Carl Schmitt: Die Dialektik der Moderne: Von der europäischen zur Welt-Moderne [1 ed.] 9783428533107, 9783428133109

Carl Schmitt und besonders sein politisches Denken sind nach wie vor umstritten. Dies ist auf Grund seiner Verstrickunge

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Carl Schmitt: Die Dialektik der Moderne: Von der europäischen zur Welt-Moderne [1 ed.]
 9783428533107, 9783428133109

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Carl Schmitt: Die Dialektik der Moderne Von der europäischen zur Welt-Moderne

Von Andreas Heuer

a Duncker & Humblot · Berlin

ANDREAS HEUER

Carl Schmitt: Die Dialektik der Moderne

Carl Schmitt: Die Dialektik der Moderne Von der europäischen zur Welt-Moderne

Von Andreas Heuer

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13310-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Madeleine und Mareike

Vorwort 1985 kam Prof. Sangki Kim von der Southern Illinois University für ein Gastsemester an die Universität Hamburg, an der ich damals studierte. Von einem Studiensemster an der Universität Bordeaux nach Hamburg zurückgekehrt, machte ich seine Bekanntschaft und schon bald erfuhr ich durch ihn, dass man über Fragen der politischen Philosophie und Geschichte offen und gegenwärtig nachdenken konnte. Hier ging es nicht um ein Wissen, das sich im historischen Bewusstsein der Rückschau über Texte stellte, sondern von gegenwärtigen Problemen aus in diese Texte eindrang. Diese gegenwärtigen Probleme waren nicht diejenigen, über die ich in den Seminaren und Vorlesungen etwas erfahren konnte, sondern sie verließen den Kontext eines europazentrischen Denkens und richteten ihre Aufmerksamkeit auf das, was sich außerhalb Europas und der USA vollzog. In diesem Zusammenhang beschäftigte ich mich erstmals mit den Texten von Carl Schmitt, die mich verstörten, da ich schnell auf die Ausführungen und Beiträge stieß, die er zwischen 1933 und 1936 geschrieben hatte. Je mehr ich mich mit dem Gesamtwerk Schmitts beschäftigte, erkannte ich, dass es hier um mehr ging als um eine Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Wahrscheinlich war es die koreanische Herkunft Sangki Kims und dessen Lehrtätigkeit in den USA, die ihn dazu führte, nicht nur Carl Schmitts Texte, sondern generell Texte der politischen Philosophie anders zu lesen. Durch Sangki Kim lernte ich, den Horizont über die Grenzen Europas hinaus zu werfen und frühzeitig Fragen nach Bedeutung und Sinn geschichtlicher Rekonstruktionen zu stellen. In den letzten 25 Jahren habe ich viele Jahre im Ausland verbracht, vornehmlich in Südkorea und China, und diese Erfahrungen verstärkten den Blick auf Veränderungen jenseits des europäischen Horizonts, der in den letzten beiden Jahrzehnten immer offensichtlicher geworden ist. In Südkorea konnte ich in den Jahren 1990 – 95 und 1997 – 99 die Entwicklung dieses Landes aus nächster Nähe miterleben. Dies war eine gute Vorbereitung für meinen zweiten längeren Auslandsaufenthalt in China von 2002 – 2008. In diesen Jahren erfuhr ich praktisch, was mich vorher theoretisch beschäftigt hatte und wozu die Auseinandersetzung mit Carls Schmitts Schriften gehörte: die Veränderung der Welt, in der Europa bzw. der Westen nicht mehr Mittelpunkt historischen und politischen Denkens ist. In vielen Gesprächen mit Sangki Kim hatte ich in den 1980er Jahren erfahren, wie man über Schmitts Denkansätze auch in der Gegenwart fruchtbar denken konnte, ohne dessen politische Antworten in irgendeiner Weise zu verharmlosen. Fragen nach Denkansätzen über Ausnahmezustand, Diktatur, Völkerrecht etc. waren Probleme, die in der politischen Realität außerhalb Europas exisitierten und Schmitts Schriften waren eine Plattform, um darüber theoretisch zu reflektieren. Der Blick in die Fremde ist aber immer auch ein Blick auf sich selbst. Im Laufe der Zeit erkannte ich einen Zusammenhang zwischen

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Vorwort

Schmitts und eines auf den Westen fixierten Denkens, das sich selbst nicht durchschaute. Dies gilt gegenwärtig in vielen Bereichen immer noch. Schmitts Denken ist Anlass, sich über eigene, oft nicht reflektierte Annahmen historischen und politischen Denkens klar zu werden. Gerade dort, wo moralische Empörung in Bezug auf eine vermeintliche Gerechtigkeit entlarven soll, fällt diese auf sich selbst zurück. Vor einigen Monaten bekam ich plötzlich einen kleinen Aufsatz zugeschickt mit dem Titel „Monotheism as a Political Problem“ von Sangki Kim. Auf seine eigentümliche Weise nähert er sich hier Problemen aktueller politischer Entwicklungen. Johann Gottfried Herder, Leo Strauss, Hermann Cohen, Isaia Berlin u. a. sind die Referenzen, die ihm dazu dienen, über Fragen einer ungleichzeitigen Entwicklung unter dem Deckmantel eines säkularisierten theologischen Denkens zu reflektieren. In diesem Sinne verstehe ich seine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, die mich tief geprägt hat. Es gilt, sich eine Offenheit und Neugierde für Texte zu bewahren, sie teilweise aus der Rezeptionsgeschichte herauszulösen, um einen neuen Blick auf sie zu werfen. Nicht derjenige ist auf der Höhe der Zeit, der das vermeintlich Neueste kennt, sondern derjenige, der sich dem wirklich Neuen öffnet, ohne die kritische Reflexion, die uns aus der Vergangenheit immer noch oder wieder anspricht, zu ignorieren. In diesem Sinn danke ich Sangki Kim, der mich immer wieder dazu anregt, alte Denkgewohnheiten in Frage zu stellen. An dieser Stelle möchte ich mich auch beim Verlag Duncker&Humblot bedanken, der die Veröffentlichung dieser Schrift ermöglicht. Heike Frank danke ich für die unkomplizierte und gute Zusammenarbeit bei der Fertigstellung des Manuskripts. Kassel, im Dezember 2009

Andreas Heuer

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Die europäische Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 I. Staat und Jus Publicum Europaeum als grundlegende Raumordnung der europäischen Moderne: Die Entstehung und Bedeutung des modernen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Die Raumrevolution des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Die Entstehung des Völkerrechts der europäischen Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Die Entwicklung des Völkerrechts der europäischen Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Die Probleme am Ausgang des Völkerrechts der europäischen Moderne . . . . . . . . 29 II. Politische Romantik: Die Entdeckung der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Ursprung und Wesen der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Die metaphysische Struktur der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Die Romantik als Ursprung einer neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Übergang zur Welt-Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Bilanz: Die europäische Moderne und ihre Auflösung zur Welt-Moderne . . . . . . . . . . 47 1. Die europäische Moderne: ein zusammenfassender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Der Übergang von der europäischen zur Welt-Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Der Begriff des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Der Hintergrund des Begriffs des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die Infragestellung des Politischen und deren Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

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Inhaltsverzeichnis

II. Die Welt als politisches Pluriversum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Die Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Kritik an der Auflösung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Politischer Pluralismus versus Weltstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 III. Die Verbannung des Ausnahmezustandes und das Prinzip der Legalität . . . . . . . . . . . . 74 1. Rationalismus und Ausnahmezustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Welt-Moderne als Legalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Die Bedeutung des Ausnahmezustandes für das Politische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 IV. Die Welt-Moderne als Welt der Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Die neue Rationalität der Welt-Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Der Ursprung der Wertphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Die Tyrannei der Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

A. Einleitung Carl Schmitt und besonders sein politisches Denken sind nach wie vor umstritten. Dies ist auf Grund seiner Verstrickungen in den Nationalsozialismus, wie immer man sie auch bewerten mag, verständlich. Gleichwohl finden sich Ansätze in seinem Denken, die auch heute noch aktuell sind. Schmitts Ausführungen über den Ausnahmezustand, seine Unterscheidung von kommissarischer und souveräner Diktatur seine Analysen des europäischen Völkerrechts, seine Kritik an einem einseitigen Wertdenken sind weiterhin bedenkenswert. Es ist sicher kein Zufall, dass Schmitt in den 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre Bewunderer gehabt hat wie etwa Hugo Ball oder Walter Benjamin. Die Ablehnung einer liberal bürgerlichen Gesellschaft war nicht nur auf der politischen Rechten Gemeingut. Sie weist auf Zeitumstände und Zusammenhänge, die sich der heutige Leser vor Augen führen muss. Auf der anderen Seite sind Schmitts Ausführungen der Jahre 1933 bis 1936 nicht zu verharmlosen. Schmitts Denken jener Jahre war sicher kein Zufall und kann nicht losgelöst von seinem politischen Denken und seinen politischen Theorien verstanden werden, die er in den 1920er Jahren entwickelt hatte. Wer von dieser Seite eingehend über Schmitts Denken aufgeklärt werden will, sollte auf die Studie von Raphael Gross „Carl Schmitt und die Juden“ zurückgreifen.1 Gross unternimmt den Versuch, Schmitts Denken bzw. die zentralen Begriffe, die Schmitt einführt und verwendet, auf dessen Antisemitismus zurückzuführen. Eine solche Herangehensweise ist sicher berechtigt, die Frage bleibt, ob damit das gesamte Denken Schmitts gerade in seinen Herausforderungen ausgiebig erfasst wird. Eine Einführung in sein Werk findet man in Reinhard Mehrings Buch „Carl Schmitt zur Einführung“.2 In einer neuen Biographie unter dem Titel „Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie“ versucht der gleiche Autor, Schmitts Denken in dessen Biographie zu verorten, wobei die herausfordernden Aspekte von Schmitts Denken nur unscharf als weiterhin zu begreifende Möglichkeiten einer Gegenwartsreflexion gesehen werden.3 Um einen Einblick in die Vielschichtigkeit von Schmitts Denken und in entsprechend verschiedene Deutungen zu gewinnen, sind nach wie vor die Vorträge und Diskussionen des Sonderseminars der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer aus dem Jahr 1986 zu empfehlen.4 Über die Bedeutung und Wirkung Schmitts

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Gross. Mehring (2006). Mehring (2009). Die Vorträge und Diskussionsbeiträge finden sich in Quaritsch (Hg.).

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A. Einleitung

im Nachkriegseuropa erfährt man Ausführliches in Jan-Werner Müllers Studie „Ein gefährlicher Geist. Carl Schmitts Wirkung in Europa“.5 Die vorliegende Studie geht einen anderen Weg. Schmitts Denken kreist immer wieder um zentrale Punkte, die er in einen größeren historischen Kontext einbettet: den der europäischen Moderne. Diese europäische Moderne deutet er ganz spezifisch in Ablehnung zu einer sich entwickelnden, wie ich es formuliere, Welt-Moderne. Letzteres identifiziert Schmitt, ohne den Begriff zu verwenden, mit einer Aufhebung des europäischen Ordnungsdenkens, das sich auf den modernen Staat und das europäische Völkerrecht, so wie er es deutet, bezieht. Schmitt lehnt diese Entwicklungen ab. Darüber besteht kein Zweifel. Dennoch lohnt es sich, anhand der Begriffe europäische Moderne und Welt-Moderne Schmitts Denken aus seinen Texten zu rekonstruieren, und zwar aus mehreren Gründen. Die Rekonstruktion von Schmitts Gedanken aus dessen Texten unter den Begriffen europäische Moderne und Welt-Moderne eröffnet einen Zugang zu seinem Denken, der über ihn und seine konkreten politischen Aktivitäten hinausführt. Er macht deutlich, wie sehr sein Denken europazentrisch geblieben ist – auch nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Die in der Dialektik von europäischer Moderne und WeltModerne angesprochenen Probleme wie Ausnahmezustand, Diktatur, konkretes Ordnungsdenken sind für das politische Denken nicht erledigt. Sie verweisen gleichsam darauf, wie eingeschränkt nicht nur Schmitts Sichtweise der Deutung der europäischen Moderne war, sondern es oft heute nach wie vor ist. Die Herausforderung, die in Schmitts Denken liegt, sind die Fragen, die uns heute immer noch gestellt werden. Diese Herausforderung sollten wir annehmen, ohne Schmitts gefährlichen Antworten darauf zu verharmlosen. In diesem Sinn konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf Schmitts Texte unter den Begriffen europäische Moderne und Welt-Moderne. Die Texte sollen selber zur Sprache kommen. Die Analyse bzw. Interpretation soll weitgehend dem Leser überlassen bleiben. Die Ausführungen wollen aber den Zusammenhang darlegen, unter dem Schmitts Denken (auch) verstanden werden kann und dazu auffordern, eigene Vorstellung über Europa, Moderne, europäische Moderne, Welt-Moderne, Völkerrecht kritisch zu reflektieren. Schmitt hat in einer Zeit des Übergangs gelebt und geschrieben, die in Deutschland vielleicht spürbarer war als in anderen europäischen Ländern. Heute leben wir in einer noch größeren Übergangszeit. Die alte Staatenwelt, die europazentrische Welt, ist an ihr Ende gekommen. Mit dem Auftauchen Südkoreas, Taiwans, Chinas, Indiens, den Veränderungen in Südafrika und Lateinamerika findet das europäische Zeitalter endgültig sein Ende. Vielleicht ist sogar die Deutung des europäischen Zeitalters nur der anmaßende Ausdruck für eine scheinbare Vorherrschaft Europas in der Zeit vom 16.–20. Jahrhundert.

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Müller.

A. Einleitung

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Ein Blick auf Schmitts Rekonstruktion der europäischen Moderne ist deshalb auch ein Blick in den eigenen Spiegel. Das gegenwärtige westliche Bewusstsein sollte weniger anmaßend auf nichteuropäische Länder schauen und einen Blick dafür gewinnen, wir sehr sich unsere Zeit vor der unterscheidet, die Schmitt beschrieben hat, ohne politisch den Fragen und Problemen entgehen zu können, die in Schmitts Denken auftauchen. Auf der anderen Seite spielen politische Probleme, die überwunden schienen, wieder eine wichtige Rolle: Ausnahmezustand, Diktatur bzw. autoritäre Herrschaft, Menschenrechte, imperialistische Politik. Wir müssen unseren Blick dafür schärfen, dass westliche Vorstellungen nicht einfach übertragbar sind, zumindest dann nicht, wenn es gegen den Widerstand der Bevölkerung versucht wird. Ein Missbrauch von Politik kann immer erfolgen. Die Durchsetzung westlicher Werte ist durchaus zweischneidig. Bei Schmitt können wir darüber etwas erfahren. Die Antworten, die wir zu finden haben, sollten sich aber immer im Horizont dessen bewegen, was Leo Strauss als das Wesen eines Nachdenkens über politische Phänomene beschrieben hat: die Suche nach einem Weg, der Gerechtigkeit ins Zentrum politischen Handelns stellt.

B. Die europäische Moderne Schmitt erfasst den historischen Entwicklungsprozess der Moderne dialektisch. Am Anfang der europäischen Moderne steht der Staat, der für drei Jahrhunderte die maßgebende politische Einheit gewesen ist. Der Staat entsteht durch die „Neutralisierung“ der konfessionellen Gegensätze, wodurch die religiösen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa beendet werden. „Neutralisierung“ wird nach Schmitt durch diesen Vorgang zum Grundmotiv der europäischen Moderne und er erfasst diese als einen Prozess der „Neutralisierungen und Entpolitisierungen“. Diesen Prozess bewertet er positiv und negativ. Vornehmlich im „Nomos der Erde“ gibt Schmitt eine positive Deutung dieses Vorgangs, da hierdurch die überterritorialen Parteibildungen der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts beseitigt wurden (NE, 112). In der „Ent-Theologisierung des öffentlichen Lebens“ und in der „Neutralisierung der Gegensätze des konfessionellen Bürgerkriegs“ besteht nach Schmitt, innen- und außenpolitisch, die „erste rationalisierende Wirkung“ des neuen Staates (NE, 112). Indem „die Gegensätze der konfessionellen Parteien“ durch „eine öffentlich-rechtliche, nicht mehr kirchliche, sondern staatliche und staatspolizeiliche Entscheidung für den territorialen Bereich des Staates von Staats wegen“ aufgehoben werden, entsteht der Staat als Ordnungsgebilde eines neuen europäischen Völkerrechts. Die Ent-Theologisierung hatte „für die neue, seit der europäischen Landnahme der Neuen Welt entstehende zwischenstaatliche Ordnung des europäischen Kontinents und ihre innereuropäischen Kriege“ eine maßgebliche Wirkung: „die Rationalisierung und Humanisierung des Krieges, d. h. die Möglichkeit seiner völkerrechtlichen Hegung“ (NE, 112 – 113). Ohne die Neutralisierung hätte es nach Schmitt weder ein europäisches Völkerrecht, das jus publicum Europaeum, noch die Rationalisierung des Politischen in Form des modernen europäischen Staates gegeben.1 Gleichzeitig sieht Schmitt in dem Motiv zur Neutralisierung bereits den Keim, der zum positivistischen Gesetzesstaat des 19. und 20. Jahrhunderts führt. Dieser erhebt das Gesetz zur allgemeinen Norm (Gesetze herrschen, nicht Menschen), wodurch alle theologischen Reminiszenzen eines auf Entscheidung beruhenden Rechtsdenkens 1 An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass Schmitt die beiden Weltkriege in seine Gedanken über die Entstehung und Entwicklung des europäischen Völkerrechts nicht integriert und er eine einseitige europäische Betrachtungsweise einnimmt. Gleichwohl sollte bedacht werden, dass die Art der Kriegsführung besonders im Zweiten Weltkrieg, der totale Krieg, zumindest bis jetzt keine historische Fortführung erfahren hat – zumindest nicht im einem universalen Maßstab – und deshalb auch als Ausnahme im Prozess der Hegung des Krieges angesehen werden kann. Die reale Durchführung von Kriegen seit 1991, dem Ende des Kalten Krieges, zeigt, dass die Problematik des Krieges nach wie vor aktuell ist.

B. Die europäische Moderne

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eliminiert sind.2 Dies bewertet er eindeutig negativ, weil der „enttheologisierte“ Staat ein rein diesseitiger Staat ist, der sich kraft der universellen Normierung allmählich selbst auflöst. Mit dem Staat endet für Schmitt die letzte rationale Form, der in Fortsetzung der Theologie den Menschen mit seinen unberechenbaren Leidenschaften im Zaum halten kann. Neben dem Prozess der Neutralisierung verläuft nach Schmitt noch ein weiterer Prozess, der für den Staat verhängnisvoll geworden ist. Er verweist auf den in der Moderne auftretenden Dualismus von Leib-Seele, Außen-Innen, Subjekt-Objekt, der im 17. Jahrhundert bei Descartes auftaucht und auf allen Gebieten des menschlichen Seins lastet. Es findet eine Verlagerung vom Objekt auf das Subjekt, das zum Maßstab aller Dinge wird, statt. Bei den Romantikern ist nach Schmitt der Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht. Alle Begriffe und Formen werden von ihnen aufgelöst und es entsteht eine ästhetische Betrachtungsweise des Politischen, die den Staat als eigenständige Größe nicht mehr akzeptieren kann. In diesem Denken vollendet sich nach Schmitt die Auflösung allen konkreten Denkens zugunsten eines beliebigen Universalismus.3 Die Romantik bzw. das romantische Denken ist für Schmitt das metaphysische Zentrum der bürgerlichen Gesellschaft, die für ihn hauptverantwortlich ist für die Auflösung der alten europäischen Ordnung und des Staates. Durch den Prozess der Neutralisierung und der „Romantisierung“ endet nach Schmitt nicht nur die alte europäische Ordnung, das jus publicum Europaeum, sondern auch der christliche Äon. Das theologische Denken wird aus allen Gebieten verbannt und es entsteht die Welt-Moderne, die weder Transzendenz noch Form kennt. Der Staat als letzte rationale Form des Politischen, welcher die unberechenbaren Leidenschaften der Menschen im Zaum halten kann, weicht der staatsfreien Gesellschaft und einer reinen Diesseitigkeit.4 Hierin liegt die Dialektik der europäischen Moderne. Sie schafft am Anfang mit dem Staat als neuer politischer Einheit die Grundlage eines europäischen Völker2 Schmitt bekannte sich zum Dezisionismus und verteidigte unter anderem Hitlers RöhmPutsch in einem Artikel mit der Überschrift „Der Führer schützt das Recht“. Ein solcher Ansatz soll also unter keinen Umständen verharmlost werden. Es ist aber zu bedenken, ob beispielsweise der gegenwärtige chinesische Staat nicht einem solchen Rechtsdenken nahekommt. Generell könnte man die These vertreten, dass Staaten im Prozess der Entwicklung zu einem kapitalistisch-demokratischen Staat Elemente eines dezisionistischen Staates aufnehmen. Der nationalsozialistische Staat und der japanische faschistische Staat wären dadurch in keiner Weise gerechtfertigt, da diese Staaten bereits die Entwicklung einer Demokratisierung erreicht hatten. 3 Hier zeigt sich Schmitts Kritik an universellen Normen. Ein wichtige Frage heute ist, ob und inwieweit universelle Normen im Kontext unterschiedlicher historischer Entwicklungen gelten können/sollten. 4 Schmitt sieht diese Entwicklung eindeutig negativ. Die Entstehung einer Zivilgesellschaft schafft aber Freiräume für politisches Handeln im Staat und darüber hinaus, die Schmitt wohl eher als Beschränkung staatlicher Verfügungsgewalt angesehen hätte. Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass in der einseitigen Betonung der Subjektivität ein Hedonismus gefördert wird, der im Kern gesellschaftliche Übereinkunft zerstören kann.

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B. Die europäische Moderne

rechts, dessen Ziel die Hegung des Krieges ist.5 Gleichzeitig entsteht mit dem modernen Staat der Prozess der Neutraliserung und es entwickelt sich der moderne Dualismus, die bereits den Keim seiner Auflösung enthalten.

I. Staat und Jus Publicum Europaeum als grundlegende Raumordnung der europäischen Moderne: Die Entstehung und Bedeutung des modernen Staates Jede Grundordnung ist nach Schmitt eine Raumordnung. Die Verfassung eines Landes oder eines Erdteils wird als eine solche Grundordnung aufgefasst. Diese bezieht sich immer auf „räumliche Grenzen und Abgrenzungen, auf bestimmten Maßen und einer bestimmten Verteilung der Erde“ (LM, 71). Dies ist Schmitts Ausgangspunkt, von dem aus er das Phänomen des modernen Staates wie auch des jus publicum Europaeum begreift. Für diese These beruft sich Schmitt auf die mittelalterliche Definition der Etymologica des Isodor von Sevilla, deren erster Satz lautet: „Völkerrecht ist Landnahme“ (NE, 15). Ohne Landnahme, so Schmitt, gibt es kein Völkerrecht. Diesen Grundgedanken entdeckt Schmitt ebenso im Corpus Juris Justitiani, bei G. Vico, John Locke und Immanuel Kant. Nach Vico erhielten die Menschen das erste Recht „durch die Heroen in der Form der ersten Agrargesetze“ (NE, 17). Die Teilung und Abgrenzung des Bodens ist für Vico neben „Religion, Ehe und Asyl eines der vier Ur-Elemente allen menschlichen Rechts und aller menschlichen Geschichte“ (NE, 17 – 18). Das Wesen politischer Macht ist nach Locke „in erster Linie Jurisdikation über das Land. Unter Jurisdikation (Gerichtsbarkeit) versteht er nach mittelalterlichem Sprachgebrauch die Hoheit und Herrschaftsgewalt überhaupt. Die Besitzergreifung eines Landes ist für ihn Unterwerfung unter denjenigen, dessen Juridikation der Boden untersteht. Die Herrschaft ist in erster Linie Herrschaft nur über das Land und erst in der Folge davon Herrschaft über die Menschen, die im Lande wohnen“ (NE, 18). Und auch die Rechtslehre Kants geht nach Schmitt davon aus, „dass alles Eigentum und jede rechtliche Ordnung vom Boden her bedingt ist und aus einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens der ganzen Erde stammt“ (NE, 18).6 Schmitt will hierdurch offenlegen, dass Ordnung und Ortung ursprünglich zusammengehören. Ohne diesen Grundgedanken ist weder Schmitts Deutung des modernen Staates noch seine spezifische Auslegung des jus publicum Europaeum zu verstehen. Während im modernen Staat nach Schmitt der Raum als ein in festen Grenzen liegendes Raumgebilde, das die Gemengenlage der mittelalterlichen Reiche abgelöst 5 Schmitt blendet die von europäischen Staaten geführten Kriege außerhalb Europas weitgehend aus. 6 Hierfür beruft er sich auf die Metaphysik der Sitten, I. Teil, &12: „Die erste Erwerbung einer Sache kann keine andere sein als die des Bodens.“

I. Staat und Jus Publicum Europaeum

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hat, angesehen wird, basiert das jus publicum Europaeum auf einer umfassenden Raumrevolution des 16. Jahrhunderts, die neben dem fest umgrenzten Raum des Staates einen neuen, unendlich leeren Raum entdeckt: das Meer. Dies führt zur spezifischen Struktur des jus publicum Europaeum, das auf der einen Seite in Europa mit den neuen souveränen Staaten fest umschlossene Räume kennt, auf der anderen Seite aber das Meer und die neuen Kontinente als leeren Raum entdeckt.7 Dies führt zu der Trennung von Land und Meer bzw. Europa und Nicht-Europa. Für beide Räume gilt jeweils ein anderes Recht. Schmitt sieht in dieser Trennung eine umfassende Raumordnung, der er das Verdienst der Hegung des Krieges in Europa zuschreibt. Für Schmitts europäisches Staats- und Völkerrechtsverständnis ist weiter entscheidend, dass beide ihren Ursprung im christlichen Mittelalter, d. h. in der Theologie, haben. Der moderne Staat ist nach Schmitt nur aus der Analogie zu einem theologischen Denken zu verstehen und erhält von daher seine Besonderheit. Er ist für Schmitt vielleicht die letzte rationale Form, die in der Transzendenz verankert ist und von daher seine Würde und Autorität erhält. D.h. aber auch, dass für Schmitt ein Staat ohne Transzendenz kein „richtiger“ Staat mehr ist. Ähnlich verhält es sich mit dem jus publicum Europaeum, das nach Schmitt seinen Ursprung in der Respublica Christiana hat. Jenes hatte die Idee einer konkreten Raumordnung im Bereich des Völkerrechts erstmalig hervorgebracht, indem es den Boden christlicher und nichtchristlicher Völker unterschied. Das jus publicum Europaeum übernimmt diese „Struktur“ und verbleibt nach Schmitt in einem Ordnungsdenken, das sowohl konkret als auch transzendent ist, da es als Grundlage eine Ordnungsvorstellung hat, die der Ordnung vorhergeht und sie als eine umfassende Ordnung ermöglicht. Ordnung und Transzendenz, Ordnung und ein dem Theologischen analoges Denken gehören nach Schmitt untrennbar zusammen. Dieser Grundgedanke bildet den Hintergrund, vor dem Schmitt den modernen europäischen Staat und das jus publicum Europaeum deutet. Dieser moderne europäische Staat ist an zwei wesentliche Bedingungen geknüpft: die Raumrevolution des 16. Jahrhunderts und die damit verbundene Entstehung eines neuen Völkerrechts. Diese beiden Aspekte bilden die Grundlage seines Denkens, anhand derer er Entstehung und Bedeutung des modernen Staates erklärt.

1. Die Raumrevolution des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen Auch bei der Entstehung und Entwicklung des Völkerrechts der europäischen Moderne steht bei Schmitt der moderne europäische Staat, der im 16. und 17. Jahrhundert 7 Der leere Raum, insbesondere Amerika, war natürlich nicht leer, aber im Selbstverständnis des sich entwickelnden europäischen Völkerrechts hatten die dortigen Bevölkerungen keinen Status im Sinne des Besitzes des Bodens. Schmitts Gedankengang soll auf keinen Fall gerechtfertigt werden, ist aber wichtig, um seine gesamte Argumentation nachvollziehen zu können.

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B. Die europäische Moderne

aus der Überwindung der konfessionellen Bürgerkriege hervorgegangen war, im Mittelpunkt. Aber dies war nur eine Bedingung für die Entstehung des Völkerrechts der europäischen Moderne. Die andere war die „Raumrevolution“, die im 16. Jahrhundert nicht unmittelbar durch Kopernikus, sondern durch Giordano Bruno eingeleitet wurde und dann über Galilei und Kepler bei Newton ihre Vollendung fand: „Kopernikus hat als erster wissenschaftlich dargelegt, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Sein Werk über die Umdrehung der Himmelsbahnen, ,de recolutionibus orbium coelestium, erschien 1543. Damit hat er zwar unser Sonnensystem verändert, aber er hielt doch noch daran fest, dass das Weltall im Ganzen, der Kosmos, ein begrenzter Raum ist. Die Welt im großen kosmischen Sinne und damit der Raumbegriff selbst war also noch nicht verändert. Wenige Jahrzehnte später fielen die Grenzen. In dem philosophischen System Giordano Brunos ist das Sonnensystem, in dem die Erde sich als ein Planet um die Sonne bewegt, nur noch eines unter vielen Sonnensystemen des unendlichen Sternenhimmels. Infolge der wissenschaftlichen Experimente Galileis wurden solche philosophischen Spekulationen zu einer mathematisch beweisbaren Wahrheit. Kepler berechnete die Bahnen der Planeten, obwohl ihm selber schauderte, wenn er sich die Unendlichkeit solcher Räume vorstellte, in denen die Planetensysteme sich ohne vorstellbare Grenzen und ohne einen Mittelpunkt bewegen. Mit der Lehre Newtons stand dann für das ganze aufgeklärte Europa die neue Raumvorstellung fest. Gestirne, Massen von Materie, bewegen sich, indem Anziehungs- und Abstoßungskraft sich balancieren, nach Gravitationsgesetzen in einem unendlichen, leeren Raum“ (LM, 65 – 66). Erst jetzt können sich die Menschen einen leeren Raum vorstellen. Sie vergessen jetzt ihre Angst und „finden schließlich nichts mehr dabei, dass sie und ihre Welt im Leeren existieren“ (LM, 66). Diese Raumrevolution ist im Folgenden nicht auf die überseeischen Entdeckungen der Europäer beschränkt, diese können vielmehr auch als eine Folge der Raumrevolution betrachtet werden, denn „zu einer Raumrevolution gehört mehr als eine Landung in einer bisher unbekannten Gegend. Dazu gehört eine alle Stufen und Gebiete menschlichen Daseins erfassende Veränderung des Raumbegriffs“ (LM, 66). Im 16. und 17. Jahrhundert hat nach Schmitt „die europäische Menschheit gleichzeitig auf allen Gebieten ihres schöpferischen Geistes einen neuen Raumbegriff durchgesetzt. Die Malerei der Renaissance beseitigt den Raum der mittelalterlichen gotischen Malerei; die Maler sehen jetzt die von ihnen gemalten Menschen und Dinge in einem Raum, der perspektivisch eine tiefe Leere gibt. Die Menschen und Dinge stehen und bewegen sich jetzt in einem Raum. Im Vergleich mit dem Raum eines gotischen Bildes bedeutet das in der Tat eine andere Welt. Dass die Maler jetzt anders sehen, dass ihr Auge sich geändert hat, ist für uns sehr bedeutungsvoll. Die großen Maler sind ja etwa nicht nur Leute, die einem etwas Schönes vormachen. Die Kunst ist ein geschichtlicher Grad des Raumbewusstseins, und der wirkliche Maler ist ein Mensch, der die Menschen und Dinge besser und richtiger sieht als andere Menschen, richtiger vor allem im Sinne der geschichtlichen Wirklichkeit seiner eigenen Zeit. Aber nicht nur in der Malerei entsteht ein neuer Raum. Die Architektur der Renaissance schafft sich ihre vom gotischen Raum weltenweit ver-

I. Staat und Jus Publicum Europaeum

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schiedenen, klassisch-geometrisch eingeteilten Gebäude; ihre Plastik stellt die Statuen der menschlichen Figur frei in den Raum, während die Figuren des Mittelalters an Pfeilen und Mauern ,anguliert sind. Die Architektur des Barock wiederum drängt in einer dynamischen Bewegung und steht dadurch in mancher Verbindung mit der Gotik, aber sie bleibt doch fest gebannt in dem durch die Raumrevolution entstehenden, von ihr selbst entscheidend mitbewirkten neuen, modernen Raum. Die Musik nimmt ihre Melodien und Harmonien aus den alten Tonarten heraus und stellt sie in den Hörraum unseres sogenannten tonalen Systems. Theater und Oper lassen ihre Figuren sich in der leeren Tiefe eine szenischen Bühnenraums bewegen, der durch einen Vorhang vom Zuschauer getrennt wird. Sämtliche geistige Strömungen dieser beiden Jahrhunderte, Renaissance, Humanismus, Reformation, Gegenreformation und Barock haben also zu der Totalität der Raumrevolution beigetragen“ (LM, 68 – 69). In jener Zeit dringt das hervor, was später als europäischer Geist oder „okzidentaler Rationalismus“ bezeichnet wird. „Er entfaltet sich in den west- und mitteleuropäischen Völkern, zerstört die mittelalterlichen Formen menschlicher Gemeinschaft, bildet neue Staaten, Flotten und Armeen, erfindet neue Maschinen, unterwirft sich die nichteuropäischen Völker und stellt sie vor das Dilemma, entweder die europäische Zivilisation anzunehmen oder zum bloßen Kolonialvolk herabzusinken“ (LM, 70). Erst vor dem Hintergrund dieser beiden Phänomene, der Entstehung des modernen europäischen Staates und der Raumrevolution des 16. und 17. Jahrhunderts, lässt sich Schmitts Konzeption der Entstehung des europäischen Völkerrechts begreifen. Diesen Gedanken gilt es zunächst zu vertiefen, um dann anschließend Inhalt und Konsequenzen für die europäische Moderne darzustellen.

