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German Pages [234] Year 2010
Carmen Furger Briefsteller
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Carmen Furger
Briefsteller
Das Medium »Brief« im 17. und frühen 18. Jahrhundert
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
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Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Basler Studienstiftung sowie des Max Geldner-Dissertationenfonds der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Gabriel Metsu, Der Briefschreiber (Ausschnitt). Dublin, National Gallery of Ireland. © 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Tönisvorst Druck und Bindung: Impress d.d., Ivančna Gorica Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Slovenia ISBN 978-3-412-20420-4
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Meinen Eltern in Dankbarkeit gewidmet
Inhalt Dank.................................................................................................................
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Briefsteller – »Benimmbücher« frühneuzeitlicher Briefpraxis?..................... 11 I. Thesen, Zugänge, Materialbasis.................................................................... 1.1 Forschungsüberblick............................................................................. 1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit.................................................... 1.3 Methodologischer Rahmen: Norbert Elias’ Zivilisationstheorie............. 1.4 Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen als Quellen.......................... 1.4.1 Materialbasis.............................................................................. 1.4.2 Briefsteller und ihre Verfasser..................................................... 1.5 Begriffs- und entwicklungsgeschichtlicher Abriss..................................
15 15 20 22 26 26 32 38
II. Briefschreiben als kulturelle Praxis......................................................... 45 2.1 Historisches Umfeld: Das Korrespondenzwesen im 17. und 18. Jahrhundert.................................................................................... 2.1.1 Materielle Aspekte der Briefbeförderung.................................... 2.1.2 Soziale, kulturelle und geschlechtsspezifische Aspekte des Briefschreibens........................................................................... 2.2 Die Briefsteller-Literatur und ihre Funktionen...................................... 2.2.1 Lehrbücher................................................................................ 2.2.2 Benimmbücher und Erziehungsschriften................................... 2.2.3 Unterhaltungsliteratur................................................................ 2.3 Die Briefsteller-Literatur und ihr Adressatenkreis.................................. 2.3.1 Wandel des potenziellen Zielpublikums..................................... 2.3.2 Exkurs: Exemplarischer Überblick einiger charakteristischer Titelkupfer zeitgenössischer Briefsteller...................................... 2.4 Zusammenfassung................................................................................
45 45 54 61 62 67 73 81 81 86 99
III. Das barocke Briefzeremoniell................................................................... 101 3.1 Zum Begriff des Zeremoniells............................................................... 101 3.2 Titel und Anreden in Briefen................................................................ 102 3.2.1 Die Bedeutung der Titelverzeichnisse in der barocken Briefsteller-Literatur................................................................... 103 3.2.2 Zur Bildung der Anredeformen.................................................. 108 3.2.3 Zum Aufbau der Anrede............................................................ 113 3.3 Die formalen Eigenschaften des Briefes................................................. 116 3.3.1 Schriftbild, Papierqualität und -format...................................... 116
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Inhalt
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3.3.2 Zur Papierbogeneinteilung und der Abfolge der verschiedenen Briefteile........................................................................ 119 3.3.3 Brieffaltung und Kuverts............................................................ 125 3.3.4 Siegel......................................................................................... 127 3.3.5 Zur Adressierung auf dem Briefumschlag................................... 129 Zusammenfassung................................................................................ 133
IV. Brieftheorie und Stilprinzipien................................................................ 135 4.1 4.2 4.3 4.4
Das Medium »Brief« in den Briefstellern............................................... 135 4.1.1 Vom öffentlichen Schreiben zum privaten Brief......................... 135 4.1.2 Klassifizierung der Briefsorten.................................................... 138 4.1.3 Korrespondenzpaare................................................................... 142 4.1.4 Schreibanlässe............................................................................ 145 Brieftheorie........................................................................................... 147 4.2.1 Von der »Natur« des Briefes....................................................... 147 4.2.2 Das briefliche Dispositionsschema............................................. 149 4.2.3 Der Brief als »weibliches« Medium............................................. 157 Stillehre................................................................................................ 160 4.3.1 Der barocke Kanzleistil.............................................................. 160 4.3.2 Der galante Schreibstil............................................................... 165 4.3.3 Der »natürliche« Schreibstil....................................................... 171 4.3.4 Die Bedeutung der deutschen Muttersprache als Briefsprache.......................................................................................... 173 Zusammenfassung................................................................................ 176
V. Auf den Spuren der Emotionalität in der Frühen Neuzeit.................... 178 5.1 5.2 5.3 5.4
Briefsteller als Abbilder von Emotionalität?........................................... 178 Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen.............................. 182 5.2.1 Trauer und Freude..................................................................... 184 5.2.2 Wut, Zorn, Scham und Ekel...................................................... 190 5.2.3 Liebe und Eifersucht.................................................................. 193 5.2.4 Emotionale Gebärden................................................................ 198 Emotionen in höfischen und bürgerlichen Briefen................................ 202 Zusammenfassung................................................................................ 207
VI. Schlussgedanken und Ausblick............................................................... 209 VII. Anhang .................................................................................................. 213
7.1 Bibliographie........................................................................................ 213 7.2 Bildnachweis......................................................................................... 230 7.3 Register ............................................................................................... 231
Dank Die vorliegende Forschungsarbeit wurde im Juni 2007 von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im SNF-Projekt »Briefkorrespondenzen als Quellen der Mentalitäts- und Kulturgeschichte (1650–1750)«. Claudia Opitz-Belakhal, Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Basel, hat dieses Projekt initiiert und begleitet. Ihr gilt mein besonderer Dank für die wissenschaftliche Betreuung meines Forschungsprojektes. Ebenfalls danke ich Prof. Dr. Kaspar von Greyerz für das meiner Arbeit entgegengebrachte Interesse und die fachliche Diskussion. Ohne die finanzielle Unterstützung verschiedener Stiftungen hätte das Projekt, geschweige denn die Drucklegung der Forschungsergebnisse nicht realisiert werden können. Mein Dank gebührt folgenden Donatoren: Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Bern; Basler Studienstiftung; Max Geldner-Dissertationenfonds der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel. Bei der Zusammenstellung des Quellenkorpus durfte ich auf den umfangreichen Bestand an mikroverfilmten Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen der Zentralbibliothek Zürich zurückgreifen. Für die wohlwollende Zusammenarbeit danke ich Dr. Ludwig Kohler, ehemaliger Leiter der Abteilung Benutzung. Dank gebührt auch Dr. Urs A. Müller-Lhotska, Leiter des Historischen Archivs UBS AG. Er stellte mir zur Sichtung des umfangreichen Quellenmaterials die technische Infrastruktur und das Know-how des Historischen Archivs der UBS zur Verfügung. Im Rahmen meiner Forschungsarbeit durfte ich außerdem die Bestände folgender Institutionen im In- und Ausland konsultieren: Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau; Bibliothek des Seminars für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität Basel; Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel; Österreichische Nationalbibliothek, Wien; Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; Universitätsbibliothek Basel; Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau; Universitätsbibliothek Wien sowie die Zentralbibliothek Zürich. Den Mitarbeitenden danke ich für ihre Hilfsbereitschaft bei der Bereitstellung der Dokumente. Lic. phil. Peter Maibach und Dr. Christian Mattli danke ich für ihre fachkritische Durchsicht des Manuskripts sowie für ihre wertvollen textkritischen Anregungen. And last, but not least, danke ich meinen Eltern und Geschwistern für ihre Unterstützung, die ich während des intensiven Enstehungsprozesses meiner Dissertation erfahren durfte.
Ein wohlgesetzter teutscher Brieff [ist] heutiges Tages einem/ der sein Glück in der Welt machen will/ hoch von nöthen.1 August Bohse (1661–1740)
Briefsteller – »Benimmbücher« frühneuzeitlicher Briefpraxis? »Einer der Briefe schreibt, oder im engeren Verstande, der dazu Anweisungen giebt«2 – mit diesen Worten umschrieb Johann Christoph Stockhausen in seinen Grundsätzen wohleingerichteter Briefe aus dem Jahr 1753 einen so genannten Briefsteller. Aus dieser Definition ist die Mehrdeutigkeit des Begriffs »Briefsteller« im deutschen Sprachgebrauch deutlich ersichtlich. Ursprünglich einen (professionellen) Schreiber, einen »auctor epistolae«, bezeichnend, der im Auftrag seiner Klientel Briefe und andere Schriftstücke verfasste,3 entwickelte sich der Ausdruck »Briefsteller« seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zu einem eigentlichen Genrebegriff, welcher die Quellengattung der Brieflehrbücher, der »liber epistolaris«, umfasst.4 Solche deutsch- und französischsprachigen Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert stehen im Fokus nachfolgender Ausführungen. Obwohl seit alters her bekannt, gewann die Briefsteller-Literatur in der Frühen Neuzeit zunehmend an Bedeutung. Allein für den Zeitraum von 1474 bis 1800 weist Reinhard M. G. Nickisch in seiner Studie über die Stilprinzipien in deutschen Brieflehrbüchern rund 250 deutsch- sowie fremdsprachige Briefsteller nach.5 Ihre eigentliche Blütezeit erlebten die Brieflehrbücher im 17. und besonders im 18. Jahrhundert – also 1 Bohse, August: Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil, Leipzig/Dresden 1695, Vorbericht, unpag. 2 Stockhausen, Johann Christoph: Grundsätze wohleingerichteter Briefe, Helmstädt 1753, Einleitung, S. 1. 3 Das Angebot von professionellen Schreibern scheint auch noch in unserer modernen Zeit einem gesellschaftlichen Bedürfnis zu entsprechen. 2004 zählte alleine Frankreich schätzungsweise rund 300 Berufsschreiber, die ihre Schreibfertigkeiten sowohl im Schriftverkehr mit öffentlichen Ämtern als auch in privaten Angelegenheiten zur Verfügung stellten. Im Zeitalter des Internets bieten ebenso zahlreiche Online-Portale einer zahlenden Kundschaft ihre Dienste an, wenn es beispielsweise darum geht, einer nahestehenden Person seine Gefühle in einem Liebesbrief mitzuteilen. Vgl. Gepp, Uwe: Die Profis für Liebes- und andere Briefe, in: Neue Urner Zeitung 214 (2004), S. 2. 4 Siehe hierzu: Grimm, Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch (Bd. 2), Leipzig 1860, S. 381. 5 Vgl. Nickisch, Reinhard M. G.: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474–1800), Göttingen 1969.
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Briefsteller – »Benimmbücher« frühneuzeitlicher Briefpraxis?
genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich auch ein markanter Anstieg im privaten Briefverkehr verzeichnen lässt. Schriften wie August Bohses mehrbändiger Allzeitfertiger Brieffsteller aus den 1690er Jahren führten mit ihren Anweisungen ein lese- und schreibfähiges Publikum in die Kunst des Briefschreibens ein, indem sie diesem konkret aufzeigten, »wie ein Brief geschickt einzurichten [sei]/ und wie dasjenige/ so man in schreiben verlanget/ durch eine angenehme Art könne vorgetragen werden«6. Die Anleitung zum Schreiben stilgerechter und sozial angemessener Briefe erfolgte in den Briefstellern der Frühen Neuzeit gewöhnlich über einen rhetorisch-theoretischen Teil, welcher Fragen zur Brieftheorie und zu den sprachlichen Stilprinzipien ausführlich behandelte. Die anschließende Brief-Mustersammlung präsentierte eine Auswahl verschiedener praktischer Vorlagen aus dem geschäftlichen und politischen sowie privaten Korrespondenzwesen. Für die abgedruckten Musterschreiben bedeutet dies, dass es sich bei diesen weniger um eine vom Autor zufällig getroffene Auswahl handelte als vielmehr um bewusst überlieferte Korrespondenzen aus der Fülle des mannigfaltigen frühneuzeitlichen Briefverkehrs. Als mögliche Auswahlkriterien dürften hierbei sowohl inhaltliche als auch sprach-stilistische Überlegungen eine bedeutende Rolle gespielt haben.7 Mit ihren praktischen Anleitungen zum Briefschreiben scheinen die Briefsteller des 17. und frühen 18. Jahrhunderts somit einem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprochen zu haben, umso mehr, als Privatpersonen zur Feder griffen, die mit den Verhaltensstandards und Stilgrundsätzen im zeitgenössischen Briefverkehr wenig oder gar nicht vertraut gewesen sein dürften. Gerade in einer Gesellschaft, in der sich das Individuum über seine jeweilige soziale Position definierte, lassen die Ausführungen der barocken Brieflehrbücher zum Briefzeremoniell keinen Zweifel offen, in welchem Maße das Briefschreiben in der Frühen Neuzeit von der sozialen Beziehung zwischen den Korrespondierenden bestimmt war. Der gesellschaftliche Rang des Briefempfängers musste stets beachtet werden, was sich nicht nur in der sprachlichen Darstellung von Anrede und »Courtoisie« in einem Schreiben niederschlug, sondern auch in der Formulierung des Anliegens bis hin zur formalen Gestaltung des Papierbogens. Hilfestellung fanden die Korrespondierenden in den äußerst detaillierten und umfangreichen Titularverzeichnissen, die zugleich ein Abbild der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft sind. Die Ausführungen in der barocken Briefsteller-Literatur erwecken beim heutigen Leser zuweilen den Eindruck, dass das Schreiben von Briefen einzig und allein dem Zweck gedient habe, dem Briefempfänger mit einem seinem sozialen Rang angemessenen Schreiben aufzuwarten. Der eigentliche Inhalt eines Briefes scheint dabei eher von untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein. 6 Bohse, August: Der allzeitfertige Brieffsteller, Frankfurt/Leipzig 1692, Eingang, S. 3. 7 Zur Überlieferungsproblematik bei Korrespondenzen siehe Köhn, Rolf: Dimensionen und Funktionen des Öffentlichen und Privaten in der mittelalterlichen Korrespondenz, in: Gert Melville und Peter von Moos (Hg.): Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, Köln u.a. 1998, hier besonders S. 326–327.
Briefsteller – »Benimmbücher« frühneuzeitlicher Briefpraxis?
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Schließlich lassen sich so genannte Briefsteller mit Blick auf Norbert Elias’ »Prozess der Zivilisation« als eine Art »Benimmbücher« der Frühen Neuzeit und somit als Medium dieses »Zivilisationsprozesses« lesen, der in Richtung einer Intimisierung von Gefühlen bzw. einer verstärkten Selbstkontrolle deutet.8 Im Speziellen soll hier der Frage nachgegangen werden, wie Gefühle in (Privat-)Briefen aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert thematisiert und codiert wurden, d.h. nach welchen Regeln des »guten Tons« diese in Briefen zum Ausdruck gebracht werden sollten.
8 Vgl. Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen (2 Bde.), 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1997.
I. Thesen, Zugänge, Materialbasis 1.1 Forschungsüberblick Zur Briefforschung Briefe dienten der historischen Forschung schon von alters her als eine bedeutende Informationsquelle. Zu denken ist hier etwa an ihren besonderen Stellenwert für die biographische oder politische Geschichte. Dass Briefe als historische Quellen weit mehr zu leisten vermögen, haben in den letzten Jahren vornehmlich Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Mentalitäts- und Alltagsgeschichte aufgezeigt, die mit neuen Fragestellungen an die Gattung »Brief« herangetreten sind.9 Neuerdings zeigt auch die historische Selbstzeugnisforschung großes Interesse an Briefen – insbesondere an den so genannten »Privatbriefen«.10 Von einer besonders intensiven Auseinandersetzung mit der Gattung »Brief« zeugen Forschungsarbeiten aus Nachbardisziplinen, vorwiegend aus dem Bereich der Philologien.11 Hierbei dominieren stark gattungsgeschichtlich und literarisch-ästhetisch 9 Siehe dazu den Forschungsüberblick bei Aichholzer, Doris: Frauenbriefe aus drei Jahrhunderten. Eine unerschöpfliche Quelle für die Mentalitäts- und Alltagsgeschichte, in: FrühneuzeitInfo 8/1 (1997), S. 148–152. Hierzu auch Hämmerle, Christa und Edith Saurer (Hg.): Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien 2003; Beyrer, Klaus und Hans-Christian Täubrich (Hg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996. 10 Für die Debatte von Bedeutung sind: Schulze, Winfried: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996 sowie Schulze, Winfried: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte?, in: Bea Lundt u.a. (Hg.): Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters, Köln u.a. 1992, S. 417–450. Dazu ebenfalls Brändle, Fabian u.a.: Texte zwischen Erfahrung und Diskurs. Probleme der Selbstzeugnisforschung, in: Kaspar von Greyerz u.a. (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850), Köln u.a. 2001, S. 3–31; Greyerz, Kaspar von und Fabian Brändle: Basler Selbstzeugnisse des 16./17. Jahrhunderts und die neuere historische Forschung, in: Werner Meyer und Kaspar von Greyerz (Hg.): Platteriana. Beiträge zum 500. Geburtstag des Thomas Platter (1499?–1582), Basel 2002, S. 59–75 sowie Krusenstjern, Benigna von: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 2 (1994), S. 462–471. 11 Hierzu etwa Bürgel, Peter: Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50 (1976), S. 281–297; Ermert, Karl: Briefsorten. Untersuchungen zu Theorie und Empirie der Textklassifikation, Tübingen 1979; Nickisch, Reinhard M. G.: Briefkultur. Entwicklung und sozialgeschichtliche Bedeutung des Frauenbriefs im 18. Jahrhundert, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Bd. 1), München 1988,
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Thesen, Zugänge, Materialbasis
orientierte Ansätze, während historischen Fragestellungen kaum Raum eingeräumt wird. Der Schwerpunkt des Untersuchungszeitraums liegt bei der Spätaufklärung sowie der »Empfindsamkeit« und der Romantik. Ähnliche Tendenzen lassen sich auch für die historische Briefforschung festhalten. Was die Untersuchung von Korrespondenzen vor 1750 betrifft, sind seit den Arbeiten von Mathias Beer12 zu Beginn der 1990er Jahre nur einige wenige Einzelstudien von Historikerinnen und Historikern erschienen.13 Hinzu kommt, dass es in der heutigen historischen Forschungslandschaft an einer breiten methodologischen Reflexion zur Gattung »Brief« fehlt, gerade auch für die Zeit vor 1750 – und das, obwohl Briefe in der Quellenkunde schon lange definiert und beschrieben wurden.14 Hier gilt immer noch Georg Steinhausens Standardwerk Geschichte des deutschen Briefes aus den Jahren
S. 389–409; Nickisch, Reinhard M. G.: Brief, Stuttgart 1991; Becker-Cantarino, Barbara: Leben als Text. Briefe als Ausdrucks- und Verständigungsmittel in der Briefkultur und Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann (Hg.): Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Stuttgart/Weimar 1999, S. 129–146; Anton, Annette C.: Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1995; Earle, Rebecca: Epistolary Selves. Letters and letterwriters, 1600–1945, Aldershot u.a. 1999. Vgl. dazu aber auch die Studie von Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, die maßgeblich auf der Untersuchung von Briefkorrespondenzen basiert. 12 Vgl. Beer, Mathias: Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen. Familienleben in der Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung Nürnbergs (1400–1550), Nürnberg 1990; Beer, Mathias: »Wenn ych eynen naren hett zu eynem man, da fragen dye freund nyt vyl danach«. Private Briefe als Quelle für die Eheschließung bei den stadtbürgerlichen Familien des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Hans-Jürgen Bachorski (Hg.): Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Trier 1991, S. 71–94; Beer, Mathias: Ehealltag im späten Mittelalter. Eine Fallstudie zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen anhand privater Briefe, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 53 (1994), S. 101–123. 13 Vgl. Teuscher, Simon: Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500. Überlegungen zu ihren zeitgenössischen Funktionen und zu Möglichkeiten ihrer historischen Auswertung, in: Eckart Conrad Lutz (Hg.): Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang. Ergebnisse des Troisième Cycle Romand 1994, Freiburg 1997, S. 359–385; Aichholzer, Doris: Briefe adeliger Frauen. Beziehungen und Bezugssysteme. Ein Projektbericht, in: MIÖG 105/4 (1997), S. 477–483; Köhn, Dimensionen und Funktionen des Öffentlichen und Privaten in der mittelalterlichen Korrespondenz; Ozment, Steven (Hg.): Magdalena [und] Balthasar. Briefwechsel der Eheleute Paumgartner aus der Lebenswelt des 16. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1989. 14 Etwa Weiss, Stefan: Briefe, in: Bernd-A. Rusinek u.a. (Hg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit, Paderborn u.a. 1992, S. 45–60; Schmid, Irmtraut: Was ist ein Brief? Zur Begriffsbestimmung des Terminus »Brief« als Bezeichnung einer quellenkundlichen Gattung, in: Editio 2 (1988), S. 1–7; Schmid, Irmtraut: Briefe, in: Friedrich Beck und Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 4., durchges. Aufl., Köln u.a. 2004, S. 111–118; Bürgel, Peter: Brief, in: Werner Faulstich (Hg.): Kritische Stichwörter zur Medienwissenschaft, München 1979, S. 26–47.
Forschungsüberblick
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1889/91 als richtungsweisend,15 indem er das Kommunikationsmittel »Brief« erstmals einer »systematischen geschichtlichen Behandlung«16 unterzog. Steinhausens kulturgeschichtliche Ausführungen sind jedoch von einem stark bürgerlich-nationalen Blick geprägt und alles andere als wertneutral zu bezeichnen. Konkret zeigt sich dies etwa in seinen Aussagen zur Entwicklung des deutschen Briefes während des »alamodischen Zeitalters« und dem damit verbundenen Wandel der Sprache: Die Sprache der Briefe ist entweder überhaupt nicht deutsch oder arg mit Fremdwörtern durchsetzt; der Ton zeigt nicht mehr […] volkstümliche Derbheit, Humor und Naivität, sondern steife Künstlichkeit und »zierliche« Phrasenhaftigkeit: es ist der Jargon der neuen Höflichkeit; der derbe Humor weicht der frivolen Zote; der Geist des Briefes ist durch und durch unwahr; die »neue Moral« zeitigt die Lüge und die Schmeichelei.17
Steinhausen stieß sich besonders an dem für sein persönliches Geschmacksempfinden allzu großen Einfluss der »Ausländerei« auf die deutsche Briefschreibpraxis des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Darin glaubte er nicht zuletzt eine Verachtung der deutschen Muttersprache zu sehen.18 Folglich kritisierte Steinhausen ebenso die um die Wende zum 18. Jahrhundert publizierten Briefsteller, die sich in ihren brieftheoretischen Anweisungen stark von einer deutsch-französischen Höflichkeitssprache beeinflussen ließen. Auch für die Autoren solcher Werke hatte er nicht viel übrig, wenn er August Bohse oder Christian Friedrich Hunold in seiner kulturgeschichtlichen Betrachtung des Mediums »Brief« despektierlich als »Schmierer recht nach dem Geschmacke der Zeit«19 bezeichnet.
Zur Briefstellerforschung Den Briefstellern, die ein Teilgebiet innerhalb der Briefforschung ausmachen, hat die historische Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Hier dominieren nach wie vor die literaturwissenschaftlichen Arbeiten von Reinhard M. G. Nickisch.20
15 Vgl. Steinhausen, Georg: Geschichte des deutschen Briefes. Zur Kulturgeschichte des deutschen Volkes (2 Tle. in 1 Bd.), Berlin 1889/91. 16 Steinhausen, Georg: Der deutsche Brief, in: Das litterarische Echo. Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde 4 (1901/02), S. 941. 17 Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes, Teil 2, S. 4. 18 Vgl. ebd., S. 8–9. 19 Ebd., S. 24 sowie auch S. 217–218. 20 Vgl. Nickisch, Reinhard M. G.: Gottsched und die deutsche Epistolographie des 18. Jahrhunderts, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 66/4 (1972), S. 365–382; Nickisch, Reinhard M. G.: »Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu schreiben«. Deutsche Briefsteller um 1700. Von Christian Weise zu Benjamin Neukirch, in: Klaus J. Mattheier und Paul Valentin (Hg.):.
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Thesen, Zugänge, Materialbasis
Seine 1969 veröffentlichte Dissertation Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts gilt auch heute noch als eigentliches Standardwerk.21 Daneben existieren Einzelstudien, deren zeitlicher Schwerpunkt vorwiegend im Mittelalter22 sowie in der Zeit des Barocks und der galanten Epoche angesiedelt ist.23 Ihre Untersuchungen sind hauptsächlich von brief- und stiltheoretischen Fragestellungen geleitet. Andere, in jüngerer Zeit erschienene Beiträge eignen sich aufgrund ihres Überblickscharakters besonders als Einstieg in die Briefstellerthematik, wie etwa der Aufsatz von Kirsten Erwentraut über die Briefsteller-Literatur des 17. Jahrhunderts24 oder Diethelm Brüggemanns Briefstelleranthologie25, die einen historischen Abriss der Brieflehrbücher bis ins 20. Jahrhundert liefert. Neuere Forschungsarbeiten zur Briefsteller-Literatur sind hingegen wenige erschienen,26 obwohl hier in den letzten Jahren insbesondere die Frauen- und Geschlechterforschung neue Wege aufgezeigt hat.27 Hierbei überwiegen literaturtheoretisch und -historisch orientierte Interessen weiterhin gegenüber sozial-, mentalitäts- und kulturhistorischen Aspekten. So lässt sich der Schwerpunkt der diversen Beiträge hauptsächlich um die von Christian Fürchtegott Gellert etablierte »emp-
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Pathos, Klatsch und Ehrlichkeit. Liselotte von der Pfalz am Hofe des Sonnenkönigs, Tübingen 1990, S. 117–138. Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Vgl. Rockinger, Ludwig: Ueber Briefsteller und Formelbücher in Deutschland während des Mittelalters, München 1861 sowie Rockinger, Ludwig: Briefsteller und Formelbücher des eilften bis vierzehnten Jahrhunderts, München 1864; Bütow, Adolf: Die Entwicklung der mittelalterlichen Briefsteller bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, mit besonderer Berücksichtigung der Theorien der ars dictandi, Greifswald 1908. Vgl. Roseno, Agnes: Die Entwicklung der Brieftheorie von 1655–1709. Dargestellt an Hand der Briefsteller von Georg Philipp Harsdörfer, Kaspar Stieler, Christian Weise und Benjamin Neukirch, Würzburg 1933; Buck, August: Epistolographie in der Renaissance, in: Wolfenbütteler Renaissance Mitteilungen III/1 (1979), S. 101–105. Nur am Rande mit der Briefsteller-Literatur befasst sich Wendland, Ulrich: Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprachreformbestrebungen vor Gottsched, Leipzig 1930. Vgl. Erwentraut, Kirsten: Briefkultur und Briefsteller – Briefsteller und Briefkultur, in: Albert Meier (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Bd. 2), München/Wien 1999, S. 266–285. Vgl. Brüggemann, Diethelm: Vom Herzen direkt in die Feder. Die Deutschen in ihren Briefstellern, München 1968. Dies kritisiert auch: Schuler, Peter-Johannes: Formelbuch und Ars dictandi. Kaum genutzte Quellen zur politischen und sozialen Geschichte, in: Helmut Jäger u.a. (Hg.): Civitatum communitas. Studien zum europäischen Städtewesen, Köln/Wien 1984, S. 374–389. Vgl. Ebrecht, Angelika u.a. (Hg.): Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990; Nickisch, Reinhard M. G.: Die Frau als Briefschreiberin im Zeitalter der deutschen Aufklärung, in: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung III (1976), S. 29–65; Runge, Anita und Lieselotte Steinbrügge (Hg.): Die Frau im Dialog. Studien zu Theorie und Geschichte des Briefes, Stuttgart 1991.
Forschungsüberblick
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findsame« Brieflehre situieren, die eine deutliche Feminisierung des privaten Briefes zur Folge hatte.28 Einen Ausblick in die Epistolographie des 19. resp. 20. Jahrhunderts liefert Susanne Ettl mit ihrer Untersuchung von Universal-Briefstellern »als Sprach- und Stillehrbücher, aber auch als landeskundliche Dokumente«29, während Stefanie Kleiner moderne französische Briefsteller aus dem 20. Jahrhundert als »Repräsentanten eines idealtypischen schriftsprachlichen Habitus«30 analysiert hat. Neue Wege in der Briefstellerforschung hat ein Forscherkreis um den französischen Kulturhistoriker Roger Chartier aufgezeigt, der die Brieflehrbücher ausgehend vom Konzept des Briefschreibens und -lesens als kulturelle Praxis befragt hat. Chartier ging es dabei um die zentrale Frage nach der Bedeutung und dem Zweck, den ein bestimmter Rezipientenkreis mit Briefstellern in Verbindung brachte. Antworten auf diese Frage versuchte Chartier über die Lesegewohnheiten der Menschen zu finden. Briefschreiber waren nämlich zuerst einmal Leser, denn bevor die in den Brieflehrbüchern dargestellten Schreibprobleme in der Praxis umgesetzt werden konnten, musste der Benutzer die Anleitungen sowie die zur Illustration abgedruckten Briefvorlagen lesen. Dieser Ansatz erlaubt eine mögliche Beantwortung der Frage, weshalb etwa Briefsteller wie die eines Jean Puget de La Serres, die sich inhaltlich an ein adliges oder zumindest bürgerliches Publikum wandten, auch unter
28 Gellert, Christian Fürchtegott: Gedanken von einem guten deutschen Briefe, in: Christian Fürchtegott Gellert: Die epistolographischen Schriften. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1742 und 1751, Stuttgart 1971, S. 177–189 sowie Gellert, Christian Fürchtegott: Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, in: Christian Fürchtegott Gellert: Die epistolographischen Schriften. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1742 und 1751, Stuttgart 1971. Vgl. hierzu auch Arto-Haumacher, Rafael: Gellerts Briefpraxis und Brieflehre. Der Anfang einer neuen Briefkultur, Wiesbaden 1995; Jung, Werner: Zur Reform des deutschen Briefstils im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zu C. F. Gellerts Epistolographie, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 114/4 (1995), S. 481–498; Nickisch, Reinhard M. G.: Nachwort, in: Christian Fürchtegott Gellert: Die epistolographischen Schriften. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1742 und 1751, Stuttgart 1971, S. 1*–16*; Kaiser, Claudia: »Geschmack« als Basis der Verständigung. Chr. F. Gellerts Brieftheorie, Frankfurt a. M. u.a. 1996; Witte, Bernd u.a. (Hg.): Christian Fürchtegott Gellert. Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. Roman, Briefsteller (Bd. 4), Berlin/New York 1989; Brüggemann, Diethelm: Gellert, der gute Geschmack und die üblen Briefsteller. Zur Geschichte der Rhetorik in der Moderne, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45 (1971), S. 117–149. Siehe aber auch Reinlein, Tanja: Der Brief als Medium der Empfindsamkeit. Erschriebene Identitäten und Inszenierungspotentiale, Würzburg 2003. 29 Ettl, Susanne: Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation. Briefsteller von 1880 bis 1980, Tübingen 1984, Vorwort. 30 Kleiner, Stefanie: Aus der Fülle des Herzens… Inszenierung von Spontaneität und Distanz in französischen Briefstellern, Weinheim 1994, Vorwort.
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»einfachen« Leuten beliebt waren.31 Mit den in ihren Briefvorlagen erzählten Episoden sorgten sie für ein unterhaltendes Leseerlebnis. Da die Briefsteller-Literatur im Spannungsfeld einer öffentlichen und privaten Schreibpraxis liegt, bietet sie sich geradezu als Untersuchungsobjekt an, wenn es um die Erforschung des alltäglichen und privaten Schreibens von Briefen in der Frühen Neuzeit geht. Briefsteller geben einerseits einen Einblick in die Aneignung der Fähigkeit, Briefe zu schreiben – eine Kompetenz, die in Schulen gelehrt wurde, in Schreibstuben zur täglichen Arbeit gehörte und ansonsten von einer kleinen Gruppe von Menschen wie etwa Sekretären, Notaren, Gelehrten oder Kaufleuten beherrscht wurde. Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen lassen andererseits ebenso erkennen, inwiefern der Akt des alltäglichen Briefschreibens von öffentlichen Normen beeinflusst war, indem sich etwa auch private Briefe an einen bestimmten Aufbau sowie an Schreibstilregeln halten mussten. Außerdem grenzten sie die Einübung gewöhnlichen Schreibens auf bestimmte Briefsorten und inhaltliche Schwerpunkte ein.
1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit Die im 17. und frühen 18. Jahrhundert weit verbreiteten und in mehreren Auflagen erschienenen Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen sind bisher von der historischen Forschung weitgehend vernachlässigt worden. Doch gerade an den zeitgenössischen Anleitungen zur Briefschreibkunst mit ihren umfangreichen BriefMustersammlungen lässt sich ein eindrückliches Bild davon gewinnen, wie hoch differenziert der schriftliche Austausch in der Frühen Neuzeit war. Ob sich nun Fürsten gegenseitig zur Geburt eines Sohnes gratulierten, ob sich ein Untertan mit einem Bittgesuch an seinen Herrn wandte oder ein Vater seinen Sohn auf einer fremden Universität zum fleißigen Lernen anhielt – die barocken Briefsteller klassifizieren die verschiedensten Briefsorten und geben eine große Palette an möglichen Briefvorlagen für die unterschiedlichsten Schreibsituationen vor. In ihren Brief-Mustersammlungen stehen Kondolenzbriefe neben Handels- und Kaufbriefen, folgen Glückwunschbriefe auf Visitbriefe oder wechseln sich so genannte Liebes- und Frauenzimmerbriefe mit Empfehlungsbriefen ab. Brieflehrbücher bieten sich somit geradezu an, wenn es darum geht, Traditionen und Brüche in der frühneuzeitlichen Briefschreibkunst aufzuarbeiten. Da sich die Brief-Kulturforschung bisher vorwiegend auf den Zeitraum nach 1750 konzentriert hat, scheint es besonders lohnenswert, den Fokus auf die Brief31 Vgl. Chartier, Roger u.a. (Hg.): Correspondence. Models of Letter-Writing from the Middle Ages to the Nineteenth Century, Cambridge 1997, hier besonders S. 1–5. Zur Methodik siehe auch Hartwig, Helmut: Zwischen Briefsteller und Bildpostkarte. Briefverkehr und Strukturwandel bürgerlicher Öffentlichkeit, in: Ludwig Fischer u.a. (Hg.): Gebrauchsliteratur. Methodische Überlegungen und Beispielanalysen, Stuttgart 1976, S. 114–126.
