Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation (S. 17–118 9783851325065


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ES

KOMMT DARAUF AN

Texte zur Theorie der politischen Praxis Herausgegeben von Boris Buden, Jens Kastner, Oliver Marchart, Stefan Nowotny, Gerald RaÜnig, Hito Steyerl, Ingo Vavra Bahd 6

GAYATRI CHAKRAVORTY SPIVAK

Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation Aus dem Englischen von Alexander Joskowicz und Stefan Nowotny Mit einer Einleitung von Hito Steyerl

VERLAG TURIA

+

KANT

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:Hdnb.ddb.de abrufbar. Bibliographie Information published by Die Deutsche Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the internet at http:Hdnb.ddb.de. ISBN 978-3-85132-506-5 © Gayatri Chakravorty Spivak + Kant, 2008 A-1010 Wien, Schottengasse 3A / 5 / DG 1 [email protected] 1 www .turia.at

© für die deutsche Ausgabe: Verlag Turia

In Kooperation mit translate. Beyond Culture: The Politics of Translation

http://translate.eipcp.netl

Inhalt

Hito Steyerl Die Gegenwart der Subalternen 5

G A Y A T R I C H A K RA V O R T Y S P I V AK

Can the Subaltern Speak? 17

Gayatri Chakravorty Spivak Ein Gespräch über Subalterni tä t 1 19 Editorische Nachbemerkung der Übersetzer Zur zweiten Fassung von » Can the Subaltern Speak?« 149

same Zuhören verstellt. Das Vermächtnis von Spivaks Text ist der Hinweis auf diesen Moment des Bruchs und die Aufgabe, vor die er uns auch heute ste llt, besteht nicht darin, das autistische »Für-sich-selbst-Sprechen« der einzelnen Subjekte zu verstärken, sondern vielmehr darin, ihr gemeinsames Schweigen zu hören . ANMERKUN GEN 1

In dem Film » La politique et le bonheur« (1972 ) . Ranajit Guha, » On Some Aspects o f the Historiography o f Co­ lonial lndia«, in: Vinayak Chaturvedi (Hg . ) , Mapping Subaltern Studies and the Postcolonial, London I New York: Verso 2000, S.

2

1-7.

3

Z.B. in Benita Parry, »Problems in Current Theories of Colonial Discourse « , in: Bill Ashcroft I Gareth Griffiths I Helen Tiffin (Hg.), The Post-Colonial Studies Reader, London I New York: Routledge 1 995, S. 36-44. 4 Vgl. in diesem Band S. 106. Die so beantwortete Frage lautete genau: »Wir müssen uns jetzt der folgenden Frage stellen: Auf der anderen Seite der internationalen Abspaltung der Arbeit vom so­

zialisierten Kapital, innerhalb und außerhalb des Kreislaufs der epistemischen Gewalt des imperialistischen Rechts und der impe­ rialistischen Erziehung, die einen früheren ökonomischen Text supplementieren können Subalterne sprechen?« (S. 47) 5 Die Entwicklungen im Kunstfeld können in diesem Zusammen­ hang als ein paradigmatisches Beispiel gelesen werden: Postkolo­ nialität wurde zumeist als Auftrag zur Ausrichtung regionaler Ausstellungen (Balkan, Naher Osten etc.) interpretiert. 6 Vgl. dazu Kien Nghi Ha, Hype um Hybridität. Kultureller Diffe­ -

renzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätka­ pitalismus, Bielefeld: Transcript 2005, sowie Slavoj Zizek, The spectre is still roaming around, Zagreb: Arkzin 1 998, S. 61 f. 7

Peter Hallward, Absolutely Postcolonial. Writing Between the

Singular and the Specific, Manchester I New York: Manchester

University Press 2001. 8 Alain Badiou, Ethik. Versuch über das Bewusstsein des Bösen, aus dem Französ. übers. v. Jürgen Brankel, Wien: Turia + Kant 2003 . 9 Jean-Luc Nancy, Die undarstellbare Gemeinschaft, aus dem Französ. übers. v. Gisela Febel u. Jutta Legueil, Stuttgart: Edition Patricia Schwarz 1 9 8 8 .

Can the Subaltern Speak? Gayatri Chakravorty Spivak

SI GLEN:

" Die Intellektuellen und die Macht: Ein Gespräch zwischen Michel Foucault und Gilles Deleuze«, aus dem Französ. übers. v. Hans- Dieter Gondek, in: Michel Foucault, Schrif­ ten in vier Bänden, Dits et Ecrits, Bd. II (1 970-1975), Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002, S. 3 82-393. Gr Jacques Derrida, Grammatologie, aus dem Französ. übers. v. Hans-Jörg Rheinberger u. Hanns Zischler, Frankfurt/M.: Suhrkamp s1994. HD Pandurang VamanKane, History of Dharmasastra. Ancient and Medieval Religious and Civil Law in lndia, Bd. I-V, Poona: Bhandarkar Oriental Research Institute 1930-1 962. Sehr Michel Foucault, Schriften in vier Bänden, Dits et Ecrits, Bd. I-IV, aus dem Französ. übers. v. Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek, Hermann Kocyba et al„ Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002-2005. VG Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft. Vorle­ sungen am College de France (1975-76), aus dem Französ. übers. v. Michaela Ott, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1 999. FD