2. Die Entstehung des Völkerrechts der europäischen Moderne Jede Grundordnung ist nach Schmitt eine Raumordnung. Die Verfassung eines Landes oder Erdteils wird als eine solche Grundordnung aufgefasst. Diese bezieht sich immer auf räumliche „Grenzen und Angrenzungen, auf bestimmte Maßen und einer bestimmten Verteilung der Erde. Am Anfang einer jeder großen Epoche steht daher eine Landnahme“ (LM, 71). Dies trifft auch auf den Vorläufer des Völkerrechts der europäischen Moderne, das Völkerrecht des christlich-europäischen Mittelalters, zu, welches den „einzigen Rechtstitel für den Übergang zu einer ersten globalen Ordnung des Völkerrechts geliefert“ hat. „Das sog. Moderne, d. h. das zwischenstaatliche europäische Völkerrecht der Zeit vom 16.–20. Jahrhundert ist aus der Auflösung der mittelalterlichen, vom Kaisertum und Papsttum getragenen Raumordnung entstanden. Ohne eine Kenntnis der Weiterwirkungen dieser mittelalterlichen-christlichen Raumordnung ist ein

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rechtsgeschichtliches Verständnis des aus ihr entstandenen zwischenstaatlichen Völkerrechts nicht möglich“ (NE, 25). Die mittelalterliche Ordnung selbst „ist aus den Landnahmen der Völkerwanderungen entstanden. Viele dieser Landnahmen, z. B. die der Vandalen in Spanien und Nordafrika und die der Langobarden in Italien (568), gingen ohne Rücksicht auf die Rechtslage der römischen Welt einfach als Eroberungen mit Wegnahme des Grundeigentums der früheren Eigentümer vor sich. Sie sprengten also den Rahmen der bisherigen Ordnung des Imperiums. Andere germanische Landnahmen dagegen, wie die Odoakers, der Ostgoten und der Burgunder auf italienischem und gallischem Boden, spielten sich innerhalb der Raumordnung des Römischen Imperiums ab, indem die wandernden Stämme sich vom römischen Kaiser römischen Reichsboden zuweisen ließen. Insoweit sind die meisten Landnahmen germanischer Stämme Beispiele für zwischen-völkische Gebietsveränderungen im Rahmen einer bestehenden Ordnung und eines innerreichischen Völkerrechts. Sie vollzogen sich nicht als Annexionen, sondern in den Formen einer anerkannten Rechtsinstituts, der militärischen Einquartierung, der sog. hospitalitas. […] Daraus, dass das Land zwischen dem germanischen Landgeber und dem römischen Grundbesitzer geteilt wurde, sind im Zusammenleben der Stämme und Völker neue Nationen und neue politische Einheiten entstanden. Mit ihnen entstand ein neues, europäisches Völkerrecht“ (NE, 26 – 27). Dieses neue europäische Völkerrecht wurde Respublica Christiana und Populus Christianus genannt. Dieses Völkerrecht betrachtet den Boden nicht-christlicher, heidnischer Völker als christliches Missionsgebiet. Dieses konnte einem „christlichen Fürsten durch den päpstlichen Auftrag zur christlichen Mission zugewiesen werden“ (NE, 27). So konnte beispielsweise der Boden islamischer Reiche, die als feindliche Gebiete galten, durch Kreuzzüge erobert und annektiert werden. Solche Kriege hatten nicht nur von selbst einen gerechten Grund, sondern waren sogar heilige Kriege, wenn sie vom Papst erklärt wurden (NE, 27). Innerhalb des christlichen Bereichs sind die Kriege zwischen christlichen Fürsten umhegte Kriege. „Die internen, umhegten Kriege heben die Einheit des Respublica Christiana nicht auf. Sie sind Fehden im Sinne von Rechtsbehauptungen, Rechtsverwirklichungen oder Betätigungen eines Widerstandsrechts und gehen im Rahmen ein und derselben beide kämpfenden Teile umfassenden Gesamtordnung vor sich. Das bedeutet, dass sie die Gesamtordnung nicht aufheben und nicht verneinen“ (NE, 28). Der Sinn und Kern dieses „christlich-europäischen Völkerrechts, seine Grundordnung, lag eben in der Verteilung der neuen Erde. Untereinader waren die europäischen Völker ohne viel planmäßige Überlegung darin einig, dass sie den nicht europäischen Boden der Erde als kolonialen Boden, d. h. als Objekt ihrer Eroberung und Ausbeutung betrachteten“ (LM, 74 – 75). Deshalb ist es vielleicht zutreffender, das „Zeitalter der Entdeckungen“ als das „Zeitalter der europäischen Landnahme“ zu bezeichnen. Erst eine völlig andere Raumordnung hat dem mittelalterlichen Völkerrecht Europas ein Ende gemacht. Sie entsteht mit dem zentralisierten, gegenüber Kaiser und Papst, aber auch gegenüber jedem Nachbarn souveränen, räumlich in sich geschlossenen, europäischen Flächenstaat, dem ein unbeschränkter freier Raum für überseeische Landnahmen offensteht.

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Die neuen Rechtstitel, die für dieses neue, staatsbezogene Völkerrecht kennzeichnend, dem christlichen Mittelalter aber völlig fremd waren, sind Entdeckung und Okkupation. Werfen wie nun einen Blick darauf, wie sich nach Schmitt der Übergang von der Respublica Christiana zum Völkerrecht der europäischen Moderne vollzogen hat. Der Beginn der Umwandlung der Respublica Christiana zum Völkerrecht der europäischen Moderne begann nach Schmitt im Jahr 1492 durch die Entdeckung Amerikas.8 Damit tauchte neben der alten eine neue Welt auf. Dies war eine grundlegende Veränderung, denn bisher „hielten die christlichen Fürsten und Völker Europas Rom oder Jerusalem für die Mitte der Erde und sich selbst für einen Teil der alten Welt“ (NE, 55). Durch das Auftauchen einer neuen Welt wurde diese Raumvorstellung zerstört. Die neue Welt, und das war das Wesentliche, erschien nicht als neuer Feind, „sondern als ein freier Raum, als ein freies Feld europäischer Okkupation und Expansion“ (NE, 55). Diese Auffassung, dass die neue Welt ein zu erobernder Raum sei, fand bereits zwei Jahre nach der Entdeckung Amerikas seinen Niederschlag in dem Edikt des Papstes Alexander VI. „Inter caetera divinae“ vom 4. Mai 1494. In diesem „Edikt wurde eine Linie bestimmt, die durch den Atlantischen Ozean lief, 100 Meilen westlich von den Azoren und Kap Verde. Alle Entdeckungen westlich der Linie erhielt Spanien als Lehen“ (LM, 77). „Der vom Papst gezogenen Linie folgt unmittelbar die etwas nach Westen verlagerte, ungefähr durch die Mitte des Atlantischen Ozeans […] gezogene Linie des spanisch-portugiesischen Teilungsvertrages von Tordesillas vom 7. Juni 1494. Hier einigten sich die beiden katholischen Mächte darüber, dass alle neu entdeckten Gebiete westlich der Linie den Spaniern, östlich der Linie den Portugiesen zufallen. Man nannte das eine ,particion del mar ocano und ließ es durch den Papst Julius II. bestätigen“ (NE, 57). Der Sinn dieser ersten Teilungs- und Verteilungslinien lag also darin, dass sich „zwei Fürsten, die beide die gleiche geistige Autorität auch völkerrechtlich anerkennen, über den Erwerb des Landes andersgläubiger Fürsten und Völker einigen“ (NE, 59). Kaiser und Papst, Reich und Kirche bilden hier noch eine untrennbare Einheit und stehen sich nicht als zwei Ordnungsmächte gegenüber. In diesem Sinn gehören diese Teilungs- und Verteilungslinien noch ganz zur Respublica Christiana, da sie durch anerkannte Autorität des Papstes erlassen oder bestätigt werden. Die Kriege zwischen den Spaniern bzw. Portugiesen und den Völkern der Neuen Welt wurden deshalb gemäß der Respublica Christiana gedeutet. Die Kriege der christlichen gegen nichtchristliche Völker wurden als gerecht betrachtet, da sie an den Missionsauftrag des Papstes gebunden waren. Dementsprechend gab es in der Respublica Christiana einen gerechten Angriffskrieg. Genauso stand die mittelalterliche Lehre vom gerechten Krieg, trotz vieler interner Abweichungen, „auf dem Boden und in 8 Dass der Begriff Entdeckung Amerikas durchaus fragwürdig ist, kommt Schmitt nicht in den Sinn.

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dem Rahmen einer Respublica Christiana. Sie unterschied unter diesem Gesichtspunkt verschiedene Arten von Fehden und Kriegen. Auf der anderen Seite erkannte sie sowohl das feudale Fehderecht wie das ständische Widerstandsrecht als vollgültiges Recht an. Sie musste Fehden und Kriege, die zwischen christlichen, d. h. der Autorität der Kirche unterworfenen Gegnern geführt wurden, von anderen Kriegen unterscheiden. Von der Kirche autorisierte Kreuzzüge und Missionskriege waren ohne Unterschied von Angriff oder Verteidigung eo ipso gerechte Kriege; Fürsten und Völker, die sich der Autorität der Kirche hartnäckig entzogen, wie Juden und Sarazenen, waren eo ipso hostes perpetui. Alles das setzte die völkerrechtliche Autorität einer potestas spiritualis voraus. Niemals kann in den Lehren des christlichen Mittelalters von dieser völkerrechtlichen Autorität der Kirche abstrahiert werden, am wenigsten dann, wenn ein christlicher Fürst an dem Krieg beteiligt ist“ (NE, 90). Die Respublica Christiana ist also nur vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Ordnungsvorstellung und einer gemeinsamen, schiedsrichterlichen Autorität, die als völkerrechtliche Instanz den Boden nichtchristlicher Fürsten und Völker von dem der Christen unterscheidet, zu verstehen (NE, 59). Dazu gehört die Lehre vom gerechten Krieg, die in dem Missionsauftrag des Papstes bzw. der christlichen Kirche ihre Begründung fand. Eine erste, einschneidende Veränderung fand dieses „Aufteilungsdenken“ zwischen alter und neuer Welt in den so genannten französisch-englischen Freundschaftslinien, den amity lines, die zum ersten Mal, zunächst nur mündlich vereinbart, in einer Geheimklausel zum spanisch-französischen Vertrag von Cateau Cambrsis im Jahr 1559 erscheinen und dann während des 17. Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil des Völkerrechts wurden (NE, 60). Diese Freundschaftslinien lassen im 16. und 17. Jahrhundert „zwei Arten von ,freien Räumen erkennen, in die sich die Aktivitäten der europäischen Völker hemmungslos ergießen: erstens einen unabsehbaren Raum freien Landes, die neue Welt, Amerika, das Land der Freiheit, d. h. der freien Landnahme durch die Europäer, in dem das ,alte Recht nicht gilt; und zweitens das freie Meer, die neu entdeckten Ozeane, die von den Franzosen, Holländern und Engländern als ein Bereich der Freiheit aufgefasst werden“ (NE, 62 – 63). Die Freundschaftslinien teilten die Erde auch in zwei Hälften. Diese Teilung bekam aber einen ganz anderen Sinn als vorher. In der Respublica Christiana wurde die Neue Welt als ein großes Missionsgebiet angesehen. Das, was die christlichen Völker in der Neuen Welt taten, fand nur darin seinen Grund. Das heißt aber, dass „rechtlich“ zwischen der alten und der neuen Welt kein Unterschied bestand. In diesem Sinn erschien Francisco de Vitoria die Neue Welt in „moralischer Hinsicht keineswegs neu […]“ (NE, 75). Die „Anerkennung oder gar die Vereinbarung von Linien, jenseits deren die Unterscheidung von Recht und Unrecht aufhört, hätte Vitoria selbstverständlich nur für eine Sünde und ein entsetzliches Verbrechen gehalten“ (NE, 75). Hier ist das entscheidend Neue der so genannten Freundschaftslinien. Diese legten fest, wo Europa endete und die Neue Welt begann. „Hier hörte das europäische Recht,

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jedenfalls das ,europäische öffentliche Recht auf. Hier endete infolgedessen auch die durch das bisherige europäische Völkerrecht bewirkte Hegung des Krieges und wurde der Kampf um die Landnahme hemmungslos“ (NE, 62). Die jeweiligen Partner einigten sich darauf, wo die Freiheit freier und rücksichtsloser Gewaltanwendung beginnt. Es galt zwar als selbstverständlich, „dass nur christlich-europäische Fürsten und Völker sich an der Landnahme der Neuen Welt beteiligten und Partner solcher Verträge sein können; aber die darin liegende Gemeinsamkeit der christlichen Fürsten und Nationen enthält weder eine gemeinsame, konkretlegitimierende, schiedsrichterliche Instanz, noch ein anderes Verteilungsprinzip als das Recht des Stärkeren und der schließlich nur noch effektiven Okkupation“ (NE, 62). Die Autorität des Papstes gibt es hier nicht mehr und es stehen sich nun selbständige Staaten gegenüber, die um die Besitztümer in der Neuen Welt kämpfen. Moraltheologische Argumentationen wie die des Missionsauftrages spielen nun praktisch keine Rolle mehr. An ihre Stelle treten nun die so genannten „Zivilisationsargumente“. Es gibt zwei verschiedene Räume, die im Prinzip ohne Gemeinsamkeit nebeneinander stehen. Die Theologie wird aus den praktischen Erörterungen der völkerrechtlichen Fragen ausgeschaltet. „Die Theologen des Mittelalters argumentierten nicht aus einem Vakuum heraus und nicht in ein Vakuum hinein. Sie standen alle in einer institutionellen Ordnung und jedes ihrer Worte ist nur konkret, d. h. ordohaft zu verstehen. Jetzt aber, seit dem 16. Jahrhundert, führen Juristen (die im Dienst einer Regierung standen) die völkerrechtlichen Fragen weiter; teils theoretisch, indem sie die moraltheologischen Argumentationen der Scholastiker zu einer ,natürlichen Philosophie und einem ,natürlichen Recht der allgemeinen, menschlichen Vernunft säkularisierten; teils praktisch-positiv, unter Verwendung von Begriffen des römischen Rechts, wie sie ihnen von der zivilistischen Rechtswissenschaft und der legistischen Praxis ihrer Zeit geboten wurden“ (NE, 96). Die gemeinsame Ordnung des christlichen Abendlandes war aufgebrochen und durch die Konkurrenz miteinander rivalisierender Staaten, die vollkommen unabhängig voneinander waren, abgelöst. Dadurch verlor gleichzeitig der Begriff des gerechten Krieges seine Bedeutung und wurde durch den des gerechten Feindes ersetzt. Jetzt wurde der zwischenstaatliche Krieg zwischen gleichberechtigten Souveränen als rechtmäßiger Krieg angesehen. Die Veränderung von der Respublica Christiana zum Völkerrecht der europäischen Moderne vollzog sich in einer doppelten Trennung zweier im Mittelalter untrennbarer Gedankenreihen: „[…] in der endgültigen Auflösung der moraltheologisch-kirchlichen von der juristisch-staatlichen Argumentation und in der ebenso wichtigen Ablösung der naturrechtlichen und moralischen Frage der justa causa von der typisch juristisch-formalen Frage nach dem justus hosti, der vom Verbrecher, d. h. von einem Objekt einer punitiven Aktion, unterschieden wird“ (NE, 91). Das neue Völkerrecht der europäischen Moderne, das jus publicum Europaeum, „war seit dem 16. Jahrhundert in seinem Kern wesentlich ein interstatales, ein zwi-

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schen-staatliches Recht europäischer Souveräne und bestimmte von diesem europäischen Kerne aus den Nomos der übrigen Erde“ (NE, 97).

3. Die Entwicklung des Völkerrechts der europäischen Moderne Der Staat als politische Einheit wird im 16. Jahrhundert zum Kern des Völkerrechts der europäischen Moderne. Aus dem kirchlichen und feudalen Völkerrecht des Mittelalters wird ein staatliches. Die rationalisierende Wirkung dieses neuen Raumgebildes lag „in der Ent-Theologisierung des öffentlichen Lebens und in der Neutralisierung der Gegensätze des konfessionellen Bürgerkrieges. Das bedeutete, dass die überterritorialen Parteibildungen der Bürgerkriege des 16. und 17.Jahrhunderts beseitigt wurden. Die konfessionellen Bürgerkriege hörten auf. Die Gegensätze der konfessionellen Parteien wurden durch eine öffentlich-rechtliche, nicht mehr kirchliche, sondern staatliche und staatspolizeiliche Entscheidung für den territorialen Bereich des Staates von Staats wegen aufgehoben“ (NE, 112). Der Krieg wurde zu einem zwischen souveränen europäischen Staaten geführten Krieg. Er wurde staatlich autorisiert und organisiert. Es gelang, die konfessionelle Rechthaberei, welche die Religionskriegsparteien des 16. und 17.Jahrhunderts bis zum Bürgerkrieg geführt hatte, zu überwinden. Der reine Staatenkrieg des neuen Völkerrechts tritt in Gegensatz zu den Religions- und Bürgerkriegen. Dadurch gelang nach Schmitt eine Hegung des Krieges auf europäischem Boden. Indem die neue völkerrechtliche Ordnung auf der „Liquidierung des Bürgerkriegs beruht und den Krieg umhegt, indem sie ihn in ein europäisches Staatenduell verwandelt“, hat sie ein Reich relativer Vernunft legitimiert (NE, 114). Die Analogie des zwischenstaatlichen Krieges mit dem Duell liegt in der Wahrung der Form bestimmter Garantien: „[…] in der Qualität der sich duellierenden Personen, in der – die Einhegung des Kampfes bewirkenden – Einhaltung eines bestimmten Verfahrens und insbesondere in der paritätischen Zuziehung von Zeugen. Das Recht ist hier ganz institutionalisierte Form geworden; es besteht darin, dass sanktionsfähige Ehrenmänner einen Ehrenhandel in vorgeschriebenen Formen von unparteiischen Zeugen unter sich abmachen. Eine Herausforderung zum Duell, ein dfi, ist infolgedessen kein Angriff und kein Verbrechen, ebenso wenig es die Kriegserklärung ist. Derjenige, der einen anderen fordert, braucht keineswegs in der Sache der Angreifer zu sein. So spielt sich in einer Idealform auch der zwischenstaatliche Krieg des inner-europäischen Völkerrechts ab, bei dem die neutralen Staaten als die unparteiischen Zeugen fungieren. Gerecht im Sinne des europäischen Völkerrechts der zwischenstaatlichen Epoche ist deshalb jeder von militärisch organisierten Armeen anerkannter Staaten des europäischen Völkerrechts auf europäischem Boden nach den Regeln des europäischen Kriegsrechts geführte, zwischenstaatliche Krieg“ (NE, 115). Nach Schmitt ist entscheidend, dass die sehr effektive Bindung des neuen Völkerrechts „nicht in der höchst fragwürdigen Selbstbindung des angeblich freibleibenden

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Willens gleich souveräner Personen liegt, sondern in der bindenden Kraft einer alle diese Souveräne umfassenden europa-zentrischen Raumordnung“ (NE, 120). Dennoch darf die fundamentale Bedeutung des Staates als neue politische Einheit für das Völkerrecht der europäischen Moderne nicht unterschätzt werden. Nach Schmitt machte der staatliche Souverän durch seine „souveräne Dezision“ den „mörderischen Rechthabereien“ der konfessionellen Bürgerkriegsparteien ein Ende. Die Religionskriege hatten ja nicht nur zu Kriegen zwischen Papst und Reich oder verschiedenen Reichen geführt, sondern hatten unmittelbar in die Reiche hineingewirkt und sich in Bürgerriege ausgeweitet. Dadurch fiel der Unterschied zwischen Krieg und Bürgerkrieg fort. Erst der staatliche Souverän als „Träger der neuen Raumordnung innerhalb seines geschlossenen abgegrenzten Flächenraums“ ist „imstande, durch souveräne Dezision den Bürgerkrieg zu überwinden. Innerhalb dieses Staates gibt es keine Feinde mehr, und die staatlichen Juristen wissen mit dem Feindbegriff nichts mehr anzufangen“ (NE, 129). In dem neuen Begriff des Staates liegt „alles, was über die Gerechtigkeit des Staatenkrieges gesagt werden kann. Der nicht-öffentliche Krieg ist der nicht-staatliche Krieg. Er ist nicht nur ungerecht, sondern im Sinne des neuen Völkerrechts überhaupt kein Krieg mehr. Er kann alles mögliche andere sein: Rebellion, Aufruhr, Landfriedensbruch, Barbarei und Piraterie, aber nicht Krieg im Sinne des neuen europäischen Völkerrechts“ (NE, 129). Durch den modernen europäischen Staat wird der zwischenstaatliche Krieg zum einzig anerkannten Krieg. Alle anderen „kriegerischen Auseinandersetzungen“ innerhalb eines Staates werden von diesem geschieden und nicht mehr als Krieg anerkannt. Dies ist die Hegung des Krieges, die ihn zu einem rationalen Bestandteil des neuen Völkerrechts macht. Damit fällt die Idee vom gerechten Krieg, welche die Respublica Christiana noch kannte, fort. Nach Schmitt ist Balthazar Ayala, „der als Rechtsberater des Führers der spanischen Armee in den aufständischen Niederlanden seine drei Bücher ,de jure et officis bellicis et Disciplina militari veröffentlicht hat“, der erste, der den Unterschied zwischen einem zwischenstaatlichen und einem Bürgerkrieg macht. „Der spanische Niederländer betont in seiner Position gegenüber den aufständischen Niederlanden natürlich besonders den Unterschied solcher Kriege, die von Trägern der souveränen staatlichen Macht untereinander geführt werden, gegenüber Bürgerkriegen. Nur der bewaffnete Kampf zwischen staatlichen Souveränen ist Krieg im völkerrechtlichen Sinne und kann den Begriff des justus hosti erfüllen. Alles andere ist Strafverfolgung und Unterdrückung von Räubern, Piraten und Rebellen“. (NE, 124). Diese Unterscheidung und die Zurückdrängung des gerechten Krieges findet sich in der Folgezeit bei verschiedenen Staats- und Völkerrechtlern wie etwa Albericus Gentilis, Grotius oder Richard Zouch. Ihre Bestimmungen des Krieges führen zu einer Eliminierung der Frage der justa causa und setzen an die Stelle des Begriffs „gerechter Krieg“ den so genannten „nicht diskriminierenden Krieg“, wodurch nach Schmitt das moderne Völkerrecht der zwischenstaatlichen Raumordnung überhaupt erst möglich geworden ist und die Hegung des Krieges auf europäischem Boden gelang.

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In der Folge spielt die Frage nach der Gerechtigkeit eines Krieges keine Rolle, wenn Krieg nur „in Form“ ist. „Alle ,Gerechtigkeit reduziert sich auf diese ,Form, und das bedeutet im praktisch-politischen Ergebnis nichts anderes, als dass Kriege, die auf europäischem Boden von geschlossenen Flächenstaaten gegen gleichartige, ebenso geschlossene Flächenstaaten geführt werden, also reine Staatenkriege, etwas anderes sind als Kriege, an denen ein Nicht-Staat beteiligt ist, z. B. barbarische Völker oder Seeräuber“ (NE, 138). Die Logik dieses „zwischen-staatlichen Völkerrechts ist in einer gleichgewichtigen Raumstruktur des in sich geschlossenen Flächenstaates mit inpermeablem Raum und festen, territorialen Grenzen begründet. Nur scheinbar isoliert die Souveränität jeden einzelnen Souverän vom anderen. In Wirklichkeit zwingt die ,aequilitas alle dazu, auf alle anderen Rücksicht zu nehmen, die Möglichkeit einer Neutralität anzuerkennen und den Krieg aus einer blinden gegenseitigen Vernichtung, zu einem geregelten Messen der Kräfte zu machen. Zur raumhaften Grundlage der Hegung des Krieges gehört wesentlich, dass der Krieg im Rahmen der europäischen Bodenordnung und ihres Gleichgewicht-Systems verbleibt. Eine solche völkerrechtliche Ordnung ist also kein regelloses Chaos egoistischer Machtwillen. Alle diese egoistischen Machtwillen existieren nebeneinander in dem gleichen Raum einer europäischen Ordnung, wo sie sich gegenseitig als Souveräne anerkennen und wo jeder dem anderen gleichberechtigt ist, weil und insoweit er einen Bestandteil des Gleichgewicht-Systems bildet“ (NE, 139). Erst durch dieses komplexe Gebilde ist eine Hegung des Krieges auf europäischem Boden gelungen. Seine umfassende Grundlage findet also nach Schmitt das Völkerrecht der europäischen Moderne erst in einer neuen Raumordnung, die aus der Auflösung der Respublica Christiana hervorging und rechtlich zwischen Europa und der Neuen Welt einen deutlichen Unterschied machte, indem sie beides zu zwei unterschiedlichen Rechtszonen erklärte, für die jeweils unterschiedliches Recht galt. Zur Grundlage dieser neuen Raumordnung wird der nun auftretende Gegensatz von Land und Meer. Während das Land, Europa, durch die Hegung des Krieges, indem der Krieg auf den zwischenstaatlichen Krieg beschränkt wird, gekennzeichnet war, war das Meer ein offener Raum. Im Kriegsfall bedeutete die Freiheit der Meere, „dass die ganze Fläche der Weltozeane jeder kriegführenden Macht als Schauplatz sowohl der Kriegsführung wie der Ausübung des Seebeute- und Prisenrechts frei und offen steht“ (NE, 148). Das eigentliche Problem, welches hierdurch hervorgerufen wurde, lag darin, dass dieselbe Fläche zur gleichen Zeit Schauplatz des Krieges und Stätte des Friedens sein sollte (NE, 150). Dadurch wurde zwischen Landkrieg und Seekrieg ein wichtiger Unterschied gemacht: „Für den Landkrieg haben die Staaten des europäischen Festlandes seit dem 16. Jahrhundert bestimmte Formen herausgebildet, denen der Gedanke zu Grunde liegt, dass der Krieg eine Beziehung von Staat zu Staat ist. Auf beiden Seiten steht die staatlich organisierte, militärische Macht, und die Armeen tragen in offener Feldschlacht den Kampf untereinander aus. Als Feinde stehen sich nur die kämpfenden Heere gegenüber, während die nichtkämpfende Zivilbevölkerung außerhalb der Feindseligkeiten bleibt. Sie ist nicht Feind und wird nicht als Feind behandelt, solange sie sich nicht am Kampf beteiligt. Dem Seekrieg

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dagegen liegt der Gedanke zu Grunde, dass Handel und Wirtschaft des Landes getroffen werden sollen. Feind ist in einem solchen Krieg nicht nur der kämpfende Gegner, sondern jeder feindliche Staatsangehörige und schließlich auch der Neutrale, der mit dem Feinde Handel treibt und zu ihm in wirtschaftlichen Beziehungen steht. Der Landkrieg hat die Tendenz zur entscheidenden offenen Feldschlacht. Im Seekrieg kann es natürlich auch zur Seeschlacht kommen, aber seine typischen Mittel sind Beschießung und Blockade feindlicher Küsten und Wegnahme feindlicher und neutraler Handelsschiffe nach Prisenrecht. Im Wesen dieser typischen Seekriegsmittel liegt es begründet, dass sie sich gegen Kämpfende wie Nichtkämpfende richten. Eine Hungerblockade insbesondere trifft unterschiedslos die Bevölkerung des ganzen blockierten Gebietes, Militär und Zivilbevölkerung, Männer und Frauen, Greise und Kinder“ (LM, 87 – 88). Dennoch bleibt auch das Meer von der europäischen Raumordnung und der Hegung des Krieges nicht unberührt. Im Utrechter Frieden von 1713 gelingt eine teilweise Hegung des Krieges auch auf dem Meer. Dort wird in einem zweiten Abschnitt festgelegt, „dass die Kontrolle der Regierungen über die Kaperschiffe ihrer Untertanen stärker wird, so dass der Freibeuter alten Stils zum kriminellen Piraten herabsinkt“ (NE, 153). Es wird also deutlich zwischen den Krieg führenden Parteien und den Freibeutern unterschieden, die aus der völkerrechtlichen Ordnung ausgesondert werden. Diese Trennung „vom festen Land und freiem Meer war der spezifische Grundzug des jus publicum Europaeum. Diese Raumordnung ist im Wesentlichen nicht aus innereuropäischen Landnahmen und aus territorialen Veränderungen entstanden, sondern aus der europäischen Landnahme einer nicht-europäischen Neuen Welt in Verbindung mit einer Seenahme des freien Meeres durch England. Riesig große, unendlich scheinende Räume ermöglichten und trugen das Binnenrecht einer zwischenstaatlichen europäischen Ordnung“ (NE, 155). Die Grundstruktur des Völkerrechts der europäischen Moderne fand sich also zum einen in der „Unterscheidung der Fläche des festen Landes von der des freien Meeres“, wodurch der Landkrieg vom Seekrieg unterschieden wurde und „deren jeder seinen eigenen Begriff von Feind und Krieg und Beute hat. Zum anderen wurde innerhalb der Fläche des festen Landes unterschieden zwischen „dem Boden europäischer Staaten (Staatsgebiet im eigentlichen Sinn) von dem Boden überseeischer Besitzungen (kolonialer Boden)“ (NE, 155). Dadurch wurde der europäische vom kolonialen Krieg geschieden. Die Hegung des Krieges galt nur für die zwischenstaatlichen europäischen Kriege, die auf europäischem Boden oder diesem gleichgestellten Boden geführt wurden. Nur in diesem spezifischen Sinn ist nach Schmitt das Wesen des Völkerrechts der europäischen Moderne zu verstehen, welches in der Hegung des Krieges auf europäischem Boden seine eigentliche Bedeutung hatte. „Das Wesen des europäischen Völkerrechts war die Hegung des Krieges. Das Wesen solcher Kriege war ein geordnetes, in einem gehegten Raum vor Zeugen sich abspielendes Messen der Kräfte. Solche

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Kriege sind das Gegenteil von Unordnung. In ihnen liegt die höchste Form der Ordnung, deren menschliche Kraft fähig ist“ (NE, 158 – 159).9 Weil das Völkerrecht der europäischen Moderne in eine umfassende Raumordnung gebettet war, konnte das Problem von Gebietsänderungen innerhalb dieses Völkerrechts umfassend gelöst werden. Ein Gebietswechsel wurde eben nicht als ein Verfassungswechsel im Sinne der Sozial- und Eigentumsordnung betrachtet. Indem die europäischen Staaten ihre Gemeinsamkeit in der potentiell gleichen Möglichkeit zur Eroberung gegenseitig anerkannten, hatte ein Gebietswechsel niemals eine umfassende Neuordnung des jeweils okkupierenden Landes zur Folge. Dies lag im Weiteren auch darin begründet, dass die europäischen Staaten neben dem europäischen Völkerrecht auch ein gemeinsames Wirtschaftsrecht entwickelten, dessen gemeinsamer Verfassungsstandard wichtiger war als die politische Souveränität der einzelnen Staaten, d. h. dass das Recht auf Eigentum höher gesetzt wurde als die Souveränität des Staates. Der Wechsel bereits okkupierter Länder hatte demnach rechtlich keine Folgen für die Europäer, die dort Handel trieben oder über kolonialen Besitz verfügten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dagegen drangen mit den Vereinigten Staaten und Japan zwei neue Mächte hervor, welche das bisherige europazentrierte Völkerrecht in Frage stellten. Die Auflösung dieses Völkerrechts wurde nach Schmitt bereits 1823 durch die so genannte Monroe-Doktrin eingeleitet. Diese besagt, einfach ausgedrückt, dass sich kein europäischer Staat in inneramerikanische Verhältnisse und umgekehrt sich die Vereinigten Staaten nicht in europäische Verhältnisse einmischen dürfen (PB, 165). In der Folge weiten die Vereinigten Staaten dieses Prinzip auf den gesamten amerikanischen Kontinent aus. Dadurch wird der gesamte amerikanische Kontinent, d. h. die westliche Hemisphäre, von Europa und dessen Völkerrecht getrennt. Ähnlich beginnt Japan am Ende des 19.Jahrhunderts Anspruch auf den asiatischen Raum zu stellen. Zur selben Zeit begannen die europäischen Staaten ihre Kolonien verfassungsrechtlich an das jeweilige Mutterland zu binden. Die Kolonien, vormals nur lose okkupierte Regionen, wurden nun systematisch erobert, um ihnen die gleiche Rechtsund Wirtschaftsstruktur des Mutterlandes zu geben. Damit entfiel die Unterscheidung zwischen europäischem Staatsgebiet und völkerrechtlichem Status nicht-europäischen Bodens, worauf die Raumstruktur des im bisherigen Sinne spezifischen europäischen Völkerrechts beruhte. „Wenn nun der Boden des Staatsgebiets im Sinne eines solchen europäischen Völkerrechts, wenn also der europäische Boden von außereuropäischem, überseeischem, kolonialem Boden völkerrechtlich überhaupt nicht mehr unterschieden wird, so ist die gesamte Raumstruktur des europäischen Völkerrechts preisgegeben. Denn die Hegung des Krieges hat für den zwischenstaatlichen innereuropäischen Krieg einen wesentlich anderen Inhalt als für koloniale Kriege auf außereuropäischem Boden“ (NE, 194).

9 An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass Schmitt, wie übrigens auch Hegel, Krieg für einen Teil der Politik hält, der deshalb in rechtliche Bahnen gelenkt werden muss.