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produktion resp. -konzeption vor der Zeit der Empfindsamkeit zu richten. Startpunkt der vorliegenden Untersuchung soll die Mitte des 17. Jahrhunderts sein, als mit dem Ende des 30-jährigen Krieges und dem einsetzenden marktwirtschaftlichen Aufschwung32 auch die Erfolgsgeschichte des Briefes ihren Anfang nahm. Begrenzt wird der Untersuchungszeitraum durch die von Christian Fürchtegott Gellert um die Mitte des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742) sowie seine Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751). In diesen beiden brieftheoretischen Aufsätzen setzt sich Gellert dezidiert für ein Briefschreiben fern von rhetorischen Regeln und starren Dispositionsschemata ein, womit er deutlich Position gegen die von den barocken Briefstellern gelehrte Kunst des Briefschreibens bezieht.33
Aufbau der Arbeit Der erste Teil der vorliegenden Forschungsarbeit befasst sich mit dem Briefschreiben als kultureller Praxis. Dabei wird ein Bild des barocken Briefverkehrs gezeichnet und auf die Frage eingegangen, inwiefern die Öffnung der Post und der damit verbundene Ausbau der Dienstleistungen die Entwicklung der Briefkultur im 17. und frühen 18. Jahrhundert beeinflusst haben. Als Teil dieser frühneuzeitlichen Briefkultur werden die Briefsteller und ihre Funktionen genauer betrachtet. Welche Ziele verfolgten sie? Welches Wissen stellten sie welchem Benutzerkreis zur Verfügung? Hinsichtlich der Frage nach dem potenziellen Zielpublikum ist überdies von besonderem Interesse, inwiefern Frauen als Leser- und/oder Schreiberinnen von Briefen in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts angesprochen, »mitgedacht« oder explizit ausgeschlossen wurden. Der zweite Teil der Forschungsarbeit widmet sich ausführlich dem barocken Briefprotokoll, das einen zentralen Dreh- und Angelpunkt in der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts darstellt. Von den titulatorischen Anweisungen bis zur formalen Gestaltung des Papierbogens, von der Siegelung bis zur Adressierung des Briefes – in ihren Ausführungen zum Briefzeremoniell überließen die Briefsteller nichts dem Zufall. Als eine Art seismographisches Instrument, welches die Beziehung zwischen den Korrespondierenden anzeigt, bietet sich das Briefzeremoniell geradezu an, wenn es darum geht, ständische und geschlechtsspezifische, aber auch national-
32 Dies zeigt sich etwa daran, dass sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allmählich die Postwagen durchzusetzen begannen und die Briefschreiber bei der Beförderung ihrer Korrespondenzen zwischen »fahrender« und »reitender« Post auswählen konnten. Vgl. Gerteis, Klaus: Das »Postkutschenzeitalter«. Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert, in: Aufklärung 4/1 (1989), S. 55–78. 33 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742) sowie Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751).
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und fremdsprachige Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Korrespondenzwesen sichtbar zu machen. Neben dem Briefzeremoniell bildete ein rhetorisch-theoretisches Regelwerk einen weiteren Schwerpunkt in der zeitgenössischen Briefsteller-Literatur. Der dritte Teil der Arbeit befasst sich mit den Veränderungen und der Entwicklung des Mediums »Brief« im 17. und frühen 18. Jahrhundert aus brieftheoretischer Sicht. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht dabei die Frage, wie die Briefsteller das Wesen eines Briefes definierten. Hier soll neben der Besprechung der rhetorisch-theoretischen Regeln auch die Entwicklungsgeschichte des Briefes in der Frühen Neuzeit hin zu Privatund Geschäftsbrief, zur Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit nachgezeichnet werden. Diese Unterscheidung beeinflusste ihrerseits wesentlich die sprachlichen Stilprinzipien, nach welchen laut den Briefstellern ein guter Brief verfasst werden sollte. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lässt sich hier nämlich eine Veränderung in der Stillehre nachweisen, die sich von einer zeremoniell-formelhaften Briefsprache hin zu einer freieren »galanten« Unterhaltung und zu »natürlichen« Ausdrucksweisen bewegte. Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit den Briefstellern als eine Art »Benimmbücher« der Frühen Neuzeit. Mit Blick auf Norbert Elias’ sozio-historische Studie über den »Prozess der Zivilisation« lassen sich die Briefsteller als Medium dieses »Zivilisationsprozesses« lesen, der in Richtung einer Intimisierung von Gefühlen bzw. einer verstärkten Selbstkontrolle weist. Die vorliegende Studie geht dabei der Frage nach, welche Möglichkeiten der Selbstdarstellung die Brieflehrbücher den schreibenden Personen einräumten bzw. explizit ausschlossen. Dabei ist von besonderem Interesse, welche Gefühle in einem guten Brief wie kommuniziert werden konnten. Auf welche Weise Gefühle sich in Briefen sprachlich artikulieren ließen, war schlussendlich auch wesentlich vom sozio-kulturellen Kontext bestimmt, in dem sich ein Brief bewegte.
1.3 Methodologischer Rahmen: Norbert Elias’ Zivilisationstheorie Die Popularität der Briefsteller-Literatur im 17. und frühen 18. Jahrhundert dürfte im Wesentlichen darauf beruht haben, dass diese mit ihren Anleitungen zur Briefschreibkunst einem in der Gesellschaft existierenden Bedürfnis entsprochen hat, indem sie das zeitgenössische, gesellschaftlich anerkannte und zugleich erwartete »richtige« Verhalten im Briefverkehr dokumentierte.34 Briefsteller können somit als eine Art »Benimmbücher« der Frühen Neuzeit gelesen werden, die für die Erforschung der Briefschreibpraxis vergangener Zeiten wie auch der sozialen Beziehungen und der persönlichen Befindlichkeiten einen wahren Fundus darstellen.
34 Vgl. Beetz, Manfred: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart 1990, S. 1–7.
Norbert Elias’ Zivilisationstheorie
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Wie bei allen normativen Quellen muss jedoch auch bei Briefstellern das Problem im Auge behalten werden, dass ihre Aussagen mehrfache Lesarten zulassen. Einerseits vermitteln uns solche Schriften allgemein gültige Verhaltenstandards, sie reflektieren aber auch neue Moden in der Briefkultur, um diese allenfalls zu allgemeingültigen Normen zu erheben. Andererseits dürften Briefsteller auch die Funktion von Erziehungsschriften übernommen haben, indem ihre Anweisungen zum Briefschreiben als ein Versuch gelesen werden können, einem bereits bestehenden »Wildwuchs« im frühneuzeitlichen Korrespondenzwesen entgegenzuwirken. Briefsteller stellten somit Wissen zur Verfügung, das in der frühneuzeitlichen Gesellschaft verloren zu gehen drohte resp. bereits verloren gegangen war und deshalb nicht mehr korrekt angewendet wurde. Auch wenn Briefsteller gesellschaftsfähiges Verhalten beschreiben, musste dieses nicht zwingend in der Wirklichkeit vorgefunden bzw. nachgeahmt werden. Die vorliegende Studie dreht sich denn auch weniger um die Frage nach der Wirkung solcher brieftheoretischer Werke auf die reale Schreibpraxis als vielmehr um die Herausarbeitung der im Briefverkehr des 17. und frühen 18. Jahrhunderts herrschenden Regeln und Standards sowie deren langfristige Entwicklung. Indem Briefsteller dazu beitrugen, die in der frühneuzeitlichen Briefkultur vorherrschenden Tendenzen zu klären, können sie nach Norbert Elias als Medium des »Zivilisationsprozesses« gelesen werden. Elias beschreibt in seiner 1939 publizierten sozio-historischen Studie über den »Prozess der Zivilisation« die Veränderung des menschlichen Verhaltens und Empfindens vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, indem er aufzeigt, wie verschiedene menschliche Verrichtungen im Laufe der Zeit mit Schamgefühlen belegt und folglich aus dem »sichtbaren« gesellschaftlichen Leben langsam verdrängt oder wie persönliche Gefühle vermehrt von einer verstärkten Selbstkontrolle beeinflusst wurden.35 Seine Untersuchung wird von zwei eng miteinander verbundenen Theorieaspekten geleitet: Einerseits von der Psychogenese, d.h. von der Entwicklung der Persönlichkeitsstrukturen (Bd. 1), und andererseits von der gesellschaftlichen Entwicklung, der Soziogenese des Staates (Bd. 2). Elias’ Zivilisationstheorie basiert auf der Prämisse, wonach die Durchsetzung eines staatlichen Gewaltmonopols eine gesellschaftliche Umorganisation zur Folge habe, welche das Individuum zwinge, seine (gewalttätigen) Triebe zu beherrschen, was schließlich zu befriedeten sozialen Räumen führe.36 Hierzu gibt Elias jedoch zu bedenken, dass auch eine solch differenzierte Gesellschaft keineswegs frei von Zwängen sei. Vielmehr hätten wir es hier mit anders gearteten Zwängen zu tun, die auf den einzelnen Menschen wirken würden. Als Beispiel nennt Norbert Elias etwa den frühneuzeitlichen Fürsten- oder Königshof – also Gesellschaften mit einem stabilen Gewaltmonopol, die sich durch eine zunehmende Differenzie35 Vgl. Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd. 2), S. 324. 36 Vgl. ebd., S. 331. Siehe auch Chartier, Roger: Gesellschaftliche Figuration und Habitus. Norbert Elias und »Die höfische Gesellschaft«, in: Roger Chartier (Hg.): Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Berlin 1989, S. 50.
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rung der sozialen Funktionen auszeichnen würden. Der Einzelne findet sich in mehr oder weniger lange Handlungsketten eingebunden, was ihn gleichzeitig funktionell abhängig von anderen Menschen macht. Diese Abhängigkeit, so Elias weiter, beeinflusst in direktester Weise das individuelle Verhalten und bedingt insbesondere auch eine Modellierung des Affektshaushalts, denn je dichter das Interdependenzgeflecht wird, in das der Einzelne mit der fortschreitenden Funktionsteilung versponnen ist, je größer die Menschenräume sind, über die sich dieses Geflecht erstreckt, und die sich mit dieser Verflechtung, sei es funktionell, sei es institutionell, zu einer Einheit zusammenschließen, desto mehr ist der Einzelne in seiner Existenz bedroht, der spontanen Wallungen und Leidenschaften nachgibt; desto mehr ist derjenige gesellschaftlich im Vorteil, der seine Affekte zu dämpfen vermag.37
Die Verdichtung der individuellen Beziehungen verlangt also gemäß Elias nach einer strengeren Kontrolle des persönlichen Empfindens sowie der Affekte.38 Das Individuum sieht sich gezwungen, die Auswirkungen seiner Handlungen und persönlichen Gefühlsregungen abzuschätzen und sein Verhalten dementsprechend anzupassen. Den vorläufigen Höhepunkt der gesellschaftlichen Verhaltensregulationen bildete nach Norbert Elias die an den frühneuzeitlichen Höfen herrschende Etikette, wonach nicht mehr spontane Triebe und Affekte, sondern gesellschaftliche Regeln von Sitten und Anstand das Verhalten des menschlichen Umgangs bestimmten. In seinem Werk Die Höfische Gesellschaft spricht Elias in diesem Fall vom »Prozess der Verhofung«, womit er konkret die Transformation des Adels aus einer Schicht von Rittern in eine Schicht von Höflingen meint. Dieser Prozess unterwarf die Menschen an den Höfen einem engmaschigen Netz von Selbstkontrollen, wobei sich eine besondere Form von Rationalität – Elias nennt sie die »höfische Rationalität«39 – herausbildete. Diese so genannte höfische Rationalität gründete, um es mit Norbert Elias’ Worten zu sagen, auf »der kalkulierenden Planung der eigenen Strategie im Hinblick auf den möglichen Gewinn oder Verlust von Status- und Prestigechancen unter dem Druck einer unablässigen Konkurrenz um Machtchancen«40. Elias’ Zivilisationstheorie besagt weiter, dass neue Verhaltensstandards stets bei den gesellschaftlichen Oberschichten auftreten, bevor die verfeinerten Manieren von den Mittel- und Unterschichten adaptiert würden.41 Dabei handelt es sich um einen Konkurrenzkampf zwischen den Angehörigen des Adels und der bürgerlichen Schichten, welcher Letztere dazu veranlasst, die höfischen Umgangsformen zu imitieren. Da eine Diffusion nach unten stets mit einer sozialen Entwertung der Unterscheidungsmerkmale einhergeht, sieht sich die Elite ihrerseits wiederum veranlasst, ihre sittlichen 37 Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd. 2), S. 332. 38 Vgl. Chartier, Gesellschaftliche Figuration und Habitus, S. 50. 39 Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, 8. Aufl., Frankfurt a. M. 1997, S. 141. 40 Ebd., S. 142. Vgl. auch Chartier, Gesellschaftliche Figuration und Habitus, S. 52. 41 Vgl. Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd. 2), S. 349.
Norbert Elias’ Zivilisationstheorie
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Ansprüche und Verhaltenscodes weiter zu verfeinern, um sich dadurch wieder deutlich von den niederen sozialen Schichten unterscheidbar zu machen. Der »Prozess der Zivilisation« wird nicht zuletzt durch diesen Wettbewerb am Leben erhalten.42 Elias’ These von der Intimisierung von Gefühlen als Teil des Zivilisationsprozesses basiert also hauptsächlich auf einer für das Mittelalter feststellbaren Zügelung des menschlichen Aggressionspotenzials, die schlussendlich in der Transformation eines »groben« Kriegers in einen »galanten« Höfling gründete. Hierzu gibt der Sprachwissenschaftler Rüdiger Schnell zu bedenken, dass das menschliche Gefühlsleben ein viel komplexeres Gebilde darstelle, als dass aufgrund einer einzigen emotionalen Veränderung zwingend auf andere Gefühlsveränderungen zu schließen sei. Längst nicht alle Emotionen, so Schnell weiter, würden über die gleichen Qualitäten verfügen, was wiederum nach einer unterschiedlichen Bewertung verlange. Dementsprechend müssen die unterschiedlichsten Gefühle auch nicht gleichermaßen dem Zivilisationsprozess unterworfen sein, d.h. von ihm kontrolliert und zurückgedrängt werden.43 Wenn es um die Beurteilung von Gefühlsqualitäten geht, darf die Frage nach der Geschlechterdifferenz nicht unberücksichtigt bleiben. Da Frauen von alters her eine größere Emotionalität zugesprochen wird, müsste die Zivilisationskurve laut Schnell folglich bei Frauen viel früher einsetzen als bei Männern. Hinzu kommt, dass sich das weibliche Geschlecht einer viel strengeren Gefühlskontrolle unterworfen sah als dies bei Männern der Fall war.44 Ein weiterer Kritikpunkt an Elias’ Zivilisationstheorie setzt bei der Zusammensetzung des Quellenkorpus an. Den Wandel der Verhaltensstandards der abendländischen Oberschicht weist Elias anhand von Etikette- und Manierenbüchern, Tischzuchten sowie Erziehungsschriften zu verschiedenen Bereichen des menschlichen Lebens nach. Konkret befragt er die Quellen etwa nach dem Benehmen beim Essen, den Einstellungen zu körperlichen Bedürfnissen wie Schnäuzen oder Spucken, nach dem Verhalten im Schlafraum oder der Beziehung zwischen Mann und Frau. Rüdiger Schnell hält diesbezüglich fest, dass Norbert Elias seine Theorie von einer Interdependenz zwischen Psycho- und Soziogenese auf einem Konglomerat verschiedenster Textsorten mit unterschiedlichen Funktionen aufgebaut habe, indem er etwa Sittenbücher mit Schulliteratur oder Volksdichtungen mit Volksschriften verglich. Des Weiteren sieht der Sprach- und Literaturwissenschaftler Schnell die Ergebnisse von Elias’ Untersuchung insofern als problematisch an, als diese auf normativen Quellen beruhen, die nur bedingt die soziale Realität widerspiegeln.45
42 Vgl. Chartier, Gesellschaftliche Figuration und Habitus, S. 53–54. 43 Relevant hinsichtlich der kritischen Diskussion der Zivilisationstheorie nach Norbert Elias sind u.a. Opitz, Claudia (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozess. Norbert Elias’ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln u.a. 2005 und Schnell, Rüdiger: Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias, in: Rüdiger Schnell (Hg.): Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Vormoderne, Köln u.a. 2004, hier besonders S. 36–38. 44 Vgl. Schnell, Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias, S. 35–36. 45 Vgl. ebd., S. 25–26.
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Thesen, Zugänge, Materialbasis
Trotz dieser berechtigten Kritikpunkte erscheint Elias’ Theorie für die vorliegende Studie gerade deshalb als richtungsweisend, weil ihr mit den so genannten Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen eine homogene, in sich abgeschlossene normative Quellengattung zugrunde liegt. In Anlehnung an die Elias’sche Theorie lassen sich somit auch Briefsteller im Kontext des »Prozesses der Zivilisation« lesen. Die Brieflehrbücher gaben ja nicht nur die im Briefverkehr zu beachtenden formalen Normen vor, sondern legten auch die Rahmenbedingungen für die Verschriftlichung der Gefühlswelt der Korrespondierenden fest. Sie zeigten dem Benutzer modellhaft, in welcher Schreibsituation und auf welche Art und Weise persönliche Empfindungen artikuliert werden durften. Da Elias in seiner Zivilisationstheorie von einer langfristigen Umwandlung von »zwischenmenschlichen Fremdzwängen in einzelmenschliche Selbstzwänge«46 ausgeht, die zu einer erhöhten emotionalen Kontrolle, zu einer Zurückhaltung von spontanen Gefühlen und Affekten führt, müsste folgerichtig auch die Briefsteller-Literatur – als Teil dieses Zivilisationsprozesses – regulierend und dämpfend auf die Artikulation von persönlichen Emotionen gewirkt haben.47
1.4 Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen als Quellen 1.4.1 Materialbasis Das Quellenkorpus der vorliegenden Studie besteht aus Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen, die den deutschen und französischen Sprachraum des 17. und frühen 18. Jahrhunderts repräsentieren. Zu den bedeutendsten Verfassern von deutschsprachigen Briefstellern der Frühen Neuzeit können Georg Philipp Harsdörffer, Kaspar Stieler, Christian Weise, August Bohse, Christian Friedrich Hunold, Benjamin Neukirch sowie Christian Fürchtegott Gellert gezählt werden. Mit ihren brieftheoretischen Anleitungen versuchten sie richtungsweisend auf das deutsche Korrespondenzwesen zwischen 1650 und 1750 einzuwirken.48 Im französischen Sprachraum gehörte Jean Puget de La Serre zu den einflussreichsten Briefsteller-Autoren. Mit seinen Schriften aus dem 17. Jahrhundert dürfte er die barocke Briefmode in Europa wie kein anderer beeinflusst haben. Mit Pierre Richelet erlangte ein weiterer französischer Verfasser von Brieflehrbüchern des 17. Jahrhunderts Bekanntheit über die Landesgrenzen hinaus. Seine Brief-Mustersammlungen enthalten hauptsächlich Briefe berühmter französischer Persönlichkeiten, darunter solche von den Dramatikern Jean-Baptiste Molière und Pierre Corneille oder den
46 Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd. 1), S. 64. 47 Vgl. ebd., S. 62. 48 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 11.
Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen als Quellen
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Epistolographen Jean Louis Guez de Balzac, Robert de Bussy-Rabutin und Vincent Voiture. Neben diesen Bestsellerautoren sind in der vorliegenden Arbeit noch weitere einschlägig bekannte zeitgenössische Anleitungen zur Briefschreibkunst bzw. BriefMustersammlungen ausgewertet worden, darunter der 1699 anonym erschienene Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stets-Bereite und vielvermehrte Secretarius. Die übrigen Werke stammen aus der Feder von Samuel Butschky, Herman von Sand, Gebhard Overheide, Wolffgang Brauser, Conrad Hofmann von Hohenegg, Johann Christian Lünig, Johann Leonhard Rost, Christian Juncker sowie Johann Christoph Stockhausen. Mit Johann Rudolff Sattler und Johann Kaspar Suter haben außerdem auch zwei der wenigen Schweizer Autoren von frühneuzeitlichen Brieflehrbüchern Aufnahme in das Quellenkorpus gefunden. Neben der Briefsteller-Literatur haben sich in der Frühen Neuzeit auch theoretische Werke zur Rhetorik in einzelnen Kapiteln der Briefschreibkunst gewidmet.49 Für die vorliegende Arbeit sind Christian Schröters Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie (1704), Gottfried Langens Einleitung zur Oratorie (1706), die Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725) von Friedrich Andreas Hallbauer sowie Johann George Neukirchs Academische Anfangs-Gründe, Zur Teutschen Wohlredenheit BriefVerfassung und Poesie (1729) gesichtet worden. Aufschlussreiche Erläuterungen zu den in der frühneuzeitlichen Briefproduktion zu beachtenden Konventionen bezüglich des Briefzeremoniells finden sich außerdem in der zeitgenössischen Anstandsliteratur. Mit Antoine de Courtins resp. Christian Friedrich Hunolds Übersetzung La Civilité Moderne, Oder die Höflichkeit Der heutigen Welt (1705) sowie der Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728) von Julius Bernhard von Rohr sind zwei der bedeutendsten Traktate ihrer Zeit im Quellenkorpus vertreten. Wann immer möglich ist für die vorliegende Forschungsarbeit die Erstausgabe eines Werkes herangezogen worden. Einzelne Stichproben haben jedoch ergeben, dass allfällige Veränderungen bei späteren Neuauflagen in der Regel minimal ausgefallen sind. Vielfach handelt es sich bei den Neuerscheinungen um unveränderte Nachdrucke früherer Ausgaben. Transkriptionsregeln Die im vorliegenden Text zitierten Quellenpassagen orientieren sich in der Buchstabentreue, der Groß- und Kleinschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung, bei den Abkürzungen sowie der Interpunktion am gedruckten Originaltext. Versalien sind nur buchstabengetreu übernommen. Verdoppelungszeichen, d.h. Strich über m und n, wurden aufgelöst, ebenso Buchstabenverbindungen. Die Buchstaben u und 49 Vgl. Roseno, Die Entwicklung der Brieftheorie von 1655–1709, S. 3; Wendland, Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache, S. 158.
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Thesen, Zugänge, Materialbasis
v sind unabhängig vom jeweiligen Originaltext lautgetreu wiedergegeben, d.h. der Vokal mit u und der Konsonant mit v. Trennungs- und Bindestriche sind in der heute üblichen Form dargestellt. Ferner passen sich die zitierten Quellenpassagen dem heutigen, modernen Schriftbild an, indem die in den Originaltexten vorkommenden Ligaturen, diakritischen Zeichen oder überschriebenen Buchstaben keine Berücksichtigung finden. Typographische Hervorhebungen wie kursiv, fett oder gesperrt geschriebene Worte und Wendungen sowie lateinische Schriften in deutschen Texten werden ebenfalls nicht abgebildet. Auflagen und Verbreitung Wenn Christian Weise in seinen Curiösen Gedancken Von Deutschen Brieffen am Ende des 17. Jahrhunderts plakativ festhält, dass »von zwey hundert Jahren her […] so viel Bücher von dieser Gattung geschrieben worden [sind]/ daß man auch nur mit den Tituln einen gantzen Buchladen bekleiden möchte«50, vermittelt er ein eindrückliches Bild vom großen Aufschwung, den die Briefsteller-Literatur bis anhin erlebt hat. Ihre Popularität sollte auch im 18. Jahrhundert in Deutschland ungehindert anhalten, indem die Zahl der veröffentlichten Briefsteller gegenüber dem 17. Jahrhundert sogar um ein Dreifaches zunahm.51 Die einzelnen frühneuzeitlichen Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen erreichten dabei ganz unterschiedlich hohe Auflagenfolgen. Zu den Bestsellern seiner Zeit muss der französische Briefsteller Le Secrétaire de la Cour gezählt werden,52 von dem sein Autor Jean Puget de La Serre im Vorwort seines 1655 publizierten Secrétaire à la Mode selber sagte, dass dieser in den zwanzig Jahren seit seiner Erstausgabe von 1623 »s’estant imprimé plus de trente fois, sans qu’il soit tombé entre mes mains pour le corriger«53. Nicht nur französische, sondern auch deutsche Briefsteller erreichten für die Frühe Neuzeit beachtlich hohe Auflagenfolgen, wie folgende Tabelle veranschaulicht:54
50 Weise, Christian: Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen, Dresden 1691, Vorrede, unpag. 51 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 141. 52 Vgl. Nickisch, Brief, S. 79. 53 La Serre, Jean Puget de: Le Secrétaire à la Mode, Amsterdam 1655, Au Lecteur, unpag. 54 Die Daten basieren auf den Studien von Dünnhaupt, Gerhard: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts (Teil 1–3), Stuttgart 1981; Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 106–107 sowie Dyck, Joachim und Jutta Sandstede: Quellenbibliographie zur Rhetorik, Homiletik und Epistolographie des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, 1700–1742 (Bd. 1), Stuttgart-Bad Cannstatt 1996.
Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen als Quellen Autor
Titel
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29
Zeitraum
Aufl.
Johann Rudolff Werbungs-Büchlein Sattler (1577–1628)
1606–1633
6
Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658)
Der Teutsche Secretarius
1655–1661
6
Des Teutschen Secretarii Zweyter Theil
1659–1674
3
August Bohse (1661–1740)
Der allzeitfertige Brieffsteller
1690–1718
5
Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil
1694–1718
5
Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil 1695–1718
5
Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst
1692–1703
3
Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener SendSchreiben55
1697–1723
9
Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen
1700–1732
7
Des curieuß-bequehmen Hand-Buchs außerlesener Send- 1703–1734 Schreiben und anderer sonderbahren Concepte Zweyter Theil
7
Benjamin . Neukirch (1665–1729)
Anweisung zu teutschen Briefen56
1707–1760
11
Christian Friedrich Hunold (1680–1721)
Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben
1702–1755
19
Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François / Auserlesene Brieffe
1704–1742
7
Auserlesene neue Briefe
1717–1735
7
Teutsche Sekretariat-Kunst
1673–1726
4
1679–1690
4
1709–1746
12
Kaspar Stieler (1632–1707) Christian Juncker (1668–1714)
Der Allzeitfertige Secretarius 57
Wohlunterweisener Briefsteller
55 56 57
55 Dieses Werk erschien 1697 erstmals unter dem Titel Epistolisches Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben. Vgl. Dünnhaupt, Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur, Teil 1, S. 438–439. 56 Dieses Werk wurde 1707 erstmals unter dem Titel Benjamin Neukirchs Unterricht von Teutschen Briefen veröffentlicht. Vgl. Dünnhaupt, Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur, Teil 2, S. 1274–1275. 57 Christian Juncker führt im Anhang seines Wohlunterweisenen Briefstellers von 1740 Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen auf.
30
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Thesen, Zugänge, Materialbasis
Autor
Titel
Zeitraum
Aufl.
Johann Leonhard Rost (1688–1727)
Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben
1717–1744
5
Christian . Fürchtegott Gellert (1715–1769)
Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen58
1751–1769
5
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Populäre Ausgaben von deutschen Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert.
Mit ihrer beachtlichen Anzahl an stil- und gesellschaftspädagogischen Schriften und deren hohen Auflagenfolgen gehörten August Bohse und Christian Friedrich Hunold zu den berühmtesten und einflussreichsten deutschen Brieftheoretikern der Frühen Neuzeit. Da sich beide Autoren einen Namen als Verfasser galanter Romane gemacht hatten, dürften ihre Anleitungen zur Briefschreibkunst eine Breitenwirkung erzielt haben, von der andere Briefsteller-Autoren nur träumen konnten.59 Einen großen Verbreitungsgrad dürften aber auch andere Briefsteller mit hohen Auflagenfolgen erreichten haben, auch wenn es diesbezüglich schwierig erscheint, gesicherte Aussagen zu machen. Vom Brieflehrbuch Le Secrétaire de la Cour wusste sein Verfasser Jean Puget de La Serre zu berichten, dass dieses seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1623 »couroit le monde sous mon nom, avec quelque sorte d’approbation dans les païs estrangers«60. 1673 erschien beispielsweise unter dem Titel The Secretary in Fashion61 eine englischsprachige Version von de La Serres Secrétaire à la Mode. Auf eine große räumliche Verbreitung der brieftheoretischen Schriften des Franzosen de La Serre lässt außerdem der Umstand schließen, dass Übersetzungen seiner Briefvorlagen Eingang in deutschsprachige Brief-Mustersammlungen, beispielsweise in Samuel Butschkys Hoch deutschen Kanzeley-Briflein von 1652,62 fanden. Überdies sind für den deutschsprachigen Raum der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Publi-. kationen wie Le Secrétaire alamode de la Cour. Oder Politische Hof-Art/ allerhand zier-
58 Bis in die 1780er Jahre erlebte Gellerts Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen mindestens neun weitere Auflagen. Vgl. Nickisch, Nachwort, S. 3*. 59 Vgl. Schubert, Ernst: Augustus Bohse genannt Talander. Ein Beitrag zur Geschichte der galanten Zeit in Deutschland, Breslau 1911, S. 115 sowie das angefügte ausführliche Werkverzeichnis; Vogel, Hermann: Christian Friedrich Hunold (Menantes). Sein Leben und seine Werke, Leipzig 1897. 60 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), Au Lecteur, unpag. 61 La Serre, Jean Puget de: The Secretary in Fashion, London 1673. 62 Butschky ließ deutsche Übersetzungen von Briefvorlagen aus de La Serres Secrétaire de la Cour abdrucken. Siehe dazu beispielsweise die Briefvorlage im ersten Teil, S. 101–102. Butschky, Samuel: Hoch deutsche Kanzeley-Briflein, [Breslau/Leipzig 1652].
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licher Sendschreiben63 oder Herrn De La Serre Vermehrter und Emendirter Politischer Alamodischer Hoff-Stylus64 überliefert, welche ebenfalls dazu beigetragen haben dürften, die Schriften des französischen Brieftheoretikers einem breiteren deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Während bei diesen Briefstellern bereits aus dem Titel deutlich hervorgeht, dass wir es mit Werken zu tun haben, die sich inhaltlich an de La Serres brieftheoretischen Schriften orientierten, verrät die 1677 veröffentlichte Ausgabe von Herman von Sands Briefsteller Secretarius Jetziger Zeit erst bei einer genaueren Betrachtung deren Inhalts, dass es sich hierbei um eine deutsch-französische Ausgabe von de La Serres Werk Le Secrétaire de la Cour handelt.65 Für Frankreich konnte der französische Kulturhistoriker Roger Chartier zudem nachweisen, dass de La Serres »Secrétaires« im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Aufnahme in die Kataloge der »Bibliothèque Bleue« fanden.66 Dahinter stand ein Verlegerkonzept, das auf billigen, in großen Auflagen produzierten und somit eine große Breitenwirkung erzielenden Büchern beruhte. Kolporteure, die mit ihren Bauchläden durch die Landschaften zogen, verkauften die Bücher mit dem blauen Einband – daher auch der Name »Bibliothèque Bleue« – vorwiegend an ein aus der Unterschicht stammendes volkstümliches Publikum.67 Für eine große räumliche Verbreitung der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur dürfte nicht zuletzt auch das handliche Format einiger Ausgaben gesorgt haben. Im Oktavformat gedruckt, ließen sich die Bücher nämlich bequem in Kleidertaschen oder sonstigen Gepäckstücken transportieren. Nach den Vorstellungen der Teutschen Sekretariat-Kunst aus der Zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sollte es nämlich – nicht zuletzt auch um unangenehme Situationen möglichst zu vermeiden – auch »auf der Reyse/ auser der Hofstadt und Kanzeley/ wo man nichts aufsuchen und nachschlagen kan/ […] es an Veranlaßung zu rechtmäßiger Führung der Feder nicht ermangele[n]«68.
63 La Serre, Jean Puget de: Le Secrétaire alamode de la Cour. Oder Politische Hof-Art/ allerhand zierlicher Sendschreiben, Leipzig 1661. 64 La Serre, Jean Puget de: Herrn De La Serre Vermehrter und Emendirter Politischer Alamodischer Hoff-Stylus, Hamburg 1661. 65 Sand, Herman von: Secretarius Jetziger Zeit, Frankfurt 1677. 66 Während der Briefsteller Le Secrétaire de la Cour nur kurze Zeit im Katalog der »Bibliothèque Bleue« in Troyes aufgeführt war, erschien Le Secrétaire à la Mode erstmals in einem Katalog aus dem Jahr 1686, später auch 1730 und 1735. Eine Inventarisierung der Bestände eines Buchhändlers in Troyes aus dem Jahre 1789 hatte folgende Zusammenstellung ergeben: Unter den 433‘069 Büchern befanden sich 1848 Ausgaben von Le Secrétaire à la Mode und 876 Ausgaben des Nouveau Secrétaire Français sowie 3108 Ausgaben von Le Secrétaire des Dames. Vgl. Chartier, Roger: Secrétaires for the People? Model letters of the ancien régime. Between court literature and popular chapbooks, in: Roger Chartier u.a. (Hg.): Correspondence. Models of Letter-Writing from the Middle Ages to the Nineteenth Century, Cambridge 1997, S. 59–61. 67 Vgl. Chartier, Roger: Lesewelten. Buch und Lektüre in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M./ New York 1990, S. 169; Chartier, Secrétaires for the People?, S. 60. 68 Stieler, Kaspar: Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst, Nürnberg 1674, unpag.
