an der Rechtssicherheit sowie am Vertrauensschutz orientierten Interessen des Anfechtungsgegners, den erlangten Vermögensvorteil behalten zu können. 1563 Das Gesetz operiert als Ergebnis einer Abwägung mit verschiedenen Elementen und unterschiedlichen Hürden im objektiven und/oder subjektiven Anfechtungstatbestand sowie über differenziert ausgestaltete „Verdachtsperioden“, um diesen Interessenkonflikt auszugleichen. Mit dieser Maßgabe lässt sich sagen, dass die Insolvenzanfechtung den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung auch im Vorfeld der Verfahrenseröffnung zu verwirklichen sucht. Denn setzt sich die Rückgewährverpflichtung des Einzelnen zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger durch, lebt die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner wieder auf, allerdings nur in dem Rang, den sie ohne die anfechtbare Rechtshandlung gehabt hätte. ___________ 2108) BGH, Urt. v. 19.10.1995 – IX ZR 82/94, BGHZ 131, 95. Weitere Beispiele für zulässige Arrestgründe bei Zöller/Vollkommer, ZPO, § 917 Rn. 5 ff.
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2. Zur rechtspolitischen Diskussion Ob rechtspolitisch die Insolvenzanfechtung diesen Zweck erfüllt, wird natur- 1564 gemäß unterschiedlich beurteilt und ist Gegenstand einer umfassenden rechtspolitischen Diskussion. Denjenigen, die in der Insolvenzanfechtung ein Gegenmittel zur Bekämpfung von ausgeplünderten Vermögensmassen sehen und für den Erhalt der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens plädieren, kann die Reichweite der Insolvenzanfechtung sowie das Bemühen, Anfechtungssachverhalte aufzuspüren, nicht weit genug gehen. Andere, gerade die institutionellen Gläubiger, die nahezu standardmäßig mit Anfechtungsthemen konfrontiert sind, gelangen insoweit zu einer gänzlich anderen Beurteilung. Letztere Einschätzung beruht insbesondere auf einer als zu extensiv empfun- 1565 denen Interpretation des § 133 Abs. 1 InsO durch den BGH, aber auch auf der Behandlung einer Befriedigung mittels Zwangsvollstreckung als inkongruent i. S. v. § 131 InsO. Vor diesem Hintergrund steht zu erwarten, dass die bei Manuskriptabgabe noch nicht abgeschlossenen Reformbemühungen des Gesetzgebers zur Insolvenzanfechtung gerade in diesen Bereichen Modifikationen gegenüber dem geltenden Recht hervorbringen werden.2109) 3. Überblick zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Insolvenzanfechtung Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich zur bloßen Orientierung 1566 auf eine schematische Darstellung. Zu Details wird auf die einschlägigen Handbücher und Kommentierungen verwiesen. a) Rechtshandlung Gegenstand einer Insolvenzanfechtung sind Rechtshandlungen, die vor (Aus- 1567 nahme: § 147 InsO) Insolvenzverfahrenseröffnung vorgenommen wurden oder als in diesem Zeitraum vorgenommen fingiert werden (§ 140 InsO). Erst auf Ebene der einzelnen Anfechtungstatbestände wird differenziert, von wem die fragliche Rechtshandlung stammen muss (vgl. insbesondere § 133 Abs. 1 InsO). b) Gläubigerbenachteiligung, § 129 InsO Diese Rechtshandlungen müssen zu einer objektiven Gläubigerbenachteili- 1568 gung (§ 129 InsO) im Sinne einer Kürzung der Befriedigungsaussichten aus der (späteren) Haftungsmasse geführt haben, ob durch Verringerung der Vermögenssubstanz oder durch Mehrung der Verbindlichkeiten. Im Allgemeinen genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz des ___________ 2109) Vgl. RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.9.2015.
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Anfechtungsprozesses, wobei weder ein Vorteilsausgleich erfolgt, noch hypothetische Kausalverläufe Beachtung finden. Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung verlangt das Gesetz lediglich im Fall von §§ 132 und 133 Abs. 2 InsO. c) Kein Bargeschäft, § 142 InsO 1569 Eine objektive Gläubigerbenachteiligung scheidet bei sog. Bargeschäften (§ 142 InsO) aus. Es geht um Konstellationen, bei denen mit einem Masseabfluss ein entsprechender Gegenwert als Massezufluss korrespondiert, so dass in einer Saldobetrachtung lediglich eine „Vermögensumschichtung“2110) stattfindet, aber keine Verkürzung der Befriedigungsaussichten im Sinne einer objektiven Gläubigerbenachteiligung eintritt. Ein solches Bargeschäftsprivileg wird jedoch nur unter engen Voraussetzungen gewährt. Zusammenfassend bedarf es einer rechtsgeschäftlichen Verknüpfung sowie einer objektiven Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung. Ferner muss der Leistungsaustausch in engem zeitlichem Zusammenhang (Unmittelbarkeit) erfolgen. Bei der Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO scheitert ein Bargeschäft bereits am Wortlaut des § 142 InsO, nach herrschender Meinung ist es ferner bei inkongruenten Deckungsgeschäften unanwendbar. 1570 Es ist zu erwarten, dass es im Rahmen der anstehenden Reform des Anfechtungsrechts auch zu Modifikationen des Bargeschäftsprivilegs kommen wird. d) Vorliegen eines Anfechtungstatbestandes, §§ 130 – 137 InsO 1571 Das Gesetz enthält vier Haupttatbestände, die sich zumindest im Grundsatz2111) nicht gegenseitig ausschließen, sondern selbstständig nebeneinander stehen und auch kumuliert erfüllt sein können. 1572 Für die jeweils genannten Fristberechnungen innerhalb der Anfechtungstatbestände gilt § 139 InsO. Bei der Anfechtung gegenüber nahestehenden Personen (§ 138 InsO) sieht das Gesetz Beweiserleichterungen vor (vgl. §§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 Satz 2, 132 Abs. 3, 133 Abs. 2 Satz 1 InsO). aa) Besondere Insolvenzanfechtung 1573 Hierzu zählen die kongruenten Sicherungen oder Befriedigungen (= Deckungen) eines Insolvenzgläubigers (§ 130 InsO),2112) derartige inkongruente Deckungen eines Insolvenzgläubigers (§ 131 InsO) sowie die unmittelbar nachteilige Rechtshandlung des Schuldners (§ 132 InsO).
___________ 2110) BGH ZIP 2005, 1243, 1245; BGH ZIP 1993, 1653. 2111) Bzgl. der Ausnahmen sei auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen. 2112) Eingeschränkt durch § 137 InsO bei Wechsel- und Scheckzahlungen.
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Die besondere Insolvenzanfechtung beruht auf dem tragenden Gedanken, dass 1574 mit Offenbarwerden der Krise (= Anfechtungszeitraum der §§ 130 – 132 InsO) das schuldnerische Vermögen der Allgemeinheit seiner persönlichen Gläubiger verfangen ist.2113) Sie zielt damit vornehmlich auf eine Durchsetzung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes. bb) Vorsatzanfechtung, § 133 InsO Die Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO stellt in der Rechtspraxis das 1575 schärfste Schwert des Insolvenzverwalters dar. Sie ist nur bei Rechtshandlungen des Schuldners anwendbar, dann aber rückwirkend für die letzten zehn Jahre vor Antragstellung. Der Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners sowie 1576 der Kenntnis des anderen Teils betrifft sog. innere Tatsachen. Im Anfechtungsprozess ist daher regelmäßig, sofern nicht schon die Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO greift, aufgrund objektiver Anhaltspunkte (Beweisanzeichen) im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO festzustellen, ob sich hieraus Rückschlüsse für den Benachteiligungsvorsatz sowie die Kenntnis des anderen Teils ergeben können. Hierzu hat die höchstrichterliche Rechtsprechung jeweils eine Vielzahl von Grundsätzen entwickelt. Sie sind nicht auf die bei kriselnden Unternehmen häufig anzutreffenden Druckzahlungen beschränkt. Auch bei kongruenten Deckungen kommt eine Vorsatzanfechtung in Betracht, insbesondere bei Kenntnis des Schuldners von seiner Zahlungsunfähigkeit. Gerade dann, wenn der Gläubiger durch Zustimmung zu einer Ratenzahlung eine Sanierung ermöglichen will, droht ihm im praktischen Ergebnis ein gesteigertes Anfechtungsrisiko.2114) Entgeltliche Verträge mit nahestehenden Personen mit unmittelbar gläu- 1577 bigerbenachteiligender Wirkung, die innerhalb der letzten zwei Jahre vor Antragstellung abgeschlossen wurden, sind unter den erleichterten Voraussetzungen des § 133 Abs. 2 InsO anfechtbar. Im Kern handelt es sich dabei um eine Beweiserleichterung gegenüber Absatz 1.2115) cc) Anfechtung unentgeltlicher Leistungen, § 134 InsO Für die Frage, ob der Schuldner eine Leistung (ggf. teilweise) entgeltlich oder 1578 unentgeltlich erbringt, kommt es auf die objektiven Wertrelationen an, nicht auf subjektive Vorstellungen oder Absichten. Im Zwei-Personen-Verhältnis geht es damit vorrangig um die Aufgabe eines Vermögenswertes ohne kompensierende Gegenleistung. Hierunter fallen beispielsweise Scheingewinne
___________ 2113) BGH NJW 1972, 870. 2114) Vgl. dazu Priebe, ZInsO 2013, 2479. 2115) Vgl. hierzu Bork, in: Bork, Kap. 5 Rn. 57 ff.
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in einem Schneeballsystem2116) oder die Auszahlung der Versicherungssumme aufgrund Einräumung eines widerruflichen Bezugsrechts für eine Risikooder Kapitallebensversicherung.2117). Besondere praktische Bedeutung erlangt § 134 InsO jedoch im Drei-Personen-Verhältnis bei der Tilgung/Besicherung einer fremden Schuld.2118) dd) Anfechtung von Gesellschafterfremdfinanzierungen sowie bei stillen Gesellschaftern, §§ 135, 136 InsO 1579 § 135 Abs. 1 und 2 InsO flankieren die Grundentscheidung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wonach Forderungen aus Gesellschafterfremdfinanzierung (insbesondere Darlehen und wirtschaftlich entsprechende Forderungen) im Insolvenzfall nur als nachrangige Forderungen berücksichtigt werden. Adressaten sind nicht nur die unmittelbaren Gesellschafter einer Schuldner-Gesellschaft ohne natürlichen Vollhafter, auf welche weder das Kleinbeteiligungs- noch das Sanierungsprivileg (§ 39 Abs. 4, 5 InsO) Anwendung finden, sondern auch die solchen Gesellschaftern wirtschaftlich entsprechenden Dritten. Könnten Sicherungen und Befriedigungen aus Gesellschafterfremdfinanzierungen im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung nicht durch Insolvenzanfechtung rückgängig gemacht werden, liefe die Grundregel des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO häufig ins Leere. 1580 Bei § 135 Abs. 2 InsO geht es um die ansatzweise auch in § 44a InsO verankerte Umgehungskonstellation, dass ein Gesellschafter bzw. ein ihm gleichzustellender Dritter einem außenstehenden Kreditgeber Sicherheit gewährt, damit dieser die Gesellschaft fremdfinanziert. Konkret betrifft § 135 Abs. 2 InsO das Freiwerden des Gesellschafters von seinem Verwertungsrisiko in Ansehung der Sicherheit, weil die Gesellschaft im Vorfeld der Verfahrenseröffnung den vom Dritten eingeräumten Kredit zurückgeführt hat. 1581 § 136 InsO betrifft Sonderabsprachen zur Einlagenrückgewähr oder zur Verlustbeteiligung eines stillen Gesellschafters. e) Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung aa) Rückgewähr- oder Wertersatzanspruch, § 143 InsO 1582 Der Insolvenzanfechtungsanspruch entsteht erst mit Verfahrenseröffnung als ein gesetzliches auf Rückgewähr gerichtetes Schuldverhältnis.2119) Zeitgleich tritt Fälligkeit ein, ohne dass es einer besonderen Erklärung des Anfechtungsberechtigten bedarf. ___________ 2116) BGH ZIP 2009, 186 (Phoenix); BGH ZIP 2010, 1457; hierzu auch Baumert/Schmitt, NZI 2012, 394. 2117) Vgl. BGH ZIP 2003, 2307; OLG Düsseldorf ZIP 2008, 2031. 2118) Ausführlich z. B. Thole, KTS 2011, 219, 224 ff.; Huber, ZInsO 2010, 977, 978. 2119) BGH ZIP 2008, 455 Rn. 8; BGH ZIP 2007, 1274 Rn. 10.
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Der Anfechtungsanspruch ist primär auf Rückgewähr in Natur des durch die 1583 anfechtbare Rechtshandlung Erlangten gerichtet (§ 143 Abs. 1 Satz 1 InsO). Es handelt sich nach herrschender Meinung um einen schuldrechtlichen Anspruch, der in der Insolvenz des Anfechtungsgegners Aussonderungswirkung hat.2120) Bei Unmöglichkeit der Rückgewähr in Natur besteht ersatzweise ein Wertersatzanspruch nach Maßgabe der verschärften Bereicherungshaftung (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 292, 987 ff. BGB). Korrespondierend zu § 135 Abs. 2 regelt § 143 Abs. 3 InsO eine Erstattungs- 1584 pflicht bis zur Höhe der freigewordenen Sicherheit2121) bzw. eine Ersetzungsbefugnis (Abs. 3 Satz 3). bb) Wiederaufleben der Forderung, § 144 InsO § 144 InsO bestimmt einerseits, dass mit Rückgewähr/Wertersatz die ur- 1585 sprüngliche Forderung des Anfechtungsgegners wieder auflebt und zur Insolvenztabelle angemeldet werden kann (§§ 38 ff., 174 ff. InsO). Zusammen mit der ursprünglichen Forderung leben auch frühere Neben- und Vorzugsrechte i. S. v. § 401 BGB auf, ferner die nicht-akzessorischen Sicherheiten. Andererseits muss wegen des Verbots der ungerechtfertigten Bereicherung die Insolvenzmasse die vom Anfechtungsgegner erbrachten Gegenleistungen zurückgewähren, sofern sie noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse vorhanden sind; andernfalls kann ein Erstattungsanspruch nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden (§ 144 Abs. 2 InsO). cc) Verjährung, § 146 InsO Der Anfechtungsanspruch verjährt nach den Regelungen über die regelmä- 1586 ßige Verjährung nach dem BGB (§ 195 BGB), also grundsätzlich nach Ablauf von drei Jahren, beginnend mit dem Ende des Jahres der Verfahrenseröffnung (Anspruchsentstehung). II. Ausgewählte „corporate“-Anfechtungskonstellationen Nachfolgend sollen ausgewählte Sachverhaltskonstellationen und Fragestel- 1587 lungen zu den skizzierten Anfechtungstatbeständen, die besonders „corporatetypisch“ erscheinen, näher erläutert werden. 1. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO a) Überbrückungskredit In der Praxis kommt es häufiger als vielleicht gedacht vor, dass die Verzöge- 1588 rung von Zahlungseingängen aus Kundenforderungen zu Liquiditätsengpäs___________ 2120) Vgl. BGH ZIP 2003, 2307. 2121) Zu den Auswirkungen bei Befriedigung des Dritten nach Insolvenzverfahrenseröffnung vgl. BGH ZIP 2012, 2417.
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sen führt. Um gleichwohl Verbindlichkeiten fristgerecht zu bedienen, wird gerade in Cash-Pool-Konstellationen der Gesellschafterkreis bereit sein, einen Überbrückungskredit (Ausweitung der Linie) einzuräumen, der binnen weniger Tage zurückgeführt wird. Im Falle eines Eröffnungsantrags vor Ablauf eines Jahres stellt sich die Frage, ob dieser Vorgang im späteren Insolvenzverfahren einem Anfechtungsrisiko gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegt. 1589 Der BGH verneint eine Privilegierung des Überbrückungskredits, sondern behandelt generell auch das Kurzfrist-Darlehen als Fremdfinanzierungshilfe i. S. v. §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO.2122) Wenn es aber darum geht, die Verbindlichkeiten aus Verkehrsgeschäften als einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Forderung zu qualifizieren, gelten großzügigere Maßstäbe (jedenfalls keine Stundungswirkung vor Ablauf der Bargeschäftsfristen des § 142 InsO).2123) Insoweit erscheint fragwürdig, ob es wertungsmäßig tatsächlich eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt, wenn einerseits der sofort erhaltene Kaufpreis umgehend erneut als Darlehen gewährt, andererseits der Kaufpreis von vornherein gestundet wird.2124) Bei der Problematik geht es im Kern um die weiterhin ungeklärten Wertungsgrundlagen des Sonderrechts der Gesellschafterfremdfinanzierung.2125) Erwägenswert erscheint, unter Berufung auf den vom BGH womöglich verkannten Normzweck der Sonderregeln zur Gesellschafterfremdfinanzierung kurzfristigen Überbrückungskrediten eine für die Qualifikation als Gesellschafterfremdfinanzierung gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO erforderliche Finanzierungsfunktion abzusprechen, so dass ihre Rückgewähr jedenfalls nicht einem Anfechtungsrisiko gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegt.2126) b) Übertragung der Fremdfinanzierungshilfe 1590 Aus der Fristenlösung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO leiten der BGH sowie die herrschende Literaturansicht ab, dass ein Anfechtungsrisiko bei Befriedigungen immer dann besteht, wenn irgendwann innerhalb der Jahresfrist – nicht notwendigerweise in der Person des letzten Gläubigers – Forderungsinhaberschaft und Gesellschafterstellung zusammentrafen.2127) 1591 Das Anfechtungsrisiko trifft dann nicht nur den Neu-Erwerber (Zessionar) einer Forderung, sondern aus Gründen des Umgehungsschutzes auch den Gesellschafter-Ex-Forderungsinhaber (Zedenten) als Gesamtschuldner.2128) Die Zahlung geht ebenfalls auf eine Willensentschließung des Gesellschafters ___________ 2122) BGH ZIP 2013, 734 Rn. 14. 2123) Vgl. BGH ZIP 2015, 589. 2124) Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rn. 45; ders/Laspeyres, ZInsO 13, 2289, 2291. 2125) Überblick zu den Lösungsansätzen bei Hk-GmbHG/Kolmann, Anh § 30 Rn. 19 ff. 2126) Vgl. Hk-GmbHG/Kolmann, Anh § 30 Rn. 107 ff.; im Anschluss an Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rn. 45. 2127) Vgl. hierzu Hk-GmbHG/Kolmann, Anh. § 30 Rn. 45 ff. m. w. N. 2128) BGH WM 2013, 568 Rn. 28; Bork/Schäfer/Thiessen, GmbHG, Anh § 30 Rn. 44.
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zur Durchsetzung dessen eigener wirtschaftlicher Interessen zurück. Der Gesellschafter-Ex-Forderungsinhaber soll seine Forderung nicht entgegen der gesetzlichen Wertung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil verwerten können. Ob sich das Anfechtungsrisiko für den Zedenten der Höhe nach auf die tat- 1592 sächlich für die Forderung (vom Zessionar) erhaltene Gegenleistung beschränkt, erscheint offen, dürfte jedoch zu verneinen sein.2129) Die zwar aus Anlass eines offensichtlichen Missbrauchsfalls entwickelte, aber hierauf nicht beschränkte Begründung des BGH deutet ferner darauf hin, dass das Anfechtungsrisiko den Zedenten innerhalb der Jahresfrist auch dann trifft, wenn er gemeinsam mit den Ansprüchen aus Finanzierungshilfe auch seine Beteiligung übertragen hat.2130) Eine denkbare Gestaltungsempfehlung im Rahmen von M&A-Transaktionen mag darin bestehen, vor Anteilsübertragung die Finanzierungshilfen in die Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB einzubringen.2131) 2. Sicherheitenbestellung, § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO Nach Auffassung des BGH sind die Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 1593 Nr. 1 und Nr. 2 InsO je selbstständig zu betrachten.2132) Dies führt insbesondere dazu, dass die Befriedigung aus einer Sicherheitenverwertung, auch wenn sie außerhalb der Jahresfrist der Nr. 2 erfolgte, im wirtschaftlichen Ergebnis anfechtbar bleibt, weil bzw. solange der Anfechtungsgegner die Rückgewähr der (verwerteten) Sicherheit gem. Nr. 1 bzw. Wertersatz hierfür schuldet (vgl. auch § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 819, 818 Abs. 4, 292, 989 BGB).2133) Der BGH differenziert auch nicht zwischen anfänglichen oder nachträglichen Sicherheiten, d. h. er dürfte beide Konstellationen gleich behandeln.2134) Lediglich die außerhalb der Jahresfrist erfolgte Befriedigung „von der Gesellschaft selbst“, also ohne Inanspruchnahme der Sicherheit, soll nach Auffassung des BGH unanfechtbar sein. Unanfechtbar ist ferner die vor der Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestellte Sicherheit.
___________ 2129) BGH WM 2013, 568, geht auf eine solche Beschränkung nicht ein, obgleich der Zedent vom Zessionar weniger erhalten hatte als der Zessionar von der Gesellschaft. 2130) Ebenso Kleindiek, in: HK-InsO, § 39 Rn. 42; Mairose, RNotZ 2015, 9, 13 f. 2131) Vgl. hierzu Greven, BB 2014, 2309; Mairose, RNotZ 2015, 9, 15 f.; Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 1898, 1901 ff.; Lauster, WM 2013, 2155, 2159 f.; Schniepp/Hensel, DB 2015, 479. 2132) BGH ZIP 2013, 1579 Rn. 10 ff.; dem BGH zustimmend Bork, EWiR 2013, 521 f.; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1994; Thole, NZI 2013, 745, 746; Gehrlein, NZI 2014, 481, 485. 2133) BGH ZIP 2013, 1579 Rn. 14, 21. 2134) Für eine Differenzierung indes Thole, NZI 2013, 745, 756; deutlich Marotzke, ZInsO 2013, 641, 650, 654 ff. (Hinweis auf § 142 InsO); so auch Bitter, ZIP 2013, 1497, 1506 f.; Mylich, ZIP 2013, 2444, 2450.
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1594 Mit dem dargestellten Verständnis wendet sich der BGH gegen die bis dahin einhellige Auffassung2135) im Schrifttum, die insoweit von einer „Sperrwirkung“ von Nummer 2 gegenüber Nummer 1 ausging. Die Entscheidung verdient aus einer Vielzahl von praktischen, dogmatischen und systematischen Gründen keine Zustimmung.2136) 3. Cash-Pooling, § 134 InsO 1595 Nach Auffassung des BGH handelt es sich um eine unentgeltliche Leistung, wenn der Dritte (späterer Insolvenzschuldner) durch seine Leistung eine wegen materieller Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) des eigentlichen Schuldners wertlose Gläubigerforderung zum Erlöschen gebracht hat.2137) Solche Konstellationen treten typischerweise bei Cash-pool-Konstellationen auf, wenn der Gläubiger das Geld nicht von seinem Schuldner, sondern von einer Finanzierungsgesellschaft innerhalb der bereits ingesamt kriselnden Gruppe erhalten hat und der Insolvenzverwalter der Cash-poolGesellschaft die geleisteten Zahlungen zurückverlangt. Auf die Kenntnis des Zahlungsempfängers von der Wertlosigkeit seiner Forderung kommt es nicht an. Vielmehr entscheidet allein eine objektive Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners der Verbindlichkeit.2138) Eine bestehende Aufrechnungsmöglichkeit des Zahlungsempfängers im Verhältnis zum Schuldner der Verbindlichkeit kann die Forderung jedoch als werthaltig qualifizieren. Dies nimmt der Leistung des späteren Insolvenzschuldners dann die Unentgeltlichkeit.2139) 1596 Vorstehende Abgrenzungskriterien gelten auch für die Steuerbegleichung seitens der umsatzsteuerlichen Organgesellschaft für den insolvenzreifen Organträger.2140) 4. Sanierungsbemühungen, § 133 Abs. 1 InsO 1597 Die am Sanierungsprozess Beteiligten unterliegen im Hinblick auf die erhaltenen Leistungen dann, wenn der Sanierungsversuch letztlich scheiterte, unter folgenden Voraussetzungen keinem Anfechtungsrisiko gem. § 133 Abs. 1 InsO:2141) Insgesamt muss trotz etwaiger Indizien wie Inkongruenz oder drohender Zahlungsunfähigkeit der spätere Insolvenzschuldner bei Vornah___________ 2135) Statt vieler Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, Anh. § 30 Rn. 64; Bork/Schäfer/ Thiessen, GmbHG, Anh. § 30 Rn. 68; Bitter, ZIP 2013, 1497, 1500. 2136) Ausführlich hierzu Hk-GmbHG/Kolmann, Anh. § 30 Rn. 13. 2137) BGH ZIP 2005, 767, 768 (Cash-Pool-System); BGH ZIP 2006, 957 (Cash-Pool-System II). 2138) BGH ZIP 2009, 2241. 2139) Vgl. BGH ZIP 2013, 1131 Rn. 8. 2140) BGH ZIP 2009, 2455. 2141) St. Rspr., vgl. BGH ZIP 2009, 922 Rn. 17; BGH ZIP 2012, 137 Rn. 11; BGH ZIP 2013, 174 Rn. 17; Kayser, WM 2013, 298 f.; Ehlers, ZInsO 2013, 105. – Zusammenfassend Thole, in: HK-InsO, § 133 Rn. 24.