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4. Die Probleme am Ausgang des Völkerrechts der europäischen Moderne Das Völkerrecht der europäischen Moderne begann sich am Ende des 19. Jahrhunderts aufzulösen. Als Symptome nennt Schmitt das Auftauchen zweier außereuropäischer Staaten, nämlich der Vereinigten Staaten und Japan. Das europäische Völkerrecht wurde in „zahllose und unterschiedslose zwischenstaatliche Beziehungen von fünfzig bis sechzig Staaten der ganzen Erde, d.h einer raumlosen Allgemeinheit aufgelöst“ (VA, 388). An die Stelle einer konkreten Raumordnung trat nach Schmitt ein Vertrags- und Gesetzespositivismus, der in keine umfassende Ordnung mehr eingebunden war. Dieser Prozess verlief schrittweise und wurde offiziell durch die Kongo-Konferenz (1885) eingeleitet. Auf der Kongo-Konferenz ging es aus europäischer Sicht u. a. um die Formulierung der Regeln einer europäischen Landnahme afrikanischen Bodens unter vorsichtiger Wahrung der Souveränität der beteiligten europäischen Staaten (NE, 191). Dass bei dieser Konferenz auch die Vereinigten Staaten und das Osmanische Reich vertreten waren, änderte an dieser grundsätzlichen Herausforderung nichts. Das große Problem, das es zu bewältigen galt, lag vielmehr darin, dass die europäischen Staaten am Ende des 19.Jahrhunderts mehr und mehr dazu übergingen, die jeweiligen Kolonien effektiv zu okkupieren, um sie ganz dem Mutterland einzuverleiben. Dadurch aber wurde die bisherige Raumordnung des europäischen Völkerrechts, die den europäischen von dem nicht-europäischen Boden unterschied, in Frage gestellt. Am Beispiel Belgiens führt Schmitt exemplarisch diese Auflösung der alten Raumordnung vor. Der europäische Boden-Status Belgiens wurde seit 1839 unter der Garantie der europäischen Großmächte durch die Neutralisierung bestimmt. Im Anschluss an den Artikel 10 der Kongo-Akte, der besagte, „dass die Neutralität der kolonialen Besitzungen im Kongobecken solange (aussi longtemps) zu respektieren ist, wie die besitzende europäische Macht neutral ist“, schien es selbstverständlich, dass auch die Neutralität des belgischen Kongobeckens gewahrt bleibt (NE, 194). In der Folgezeit aber ging auch Belgien, genauso wie die anderen europäischen Staaten, zu einer effektiven Okkupation seines „Gebietes über und 1907 erwarb der belgische Staat den ,unabhängigen Kongostaat. Dadurch wurde nicht nur die 1885 mühsam erwirkte Anerkennung des unabhängigen Kongostaates durch die anderen europäischen Mächte überflüssig. Indem der belgische Staat sich als ,Rechtsnachfolger dieses durch effektive Okkupation und nicht durch völkerrechtliche Anerkennung entstandenen unabhängigen Kongo-Staates“ sah, wurde die wichtige grundsätzliche Frage, „ob ein dauernd neutralisierter Staat auf nichteuropäischem Boden Kolonien erwerben könne“, einfach dadurch umgangen, „dass die belgische Regierung sich die Zustimmung der einzelnen europäischen Mächte verschaffte, die die Neutralisierung Belgiens 1839 garantiert hatten. Auf diese Weise wurde eine wesentliche gemeinsame Angelegenheit, die ein echtes europäisches Raumordnungsproblem und die große Frage der He-

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gung eines gesamteuropäischen Krieges in sich schloss, zu einer vertragspositivistischen Einzelfrage des belgischen Außenrechts gemacht“ (NE, 197). Dieser Vorgang war nach Schmitt symptomatisch für die Auflösung der alten europazentrischen Raumordnung, so dass Schmitt nach 1928 den Verfall des Europagedankens konstatieren und kritisch fragen konnte: „Gehört England noch zu Europa oder bildet es nicht viel mehr mit seinen Dominions und Kolonien ein geschlossenes Imperium, dessen Verbindung mit dem europäischem Kontinent unmöglich und schädlich ist? Gehört Spanien dazu, oder ist es nicht enger mit den lateinamerikanischen Staaten als mit Deutschland oder Skandinavien verbunden? Gehört Russland dazu, und ist es richtig, zwischen dem Hauptland der slawischen Völker und den westlichen Slawen einen Unterschied zu konstruieren? Soll Frankreich mit all seinen Kolonien und seiner ganzen militärischen Rüstung eintreten, d. h. die politische und militärische Herrschaft übernehmen? Wird nicht Deutschland durch seine wachsende Verschuldung mehr an die Vereinigten Staaten von Amerika als an irgendeinen seiner feindlichen und misstrauischen Nachbarn gewiesen? Oder reduziert sich das ganze Problem Europa schließlich nur auf eine deutsch-französische Verständigung, vielleicht sogar nur auf die Bildung eines Wirtschaftskomplexes, der Westdeutschland, Nord- und Ostfrankreich, Belgien und Luxemburg umfasst“ (PB, 88 – 89).10 Am Anfang der Auflösung des europäischen Völkerrechts steht nach Schmitt die Gründung des Genfer Völkerbundes und ein von den Vereinigten Staaten neu eingeführter Kriegsbegriff, der im Versailler Vertrag in dem Kriegsschuldartikel seinen Niederschlag fand. Die Vereinigten Staaten haben, wie oben bereits angedeutet, mit der Monroedoktrin aus dem Jahr 1823 ein neues Element in das Völkerrecht hineingetragen, welches die europazentrische Raumordnung überging. Diese Doktrin war eigentlich nur eine Regierungserklärung der Vereinigten Staaten, eine Botschaft des amerikanischen Präsidenten im Jahr 1823. Sie ist weder ein Vertrag noch mit anderen Staaten direkt vereinbart. „Die Vereinigten Staaten haben sie, wie Wilson 1916 betont hat, auf Grund ihrer eigenen Autorität von sich aus verkündet und legen großen Wert darauf, das getan zu haben. Denn daraus folgt, dass die Definition und die Interpretation der Monroedoktrin ausschließlich eine Sache der Vereinigten Staaten ist“ (PB, 167). In der Folgezeit wurde die Monroedoktrin, welche die Nichtintervention europäischer Mächte auf dem amerikanischen Boden festlegt, zu einem integralen Bestandteil nicht nur der amerikanischen Außenpolitik, sondern auch des Völkerrechts. Sie ist in allen Verträgen der Vereinigten Staaten wenigstens als Vorbehalt anerkannt und im Artikel 21 des Genfer Völkerbundes ausdrücklich anerkannt worden. Die Monroedoktrin mit ihrer Unterscheidung zwischen amerikanischem Kontinent und der alten Welt führte eine neue Raumordnung der Erde ein. Die eigene, west10

Schmitt erfasst die Zerrissenheit Europas vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 sehr genau. Aus heutiger Sicht zeigt sich, dass mit dem Entstehen der Europäischen Union ein tragfähiger übergreifender Verbund in Europa entstanden ist, der eine Antwort auf das Problem der Auflösung des jus publicum Europaeum ist.

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liche Hemisphäre ist die „unverdorbene, von der Korruption der alten Welt noch nicht infizierte neue Welt“ und muss so „natürlich auch völkerrechtlich in einer anderen Lage sein als die korrupte alte Welt, die bisher der Mittelpunkt, Träger und Schöpfer des europäisch-christlichen Völkerrechts, des Jus publicum Europaeum war“ (NE, 264). Während Europa im 19. Jahrhundert aus amerikanischer Sicht ein Kontinent der Unfreiheit war, so war das eigene Land der Hort der Freiheit, auf dem „erst die Bedingungen gegeben sind, die als normale Situation sinnvolle Haltungen und ,habits, Recht und Frieden ermöglichen“ (NE, 265). Dennoch blieb im 19. Jahrhundert das Völkerrecht der europäischen Moderne von dieser Entwicklung noch weitgehend unberührt. Unterdessen führten die Vereinigten Staaten auf ihrem Territorium das neue politische Prinzip der Intervention ein. In der Ausweitung der Monroedoktrin auf den gesamten amerikanischen Kontinent sprachen sie sich das Recht zu, ihren „Verfassungsstandard“ auf den gesamten Kontinent auszudehnen. Ähnlich wie bereits die Jakobiner in den Revolutionskriegen gingen die Vereinigten Staaten davon aus, auf ihrem Kontinent das Recht der Freiheit gemäß der Verfassung überall durchzusetzen. Hierfür mussten sie das Prinzip der Intervention einführen, welches sie in mehrere Verträge aufnahmen. Die Vereinigten Staaten schlossen Verträge mit solchem Inhalt, die es ihnen unter juristisch formulierten Abmachungen erlaubten, in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzugreifen. So weiteten die Vereinigten Staaten das Privileg der Intervention zuerst auf Staaten Mittelamerikas aus. In einem Vertrag mit Kuba wurde das Prinzip der Intervention erstmals aufgenommen. Kuba gab den Vereinigten Staaten das Recht zur Intervention, „und zwar für die Erhaltung der Unabhängigkeit Kubas, ferner zu der Sicherung einer kubanischen Regierung, die imstande ist, Leben, Eigentum und persönliche Freiheit zu schützen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Kuba aufrechtzuerhalten, endlich zur Sicherung gewisser finanzieller Forderungen“ (PB, 170). Die Begründung für eine mögliche Intervention, die Sicherung von Leben, Eigentum und persönlicher Freiheit weisen bereits einen Schritt in die Richtung des liberalen Verfassungsstaates. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts drangen Begriffe wie Verfassung, Parlament und Pluralismus auch im politischen, öffentlichen Leben der meisten europäischen Länder in den Vordergrund. Diese grundlegende Umwälzung konnte nicht ohne Rückwirkung auf das Völkerrecht bleiben. Deshalb entsprach es der inneren Logik dieses Prozesses, dass auch das Völkerrecht auf die Grundlage dieser neuen Standards gestellt wurde. D.h. aber, dass hier ein neuer Kompromiss auftauchte, der an die Stelle der alten Raumordnung als gemeinsamer Nenner fungieren konnte. Doch der Zwiespalt der Monroedoktrin und die schwankende Haltung der Amerikaner verhinderten eine konkrete Umsetzung dieses neuen Völkerrechtsgedankens.

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Der Zwiespalt der Monroedoktrin, die ja auch die Nichteinmischung der Amerikaner in europäische Angelegenheiten vorsah, trat im Ersten Weltkrieg und dann im Genfer Völkerbund offen zu Tage. Zu Kriegsbeginn (1914) hatten es die Vereinigten Staaten abgelehnt, sich in irgendeine europäische Angelegenheit einzumischen. 1917 sind sie dann trotzdem an der Seite Englands und Frankreichs in den Krieg eingetreten und haben aus dem europäischen einen wirklichen Weltkrieg gemacht. Als nur assoziierte (nicht alliierte) Macht haben sie durch den vom Versailler Vertrag getrennten Frieden mit Deutschland ihre Besonderheit gegenüber Europa zum Ausdruck gebracht (PB, 166). Nach dem Krieg gehörten die Amerikaner auch zu den Förderern eines neuen Völkerbundes, dem sie dann aber selber nicht beigetreten sind. Allerdings wurde in Art.21 der Genfer Satzung die Monroedoktrin in das neue Völkerrecht aufgenommen und damit praktisch der Vorrang, den die Amerikaner der Monroedoktrin gegenüber „Genf“ zubilligten, zum Ausdruck gebracht. Dadurch blieb das Problem des Verhältnisses von Europa zu den Vereinigten Staaten ungelöst. Während sich die Amerikaner indirekt die Möglichkeit offen ließen, in europäische Angelegenheiten einzugreifen, wurde dies den Europäern gegenüber Amerika untersagt. Allerdings übernahm Amerika quasi die Funktion eines Führers der neuen, freien Welt, die ihre Legitimität in der Idee des demokratischen Verfassungsstaates fand. Auf der anderen Seite der Erde hatte die alliierte Hauptmacht Japan bereits ihr Interesse für Ostasien angemeldet und die dritte Großmacht, die Sowjetunion, war ganz abwesend (NE, 213). Europa war endgültig aus der Mitte der Erde verschwunden und nicht mehr Führer von Fortschritt und Freiheit. Das Zentrum der Erde wanderte nach Westen zu den Vereinigten Staaten. Somit löste sich das Völkerrecht der europäischen Moderne auf, ohne dass nach Schmitt eine neue konkrete Raumordnung an dessen Stelle getreten war. Eine weitere gewichtige Veränderung des Völkerrechts trat nach Schmitt durch den Kriegsschuldartikel des Versailler Vertrages ein. Im Prinzip setzte sich hier der von den Vereinigten Staaten entwickelte Interventionsgedanke fort, der besagt, dass die Vereinigten Staaten das Recht haben, sich in die inneren Angelegenheiten eines Staates und damit dessen Souveränität einzumischen, wenn Leben, Eigentum und persönliche Freiheit der Bürger nicht mehr garantiert werden können. Allerdings wurde der Interventionsgedanke nun in Bezug auf den Krieg selbst umgedeutet, indem die Frage nach der Berechtigung des Krieges gestellt wurde. Indem der Versailler Vertrag im Art.227 Kaiser Wilhelm II. und Deutschland zum alleinigen Verantwortlichen des Krieges erklärte, wurde die Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem Krieg in das Völkerrecht eingeführt, die dem europäischen Völkerrecht fremd war. Der Krieg zwischen souveränen, gegenseitig sich anerkennenden und ihr Kriegsrecht ausübenden Staaten wurde eben nicht als Verbrechen angesehen. Nun wurde die Frage nach dem Kriegsverbrecher gestellt und damit die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff eingeleitet. Die Präambel der Satzung des Genfer Völkerbundes stellte bereits fest, dass sich jeder Staat, der dem Völkerbund beitrat, verpflichtete, auf den Krieg als Mittel der

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Politik zu verzichten. Alle politischen Streitigkeiten sollten von nun an auf friedlichem Wege gelöst werden. Deshalb musste der Krieg völkerrechtlich diskreditiert werden. Dies konnte nur durch dessen Kriminalisierung gelingen. Der Angreifer, d. h. derjenige, der einen Krieg auslöst, muss eo ipso ungerecht sein und außerhalb der Völkergemeinschaft gestellt werden.11 Gleichzeitig muss damit die Frage nach der Legitimität einer Regierung gestellt werden, um eine Handhabung für den neuen Kriegsbegriff und das Prinzip der Intervention zumindest theoretisch zu haben. Im Prinzip entschied man sich dafür, nur solche Regierungen anzuerkennen, die im Sinne einer demokratischen Verfassung legal waren. Durch die „Kriminalisierung“ des Kriegsbegriffs wird aber nach Schmitt der Krieg noch grausamer, da der Gegner zum absoluten Feind degradiert wird, der vernichtet werden muss. Durch die Normativierung des demokratischen Verfassungsstaates wird der Staatenkrieg in einen Weltbürgerkrieg, der auf Intervention und Polizeiaktion beruht, umgewandelt. „Dem europäischen Bürgerkrieg des zwischenstaatlichen Zeitalters“, so Schmitt, „ist im 18. und 19. Jahrhundert eine Hegung des Krieges gelungen. Der Kriegsgegner wurde als justus hosti anerkannt und vom Rebellen, Verbrecher und Piraten unterschieden. Der Krieg verlor den Strafcharakter und seine punitiven Tendenzen in demselben Maße, in welchem die Diskriminierung zwischen einem gerechten und einem ungerechten Teil aufhörte. Die Neutralität konnte eine echte Institution des Völkerrechts werden, weil die Frage der gerechten Strafe, der justa causa, für das Völkerrecht juristisch irrelevant wurde“ (NE, 285). „Indem man heute den Krieg“, so Schmitt, „in eine Polizeiaktion gegen Störenfriede, Verbrecher und Schädlinge verwandelt, muss man auch die Rechtfertigung der Methoden dieses ,policy bombing steigern. So ist man gezwungen, die Diskriminierung des Gegeners ins Abgründige zu übertreiben“ (NE, 299).12 Zusammenfassend bestehen also nach Schmitt am Ausgang des Völkerrechts der europäischen Moderne die drei folgenden grundsätzlichen Probleme: 1. Der Mangel einer neuen konkreten Raumordnung. 2. Ein zwiespältiger Universalismus, der durch die konkrete Entscheidung (quis judicabit) in ein Instrument politischer Macht umgewandelt wird. 3. Eine Intensivierung des Krieges durch die Kriminalisierung des Kriegsbegriffs und der Übergang vom Staatenkrieg zum Weltbürgerkrieg. 11

Man sieht an diesen Ausführungen, wie sehr Schmitt indirekt versucht, die Behandlung Deutschlands nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zu verurteilen. Hier zeigt er kein Verständnis für die im deutschen Namen begangenen Verbrechen. Allerdings ist die Frage des gerechten Krieges als Teil des Völkerrechts nach 2003 durch die Intervention der USA im Irak wieder aktuell geworden und hat von seiner Problematik nichts verloren. 12 Die Aktualität dieser Ausführungen zeigt sich zum Beispiel an der Außenpolitik der USRegierung unter Georg W. Bush (2000 – 2008) und der ideologischen Rechtfertigung der Irakintervention durch die Theorie der „Achse des Bösen“.

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Diese Probleme beziehen sich der zeitlichen Analyse nach im Wesentlichen auf die Periode des Genfer Völkerbundes. Schmitt hat aber auch später daran festgehalten, so auch in seiner letzten Veröffentlichung „Die legale Weltrevolution“, wo er von der Umwandlung der Weltpolitik in eine Weltinnenpolitik mit einer Weltpolizei spricht und dies als einen „zweifelhaften Fortschritt“ bezeichnet“ (LW, 329).13 Diese Kritik ergibt sich daraus, dass nach Schmitt jede Ordnung, so auch das Völkerrecht, immer eine konkrete Ordnung ist. Ein philosophisch oder juristisch legitimierter Universalismus muss in der Politik seine konkrete Anwendung finden. Das Politische erweist hier seine Überlegenheit gegenüber dem Philosophischen oder Juristischen. Die beiden letzten können praktisch der Entscheidung oder der konkreten Umsetzung weichen. Das Politische kann dies nur unter dem Vorbehalt seiner Selbstaufgabe. Damit aber wird das Politische nicht abgeschafft, sondern andere Mächte bedienen sich seiner, um ihre Ziele durchzusetzen. Ein Universalismus ist somit nach Schmitt, wenn er auch im Wesentlichen von einem Land bestimmt wird, immer auch ein wichtiger machtpolitischer Faktor. Denn Begriffe existieren nach Schmitt immer nur in Raum und Zeit und erhalten dort ihre konkrete Bedeutung. Wenn die Entscheidung über die zentralen politischen Begriffe aber von einer Macht im Wesentlichen okkupiert wird, ist die Möglichkeit des Missbrauchs gegeben.

II. Politische Romantik: Die Entdeckung der Moderne Schmitt interessiert sich für die Romantik, weil er in ihr das Wesen der modernen bürgerlichen Gesellschaft erkennt. Er unternimmt den Versuch, diese geistige Bewegung auf politische Normen zu reduzieren, um so ihr wahres Wesen zum Vorschein zu bringen. Dabei lässt er von Anfang an keinen Zweifel, dass er dieser Bewegung ablehnend gegenübersteht. Die ästhetische Seite der Romantik interessiert ihn nur wenig, wie er überhaupt den von den Romantikern selbst proklamierten Theorien über Recht, Politik, Gesellschaft nur wenig Aufmerksamkeit schenkt, da sie in seinem Verständnis gar keine Theorien sind. Romantik erschöpft sich nach Schmitt im Kult der eigenen Subjektivität. Sie versucht, den von der Aufklärung proklamierten Rationalismus philosophisch zu entkräften, indem das Irrationale philosophisch erklärt werden soll. Dies ist nach Schmitt ein regressus in infinitum, da das Irrationale philosophisch nicht erklärt werden kann. Das Irrationale liegt nach Schmitt vor aller Rationalität, nämlich in der Theologie. Es ist nicht unvernünftig, sondern übervernünftig und macht Rationalität erst möglich, da durch sie erst Rationalität in seiner spezifischen Form und mit einem spezifischen Zweck entsteht. Indem die Romantiker versuchen, das Irrationale philosophisch zu erklären, bleiben sie ganz im Irrationalen be13

Schmitt hat die Entwicklungen und den Aufstieg Chinas in seinem Denken nicht mehr berücksichtigt. Allerdings hat er die Problematik einer einseitigen Weltinnenpolitik gesehen und heute ist die Frage nach einer multipolaren Welt eine mögliche Gegenentwicklung zu den Tendenzen des 20. Jahrhunderts.

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fangen. Deshalb können sie weder eine Theorie des Rechts, noch sonst irgendeine Theorie entwickeln. Dies ist für Schmitt der Brückenschlag zur bürgerlichen Gesellschaft und ihrer politischen Doktrin, dem Liberalismus. Schmitt deckt in seinen Untersuchungen über die Romantik auf, dass sie und die bürgerliche Gesellschaft, so Schmitt, sich in dem Kult des Eigenen und der Unfähigkeit zur begrifflichen Durchdringung der Wirklichkeit treffen.14

1. Ursprung und Wesen der Romantik Indem Schmitt die Romantik auf politische Normen reduziert, gelingt es ihm, ihre Ursprünge aufzudecken und sie als geistige Physiognomie der bürgerlichen Gesellschaft zu entlarven. Der Kult des Subjektiven, die Ablehnung einer äußeren, ursächlichen Wirklichkeit verfolgt Schmitt zurück bis Descartes, mit dem die Erschütterung des alten ontologischen Denkens beginnt. Seine Argumentation ,cogito ergo sum „wies den Menschen an einen subjektiven Vorgang, an sein Denken, statt an der Realität der Außenwelt“ (PR, 78). Die gesamte moderne Philosophie ist nach Schmitt „von einem Zwiespalt zwischen Denken und Sein, Begriff und Wirklichkeit, Geist und Natur, Subjekt und Objekt beherrscht, den auch die transzendentale Lösung Kants nicht behoben hat“ (PR, 78). Kant hatte zwar nachgewiesen, dass die Objektivität des Denkens darin besteht, dass es sich in objektiv gültigen Normen bewegt, aber das Ding an sich und damit die Realität der Außenwelt konnte damit nicht erfasst werden. Die nachkantische Philosophie griff, um die Unerklärlichkeit, die Irrationalität des wirklichen Seins aufzuheben, bewusst nach dem Wesen der Welt (PR, 78). Fichte wollte den Zwiespalt durch ein absolutes Ich, das sich selbst und seinen Gegensatz, das Nicht-Ich, setzt, überwinden. Schellings Antwort war im Vergleich mit dieser systematischen Einfachheit unsicher, entsprach aber mit seiner Hinwendung zur Natur als äußerer Realität, die man suchte, eher den Erwartungen der nachkantischen Philosophie. Da er jedoch vom transzendentalen Kritizismus ausging, konnte er die Natur als absolute Realität nicht anerkennen. Er blieb dem alten Dichotomiedenken verhaftet. Er bezeichnete das „Absolute als weder subjektiv noch objektiv, sondern als den Indifferenzpunkt beider; die absolute Vernunft hatte zwei Pole, Natur und Geist, die philosophische Realität ist weder die denkende Intelligenz noch die Außenwelt, sondern ein indifferentes absolutes Drittes, das ,Vernunft zu nennen, schon wieder eine unsichere Neigung zur Subjektivität beweist“ (PR, 79). Erst in Hegels Philosophie, so Schmitt, „ist die große systematische Vollendung erreicht: das absolute Subjekt emaniert, werdend, sich selbst in Gegensätzen“ (PR, 80). Schmitt erkennt, dass das Dichotomiedenken seit Descartes die moderne Philosophie beherrscht. Das grundsätzliche Problem dieser Philosophie sieht er darin, dass sie die äußere Realität als Fixpunkt verloren hat und seitdem unaufhörlich auf der 14 Es sei kurz daran erinnert, dass Hegel in ähnlicher Weise den Liberalismus ablehnt, da er Staat und Vernunft durch die einseitige Betonung des Individuums entkräfte.

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Suche nach einem adäquaten Ersatz ist, der den gleichen absoluten Wahrheitsanspruch gewährt wie die oberste Realität der alten Metaphysik, Gott. Bei Kant ist die objektive Realität ganz in das Subjekt verlegt. Hier vollzieht sich der Umschwung, die erneute Suche nach einer absoluten Realität der Außenwelt. Hegel ist der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung, indem er versucht, Subjekt und Objekt miteinander zu versöhnen. Zwar gelingt hier nach Schmitt auch nicht die Rückkehr zum alten ontologischen Denken, weil auch bei Hegel das Ich absolutes Zentrum bleibt. Dennoch bleibt diese Philosophie mit dem Verweis auf die Außenwelt immer noch rational, wenn auch in einem anderen Sinn als die Philosophie Descartes. Die Systeme des nachkantischen Idealismus wenden sich gegen den nur abstrakten Rationalismus Descartes. Sie enthalten „eine Intuitionsphilosophie und einen pantheistischen Rationalismus“ und reagieren gegen jenen Rationalismus, der „nur analytisch-abstrakte, deshalb nie zur konkreten Individualität gelangenden Begriffe kennt“, mit einem emanatistischen, „d. h. die konkrete Individualität setzenden Begriff“ (PR, 80). Hier konnten sich die Romantiker der pantheistischen Philosophie anschließen. Auch sie gingen vom Subjekt aus und versuchten, die Welt nicht von seiner äußeren Realität, sondern vom emanierenden Subjekt zu erkennen. Im Gegensatz zur nachkantischen Philosophie konnte jedoch die Romantik jede Form von Rationalismus hinter sich lassen, da sie eben keine philosophische, sondern eine lyrische Bewegung war. Dieselben Begriffe enthielten deshalb eine neue, ganz andere Bedeutung. Den eigentlichen Ursprung der Romantik erkennt Schmitt in einer gefühlsmäßigästhetizistischen (lyrischen) Bewegung, deren erster selbständiger Ausdruck bei Shaftesbury zu finden ist. „Sie stellt kein philosophisches System auf, verwandelt vielmehr die Gegensätze, die sie sieht, in eine ästhetisch ausbalancierte Harmonie, mit anderen Worten, sie bringt den Dualismus nicht zu einer Einheit, löst aber die Gegensätze, die sie sieht, in eine ästhetisch ausbalancierte Harmonie, mit anderen Worten, sie bringt den Dualismus nicht zu einer Einheit, löst aber die Gegensätze in ästhetische oder in gefühlsmäßige Kontraste, um sie dann zu verschmelzen“ (PR, 82). Shaftesbury weist mit Spinozas Pantheismus Ähnlichkeiten auf, indem er daran festhält, dass eine Weltenseele den einheitlichen und zewckmäßigen Zusammenhang des Universums ermöglicht. Das Universum selbst ist ein lebendig Beseeltes und göttliches Ganzes, eine Idee, der der „naturenden Natur“ Spinozas nahe steht. Aber Shaftesbury geht weit über Spinoza hinaus, indem er die Natur selbst ästhetisiert: „O herrliche Natur! Über alles schön und gut! Allliebend, allliebenswürdig, allgöttlich! Deren Blicke so unwiderstehlich reizend, so unendlich bezaubernd sind; deren Erforschung so viel Weisheit, deren Betrachtung so viel Wonne gewährt; deren kleinstes Werk eine reichere Szene, ein edleres Schauspiel darstellt als alles, was je Kunst erfand“.15 Die Natur ist für Shaftesbury etwas Unerforschliches. Ihr Wesen ist unbegrenzt, unerforschlich, undurchdringlich. Er betrachtet die Natur unter dem Gesichtspunkt des künstlerischen Vermögens. Nur von diesem Punkt aus ist seine angewandte Personifikation der Natur zu verstehen. In der Natur wirkt die ursprüngliche allver15

Shaftesbury, zitiert nach Dilthey (1970), S. 172.

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breitende, alles belebende Seele des Universums, das unermessliche Wesen, als eine künstlerisch bildende Kraft.16 Die Natur erhält eine eigene Persönlichkeit, die sich in der Entwicklung nur graduell vom Menschen unterscheidet. Solch eine Betrachtungsweise lässt eine Metaphysik, die den Grund des Universums durch Begriffe adäquat erfassen möchte, nicht mehr zu. Die Natur verliert ihre objektive Bestimmung und öffnet sich den Vorstellungen und Wünschen des Betrachters. Die Eigenart dieser ästhetizistisch-gefühlsmäßigen Betrachtung tritt bei Rousseau hervor: „die ,Natur, eine durchaus rationale Vorstellung der überlieferten Philosophie, ein Synonym für das begriffliche, rationale ,Wesen, für Vernunft und Gesetzmäßigkeit, erhält einen sentimentalen Inhalt; der als eine bewusste Abstraktion oder als historisches Faktum behandelte ,Naturzustand der früheren Philosophie wird zu einer konkreten, in Wald und Feld sich abspielenden Idylle, zu einer ,imagination romanesque“ (PR, 84). Diese Umdeutung der Natur drückt nach Schmitt das spezifisch romantische Lebens- und Naturgefühl aus. Es löst alle philosophischen Begriffe und Systeme auf und vermischt sich mit sentimentalen Zeitbegriffen. Die spezifische Produktivität des Romantikers ist die Lyrik, die in einer Umschreibung der Wirklichkeit stehen bleibt. Schmitt erkennt hierin einen politischen Irrationalismus, den er auf das Heftigste bekämpft. Die rationale Mechanik der Zeit soll durch eine neue Religion, ein neues Welt- und Lebensgefühl ersetzt werden. Die Romantiker sprechen von neuen, unbegrenzten Möglichkeiten einer neuen Schöpfung. Dabei merken sie nicht, dass sie mit ihrem politischen Irrationalismus bereits jeden Bezug zu einer objektiven Setzung verloren haben. Eine solche Haltung findet Schmitt zuerst in den Systemen der so genannten Occasionalisten, bei Graud de Cordemay, Geulinex und Malebranche. Sie setzen nach Schmitt in ihren Systemen die „occasio“ an einen entscheidenden Punkt ihrer metaphysischen Konstruktion, ohne diese jedoch genauer zu bestimmen (PR, 123). Hiermit ist nach Schmitt ein neuer Typus metaphysischer Tradition aufgetreten. Alles, was in der Welt vor sich geht, ist nur ein Anlass. Doch gingen die „Occasionalisten“ noch nicht so weit, den Anlass selbst beliebig zu deuten. Für sie ist alles, was ist, „ein Anlass für Gott, in welchem sich Ordnung und Gesetz wiederfinden“ (PR, 124). Doch mit einer solchen Haltung kann der bestehende Dualismus nicht erklärt werden. Der Occasionalist lässt ihn bestehen, macht ihn aber illusorisch, indem er in ein umfassendes Drittes, nämlich Gott, ausweicht (PR, 126). Die irdische, wesentlich wirksame Göttlichkeit ist nur eine Occasio für die allein wesentlich wirksame Göttlichkeit. Damit ist immer noch eine gewisse Bindung und Objektivität möglich. Dies ändert sich, „wenn das isolierte und emanzipierte Individuum seine occasionelle Haltung verwirklicht. Jetzt erst entfaltet das Occasionelle die ganze Konsequenz seiner Ablehnung jeder Konsequenz. Jetzt erst kann wirklich alles zum Anlass für alles werden und wird alles Kommende, alle Folge in einer abenteuerlichen Weise unberechenbar“, und gerade darin liegt der große Reiz jener Haltung. „Denn sie macht es möglich, irgendei16

Dilthey (1957), S. 397 ff.

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nen konkreten Punkt zum Ausgang zu nehmen, um von ihm aus – je nach der Individualität des einzelnen Romantikers […] – ins Grenzenlose und Unfassbare zu schweifen. Jetzt erst zeigt sich, wie sehr das Occasionelle die Relation des Phantastischen ist und auch – wiederum nach der Individualität des einzelnen Romantikers verschieden – die Relation des Rausches oder des Traumes, des Abenteuers, des Märchens und des zauberhaften Spiels. Aus immer neuen Gelegenheiten entsteht eine immer neue, aber immer nur occasionelle Welt, eine Welt ohne Substanz und ohne funktionelle Bindung, ohne feste Führung, ohne Konklusion und ohne Definition, ohne Entscheidung, ohne letztes Gericht, unendlich weitergehend, geführt nur von der magischen Hand des Zufalls, the magic hand of chance. In ihr kann der Romantiker alles zum Vehikel seines romantischen Interesses machen und – auch hier bald harmlos, bald perfide – die Illusion haben, dass die Welt nur ein Anlass ist“ (PR, 24 – 25). Darin unterscheidet sich der „Romantiker“ von dem „Occasionalisten“. Der Romantiker hat jede Bindung und Norm verloren. Nur was von ihm zum Gegenstand seines schöpferischen Interesses gemacht wird, hat wahre Realität. In diesem Sinn definiert Schmitt die Romantik als „subjektiven Occasionalismus, d. h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlass und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität (PR, 23). „Die Romantik ist subjektiver Occasionalismus, weil ihr eine occasionelle Beziehung zur Welt wesentlich ist, statt Gottes aber nunmehr das romantische Subjekt die zentrale Selle einnimmt und aus der Welt und allem, was in ihr geschieht, einen bloßen Anlass macht“ (PR, 24). Von hier aus wird deutlich, warum die „Struktur des romantischen Geistes von Descartes ausging, der von der Argumentation, dass ich bin, weil ich denke, von dem Schluss vom Denken auf das Sein, zu der Unterscheidung von innerlich und äußerlich, Seele und Leib, res cogitans und res extensa geführt wurde. Daraus ergaben sich die logischen und metaphysischen Schwierigkeiten, beides miteinander in Einwirkung zu bringen und die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib zu erklären. Die occasionalistische Lösung, die in den Systemen von Graud de Cordemoy, Geulinex und Malebranche unternommen wurde, beseitigte die Schwierigkeiten dadurch, dass sie Gott als die wahre Ursache jedes einzelnen psychischen und physischen Vorgangs ansah. Gott bewirkt die unerklärliche Übereinstimmung seelischer und körperlicher Erscheinungen; alles zusammen, der Bewusstseinsvorgang, der Willensantrieb und die Muskelbewegung sind bloßer Anlass für Gottes Tätigkeit“ (PR, 124 – 125). Die Romantiker steigern das Descartessche Prinzip des „Ich denke, also bin ich“ zum Extrem, weil sie keine äußere Bindung mehr anerkennen und jede Ursächlichkeit ihren Bezugspunkt nur noch im denkenden Subjekt findet. Wieweit sie dieses Prinzip trieben, macht Schmitt in ihrem Umgang mit den zwei Realitäten der neuen Ontologie deutlich.

2. Die metaphysische Struktur der Romantik Der transzendente Gott, die höchste und sicherste Realität der alten Metaphysik, war beseitigt. Für die weitere geistesgeschichtliche Bestimmung der Romantik ist in

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diesem Zusammenhang für Schmitt neben der Auflösung der alten Ontologie noch etwas zu beachten: „[…] eine Änderung, die dadurch eintrat, dass die metaphysische Entwicklung vom 17. zum 19. Jahrhundert zu ganz neuen Vorstellungen von Gott und dem Absoluten führte“ (PR, 86). Als letzter Legitimationspunkt in der historischen Wirklichkeit treten zwei neue Realitäten auf und setzen eine neue Ontologie durch: „Völlig irrational, wenn man sie mit der Logik der rationalistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts betrachtet, aber objektiv und evident in ihrer überindividuellen Geltung, beherrschen sie in realitate das Denken der Menschheit als die beiden neuen Demiurgen“ (PR, 86 – 87). Der revolutionäre Demiurg ist die Menschheit, deren verschiedene Gestalten als Volk, Gesellschaft und Gemeinschaft wirksam werden. Seine Allmacht wurde im Contract social von Rousseau proklamiert. Der konservative Demiurg ist die Geschichte. „Sie ist der konservative Gott, der restauriert, was der andere revolutioniert hat, sie konstituiert die allgemeine menschliche Gemeinschaft zum historisch konkretisierten Volk, das durch diese Begrenzung zu einer soziologischen und historischen Realität wird und die Fähigkeit erhält, ein besonderes Recht und eine besondere Sprache als Äußerung seines individuellen Nationalgeistes zu produzieren“ (PR, 91). Dieser Übergang zu den beiden neuen Realitäten vollzieht sich in der Französischen Revolution. Die Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts kennt noch den Gottesbegriff und die Transzendens Gottes gegenüber der Welt (PT, 63). Der Monarch in der Staatslehre des 17. Jahrhunderst wird mit Gott identifiziert. Er (der Monarch) hat im Staat die genau analoge Position, „die dem Gott des Kartesianischen Systems in der Welt zukommt“ (PT, 60). Auch das 18. Jahrhundert bleibt nach Schmitt im Bereich des Politischen weitgehend personalistisch: „Der Weltbaumeister ist gleichzeitig Urheber und Gesetzgeber, das heißt legitimierende Autorität. Während der ganzen Aufklärung bis zur Französischen Revolution ist ein solcher Welt- und Staatsbaumeister der ,lgislateur“ (PT, 61). Erst die Französische Revolution bricht mit dem alten ontologischen Denken und alle Bezüge zum Theologischen werden abgebrochen. Indem Schmitt die beiden neuen Realitäten als Demiurgen bezeichnet, gibt er ein vernichtendes Urteil über sie Preis. Er stempelt sie damit zu blinden, unvernünftigen Schöpfern, zu dämonischen Größen.17 In der Ablehnung des Theologischen sieht Schmitt den eitlen Versuch des Menschen, sich an die Stelle Gottes zu setzen und er befürchtet, „dass mit dem Theologischen das Moralische, mit dem Moralischen die politische Idee verschwindet und jede moralische und politische Entscheidung paralysiert wird in einem paradiesischen Diesseits unmittelbaren, natürlichen Lebens und problemloser ,Leibhaftigkeit“ (PT, 82). Schmitt setzt den Romantikern die Staatsphilosophen der Gegenrevolution, Bonald, de Maistre und Donoso Corts entgegen, um ihren metaphysischen Kern aufzu17 Ball, S. 272. Der Aufsatz Balls über Carl Schmitts Theologie ist zwar bereits 1924 erschienen, ist aber eine – vielleicht gerade deshalb – hervorragende Studie von Schmitts Denkansatz.