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1.4.2 Briefsteller und ihre Verfasser Sozialbiographische Angaben zu den Briefsteller-Autoren Um den Inhalt der untersuchten frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur und die dabei intendierten Verwendungszusammenhänge in ihrer Zeit richtig einordnen zu können, scheint es sinnvoll, sich ein Bild von der sozialen Herkunft ihrer Verfasser sowie deren beruflichen Werdegang zu machen. Der größte Teil der in der vorliegenden Arbeit analysierten Briefsteller bzw. BriefMustersammlungen wurde von Autoren verfasst, die dem städtischen Patriziat oder dem höheren Gelehrtenmilieu entstammten. Dem Adelsstand gehörte ursprünglich einzig Conrad Hofmann von Hohenegg an,69 wobei im Laufe ihres Lebens mit Samuel Butschky, 1657, und Kaspar Stieler, 1705, zwei weitere Autoren von Brieflehrbüchern eine Nobilitierung erfahren haben.70 Was die Frage der Konfessionszugehörigkeit einzelner Briefsteller-Autoren betrifft, so gilt es hierzu festzuhalten, dass mit Georg Philipp Harsdörffer, Kaspar Stieler, Christian Weise, August Bohse und Christian Friedrich Hunold die bedeutendsten Verfasser von brieftheoretischen Schriften des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ausschliesslich dem protestantischen Milieu zugerechnet werden müssen.71 Die Väter der Briefsteller-Autoren waren größtenteils in staatlichen oder städtischen Diensten angestellt. Benjamin Neukirchs Vater war Notar und Ratsherr, während der Vater von Johann George Neukirch das Amt eines Bürgermeisters ausübte. August Bohse seinerseits war der Sohn eines Beisitzers am Schöppenstuhl in Halle. In Pastoren- oder Predigerfamilien wuchsen dagegen Samuel Butschky und Christian Fürchtegott Gellert auf, während der Vater von Christian Weise als Lehrer an einem Gymnasium unterrichtete. Einzig der Vater von Christian Friedrich Hunold fällt im beruflichen Vergleich zu den Vätern der anderen Briefsteller-Autoren ein wenig aus dem Rahmen, indem er als Gutspächter den Lebensunterhalt seiner Familie bestritt.72 Das familiäre Umfeld sollte sich wesentlich auf die berufliche Ausbildung und die Karriere der Briefsteller-Autoren auswirken. Diese durchliefen überwiegend eine 69 Die mittelalterlichen Brieflehrbücher sind mehrheitlich von Geistlichen verfasst worden, wobei die Musterschreiben dem Unterricht sowie dem Briefverkehr des Klosters als Vorlage dienen sollten. Bei den weltlichen Autoren haben wir es hauptsächlich mit Notaren zu tun, die BriefMustersammlungen herausgaben. Vgl. Rockinger, Ueber Briefsteller und Formelbücher in Deutschland während des Mittelalters, S. 21. 70 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 72–73. 71 Vgl. ebd., S. 79. 72 Zum Vergleich: Bei den von Manfred Beetz ausgewerteten Anstands- und Komplimentierbüchern aus dem 17. und 18. Jahrhundert waren 30 Prozent der Autorenväter Beamte in fürstlichen und städtischen Diensten, 25 Prozent Pfarrer und Lehrer und nur gerade sechs Prozent Gutspächter und Bauern. Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 73; Vogel, Christian Friedrich Hunold, S. 7.
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standestypische Karriere, an deren Beginn zumeist ein Studium stand. Für ein Studium der Rechtswissenschaften entschieden sich Georg Philipp Harsdörffer, Kaspar Stieler, August Bohse, Christian Friedrich Hunold, Benjamin Neukirch und Johann Leonhard Rost. Stieler studierte ferner neben Jura auch Theologie und Medizin, während Rost sich außerdem für Philosophie interessierte.73 Neben seinem Jura-Studium besuchte August Bohse zusätzlich Vorlesungen zur Redekunst. Für ein Theologiestudium entschieden sich ferner Christian Weise und Christian Fürchtegott Gellert, der zudem noch Philosophie studierte. Auf ein Jura-Studium folgte vielfach eine Anstellung als Sekretär in höfischen oder städtischen Diensten. Samuel Butschky besetzte zuerst eine Stelle als kaiserlich-königlicher Oberamtssekretär, bevor er zum kaiserlich-königlichen Manngerichts- und Landesältesten des Fürstentums Breslau aufstieg, um schließlich seine Karriere als kaiserlicher Rat zu beenden.74 Als Sekretär war Kaspar Stieler an mehreren mitteldeutschen Höfen angestellt, u.a. in Jena und Weimar. Von 1663 bis 1678 diente er als Kammer- und Gerichtssekretär bei den Sachsen-Weimarschen Herzögen in Eisenach. In dieser Zeit verfasste Stieler auch sein eindrucksvolles, rund 4000! Seiten starkes Sekretariatsbuch Teutsche Sekretariat-Kunst, an dem er nach eigener Aussage neben seinem vollen Tagespensum als Sekretär »bey nächtlicher Stunden«75 geschrieben haben soll. August Bohse seinerseits war Sekretär am Weißenfelser Hof und später Hofmeister in Jena.76 Bevor der 1593 in Toulouse geborene Jean Puget de La Serre zum königlichen Historiograph und Staatsrat aufstieg, war er Bibliothekar von Ludwigs XIII. jüngerem Bruder.77 In städtische Dienste traten dagegen der Notar Johann Rudolff Sattler in Basel und Georg Philipp Harsdörffer in der Stadt Nürnberg.78 Während des 30-jährigen Krieges übernahm Harsdörffer außerdem staatspolitische Aufgaben, indem er als diplomatischer Gesandter die Interessen seiner Heimatstadt Nürnberg vertrat.79 Der Sekretärsposten sollte sich bei einigen Verfassern von barocken Brieflehrbüchern als eigentliches Sprungbrett für eine spätere Dozentur an Universitäten, Ritterakademien oder Gymnasien erweisen. Seit 1681 leitete Kaspar Stieler in seiner Geburtsstadt Erfurt, wo er auch studiert hatte, Privatkollegs über den deutschen Stil.
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Vgl. Dünnhaupt, Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur, Teil 3, S. 1630. Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 74. Stieler, Kaspar: Teutsche Sekretariat-Kunst, Nürnberg 1673, Teil 1, Vorrede, unpag. Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 78. Zedler, Johann: Grosses-vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künsten (Bd. 37), Halle/Leipzig 1733, S. 431; Chartier, Secrétaires for the People? S. 71. 78 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 74, 108. 79 Daher auch das ausführliche Kapitel in seinem Teutschen Secretarius von 1656 mit Briefvorlagen aus dem 30-jährigen Krieg. Siehe dazu Harsdörffer, Georg Philipp: Der Teutsche Secretarius, Nürnberg 1656, Teil 4, S. 163–362. Vgl. auch Bischoff, Theodor: Georg Philipp Harsdörfer. Ein Zeitbild aus dem 17. Jahrhundert, Nürnberg 1894, S. 23.
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Auch August Bohse, der in seinen Werken Bezug zu Stieler nimmt, hielt an der Universität von Erfurt Vorlesungen in Rechtswissenschaften und Rhetorik.80 Im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere dozierte Bohse zudem an den Universitäten von Dresden, Leipzig, Halle und Jena. Die Vorlesungen an der Universität von Jena lieferten ihm zugleich die Grundlagen für seine erfolgreiche Brief-Mustersammlung Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben von 1697.81 Ebenfalls während seiner Zeit in Jena verfasste August Bohse seine Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen von 1706.82 Bohse, der erst im Jahr 1700 die Doktorwürde in Jurisprudenz erhalten hatte, starb als Professor an der Ritterakademie in Liegnitz.83 Unter den Studenten in Jena, die am Ende des 17. Jahrhunderts den Ausführungen August Bohses folgten, saß auch ein gewisser Christian Friedrich Hunold, der sich in seinen zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschienenen Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen stark von Bohses Brieflehre beeinflussen ließ. Hunold selber hatte später eine Universitätsdozentur in Halle inne, in deren Zeit die Veröffentlichung seiner Auserlesenen neuen Briefe von 1717 fällt, deren Inhalt auf seinen Vorlesungen zur Rhetorik- und Stilübungen basierte.84 Einen Professorenposten für Politik, Rhetorik und Poesie an der Ritterakademie in Weißenfels besetzte Christian Weise, bevor er im Jahr 1678 zum Rektor des Gymnasiums in seiner Geburtsstadt Zittau gewählt wurde. Zu seinen Schülern bzw. Anhängern gehörten u.a. Benjamin und Johann George Neukirch, Christian Friedrich Hunold, Christian Juncker sowie August Bohse, der seine Ausgabe des Bequemen Hand-Buchs allerhand auserlesener Sendschreiben von 1697 explizit dem »Wohl-Edlen/ Großachtbahrn und hochgelahrten Herrn/ Hn. Christian Weisen/ Berühmten Polyhistori, und des Zittauischen Gymnasii hochmeritirten Rectori«85 widmete. In einem Überblick über die geographischen Schwerpunktbildungen deutschsprachiger Briefsteller-Autoren des 17. und frühen 18. Jahrhunderts treten als Zentren die Universitätsstädte Leipzig, Jena, Halle und unter den Reichsstädten vor allem Hamburg deutlich hervor. In Leipzig studierten etwa Christian Weise, Kaspar Stieler und August Bohse, während Weise und Bohse später an der philosophischen Fakultät unterrichteten. Gleiche Anziehungskraft übte seinerzeit auch Jena aus, wo sich Stieler, Bohse und Hunold vorübergehend aufgehalten hatten.86
80 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 85–86; Schubert, August Bohse genannt Talander, S. 16. 81 Bohse, August: Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben, Leipzig 1697. 82 Bohse, August: Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen, Jena 1706. Vgl. dazu auch Schubert, August Bohse genannt Talander, S. 16. 83 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 84; Vogel, Christian Friedrich Hunold, S. 9. 84 Hunold, Christian Friedrich: Auserlesene neue Briefe, Halle 1717, Vorrede, fol. 2v. Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 84–85. 85 Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697), Zuschrift, unpag. Vgl. auch Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 84–86. 86 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 83–84.
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In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts etablierte sich die Stadt Halle als Zentrum der galanten Autoren. Hier hatte Christian Weise in den 1660er Jahre eine Stelle als Sekretär am Hallenser Hof inne. Im Zeitraum von 1690/91 weilte mit August Bohse ein weiterer Briefsteller-Autor in der Stadt und ab 1693 zählte auch Benjamin Neukirch während eines Jahres zu den Bewohnern von Halle. Johann George Neukirch unterrichtete im frühen 18. Jahrhundert Rhetorik- und Stilübungen an der Universität von Halle.87 In den aristokratischen Gesellschaftskreisen Hamburgs verkehrte August Bohse von 1685 bis 1687, während sich Christian Friedrich Hunold zu Beginn des 18. Jahrhunderts in eben diesen gehobeneren Gesellschaftsschichten bewegte. Während seiner Zeit in Hamburg von 1700 bis 1706 versuchte Hunold, als freier Poet und Literat seinen Unterhalt zu verdienen, bevor er einem Ruf als Professor an die Universität Halle folgte. Hunold verfasste verschiedene galante Romane, Gedichte und auch Opernlibretti, bevor er sich auf Brieflehrbücher und Anstandstraktate wie auch auf Rhetoriken spezialisierte.88 Hinsichtlich der Autoren frühneuzeitlicher Briefsteller-Literatur kann somit grundsätzlich keineswegs von weltfremden Gelehrten die Rede sein. Als verdiente Sekretäre an Fürstenhöfen oder in städtischen Kanzleien, als Mitglieder in Ratskollegien oder unterwegs in diplomatischer Mission hatten sie sich in Fragen der herrschenden zeitgenössischen Etiketten bestens auszukennen. Gerade Sekretäre und Diplomaten mussten über geschliffene Umgangsformen und rhetorische Gewandtheit verfügen, da sie, wie es im zweiten Teil des Teutschen Secretarii von 1659 heißt, »zu den allerwichtigsten Verrichtungen und Ausrichtungen/ Empfahung und Handlungen gebraucht und verschicket«89 wurden. Dies setzte voraus, dass ein Sekretär mit dem an einem bestimmten Ort geltenden Zeremoniell ebenso vertraut sein musste wie mit der offiziellen Komplimentier-Rhetorik, die er etwa bei Gratulationen, Kondolenzen, aber auch beim Arrangieren einer fürstlichen Vermählung gekonnt einzusetzen wusste – allesamt Kenntnisse, welche die Autoren auch in ihre Anleitungen zur Briefschreibkunst einfließen ließen.90 Anonyme Verfasser und Pseudonyme Die meisten der im 17. und frühen 18. Jahrhundert veröffentlichten Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen weisen sich als das Werk eines bestimmten Autors aus, da entweder der Name des Verfassers an prominenter Stelle auf dem typographischen Titelblatt vermerkt ist oder aber der Autor seinen Namen unter das Vorwort setzte. 87 Vgl. ebd., S. 85. 88 Vgl. ebd., S. 88. 89 Harsdörffer, Georg Philipp: Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil, Nürnberg 1659, Teil 4, Vorrede, S. 230. 90 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 74–75.
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Es kam aber auch immer wieder vor, dass Briefsteller anonym veröffentlicht wurden, wie die im Jahr 1699 gedruckte Ausgabe des Werkes Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stets-bereite und vielvermehrte Secretarius.91 Andere, ebenfalls anonym veröffentlichte brieftheoretische Publikationen wie der Teutsche Secretarius, der, wie aus seinem Titelblatt hervorgeht, in der Mitte des 17. Jahrhunderts »von etlichen Liebhabern der Teutschen Sprache«92 herausgegeben wurde, können heute einem bestimmten Verfasser zugeordnet werden. So nennt Kaspar Stieler in seiner Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673, die verschiedentlich Bezug zum Teutschen Secretarius nimmt, explizit Georg Philipp Harsdörffer als dessen Autor.93 Einige Verfasser barocker Briefsteller ersetzten ihren bürgerlichen Namen bewusst durch ein Pseudonym. Stieler publizierte seine in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschienenen Brieflehrbücher unter dem Pseudonym der »Spa(h)te« – dem Namen, den er als Mitglied der Sprachsozietät »Fruchtbringende Gesellschaft« angenommen hatte.94 Auch die galanten Autoren August Bohse und Christian Friedrich Hunold druckten Pseudonyme auf die Titelblätter ihrer Briefsteller. Während Bohse sich »Talander« nannte, wählte Hunold den Namen »Menantes«95. Bei diesen beiden Pseudonymen handelte es sich jeweils um Künstlernamen, unter denen die Autoren um 1800 als Verfasser von galanten Romanen und Gedichten bestens bekannt waren.96 Ebenfalls unter seinem Künstlernamen »Meletaon«97 veröffentlichte Johann Leonhard Rost im Jahr 1734 seinen Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe.98 Sein Pseudonym steht in Verbindung mit einigen galanten, zum Teil frivolen Geschichten, die beim zeitgenössischen Publikum große Beliebtheit genossen.99 Die Veröffentlichung von Brieflehrbüchern unter einem Pseudonym dürfte indes von den Verfassern nicht ganz ohne Absicht erfolgt sein. Bekannte Autoren wie August Bohse oder Christian Friedrich Hunold dürften ihren Künstlernamen, der 91 Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stets-bereite und vielvermehrte Secretarius, Nürnberg 1699. 92 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Titelblatt. 93 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 407. 94 Der Gesellschaftsname der »Spahte« bedeutet so viel wie »der, der ›spat‹ zu schaffen beginnt, der spät berühmt wird«. Vgl. Zeman, Herbert: Kaspar Stieler. Versuch einer Monographie. Unveröffentlichte Dissertation, Wien 1965, S. 71–72, 79. 95 Sein Pseudonym hat Christian Friedrich Hunold einer Oper entlehnt, deren Aufführung er am Weißenfelser Hof beiwohnte. Vgl. Vogel, Christian Friedrich Hunold, S. 17. 96 Vgl. Vogel, Christian Friedrich Hunold, S. 17. 97 Johann Leonhard Rosts Pseudonym »Meletaon« leitet sich vom griechischen Begriff »meletao« ab, der soviel bedeutet wie »sich üben, Redeübungen halten, deklamieren«. Vgl. Oellers, Norbert: Der Brief als Mittel privater und öffentlicher Kommunikation in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Alexandru Dutu u.a. (Hg.): Brief und Briefwechsel in Mittel- und Osteuropa im 18. und 19. Jahrhundert, Essen 1989, S. 9. 98 Rost, Johann Leonhard: Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe, Nürnberg 1734. 99 Vgl. Dünnhaupt, Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur, Teil 3, S. 1630.
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zugleich ein Markenzeichen ihres Erfolgs war, gezielt eingesetzt haben, um ihren Anleitungen zur Briefschreibkunst ein Wiedererkennungsmoment zu verschaffen. Dies nicht zuletzt getrieben von der Hoffnung, mit ihren brieftheoretischen Schriften am Erfolg ihrer literarischen Werke anknüpfen zu können. Ein Pseudonym besaß aber auch die Funktion einer Maskierung, die dem Briefsteller-Autor erlaubte, neben seiner bürgerlichen Existenz in die Rolle eines Literaten zu schlüpfen. Dieser Rollentausch konnte gerade für einen Verfasser von Brieflehrbüchern von besonderer Bedeutung sein, wenn er in seinen Werken auch zu Fragen des Anstandes und der Höflichkeit Stellung bezog, was ihn wiederum als Angehöriger der zeitgenössischen Literaturszene weniger angreifbar machte, als wenn er sich als privates Individuum zu Wort gemeldet hätte.100 Die Veröffentlichung brieftheoretischer Schriften unter einem Pseudonym scheint jedoch für den Autor nicht ganz unproblematisch gewesen zu sein, wovon die einleitenden Worte aus dem Allzeitfertigen Secretarius von 1690 zeugen. Darin appelliert Kaspar Stieler an seine Leserschaft, sich nicht zu ärgern, weil er seinen Namen vor diß Büchlein nicht gesetzt habe. Es stecket hierunder nichts betriegliches. Und dörfte ich mich dir so wol/ als der Spate/ und andere/ welche grosse Werke geschrieben/ nennen/ wenn nicht die Geringheit dieses schlechten Zeitvertreibs mich abhielte/ ein grosses Wesen von mir und dieser Schrift zumachen. Jch könte mir auch wol einen falschen Namen/ als unlängst der Severinus Rudolphus geben/ und würde mir deßhalber niemand litem denunciren. Denn ich habe nichts ausgestolen/ noch eine fremde Feder zu meiner Ausschmückung erborget/ wie Er: Ohne/ daß ich aus den Fürstlichen Archiven jezuweilen einige Formeln/ derer ich mich doch zurümen habe/ entlehnet; Anderer Finten und Betriegereyen aber darf ich gar nicht. Jndem ich mit niemandes Eigentum mich bereichere/ oder vergrössere/ wie ein Secretarius zu Halla/ der/ weil er vielleicht selbst nichts zu machen können/ gleichwohl aber gern Reich und groß werden wollen/ zur Ausplünderung ehrlicher Leute Schriften und Underschiebung fremder erdichteter Autoren/ alles wieder das 6te/ 7te/ 8te/ 9te und 10te Gebot verfahren müssen. Laß du/ mein Leser/ dir es genug seyn/ daß du hier ein neues auf meinem eignen Zaun gewachsenes Streuchlein siehest. Mit wissen und willen ist nichts erborgtes in dieses Buch eingerückt/ daß ich mich darum/ wer ich sey/ zusagen schämen solte.101
Die Maskierung des bürgerlichen Namens konnte also beim potenziellen Lesepublikum durchaus Gefühle des Misstrauens hinsichtlich der Rechtschaffenheit des Briefsteller-Autors und damit seines Werkes begünstigen. Eine gewisse Skepsis scheint indes nicht ganz unberechtigt gewesen zu sein, wenn Stieler in seiner Argumentation selber einen »Secretarius zu Halla« anführt, der aus anderen Schriften abgeschrieben haben soll.
100 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 89–90. 101 Stieler, Kaspar: Der Allzeitfertige Secretarius, Nürnberg 1690, Erste Vorrede, fol. a4v –a5.
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1.5 Begriffs- und entwicklungsgeschichtlicher Abriss Zur Herkunft und Bedeutung des Begriffs »Briefsteller« Der Terminus »Briefsteller« als Bezeichnung für die Quellengattung der Brieflehrbücher begann sich im deutschsprachigen Raum seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zu etablieren, indem er die bis dahin gebräuchlichen Bezeichnungen wie »Formulari« oder »Kanzleibüchlein« ablöste.102 Im Jahr 1692 veröffentlichte August Bohse seinen Allzeitfertigen Brieffsteller, wobei hier die Bezeichnung »Briefsteller« in ihrer Bedeutung erstmals ein Brieflehrbuch meinte.103 Bis zu diesem Zeitpunkt bezog sich der Ausdruck »Briefsteller« generell auf die Person des (professionellen) Briefschreibers.104 Auf den Ausdruck »Briefsteller« im Wortgebrauch von »Briefe stellen« stoßen wir im Zusammenhang mit brieftheoretischen Schriften bereits im 16. Jahrhundert. So verspricht ein im Jahr 1538 anonym erschienenes Notariatsbuch einem potenziellen Publikum, eine Anleitung zu geben, wie »Allerhand Missiven/ Sendbrieff odder Episteln/ an iede Personen zu stellen«105 seien. Die Wendung »Briefe stellen« sollte in der deutschsprachigen Briefsteller-Literatur bis ins 17. Jahrhundert hinein erhalten bleiben. 1664 stellte der Schweizer Briefsteller-Autor Johann Kaspar Suter seine Neu auffgerichte Schreibkunst als ein Brieflehrbuch vor, das aufzeigen wollte, wie »Auf die anjezo übliche neue Manier Allerhand […] Brieff zustellen«106 seien. Gebhard Overheide dagegen benutzte auf dem Titelblatt seiner 1657 veröffentlichten Neu vermehrten Schreib-Kunst die infinitive Form, indem sein Werk vom »Brieffstellen«107 handelte. Diese Wortbildung kam dem späteren Begriff des »Briefstellers« bereits ziemlich nahe. Parallel zum Ausdruck »Briefsteller« existiert auf den barocken Titelblättern deutscher Anleitungen zur Briefschreibkunst der Ausdruck »Schriftstellung». Demzufolge pries sich der Hochteutsche Secretarius im ausgehenden 17. Jahrhundert als ein Lehrbuch mit »vielerley auf tägliche Vorfälle abzielende Muster wolabgefasster 102 Vgl. Nickisch, »Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu schreiben«, S. 117. 103 Reinhard M.G. Nickisch datiert die erste Ausgabe des Allzeitfertigen Brieffstellers von August Bohse auf das Jahr 1690. Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 46. Siehe auch Kording, Inka K.: »Wovon wir reden können, davon können wir auch schreiben«. Briefsteller und Briefknigge, in: Klaus Beyrer und HansChristian Täubrich (Hg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996, S. 31. 104 1648 spricht Samuel Butschky im Anhang seines Werkes »Der Hochdeutsche Schlüszel/ Zur Schreibrichtigkeit« erstmals von einem »Briefsteller« in der Bedeutung eines Briefverfassers. Zit. nach Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 46. 105 Zit. nach Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 46. 106 Suter, Johann Kaspar: Neu auffgerichte Schreibkunst, Schaffhausen 1664, Titelblatt. 107 Overheide, Gebhard: Neu vermehrte Schreib-Kunst, Braunschweig 1657, Titelblatt.
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Schrifftstellungen«108 an. Der Ausdruck »Schriftstellung« lässt sich direkt vom Begriff »Schriftsteller« ableiten, womit ursprünglich ebenfalls ein Schreiber gemeint war, der im Auftrag seiner Kunden Schriftstücke verfasste.109
2 Titelkupfer und Titeblatt des Buches Der allzeitfertige Brieffsteller von August Bohse, Frankfurt/Leipzig 1692.
Auf dem Frontispiz sind zwei Personen in einem schmucklosen Raum – wahrscheinlich einer Kanzlei – abgebildet. Am Pult sitzend sehen wir einen Schreiber von Stand, definiert über seine Perücke, Halskrause sowie Manschetten. Sein langer, dunkler Talar zeichnet ihn zudem als Amtsperson aus. Der Beamte empfängt gerade einen Boten, der ihm einen Brief überbringt oder aber ein Schreiben zur Weiterbeförderung entgegennimmt. Der Bote ist kleiner als der Kanzleibeamte dargestellt, da er diesem standeshierarchisch untergeordnet ist.110 108 Hohenegg, Conrad Hofmann von: Der Hochteutsche Secretarius, Nürnberg 1694, Titelblatt. 109 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 46. 110 Vgl. Anton, Authentizität als Fiktion, S. 1–2.
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Die Verwendung der Berufsbezeichnung des Schreibers als Buchtitel resp. Genrebegriff kam allerdings nicht erst mit August Bohses Briefsteller auf, sondern sie hatte ihre Vorläufer in den Sekretariatsbüchern. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts erschienen mit dem Teutschen Secretarius, dem Allzeitfertigen Secretarius oder dem Hochteutschen Secretarius Brieflehrbücher, die direkten Bezug zur Person und zu den Aufgaben eines Sekretärs sowie zu seinem Schriftverkehr nahmen.111 Auch im französischen Sprachraum, wo sich im Gegensatz zum deutschen kein Pendant zu »Briefsteller« als Genrebegriff herausgebildet hat, findet sich die Berufsbezeichnung des Sekretärs als Titel von Brieflehrbüchern.112 Die berühmten brieftheoretischen Werke des Franzosen Jean Puget de La Serre tragen Titel wie Le Secrétaire de la Cour bzw. Le Secrétaire à la Mode.113 Zur Entwicklungsgeschichte der Briefsteller-Literatur Veränderungen in der Entwicklungsgeschichte der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur lassen sich indes nicht nur an der Herausbildung eines eigenständigen Gattungsbegriffs seit dem Ende des 17. Jahrhunderts festmachen, sondern auch die spezifischen Inhalte der Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen waren von alters her einem historischen Wandel unterworfen. Die eigentlichen Vorläufer der hier untersuchten Briefsteller des 17. und frühen 18. Jahrhunderts reichen bis ins 11. Jahrhundert zurück, als sich aus der antiken Rhetorik die Lehre vom Briefschreiben – die »ars dictandi« oder »ars dictaminis« – herauskristallisiert hat.114 Von Briefstellern im engeren Sinn kann bei diesen frühen mittelalterlichen Formular- und Rhetorikbüchern noch keineswegs die Rede sein. Inhaltlich stark am geschäftlichen Briefverkehr orientiert, enthalten sie mehrheitlich Briefmuster mit einem »offiziellen« Charakter sowie diverse Vorlagen zu Urkunden, Verträgen oder Erlassen. Musterschreiben zu »inoffiziellen« – also zu privaten oder fa-
111 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656); Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690) sowie Hohenegg, Der Hochteutsche Secretarius (1694). 112 Für den französischen Sprachgebrauch siehe Richelet, Pierre: Dictionnaire françois, contenant les mots et les choses, Genève 1679/80. Vgl. auch Chartier, Secrétaires for the People?, S. 61–63. 113 La Serre, Jean Puget de: Le Secrétaire de la Cour, Paris 1624 sowie La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655). 114 Im Jahr 1078 verfasste Alberich von Monte Cassino, Diakon des Klosters von Monte Cassino, den ersten »echten« Briefsteller, ganz im Sinne einer theoretischen Erörterung der Kunst der Epistolographie. Der Schwerpunkt des Werkes lag indes bei den komplizierten Anrederegeln. Vgl. Rockinger, Briefsteller und Formelbücher, S. 10; Kording, »Wovon wir reden können, davon können wir auch schreiben», S. 27.
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miliären Angelegenheiten – boten die mittelalterlichen Formularbücher keinen oder nur vereinzelt Raum.115 Solche Anleitungen zur Briefschreibkunst richteten sich hauptsächlich an ein fachspezifisches und schreibkundiges Publikum wie etwa Juristen und Notare, Beamte der städtischen und höfischen Kanzleien sowie Gelehrte, denn die Nutzung der Brief- und Urkundensammlungen setzte eine klassische Bildung voraus, da der Schriftverkehr von der lateinischen Sprache dominiert wurde.116 Indem die deutsche Sprache seit dem 14. Jahrhundert als offizielle Amtsprache immer mehr an Bedeutung gewann und somit auch vor den Kanzleien keinen Halt mehr machen sollte, wurden die lateinischen Brieflehrbücher im Laufe des 15. Jahrhunderts sukzessiv durch deutsche Ausgaben ersetzt. Inhaltlich unterschieden sich die deutschen Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen nicht wesentlich von ihren lateinischen Vorbildern. Im Zuge der »Medienrevolution«, wie sie der Buchdruck seit dem späten 15. Jahrhundert mit sich gebracht hatte, verzeichnete die Briefsteller-Literatur einen regelrechten Boom und breitete sich massiv aus. Positiv auf die Entwicklung der Briefsteller wirkten sich nach dem Ende des 30-jährigen Krieges auch die günstigeren Transportbedingungen für Briefe aus, was zu einem Anstieg des Briefverkehrs führte.117 Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts orientierte sich die deutsche Briefsteller-Literatur sowohl in ihrer Brieflehre als auch in den angefügten ausführlichen BriefMustersammlungen weiterhin an dem in den Kanzleien üblichen formelhaften Briefverkehr. Musterschreiben zu privaten oder sogar intimen Angelegenheiten wie etwa Liebesbriefe fehlten in den deutschsprachigen Brieflehrbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts noch weitgehend, ganz im Gegensatz zu den französischsprachigen Briefstellern, in denen seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vermehrt Briefvorlagen bürgerlich-privaten und intimen Inhalts abgedruckt sind.118 Einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung der Briefsteller-Literatur stellen die von Georg Philipp Harsdörffer oder Kaspar Stieler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts veröffentlichten Sekretariatsbücher dar, mit denen die Verfasser versuchten, den Kommunikationsbedürfnissen einer wachsenden Bürger- und Kaufmannsschicht gerecht zu werden.119 Inhaltlich zeichnen sich diese umfangreichen, mehrbändigen Briefsteller durch einen polyhistorischen, enzyklopädischen Charakter aus, indem sie dem Benutzer einen möglichst breiten Blickwinkel auf den Themen115 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 1), S. 101. 116 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 1. 117 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 19; Nickisch, Brief, S. 32 sowie S. 76–78; Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 1; Kording, »Wovon wir reden können, davon können wir auch schreiben«, S. 27; Vellusig, Robert: Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert, Wien u.a. 2000, S. 29. 118 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 40; Kording, »Wovon wir reden können, davon können wir auch schreiben», S. 28. 119 Vgl. Brüggemann, Vom Herzen direkt in die Feder, S. 49.
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komplex des Briefschreibens vermitteln wollen. Dieser reicht von einem historischen Abriss der Entwicklung der Schreibkunst über das Versenden von Briefen mit (Post-) Boten bis zu Fragen hinsichtlich Stil, Grammatik und deutscher Orthographie sowie von praktischen Briefvorlagen aus dem geschäftlichen oder juristischen Schriftverkehr bis zu bürgerlich-privaten Briefen. Sowohl im Teutschen Secretarius von 1656 als auch im zweiten Band der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1674 finden sich in den BriefMustersammlungen so genannte Liebes- und Frauenzimmerbriefe.120 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden die enzyklopädischen Sekretariatsbücher von einfacheren Briefstellern abgelöst, die sich inhaltlich ganz der Briefschreibkunst verschrieben hatten. Bei diesen Schriften kann erstmals von Brieflehrbüchern im eigentlichen Sinn gesprochen werden. In ihrem sprach-stilistischen Ausdruck orientierten sich die in den deutschen Werken am Ende des 17. sowie zu Beginn des 18. Jahrhunderts abgedruckten Briefvorlagen insbesondere am Sprachgebrauch und an den Umgangsformen der französischen Aristokratie. In Deutschland gehörten August Bohse und Christian Friedrich Hunold dem Kreis von Briefsteller-Auto-. ren an, die den französischen Konversationston in ihren Anweisungen zum Briefschreiben adaptierten und die galante Brieflehre zum Mittelpunkt ihrer brieftheoretischen Schriften machten. Indem die galanten Autoren im Medium »Brief« ein nützliches Mittel galanter Gesellschafts- und Lebenskunst sahen, können deren Briefsteller im weitesten Sinn auch als Teil der höfischen Anstandsliteratur gelesen werden.121 Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neu publizierten Briefsteller orientierten sich in ihrer Brieftheorie noch hauptsächlich an den früheren Werken eines Kaspar Stielers, Christian Weises oder des galanten Wortführers August Bohses.122 Erst mit den brieftheoretischen Schriften Christian Fürchtegott Gellerts um die Mitte des 18. Jahrhunderts lässt sich eine bedeutende Zäsur in der Tradition der BriefstellerLiteratur verzeichnen. In seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen aus dem Jahr 1751 vertritt Gellert nämlich die Ansicht, dass das Schreiben von Briefen vor allem einen »gesunden Verstand« voraussetze, den »man niemanden in einer Regel beybringen« könne.123 Gellert spricht also dem Medium »Brief« seine Lehrbarkeit anhand definierter (Schreib-)Regeln ab, um gleichzeitig die Existenzberechtigung der vor seinen Schriften veröffentlichten deutschen Briefsteller in Frage zu stellen.124 Dazu meint er:
120 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 5, S. 369–412 und Stieler, Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst (1674), Anhang, S. 231–299. 121 Vgl. Nickisch, Brief, S. 80; Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 2; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 217. 122 Vgl. Nickisch, Brief, S. 81. 123 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 48. 124 Vgl. hierzu Kaiser, »Geschmack« als Basis der Verständigung, S. 38–42.