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me seiner Rechtshandlung von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen getragen gewesen und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger in den Hintergrund getreten sein. Eine bloße Hoffnung auf Sanierung genügt jedoch nicht. Vielmehr bedarf es konkreter Tatsachen, die den späteren Insolvenzschuldner zu der Erwartung berechtigten, dass die Bemühungen um die Unternehmensrettung erfolgversprechend sind und in absehbarer Zeit zu einer Befriedigung aller Gläubiger führen werden. Eine solche Einschätzung muss auf einem schlüssigen, von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgehenden, realistischen Sanierungskonzept beruhen. Insoweit kommt es auf die Beurteilung durch einen unvoreingenommenen, nicht notwendigerweise unbeteiligten branchenkundigen Fachmann an, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorliegen. Ob das Sanierungskonzept zusätzlich schon in den Anfängen in die Tat umgesetzt sein muss, erscheint zweifelhaft, weil andernfalls Sanierungsdienstleister schon im Vorfeld des Vollzugs einer (erfolgversprechenden!) Restrukturierungsmaßnahme diskriminiert würden. Bei einer erforderlichen Umschuldung ist das Beweisanzeichen einer (dro- 1598 henden) Zahlungsunfähigkeit nur dann entkräftet, wenn der spätere Insolvenzschuldner die sichere Erwartung haben durfte, dass die Ablöseverhandlungen in Bälde abgeschlossen, die Darlehensverbindlichkeiten mit den neu zugeführten Mitteln getilgt und die übrigen dann fälligen Zahlungspflichten erfüllt werden konnten.2142) III. Der Anfechtungsprozess Im Regelfall wird der Anspruchsberechtigte versuchen, den Anfechtungsgeg- 1599 ner zu einer freiwilligen Erfüllung des Anfechtungsanspruchs zu veranlassen, ggf. im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung (§ 779 BGB). Ansonsten bedarf es gerichtlicher Geltendmachung vor Ablauf der Verjährungsfrist. Dies wird in der Hauptsache (hierzu nachfolgend Rn. 1600 ff.) durch Klageerhebung erfolgen, bleibt aber auch durch Widerklagte, durch Replik sowie durch die Einrede möglich, dass der Kläger den gegen den Anfechtungsberechtigten eingeklagten Anspruch anfechtbar erworben habe. 1. Zur Zulässigkeit a) Schiedsfähigkeit, Schiedsabreden Anfechtungsansprüche sind grundsätzlich schiedsfähig. Unproblematisch 1600 können der anspruchsberechtigte Insolvenzverwalter und der Anfechtungsgegner vereinbaren, dass ein Schiedsgericht über die Insolvenzanfechtung entscheiden soll.
___________ 2142) BGH ZIP 2013, 79 Rn. 15.
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1601 Weil der Anfechtungsanspruch aber erst mit Verfahrenseröffnung entsteht und dort unmittelbar in die Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters fällt, gehen frühere Schiedsvereinbarungen des Schuldners, wonach etwaige Anfechtungssachverhalte der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen sollen, ins Leere, d. h. sie binden den Insolvenzverwalter nicht.2143) Mangels Dispositionsbefugnis kann der Schuldner nicht über einen etwaigen künftigen Rückgewähranspruch (§ 143 InsO) verfügen. 1602 Einer bei Verfahrenseröffnung schon eingeleiteten Schiedsklage aufgrund eines Absonderungsrechts, welche (allein) gemäß einer Vereinbarung mit dem Schuldner erhoben wurde, kann der Insolvenzverwalter Ansprüche aus Insolvenzanfechtung weder im Wege der Einrede, noch durch eine Schieds(wider)klage entgegen halten. Die Einrede der Insolvenzanfechtung (§ 146 Abs. 2 InsO) kann der Insolvenzverwalter nur im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung oder Aufhebung des Schiedsspruchs erheben, welcher der auf das Absonderungsrecht gestützten Schiedsklage stattgegeben hat.2144) b) Internationale Zuständigkeit 1603 Bei der Frage, ob die Gerichte eines Staates für die Entscheidung über eine Anfechtungsklage international zuständig sind, bedarf es einer Differenzierung: 1604 Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 der EuInsVO in der geltenden Fassung bestimmt, dass die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergangenen und in engem Zusammenhang damit stehenden Entscheidungen, auch wenn sie von einem anderen Gericht als dem Gericht der Verfahrenseröffnung getroffen werden, anerkannt werden. Die Formulierung entstammt einer Entscheidung des EuGH2145) zu Art. 1 Abs. 2 lit. a) des EuGVÜ (nunmehr: EuGVVO)2146), wonach derartige Entscheidungen nicht in den Anwendungsbereich des EuGVÜ (nunmehr: EuGVVO) fallen. Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO besagt also, dass die nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallenden Entscheidungen über die EuInsVO anerkannt werden. Eine ausdrückliche Regelung zur internationalen Zuständigkeit fehlt in der EuInsVO jedoch.2147) 1605 Für derartige sog. insolvenztypische Entscheidungen leitet der EuGH eine direkte internationale Entscheidungszuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ab.2148) Folglich liegt die internationale Entscheidungszuständigkeit für Anfechtungsklagen bei den Gerichten des Verfahrenseröffnungsstaates. Dieser bestimmt seinerseits die sachliche und örtliche Zuständigkeit. Wenn in ___________ 2143) BGH ZIP 2008, 478 Rn. 17; so schon ZInsO 2004, 84. 2144) BGH ZIP 2008, 478. 2145) EuGHE 1979, 733 (Gourdain/Nadler). 2146) Zur Fortgeltung der Entscheidungen zum EuGVÜ für die EuGVVO vgl. EuGH NZI 2009, 570 (Alpenblume). 2147) Vgl. aber Erwägungsgrund 6) zur EuInsVO. 2148) EuGH NJW 2009, 2189 (Deko Marty).
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C. Insolvenzanfechtung
Deutschland nach den allgemeinen Bestimmungen zum Gerichtsstand keine örtliche Zuständigkeit bestünde, ist das sachlich zuständige Streitgericht für den Sitz des eröffnenden Insolvenzgerichts ausschließlich örtlich zuständig (§ 19a ZPO analog i. V. m. Art. 102 § 1 EGInsO).2149) Für die aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO abgeleitete Entscheidungszuständigkeit 1606 kommt es nicht einmal darauf an, ob der Anfechtungsgegner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen, also im Regelfall seinen (Wohn-)Sitz, im Gebiet eines Mitgliedstaates der EuInsVO hat. Sie gilt auch, wenn der Anfechtungsgegner entsprechende Anknüpfungspunkte nur in einem Drittstaat hat.2150) Anders gesagt: Wenn der Schuldner den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen im Gebiet eines Mitgliedstaates der EuInsVO hat, dann beschränkt sich der räumliche Sollgeltungsanspruch eines dort eröffneten Insolvenzverfahrens nicht auf die sonstigen Mitgliedstaaten der EuInsVO, sondern ein solches Verfahren erhebt weltweiten Geltungsanspruch.2151) Die Problematik der faktischen Rechtsdurchsetzung verlagert sich dann freilich auf die Anerkennungs- und Vollstreckungsebene, wenn ein entsprechendes Urteil im Drittstaat vollstreckt werden muss. Der Charakter einer solchen insolvenztypischen Entscheidung soll jedoch nach 1607 Auffassung des EuGH2152) verloren gehen, wenn der Insolvenzverwalter beispielsweise über den Anfechtungsanspruch durch Abtretung verfügt hat und nunmehr der Zessionar außerhalb des Insolvenzverfahrens klageweise Rückgewähransprüche gegenüber dem Anfechtungsgegner geltend macht. Für dessen Klage richtet sich die internationale Zuständigkeit nicht mehr nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO analog, sondern nach den allgemeinen Vorschriften, insbesondere nach der EuGVVO. Offenbar stellt der EuGH für die Qualifikation als insolvenztypische Entscheidungen nicht nur auf materielle, sondern auch auf formelle Kriterien ab, die kumulativ erfüllt sein müssen.2153) Die vorstehenden Grundsätze wurden für sog. Hauptinsolvenzverfahren 1608 i. S. v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entschieden. Richtigerweise kann für ein sog. Territorialverfahren jedoch nichts Abweichendes gelten, sofern nur der Anfechtungsanspruch zur Insolvenzmasse dieses Verfahrens zählt.2154) Bislang ungeklärt ist, ob es sich bei einer aus Art. 3 EuInsVO abgeleiteten in- 1609 ternationalen Entscheidungszuständigkeit um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt.2155) ___________ 2149) BGH NJW 2009, 2215. 2150) EuGH ZIP 2014, 181; BGH ZIP 2014, 1132; anders noch BGH ZIP 2012, 1467. 2151) Vgl. hierzu Kolmann/Keller, in: Gottwald, § 131 Rn. 16 f. 2152) EuGH ZInsO 2012, 1039 (F-Tex SIA). 2153) Vgl. hierzu Kolmann/Keller, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 131 Rn. 104 ff. 2154) Vgl. Kolmann/Keller, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 131 Rn. 103; vgl. aber BGH ZIP 2015, 42. 2155) Ausführlich hierzu Kolmann/Keller, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 131 Rn. 108; Mock, ZInsO 2009, 470; GA Collomer, ZIP 2009, 2882.
Stephan Kolmann
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Teil 4 Restrukturierung
1610 Bei Insolvenzverfahren außerhalb des (persönlichen oder sachlichen) Anwendungsbereichs der EuInsVO richtet sich die internationale Entscheidungszuständigkeit nach den allgemeinen Regeln. c) Rechtsweg 1611 Eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichte des Bundes2156) hat trotz der grundsätzlich bürgerlich-rechtlichen Natur (§ 13 GVG) des Insolvenzanfechtungsanspruchs zum Rechtsweg bei Anfechtungsklagen eine Differenzierung gebracht.2157) Für Klagen des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer auf Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütungen soll entgegen früherer Erkenntnisse2158) der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet sein, auch wenn die Befriedigung durch Pfändung erfolgte.2159) Für Lohnzahlungen durch einen Dritten anstelle des Arbeitgebers ist hingegen der ordentliche Rechtsweg eröffnet.2160) Auch Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger2161) und Finanzämter2162) sind nicht bei den Sozial- bzw. Finanzgerichten zu erheben, sondern als bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten (§ 13 GVG) im ordentlichen Rechtsweg zu klären. 1612 Klagt der Insolvenzverwalter eine Forderung ein mit dem Argument, dass eine zuvor vorgenommene Auf-/Verrechnung nicht insolvenzfest war (vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO), bleibt es bei dem Rechtsweg für die ursprüngliche Forderung. Allein durch den Einwand der anfechtbaren Auf-/Verrechnung wird also kein Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit begründet.2163) d) Sachliche, funktionelle und örtliche Zuständigkeit aa) Sachliche Zuständigkeit 1613 Nach allgemeinen Grundsätzen entscheidet der Klageantrag und damit der Streitwert (vgl. § 143 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 InsO), ob das Amts- oder das Landgericht sachlich zuständig ist (§§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG). Auch dann, wenn die angefochtene Rechtshandlung ein Handelsgeschäft betrifft, stellt der Anfechtungsprozess keine Handelssache (§ 95 GVG) dar, so dass eine Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ausscheidet.2164) ___________ 2156) GmS-OGB NJW 2011, 1211; hierzu auch Huber, ZInsO 2011, 519 f. 2157) Ausführlich auch zur verfassungsrechtlichen Problematik, Kreft, ZIP 2013, 241. 2158) Vgl. LAG Mainz NZI 2005, 644. 2159) GmS-OGB NJW 2011, 1211 Rn. 5. 2160) BGH ZIP 2012, 1681. 2161) BGH ZIP 2011, 683; str; zur Beitragszahlung an eine Sozialeinrichtung des privaten Rechts vgl. BGH ZIP 2013, 30. 2162) Vgl. BFH ZIP 2012, 2451; BFH ZIP 2014, 690. 2163) Vgl. hierzu Huber, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 51 Rn. 29 mit Beispielen. 2164) BGH ZInsO 2002, 1136, 1138; BGH ZIP 1987, 1132, 1134; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier/Gehrlein, § 129 InsO Rn. 129; anders zu Unrecht LG Düsseldorf ZInsO 2014, 1963.
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C. Insolvenzanfechtung
bb) Funktionelle Zuständigkeit Beim Landgericht als Gericht 1. Instanz entscheidet grundsätzlich der origi- 1614 näre Einzelrichter (§ 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ausnahmen ergeben sich aus § 348 Abs. 1 Satz 2, ferner im Falle der Vorlage an die Kammer oder bei gemeinsamem Antrag der Prozessparteien (§ 348 Abs. 3 ZPO). Hierauf wird in der Gerichtspraxis nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt geachtet. cc) Örtliche Zuständigkeit Es gelten zunächst die allgemeinen Gerichtsstände (§§ 12 – 19 ZPO). Im Ein- 1615 zelfall kommt wahlweise (§ 35 ZPO) ferner der besondere Gerichtsstand des Anfechtungsgegners (§§ 20, 21, 23 ZPO)2165) sowie der ausschließliche dingliche Gerichtsstand (§ 24 ZPO)2166) in Betracht. Anfechtungsansprüche gem. § 135 InsO gegen Gesellschafter, aber auch gegen ihnen gleichgestellte Dritte kann der Insolvenzverwalter ferner am Sitz der Gesellschaft verfolgen (§ 22 ZPO). § 19a ZPO soll nach herrschender Meinung2167) grundsätzlich nur für Passivprozesse gegen den Insolvenzverwalter gelten (zur Ausnahme bei internationaler Entscheidungszuständigkeit vgl. Rn. 1605). Der Anfechtungsanspruch beruht allerdings weder auf einem vertraglichen Verhältnis, noch auf einer unerlaubten Handlung. Folglich scheiden die besonderen Gerichtsstände der §§ 29, 32 ZPO grundsätzlich2168) aus. Vom Schuldner für den Anfechtungsstreitigkeit getroffene Zuständigkeits- 1616 vereinbarungen (§§ 38 ff. ZPO) binden den Insolvenzverwalter nicht. Diesem steht es jedoch frei, selbst mit dem Anfechtungsgegner entsprechende Vereinbarungen abzuschließen. e) Klageart, Klageantrag Grundsätzlich wird der Insolvenzverwalter den Anfechtungsanspruch (§ 143 1617 InsO) mit einer Leistungsklage verfolgen. Der Streitgegenstand wird durch den Antrag bestimmt. Insoweit beinhalten der Primäranspruch auf Rückgewähr (§ 143 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie der Sekundäranspruch auf Wertersatz (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 818 ff. BGB; vgl. Rn. 1582 ff.) unterschiedliche Streitgegenstände,2169) die sich materiell-rechtlich wechselseitig ausschließen. Bedeutung kommt dem insbesondere bei Verjährungsfragen zu. Ggf. bietet sich für den Insolvenzverwalter eine Eventualklagehäufung (Hilfsantrag) an2170) ___________ 2165) BGH ZIP 2013, 374 Rn. 13. 2166) Vgl. zum Streitstand MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 146 Rn. 33; ebenfalls für enge Ausnahmekonstellation Jacoby, in: Bork, Kap. 14 Rn. 5. 2167) BGH ZIP 2003, 1419, 1420. 2168) Ausnahme bei § 32 ZPO: objektive Klagehäufung, d. h. alternative Begründung über Insolvenzanfechtung wie über Schadensersatz aufgrund unerlaubter Handlung, vgl. LG Detmold ZInsO 2005, 445. 2169) BGH NJW 1970, 44, 45. 2170) Jacoby, in: Bork, Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, Kap. 14 Rn. 9.
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oder auch eine Stufenklage, durch welche der Insolvenzverwalter einen etwaigen Auskunftsanspruch2171) mit dem Rückgewähranspruch verbindet (§ 254 ZPO). Eine Umstellung vom Rückgewähr- auf den Wertersatzanspruch wegen Unmöglichkeit der Rückgewähr ist während des Verfahrens zulässig (§ 264 Nr. 3 ZPO), ohne dass die sonstigen Voraussetzungen einer Klageänderung (§§ 263 bzw. 533 ZPO) erfüllt sein müssen. 1618 Bei Zahlungsansprüchen lautet der Antrag auf Zahlung in die Insolvenzmasse,2172) bei Rückübertragungsansprüchen mangels eigener Rechtspersönlichkeit der Insolvenzmasse2173) auf Übereignung/Übertragung an den Schuldner. Der aus dem Vermögen des Schuldners weggegebene, veräußerte oder aufgegebene Vermögensgegenstand muss ebenso bestimmt bezeichnet werden wie die konkrete Art und Weise der geschuldeten Rückgewähr. Ein Antrag mit dem Ziel, den Anfechtungsgegner allgemein zum Verzicht auf Rechte aus der angefochtenen Rechtshandlung oder aus einem erwirkten Titel zu verurteilen, kann der gebotenen Bestimmtheit nicht genügen.2174) 1619 Das gem. § 256 ZPO erforderliche Interesse einer Feststellungs-/Feststellungswiderklage besteht beispielsweise, wenn der Rückgewähranspruch noch nicht beziffert werden kann, jedoch verjährungshemmende Maßnahmen erforderlich sind.2175) Eine solche Feststellungsklage kommt ferner in Betracht, wenn das entsprechende Urteil voraussichtlich zur Streitbeilegung führt, weil der Anfechtungsgegner schon auf den Feststellungsanspruch hin leisten wird,2176) beispielsweise in Fällen einer Weiterveräußerung.2177) 1620 Denkbar ist die Erhebung der Anfechtungsklage ferner als Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO)2178) sowie als Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO).2179) 2. Zur Begründetheit a) Anfechtungsgegner 1621 Dies ist zunächst derjenige, der durch die anfechtbare Rechtshandlung etwas aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners erlangt hat.2180) Einzelne An___________ 2171) Vgl. zum Auskunftsanspruch gegenüber einem Dritten als potentieller Anfechtungsgegner BGH ZIP 1999, 316; ZIP 1998, 1539, 1540; zur Abgrenzung BGH ZIP 2009, 1823. 2172) Zur Unschädlichkeit des Antrags auf Leistung „an den Insolvenzverwalter“, sofern die Klageerhebung für die Masse erkennbar ist, vgl. BGH WM 1961, 387, 389. 2173) BGH NJW 1987, 1691 = ZIP 1987, 725. 2174) BGH NJW 1992, 624 = ZIP 1991, 1014; BGH NJW 1993, 3267 = ZIP 1993, 1653. 2175) Jacoby, in: Bork, Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, Kap. 14 Rn. 10. 2176) BGH ZIP 2007, 1274. 2177) BGH ZIP 1996, 184; Huber, in: Gottwald, Insolvenz-Rechtshandbuch, § 51 Rn. 30. 2178) Vgl. hierzu Jacoby, in: Bork, Kap. 14 Rn. 19 ff. 2179) Vgl. hierzu Jacoby, in: Bork, Kap. 14 Rn. 21 ff. 2180) BGH ZIP 1999, 1764.
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C. Insolvenzanfechtung
fechtungstatbestände stellen weitere Voraussetzungen auf: So muss es sich bei §§ 130, 131 InsO um einen Insolvenzgläubiger, bei § 135 InsO um einen Gesellschafter bzw. einen dem Gesellschafter wirtschaftlich entsprechenden Dritten handeln; Anfechtungsgegner der Insolvenzanfechtung gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist ferner derjenige, bei dem innerhalb des Zeitraums von einem Jahr vor dem maßgeblichen Eröffnungsantrag Kreditgeberrolle und Gesellschafterstellung zusammenfielen.2181) Aber auch derjenige, der innerhalb dieser Frist eine verstrickte Forderung erworben und von der Gesellschaft Befriedigung erlangt hatte, unterliegt einem Anfechtungsrisiko.2182) Derartige Einschränkungen gelten bei § 133 InsO hingegen nicht.2183) Deshalb 1622 gibt es dort bei den sog. mittelbaren Zuwendungen eine praktisch wichtige Erweiterung des potentiellen Kreises von Anfechtungsgegnern. Um mittelbare Zuwendungen handelt es sich, wenn der Schuldner über den Umweg einer Mittelsperson willentlich den Leistungsgegenstand einem Dritten zukommen lässt, für den dies jedoch als Leistung des Schuldners erkennbar ist.2184) In diesen Konstellationen lässt der BGH eine Anfechtung auch gegenüber dem Leistungsmittler zu. Hierzu gehört beispielsweise der Drittschuldner, den der Schuldner angewiesen hat, direkt an einen Gläubiger zu zahlen;2185) aber auch der Treuhänder, der einen Geldbetrag von einem separaten Konto nach Anweisung des Schuldners verteilt;2186) ferner die Bank, die nicht nur als reine Zahlstelle fungiert,2187) sondern bei der selektiven Begünstigung einzelner Gläubiger mitwirkt.2188) Potentielle Anfechtungsgegner sind ferner der Gesamtrechtsnachfolger so- 1623 wie sonstige Rechtsnachfolger nach Maßgabe der § 145 Abs. 1 bzw. 2 InsO. b) Klagebegründung Die Klagebegründung muss den Gegenstand der Anfechtung sowie die Tat- 1624 sachen bezeichnen, aus denen der Kläger die Anfechtungsberechtigung herleitet.2189) Hierzu bedarf es eines Vortrags von Tatsachen oder gar nur von ___________ 2181) BGH WM 2013, 568 (zur Abtretung der Kreditforderung); hierzu sowie zur Ausdehnung auf eine kombinierte Übertragung von Forderung und Gesellschafterstellung HkGmbHG/Kolmann, 3. Aufl., Anh. § 30 Rn. 52 f. 2182) BGH ZIP 2013, 582 Rn. 24. 2183) Zur Anfechtbarkeit bei einem mit mehreren Personen abgeschlossenen Rechtsgeschäft vgl. Huber, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 51 Rn. 58. 2184) BGH ZIP 2008, 2183 Rn. 21. – Zur Abgrenzung gegenüber der Leistungskette vgl. BGH ZIP 2009, 769. 2185) BGH ZIP 2008, 190. 2186) BGH ZIP 2012, 1038. 2187) Vgl. hierzu beispielsweise BGH ZIP 2013, 1826 (zu bloßen Umbuchungen und Verrechnungen im Cash-pool); BGH ZIP 2013, 2271 (zu Zahlungen im Lkw-Maut-Gebührenabrechnungsverfahren). 2188) BGH ZIP 2013, 371; vgl. auch BGH ZIP 2013, 1127. 2189) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Gehrlein, § 129 InsO Rn. 131 f.