Hinweise der Übersetzer zu besonderen Schreibweisen: 1 . Kursiv gesetzte und mit einem Sternchen versehene Ausdrücke (z. B. darstellen*) erscheinen im Original auf Deutsch. 2. Der differenzierenden Schreibweise des englischen Original­ texts entsprechend geben wir » subject« mit »Subjekt« sowie das mit großem Anfangsbuchstaben geschriebene »Subject« mit »Sub­ jekt« (mit kursiv gesetztem Anfangsbuchstaben) wieder. In den vereinzelten Fällen, in denen G. Ch. Spivak eine im Englischen an­ sonsten unübliche Großschreibung auch an anderen Begriffen (z. B. " Theory«) durchführt, geben wir zusätzlich zur Kursivset­ zung des Anfangsbuchstabens (»Theorie« ) den englischen Ori­ ginalbegriff in eckigenKlammern an.

Der ursprüngliche Titel dieses Textes lautete » Macht, Begehren, Interesse « 1• Und tatsächlich, die Macht, über die diese Meditationen verfügen, mag, worin sie auch besteht, einer politisch interessierten Weigerung geschul­ det sein, die grundlegenden Voraussetzungen meines Be­ gehrens, soweit sie mir zugänglich sind, an ihre Grenze zu treiben. Diese grobe dreitaktige Formel, angewandt auf Diskurse von entschiedenstem Engagement wie auch von größter Ironie, behält im Blick, was Althusser so passend als » Philosophie der Verneinung « 2 bezeichnet hat. Ich habe meine Positionierung in dieser unbeholfe­ nen Art und Weise beschworen, um den Akzent auf die Tatsache zu legen, dass das Hinterfragen des Orts des Forschers bzw. der Forscherin in vielen jüngeren Kritiken des souveränen Subjekts eine bedeutungslose Frömmig­ keit bleibt. Obgleich ich versuchen werde, den prekären Charakter meiner Position durchgehend in den Vorder­ grund zu rücken, weiß ich also, dass solche Gesten nie ausreichen. Dieser Text wird sich, auf einer notwendigerweise um­ ständlichen Route, von e iner Kritik an gegenwärtigen westlichen Bemühungen, das Subjekt zu problematisie­ ren, hin zur Frage bewegen, wie das Subjekt der Dritten Welt innerhalb des westlichen Diskurses repräsentiert wird. Im Zuge dessen werde ich Gelegenhei t haben , dar­ zulegen, dass in der Tat sowohl Marx' als a uch Derridas Werk eine noch radikalere Dezentrierung des Subjekts impliziert. Und ich werde, vielleicht überraschend , auf das Argument zurückgreifen, dass die westliche intellek­ tuelle Produktion in verschiedenen Hinsichten mit inter­ nationalen wirtschaftlichen Interessen des Westens kom19

plizenhaft verbunden ist. Am Ende werde ich eine alter­ native Analyse der Beziehungen zwischen den Diskursen des Westens und der Möglichkeit, über (oder fü r) die subalterne Frau zu sprechen, anbieten. Ich werde meine spezifischen Beispiele aus dem Fall Indiens beziehen und ausführlich den außergewöhnlich paradoxen Status der britischen Abschaffung des Witwenopfers diskutieren.

Einige der radikalsten Kritiken, die heute aus dem We­ sten kommen, sind das Ergebnis eines interessierten Be­ gehrens, das Subjekt des Wes tens, o der den Westen als Subjekt, zu erhalten. Die Theorie pluralisierter »Subjekt­ Effekte« erzeugt eine Illusion der Unterminierung sub­ jektiver Souveränität, während sie dieses Subj ekt des Wissens zugleich oft mit einem Deckmantel ausstattet. Obgleich die Geschichte Europas als Subj ekt über das Recht, die politische Ökonomie und die Ideologie des Westens narrativisiert wird, gibt dieses verborgene Sub­ j ekt vor, »keine geopolitischen Bestimmungen « zu ha­ ben. Die oft verlautete Kritik am souveränen Subjekt in­ auguriert dergestalt ein Subjekt. Um diese Schlussfolge­ rung zu argumentieren, werde ich einen Text zweier großer Praktiker dieser Kritik heranziehen: »Die Intel­ lektuellen und die Macht: Ein Gespräch zwischen Michel Foucault und Gilles Deleuze« 3• Ich habe diesen freundlichen Austausch zwischen zwei aktivistischen Geschichtsphilosophen ausgewählt, weil er die Opposition zwischen autoritativer theoretischer Produktion und der ungeschützten Praxis des Gesprächs auflöst und so einen Blick auf die Wege der Ideologie er­ möglicht. Foucault und Deleuze, die beiden Teilnehmer an diesem Gespräch, streichen die wichtigsten B eiträge französischer poststrukturalistischer Theorie heraus: er­ stens, dass die Netzwerke von Macht/Begehren/Interesse dermaßen heterogen sind, dass es k ontraproduktiv ist, sie auf ein kohärentes Narrativ zurückzuführen, weshalb es einer beharrlichen Kritik bedarf; und zweitens, dass Intellektuelle versuchen müssen, den Diskurs des/der An­ deren der Gesellschaft zu enthüllen und zu erkennen. Doch die beiden ignorieren systematisch die Frage der