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Talander, Menantes, Weise, Junker und noch ein ganz Heer von Briefstellern wollen uns zwar mit aller Gewalt gekünstelt schreiben lehren, und alle Federn unter den Gehorsam einer Schulchrie zwingen. […] Es mag endlich angehen, daß wir alle mögliche Briefe durch ein Antecedens, eine Connexion und ein Consequens einrichten können, da es doch gar nicht folget, daß das, was seiner Natur nach das erste ist, es auch in der Vorstellung seyn müßte: Allein sind sie deswegen natürlich, schön, angenehm, lebhaft?125
Für Gellert ist es also höchst fraglich, ob sich ein jeder Brief, unabhängig vom jeweiligen Schreibanlass, nach dem genau gleichen Dispositionsschema und denselben Stilgrundsätzen abfassen lässt. Ebenso äußert er gewisse Zweifel an der Vorstellung der barocken Briefsteller, dass ein Brief allein schon durch den Umstand zu gefallen hatte, dass er sich an einem bestimmten Aufbauschema orientierte und sich an vorgegebene stilistisch adäquate Formulierungen hielt. Unterstützung in seiner Kritik an den älteren Briefstellern erhielt Gellert von Johann Christoph Stockhausen, der seinerseits durchwegs lobende Worte für Gellerts publizierte Brief-Mustersammlung als Antwort auf die seiner Meinung nach ungeeigneten barocken Musterschreiben fand. In seinen Grundsätzen wohleingerichteter Briefe von 1753 meinte Stockhausen zur deutschen Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts dezidiert: Die Deutschen haben bisher mehr Lehrer im Briefschreiben, als gute Muster gehabt. […] Weisens curiöse Gedanken von Deutschen Briefen […]. Talanders allzeit fertiger und neu erläuterter Briefsteller [...]. Spatens (Stielers) Briefsteller […] Harsdörfers deutscher Secretarius […]. B. Neukirchs Anweisung zu deutschen Briefen […]. Darf ich mein Urtheil über alle dies Bücher sagen, […] so glaube ich, daß sie alle mehr den Geschmack verderben, als bessern und reinigen können, und daß man die Jugend nicht genug davor hüten könne, mit ihnen vertraut zu werden.126
Auch wenn die Briefsteller aus Sicht der Literaturwissenschaften seit der Veröffentlichung von Christian Fürchtegott Gellerts brieftheoretischen Schriften Einbußen an ihrem Status als anerkannte Lehrbücher verzeichnen mussten, indem sie zu »Vorschriftenbücher[n] für Menschen mit geringer Sprachgewalt«127 abstiegen, scheint dies jedoch ihrer Popularität kaum einen Abbruch getan zu haben. Im Gegenteil: Allein in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden nicht weniger als 150 deutsche Anleitungen zur Briefschreibkunst veröffentlicht.128 In der Bevölkerung bestand also weiterhin ein Bedürfnis nach Hilfestellungen beim Verfassen von Briefen. Beson-. . 125 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 179–180. 126 Stockhausen, Grundsätze wohleingerichteter Briefe (1753), Einleitung, S. 2–3. 127 Brockmeyer, Rainer: Geschichte des deutschen Briefes von Gottsched bis zum Sturm und Drang, Münster 1961, S. 303. 128 Vgl. Oellers, Der Brief als Mittel privater und öffentlicher Kommunikation in Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 22.
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derer Beliebtheit erfreuten sich die zur praktischen »bürgerlichen« Ratgeberliteratur zählenden Universal-Briefsteller129, in deren Brief-Mustersammlungen Vorlagen von offiziellen und privaten Briefen zusammengestellt sind, die auf die Erfordernisse von Angehörigen aus den klein- und mittelständischen Schichten abgestimmt waren.130
129 Einzelne Werke dieser »bürgerlichen« Briefsteller erreichten bis zu 73 Auflagen wie Otto Friedrich Rammlers Deutscher Reichs-Univeral-Briefsteller oder Musterbuch zur Abfassung aller in den allgemeinen und freundschaftlichen Lebensverhältnissen sowie im Geschäfstleben vorkommenden Briefe, Documente und Aufsätze aus dem Jahr 1907. Hohe Auflagen verzeichneten auch Wilhelm Campes Moderner Muster-Briefsteller für den gesamten schriftlichen Verkehr, der im Jahr 1933 zum 49. Mal aufgelegt wurde und L. Kiesewetters Neuer praktischer Universal-Briefsteller für das geschäftliche und gesellige Leben, der 1910 in der 42. Auflage herauskam. Zit. nach Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 23 und Bibliographie. 130 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 23; Nickisch, Brief, S. 83–84.
II. Briefschreiben als kulturelle Praxis 2.1 Historisches Umfeld: Das Korrespondenzwesen im 17. und 18. Jahrhundert Die für die Frühe Neuzeit verzeichnete Popularitätswelle der Briefsteller-Literatur gilt es im Zusammenhang mit der Erfolgsgeschichte des Kommunikationsmittels »Brief« zu betrachten. Für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts kann ein markanter Anstieg bei der Briefbeförderung verzeichnet werden, der hauptsächlich auf das Versenden von privaten Korrespondenzen zurückzuführen ist. Indem nun vermehrt Privatpersonen zur Feder griffen, die mit der Etikette und den Schreibregeln im zeitgenössischen Korrespondenzwesen weniger vertraut waren, bestand ein zunehmendes Bedürfnis nach Briefstellern mit ihren ausführlichen Anweisungen zum Schreiben von Briefen und den praktischen Brief-Mustersammlungen. Im Laufe dieser Entwicklung sollte sich das Medium »Brief« nicht nur von seinem männlich dominierten, offiziösen Charakter hin zu einem vornehmlich dem weiblichen Geschlecht zugeschriebenen, privaten Medium wandeln, sondern der Brief übernahm damit verbunden auch ganz unterschiedliche Funktionen. Hier stellt sich die Frage, welches Bild die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts uns von den sozialen, kulturellen und geschlechtsspezifischen Motiven vermittelt, die dem Schreiben von Briefen in der Frühen Neuzeit zugrunde lagen. Die große Beliebtheit des Briefes als Kommunikationsmittel bei den Menschen in der Frühen Neuzeit allein hätte wohl kaum zur Erfolgsgeschichte des Briefes und damit verbunden zum positiven Entwicklungsverlauf der Briefsteller-Literatur geführt, wenn die Korrespondierenden nicht optimale Rahmenbedingungen bei der Zustellung ihrer Schreiben vorgefunden hätten. Briefe schrieben sich die Menschen schon von alters her, doch mit der Öffnung des Postbetriebes für eine breite Öffentlichkeit ergaben sich den Korrespondierenden neue Möglichkeiten bei der Versendung ihrer Briefe. Auf die Frage, inwiefern die Öffnung des Postbetriebes mit seinen Dienstleistungen die Briefschreibpraxis der Frühen Neuzeit beeinflusst hat, versucht das folgende Kapitel Antworten zu geben.
2.1.1 Materielle Aspekte der Briefbeförderung Der im 17. Jahrhundert, insbesondere nach dem Ende des 30-jährigen Krieges einsetzende Aufschwung des Mediums »Brief« als Kommunikationsmittel erreichte seinen eigentlichen Höhepunkt im 18. Jahrhundert, welches in der Forschungsliteratur nicht umsonst als das »Jahrhundert des Briefes« bezeichnet wird. Positiv auf die Entwicklung des Briefverkehrs dürfte sich einerseits das in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit wachsende Mitteilungsbedürfnis ausgewirkt haben, das beim Einzelnen zu einer
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regelrechten Briefleidenschaft führen konnte. Die Menschen verspürten verstärkt das Bedürfnis, räumliche Trennung oder fehlende Geselligkeit mittels Korrespondenzen zu überwinden. Für diesen Zweck erschien ihnen der Brief als ein besonders geeignetes Medium, das sich in der Folge zu einem Schwerpunkt der menschlichen Kommunikation der Frühen Neuzeit entwickeln sollte.131 Andererseits dürfte der gesteigerte Wunsch des Individuums, sich seinen Mitmenschen mittels Brief mitzuteilen, nicht der einzige Faktor gewesen sein, welcher dem Medium »Brief« zu seiner Popularität in der Frühen Neuzeit verhalf. Die Menschen nutzten nämlich nicht erst seit dem 17. Jahrhundert den Brief, um Informationen auszutauschen.132 Für den Transport von Briefen waren die Korrespondierenden aber bis dahin auf die Dienste von bezahlten Boten angewiesen. Diesen Luxus konnten sich jedoch nur die wenigsten Menschen leisten, weshalb ärmere Leute bei der Beförderung ihrer Briefe und sonstigem Schriftverkehr neben Verwandten und Bekannten vielfach auf Reisende, Pilger, Soldaten oder sonstige Personen, die viel reisten, angewiesen waren – nicht gerade eine besonders vertrauenswürdige Alternative zum bezahlten Botendienst.133 Seit dem 16. Jahrhundert stand den privaten Schreibern offen, ihre Sendungen zusätzlich durch die Post transportieren zu lassen.134 Diese Dienstleistung bot den Menschen in der Frühen Neuzeit eine bisher nicht gekannte Dimension bei der Nachrichtenübermittlung, wie der Eintrag zum Stichwort »Post« aus Zedlers Universal-Lexikon von 1733 deutlich macht: Die Geschwindigkeit, mit welcher sie [die Postboten] lauffen, und die richtige Uberkunfft der dadurch fortgeschickten Briefe, bringen der menschlichen Gemeinschafft eine große Bequemlichkeit, auch dem Handel und Wandel eine mächtige Beförderung, daher in allen wohlbestellten Reichen und Regierungen die Posten mit Fleiß eingerichtet werden, so, daß man aus einem ieden Theile und Orte Europens, an alle die übrigen gemächlich und sicherlich Briefe fortbringen, und Brief-Wechsel unterhalten kann.135 131 Vgl. Vellusig, Schriftliche Gespräche, S. 8. 132 Zu denken ist hier etwa an das gut organisierte Informationsnetz von Handels- und Kaufmannsfamilien aus dem 15. und 16. Jahrhundert wie beispielsweise der einflussreichen deutschen Bankiersfamilie Fugger. Vgl. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1990, S. 29. 133 Vgl. Behringer, Wolfgang: Postamt und Briefkasten, in: Klaus Beyrer und Hans-Christian Täubrich (Hg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996, S. 55; Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 55. 134 Vgl. Becker-Cantarino, Leben als Text, S. 130–131; Bürgel, Brief, S. 26; Schlaffer, Hannelore: Glück und Ende des privaten Briefes, in: Klaus Beyrer und Hans-Christian Täubrich (Hg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996, S. 44. 135 Zedler, Grosses-vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künsten (1733), Bd. 28, S. 1785.
Das Korrespondenzwesen im 17. und 18. Jahrhundert
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Die Post beförderte die ihr anvertrauten Sendungen nicht nur schnell und zuverlässig, sondern sie ließ Europa durch ihr wachsendes Postnetz näher zusammenrücken, indem sich weite Distanzen einfacher überwinden ließen. Zweifelsohne Faktoren, welche die Entwicklung des Mediums »Brief« hin zu dem Kommunikationsmittel des 18. Jahrhunderts positiv beeinflusst haben dürften. Hierbei stellt sich nun die Frage, inwiefern das Postwesen – eine der wenigen linear verlaufenden Erfolgsgeschichten der Frühen Neuzeit – als eigentlicher »Motor der Kommunikationsrevolution«136 betrachtet werden kann, der dem Brief zu seinem Erfolg im 17. und besonders im 18. Jahrhundert verhalf. Hinsichtlich der frühneuzeitlichen Briefschreibpraxis brachte die Einführung des Postbetriebes zweifellos Veränderungen mit sich. Zu erwähnen ist hier etwa die Form der mündlichen, vertraulichen Nachricht, die mit der postalischen Briefbeförderung ausgedient hatte oder stark zurückgedrängt wurde. Die Entwicklung der Post und ihre Auswirkungen auf die Briefschreibpraxis Der Vorläufer der heutigen modernen Post geht auf das Jahr 1490 zurück, als Kaiser Maximilian I. die Familie Thurn und Taxis mit der Einrichtung eines Postbetriebes im Deutschen Reich beauftragte. Ursprünglich exklusiv dem kaiserlichen Nachrichtenverkehr vorbehalten, sah sich die Post angesichts der hohen Betriebskosten für den Unterhalt der Postreiter sowie der Pferde zu Beginn des 16. Jahrhunderts gezwungen, ihre Dienstleistungen für die Allgemeinheit zu öffnen. Von nun an konnten auch Privatpersonen ihre Briefe mit der Post befördern lassen.137 Die Einrichtung eines Postbetriebes in der Frühen Neuzeit brachte wesentliche Vorteile in der Nachrichtenübermittlung. Die innovativste Neuerung war ein System von reitenden Postboten, was in einer schnelleren Postbeförderung resultierte. Ein Brief wurde nicht mehr wie bis dahin durch einen einzelnen Boten transportiert, sondern er gelangte durch eine Kette von Boten zum Empfänger. Das Herzstück dieses Beförderungssystem bildeten so genannte Relaisstationen, wo in regelmäßigen Abständen Pferde und Postreiter ausgewechselt wurden.138 Die Postsendungen waren 136 Behringer, Wolfgang: »Die Welt in einen anderen Model gegossen«. Das frühmoderne Postwesen als Motor der Kommunikationsrevolution, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2002), S. 426. 137 Vgl. Behringer, Postamt und Briefkasten, S. 55; Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 56– 58; Beyrer, Klaus: Wege der Nachrichtenübermittlung. Macht über den Raum – Macht der Zeit, in: Klaus Beyrer und Martin Dallmeier (Hg.): Als die Post noch Zeitung machte. Eine Pressegeschichte, 1. Aufl., Gießen 1994, S. 64–65. 138 Das Wort »Post«, das sich vom lateinischen Begriff »posita statio« ableitet, bezeichnete ursprünglich eine festgelegte Station auf einer Route, wo Pferde und Reiter bereitstanden, um die Briefsendungen entgegenzunehmen und weiterzubefördern. Im Italienischen hat sich später für diese Stationen die Bezeichnung »Posta« durchgesetzt. »Post« als allgemeine Bezeichnung für den ge-
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somit Tag und Nacht ohne Unterbrechung unterwegs – keine Essens- oder Ruheresp. Schlafpausen sollten die Zustellung an den Empfänger verzögern.139 Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bestanden außerdem auf den bedeutendsten Postlinien regelmäßig verkehrende Botendienste, welche den Menschen erlaubten, ihre Briefe oder ihren sonstigen Schriftverkehr alle vierzehn Tage oder sogar wöchentlich zu versenden.140 Die Periodizität machte das Verschicken von Korrespondenzen wesentlich kalkulierbarer. Gleichzeitig bedeutete dies für den Briefschreiber, der von der »Ordinari-Post« profitieren wollte, dass er seine Schreibtätigkeiten an die Abgangszeiten der »Ordinari-Postreiter« anzupassen hatte, damit er – wie es in der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673 heißt –, »zu rechter Zeit sich mit Verabfaßung der Briefe fertig halten/ und durch sein Verschulden nichts versäumet werden/ noch die Briefe liegen bleiben mögen«141. Um den Postreiter nicht zu verpassen, rät die Teutsche Sekretariat-Kunst dem Korrespondierenden weiter, dass er »von den Postmeistern/ mit welchen er am meisten zu tuhn hat/ zuverläßige Posttafeln abfordern/ dieselbe in seine Schreibstube aufhängen und sich fleißig bekant machen«142 solle. Kaspar Stieler ließ in seiner Teutschen Sekretariat-Kunst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gleich selber einige Posttafeln bedeutender deutscher Städte wie Nürnberg, Leipzig, Frankfurt am Main oder Hamburg abdrucken:143
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samten Postbetrieb kam erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf. Vgl. Behringer, Wolfgang: Thurn und Taxis. Die Geschichte ihrer Post und ihrer Unternehmen, München/Zürich 1990, S. 14. Aus der umfangreichen Literatur zur Geschichte der Deutschen Post sind weiter zentral: Behringer, Postamt und Briefkasten, S. 55–63; Behringer, Wolfgang: Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003; Behringer, »Die Welt in einen anderen Model gegossen«, S. 424–433; Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 55–78; Gerteis, Klaus: Reisen, Boten, Posten, Korrespondenz in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Hans Pohl (Hg.): Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, Stuttgart 1989, S. 19–36; Beyrer, Wege der Nachrichtenübermittlung, S. 64–70; Beyrer, Klaus: Zeit der Postkutschen. Ein Überblick, in: Klaus Beyrer (Hg.): Zeit der Postkutschen. Drei Jahrhunderte Reisen 1600–1900, Karlsruhe 1992, S. 9–23; Glaser, Hermann und Thomas Werner: Die Post in ihrer Zeit. Eine Kulturgeschichte menschlicher Kommunikation, Heidelberg 1990; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 160–170. Ein taxischer Postreiter legte pro Tag im Durchschnitt zwischen 120 und 150 km zurück. Ein guter Tagesdurchschnitt zu Fuß lag bei rund 30 km, zu Pferd bei rund 50 km. Verglichen mit den Reiterboten des 15. Jahrhunderts bedeutete dies eine Steigerung der Beförderungsgeschwindigkeit um mehr als ein Dreifaches. Vgl. Beyrer, Klaus: Der alte Weg eines Briefes. Von der Botenpost zum Postboten, in: Klaus Beyrer und Hans-Christian Täubrich (Hg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996, S. 19. Vgl. Behringer, Thurn und Taxis, S. 76, 79; Beyrer, Der alte Weg eines Briefes, S. 19. Einigen bedeutenden Postkunden, so etwa dem Bischof von Würzburg, wird nachgesagt, dass sie die Boten aufgehalten haben sollen, bis sie ihre Briefe zu Ende geschrieben hatten. Dazu Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 504. Vgl. auch Behringer, Thurn und Taxis, S. 106–107; Beyrer, Wege der Nachrichtenübermittlung, S. 66. Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 504. Ebd., S. 522–527.
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3 Verzeichnis der Postboten, welche die Stadt Hamburg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bedient haben.
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Bei einem genaueren Blick auf die Hamburger Posttafel fällt auf, wie unterschiedlich der Informationsgehalt zu den verschiedenen Abgangs- und Ankunftszeiten der verzeichneten Postboten sowie deren Routenverlauf ausfällt. Während wir ein genaues Bild von der Route des Danziger Boten gewinnen, der Korrespondenzen nach Wismar, Rostock, Stettin und bis nach Königsberg und Riga beförderte, nennt die Tabelle nicht genauer, welche Orte der Lüneburger Bote bediente. Briefe, die für England, Frankreich oder Spanien bestimmt waren, fielen in den Zuständigkeitsbereich der »Köllnischen Post«. Ein gleiches Bild zeigt sich bei den Angaben zu den Ankunfts- und Abgangszeiten der verschiedenen Postboten. Der Berliner Bote etwa erreichte Hamburg am Dienstag und brach am Donnerstag wieder auf. Genauere Angaben erhalten wir zum Boten aus Amsterdam, der am frühen Dienstag- und Freitagmorgen in Hamburg ankam, um die Hansestadt gleichentags abends um fünf Uhr wieder zu verlassen. Der Kölner Bote unterschied bei den Abgangszeiten außerdem zwischen Sommer- und Winterzeit. Er verließ Hamburg am Mittwoch- und Sonnabends früh – »wenn das Tohr aufgeschlossen wird« –, die zu transportierenden Korrespondenzen mussten aber bereits am Dienstagabend bis 22 Uhr abgegeben sein, damit sie noch rechtzeitig in die versiegelten Pakete gelangten. Aus der »Hamburger Posttafel« erhalten wir ein nachhaltiges Bild vom Rhythmus der »Ordinari-Postreiter«, der von nun an den frühneuzeitlichen Alltag bestimmen sollte – der »Posttag« symbolisierte einen neuen Fixpunkt im Leben der Menschen.144 Aufgrund der steigenden Nachfrage seitens der Kundschaft verbesserte die Post ihre bestehende Infrastruktur in der Frühen Neuzeit kontinuierlich, indem sie etwa das Netz der Postkurse weiter ausbaute und erste Postämter einrichtete, die als lokale, regionale sowie internationale Verteilerzentren dienten.145 Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts brachte insofern eine Neuerung im Postverkehr, als sich die Fahrpost langsam durchzusetzen begann und parallel zu der exklusiv der Briefbeförderung dienenden Reiterpost existierte. Der Postkutschenbetrieb funktionierte nach dem gleichen Prinzip wie die Reiterpost, indem an den Relaisstationen Pferde- und Kutscherwechsel vorgenommen wurden.146 Mit der Einführung von Postwagenkursen erfuhr der Nachrichtenverkehr eine deutliche Verdichtung. Der Briefschreiber 144 Vgl. Behringer, »Die Welt in einen anderen Model gegossen«, S. 427. 145 Das Postamt in Augsburg war eines der ersten bedeutenden Postämter in Deutschland und bildete für ein Jahrhundert das eigentliche Zentrum des deutschen Postwesens. Es lag im Schnittpunkt der Poststrecke Antwerpen-Venedig bzw. der habsburgischen Postlinie, die von Wien und Prag über Regensburg nach Freiburg im Breisgau führte, und gewährleistete zusammen mit weiteren Hauptpostämtern in Frankfurt, Köln, Hamburg, Leipzig und Nürnberg den Anschluss an die wichtigsten europäischen Postrouten. Vgl. Behringer, Postamt und Briefkasten, S. 56–57; Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 58. 146 Laut Klaus Gerteis lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wann genau das »Postkutschenzeitalter« begonnen hat. Bereits im 16. Jahrhundert kamen einzelne Postkutschen zum Einsatz. So zirkulierte u.a. zwischen Hamburg und Nürnberg eine Postkutsche, die einmal pro Woche Personen und Waren transportierte. Vgl. Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 59, 63.
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konnte neuerdings bei der Versendung seiner Korrespondenzen zwischen »fahrender« und »reitender« Post wählen. Die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen diesen beiden Beförderungsmöglichkeiten war insgesamt minimal. Auf längeren Strecken war der Postreiter gegenüber der Postkutsche aber leicht im Vorteil: Für die Strecke Amsterdam-Venedig beispielsweise brauchte ein Postreiter vierzehn Tage, während eine Postkutsche die gleiche Strecke in zwanzig Tagen zurücklegte.147 Zwecks Steigerung der Frequenz bei der Nachrichtenzustellung zirkulierte im 18. Jahrhundert auf den wichtigsten Postrouten die so genannte »Journalierpost«, eine täglich verkehrende Postkutsche.148
4 Nürnberger Bote, Kurier und Postwagen. Kupferstich von Johann Lorenz Hönnig, spätes 17. Jahrhundert.
Die Serviceleistungen der frühneuzeitlichen Post waren aber keineswegs gratis, denn auch sie hatten ihren Preis. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts führte die Post eine einheitliche Tarifordnung ein, wodurch Briefe fixe Portos erhielten, abhängig von
147 Vgl. Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 60, 65. 148 Vgl. ebd., S. 63, 66; Behringer, Thurn und Taxis, S. 125–126.
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Briefschreiben als kulturelle Praxis
der jeweiligen beförderten Distanz, dem Gewicht und dem Wert der Sendung.149 Im Vergleich zu den Botenanstalten fiel das Versenden von Korrespondenzen durch Postreiter kostengünstiger aus, weil sie Sendungen von mehreren Kunden gleichzeitig transportieren konnten. Die tieferen Preise bei der Briefzustellung dürften das Angebot der Post für einen breiteren Benutzerkreis attraktiv gemacht haben, was sich letztlich wiederum positiv auf den Briefverkehr ausgewirkt haben dürfte.150 Trotz tieferer Porti sollte der Brief aber bis ins 19. Jahrhundert hinein weiterhin ein Kommunikationsmittel vorwiegend wohlhabender Leute bleiben, denn für das Versenden eines Briefes von Frankfurt nach Berlin beispielsweise zahlte der Kunde im Jahr 1760 immer noch sechs Groschen, was dem Tageslohn einer Köchin oder eines Zimmermanns entsprach. 1844 hatte ein Briefschreiber für die Beförderung eines gewöhnlichen Briefes innerhalb Preußens noch 19 Silbergroschen zu bezahlen, was etwa einem halben Taler entsprach – zum Vergleich: Ein Lehrer verdiente um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Monat 20 Taler.151 Sicherheitsaspekte bei der Briefbeförderung Auch wenn sich die Briefbeförderung in der Frühen Neuzeit äußerst positiv entwickelte und mit einigen Innovationen aufwarten konnte, so sollte die Zustellung der Postsendungen weiterhin mit gewissen Unregelmäßigkeiten behaftet bleiben. So war es nichts Ungewöhnliches, dass Schreiben den Empfänger verspätet oder im schlimmsten Fall gar nicht erreichten. Wollte der Schreiber sicher gehen, dass seine Briefe wohlbehalten ans Ziel gelangten, so ließ er sie am besten von Verwandten, Bekannten oder Freunden überbringen. War er jedoch auf den Dienst fremder Boten angewiesen, tat der Briefschreiber nach der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673 gut daran, auf die Boten selbst acht zu haben, damit sie so bald nach ihrer Abfertigung/ fort lauffen/ und nicht etwa/ wie dieses Gesindes Gewohnheit ist/ erst das halbe Bohtenlohn vor ihrer Reyse versauffen/ unterwegens in Wirtshäusern liegen bleiben/ und hernach/ ob wären sie mit der Antwort aufgehalten worden/ betrüglich vorgeben.152
149 Die deutsche Kleinstaaterei verteuerte das Porto zusätzlich, denn je mehr Gebiete ein Brief durchqueren musste, desto höher fiel das Porto aus. Erst 1850 sollte sich im deutschen Reich eine einheitliche Taxierung der Postsendungen durchsetzen. Vgl. Weiss, Briefe, S. 47–48. 150 Bis zur Einführung der Briefmarke im 19. Jahrhundert bezahlte in der Regel der Briefschreiber das Porto bei der Aufgabe des Briefes auf dem Postamt. Übernahm der Absender nur einen Teil der Versandkosten, hatte der Empfänger des Schreibens den Rest des Betrages beim Erhalt des Briefes zu begleichen. Vgl. Büngel, Werner: Der Brief. Ein kulturgeschichtliches Dokument, Berlin 1938, S. 66; Beyrer, Der alte Weg eines Briefes, S. 21–22. 151 Vgl. Weiss, Briefe, S. 47–48; Gerteis, Das »Postkutschenzeitalter«, S. 69–70; Behringer, Postamt und Briefkasten, S. 57. 152 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 505.
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Auch wenn die Postboten einer strengeren Kontrolle unterstanden, musste der Kunde weiterhin mit Unregelmäßigkeiten im Briefverkehr rechnen. Schlechte Wetterlagen wie Schneetreiben, Nebel oder Hochwasser, aber auch marodierende Söldner oder Räuber zwangen die Postreiter vielfach zu Umwegen, weswegen es auf den deutschen Postkursen immer wieder zu Verspätungen kommen konnte. Nicht selten waren auch Verzögerungen beim Pferdewechsel in den Relaisstationen für die Unpünktlichkeiten verantwortlich.153 Wesentlich schlimmer als eine verspätete Postsendung war die Tatsache, dass Briefe beim Transport verloren gehen konnten oder sich wegen einer inkorrekten Adressierung nicht zustellen ließen. Diesbezüglich rät die Teutsche Sekretariat-Kunst von 1673 dem Briefschreiber, sich nach dem »Fahrplan« eines Postreiters zu erkundigen, »damit er wiße/ wann und welcher Gestalt er seine Schreiben/ (worauf er iederzeit den Nahmen der Stadt/ oder Fürstl. Hofes/ wohin sie gehören/ setzen soll) mit guten Fug und Gewißheit fortbringen könne«154. Eine korrekte Adressierung allein war jedoch noch keine Garantie, dass der Brief sein Ziel erreichte, denn Postboten waren immer wieder Opfer von räuberischen Überfällen. Ferner ging von den Postangestellten selber Gefahr aus, indem sie zuweilen auch Sendungen unterschlugen.155 Die Unzuverlässigkeit der Postzustellung scheint in der Frühen Neuzeit ein nicht zu unterschätzendes Problem gewesen zu sein, indem der Teutsche Secretarius von 1656 darauf hinweist, dass »etliche die Briefe jedes Jahrs mit Zahlen zu bezeichnen [pflegen]/ 1. 2. 3. etc. der antwortet/ thut deßgleichen/ und also kan man leichtlich ersehen/ ob die Zahlen auff einander treffen/ und alle Schreiben zu recht gelieffert worden«156 sind. Auch wenn die Briefschreiber durch die Nummerierung ihrer Postsendungen eine Kontrollmöglichkeit erhielten, bestand weiterhin die Gefahr, dass Briefe unterwegs geöffnet und gelesen wurden. Dies konnte besonders gravierende Folgen haben, wenn der Inhalt sensible Informationen betraf. Nicht einmal vor der Neugierde der Postangestellten war das Briefgeheimnis sicher.157 Hatte man »geheime« Informationen, Geld oder andere Wertgegenstände zu verschicken, konnte es sinnvoller sein, sich üm […] Bekantschaft bey ehrlichen Leuten in großen Städten und an Fürstl. Höfen bewerben/ unter deren […] Umschlag er seine abgeschickte Schreiben befördern laßen möge/ sonderlich wenn er Gelter/ Kleinodien (wiewol solche bey der Post anzunehmen verbohten) und andere wichtige Sachen zu übermachen hat.158
153 Vgl. Behringer, Thurn und Taxis, S. 106–107; Beyrer, Wege der Nachrichtenübermittlung, S. 66. 154 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 504. 155 Vgl. Büngel, Der Brief, S. 66. 156 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 10. 157 Vgl. Behringer, Thurn und Taxis, S. 118; Büngel, Der Brief, S. 67. 158 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 504–505.
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Trotz all dieser Sicherheitsrisiken genoss die Institution Post in der Frühen Neuzeit eine große Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Post galt allgemein als vertrauenswürdig, was nicht nur die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts rapide ansteigende Zahl der beförderten Sendungen vermuten lässt, sondern ebenso einige in den zeitgenössischen Briefstellern abgedruckte Briefpassagen unterstreichen. So bemerkte im zweiten Teil des Teutschen Secretarii von 1659 der Verfasser einer Briefvorlage, dass »der Post nichts verlohren gehet«159, während in einem anderen Briefbeispiel aus dem Teutschen Secretarius von 1656 der Schreiber ebenfalls Zweifel am angeblichen Verlust des Antwortschreibens seines Korrespondenzpartners durch die Post hegte: »Noch die Gefährlichkeit deß Weges/ noch die wolgelegten Posten/ machen mich glauben/ deine auff mein letztes gefügte Beantwortung seye verloren worden.«160 Ob in Form von qualitativen Aussagen in den abgedruckten Musterschreiben oder als praktische Hinweise in den theoretischen Ausführungen beispielsweise zur Versendung von Korrespondenzen, in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts finden sich verschiedentlich Zeugnisse des Postbetriebes. Die Post und das Medium »Brief« scheinen in der Frühen Neuzeit eine Art Symbiose verkörpert zu haben. Mit ihren Dienstleistungen schuf die Post optimale Bedingungen, welche das Versenden von Briefen entsprechend erleichtert haben und somit bei den Menschen Anreize geschaffen haben dürften, vermehrt zu Papier und Tinte zu greifen. Um der steigenden Nachfrage seitens der Kundschaft gerecht zu werden, optimierte die Post ihre Dienstleistungen kontinuierlich: Das Routennetz wurde ausgebaut, die Transportzeiten der Sendungen verkürzt und die Frequenzen der Postzustellung gesteigert, was dem Briefschreiber erlaubte, mehrmals täglich Briefe abzuschicken. Als eine Art »Kommunikations-Motor« dürfte die Post das Korrespondenzverhalten im 17. und frühen 18. Jahrhundert insofern positiv beeinflusst haben, als sie das bei den Menschen bereits vorhandene Mitteilungsbedürfnis wohl noch verstärkt hat – getreu nach Georg Steinhausens Ausspruch: »Gelegenheit macht Briefe«161.
2.1.2 Soziale, kulturelle und geschlechtsspezifische Aspekte des Briefschreibens Die postalischen Änderungen in der Frühen Neuzeit dürften noch nicht ausreichen, um plausibel zu begründen, weshalb das 18. Jahrhundert allgemein als »Jahrhundert des Briefes« in die Geschichte eingehen sollte. Vielmehr müssen auch gesellschaftliche Entwicklungen als mögliche Erklärung für den Erfolg des Kommunikationsmittels »Brief« in Betracht gezogen werden. Aus den mannigfaltigen Musterschreiben, wie sie in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts abgedruckt sind, kann ein eindrückliches Bild von der früh159 Harsdörffer, Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil (1659), Teil 2, S. 17. 160 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, S. 32. 161 Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 170.