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Teil 4 Restrukturierung
vermuteten Tatsachen2190) oder Indizien,2191) der die Voraussetzungen (mindestens) eines Anfechtungsgrunds erfüllt. Dabei genügt es, wenn der Kläger erkennen lässt, dass er im Hinblick auf eine bestimmte Rechtshandlung eine Gläubigerbenachteiligung auf Kosten des Anfechtungsgegners wieder ausgleichen will.2192) Eine Subsumtion des Lebenssachverhalts unter einen konkreten Anfechtungstatbestand ist hingegen nicht notwendiger Klageinhalt, sondern Aufgabe des Gerichts. 1625 Eine nach diesen Regeln verfasste Klage hemmt die Verjährung (vgl. Rn. 1586) des Anfechtungsanspruchs2193) sogar dann, wenn der Kläger sein Begehren überhaupt nicht auf eine Insolvenzanfechtung gestützt hat.2194) Klarstellungen, Ergänzungen oder Berichtigungen des Tatsachenvortrags können auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist vorgenommen werden, soweit dies nicht auf eine Auswechslung des Anfechtungsgrunds hinausläuft. 3. Sonstiges a) Prozesskostenhilfe2195) 1626 Grundsätzlich besteht nicht nur bei einer natürlichen, sondern auch bei einer juristischen Person als Schuldner unter den Voraussetzungen der §§ 114, 116 ZPO ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe des Insolvenzverwalters sowie auf Beiordnung eines Rechtsanwalts, selbst wenn der Insolvenzverwalter Volljurist ist.2196) 1627 Mutwilligkeit i. S. v. § 114 ZPO liegt vor, wenn bereits Massearmut eintrat2197) und diese auch nicht nach erfolgreicher Durchsetzung der Anfechtung aufgehoben werden kann.2198) Eine Teilklage kann mutwillig sein, wenn der Insolvenzverwalter ohne nachvollziehbare Gründe von der Geltendmachung der Gesamtforderung absieht.2199) 1628 Den am Gegenstand wirtschaftlichen Berechtigten darf nicht zumutbar sein, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen. Der Insolvenzverwalter persönlich zählt nicht zu diesem Kreis, weil er nur die mit dem Amt verbundenen Kompetenzen wahrnimmt.2200) Unzumutbarkeit kann sich aber schon daraus ___________ 2190) Vgl. hierzu BGH ZIP 2002, 1408; zur sekundären Behauptungs-/Darlegungslast LAG Hessen ZInsO 2013, 1032; ausführlich Huber, in: Festschrift Gerhardt, S. 379 ff. 2191) Zum Indizienbeweis im Anfechtungsprozess vgl. Huber, ZInsO 2012, 53. 2192) BGH ZIP 2008, 1291. 2193) BGH ZIP 2008, 888 Rn. 12. 2194) Vgl. auch BGH ZIP 2004, 671. 2195) Ausführlich Huber, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 51 Rn. 37. 2196) BGH ZIP 2006, 825. 2197) BGH ZInsO 2012, 736. 2198) BGH ZIP 2012, 2526. 2199) BGH ZIP 2011, 246. 2200) BGH ZIP 2003, 2036.
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
ergeben, dass trotz Leistungsfähigkeit des Insolvenzgläubigers2201) die Höhe der vorzuschießenden Kosten zu der zu erwartenden Quotenerhöhung im Erfolgsfall außer Verhältnis steht.2202) b) Beteiligung Dritter Insoweit gelten die allgemeinen Regeln der §§ 66 ff. ZPO. Das Recht der Ne- 1629 benintervention eines Insolvenzgläubigers folgt bereits aus § 18 Abs. 1 AnfG. Mitglieder des Gläubigerausschusses, die nicht auch Insolvenzgläubiger sind (vgl. § 67 Abs. 3 InsO), sind nicht zur Streithilfe berechtigt.2203) c) Grundurteil Ein Grundurteil (§ 304 ZPO) kommt in Betracht, wenn der Kläger als Wert- 1630 ersatz eine Geldleistung verlangt, also beim Sekundäranspruch des § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO,2204) nicht aber beim Anspruch auf Rückgewähr eines veräußerten Gegenstands. d) Kosten Es gelten die §§ 91 ff. ZPO. Im Falle der Masseinsuffizienz besteht vorbe- 1631 haltlich § 826 BGB keine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für die Kosten des obsiegenden Anfechtungsgegners.2205) Denn der Insolvenzverwalter streitet nicht für sein Vermögen, sondern für die Insolvenzmasse. § 61 InsO setzt eine rechtsgeschäftliche Begründung von Verbindlichkeiten voraus; der prozessuale Kostenerstattungsanspruch steht dem nicht gleich. Eine insolvenzspezifische Pflicht (§ 60 InsO) wird durch das prozessuale Unterliegen nicht verletzt. D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) I. Einleitung Sacha Lürken
Das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) regelt die Rechte von Gläubigern 1632 von inhaltsgleichen Schuldverschreibungen (vgl. § 793 BGB) aus Gesamtemissionen, auch Anleihen genannt, gegenüber dem Emittenten und, soweit in den Bedingungen der Anleihe Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind, auch unter den Anleihegläubigern. Es löste nach langer Entstehungsgeschichte das
___________ 2201) Zu mehreren Insolvenzgläubigern vgl. KG ZIP 2003, 270. 2202) BGH ZIP 1997, 1553, 1554; vgl. aber zum Fiskus BGH ZInsO 2004, 501; BVerwG ZIP 2006, 1542. 2203) Jacoby, in: Bork, Kap. 14 Rn. 11. 2204) BGH NJW 1995, 1093, 1095 = ZIP 1995, 297. 2205) BGH ZIP 2005, 131, 132.
Sacha Lürken
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
ergeben, dass trotz Leistungsfähigkeit des Insolvenzgläubigers2201) die Höhe der vorzuschießenden Kosten zu der zu erwartenden Quotenerhöhung im Erfolgsfall außer Verhältnis steht.2202) b) Beteiligung Dritter Insoweit gelten die allgemeinen Regeln der §§ 66 ff. ZPO. Das Recht der Ne- 1629 benintervention eines Insolvenzgläubigers folgt bereits aus § 18 Abs. 1 AnfG. Mitglieder des Gläubigerausschusses, die nicht auch Insolvenzgläubiger sind (vgl. § 67 Abs. 3 InsO), sind nicht zur Streithilfe berechtigt.2203) c) Grundurteil Ein Grundurteil (§ 304 ZPO) kommt in Betracht, wenn der Kläger als Wert- 1630 ersatz eine Geldleistung verlangt, also beim Sekundäranspruch des § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO,2204) nicht aber beim Anspruch auf Rückgewähr eines veräußerten Gegenstands. d) Kosten Es gelten die §§ 91 ff. ZPO. Im Falle der Masseinsuffizienz besteht vorbe- 1631 haltlich § 826 BGB keine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für die Kosten des obsiegenden Anfechtungsgegners.2205) Denn der Insolvenzverwalter streitet nicht für sein Vermögen, sondern für die Insolvenzmasse. § 61 InsO setzt eine rechtsgeschäftliche Begründung von Verbindlichkeiten voraus; der prozessuale Kostenerstattungsanspruch steht dem nicht gleich. Eine insolvenzspezifische Pflicht (§ 60 InsO) wird durch das prozessuale Unterliegen nicht verletzt. D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) I. Einleitung Sacha Lürken
Das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) regelt die Rechte von Gläubigern 1632 von inhaltsgleichen Schuldverschreibungen (vgl. § 793 BGB) aus Gesamtemissionen, auch Anleihen genannt, gegenüber dem Emittenten und, soweit in den Bedingungen der Anleihe Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind, auch unter den Anleihegläubigern. Es löste nach langer Entstehungsgeschichte das
___________ 2201) Zu mehreren Insolvenzgläubigern vgl. KG ZIP 2003, 270. 2202) BGH ZIP 1997, 1553, 1554; vgl. aber zum Fiskus BGH ZInsO 2004, 501; BVerwG ZIP 2006, 1542. 2203) Jacoby, in: Bork, Kap. 14 Rn. 11. 2204) BGH NJW 1995, 1093, 1095 = ZIP 1995, 297. 2205) BGH ZIP 2005, 131, 132.
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Teil 4 Restrukturierung
Schuldverschreibungsgesetz von 1899 (SchVG [1899])2206) aufgrund dessen erkannter Untauglichkeit für außerinsolvenzliche Restrukturierungen ab. 1633 Wesentlicher Regelungsgehalt des SchVG ist – sofern dies die Anleihebedingungen vorsehen (§ 5 Abs. 1 SchVG) („Opt-in-Modell“) – die Möglichkeit zur Kollektivbindung von Anleihegläubigern durch Mehrheitsbeschlüsse in einer Gläubigerversammlung. Die Regelungen im SchVG zu den Formalia der Gläubigerversammlung außerhalb eines Insolvenzverfahrens sind dabei im Wesentlichen an die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft angelehnt, wobei jedoch aufgrund der unterschiedlichen Rechtsbeziehung (Gläubiger statt Aktionäre) Besonderheiten zu beachten sind. 1634 Kritisiert wird – zutreffend – die im Vergleich zu sonstigen Wirtschaftsgesetzen „recht geringe“ Regelungsdichte, die einen „komplizierten Regelungsauftrag für die Richter“ darstelle.2207) Die Instanzgerichte sind diesem Regelungsauftrag in der anfänglichen Rechtsprechung bedauerlicherweise nicht immer in besonders sanierungsfreundlicher Weise nachgekommen; neuere Entscheidungen des BGH und auch vereinzelt von Instanzgerichten zeigen jedoch Tendenzen auf, den Sanierungsgedanken des SchVG ernst zu nehmen. 1. Anwendungsbereich a) Sachlicher Anwendungsbereich 1635 Das SchVG ist anwendbar auf (§ 1 Abs. 1 SchVG) x
inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen,
x
die nach deutschem Recht begeben sind.
1636 Weggefallen im Vergleich zum alten SchVG (1899) sind x
das Erfordernis der Begebung im Inland,
x
das Erfordernis der im Voraus bestimmten Nennbeträge und
x
der Mindestanforderungen an Höhe und Stückelung der Anleihen.
1637 Weil ein im Voraus bestimmter Nennbetrag nicht mehr erforderlich ist, ist das SchVG auch auf Genussscheine mit Verlustbeteiligung anwendbar.2208) Keine Rolle für die Einordnung als „Schuldverschreibung“ spielen die wertpapierrechtliche Einordnung (Namens- oder Inhaberschuldverschreibung),2209) ___________ 2206) Gesetz, betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen (RGBl. 1899, 691) in der im BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 4134-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 53 des Gesetzes vom 5.10.1994 (BGBl. I, 2911) 2207) Florstedt, ZIP 2012, 2286, 2287. 2208) BGH ZIP 2014, 1876 Rn. 9; dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising). 2209) Kusserow, RdF 2012, 4, 9.
502
Sacha Lürken
D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
die Art der Verbriefung (als Globalurkunde oder in mehreren Stücken) oder die Art der Verwahrung.2210) Ob § 1 Abs. 1 SchVG ein „Reinheitsgebot“ zu entnehmen ist, wonach für 1638 sämtliche Anleihebedingungen deutsches Recht gewählt oder nach Kollisionsnormen maßgeblich sein muss oder ob sich die Anwendbarkeit deutschen Rechts allein auf das Leistungsversprechen beziehen muss, ist nach wie vor unklar. Im Fall Pfleiderer hatte das LG Frankfurt/M.2211) unter Hinweis auf eine Bestimmung in Anleihebedingungen, welche für den vertraglichen Nachrang der Anleiheforderung niederländisches Recht für anwendbar beschrieb, die Anwendbarkeit des SchVG abgelehnt. Der BGH hat sich trotz Gelegenheit dazu2212) bislang nicht geäußert; die Problematik dürfte aber nur wenige Anleihen betreffen. Eine „inhaltsgleiche Gesamtemission“ liegt auch vor, wenn eine Anleihe- 1639 emission nachträglich durch Aufstockung (Tap Offering) erhöht wird.2213) Nach § 1 Abs. 2 SchVG findet das Gesetz keine Anwendung auf
1640
x
Pfandbriefe;
x
Schuldverschreibungen, die von der deutschen öffentlichen Hand emittiert oder garantiert werden. Für Anleihen des Bundes (nicht: der Länder oder Gemeinden) mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr gelten §§ 4a ff. BSchWG;2214)
x
Schuldverschreibungen, die von Staaten des Euro-Raums begeben werden. Auch hierfür gelten §§ 4a ff. BSchWG.
b) Zeitlicher Anwendungsbereich Das SchVG ist anwendbar auf nach dem 5.8.2009 begebende Schuldverschrei- 1641 bungen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 SchVG). Auf vor dem 5.8.2009 begebene Anleihen (Altanleihen) findet das SchVG von 1899 weiterhin Anwendung (§ 24 Abs. 1 Satz 2 SchVG). Allerdings können durch Beschluss von Anleihegläubigern mit qualifizierter Mehrheit und Zustimmung des Emittenten die Anleihebedingungen einer Altanleihe geändert werden, um die im SchuldVG vorgesehenen Instrumentarien nutzen zu können („Opt-in“).
___________ 2210) Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 1 SchVG Rn. 13. 2211) LG Frankfurt/M. ZIP 2011, 2306, dazu EWiR 2012, 61 (Armbrüster). 2212) BGH ZIP 2014, 1876, Rn. 9, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising); BGH ZIP 2015, 473, dazu EWiR 2015, 239 (Just/Maiwald). 2213) Amtl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, S. 18; Hartwig-Jacob, in: FrankfurterKommSchVG, § 1 Rn. 119 ff.; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 1 SchVG Rn. 13. 2214) Bundesschuldenwesengesetz v. 12.7.2006 (BGBl. I, 1466).
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Teil 4 Restrukturierung
1642 Aufgrund des unterschiedlichen sachlichen Anwendungsbereichs von SchVG und dem Schuldverschreibungsgesetz von 18992215) hatten die Gerichte in den ersten Entscheidungen zum SchVG Probleme mit „Opt-in“-Beschlüssen. Im Fall Pfleiderer lehnte das OLG Frankfurt/M.2216) (wie zuvor schon im Fall Q-Cells das LG Frankfurt/M.2217) die Anwendung des SchVG ab, da die Altanleihe im Ausland begeben und somit das SchVG (1899) nicht auf diese Anleihe anwendbar sei; m. a. W., es verstand den Begriff „Schuldverschreibung“ in § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG nicht wie in § 1 Abs. 1 SchVG legaldefiniert, sondern wie in § 1 SchVG (1899) definiert. 1643 Zusätzlich begründete es seine Meinung damit, dass ein nachträglicher „Opt-in“ dann einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 20 GG) darstelle, wenn der Gläubiger (aufgrund der Nichtanwendbarkeit des SchVG [1899]) bei Emission nicht mit einer nachträglichen Änderung seiner Rechte durch Mehrheitsbeschluss rechnen musste. Dieser – in der Literatur zuvor bereits auf einhellige Ablehnung gestoßene2218) – Auffassung – die zur Insolvenz der betroffenen Emittenten führte – erteilte der BGH in seiner ersten Entscheidung zum SchVG (Urt. v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876) eine deutliche Abfuhr: [9] a) Dabei kann dahinstehen, ob auf die Genussscheine der Beklagten das SchVG 1899 anwendbar war. § 24 Abs. 2 SchVG findet auf nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (§ 1 Abs. 1 SchVG) Anwendung, auch wenn sie nicht dem SchVG 1899 unterfielen (OLG Schleswig ZIP 2014, 221; LG Frankfurt/M. ZIP 2011, 2306, dazu EWiR 2012, 61 (Armbrüster); Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204, 205 ff.; Paulus, WM 2012, 1109, 1112 f.; Keller, BKR 2012, 15, 17; Hartwig-Jacob/ Friedl, in: Frankfurter Komm. z. SchVG, § 24 Rn. 13; a. A. Horn, in: Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521, 529). Das folgt schon aus dem Wortlaut der Übergangsvorschrift. § 24 Abs. 2 SchVG enthält eine eigenständige Regelung für alle Schuldverschreibungen i. S. v. § 1 Abs. 1 SchVG. Nach § 24 Abs. 1 S. 1 SchVG ist das SchVG zwar auf Schuldverschreibungen, die vor dem 5.8.2009 ausgegeben wurden, nicht anzuwenden, und nach § 24 Abs. 1 S. 2 SchVG ist das SchVG 1899 auf solche Schuldverschreibungen weiter anzuwenden. § 24 Abs. 2 SchVG bezieht sich dem Wortlaut nach aber wieder auf alle Schuldverschreibungen, die vor dem 5.8.2009 ausgegeben wurden, nicht nur auf solche, die dem SchVG 1899 unterfielen, und damit auch auf Schuldverschreibungen, für die die Geltung des SchVG 1899 – wie für Genussscheine – zweifelhaft war. [10] Eine Beschränkung der Möglichkeit, durch Mehrheitsbeschluss für die Anwendung des neuen SchVG zu optieren, auf die dem SchVG 1899 unterfal-
___________ 2215) Siehe oben Rn. 1636. 2216) OLG Frankfurt/M. ZIP 2012, 725, dazu EWiR 2012, 259 (Paulus). 2217) LG Frankfurt/M. ZIP 2012, 474. 2218) Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 24 SchVG Rn. 8; Hartwig-Jacob/Friedl, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 24 Rn. 13; Oulds CFL 2012, 353; Paulus, EWiR 2012, 259; ders., WM 2012, 1109, 1112; Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204; Keller, BKR 2012, 15; Friedl, BB 2012, 1309; Weckler, NZI 2012, 480; Meier/ Schauenburg, CFL 2012, 161; Lürken, GWR 2012, 227.
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) lenden Schuldverschreibungen widerspräche der vom Gesetzgeber beabsichtigten weiten Geltung der neuen Regelungen. Der Gesetzgeber wollte mit dem SchVG die Schwächen des SchVG 1899, das nur für inländische Schuldner galt, beseitigen und auch von ausländischen Schuldnern nach deutschem Recht begebene Anleihen erfassen (RegE BT-Drucks. 16/12814, S. 13). Ein Nebeneinander von alten Schuldverschreibungen mit der Möglichkeit, Mehrheitsentscheidungen zu treffen, und solchen ohne diese Möglichkeit entspricht nicht der Zielsetzung des Gesetzgebers, Mehrheitsentscheidungen vor allem im Sanierungsfall zu ermöglichen, und führte zu einer Anwendung von § 24 Abs. 2 SchVG nur in einem tatsächlich schmalen Bereich der von inländischen Emittenten begebenen Schuldverschreibungen nach § 1 SchVG 1899. Nach der Gesetzesbegründung sollten dagegen alle Gläubiger die Möglichkeit erhalten, durch Mehrheitsbeschluss für die Anwendung des neuen SchVG zu optieren (RegE BT-Drucks. 16/12814, S. 27). Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, dass bei nicht dem SchVG 1899 unterfallenden Schuldverschreibungen Mehrheitsentscheidungen über eine Beschränkung der Gläubigerrechte in weiterem Umfang als nach § 11 Abs. 1 S. 2 SchVG in den Anleihebedingungen hätten vorgesehen werden können. Das lässt den Bedarf, nachträglich eine Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung für Änderungen der Anleihebedingungen zu eröffnen, nicht entfallen. Ein Verzicht auf Mehrheitsentscheidungen in den Anleihebedingungen kann gerade auf der Unsicherheit über den Umfang der Anwendung des SchVG 1899 oder auf der fehlenden Regelung eines Verfahrens zur Überprüfung der Mehrheitsentscheidung beruht haben. [11] b) Nach § 24 Abs. 2 SchVG können die Anleihebedingungen, um von den im SchVG gewährten Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen zu können, auch für Altschuldverschreibungen, die vor dem 5.8.2009 begeben wurden, geändert werden, bei denen in den Anleihebedingungen keine Mehrheitsentscheidung vorgesehen war (a. A. OLG Frankfurt/M. ZIP 2012, 725 (m. Bespr. Florstedt, S. 2286), dazu EWiR 2012, 259 (Paulus); LG Frankfurt/M. ZIP 2012, 474) oder bei denen, wie nach § 11 SchVG 1899, eine Mehrheitsentscheidung nur sehr beschränkt möglich war. Weder dem Wortlaut von § 24 Abs. 2 SchVG noch dem Sinnzusammenhang lässt sich eine Einschränkung für die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen auf solche Schuldverschreibungen entnehmen. Sie folgt entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auch nicht daraus, dass § 5 Abs. 1 SchVG Mehrheitsentscheidungen der Anleihegläubiger nur zulässt, wenn sie in den Anleihebedingungen vorgesehen sind. Für Altanleihen sollen Mehrheitsentscheidungen durch § 24 Abs. 2 SchVG gerade ermöglicht werden. [12] Die Ermöglichung von Mehrheitsentscheidungen für die in § 5 Abs. 2 SchVG aufgezählten Änderungen der Anleihebedingungen ist kein unzulässiger rückwirkender Eingriff in die Rechte der Anleihegläubiger. Eine echte Rückwirkung liegt nicht vor, soweit der Rückzahlungsanspruch bei Inkrafttreten des SchVG noch nicht fällig war. Es wird kein abgeschlossener Sachverhalt geregelt, sondern während eines Dauerschuldverhältnisses das anwendbare Recht geändert. Eine solche unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Zwar können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind aber erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfGE 116, 96, 132; BVerfGE 101, 239, 263 = ZfIR 2000, 536; BVerfGE 95, 64, 86; vgl. auch BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978, Rn. 40 – AdCoCom, dazu EWiR
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Teil 4 Restrukturierung 2010, 421 (Wenzel)). Die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen hier die Veränderungsgründe nicht. Der Gesetzgeber wollte auch für teilweise noch einige Zeit laufende Schuldverschreibungen die Befugnisse der Gläubigergesamtheit stärken, weil vorher Einstimmigkeit erforderlich war, die praktisch nie erreichbar war und einer unter Umständen auch im Interesse der Mehrheit der Gläubiger liegenden Sanierung im Wege stand. Das überwiegt das Blockadeinteresse einzelner Gläubiger und ihr Interesse, vor Veränderungen der Anleihebedingungen verschont zu werden. Die unechte Rückwirkung ist zur Erreichung dieses Gesetzeszwecks geeignet und auch erforderlich
1644 Der Beschluss zum Opt-in kann mit evtl. Beschlüssen zur Änderung von Anleihebedingungen nach § 5 SchVG verbunden werden; es ist nicht nötig, hierzu zwei separate Gläubigerversammlungen abzuhalten.2219) 1645 Es ist umstritten, ob ein Opt-in auch noch im eröffneten Insolvenzverfahren beschlossen werden kann. Das AG Fürth – Insolvenzgericht – hat zu einer An-leihegläubigerversammlung zur Beschlussfassung über einen Opt-in nach Eröff-nung des Insolvenzverfahrens geladen.2220) Nach Ansicht des OLG Dresden2221) ist ein Opt-in nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedoch ausgeschlossen, da § 19 SchVG nur die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters vorsehe. Dies leuchtet nicht ein. So erwähnt die Begründung zum Regierungsentwurf des ESUG ausdrücklich die Möglichkeit der Anleihegläubiger, im Rahmen einer Anleihegläubigerversammlung einen Beschluss zu einem Debt-Equity-Swap2222) zu fassen. Auch gesetzessystematisch kommt § 19 SchVG nur zur Anwendung, wenn das SchVG sachlich und zeitlich anwendbar ist. 1646 Beispiel für einen Beschluss zum nachträglichen „Opt-in“ und gleichzeitiger Beschlussfassung zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters: Die Emittentin schlägt den Gläubigern vor, Folgendes zu beschließen: a) Das Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31. Juli 2009 in seiner jeweils gültigen Fassung (das „SchVG“) findet auf die € [ ] ___________ 2219) Otto, DNotZ 2012, 809, 811; Kusserow, WM 2011, 1645, 1648; im Fall BGH ZIP 2014, 1876, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising) waren Opt-In Beschluss und Beschluss zur Änderung der Anleihebedingungen verbunden worden, ohne dass der BGH dies beanstandet hätte. 2220) AG Fürth, Beschl. v. 19.2.2013 – IN 948/11 – Solar Millennium AG (abrufbar unter www.bundesanzeiger.de). 2221) OLG Dresden ZIP 2016, 87 = NZI 2016, 149 m. Anm. Brenner/Moser, dazu EWiR 2016, 117 (Knauthe); Revision beim BGH anhängig (Az. II ZR 377/15); vgl. andererseits OLG Dresden, Beschl. v. 1.12.2014 – 3 VA 5/14, n. v., wonach das Freigabeverfahren nach § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG auch im eröffneten Insolvenzverfahren statthaft ist; dazu Rn. 1719. 2222) BT-Drucks. 17/5712, 46 (zu § 225a InsO): „Nach Absatz 2 Satz 2 darf kein Gläubiger gegen seinen Willen in eine Gesellschafterposition gedrängt werden. Unberührt hiervon bleibt die Möglichkeit eines Mehrheitsbeschlusses nach § 5 Absatz 3 Nummer 5 des [SchVG]“; wie hier Brenner/Moser, NZI 2016, 149, 151; Kessler/Rühle, BB 2014, 907, 914; Lürken, GWR 2013, 499.