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Ideologie sowie ihre eigene Verwicklung in eine intellek­ tuelle und ökonomische Geschichte. Obgleich die Kritik des souveränen Subjekts eine seiner wesentlichen Voraussetzungen darstellt, bilden zwei mo­ nolithische und anonyme Subj ekte-in-Revolution den Rahmen des Gespräches zwischen Foucault und De­ leuze: ein » Maoist« (FD, S. 382 ) sowie der » Arbeiter­ kampf« (FD, S. 393). Intellektuelle werden demgegen­ über benannt und unterschieden; ein chinesischer Maois­ mus spielt im Ü brigen nirgendwo eine Rolle. Der Maoismus erzeugt hier schlicht eine Aura narrativer Be­ sonderheit, was eine harmlose rhetorische Banalität dar­ stellen würde, ließe nicht die unschuldige Aneignung des Eigennamens » Maoismus « für das exzentrische Phäno­ men des französischen intellektuellen » Maoismus « so­ wie der diesem nachfolgenden » Neuen Philosophie « in symptomatischer Weise »Asien« transparent werden.4 Deleuze' Bezugnahme auf den Arbeiterkampf ist ebenso problematisch; es handelt sich um einen offensichtlichen Kniefall: » Und man wird an [die Macht nicht] rühren können, an einem Punkt welcher Anwendung auch im­ mer, ohne dass man sich mit jenem diffusen Ganzen kon­ frontiert findet, und folglich wird man zwangsläufig gar nicht anders können, als dieses [ . . . ] in die Luft sprengen zu wollen. Jede Verteidigung oder jede partielle revolu­ tionäre Attacke schließt sich auf diese Weise dem Arbei­ terkampf an« (FD, S. 393). Die offenkundige Banalität signalisiert eine Verleugnung. Die Aussage ignoriert die internationale Arbeitsteilung - eine für die poststruktu­ ralistische politische Theorie oftmals charakteristische Geste. 5 Die Anrufung des Arbeiterkampfes ist gerade in ihrer Unschuld unheilvoll. Sie ist unfähig, mit dem glo­ balen Kapitalismus umzugehen: mit der Subjektproduk­ tion von Arbeiterinnen und Arbeitslosen innerhalb na­ tionalstaatlicher Ideologien in seinem Zentrum; mit der zunehmenden Abtrennung der Arbeiterklasse in der Peri22

pherie von der Realisierung von Mehrwert und mithin von einem »humanistischen « Training in Sachen Konsu­ mismus; und mit der umfangreichen Präsenz parakapita­ listischer Arbeit sowie dem heterogenen strukturellen Status der Landwirtschaft in der Peripherie. Das Ignorie­ ren der internationalen Arbeitsteilung; »Asien « (und ge­ legentlich »Afrika « ) transparent werden zu lassen ( außer wenn das Subj ekt vordergründi g die »Dritte Welt« ist); das Rechtssubjekt des sozialisierten Kapitals wieder ein­ zusetzen - dies sind Probleme, die in weiten Teilen der poststrukturalistischen Theorie ebenso verbreitet sind wie in der strukturalistischen Theorie. Warum sollte sol­ chen Schließungen aus gerechnet i m Falle jener Intellek­ tuellen zugestimmt werden, die unsere besten Propheten der Heterogenität und des /der Anderen sind? Die Anknüpfung an den Arbeiterkampf ist in dem Be­ gehren angesiedelt, die Macht an jedem beliebigen Punkt ihrer Anwendung in die Luft zu spren gen. Diese Veror­ tung gründet sich offenkundig auf eine Aufwertung jed­ weden destruktiven Begehrens gegenüber jedweder Macht. Walter Benj a min kommentie rt die da mit ver­ gleichbare Politik Baudelaires, indem er Marx zitiert: »Marx fährt in seiner Schilderung der conspirateurs de profes­ sion folgendermaßen fort: >[„.] sie [haben] keinen andern Zweck als den nächsten des Umsturzes der bestehenden Re­ gierung und verachten auf's tiefste die mehr theoretische Auf­ klärung der Arbeiter über ihre Klasseninteressen. Daher ihr nicht proletarischer, sondern plebejischer Arger über die ha­ bits noirs (schwarzen Röcke), die mehr oder minder gebilde­ ten Leute, die diese Seite der Bewegung vertreten, von denen sie aber, als von den offiziellen Repräsentanten der Partei, sich nie ganz unabhängig machen können.< Die politischen Ein­ sichten Baudelaires gehen grundsätzlich nicht über die dieser Berufsverschwörer hinaus. [„.] Allenfalls hätte er Flauberts Wort >Von der ganzen Politik verstehe ich nur ein Ding: die Revolte< zu seinem eigenen machen können,«6 23