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neuzeitlichen Briefkultur gewonnen werden. Die Formenvielfalt der Briefvorlagen kann dabei in einem direkten Zusammenhang mit der Funktion und dem Verwendungszweck der Schreiben gesehen werden. Die in den Briefstellern des 17. Jahrhunderts präsentierten, in deutscher Sprache verfassten Korrespondenzen deckten vorwiegend den zünftischen Briefverkehr von Notaren, Sekretären oder auch von städtischen und fürstlichen Beamten ab. Ferner finden sich auch Briefvorlagen aus dem handeltreibenden Bürgertum. Von einer besonders regen Benutzung des Mediums »Brief« im 17. Jahrhundert zeugen die vielen Briefbeispiele aus dem höfischen Umfeld.162 Der höfische Brief erscheint in das adlige Zeremoniell eingebunden, bei dem die Anredeformeln und ein sachlicher, dem Anlass des Briefes angemessener Schreibstil von größter Bedeutung war.163 Der Brief diente den adligen Korrespondierenden nicht nur als Kommunikationsmittel, um Informationen auszutauschen, sondern in bestimmten Situationen übernahm er die Funktion eines Handlungsinstrumentes. Briefe ließen sich sowohl für offizielle Geschäfte einsetzen, wenn es beispielsweise darum ging, Befehle zu überbringen oder Verhandlungen zu führen, als auch in »privaten« Angelegenheiten wie etwa dem Arrangieren von Vermählungen. Die Brief-Mustersammlungen der Briefsteller des 17. Jahrhunderts enthalten denn auch zahlreiche Vorlagen von Empfehlungs- und Anerbietungsschreiben, aber auch von Abmahnungs-, Befehls- oder Strafbriefen. Wie vielfältig die Briefsteller des 17. Jahrhunderts die Funktionen des Mediums »Brief« definierten, machte Georg Philipp Harsdörffer in seinem Teutschen Secretarius aus dem Jahr 1656 deutlich. Nach seiner Ansicht sollte der Brief beitragen zur Erhaltung der Menschen Gemeinschafft/ der Abwesenden Freundschafft/ der Kauffleute Gewerbschafft/ und sind also die Briefe/ dem Jnnhalt nach/ die Herolden der Liebe und der Freuden/ deß Friedens und deß Krieges/ des Trostes und der Betrübniß/ ja das Pfand und Band aller Handlungen/ die man zwischen Freunden und Feinden zu handeln pfleget.164
Dieses Zitat verdeutlicht, dass Harsdörffer den Schwerpunkt der brieflichen Kommunikation weniger auf den Austausch von geschäftlichen oder amtlichen Informationen legte, als auf das soziale Moment des Briefschreibens, wenn er an erster Stelle davon sprach, dass Briefe »der Menschen Gemeinschafft/ der Abwesenden Freundschafft« erhalten sollen. Weniger der Pflege der Freundschaft als ihrer Konstituierung dienten in den zeitgenössischen Briefstellern die so genannten »Anwerbungs- oder Insinuations-Briefe«, deren Zweck maßgeblich darin bestand, sich »bey frembden und unbekandten Per162 Vgl. Ruppel, Sophie: Das »stillose Zeitalter«. Realität und Rezeption weiblicher Briefkultur an frühneuzeitlichen deutschen Fürstenhöfen im 17. Jahrhundert, in: HMRG 19 (2006), S. 70. 163 Vgl. ebd., S. 70–71; Kording, »Wovon wir reden können, davon können wir auch schreiben«, S. 28. 164 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Vorrede, S. 16.
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sonen zu insinuiren/ und derselben ihre Gunst und Freundschafft zu erwerben«165, wie im Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 nachgelesen werden kann. Solche Briefe scheinen besonders unter den Hofleuten, Gelehrten und Kaufleuten beliebt gewesen zu sein, aber auch Briefschreiber aus anderen sozialen Schichten sollen solche Anwerbungsbriefe benutzt haben.166 Die Menschen in der Frühen Neuzeit schrieben einander Anwerbungsschreiben, um einen persönlichen Nutzen daraus zu ziehen, indem sie sich etwa Zugang zum Klientelkreis einer bestimmten vornehmen Person verschaffen wollten. Der Brief diente dem Schreiber in diesem Fall als Handlungsinstrument für die Knüpfung oder Vermittlung eines Kontaktes. Der Briefabsender ergriff die Gelegenheit, einer »unbekannten« Person zu schreiben, und diese um Korrespondenz zu bitten. Kam der Kontakt zustande, sollte er den Briefverkehr aktiv pflegen.167 Blieb ein Antwortbrief aus, wurde dies nicht selten als Bruch der Freundschaft gewertet, wie aus zahlreichen Briefvorlagen hervorgeht. In einem »Beschwerungs-Schreiben über unterlassene schrifftliche Visite« aus August Bohses drittem Band seines Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 zweifelte der Verfasser, ob er den Briefadressaten noch mit »Hochwerthester Freund« ansprechen solle, indem er so gar unsere vorige Freundschafft vergessen/ und nun in länger als acht Monaten mich nicht einer einzigen Zeile gewürdiget/ ob ich schon mit unterschiedlichen Brieffen meine Schuldigkeit bey ihm abgeleget: dennoch versuche ich es von neuen/ weil es mir nicht möglich eine so genaue Freundschafft aufzuheben/ und bitte inständig/ es wolle doch endlich mein hochgeschätzter Freund sich so viel abmüßigen/ und mir die Ursache melden/ warum ich aller seiner angenehmen correspondenz soll beraubet seyn.168
Der Verfasser einer anderen Briefvorlage, abgedruckt im Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707, der bisher vergeblich auf ein Antwortschreiben seines Freundes gewartet hat, rechnete sogar mit dem schlimmsten, nämlich dass sein Freund verstorben sein könnte: Warum bin ich so unglücklich/ in drey gantzen Monaten keine eintzige Zeile von ihnen zu empfangen? Jst diese Zeit nicht lange genug/ einen ergebenen Diener einmal mit einer Antwort zu beehren/ und haben sie mich so lange in Zweiffel lassen müssen/ ob sie nicht mehr unter die Lebendigen/ oder nicht mehr unter meine hochgeschätzten Freunde zu rechnen?169 165 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 299. 166 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 3, S. 297; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 123–129. 167 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 123. 168 Bohse, August: Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil, Dresden 1695, S. 101– 102. 169 Hunold, Christian Friedrich: Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben, Hamburg 1707, S. 406.
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Von einem häufigen Briefwechsel zeugen in den frühneuzeitlichen Brief-Mustersammlungen nicht nur die Anwerbungsschreiben, sondern auch die Grußbriefe, die sich Menschen schrieben, nachdem sie Bekanntschaft miteinander gemacht hatten. Solche Grußbriefe bekamen im 17. Jahrhundert den Charakter eines höflichen Besuches, indem sich etwa ein Schreiber bei seinem Briefpartner entschuldigte, dass es ihm nicht früher möglich gewesen sei, ihn »mit einem Briefgen zu besuchen«170. In diesem Sinne werden die Grußbriefe in den Briefstellern auch mit Besuchungsbriefen oder Visitbriefen bezeichnet, ganz nach dem französischen Vorbild der »Lettres de Visite«.171 Mit der Pflege der Freundschaft hatten solche Visitbriefe aber wenig gemein, vielmehr waren sie ein Produkt der »Courtoisie«, des höflichen Briefverkehrs, und bestanden meistens aus bloßen Freundlichkeiten.172 Durch eine solche schriftliche Aufwartung erhoffte der Briefschreiber laut dem Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 »sich bey dem/ an welchen man schreibet/ entweder in guten Credit und Gewogenheit zu erhalten/ oder bey einem/ wo man noch nicht recht bekant ist/ sich zu insinuiren/ und desselben Gunst zu erwerben«173. Die Visitbriefe beinhalteten also keine besonderen thematischen Schwerpunkte. Der Schreiber konnte den Brief dazu nutzen, um dem Briefpartner zu erzählen, wie gut im die letzte gemeinsame Konversation in Erinnerung gelieben sei. Wie einsam er sich fühle, seit sein Freund abgereist war, wie sehr er die angeregten Gespräche vermisse und wie er sich über einen baldigen Besuches freuen würde.174 In den meisten Fällen bestanden Visitbriefe jedoch aus bloßen Höflichkeiten und galanten Schmeicheleien, welche besonders deutlich in Schreiben an Frauen zum Ausdruck kommen, wenn es in folgendem Auszug eines Musterschreibens an ein »adeliches Fräulein« aus August Bohses zweitem Teil Des curieuß-bequehmen HandBuchs außerlesener Send-Schreiben von 1705 heißt: Sie haben so viel Gutheit vor diese Zeilen/ und gönnen denenselbigen einige Augenblicke/ solche durchzulesen. Es gehet alles dero wertheste Person an/ was darinnen enthalten. Denn daß dero ungemeine Annehmlichkeiten noch von mir mit beständigem Andencken verehret werden; daß ich offtmahls betrachte/ wie viel Vorzug mein Fräulein vor andern Damen haben/ welche die Natur nicht mit so viel charmanten Gaben ausgeschmücket; auch daß ich vielfältig wünsche/ dero schöne Hand wiederum zu küssen.175
170 171 172 173 174 175
Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 122. Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 131. Ebd., S. 131–132. Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 103. Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 250–254. Bohse, August: Des curieuß-bequehmen Hand-Buchs ausserlesener Send-Schreiben und anderer sonderbahren Concepte Zweyter Theil, Leipzig 1705, S. 127.
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Briefsteller-Autoren wie etwa Georg Philipp Harsdörffer äußerten sich zuweilen sehr kritisch gegenüber solchen Briefen ohne eigentlichen Schreibanlass, indem er in seinem Teutschen Secretarius von 1656 sogar verlangte, »daß man solche vielblätterigte leere Grußbriefe nicht gar zu lesen würdiget/ sondern mit Eckel aus Handen leget«176. Zugespitzt formulierte es Christian Fürchtegott Gellert in einer seiner Briefvorlagen aus seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751, indem er schrieb: »Jch weis Jhnen nichts zu schreiben, als daß ich Jhnen nichts zu schreiben habe. Denn daß ich Sie liebe, daß ich Sie hochschätze, dieses habe ich Jhnen nun schon zehn Jahre nach einander geschrieben.«177 Neben solchen der Komplimentierkunst angehörenden und der vornehmlich der Versicherung der gegenseitigen Affektion dienenden Briefen stieg im 17. Jahrhundert auch der Gelegenheitsbriefverkehr an. Die Menschen schrieben sich Gratulationsbriefe bei der Übernahme eines neuen Amtes, Fürsten wünschten sich Glück zum Antritt der Regierungstätigkeit. Glückwunschschreiben waren aber auch üblich bei festlichen Ereignissen des menschlichen Lebenszyklus wie Geburts- und Namenstag, Taufe oder Hochzeit. Ebenfalls war es ein Zeichen der Höflichkeit, an Verwandte und Bekannte Neujahrsbriefe zu verschicken. Neben freudigen Ereignissen verlangte die Höflichkeit, bei Trauer- und Unglücksfällen, welche Stieler in seinem Allzeitfertigen Secretarius aus dem Jahr 1690 als »Todesfälle der Freunde und Verwanten/ Feuersbrand/ Raub/ Verfolgung/ Entsetzung deß Ehrenstandes/ Verjagung ins Elend/ und dergleichen Unglück«178 definierte, seiner Anteilnahme mit einem Kondolenzschreiben Ausdruck zu verleihen. Jeder Brief bedingte wiederum ein Antwortschreiben, was schließlich zu einem regen Briefaustausch führte: Auf ein Glückwunschschreiben folgte somit ein Dankbrief, ein Einladungsschreiben zu einer Schlittenfahrt verlangte nach einer Antwort, worin der Schreiber zu- oder absagte. Kurz gesagt, die frühneuzeitlichen Briefsteller vermitteln das Bild, dass die Menschen jede Gelegenheit nutzten, um Briefe zu schreiben.179 Vielfach wurden solche Gelegenheitsbriefe aus reinem Pflichtgefühl und nicht ohne Eigennutz verfasst. Der Absender erhoffte sich, mit dem Schreiben die Gunst des Empfängers zu gewinnen. Gerade in einer Zeit, wo die Fürsprache einflussreicher Personen über den sozialen Aufstieg des Einzelnen entscheidend sein konnte, wie die zahlreich in den Briefstellern vorkommenden Rekommandations- oder Empfehlungsschreiben beweisen, lässt sich damit auch die Häufung höflicher Gratulations-, Kondolenz- oder Dankbriefe erklären. Die servile, nach Gunst strebende Briefschreiberei bestand im 18. Jahrhundert weiter, doch die Menschen verspürten vermehrt den Wunsch nach »echter« Brief-
176 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 3, S. 75. 177 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 275. 178 Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 580. 179 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 138–139.
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freundschaft.180 Sie korrespondierten, um räumliche Trennung oder fehlende Geselligkeit zu überwinden. Reisende sandten den Daheimgebliebenen Briefe, um darin von ihren Erlebnissen zu berichten und sie indirekt an den Reiseerlebnissen teilhaben zu lassen.181 Das wachsende Mitteilungsbedürfnis führte bei den Menschen zu einer regelrechten Briefleidenschaft.182 Sie verspürten den Wunsch nach beinahe täglicher Korrespondenz. Das Verlangen, Briefe nur zur Unterhaltung zu schreiben, nahm in breiteren Bevölkerungsschichten zu.183 In besonderer Weise partizipierten Frauen an diesem freundschaftlichen Briefverkehr des 18. Jahrhunderts. Einerseits erlaubte das Kommunikationsmittel »Brief« ihnen, mit anderen zeitgenössischen Persönlichkeiten in Kontakt zu treten, denn Frauen konnten im Allgemeinen nicht einfach Reisen unternehmen, weil diese meistens sehr teuer und vielfach auch beschwerlich waren. Der Bewegungsradius der meisten Frauen war sehr eingeschränkt.184 Sie verließen das Haus nur zu besonderen Anlässen. Der Brief diente Frauen dazu, den entfernten Briefpartner an ihrem Leben teilnehmen zu lassen und ihm ihre Gedanken und Gefühle mitzuteilen. Eine besondere Bedeutung erhielt der Brief auch, um Freundschaften über die räumliche Distanz zu pflegen.185 Das weibliche Geschlecht soll laut den zeitgenössischen Briefstellern nicht nur eine besondere Begabung für das Briefschreiben entwickelt haben, vielmehr war es so, dass das Schreiben von Briefen zu den wenigen schriftlichen Aktivitäten gehörte, welche den Frauen von den »aufgeklärten« Männern des 18. Jahrhunderts zugesprochen wurden.186 Das Briefschreiben war den Frauen erlaubt, weil sie es unaufdringlich ausüben konnten, sozusagen im Stillen, in der häuslichen Privatsphäre. Zum Schreiben zogen sich die Frauen in ihre Zimmer oder in den Salon zurück.187 Auch die Art des Briefschreibens selbst kam nach Ansicht der zeitgenössischen Brieftheoretiker den Frauen entgegen, indem es sich gut in den weiblichen Alltag mit all seinen Aufgaben integrieren ließ. Die täglichen Verrichtungen ließen Frauen wenig Zeit und Kinder oder Dienstboten sorgten immer wieder für Unterbrechungen – hierbei dürfte den Frauen beim Briefschreiben die von Gellert besonders hervorge180 Vgl. Bürgel, Brief, S. 27. 181 Vgl. Dülmen, Richard van: Die Entdeckung des Individuums, 1500–1800, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2002, S. 105; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 121–123; Schlaffer, Glück und Ende des privaten Briefes, S. 44–45. 182 Vgl. Becker-Cantarino, Leben als Text, S. 130–131; Bürgel, Brief, S. 26; Schlaffer, Glück und Ende des privaten Briefes, S. 44. 183 Vgl. Dülmen, Die Entdeckung des Individuums, S. 105. 184 Von einer regen weiblichen Reisetätigkeit im 18. Jahrhundert zeugt dagegen das von Wolfgang Griep und Annegret Pelz veröffentlichte Verzeichnis deutschsprachiger Frauenreisen für das 18. bis beginnende 19. Jahrhundert. Vgl. Griep, Wolfgang und Annegret Pelz: Frauen reisen. Ein bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Frauenreisen 1700 bis 1810, Bremen 1995. 185 Vgl. Becker-Cantarino, Leben als Text, S. 131. 186 Vgl. Nickisch, Briefkultur, S. 408. 187 Vgl. Kenyon, Olga: 800 Years of Women’s Letters, Phoenix Mill u.a. 1992, S. xiii.
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hobene weibliche Fähigkeit, Gedanken schnell abwechselnd zu formulieren, zugute gekommen sein.188 Am brieflichen Austausch des 18. Jahrhunderts partizipierten vornehmlich gebildete und wohlhabende Frauen, deren Schreib- und Lesefertigkeiten über das »elementare Niveau« hinausreichten. Frauen aus dem Kleinbürgertum oder den unteren Schichten wie Mägde und Tagelöhnerinnen oder Bäuerinnen blieb der Zugang zum Medium »Brief« verwehrt, da sie größtenteils schlecht oder gar nicht schreiben konnten. Auch hätte ihnen ihr Alltag, der ausgefüllt war mit Arbeit und Haushalt, wohl kaum genügend Zeit gelassen, um wohlklingende und ausführliche Briefe zu verfassen.189 So äußerte sich eine Frau in einer Briefvorlage aus Johann Leonhard Rosts Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe aus dem Jahr 1734 treffend: »Leute die nur immer über dem Nehen und in der Küche sitzen, sind nicht in dem Stand mit der Feder wol umzuspringen«.190 Aus diesem Grund mag es aus heutiger Sicht kaum erstaunen, wenn die bedeutendsten Briefschreiberinnen der Adelsschicht angehörten, denn das Leben am Hof bot den Frauen genügend Zeit und Gelegenheit, Briefe zu schreiben.191 Liselotte von der Pfalz (1652–1722), die am Hofe von Versailles lebte – sie war mit dem Herzog von Orleans, dem Bruder Ludwigs XIV. verheiratet – schrieb täglich etwa ein Dutzend Briefe.192 Die Frauen instrumentalisierten den Brief als Ausdrucksmittel des weiblichen Lebens und Erlebens. Sie nutzten den privaten, freundschaftlichen Briefwechsel, um über ihre Lebenswelten zu schreiben. Die Form des »Privatbriefes« gab ihnen dabei die Möglichkeit, ihre eigenen Gedanken und Gefühle auszudrücken, ohne dabei vorhandene Stilvorbilder und Schreibkonventionen einhalten zu müssen.193 Damit ist zugleich auch ein Bild von der Alphabetisierung in der Bevölkerung der Frühen Neuzeit gewonnen, denn die Nutzung des Briefes setzte eine gewisse Schreib- und Lesefähigkeit voraus, einmal abgesehen von der Möglichkeit, seine Korrespondenzen von einem (professionellen) Schreiber verfassen zu lassen. Wer schreiben konnte, gehörte somit meistens dem Adel oder dem städtischen Bürgertum an. 188 Vgl. Niemeyer, Beatrix: »Angenehme Sittenlehrer«. Briefe und Weiblichkeit im 18. Jahrhundert. Kritische Anmerkungen zu Norbert Elias, in: Gabriele Klein und Katharina Liebsch (Hg.): Zivilisierung des weiblichen Ich, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1997, S. 199. 189 Vgl. Becker-Cantarino, Leben als Text, S. 131. 190 Rost, Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe (1734), S. 323. 191 Vgl. Sonnet, Martine: Mädchenerziehung, in: Arlette Farge und Natalie Zemon Davis (Hg.): Geschichte der Frauen. Frühe Neuzeit (Bd. 3), Frankfurt a. M. u.a. 1994, S. 119–150, hier S. 150; Chartier, Roger: Die Praktiken des Schreibens, in: Philippe Ariès und Roger Chartier (Hg.): Geschichte des privaten Lebens. Von der Renaissance zur Aufklärung (Bd. 3), Augsburg 2000, S. 119; Hufton, Olwen: Frauenleben. Eine europäische Geschichte 1500–1800, Frankfurt a. M. 2002, S. 575, 579. 192 Vgl. Nickisch, Briefkultur, S. 392–393; Nickisch, Die Frau als Briefschreiberin im Zeitalter der deutschen Aufklärung, S. 29. 193 Vgl. Becker-Cantarino, Leben als Text, S. 129.
Die Briefsteller-Literatur und ihre Funktionen
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Menschen aus der städtischen Unter- und Mittelschicht verfügten vielfach nur über rudimentäre Schreibkenntnisse, während diese bei der bäuerlichen Schicht größtenteils fehlte.194 Zusätzlich zur Alphabetisierung wirkte sich die allmähliche Ablösung der lateinischen Briefsprache durch das Deutsche ab dem 14. Jahrhundert sowie die Einrichtung der Post, verbunden mit einer schnellen und sicheren Briefbeförderung, positiv auf die frühneuzeitliche Briefkultur aus.195 Im 18. Jahrhundert hatte sich das Deutsche als Nationalsprache gegenüber dem Lateinischen der Gelehrten und dem Französischen des Adels durchgesetzt. Mit dem Erstarken der deutschen Sprache und ihrer Verwendung in Wissenschaft und Literatur war neben der allgemeinen Zugänglichkeit der Post eine weitere Voraussetzung dafür gegeben, dass das Medium »Brief« von einer breiteren Bevölkerungsschicht allgemein genutzt werden konnte. Dies wiederum ließ den Brief zu einem Kommunikationsmittel werden, das den Erfordernissen der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft besonders gerecht wurde.196 Neben der intensivierten Pflege der Freundschaft ließ auch die erhöhte Mobilität das Korrespondenzwesen in der Frühen Neuzeit ansteigen. Die Postkutschen machten das Reisen bequemer und ermunterten die Menschen geradezu, fremde Länder und Städte zu erkunden. Dies wiederum erforderte ausführliche Reiseberichte in Form von Briefen.
2.2 Die Briefsteller-Literatur und ihre Funktionen Die große Anzahl an veröffentlichten Briefstellern in der Frühen Neuzeit sowie die für damalige Verhältnisse hohen Auflagenfolgen, welche einige der barocken Brieflehrbücher erreicht haben, lassen darauf schließen, dass solche Werke mit ihrem Inhalt den Bedürfnissen und Wünschen eines breiten Benutzerkreises entsprachen. Die Vermittlung der Briefschreibkunst allein dürfte indes kaum dazu genügen, um den Erfolg der Briefsteller-Literatur im 17. und frühen 18. Jahrhundert zu erklären – vor allem wenn man bedenkt, dass solche Bücher, wie es scheint, auch bei Personen Absatz fanden, die keinen Nutzen aus den darin abgedruckten Briefvorlagen für eines ihrer konkreten
194 Während im Mittelalter der Kreis der Briefschreiber relativ klein war – hauptsächlich Angehörige des Klerus sowie Gelehrte und einige wenige die lateinische Sprache beherrschende Personen –, lag die Alphabetisierungsrate in Europa am Ende des 18. Jahrhunderts bei den Männern bei 60 bis 70 Prozent, bei den Frauen dagegen betrug sie nur 40 Prozent. Vgl. Chartier, Die Praktiken des Schreibens, S. 115–165. Zur weiblichen Alphabetisierungsrate im 18. Jahrhundert siehe besonders Becher, Ursula A. J.: Lektürepräferenzen und Lesepraktiken von Frauen im 18. Jahrhundert, in: Aufklärung 6/1 (1991), S. 27–42. 195 Vgl. Nickisch, Brief, S. 30. 196 Vgl. Niemeyer, Beatrix: Der Brief als weibliches Bildungsmedium im 18. Jahrhundert, in: Elke Kleinau und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Vom Mittelalter bis zur Aufklärung (Bd. 1), Frankfurt a. M./New York 1996, S. 440–441.
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Schreibprobleme ziehen konnten. In diesem Fall müssen andere Gründe schlussendlich für den Kauf eines Briefstellers ausschlaggebend gewesen sein. Das folgende Kapitel befragt die Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen nach möglichen Zielen, die sie mit ihren Ausführungen und den präsentierten Musterschreiben erreichen wollten. Damit im engen Zusammenhang steht die Frage nach dem potenziellen Zielpublikum, welches sich von einem bestimmten Briefsteller angesprochen fühlen sollte. Von besonderem Interesse ist hier, inwiefern Frauen als Leser- und/oder Schreiberinnen von Briefen in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts angesprochen, »mitgedacht« oder explizit ausgeschlossen wurden. Auf Seiten der Benutzer stellt sich folglich die Frage nach dem persönlichen Gewinn, der sich aus solchen Schriften ziehen ließ. Ebenso interessiert, welche weiteren Funktionen die Briefsteller neben ihrer primären Aufgabe der Vermittlung der Briefschreibkunst übernahmen.
2.2.1 Lehrbücher Bereits ein erster flüchtiger Blick in die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur lässt erahnen, dass wir es hier in erster Linie mit Lehrbüchern zu tun haben, deren Hauptzweck darin bestand, einem bestimmten Benutzerkreis das korrekte Schreiben von Briefen nach den geltenden zeitgenössischen Regeln und Standards näher zu bringen. Die Vermittlung der Briefschreibkunst erfolgte gewöhnlich in drei Abteilungen: Neben einer rhetorisch-theoretischen Einführung in das Wesen eines Briefes und wie ein solcher stilgerecht verfasst werden sollte, finden sich überdies Anweisungen zur Titulatur, inkl. eines Titularverzeichnisses, und der formalen Gestaltung eines Schreibens sowie eine praxisorientierte Sammlung von verschiedenen Briefvorlagen. Während diese einzelnen Kategorien in den zu Beginn des 17. Jahrhunderts veröffentlichten Brieflehrbüchern wie der französischen Ausgabe Le Secrétraire de la Cour aus dem Jahr 1624 noch klar voneinander getrennt erscheinen,197 zeichnet sich in den deutschen Briefstellern ab der Mitte des 17. Jahrhunderts eine Vermischung der Grenzen zwischen dieser klassischen Trias ab. Dementsprechend bauen die beiden Briefsteller-Autoren Georg Philipp Harsdörffer und Christian Friedrich Hunold ihre Anleitungen zur Briefschreibkunst nach Kapiteln zu bestimmten Briefsorten auf, die ihrerseits einen in sich thematisch abgeschlossenen Bereich darstellen: Auf die brieftheoretischen Ausführungen folgen umgehend die entsprechenden Musterschreiben.198 Christian Weise und Benjamin Neukirch verfolgten dagegen in ihren brieftheoretischen Schriften ein Ordnungssystem, das sich an bestimmten Fragen orientierte, die 197 La Serre, Le Secrétaire de la Cour (1624). 198 Siehe dazu beispielsweise Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656) oder Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707).
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sich beim Verfassen eines Briefes ergeben konnten. Bei deren Beantwortung verzichteten beide Autoren auf eine reine, in sich geschlossene Brief-Mustersammlung, indem sie die Briefbeispiele – die in Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen von 1709 dafür nicht vollständig ausformuliert sind – fortlaufend in ihre rhetorischtheoretischen Erläuterungen miteinbezogen.199 Für den Zeitraum des 17. und frühen 18. Jahrhunderts lässt sich in der Briefsteller-Literatur jedoch nicht nur eine Auflösung der epistolographischen Trias feststellen, sondern auch eine Verschiebung im Verhältnis des rhetorisch-theoretischen Teils zur praktischen Brief-Mustersammlung. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts korrespondierten die theoretisch-rhetorischen Ausführungen noch eng mit den abgedruckten Briefvorlagen. Brieflehrbücher wie Johann Rudolff Sattlers Werbungs-Büchlein aus dem Jahr 1633 stellten den Benutzern eine Sammlung formularartiger Musterschreiben zur Verfügung.200 Für den Briefschreiber war es indes ein leichtes, eine geeignete Briefvorlage für sein persönliches Schreibproblem zu finden, die er auch nicht allzu sehr abzuändern brauchte, um sie für sein Anliegen einsetzen zu können. Die Kunst des Briefschreibens, wie sie in solchen Brieflehrbüchern gelehrt wurde, war noch sehr formularartig und verlangte vom Verfasser wenig Eigenleistung bezüglich der sprachlichen Gestaltung des Briefinhalts. In den ab der Mitte des 17. Jahrhunderts publizierten Briefstellern aus der Feder eines Georg Philipp Harsdörffers, Christian Weises oder Benjamin Neukirchs zeichnete sich konzeptionell insofern eine Veränderung ab, als die darin präsentierten Briefvorlagen zunehmend als Illustration der theoretischen Ausführungen gedacht waren. Diese Entwicklung kann zweifelsohne als Zeichen des im 17. Jahrhundert einsetzenden Prozesses der Individualisierung in der deutschen Briefkultur gelesen werden.201 Die barocken Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen folgten insgesamt einem ziemlich pragmatischen Aufbau, wenn es darum ging, die sprachliche Realisierung eines guten Briefes einem bestimmten Adressatenkreis zu vermitteln. Der eigentliche Inhalt eines Schreibens dürfte dabei eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, vielmehr wollten die Briefsteller mit ihren Anweisungen zu Stil und formalen Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen, wie sich mit einem Brief beim Empfänger eine bestimmte Wirkung erzielen ließ, damit dieser denn auch den Anliegen des Briefabsenders entsprach.202
199 Neukirch, Benjamin: Anweisung zu Teutschen Briefen, Leipzig 1709 und beispielsweise Weise, Christian: Politische Nachricht von Sorgfältigen Briefen, Dresden/Leipzig 1689. Hierzu auch Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 276, 278, 282. 200 Sattler, Johann Rudolff: Werbungs-Büchlein, Basel 1633. 201 Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 283–284. 202 Vgl. Ermert, Briefsorten, S. 14–15; Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 13.
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Kritische Selbstreflexion der Briefsteller über das Erlernen der Briefschreibkunst Die Vermittlung der Briefschreibkunst endete jedoch nicht bei der Darlegung der Schreibregeln und -standards sowie der Präsentation von Briefvorlagen, sondern die Lehrbücher äußerten sich auch zu den unterschiedlichen Vermittlungsmethoden. Indem die Briefsteller ihre Benutzer optimal mit dem Handwerk des Briefschreibens vertraut machen und sie umfassend in die Materie der Epistolographie einführen wollten, hinterfragten sie nicht nur kritisch ihren eigenen Inhalt, sondern sie gaben dem Lesepublikum ebenso Tipps, wie sich das Schreiben von Briefen am Besten einüben und verfeinern ließ. Nach den Vorstellungen der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts bedurfte es einerseits einer professionellen Anleitung, wie sie von den Brieflehrbüchern vermittelt wurde, andererseits sollte sich der Benutzer im praktischen Schreiben von Briefen üben.203 Ein gutes Lehrbuch, so die dezidierte Meinung von Christian Friedrich Hunold, nachzulesen in seinem brieftheoretischen Werk Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707, zeichne sich demzufolge durch eine gleichmäßige Gewichtung von theoretischem und praktischem Teil aus, um beim Publikum »durch den Uberfluß der Brief-Muster keinen Verdruß zu erwecken; durch die Kürtze des andern aber nichts zu entziehen/ ohne dessen Beyhülffe mancher niemals eine geschickte Feder führen lernet«204. Theoretische Lehrsätze alleine, so Hunold weiter, nützten vor allem den weniger geübten und rhetorisch nicht besonders gebildeten Briefschreibern wenig, wenn sie nicht anhand von Musterbriefen sähen, wie sich die theoretischen Grundsätze praktisch in Schreiben umsetzen ließen. Aus dem Studieren von Briefvorlagen könne ein »fleißiger und nachdencklicher Leser die meiste Geschicklichkeit«205 für sich gewinnen. Das Erlernen der Briefschreibkunst über eine reflektierte Nachahmung der in den Brief-Mustersammlungen abgedruckten Vorlagen postulierte bereits der französische Brieftheoretiker Jean Puget de La Serre. In seinem Secrétaire à la Mode von 1655 hielt er dazu fest: »Pour l’apprendre il faut avoir des beaux exemples qu’on puisse imiter, & des bons preceptes qui servent de conduit«.206 Mittels der Imitation von Briefvorlagen sollte der Leser also die im Theorieteil erläuterten rhetorischen Regeln internalisieren, um sie später selbständig beim Verfassen eigener Briefe abzurufen und praktisch umzusetzen.207 Im Gegensatz zu den formularartigen Musterschreiben früherer Briefsteller sahen die Briefsteller-Autoren des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ihre dem Lesepublikum zur Verfügung gestellten Briefbeispiele mehr als eine Art »Wegweiser«, da 203 204 205 206 207
Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), Vorbericht, unpag. Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), Vorbericht, S. 1. Ebd., S. 2. La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 5. Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 283–284.
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sie ausdrücklich davon abrieten, die Vorlagen eins zu eins zu kopieren. Nach Kaspar Stieler, wie er in seinem Allzeitfertigen Secertarius von 1690 notierte, sollte sich der Briefschreiber, bevor er mit der Niederschrift seines Anliegens begann, vielmehr bewusst machen, »an wem, in wessen Namen/ mit was vor Ordnung zuschreiben? wie er anfangen/ fortfahren und schliessen müsse? was vor Beweisgründe und Worte er anzuwenden? wie jedes geschicklich und deutlich auszudrücken«208 sei. Ein jeder Schreibanlass, so Stieler weiter, verlangte außerdem vom Briefverfasser, dass bei den zur Verfügung gestellten Musterschreiben »mit Vernunft/ etwas/ bald abgenommen/ bald hinzugetahn/ bald geändert/ bald versetzet und mit andern Farben angestrichen werden«209 sollte. Die Briefvorlagen durften somit nicht einfach starr aus den Brieflehrbüchern übernommen werden. Ebenso mussten die in einem Brief gewählten Formulierungen der Qualität der Beziehung, die zwischen den Korrespondierenden herrschte, entsprechend angepasst werden, denn laut dem Allzeitfertigen Secretarius von 1690 schreibt »man anders gegen Verwante/ anders gegen Fremde/ anders gegen Woltäter/ anders gegen Feindselige«210. Um einen guten Brief zu schreiben, genügte es aber nach den Vorstellungen des Allzeitfertigen Secretrarius von 1690 bei Weitem noch nicht, bei der Nachahmung von Briefen allein auf Worte dessen/ welchem man nachahmen will/ zusehen/ wie er ein jedes Ding nennet/ wie ers beschreibet/ wie er bindet/ wie er anfänget/ fortgehet und schleusst/ und was er allendhalben vor Höf- und Zierlichkeit gebraucht; sondern auch und vielmehr auf den Jnnhalt acht zu haben/ wie er erzehlet/ beweget/ erweiset/ wiederleget/ was vor Gleichnisse/ Sprüche/ Zeugnisse er anführet/ wie er ordnet/ wie er hinderm Berge hält oder simuliret/ wie er auch durchbricht oder sinceriret/ und sein Gemüt eröffnet.211
Während die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts zweifelsohne den hohen Nutzen der Nachahmung von Briefen – sei es nun von realen Schreiben oder von solchen in den Briefstellern exemplarisch ausgewählten Briefbeispielen – beim Verfassen eigener Briefe betonte, vertrat Christian Fürchtegott Gellert zu diesem Thema eine differenziertere Meinung. In seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 äußerte er sich hinsichtlich des Erlernens der Briefschreibkunst nämlich folgendermaßen: »Wenn man endlich selbst Briefe schreiben will, so vergesse man die Exempel, um sie nicht knechtisch nachzuahmen, und folge seinem eignen Naturelle. Ein jeder hat eine gewisse Art zu denken und sich auszudrücken, die ihn von andern unterscheidet«.212
208 209 210 211 212
Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 82. Ebd., S. 77. Ebd., S. 77. Ebd., S. 77–78. Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 71–72.