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
[ ] % [Inhaber-]Schuldverschreibungen (ISIN: [ ]) (die „Anleihe“) Anwendung. b) Die Emissionsbedingungen der Anleihe werden wie folgt geändert: (i) In die Bedingungen der € [ ] [ ] % [Inhaber-]Schuldverschreibungen wird folgender neuer § [ ] eingefügt § [ ] Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes 2009; Änderungen der Emissionsbedingungen durch Mehrheitsbeschluss; Gemeinsamer Vertreter; Mehrheitsbeschlüsse (a) Das Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31. Juli 2009 in seiner jeweils gültigen Fassung (das „SchVG“) ist auf die [Schuldverschreibungen] anwendbar. (b) Die Gläubiger können nach Maßgabe der §§ 5 ff. SchVG in seiner jeweiligen gültigen Fassung durch Mehrheitsbeschluss in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung Änderungen der Anleihebedingungen beschließen. (c) Die Gläubiger können zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen. Der gemeinsame Vertreter hat die Aufgaben und Befugnisse, die ihm durch Gesetz eingeräumt sind. Er hat ferner die Aufgaben und Befugnisse, die ihm von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss im Einzelfall eingeräumt werden. Die Gläubiger sind befugt, dem gemeinsamen Vertreter im Rahmen des gesetzlich Zulässigen sämtliche ihnen zustehenden Befugnisse im Hinblick auf die Emissionsbedingungen und die Schuldverschreibungen, einschließlich sämtlicher Befugnisse zu Änderungen der Emissionsbedingungen, zur Geltendmachung oder einem Verzicht auf Rechte der Gläubiger und zu den Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG, zu übertragen. Kosten und Aufwendungen (einschließlich einer angemessenen Vergütung) des gemeinsamen Vertreters trägt die Emittentin. (d) Die Gläubiger beschließen grundsätzlich mit der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. Beschlüsse, durch welche der wesentliche Inhalt der Emissionsbedingungen, insbesondere in den Fällen des § 5 Absatz 3 Nummer 1 bis 9 SchVG, geändert wird, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer Mehrheit von mindestens [75] % der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. Der Versammlungsleiter bestimmt Art und Form der Abgabe und Auszählung der Stimmen.“
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[(ii) In die Bedingungen der € [ ] [ ] % [Inhaber-]Schuldverschreibungen wird folgender neuer § [ ] eingefügt: § [ ] der Anleihebedingungen gilt entsprechend für die folgenden von den nachfolgend genannten Personen bestellten Sicherheiten: [ ]“ c) [ ] wird zum gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger der € [ ] [ ] % [Inhaber-]Schuldverschreibungen bestellt. Die Bestellung ist bis zum [ ] (einschließlich) wirksam. [Die Haftung des gemeinsamen Vertreters ist [auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz und bei grober Fahrlässigkeit] auf [das [ ]fache seiner jährlichen Vergütung] / [höchstens € [ ]] beschränkt, es sei denn, er handelt vorsätzlich [oder grob fahrlässig]]. c) Persönlicher Anwendungsbereich 1647 Das SchVG gilt grundsätzlich für sämtliche Emittenten unabhängig von deren Rechtsform. 1648 Ein Novum im deutschen Recht – und anders als etwa im Insolvenzrecht bei der Enthaftung des Insolvenzschuldners im Rahmen eines Insolvenzplans (§ 254 Abs. 2 InsO) ist die Möglichkeit, die Wirkung eines den Emittenten enthaftenden Beschlusses auf Sicherungsgeber (z. B. garantiegebende Tochter- oder Muttergesellschaften) durch Mehrheitsbeschluss zu erstrecken, wenn dies in den Anleihebedingungen und in dem Beschluss der Anleihegläubiger vorgesehen ist (§ 22 SchVG). d) Abweichende Vereinbarungen 1649 Anders als noch im SchVG (1899) sind die Vorschriften über die Gläubigerorganisation und -maßnahmen (§§ 5 – 21 SchVG) nur anwendbar, wenn die Anleihebedingungen dies vorsehen („Opt-in-Klausel“).2223) Bei nach dem 5.8.2009 begebenen Anleihen, deren Bedingungen Änderungen durch Mehrheitsbeschluss nicht vorsehen („Nulloption“2224), ist kein nachträglicher „Opt-in“ möglich.2225) 1650 Sehen die Anleihebedingungen eine Änderung durch Mehrheitsbeschluss vor, sind die Vorschriften des SchVG halbzwingend, d. h., die Anleihebedingungen können nicht zum Nachteil der Gläubiger von den §§ 5 – 21 SchVG abweichen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG); umgekehrt können die Anleihebedingungen aber zugunsten der Anleihegläubiger divergieren, z. B. durch Aufstellung höherer Mehrheitserfordernisse. ___________ 2223) Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 479. 2224) Horn, BKR 2009, 446, 449. 2225) Oulds, CFL 2012, 353, 357.
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Möglich sind auch bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Anleihegläubigern, 1651 solange sie den einzelnen Anleihegläubiger nicht begünstigen, z. B. in Form von Veräußerungs- oder Kündigungssperren (Lock-up Agreements).2226) Diese haben jedoch keinen Einfluss auf die Anleihebedingungen als solche, sondern begründen nur bei Verstoß einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den vertragsschließenden Anleihegläubiger. Denkbar sind solche Vereinbarungen etwa bei Verhandlungen mit einer Gruppe von Anleihegläubigern (Bondholder Ad hoc Committee). e) Verhältnis zu allgemeinen Rechtsvorschriften Zusätzlich oder außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG unterliegen 1652 Anleihebedingungen den Beschränkungen der §§ 307 ff. BGB2227) und bei Inhaberschuldverschreibungen §§ 793 ff. BGB. Für das Transparenzgebot ist § 3 SchVG jedoch lex specialis zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Anleihen können ferner nach der Rechtsprechung aus wichtigem Grund ge- 1653 kündigt werden (§ 314 BGB).2228) 2. Regelungsgehalt Wesentlicher Regelungsgehalt des SchVG sind die Vorschriften über Mehr- 1654 heitsbeschlüsse der Gläubigerversammlung (§§ 5 – 21 SchVG). Das SchVG sieht im Wesentlichen folgende Maßnahmen vor, welche die Gläubigerversammlung beschließen kann: x
Änderung von Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung (§ 5 Abs. 3 SchVG);
x
Abstimmung über das Entfallen der Wirkung einer Kündigung (§ 5 Abs. 5 SchVG);
x
Erstreckung auf Mitverpflichtete (§ 22 SchVG);
x
Bestellung eines gemeinsamen Vertreters und ggf. Ermächtigung zur Ausübung von Gläubigerrechten (§ 7 SchVG).
Die Gläubigerversammlung kann als physische Versammlung (§§ 5 – 17 1655 SchVG) oder – ebenfalls ein Novum im deutschen Recht – als Abstimmung ohne Versammlung (§ 18 SchVG) (sog. „virtuelle Versammlung“) abgehalten werden. Die Anleihebedingungen können eine der beiden Möglichkeiten ___________ 2226) Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 481. 2227) H. M.: Horn, BKR 2009, 446, 453; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 37 ff.; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397, 402; Schwenk, jurisPR-BKR 1/2009 Anm. 4; a. A. Langenbucher/ Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17, § 3 SchVG Rn. 29; Sester, AcP 209 (2009), 628, 666: Analogie zur Bereichsausnahme nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB; a. A. für Fremdemissionen Preuße/Dippel/Preuße, SchVG, § 3 Rn. 34 ff. 2228) Dazu unten Rn. 1724 ff.
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ausschließen (§ 5 Abs. 6 Satz 2 SchVG). Die Vorschriften über die physische Versammlung gelten dabei grundsätzlich auch für die virtuelle Versammlung (§ 18 Abs. 1 SchVG). 1656 Die Gläubigerversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 50 % des Werts der ausstehenden Anleihe anwesend sind. Der Vorsitzende kann eine zweite Versammlung einberufen, die dann auch ohne Quorum beschlussfähig ist, es sei denn, es wird über eine wesentliche Änderung von Anleihebedingungen beschlossen; dann müssen mindestens 25 % des Werts der ausstehenden Anleihe anwesend sein. a) Änderung von Anleihebedingungen 1657 Vorbehaltlich x
einer Einschränkung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG),
x
des Verbots der Begründung von neuen Leistungspflichten (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG),
x
des Verbots der Ungleichbehandlung von Gläubigern (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG)
sieht das Gesetz folgende Möglichkeiten zur Änderung von Anleihebedingungen vor: x
Zinsstundung, -herabsetzung und/oder -verzicht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchVG);
x
Stundung und/oder Verringerung der Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 SchVG);
x
Nachrangerklärung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG);
x
Umwandlung oder Umtausch in Geschäftsanteile, andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG);
x
Freigabe oder Austausch von Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG);
x
Währungsänderung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 SchVG);
x
Verzicht oder Beschränkung von Kündigungsrechten (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG);
x
Schuldneraustausch (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG);
x
Änderung oder Aufhebung von Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG).
1658 Durch die Verwendung von „insbesondere“ wird klargestellt, dass die im Gesetz genannten möglichen Änderungen der Anleihebedingungen nur beispiel-
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haft sind.2229) Daher ist, sofern in den Anleihebedingungen vorgesehen, auch ein vollständiger Verzicht auf die Hauptforderung möglich.2230) Für sämtliche wesentlichen Beiträge – das sind jedenfalls die in § 5 Abs. 3 1659 Satz 1 SchVG genannten Regelbeispiele mit Ausnahme der Änderung oder Aufhebung von Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG) – bedarf es einer qualifizierten Mehrheit, d. h. der Stimmen von mindestens 75 % der Anleihegläubiger (§ 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG) oder einer entsprechenden Ermächtigung des gemeinsamen Vertreters (§ 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 SchVG). b) Bestellung eines gemeinsamen Vertreters Das SchVG unterscheidet zwischen dem
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x
bereits in den Anleihebedingungen bestellten gemeinsamen Vertreter („Vertragsvertreter“)
x
durch Beschluss der Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreter („Wahlvertreter“).
Der Vertragsvertreter im Vergleich zum Wahlvertreter weniger Befugnisse, insb. 1661 kann er nicht ohne ermächtigenden Beschluss der Anleihegläubigerversammlung auf Rechte der Anleihegläubiger verzichten (§ 8 Abs. 2 SchVG);2231) auch ist – anders als beim Wahlvertreter – die Bestellung von Organen und Arbeitnehmern des Emittenten oder mit ihm verbundener Unternehmen nichtig (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SchVG). Die Befugnisse des Wahlvertreters ergeben sich aus Gesetz und den Beschlüs- 1662 sen der Gläubigerversammlung. Ist der gemeinsame Vertreter zur Geltendmachung der Rechte der Gläubiger ermächtigt, hat dies verdrängende Wirkung, soweit nicht ausdrücklich anderweitig bestimmt (§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG). Soweit der gemeinsame Vertreter zu Maßnahmen ermächtigt werden soll, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern (also insb. Sanierungsbeiträge i. S. d. § 5 Abs. 3 SchVG), bedarf auch dieser Beschluss der qualifizierten Mehrheit. Gemeinsamer Vertreter kann jede geschäftsfähige Person oder sachkundi- 1663 ge2232) juristische Person sein (§ 7 Abs. 1 SchVG). Folgende Personen, die in einem bestimmten Näheverhältnis zum Emittenten oder einzelnen Großgläubigern stehen, müssen die entsprechenden Umstände offenlegen (§ 7 Abs. 2 SchVG):
___________ 2229) Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, S. 18. 2230) A. A. Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025, 2026; offen Vogel, ZBB 2010, 211, 212. 2231) Insoweit könnte man den Vertragsvertreter auch als „vorläufigen gemeinsamen Vertreter“ bezeichnen, vgl. Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153, 156. 2232) Beispielhaft werden Rechtsanwalts- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genannt, Begr. RegE BT-Drucks. 16/12184, S. 19.
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x
Organe und Angestellte des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens;
x
Inhaber von 20 % oder mehr des Eigenkapitals des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens;
x
Finanzgläubiger des Emittenten mit einer Forderung in Höhe von 20 % oder mehr des Nennwerts der Anleihe oder Organe oder Mitarbeiter eines solchen Finanzgläubigers;
x
Personen, die aufgrund einer besonderen persönlichen Beziehung unter dem bestimmenden Einfluss eines der Vorgenannten stehen.
1664 Die fehlende Offenlegung solcher Umstände stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 23 Abs. 2 SchVG). Fraglich ist, ob bei fehlender Offenlegung die Bestellung des gemeinsamen Vertreters angefochten werden kann; der Wortlaut des Gesetzes spricht eher dagegen.2233) II. Rechtsschutz im Zusammenhang mit Einberufung einer Gläubigerversammlung/Abstimmung ohne Versammlung 1665 § 9 Abs. 2, Abs. 3 SchVG regeln Rechtsmittel im Zusammenhang mit der Einberufung der Gläubigerversammlung. 1. Antrag auf Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung (§ 9 Abs. 2 SchVG) 1666 Grundsätzlich wird die Gläubigerversammlung vom Emittenten oder von einem gemeinsamen Vertreter einberufen (§ 9 Abs. 1 SchVG). Nicht immer ist der Emittent aber willens, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, und oft gibt es noch keinen gemeinsamen Vertreter. In diesen Fällen eröffnet § 9 Abs. 2, Abs. 3 SchVG die Möglichkeit der Einberufung der Gläubigerversammlung durch Anleihegläubiger auch gegen den Willen des Emittenten. 1667 Gläubigerversammlung i. S. d. § 9 Abs. 2 SchVG ist dabei nur die erste Gläubigerversammlung i. S. d. § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG, nicht die aufgrund Nichterreichens des 50 %-Quorums in der ersten Versammlung einberufene zweite Versammlung i. S. d. § 15 Abs. 3 Satz 2 SchVG.2234) a) Statthaftigkeit 1668 Das Einberufungserzwingungsverfahren nach § 9 Abs. 2, Abs. 3 SchVG ist sowohl außerhalb des Insolvenzverfahrens als auch im eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten statthaft. § 19 Abs. 1 SchVG ___________ 2233) Vgl. auch Begr. RegE BT-Drucks. 16/12184, S. 19: „Als gemeinsamer Vertreter kommen auch Personen in Betracht, die der Interessensphäre des Schuldners zuzurechnen sind. (…) Für die Gläubiger ergibt sich daraus grds. kein Nachteil (…).“ 2234) BGH ZIP 2015, 473, dazu EWiR 2015, 239 (Just/Maiwald).
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verweist zwar für die Anleihegläubigerversammlung grundsätzlich auf die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO). § 19 Abs. 2 SchVG sieht vor, dass das Insolvenzgericht von Amts wegen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Anleihegläubigerversammlung „nach den Vorschriften dieses Gesetzes“ einzuberufen hat, um die Gläubiger über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters beschließen zu lassen, sofern nicht bereits ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist. Dies beschränkt aber nicht die Statthaftigkeit weiterer Einberufungsverlangen und -erzwingungsverfahren, zumindest soweit diese auf die Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters gerichtet sind.2235) b) Antragsberechtigter Antragsberechtigt sind Anleihegläubiger, die zusammen 5 % oder mehr der 1669 Anleihe halten (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG). Umstritten ist, wie mit Änderungen des Gläubigerkreises nach Stellung 1670 des Einberufungsverlangens an den Emittenten umzugehen ist. Nach einer Ansicht muss das 5 %-Quorum nur bei Einberufungsverlangen und Einreichung des Erzwingungsantrags vorliegen; ein nachträgliches Absinken soll unschädlich sein.2236) Nach herrschender Auffassung muss die 5 %-Schwelle aber auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über den Einberufungserzwingungsantrag vorliegen.2237) Umstritten ist dann wiederum, ob diese 5 %-Schwelle bei Abrutschen des ursprünglichen Antragstellers auch durch andere (dem Verfahren beitretende) Gläubiger erreicht werden darf2238) oder ob diese Gläubiger zunächst ein Einberufungsverlangen beim Emittenten stellen müssen2239). Verweigert der Emittent jedoch die Einberufung unabhängig vom Erreichen des Quorums, bleibt das Einberufungserzwingungsverfahren statthaft.2240) In teleologischer Reduktion des Wortlauts sind Gläubiger von Anleihen, deren 1671 Bedingungen eine wirksame Nachrangabrede (§ 39 Abs. 2 InsO) enthalten, im eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögens des Emittenten nicht antragsberechtigt, es sei denn, das Insolvenzgericht hat auch Nachranggläubiger zur Anmeldung von Forderungen aufgefordert (§ 174 Abs. 3 InsO) oder es ist zu erwarten, dass für diese eine Gruppe in einem Insolvenzplan ___________ 2235) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, BeckRS 2013, 15224 m. Anm. Moser, BB 2014, 84 und m. Anm. Lürken, GWR 2013, 499. 2236) Schmidtbleicher, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 9 Rn. 26. 2237) So noch die 1. Aufl., 2013 Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 9 SchVG Rn. 17; anders jetzt 2. Aufl., 2016 Rn. 12. 2238) So noch die 1. Aufl. 2013 Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 9 SchVG Rn. 18; anders jetzt 2. Aufl., 2016 Rn. 12. 2239) So Schmidtbleicher, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 9 Rn. 27. 2240) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, BeckRS 2013, 15224 m. Anm. Moser, BB 2014, 84 und m. Anm. Lürken, GWR 2013, 499.
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gebildet wird (§ 225 InsO).2241) Die Nachrangabrede kann allerdings wegen Verstoß gegen § 307 BGB unwirksam sein, wenn sie so formuliert ist, dass ein „durchschnittlicher, juristisch nicht vorgebildeter Anleger, der sich in den Feinheiten des deutschen Bilanzierungsrechts nicht auskennt“, sie nicht verstehen kann.2242) Dann sind die Anleihegläubiger Insolvenzgläubiger i. S. d. § 38 InsO und antragsberechtigt. c) Antragsbefugnis 1672 Antragsbefugt sind vorgenannte Gläubiger, „deren berechtigtem Verlangen nicht entsprochen worden ist“ (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG). Ein berechtigtes Verlangen setzt neben dem Erreichen der Mindestanleihenquote von 5 % voraus, dass x
die Einberufung schriftlich beim Emittenten beantragt wurde;
x
ein berechtigtes Interesse an der Einberufung besteht.
1673 Ein berechtigtes Interesse liegt vor: x
für eine Versammlung zur Bestellung oder Abberufung eines gemeinsamen Vertreters;
x
für eine Versammlung, mit der über das Entfallen einer Kündigung beschlossen werden soll;
x
bei einem sonstigen berechtigten Interesse;
x
bei anderen in den Anleihebedingungen geregelten Fällen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 SchVG).
1674 Ein Verlangen zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ist auch dann berechtigt, wenn bereits eine frühere Gläubigerversammlung stattgefunden hat, in der kein gemeinsamer Vertreter bestellt wurde.2243) 1675 Ein sonstiges berechtigtes Interesse liegt stets vor, wenn die Gläubiger Beschlüsse nach § 5 Abs. 3 SchVG fassen wollen.2244) Es dürfte darüber hinaus auch vorliegen, wenn Gläubiger einer vor dem 5.8.2009 begebenen Anleihe über einen nachträglichen „Opt-in“ beschließen wollen. Das berechtigte Interesse entfällt nicht allein deshalb, weil für die Wirksamkeit des Beschlusses über den „Opt-in“ die Zustimmung des Schuldners erforderlich ist (§ 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG).2245) Denn nach dem Wortlaut ist die Zustimmung nur für die Wirksamkeit des Beschlusses erforderlich und muss daher erst vorliegen, wenn ein solcher Beschluss gefasst worden ist. Der Emittent hat auch ___________ 2241) LG Bonn ZIP 2014, 983, dazu EWiR 2014, 395 (Friedl). 2242) AG Itzehoe, Beschl. v. 1.5.2014 – 28 IE 1/14, ZInsO 2014, 1106. 2243) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, BeckRS 2013, 15224 m. Anm. Moser, BB 2014, 84 und m. Anm. Lürken, GWR 2013, 499. 2244) Schmidtbleicher, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 9 Rn. 32. 2245) A. A. AG Bonn, Beschl. v. 14.11.2013 – 99 IN 153/13, BeckRS 2014, 05719.
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kein schutzwürdiges Interesse, durch eine vorab erklärte, endgültige Verweigerung der Zustimmung eine Versammlung der Anleihegläubiger zu verhindern. Denn der „Opt-in“ dient ja u. a. der Ermöglichung von Beschlüssen zur Änderung der Anleihebedingungen, von denen der Emittent bei einer Krise nur profitieren kann. Eine Verweigerung der Zustimmung käme der vorsätzlichen Nichtwahrnehmung einer Sanierungschance gleich. d) Zuständigkeit Sachlich zuständig ist unabhängig vom Streitwert das Amtsgericht (§§ 375 1676 Nr. 16 FamFG i. V. m. 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 GVG). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich bei einem inländischen Emittenten 1677 nach dem Sitz des Emittenten (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SchVG). Sind in einem Landgerichtsbezirk mehrere Amtsgerichte errichtet, so ist das Amtsgericht am Sitz des Landgerichts zuständig (§ 376 Abs. 1 FamFG); durch Rechtsverordnung können die Landesregierungen die Zuständigkeit abweichend regeln. Für Anträge gegen ausländische Emittenten ist das AG Frankfurt/M. örtlich zuständig (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SchVG). e) Rechtsmittel Außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist gegen den Beschluss, mit dem Ein- 1678 berufungsverlangen entsprochen oder ein solches abgelehnt wird, die sofortige Beschwerde statthaft (§ 9 Abs. 3 Satz 2 SchVG). Aufgrund der §§ 19 SchVG i. V. m. 6 InsO soll nach Ansicht des LG Bonn2246) 1679 im eröffneten Insolvenzverfahren die Beschwerde unzulässig sein. Das OLG Zweibrücken2247) hat hingegen auch in einem eröffneten Insolvenzverfahren über eine Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem das nach Insolvenzeröffnung gestellte Einberufungsverlangen eines Anleihegläubigers abgewiesen worden war, entschieden. 2. Anträge im Zusammenhang mit der Tagesordnung Die Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung hat eine 1680 Tagesordnung mit Beschlussgegenständen und -vorschlägen zu enthalten (§ 13 Abs. 1, Abs. 2 SchVG). Die Regelung ist eng an §§ 121 Abs. 3, 122, 124 AktG angelehnt. Grundsätzlich können Anleihegläubiger: x
Ergänzung der Tagesordnung um neue Punkte verlangen (§ 13 Abs. 3 SchVG);
Gegenanträge zu bereits gestellten Tagesordnungspunkten stellen (§ 13 Abs. 4 SchVG). ___________ x
2246) LG Bonn ZIP 2014, 983. 2247) OLG Zweibrücken Beschl. v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, BeckRS 2013, 15224 m. Anm. Moser, BB 2014, 84 und m. Anm. Lürken, GWR 2013, 499.