D ie Anknüpfung an den Arbeiterkampf ist schl icht im Begehren angesiedelt. An anderer Stelle haben Deleuze und Guattari eine alternative Definition von Begehren zu geben versucht, die diejenige, die von der Psychoanalyse angeboten wird, revidiert: » Dem Begehren fehlt nichts, auch nicht der Gegenstand. Vielmehr ist es das Subjekt, das das Begehren verfehlt, oder diesem fehlt ein festste­ hendes Subjekt; denn ein solches existiert nur kraft Re­ pression. Das Begehren und sein Gegenstand sind eins, und das ist die Maschine, als Maschine der Maschine. Das Begehren bildet eine Maschine, wie sein Gegenstand die ihm angekoppelte Maschine, sodass vom Produzie­ ren das Produkt entnommen wird, vom Produzieren zum Produkt sich etwas abtrennt, das dem nomadenhaften Vagabundensubjekt einen Rest zuschlagen wird.durch das Wort< die Herr­ schaft der herrschenden Klasse zu sichern .« 9 Wenn Foucault über die alles durchdringende Heteroge­ nität der Macht nachdenkt, dann verkennt er nicht die immense institutionelle Heterogenität, die Althusser hier zu schematisieren versucht. Deleuze und Guattari er­ schließen eben dieses Feld in ä hnlicher Weise, wenn sie von Allianzen und Zeichenregimen, dem Staat und Kriegsmaschinen ( Tausend Plateaus) sprechen. Foucault kann jedoch nicht akzeptieren, dass eine entwickelte Ideologietheorie ihre eigene materielle Produktion in ei­ nem institutionellen Rahmen sowie in den »wirksame[n] Instrumente[n] der Bildung und Akkumulation von Wis­ sen« ( VG, S. 4 3) begreift. Weil diese Philosophen sich of­ fenkundig gezwungen sehen, alle Argumente, die den Ideologiebegriff im Munde führen, als nur schematisch und nicht textuell zurückzuweisen, sehen sie sich glei­ chermaßen dazu genötigt, eine mechanisch-schematische Gegenüberstellung von Interesse und Begehren zu pro-

duzieren. Sie stellen sich damit in eine Reihe mit bürger­ lichen Soziologinnen, die den Platz der Ideologie mit ei­ nem kontinuistischen » Unbewussten« oder einer para­ subjektiven »Kultur« füllen. Das mechanische Verhältnis zwischen Begehren und Interesse wird in Sätzen wie je­ nem deutlich, dass man » nicht gegen sein Interesse« be­ gehren könne, »folgt doch das Interesse stets dem Begeh­ ren und findet sich stets da, wo das Begehren es auf­ stellt« (FD, S. 391 ) . Ein undifferenziertes Begehren ist das Agens, und die Macht schleicht sich herein, um Be­ gehrenseffekte zu erzeugen, indem sie »positive Wirkun­ gen auf der Ebene des Begehrens [ . „ ] und auch auf der Ebene des Wissens hervorbringt« (Sehr II, S. 937). Diese parasubjektive, von Heterogenität durchzogene Matrix führt das ungenannte Subjekt ein, wenigstens für jene intellektuellen Arbeiterinnen, die von der neuen He­ gemonie des Begehrens beeinflusst sind. Das Rennen um » die letzte Instanz « ist nun jenes zwischen Ökonomie und Macht. Weil die Definition des Begehrens still­ schweigend auf einem orthodoxen Modell beruht, wird Begehren als Einheit einem » Getäuschtsein« gegenüber­ gestellt. Ideologie als » falsches Bewusstsein« (Getäuscht­ sein) ist von Althusser in Frage gezogen worden. Sogar Reich vertrat implizit eher Vorstellungen eines Kollek­ tivwillens als eine Dichotomie von Täuschung und un­ getäuschtem Begehren. » Man muss bereit sein, Reichs Aufschrei Gehör zu schenken: Nein, die Massen sind nicht getäuscht worden, sie haben zu jener Zeit den Fa­ schismus begehrt!« (FD, S. 391 . ) Diese Philosophen verweigern sich dem Gedanken eines kons titutiven Widerspruchs - und eben hierin trennen sie sich eingestandermaßen von der Linken. Im Namen des Begehrens führen sie erneut das ungeteilte Subjekt in den Machtdiskurs ein. Foucault scheint häufig » Indivi­ duum« und » Subjekt« durcheinander zu bringen 10 ; und die Auswirkung davon auf seine eigenen Metaphern ver-