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Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Gellert des Stellenwertes des Studiums hilfreicher Briefvorlagen bei der Einübung eines persönlichen Schreibstils nicht bewusst gewesen wäre. Er sah durchaus einen Nutzen in Briefvorlagen, wenn auch weniger in deutschsprachigen, von denen es seiner Meinung nach nur wenige empfehlens- und somit nachahmenswerte Beispiele gab.213 Aus diesem Grund riet Gellert seinem Lesepublikum: Man lese die Briefe in fremden Sprachen. Man übersetze sie frey in das Deutsche. Man zergliedere die besten Stücke, und sehe, in welcher Ordnung sie ungefehr aufgesetzt sind. Man merke den Hauptinhalt von dem, der uns am besten gefällt, und mache in einigen Tagen einen nach, und sehe, ob man seinem Originale gleich gekommen, oder es wohl gar noch übertroffen hat.214
Gellert verlangte also von einem Briefschreiber, dass er zwischen brauchbaren und weniger dienlichen Briefvorlagen zu unterscheiden wusste. Mit der seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen aus dem Jahr 1751 angehängten Brief-Mustersammlung bot er gleich selber Abhilfe, indem er die darin abgedruckten deutschsprachigen Vorlagen als Beispiele für den von ihm postulierten »natürlichen« Schreibstil anpries. Hierbei könnte es sich möglicherweise um eine Strategie von Christian Fürchtegott Gellert gehandelt haben, seinen brieftheoretischen Schriften als Lehrmittel eine Legitimation gegenüber den früher erschienenen Briefstellern zu verschaffen. Um seine Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen erfolgreich zu vermarkten, betonte Gellert außerdem die Exklusivität seiner im Anhang präsentierten Briefvorlagen, da er sich deren Auswahl nicht einfach gemacht habe und »aus vielen nur wenige, nur solche ausgelesen, die nach meinen Gedanken ohne die Gefahr eines Misverstandes gedruckt, ohne Mühe und Dunkelheit gelesen, und ohne ein Tagregister gewisser Hausangelegenheiten verstanden und geprüft werden könnten«215. Ferner verwies Gellert auf die Authentizität216 seiner Briefbeispiele, indem er gegenüber dem Leser versicherte, dass diese »an wirkliche Personen, und ohne alle 213 Ebd., S. 67. 214 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 183–184. Siehe hierzu auch Arto-Haumacher, Gellerts Briefpraxis und Brieflehre, S. 137–140. 215 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), Vorrede, unpag. 216 Was die Diskussion über die Authentizität der ausgewählten Briefbeispiele betrifft, so zweifelte bereits Gotthold Ephraim Lessing deren Echtheit in seiner 1751 erschienenen Rezension der Gellertschen Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen an. Heute herrscht in der Literaturwissenschaft allgemein der Konsens, dass mehrere der insgesamt 73 in die Sammlung aufgenommenen Briefe für den Druck sprachlich und stilistisch überarbeitet worden sind. Ferner ließ Gellert persönliche Bezüge und Fakten weg und verzichtete auf Grußformeln und Postskripta. Die literaturwissenschaftliche Forschung geht heute sogar davon aus, dass womöglich alle abgedruckten Briefvorlagen, auch jene, die angeblich von Frauen geschrieben wurden, aus der Feder von Gellert selbst stammen. Vgl. Witte, Christian Fürchtegott
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Absicht des Drucks«217 geschrieben worden seien. Briefe, die an reale Personen verfasst wurden, würden sich, so Gellert, gerade deshalb als Vorlagen zum Erlernen der Briefschreibkunst besonders eignen, weil sie in ihrer Art, Gedanken zu formulieren, zumeist »lebhafter, bestimmter, und eben dadurch brauchbarer« seien, als »fiktive« Musterschreiben.218 Genauso würden Briefvorlagen auch »freyer, unstudirter, und eben dadurch angenehmer werden«219, wenn sie nicht mit der Absicht der Veröffentlichung verfasst worden seien – allesamt Argumente, die auf die Vorzüge von Gellerts brieftheoretischen Ausführungen hinweisen sollten und mit denen sich Gellert deutlich von den früheren barocken Briefstellern abzugrenzen versuchte. Seit dem 17. Jahrhundert lässt sich in der Briefsteller-Literatur ein grundlegender Wandel hinsichtlich der Frage feststellen, wie das Schreiben von Briefen erlernt werden sollte und welche Funktion dabei den Musterschreiben zukam. Die BriefMustersammlungen bestanden zunehmend nicht mehr nur aus formularartigen Vorlagen, die vom Briefschreiber ohne große eigene Denkleistung kopiert und für sein persönliches Schreibproblem eingesetzt werden konnten. Das Erlernen des Briefschreibens bewegte sich infolgedessen – vor allem seit der vermehrten Aufnahme von »Privatbriefen« in die Brief-Mustersammlungen – hin zu einer freieren Imitation von Briefvorlagen. Obwohl dies ein gewisses Maß an Kreativität und Individualität für den Schreibprozess voraussetzte, darf dabei nicht vergessen werden, dass das Schreiben von Briefen weiterhin innerhalb eines vorgegebenen Rahmens stattfand, definiert durch die herrschenden gesellschaftlichen Konventionen und Normen.
2.2.2 Benimmbücher und Erziehungsschriften Die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur zeigte nicht nur auf, wie das Schreiben von Briefen korrekt eingeübt werden sollte, sondern sie ließ – wie im zweiten Teil des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 steht – auch keinen Zweifel aufkommen, inwiefern »ein wohlgesetzter teutscher Brieff heutiges Tages einem/ der sein Glück in der Welt machen will/ hoch von nöthen [sei]/ und die nachdrücklichste recommendation gebe«220. Als Kenner des »guten Tons« definierten die Brieflehrbücher ebenso, mit welchem Briefpartner über welchen Gegenstand in welcher sprachlichen Form kommuniziert
217 218 219 220
Gellert, S. 272–273, 282; Reynolds, John F. (Hg.): C. F. Gellerts Briefwechsel, 1740–1755 (Bd. 1), Berlin/New York 1983, Vorwort, S. V–X; Anton, Authentizität als Fiktion, S. 18–19 und Fußnote Nr. 25. Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), Vorrede, fol. 2v. Ebd., fol. 2v. Ebd., fol. 2v. Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), Vorbericht, unpag. Vgl. hierzu auch Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 281–282.
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werden durfte.221 Durch die Fixierung der im frühneuzeitlichen Korrespondenzwesen geltenden Normen versuchten die Briefsteller, ganz im Sinne von Norbert Elias’ Zivilisationstheorie, als eine Art »Benimmbücher« nicht zuletzt regulierend auf das Verhalten der Menschen in der brieflichen Kommunikation zu wirken.222 Die Auseinandersetzung mit relevanten Fragen zur Etikette im Briefverkehr dürfte einigen Verfassern von brieftheoretischen Regelwerken insofern nicht ganz fremd gewesen sein, als sie sich bereits anderweitig einen Namen als Autoren von Anstandstraktaten geschaffen hatten. So veröffentlichte beispielsweise Georg Philipp Harsdörffer im Jahr 1651 seinen Discurs von der Höflichkeit und 1705 legte mit Christian Friedrich Hunold ein weiterer Autor von Brieflehrbüchern mit La Civilité Moderne, Oder die Höflichkeit Der Heutigen Welt eine deutsche Übersetzung des im Jahr 1671 erstmals erschienenen und sehr einflussreichen Anstandsbuches Nouveau traité de la civilité von de Courtin auf.223 Fünf Jahre später verfasste Hunold mit dem Werk Die Manier Höflich und wohl zu Reden und zu Leben ein Komplimentier- und Anstandsbuch. Eines der Hauptanliegen der frühneuzeitlichen Briefsteller lag darin, Personen in den zeitgenössischen Briefverkehr zu integrieren, denn ging es nach dem Teutschen Secretarius von 1656, dann sollte »ein jeder seine Gedancken/ nach erheischter Begebenheit nach hier begriffene/ oder andre Weise ein Gruß- oder Handels-Brieflein verfassen lernen«, unabhängig davon, »in was Stand und Beschäfftigung er auch sein Leben zubringen möchte«.224 Doch damit nicht genug: Personen, die in der Gesellschaft sozial aufsteigen wollten, bot der Teutsche Secretarius zudem eine praktische Orientierungshilfe, da er die in der höfischen Gesellschaft geltenden Normen bezüglich der Briefetikette vermittelte und aufzeigte, wie ein Brief »nach den gewöhnlichen Hofsitten gestellet«225 werden sollte. Mit ihrer Absicht, die im Briefverkehr herrschenden Standards zu vermitteln, verfolgten die Briefsteller überdies auch ein pädagogisches Ziel.226 Innerhalb der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur finden sich neben Ausgaben, die für einen erwachsenen Rezipientenkreis geschrieben wurden, auch Werke, die sich speziell an ein jugendliches Publikum wandten, vornehmlich an Studenten und Gymnasiasten. Solche Briefsteller verknüpften die Vermittlung der Briefschreibkunst mit dem Aufzeigen möglicher beruflicher Perspektiven. Von seinem mehrbändigen Brieflehrbuch Der allzeitfertige Brieffsteller meinte August Bohse am Ende des 17. Jahrhunderts, dass er mit seiner Anleitung »nur einen angehenden Brieff-Verfasser zu unterrichten suche/
221 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 13. 222 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 9–10. 223 Hunold, Christian Friedrich: La Civilité Moderne, Oder die Höflichkeit Der Heutigen Welt, Hamburg 1705. Vgl. auch Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 12–13. 224 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Vorrede, S. 17. 225 Ebd., Teil 3, Vorrede, S. 76. 226 Vgl. Revel, Vom Nutzen der Höflichkeit, S. 174.
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nicht aber solche Leute/ die in Cantzleyen ein öffentliches Ampt bedienen«227. Für den »zukünfftige[n] Politicus«228 dagegen schrieb Christian Weise seine Curiösen Gedancken Von Deutschen Brieffen von 1691, während Christian Friedrich Hunold die Ausgabe seiner Auserlesenen neuen Briefe von 1717 der »studirenden Jugend«229 – und damit besonders seinen Studenten an der Universität Jena – widmete. Als eigentliches »Schul-Buch« bezeichnete Benjamin Neukirch zu Beginn des 18. Jahrhunderts seine Anweisung zu Teutschen Briefen, mit der er generell »unwissende und junge leute«230 erreichen wollte, die er weder berufs- noch standesspezifisch weiter definierte.231 Christian Juncker dagegen schrieb seinen Wohlunterweisenen Briefsteller von 1740 zum Nutzen »der Jugend auf Gymnasien und anderen Schulen», damit sie, bevor sie an die Universitäten gingen, »einen manierlichen und ordentlich verfaßten Brief möchten schreiben lernen«.232 Der pädagogische Grundgedanke wird in Junckers Brieflehrbuch überdies durch den dialogischen Aufbau deutlich erkennbar, d.h. im Wechselspiel von Frage und Antwort: Der Schüler, in der Rolle des Briefschreibers, stellt eine Frage, auf die der Autor, in der Funktion des Lehrers, eine passende Antwort gibt, womit das Lesepublikum zu Erkenntnissen und Einsichten geführt werden soll. Briefsteller als »weibliche« Erziehungsschriften Vor dem Hintergrund einer breit einsetzenden Debatte über die weibliche Bildung im 18. Jahrhundert gelangten Mädchen und Frauen vermehrt in den Fokus von Erziehungsschriften.233 Auch die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur hat Frauen als Leser- bzw. Schreiberinnen von Briefen seit der Wende zum 18. Jahrhundert verstärkt wahrgenommen. Die Praxis des Briefschreibens sollte dabei in erster Linie der weiblichen Verhaltensschulung dienen, die auf der Nachahmung eines über Regeln vermittelten vorbildlichen Benehmens basierte. In ihren Anweisungen zum Briefschreiben orientierten sich die Briefsteller des 18. Jahrhunderts vorwiegend an den bürgerlichen Vorstellungen vom weiblichen Bildungsideal, in dessen Zentrum weniger der Wissenserwerb stand als vielmehr die Vervollkommnung der weiblichen Wesensart: Eine Frau hatte demnach vor allem charmant zu sein und über gepflegte Umgangsformen zu verfügen. Auf den »weiblichen« Brief übertragen bedeutete dies, dass dieser für das Auge des (männlichen) Betrachters angenehm zu sein hatte, indem er in einer zierlichen Handschrift geschrieben und 227 228 229 230 231 232 233
Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), Vorrede, unpag. Weise, Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen (1691), Titelblatt. Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorrede, fol. 2v. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), Vorrede, unpag. Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 278. Juncker, Christian: Wohlunterweisener Briefsteller, Leipzig 1740, Vorwort, fol. 3–3v. Vgl. Niemeyer, »Angenehme Sittenlehrer«, S. 185–205.
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hübsch leserlich war. Inhaltlich sollte der Frauenbrief durch schöne, in einem »natürlichen« Schreibstil verfasste Gedanken gefallen, wobei hierbei hauptsächlich von männlichen Leseinteressen ausgegangen werden muss.234 In welchen Briefen sollten sich Frauen nach den Vorstellungen der barocken Briefsteller-Literatur nun besonders üben? Für Benjamin Neukirch waren dies die galanten, freundschaftlichen und verliebten Briefe, denn, so seine dezidierte Meinung in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen aus dem Jahr 1709: »Wenn ein frauenzimmer die erste schreib-art verstehet/ so kan sie sich lange aufhalten/ ehe sie mit ihrem aufwärter im ernste redet. Die freundschafftlichen [Briefe] sind nichts böses: und wenn man die verliebten an seinen bräutigam schreibet/ so sind sie ebenfalls gar wohl erlaubt.«235 Diese Aussage von Neukirch macht deutlich, dass es der frühneuzeitlichen, von Männern verfassten Briefsteller-Literatur nicht nur um die Vermittlung der Briefschreibkunst an ein weibliches Publikum ging, sondern letztlich auch um die Disziplinierung weiblichen Schreibverhaltens. Dieses Thema scheint Neukirch besonders am Herzen gelegen zu haben, denn in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen setzte er sich intensiv mit dem weiblichen Rollenverhalten im zeitgenössischen Briefverkehr auseinander.236 Das weibliche Schreibverhalten in der Frühen Neuzeit war bestimmt von der Erhaltung der Ehre und der gesellschaftlichen Integrität, denn eine Frau hatte stets besorgt zu sein, mit ihrem Verhalten keinen Anlass zu üblen Nachreden zu geben.237 Aus diesem Grund geriet im 18. Jahrhundert besonders der Briefwechsel zwischen Frauen und Männern in den Fokus briefstellerischer Disziplinierungsmaßnahmen. Neukirch warnte denn auch die Briefschreiberinnen ausdrücklich vor den »MannsPersonen«, denn diese seien »insgemein verwegen/ und haben nicht eher ruhe/ biß sie einem frauenzimmer das hertze gerühret«238. Folglich sollte eine Frau erst ab einem bestimmten Alter mit Männern in einen Briefwechsel treten, weil sie ansonsten – so Neukirchs Bedenken – »leicht hintergangen/ und durch artige worte dahin gebracht werden [könne]/ daß sie einem menschen gewogen wird/ welcher hernach entweder ihren eltern oder freunden zu wider/ oder auch ihrer selbst nicht würdig ist«239. Neukirch scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, Frauen vor den . . 234 Vgl. Schmid, Pia: Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800, in: Elke Kleinau und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchenund Frauenbildung. Vom Mittelalter bis zur Aufklärung (Bd. 1), Frankfurt a. M./New York 1996, S. 11, 337; Niemeyer, Der Brief als weibliches Bildungsmedium im 18. Jahrhundert, S. 445–448. 235 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 24. 236 Ebd., S. 22–29. 237 Ebd., S. 24. 238 Ebd., S. 23. 239 Ebd., S. 23.
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männlichen Verführungskünsten zu schützen, damit diese nicht in eine ihre Ehre kompromittierende Situation gerieten. Vor eine besonders heikle Schreibsituation sah sich eine Frau demnach beim verliebten Briefwechsel gestellt. Hinsichtlich des Schreibens solcher Liebesbriefe vertrat Neukirch die pointierte Meinung: »Ist sie verheyrathet/ so stehet es ihr ohn dem nicht an: ist sie aber unverheyrathet/ so erfordert es nicht allein ihr wohlstand/ sondern auch ihr nutz/ daß sie/ vor gehaltenem verlöbnisse/ mit keinem menschen verliebte briefe wechselt.«240 Verliebte Briefe sollten demnach Frauen nur dem Mann schreiben, dem sie bereits versprochen waren. Mit diesem Grundsatz dürfte sich Neukirch ebenfalls vor dem Vorwurf abgesichert haben, mit den in seinem Briefsteller abgedruckten Liebesbriefen Frauen zum Ehebruch zu verführen. Hinsichtlich des weiblichen Schreibverhaltens vertrat Benjamin Neukirch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts generell die Ansicht, dass Frauen ohnehin wenig mit Männern brieflich kommunizieren sollten. Taten sie es trotzdem, dann sollten sie sich in ihren Briefen möglichst kurz fassen und sich stets ihrem gesellschaftlichen Ansehen entsprechend verhalten sowie auf ihre Ehre bedacht sein.241 In welchem Rahmen die barocke Briefsteller-Literatur Frauen das Schreiben von Briefen zubilligte, lässt sich direkt daran ablesen, in welchem Maße sie Frauenbriefe als exemplarisch betrachtete und somit in ihre Brief-Mustersammlungen aufnahm. So umfangreich und mannigfaltig die in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts behandelten Schreibanlässe auch sind, Frauenbriefe machen dabei nur einen sehr geringen Anteil der abgedruckten Briefvorlagen aus. Der Frauenbrief blieb hauptsächlich auf die Abteilungen der Haus- sowie der Liebes- und Frauenzimmerbriefe beschränkt, die in den Brief-Mustersammlungen des 17. Jahrhunderts zumeist eine untergeordnete Rolle spielten, was deutlich aus dem zweiten Band der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1674 hervorgeht, der für solche Briefe den Anhang reservierte.242 Die Schreibanlässe, in denen Frauen nach den Vorstellungen der frühneuzeitlichen Brieflehrbücher aktiv zur Feder greifen durften, können in der Regel dem privaten Briefverkehr der konventionellen Höflichkeit zugezählt werden, d.h. Frauen verfassten Glückwunschschreiben zu Fest- und Geburtstagen, aber auch Kondolenzbriefe bei Todesfällen oder Einladungsschreiben zu verschiedenen Anlässen. Eine Ausnahme bilden Briefvorlagen aus dem adligen Umfeld, in denen Frauen als Absenderinnen von Briefen fungieren, denen zweifelsohne ein öffentlicher Charakter attestiert werden kann. In einem solchen Schreiben aus dem Allzeitfertigen Secretarius von 1690 dankt eine fürstliche Witwe einem kaiserlichen General, »daß derselbe ihr Land mit Einquartirung und Durchzügen [seiner Truppen] verschonet«243 hat. In ei240 Ebd., S. 23. 241 Ebd., S. 24. 242 Stieler, Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst (1674), Anhang, S. 231–299. 243 Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 633.
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ner anderen Briefvorlage, abgedruckt im Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben zu Beginn des 18. Jahrhunderts, wird die Ehefrau des vertriebenen englischen Königs Jakob II. nach ihrer Ankunft in Calais beim französischen König vorstellig, indem ihnen der Printz von Wallis von mir wird anvertrauet/ welcher alle dasjenige ist/ so ich in der Welt am liebsten habe. Zwar ist dieser Printz noch gar zu jung/ mit mir alle die Erkenntlichkeit zu theilen/ zu welcher mir wegen des Schutzes/ damit ich mir schmeicheln darff/ verpflichtet sind. Allein solche Reconnoissance ist in dem Hertzen der Mutter desto stärcker eingepräget/ als welche mitten in ihrem Unglücke sich daraus eine Vergnügung machet/ unter den Schatten der Lorber-Zweige eines Fürsten zu leben/ welches alles übertifft/ was iemals auf der Welt das Grösseste und das Fürtrefflichste gewesen etc.244
Die Initiative für einen Briefwechsel in einer offiziellen Angelegenheit ergriffen diese beiden Frauen aus einer Notsituation heraus. Da kein (Ehe-)Mann zur Verfügung stand, der diese Aufgabe übernehmen konnte, war es an den Frauen, auch in geschäftlichen oder politischen Angelegenheiten zu korrespondieren. In einer solchen Notlage befand sich demnach auch eine bürgerliche Witwe, die in ihrem, an einen Kaufmann adressierten Brief den Wunsch äußerte, »daß sich fremde Leute hierinnen meiner annehmen und mir unter die Armen greiffen wolten«245. Als verwitete Frau fiele es ihr schwer, ihre fünf Kinder alleine zu versorgen, weshalb sie – wie es im Brief aus dem dritten Band des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 weiter heißt – »ihren Sohn von 14 Jahren/ welchen ich bißhero fleißig zum Rechnen und Schreiben gehalten und gerne auff die Handlung numehro bringen möchte«246. Ebenfalls toleriert wurde von den zeitgenössischen Briefstellern das aktive Schreiben von Briefen durch Frauen, wenn diese von Männern umworben wurden und es die Höflichkeit verlangte, dass sie ein Antwortschreiben verfassten. In welch delikater Lage sich eine Frau dabei befinden konnte, verdeutlicht folgende Passage aus einer im Briefsteller Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben von 1717 abgedruckten Briefvorlage: Ob ich schon sonsten von Manns-Personen/ keine Briefe anzunehmen/ noch weniger darauf zu antworten pflege: so mus ich gleichwol gestehen/ daß der Jhrige mir nicht nur sehr lieb gewesen: sondern ich bezeuge anbey durch gegenwärtige Zeilen/ wie Jhnen vor den Jnhalt/ oder vielmehr vor Jhr gütiges und höfliches Anerbieten/ Danck zu sagen schuldig bin.247
244 245 246 247
Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 528–529. Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil (1695), S. 5. Ebd., S. 5. Rost, Johann Leonhard: Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben, Nürnberg 1717, S. 216.
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Im Hinblick auf ihren guten Ruf und die Unversehrtheit ihrer Ehre sah sich die Frau hier in der Rolle als Briefschreiberin gezwungen, ihr Antwortschreiben zu rechtfertigen. Die große Mehrheit der in den frühneuzeitlichen Brief-Mustersammlungen abgedruckten weiblichen Schreiben verwies die briefschreiberischen Aktivitäten von Frauen ohnehin auf das Verfassen von Antwortschreiben. Gegen dieses, von männlichen Brieftheoretikern als adäquat angesehenes weibliches Rollenverhalten im Briefverkehr scheint sich in der Praxis am Ende des 17. Jahrhunderts von weiblicher Seite Widerstand formiert zu haben. Dieser Schluss lässt zumindest folgender Ausschnitt aus einer Briefvorlage aus dem Allzeitfertigen Secretarius von 1690 vermuten: Vorzeiten wurden die Jungfern um Schreiben ersucht/ und warteten/ biß die Reihe zu antworten an sie kame/ jetzo aber kehret sich der Briefhandel/ wie sonst alles andere in der Welt um/ zumal/ wenn sie sehen/ daß man ihrer vergessen möchte/ wenn sie sich länger unangemeldet liessen.248
Wenn Frauen nun schon Briefe schreiben wollten und sich diese Entwicklung kaum mehr aufhalten ließ, so müssen sich die Briefsteller-Autoren gedacht haben, dann musste ihnen zumindest der Rahmen aufzeigt werden, in welchem ihnen das Schreiben von Briefen aus der Sicht der Männer erlaubt wurde. Das weibliche Briefschreiben sollte nach den Vorstellungen der Brieflehrbücher des 17. und frühen 18. Jahrhunderts vorwiegend auf den privaten Briefverkehr beschränkt bleiben. In offiziellen Angelegenheiten sollten Frauen weiterhin nur zur Feder greifen, wenn es die Umstände verlangten.
2.2.3 Unterhaltungsliteratur Die Beliebtheit der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur dürfte aber nicht allein auf die Vermittlung der in der zeitgenössischen Schreibpraxis geltenden Regeln und Normen zurückzuführen sein, sondern auch auf den Informations- resp. Unterhaltungswert, von dem einzelne Briefvorlagen ein besonderes Zeugnis ablegen. Die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts gibt also nicht nur den Blick auf die frühneuzeitliche Schreibpraxis frei, sondern anhand der ausgewählten Briefbeispiele lassen sich ebenso Aussagen zur gängigen Lesepraxis machen. Bei der Durchsicht der umfangreichen Brief-Mustersammlungen barocker Briefsteller nach inhaltlichen Schreibanlässen fällt nämlich auf, dass zwischen all den größtenteils alltäglichen Briefverkehr mittlerer und höherer sozialer Gesellschaftsschichten abbildenden und vielfach sehr stereotyp wirkenden Vorlagen wie Kondolenz-, Einladungs- oder Glückwunschbriefe immer wieder auch Beispiele Aufnahme in die Brief-Mustersammlungen fanden, die einen großen Unterhaltungswert besitzen. Solche Briefvorlagen sind nicht nur aus heutiger Sicht spannend zu lesen, sondern das 248 Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 521.
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eine oder andere Schreiben dürfte auch bei den Zeitgenossen ein Schmunzeln ausgelöst haben. In den Sekretariatsbüchern des 17. Jahrhunderts finden sich Briefbeispiele, die über einen ausgeprägten Informationscharakter verfügen. Ein solches Schreiben aus dem Hochteutschen Secretarius von 1694 berichtet – wie es in der Überschrift heißt – vom »erbärmlichen Verlauff des entsetzlichen Erdbebens/ so A. 1693 den 9. 10. und 11. Jenner/ im gantzen Königreich Sicilien mit Verheerung vieler Städt/ Gebäu und Menschen vorgegangen«249 ist. Laut dem Briefverfasser soll dabei die Stadt Augusta derart schwer vom Erdbeben getroffen worden sein, dass sie samt vielen 100 Einwohnern unter Seuffzen und Wehklagen umbgestürzet und versunken/ so daß man fast nicht mehr eine einige Spuhr und Plaz erblicken kan/ auf welchem der Ort geruhet/ sondern an dessen Stelle das Meer eingedrungen und sich ausgebreitet; die dabey gestandene Vestung/ […] bliebe doch nicht vom Verderben gesichert/ gestalten selbige […] theils zerschmettert/ theis [!] aber mit 400 Tonnen Pulver/ samt aller Artillerie verbrannt/ […] wobey dann die von der Macht des Pulvers auseinander gesprengte Steine eine im Port gelegne Galeere beschädigten/ dardurch etliche Malteser Ritter gar das Leben lassen musten.250
Dieses Schreiben vermittelt dem Leser ein eindrückliches Bild von den Schäden, die das starke Erdbeben an der Stadt hinterließ und lässt ihn zugleich erahnen, welches menschliche Leid dieses Ereignis ausgelöst haben muss. Wesentlich häufiger als Naturkatastrophen haben die frühneuzeitlichen Briefvorlagen kriegerische Ereignisse zum Inhalt. Sie berichten von Kriegszügen, von Belagerungen von Städten, von marodierenden Soldaten und Plünderungen ganzer Landstriche. Ein solches Berichtschreiben an »Jhre Käiserliche Majestät« aus dem Jahr 1689, abgedruckt im Vielvemehrten und vollkommenen Hurtigen Briefsteller von 1695, erzählt von den schrecklichen Gräueltaten, welche die französischen Truppen an der Zivilbevölkerung in den churpfälzischen Gebieten verübt haben sollen. Diese bestanden darin, daß die Französische Wüteriche/ nachdeme sie kurz vorhero in einer grossen Anzahl der schönsten Flecken/ und Graffschaften um Heidelberg auf alle Weise tyrannisiret/ selbige alsdann ausgeplündert/ und so fort abgebrannt/ sie hernach ihre abscheuliche Grausamkeit auch Disseits des Neckars/ […] und zwar insonderheit in einem schönen Flecken/ Handschuchsheim genannt/ […] barbarisch forgesetzet; Gestalten nicht weniger/ […] gedachte Tyrannen in diesen und noch andern meinen Städtlein und Dorffschafften/ ehe sie selbige eingeäschert/ mit den jungen Mägdlein und Weibern auf freyen Straffen/ in Gegenwart der wehklagenden Eltern und Ehemännern/ mit gewaltthätiger Bestialität bis auf den Tod verfahren; Ja was das allercrudelste/ den
249 Hohenegg, Der Hochteutsche Secretarius (1694), S. 631. 250 Ebd., S. 632.
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schwangern Weibern gar/ als sie zuvor ihre Viehische Geilheit an ihnen verübet/ die Leiber aufgeschnitten/ und die unschuldige Frucht heraus gerissen.251
In dieser Briefpassage tritt die ganze Brutalität des Krieges zum Vorschein, unter der nur allzu oft die Zivilbevölkerung am meisten zu leiden hat. Um einen Krieg zu beenden, braucht es diplomatisches Geschick. Georg Philipp Harsdörffer, der als diplomatischer Gesandter selber an den Verhandlungen zur Beendigung des 30-jährigen Krieges teilnahm, stellte in seinem Teutschen Secretarius von 1656 eigens ein Kapitel mit diplomatischen Briefabschriften zusammen, die »Meistentheils den Verlauff deß letzten Kriegswesens und darauf erfolgter Friedenshandlung« dokumentieren.252 Die Briefvorlagen in den Sekretariatsbüchern thematisieren aber nicht nur negative Begebenheiten, sondern sie beschreiben ebenso freudige Ereignisse wie beispielsweise die Krönungszeremonie von Jakob II. am 23. April 1685 zum König von England, Schottland und Irland, nachzulesen im Vielvermehrten und vollkommenen Hurtigen Briefsteller aus dem Jahr 1695.253 Eine Vorstellung davon, welche exotischen Köstlichkeiten anlässlich solcher adligen Festlichkeiten serviert wurden und mit welchem Prunk der Adel seine Feste feierte, gewinnen wir aus folgendem Ausschnitt einer Briefvorlage aus der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673: Die allerselzamste Speisen von Frankreich und Welschland sahe man aldar zusammen gesamlet […]. Die Vielfältigkeit der Speisen/ so in großen vergüldetem Silber aufgetragen worden/ benahmen den Augen/ durch ihre Neulichkeit/ den beglaubten Beyfall/ daß/ was sie sahen/ sie allein zu träumen vermeyneten: Die Fische und das Fleisch hatten ein ganz anders Aussehen/ und wie jene in einem Kandisierten Meer schwummen/ also stunde dieses mit einem Zitronen- und Pomeranzen Walde ümschattet. Die Schauessen von dem wolriechensten Zucker auf das künstlichste zugerichtet/ erweckten durch ihre Menge einen Ekel/ gleich wie sie das Auge und den Mund zur Lust des Genießes anreizeten. Des Lukullen kostbare Tafeln haben einen größern Nahmen/ unmüglich aber eine gleiche Pracht gehabt. Der weiße und rohte Wein wurde in dem reinesten Venedischen Glase/ welche sämtlich in güldene Füße eingefaßet und mit den herrlichsten Sinnbildern ausgeschnitten/ aufgetragen.254
Gerade in solchen Beschreibungen dürfte der Anreiz der Leserschaft der »Bibliothèque Bleue« bestanden haben, zeitgenössische Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen zu kaufen. Den Lesern aus einfachen sozialen Schichten tat sich in den Briefvorlagen eine für sie fremde Welt auf, die fern von ihrem Alltag existierte und deren Prunk und Luxus ihnen verwehrt bleiben sollte. 251 Brauser, Wolffgang: Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller, Nürnberg 1695, S. 465. 252 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 4, S. 163–362. 253 In der Überschrift der Briefvorlage ist als Krönungsdatum fälschlicherweise der 23. April 1684 angegeben. Dazu Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695), S. 577–590. 254 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 3, S. 581.