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a) Ergänzungsantrag (§ 13 Abs. 3 SchVG) 1681 Der Ergänzungsantrag ist gerichtet auf die Aufnahme eines neuen Beschlussgegenstandes durch den Einberufenden, egal ob Emittent oder gemeinsamer Vertreter. 1682 Leistet der Einberufende dem Ergänzungsantrag nicht Folge, so kann der antragstellende Gläubiger ein Erzwingungsverfahren nach § 9 Abs. 2, Abs. 3 SchVG einleiten (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SchVG). aa) Antragsberechtigter 1683 Antragsberechtigt sind Anleihegläubiger, die zusammen 5 % oder mehr der Anleihe halten (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG). Auf die vorstehenden Ausführungen kann verwiesen werden. bb) Antragsfrist 1684 Eine Frist zur Stellung eines Ergänzungsantrags ist nicht vorgesehen. Da nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG die neuen Beschlussgegenstände aber am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung bekannt gemacht sein müssen, sollten antragstellende Anleihegläubiger den Ergänzungsantrag rechtzeitig vorher stellen, um ggf. noch das Erzwingungsverfahren durchführen zu können. Anderenfalls bleibt nur der Weg, einen Antrag auf Einberufung einer weiteren Gläubigerversammlung zu stellen (§ 9 Abs. 1 SchVG). b) Gegenantrag (§ 13 Abs. 4 SchVG) 1685 Der – praktisch häufigere – Gegenantrag ist auf eine abweichende Beschlussfassung zu einem bereits bekannt gemachten Beschlussvorschlag gerichtet (z. B. Bestellung einer anderen Person als des vom Einberufenden Vorgeschlagenen zum gemeinsamen Vertreter). 1686 Ein Gegenantrag muss nicht begründet werden.2248) Der Emittent (nicht der Einberufende) muss angekündigte Gegenanträge auf seiner Internetseite bekannt machen (§ 13 Abs. 4 SchVG), jedoch nicht öffentlich im Bundesanzeiger. aa) Antragsberechtigter 1687 Antragberechtigt ist jeder Anleihegläubiger. Ein Quorum ist im Gegensatz zum Ergänzungsverlangen nicht erforderlich. bb) Antragsfrist 1688 Eine Frist zur Stellung von Gegenanträgen ist nicht vorgesehen. Ein Gegenantrag kann nur in der Gläubigerversammlung gestellt werden; zuvor ist er nur angekündigt. ___________ 2248) Müller, in: Heidel, § 13 SchVG Rn. 5; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/ Schneider, Kap. 17 § 13 SchVG Rn. 10.
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c) Antrag auf Unterlassung des Abhaltens einer Gläubigerversammlung Ob Anleihegläubiger bei behaupteter Unanwendbarkeit der §§ 5 ff. SchVG 1689 die Unterlassung einer Gläubigerversammlung verlangen können, ist unklar. Die Problematik hat sich allerdings entschärft, da sich bei nach dem 5.8.2009 begebenen Anleihen die Anwendbarkeit unmittelbar aus den Anleihebedingungen ergeben wird und bei „Opt-in“-Versammlungen der BGH weitestgehend Rechtssicherheit hinsichtlich der Anwendbarkeit auf nicht dem SchVG (1899) unterliegende Anleihen hergestellt hat. In den wenigen verbleibenden Fällen (etwa bei Streit um das „Reinheitsgebot“)2249) dürfte es jedoch auch an einem Verfügungsgrund fehlen, denn bei Unanwendbarkeit des SchVG sind entsprechende „Scheinbeschlüsse“ ohnehin unwirksam. III. Rechtsschutz gegen Beschlüsse der Gläubigerversammlung Erstmals geregelt ist im neuen Schuldverschreibungsrecht auch der Rechts- 1690 schutz gegen die von der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse (§ 20 SchVG). Er ist an die aktienrechtliche Anfechtungsklage (§§ 243 ff. AktG) angelehnt.2250) Unklar ist, ob neben der Anfechtungsklage auch eine Nichtigkeitsklage 1691 möglich ist.2251) In den bislang bekannten Fällen, in denen beide Klagearten verbunden wurden, sind die befassten Gerichte hierauf nicht eingegangen. 1. Anfechtungsklage (§ 20 Abs. 1, 2 SchVG) a) Anfechtungsberechtigter Anfechtungsberechtigt ist jeder Anleihegläubiger, x
1692 2252)
Gläubigerversammder die Anleihe vor der Bekanntmachung der ersten lung bzw. der Abstimmung außerhalb einer Versammlung erworben hat und a) entweder in der Gläubigerversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat oder
___________ 2249) Vgl. oben Rn. 1638. 2250) Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, S. 25 f.; zum Reformbedarf des schuldverschreibungsrechtlichen Beschlussmängelrechts siehe Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845, 854; Baums, ZHR 177 (2013), 807, 815. 2251) Bejahend Friedl, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 20 Rn. 99; Preuße/Vogel, SchVG, § 20 Rn. 8; Baums, ZBB 2009, 1, 4; wie hier: Maier-Reimer, NJW 2010, 1317, 1319; Otto, DNotZ 2012, 809, 825; die gesetzliche Regelung einer auf wenige Gründe beschränkten Nichtigkeitsklage fordernd H. Schneider, ILF Working Paper Series No. 135, S. 24. 2252) Maßgeblich ist die Bekanntmachung der ersten Gläubigerversammlung auch dann, wenn der angefochtene Beschluss erst in einer zweiten Versammlung gefasst wurde, OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15, BB 2015, 2509 = ZIP 2015, 2116.
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b) bei virtueller Gläubigerversammlung innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntmachung des Beschlusses (§ 18 Abs. 5 SchVG) Widerspruch erhoben hat, dem nicht abgeholfen wurde (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG); oder x
der an der Abstimmung nicht teilgenommen hat, wenn er nicht zugelassen wurde, die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufen wurde oder Bekanntmachungsmängel vorlagen (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG), ohne dass es auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Anleihe ankäme.
1693 Ebenso wie im Aktienrecht kann eine Beschlussmängelklage eines Anleihegläubigers rechtsmissbräuchlich sein. Auf die hierzu im Aktienrecht entwickelten Indizien kann verwiesen werden.2253) Ein Rechtsmissbrauch kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Anfechtungsklage erkennbar dem Ziel dient, die Emittentin zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat, wenn er sich dabei von der Vorstellung leiten lässt, dass die Emittentin die Leistung erbringen werde, um den Lästigkeitswert der Anfechtungsklage abzukaufen. Dies kann der Fall sein, wenn der Anfechtungskläger einen in keinem Verhältnis zum Nennwert der Anleihe stehenden Betrag verlangt oder wenn der Anfechtungskläger zu seiner rechtlichen Vertretung Beträge aufwendet, die in keinem Verhältnis zur Höhe der gehaltenen Anleihe stehen.2254) b) Anfechtungsgründe 1694 Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn durch den Beschluss x
Gesetze oder
x
die Anleihebedingungen
verletzt werden. Wird die Gesetzesverletzung auf eine Verletzung des Auskunftsrechts in der Versammlung (§ 16 Abs. 1 SchVG) gestützt, begründet dies nur bei falschen oder vorenthaltenen objektiv abstimmungsrelevanten Informationen eine Anfechtung. Bei Rechtsverletzungen aufgrund technischer Störungen bei einer virtuellen Versammlung ist die Anfechtung nur begründet, wenn der Emittent die technischen Störungen grob fahrlässig oder vorsätzlich zu vertreten hat (§ 20 SchVG). 1695 Die Anfechtungsgründe entsprechen damit denen des § 243 AktG; auf die hierzu ergangene Rechtsprechung wird man sich auch für Anfechtungen von Anleihegläubigerbeschlüssen beziehen können. Bei Informationsmängeln ist jedoch zu beachten, dass anders als im aktienrechtlichen Beschlussmängelanfechtungsrecht nicht auf eine Beeinträchtigung der Mitgliedschaftsrechte, sondern allein auf Fremdkapitalgeberinteressen abzustellen ist.2255) ___________ 2253) Vgl. hierzu insb. OLG FrankfurtZIP 2010, 2505 (Zapf). 2254) OLG Karlsruhe ZIP 2015, 2116. 2255) Simon, CFL 2010, 159, 161.
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Nicht mehr im SchVG erscheint hingegen – anders als noch im SchuldVG 1696 (1899) – das Erfordernis, dass der Beschluss der Wahrung der gemeinsamen Interessen aller Anleihegläubiger dient. Es ist daher davon auszugehen, dass keine materielle Inhaltskontrolle hinsichtlich einer sachlichen Rechtfertigung des Beschlusses stattfindet, sofern die durch das SchVG selbst vorgegebenen Grenzen (§ 5 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 SchVG) eingehalten sind.2256) c) Anfechtungsfrist Die Anfechtungsklage ist binnen einer Frist von einem Monat nach Bekannt- 1697 machung des Beschlusses zu erheben (§ 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG). Wurden Änderungen der Anleihebedingungen bereits vollzogen, tritt jeden- 1698 falls nach Ablauf der Monatsfrist ein Bestandsschutz dahingehend ein, dass selbst bei nachträglicher Feststellung der Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses die Änderung der Anleihebedingungen wirksam ist und der Kläger auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen wird.2257) Dafür spricht der uneingeschränkte Verweis in § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG auf § 246a AktG, der dessen Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 umfassen sollte.2258) d) Zuständigkeit Zuständig ist für die Anfechtungsklage das Landgericht am Sitz des inländi- 1699 schen Schuldners oder bei einem ausländischen Schuldner das LG Frankfurt/M. die Zuständigkeit ist ausschließlich (§ 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG). Diese Anordnung der ausschließlichen Zuständigkeit des Emittentensitzgerichts kann mit den Anleihebedingungen oder höherrangigem Recht in Konflikt geraten: x
Bei reinen Inlandssachverhalten (deutscher Emittent und deutscher Gläubiger) ist eine von § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG abweichende Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam (§ 40 Abs. 2 Satz 1 ZPO). In vielen An-
___________ 2256) Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 20 SchVG Rn. 22; Müller, in: Heidel, § 20 SchVG Rn. 6; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rn. 421; Simon, CFL 2010, 159, 162; a. A.: Preuße/Vogel, SchVG, § 5 Rn. 19; Baums, ZBB 2009, 1, 6; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 62; MaierReimer, NJW 2010, 1317, 1321: § 243 Abs. 2 AktG analog; wiederum anders Friedl, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 20 Rn. 38: Inhaltskontrolle mit geringeren Maßstäben als § 243 Abs. 2 AktG; besonders strikt Schönhaar, Die kollektive Wahrnehmung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung nach dem neuen SchVG, S. 254, der eine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung fordert, und Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 365, der auf einen Vergleich der Bewertung der Anleihe mit und ohne Beschluss abstellt. Im Ergebnis führte die Ansicht von Schmidtbleicher zu einem Spruchverfahren im Schuldverschreibungsrecht. 2257) LG Frankfurt/M., Beschl. v. 23.2.2012 – 3-05 O 66/12, n v. 2258) Wohl a. A. Baums, ZBB 2009, 1, 5 unter Hinweis auf die Unterschiede zwischen dem Registerverfahren und dem Vollzug von Beschlüssen nach dem SchVG. Allerdings dürfte der Unterschied überwindbar sein, wenn man als Vollzugsorgan den Versammlungsleiter bzw. das Clearing System ansieht.
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leihebedingungen finden sich noch regelmäßig Gerichtsstandsvereinbarungen, die vom Emittentensitz abweichen. Die Anfechtungsklage kann demnach nur am Emittentensitzgericht erhoben werden. x
Bei Klagen mit EU-Auslandsbezug – also bei Klagen gegen Beschlüsse für ausländische Emittenten und/oder von im EU-Ausland ansässigen Anleihegläubigern – sind die Vorgaben der als EU-Primärrecht vorrangig geltenden EuGVVO2259) zu beachten. Sofern die schuldverschreibungsrechtliche Anfechtungsklage als Verbraucherstreitigkeit i. S. d. Art. 17 EuGVVO anzusehen wäre, führte dies – wegen Art. 19 EuGVVO auch bei derogierender Gerichtsstandsklausel in den Anleihebedingungen – zu einem Wahlrecht des Anleihegläubigers hinsichtlich des Gerichtsstands für die Beschlussmängelklage an seinem Wohnort oder dem Emittentensitz (Art. 18 Abs. 1 EuGVVO). Es spricht allerdings vieles dafür, dass bei Anleihen (außer im Ausnahmefall von Direktemissionen) schon gar kein „Vertrag“ i. S. d. Art. 17 EuGVVO zwischen Emittent und Anleger vorliegt.2260) Jedenfalls wird man aber nicht (außer im Ausnahmefall von Direktemissionen, welche sich gezielt an Verbraucher in anderen EU-Mitgliedstaaten richten) von einem „Ausrichten“ der Tätigkeit des Emittenten auf den Mitgliedsstaat des Gläubigers i. S. d. Art. 17 Abs. 1 Buchst. c) EuGVVO sprechen können.
1700 Eine andere Lösung wäre, die schuldverschreibungsrechtliche Anfechtungsklage als verbandsrechtliche Streitigkeit i. S. d. Art. 24 Nr. 2 EuGVVO zu betrachten, und damit eine ausschließliche Zuständigkeit am Sitz des Emittenten anzunehmen. Dies würde v. a. der Gefahr widersprechender Entscheidungen entgegen wirken. Allerdings tendiert der EuGH zu einer restriktiven Auslegung des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO.2261) 1701 Funktional zuständig sind die Kammern für Handelssachen, sofern solche eingerichtet sind (§ 20 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 SchVG). e) Urteilswirkungen 1702 Wird die Anfechtungsklage abgewiesen, entfaltet das abweisende Urteil Rechtskraft nur inter partes. 1703 Ob hingegen das Urteil, mit dem der Anfechtungsklage stattgegeben wird, Wirkung nur inter partes oder aber wie im Aktienrecht (§§ 248; 241 Nr. 5 ___________ 2259) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 2260) So OLG Oldenburg ZIP 2016, 1244 (1246); OLG Köln ZIP 2016, 1249 (1253); ÖOGH, Beschl. v. 30.7.2015 – 8 Ob 67/15h), ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00067. 15H.0730.000, jeweils unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 28.1.2015 – C-375/13, ZIP 2015, 1456 – Kolassa; schon zuvor Thole, WM 2012, 1793, 1795 m. w. N. 2261) EuGH, Urt. v. 2.10.2008 – C-372/07, Slg. 2008, I-7403, Nicole Hasset ./. South Eastern Health Board, Tz. 23, dazu EWiR 2009, 143 (Becker).
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AktG) erga omnes hat, ist umstritten.2262) Im Ergebnis bejaht aber auch die eine Rechtskraft nur inter partes annehmende Wirkung eine Verpflichtung des Emittenten zur materiellen Gleichstellung der anderen Anleihegläubiger über das Gleichbehandlungsgebot (§ 4 SchVG). 2. Nichtigkeitsklage a) Statthaftigkeit Teilweise wird die Statthaftigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen Gläubiger- 1704 versammlungsbeschlüsse unter Verweis auf das abschließende Rechtsbehelfssystem des § 20 SchVG abgelehnt.2263) Nach a. A. ist die Nichtigkeitsklage als allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO)2264), gerichtet auf Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses, zu behandeln. Die Frage der Statthaftigkeit ist v. a. relevant bei der Klagefrist und der Frage, ob nach Ablauf der Klagefrist auch ein nichtiger Beschluss ggf. wirksam werden kann. b) Nichtigkeitsgründe Bejaht man grundsätzlich die Statthaftigkeit einer Nichtigkeitsklage, besteht 1705 Unklarheit, welche Rechtsmängel zur Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung führen können. aa) Nach SchVG Ein Beschluss unter Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (§ 5 Abs. 2 1706 Satz 2 SchVG) ist nach der ausdrücklichen Gesetzesformulierung nichtig.2265) Sonstige Verstöße gegen Bestimmungen des SchVG führen aber nur zur Anfechtbarkeit, nicht zur Nichtigkeit.2266) bb) Sonstige Der BGH hat ausdrücklich offengelassen, ob Gläubigerversammlungsbe- 1707 schlüsse an so schwerwiegenden Mängeln leiden können, dass sie nicht nur anfechtbar, sondern nichtig sind. Insbesondere offengelassen wurde, ob auf die aktienrechtlichen Nichtigkeitsgründe (§ 241 AktG) rekurriert werden ___________ 2262) Nur inter partes: Müller, in: Heidel, § 20 SchVG Rn. 3; Langenbucher/Bliesener/Spindler/ Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 20 SchVG Rn. 54; Preuße/Preuße/Vogel, SchVG, § 20 Rn. 3; Rechtskrafterstreckung erga omnes: Friedl, in: FrankfurterKomm-SchVG § 20 Rn. 78; Maier-Raimer, NJW 2010, 1317, 1321; Baums, ZBB 2009, 1, 3. 2263) Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 20 SchVG Rn. 12; Müller, in: Heidel, § 20 SchVG Rn. 2; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rn. 456. 2264) Friedl, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 20 Rn. 99; Preuße/Vogel, SchVG, § 20 Rn. 8; Meier-Reimer, NJW 2010, 1313, 1319; Baums, ZBB 2009, 1, 4; Horn, ZHR 2009, 12, 62. 2265) BGH ZIP 2014, 1876, Rn. 21, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising). 2266) Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rn. 455.
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kann.2267) Richtigerweise wird eine Übertragung der aktienrechtlichen Nichtigkeitsgründe ausscheiden. Dies gilt insbesondere für Ladungsmängel (§ 241 Nr. 2 AktG), da § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG diese ausdrücklich (nur) als Anfechtungsgrund bestimmen.2268) 1708 In folgenden Fällen ist ein Gläubigerbeschluss als nichtig anzusehen: x
Bei einem „Scheinbeschluss“ (bspw. wenn die Anleihebedingungen gar keine Mehrheitsbeschlüsse vorsehen oder bei Nichtanwendbarkeit des SchVG);
x
bei Formnichtigkeit (§ 125 BGB) wegen fehlender oder fehlerhafter Beurkundung eines Beschlusses.
1709 Alle übrigen Verfahrens- oder sonstigen Gesetzesmängel müssen mit der Anfechtungsklage geltend gemacht werden. c) Klagefrist 1710 Die Nichtigkeitsklage ist ebensowenig wie im geltenden Aktienrecht2269) an eine Frist gebunden. Da die Nichtigkeitsklage im SchVG anders als im Aktienrecht aber nicht gesetzlich geregelt ist, ist die Frist des § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG analog anzuwenden.2270) 1711 Die Heilung eines nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG nichtigen Beschlusses durch Vollzug nach Fristablauf (§ 21 SchVG) ist nicht möglich.2271) Offen ist, ob sonstige Nichtigkeitsgründe durch Vollzug als geheilt gelten.2272) d) Zuständigkeit 1712 Für die Nichtigkeitsklage gelten die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften. Sind Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor demselben Gericht anhängig, wird sich trotz fehlenden Verweises auf § 249 Abs. 3 Satz 3 AktG eine Verbindung der Verfahren nach § 147 ZPO anbieten.
___________ 2267) BGH ZIP 2014, 1876, Rn. 20, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising). 2268) A. A. Preuße/Vogel, SchVG, § 20 Rn. 14. 2269) Nach § 249 Abs. 2 AktG-E i. d. F. der „Aktienrechtsnovelle 2014“ (BT-Drucks. 18/4349) sollen künftig im aktienrechtlichen Beschlussmängelverfahren Nichtigkeitsklagen nur noch innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung einer Anfechtungsklage erhoben werden können. 2270) LG Frankfurt/M., Urt. v. 23.2.2012 – 3-05 O 66/12, n. v. 2271) BGH ZIP 2014, 1876, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising). 2272) In diese Richtung: BGH ZIP 2014, 1876, Rn. 18, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising): „Die Änderung der Anleihebedingungen durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger wird wirksam, wenn sie in der Urkunde oder den Anleihebedingungen vollzogen ist“; LG Frankfurt/M., Urt. v. 23.2.2012 – 3-05 O 66/12, n. v.; Langenbucher/ Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap 17 § 20 SchVG Rn. 59.
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
e) Urteilswirkungen Hier gelten die Ausführungen zur Urteilswirkung von Anfechtungsklagen 1713 entsprechend. 3. Freigabeverfahren (§ 20 Abs. 3 SchVG) Die Erhebung einer Anfechtungsklage hindert den Vollzug des Beschlusses 1714 (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG); der Versammlungs-/Abstimmungsleiter kann den Beschluss nicht an die Verwahrstelle weiterleiten, und es können keine auf dem Beschluss beruhenden neuen Anleihebedingungen ausgegeben werden (Vollzugssperre).2273) Die Regelung ist aus dem aktienrechtlichen Beschlussmängelverfahren übernommen. Ihre Umsetzung im Schuldverschreibungsrecht lässt aber Zweifelsfragen offen. So ist nicht klar, ob die nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG abzugebende Versicherung des Versammlungs-/Abstimmungsleiters wie im Registerverfahren z. B. nach § 16 UmwG erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist abgegeben werden kann.2274) Falls man dies bejaht,2275) wäre eine faktische einmonatige Wartefrist die Folge, was dem Sanierungszweck des SchVG zuwiderlaufen kann. Läge z. B. beim Emittenten einer Unternehmensanleihe ohne den Beschluss ein Insolvenzgrund vor, so wären die Organe des Emittenten verpflichtet, spätestens innerhalb von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO); müsste nun der Versammlungs-/Abstimmungsleiter stets die Widerspruchs- oder Klagefrist abwarten, wäre eine Notsanierung von Unternehmensanleihen praktisch unmöglich.2276) Da auch – anders als z. B. in § 16 UmwG – eine Benachrichtigungspflicht bei nachträglicher Erhebung der Anfechtungsklage nicht vorgesehen ist, müssen der Versammlungsleiter und der Emittent riskieren, entweder einen – möglicherweise aufgrund einer späteren Anfechtung dann aufgehobenen – Versammlungsbeschluss zu vollziehen oder aber die Klagefrist abzuwarten, was für den Emittenten möglicherweise zu spät wäre. Es spricht also i. S. d. mit dem SchVG bezweckten Sanierungsgedankens viel dafür, dass der Versammlungs-/Abstimmungsleiter nicht die Widerspruchs- oder Klagefrist abwarten muss, um die Versicherung nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG abzugeben.2277) In der Praxis werden die Organe der Emittenten allerdings regelmäßig die Monatsfrist zur Erhebung von Anfechtungsklagen abwarten. ___________ 2273) Krit. zum Vollzugsverbot Baums, ZBB 2009, 1, 7. 2274) Vgl. Lutter/Winter, UmwG, § 16 Rn. 9. 2275) So Friedl, in: FrankfurterKomm-SchVG, § 20 Rn. 73; Verannemann/Gärtner, SchVG, § 21 Rn. 1; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317, 1321, Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rn. 446; wohl auch Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153, 156. 2276) Die beschlussfassenden Anleihegläubiger könnten eine Insolvenz des Emittenten vermeiden, indem sie für ihre Forderungen für die Dauer des Anfechtungsprozesses eine Nichtvollstreckungsvereinbarung (Standstill) abschließen; dies hängt aber von den Umständen des Einzelfalls ab. 2277) So auch Simon, Corporate Finance Law 2010, 159, 164.