stärkt sich vielleicht noch bei seinen Anhängerinnen. Aufgrund der Macht des Wortes »Macht « , so gib t Fou­ cault zu, verwendete er die » Metapher des Punktes [ . . . ] , der peu a peu ausstrahlt« (Sehr III, S. 398 ) . Solche Fehll­ eistungen werden in weniger sorgfältigen Händen von der Ausnahme zur Regel. Und j ener a usstrahlende Punkt, der einen effektiv heliozentrischen D iskurs ani­ miert, füllt den leeren Platz des Agens mit der histori­ 11 schen Sonne der Theorie, dem Subjekt Europas. Foucault artikuliert noch eine weitere Konsequenz, die sich aus der Verleugnung der Rolle der Ideologie in der Reproduktion gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse ergibt, und zwar eine unhinterfragte Aufwertung der Unterdrückten als Subjekt; » [e]s gilt « nämlich, wie De­ leuze bewundernd bemerkt, » die Bedingungen bereitzu­ stellen, unter denen die Gefängnisinsassen selbst spre­ chen können« . Foucault fügt hinzu: » [Die Massen] wis­ sen vollkommen, klar« - einmal mehr die Thematik des Nicht-getäusc!it-Seins - » und viel besser als [die Intellek­ tuellen] , und sie sagen es auch sehr gut« (FD, S. 38 3 u. 384; Hervorhebung von G. Ch. S.). Was geschieht in solchen Äußerungen mit der Kritik des souveränen Subjekts ? Die Grenzen dieses repräsentatio­ nistischen Realismus werden mit Deleuze erreicht: »Die Wirklichkeit ist das, was sich [ . . . ] in einer Fabrik, in ei­ ner Schule, in einer Kaserne, in einem Gefängnis oder auf einem Kommissariat tatsächlich ereignet« (FD, S. 38 9). Sich der Notwendigkeit der schwierigen Auf­ gabe einer gegenhegemonialen ideologischen Produktion solcherart zu versperren war nicht ratsam. Es h a t dem positivistischen Empirismus - der rechtfertigenden Grundlage des fortgeschrittenen kapitalistischen Neo­ kolonialismus - dazu verholfen, seine eigene Arena als » konkrete Erfahrung« , als das, was sich »tatsächlich ereignet« , zu definieren. In der Ta t wird die konkrete Erfahrung, die den politischen Reiz von Gefängnisinsas27

sinnen, So ldatinnen und Schulkindern verbürgt, durch die konkrete Erfahrung der Intellektuellen verlautbart, jener also, die die Episteme diagnostiziere� . 1 2 Weder De­ leuze noch Foucault scheinen sich dessen bewusst zu sein, dass die Intellektuellen innerhalb des sozialisierten Kapitals, die die konkrete Erfahrung hochhalten, dazu beitragen können, die internationale Arbeitsteilung zu konsolidieren. Der uneingestandene Widerspruch im Inneren einer Posi­ tion, die die konkrete Erfahrung der Unterdrückten auf­ wertet, während sie dermaßen unkritisch hinsichtlich der historischen Rolle der Intellektuellen ist, wird durch eine sprachliche Fehlleistung aufrechterhalten. So äußert De­ leuze die bemerkenswerte Behauptung: » [ „.] eine Theo­ rie, das ist genauso wie ein Werkzeugkasten. Das hat nichts zu tun mit dem Signifikanten « (FD, S. 384 ) . Be­ denkt man, dass der sprachliche Charakter der theoreti­ schen Welt sowie ihres Zugangs zu irgendeiner Welt, die im Gegensatz zu ihr als »praktisch« definiert wird, irre­ duzibel ist, so hilft eine derartige Erklärung nur demjeni­ gen Intellektuellen, der unter Beweis stellen möchte, in­ tellektuelle Arbeit sei gerade dasselbe wie eine Arbeit mit den Händen. Sprachliche Fehlleistungen geschehen, wenn Signifikanten sich selbst überlassen bleiben. Der Signifikant » Repräsentation « ist ein typisches Beispiel dafür. Im selben geringschätzigen Tonfall, mit dem das Band zwischen Th eorie und Signifikant aufgetrennt wird, erklärt Deleuze: » Es gibt keine Repräsentation mehr, es gibt nur noch Aktion« - » Aktion der Theorie, Aktion der Praxis in Beziehungen von Verbindungsele­ menten oder Netzwerken « (FD, S. 383 ) . Und doch wird hier ein wichtiger Punkt angesprochen: D ie Produktion von Theorie ist auch eine Praxis; die Gegenüberstellung zwischen abstrakter, » reiner « Theorie und konkreter, » angewandter« Praxis ist zu schnell und zu simpel. 1 3