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decken. „Den deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung eigentümlich: das ewige Gespräch; Novalis und Adam Müller bewegen sich darin als der eigentlichen Realisierung ihres Geistes“ (PT, 69). Die katholischen Staatsphilosophen, die man in Deutschland Romantiker nennt, weil sie konservativ oder reaktionär waren und mittelalterliche Zustände idealisierten, „hätten ein ewiges Gespräch wohl eher für ein Phantasieprodukt von grausamer Komik gehalten. Denn was ihre gegenrevolutionäre Staatsphilosophie auszeichnet, ist das Bewusstsein, dass die Zeit eine Entscheidung verlangt, und mit einer Energie, die sich zwischen den beiden Revolutionen von 1789 und 1848 zum äußersten Extrem steigert, tritt der Begriff der Entscheidung in den Mittelpunkt ihres Denkens“ (PT, 69). Nach Bonald ist der Verstand des Einzelnen zu schwach und zu elend, um von sich aus Wahrheit zu erkennen (PT, 70). Der Gang der Menschheit durch die Geschichte gleicht einer „Herde von Blinden, geführt von einem Blinden, der sich an einem Stock weitertastet“ (PT, 70). Bonald sieht nur „die Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, zwischen denen auf Leben und Tod ein Entweder-Oder besteht, das keine Synthese und kein ,höheres Drittes kennt“ (PT, 71). In einem solchen Denken kann kein Glaube an die Tradition aufkommen wie in Schellings Naturphilosophie oder die Hoffnung auf eine Versöhnung wie in Hegels Geschichtsphilosophie. Für de Maistre ist die Entscheidung das Merkmal der Souveränität: „Der Wert des Staates liegt darin, dass er eine Entscheidung gibt, der Wert der Kirche, dass sie letzte inappellabele Entscheidung ist. Infallibilität ist für ihn das Wesen der inappellabelen Entscheidung und die Unfehlbarkeit der geistlichen Ordnung mit der Souveränität der staatlichen Ordnung wesensgleich“ (PT, 71). Deshalb bejaht er die Obrigkeit, weil in der „bloßen Existenz einer obrigkeitlichen Autorität eine Entscheidung liegt und die Entscheidung wiederum als solche wertvoll ist, weil es gerade in den wichtigsten Dingen wichtiger ist, dass überhaupt entschieden werde, als wie entschieden wird“ (PT, 71).18 Dieses Entweder-Oder, das in der Entscheidung kulminiert, verdichtet sich bei Donoso Corts zur letzten großen Entscheidungsschlacht. Er war überzeugt, so Schmitt, „dass der Augenblick des letzten Kampfes gekommen war; angesichts des radikal Bösen gibt es nur die Diktatur, und der legitimistische Gedanke der Erbfolge wird in einem solchen Augenblick leere Rechthaberei“ (PT, 83). Die ganze Wucht seiner Kritik, mit der sich Schmitt identifiziert, trifft die liberale Bourgeoisie. Donoso Corts hatte in der Krise von 1848 Dezision über Diskussion gestellt und behauptet, die liberale Bourgeoisie sei eine „classa discutidora“. Die diskutierende bürgerliche Klasse ist für ihn „ohne Wahrheit, Leidenschaft und Heldentum. Sie schafft den Geburtsadel ab, tut aber nichts gegen die neue Geldaristokratie; sie will weder Souveränität des Königs noch die des Volkes. Aus Hass gegen die Aristokratie wird sie nach links getrieben, und aus Angst vor dem radikalen Sozialismus

18 In diesen Ansätzen Schmitts, die er bereits zu Beginn der 1920er Jahre entwickelt, findet sich bereits versteckt die Argumentation für seine spätere so berüchtigte Verteidigung Hitlers bezüglich des Röhm-Putsches in seinem Artikel „Der Führer schützt das Recht“.

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nach rechts“.19 Deshalb, und hier knüpft Schmitt in seiner Politischen Theologie an, „vertritt Corts die politische Theologie der Gegenrevolution, der die Französische Revolution, die den Menschen und das Volk für souverän erklärte, als ein Aufstand gegen die Schöpfungsordnung erschien. Weil aber die Zeit der christlichen Könige zu Ende geht und niemand mehr den Mut hat, anders als durch den Willen des Volkes zu regieren, gibt es nur noch ein Heilmittel: die Diktatur der Regierung von oben zur Verhinderung der des Aufruhrs von unten.“20 In Wirklichkeit gehe es nämlich nicht, wie die Ideen der Französischen Revolution suggerierten, um die Entscheidung zwischen Freiheit und Diktatur, sondern um die zwischen der Diktatur der Aufruhr und der Diktatur der Regierung. Corts entschied sich für die letztere, weil sie weniger schmerzlich sei. Er empfand die Umbrüche, die durch die Französische Revolution hervorgerufen worden waren, als eine Auflehnung gegen die Schöpfungsidee mit ihrer hierarchischen Ordnung. Nur sie gewähre dem Menschen das größtmögliche Maß an Freiheit, da sie die Politik auf das Notwendigste beschränke. Dementsprechend fasste Corts seine Erfahrungen über die gewaltigen Umbrüche seiner Zeit wie folgt zusammen: „Ich hatte Umschau gehalten und ich sah die bürgerliche Gesellschaft krank und gebrechlich geworden, alle menschlichen Verhältnisse verwickelt und verworren; ich sah die Völker vom Weine der Empörung berauscht und die Freiheit von der Erde verschwunden. Ich sah gekrönte Tribunen und entthronte Könige. Niemals gab es ein Schauspiel von solch gewaltigen Umbildungen und Umwälzungen, von solchen Erhöhungen und Erniedrigungen. Da habe ich mir die Frage vorgelegt: kommt diese Verwirrung vielleicht daher, dass man die Grundprinzipien von Sitte und Ordnung, welche die Kirche Christi behütet und allein besitzt, in Vergessenheit geraten ließ? Mein Zweifel wurde zur Gewissheit, als ich erkannte, dass heutzutage nur noch die Kirche das Bild einer geordneten Gesellschaft bietet, dass sie allein das beruhigende Element in der allgemeinen Aufregung ist, dass sie innerlich frei ist, dass nur bei ihr der Untergebene der rechtmäßigen Autorität mit Liebe gehorcht und sich die Autorität ihrerseits in ihren Befehlen voll der Gerechtigkeit und Milde erweist, dass sie allein die Schule ist, aus der große Staatsbürger hervorgehen, da sie die Kunst des Lebens und die Kunst des Todes besitzt, des Lebens, das Heilige hervorbringt und des Todes, der Märtyrer erzeugt.“21 Der allgemeinen Aufruhr, die das Kennzeichen einer Gesellschaft ist, die Freiheit möchte, aber aus inneren Widersprüchen nicht fähig ist, diese wirklich zu ermöglichen, muss deshalb mit der Diktatur von oben beantwortet werden. Es liegt nach Donoso Corts im Wesen der liberalen Bourgeoisie, sich in der Entscheidungsschlacht zwischen dem Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus nicht zu entscheiden, sondern stattdessen eine Diskussion anzuknüpfen.

19 20 21

Löwith, S. 318. Löwith, S. 318. Löwith, S. 319.

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B. Die europäische Moderne

Bonald, de Maistre, Donoso Corts: bei ihnen dreht sich alles um die Entscheidung Sein oder Nicht-Sein, Gut oder Böse, Gott oder Teufel. Jeder Kompromiss und jede Auflösung in einem höheren Dritten ist hier ausgeschlossen. Einen größeren Unterschied zu den Romantikern kann es nach Schmitt gar nicht geben. Bei ihnen lösen sich alle Gegensätze in den beiden neuen Realitäten auf. Dem Volk wird die Aufgabe zugewiesen, „der Träger der Naivität zu werden, die der Romantiker für seine Person verloren hatte; es wurde das treue, geduldige, gleichmütige, anspruchslose Volk, das der ungeduldige, nervöse, anspruchsvolle Intellektualist gerührt bewunderte“ (PR, 100). Für Rousseau ist der einfache Landmensch unschuldig und gütig, unverdorben von der städtischen Zivilisation. Adam Müller, für Schmitt der Prototyp des politischen Romantikers, notierte 1819: „Der einfache Landmann unter dem täglichen Einfluss der Jahreszeiten und des Segen Gottes, der stille Handwerker, der unscheinbare Teilnehmer des gemeinen Wesens sind die Erhalter unserer Stände und Freiheiten, retten die Gesinnung, welche Europa groß gemacht hat“ (PR, 100 – 101). Niemals interessiert sich der Romantiker für ein konkretes Volk. So kann er seine Vorstellungen von der natürlichen Güte des Menschen ungehindert projizieren, ohne sie an der Wirklichkeit messen zu müssen. Schmitt führt diesen Gedanken ins Groteske: „Denken wir uns einen Menschen, der durch die Straßen einer Stadt oder über den Markt geht und die verkaufenden Bäuerinnen und die kaufenden Hausfrauen betrachtet, tief gerührt von dem Bemühen der Menschen, sich gegenseitig schöne Früchte und gute Nahrung anzubieten, entzückt von den reizenden Kindern und den sorgsamen Müttern, den munteren Knaben, den biederen Männern und den verehrungswürdigen Greisen. Das wäre ein Romantiker. Rousseau, wenn er den Naturzustand ausmalt, oder Novalis, mit seiner Schilderung des Mittelalters, unterscheiden sich von ihm vielleicht durch ihre literarischen Qualitäten, nicht aber in der Sache und in der Psychologie. Denn welche Situation und welches Thema gewählt wird, um ein romantisches Märchen daraus zu machen, ist an sich gleichgültig. So kommt eine Reihe bekannter Figuren zusammen, die als besonders romantisch gelten: der harmlos kindliche Naturmensch, der bon sauvage, der ritterliche Feudalherr, der treuherzige Bauersman, der edle Ritterhauptmann, der Wanderbursch und all die braven Taugenichtse der deutschen Romantik, der gute russische Mushik. Jeder von ihnen entstand aus dem Glauben an eine irgendwo gefundene, natürliche Güte des Menschen“ (PR, 3 – 4). Der Romantiker ist mit seinen Produktionen dem Märchen näher als der Wirklichkeit. Das gleiche gilt für die andere Realität, die Geschichte. Was den Romantiker interessiert, ist nicht die Geschichte in ihrem realen Verlauf als solche. Vielmehr interessiert er sich für „das zeitlich oder räumlich entfernte, real romantische Objekt – was es auch immer sein mag die Herrlichkeit der Antike, die edle Ritterlichkeit des Mittelalters, die gewaltige Großartigkeit Asiens – […] es ist ein Trumpf, der gegen die gewöhnliche, real gegenwärtige Welt ausgespielt wird und soll die Gegenwart widerlegen“ (PR, 103). Für den Romantiker ist es aber kennzeichnend, dass er nicht auf der Flucht ist. Das trifft, so Schmitt, „den entscheidenden Punkt so wenig, wie die Erklärungen von der Sehnsucht nach dem Höheren oder dergleichen. Der Romantiker weicht der Wirklichkeit aus, aber ironisch und mit Hilfe der

II. Politische Romantik

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Intrige. Ironie und Intrige sind nicht die Stimme eines Menschen auf der Flucht, sondern die Aktivität eines Menschen, der, statt neue Wirklichkeiten zu schaffen, die eine Wirklichkeit gegen die andere ausspielt, um die jeweilig gegenwärtige, begrenzte Wirklichkeit zu paralysieren. Ironisch entzieht er sich der beengenden Objektivität und schützt sich davor, auf irgendetwas festgelegt zu werden; in der Ironie liegt der Vorbehalt aller unendlichen Möglichkeiten. So wahrt er sich seine innere, geniale Freiheit, die darin besteht, keine Möglichkeit aufzugeben“ (PR, 105). Der Romantiker benutzt die neuen Realitäten aber nicht, um sie in ihrer objektiven Ursächlichkeit zu verstehen, sondern als Möglichkeit, einer Entscheidung auszuweichen. Alle Gegensätze lösen sich hier auf. Aber um welchen Preis: alle Begriffe werden vertauscht und vermengt, in einer ungeheuren Promiskuität der Worte wird alles erklärlich, unerklärlich, identisch und gegensätzlich: „Jeder Begriff ist ein Ich und umgekehrt, jedes Ich ein Begriff, jedes System ein Individuum, und jedes Individuum ein System, der Staat ist die Geliebte und wird Mensch, der Mensch wird Staat; oder in Müllers Lehre vom Gegensatz: wenn positiv und negativ ein Gegensatz sind, wie Objekt und Subjekt, ,so sind positiv und negativ nichts anderes als Objekt und Subjekt, es ist aber auch Raum und Zeit, Natur und Kunst, Wissenschaft und Religion, Monarchie und Republik, Adel und Bürgertum, Mann und Weib, Redner und Hörer; es ist die Formel, durch die ,die ganze Welt passieren kann, unter der sich ,die Welt vollständig einreihen lässt, mit der ,das Universum demonstriert ist“ (PR, 113). Hier gibt es nach Schmitt weder Theologie noch Form, weder Entscheidung noch Repräsentation. Der Wille zur Realität endet im Willen zum Schein. Die Romantiker hatten eine neue Religion und eine neue Genialität versprochen. Das ganze Leben, jedes Ereignis sollte nichts anderes als der Anfang eines unendlichen Romans sein. Der Mensch sollte in Harmonie mit der Natur leben, das Böse und das Schlechte sollten ausgeschieden und vernichtet werden. Deshalb musste das Volk in allen möglichen Paraphrasen unendlicher Güte aufgelöst werden. Doch das Volk, die Menschheit, die Geschichte erwiesen sich als anders, als es die Romantiker erwartet hatten. Die bestehenden Gegensätze wurden von ihnen ebenso wenig aufgelöst wie von der bürgerlichen Gesellschaft, die meinte, dass sich durch den von ihr hervorgebrachten ökonomischen Fortschritt alle Probleme von selbst lösen werden. Die Romantiker und die bürgerliche Gesellschaft folgten mit dieser Haltung nach Schmitt dem Signum der modernen Philosophie: dem Verzicht auf Autorität. Die Entscheidung und unfehlbare Autorität sind dieser Philosophie suspekt. Allmächtig dagegen sind das Genie (der Romantiker) und die moderne Technik (der Bürger) als Sinnbild einer diesseitigen Glücksversprechung. Der Bürger empfindet sich als Schöpfer eines neuen, diesseitigen Paradieses, das Genie dagegen als der Hort höheren Lebens. Beide merken nicht, dass sie nur die Begleitmusik spielen zu Veränderungen, die sie weder zu lenken, noch zu begreifen vermögen. Der metaphysische Kern der Romantik entpuppt sich als eine große Seifenblase: es ist nach Schmitt das aufgeblähte Genie, das in einer engen Tonne sitzt, über sich wunderbare Figuren sieht, die es für die Welt hält und glaubt, sie hätten die Welt zu regieren (PR, 114).

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B. Die europäische Moderne

3. Die Romantik als Ursprung einer neuen Welt Schmitts Kritik an der politischen Romantik ist eine Kritik an der Moderne und aus Schmitts Sicht eine Gegenwartskritik. Diese Analyse bietet ihm wichtige Aufschlüsse über die innere Physiognomie der Zeit seit der Französischen Revolution. Sie hat nach Schmitt Gott als höchste und sicherste Realität der alten Metaphysik zerstört. Die Menschheit und die Geschichte sind die beiden neuen Realitäten, die an ihre Stelle treten. Doch haben diese Realitäten nach Schmitt keine wahre Autorität, sondern sind Demiurgen, die blind und unvernünftig sind. Dennoch versuchen die philosophischen Systeme des nachkantischen Idealismus, ihnen eine neue Realität abzugewinnen. Bei den Romantikern aber lösen sie sich, wie alle anderen philosophischen Begriffe, bis zur Unkenntlichkeit auf. Die Romantiker räsonieren über Politik, Geschichte, Nationalökonomie, Ästhetik etc., ohne jemals vor das Forum der politischen Wirklichkeit zu treten. A. Müller verwendet philosophische, ästhetische, politische und theologische Argumente in großer Zahl und in einer Weise, die alle einzelnen Disziplinen mit Ausnahme der Rhetorik kompromittiert.22 „Er kann alles verstehen und beliebig gutheißen, weil ihm alles zum Material seiner ästhetischen Gestaltung werden kann. Der ,Lehrer des Gegensatzes war unfähig, einen anderen Gegensatz als den eines ästhetischen Kontrastes zu sehen. Weder logische Distinktionen, noch moralische Werturteile, noch politische Entscheidungen sind ihm möglich. Die wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die Empörung über das Unrecht, existiert nicht für ihn“ (PR, 177). Schmitt erkennt hier einen Mangel an Konsequenz und moralische Hilflosigkeit, die jedem Begriff und jedem Sachverhalt ihre Konsistenz nehmen. „Der zentralisierende Polizeistaat kann heute die tote, künstliche Maschine sein, der die lebensvollen Kräfte ständischer Privilegien nicht geopfert werden dürfen; morgen sind diese Privilegien wildes Fleisch, das in den großen lebendigen Gesamtkörper hineinkuriert werden muss; die Teilung der Gewalten kann eine künstliche Zerreißung des Gesamtorganismus heißen und morgen ein lebendiges Spiel der in der ganzen Natur sich wiederholenden Gegensätze“ (PR, 204). Ein solches Denken enthält keine politische Betätigung und bezweckt nach ihren immanenten Voraussetzungen und Methoden einen ästhetischen Effekt. Schmitt entlarvt den Romantiker als einen Menschen, der in seiner „organischen Passivität, die zu seiner occasionalistischen Struktur gehört, produktiv sein will, ohne aktiv zu werden“ (PR, 223). Das metaphysische Zentrum des Romantikers, sein subjektiver Occasionalismus, ist für Schmitt das Abbild der bürgerlichen Gesellschaft, die ebenfalls alle Gegensätze im ewigen Gespräch auflösen möchte, um so jede wirkliche Entscheidung in der Auseinandersetzung zwischen Theologie und Atheismus zu umgehen. Die liberale Bourgeoisie will einen Gott, „aber er soll nicht aktiv werden können; sie will einen Monarchen, aber er soll ohnmächtig sein; sie verlangt Freiheit und Gleichheit und trotzdem Beschränkung des Wahlrechts auf die besitzenden Klassen, um Bildung und Be22

Ball, S. 266.

II. Politische Romantik

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sitz den nötigen Einfluss auf die Gesetzgebung zu sichern, als ob Bildung und Besitz ein Recht gäben, arme und ungebildete Menschen zu unterdrücken; sie schafft die Aristokratie des Blutes und der Familie ab und lässt doch die unverschämte Herrschaft der Geldaristokratie zu, die dümmste und ordinärste Form einer Aristokratie; sie will weder die Souveränität des Königs noch die des Volkes“ (PT, 76). Wie die Romantiker, so existiert auch das Bürgertum ohne ein wirklich metaphysisches Zentrum, das als wahrhafte Autorität außerhalb seiner Einbildungskraft herrscht. Dies ist nach Schmitt die innere Physiognomie der Zeit seit der Französischen Revolution und er weiß sich hier mit den katholischen Staatsphilosophen der Gegenrevolution einig: die Französische Revolution ist die Entthronung Gottes und der Theologie, an deren Stelle der Allmachtsanspruch des Individuums tritt. Dieser Allamachtsanspruch ist dem Romantiker und dem Bürger gemein. Ebenso wie in der Romantik wird in der liberalen bürgerlichen Welt das vereinzelte, isolierte und emanzipierte Individuum zur letzten Instanz, zum Absoluten (PR, 141). Eine solche Haltung kann eine eigene Theorie von Staat und Politik, den Bereichen der anspruchsvollen moralischen Entscheidung, nicht entwickeln, sondern es nur zu einer Praxis des Misstrauens gegen alle denkbaren politischen Mächte und Staatsformen bringen (BP, 69). Dies alles gipfelt nach Schmitt in der Auflösung der Repräsentation. Repräsentation ist nach Schmitt nur möglich, wenn es eine letzte absolute, als unfehlbare geltende Autorität gibt, die nicht in Frage gestellt werden kann und trotz politischer und sozialer Veränderungen unangetastet bleibt. Diese Autorität war in der alten Metaphysik Gott, ihr Repräsentant die römisch-katholische Kirche. „Der Papst ist nicht der Prophet, sondern Stellvertreter Christi. Alle fanatische Wildheit eines zügellosen Prophetentums wird durch eine solche Formulierung ferngehalten. Dadurch, dass das Amt vom Charisma unabhängig gemacht ist, erhält der Priester eine Würde, die von seiner konkreten Person ganz zu abstrahieren scheint. Trotzdem ist er nicht der Funktionär und Kommissar des republikanischen Denkens und seine Würde nicht unpersönlich wie die des modernen Beamten, sondern sein Amt geht, in ununterbrochener Kette, auf den persönlichen Auftrag und die Person Christi zurück“ (RK, 23 – 24). In dem Rückgriff auf die unfehlbare Autorität Gottes hat nach Schmitt die römisch-katholische Kirche einen spezifischen Rationalismus entwickelt, der die moralische und psychologische Natur des Menschen erfasst, ohne das irrational Dunkle der menschlichen Seele ans Licht zu zerren. Der Verzicht auf Autorität ist das Signum der neuen Zeit seit der Französischen Revolution und damit das Ende der Repräsentation. An die Stelle Gottes tritt die Maschinerie, die omnipotent ist: ein riesiger Produktionsmechanismus täuscht Leben und Glücksversprechung vor, ohne eine Seele, geschweige denn einen Geist zu haben. Alle Begriffe des alten ontologischen Denkens verlieren ihre Bedeutung und werden in Gesprächen und einer Promiskuität der Wörter aufgelöst. An die Stelle eines theologischen Denkens, das bezüglich des Staates im 18. Jahrhundert noch deutlich zu erkennen war, tritt eine Welt ohne letztes Zentrum und ohne Transzendenz, eine Welt des paradiesischen Diesseits, eine enttheologisierte Welt: die Welt der Romantiker und die Welt des Bürgertums, die Welt-Moderne, deren Sinnbild

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B. Die europäische Moderne

der kapitalistische Industriestaat ist. Dieser kennt weder Form noch Repräsentation; er hat nicht einmal die Kraft zu einer eigenen Sprache. Er ist auf Bedürfnisse aufgebaut, die identisch sind mit dem Nichts. Sein fatalistisches Ziel ist ein sich selbst regierender, selbst regulierender Ablauf von Wirtschaftsprozessen. Mit einem Automaten ist keine persönliche, politische oder vernünftige Verbindung möglich.23 Er läuft wie von selbst. Was aber passiert, wenn die Maschine ins Stocken gerät?

23

Ball, S. 286.

C. Übergang zur Welt-Moderne I. Bilanz: Die europäische Moderne und ihre Auflösung zur Welt-Moderne Im Folgenden werden die bisherigen herausgearbeiteten Merkmale der europäischen Moderne aus der Sicht Schmitts nochmals zusammengefasst, um dann den Übergang zu verdeutlichen, der im 20. Jahrhundert zur Welt-Moderne führt. Die europäische Moderne beginnt für Schmitt im 16. Jahrhundert. Er identifiziert die Moderne im Wesentlichen mit der Herausbildung des modernen Staates als neuer politischer Einheit und dem spezifischen europazentrischen Völkerrecht, dem jus publicum Europaeum. Deshalb ist für Schmitt die Moderne eben nicht eine universelle oder Welt-Moderne, sondern eine „europäische Moderne“. Diese europäische Moderne vom 16.–19. Jahrhundert ist dadurch charakterisiert, dass sie von Europa bestimmt wurde und auf Europa bezogen war. Deshalb bezeichnet Schmitt diese Zeit als die „Epoche der europäischen Staatlichkeit“ (BP, 17). Der Staat als grundlegende neue Einheit ist eine europäische Schöpfung gewesen und hatte ein europäisches Völkerrecht zur Folge (VA, 387). Dieses „kontinental-europäische Völkerrecht, das jus publicum Europaeum, war seit dem 16. Jahrhundert in seinem Kern wesentlich ein interstatales, ein zwischen-staatliches Recht europäischer Souveräne und bestimmte von diesem europäischen Kerne aus den Nomos der übrigen Erde“ (NE, 97). Als sich dann im 19. Jahrhundert die Gesellschaft gegen den Staat formierte und ihm einen individualistischen Universalismus gegenüberstellte, begann die langsame Auflösung des Staates im Schmittschen Sinn. Die bürgerliche Gesellschaft, die ihren spezifischen Ursprung ebenfalls in Europa hat, ist für Schmitt das Bindeglied zu einer neuen, nicht europazentrischen Ordnung, der Welt-Moderne. Parallel zu der beginnenden Auflösung des Staates, an der die bürgerliche Gesellschaft ihren maßgeblichen Anteil hatte, wurde auch das bisherige auf Europa gerichtete Völkerrecht durch ein neues universales Völkerrecht abgelöst. Dies bedeutet für Schmitt das Ende der modernen europäischen Staatlichkeit und den Übergang zu einem Universalismus, der Welt-Moderne. Erst durch die Entgegensetzung von europäischer und Welt-Moderne tritt der Gegensatz bzw. die Entwicklung offen zu Tage, die sich im 20. Jahrhundert ereignet hat. Der Begriff „europäische Moderne“ kennzeichnet deshalb den historischen Prozess vom 16. – 19. Jahrhundert wesentlich genauer als der allgemeine Begriff „Moderne“, da deutlich wird, in wie starkem Maße die Entstehung und Entwicklung dieser Moderne von Europa bestimmt wurde.

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C. Übergang zur Welt-Moderne

Die Unterscheidung von europäischer und Welt-Moderne ist außerdem hilfreich, um die spezifischen Probleme der Welt-Moderne besser zu verstehen. Gleichzeitig werden durch die Darlegung des Schmittschen Moderne-Begriffs die europäische Moderne, Schmitts Kritik und Antworten auf diese Entwicklung besser verständlich, indem der spezifische Kontext deutlich wird, in den sie gestellt sind.

1. Die europäische Moderne: ein zusammenfassender Überblick Am Anfang der europäischen Moderne stehen drei Entwicklungen, die auf das Engste miteinander verknüpft sind und im Wesentlichen die europäische Moderne bestimmen. Zu Beginn dieser Entwicklung steht der Staat als neue politische Einheit. Der Staat ist aus der Überwindung der konfessionellen Bürgerkriege hervorgegangen und wird demnach von Schmitt als der „überwundene Bürgerkrieg“ definiert. Diese Überwindung war nach Schmitt nur durch die konkrete Entscheidung, die Dezision (das „Silete Theologi“), möglich. Dies bleibt für Schmitt das wichtigste Kennzeichen des modernen europäischen Staates. Dieser Staat ist in der europäischen Moderne zur alles beherrschenden Ordnungsvorstellung Europas geworden. Erst im 19. Jahrhundert ist nach Schmitt der Begriff „Staat“ zu einem auf alle Zeiten und Völker übertragenen Allgemeinbegriff, zu der politischen Ordnungsvorstellung der Weltgeschichte gemacht worden (VA, 376). Mit dem neuen Ordnungsbegriff „Staat“ begann im 16. Jahrhundert „allmählich die Beseitigung des feudalen und ständischen Gemengenlage des Mittelalters. Der Staat stellt eine neue territorial geschlossene Einheit her. Der Rechtsgedanke der staatlichen Souveränität ist der erste entscheidende Schritt auf dem weiteren Wege, der in den folgenden Jahrhunderten zu der räumlich geschlossenen, gegen andere Staaten mathematisch scharf abgegrenzten, in sich zentralisieren und durchrationalisierten Einheit Staat geführt hat. Die spezifischen Organisationsmittel der einheitlichen Staatsgewalt sind bekanntlich: staatliche Armee, staatliche Finanz und staatliche Polizei. Das Recht verwandelt sich immer mehr in staatliches, von der staatlichen Justiz gehandhabtes Gesetz und findet seine sachgemäße Erscheinungsform in staatlichen Gesetzeskodifikationen. Mittelalterliche Kooperationen und Institutionen, feudale, ständische oder kirchliche Verbände verlieren an Sinn und Bedeutung“ (VA, 378 – 379). Die „Souveränität“, die „souveräne Entscheidung“, ist das Mittel, wodurch sich der moderne europäische Staat als neue politische Einheit durchsetzt. Dieser Staat ist aber nicht nur eine neue Ordnungsvorstellung gegenüber den mittelalterlichen Rechts- und Gemeinschaftsordnungen, sondern auch ein neuer Raumordnungsbegriff, mit dem eine Raumrevolution im 16. Jahrhundert einhergeht. „Die Veränderung des planetarischen Erd- und Weltbildes, die durch die Umsegelung der Erde und durch die Entdeckung eines neuen Erdteils eintrat, begann alle bisherigen Verhältnisse zu verwandeln. Alle geistigen Strömungen dieser Zeit tragen zur Raumrevolution bei: Renaissance, Reformation, Humanismus und Barock“ (VA, 380). Diese Raumrevolution bedingt die zweite große Entwicklungs-

I. Bilanz: Die europäische Moderne

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linie der europäischen Moderne. Dies ist die Entstehung des europäischen Völkerrechts. Dieses Völkerrecht entsteht auf der Grundlage des souveränen Staates als neuer politischer Einheit. Die europäischen Staaten stehen sich nun als unabhängige Souveräne gegenüber. Dennoch sind sie nicht vollkommen isoliert voneinander, sondern in die neue umfassende Raumstruktur des europäischen Völkerrechts integriert. Dieses Völkerrecht unterscheidet den Raum der alten von dem der neuen Welt. In der alten Welt, in Europa, gelingt nach Schmitt eine Hegung des Krieges, indem der „gerechte Krieg“ der Respublica Christiana durch den des „gerechten Feindes“ abgelöst wird. Der Krieg auf europäischem Boden enthält nach Schmitt eine spezifische Form. Die Zivilbevölkerung wird weitgehend vom Krieg ausgeschlossen. Sie ist nicht das primäre Ziel des Angreifers, dem es im Wesentlichen um eine Gebietserweiterung und Machtzuwachs geht, aber nicht um politische Vernichtung. Hierin liegt für Schmitt die große Leistung des Völkerrechts der europäischen Moderne. Diese Entwicklung geht einher mit der Entdeckung des kopernikanischen Planetensystems und der Philosophie Descartes, wodurch der Dualismus als Grundprinzip der europäischen Gesellschaft und des europäischen Denkens etabliert wurde. SeeleLeib, Innen-Außen, Staatsbürger-Privatbürger, in allen Bereichen des Denkens und in der Gesellschaft herrscht ein unauflöslicher Dualismus. Dieser Dualismus wird zum Grundproblem der europäischen Gesellschaft, die in verschiedenen Bewegungen und Systemen, einschließlich des Marxismus, den Versuch unternimmt, diesen am Ursprung der europäischen Moderne aufgetauchten Dualismus wieder abzuschaffen bzw. zu überwinden. Auch die bürgerliche Gesellschaft hat nach Schmitt den Versuch unternommen, den Dualismus zu überwinden, indem die Gegensätzlichkeit des konkret Gegenwärtigen und Wirklichen dadurch aufgehoben wird, „dass ein höherer Dritter (bald die Idee, bald der Staat, endlich Gott) die Gegensätze zum Anlass seiner höheren Kraft nimmt“ (PR, 128). Der Mangel an einer „Entscheidung“, das „ewige Gespräch“ verhindert aber nach Schmitt die eigene Tat, so dass das Bürgertum genau wie die Romantiker die Gegensätzlichkeiten ihrer Wirklichkeit nur denkerisch, nicht aber tatsächlich aufheben kann. Staat, Völkerrecht und eine alle Bereiche durchziehender Dualismus sind also nach Schmitt die Grundlage der europäischen Moderne. Diese drei Entwicklungslinien sind nach Schmitt in einen Prozess eingebettet, die er mit den Begriffen „Neutralisierung“, „Entpolitisierung“, „Fortschritt“ und „Säkularisierung“ erfasst. Das 16. und 17. Jahrundert war von konfessionellen Bürgerkriegen durchzogen. Diese konnten nur neutralisiert werden, indem der Staat als neue politische Einheit durch die souveräne Entscheidung sich selbst über die Religion stellte. Damit schien zunächst der Gegensatz zwischen Staat und Religion überwunden zu sein. Doch dieser wurde nach Schmitt durch Hobbes Unterscheidung von öffentlich und privat wieder eingeführt und führte langfristig zu dem Gegensatz von Staat und Gesellschaft.1 Das Motiv der Neutralisierung verlagerte sich in der Folgezeit auf andere Bereiche. Nachdem es vom Theologischen ins Metaphysische übergegangen war, folgte als nächstes 1

Deshalb ist für Schmitt Hobbes ein Vorläufer des Liberalismus.

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das Moralische und im 19. Jahrhundert das Ökonomische.2 In jedem dieser Gebiete suchte die europäische Menschheit die Überwindung der Gegensätze und Streitigkeiten durch allgemeine Überlegenheit und Sachlichkeit des jeweiligen Zentralgebiets. Ziel und Ergebnis dieser Neutralisierungen war nach Schmitt die Entpolitisierung im Sinne der Nicht-Entscheidung, die im Normativismus und Gesetzespositivismus im 19. und 20. Jahrhundert ihren Ausdruck fand. Diese Entwicklung fand in der Idee des Fortschritts ihre allgemeine Rechtfertigung. Verlagerte sich der Schwerpunkt von einem Sachgebiet auf das nächste, so wurde dies stets mit dem Argument des Fortschritts untermauert. Fortschritt diente als Argument für die Überwindung des Theologischen durch das Metaphysische, womit die Enttheologisierung und als Resultat die Überwindung der konfessionellen Bürgerkriege eingeleitet wurde, für das Moralische, welches eine umfassende Bildung für alle Menschen vorsah als Vorstufe zu einer allgemeinen Gleichheit und schließlich für das Ökonomische, welches materielle Besserung für alle Menschen versprach. Dieser Fortschrittsprozess wurde von einem „Säkularisierungsprozess“ begleitet. Schmitt fasst diesen Begriff anders als allgemein üblich. Zum einen versucht er die Analogien zwischen theologischen und juristischen Begriffen darzulegen. Zum anderen dient ihm die Säkularisierungsthese in Verbindung mit dem Begriff der „Politischen Theologie“ als heuristisches Hilfsmittel, um die besondere historische Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genau zu erfassen. Säkularisierung ist mehr als die Umsetzung des Gottesbegriffs oder religiöser Denkmuster in bestimmte Vorstellungen über die Monarchie oder den Staat. Dennoch sieht Schmitt auch hier eine historische Entwicklung vom transzendentalen Gottesbegriff des 17. und 18. Jahrhunderts zur Immanenzvorstellung des 19. Jahrhunderts, die schließlich alle theistischen und transzendentalen Vorstellungen beseitigt und zur Bildung eines neuen Legitimationsbegriffes führt. Hier nun, im 19. Jahrhundert, setzt die Infragestellung der europäischen Moderne, der gesamten europäischen Ordnung, nach Schmitt ein, nämlich durch die bürgerliche Gesellschaft und den auftretenden Universalismus, der seinen ersten und wichtigsten Ausdruck in dem Siegeszug des Positivismus hatte, welcher dann in den Rechtspositivismus führte, den Schmitt so leidenschaftlich bekämpft hat. Die bürgerliche Gesellschaft löst in Europa im 19. Jahrhundert endgültig die ständische Gesellschaft ab. Sie ist nach Schmitt durch die Abgrenzung der Gesellschaft 2

Auch an dieser Stelle betont Schmitt, dass diese Entwicklung nur für Europa gilt und weder als kultur- und geistesgeschichtliche Dominantentheorie, noch als ein geschichtsphilosophisches Gesetz zu verstehen ist: „ Die Verlagerung – vom Theologischen ins Metaphysische, von dort ins Humanitär-Moralische und schließlich zum Ökonomischen – ist, um es nachdrücklich zu wiederholen, hier nicht als kultur- und geistesgeschichtliche ,Dominantentheorie, auch nicht als ein geschichtsphilosophisches Gesetz im Sinne des Drei-Stadien-Gesetzes oder ähnlichen Konstruktionen gemeint. Ich spreche nicht von der Kultur der Menschheit im Ganzen, nicht vom Rhythmus der Weltgeschichte und vermag weder von Chinesen noch von Indern oder Ägyptern etwas zu sagen.“ (ZN, 81).