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Teil 4 Restrukturierung
1715 Eine isolierte Nichtigkeitsklage sollte mangels gesetzlichen Verbots keine Vollzugssperre auslösen, da für die Nichtigkeitsklage de lege lata keine Anfechtungsfrist gilt; der Beschluss könnte dann niemals vollzogen werden. Wurde die Nichtigkeitsklage gemeinsam mit einer Anfechtungsklage eingereicht, sollte aber das Freigabeverfahren wie im aktienrechtlichen Beschlussmängelverfahren2278) sich auch auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe erstrecken. 1716 Ist eine Anfechtungsklage erhoben, kann die Vollzugssperre durch ein Freigabeverfahren „nach Maßgabe des § 246a AktG“ beseitigt werden (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG).2279) a) Antragsberechtigter 1717 Antragsberechtigt ist ausschließlich der Emittent, nicht andere Anleihegläubiger. Der Antrag kann gestellt werden, wenn Anfechtungsklage erhoben ist (vgl. Wortlaut § 20 Abs. 3 Satz Halbs. 1: „die Erhebung der Klage […] nicht entgegen steht“); wegen der Möglichkeit zur Einsichtnahme vor Zustellung (§ 20 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 SchVG i. V. m. § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG) sollte auch der Freigabeantrag bereits vor Zustellung zulässig sein. b) Zuständigkeit 1718 Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG, also wie bei der zugrunde liegenden Anfechtungsklage. 1719 Sachlich zuständig ist seit der Änderung des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG wie im aktienrechtlichen Freigabeverfahren in einziger Instanz das Oberlandesgericht am Sitz des Emittenten oder bei Auslandsemittenten das OLG Frankfurt/M. Diese Zuständigkeitsregelungen kollidieren auch nicht mit Art. 17 ff. EuGVVO, da man das Freigabeverfahren als „Widerklage“ wird subsumieren können (Art. 18 Abs. 3 EuGVVO)2280), wenn der Anfechtungskläger selbst Klage am Gerichtsstand nach § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG erhoben hat. c) Begründetheit 1720 Der Freigabeantrag ist begründet (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i. V. m. § 246a Abs. 2 AktG), wenn x
Die Anfechtungsklage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist;
Nach Ansicht des OLG Dresden2281) ist der Freigabeantrag auch möglich zur Geltendmachung der Unstatthaftigkeit der Anfechtungsklage nach ___________ x
2278) Hüffer/Koch, AktG, § 249 Rn. 15a. 2279) Ein Freigabeverfahren ist nunmehr auch in das Beschwerdeverfahren gegen einen Insolvenzplan eingefügt worden (§ 253 Abs. 4 InsO). 2280) Otto, DNotZ 2012, 809, 824. 2281) OLG Dresden, Beschl. v. 1.12.2014 – 3 VA 5/14, n. v.
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Emittenten. Dies erscheint inkonsequent, denn wenn man der (falschen) Ansicht folgt, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien wegen der Sperrwirkung des § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG Gläubigerversammlungsbeschlüsse nach §§ 5 ff. SchVG nicht mehr möglich und Anfechtungsklagen nach § 20 SchVG unzulässig, so gibt es (mit Ausnahme von Beschlüssen zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, die freilich keiner Vollziehungssperre unterliegen2282) keinen Gläubigerversammlungsbeschluss, dessen Vollzug freigegeben werden könnte. x
Der Anfechtungskläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags nachgewiesen hat, dass er seit Bekanntmachung der Gläubigerversammlung einen Betrag von mindestens EUR 1.000 (in Schuldverschreibungen)2283) hält; oder
x
der Emittent wesentliche Nachteile zu befürchten hat, die die Nachteile des Anfechtungsklägers durch den Vollzug überwiegen, es sei denn, es liegt ein besonders schwerer Rechtsverstoß vor.
Das OLG Köln hat ein überwiegendes Vollzugsinteresse des Emittenten je- 1721 denfalls dann gesehen, wenn bei Nichtvollzug die Zahlungsunfähigkeit des Emittenten droht und die Anleihegläubiger keine Nachteile zu befürchten haben, weil ihnen durch den Gläubigerversammlungsbeschluss statt unbesicherter Anleihen besicherte Anleihen (wenn auch mit niedrigerem Nennwert) angeboten werden. Reine Informationsmängel führten nicht zu einem das Vollzugsinteresse ausschließenden besonders schweren Rechtsverstoß.2284) d) Beschlusswirkungen Gibt das OLG den Vollzug der Beschlüsse frei, so kann der Emittent diese 1722 vollziehen. Mit Vollzug werden die Beschlüsse wirksam (§ 2 Satz 3 SchVG).2285) Der klagende Anleihegläubiger ist bei Erfolg seiner Anfechtungsklage auf einen Schadensersatzanpruch in Geld verwiesen; Rückgängigmachung kann er nicht verlangen (§ 20 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 i. V. m. § 246a Abs. 4 AktG). IV. Zahlungsklage aus Anleihe Aufgrund der Besonderheiten der Anleihe als verbriefte Forderung können 1723 auch im Zahlungsprozess Besonderheiten gelten.
___________ 2282) Der Wortlaut des § 21 Abs. 1 SchVG unterstellt nur Beschlüsse, mit denen der Inhalt der Anleihebedingungen abgeändert wird, der Vollzugssperre. 2283) Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/Schneider, Kap. 17 § 20 SchVG Rn. 62. 2284) OLG Köln ZIP 2014, 268 – SolarWorld; krit. Florstedt, ZIP 2014, 1513, 1519. 2285) BGH ZIP 2014, 1876, Rn. 18, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising).
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Teil 4 Restrukturierung
1. Statthafte Klageart – Leistungsklage und Klage im Urkundenprozess 1724 Für die Durchsetzung von Forderungen aus Anleihen gelten grundsätzlich die Vorschriften über die allgemeine Leistungsklage (§ 253 ZPO). 1725 Grundsätzlich können Forderungen aus Anleihen auch im Urkundenprozess (§ 592 ZPO) geltend gemacht werden.2286) Bei globalverbrieften Anleihen kann allerdings die Vorlage der Anleiheurkunde im Original (§ 420 ZPO) praktische Schwierigkeiten bereiten, da der Anleihegläubiger hierzu zunächst seinen Anspruch auf Auslieferung von Einzelurkunden gem. § 7 DepotG geltend machen muss. Praktisch wird eine Klage im Urkundenprozess daher nur dann sinnvoll sein, wenn über die Klageforderung einzelne Wertpapierurkunden oder Zinsscheine ausgestellt wurden.2287) 2. Zuständigkeit 1726 Für die internationale und örtliche Zuständigkeit gelten grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO und Art. 4 ff. EuGVVO. Sofern also nicht besondere Gerichtsstände oder eine wirksame Gerichtsstandsklausel eingreifen, sind grundsätzlich die Gerichte am Sitz des Emittenten zuständig. 1727 Ein Verbraucher als Anleihegläubiger kann sich i. d. R. nicht auf Art. 17 ff. EuGVVO berufen und Klage an seinem Wohnsitz erheben, wenn er nicht ausnahmsweise (bspw. bei einer Direktemission) die Anleihe unmittelbar vom Emittenten, sondern von einem Dritten erworben hat.2288) 1728 Eine Gerichtsstandsklausel, die wirksam zwischen dem Emittenten und dem Ersterwerber (i. d. R. Emissionsbank) der Anleihe getroffen wurde, kann auch dem Anleihegläubiger entgegengehalten werden. Ist die Gerichtsstandsklausel nicht in den Anleihebedingungen selbst enthalten, sondern wird in den Anleihebedingungen auf eine Gerichtsstandsklausel im Anleiheprospekt verwiesen, ist zusätzlich erforderlich, dass der Anleihegläubiger die Möglichkeit hatte, von dem Prospekt Kenntnis zu nehmen.2289)
___________ 2286) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.8.1995 – 16 U 111/94, WM 1995, 2079. 2287) In den bislang erfolgreich im Urkundenprozess eingeklagten Forderungen aus Inhaberschuldverschreibungen hatte der Gläubiger Originale der teilverbrieften Inhaberschuldverschreibungen vorlegen können (OLG Frankfurt/M., Urt. v. 23.6.2009 – 8 U 130/07, BeckRS 2009, 20253; AG Frankfurt/M., Urt. v. 28.11.2006 – 30 C 1595/05, BeckRS 2006, 14647). 2288) OLG Oldenburg ZIP 2016, 1244, 1246; OLG Köln ZIP 2016, 1249, 1253; ÖOGH, Beschl. v. 30.7.2015 – 8 Ob 67/15h, ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00067.15H. 0730.000, jeweils unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 28.1.2015 – C-375/13, ZIP 2015, 1456 – Kolassa; schon zuvor Thole. WM 2012, 1793, 1795 m. w. N. 2289) EuGH, Urt. v. 20.4.2016 – C-366/13 – Profit Investment SIM SpA ./. Commerzbank, Tz. 36.
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3. Begründetheit a) Aktivlegitimation Der Nachweis der Aktivlegitimation erfolgt bei – wie regelmäßig – global- 1729 verbrieften Anleihen durch Vorlage des Originals eines zeitnahen Depotauszugs, aus dem sich der vollständige Name und die vollständige Anschrift des Gläubigers, der Nennwert der von ihm gehaltenen Schuldverschreibungen sowie deren Kennzeichnung (WKN bzw. ISIN) ergibt.2290) Dies ist aber nicht abschließend. Die Forderung aus der Anleihe kann auch isoliert durch Abtretung nach § 398 BGB erworben werden, so dass die Vorlage von Abtretungsverträgen vom ursprünglichen Inhaber ausreicht.2291) b) Fälligkeit der Anleiheforderung aa) Fälligkeit aufrgund Kündigung Die Anleihe begründet ein Dauerschuldverhältnis, auf das grundsätzlich die 1730 Vorschriften des BGB-Schuldrechts Anwendung findet. Das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, die Anleihebedingungen können aber konkretisieren, welche Umstände einen wichtigen Grund darstellen,2292) und die Ausübung des Kündigungsrechts an ein bestimmtes Quorum binden (Gesamtkündigung, § 5 Abs. 5 SchVG). Ist dem gemeinsamen Vertreter in den Anleihebedingungen oder durch Beschluss der Gläubigerversammlung auch die Ausübung der Kündigungsrechte übertragen worden, so kann der einzelne Anleihegläubiger diese nicht mehr geltend machen (§§ 8 Abs. 4, 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG) oder nach erfolgter Kündigung Zahlung verlangen.2293) bb) Kündigungsgründe in Anleihebedingungen Anleihebedingungen enthalten regelmäßig Regelungen über die vorzeitige 1731 Kündigung durch Anleihegläubiger oder Emittenten. Typische Kündigungsgründe sind: x
Zahlungsverzug des Emittenten;
x
Veräußerung des wesentlichen Vermögens des Emittenten oder seiner Tochtergesellschaft;
x
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über den Emittenten oder wesentliche Tochtergesellschaften;
___________ 2290) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 28.11.2008 – 8 U 243/07, BeckRS 2009, 27236; vgl. auch BGH, Beschl. v. 13.11.2012 – XI ZR 161/12, Rn. 9. 2291) BGH ZIP 2013, 1270, 1272, dazu EWiR 2013, 575 (Hoffmann-Theinert). 2292) OLG Frankfurt/M. ZIP 2014, 2176, dazu EWiR 2014, 771 (Just); Thomas, ZHR 171 (2007), 684, 706. 2293) OLG München ZIP 2015, 2174, 2175; dazu Lürken, GWR 2015, 496.
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x
Verstoß gegen sonstige Bestimmungen der Anleihebedingungen, z. B. Negativverpflichtung (d. h. Besicherung von anderen Kapitalmarkt- oder Finanzverbindlichkeiten, ohne die Anleihe gleichrangig zu besichern).
1732 Sofern solche Anleihebedingungen Regelungen zu Sachverhalten enthalten, die auch einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen können, so haben diese Regelungen – wenn sie der Inhaltskontrolle nach §§ 3 SchVG, 307 ff. BGB standhalten – allerdings Vorrang.2294) Ein Kündigungsrecht, welches statt auf das Vorliegen der materiellen Insolvenz auf die Beantragung von Insolvenzverfahren abstellt, stellt keine unangemessene Benachteiligung dar.2295) 1733 Enthalten Anleihebedingungen die (häufige) Regelung, dass ein Kündigungsrecht vorliegt, wenn „der Emittent eine allgemeine Schuldenregelung zu Gunsten seiner Gläubiger anbietet oder trifft“
so soll nach Ansicht des OLG Frankfurt/M.2296) und des LG Bonn2297) eine hierauf gestützte Kündigung wirksam sein, wenn der Emittent eine Anleihegläubigerversammlung einberuft, mit der über den Umtausch der Anleihe in andere Rechte beschlossen werden soll. Diese Auslegung ist abzulehnen, da sonst die ebenfalls in den Anleihebedingungen eröffnete Möglichkeit zur Abänderung von Anleihebedingungen praktisch ins Leere geht.2298) cc) Gesetzliche Kündigungsgründe (§§ 314, 490 BGB) 1734 Nach mittlerweile herrschender Meinung ist auf Anleihen zwar das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) anwendbar, nicht aber das darlehensvertragliche Sonderkündigungsrecht des § 490 BGB.2299)
___________ 2294) OLG Köln ZIP 2015, 1924; OLG Frankfurt/M. ZIP 2014, 2176, dazu EWiR 2014, 771 (Just). Das Revisionsurteil BGH ZIP 2016, 308 lässt dies offen. 2295) OLG Frankfurt/M. ZIP 2014, 2176, 2178, dazu EWiR 2014, 771 (Just). 2296) OLG Frankfurt/M. ZIP 2014, 2176, 2178, dazu EWiR 2014, 771 (Just); auf die Revision des Emittenten wurde das Urteil des OLG aufgehoben und das klageabweisende Urteil des LG wieder hergestellt (BGH, Urt. v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14, ZIP 2016, 308; dazu Wilken, DB 2016, 521), ohne dass der BGH sich hierzu geäußert hat (siehe unten Rn. 1733). 2297) LG Bonn ZInsO 2014, 1807. 2298) LG Frankfurt/M., Urt.v. 22.1.2014 – 2-17 O 104/13, n. v.; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 407; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rn. 388; Lürken, GWR 2014, 505; a. A. LG Bonn ZInsO 2014, 1807; Just, EWiR 2014, 771 unter Berufung auf die Unklarheitenregelung des § 305c BGB. 2299) BGH ZIP 2016, 1279, 1280, Rn. 30; OLG Frankfurt/M. ZIP 2014, 2176, dazu EWiR 2014, 771 (Just); zu § 313 BGB auch BGH ZIP 2014, 1778, Rn. 32, dazu EWiR 2014, 669 (Kühler); BGH ZIP 2013, 1570, dazu EWiR 2013, 533 (Priester).
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Eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten stellt 1735 jedoch alleine bei einer unbesicherten Anleihe keinen wichtigen Grund dar: x
Zunächst einmal kann sich der Gläubiger nicht auf eine drohende Insolvenz berufen, wenn die Anleihebedingungen in wirksamer Weise strengere Voraussetzungen vorsehen, z. B. das Kündigungsrecht an die Stellung eines Insolvenzantrags knüpfen.2300)
x
Selbst wenn es an einer Regelung zu Kündigungsgründen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Emittenten fehlt, so kann bei einer unbesicherten Anleihe ein wichtiger Grund nicht allein in der Vermögensverschlechterung des Emittenten gesehen werden, da dieses Risiko über Zins und ggf. Börsenpreis abgegolten ist.2301) So gibt es kein Kündigungsrecht nach § 314 BGB, wenn der Gläubiger die Anleihe weit unter Nennwert erworben hat und kurz nach Erwerb kündigt. In einem solchen Fall sind in den niedrigen Kurs die wirtschaftlichen Probleme des Emittenten bereits eingepreist.2302).
x
Jedenfalls ist ein Kündigungsrecht ausgeschlossen, wenn der Emittent zu einer Gläubigerversammlung i. S. d. § 5 SchVG mit dem Ziel der Änderung seiner Anleihebedingungen zur Abwendung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten eingeladen hat oder eine solche Einladung ankündigt. Denn dann muss der Anleihegläubiger sein Individualinteresse zurückstellen, bis die Gläubigerversammlung – ggf. bei Nichterreichen des Quorums (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG) auch erst in einer zweiten Versammlung – über den Beschlussvorschlag entschieden hat („Primat der Gläubigerversammlung“).2303)
dd) Entfallen von Kündigungsgründen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8, Abs. 5 SchVG) Auch bereits entstandene Kündigungsrechte können nach dem SchVG be- 1736 schränkt sein: x
§ 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG erlaubt in Anleihebedingungen eine Regelung, wonach zur Ausübung von Kündigungsrechten ein Quorum nötig ist (das 25 % der Anleihe nicht übersteigen darf).
x
§ 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG sieht die Möglichkeit der Rücknahme von Wirkungen einer „solchen“ Kündigung durch Mehrheitsbeschluss vor.
___________ 2300) Siehe oben Rn. 1726. 2301) BGH ZIP 2016, 1279, 1282, Rn. 37. 2302) OLG München ZIP 2015, 2174, 2175; dazu Lürken, GWR 2015, 496. 2303) BGH ZIP 2016, 1279, 1282, Rn. 38 ff.
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x
§ 5 Abs. 3 Nr. 8 SchVG sieht einen Verzicht oder eine Beschränkung von Kündigungsrechten durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung vor.
1737 Die Rücknahme von Einzelkündigungen durch Mehrheitsbeschluss nach § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG ist nach der Rechtsprechung nicht möglich.2304) § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG spricht von „solchen“ Kündigungen und nimmt damit auf Satz 1 Bezug, der die Möglichkeit von Gesamtkündigungen in den Anleihebedingungen regelt. Anders wäre dies jedoch, wenn auch das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) in den Anleihebedingungen als Gesamtkündigungsrecht ausgestaltet ist.2305) 1738 Fraglich ist, ob nach § 5 Abs. 3 Nr. 8 SchVG nicht nur ein (Einzel-)Kündigungsverzicht für die Zukunft, sondern auch das Entfallen der Wirkungen von bereits ausgesprochenen Einzelkündigungen möglich ist. Jedenfalls sofern der Beschluss der Gläubigerversammlung ausdrücklich auch rückwirkend Kündigungsrechte einschränkt, sollte dies möglich sein.2306) Seibt/Schwarz schlagen als Alternative die Wahl eines gemeinsamen Vertreters durch die Gläubigerversammlung mit der Anweisung zur Vereinbarung einer Novation der Anleihe mit dem Emittenten vor.2307) Ob dieser Weg den Streit um die Befugnis der Gläubigerversammlung zu vermeiden hilft, muss sich erweisen; der gemeinsame Vertreter kann nicht mehr Rechtsmacht haben als die Gläubigerversammlung selbst. ee) Bindung an Beschluss der Gläubigerversammlung trotz Kündigung 1739 Von der Frage, ob und wie die Wirkungen einer Kündigung eingeschränkt werden abzugrenzen ist die Frage, ob Anleihen trotz vorheriger Kündigung von den Wirkungen eines nach Kündigung gefassten Beschlusses der Gläubigerversammlung erfasst werden. Bisweilen wurde dies abgelehnt, da die Kündigung zur Beendigung des Schuldverhältnisses zwischen Gläubiger und Emittent führe. Nach der Rechtsprechung des BGH2308) bindet ein wirksamer Beschluss der Anleihegläubigerversammlung die Gläubiger gekündigter oder sonst bereits fälliger Anleihen.
___________ 2304) OLG Köln ZIP 2015, 1924, 1928; LG Bonn ZInsO 2014, 1807, 1810; a. A. Paulus, WM 2012, 1109, 1112. 2305) Horn, BKR 2009, 446, 450. 2306) In diese Richtung OLG Köln ZIP 2015, 1924, 1927; a. A. OLG Frankfurt/M. ZIP 2014, 2176, 2180, dazu EWiR 2014, 771 (Just); LG Bonn, Urt. v. 25.3.2014 – 10 O 299/13, ZInsO 2014, 1807. 2307) Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 412. 2308) BGH ZIP 2016, 308; für anderweitig fällige Anleihen bereits BGH ZIP 2014, 1876, Rn. 18, dazu EWiR 2014, 611 (Müller-Eising).
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D. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG)
c) Fälligkeit nach Anleihebedingungen Wird nach Erhebung der Klage ein die Anleihebedingungen ändernder Gläu- 1740 bigerversammlungsbeschluss (bspw. Laufzeitverlängerung) gefasst und wirksam, so erfasst dies auch die bereits fällige Anleihe; die Leistungsklage wird dann unbegründet.2309) Hat der Gläubiger gegen den Gläubigerversammlungsbeschluss Anfechtungs- 1741 klage erhoben und ist diese erfolgreich, der Beschluss im Freigabeverfahren aber für vollziehbar erklärt worden, so kann der Gläubiger Schadensersatz verlangen (§ 20 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 SchVG i. V. m. § 246a Abs. 4 AktG). d) Anspruchsausschluss und -verjährung Der Rückzahlungsanspruch aus der Anleihe erlischt innerhalb des in den An- 1742 leihebedingungen festgelegten Zeitraums nach Fälligkeit (der – auch in AGB – auf ein Jahr abgekürzt werden kann, § 801 Abs. 3 BGB2310), spätestens aber 30 Jahre nach Fälligkeit (§ 801 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wird die Anleiheurkunde innerhalb dieses Zeitraums dem Emittenten zur Einlösung vorgelegt, so verjährt der Anspruch innerhalb von zwei Jahren von dem Ende der Vorlagefrist an (§ 801 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für den Zinsanspruch gilt:
1743
x
Sind über die Zinsen separate Urkunden ausgestellt, so gilt – mangels abweichender Regelung – eine Vorlagefrist von vier Jahren (§ 801 Abs. 2 BGB).
x
Sind – wie in jüngeren Anleihen regelmäßig – über Zinsen keine separaten Urkunden ausgestellt, so gilt nicht § 801 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, sondern die Zinsansprüche unterliegen der Regelverjährung von drei Jahren nach Fälligkeit (§§ 195, 198 BGB).2311)
e) Tenorierung Besonderheiten gelten aufgrund §§ 793 ff. BGB auch hinsichtlich der Teno- 1744 rierung des Zahlungsanspruchs. Ist die Klage erfolgreich, muss bei Inhaberschuldverschreibungen wegen des Gegenanspruchs des Emittenten aus § 797 BGB der Tenor auf Zahlung der Klagesumme gegen Mitteilung der Zahlung an seine Depotbank zwecks Ausbuchung der Inhaberschuldverschreibung aus seinem Depot in Höhe der Zahlung lauten. Ist in den Anleihebedingungen die Zahlstelle zur Entgegennahme der Inhaberschuldverschreibung bevollmächtigt, kann das Gegenrecht auch durch Übertragung der Inhaberschuldverschreibung an die Zahlstelle erfüllt werden. Dabei handelt es sich nicht ___________ 2309) Vgl. oben Rn. 1732. 2310) AG Syke NJW 2003, 1045. 2311) BGH ZIP 2016, 1017.