Mag dies auch das eigentliche Argument von Deleuze sein, so ist doch die Art und Weise problematisch, wie er es artikuliert. Zwei Bedeutungen von Repräsentation werden hier miteinander vermischt: Repräsentation als » sprechen für« , wie in der Politik, und Repräsentation als » Re-präsentation « , als » Dar-stellung « bzw. »Vor­ stellung« , wie in der Kunst oder der Philosophie. Da Theorie auch nur »Aktion« ist, repräsentiert der Theore­ tiker nicht (spricht nicht für) die unterdrückte Gruppe. Das Subjekt wird in der Tat auch nicht als ein repräsen­ tierendes Bewusstsein gesehen (eines, das die Wirklich­ keit adäquat vor-stellt) . Diese zwei Bedeutungen von Repräsentation - im Rahmen der Ausgestaltung von Staatlichkeit und im Recht einerseits sowie im Zusam­ menhang von Subjekt und Prädikation andererseits sind aufeinander bezogen, aber es gibt einen irreduziblen Bruch zwischen ihnen. Den Bruch mit einer Analogie zu­ zudecken, die als Beweis präsentiert wird, spiegelt ein­ mal mehr eine paradoxe Privilegierung des Subjekts wi­ der.14 Weil die » Person, welche spricht oder handelt « , »stets eine Mannigfaltigkeit« ist, können » [d]iejenigen, die handeln und kämpfen« , nicht von einem » lntellektu­ elle[n] als Theoretiker [oder] einer Partei oder einer Ge­ werkschaft« (FD, S. 38 3) repräsentiert werden. Sind die­ jenigen, die handeln und kämpfen, stumm, im Gegensatz zu denjenigen, die handeln und sprechen (FD, S. 38 3) ? Diese immensen Probleme liegen in den Unterschieden zwischen » ein und denselben « Wörtern begraben: Be­ wusstsein [consciousness] und Gewissen [conscience] ( beide conscience auf Französisch), Repräsentation und Re -präsentation. Die Kritik der ideologischen Subjekt­ konstitution in staatlichen Gebilden und Systemen der politischen Ökonomie kann nun also gestrichen werden, ebenso wie die aktive theoretische Praxis einer » Trans­ formation des Bewusstseins « . D ie Banalität der von lin­ ken Intellektuelle n erstellten Listen von um sich selbst 29

wissenden, politisch klugen Subalternen ist offen gelegt; indem sie sie repräsentieren, repräsentieren die Intellek­ tuellen sich selbst als transparent. Wenn eine solche Kritik und ein solches Projekt nicht aufgegeben werden sollen, so dürfen die beweglichen Unterscheidungen zwischen der Repräsentation im Staat und in der politischen Ö konomie einerseits sowie in der Theorie des Subjekts andererseits nicht verwischt wer­ den. Führen wir uns das Spiel von vertreten* ( »repräsen­ tieren « in der ersten Bedeutung) und darstellen* (»re­ präsentieren« in der zweiten Bedeutung) in einer be­ rühmten Passage aus Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte vor Augen, wo Marx »Klasse« als deskripti­ ven und transformativen Begriff in einer Weise an­ spricht, die etwas komplexer ist, als es Althussers Unter­ scheidung zwischen Klasseninstinkt und Klassenposition zugestehen würde. Marx behauptet hier, dass die deskriptive Definition ei­ ner Klasse differenziell sein kann - mithin in ihrer Tren­ nung und Unterscheidung von allen anderen Klassen liegt: »Insofern Millionen von Familien unter ökonomi­ schen Existenzbedingungen leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung von denen der andern Klassen trennen und ihnen feindlich gegenüberstellen, bilden sie eine Klasse . « 15 Hier ist nichts dergleichen wie ein »Klasseninstinkt« am Werk. Vielmehr verhält sich die Kollektivität der Familienexistenz, die als Schauplatz des »Instinkts « betrachtet werden mag, diskontinuierlich zur differenziellen Isolierung von Klassen, obgleich sie den Einwirkungen der Letzteren untersteht. In diesem Zusammenhang, der für das Frankreich der 1 970er Jahre weitaus relevanter ist, als er es für die internatio­ nale Peripherie sein kann, ist die Formierung einer Klasse künstlich und ökonomisch, und das ökonomische Handlungsvermögen oder Interesse ist unpersönlich, da es systematisch und heterogen ist. Das so verstandene 30

Handlungsvermögen oder Interesse schließt an die He­ gel'sche Kritik des individuellen Subjekts an, denn es markiert den leeren Ort des Subjekts in jenem subjektlo­ sen Prozess, den Geschichte und politische Ökonomie darstellen. Der Kapitalist wird hier als »bewusster Trä­ ger der maßlosen Bewegung des Kapitals « 16 definiert. Mein Argument ist, dass Marx nicht um die Erschaffung eines ungeteilten Subjekts bemüht ist, in dem Begehren und Interesse zusammenfallen. Klassenbewusstsein wirkt nicht. auf dieses Ziel hin. Sowohl auf ökonomischem Ge­ biet (Kapitalist) als auch auf politischem Gebiet (weltge­ schichtlicher Akteur) sieht sich Marx genötigt, Modelle eines geteilten und dislozierten Subj ekts zu entwerfen , dessen Teile keinerlei Zusammenhang oder Kohärenz aufweisen. Eine gefeierte Stelle wie die Beschreibung des Kapitals als faustisches Monster führt uns das lebhaft vor Augen. 17 Die folgende Passage, die an das Zitat aus dem Acht­ zehnten Brumaire anschließt, geht ebenfalls vom struk­ turellen Prinzip eines disparaten und dislozierten Klas­ sensubjekts aus: Das (mangelnde kollektive) Bewusstsein der Klasse von Parzellenbauern findet ihren »Träger« in einem »Repräsentanten « , einem »Vertreter« , der in je­ mandes anderen Interesse zu arbeiten scheint. Das Wort für »Repräsentant « leitet sic h hier nicht von »darstel­ len « * ab; dies verschärft den Kontrast, über den Fou­ cault und Deleuze hinwegsehen, nämlich den Kontrast, der, sagen wir, zwischen einer Stellvertreterin und einem Porträt besteht. Gewiss gibt es eine Beziehung zwischen beiden, die zudem in der europäischen Tradition eine po­ litische und ideologische Zuspitzung erfahren hat, zu­ mindest seitdem Dichter und Sophist, Schauspieler und Redner als gleichermaßen schädlich angesehen wurden. Im Gewand einer postmarxistischen Besc hreibung der Bühne der Macht begegnen wir auf diese Weise einer viel älteren Debatte: jener zwischen Repräsentation oder 31