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vom Staat und eine zunehmende Aufsplitterung nach innen gekennzeichnet. Der Staat wird nicht mehr wie noch bei Hegel als selbstbewusste sittliche Substanz verstanden, die Kraft ihrer Vernünftigkeit über den Einzelinteressen steht, sondern als eine Institution, die sich darauf beschränkt, die Bedingungen der Freiheit zu sichern, und Störungen der Freiheit zu beseitigen (BP, 70). Freiheit aber bedeutet im 19. Jahrhundert nicht mehr die Sicherung der Freiheit durch den Staat, der den Bürgerkrieg verhindert, sondern der Staat selber wird als Bedrohung der individuellen Freiheit angesehen. Die Gesellschaft steht jetzt „als eine Sphäre der friedlichen Gerechtigkeit unendlich höher als der Staat, der zu einer Region gewalttätiger Immoralität degradiert wird“ (BP, 76). Die Freiheit wird nicht durch den Staat ermöglicht, sondern die Gesellschaft selbst bringt sie erst in Abgrenzung zum Staat hervor. Die Freiheit bezieht sich mehr und mehr auf das Private, während das Öffentliche, durch den Staat repräsentierte, zurücktritt. Das private Recht der Sicherung auf Eigentum steht im Vordergrund. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass der Bürger Erwerb und Unterhalt ohne Störung nachgehen kann. Darüber hinaus gibt es keinen allgemeinen Zweck oder Sinn des Staates. Genauso hatte Hegel die „liberale“ Auffassung des Staates einer scharfen Kritik unterzogen: „In der bürgerlichen Gesellschaft, die ein wechselseitiger Zusammenhang oder ein ,System von ,Bedürfnissen und deren Prinzip der Individualismus ist, ist zunächst jeder Bürger sich selbst Zweck. Alles andere ist ihm nichts, sofern es nicht Mittel zu seinem Zweck werden kann. Jeder ist frei und zugleich von allen anderen abhängig, denn das Wohl und Wehe eines jeden ist in das aller anderen mitverflochten und nur in diesem wirtschaftlichen Zusammenhang gesichert. Für die bürgerliche Gesellschaft ist der Staat ein bloßer ,Not- oder ,Verstandesstaat, d. h. er ist eine ,formelle Einheit und Allgemeinheit über den Sonderinteressen der Einzelnen.“3 Eine solche Auffassung konnte nach Schmitt nur in einer Gesellschaft entstehen, in der das vereinzelte Individuum zum absoluten Mittelpunkt wird. Dies war in der bürgerlichen Gesellschaft der Fall. Dieses Individuum der bürgerlichen Gesellschaft behandelt Schmitt anhand des Begriffs „Romantiker“. Der Romantiker, der subjektive Occasionalist, zieht sich in sein Inneres zurück und erkennt keine äußere Begrenzung oder Beschränkung an, da sie seine Schöpferkraft beeinträchtigen könnte. Dasselbe gilt nach Schmitt für das Bürgertum, welches genau wie die Romantiker keine eigene Theorie vom Staat oder der Politik entwickelt hat, sondern in einer liberalen Kritik an der Politik steckengeblieben ist, so wie die Romantiker sich mit einer romantischen Kritik der Politik begnügt haben. Diesen Zusammenhang zwischen Bürgertum bzw. bürgerlicher Gesellschaft und Romantik bringt Schmitt selbst direkt zum Ausdruck: „Vom konsequent bürgerlichen Liberalismus aus lässt sich eben keine politische Theorie gewinnen. Das ist der letzte Grund dafür, dass die Romantik keine politische Theorie haben kann, sondern sich immer den herrschenden politischen Energien anpasst“ (BP, 28, FN 25). Dort, wo sich das Bürgertum wirklich für die Um-

3

Zitiert nach Löwith, S. 307.

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C. Übergang zur Welt-Moderne

setzung seiner Ideen einsetzte, war es zu schwach. Das „ewige Gespräch“ (man denke an die Beratungen in der Paulskirche 1848/49) ließ keine Entscheidung zu. Indem die Gesellschaft sich in die einzelnen Individuen aufsplitterte, gewann das je eigene Interesse immer mehr an Bedeutung. In organisierter Form entstanden aus diesen Interessen die indirekten Gewalten, die sich das gleiche Recht auf Durchsetzung zubilligten wie der Staat. Dies fand in der organischen Staatslehre, wie sie etwa in Gierkes Genossenschaftstheorie seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts entwickelt wurde, seinen sichtbaren Ausdruck. Die überragende Stellung des Staates gegenüber der Gesellschaft wurde hier völlig relativiert, indem der Staat als Genossenschaft, wenn auch als höchste, neben anderen Genossenschaften definiert wurde (HP, 15). Staat und Gesellschaft werden wesensgleich. Dies blieb nach Schmitt solange unproblematisch, solange die bürgerliche Gesellschaft in der Monarchie noch einen Gegner hatte, gegen den sie sich formieren musste. Dies entfiel aber seit 1919 in Deutschland und jetzt erst entwickelte sich mit ganzer Kraft auch im Politischen das „wahre Antlitz“ des Bürgertums. Der Staat wird jetzt primär auf Organisatorisches festgelegt und ist durch eine innenpolitische Neutralität gekennzeichnet. „Der neutrale Staat in diesem Sinn ist der sich nicht einmischende, nicht intervenierende, passive, agnostische Staat“ (HP, 19).4 Somit wird der Staat zur Selbstorganisation der Gesellschaft. Eine Gesellschaft aber, die wie die bürgerliche durch einen subjektiven Occasionalismus gekennzeichnet ist, muss zur Auflösung des Staates im Schmittschen Sinne führen, da er keinen Selbstzweck mehr hat, der über den einzelnen Interessen steht, sondern nur noch unmittelbar die Einzelinteressen seiner Bürger erfüllen soll. Die bürgerliche Gesellschaft wird für Schmitt zum Bindegglied zwischen der europäischen und der Welt-Moderne, indem sie die Besonderheit der bisherigen europazentrischen Ordnung durch einen Neutralismus, der zum Universalismus führt, überwindet. „Der Staat wird zur Gesellschaft, und zwar auf der einen, der ethischgeistigen Seite zu einer ideologisch-humanitären Vorstellung von der ,Menschheit; auf der anderen Seite zur ökonomisch-technischen Einheit eines einheitlichen Produktions- und Verkehrssystems“ (BP, 71). Das Individuum geht dem Staatsbürger voraus und der Staat hat kein Recht mehr, in die Privatsphäre seiner Bürger einzudringen. Der Bürger wird zum Weltbürger, zum Zentrum der Welt-Moderne. Neben der bürgerlichen Gesellschaft ist es der von ihr hervorgebrachte Positivismus, der in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts seinen Siegeszug in den Wissenschaften feiert und zur Auflösung des Schmittschen Staatsgedankens führt. Der Positivismus ist zunächst für das Bürgertum der große Fortschritt von den Illusionen zur Wirklichkeit. In der Rechtswissenschaft entsteht im 19. Jahrhundert infolge des Positivismus der Rechtspositivismus, der nach Schmitt zur Auflösung des dezisionistischen Staatsdenkens beiträgt. Der Rechtspositivismus wirft nach Schmitt 4 Schmitt argumentiert vor der Verfassungswirklichkeit der Weimarer Republik. Die Selbstaufgabe der Weimarer Republik 1932/33 schien diese These vom neutralen Staat zu bestätigen.

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im 19. Jahrhundert das Naturrecht als historisch überholt über Bord.5 An dessen Stelle tritt das positive Recht. Schmitt sieht die wesentliche Ursache für diesen Übergang darin, dass die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und der Nationalstaatsbildungsprozess im 19. Jahrhundert das Gesetz als unabhängige Größe braucht, welche die offen zutage tretenden Differenzen innerhalb der Gesellschaft überbrücken soll. „Das Gesetz als unpersönliche, objektive, gegenüber seinen ,Motiven verselbständigte und isolierbare Größe wird zu einer Brücke über dem Abgrund innenpolitischer Zerrissenheit. In der objektiven, von allen parteipolitischen Widersprüchen gereinigten Norm verkörpert er sozusagen die objektive Vernunft der politischen Einheit“ (VA, 402). Das Gesetz ist für die bürgerliche Gesellschaft ein Mittel, um die politische Einheit innerhalb des Staates herzustellen. Des Weiteren hat das Gesetz in der bürgerlichen Gesellschaft die Aufgabe, den Staat zurückzudrängen bzw. ihn auf eine bestimmte Funktion zu beschränken. Um beides zu erreichen, wird die Herrschaft des Gesetzes proklamiert. Dies bedeutet vor allem, „dass der Gesetzgeber selbst an sein Gesetz gebunden ist und seine Befugnis zur Gesetzgebung nicht das Mittel einer Willkürherrschaft wird. Die Bindung des Gesetzgebers an das Gesetz ist aber nur solange möglich, als das Gesetz eine Norm mit gewissen Eigenschaften ist: Richtigkeit, Vernünftigkeit, Gerechtigkeit“ (VA, 139). Das Gesetz ist Ausdruck einer allgemeinen Vernunft und nicht der Wille eines oder vieler Menschen. Die allgemeine Norm, auf die sich die Gesetze beziehen, kann ohne die allgemeine Vernunft nicht gedacht werden. „Vernunft“ ist das große Schlagwort des 19.Jahrhunderts, das bei Kant auftaucht und zum Inbegriff der bürgerlichen Gesellschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft wird. Durch die Vernunft wird die Idee der Freiheit begründet und die Überwindung des „alten Europa“ eingeleitet, und zwar zuerst in der Französischen Revolution. Es bedeutet die Auflösung von Traditionen und die Verwerfung der Rechtfertigung überlieferter Zustände, welche die Freiheit der Menschen unterdrückt haben. Diese Idee der Freiheit war nach Kant nur zu erreichen durch eine allgemeine das Recht verwaltende bürgerliche Gesellschaft. Freiheit wurde identisch mit der gerechten bürgerlichen Verfassung, durch welche die Menschengattung „ihre Anlagen in der Menschheit“ erst „völlig entwickeln kann“. Kant versteht „die Geschichte der Menschengattung im großen als die Vollziehung eines verborgenen Planes der Natur […], um eine sinnlich – und, zu diesem Zweck auch äußerlich – vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen […].6 Für das Rechtsdenken bedeutet dieser Ansatz den Übergang zum Universalismus. Alle historischen und kulturellen Besonderheiten und die Überlieferungen werden dem Maßstab der allgemeinen Vernunft unterworfen und ihrer 5 Hier verbleibt Schmitt eindeutig in der deutschen Entwicklung der Rechtswissenschaften, da das Naturrecht in den USA und Frankreich konstitutives Element der Verfassungen (geblieben) war und ist. Deutschland hat zunächst 1949 in der BRD und dann nach der Wiedervereinigung 1990 den Naturrechtsgedanken als Grundprinzip des Verfassungsdenkens aufgenommen, wie es der erste Artikel des Grundgesetzes zum Ausdruck bringt. 6 Kant, S. 50.

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C. Übergang zur Welt-Moderne

Besonderheit beraubt. Das Gesetz ist nur noch als Ausdruck der Vernunft richtig und kann von dieser in seiner Richtigkeit eingeschätzt und überprüft werden. Damit tritt nach Schmitt nicht nur der Übergang zum Universalismus der Welt-Moderne ein, sondern auch das Problem von Legalität und Legitimität. Wenn das Gesetz nur Ausdruck der allgemeinen Vernunft ist, so kann die Legitimität eines Gesetzes nicht mehr in der je besonderen Geschichte und Tradition oder Überlieferung gefunden werden, sondern nur noch in der sie begründenden Vernunft. Die Legitimität geht in das Gesetz über und wird damit selbst zur Legalität. Alles, was sich im Rahmen der Gesetze bewegt, ist demnach legitim. Jedes personalistische Denken wird ausgeschlossen und das Gesetz regiert Kraft einer ihm inne wohnenden allgemein durch die Vernunft begründeten Norm. Diese „Formel“ ist das Einfallstor der Welt-Moderne. Das Gesetz ist Ausdruck einer universalistischen Vernunft. Diese etabliert das Gesetz. Erst hierdurch kann zwischen vernünftigen und unvernünftigen Staatsformen bzw. politischen Systemen unterschieden werden. Nur die Demokratie erfüllt die Bedingungen der allgemeinen Vernunft und wird somit zum universellen Maßstab politischer Gerechtigkeit.

2. Der Übergang von der europäischen zur Welt-Moderne Am Ende des 19.Jahrhunderts beginnt nach Schmitt der Übergang von der europäischen zur Welt-Moderne. Europa, seit dem 16. Jahrhundert in seinem Selbstverständnis Mittelpunkt der Welt, verliert seine herausragende Stellung, die nunmehr von den Vereinigten Staaten eingenommen wird. Sie symbolisieren die Werte der zukünftigen Welt-Moderne: Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Nur in der Vernunft finden diese Werte ihre Begründung. Die Wurzeln dieses Prozesses reichen ins 18. Jahrhundert zurück. „Das aufgeklärte 18. Jahrhundert sah eine klare und einfache Linie steigenden Fortschritts der Menschheit vor sich. Der Fortschritt sollte vor allem in einer intellektuellen und moralischen Vervollkommnung der Menschheit bestehen: die Linie bewegte sich zwischen zwei Punkten und ging vom Fanatismus zur geistigen Freiheit und Mündigkeit, vom Dogma zur Kirche, vom Aberglauben zur Aufklärung, von der Finsternis zum Licht“ (BP, 72). Im 19. Jahrhundert verbindet sich dieser „mit der wirtschaftlich-industriell-technischen Entwicklung […] ,Die Wirtschaft fühlte sich als Träger dieser in Wahrheit sehr komplexen Größe; Wirtschaft, Handel und Industrie, technische Vervollkommnung, Freiheit und Rationalisierung galten als Verbündete, und zwar, trotz ihres offensiven Vordringens gegen Feudalität, Reaktion und Polizeistaat, doch als wesentlich friedlich im Gegensatz zur kriegerischen Gewalttätigkeit“ (BP, 74). Für die Realisierung der wirtschaftlichen Freiheit „bestand im 19. Jahrhundert im europäischen Völkerrecht neben dem eigentlich zwischen-staatlichen, nach Innen und Außen dualistisch unterschiedenen Recht ein gemeinsames Wirtschaftsrecht, ein internationales Privatrecht, dessen gemeinsamer Verfassungsstandard (die konstitutionelle Verfassung) wichtiger war als die politische Souveränität der einzelnen (politisch, aber nicht wirtschaftlich) in sich geschlossenen Flächenordnung“ (BP, Corrolarium 3. 115). In den politisch souveränen

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Staaten selbst fand die Idee der Freiheit als allgemein universal-gültiger Wert zunächst im Bürgertum seine Ausführung, indem der Mensch dem Staatsbürger vorangestellt wurde und dann im Rechtspositivismus alle Tradition und Überlieferung der Vernunft, die nun alleiniger Urheber der Gesetze wurde, Platz machten. Der Staat wird dementsprechend nach Schmitt zum „Diener der Gesellschaft; er wird einem geschlossenen System von Rechtsnormen unterworfen oder einfach mit diesem Normensystem identifiziert, so dass er nichts ist als Norm oder Verfahren“ (VL, 125). Nach Schmitt muss eine Idee oder Substanz erst eine Form finden, bevor sie in der Wirklichkeit eine vorherrschende Rolle spielen kann. In der bürgerlichen Gesellschaft kommt dem Parlament die Aufgabe zu, die Idee der Freiheit zu realisieren. Das Parlament ist der Ausdruck des allgemeinen Volkswillens, mit dem sich die bürgerliche Gesellschaft identifiziert. Indem die bürgerliche Gesellschaft ihre Grundlage in der allgemeinen universalen Vernunft hat und das Parlament diese nach innen realisiert, muss nach außen hin eine Form gefunden werden, die auf internationaler Ebene die allgemein universale Vernunft, also die Freiheit, realisiert. Hierfür muss nach Schmitt wieder ein Begriff gefunden werden, der zunächst diese Idee der Freiheit universal gültig symbolisiert. Es ist der Begriff der „Menschheit“, der diese Funktion erfüllt. Die Menschheit wird in der bürgerlichen Gesellschaft zum Synonym menschlicher Freiheit. Diese kennt keine „Grenzen mehr und führt zu dem letzten großen Gegensatz in der Menschheitsgeschichte: Freiheit gegen Unfreiheit bzw. Fortschritt gegen Reaktion, Vernunft gegen Willkür, Parlamentarismus gegen Diktatur. Die bürgerlich demokratische Gesellschaft sieht sich als Inbegriff der allgemein menschlichen Freiheit. Infolgedessen muss jede andere Gesellschaftsform bzw. politisches System „unfrei“ sein. Hiermit werden die beiden zentralen Ideen der europäischen Moderne, der Staat und das europäische Völkerrecht ihrer historischen Besonderheit beraubt und in einem allgemeinen, alle Menschen umfassenden Universalismus aufgehoben. Der Staat verliert seine politische Souveränität, da er seine politische Form im Prinzip nicht mehr frei wählen kann, wenn er zur freien zivilisierten Welt gehören möchte (die Ablehnung einer parlamentarischen Demokratie macht einen solchen Staat automatisch zum Außenseiter in der universalen Staatengemeinschaft). Das Völkerrecht, welches seit dem 16. Jahrhundert in einer von Europa ausgehenden Raumordnung seinen Ausdruck fand, wird zu einem universalen, welches nicht mehr durch eine konkrete Raumordnung gekennzeichnet ist. Genau in diesem Sinn wollte der Genfer Völkerbund ein universaler Bund sein und findet heute in der UNO seine Fortsetzung. Da die Vernunft universal ist, muss sich jede Gesellschaft an diesem Maßstab messen lassen. Der Genfer Völkerbund und heute die UNO sind die Institutionen, die diese universale Vernunft zum Ausdruck bringen sollen und zwar auf institutioneller Ebene. Die bürgerliche Gesellschaft hat sich hier ihren institutionellen Rahmen geschaffen, indem sie über die Ländergrenzen hinweg ihre allgemeine Solidarität findet. Der Krieg als politisches Mittel wird geächtet und die universale Vernunft zum

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C. Übergang zur Welt-Moderne

Schiedsrichter politischer oder anderer Konflikte erhoben. Dies bedeutet „Welt-Moderne“, d. h. ein universaler Maßstab (die Vernunft), die sich in einer internationalen Institution (Genfer Völkerbund, UNO) artikuliert. Diese politische Welt-Moderne ist von Schmitt immer wieder scharf kritisiert worden. Und erst aus diesem Spannungsverhältnis von europäischer Moderne und Welt-Moderne wird seine Kritik an der Welt-Moderne verständlich.

D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne Nach Schmitt ist der Staat nicht ein allgemeingültiger, sondern ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff. Deshalb ist es nach Schmitt unzulässig, den Staat als allgemeinen Begriff auf verschiedene Epochen anzuwenden. Vielmehr ist der Staat eine Schöpfung der europäischen Moderne. Ähnlich hatte bereits Max Weber den modernen Staat als eine spezifische Leistung und Bestandteil des okzidentalen Rationalismus interpretiert. Er entsteht im 16. Jahrhundert als neue politische Einheit und markiert den Beginn des „Zeitalters der Staatlichkeit. In diesem Zeitalter, das vom 16.–20. Jahrhundert reicht, ist der Staat der alles beherrschende Ordnungsbegriff der politischen Einheit“ (VA, 375). Die in sich geschlossene Einheit des Staates war für die Begriffe von Verfassung und Gesetz und das europäische Völkerrecht eine selbstverständliche Prämisse. „Inzwischen öffnet sich die bisher geschlossene Einheit, von Innen durch Pluralisierung, von Außen durch Integrierung. Damit wandeln sich nicht nur Staat und Gesellschaft, sondern auch Verfassung und Gesetz“ (VA, 385). Die Welt-Moderne ist nach Schmitt durch einen Universalismus gekennzeichnet, der Kraft der universalen Vernunft die Menschen darüber aufklärt, welches politische System den Menschen ein vernünftiges Leben in Freiheit ermöglicht. Eine solche universale Weltordnung muss zwangsläufig dahin tendieren, den Staat als politische Einheit zugunsten eines Weltstaates oder eine die Welt umfassende Organisation aufzulösen. Die Menschenrechte, die aller Staatlichkeit vorgehen, bilden im Politischen die Grundlage dieser Weltordnung. Dem Ökonomischen liegt das Prinzip des freien Welthandels zugrunde. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich mehr und mehr auf die Realisierung dieser beiden Bereiche, d. h. Wahrung der Menschenrechte und Wahrung des freien Welthandels. Dadurch sinkt nach Schmitt der Staat auf den Sachverwalter einer Weltordnung herab, die ihm keine Handlungsalternativen mehr offen lässt.

I. Der Begriff des Politischen „Der Begriff des Politischen“ ist wahrscheinlich die am meisten umstrittene Schrift Schmitts. Er definiert in dieser Schrift das Wesen des Politischen durch die Fähigkeit zur Unterscheidung von Freund und Feind und scheinbar damit das Politische als Absage an den Humanismus bzw. humanistische Werte. Aus Schmitts Sicht ist diese Schrift eine Verteidigung der europäischen Moderne, indem er die Welt-Moderne einer scharfen Kritik unterzieht.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

1. Der Hintergrund des Begriffs des Politischen „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“ (BP, 20). So lautet der erste Satz von Schmitts Abhandlung „Der Begriff des Politischen“.1 D.h. nichts anderes, als dass das Poltische dem Staat vorausgeht, der Staat nur solange existieren kann, solange es das Politische gibt bzw. das Wesen des Politischen erkannt wird.2 Damit ist gleichzeitig intendiert, dass die Auflösung des Politischen zur Auflösung des Staates führen muss. Der Staat selber ist nach Schmitt zunehmend fragwürdig geworden in dem Maße, in dem sich Staat und Gesellschaft durchdringen und der Staat seine Autonomie verloren hat. Hierfür macht Schmitt in erster Linie den Liberalismus verantwortlich.3 Der Liberalismus hat alle Gegensätze, die nach Schmitt alle Sachgebiete menschlichen Denkens und Handelns durchziehen wie etwa das Moralische (gut und böse), das Ästhetische (schön und hässlich) oder das Ökonomische (nützlich und schädlich oder rentabel und unrentabel) aufgelöst. An die Stelle des Kampfes tritt auf wirtschaftlicher Seite die Konkurrenz, auf geistiger Seite die Diskussion: aus dem Staat wird die Gesellschaft, die im ethisch-geistigen Bereich zur Menschheit, im ökonomisch-technischen Bereich zu einem einheitlichen Produktions- und Verkehrssystem wird. „Aus dem politisch geeinten Volk wird auf der einen Seite ein kulturell interessiertes Publikum, auf der anderen teils ein Betriebs- und Arbeitspersonal, teils eine Masse von Konsumenten. Aus Herrschaft und Macht wird an dem geistigen Pol Propaganda und Massensuggestion, an dem wirtschaftlichen Pol Kontrolle (BP, 71 – 72). Die Auflösung aller Gegensätze führt nach Schmitt zu einer politik-reinen Weltanschauung, Kultur, Zivilisation, Wirtschaft, Moral, Recht, Kunst und Unterhaltung usw., kennt aber weder Politik noch Staat (BP, 54). Das Wort „Unterhaltung“ ist in diesem Zusammenhang besonders interessant. Schmitt knüpft hier an das „ewige Gespräch“ der Romantiker an, die ebenfalls dazu tendierten, die Welt der Gegensätze durch Unterhaltung aufzulösen, um eine Entscheidung zu umgehen. Der Liberalismus ist für Schmitt nichts anderes als eine Welt der Unterhaltung, die er damit aus dem Kreis ernster Beschäftigungen ausgrenzt. Dadurch hat nach Schmitt der Liberalismus zwar das Poli1 Schmitt hat drei Versionen des „Begriffs des Politischen“ herausgegeben, und zwar in den Jahren 1927, 1932 und 1933. Dabei hat er verschiedene Textteile umgearbeitet, Streichungen vorgenommen und Ergänzungen hinzugefügt. Eine inhaltliche Analyse dieser drei Texte findet sich bei Heinrich Meier. Ich beziehe mich auf die Schrift aus dem Jahr 1932. 2 Christian Meier interpretiert diesen Satz anders, nämlich so, dass das Politische vor dem Staat war und es ihn überdauern wird. Meier, in: Quartisch (1988), S.539. Schmitt spricht aber in seiner Abhandlung selbst davon, dass es „eine Welt ohne Politik geben kann“ (BP, 35). Das Politische, wie es Schmitt definiert, erhält erst durch diese Bedrohung für Schmitt seine eigentliche Wirkung, da hierdurch erst die Frage beantwortet werden muss, in was für einer Welt die Menschen leben bzw. leben möchten. 3 In diesem Sinn wird im Folgenden der Liberalismus im Sinne Schmitts mit der politischen Leitidee der Welt-Moderne identifiziert. Wenn Schmitt im „Begriff des Politischen“ den Liberalismus attackiert, dann meint er den Liberalismus, der einen Universalismus, die Idee der Menschheit und den bürgerlichen Individualismus, der dem Staat vorausgeht, als zentrale Ideen umfasst. Dies ist für Schmitt mit der Welt-Moderne identisch.

I. Der Begriff des Politischen

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tische negiert, ohne es jedoch aufheben zu können. Da das liberale Denken der WeltModerne aber, wie Schmitt eingesteht, noch durch kein anderes System ersetzt ist, muss er eine Position jenseits des liberalen, welt-modernen Denkens finden. Deshalb stellt Schmitt der liberalen, welt-modernen Negation des Politischen seine Position des Politischen entgegen. So wie alle Sachgebiete des menschlichen Denkens und Handelns durch Gegensätze bestimmt sind, muss nach Schmitt auch das Politische „in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politisches Handeln zurückgeführt werden kann“ (BP, 26). In der Unterscheidung von Freund und Feind meint Schmitt die spezifische Unterscheidung gefunden zu haben, auf die das Wesen des Politischen, d. h. die politischen Motive und Handlungen, zurückgeführt werden kann. Dies ist für Schmitt keine erschöpfende Definition, sondern eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, wodurch allein das Politische bestimmt werden kann. Der politische Feind braucht nach Schmitt „nicht moralisch böse“ oder „ästhetisch hässlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann sogar vorteilhaft erscheinen, mit ihm Geschäfte zu machen“ (BP, 27). Dadurch ist der Feindbegriff nicht ausreichend bestimmt. Schmitt lehnt ja gerade den individualistischen Charakter des Liberalismus ab. Deswegen muss er den Feind als eine Gruppe oder Gesamtheit von Menschen bestimmen, die einer je anderen Gruppe oder Gesamtheit von Menschen gegenübersteht. Der Extremfall der Freund-Feind Unterscheidung ist der Kampf. Ihren realen Sinn erhalten diese drei Begriffe, Freund, Feind und Kampf dadurch, „dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten“ (BP, 33). Schmitt versteht diese Definition des Politischen weder als „bellizistisch oder militaristisch, noch imperialistisch, noch pazifistisch“ (BP, 33). Der Krieg ist für Schmitt weder etwas „Soziales“ noch etwas „Ideales“ und er ist auch nicht die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (BP, 33 – 34). Vielmehr orientiert sich diese Begriffsbestimmung des Politischen an der Wirklichkeit, die nach wie vor die Möglichkeit eines Krieges kennt. Folglich lässt sich das Phänomen des Politischen „nur durch die Bezugnahme auf die reale Möglichkeit der Freund-Feindgruppierung begreifen, gleichgültig, was für die religiöse, moralische, ästhetische, ökonomische Bewertung des Politischen daraus folgt“ (BP, 36). Aus der Freund-Feind Unterscheidung ergibt sich nach Schmitt auch die Bedeutung des Staates, der sich durch diesen Gegensatz von allen anderen Assoziationen unterscheidet. Nur der Staat kann die Entscheidung über Krieg und Frieden treffen. Die anderen Assoziationen können das nicht.4 Nur deshalb kann der Staat auch im Ernstfall die Todesbereitschaft seiner Bürger verlangen. 4 Dies ist keine vollkommen neue Idee und findet sich im Prinzip beispielsweise bei Droysen, der den Staat wie folgt definiert: „Das dem Staat Wesentliche ist die Idee der Macht. Der Staat ist die öffentliche Macht zu Schutz und Trutz. In welchen Gemeinsamkeiten die Menschen sonst leben, dass sie sicher in ihnen leben, dazu bedürfen sie einer Machteinigung. Ja man darf sagen, diese Umschirmung ist das prius aller anderen Gemeinsamkeiten. An seiner Existenz haften alle besonderen Existenzen in ihm. Sie sind ihm darum pflichtig. Er verfügt über

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

Erst durch die Freund-Feind Unterscheidung wird nach Schmitt das Wesen des Politischen und damit des Staates, der nichts anderes als die Verwirklichung des Wesens des Politischen ist, deutlich. Diese Unterscheidung soll aber nur dieses Wesen hervorbringen. In der Wirklichkeit hat der Staat in der Regel andere Aufgaben, als durch die Freund-Feind Unterscheidung seine Existenz zu behaupten. Diese bezieht sich nur auf den Extremfall, der deutlich macht, worin sich der Staat von allen anderen Assoziationen unterscheidet. Die Leistung eines normalen Staates besteht „vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, ,Ruhe, Sicherheit und Ordnung herzustellen und dadurch die normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnormen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann“ (BP, 46). Dies kann dazu führen, dass der Staat auch einen inneren Feind hat oder erklärt, nämlich dann, wenn die Verfassung und damit das Wesen des Staates von einer politischen Gruppierung angegriffen werden mit dem Ziel der Abschaffung.5 Deshalb bedeutet nach Schmitt die Negation des Politischen von der staatstragenden politischen Idee die Möglichkeit für andere Gruppierungen, sich des Staates zu bemächtigen. Schmitt denkt hier zuerst an den Marxismus, der den Gegensatz von Bourgeois und Proletarier als Freund-Feind Unterscheidung zum Grundprinzip der bürgerlichen Gesellschaft erklärt hat, den es in einer letzten großen Revolution zu überwinden gilt (BP, 73). Außenpolitisch führt nach Schmitt die Negation des Politischen dazu, dass ein Volk seine politische Souveränität aufgibt, indem es sich unter den Schutz eines anderen Volkes bzw. einer anderen Nation stellt (BP, 53). Die Freund-Feind Unterscheidung, und dies ist zentral, ist inhaltlich nicht zu bestimmen. Alles kann politisch werden, soweit es sich auf diese Unterscheidung bezieht. Der Sinn der Freund-Feind Unterscheidung liegt deshalb darin, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen; sie kann theoretisch und praktisch bestehen, ohne dass gleichzeitig alle jene moralischen, ästhetischen, ökonomischen oder anderen Unterscheidungen zur Anwendung kommen müssten“ (BP, 27). Das Politische hat demnach keinen spezifischen Inhalt und alles kann, je nach Lage der Dinge, zum maßgebenden Inhalt des Politischen werden. „Das Politische kann seine Kraft aus den verschiedensten Bereichen des menschlichen Lebens ziehen,

sie in dem Maße, als er es zu seiner Erhaltung bedarf. Denn das gemeinsame höchste Interesse aller ist, dass er bleibe und stark bleibe zu Schutz und Trutz. Und er ist umso stärker, je fester dies Gefühl in seiner Notwendigkeit in den Gemütern derer ist, die er umfasst. Der Staat, in welchen Formen, in wessen Hand er denn sei, herrscht, weil er die Macht hat. Er ist Herr, um die Macht zu haben. Das ist die Summe aller Politik.“ Droysen, S. 259. 5 Man denke in diesem Zusammenhang an die Diskussionen 1932 über ein mögliches Verbot der NSDAP, das Schmitt befürwortet hatte. Siehe hierzu Huber, in Quaritsch (1988). Die BRD hat durch das Grundgesetz die Konsequenzen gezogen und kennt das Verbot staatsgefährdender Parteien und Gruppieren und damit auch eine Unterscheidung von Freund und Feind.