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Ferner entführten Reisebeschreibungen, ein weiteres beliebtes Motiv in den BriefMustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, die Leser in fremde Länder und Städte. Während im 17. Jahrhundert vornehmlich Personen aus dem adligen Umfeld als Kulturvermittler in Erscheinung treten, sind es in den Briefstellern des 18. Jahrhunderts vor allem Angehörige des Bürgertums, die in den Briefvorlagen ihre Reiseunternehmungen schildern. Getreu dem Motto »Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen« berichten die Briefverfasser den Daheimgebliebenen – und hier im speziellen Fall dem Lesepublikum der Briefsteller – von ihren Abenteuern, von fremden Ländern und Städten, die sie besucht haben, und von den Menschen, die sie auf ihren Reisen getroffen haben. Im Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 kann dazu folgende Passage über das frühneuzeitliche Wien nachgelesen werden: Endlich/ da wir in Wien angekommen/ ist mir solches wegen seiner überaus grossen Menge der Einwohner und des sich daselbst befindlichen Volcks eine Versammlung einer kleinen Welt geschienen: Der Grafen und Fürsten siehet man hier mehr als bey uns Edelleute/ und wer curieus ist/ die mannigfaltigen Trachten der Münche und Pfaffen zu observiren/ der kan hier genug aufzuschreiben finden.255
Beschreibungen der ortsansässigen Bevölkerung stellen denn auch in anderen, in den barocken Brief-Mustersammlungen abgedruckten Berichtschreiben über Aufenthalte fern der Heimat ein häufig wiederkehrendes Moment dar. In solchen Musterschreiben hielten sich die Verfasser auch nicht mit Kritik an der einheimischen Bevölkerung zurück, wie folgende Beschreibung einer nicht näher genannten französischen Stadt und deren Bewohnern aus der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707 verdeutlicht: Denn ob ich zwar nicht läugnen kan/ daß ich in Franckreich manch gutes Divertissement gehabt; so war es doch hergegen desto schlimmer/ als ich auf meiner Retour zwey Monat in N. verweilen muste. Die kurtze Zeit deuchte mir länger als ein Jahr; die Ursache aber war/ daß mir diese Stadt nicht anders als die verkehrte Welt schiene. An statt/ daß die Leute anderwerts civil und complaisant gegen Fremde sind/ so findet man sie hier von den gröbsten Schrot und Korn; und wenn man die ärgsten WaldBauren in gute Kleider wirfft/ sollen sie denen in N. in allen vollkommen ähnlich sehn. Ja was das schlimste war/ so muste mein Beutel sich wacker auffthun; und ich konnte doch weder gute Bedienung/ noch ein delicat Gericht dafür haben. Das eintzige ist hier zu loben/ daß man ein gut Glaß Wein kan haben/ und seine Hitze bey den guthertzigen Frauenzimmer in der Noth mit leichterer Mühe als droben darff kühlen. Denn wer da ohne Ceremonien von einer auffrichtigen Dreußdigkeit ist/ wird die Thür zu ihrer Affection leicht finden; hingegen darf man sich von ihnen mit keiner galanten Conduite schmeicheln.256
255 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 275. 256 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 370–371.
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Trotz des schlechten Eindrucks, den der Ort und seine Bewohner beim Briefverfasser hinterließen, blieb dem Schreiber zumindest ein Teil der Bevölkerung, nämlich die »gutherzigen« Frauen, positiv in Erinnerung. Die fremden »Frauenzimmer« scheinen es auch anderen männlichen Briefschreibern angetan zu haben, indem diese angesichts der angetroffenen weiblichen Vorzüge richtiggehend ins Schwärmen kamen. So auch ein Student, der einem Freund über seinen Aufenthalt in der Universitätsstadt Leipzig berichtete und dabei folgende Frage an den Briefempfänger stellte: Allein der beste Unterscheid zwischen hier und den verrosten N. ist/ was denn? das charmante Frauenzimmer. Monsieur stellen sich nur vor den Augen ihres Gemüths die artigsten von Person und Wesen vor/ so haben sie ihr Portrait; und wie ich aus einer nur kurtzen Conversation und auffrichtigen Bericht guter Freunde verstanden/ so ist der Esprit bey selbigen so wohl als die äusserliche Gestalt unvergleichlich.257
Die Vorzüge des fremden »Frauenzimmers« gegenüber den Frauen aus der Heimat sahen die Briefschreiber vor allem in deren Esprit, Schönheit und einer besonderen Art von Offenheit. Es ist also das Fremdartige, das Exotische, das einen faszinierenden Reiz auf die Betrachter ausübte. Ob die männlichen Korrespondierenden solche beschriebenen weiblichen Qualitäten auch bei ihren Geliebten und Ehefrauen toleriert hätten, muss an dieser Stelle ernsthaft in Frage gestellt werden. Ebenso sei hier die Frage erlaubt, wie solche Äußerungen wohl auf die weiblichen, »einheimischen« Leserinnen der Briefsteller wirkten. Die hier ausgewählten Briefpassagen machen deutlich, dass der Wert solcher Briefvorlagen wohl weniger auf in der Praxis anwendbaren Schreiben beruhte als vielmehr auf Informations- und Wissensvermittlung sowie Unterhaltung.258 Der Leser erfährt von Naturkatastrophen, von kriegerischen Auseinandersetzungen oder er gewinnt einen ersten Eindruck von den Sitten und Bewohnern fremder Länder und Städte. Briefvorlagen mit »exotischeren« Inhalten sorgen somit für ein besonderes Leseerlebnis. Auch wenn Briefsteller tendenziell dem Bereich der so genannten »Gebrauchsliteratur« zugerechnet werden müssen, schließt dies nicht per se aus, dass sich in den Brief-Mustersammlungen zwischen all den pragmatischen, vorwiegend dem offiziellen Briefverkehr259 angehörenden Vorlagen nicht ebenso effektvoll stilisierte Briefbei257 Ebd., S. 361–362. 258 Briefe dienten von alters her als Trägermedium von Informationen. In der Frühen Neuzeit sind Briefe – u.a. von Postmeistern – zunehmend abgeschrieben und deren Inhalte weiter verbreitet worden. Aus solchen Briefnachrichten entstand der Vorläufer der heutigen Zeitung. Vgl. Bollinger, Ernst: Pressegeschichte I (1500–1800). Das Zeitalter der allmächtigen Zensur, 2. Aufl., Freiburg 1999, S. 1–7. 259 Dass auch offizielle Schreiben einen Unterhaltungswert haben können, beweist Walter Kosar mit seiner realsatirischen Briefsammlung »Blöde Briefe an gscheite Leut«. Darin gibt er eine Auswahl seiner nicht ganz ernst gemeinten Anfragen an verschiedene staatliche, wirtschaftliche oder auch kulturelle Institutionen und deren Beantwortung zum Besten. Siehe Kosilo (Walter Kosar): Blöde Briefe an gscheite Leut. Realsatirische Briefliteratur, 2., erw. Aufl., Wien 2002.
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spiele finden lassen. Ästhetische Gesichtspunkte hinsichtlich des Sprachstils und des Briefaufbaus waren nämlich auch den Brieflehrbüchern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts wichtig, insbesondere bei den »Privatbriefen«, die – ganz im Sinn von Horst Belke – als »literarisierte Gebrauchsformen«260 bezeichnet werden können.261 Einen besonders ästhetisch-literarischen Charakter weisen in der BriefstellerLiteratur vor allem die zwischen Frauen und Männern gewechselten galanten und verliebten Briefe aus. Meistens lassen bereits die pointierten Briefüberschriften keinen Zweifel entstehen, dass es sich nachfolgend um eine amüsante Geschichte handeln muss, wenn es in der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707 heißt: »An eine Schöne/ die sich wegen ihrer braunen Farbe beklagte«262 oder auch »An eine Schöne/ wegen eines entraubten Kusses«263. Der Unterhaltungscharakter der literarischen Briefbeispiele wird zusätzlich durch eine gezielte Anordnung von Brief und Antwortbrief, die in sich eine geschlossene Erzähleinheit bilden, betont.264 Von einer solch amüsanten Geschichte handelt etwa folgender Scherzbrief mit der Überschrift »Eines Frauenzimmers an einen guten Freund/ wegen eines närrischen Courtisans, der im Vorbeyreiten vom Pferde gefallen« aus der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707: Was meynet ihr wohl von dem schönen Ritter/ der gestern eine so gute Parade vor meinen Fenster machte? Jch glaube/ ihr habt noch nicht auffgehöret zu lachen/ und ich muß selbst gestehen/ daß ich Zeit meines Lebens keinen poßirlichern Auffzug gesehen. […] das chamerirte Kleid hatte er umgewendet angezogen/ damit es von dem Regen nicht möchte naß werden/ und diese Sparsamkeit dörffte ihn bey mir in guten Credit setzen/ weil es scheinet/ daß er einen vorsichtigen Haus-Vater abgiebet/ da hingegen andere mit so schönen Sachen unrathsam umgehen: Noch mehr die Unerfahrenheit im Reiten/ denn wie viel verthun ihr Geld liederlich in öfftern SpatzierReiten/ wenn sie ein wenig gut zu Pferde sitzen/ da sich inzwischen Monsieur K. davor hinfüro/ wie ein Kind vor dem Feuer/ fürchten wird/ wenn es sich einmal verbrannt/ und schwerlich wieder auf einen so muthigen Hengst kommen dürffte. Das sind nun so hübsche Qualitäten/ die einen billig zur Gegenliebe sollten bewegen. Doch weil ich weiß/ daß ihr iederzeit in wichtigen Angelegenheiten mein treuer Freund gewesen/ so will ich auch vor dißmal nichts ohne euren Rath vornehmen/ zumalen das Heyrathen eine schwere Sache an sich selbsten ist. Säumet deßwegen nicht/ mir eure Meynung zu entdecken/ oder die Curiosität möchte mich so weit treiben/ daß ich in Ermangelung eines Pferdes mich auf meine Fidele setzete/ und alsdenn vor euer Logis galloppirte. Denn da hätte ich mich keines harten Falles zu besorgen/ wenn mich der kleine Schelm herunter schmisse/ und dürffte auch keine 8. Gr. Miet-Geld wie mein
260 261 262 263 264
Belke, Horst: Literarische Gebrauchsformen, Düsseldorf 1973, S. 8. Vgl. Nickisch, Brief, S. 96–97. Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 483. Ebd. S. 485. Vgl. Anton, Authentizität als Fiktion, S. 13–14.
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Liebster geben; ja ich wollte/ um noch kärger als er zu seyn/ von meinen Mädgen ein Kleid borgen/ damit das meine nicht besudelt würde. Nun ihr meldet einen noch lächerlichen Possen zu vermeiden bald antworten.265
Auf dieses Schreiben ist im Briefsteller von Christian Friedrich Hunold umgehend die Antwort des Briefpartners abgedruckt: Wie unerkänntlich seyd ihr doch/ daß ihr einen Menschen/ der euch so viel zu Gefallen that/ noch so höhnisch herum nehmet. Der gute Monsieur N. verdienet wohl eher eine Condolenz, weil er wegen des gestrigen tieffen Reverenz bey den Barbier seine Nase curiren lässet/ und noch darzu die schlimme Betröstung bekömmet/ sie dürffte noch weit grösser als zuvor werden. Ja über dieses so hat er einen silbernen Knopff von dem schönen chamerirten Rock verlohren/ und die Dressen daran sehen auf einer Seiten gantz unsauber/ daß das Kleid also halb alt ist. Sollte er nun nicht Bedauerns werth seyn/ zumal von euch/ als der es alles zu Liebe geschehen? erweget/ daß ihr eine Ursacherin so wohl seines Unglücks/ als auch seiner äussersten Passion seyd; denn wo ihr ihn in neulicher Compagnie nicht so viel Feuer aus euren Augen zugeschicket/ wäre sein Verstand nicht so sehr verzehret worden; allein so hat ihn eine so starcke Gluth das Gehirn dermassen verbrannt/ daß er in eine solche Confusion vor euren Fenster gerathen. […] Denn was das ungereimte Compliment mit dem Kopff in Koth anbetrifft/ so habe ich mir vor gewiß sagen lassen/ daß sie in den Ritter-Orden der Narren/ worinnen er eine gute Zeit gewesen/ keine andere Lectiones machen. Habet also ein schuldiges Mitleiden mit ihm […]. Er ist doch galant im Auffzuge/ und wo ihr ja eine Thorheit an ihn weiter verspühret/ kan ihn ein wenig Niese-Wurtzel bald wieder zurechte bringen. Jch lebe nun der gäntzlichen Hoffnung/ ihr werdet/ […] die Heyrath mit ihm nicht ausschlagen/ doch weil ich gerne noch was in Voraus von euch hätte/ so erlaubet/ daß ich solches auf euren Garten-Hause um zwey Uhr empfange/ denn daselbst wird zu Vermeidung eines Schadens zu Fusse kommen.266
Gemessen am Unterhaltungswert, den diese und andere Briefvorlagen vorweisen, können Briefsteller durchaus als mögliche Vorläufer der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sich etablierenden Briefromane gelesen werden.267 Eine konkrete Verbindung zwischen Briefsteller und Briefroman stellte erstmals der 1740 von Samuel Richardson unter dem Titel Pamela or Virtue Rewarded. In a Series of Familiar Letters from a Beautiful Young Damsel to Her Parents veröffentlichte Briefroman her, der ursprünglich als Briefsteller konzipiert worden war.268
265 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 502–503. 266 Ebd., S. 503–505. 267 Vgl. Faulstich, Werner (Hg.): Grundwissen Medien, 2., verb. Aufl., München 1995, S. 114– 115. 268 Witte, Bernd: Die Individualität des Autors. Gellerts Briefsteller als Roman eines Schreibenden, in: Bernd Witte (Hg.): »Ein Lehrer der ganzen Nation«. Leben und Werk Christian Fürchtegott Gellerts, München 1990, S. 86.
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Briefschreiben als kulturelle Praxis
Dieses Konzept sieht Bernd Witte in besonderem Maße von Christian Fürchtegott Gellert in der seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 angefügten Brief-Mustersammlung übernommen, da deren Vorlagen inhaltlich keine konkreten lebenspraktischen Situationen thematisieren und sich deswegen auch nicht auf alltägliche Schreibprobleme anwenden lassen.269 Die Gellertschen Briefbeispiele erzählen vielmehr einzelne Episoden aus dem Leben des Autors, wie beispielsweise von einer Kutschenfahrt und der anschließenden turbulenten Übernachtung in einer Schenke, die er einer ihm nahe stehenden Dame sehr dramatisch schilderte: Der Wirth von der Schenke war mit seiner Frau auf eine Hochzeit gereiset, und hatte die Herrschaft seinem Sohne, einem Lümmel von funfzehn Jahren, überlassen. Sie können leicht denken, daß nichts zu essen da war […]. Der Hunger vergieng mir, so bald ich in die Stube trat. Jch wünschte mir nichts, als gut Wasser. Man brachte mir ein Glas, und in dem Glase zugleich alle Gattungen von Gewürme […]. Jch war krank, und konnte nicht länger aufdauern. Kaum hatte ich mich auf das Stroh geworfen […] als man die Tische aus der Stube schaffte. Hierüber wurden alle die jungen Hüner, Gänse, Schweine, und was zeither unter dem Ofen geschlafen hatte, lebendig, und besuchten mich […] auf meinem Lager. Gleich darauf kamen vier bis fünf Mägde mit Körben, und schütteten Hopfen in die Stube. […] Ach Madam, wie ward mir bey dieser Anstalt zu Muthe! bis um zwölf Uhr mußte ich das Lärmen und den Witz einer Stube voll verliebter Knechte und Mägde anhören. […] itzt nahm der junge Wirth seine Geige von der Wand, und spielte sein Leibstückchen. Der Großknecht nahm die Großmagd bey der Hand, und eröffnete den Ball. Jch hätte vor Staub ersticken müssen, wenn ich länger liegen geblieben wäre. Jch bath des Wirths Tochter […], daß sie mir eine Kammer einräumen sollte. […] Jch warf mich auf das Bette, von dem Hopfengeruche, und dem Staube, und der Musik ganz betrunken. Ehe ich so glücklich war, ein Auge zuzuthun, liefen ein paar Mäuse schrecklich über mich weg. Jch, der ich vor diesen Thieren natürlicher Weise zittere, sprang aus meinem Bette, setzte einen Stuhl auf den Tisch, und mich auf den Stuhl, und so blieb ich sitzen, bis ich hörte, daß der Fuhrmann die Pferde fütterte.270
Im Mittelpunkt dieser Briefvorlage steht ganz eindeutig Gellert als schreibende Person, die dem Briefempfänger seine Erlebnisse schildert. Bernd Witte sieht die Gellertsche Brief-Mustersammlung der Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen folglich als ein in sich geschlossener, zusammenhängender Text, der als Ausdruck eines Individuums, in diesem Fall des Autors selbst, gelesen werden müsse. Die einzelnen Schreiben, so Witte weiter, würden in ihrer Gesamtheit zu einem »Roman des Schreibenden Ich«271 verschmelzen. In Anlehnung an Samuel Richardsons Briefroman »Pamela« schlägt er als Titel für Gellerts Brief-Mustersammlung »The Poet as 269 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 123–304. 270 Ebd., S. 131–134. 271 Witte, Die Individualität des Autors, S. 87.
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Heroe. In a Series of Familiar Letters from a Famous Young Author to His Friends« vor.272
2.3 Die Briefsteller-Literatur und ihr Adressatenkreis 2.3.1 Wandel des potenziellen Zielpublikums Die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts zeigt ein sehr differenziertes Bild, wobei die aufgrund eines ersten Eindrucks gewonnene Annahme, dass so gennante Briefsteller ausschließlich dem Erlernen der Briefschreibkunst dienten, zu kurz greift. Gerade mit ihren Brief-Mustersammlungen verfügten die Brieflehrbücher über einen gewissen Informations- und Unterhaltungswert. Die Auswahl und Gewichtung des Inhalts dürfte maßgeblich vom Absatzmarkt bestimmt gewesen sein, denn als publizistische Werke unterlagen die Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen den Gesetzmäßigkeiten des frühneuzeitlichen Marktes.273 Um ihre Bücher absetzen zu können, waren die Autoren bemüht, jene Informationen bereitzustellen, die für eine potenzielle Kundschaft von Nutzen sein konnten. Hierbei stellt sich die Frage nach dem intendierten Zielpublikum, welches die BriefstellerAutoren mit ihren Werken erreichen wollten. Ferner ist auch die Frage nach dem weiblichen Rollenverständnis, d.h. inwiefern ein weibliches Lesepublikum in solchen Briefstellern angesprochen, »mitgedacht« oder explizit ausgeschlossen wurde, von besonderem Interesse. Mit den Hoch deutschen Kanzeley-Briflein, dem Teutschen Secretarius oder der Teutschen Sekretariat-Kunst erschienen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein Briefsteller, die sich inhaltlich nach wie vor am juristisch bzw. verwaltungstechnisch geprägten Briefverkehr von Kanzleibeamten, Sekretären und Notaren orientierten.274 Solche so genannten Sekretariatsbücher wollten wie die Teutsche Sekretariat-Kunst von 1673/74 in erster Linie »Allen Sekretarien/ Gelehrten/ Schreibern/ ja so gar neu angehenden Rähten/ Amtleuten/ Richtern/ und ins gemein allen andern Herren-Bedienten/ und denen/ so mit der Feder umgehen/ höchstnöhtig und vorträglich«275 sein. 272 Ebd., S. 86. 273 Vgl. Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 696. 274 Butschky, Hoch deutsche Kanzeley-Briflein (1652), Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673/74). 275 Stieler, Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst (1674), Titelblatt. Mit seiner Teutschen Sekretariat-Kunst verfolgte Kaspar Stieler außerdem die Absicht, etwas gegen das angeschlagene Image des Sekretärstands zu unternehmen. Es war ihm nämlich ein Dorn im Auge, »daß man sie [die Sekretäre] nur vor halbgelehrte/ faule Brüder/ und nichts Wisser schätzet/ so ihren Kunstfleiß auf den hohen Schulen nicht zu Ende zu bringen
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Briefschreiben als kulturelle Praxis
Bei den Sekretariatsbüchern haben wir es also primär mit berufsbildenden Schriften zu tun, die den Beamten in staatlichen und städtischen Diensten bei ihren täglichen Schreibaufgaben nützlich sein wollten.276 Die Brief-Mustersammlungen der Sekretariatsbücher blieben aber nicht nur auf Vorlagen aus dem öffentlichen Korrespondenzwesen beschränkt, sondern sie enthalten ebenso Musterschreiben für Anlässe, die dem privaten Lebensbereich zugerechnet werden können wie etwa Gratulationsbriefe zu Hochzeiten oder Einladungsschreiben zu Tauffeiern. Georg Philipp Hardsdörffer füllte seinen Teutschen Secretarius von 1656 außerdem mit allgemein Wissenswertem zur deutschen Orthographie oder zur Buchhaltung an, mit Tafeln zur Deutung von Handzeichen oder mit vielen nützlichen Formularien wie etwa »Bey unterschiedenen Begebenheiten Vorträge zu thun«.277 Mit der Erweiterung des Inhalts dürfte Harsdörffer wohl das Ziel verfolgt haben, sein Brieflehrbuch für potenzielle Briefschreiber außerhalb der Kanzleien interessant zu machen, um so den Rezipientenkreis seines Werkes und damit den Absatzmarkt zu vergrößern. Als ehemaliger Kanzleibeamter dürfte Harsdörffer sich durchaus bewusst gewesen sein, dass die primär von Sekretariatsbüchern angesprochenen professionellen Schreiber kaum solcher Lehrbücher bedurften, sollten sie doch durch ihre tägliche Arbeit in den fürstlichen und städtischen Schreibstuben mit der Briefabfassung nach dem zeitgenössischen Briefprotokoll bestens vertraut sein.278 Solche Schriften konnten professionellen Schreiben höchstens als Gedächtnisstützen sehr nützlich sein. Die Anpassung des Briefstellerinhalts könnte aber auch eine direkte Reaktion auf ein bereits bestehendes gesellschaftliches Bedürfnis nach solchen Brieflehrbüchern gewesen sein, weshalb Harsdörffer seinen Teutschen Secretarius von 1656 für eine wachsende Käuferschicht aus dem bürgerlichen Umfeld optimierte. Zum erweiterten Rezipientenkreis solcher Sekretariatsbücher können in erster Linie Personen aus der Nobilität sowie Angehörige aus dem Bürgertum, insbesondere reiche Kaufleute, aber auch Gelehrte, gezählt werden. Die Teutsche Sekretariat-Kunst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lässt überdies bereits erste Bestrebungen erkennen, die in Richtung einer Öffnung des Adressatenkreises hin zu Angehörigen aus den unterbürgerlichen Schichten zielten. Ihr titularisches Verzeichnis führt dazu neben den erwarteten Anreden der gehobeneren Gesellschaftsschichten ebenso Anreden von Handwerkern und Bauern auf.279
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gewust/ und dahero solchen mittelmäßigen Dienst erwehlen müßen«. Stielers Sekretariatsbuch versuchte dieses Bild zu korrigieren, indem es dem Leser eine möglichst umfassende Vorstellung von den mannigfaltigen Aufgabenbereichen eines Sekretärs und den dazu vorausgesetzten Fähigkeiten vermitteln wollte. Dazu Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Vorspann, unpag. Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 98; Brüggemann, Vom Herzen direkt in die Feder, S. 49. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656). Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 4. Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 421.
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Auf die Sekretariatsbücher folgten am Ende des 17. Jahrhunderts vermehrt deutschsprachige Brieflehrbücher, die, wie aus dem Untertitel des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1692 hervorgeht, eine ausführliche Anleitung versprachen, wie ein Brief »so wohl an hohe Standes-Personen/ als an Cavalliere/ Patronen/ gute Freunde/ Kauffleute und auch an Frauenzimmer«280 geschickt zu verfassen und zu beantworten sei. Hier lässt sich also bei der barocken Briefsteller-Literatur im ausgehenden 17. Jahrhundert eine Verschiebung des Lesepublikums feststellen, die weg von einem berufsständischen und hin zu einem breiten mittelständischen Rezipientenkreis führte.281 Angehörige aus den unterhalb des bürgerlichen Mittelstands angesiedelten sozialen Schichten dürften sich dessen ungeachtet von solchen brieftheoretischen Fachbüchern aus dem späten 17. bzw. frühen 18. Jahrhundert weniger angesprochen gefühlt haben – von den Briefsteller-Autoren ihrerseits dürften sie indes auch nicht explizit als Käuferschicht in Betracht gezogen worden sein. Abgesehen davon, dass den meisten Handwerkern, Bauern oder Tagelöhnern auch eine für das Verfassen von Briefen ausreichende Alphabetisierung fehlte,282 behandelt der überwiegende Teil der in den Brief-Mustersammlungen abgedruckten Vorlagen Themen, die in einem adligen resp. bürgerlichen Umfeld angesiedelt werden müssen und somit nicht repräsentativ für tiefer gestellte soziale Schichten sind. Besonders erwähnenswert am Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 ist, dass wir es hier mit einem Brieflehrbuch zu tun haben, dessen Anweisungen ausdrücklich auch beim Verfassen von Briefen »an Frauenzimmer« – also Frauen aus den gehobenen Ständen – Hilfestellungen geben wollten. Auch wenn der Autor August Bohse noch grundsätzlich von einem männlichen Briefverfasser ausgegangen sein dürfte, scheint er ein weibliches Lesepublikum aus den adligen bzw. gebildeten bürgerlichen Gesellschaftsschichten zumindest »mitgedacht« und nicht explizit ausgeschlossen zu haben. Die Rolle der Frau als aktive Briefschreiberin lässt dieser Briefsteller noch weitestgehend vermissen, abgesehen davon, dass Frauen sehen konnten, wie sie ein stilgerechtes und sozialkonformes Antwortschreiben an einen Mann zu verfassen hatten.283 Die Aufnahme von an einen weiblichen Adressatenkreis gerichteten Musterschreiben war ihrerseits jedoch keine innovative Leistung der am Ende des 17. Jahrhunderts veröffentlichten galanten Briefsteller. So genannte Liebes- und Frauenzimmerbriefe gehörten bereits zum Briefrepertoire der aus dem früheren 17. Jahrhundert stammenden Sekretariatsbücher, wovon der Autor Georg Philipp Harsdörffer in seinem Teutschen Secretarius von 1656 im Kapitel »Höfliche Schreiben an das Tugendlöbliche Frauenzimmer/ und desselben darauf gefügte Beantwortung«284 eine Kostprobe gab. Im Jahr 1644 veröffentlichte Samuel Butschky mit seiner Ausgabe der Hochdeutschen
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Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), Titelblatt. Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 96–97. Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 281. Vgl. Anton, Authentizität als Fiktion, S. 20. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 5, S. 369–412.
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Venus-Kanzeley eine Brief-Mustersammlung, die aus Liebes- und Frauenzimmerbriefen besteht.285 Auch wenn sich in den Sekretariatsbüchern des 17. Jahrhunderts so genannte Frauenbriefe finden lassen, so unterscheiden sie sich doch von den später erschienenen Briefstellern insofern, als sie mit ihren Vorlagen von Liebes- und Frauenzimmerbriefen vorwiegend einen männlichen Briefschreiberkreis ansprechen. Frauen, wenn auch nicht explizit als Leserinnen, als Schreiberinnen von Briefen scheinen sie dagegen von den Sekretariatsbüchern noch weitgehend ausgeschlossen gewesen zu sein. Diese Annahme wird durch die Aussage von Kaspar Stieler bestärkt, der in seiner Teutschen Sekretariat-Kunst von 1674 festhält, dass sein Brieflehrbuch einem Sekretär zeigen soll, wie er einen verliebten Brief zu schreiben hatte, wenn er »teils von seinem Herrn/ wenn derselbe jung und ledigen Standes/ teils von denen Adelichen Hofbedienten/ beyderley Geschlechts/ ersucht und befehliget wird/ […] in deren Nahmen in Liebes-Sachen zu schreiben«286. Während davon ausgegangen werden muss, dass die Briefsteller-Literatur des 17. Jahrhunderts Frauen als einem möglichen Adressatenkreis größtenteils noch kaum Beachtung geschenkt hat, kann die 1692 veröffentlichte Brief-Mustersammlung Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe zu den ersten deutschsprachigen Briefstellern gezählt werden, die ausdrücklich Frauen als Leser- und Verfasserinnen von Briefen ansprechen wollten.287 Angesichts der darin abgedruckten Vorlagen scheint der gewählte Titel des Briefstellers jedoch ein wenig zu eingeschränkt, denn nach der Absicht des Autors August Bohse sollten die Musterschreiben »nicht allein einem Frauenzimmer/ sondern auch einem andern BriefVerfasser […] ihren Nutzen schaffen«288. Mit der Begründung, dass Frauen »mit dem Mannsvolcke so offt Briefe als unter sich selbst zu wechseln«289 pflegten, befand Bohse es für nötig, den Inhalt seines Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebesu. Freundschaffts-Brieffe mit männlichen Schreiben und Antworten zu ergänzen.
285 Butschky, Samuel: Hochdeutsche Venus-Kanzeley, Breslau/Leipzig 1644. 286 Stieler, Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst (1674), Anhang, S. 232. 287 Bohse, August: Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. FreundschafftsBrieffe, Leipzig 1692. 288 Ursprünglich plante August Bohse, seine Brief-Mustersammlung unter dem Titel »Des galanten Mercurs« zu publizieren. Auf Vorschlag seines Verlegers entschied er sich schließlich dazu, sein Werk »Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Briefe« zu nennen, da angeblich bereits einige französische Traktate unter ersterem Titel veröffentlicht worden sein sollen. Nachträglich kam August Bohse aber zur Einsicht, dass er über seine BriefMustersammlung passender den Titel »Die Secretariat-Kunst der galanten Welt« gesetzt hätte, da dieser den Inhalt des Werkes besser repräsentiert hätte. Bohse, Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Briefe (1692), Vorrede, unpag. 289 Bohse, Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Briefe (1692), Vorrede, unpag.
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Hatten sich Briefsteller-Autoren des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts dafür entschieden, ihre Anweisungen zum Briefschreiben ebenso an ein weibliches Publikum zu adressieren, so dann vornehmlich an so genannte »Frauenzimmer«. Damit waren primär weibliche Angehörige der gehobenen sozialen Schichten gemeint, gebildete Frauen aus dem Bürgertum und dem Adel also, die über die erforderlichen Lese- und Schreibfähigkeiten und die dazu benötigte »Freizeit« verfügten, um Briefe schreiben zu können.290 Korrespondierende bürgerliche Frauen der (Früh-)Aufklärung konnten sich ihrerseits an Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen291 von 1709 orientieren oder später besonders an Christian Fürchtegott Gellerts Praktischer Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. In der angeführten Brief-Mustersammlung sind nicht weniger als 32 der insgesamt 73 abgedruckten Beispiele, also beinahe die Hälfte, an Frauen adressierte oder von Frauen verfasste Schreiben.292 Auch wenn die Briefsteller-Autoren ihre Werke im Hinblick auf einen bestimmten Rezipientenkreis verfasst haben, mussten sich deren Vorstellungen nicht zwingend mit der realen Käuferschicht ihrer Bücher decken. Für die brieftheoretischen Werke des Franzosen Jean Puget de La Serre konnte der französische Kulturhistoriker Roger Chartier nachweisen, dass diese ursprünglich für ein den vornehmen Gesellschaftsschichten angehörendes Lesepublikum verfassten »Secrétaires« zum Repertoire der »Bibliothèque Bleue« gehörten, die sich mit ihren Büchern vornehmlich an Angehörige aus den unterbürgerlichen Schichten wandte.293 Für die in de La Serres Schriften präsentierten Musterschreiben dürfte eine solche Käuferschicht kaum Verwendung gehabt haben. Chartier spricht in diesem Fall von einem »kulturellen Alibi«294, was so viel bedeutet, dass die Briefsteller unter dem Deckmantel der Erziehung mit ihren Briefvorlagen auch Unterhaltung boten. Abgesehen von dieser Besonderheit, ergibt sich aus einer chronologischen Auflistung der Briefsteller für den Zeitraum des 17. und frühen 18. Jahrhunderts und der damit verbundenen Intentionen der Autoren, mit ihren Werken ein bestimmtes Publikum anzusprechen, ein markanter Wandel im Zielpublikum. Fokussierten die Sekretariatsbücher des 17. Jahrhunderts noch vorwiegend auf einen männlichen, berufsorientierten Benutzerkreis, rückten mit dem Aufkommen der galanten Briefsteller um die Wende zum 18. Jahrhundert vermehrt gebildete Frauen aus dem Adel und dem Bürgertum als Leser- und/oder Schreiberinnen von Briefen ins Zentrum der Brieflehre. Mit Christian Fürchtegott Gellert äußerte sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts einer der bedeutendsten deutschen Brieftheoretiker seiner Zeit dahingehend, 290 Vgl. Nickisch, Briefkultur, S. 390–391. 291 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709). 292 Gellert, Biefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 123–304. Vgl. auch Arto-Haumacher, Gellerts Briefpraxis und Brieflehre, S. 249. 293 La Serre, Le Secrétaire de la Cour (1624) sowie La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655). 294 Chartier, Die Praktiken des Schreibens, S. 119.