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Teil 4 Restrukturierung
um eine Zug-um-Zug-Verurteilung i. S. d. § 765 ZPO (siehe aber unten IV. zur Vollstreckung).2312) f) Vollstreckung 1745 Zur Vollstreckung eines Zahlungstitels aus der Anleihe gegen Aushändigung der Anleiheurkunde (§ 797 BGB, siehe oben Rn. 117) muss der Gläubiger Anleiheurkunden in Höhe des zu vollstreckenden Betrags dem Vollstreckungsorgan vorlegen. Eine Depotbestätigung reicht nicht aus. Ist die Anleihe wie regelmäßig globalverbrieft, muss der Anleihegläubiger daher vor Vollstreckung seinen Auslieferungsanspruch gem. § 7 DepotG geltend machen.2313)
___________ 2312) BGH ZIP 2013, 1270, 1271, Rn. 10, dazu EWiR 2013, 575 (Hoffmann-Theinert); BGH ZIP 2008, 2382, 2383. 2313) BGH ZIP 2016, 891.
532
Sacha Lürken
Stichwortverzeichnis
Abfindungsklauseln
369 Abberufung als Organ 635 ff. – Dauer 635 – einseitige Suspendierung 638 – einstweilig Verfügung 211 ff., 637 – Form 635, 643 – Wirksamkeit 636, 640, 641, 642 Abkauf von Anfechtungsklagen 1527 Abtretung Deckungsanspruch/ Freistellungsanspruch 962 ff. – Verfügungsbefugnis der Gesellschaft 949, 964 f. – Zustimmung der Hauptversammlung 966, 970 – Leistung erfüllungshalber 966 ff., 970 ff. – pactum de non petendo 966 ff. Acceleration 1272 ff., 1280, 1287 ff. Actio pro socio 265, 268, 303 Ad hoc-Publizität Freigabeverfahren 9 f. Ad-hoc-Schiedsverfahren 549, 1069 Adjudikator 1323 ADR-Verfahren 1306 ff. s. a. Schiedsverfahren – Collaborative Law 1355 ff. – Dispute Board 1378 ff. – Early Neutral Evaluation 1359 ff. – Kombinierte Klausel 1019 – Mediation 1329 ff. – Schiedsgutachten 1559 ff. AGB-Kontrolle 1017 f., 1652 Akquisition 1231, 1234, 1236, 1238 ff., 1249, 1255, 1289, 1294 Aktiengesellschaft 1345, 1347, 1388 – Beschlussmängel s. dort
– Beschlussmängelklagen 1 ff. – gemeinsamer Vertreter im Spruchverfahren 135 – Treuegebot 85 Aktionäre – Anfechtungsbefugnis 46 ff. – Erscheinen/Nichterscheinen in der Hauptversammlung 52 ff. – Informationsrechte 89 Fn. 101 – Klagebefugnis 47 s. a. Anfechtungsbefugnis Aktiv- und Passivlegitimation 1534 ff. All-in Kaufpreis 1178 Allgemeine Feststellungsklage 100 f., 142, 192 ff. Allparteilichkeit 1331 Alternative Streitbeilegung (ADR) 1321 ff. Altgesellschafter 1335 Altgläubiger 1446 Amtsniederlegung Schiedsrichter 1078 ff. Anfechtung (Insolvenzanfechtung) 1561 ff. Anfechtungsbefugnis 46 ff., 159 f., 1692 – Aktionäre 46 ff. – Aufsichtsrat 62 – Vorstand 61 Anfechtungsfrist 1345 ff. Anfechtungsklage 508, 515, 536, 1692 ff. – Abkauf 1527 – Anfechtungsbefugnis 1692 – Begründetheit 1694 – Beschlussmängel s. Beschlussmängel – Freigabeverfahren s. Freigabeverfahren – rechtsmissbräuchliche 1693 – SchVG 1692 ff.
533
Stichwortverzeichnis
– Urteilswirkung 1702 f. – Vollzugssperre 1714 – Zuständigkeit 1699 Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage AG 11 ff. – Abkauf 1527 – Anerkenntnis 36 – Anfechtungsbefugnis 46 ff. – Begründetheit 45 ff. – Beklagte 16 – Beschlussmängel s. dort – Beweislast 28 ff. – Fristen 63 ff. – Kläger 11 ff. – Klageantrag 23 ff. – Klagebefugnis 47 s. a. Anfechtungsbefugnis – Klagefrist 63 ff. – Klagerücknahme 37 – Kosten 39 – Nebenintervention 18 ff. – Publizitätspflichten 9 f. – Parteien 11 ff. – Rechtsmittel 44 – Rechtsschutzbedürfnis 5 f. – SchVG 1692 ff. – Schiedsfähigkeit 140 f. – Streitgegenstand 2 – Streitwert 40 ff. – Urteil 33 ff. – Verfahrensgrundsätze 27 ff. – Vergleich 38 – Zuständigkeit 22 – Zustellung 26 Anfechtungsprozess – AG 1 ff., 500 ff., 568 ff. – GmbH 142 ff., 500 ff., 568 ff. – Insolvenz 1599 ff. – SchVG 1690 ff. Angemessenheit der Gegenleistung 1488, 1496 Ankereffekt 702 f. Anlagebedingungen (geschlossene Fonds) 386
534
Anlagestrategie (geschlossene Fonds) 386 Anleihe 632; 1723 ff. – Begriff, Rechtsnatur 1632 – Kündigung 1730 ff. – Verjährung 1741 – Zahlungsklage 1723 ff. Anleihebedingungen 1649 ff., 1657, 1638, 1728 – Änderung s. Gläubigerversammlungsbeschluss – AGB-Recht 1652 – Gerichtsstandsklausel 1728 – Rechtswahl 1638 Anleihegläubigerversammlung s. Gläubigerversammlung Anspruchsabwehr/Haftungsabwehr 991 ff., 996 ff., 999 ff. Anspruchsanmeldung Musterverfahren 899 ff., 922 Anspruchsgegner 1492, 1499, 1530 Anspruchshöhe 1499 f., 1549 Anspruchskonkurrenz 1547 Anstellungsverhältnis 628 f., 653 Anstellungsvertrag 628 f., 644 ff., 803 – außerordentliche Kündigung 663, 665 f. – Frist 665 – Kündigungsgründe 666 – Befristung 645 f. – Form 644 – Fortsetzungsklausel 646 – Kündigung 660 ff. – Form 660 – Wirksamkeit 661 f. – Zurückweisung 661, 664 – Ruhendstellung 646 – Wirksamkeit 647 Anträge s. Klageantrag/-anträge Anwaltsmediation 1355 Anwaltszwang 1323
Stichwortverzeichnis
ARAG/Garmenbeck 674, 683 ff., 950, 953, 984, 1455 Arbeitnehmer 810 Arbeitnehmerstellung 630 Arrest 1558 Aufklärungspflichten 1125 ff. Auflösungsklage 228, 358 ff. Ausfallrisiko 1510 Aufhebungsvertrag 667 ff. – Form 667 – vergütungsregulatorische Vorgaben 669 – wechselseitiger Anspruchsausgleich 668 Auflösungsklage 358 Auflösungskündigung 359 Aufsichtsrat 801 – Anfechtungsbefugnis der Mitglieder 62 – Vertretung der AG 17 Aufsichtsratshaftung – Innenhaftung 744 f. – Außenhaftung 747 Aufsichtsratswahlen – Anfechtbarkeit 84 – Nichtigkeit 75 Ausfallhaftung 1338 Auskunftsrecht 310 ff., 415 ff. s. a. Kontrollrechte und Informationsrechte – Auskunftsklage; Streitwert 420 – einstweiliger Rechtsschutz 322 – geschlossene Fonds 415 – zum Jahresabschluss (geschlossene Fonds) 421 Ausscheiden von Gesellschaftern (geschlossene Fonds) 478 ff. Ausschluss/Ausschließung eines Gesellschafters 281, 365 ff., 473 Ausschlussfrist 288 – Beschlussmängel AG 66 – Beschlussmängel Personengesellschaft 288 ff. – Beschlussmängel geschlossene Fonds 459
– gesetzlich/satzungsmäßig 1345, 1350, 1358 – materielle 288 Ausschüttung von Unternehmensgewinnen 1335, 1374, 1399 Austrittskündigung 359 Außergerichtliche Streitbeilegung 1306 ff., 1316, 1401 ff. Außenhaftung 749 Austauschverträge mit Gesellschaftern 1525 f. Autonome Auslegung 497, 507, 516, 532
Bankenkonsortium
1232 Bareinlage 1338, 1389 Bargeschäft 1569 Beherrschungsvertrag 1150 Beiladung KapMuG 865, 890 ff., 918 Beschlussmängel 284 s. a. Beschlussmängelklagen und Beschlussmängelstreitigkeiten – Anfechtungsausschlüsse 91 ff. – Anfechtungsgründe 83 ff. – Ausschlussfristen 66, 288 – Beurkundungsmängel 69 – Einberufungsmängel 68, 284 – Einstweiliger Rechtsschutz 126 ff., 294 ff. – Entsprechenserklärung 89 Fn. 100 – Geltendmachung 286 – Gesetz- oder Satzungsverstoß 85 f. – Heilung 79 ff., 97, 467 – Inhaltsmängel 70, 90 – Nichtigkeitsgründe 67 ff., 463 ff. – Ordnungsvorschriften 285 – Prozessvoraussetzungen 286 – Relevanzkriterium 96 – Schiedsfähigkeit 292 f. – Sittenwidrigkeit 71 – System der Beschlussmängelklagen 2 ff.
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Stichwortverzeichnis
– Verfahrensfehler 89 – Verstoß gegen Richterrecht 85 – Verwirkung 288 Beschlussmängelklagen 292, 424 ff. s. a. Beschlussmängelstreitigkeiten – Anfechtungsklage s. Anfechtungsklage – Anträge 436 – Ad-hoc Publizität 10 – allgemeine Feststellungsklage 100 f. – Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage 11 ff. – Anerkenntnis; -urteil 449 – Ausschlussfristen; materiellrechtlich 459 ff. – Bekanntmachungspflichten 9 – Darlegungs- und Beweislast 440 – Einstweiliger Rechtsschutz 8, 126 ff. – Feststellungsinteresse 291 – Freigabeverfahren 7, 105 ff. – Gläubigerversammlung 1692 ff. – Hauptversammlung 1 ff. – Kammer für Handelssachen 22 – Klagearten 2 ff. – Klagerücknahme 449 – Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach WpHG 49 Fn. 50, 92 – Nebenintervention 18 ff., 109 f. – Nichtichtigkeitsklage s. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage – positive 49, 102 f. – Rechtsschutzbedürfnis 5 f. – Rechtskraftwirkung 445 – Schiedsfähigkeit 292 – SchVG 1690 ff. – Societas Europaea 1 – Streitgenossenschaft 13 – Vergleich 450
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Beschlussmängelstreitigkeiten 289, 424 ff., 1327, 1344 ff., 1351, 1388 s. a. Beschlussmängelklagen – im Schiedsverfahren 568 Beschränkung der Vorstandshaftung 696 Bestätigungsbeschluss AG 98 Bestellung von Sicherheiten 1523 f. Bestellung zum Organmitglied 635, 639 – Dauer 635, 639 – Form 635, 639 Betriebliche Altersversorgung 650 ff. – Abfindungsverbot 650 – Kapitalwahlrecht 650 – unverfallbare Anwartschaft 651 f. Beurkundungsmangel 69, 166 f. Beweislastregelung 804 Beweislastumkehr 704, 707, 717 Beweislastverteilung 710 f., 717 Beweismaß 766 – Schiedsverfahren 1084 Beweisregeln Schiedsverfahren 596 ff. Bilanzgarantie 1132 ff. Bindungswirkung – KapMuG 911 ff., 918, 920 ff. – Dispute Boards 1383 f. – Early Neutral Evaluation 1370 – Schiedsgutachten 1365 ff. Brexit 488 Brüssel Ia-VO 484, 490 ff. Brüssel I-VO 490 Buchwertklauseln 369 Bürgermeister 760 Business Judgement Rule 270, 680 f., 687 ff., 712, 735, 746, 771, 786, 1096, 1513
Cash Free/Debt Free 1180, 1182 Cash Pooling 1503 ff., 1595 f. Caucuses 1354 ff. Cap (Haftungshöchstgrenze) 1147 Claims-made Prinzip 1462, 1476
Stichwortverzeichnis
Claims Management 1093 ff. – Ansprüche der Zielgesellschaft 1149 ff. – Aufgaben 1106 – Aufklärungspflichten 1125 ff. – Bestimmung des Spruchkörpers 1120 ff. – Bilanzgarantie 1132 – Freibetrag 1146 – Freigrenze 1146 – Fristenkontrolle 1107 – Gewährleistungsansprüche 1130 – Haftungsbeschränkungen 1137 ff., 1145 ff. – Haftungshöchstgrenzen („Cap“) 1147 – Kaufpreisanpassung s. dort – Kapitalerhaltung 1151 – Klage 1114 ff. – Mängelanzeige 1112 f. – Mängel-Reporting 1109 f. – Risikoüberwachung 1104 f. – Schiedsklauseln 1121, 1123 – Vergleich 1163 ff. – Verjährung 1153 ff. – Ziele 1098 ff. Clean-Up 1272, 1274, 1280, 1289 f. Closing Accounts 1179 Co-Mediation 1343, 1357, 1364 Collaborative Law 1355 ff. Companies House 527 Company Reimbursement 855, 957 ff. Complianceverstöße (in Schiedsverfahren) 1073 ff. Corporate Dispute Management 1310, 1401 ff. Corporate Litigator 1315 Covenant 1250, 1264 ff., 1274 Coverage Counsel 996
Darlegungs- und Beweislast
115, 269, 331, 440 f., 704 ff., 761 ff., 987, 1082 f., 1410, 1481, 1539 ff. Darlehen an Gesellschafter 1504 ff. Darlehen im faktischen Konzern 1515 ff. Darlehen im Vertragskonzern 1519 ff. Dauerverhalten 815 Deal-Mediation 1334 Debt-Fonds 1234 Deckungsanspruch 962 ff. Deckungsausschlüsse 992, 999 – wissentliche Pflichtverletzung 947, 978, 999 Deckungseinwendungen 999 Deckungsprozess 949 Defense Counsel 996 ff. Defined Benefit Plan 1189 Delegation – horizontale 782 – vertikale 777 Debt-Positionen 1186 Differenzhypothese 766, 785 Direktanspruch/Direktprozess 951, 962 ff. – Beweislast 959 – Vertretung der AG 975 ff. DIS – Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit 549 DIS – Ergänzende Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS) 571 DIS Konfliktmanagementordnung (KMO) 1403 DIS Schiedsordnung 549, 1012 Disclosure 1083 Dispute Board 1324 f., 1328, 1377 ff., 1390 ff., 1402 Dispute Management 1306 ff. D&O-Streitigkeit 946 ff. D&O-Versicherung – Abtretung 964 ff. – Anspruch 852 – Defense Counsel 996 ff.
537
Stichwortverzeichnis
– Organhaftung 674 f., 678, 691, 695 f., 701, 720, 726 ff., 733, 736, 743, 796, 806, 1410, 1456, 1462, 1464 ff., 1476, 1478, 1481 ff. – Direktanspruch 962 ff. – Prozessvollmacht 1003 – Sockelverteidigung 1001 ff. – Schiedsverfahren 982 ff. Dokumentationspflicht des Vorstands 718 Dreierschiedsgericht 581, 1014 Drittanstellung 629 – Zulässigkeit 629 Drittgeschäfte 301 Drittvergleich 1497, 1511 Dutco-Entscheidung 622 Due Diligence 710, 1089, 1093, 1098 ff., 1104, 1118, 1127, 1135, 1289 – Post-Closure 1111
Early Neutral Evaluation
1328, 1359 ff., 1370 ff., 1391 ff. Earn Out 1199 EBITDA, EBIT 1101, 1241 Effective Date Accounts 1179 Ehegattengesellschaft 375 ff. Eigenbeitrag 1482 f. Einberufungsmangel 163 Einstimmigkeitsprinzip 275 Einstweiliger Rechtsschutz 7, 197, 296, 322, 353 ff. – Beschlussmängel AG 8, 126 ff. – Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis 353 ff. – Freigabeverfahren 105 ff. – Informationserzwingung 322 – Geschäftsführerhaftung 858 – Kapitalerhaltung 1557 – Schiedsverfahren 617, 1065 – Stimmbindungsvertrag 296 – Unterlassungsansprüche 346 – Verhinderung mangelhafter Beschlussfassungen AG 127
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– Verhindern von Durchführungsmaßnahmen AG 128 Einwendungen 1501, 1554 Einzelgeschäftsführung 339 Einzelschiedsrichter 580 Enterprise Value 1101, 1180, 1182 f. Entlastung 90, 187, 282, 792 ff., 829 Entlastungsperiode 794 Entnahmesperre 332 Entsprechenserklärung 89 Fn. 100 Enterprise Value 1180 Entzug Geschäftsführungsbefugnis 473 Entziehungsklage 348 ff. Equity Value (Eigenkapitalwert) 1101, 1180, 1182 f. Erfüllungshalber 966 ff. Erfüllungsort 493, 532, 536 Erga-omnes-Wirkung 496 f., 504, 508 Eskalationsmodell 1339 Ermittlungsakten 1457 Event of Default 1251, 1271 f., 1274, 1280, 1287 s. a. Kündigungsgrund EuGVO s. Brüssel Ia-VO EuGVVO s. Brüssel Ia-VO EuInsVO 492, 1444, 1605 Europäische Union 487, 490, 518 EWR 518 Existenzvernichtender Eingriff 1519 ff. Exzedentenversicherer/ Exzedentenversicherung/ Exzedentenpolice 985, 1000
Facilities Agreement (FA)
1235, 1249, 1286 Fast-track Schiedsverfahren 1067 ff. Fehlerhaftes Anstellungsverhältnis 647 Feststellungsklage 100 f., 142 ff., 191 ff., 235, 286, 509, 536 Financial Debt 1186 Fonds, geschlosse 378 ff.
Stichwortverzeichnis
Fortführungsprognose 1423, 1425, 1427, 1469 Fortsetzungsklausel Anstellungsvertrag 646 Freigabeverfahren 191, 1714 ff. – Anträge 112 – Antragsbefugnis 1717 – Begründetheit 124 ff., 1720 – Beschlusswirkung 1722 – Einstweiliger Rechtsschutz 7 ff. – gerichtliche Zuständigkeit 111 – GmbH 191 – Interessenabwägung 124 – Parteien 108 ff. – Schadensersatz 123 – SchVG 1714 ff. – Unanfechtbarkeit der Entscheidung 122 – Verfahrensgrundsätze 114 ff. – Zulässigkeit 106 f. Freistellungsanspruch 948 f., 961, 962 ff., 964 f., 1118, 1135 f. Fristenkontrolle 1107 s. a. Claims Management Fürsorgepflicht der Gesellschaft 694
Garantenkonzept
1241 Geheimhaltungsinteresse 1336 Gelayerte D&O-Versicherung 1000 Gemeinsamer Vertreter (SchVG) 1660 ff. – Bestellung 1660 – Befugnisse 1662, 1730 Genussschein 1637 Gerichtliche Zuständigkeit 200, 376, 413, 435, 483 ff., 840, 1122, 1676, 1699, 1712, 1718, 1726 – Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage AG 22 – Freigabeverfahren 111 – Haftungsklage 840 ff. Gerichtsstand 1531 f. – allgemeiner 493, 531, 536 – ausschließlicher s. Zuständigkeit, ausschließliche
– besonderer 493, 532 ff., 536 – internationaler 483 ff. – Mitgliedschaft 526, 537 – Niederlassung 534 Gerichtsstandsvereinbarung 491, 494, 524, 528 f., 537, 539 f., 1728 Gesamtgeschäftsführung 339, 780 – Widerspruchsrecht 339 ff. Gesamtschuld 722, 724, 738, 746 – Geschäftsführer 822 ff. – gestörte 827 ff. – Streitverkündung 834 ff. Gesamtunternehmenswert 1182 Gesamtverantwortung – Geschäftsführer 780 ff. – Vorstand 701 Geschäftsführer – Abberufung 211, 281, 348 ff. – Außenhaftung 749 – D&O-Versicherung 847 ff. – drohende Zahlungsunfähigkeit 756 – Entsendung durch öffentliche Hand 757 – Haftung 222, 751 ff. s. a. dort – Haftungsfreistellung 756 – Innenhaftung 749 ff. – Insolvenzantrag 756 – Kompetenzverteilung 753 – Pflichtenkatalog 753 – Pflichtverletzung 769 ff. – Regressansprüche 266 – ungewöhnliche Geschäfte 756 – Zusammenarbeit mit Gesellschafterversammlung 754 ff. Geschäftsführungbefugnis 755 – Delegation 777 ff. – Entziehung 281, 348 ff. Geschäftsführungstreitigkeiten 338 ff. – Entziehungsklage 348 ff. Geschäftsgrundlage 1067 Geschäftsleiterpflichten 1513 f.
539
Stichwortverzeichnis
Gesellschaft – Auflösung 492, 499, 536 – börsennotierte 9 – Haftungsansprüche 1338, 1374, 1389 – Informationsanspruch 319 ff. – Kündigung 509 – Liquidation 499, 1335, 1399 – Nichtigkeit 498 f. – stille 498 – Veräußerung 1335, 1399 Gesellschafter – Abfindung 499, 515 – akzessorische Haftung 305 – Ausscheiden 478 ff., 1349, 1374 – Ausschluss 281, 365 ff., 507, 515 – Entlastung 282 – Haftung 221 – Rechte und Pflichten 300 ff. – Stimmausübung 280 – Stimmrechtsvertretung 280 Gesellschafterbeschluss 274 ff. – anfechtbarer 148 ff., 231 ff., 274 ff., 424 ff., 500 ff., 756 – Beteiligung der öffentlichen Hand 757 ff. – kommunalaufsichtliche Genehmigung 761 – Haftungsausschluss 789 – nichtiger 756 – rechtswidriger 756 – Wirksamkeit 274 – Stimmbindungsvertrag 296 ff. – Stimmrechtsausschluss 281 – ungewöhnliche Geschäfte 756 – Vollzugsabwehr 294 Gesellschafterdarlehen 1579, 1587 ff. Gesellschafterfremdfinanzierung 1579 ff. Gesellschafterliste 213 Gesellschafterstreit 274 ff., 306 Gesellschaftervereinbarung 180 Gesellschafterversammlung 500, 754, 756, 789 – Einberufung 505
540
– Weisungen 754, 756 Gesellschafterwechsel 302 Gesellschaftsanteile, Vererbung 1374 Gesellschaftsgläubiger als Kläger 1554 f. Gesellschaftsstreit 306 Gestaltungswirkung 33 ff. Gewährleistungsansprüche 1130 – Bilanzgarantie 1132 ff. Gewillkürter Parteiwechsel 308 Gewinn- und Entnahmeansprüche 330 ff. Gläubigerbenachteiligung 1568 Gläubigergleichbehandlung 1563 Gläubigerschutz 1338, 1389 Gläubigerversammlung (SchVG) 1655 ff., 1666 ff.; 1681 ff. – Beschlussfassung 1657 ff. – Einberufungsverlangen 1666 ff. – Ergänzungsantrag 1681 ff. – Gegenantrag 1685 ff. Gleichbehandlungsgebot 189, 276 Gleichwertigkeitsgrundsatz 547 GmbH & Co. KG – actio pro socio 243, 256, 265, 268 – Auflösungsklage 228 – Beschlussmängel 235 – beteiligungsgleiche 225 – Business Judgement Rule 270 – einstweiliger Rechtsschutz 246 – Erbfolge 226 – Fortsetzungsbeschluss 229 – Haftung Geschäftsführer 222 – Haftung Gesellschafter 221 – Haftung Kommanditisten 249 – Haftungsvergütung 238 – Informationsklage 242 – Informationsrecht 239 – kollektives 243 – Regressansprüche 266 – Schadensschätzung 269 – Schutzwirkung Organverhältnis 266
Stichwortverzeichnis
– Treuepflicht 227, 237 – Unterlassungsanspruch 254 – Vor-GmbH 218 – Vorlagepflicht 252 – Wettbewerbsverbot 247 – Widerspruchsrecht 251 – Zustimmungsklage 261 Großbritannien 488, 523, 540 Grundkaufpreis 1183 Gründungstheorie 518 Gutgläubiger Zahlungs- bzw. Leistungsempfänger 1501
Haager Gerichtsstandübereinkommen 528, 537 Haftpflichtprozess 950 Haftungs- und Deckungsvergleich 732 Haftung des Vorstands 678, 691, 701, 722, 726, 733, 743, 746 Haftung des Geschäftsführers 748 ff. – Ausschluss und Begrenzung 789 – einstweiliger Rechtschutz 858 – Entlastung 792 – Gesamtschuld 822 – Gesellschafterbeschluss 820 – Mitverschulden 807 – nach Ausscheiden 787 – rechtmäßiges Alternativerhalten 783 ff. – Regress 834 ff. – Streitverkündung 834 – Verjährung 793, 811 ff., 826 – Verzicht 791 Haftungsausschluss 691, 727 Haftungsbeschränkung Geschäftsführer 797 ff. Haftungsfreistellung 756 Haftungsmasse 691, 701 Haftungsprivilegierungen 797 Haftungsvergleich 958 ff. Hauptniederlassung 491, 531
Hauptverwaltung 491, 531 – Beschlussmängel AG s. dort – Beschlussmängelklagen 1 ff. Heilung 97, 165, 176
IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration (IBA Rules) 596, 1049 ICC Schiedsordnung 549 IDW S 11 1419 IFRS 1102 Inanspruchnahme – ernstliche 960 f. – freundliche 951 – von Organen 674, 676, 683, 691 ff., 701, 704 f., 724, 738, 741 Informationsrechte 89 Fn. 100, 239 ff., 310 ff., 415 ff. s. a. Auskunfts- und Kontrollrechte Inhaltsmangel 168 ff. Innenhaftung/Innenhaftungsanspruch 749, 950, 957 f., 983 Insolvenz 492 Insolvenzanfechtung 1561 ff. – Anfechtungsgegner 1621 – Fristberechnung 1572 – Kapitalerhaltung 1441 – Klageart 1617 ff. – mittelbare Zuwendung 1622 – Prozesskostenhilfe 1626 ff. – Rechtsfolgen 1582 ff. – Rechtsweg 1611 ff. – Reform 1564 – Schiedsfähigkeit 1600 – Streitgegenstand 1617 – Verjährungsfrist 1586 – Verjährungshemmung 1625 – Zuständigkeit 1613 ff. – internationale 1603 ff. Insolvenzantrag 1410, 1414, 1418, 1430, 1433, 1445 f., 1459, 1473 Insolvenzgrund 1409, 1413, 1433 f., 1439, 1448, 1458, 1471, 1473 f., 1479
541
Stichwortverzeichnis
Insolvenzverschleppung 492, 1445 Insolvenzverursachungshaftung 1449 ff. Insolvenzverwalter als Kläger 1556 Institutionelles Schiedsverfahren 549 Inter omnes Wirkung 196 Interessenkonflikt des Aufsichtsrats 967, 730, 735 Internationales Privatrecht, IPR 483, 494, 498, 500, 517 ff. Investmentaktiengesellschaft 402
Jahresabschlussstreitigkeiten 325 ff., 334 f.