I. Der Begriff des Politischen

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aus religiösen, ökonomischen, moralischen und anderen Gegensätzen; es bezeichnet kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen, deren Motive religiöser, nationaler (im ethischen oder kulturellen Sinn), wirtschaftlicher oder anderer Art sein können und zu verschiedenen Zeiten verschiedene Verbindungen und Trennungen bewirken“ (BP, 38 – 39). Aus dieser Argumentation wird deutlich, warum nach Schmitt der Liberalismus die Negation des Politischen bedeutet. Der Liberalismus als individualistische Doktrin ist nach Schmitt „eine universale, d. h. alle Menschen der Erde umfassende soziale Idealkonstruktion, ein System von Beziehungen zwischen einzelnen Menschen, das erst dann wirklich vorhanden ist, wenn die reale Möglichkeit des Kampfes ausgeschlossen und jede Freund-Feindgruppierung unmöglich geworden ist. In dieser universalen Gesellschaft wird es dann keine Völker als politischen Einheiten, aber auch keine kämpfenden Klassen und keine feindlichen Gruppen mehr geben“ (BP, 56). Eine universale Gesellschaft, die Welt-Moderne, ist für Schmitt durch die Aufhebung des Politischen gekennzeichnet. Ein konsequenter Individualismus kann die politische Einheit, die gegebenenfalls Opfer des Lebens fordert, nicht akzeptieren. „Für den Individualismus des liberalen Denkens ist dieser Anspruch auf keiner Weise zu erreichen und zu begründen. Ein Individualismus, der einem anderen als dem Individuum selbst die Verfügung über das physische Leben dieses Individuum gibt, wäre ebenso eine leere Phrase wie eine liberale Freiheit, bei der ein Anderer als der Freie selbst über ihren Inhalt und ihr Maß entscheidet“ (BP, 70). In letzter Konsequenz aber kann nach Schmitt nichts dem Politischen entgehen. „Würde die pazifistische Gegnerschaft gegen den Krieg so stark sein, dass sie die Pazifisten gegen die Nicht-Pazifisten in den Krieg treiben könnte, in einen ,Krieg gegen den Krieg, so wäre damit bewiesen, dass sie wirklich politische Kraft hat, weil sie stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind zu gruppieren. Ist der Wille, den Krieg zu verhindern, so stark, dass er den Krieg selbst nicht mehr scheut, so ist er eben ein politisches Motiv geworden, d. h. er bejaht, wenn auch nur als extreme Eventualität, den Krieg und sogar den Sinn des Krieges“ (BP, 36 – 37). Solche Kriege sind nach Schmitt besonders intensive Kriege, da sie über das Politische hinausgehen, indem sie den Feind in „moralischen und anderen Kategorien herabsetzen und zum unmenschlichen Scheusal machen müssen, das nicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muss, also nicht mehr nur ein in seine Grenzen zurückweisender Feind ist“ (BP, 37). Das Politische kann also nicht einfach aus der Welt geschafft werden und ist bis heute eine immer noch reale Möglichkeit. Indem Schmitt so gegen die pluralistische Staatstheorie und den Liberalismus das Politische bestimmt, drängt sich die Frage auf, was nach Schmitt auf die Ablehnung des Politischen folgt. Eine Antwort auf diese Frage zeigt, dass Schmitts Bestimmung des Politischen über das Politische hinaus die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens zu beantworten versucht.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

2. Die Infragestellung des Politischen und deren Konsequenzen Nach Schmitt bedeutet Universalität, d. h. Welt-Moderne, das Ende des Politischen, also „völlige Entpolitisierung und damit Staatenlosigkeit“ (BP, 73). Das Leben wird zur bloßen Unterhaltung, zum Amüsement, dem jeder Ernst und Moralität fehlt. Indem alle Gegensätze aufgehoben sind, sind die Menschen jeglicher Entscheidung enthoben. Hinter diesen Bestrebungen sieht Schmitt die „Überzeugung einer aktivistischen Metaphysik, der Glaube an eine grenzenlose Macht und Herrschaft des Menschen über die Natur, sogar über die menschliche Physis, an die grenzenlose ,Zurückweichung der Naturschranke, an grenzenlose Veränderung- und Glücksmöglichkeiten des natürlichen diesseitigen Daseins des Menschen“ (ZN, 93). Hier gibt Schmitt Preis, worum es ihm bei der Bestimmung des Politischen geht und warum er den Liberalismus als bloße Unterhaltung ablehnt. Der Liberalismus bedeutet nämlich nicht nur die Negation des Politischen, sondern auch den Versuch des Menschen, sich über seine eigene Natur zu erheben. Dies hat bereits Leo Strauss in seiner Deutung des „Begriffs des Politischen“ erkannt: „Das Politische ist also nicht nur möglich, sondern auch wirklich; und nicht nur wirklich, sondern auch notwendig. Es ist notwendig, weil es mit der menschlichen Natur gegeben ist. Daher führt sich der Gegensatz zwischen der Negation und der Position des Politischen auf einen Streit über die menschliche Natur zurück.“6 Wie gehören die Position des Politischen und die menschliche Natur zusammen und welche Bedeutung hat die Politik in diesem Zusammenhang? Politik ist nach Schmitt das Schicksal des Menschen (BP, 77). Ihm kann er nicht entgehen. Das Politische ist nichts anderes als ein Grundzug des menschlichen Lebens, der menschlichen Existenzweise.7 Diesen Grundcharakter hat der Liberalismus mit seiner bloßen Unterhaltung negiert. Leo Strauss interpretiert deshalb Schmitts Anliegen so: „Die Gegner des Politischen mögen sagen, was sie wollen; sie mögen sich für ihr Vorhaben auf die höchsten Anliegen der Menschen berufen; der gute Glaube soll ihnen nicht abgesprochen werden; zugegeben, dass Weltanschauung, Kultur usw. nicht Unterhaltung sein müssen; aber sie können zur Unterhaltung werden; hingegen ist es unmöglich, Politik und Staat in einem Atemzug mit ,Unterhaltung zu nennen; die einzige Garantie dagegen, dass die Welt nicht eine Welt der Unterhaltung wird, sind Politik und Staat; daher läuft das, was die Gegner des Politischen wollen, zuletzt hinaus auf die Herstellung einer Welt der Unterhaltung, des Amüsements, einer Welt ohne Ernst.“8 Eine solche Welt negiert denn Wert der Natur, der menschlichen Natur. Der Liberalismus versteht die Kultur als die souve6

Strauss (1932), S. 741. Diese Ansicht finden wir bereits bei Aristoteles. Bei Aristoteles heißt es: „Hiernach ist klar, dass der Staat zu den naturgemäßen Gebilden gehört und dass der Mensch von Natur ein politisches Lebewesen (zoon politikn) ist“; Aristoteles, 1253a. 8 Strauss (1932), S. 745. 7

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räne Schöpfung des Menschen und vergisst, dass Kultur immer Kultur der Natur ist. Diese Natur, den Naturzustand negiert der Liberalismus. Schmitt hatte bereits in seinem Buch über „Theodor Däublers Nordlicht“ festgestellt, dass die Menschen in der Epoche des Kapitalismus und der Mechanisierung arme Teufel geworden seinen. Die Menschen leben in einer Welt, aus der die Transzendenz, der Sinn des menschlichen Lebens, verschwunden ist (TDN, 64 – 65). Der Liberalismus hat das öffentliche Leben zu einem Schauspiel verkehrt und das Politische zur Unterhaltung reduziert.9 Dieser Welt der Negation des Politischen, die den Menschen, die menschliche Natur, in Frage stellt, gilt Schmitts Kritik. In diesem Sinn kann man seine Kritik am Liberalismus als aufklärerische Ideologiekritik verstehen.10 Der herrschende Kulturbegriff des Liberalismus entfernt sich vom gesellschaftlichen Sein, welches den Naturzustand repräsentiert, und bedarf einer Aufklärung über sich selbst. Was aber bedeutet Natur, menschliche Natur bzw. Naturzustand für Schmitt? Für Schmitt ist die Beantwortung dieser Frage als Voraussetzung einer jeder politischen Theorie von entscheidender Bedeutung. Alle Staatstheorien und politischen Ideen können danach eingeteilt werden, „ob sie bewusst oder unbewusst, einen ,von Natur aus bösen oder ,von Natur aus guten Menschen voraussetzen“ (BP, 59). Entscheidend ist „die problematische oder die unproblematische Auffassung des Menschen als Voraussetzung jeder weiteren politischen Erwägung, die Antwort auf die Frage, ob der Mensch ein ,gefährliches oder ,ungefährliches ein riskantes oder ein harmlos nicht-riskantes Wesen ist“ (BP, 59). Schmitt unterscheidet diesbezüglich drei Richtungen politischer Theorien: die anarchistischen, die liberalen und die autoritären. Er stellt fest: „Beim offenen Anarchismus ist es ohne weiteres deutlich, wie eng sein Glaube an die ,natürliche Güte mit der radikalen Verneinung des Staates zusammenhängt, da eines aus dem anderen folgt und beides sich gegenseitig stützt. Für die Liberalen dagegen bedeutet die Güte des Menschen nichts weiter als ein Argument, mit dessen Hilfe der Staat in den Dienst der ,Gesellschaft gestellt wird, besagt also nur, dass die ,Gesellschaft ihre Ordnung in sich selbst hat und der Staat nur ihr misstrauisch kontrollierter, an genaue Grenzen gebundener Untergebener ist“ (BP, 60 – 61). Alle echten politischen Theorien, wofür er stellvertretend Macchiavelli, Hobbes, Bossuet, de Maistre, Donos Corts, H. Taine und mit Einschränkung Fichte und Hegel zählt, setzen nach Schmitt den Menschen als böse voraus, d. h. als keineswegs unproblematisches, sondern als „gefährliches“ und „dynamischen“ Wesen (BP, 61). Dies darf nicht als allgemein anthropologisches Kennzeichen verstanden werden – ein Widerspruch Schmitts? – und ist mit psychologischen Bemerkungen über Optimismus und Pessimismus nicht zu beantworten. Jedes Denksystem muss nach Schmitt diese Frage gemäß seiner Intention beantworten. Ein Pädagoge muss den Menschen für erziehbar und bildsam halten, während ein Theologe an die Sündhaftigkeit des Menschen glauben muss (BP, 63). Die Sphäre des Politischen ist nach 9 10

Vgl. Kennedy, in: Quaritsch (1988), S. 246. Kramme, S. 179.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

Schmitt letzten Endes von der realen Möglichkeit eines Feindes bestimmt. Deshalb können politische Vorstellungen und Gedankengänge nicht gut einen anthropologischen ,Optimismus zum Ausgangspunkt nehmen. Hier stellt Schmitt die Beziehung zur politischen Theologie her. „Der methodische Zusammenhang theologischer und politischer Denkvoraussetzungen ist also klar“ (BP, 64). Das theologische Denken tendiert jedoch dahin, die Unterscheidung politischer Begriffe ins Moraltheologische zu verlegen, wo die Gegensätzlichkeit durch einen pädagogisch-praktischen Optimismus verdeckt wird. Im Politischen ist es nicht möglich, den Gegensatz von Freund und Feind tatsächlich aufzuheben, denn das Politische bewegt sich immer in dieser Welt. In dieser Welt müssen die Menschen über alle Begriffe konkret entscheiden, sie können nicht in ein anderes Gebiet verlegt oder umgangen werden. Dies ist die eigentliche Sphäre des Politischen, die nach Schmitt Hobbes wie kein anderer erkannt hat, indem er „immer wieder betont, dass die Souveränität des Rechts nur die Souveränität der Menschen bedeutet, welche die Rechtsnormen setzen und handhaben, dass die Herrschaft einer höheren Ordnung eine leere Phrase ist, wenn sie nicht den politischen Sinn hat, dass bestimmte Menschen einer ,niederen Ordnung herrschen wollen“ (BP, 66).11 Für Hobbes ist der Naturzustand der Kampf aller gegen alle. Schmitt überträgt diesen Naturzustand auf Gruppen bzw. Völker. Die latente Gefährlichkeit des Menschen findet hier ihre Fortsetzung im Zeitalter der Staatlichkeit. Gefährlichkeit bedeutet aber gerade nicht, den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu erstreben, sondern vielmehr Herrschaftsbedürftigkeit.12 Weil der Mensch im politischen Sinn ein gefährliches Wesen ist, bedarf er einer Einschränkung seiner Gefährlichkeit, um sich nicht selbst zu zerstören. Diese Einschränkung kann nach Schmitt nur in der Zurückweisung des Anderen, des Feindes, erlangt werden. In einer unsystematischen Vermischung von Freund und Feind liegt für ihn die viel größere Gefahr grausamer Kriege, weil in der plötzlich zutage tretenden Feindbestimmung der Feind als das zu Vernichtende angesehen wird. Genau das ist durch die Freund-Feindbestimmung zu unterscheiden.13 Die Gefährlichkeit des Menschen als Voraussetzung des Politischen hat also vielmehr die Hegung der Gewalt, so Schmitt, zum Ziel und nicht dessen Entregelung. Indem der Liberalismus dies negiert, negiert er nicht nur das Politische, sondern stellt den Menschen in eine viel größere Gefährdung. Er macht ihm vor, das Wesen seiner politischen Existenz überwinden zu können. Dieses wird aber höchstens verdrängt, um dann mit umso größerer Macht hervorzubrechen.

11 An dieser Stelle ist offensichtlich, dass sich Schmitt eine herrschaftsfreie Kommunikation nicht vorstellen kann. Menschen haben in einer konkreten Situation immer Interessen, Wünsche oder Ziele, die sie verwirklichen möchten und einer Wahrheit entgegenstehen, welche unabhängig davon Verwirklichung finden soll. 12 Strauss (1932), S. 743. 13 Hier könnte man argumentieren, dass Schmitt 1933 in Bezug auf die Judenfrage seine eigene Argumentation verlassen hat.

I. Der Begriff des Politischen

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Die Infragestellung des Politischen führt nach Schmitt in letzter Konsequenz, so paradox das erscheinen mag, zu einer Steigerung der Gewalt, zu einem Feindbegriff, der auf die Vernichtung des politischen Gegners zielt. Die klare Freund-Feindbestimmung bedeutet für Schmitt Hegung der Gewalt. Sie bedeutet darüber hinaus, dass der Mensch in seiner Kultur den Naturzustand nicht vergisst und erkennt, dass Kultur nicht eine freie eigenständige Schöpfung des Menschen über oder neben der Natur, sondern immer Pflege der Natur bzw. eine Kultivierung des Naturzustandes ist. Dass der Naturzustand Wirklichkeit ist, beweist die Geschichte. Und dass er immer noch gültig ist, gibt Schmitt mit der Feststellung zu verstehen, dass der Zustand einer politikfreien Weltanschauung vorläufig noch nicht da ist (BP, 54). Die Freund-Feindunterscheidung, so verstanden, ist nichts weiter als eine Selbstaufklärung des Menschen über seine politische Existenzweise. Sie dient nicht einem individualistischen oder rassistischen Feinddenken, sondern erkennt an, dass menschliche Vereinigungen unterschiedliche Existenzweisen haben. Diese Existenzweise äußert sich nach Schmitt in der Homogenität einer Gruppe. Diese Homogenität fasst Schmitt vor 1933 ideell, nicht mythisch oder rassistisch. Und Homogenität bedeutet nach Schmitt auch nicht Monismus, sondern „Einheit sozialer Vielheit“.14 Daraus folgt Schmitts Ablehnung der Welt-Moderne, die durch die universale Vernunft im Prinzip nur noch eine Existenzweise zulässt. Diese Existenzweise findet im technischen Zeitalter in der Neutralisierung aller Gegensätze ihren Ausdruck. Sie mündet nach Schmitt in einen „wissenschaftlich-technisch-industriellen ProzessProgress, der das Alte entweder – nach dem Maß neuer Verwertbarkeit – verwertet, oder als unverwertbar ignoriert, oder als störenden Unwert vernichtet“ (PT, II, 126). Diese Neutralität bzw. Neutralisierung, die alle Traditionen aufhebt und ihre Legitimität nur noch aus sich selbst, aus dem ständig Neuen schöpft, ist nichts anderes als der Versuch, eine Verständigung um jeden Preis zu erreichen. Alle möglichen Konflikte sollen aufgelöst werden. Leo Strauss hatte festgestellt, dass nach Schmitt die Verständigung um jeden Preis nur möglich ist „als Verständigung auf Kosten des Sinns des menschlichen Lebens; denn sie ist nur möglich, wenn der Mensch darauf verzichtet, die Frage nach dem Richtigen zu stellen; und verzichtet der Mensch auf diese Frage, so verzichtet er darauf, ein Mensch zu sein.“15 Es ist für Schmitt entscheidend, dass die Frage nach dem Richtigen im Politischen immer auf Gegensätze hinausläuft, da niemals alle Menschen die gleiche Auffassung über ihre Existenzweise haben können. Die Frage nach dem Richtigen im Politischen muss deshalb zwangsläufig auf den Freund-Feindgegensatz stoßen. „Ein Leben, das gegenüber sich selbst nichts mehr hat als den Tod, ist kein Leben mehr, sondern Ohnmacht und Hilflosigkeit“ (ZN, 95). Hier kommen deutlich Schmitts Vorbehalte einer reinen Diesseitigkeit zum Vorschein. Die Neutralisierungen und die Welt-Moderne enden in einem rein diesseitigen Fortschrittsprozess, der „nicht nur sich selbst und den Neuen Menschen, sondern auch die Bedingungen der Möglichkeit seiner Eigenen-Neuheitserneuerung“ 14 15

Kramme, S. 181. Strauss (1932), S. 747.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

produziert; „das bedeutet das Gegenteil einer Schöpfung aus dem Nichts, nämlich die Schöpfung des Nichts als Bedingung der Möglichkeit der Selbst-Schöpfung einer stets neuen Weltlichkeit“ (PT II, 125). Eine Welt der Unterhaltung hat kein anderes Interesse mehr als die Unterhaltung selbst. Jenseits der Unterhaltung gibt es weder Transzendenz noch die Möglichkeit des Anderen bzw. des Anders-Seins. Es gibt nur noch eine unbeliebige Unbestimmtheit, welche die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht mehr stellt. Die Wirklichkeit des Staates, die politische und menschliche Wirklichkeit, können wir laut Schmitt nur erfassen, „wenn wir bereits sind, politische und rechtliche Konzepte bis zu ihrer endgültigen metaphysischen und theologischen Bedeutung zu verfolgen […]“16 Wenn auch dem Denken dies nicht mehr möglich ist, so verödet die große schöpferische Denkfreiheit, die sich der Mensch in den Wissenschaften errungen hat. Denn nur „die Wissenschaft, indem sie alle praktischen Überlegungen beiseite schiebt, durchbricht die Mechanik der reinen Theorie und gelangt zur Substanz des Lebens.“17 So gesehen ist Schmitts „Begriff des Politischen“ eine radikale Kritik an der WeltModerne, dem Universalismus. Leo Strauss hat deshalb zu Recht am Schluss seiner „Anmerkungen“ festgestellt: „Die von Schmitt eingeleitete Kritik am Liberalismus kann daher nur zu einer Vollendung kommen, wenn es gelingt, einen Horizont jenseits des Liberalismus zu gewinnen.“18 Schmitt glaubte selber nach 1933 für einige Jahre diesen Horizont gefunden zu haben. Doch enthebt uns Schmitts eigene Antwort nicht der Aufgabe, die Fragen und die daraus resultierende Kritik an der Welt-Moderne achtlos beiseite zu schieben, die er mit seinem Begriff des Politischen aufgeworfen hat.

II. Die Welt als politisches Pluriversum Auf Schmitts Begriffsbestimmung des Politischen folgt notwendigerweise, dass die Welt ein politisches Pluriversum ist. Indem die politische Einheit „die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere koexistierende politische Einheit“ voraussetzt, muss es auf der Erde, „solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten“ geben (BP, 54). Ein Weltstaat ist für Schmitt das Ende aller Staatlichkeit. An die Stelle eines politischen Pluriversums träte eine alle Menschen umfassende Organisation, die aus sich heraus keine Alternativen mehr zuließe bzw. zulassen könnte. Der zwischenstaatliche Krieg würde verschwinden und an seine Stelle der internationale Bürgerkrieg treten. Der moderne Staat wiche einem politiklosen Zustand der Welt-Moderne, in der es nur noch Kultur, Zivilisation, Wirtschaft, Moral, Recht, Kunst gäbe, aber keine Politik mehr. 16 17 18

Kennedy, in: Quaritsch (1988), S. 249. Kennedy, in: Quaritsch (1988), S. 249. Strauss (1932), S. 749.

II. Die Welt als politisches Pluriversum

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Diesen Zustand einer Welt-Moderne identifiziert Schmitt mit dem Begriff der Menschheit der naturrechtlichen und liberal-individualistischen Doktrin, die er einer eingehenden Kritik unterzieht.

1. Die Menschheit Nach Schmitt „kann die Menschheit als solche keinen Krieg führen, denn sie hat keinen Feind, wenigstens nicht auf diesem Planeten. Der Begriff der Menschheit schließt den Begriff des Feindes aus, weil auch der Feind nicht aufhört, Mensch zu sein und darin keine spezifische Unterscheidung liegt“ (BP, 54 – 55). Die Menschheit ist, und das ist für Schmitt wesentlich, „kein politischer Begriff, ihm entspringt auch keine politische Einheit oder Gemeinschaft und kein Status“ (BP, 73). Mit der Bezeichnung „politischer Begriff“ mach Schmitt deutlich, worum es ihm geht. Die Menschheit ist nach den naturrechtlichen und liberal-individualistischen Doktrinen für Schmitt „eine universale, d. h. alle Menschen der Erde umfassende soziale Idealkonstruktion, ein System von Beziehungen zwischen einzelnen Menschen, das erst dann wirklich vorhanden ist, wenn die reale Möglichkeit des Kampfes ausgeschlossen und jede Freund-Feindgruppering unmöglich geworden ist. In dieser universalen Gesellschaft wird es dann keine Völker als politische Einheiten, aber auch keine kämpfenden Klassen und keine feindlichen Gruppen mehr geben (BP, 56). Schmitt sieht als Ziel der Welt-Moderne die Auflösung des Politischen durch die endgültige Abschaffung des Krieges. Die Frage ist jedoch, wie dies politisch zu erreichen ist und wie dieser Zustand real aussehen wird. Die soziale Idealkonstruktion der Welt-Moderne muss in der „politischen“ Welt durchgesetzt und realisiert werden. Die erste und wichtigste Frage, die es diesbezüglich zu beantworten gilt, ist, worin die alle Menschen umfassende Gemeinsamkeit liegt bzw. liegen könnte. Schmitt konstatiert skeptisch: „Würde tatsächlich auf Grundlage einer nur wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Einheit die ganze Menschheit und die ganze Erde geeint, so wäre das zunächst noch nicht mehr ,soziale Einheit, wie die Bewohner einer Mietskaserne oder die an dasselbe Gaswerk angeschlossenen Gasbezieher oder die Reisenden des gleichen Autobus eine soziale ,Einheit sind. Solange diese Einheit nur wirtschaftlich oder verkehrstechnisch bliebe, könnte sie sich mangels eines Gegners nicht einmal zu einer Wirtschafts- und Verkehrspartei erheben. Wollte sie darüber hinaus auch noch eine kulturelle, weltanschauliche oder sonst wie ,höhere Einheit bilden, so wäre sie zwischen den Polaritäten von Ethik und Ökonomik einen Indifferenzpunkt suchende Konsum- und Produktionsgenossenschaft. Die kennt weder Staat noch Reich noch Imperium, weder Republik noch Monarchie, weder Aristokratie noch Demokratie, weder Schutz noch Gehorsam, und hätte überhaupt jeden politischen Charakter verloren“ (BP, 58). Schmitt ist skeptisch gegenüber dem zu realisierenden Zustand einer Welt-Moderne. Diese bedeutet für ihn die Auflösung jeder „moralischen“ Entscheidung zuguns-

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

ten einer Konsum- und Produktivgenossenschaft, die gegenüber der Wahrheitsfrage gleichgültig ist, da sie effektiv keine Bedeutung mehr hat. Die Industriemaschine verselbständigt sich und lässt keine Eingriffe mehr zu. Schmitts Skepsis geht noch weiter mit seiner Frage, „welchen Menschen die furchtbare Macht, die mit einer erdumfassenden wirtschaftlichen und technischen Zentralisation verbunden ist, zufallen wird“ (BP, 58). Dies ist für Schmitt die zentrale, die „politische“ Frage, denn im Politischen enthält die Menschheit, wie auch jeder andere Begriff, eine existentielle Bedeutung. „Wenn ein Staat im Namen der Menschheit seinen politischen Feind bekämpft, so ist das kein Krieg der Menschheit, sondern ein Krieg, für den ein bestimmter Staat gegenüber einem Kriegsgegner einen universalen Begriff zu okkuppieren sucht, um sich (auf Kosten des Gegners) damit zu identifizieren, ähnlich wie man Frieden, Gerechtigkeit, Fortschritt, Zivilisation missbrauchen kann, um sie für sich zu vindizieren und dem Feinde abzusprechen. ,Menschheit ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansion und ihre ethisch-humane Form ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus“ (BP, 55).19 Schmitt denkt hier an die USA. Ob man ihm in diesem Punkt zuspricht oder nicht, ist für die Frage als solche nicht entscheidend und hat immer noch aktuelle Bedeutung: Wer entscheidet im „Politischen“ über den Inhalt eines Begriffs, in diesem Fall den der Menschheit? Es ist wichtig, diese Besonderheit des „politischen“ Begriffs herauszustellen. Im Politischen bedeutet für Schmitt Menschheit oft die Negation von Werten und Kulturen, die sich (scheinbar) diesem Begriff widersetzen. Im Positiven führt die „Menschheit“ nach Schmitt zu einem Zustand eines „nachgeschichtlichen Nirwana“. Die Frage heute ist, ob es dazwischen noch einen anderen Weg gibt und wie er politisch aussehen könnte. Im Konkreten unterzieht Schmitt den Menschheitsbegriff der Kritik am Beispiel des Genfer Völkerbundes und seine Ausführungen darüber sind heute in Bezug auf die UNO immer noch bedenkenswert. Nach Schmitt wollte der Genfer Völkerbund ein universaler Bund sein. Worin besteht diese Universalität? Nach Schmitt hat das Wort „universal“ einen mehrfachen Sinn. Es wird meistens als eine bloß räumliche, territoriale Universalität aufgefasst in dem Sinn, dass der Völkerbund alle Staaten der Erde umfassen sollte (PB, 94). Schmitt kritisiert dies: Mit einer solchen räumlichen Universalität wäre selbstverständlich nicht viel erreicht, wenn nicht eine sachliche Universalität hinzukäme. Denn auch eine Verwaltungsgemeinschaft, ein Weltpostverein, hat diese räumliche Universalität ohne entscheidende politische Wirkung und Bedeutung. Eine sachliche Universalität aber besteht nicht nur darin, dass der Völkerbund sich mit jeder den Frieden der Erde berührenden Angelegenheit befassen, also jede wichtige politische Frage an sich ziehen und zu ihr Stellung nehmen kann“ (BP, 94). Die wirkliche Uni19 Wenn man dieses Zitat auf den Irakkrieg der Regierung Bush anwendet, erkennt man sofort die Aktualität dieser Aussage.

II. Die Welt als politisches Pluriversum

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versalität des Genfer Völkerbundes besteht demnach in der Tatsache, dass er in jede Angelegenheit, die auf der Erde mit Krieg und Frieden zu tun hat, eingreifen kann. Das Vorhandensein von Staaten, die je nach eigenen Interessen handeln, hebt diesen Universalismus jedoch wieder auf. Nach Schmitt wird durch das Vorhandensein von Staaten der Unterschied zwischen „international und zwischenstaatlich, von entpolitisierter Universal-Gesellschaft und zwischenstaatlicher Garantie des status quo der heutigen Grenzen“ sichtbar (BP. 57). Solange Staaten existieren, ist immer die Möglichkeit eines Krieges gegeben. „Der Genfer Völkerbund hebt die Möglichkeit von heutigen Kriegen nicht auf, sowenig wie er Staaten aufhebt. Er führt neue Möglichkeiten von Kriegen ein, erlaubt Kriege, fördert Koalitionskriege und beseitigt eine Reihe von Hemmungen des Krieges dadurch, dass er gewisse Kriege legitimiert und sanktioniert. Wie er bis heute besteht, ist er eine unter Umständen sehr nützliche Verhandlungsgelegenheit, ein System von Diplomatenkonferenzen, die unter den Namen Völkerbundsrat und Völkerbundsversammlung tagen mit einem technischen Büro, dem Generalsekretariat. Er ist […] kein Bund, wohl aber möglicherweise ein Bündnis“ (BP, 57). Dies zeigt, dass der Begriff der Menschheit trotz des Anspruchs auf Universalität vom Genfer Völkerbund „politisch“ keineswegs umgesetzt worden ist. Die Menschheit ist nur ein ideales Postulat, dessen „eigentliche Tätigkeit auf humanitärem, nicht politischem Gebiet liegt“ (BP, 57). Eine politische Bedeutung kann ein universaler Völkerbund nach Schmitt nur dann haben, „wenn er ein potenzielles oder aktuelles Bündnis, eine Koalition darstellt“ (BP, 57). Das Kriegsrecht wäre damit jedoch nicht abgeschafft, sondern nur ganz oder teilweise auf den Bund übergegangen. Das konkrete politische Problem eines universalen Völkerbundes sähe sich dann vor die Schwierigkeit gestellt, „erstens allen bestehen bleibenden menschlichen Gruppierungen das jus belli effektiv wegzunehmen und zweitens trotzdem selber kein ius belli zu übernehmen, denn sonst wären Universalität, Menschheit, entpolitisierte Gesellschaft, kurz alle wesentlichen Merkmale wieder entfallen“ (BP, 58). Nur dies würde nach Schmitt echte Universalität bedeuten. Da indessen in der politischen Wirklichkeit immer noch Staaten existieren, kann eine solch echte Universalität nur durch einen übermächtigen Staat oder eine Gruppe von Staaten gegenüber anderen durchgesetzt werden, was jede echte Universalität sofort wieder aufheben würde.20 Das Bekenntnis zur Ablehnung des Krieges und dessen Realisierung sind also etwas völlig Verschiedenes. Hieran entzündet sich Schmitts Ablehnung einer reinen Universalität. Diese ist im „Politischen“ eben nur durch die Übermacht eines Staates oder einer Gruppe von Staaten zu realisieren. Dieser unaufhebbare Widerspruch vermag im Bereich des Politischen nicht gelöst zu werden.

20 Diese Problematik sieht man heute in der Besetzung des UN-Sicherheitsrates, indem kein afrikanischer Staat direkt vertreten ist.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

2. Kritik an der Auflösung des Staates Der Staat ist nach Schmitt die höchste politische Einheit. Am Ende der europäischen Moderne ist er in eine schwere Krise geraten. Die Erschütterung des Staates geht einher mit einer „Erschütterung einer Staatsethik. Alle überlieferten staatsethischen Vorstellungen teilen das Schicksal des konkreten Staates, den sie stets voraussetzen, und geraten mit ihm in Misskredit“ (PB, 133). Neben Hegels Staatsethik wird nach Schmitt auch der Staatsgedanke Kants und sogar der des liberalen Individualismus von dieser Kritik erfasst. „Wenn diese auch den Staat nicht als Subjekt und Träger einer autonomen Ethik ansieht, sondern ihre Staatsethik vor allem darin besteht, den Staat an ethische Normen zu binden, so geht sie doch – mit Ausnahme einiger radikaler Anarchisten – bisher immer davon aus, dass der Staat eine oberste Instanz und der maßgebende Richter über das äußere ,Mein und Dein ist, durch den der bloß normative und daher richterlose Naturzustand […] überwunden werde“ (PB, 133 – 134). Auch Kants Ethik und die des liberalen Individualismus kommen zuletzt ohne Vorstellung des Staates als einer „überragenden Einheit und Größe“ nicht aus (PB, 134). Diese Auffassung vom Staat wird durch die Welt-Moderne radikal in Frage gestellt. Für sie ist nicht der Staat, sondern immer das einzelne Individuum Ausgangspunkt der Betrachtungen über das Politische. Der Mensch und die Menschenrechte gehen dem Staat voraus. Stellvertretend für diese Richtung sieht Schmitt unter anderem die pluralistische Staatstheorie von Harold L. Laski. Diese negiert, dass der Staat eine andere und höhere Art sozialer Verbindung ist als irgendeine andere Assoziation, in denen Menschen leben. „Der Staat wird zu einer sozialen Gruppe oder Assoziation, die bestenfalls neben, keinesfalls über den anderen Assoziation steht. In seiner ethischen Konsequenz führt das zu dem Ergebnis, dass der einzelne Mensch von ungeordnet nebeneinander geltenden sozialen Verpflichtungen und Loyalitätsbeziehungen lebt: in der religiösen Gemeinschaft, in wirtschaftlichen Verbänden, wie Gewerkschaften, Konzernen oder anderen Organisationen, in einer politischen Partei, im Klub, in kulturellen und geselligen Vereinen, in der Familie und mancherlei anderen sozialen Gruppen. Überall ist er zur Loyalität oder Treue verpflichtet; überall ergibt sich eine Ethik: Kirchenethik, Standesethik, Gewerkschaftsethik, Familienethik, Vereinsethik, Kontor- und Geschäftsethik usw. Für alle diese Pflichtenkomplexe, für die ,Pluralität der Loyalitäten, gibt es keine ,Hierarchie der Pflichten, kein unbedingt maßgebendes Prinzip der Über- und Unterordnung. Insbesondere erscheint die ethische Bindung an den Staat, die Pflicht zur Treue und Loyalität, nur als ein Fall neben vielen anderen Bindungen, neben der Loyalität gegen die Kirche, die Gewerkschaft oder die Familie; die Loyalität gegenüber dem Staat hat keinerlei Vorrang, und die Staatsethik ist eine Spezialethik neben vielen anderen Spezialethiken“ (PB, 134). Schmitt gesteht Laski zu, damit den metaphysischen Kern des 20. Jahrhunderts getroffen zu haben: „Vor allem entspricht die pluralistische Auffassung dem empirisch wirklichen Zustand, wie man ihn heute in den meisten industriellen Staaten be-

II. Die Welt als politisches Pluriversum

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obachten kann […] Der Staat erscheint tatsächlich in weitem Maße von den verschiedenen sozialen Gruppen abhängig, bald als ein Opfer, bald als Ergebnis ihrer Abmachung, ein Kompromissobjekt sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen, ein Agglomerat heterogener Faktoren, Parteien, Interessenverbände, Konzerne, Gewerkschaften, Kirchen usw., die sich untereinander verständigen. Im Kompromiss der sozialen Mächte ist der Staat geschwächt und relativiert, ja überhaupt problematisch geworden, weil schwer zu erkennen ist, was ihm noch an selbständiger Bedeutung zukommt“ (PB, 154). Bei aller Zustimmung setzt hier Schmitts Kritik an der Welt-Moderne an. Schmitt deutet analog zu Hobbes den Naturzustand als einen Kampf aller gegen alle. Der Staat ist die Institution, die dem Unrecht des Naturzustandes Einhalt gebietet und beendet. Die „Freiheit“ des Individuums beginnt erst mit und im Staat. Dieser ist nach Schmitt eine Einheit aus sozialen Vielheiten. „Sie war zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Staaten sehr verschieden, immer aber komplex und im gewissen Sinn in sich selbst pluralistisch“ (PB, 139). Wenn die Freiheit, die Sicherheit vor dem Naturzustand, erst mit dem Staat beginnt, kann es ohne Staat keine Freiheit geben. Aus diesem Grund ist nach Schmitt der Mensch ohne den Staat nichts. Deshalb darf das Individuum auch nicht, wie bei den „liberalen“ Theoretikern, Ausgangspunkt der Betrachtungen über das Politische sein, sondern immer nur der Staat als das Ensemble verschiedener sozialer Gruppen. Die Welt-Moderne, für die nach Schmitt unter anderem Laskis pluralistische Staatstheorie steht, geht immer von dem einzelnen Individuum aus. Dieses entscheidet stets aufs Neue, wem oder welcher Gruppe bzw. Assoziation es sich im Konfliktfall anschließen wird. Hier liegt für Schmitt ein zweifacher Widerspruch vor. Der erste liegt in der Behauptung, das einzelne Individuum entscheide von sich aus unabhängig der sozialen Gruppe, der es zugehört. Das einzelne Individuum entscheidet nach Schmitt niemals als einzelnes. Indem es einer sozialen Gruppe zugehört, wird die Entscheidung maßgebend durch jene hervorgerufen und beeinflusst. Das einzelne Individuum, das einzeln von sich aus entscheidet, ist nach Schmitt die Ausnahme. Wenn dem Staat keine übergeordnete Bedeutung beigemessen wird, dann bedeutet sozialer Pluralismus im Gegensatz zu staatlicher Einheit weiter nichts, „als dass der Konflikt der sozialen Pflichten der Entscheidung der einzelnen Gruppen überlassen bleibt. Das bedeutet dann Souveränität der sozialen Gruppen, nicht aber Freiheit und Autonomie des einzelnen Individuums“ (PB, 138). Nach Schmitt gibt es eben für das empirische Individuum „keinen Spielraum seiner Freiheit als denjenigen, den ein starker Staat zu geben vermag“ (PB, 138). Der zweite Widerspruch „liegt darin, dass der ethische Individualismus sein Korrelat im Begriff der Menschheit hat. Der empirische einzelne kann sich nicht selbst genügen und nicht von seiner Einzelheit aus ethische Konflikte des sozialen Lebens entscheiden“ (BP, 138). Der Individualethik wirft Schmitt vor, dass sie die Bedeutung

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

des Staates verkennt und durch den Begriff der Menschheit ein Universalismus gepredigt wird, der alles andere als eine pluralistische Theorie ist. Über diese für Schmitt hervorstechenden Widersprüche hinaus leidet Laskis Theorie darin, dass sie das Politische fehl deutet. Indem der Staat als eine Assoziation neben anderen aufgefasst wird, wird ihm ein bestimmter Inhalt zugesprochen. Hier meldet sich Schmitt mit seiner Deutung des Politischen zu Wort. Nach Schmitt hat das Politische eben keine inhaltliche Sphäre und kann von dieser nicht verstanden werden. Die politische Einheit kann „verschiedene Gehalte haben und in sich umfassen. Die bezeichnet aber stets den intensivsten Grad der Einheit, von dem infolgedessen auch die intensivste Unterscheidung, die Gruppierung nach Freund und Feind, bestimmt wird“ (PB, 141). Zudem hat der Staat niemals eine nur funktionelle Bedeutung gehabt, wie er in den Bezeichnungen wie Regierungsapparat oder Verwaltungsmaschine zum Ausdruck kommt. Der Staat ist nach Schmitt immer auch eine „aus den Kompromissen der verschiedenen sozialen Gruppen sich integrierende politische Einheit, die als solche gewisse ethische Ansprüche machen kann, sei es auch nur der Anspruch, dass die Abmachungen und Kompromisse gehalten werden“ (PB, 140. Der Staat ist für Schmitt analog zu Hegell21 nichts anderes als die politische Einheit, welche eine Ordnung erst möglich macht. Er ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit und des Rechts. Die Auflösung des Staates durch eine Umwandlung in eine Assoziation neben anderen verkennt die Besonderheit des Staates, die in der Hervorbringung des Rechts bzw. des Rechtszustandes liegt und ihn dadurch von allen anderen Assoziationen unterscheidet.