Rhetorik als Tropologie und als Überzeugung. Darstel­ len* gehört der ersten Konstellation an, vertreten* mit stärkeren Anklängen an eine Substitution - der zweiten. Wiederum sind beide miteinander verbunden, aber sie ineinander laufen zu lassen, insbesondere um zu sagen� dass der Ort, wo unterdrückte Subjekte für sich selbst sprechen, handeln und wissen, jenseits von beiden liege, -

führt zu einer essenzialistischen, utopischen Politik. Hier also die Stelle bei Marx, die » vertreten « * verwen­ det, wo im Englischen »represent« benutzt wird, und die ein soziales »Subjekt« diskutiert, dessen Bewusstsein und Vertretung* (ebenso sehr eine Substitution wie eine Repräsentation) disloziert und inkohärent sind: Die Par­ zellenbauern »können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden. Ihr Vertreter muss zugleich als ihr Herr, als eine Autorität über ihnen erscheinen, als eine unumschränkte Regierungsgewalt, die sie vor den ande­ ren Klassen beschützt und ihnen von oben Regen und Sonnenschein schickt. Der politische Einfluss [anstelle des Klasseninteresses, zumal es kein geeintes Klassensub­ j ekt gibt] der Parzellenbauern findet also darin seinen letzten Ausdruck [die Implikation einer Kette v'on Substi­ tutionen - Vertretungen* - ist hier stark] , dass die Exe­ kutivgewalt sich die Gesellschaft unterordnet. « Ein solches Modell sozialer Indirektheit - mit notwendi­ gen Rissen zwischen der Quelle des »Einflusses « (in die­ sem Fall den Parzellenbauern) , dem »Vertreter « (Louis Napoleon) und dem historisch-politischen Phänomen (Exekutivgewalt) - impliziert nicht nur eine Kritik des Subjekts als eines individuellen Handlungsträgers, son­ dern sogar eine Kritik der Subjektivität einer kollektiven Handlungsfähigkeit. Die notwendigerweise dislozierte Maschine der Geschichte ist in Bewegung, weil »die Die� selbigkeit [der] Interessen « dieser Parzellenbauern »keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt« . Das 32

Ereignis der Repräsentation als Vertretung* ( in der Kon­ stellation der Rhetorik-als-Überzeugung) verhält sich wie eine Darstellung* (oder Rhetorik-als-Trope), sie be­ zieht ihren Ort im Zwischenraum zwischen der Formie­ rung einer (deskriptiven) Klasse und der Nicht-Formie­ rung einer (transformativen) Klasse: »Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen . leben, die ihre Lebensweise [ . . . ] trennen, bilden sie eine Klasse. Insofern [ ... ] die Dieselbigkeit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit [ ] erzeugt, bilden sie keine Klasse. « Die Komplizität von Vertreten* und Dar­ stellen*, ihre Identität-in-Differenz als Ort der Praxis denn diese Komplizität ist genau das, was Marxistinnen darlegen müssen, wie Marx es im Achtzehnten Brumaire tut -, kann nur zu Bewusstsein gelangen, wenn die bei­ den nicht durch einen Taschenspielertrick in einem Wort zusammengefasst werden. Es wäre nur tendenziös, wollte man argumentieren, dass eine solche Lektüre Marx zu sehr textualisiere und ihn dem gewöhnlichen Menschen [common »man«] u nzu­ gänglich mache, der als Opfer des gesunden Menschen­ verstands [common sense] so tief in einem Erbe des Posi­ tivismus verwurzelt sei, dass die irreduzible Beton ung, die Marx ,auf die Arbeit des Negativen, die Notwendig­ keit einer Entfetischisierung des Konkreten legt, ihm be­ harrlich durch die stärkste Widersacherin, die in der Luft hängende »geschichtliche Tradition«, entrissen werde. 18 Ich habe herauszustellen versucht, dass der ungewöhnli­ che Mensch [uncommon »man«], der gegenwärtige Phi­ losoph der Praxis, zuweilen denselben PositiviSIIlJlS zur • Schau stellt. . . .