Kammer für Handelssachen
843, 1533, 1613 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz s. KapMuG Kapitalerhaltung 1485 ff. – Debt Equity 1242 ff. – Geschäftsleiterpflichten 1468 Kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen 492 Kapitalmarkthaftung 859 ff. KapMuG 859 ff. – Ablauf 860 ff. – Anspruchsanmeldung 899 ff., 922 – Anwendungsbereich 926 ff. – außenstehende Rechtsverhältnisse 923 ff. – Ausgleichsansprüche 926 ff. – Beigeladener 890 ff., 920 ff. – Bindung an Musterentscheid 908 ff. – Einbeziehung Dritter 923 ff. – Musterbeklagter 892 ff., 920 ff. – Musterkläger 885 ff., 914 ff. – Nebenintervention 889, 906 f., 929 ff., 942 ff. – örtliche Zuständigkeit 877 ff.
542
– Prozessgericht 911 – Rechtskraft 908, 910, 913, 915 f., 919 ff. – Rückgriffsansprüche 926 ff. – Streitverkündung 889, 906 f., 929 ff. Kaufpreis s. a. unten – Fest- 1178 – variabler 1179 ff. – vorläufiger 1179 Kaufpreisanpassung 1097, 1116, 1177 – Earn-Out 1199 ff. – Eigenkapital 1180 – erfolgsbezogene 1181 – Ermittlung 1177 – Locked Box 1178 – relevante Bilanzpositionen 1184 ff. – Schiedsgutachten 1214 ff. – Schiedsverfahren 1225 ff. – Stichtag 1178 f. – Stichtagsabschlüsse 1204 ff. – Überprüfung 1210 ff. – Verfahren 1204 ff. – Working Capital Anpassung 1194 ff. Kaufpreisanpassungsregeln 1178 ff., 1100 Kaufpreisformel 1175, 1178 ff. – Cash Free/Debt Free 1180, 1182 ff., 1194 – Debt Like Items 1193 – Leasingverbindlichkeiten 1192 – Pensionsverbindlichkeiten 1189 – Steuerverbindlichkeiten, -rückstellungen 1191 Kausalität der Pflichtverletzung 707, 715 Klageanspruch 1124 – Freistellung 1135 ff. – Gewährleistung 1130 ff.
Stichwortverzeichnis
– Haftungsbeschränkung 1137 ff. – Verletzung von Aufklärungspflichten 1125 Klageantrag/-anträge – Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage AG 23 ff. – positive Beschlussfeststellungsklage AG 102 f. – Freigabeverfahren AG 112 – Spruchverfahren AG 137 Klageart 1546 ff. Klagefrist 155 ff., 195 Klageverzicht 1350 Klageziel 1115 ff. – Freistellung 1118 – Kaufpreisherabsetzung 1116 – Rückabwicklung 1119 – Schadenersatz 1117 Kombinierte ADR- und Schiedsklausel 1019 Kommunalaufsichtliche Genehmigung 761 Konfliktmanagementordnung (KMO) 1403 Konfliktstufen 1339 Konstituierung (des Schiedsgerichts) 579 ff. Kontrollrechte 310 ff., 415 ff. s. a. Auskunftsrechte Koppelungsklausel 628, 653 ff. – auflösende Bedingung 656 – ungleiche Kündigungsfristen 655 – Zweckbefristung 656 Korruption 1073 ff. Krisenanzeichen 1426, 1433, 1468 Kündigung Anstellungsvertrag 659 ff. Kündigungsgrund (Private Equity) 1246, 1248, 1250 f., 1261, 1271 ff., 1279 ff., 1285 ff., 1292, 1296, 1298 ff., 1303 f. s. a. Event of Default
Ladungsfehler 182 f. Leakage 1006 Leasingverbindlichkeit 1191 Legalitätspflicht 753, 770 – Geschäftsführer 770 – Vorstand 681 f. Leistungen an Dritte 1490, 1497 f. Leistungen Dritter 1490 Leistungsempfänger 1487, 1490, 1497 f. Leitungsermessen 786 Leistungsklage 515 Leverage Ratio 1300 s. a. Verschuldungsgrad Leveraged Buy-Out (LBO) 1228 Leverage-Effekt 1230, 1249 Limitation Language 1244, 1506 Limited 484, 486, 518, 523, 542 Liquiditätsbilanz 1420 LLP 523 Loan Market Association (LMA) 1235 f., 1241, 1248 f., 1251, 1254, 1257 f., 1262, 1264, 1268, 1271 ff., 1279 ff., 1287, 1291, 1293, 1300, 1303 Locked Box-Verfahren 1178 Luganer Übereinkommen 490 ff. M&A-Streitigkeiten 1006 Management Buy-In (MBI) 1228 Management Buy-Out (MBO) 1228 Mängel-Reporting 1109 f. s. a. Claims Management Margenraster 1300 s. a. Margin Ratchet Margin Ratchet 1300 s. a. Margenraster Material Adverse Change (MAC) 1006, 1067 ff., 1284 Material Adverse Effect 1251, 1258, 1260 f., 1264, 1266 ff., 1280, 1282, 1284 Mehrerlösmechanismus 1199, 1202
543
Stichwortverzeichnis
Mediation 539, 1329 ff., 1359 ff., 1387, 1389, 1402 Mediationsfähigkeit 1337 Mediationsgesetz 1330 f., 1341, 1353 Mediationsklausel 1345, 1348 ff. Mediator 1323, 1330 ff., 1339, 1340 ff., 1348, 1353 f., 1356 f., 1364 Mediatorenauswahl 1340 ff. Mediatorenlisten 1343 Mediationsvereinbarung 1353 f. Mediatorenvertrag 1332, 1353 Mehrparteienschiedsverfahren 621 Mini-Trial 1324 f., 1328, 1390 ff. Missbrauch Anfechtungsklage – AG 1527 – SchVG 1693 Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach WpHG – Beschlussmängel AG 49 Fn. 51, 92 Mitverschulden 807 ff. Monitoring Counsel 996 ff., 1001 Musterbeklagter s. KapMuG Musterentscheid 862, 912, 908 ff. Musterkläger s. KapMuG Musterverfahren s. KapMuG Musterverfahrensgesetz s. KapMuG
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot 657, 658 – geltungserhaltende Reduktion 658 – Karenzentschädigung 657 – Kundenschutzklauseln 657 – Salvatorische Klausel 658 – Sittenwidrigkeit 657 Nebenintervention – Beschlussmängelklagen AG 18 ff., 109 f.
544
– D&O-Versicherers 946 ff., 988, 1001 ff. – KapMuG 889, 906 f., 929 ff. Nettoumlaufvermögen 1196 Neugläubiger 1446 New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 552, 1121 Nichtigkeitsklage 161 ff., 508, 536 – SchVG 1704 ff. – Begründetheit 1705 ff. – Statthaftigkeit 1704 – Urteilswirkung 1713 – Zuständigkeit 1712 Niederlassungsfreiheit 518 Notice of Objection 1212 f.
Öffentliche Hand 757, 797, 1640 Opt-in s. Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) Ordnungsvorschriften 179, 285 Organeigenschaft 500 Organhaftung – D&O 946 ff. – Fonds 477 – Geschäftsführer 748 ff. – GmbH & Co. KG 266 ff. – Krise, Insolvenz 1409 ff. – Vorstand 674 ff. Organstellung 634, 653 Organstreitigkeit 946 ff. Pactum de non petendo
966 ff., 1346, 1350 Pension Assets 1189 Pensionsverbindlichkeit 1189 ff. Personengesellschaft 274 ff. – actio pro socio 303 – Auflösungsklage 358 ff. – Beendigung 358 ff. – Auskunfts- und Kontrollrechte 310 ff.
Stichwortverzeichnis
– Ehegattengesellschaft 375 ff. – Einstimmigkeitsprinzip 275 – Gewinn- und Entnahmeansprüche 330 ff. – Gesellschafterausschluss 365 – Gesellschafterbeschlüsse 274 ff. – Gesellschafterrechte 300 ff. – Kernbereichslehre 277 – Kopfteilprinzip 275 – Kündigung 373 ff. – Mehrheitsbeschluss 275 ff. – Parteifähigkeit 302 – Sozialansprüche 300 ff. – Streitgenossenschaft 304 ff. – Stimmrechtsausschluss 281 – Stimmrechtsvertretung 280 – Treuepflicht 278 – Wettbewerbsverbot 336 ff. Pfändungsgläubiger, Kündigung 373 Pflichtenkollision 1438 Pflichtverletzung – Krise, Insolvenz 1409 ff., 1453 ff. – Vorstands 680, 682, 684, 691, 698, 702, 704, 707 ff., 714, 719, 730 f. Positive Beschlussfeststellungsklage 49 Post-Closure Due Diligence 1111 Post Merger Litigation 1087 ff. Präklusion 793 Pre Closing Litigation 1088 Prinzip der Gesamtgeschäftsführung 699 Private company limited by shares s. Limited Private Equity 1228 ff. Procedural Order 591, 1037, 1384 Prorogation s. Gerichtsstandsvereinbarung Prospekthaftung KapMuG 868 ff. Prospekthaftung Kapitalerhaltung 1528
Prozesskostenhilfe 1626 ff. Prozessrisikoanalyse des Aufsichtsrats 687 f. Prozessstandschaft 1554 f. Prozessvertretung 670, 671 Prozessvollmacht D&O 1003 Publikums-KG 394 ff.
Quotenschaden
1446 f.
Rechtmäßiges Alternativverhalten 783 ff. Rechtshandlung 1567 Rechtskraft – KapMuG 915 ff. Rechtsschutzinteresse 192 Rechtsschutzverpflichtung 993 ff. Rechtswahl 1016 Rechtsweg 32, 633 – Arbeitsgerichte 632 f. – ordentliche Gerichte 632 Redfern Schedule 1049 Reflexwirkung (int. Zuständigkeit) 522 Registerrechtliche Streitigkeit 494, 527 Regressansprüche 266 ff., 722 f., 727, 729, 743 Relevanztheorie 96, 181 Representation 1250, 1258 ff., 1272, 1289 s. a. Zusicherung Reputationsschaden 956 Ressortverantwortung 700 f., 719, 729 Ressortzuweisung 649 Ressourcenbindung 1336 Rückabwicklung 1119 Rückgriffsansprüche KapMuG 926 ff. Rügelose Einlassung 491, 524, 530, 537, 539 Ruhen des Gerichtsverfahrens 1345, 1350
545
Stichwortverzeichnis
Sachverständiger
1341, 1343, 1367 Sale and Purchase Agreement (SPA) 1231 Sanierungsbemühungen 1597 f. Sanierungskonzept 1425, 1437, 1471 Satzungsdurchbrechende Beschlüsse 167 Schaden 756, 766, 1117 Schadenseinheit 813 Scheinauslandsgesellschaft 486, 523, 539 f., 542 Schiedsabrede 561, 1121 Schiedsfähigkeit 292 f., 562, 569 Insolvenzanfechtung 1600 ff. Schiedsgericht – Konstituierung 579 ff. – Verfahrensermessen 551, 596 Schiedsgutachten 1214 ff., 1328, 1349, 1359 ff., 1373 ff., 1379, 1402 Schiedsgutachter 1214 ff., 1217, 1323, 1325, 1363 ff. – Wirtschaftsprüfer 1176 Schiedsklausel 561, 1121, 1123 Schiedsort 550, 574, 1013 Schiedsrichter – Anforderungsprofil 584, 1021 – Unabhängigkeit 582 – Unparteilichkeit 582 Schiedsspruch 609 – Aufhebung 611 – Verfahrensermessen 551, 596 – Vollstreckbarkeit 1121, 1123 Schiedsvereinbarung 543 f., 560 ff.; 1009 ff. – Form 563, 1010 – persönliche Reichweite 567 – Rechtsnatur 566 Schiedsverfahren 982 ff. – AGB-Kontrolle 1017 f. – Aufrechnung 595 – Beschlussmängelstreitigkeiten 568 – beschränkter Untersuchungsgrundsatz 597
546
– – – – –
Beweismaß 1084 Beweismittel 1043 ff. Beweislast 987 Complianceverstöße 1073 einstweiliger Rechtsschutz 617, 1065 – Dispute Board 1377 ff. – Early Neutral Evaluation 1359 ff. – Fast-track-Verfahren 1067 ff. – Gleichbehandlung 551 – Indizienbeweis 1085 – institutionelles 549 – Konsolidierung 624 – Kreuzverhör 603 – mündliche Verhandlung 607, 1061 ff. – Nachteile 988 ff. – Normenhierarchie 548 – rechtliches Gehör 551 – Relationstechnik 593 – Sachverständige 606, 1056 ff. – sekundäre Darlegungs- und Beweislast 987, 1083 – Verfahrensförderung 551 – Verfahrensplan 1038 – Verfahrenssprache 1007, 1015, 1029 – Verfahrensstil 1035 – Vergleich 556, 612 ff. – Vertraulichkeit 555, 983 ff., 1007 – Widerklage 595 – Zeugenvorbereitung 605, 1053 Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) 1632 ff. – Opt-in 1633; 1641 ff. – Opt-in in Insolvenzverfahren 1645 – sachliche Anwendbarkeit 1635 ff. – zeitliche Anwendbarkeit 1641 ff. Schutzschrift 203 Schweiz 519 f.
Stichwortverzeichnis
Selbstständiges Beweisverfahren KapMuG 937 Sicherheiten 1523 f., 1593 f. Sittenwidrigkeit 171 Sitz 491, 496, 517 ff., 531, 536 Sitztheorie 519, 531 Sockelverteidigung 1001 ff., 1479 f. Solidarhaftung 808, 1541, 1549 Sorgfaltsmaßstab 769 Sorgfaltspflicht des Vorstands 680 ff., 704, 708 Sozialansprüche 300 ff. Sponsor 1230 Spruchverfahren 130 ff., 507, 536 – Antragsbefugnis 133 – Antragsbegründung 136 – Antragsfrist 137 – Antragsgegner 134 – Antragsteller 133 – Begründetheit 139 – Bewertungsrüge 139 – gemeinsamer Vertreter der Aktionäre 135 – Parteien 133 ff. – Verfahrensgrundsätze 138 Staatliche Gerichte 1122, 1310, 1312 ff., 1337, 1369, 1401 Stand-by-Spruchkörper 1069 Standstill Agreeement 1253, 1297 s. a. Stillhaltevereinbarung Statement of Case 1384 Steuerakten 1457 Steuerverbindlichkeit 1191 Stillhaltevereinbarung 1253, 1297 s. a. Standstill Agreement Stimmbindungsvertrag 209, 296 ff. – einstweiliger Rechtsschutz 296 ff. Stimmrechtsvertretung 280 Stimmrechtsauschluss 281 Streitbeilegungsklausel 1349 Streitbeilegungsverfahren 1309, 1316, 1349, 1401 ff. Streitgegenstand 514, 538
Streitgenossenschaft 290, 304 ff. Streitverkündung 723 ff., 834, f. 889 – D&O-Streit 988, 998 – KapMuG 929 ff. Streitwert 40 ff. – Spaltung 43 Stundungsvereinbarung 1475 Suspendierung eines Vorstandsmitglieds 638
Tap Offering 1639 Torpedo(-klage) 504 Trapped Cash 1185 Trennungsgrundsatz 565 Trennungsprinzip 947, 955, 992 Treuegebot AG 85 Treuepflicht 186 ff., 278 Treuhand 397 ff. Überbrückungskredit 1588 Übernahme des Prospekthaftungsrisikos 1528 Übernahmeklage 367 Überschuldung 1410, 1412 ff., 1423 ff., 1445, 1458, 1468 f. Überschuldungsstatus 1424 f., 1458, 1469 Überwachungspflicht – des Aufsichtsrats 684, 697, 744 ff., 1443 – des Geschäftsführers 776 ff. – des Vorstands 700 f., 708, 719, 729 Ultra vires 506 Ultimoverjährung 813 Umschuldung 1598 Umweltgarantie 1111 UNCITRAL Modellgesetz 547 Undertaking 1250, 1264, 1274, 1289 Unentgeltliche Leistung 1578, 1595 f. Unfair prejudice 509 Unfunded Pension Liabilies 1189 547
Stichwortverzeichnis
Ungewöhnliche Geschäfte 756 Unterbilanz 1493 Unterdeckung 1494 Unterlassungsansprüche 346, 423, 471 Unternehmensgegenstand 754 Unternehmensbewertung 1098, 1101 – Bilanzierungsfehler 1102 f. Unternehmensgeheimnis 692 Unternehmensinteresse 690, 735 Unternehmensverträge 505, 525 Untreue; wichtiger Grund 352 UNÜ (= New Yorker UNÜbereinkommen über Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche) 543 Urkundenprozess 633, 672 f. Urteilswirkung 1702 ff. US-GAAP 1102
Verbotene Leistungen
1488, 1495 Verbraucher 631, 1010 Verdacht als Mangel 1075 Verdeckte Zuwendungen 1489 Verein 498 Vererbung von Gesellschaftsanteilen 1374 Verfahrensdauer Schiedsverfahren 1071 Verfahrensfehler 181 ff. Verfügungsanspruch 201 Verfügungsgrund 201 f. Vergleich – Beschlussmängel 9, 32, 38, 116, 444, 450 – D&O 1481 ff. – M&A 1161 ff. – Mediation 1346 – Mini-Trial 1391 ff. – Organhaftung 696 ff., 703, 732 ff., 791, 829 ff., 957 ff., 1463 ff. – Schiedsverfahren 608, 612 ff.
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Vergütungsregulatorische Vorgaben 669 Verjährung 793, 811 ff., 1153 ff. 1492, 1502 Verjährungsverzicht 960, 996, 1000 Versammlungsleiter 144 ff. Verschonung des Vorstands 694 f., 735 ff. Verschuldungsgrad 1300 Verschwiegenheitspflicht 1353 Versicherungssumme/Deckungssumme 997 f., 1002 Vertraulichkeit 983, 1353 Vertretung der Gesellschaft 1537 Vertretungsmacht, organschaftliche – Entziehung 505, 507 Verwertungsverbot 1353 Verwirkung 195 Verzicht – Organhaftung 694 ff., 732 ff., 791 ff., 1463 ff. – Waiver 1252 Verzinsung Darlehen an Gesellschafter 1511 Vollbeendigung 273 Vollstreckbarer Titel 1346 Vollstreckbarkeit 1374 Vollstreckung (international) 487 Vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewährungsanspruch 1491, 1498, 1508 ff. Vollzugsinteresse 131 Vorfrage 511, 513 f. Vor-GmbH 219 f. Vorsatzanfechtung 1575 ff. Vorstand – Anfechtungsbefugnis 61 ff. Vorstandshaftung 674 ff. – Innenhaftung 680 ff. – Außenhaftung 740 ff. – Streitverkündung 722 ff. – Vergleich 732 ff.
Wahlbeschlüsse AG 84 Waiver 1252, 1298, 1303
Stichwortverzeichnis
Weisung 754, 789 Wesentlichkeitsschwelle (Zahlungsunfähigkeit) 1419, 1421 Wettbewerbsverbot 247 ff., 282, 336 ff., 657 ff. Widerspruch zur Niederschrift 58 f. Widerspruchsrecht eines Gesellschafters 251, 339 ff., 422 f. Wissenzurechnung (bei Aufklärungspflichtverstößen) 1128 Working Capital (Nettoumlaufvermögen) 1194, 1198 Written witness statement 1055
Zahlung Kapitalerhaltung 1495 ff. Zahlungseinstellung 1421 f., 1459 Zahlungsstockung 1418 Zahlungsunfähigkeit 1410, 1412 ff., 1418 ff., 1445, 1449 ff., 1458, 1468, 1470 – drohende 756 – Wesentlichkeitsschwelle 1419, 1421 Zahlungsverbot 1410, 1412, 1414, 1428, 1431 f., 1435, 1437, 1439 f., 1443, 1448 f., 1452, 1460
Zerrüttung; wichtiger Grund 352 Zeugen, Schiedsverfahren 601 ff. Zielunternehmen 1176 – Bilanz 1176 Zurückweisung einer Kündigung 661 Zusicherung 1246, 1248, 1250 f., 1256, 1258 ff., 1263 f., 1267, 1271 ff., 1275, 1280, 1282, 1286, 1304 s. a. Representation Zuständigkeit 149, 1531 ff. – ausschließliche 484, 494 ff., 527, 529, 541 ff. – gerichtliche s. Gerichtliche Zuständigkeit – internationale 483 ff. – örtliche 535 f. Zustimmung – des Aufsichtsrats 708, 711, 729 – der Hauptversammlung 733 – anderer Vorstandsmitglieder 715, 744 Zweipersonengesellschaft 353 Zwischenfeststellungsklage 979
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