3. Politischer Pluralismus versus Weltstaat Der Weltstaat bzw. die Auflösung des Staates ist für Schmitt das Ende des Politischen und des politischen Pluralismus. In Anlehnung an Hegel meint Schmitt, dass die pluralistischen Staatstheorien den Begriff des Pluralismus nicht angemessen fassen. Der Pluralismus liegt nach Schmitt nicht in den die Gesellschaft konstituierenden Assoziationen. Vielmehr ist die Welt des objektiven Geistes pluralistisch: „Pluralismus der Rassen und Völker, der Religionen und Kulturen, der Sprachen und Rechtssysteme“ (PB, 141). Demnach ist die „Pluralität der Staaten, d. h. der politischen Einheiten der verschiedenen Völker“ der „echte Ausdruck eines richtig verstandenen Pluralismus“ (PB, 142). Universalmonistische Begriffe wie Gott, Welt und Menschheit sind zwar nach Schmitt höchste Begriffe, denen eine spezifische Bedeutung zukommt. Doch sind diese nur „regulative Ideen ohne direkte und indirekte Gewalt. Darin liegt ihr Wert 21 Dies gilt zumindest für den Hegel der Rechtsphilosophie von 1820. Vgl. hierzu die Einleitung von Karl-Heinz Ilting in Hegel, S. 77 ff.

II. Die Welt als politisches Pluriversum

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und ihre Unentbehrlichkeit“ (PB, 142). Im Bereich des Politischen, in der konkreten Wirklichkeit, genügen diese Ideen jedoch nicht, da sie nichts konstituieren, „jedenfalls keine unterscheidbare Gemeinschaft. Alle Völker, alle Klassen, alle Angehörigen aller Religionen, Christen und Sarazenen, Kapitalisten und Proletarier, Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte, Delinquent und Richter sind Menschen, und mit Hilfe eines solchen universalen Begriffs lässt sich jede Unterscheidung negieren und jede konkrete Gemeinschaft sprengen“ (PB, 142 – 143). Schmitts Befürchtung ist, dass in der politischen Wirklichkeit die Idee der Menschheit von bestimmten Völkern oder Gruppen benutzt wird, um ihre je eigenen Machtansprüche gegen andere durchzusetzen: „Wenn aber erst höchste und universale Begriffe wie Menschheit politische benutzt werden, um ein einzelnes Volk oder eine bestimmte soziale Organisation mit ihnen zu identifizieren, dann entsteht die Möglichkeit furchtbarster Expansion und eines mörderischen Imperialismus. Hierfür lässt sich der Name der Menschheit nicht weniger missbrauchen als der Name Gottes, und es könnte sein, dass sich bei vielen Völkern und großen Massen ein Gefühl verbreitet, dessen authentischer Ausdruck in der Abwandlung eines schlimmen Wortes von Proudhon enthalten ist: ,Wer Menschheit sagt, will betrügen“ (PB, 143). Für Schmitt ist der Universalismus bzw. Weltstaat etwas, das über die Grenzen eines menschlichen Daseins hinweggeht. Fehler und Irrtümer, die in Staaten begangen werden, können wieder korrigiert werden. Fehler und Irrtümer, die in einem die ganze Menschheit umfassenden Universalstaat gemacht werden, sind unumkehrbar. Es scheint, dass hier Schmitts anthropologische Sichtweise vom fehlbaren Menschen maßgebend für seine Ablehnung eines reinen Universalismus ist. Zudem fürchtet er eine einheitliche Nivellierung menschlichen Daseins in eine einzige weltumspannende Organisation. „Soviel Betrug und Lüge auch im Staat wie in allem Menschlichen noch möglich ist, die phantastische Dimension eines Welt und Menschheit umfassenden Universalbetrugs sind hier nicht möglich. In einer vom Gesetz des Pluralismus beherrschten geistigen Welt ist ein Stück konkreter Ordnung wertvoller als die leeren Allgemeinheiten einer falschen Totalität. Denn es ist eine wirkliche Ordnung, nicht eine konstruierte und fingierte Abstraktion, eine Gesamtsituation des normalen Lebens, in der konkrete Menschen und soziale Gruppen ihre konkrete Existenz haben können. Es wäre ein falscher Pluralismus, gegen die konkrete Wirklichkeit solcher pluraler Ordnungen weltumfassende Ganzheiten auszuspielen; es ist vernünftig und sinnvoll, das Nach- und Nebeneinander der Völker und Staaten gelten zu lassen, das den Inhalt der menschlichen Geschichte darstellt“ (PB, 143). Indem die Menschen sich in verschiedenen Staaten organisieren, gibt es immer auch die Möglichkeit verschiedener Existenzformen. Dieser Pluralismus hat nach Schmitt den Vorrang vor einem Weltstaat, der bestenfalls die Vorrangstellung einiger Völker gegen andere bedeutet. Hiermit berührt Schmitt genau den Punkt, der heute nach wie vor aktuell ist, nämlich ob es im Politischen einen Universalismus geben kann, der von der Machtfrage unberührt bleiben kann.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

III. Die Verbannung des Ausnahmezustandes und das Prinzip der Legalität Der Ausnahmezustand hat auf Schmitt stets eine große Faszination ausgeübt. Er hat seine Deutung des Ausnahmezustandes im Zusammenhang mit der Frage nach der Souveränität entwickelt und hat seinen prägnantesten Ausdruck in der Eingangsformulierung der „Politischen Theologie“ gefunden: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ (PT, 11). Der Ausnahmezustand ist nach Schmitt latent immer vorhanden und möglich. Kein Recht oder Rechtssystem kann ihn aus der Welt schaffen. Damit greift Schmitt das Legalitätsprinzip an, welches durch den Rationalismus der Aufklärung eingeleitet und in der aufkommenden Welt-Moderne zum beherrschenden politischen Prinzip wurde.22 Ihr gilt die Identität von Legalität und Legitimität als Voraussetzung jeden politischen Handelns.23 Aber noch aus einem anderen Grund interessiert sich Schmitt für den Ausnahmezustand. Der Rationalismus konzentriert sich ganz auf den Normalfall. Nach Schmitt aber ist die Ausnahme „interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme“ (PT, 22). Erst durch die Ausnahme kann das Normale erkannt werden. Die Verbannung der Ausnahme führt nach Schmitt zwangsläufig zu einer mechanistischen Reproduzierung des Status quo, der nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann, denn erst „in der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik“ (PT, 22). Dies ist der Grund für die Zuwendung Schmitts zum Ausnahmezustand und seine Ablehnung der Welt-Moderne, die durch die Verbannung des Ausnahmezustandes in einer mechanistischen Reproduzierbarkeit verharrt.

1. Rationalismus und Ausnahmezustand Der Rationalismus der Aufklärung hat den Ausnahmezustand in jeder Form verworfen. Das Vorbild der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik und Mathematik, zeigen den Philosophen seit dem 17. Jahrhundert, dass alles Sein festen Regeln unterworfen ist. Galilei und seine Nachfolger glaubten, eine umfassende Wahrheit über die Natur entdeckt zu haben. Die Natur ist nach ihnen nicht nur in einer mathematischen Sprache geschrieben, sondern es gibt nur diese einzige Sprache, und weil die Welt homogen ist, kann ein örtlich begrenztes Experiment diese umfassende Wahrheit enthülÜber die Bedeutung des Begriffs Ausnahmezustand bis in die Gegenwart siehe Agamben. In dieser Formulierung liegt der Ansatz von Schmitts späterer Rechtfertigung von Hitlers Röhmputsch in seinem Artikel „Der Führer schützt das Recht“. Aber auch hier gilt: die falsche Antwort Schmitts auf die von im gestellte Frage bzw. Problematik macht die Frage als solche nicht überflüssig. 22

23

III. Die Verbannung des Ausnahmezustandes

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len.24 Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass der experimentelle Dialog mit der Natur, den die moderne Naturwissenschaft entdeckt hat, weniger auf passiver Beobachtung als vielmehr auf praktischer Tätigkeit beruht. Die physikalische Realität muss so manipuliert werden, dass sie einer theoretischen Beschreibung entspricht. Das untersuchte Phänomen muss präpariert und isoliert werden, bis es einer idealen Situation nahekommt, die zwar physikalisch unerreichbar sein mag, aber dem angenommenen begrifflichen Schema entspricht.25 Die Übertragung dieser naturwissenschaftlichen Sichtweise auf den Rechtszustand lehnt Schmitt ab. Zugrunde legt Schmitt in seinen Untersuchungen über den Ausnahmezustand die Unterscheidung zwischen den grundlegenden Elementen des Rechts: Norm und Entscheidung. „Der Ausnahmezustand suspendiert die Norm und offenbart ein spezifisch-jursitisches Formelement, die Dezision, in absoluter Reinheit“ (PT, 19). Durch diese Unterscheidung gelingt es Schmitt scheinbar, den Souverän in die Rechtsordnung zu integrieren. Der Souverän, der über den Ausnahmezustand entscheidet, ist damit gleichzeitig Teil der Rechtsordnung, die er durch seine Entscheidung nicht suspendiert, sondern aufrecht erhält. Dieses Paradox, Entscheidung und Norm in Beziehung zueinander zu setzen, liegt in Schmitts Grundauffassung, dass es immer Menschen sind, die Gesetze machen und nicht umgekehrt. Im Gegensatz zum Gesetzesbegriff der Naturwissenschaften handelt es sich bei der Rechtsordnung um genuin menschliche Gesetze, die den Naturzustand aufheben und durch den der Staat in den Bereich einer menschlichen Ordnung erhoben wird. Der Rechtspositivismus der Weimarer Republik, vertreten durch Kelsen, hat diesen Grundwiderspruch nach Schmitt nicht erkannt. Indem hier Legalität und Legitimität gleich gesetzt wurden, wurde die Möglichkeit einer Rechtspraxis initiiert, die bis zur eigenen Selbstaufgabe führen konnte.26 Kelsen ging in seiner Schrift Reine Rechtslehre soweit und schrieb: „… Darum kann jeder beliebige Inhalt Recht sein.“27 Für Kelsen ist der Ausnahmezustand eine Bedrohung und Durchbrechung der Normalität. Ihm kann eine positive Funktion nicht zukommen. Dies führ nicht nur dazu, dass durch den Rationalismus der Ausnahmezustand im Bereich des Politischen, d. h. in der Praxis, sondern auch im Bereich des Theoretischen verworfen wird. Da die Normalität das einzig Wahre ist, kann Erkenntnis über sie auch nur durch sie gewonnen werden. Wer sich der Ausnahme zuwendet, wendet sich von der Normalität, d. h. der Wahrheit, ab und versucht, jene zu durchbrechen. Wie in der Natur, so kann auch im Politischen die Ausnahme niemals etwas Positives hervorbringen. Die Ausnahme suggeriert die Möglichkeit, dass die Normalität etwas anderes sein könnte als das, was sie nach ihrem eigenen Verständnis ist. Der Herrschaftsanspruch, den der Rationalismus postuliert, wird dadurch in Frage ge24

Prigogine/Stenger, S. 51. Prigogine/Stengers, S. 47. 26 Dies ist ja dann 1933 geschehen. Die Weimarer Verfassung wurde durch das Ermächtigungsgesetz eingehalten und bis 1945 nicht suspendiert. 27 Kelsen, S. 201. 25

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

stellt: „Die Ausnahme verwirrt die Einheit und Ordnung des rationalistischen Schemas“ (PT, 21). Der Rationalismus kann aber nach Schmitt den Ausnahmezustand nicht abschaffen. Eine Ignorierung des Ausnahmezustandes führt nach Schmitt deshalb nicht nur dazu, die Wirklichkeit zu ignorieren. In ihr kann die Ausnahme wichtiger sein als die Regel. Sie auszuschließen heißt nichts anderes, als sich der blinden Hoffnung anvertrauen, dass der Ausnahmezustand nie eintreten möge. In der Theorie führt die Verbannung des Ausnahmezustandes dazu, dass die politische Wirklichkeit theoretisch nicht mehr adäquat erfasst werden kann. Schmitts Kritik an den Rationalisten ist, dass sie sich, ähnlich wie die Naturwissenschaftler, ihren Gegenstand konstruieren, nicht aber als einen von ihnen unabhängigen auffassen. Deshalb können sie das Spezifische der Normalität nicht verstehen und stehen radikalen politischen oder gesellschaftlichen Veränderungen verständnislos gegenüber.28

2. Welt-Moderne als Legalität Der Rationalismus der Aufklärung hat durch die Verbannung des Ausnahmezustandes die Idee der Gesetzmäßigkeit zur maßgebenden Grundlage des politischen Denkens gemacht. Aber erst in der zweiten Hälfte des 19.Jahrunderts wurde er durch den Rechtspositivismus tatsächlich zum herrschenden Prinzip des Politischen. Schmitt bezeichnet deshalb jenen Zeitpunkt als Beginn der Krisis der europäischen Rechtswissenschaft. Worin äußert sich nach Schmitt diese Krise und welches war das treibende Motiv in der Hinwendung zum Rechtspositivismus? Nach Schmitt trat in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts in verschiedenen Ländern Europas, besonders in Frankreich, Österreich-Ungarn und Deutschland, eine innenpolitische Krise ein, weil es in den jeweiligen Parlamenten keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse gab. Damit das Gesetz nicht zum bloßen Mehrheitsbeschluss herabsinkt, verselbständigte sich das Gesetz als „unpersönliche, objektive, gegenüber seinen ,Motiven verselbständigte und isolierbare Größe“ und „wird zu einer Brücke über dem Abgrund innenpolitischer Zerrissenheit. In der objektiven, von allen parteipolitischen Widersprüchen gereinigten Norm verkörpert sich sozusagen die objektive Vernunft der politischen Einheit“ (VA, 402). Für den Liberalismus der Welt-Moderne wird der Begriff der Legalität zum Schlagwort gegen das Legitimitätsprinzip der aus Gottes Gnaden regierenden Monarchen. Legalität bedeutet den rechtsstaatlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Staatstätigkeit im Allgemeinen. Dementsprechend darf der Staat in Freiheit und Eigentum seiner Bürger nur aufgrund eines förmlichen, vom Parlament verabschiede28

Auch hier sei nochmals an die Diskussionen und Auseinandersetzungen in den Jahren 1932/33 der Weimarer Republik erinnert. Der Rechtspositivismus, die Gleichbehandlung aller politischen Gruppierungen, war sicher ein Merkmal der politischen Toleranz gegenüber den Nationalsozialisten bis weit ins bürgerliche Lager hinein.

III. Die Verbannung des Ausnahmezustandes

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ten Gesetzes eingreifen.29 Dies ist nach Schmitt das Einfallstor des Rechtspositivismus. Das Legalitätssystem wird von der Legitimitätsidee isoliert. Legitimität kann nach dem Rechtspositivismus nur noch über das Prinzip der Legalität gewonnen werden. Dies ist der Angriff des Liberalismus auf die Monarchie. Begonnen hatte die Hervorhebung der Legalität als vorherrschendes Kriterium des Rechts bei Kant, der Legalität und Moralität voneinander trennte. Eine Handlung ist nach Kant dadurch als moralisch ausgewiesen, wenn sie von der Achtung für den kategorischen Imperativ („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“) bestimmt ist. Eine solche Handlung kann nicht erzwungen werden. Im Gegensatz dazu gilt das Recht für solche Handlungen, die erzwungen werden dürfen und gewöhnlich erzwungen werden sollen. Moralität wird von der Legalität, dem was Recht ist, geschieden. Das Gesetz bzw. das Recht umfasst eine eigene Sphäre, die keiner Rechtfertigung im Sinne einer Legitimierung bedarf. Demgegenüber versuchen in der Folgezeit besonders die Monarchisten, den Legitimitätsbegriff zur Geltung zu bringen, um die Rechtsmäßigkeit legitimer Thronerben gegenüber Usurpatoren und der neuen Legalität zu verteidigen. Legalität und Legitimität treten deshalb im 19. Jahrhundert immer weiter auseinander. Der Begriff der Legalität blieb unproblematisch, solange er in Verbindung mit Demokratie ein polemischer Begriff, d. h. die Negation der Monarchie war. Über die verschiedenen politischen Bestrebungen hinweg war er ein Synonym für Freiheit von Zwang und Tradition. Der Legalitätsgedanke führte in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts zum „Gesetzgebungsstaat“. Die Besonderheit eines politischen Gemeinwesens als Gesetzgebungsstaat besteht darin, „dass es den höchsten und entscheidenden Ausdruck des Gemeinwillens in Normierungen sieht, die Recht sein wollen, daher bestimmte Qualitäten beanspruchen müssen, und denen deshalb alle anderen öffentlichen Funktionen, Angelegenheiten und Sachgebiete untergeordnet werden können“ (LL, 7). Innerhalb eines solchen Gemeinwesens besteht „die überragende und zentrale Stellung des Parlaments darin, „dass es als ,gesetzgebende Körperschaft diese Normierungen mit ganzer Würde des Gesetzgebers, des ,lgislateurs aufstellte“ (LL, 7 – 8). Der Gesetzgebungststaat ist „ein von unpersönlichen, daher generellen, und vorherbestimmten, daher für die Dauer gedachten Normierungen mess- und bestimmbaren Inhalts beherrschtes Staatswesen, in welchem Gesetz und Gesetzesanwendung, Gesetzgeber und Gesetzanwendungsbehörden voneinander getrennt sind. Es ,herrschen Gesetze, nicht Menschen, Autoritäten oder Obrigkeiten. Noch genauer: die Gesetze herrschen nicht, sie gelten nur als Norm. Herrschaft und bloße Macht gibt es überhaupt nicht mehr“ (LL, 8). Als jedoch mit der Monarchie der gemeinsame Gegner verschwand, traten die Unterschiede zwischen Liberalen, Sozialisten und Faschisten offen zu Tage, ohne dass 29

Siehe die Stichwörter Legalität, Legitimität in: Ritter/Gründer, 1980.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

der Rechtspositivismus, nach Schmitt der höchste Ausdruck des Legalitätsgedankens, dies berücksichtigte. Damit brach die Kluft zwischen Legalität und Legitimität, die für kurze Zeit scheinbar geschlossen war, auf. Die verschiedenen politischen Richtungen beanspruchten für sich eine eigene Legitimität. Der Rechtspositivismus ließ alle politischen Richtungen den Zugang zur Macht offen, da praktisch der Wille der Mehrheit der abstimmenden Staatsbürger die Möglichkeit hatte, jeder politischen Richtung/Strömung die absolute Macht zu geben.30 Hieran entzündete sich Schmitts Kritik am Legalitätsprinzip. Nach Schmitt vertrat es keine substanzhaften politischen Werte, sondern verfiel einer bloßen Mehrheitsstatistik. Der Legalitätsanspruch machte „jeden Widerstand und jede Gegenwehr zum Unrecht und zur Rechtswidrigkeit, zur ,Illegalität. Kann die Mehrheit über Legalität und Illegalität nach Willkür verfügen, so kann sie vor allem ihren innenpoitischen Konkurrenten für illegal, d. h. hors-la-loi erklären und damit von der demokratischen Homogenität des Volkes ausschließen. Wer 51v.H. beherrscht, würde die restlichen 49 v.H. auf legale Weise illegal machen können. Er dürfte auf legale Weise die Tür der Legalität, durch die er eingetreten ist, hinter sich schließen und den parteipolitischen Gegner, der dann mit den Stiefeln gegen die Tür tritt, als einen gemeinen Verbrecher behandeln“ (LL, 33). Die Legalität ist nicht an einen substanzhaften politischen Wert geknüpft und kann deshalb, je nach politischer Mehrheit, wechseln. Durch die Abkopplung von der Legitimität eröffnet sich allen politischen Richtungen die Möglichkeit, auf legalem Weg die Macht zu ergreifen. Vor dem Hintergrund des Legalitätsgedankens ändert sich nach Schmitt auch das Völkerrecht. Bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts war das Völkerrecht im Wesentlichen ein europäisches Völkerrecht. „Für die Betrachtungsweise des staatsbezogenen Positivismus dagegen zerfallen Völkerrecht und innerstaatliches Recht dualistisch (bzw. pluralistisch) nach innen und nach außen in zwei absolut getrennte und isolierte Rechtsquellen, innerstaatliches Gesetz auf der einen, zwischenstaatliche Vereinbarung auf der anderen Seite. Dem Positivismus des innerstaatlichen Gesetzes entspricht der Positivismus des zwischenstaatlichen Vertrages. Die Trennung von Innen und Außen, von innerstaatlichem und zwischenstaatlichem Recht ist so absolut, dass […] zwischen Innen und Außen volle und reine Beziehungslosigkeit besteht, so dass, formal gesehen, nicht einmal ein Konflikt zwischen den beiden Rechtskreisen möglich ist“ (VA, 387). Das Völkerrecht zerfällt in zahllose und unterschiedslose Beziehungen. Dominiert innerhalb der Staaten die jeweilige Mehrheitsfraktion mit der Möglichkeit, den politischen Gegner zur Illegalität zu erklären, so außenpolitisch die ökonomisch stärkere Macht, die sich viel leichter Zugang in die inneren Angelegenheiten schwächerer Staaten verschaffen kann. Der eine Legalitätsgedanke repräsentiert nach Schmitt den substanzlosen Universalismus der Welt-Moderne. Das Prinzip der Legalität, das sich außenpolitisch in der 30

Hierin lagen die Schwächen der Weimarer Verfassung.

III. Die Verbannung des Ausnahmezustandes

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Einhaltung von Verträgen und innenpolitisch in der strikten Gebundenheit an die Gesetze äußert, ist für Schmitt außenpolitisch die Legitimierung des Status quo und innenpolitisch die Zurückweisung jeder anderen Form der Legitimität. Die Welt-Moderne drückt damit ihren Hang zur universellen Normierung aus. Die Legalität wird zum Grundprinzip des Staates und mündet in letzter Konsequenz in die „legale Weltrevolution“.

3. Die Bedeutung des Ausnahmezustandes für das Politische Das Prinzip der Legalität kennt den Ausnahmezustand nicht. Damit wird er für das Politische irrelevant. Selbst die Revolution wird legal. Der Staat ist der Träger der Legalität, der „das Wunder der friedlichen Revolution vollbringt. Die Revolution ihrerseits legitimiert den Staat als Gegenleistung für die Wohltat einer staatlich-legalen Revolution. Die legale Revolution wird permanent und die permanente staatliche Revolution wird legal“ (LW, 322). In einem solchen System ist der Ausnahmezustand überflüssig und hat im Bereich des Politischen keine Funktion mehr. Nach Schmitt ist jedoch aufgrund der historischen Erfahrung diese Entwicklung äußerst zwiespältig, da in diesem Sinn auch „Hitlers Revolution“ von 1933 bis 1945 legal gewesen ist. Zwar räumt Schmitt ein, dass als Folgerung daraus im Bonner Grundgesetz einige Vorkehrungen getroffen worden sind, um den Fall einer solchen legalen Revolution künftig auszuschließen. Dennoch gelangt er aufgrund der Verfassungswirklichkeit zu dem Schluss, dass die Legalität als solche nicht in der Lage sei, dies tatsächlich in jeder Situation praktisch umzusetzen (LW, 335). Der Ausnahmezustand ist für Schmitt die Möglichkeit, den Abgrund zwischen Legalität und Legitimität zu schließen. Was ist also der Ausnahmezustand? „Der Ausnahmezustand“, so Schmitt, „kann höchstens als Fall äußerster Not, Gefährdung der Existenz des Staates oder dergleichen beschrieben werden, nicht aber tatbestandsmäßig umschrieben werden“ (PT, 12). Das Problem des Ausnahmezustandes liegt darin, dass er nicht eindeutig bestimmbar ist. Deshalb ist es auch nicht möglich, vorher inhaltlich festzulegen, welche Maßnahmen im Ausnahmefall zu treffen sind. „Es kann weder mit subsumierbarer Klarheit angegeben werden, wann ein Notfall vorliegt, noch kann inhaltlich aufgezählt werden, was in einem solchen Fall geschehen darf, wenn es sich wirklich um den extremen Notfall und um seine Beseitigung handelt“ (PT, 12). Für Schmitt entsteht aus diesem Grund das Paradox, dass der Ausnahmezustand außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung steht und doch zu ihr gehört, „denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann“ (PT, 13). Schmitt deutet den Ausnahmefall im Zusammenhang mit der Frage nach der Souveränität. Dies leitet ihn zu seiner dezisionstischen Position. Nach Schmitt haben auch die Autoren des Naturrechts im 17. Jahrhundert „die Frage der Souveränität

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

als die Frage nach der Entscheidung über den Ausnahmezustand“ verstanden (PT, 15). Diese gelangten nach Schmitt zu der Auffassung, „dass, wenn innerhalb eines Staates Gegensätze auftreten, jede Partei natürlich nur das allgemein Beste will – darin besteht ja das bellum omnium contra omnes –, dass aber die Souveränität, und damit der Staat selbst darin besteht, diesen Streit zu entscheiden, also definitiv zu bestimmen, was öffentliche Ordnung und Sicherheit ist, wann sie gestört wird usw.“ (PT, 15). Somit unterscheidet Schmitt diesen Ausnahmezustand von Anarchie und Chaos. Diese kennen überhaupt keine Ordnung. Im Ausnahmezustand dagegen „besteht im juristischen Sinne immer noch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung“ (PT, 19). Schmitt argumentiert vor dem Hintergrund der These, dass nur der Staat einen rechtlichen Zustand herbeiführt und es ohne den Staat kein Recht gibt. Im Ausnahmezustand ist es so, dass der Staat das Recht suspendiert. „Die zwei Elemente des Begriffs ,Rechts-Ordnung treten hier einander gegenüber und beweisen ihre begriffliche Selbständigkeit. So wie im Normalfall das selbständige Moment der Entscheidung auf ein Minimum zurückgedrängt werden kann, wird im Ausnahmefall auf die Norm verzichtet. Trotzdem bleibt auch der Ausnahmefall der juristischen Erkenntnis zugänglich, weil beide Elemente, die Norm wie die Entscheidung, im Rahmen des Juristischen verbleiben“ (PT, 19). Der Ausnahmezustand muss nach Schmitt den Juristen zugänglich bleiben, weil auch in ihm „Recht“, wenn auch nicht im rechtsstaatlichen Sinn, gelten muss, um ihn von Chaos und Bürgerkrieg zu unterscheiden. Die Bedeutung und Funktion des Ausnahmezustandes hat Schmitt in seinem Buch „Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf“ ausführlich erläutert. Der Ausnahmezustand führt nach Schmitt zwangsläufig zur Diktatur. Dem Liberalismus wirft er vor, aus einem falschen Verständnis von der Unantastbarkeit der Verfassung das Problem der Diktatur misszuverstehen. Dass die Verfassung unantastbar ist, besagt nach Schmitt nur, „dass jede verfassungsgesetzliche Einzelheit für den Diktator bei der Erfüllung seiner Aufgabe ein unüberwindliches Hindernis darstellt“ (D, VII). Sinn und Zweck der Diktatur sei aber nichts anderes als die „Sicherung und Verteidigung der Verfassung als eines Ganzen“ (D, VII). Die Diktatur ist nach Schmitt ein Mittel, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, nämlich die Sicherung der Verfassung als ganzer. Und weil „ihr Inhalt nur von dem Interesse an dem zu bewirkenden Erfolg, also immer nur nach Lage der Sache bestimmt ist, kann man sie nicht allgemein als die Aufhebung der Demokratie definieren“ (D, VII). Eine Diktatur, die nicht den Zweck hat, sich selbst überflüssig zu machen, ist ein beliebiger Despotismus (D, VIII). Um seine Deutung der Diktatur zu präzisieren, unterscheidet Schmitt zwischen kommissarischer und souveräner Diktatur. „Die kommissarische Diktatur hebt die Verfassung in concreto auf, um die alte Verfassung in ihrem konkreten Bestand zu schützen“ (D, 136). Die souveräne Diktatur dagegen „sieht nur in der gesamten bestehenden Ordnung den Zustand, den sie durch ihre Aktion beseitigen will. Sie sus-

IV. Die Welt-Moderne als Welt der Werte

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pendiert nicht eine bestehende Verfassung kraft eines in dieser begründeten, also verfassungsmäßigen Rechts, sondern sucht einen Zustand zu schaffen, um eine Verfassung zu ermöglichen, die sie als wahre Verfassung ansieht. Sie beruft sich also nicht auf eine bestehende, sondern auf eine herbeizuführende Verfassung“ (D, 137). Die kommissarische Diktatur dient also nach Schmitt der Wiederherstellung einer bestehenden Verfassung, die souveräne Diktatur dagegen hat die Herbeiführung einer neuen Verfassung zum Zweck. Beide Male geht es um die Wiederherstellung bzw. Überwindung einer Staatskrise. Nach den Erfahrungen der Hitler-Diktatur mag eine solche Betrachtungsweise heute suspekt erscheinen. Dennoch trifft Schmitt ein wichtiges politisches Problem der Welt-Moderne, nämlich wie sie mit dem Ausnahmezustand bzw. der Legalität umgehen will.31 Der Universalismus der Welt-Moderne lässt sich heute als eine substanzhafte Legalität bezeichnen. Die Legalität geht heute in den meisten demokratischen Ländern nicht mehr in einem substanzlosen Rechtspositivismus auf. Die meisten Verfassungen demokratischer Länder heben den substanzhaften Wert der Demokratie hervor. Doch die Welt-Moderne, so wie sie Schmitt sieht, ist immer noch eine Art westlicher Moderne. Der Verweis auf ein politisches Pluriversum entspricht aber eher den realen Entwicklungen der letzten 30 Jahre. Mit dem Aufstieg Chinas, Indiens, der so genannten Tigerstaaten, Brasiliens, Südafrikas hat sich die Welt grundlegend verändert. Der zwanghafte Versuch der Bush-Regierung, westliche Demokratie durch Krieg zu installieren, darf als gescheitert angesehen werden. Der Ausnahmezustand ist in der politischen Wirklichkeit nach wie vor präsent.32 Dass das Legalitätsdenken immer wieder an seine Grenzen stößt, verweist auf die Notwendigkeit, den Ausnahmezustand und die Formen autoritärer Herrschaft theoretisch und praktisch als Teil der Wirklichkeit zu begreifen.

IV. Die Welt-Moderne als Welt der Werte Für Schmitt ist die Welt-Moderne der Beginn einer neuen Rationalität, die vom Ökonomischen ausgeht und mehr und mehr die anderen Bereiche des menschlichen Daseins erfasst. Diese neue Rationalität mündet nach Schmitt in ein allgemeines „Wert-Denken“. Dieses Wert-Denken kommt aus dem Ökonomischen und endet damit, dass alles in dieses Wert-Denken hineingezogen wird. Den Grund für diese Entwicklung sieht Schmitt besonders nach dem Zweiten Weltkrieg im Interesse einer wertphilosophischen Fundierung der Rechtswissenschaft. In Anlehnung an das Naturrecht sollte die Legalität des juristischen Rechtspositivismus überwunden 31

Diese Problem tritt besonders als Herausforderung in den Ländern auf, die nach westlichem Vorbild demokratische Verfassung und Verfahrensweisen übernehme sollen, ohne dass gefragt wird, ob die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind und ob dies auch im Interesse und Selbstverständnis dieser Länder liegt – also beispielsweise Irak oder Afghanistan. 32 So argumentierte Quaritsch bereits vor 20 Jahren. Quaritsch (1989), S. 39.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

und der Boden einer anerkannten Legitimität wieder gewonnen werden (TW, 19). Doch nach Schmitt können Werte und Wertlehren keine Legitimität begründen, sondern eben immer nur verwerten. Das Wert-Denken, Ausdruck der neuen Rationalität der Welt-Moderne, mündet deshalb nach Schmitt in einem uferlosen Relativismus, vor dem kein Halt mehr zu gewinnen ist. Wert steht gegen Wert und auch eine objektive Wertlehre mag diesen uferlosen Relativismus nicht mehr zu beseitigen.

1. Die neue Rationalität der Welt-Moderne In der europäischen Moderne war für Schmitt der Staat Ausdruck einer ihm eigenen Rationalität. „Der Rechtsgedanke der staatlichen Souveränität ist der erste entscheidende Schritt auf dem weiteren Wege, der in den folgenden Jahrhunderten zu der räumlich geschlossenen, gegen andere Staaten mathematisch scharf abgegrenzten, in sich zentralisierten und durchrationalisierten Einheit Staat geführt hat. Die spezifischen Organisationsmittel der einheitlichen Staatsgewalt sind bekanntlich: staatliche Armee, staatliche Finanz und staatliche Polizei. Das Recht verwandelt sich immer mehr in ein staatliches, von der staatlichen Justiz gehandhabtes Gesetz und findet seine sachgemäße Erscheinungsform in staatlichen Gesetzeskodifikationen. Mittelalterliche Kooperationen und Institutionen, feudale, ständische oder kirchliche Verbände verlieren Sinn und Bedeutung“ (VA, 378 – 379). Schmitt argumentiert in Anlehnung an Max Weber, dass der Staat ein spezifischer Ausdruck der Rationalität der europäischen Moderne ist. Die Rechtswissenschaft ist die Grundlage dieses modernen europäischen Staates. Sie ist nach Schmitt „das erstgeborene Kind des europäischen Geistes, des neuzeitlichen ,occidentalen Rationalismus“ (VA, 421). In „Ex captivitate salus“ feiert Schmitt die Besonderheit des okzidentalen Rationalismus und insbesondere der Rechtswissenschaft: „Wir sind uns der Rechtswissenschaft als einer spezifisch europäischen Erscheinung bewusst. Sie ist nicht nur praktische Klugheit und nicht nur Handwerk. Sie ist in das Abenteuer des occidentalen Rationalismus tief verstrickt. Sie stammt als Geist von edlen Eltern. Ihr Vater ist das wiedergeborene römische Recht, ihre Mutter die römische Kirche“ (Ecs, 69). Die spezifische Rationalität der europäischen Moderne formte sich in den juristischen Begriffen, die durch eine hohe Formalität ausgezeichnet waren. Diese sicherte ihnen eine Überlegenheit über die soziale Wirklichkeit. Sie konnten dadurch nach Schmitt entgegengesetzten Interessen und Tendenzen Rechnung tragen und sich gegenüber variablen politischen Lagen durchsetzen.33 Diese formale Überlegenheit machte es nach Schmitt möglich, dass die juristischen Begriffe jeweils konkrete Begriffe aus der Immanenz einer konkreten Rechts- und Gesellschaftsordnung waren. Der souveräne Staat ermöglichte die Ausführung des jeweils aus der konkreten Wirklichkeit hervorgegangenen Rechts. Diese spezifische Rationalität der europäischen 33

Kröger, in: Quartisch (1988), S. 161.