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Der Ernst des Problems ist offenkundig, sofern man zu­ stimmt, dass die Entwicklung eines transformativen Klassen-»Bewusstseins « aus einer deskr�iven Klassen­ »Position« bei Marx keine Aufgabe ist, welche die grundlegende Ebene des Bewusstseins involviert. Klas33

senbewusstsein bleibt mit der Gemeinsamkeit verbun­ den, die der nationalen Verbindung und politischen Or­ ganisationen zugehört, nicht mit jener anderen Gemein­ samkeit, deren Strukturmodell die Familie ist. Obwohl sie nicht mit der Natur identifiziert wird, findet sich die Familie hier in eine Konstellation mit dem gerückt, was Marx unter dem Begriff » Austausch mit der Natur « fasst, der philosophisch gesprochen einen » Platzhalter« für den Gebrauchswert bildet. 19 D er » Austausch mit der Natur« wird durch den »Verkehr mit der Gesellschaft« kontrastiert, wobei »Verkehr« das von Marx üblicher­ weise verwendete Wort für » Handel« ist. Dieser »Ver­ kehr« nimmt also den Platz j enes Austauschs ein, der zur Mehrwertproduktion führt, und eben im Bereich dieses Verkehrs muss die Gemeinsamkeit entwickelt werden, die zur Handlungsfähigkeit als Klasse führt. Volle Hand­ lungsfähigkeit als Klasse (wenn es dergleichen gäbe) ist keine ideologische Transformation des Bewusstseins auf grundlegender Ebene, keine Begehrensidentität von Handlungsträgerinnen und deren Interessen - j ene Iden­ tität, deren Abwesenheit Foucault und Deleuze Um­ stände bereitet. Es ist eine streitbare Ersetzung sowie eine Aneignung (eine Supplementierung) von etwas, das von Anfang an » künstlich« ist - » ö konomische Existenz­ bedingungen, die ihre Lebensweise trennen« . Marx' For­ mulierungen zeigen eine behutsame Rücksicht auf die aufkeimende Kritik der individuellen und kollektiven Handlungsfähigkeit. Die Entwürfe des Klassenbewusst­ seins und der Transformierung des Klassenbewusstseins sind für ihn getrennte Themen. Umgekehrt stellen gegen­ wärtige Beschwörungen einer » libidinalen Ökonomie « und des Begehrens als bestimmendes Interesse - in Kom­ bination mit der praktischen Politik der Unterdrückten (unter der Bedingung sozialisierten Kapitals) , die » für sich selbst sprechen « - die Kategorie des souveränen

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Subjekts im Rahmen jener Theorie wieder her, die diese Kategorie am meisten in Frage zu stellen scheint. Zweifellos ist der Ausschluss der Familie, und sei es auch einer Familie, die einer spezifischen Klassenformation angehört, Teil des männlich geprägten Rahmens, inner­ halb dessen der Marxismus seine Geburt verzeichnet. 20 Historisch wie auch in der globalen politischen Ökono­ mie unserer Tage stellt sich die Rolle der Familie in patri­ archalen gesellschaftlichen Verhältnissen als derma ßen· heterogen und angefochten dar, dass die bloße Ersetzung der Familie in dieser Problematik nicht den Rahmen auf­ brechen wird. Ebenso wenig liegt die Lösung in der posi­ tivistischen Inklusion einer monolithischen Kollektivität von »Frauen« in die Liste der Unterdrückten, deren un­ gebrochene Subjektivität es erlaubt, dass sie - gegen ein gleicherma ßen monolithisches »System der Selbigkeit« [an equally monolithic » same system «] - für sich selbst sprechen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung eines strategi­ schen und künstlichen »Bewusstseins « , eines »Bewusst­ seins« auf zweiter Ebene, verwendet Marx den Begriff des Patronymischen, und zwar immer im Rahmen des breiteren Begriffs der Repräsentation als Vertretung*: Die Parzellenbauern »sind daher unfähig, ihr Klassenin­ teresse im eigenen Namen, sei es durch ein Parlament, sei es durch einen Konvent geltend zu machen « . Dem Man­ gel an einem nicht-familialen, künstlichen kollektiven Namen wird durch den einzigen Eigennamen abgehol­ fen, den die »geschichtliche Tradition« bereitstellen kann - durch das Patronymische selbst, den Namen des Va­ ters: »Durch die geschichtliche Tradition ist der Wunder­ glaube der französischen Bauern entstanden, dass ein Mann namens Napoleon ihnen alle Herrlichkeit wieder­ bringen werde. Und es fand sich ein Individuum [an indi­ vidual turned up] « - das unübersetzbare » es fand sich« (es fand sich selbst ein Individuum? [there found itself an 35

individual?] ) zertrümmert alle Fragen nach der Hand­ lungsfähigkeit oder der Verbindung der Handlungsträge­ rinnen mit ihren Interessen - » das sich für diesen Mann ausgibt« (diese Vortäuschung ist im Kontrast dazu seine einzige eigene Handlungsfähigkeit) , »weil es den Namen Napoleon trägt [trägt* das Wort, das für das Verhält­ nis des Kapitalisten zum Kapital verwendet wird] , in­ folge des Code Napoleon, der anbefiehlt: >La recherche de la paternite est interdite.< [>Die Erforschung der Vater­ schaft ist untersagt.Strahlenkönigin, Sonnenstrahl, Glück der Liebe, Kranz, Gefundene Tugend, Echo, Sanftauge, Trost, Mondstrahl, Liebesverlassene, Liebherz, Augenspiel, In-der-Laube­ Geborene, Lächeln, Liebesknospe, Glückliches Omen, Nebelumhüllte oder Wolkenentsprungene - der letzte ist besonders beliebtSati«