IV. Die Welt-Moderne als Welt der Werte

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Moderne begann sich im 19. Jahrhundert langsam aufzulösen. Der Staat wurde nun nicht mehr als ein über den Parteien stehender Garant des Rechts angesehen, sondern je nach politischer Anschauung als Interessenvertretung, Unterdrückungselement der arbeitenden Klasse oder als eine neben anderen Assoziationen. Die „Schuld“ hierfür sieht Schmitt unter anderem in der neuen Art des ökonomisch-technischen Denkens, die sich im 19. Jahrhundert herausbildet und für die Welt-Moderne grundlegend ist. Am Ende der „Politischen Theologie“ fasst Schmitt dies resignierend so zusammen: „Die heute herrschende Art ökonomisch-technischen Denkens vermag eine politische Idee gar nicht mehr zu perzipieren. Der moderne Staat scheint wirklich das geworden zu sein, was Max Weber in ihm sieht: ein großer Betrieb“ (PT, 82). In seiner Schrift über „Theodor Däublers Nordlicht“ beschreibt Schmitt sehr anschaulich und direkt seine Antipathien gegen den heraufziehenden ökonomischen Universalismus: „[…] der Verstand macht sich von allen Fesseln frei und geht ungehemmt seinem Rationalismus nach: sein Ziel ist, die Erde zu erkennen, um sie zu beherrschen. Das Gold wird zum Geld, das Geld zum Kapital – und nun beginnt der verheerende Lauf des Verstandes, der alles in seinen Relativismus hineinreißt“ (TDN, 71 – 72). Schmitt benutzt hier das Wort Rationalismus, um den ökonomischen Rationalismus der Welt-Moderne zu charakterisieren. Die Rationalität der Welt-Moderne ist eine zunehmend ökonomische. In „Römischer Katholizismus und politische Form“ hat Schmitt diese neue Rationalität in Absetzung vom römischen Katholizismus ausführlich dargestellt. Dort schreibt er: „Bis in ihre letzten Atome ist die Phantasie des Großstadtbewohners erfüllt von technischen und industriellen Vorstellungen und projiziert sie ins Kosmische oder Metaphysische. Die Welt wird für diese naive mechanistische und mathematische Mythologie zu einer riesigen Dynamomaschine. Hier gibt es auch keinen Unterschied der Klassen. Das Weltbild des modernen industriellen Unternehmers gleicht dem des Industrieproletariers wie ein Zwillingsbruder dem anderen. Darum verstehen sie einander gut, wenn sie gemeinsam für das ökonomische Denken kämpfen. Der Sozialismus, soweit er die Religion des Industrieproletariers der großen Städte geworden ist, setzt dem großen Mechanismus der kapitalistischen Welt einen fabelhaften Anti-Mechanismus entgegen, und das klassenbewusste Proletariat betrachtet sich als legitim, das heißt aber nur als den sachgemäßen Herren dieses Apparates und das Privateigentum des kapitalistischen Unternehmers als ein schwieriges Residuum aus einer technisch rückständigen Zeit. Der große Unternehmer hat kein anderes Ideal als Lenin, nämlich eine ,elektrifizierte Erde. Beide streiten eigentlich nur um die richtige Methode der Elektrifizierung. Amerikanische Finanzleute und russische Bolschewisten finden sich zusammen im Kampf gegen die Politiker und Juristen“ (RK, 21 – 22). Schmitt kritisiert die Irrationalität dieser neuen Rationalität, welche die beiden wichtigsten politischen und ökonomische Strömungen des 20. Jahrhunderts, den Kapitalismus und den Kommunismus, verbindet: „Der ökonomische Rationalismus ist vom katholischen so weit entfernt, dass er gegen sich eine spezifisch katholische Angst hervorzurufen vermag. Die moderne Technik macht sich einfach zum Diener irgendwelcher Bedürfnisse. In der modernen Wirtschaft entspricht einer

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

aufs äußerste rationalisierten Produktion ein völlig irrationaler Konsum. Ein wunderbar rationeller Mechanismus dient irgendeiner Nachfrage, immer mit demselben Ernst und derselben Präzision, mag die Nachfrage seidene Blusen oder giftige Gase oder irgendetwas anderes betreffen. Der Rationalismus des ökonomischen Denkens hat sich daran gewöhnt, mit gewissen Bedürfnissen zu rechnen und nur das zu sehen, was er ,befriedigen kann“ (RK, 24 – 25). Ein der Befriedigung dienender Produktionsmechanismus heißt rational, „ohne dass nach der allein wesentlichen Rationalität des Zweckes gefragt wird, dem der höchst rationale Mechanismus zur Verfügung steht“ (R, 26). Schmitt unterscheidet deutlich zwischen der neuen ökonomischen Rationalität, der es nur um die Befriedigung irgendwelcher Bedürfnisse geht von einer Rationalität, die zuerst nach dem Zweck fragt, den es zu erreichen bzw. umzusetzen gilt. Der Staat als solcher hatte einen bestimmten Zweck und auch das europäische Völkerrecht der Moderne. Die Welt-Moderne und das ökonomische Denken dagegen, so Schmitt, haben keinen spezifischen Zweck, sondern dienen nur noch der Bedürfnisbefriedigung. Für Schmitt ist in diesem Sinn der ökonomische Rationalismus die Auflösung einer jeden Metaphysik im alten Sinn. Jedes Zeitalter hatte nach Schmitt seine Metaphysik, welche die je oberste und letzte Ordnungskraft der menschlichen Gesellschaft war. Das Ökonomische kennt als Ordnung nur noch die Produktion. Eine solche Ordnung ist eine von Menschen unabhängige große Maschine zur Befriedigung jeglicher Bedürfnisse, wie irrational sie auch sein mögen. Für dieses Denken ist nach Schmitt eine dauerhafte Ordnung nicht mehr möglich, da es keine oberste letzte sinnstiftende Ordnungskraft mehr gibt. In der Produktion, und das hatte bereits Marx gesehen, werden Werte hergestellt und getauscht. Die Idee des Ökonomischen ist „metaphysisch“ gesehen der Wert. Ein ökonomisches Denken muss der Produktion analog alles in Werte auflösen. Es ist deshalb für Schmitt kein Zufall, dass mit der Dominanz des Ökonomischen die Wertidee auch auf die anderen Bereiche des menschlichen Daseins übertragen wird. Vom Ökonomischen verbreitet sich so die neue Rationalität und erfasst nach und nach auch die anderen Bereiche des menschlichen Daseins.

2. Der Ursprung der Wertphilosophie Der Ursprung des modernen Begriffs des Wertes findet sich in der politischen Ökonomie. Dort wird er zur Kennzeichnung eines gesellschaftlichen Verhältnisses verwendet. Ihr Hauptvertreter A. Smith und D. Ricardo beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, worin der Wert einer Ware liegt. Da in der Produktion ständig neue Waren produziert werden, werden stets auch neue Werte produziert. Diese Aufwertung des Wertdenkens ist vor dem Hintergrund des Aufkommens des Kapitalismus zu sehen. Im Kapitalismus steht die Produktion, die Schaffung von Mehrwert, im Mittelpunkt. Der Wertbegriff rückt deshalb ins Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Karl Marx folgt hierin seinen Vorgängern, wenn sich auch seine

IV. Die Welt-Moderne als Welt der Werte

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Werttheorie deutlich von ihnen unterscheidet. Durch die Ausweitung des Kapitalismus durchdringt das Wertdenken immer mehr die nicht-ökonomischen Bereiche. Schließlich greift es auf die Philosophie über, wo allerdings der Ursprung des Wertdenkens kaum noch wahrgenommen wird. Nach Schmitt ist die Wertphilosophie „in einer sehr prägnanten philosophie-geschichtlichen Situation entstanden […], als eine Antwort auf eine bedrohliche Frage, die sich als die Nihilismuskrise des 19.Jahrhunderts erhoben hatte“ (TW, 30). Schmitt stimmt Heideggers Auffassung über den Ursprung der Wertphilosophie zu, die jener in einem Aufsatz über Nietzsche so formuliert hatte: „Im 19. Jahrhundert wird die Rede von den Werten geläufig und das Denken in Werten üblich. Aber erst zufolge einer Verbreitung der Schriften Nietzsches ist die Rede von Werten populär geworden. Man spricht von Lebenswerten, von den Kulturwerten, von Ewigkeitswerten, von der Rangordnung der Werte, von geistigen Werten, die man z. B. in der Antike zu finden glaubte. Bei der gelehrten Beschäftigung mit der Philosophie und bei der Umbildung des Neukantianismus kommt man zur Wertphilosophie. Man baut Systeme von Werten und verfolgt in der Ethik die Schichtung von Werten. Sogar in der christlichen Theologie bestimmt man Gott, das summum ens qua summum bonum, als den höchsten Wert. Man hält die Wissenschaft für wertfrei und wirft die Wertungen auf die Seite der Weltanschauungen. Der Wert und das Werthafte wird zum positivistischen Ersatz für das Metaphysische.“34 Die Naturwissenschaften und der Positivismus drängten nach Schmitt im 19. Jahrhundert zu einer wertfreien Wissenschaft. Dies bedrohte die Freiheit des Menschen und dessen Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsfähigkeit. „Auf diese Herausforderung antwortet die Wert-Philosophie, indem sie dem Reich eines nur kausal bestimmten Seins ein Reich der Werte entgegenstellte, als ein Reich des idealen Geltens. Es war ein Versuch, den Menschen als freies, verantwortliches Wesen, zwar nicht in einem Sein, wohl aber wenigstens in der Geltung dessen, was man Wert nannte, zu behaupten. Diesen Versuch kann man wohl als positivistischen Ersatz für das Metaphysische bezeichnen“ ((TW, 31). Max Weber ist für Schmitt der entschiedenste und ehrlichste Vertreter dieser neuen Denkrichtung. Nach Weber setzt der Mensch in voller, rein subjektiver Entscheidungsfreiheit Werte. Dadurch entgeht er der absoluten Wertfreiheit des wissenschaftlichen Positivismus und „setzt ihm seine freie, d. h. subjektive Weltanschauung entgegen“ (TW, 31). Aus diesem Grund erhob Max Weber das Postulat des wertneutralen Charakters der Sozialwissenschaften und der Sozialphilosophie. Konsequenterweise stellte er in Abrede, dass es für Menschen irgendeine empirische oder rationale Wissenschaft oder eine philosophische Erkenntnis des wahren Wertesystems geben könnte. Das wahre Wertesystem existiert nicht. Es gibt eine Vielfalt gleichrangiger Werte, deren Forderungen einander widersprechen, und dessen Konflikt durch menschliche Vernunft nicht gelöst werden kann.35 34 35

Heidegger, 1959, S. 209 – 210. Schmitt zitiert diesen Passus in TW, S. 30 – 31. Vgl. Strauss (1989), S. 44.

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

Nach Schmitt führt die rein subjektive Freiheit der Wertsetzung zu einem ewigen Kampf der Werte und der Weltanschauungen. Im Vergleich dazu erscheint ihm das alte bellum omnia contra omnes des Thomas Hobbes als eine wahre Idylle. „Die alten Götter entsteigen ihren Gräbern und kämpfen ihren alten Kampf weiter, aber entzaubert und […] mit neuen Kampfmitteln und Ausrottungsverfahren, grauenhafte Produkte der wertfreien Wissenschaft und der von ihr bedienten Industrie und Technik. Was für den einen der Teufel ist, wird für den anderen der Gott“ (TW, 31). Der Subjektivismus der Wertungen führt zu einem uferlosen Relativismus, der einen letzten, sinnstiftenden Ordnungsgedanken nicht kennt. Bedeutende Philosophen wie Max Scheler haben deshalb den Versuch unternommen, dem Subjektivismus der Wertungen zu entgehen. Nach Max Scheler setzt das Sein des Wertes so wenig ein Ich voraus, „als die Existenz von Gegenständen (z. B. Zahlen) oder als die gesamte Natur ein ,Ich voraussetzt“36 Werte haben nach Scheler eine von den Menschen unabhängige Existenz, egal ob Menschen sie erkennen oder nicht. In der gleichen Richtung hatte bereits Husserl argumentiert, indem er behauptete, dass es Wahrheiten an sich gibt, selbst wenn es keine intelligenten Wesen gäbe, die sie erkennen könnten. Hier setzt Schmitts Kritik an. Das Spezifische eines Wertes liegt nach ihm darin, „dass er statt eines Seins nur eine Geltung hat. Die Setzung ist infolgedessen nichts, wenn sie sich nicht durchsetzt; die Geltung muss fortwährend aktualisiert, das heißt: geltend gemacht werden, wenn sie sich nicht in leeren Schein auflösen soll. Wer Wert sagt, will geltend machen und durchsetzen. Tugenden übt man aus; Normen wendet man an; Befehle werden vollzogen; aber die Werte werden gesetzt und durchgesetzt“ (TW, 33). Werte mögen deshalb noch so hoch und heilig gelten, „als Werte gelten sie immer nur für etwas oder für jemanden“ (TW, 32). Das ist nach Schmitt die Tyrannei der Werte.

3. Die Tyrannei der Werte In der Welt-Moderne ist die Ökonomie das „metaphysische Zentrum“ der Gesellschaft. Von diesem Zentralgebiet aus werden alle anderen Gebiete erfasst. Die Probleme der nicht-ökonomischen Gebiete werden nun von der Ökonomie aus gelöst und „gelten nur noch als Probleme zweiten Ranges, dessen Lösung sich von selbst ergibt, wenn nur die Probleme des Zentralgebietes gelöst sind“ (BP, 85). Alle wesentlichen Begriffe wie „Freiheit, Fortschritt, die anthropologischen Vorstellungen von der menschlichen Natur, was Öffentlichkeit ist, rational und Rationalisierung, schließlich der Begriff der Natur wie der Begriff der Kultur selbst, alles erhält seinen konkreten geschichtlichen Inhalt von der Lage des Zentralgebietes und ist von dort aus zu begreifen“ (BP, 86). In der Ökonomie geht es immer um Werte: Tauschwert, Mehrwert etc. Dieses Wertdenken ergreift alle anderen Gebiete. Alles erhält nun seinen Wert. Früher 36

Scheler, S. 271.

IV. Die Welt-Moderne als Welt der Werte

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wurde nach Schmitt noch zwischen Sachen und Personen unterschieden: „Sachen haben einen Wert, Personen haben eine Würde“ (TW, 29). Heute dagegen, so konstatiert Schmitt, ist auch die Würde zu einem Wert geworden und selbst das Leben wird als ein Wert, als höchster Wert, betrachtet. Dies zeigt, dass der Wertbegriff, der im Bereich des Ökonomischen durchaus seinen Sinn hat, die anderen Gebiete erreicht hat. Durch die Umwandlung der verschiedenen Gebiete in Werte wird alles in ein Wertsystem umgedeutet. Dies ermöglicht nach Schmitt „fortwährende Umwertungen, sowohl der Wert-Systeme sowie auch innerhalb eines Wert-Systems durch fortwährende Umstellungen in der Wert-Skala“ (TW, 17). Wenn eine solche Umwandlung in Werte erst einmal stattgefunden hat, so gibt es eben nur noch Werte, die „vom höchsten bis zum niedrigsten auf dem Wert-Geleise rangieren“ (TW, 15). Es ist nach Schmitt egal, was in der Wert-Skala als höchster Wert gesetzt wird. Jeder Wert ist zunächst und vor allem ein Wert und erst dann der höchste Wert. Mit dem Wert wird nach Schmitt auch der Unwert in die Wert-Skala eingeführt. Alles, was als Wert nicht in die Wert-Skala passt, wird zum Unwert, „der aus dem Werte-System ausgeschaltet werden muss, weil die absolute Negation des Unwertes ein positiver Wert ist“ (TW, 18). Hier beginnt für Schmitt die Tyrannei der Werte, die in einer Wert zerstörenden Wirklichkeit ihren Ausdruck findet. Die subjektive Wertlehre kann nach Schmitt in der politischen Wirklichkeit nicht übernommen werden. Durch die „Behauptung des objektiven Charakters“ von Werten wird nichts anderes getan, „als ein neues Moment der Selbstverpanzerung in den Kampf der Wertungen einzuführen, ein neues Vehikel der Rechthaberei, das den Kampf nur noch schürt und steigert. Die subjektive Wertlehre ist nicht überwunden, und objektive Werte sind nicht schon dadurch gewonnen, dass man die Subjekte verschleiert und die Wertträger verschweigt, deren Interessen die Standpunkte, Gesichtspunkte und Angriffspunkte des Wertens liefern. Niemand kann werten ohne abzuwerten, aufzuwerten und zu verwerten. Wer Werte sagt, setzt sich damit gegen Unwerte ab. Die grenzenlose Toleranz und Neutralität der beliebig auswechselbaren Standpunkte und Gesichtspunkte schlägt sofort in das Gegenteil, in Feindschaft um, sobald es mit der Durchsetzung und Geltendmachung konkret Ernst wird. Der Geltungsdrang des Wertes ist unwiderstehlich und der Streit der Werter, Abwerter, Aufwerter und Verwerter ist unvermeidlich“ (TW, 35 – 36). Der Kampf zwischen subjektiven und objektiven Werten ist ohne Ende. „Der höhere Wert hat das Recht und die Pflicht, den niederen Wert sich zu unterwerfen, und der Wert als solcher vernichtet mit Recht den Unwert als solchen. Das ist klar und einfach und in der Eigenart des Wertes begründet“ (TW, 36). Kein Wertdenken kann sich nach Schmitt dieser Logik entziehen. Diese Tyrannei der Werte findet Schmitt bereits bei Nicolai Hartmann bestätigt, der geschrieben hatte: „Jeder Wert hat – wenn er einmal die Macht gewonnen hat über eine Person – die Tendenz, sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos aufzuwerfen, und zwar auf Kosten anderer Werte, auch solcher, die ihm diametral entgegengesetzt

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D. Positionen und Begriffe gegen die Welt-Moderne

sind.“37 Hartmann schränkt zwar ein, dass diese Tendenz nicht den Werten in ihrer idealen Seinssphäre anhaftet, wohl aber im menschlichen Wertgefühl verhaftet ist. Aus dieser Argumentation zieht Schmitt seine Konsequenzen. Es ist nach ihm unerheblich, ob die Tyrannei der Werte nur psychologisch oder wesensmäßig in sich selbst unvermeidlich ist, ob sie also erst auf dem Weg über das subjektive menschliche Wertgefühl eintritt oder ob sie, wie das unseren Erfahrungen entspricht, bereits in der Struktur des Wertdenkens angelegt ist (TW, 37). Die Wertlehre schürt nach Schmitt unvermeidlich den alten, andauernden Kampf der Überzeugungen und Werte. Keine materiale Wertlehre und keine Fundierungsverhältnisse von Werten können diesem Sachverhalt entgehen. Für Schmitt zeigt sich hier nur „die ganze Verwirrung der ganzen Wertargumentation, die fortwährend neue Relationen und Gesichtspunkte aufwirft, dabei jedoch immer in der Lage bleibt, dem Gegner den Vorwurf zu machen, dass er offensichtlich Werte nicht sieht, mit anderen Worten: ihn als wertblind zu disqualifizieren“ (TW, 38). Wertlogisch ist der höchste Preis für den höchsten Wert nicht zu hoch. Daraus ergibt sich, dass es nach der Hierarchie der Werte notwendig ist bzw. sein kann, „dass der Wert den Unwert vernichtet und der höhere Wert den niederen Wert als minderwertig behandelt“ (TW, 38). Für die Welt-Moderne, deren metaphysisches Zentrum die Ökonomie ist, ist nach Schmitt das Denken in Werten charakteristisch. Alles löst sich in Werte auf und erhält Status und Bedeutung durch die ihm zugemessenen Werte. Dies geht soweit, dass heute selbst die Probleme der Umweltzerstörung durch ökonomisches Wertdenken gelöst werden sollen. Das Wertdenken löst nach Schmitt alle Bindungen auf und endet in einem Progress-Prozess, der unaufhaltsam ist. Die Welt wird zu einer großen Verwertungsmaschine, die sich selbst keine Grenzen mehr setzen kann.

37

Diese Stelle aus Nicolai Hartmanns „Ethik“ zitiert Schmitt in TW, S. 37.

E. Fazit Carl Schmitt entwickelte seine Theorien über die europäische Moderne anhand der Begriffe Staat und Völkerrecht. In der Zeit vom 16.–19. Jahrhundert sah er in ihnen den Garanten einer europaspezifischen Entwicklung, die sich an einem konkreten Ordnungsdenken orientierte. Dies waren auf der einen Seite die im europäischen Völkerrecht angelegte Raumordnung, die zwischen Europa und der außereuropäischen Welt unterschied und der Staat als neue Einheit politischer Souveränität. Der Beginn der Welt-Moderne, die Schmitt mit den Begriffen Liberalismus, Rechtspositivismus, Neutralisierungen und dem Prinzip des Ökonomischen identifiziert, ist das Ende der alten europäischen Staatlichkeit. Diese Gedanken entwickelt Schmitt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Staat als über der Gesellschaft stehender Souverän schien nach seiner Überzeugung in den 1920er Jahren verloren gegangen zu sein. In den politischen Konflikten jener Jahre erkannte er eine Auseinandersetzung zwischen den Prinzipien einer Wiedergewinnung politischer Souveränität oder dessen Auflösung. Schmitts Antwort auf diese Frage war verhängnisvoll, da er glaubte, im Nationalsozialismus eine positive Antwort auf diese Frage bekommen zu haben. Seine Hinwendung zu Hitlers Regierung 1933 war demnach keine Wende, sondern eine konsequente Fortsetzung seiner politischen Grundüberzeugungen. Er sah in der neuen Regierung die Möglichkeit zur Wiedererlangung einer staatlichen Souveränität auch gegenüber einer liberalen Gesellschaft, die nach seiner Überzeugung die Handlungsfähigkeit des Staates schwächte. Insbesondere der Rechtspositivismus, die Haltung, alle politischen Gruppierungen gleich zu behandeln, stieß auf seine Ablehnung. Nach 1945 beschäftige sich Schmitt vornehmlich mit Fragen des Völkerrechts und er führte seine zivilisationskritischen Beobachtungen über den sich ausbreitenden Kapitalismus weiter aus. Letzteres war ein Kernpunkt seiner politischen Überzeugungen, die er bereits 1923 in seiner Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form“ ausführlich zur Sprache gebracht hat. Aus dieser Kritik, die eine Kritik an der sich herausbildenden Welt-Moderne ist, hat er nie ein Hehl gemacht. Ein weiterer Aspekt von Schmitts Denken spielt in der Kritik an der Welt-Moderne eine wichtige Rolle: die Auflösung, wie er es formuliert, eines politischen Pluriversums zugunsten einer weltweiten politischen Vereinigung, einem Weltstaat. Dieser Gedankengang könnte heute an die Debatte um die Entstehung einer multipolaren Welt anknüpfen. Gleiches gilt für seine Zivilisationskritik an einer einseitig ausgerichteten Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Auch die Fragen, die er in Zusam-

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E. Fazit

menhang mit dem Ausnahmezustand aufgeworfen hat, sind heute nach wie vor aktuell, wenn auch in anderen Kontexten. Der Versuch, Demokratien nach westlichem Vorbild in anderen Ländern einzupflanzen, wie etwa im Irak oder Afghanistan, verlaufen keineswegs so harmonisch, wie sich westliche Beobachter dies wünschten. Die Entwicklungen in China entsprechen nicht den Vorstellungen wohlmeinender Demokratisierer, die überzeugt sind, dass die sofortige Umsetzung westlicher Standards das Beste für das Land sei. Die Fragen von Ordnung und Auflösung von Ordnung, Übergang, Reformen, Veränderungen sind zentrale Fragen einer politischen Theorie. Der Aufbruch in die Welt-Moderne bringt etwas ins Spiel, was bei Schmitt nicht auftaucht: die Entwicklung zu einer Pluralität von Staaten, Ländern, Kulturen, Gesellschaften in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Schmitt hatte erkannt, dass sich die alte europazentrische Ordnung auflöst, aber er hat dies stets mit Bedauern und Ressentiment gemacht. Das wirklich Neue, die Auflösung einer auf Europa fixierten Welt bzw. Weltökonomie, in der der Westen nicht mehr einziger Hauptgestalter internationaler Politik ist, hat er so nicht gesehen. Schmitt war in seinem ordnungshaften Denken so auf Alteuropa fixiert, dass er jeden Einbruch in dieses Denken ablehnte. Die Hegung des Krieges beispielsweise, die er dem alten europäischen Völkerrecht als große Leistung zubilligt, war ja nur eine Hegung, die sich auf den europäischen Kontinent bezog. Seine Ablehnung des Begriffes Menschheit übersieht den Verweis auf einen anderen, viel älteren Begriff aus der europäischen Tradition seit Platon: den Begriff der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist mehr als nur die Auseinandersetzung zwischen Staaten. Sie ist eine Grundannahme über das, was menschliches Leben schlechthin auszeichnet. Bei der Lektüre Schmitts stellen sich gleichsam mehrere Beobachtungen ein. Zunächst sollte man sich als westlicher Leser fragen, inwieweit man nicht selber im Rahmen eines europazentrischen Denkens verbleibt, wenn man sich mit grundsätzlichen Fragen politischer Theorie beschäftigt. Die gängigen Vorstellungen, die Schmitt negativ besetzt, besetzt man einfach umgekehrt: Menschenrechte, Demokratie und Fortschritt als Leitbilder eines aufgeklärten Denkens, das anderen Ländern den Weg in die Zukunft weist. Aus Schmitts Kritik an einem einseitigen Universalismus wird eine ebenso einseitige Befürwortung eines solchen Universalismus. Die Erkenntnis, dass sich an beiden Stellen ein einseitiger Monotheismus in seiner historischen Überlieferung vollzieht, bleibt ausgespart. Universalismus als eine mögliche Form eines politischen Imperialismus ist auch eine Gefahr des politischen Denkens. Der Konflikt zwischen Universalität und Rechtfertigung bzw. Akzeptanz politischen Unrechts sollte nicht aus den Augen verloren werden. Die Auflösung der europäischen Welt, die Schmitt beobachtet, kann nicht nur als eine einseitige Degenerierung, sondern auch als Wiedergewinnung von Zivilisation gedeutet werden. Die Akzeptanz anderer Kulturen, die Öffnung zu anderen Geschichten, die Auflösung einer vermeintlichen Weltgeschichte, die nichts anderes ist als eine versteckte europäische Geschichte, wären Ansätze, die es zu entwickeln gilt.

E. Fazit

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Ein Grundansatz von Schmitts Denken, die Orientierung eines politischen Denkens an der Kategorie der Natur, der menschlichen Natur, ist nicht überholt. Die Gefährdung einer politischen Ordnung durch den Einbruch des Naturzustandes im Hobbesschen Sinn kann keine historische Entwicklung hinter sich lassen. Damit gerät ein Forschrittsbegriff, der in jeder Hinsicht Gegenwart für weiter entwickelt hält, ins Blickfeld einer kritischen Reflexion. Die Lektüre von Schmitts Schriften lohnt sich, um eigenes Denken auch gerade in seiner ablehnenden Haltung gegenüber Schmitts Denken kritisch zu befragen. Neue Antworten und Perspektiven in einer sich verändernden, nicht mehr europäischen bzw. westlichen Welt müssen gefunden werden. Es gilt, Verstehen, sowohl des Eigenen wie des Fremden, in den Mittelpunkt politischen und historischen Denkens zu stellen. Die Weltgeschichte ist auf dem Weg zu Weltgeschichten. Monotheismus, der in dem Begriff Weltgeschichte in säkularisierter Form vorkommt, war der Weg einer historischen Entwicklung in Europa seit dem 16. Jahrhundert. Schmitt hatte auf entsprechende Analogien in seiner „Politischen Theologie“ hingewiesen. Vielleicht liegt hier geistesgeschichtlich eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Staat und Vernunft als Reminiszenzen eines versteckten Monotheismus gilt es in ihrer Pluralität wiederzuentdecken, ohne die damit verbundenen Gefahren einer unverbindlichen Akzeptanz zu fördern. Schmitts Verhängnis, wenn man sein Verhalten in den Jahren 1933 – 36 so bezeichnen möchte, war möglicherweise, dass er in seinen Denkansätzen zunehmend die Grenzen zwischen theoretischer Reflexion und praktischer Machbarkeit verwischt hat. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Eric Voegelin, der sich wie Schmitt mit Fragen nach dem Zusammenhang von Politik und Religion beschäftigt hat, erkannte er nicht, dass der Theoretiker weiter denken sollte, als in der Unmittelbarkeit der Praxis zu verweilen. Voegelin konstatierte 1936: „Die Theorie kann nun durch ihre grundsätzlich offene Haltung mithelfen, die dämonisierende Abschließung einer Gemeinschafts-,Welt zu verhindern; sie lenkt den Blick auf die Mannigfaltigkeit der nebeneinander bestehenden Gemeinschaften und kann dadurch der Steigerung des Wertes der eigenen ins Unbedingte vorbeugen; sie führt den Blick über die Stufenordnung des Seins von der Natur zu Gott und kann dadurch von der Vergöttlichung einer der unteren Seinstufen abhalten.“1 Die Offenheit des theoretischen Denkens und die Hinwendung zu den Geschichten und Kulturen außerhalb Europas sind heute dringender denn je. Das Ende einer vom Westen geprägten Welt und der Beginn eines politischen Pluralismus mit unterschiedlichen durch Kultur und Geschichte geprägten Gesellschaften, deren Modernität auch aus eigenen Entwicklungen zu begreifen ist, wird das 21. Jahrhundert nachhaltig prägen.2

1 2

Voegelin, S. 603. Jacques, S. 100 ff.

Literaturverzeichnis Verwendete Abkürzungen BG = Begriff des Politischen D = Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf. Ecs = Ex captivitate salus HP = Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der dt. Rechtslehre. LM = Land und Meer LL = Legalität und Legitimität LW = Legale Weltrevolution NE = Nomos der Erde PB = Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923 – 1939 PR = Politische Romantik PT = Politische Theologie PT II = Politische Theologie II RK = Römischer Katholizismus und politische Form TDN = Theodor Däublers Nordlicht TW = Tyrannei der Werte VA = Verfassungsrechtliche Aufsätze VL = Verfassungslehre ZN = Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen Schriften Carl Schmitts Der Begriff des Politischen: Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963. Die Diktatur: Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, 7. Auflage, Berlin 1997. Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, 2. Auflage, Berlin 2002. Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der dt. Rechtslehre, Tübingen 1930. Land und Meer: Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Köln-Lövenich 1981. Die legale Weltrevolution: Politischer Mehrwert als Prämie auf juristische Legalität und Superlegalität, in: Der Staat 21/1978, 321 ff. Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 3. Auflage, Berlin 1988. Politische Romantik, 6. Auflage, Berlin 1998. Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 9. Auflage, Berlin 2009.

Literaturverzeichnis

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Sachwortverzeichnis Alexander VI., Papst 21 Anarchismus 63 Ausnahmezustand 74 ff., 79 Ayala, Balthazar 25

Hegel 35 f., 51, 63, 70, 72 Heidegger 85 Hobbes, Thomas 63 f., 86 Infragestellung des Politischen

Ball, Hugo 11 Begriff des Politischen 57 ff. Benjamin, Walter 11 Bonald 39, 42 Bossuet 63 Bruno, Giordano 18 Bürgerkriege, konfessionelle 49

Japan 28 Julius II., Papst 21 Jus Publicum Europaeum Kant 16, 35 f., 53, 70 Katholizismus, römischer Kelsen 75 Kepler 18 Kongo-Akte 29 Kongo-Konferenz 29 Kopernikus 18 Krieg 59, 61 Krieg, Hegung 24 33 Kuba 31

Cateau Cambrsis, Vertrag von 22 Cordemay, Graud de 37 f. Corts, Donoso 39, 63, 80 f. Däubler, Theodor 63, 83 De Maistre 39, 42, 63 Descartes 35 f., 38, 49 Dezision 25 Diktatur 80 f. Diktatur, kommissarische 80 Diktatur, souveräne 80

16, 27 f., 47

83

Land und Meer, Gegensatz von 26 f. Laski, Harold L. 70 ff. Legalität 54, 75 ff. Legitimität 54, 75 Liberalismus 58, 61 f. Locke, John 16

Fichte 35, 63 Fortschritt 50 Französische Revolution 41, 45 Freund und Feind, Unterscheidung von 59 ff., 65 Galilei 18 Genfer Völkerbund 30, 32, 55, 68 ff. Gesellschaft, bürgerliche 51, 55 Gesetz, in der bürgerlichen Gesellschaft Gesetzgebungsstaat 77 f. Geulinex 37 f. Gierke 52 Gross, Raphael 11 Grotius 25 Grundgesetz 79

65

53

Macchiavelli 63 Malebranche 37 f. Marx, Karl 84 Mehring, Reinhard 11 Menschheit 67 ff., 73 Moderne, europäische 14 ff., 34, 47 Monroedoktrin 28 ff., 30 Müller, Adam 40, 42, 44 Müller, Jan-Werner 12 Neutralisierung 14, 65 Neutralität 52 Newton 18

96

Sachwortverzeichnis

Nietzsche 85 Novalis 40, 42 Occasionalismus

Staat, moderner 14, 17, 25, 48 ff., 82 Strauss, Leo 13, 62, 66 37 f., 44

Pluriversum, politisches 66 ff. Politische Theologie 50 Positivismus 52, 85 Rationalismus 74 ff. Rationalismus, okzidentaler 19 Rationalität 81 Raumordnung, Auflösung der europazentrischen 30 Raumrevolution, 16. Jahrhundert 17 ff. Rechtspositivismus 55, 78 Repräsentation 45 Respublica Christiana 17, 20 Ricardo, D. 84 Romantik 44 ff. Romantik, metaphysische Struktur 38 Romantik, politische 34 ff. Romantiker 42 Rousseau 37, 39, 42 Scheler, Max Shaftesbury Smith, Adam Souveränität Sozialismus Spinoza 36

86 36 84 48 83

Taine, H. 63 Technik, moderne 83 Theologie der Gegenrevolution 41 Tordesillas, Teilungsvertrag von 21 Universalismus 55 UNO 55, 68 Utrechter Frieden 27 Vereinigte Staaten 28 Versailler Vertrag 30, 32 Vico, G. 16 Völkerrecht, der europäischen Moderne 19 ff., 24, 29 Völkerrecht, europäisches 78 ff. Völkerrecht, zwischen-staatliches 26 Weber, Max 57, 85 Welt-Moderne 47 ff., 54, 57, 62, 65, 67, 70, 76, 81 f., 88 Weltstaat 72 ff. Wert-Denken 81 Werte 82 ff., 86 Wertlehre 88 Wertphilosophie 84 ff. Wilhelm II., deutscher Kaiser 32 Zouch, Richard

25