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dass das Kommunikationsmittel »Brief« den aus männlicher Sicht als typisch weiblich bezeichneten Charaktereigenschaften auf besondere Weise schmeicheln würde. Seiner wie auch der Meinung anderer zeitgenössischer Briefsteller-Autoren zufolge schienen Frauen aufgrund ihres Naturelles geradezu für das Schreiben von Briefen prädestiniert zu sein. Aus diesem Grund mag es wenig überraschen, dass sich der Brief im 18. Jahrhundert zum eigentlichen »weiblichen« Medium entwickeln sollte.295 2.3.2 Exkurs: Exemplarischer Überblick einiger charakteristischer Titelkupfer zeitgenössischer Briefsteller Die meisten Exemplare der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur fallen durch ihre sehr aufwändig gestalteten Titelkupfer auf. Gerade in Zeiten, in denen Buchbesprechungen oder Werbeanzeigen noch selten waren, kam der graphischen Aufmachung eines publizistischen Werkes eine wichtige Werbefunktion zu. Folglich dürften die Autoren und Verleger von Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen die jeweiligen Titelillustrationen gezielt ausgewählt haben, um potenzielle Kunden auf ihre Werke aufmerksam zu machen.296 Die Titelkupfermotive der Briefsteller des 17. und frühen 18. Jahrhunderts dienten aber nicht nur als »Spotlight«, sondern sie übernahmen vielfach auch eine textprogrammatische Funktion, indem sie versuchten, ein potenzielles Publikum mit dem spezifischen Inhalt eines Werkes auf einer allgemein verständlichen Ebene vertraut zu machen. Oftmals setzten die Illustratoren dazu auch allegorische Motive ein, die über das eigentlich Abgebildete hinaus auf eine Sinnebene verweisen konnten, die vom Betrachter zuerst »gelesen« bzw. gedeutet werden musste.297 Davon ausgehend, dass die szenischen Darstellungen der Kupferstiche den Inhalt des jeweiligen Brieflehrbuches repräsentieren, stellt sich indes die Frage, inwiefern sich der im vorhergehenden Kapitel diskutierte Wandel des von der Briefsteller-Literatur intendierten Adressatenkreises auch an deren Titelkupfern ablesen lässt. Diese Frage soll hier anhand eines exemplarischen Überblicks verschiedener Titelillustrationen zeitgenössischer Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen beantwortet werden. Den Anfang machen die Titelkupfer des französischen Briefstellers Le Secrétaire à la Mode von Jean Puget de La Serre sowie des Teutschen Secretarius von Georg Philipp Harsdörffer, die beide um die Mitte des 17. Jahrhunderts publiziert wurden und deren inhaltliche Schwerpunkte im Umfeld von Kanzleien bzw. Schreibstuben angesiedelt werden können.298 295 Siehe dazu Kapiel 4.2.3. 296 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 643–645; Frese, Annette: Barocke Titelgraphik am Beispiel der Verlagsstadt Köln (1570–1700). Funktion, Sujet, Typologie, Köln/Wien 1989, S. 9. 297 Vgl. Frese, Barocke Titelgraphik, S. 12–13. 298 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1663) und Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656).
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Das Frontispiz des französischen Briefstellers Le Secrétaire à la Mode zeigt einen an einem mit einem Tuch bedeckten Tisch sitzenden Mann, der gerade mit der Abfassung eines Briefes oder sonstigen Schriftstückes beschäftigt ist. Seine spezifische Kleidung – Hut, Hemdkragen, Manschetten und Umhang – definiert den Schreiber als eine Person von Stand. Sein Aufenthaltsort ist ein eher schmuckloser Raum, der auf der rechten Seite von einem Bücherregal begrenzt wird, während links vom Schreiber ein Vorhang den Blick auf den dahinter liegenden Raum verdeckt. In Verbindung zum Titel des Briefstellers dürfte die hier abgebildete Momentaufnahme einen Sekretär bei seiner Arbeit in einer Kanzlei zeigen.299 Durch die vom Illustrator gewählte Frontalperspektive bei der Darstellung des Sekretärs wird beim Betrachter der Eindruck erweckt, als wollte das »Autoren-Ich« durch den Sekretär zum imaginierten »Leser-Du« sprechen und es geradezu auffordern, in die Schreibstube einzutreten und die Dienste des Sekretärs in Anspruch zu nehmen.300 Auf den Briefsteller als publizistisches Erzeugnis übertragen könnte dies einer Kaufaufforderung an den Leser gleichkommen. Das Brieflehrbuch steht dabei stellvertretend für den Kanzleibeamten, indem es einer potenziellen Kundschaft spezifische Musterschreiben aus dem Umfeld der Kanzleien bereithält.
299 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1663), Titelkupfer. 300 Frese, Barocke Titelgraphik, S. 14.
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5 Titelkupfer des Buches Le Secrétaire à la Mode von Jean Puget de La Serre, Amsterdam 1663.
Die Titelillustration des Teutschen Secretarius dagegen fokussiert weg vom Schreiber hin zum eigentlichen Schreibakt, indem zwei Putti den Vorhang in die Höhe halten und damit die Sicht auf eine menschliche Hand freigeben, die gerade im Begriff ist, ein Schriftstück zu verfassen. Einer der Putti betrachtet sich dabei in einem kleinen Handspiegel, während der andere Putto ein flammendes Herz in die Höhe streckt – Sinnbild für die Leidenschaft.301 Diese zwei Attribute – flammendes Herz und Spiegel – verbunden mit dem Akt des Briefschreibens können dahingehend interpretiert werden, dass die Kunst des Briefschreibens nach den Vorstellungen des Teutschen Secretarius einerseits vom Verfasser eine gewisse Leidenschaft verlange – man denke hierbei nur etwa an die Liebesbriefe. Andererseits sollte ein Brief in seiner Form dem Empfänger gefallen, 301 Vgl. Hall, James: Dictionary of Subjects and Symbols in Art, London 2000, S. 146.
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6 Titelkupfer des Buches Der Teutsche Secretarius von Georg Philipp Harsdörffer, Nürnberg 1656.
d.h. er sollte nach den standesgemäßen Konventionen abgefasst sein, damit die darin formulierten Anliegen auf das Wohlwollen des Adressaten stießen. Ferner wird der eigentliche Schreibakt von typischen zeitgenössischen Schreibutensilien wie Tintenfass, Schreibfeder oder Streusalz umrahmt. Vor dem Schreibtisch liegt ein geöffnetes Buch, worin ein Teil des Briefstellertitels zu lesen ist, nämlich: »Der Teutsche SECRETARIUS, das ist:«. Die Fortsetzung der Überschrift – »Titular- und Formular Buch« – ziert eine tiefer liegende Papierrolle, womit zugleich verdeutlicht ist, wo der inhaltliche Schwerpunkt des vorliegenden Sekretariatsbuches angesiedelt ist.302
302 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Titelkupfer.
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Die hier beschriebene Komposition des Titelkupfers reduziert sich auf die wesentlichen Symbole des Aktes des Briefschreibens: Einerseits auf einen bis auf seine schreibende Hand im Verborgenen bleibenden Briefverfasser, andererseits auf das im Vordergrund aufgeschlagene Brieflehrbuch. Durch die bildnerische Anordnung kann eine direkte Verbindung zwischen dem Verschriftlichungsprozess eines Briefes und dem dazu vom Briefsteller zur Verfügung gestellten Material konstruiert werden. Der Teutsche Secretarius bot dem Briefverfasser somit die nötigen Hilfestellungen bei seinen Schreibproblemen an. Im Jahr 1695 publizierte Wolffgang Brauser seinen Vielvermehrten und vollkommenen Hurtigen Briefsteller mit einem Frontispiz, welches das Motiv des eigentlichen Schreibprozesses in der Kanzlei um den Bezug zur postalischen Infrastruktur und dessen Symbol, den Götterboten Merkur303, erweiterte. Den Mittelpunkt der Illustration macht eine Personengruppe, die sich in einem repräsentativen Raum befindet, dessen Wände von großen steinernen Statuen unterbrochen werden – hierbei könnte es sich um eine fürstliche Kanzlei handeln. Der an einem Pult sitzende und ein Schriftstück verfassende Beamte empfängt gerade einen Boten, der ihm einen Brief überbringt. Neben dem Kanzlisten ist eine männliche Figur abgebildet, die durch den geflügelten Hut, die Flügelansätze oberhalb der Fersen und den geflügelten Heroldstab, der von zwei Schlangen umschlungen ist, eindeutig als Merkur zu erkennen ist.304 Mit seinen Flügel-Attributen steht Merkur als Metapher für die Geschwindigkeit der Reitund Fahrpost, welche die Nachrichten »fliegend« bei Tag und Nacht transportierte. Am Götterboten vorbei wird der Blick des Betrachters durch die offene Türe rechts im Hintergrund nach draußen auf einen galoppierenden Postreiter gelenkt, der mit dem Posthorn seinen Aufbruch ankündigt. Auf einem um den Heroldstab sich windenden Spruchband präsentiert die mythologische Figur des Merkurs den Werktitel »Der hurtige Brieffsteller«. Weitere im Raum frei schwebende Spruchbänder nennen außerdem die Fähigkeiten bzw. Charaktereigenschaften, über welche ein Schreiber sowie die (Post-)Boten nach den Vorstellungen des Briefstellers verfügen sollten. Ein professioneller Schreiber zeichnete sich demnach durch eine gewisse »hurtigkeit, Klug- u[nd] Erfahrenheit« aus, während ein vertrauenswürdiger Bote sowohl »Treu u[nd] Redligk[eit]« zu seinen Tugenden zählen sollte wie auch »Sorg und Nüchtern[heit]«, um sein oberstes Ziel, nämlich die »Ankunfft zu rechter Ze[it]« einhalten zu können.305 303 Der Götterbote Merkur scheint ein beliebtes Sujet für Titelkupfer von Briefstellern bzw. BriefMustersammlungen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts gewesen zu sein. Merkurdarstellungen finden sich u.a. auf den Titelkupfern von Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen (1709) und Herman von Sands Secretarius Jetziger Zeit (1677) sowie auf dem anonym erschienenen Werk Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stets-bereite und vielvermehrte Secretarius (1699). Zur Merkur-Symbolik in frühneuzeitlichen Medien siehe Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 643–658. 304 Vgl. Hall, Dictionary of Subjects and Symbols in Art, S. 207. 305 Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695), Titelkupfer.
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Die hier abgebildete Szenerie zeigt die Kanzlei als Drehpunkt des frühneuzeitlichen Briefverkehrs – Briefe und sonstige Schriftstücke treffen ein, während andere die Schreibstube gerade verlassen.
7 Titelkupfer des Buches Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller von Wolffgang Brauser, Nürnberg 1695.
Mit der Veröffentlichung galanter Briefsteller im späten 17. bzw. frühen 18. Jahrhundert entfernten sich die Illustrationen der Titelkupfer immer mehr vom Motiv des engen Kanzleiraums, um sich gleichzeitig hin zur »großen weiten Welt« zu öffnen. Ein besonders illustratives Frontispiz, welches beide Motive miteinander verbindet, schmückt das aus dem Jahr 1697 stammende Bequeme Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben. Während der untere Teil der Illustration wiederum das Motiv des Briefschreibers in einem abgeschlossenen Raum aufnimmt, ist in der oberen Bildhälfte eine exotische Landschaft dargestellt, die in Nordafrika oder Arabien angesiedelt werden könnte. Zwischen Palmen und niedrigen Strohhütten sehen wir
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dunkelhäutige und nur mit weißen Leinenhosen und Turbanen bekleidete Männer bei der Feldarbeit. Die Szenerien der beiden Bildhälften stehen in starkem Kontrast zueinander: Im oberen Teil des Titelkupfers steht die Natur im Mittelpunkt, symbolisiert durch landschaftliche Elemente wie Palmen und den »natürlichen« Zustand der Menschen, die in ungezwungen wirkender Kleidung im Freien ihrer Arbeit nachgehen. In der unteren Darstellung dagegen ist eine eher »künstlich« anmutende Situation abgebildet: Ein Mann in vornehmer und zugleich einen steifen Eindruck hinterlassender Kleidung sitzt an einem mit einem schweren Tuch bedeckten runden Tisch. Die Illustration zeigt ihn ebenfalls bei der Arbeit, beim Schreiben eines Briefes oder eines anderen Schriftstückes.306
8 Titelkupfer des Buches Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener SendSchreiben von August Bohse, Leipzig 1697. 306 Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697), Titelkupfer.
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Die hier ausgewählte Bildkomposition kann durchaus als eine Anspielung auf die antithetische Zweiteilung des barocken Weltbildes gelesen werden, nämlich in eine »mundus naturalis« oben und eine »mundus artificialis« unten, wobei die Natur den Gegensatz zur Kunst des Briefschreibens bildet, die im 17. Jahrhundert darin bestand, einen Brief streng nach dem tradierten Dispositionsschema zu verfassen.307 Endgültig vom Motiv des in der Kanzlei sitzenden Schreibers losgelöst erscheint das Titelkupfer der Auserlesenen neuen Briefe zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Der Bildillustrator bringt das Schreiben von Briefen nicht mehr zwingend mit der Kanzlei in Verbindung, indem er es draußen in der freien Natur situiert.308 Diese Verschiebung könnte im übertragenen Sinn auf den Wandel hinweisen, den die galanten Stilprinzipien der deutschen Brieflehre brachten. Der neue Schreibstil sollte sich nämlich vom späten 17. zum frühen 18. Jahrhundert hin weg vom zeremoniell-formelhaften Kanzleistil hin zu einer freieren und »natürlichen« Briefsprache bewegen. Der unter einem Baum sitzende junge Mann verkörpert nach den Vorstellungen von Christian Friedrich Hunold, dem Verfasser der Auserlesenen neuen Briefe von 1717, den Musensohn, der hier beim Schreiben eines Briefes gezeigt wird. Von seinem Hügel blickt er in die Ferne, auf eine vor ihm liegende Bucht, wo soeben ein Segelschiff den Hafen verlässt.309 Zwischen dem Bootsmann und dem Briefschreiber sah Hunold eine enge Verbindung: Das Schiffsruder deutete Hunold als eine Metapher für die Schreibfeder, die, wie auch das Ruder, ein kleiner Gegenstand mit einer großen Wirkung sei. So wie das Ruder das Schiff lenken würde, so sei die Feder für die sprachliche Ausarbeitung des Briefes und damit für seine Wirkung verantwortlich. Ein Briefschreiber sollte darum, so Hunolds Ratschlag, seine Feder »mit gleicher Vorsicht und Klugheit geschickt anzuwenden« wissen, wie der Bootsmann sein Ruder, »damit er die Klippen dieser Welt/ daran man durch Verletzung des Wohlstandes/ oder durch schlechte, zweydeutige und unpolirte Expressionen und Gedancken vielfältig laufen kan/ glücklich vermeiden möge«.310
307 Vgl. Frese, Barocke Titelgraphik, S. 93. 308 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Titelkupfer. 309 Eine Szenerie mit einem befestigten Hafen mit Segelschiffen, über welcher der Götterbote mit einer Papierrolle schwebt, auf der »Le Secretarius de ce temps das ist SECRETARIUS Jetziger Zeit« geschrieben steht, ziert auch das Titelkupfer von Herman von Sands Secretarius Jetziger Zeit aus dem Jahr 1677. 310 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorrede, fol. 6–6v.
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9 Titelkupfer des Buches Auserlesene neue Briefe von Christian Friedrich Hunold, Halle 1717.
Eine weitere Zäsur in den Titelmotiven lässt sich an der »Entdeckung« der Frau als Leser- bzw. Schreiberin von Briefen seitens der brieftheoretischen Literatur um die Wende zum 18. Jahrhundert feststellen. Für das Frontispiz seiner Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707 griff Christian Friedrich Hunold bzw. sein Verleger auf eine Illustration zurück, die bereits die französische Brief-Mustersammlung Les plus belles Lettres des meilleurs Auteurs françois von Pierre Richelet am Ende des 17. Jahrhunderts zierte.311 Die Bildkomposition folgt dabei den Abbildungen von männlichen Briefverfassern in ihren Schreibstuben. Die Illustration zeigt eine Frau, die ein wallendes Kleid trägt, 311 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), Titelkupfer und Richelet, Pierre: Les plus belles Lettres des meilleurs Auteurs françois, Amsterdam 1690, Titelkupfer.
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10 Titelkupfer des Buches Die allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von Christian Friedrich Hunold, Hamburg 1707.
während ihre gewellten Haare offen auf ihre Schultern fallen. Die Frau befindet sich – möglicherweise in ihrem Privatgemach – vor einem mit einem schweren Tuch geschmückten Tisch, auf dem sich ein Bündel Papierbogen stapelt. Auf dem deutschen Frontispiz ist auf dem obersten Blatt des Stapels deutlich der Vermerk »Satiren« zu lesen. Auf beiden Titelillustrationen zeigt die Frau auf einen Papierbogen mit der Aufschrift »Lettres Galantes« resp. »Galante Brieffe«. Während sie auf dem französischen Titelkupfer ein Blatt mit der Überschrift »Billets Amoureux« festhält, steht dort in der deutschen Variante der Hinweis »Hoff-Schreiben«. Mit ihrer Gestik weist die Frau einerseits auf den Schwerpunkt des vorliegenden Briefstellers hin, andererseits verbindet die Illustration die Frau in der Funktion. als Leser- bzw. Schreiberin von Briefen mit dem galanten, verliebten und höflichen Briefverkehr, was ganz den Vorstellungen der galanten Brieftheorie des 18. Jahrhunderts entspricht.
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11 Titelkupfer des Buches Les plus belles Lettres des meilleurs Auteurs françois von Pierre Richelet, Amsterdam 1690.
Besondere Aufmerksamkeit zieht dabei die männliche nackte Gestalt auf sich, die rechts unter dem Tisch hervorschaut. Der Ziegenfuß, der lange Schwanz sowie die angedeuteten Hörner weisen die Figur als Teufel aus.312 Indem die Gestalt ihren Zeigefinger zum Mund führt, macht sie den Anschein, als ob sie einem imaginierten Betrachter andeuten wolle, Stillschweigen zu bewahren. Was durfte nicht weitererzählt werden? Dass Frauen amouröse Briefe lasen oder sogar schrieben? Möglicherweise steht hier der Teufel als Metapher für die Verführung der Frau durch die Briefschreibkunst. Gerade im verliebten und galanten Briefwechsel mit Männern sahen die zeitgenössischen Briefsteller eine Gefahr für die weibliche Ehre, indem sich Frauen von solchen Briefen allzu leicht verführen lassen würden.313 312 Vgl. Hall, Dictionary of Subjects and Symbols in Art, S. 272. 313 Siehe dazu Kapitel 2.2.2.
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12 Titelkupfer des Buches Grundsätze wohleingerichteter Briefe von Johann Christoph Stockhausen, Helmstädt 1753.
Das Titelkupfer von Stockhausens Grundsätzen wohleingerichteter Briefe aus dem Jahr 1753 rundet den Überblick ausgewählter Titelillustrationen der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur ab. Dargestellt ist hier eine Bibliothek, deren Hintergrund sich hin zu einer wildromantischen Naturlandschaft mit Pavillon öffnet. Im Zentrum des Raumes befinden sich zwei Frauenfiguren, die von Putti umgeben werden. Während einer der zu den Füßen der Frauengestalten auf einem Stapel von Büchern sitzenden Putti in einem Buch mit der Überschrift »Plinius« liest, trägt ein anderer Putto ein Buch mit der Aufschrift »Cicero« zu den beiden Frauen hin. Mit der Nennung dieser beiden antiken Autoren wird zugleich auf die großen Vorbilder des Briefsteller-Autors verwiesen.314 314 Stockhausen, Grundsätze wohleingerichteter Briefe (1753), Titelkupfer sowie Einleitung, S. 4–5.
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Folglich hatte auch die im Bildzentrum auf einem Stuhl sitzende und Feder und Papierbogen in ihren Händen haltende Frauengestalt ihre Briefe nach den beiden Stilvorbildern Plinius und Cicero zu verfassen. Annette C. Anton interpretiert diese Frauenfigur als eine »Allegorie der Epistolographie«. Ihre Kleidung, die einen Blick auf die entblößte Brust freigibt, stünde demnach, so Anton weiter, für einen natürlichen, aber auch nachlässigen Schreibstil. Ihr Haar wird dabei von einem Kranz zusammengehalten, der die Unvergänglichkeit von Briefen symbolisieren soll.315 Hinter der sitzenden Frau steht eine mit einem antiken Gewand und Helm bekleidete Frauengestalt. Mit der linken Hand hält sie einen Spiegel in die Höhe, der von einer Schlange umrankt wird – ein Symbol der Prudentia316, während sie in der rechten Hand ein flammendes Herz trägt. Mit ihren Attributen vereinigt die allegorische Frauengestalt, so Anton in ihren interpretatorischen Ausführungen, die Tugenden der Liebe, der Weisheit und der Selbsterkenntnis. Durch die ihr in der bildlichen Darstellung zugewiesene Position scheint die antike Frauengestalt direkt auf die Briefschreiberin einzuwirken und den Akt des Briefschreibens zu lenken.317 Anhand der hier ausgewählten Titelkupfer lässt sich exemplarisch ein Wandel des von der Briefsteller-Literatur intendierten Adressatenkreises und damit auch der Funktion des Briefes vom 17. zum frühen 18. Jahrhundert hin aufzeigen. In den Titelillustrationen des 17. Jahrhunderts wird der Brief generell als ein mit den Kanzleien assoziiertes, öffentliches und zugleich von einem männlichen gelehrten Publikum dominiertes Kommunikationsmittel dargestellt. Im 18. Jahrhundert erscheint das Schreiben von Briefen dagegen vermehrt als ein weiblicher, in einem privaten, bürgerlichen Raum angesiedelter Akt. Auch bei den Titelkupfern, auf denen weiterhin schreibende Männer abgebildet sind, lässt sich ein Wandel bezüglich der gewählten Motive feststellen. Der Schreibakt selber bleibt nicht mehr auf den engen Kanzleiraum beschränkt, sondern er findet neuerdings draußen, in der freien Natur statt. Diese sich von den Frontispizen der Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen abzeichnende Entwicklung des Mediums »Brief« für das 17. und frühe 18. Jahrhundert greift so absolut formuliert jedoch zu kurz, lässt sich doch der frühneuzeitliche Brief nicht strikte durch die Gegensatzpaare öffentlich/privat, männlich/weiblich, pragmatisch/ästhetisch. beschreiben. Der Brief des 18. Jahrhunderts sollte nämlich seinen öffentlichen Charakter weiterhin behalten, auch wenn er vermehrt intimere Inhalte übermittelte, wie auch der Brief des späten 17. Jahrhunderts nach den Vorstellungen der zeitgenössischen Brieflehrbücher nicht nur pragmatischen, sondern auch ästhetischen Ansprüchen zu genügen hatte. Ebenso wenig blieb das Schreiben von Briefen im 17. Jahrhundert nur Männern vorbehalten – zu denken sei hier etwa an die berühmten Briefschreiberinnen Madame de Sévigné (1626–1696) oder Liselotte von der Pfalz (1652–1722) – wie auch die Kunst des Briefschreibens im 18. Jahrhundert genauso wenig eine reine Frauensache war.318 315 316 317 318
Anton, Authentizität als Fiktion, S. 3–7. Vgl. Hall, Dictionary of Subjects and Symbols in Art, S. 210. Vgl. Anton, Authentizität als Fiktion, S. 5. Vgl. ebd., S. 8.
Zusammenfassung
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2.4 Zusammenfassung Der Briefverkehr erlebte nach dem Ende des 30-jährigen Krieges einen Aufschwung, was vor allem auf das vermehrte Versenden von »Privatbriefen« zurückzuführen ist. Dieser Umstand dürfte ebenso die verstärkte Nachfrage nach Briefstellern begünstigt haben. Dies umso mehr, als mit der Öffnung der Postdienstleistungen nun zusehends auch Personen sich des Kommunikationsmittels »Brief« bedienten, die mit den Normen und Regeln der zeitgenössischen Briefkultur weniger vertraut gewesen sein dürften. Eines der zentralen Anliegen der brieftheoretischen Schriften der Frühen Neuzeit lag denn auch darin, den Benutzer mit den Regeln des Korrespondenzwesens vertraut zu machen, um ihn in die vorherrschende Briefkultur einzubinden. Dazu stellten die Brieflehrbücher eine Anleitung zur Verfügung, die neben theoretischen Ausführungen anhand von praktischen Briefvorlagen aufzeigte, wie ein guter Brief zu verfassen war. Im 17. und frühen 18. Jahrhundert erschienen Briefsteller, die sich an ein jeweils unterschiedliches Publikum richteten. So genannte Sekretariatsbücher, die sich inhaltlich stark an einem juristisch bzw. verwaltungstechnisch geprägten Briefverkehr von Kanzleibeamten, Sekretären und Notaren orientierten, dominierten das 17. Jahrhundert. Die gegen Ende des 17. Jahrhunderts veröffentlichten Brieflehrbücher bildeten dagegen vermehrt Korrespondenzen eines breiten bürgerlichen Publikums ab. Mit solchen brieftheoretischen Schriften traten zunehmend auch Frauen als Leser- und/ oder Schreiberinnen von Briefen in den Fokus der frühneuzeitlichen Briefschreibkunst. Vom 17. zum 18. Jahrhundert hin lässt sich somit eine Entwicklung des Mediums »Brief« feststellen, die, zugespitzt formuliert, vom Brief als generell mit den Kanzleien assoziiertes, öffentliches und zugleich von einem männlichen gelehrten Publikum dominiertes Kommunikationsmittel ausgeht und diesem im 18. Jahrhundert seinen Platz als ein weibliches Medium im privaten, bürgerlichen Raum zuweist. Verbunden mit dieser Verschiebung im Benutzerkreis lässt sich seit dem 17. Jahrhundert in der Briefsteller-Literatur ein grundlegender Wandel hinsichtlich der Frage festhalten, wie das Schreiben von Briefen erlernt werden sollte und welche Funktion dabei den abgedruckten Musterschreiben zukam. Folglich lösten sich Brief-Mustersammlungen von ihren formularartigen Vorlagen, die von den Korrespondierenden bis dahin ohne große eigene Denkleistungen kopiert werden konnten. Das Einüben der Briefschreibkunst bewegte sich – vor allem seit der vermehrten Aufnahme von »Privatbriefen« in die Brief-Mustersammlungen – hin zu einer freieren Imitation von Briefvorlagen. Obwohl dies ein gewisses Maß an Kreativität und Individualität für den Schreibprozess voraussetzte, darf dabei nicht vergessen werden, dass das Schreiben von Briefen weiterhin innerhalb eines vorgegebenen Rahmens stattfand, definiert durch die herrschenden gesellschaftlichen Konventionen und Normen. In diesem Sinne fungierte die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur auch als eine Art »Benimmbücher«, welche das »richtige« Verhalten im zeitgenössischen Korrespondenzwesen aufzeigte. Besonders deutlich zeigt sich diese Funktion bei den Aus-
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führungen zum weiblichen Briefschreiben. Die Briefsteller gaben hier nicht nur vor, wie ein Frauenbrief auszusehen hatte, nämlich in einer schönen Handschrift geschrieben, sondern auch, dass er durch wohl formulierte Gedanken einem (männlichen) Leser gefallen sollte. Diese Eigenschaften ließen sich nach den Anweisungen der brieftheoretischen Schriften am besten mit den freundschaftlichen sowie den galanten und verliebten Briefen vereinbaren. Frauen hatten sich also in privaten Briefen zu üben, während ihnen das öffentliche Korrespondenzwesen weiterhin vorbehalten bleiben sollte. Die frühneuzeitlichen Briefsteller gaben indes den Blick nicht nur auf die Schreibpraxis frei, sondern aufgrund ihrer umfangreichen Brief-Mustersammlungen lassen sich ebenso Aussagen zur Lesepraxis machen. Die in solchen Sammlungen abgedruckten Musterschreiben dienten nicht nur als praktische Schreibvorlagen, sondern das eine oder andere Beispiel stand ebenso für ein besonderes Leseerlebnis. Dem Leser aus einfachen Verhältnissen erlaubten solche Briefvorlagen einen Einblick in die ihm fremde Welt des Adels. Andere berichteten von Naturkatastrophen und kriegerischen Ereignissen oder ließen den Leser an Krönungszeremonien teilhaben. Einige Musterschreiben unterhielten die Leserschaft wiederum mit amüsanten Geschichten.
III. Das barocke Briefzeremoniell 3.1 Zum Begriff des Zeremoniells Dem Zeremoniell mit seiner hierarchisierenden Ordnungsfunktion kam in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft eine besondere Bedeutung zu. In einer Gesellschaft, die jeder Person einen ihrem sozialen Rang entsprechenden Platz innerhalb der gemeinschaftlichen Ordnung zuwies, gab das Zeremoniell genau vor, wie jedes Individuum »seine Handlungen nach den Umständen der Oerter, Personen und Zeiten so einrichten soll, wie sie sich zur Sache schicken, und nach dem Urtheil der meisten oder vornehmsten vor wohlanständig gehalten werden»319. Jeder gesellschaftliche Umgang und somit auch die Abfassung von Briefen geschah unter Sichtbarmachung der ständischen Unterschiede im Zeremoniell.320 Das Briefzeremoniell bildete denn auch in der barocken Briefsteller-Literatur einen zentralen Dreh- und Angelpunkt. Dies tritt besonders deutlich in Benjamin Neukirchs Schrift Anweisung zu Teutschen Briefen von 1709 hervor, welche Fragen zum statusorientierten Umgang im Korrespondenzwesen keineswegs weniger Raum schenkte als etwa stilistisch-rhetorischen Erläuterungen hinsichtlich einer geschmackvollen Abfassung von Briefen.321 Neukirch erweiterte außerdem den ursprünglich auf eine feierlich-förmliche Handlung beschränkten Begriff des Zeremoniells zu einem über die höfische Sphäre hinausreichenden, ständeübergreifenden Ordnungsbegriff, indem er mit seinem Brieflehrbuch versuchte, Angehörige aus den niederen Gesellschaftsschichten in den Briefverkehr einzubinden. Dazu führte er im Titelverzeichnis speziell Anreden von Handwerkern und Bauern auf.322 Das gesellschaftliche Ordnungssystem des 17. und frühen 18. Jahrhunderts nahm sich dabei die höfische Gesellschaft zu ihrem eigentlichen Vorbild, indem die Regeln des Zeremoniells vorzugsweise ihre Ordnungs- und Repräsentationsvorstellungen abbildeten. Folglich sah auch die Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der PrivatPersonen aus dem Jahr 1728 die »Höfe, als die beste hohe Schule, aus welcher die Politesse und die Regeln des Wohlstandes gelehret werden»323 sollen. Auch das barocke Briefprotokoll war den Förmlichkeiten und Zwängen der höfischen Etikette
319 Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen, Berlin 1728, S. 1. Vgl. dazu auch Bastl, Beatrix: Feuerwerk und Schlittenfahrt. Ordnungen zwischen Ritual und Zeremoniell, in: Wiener Geschichtsblätter 51 (1996), S. 197–198. 320 Vgl. Vec, Milos: Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation, Frankfurt a. M. 1998, S. 174–175. 321 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709). 322 Ebd., S. 109. 323 Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 26.
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unterworfen,324 was auf besonders eindrückliche Weise der zeremonielle Schnörkel des Schriftverkehrs der Hofkanzleien abbildet. In einer Gesellschaft, in der im persönlichen Umgang permanent darauf geachtet werden musste, dass jede Person eine ihrem sozialen Rang entsprechende Reputation erhielt, hatten die Kanzleibeamten in ihren Schreiben stets für die korrekten Titel und Anreden sowie die gebührenden Formulierungen für all die unterschiedlichen Rangstufen zu sorgen.325 Dieses Wissen fand seinen Weg schließlich auch in die zeitgenössische Briefsteller-Literatur, indem etwa der ehemalige Kanzleibeamte und Briefsteller-Autor Georg Philipp Harsdörffer in seinem Teutschen Secretarius um die Mitte des 17. Jahrhunderts ein ausführliches Titelverzeichnis bedeutender zeitgenössischer Persönlichkeiten präsentierte sowie über die darin abgedruckten Briefvorlagen verlauten ließ, dass sie »nach heut zu Tag üblicher Hof-Art verabfast«326 seien. Wie die Auseinandersetzung mit dem barocken Briefprotokoll in der BriefstellerLiteratur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts konkret aussah und welche spezifischen Inhalte des Briefzeremoniells dabei vornehmlich behandelt wurden, soll nachfolgend eingehend dargelegt werden. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der Frage zu, wie das barocke Briefprotokoll ständische, geschlechtsspezifische, aber auch nationalund fremdsprachige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu »bewältigen« versuchte.
3.2 Titel und Anreden in Briefen In ihren titulatorischen Anweisungen unterschieden die frühneuzeitlichen Briefsteller zwischen einer »inneren« und einer »äußeren« Anredeform. Zur »inneren« Titulatur gehörten die Anrede des Briefempfängers zu Beginn eines Schreibens, die Anrede im Brieftext selber sowie die »Courtoisie«, d.h. der Anredeblock als Abschluss eines Briefes. Mit der »äußeren« Titulatur war dagegen die Anrede als Teil der Briefadressierung gemeint.327
324 Zum höfischen Briefzeremoniell siehe Ruppel, Sophie: Verbündete Rivalen. Geschwisterbeziehungen im Hochadel des 17. Jahrhunderts, Köln u.a. 2006, S. 142–154. 325 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 53–55. 326 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Kapitel-Titelblatt. 327 Die Begriffe »Titel« und »Anrede« sind in ihren deutschen Bedeutungen zwar nicht identisch, deren Inhalte treffen sich aber teilweise. In den frühneuzeitlichen Briefstellern selber fehlt größtenteils eine eindeutige Definition von »Titel« und »Anrede«. Erschwerend kommt hinzu, dass diese in ihren titulatorischen Anweisungen mit verschiedenen Begrifflichkeiten wie »Curialien«, Prädikate, Ehr- und Zuneigungswörter, »Complimente« oder Nebentitel operieren. Handelt es sich um offizielle Schreiben, sprechen die Briefsteller meistens von »Titel« und weniger von »Anrede«. Siehe dazu Kucharska, Elzbieta: Anreden des Adels in der deutschen und der polnischen Briefkultur. Vom 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Eine vergleichende sprachwissenschaftliche Untersuchung. Mit einer Auswahlbibliographie, Neustadt an der Aisch 2000, S. 30–32.
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3.2.1 Die Bedeutung der Titelverzeichnisse in der barocken Briefsteller-Literatur Das frühneuzeitliche Briefzeremoniell gründete auf einer streng nach Ständen und Rängen hierarchisierten Gesellschaft. Welche soziale Position dabei das Individuum innerhalb der Gemeinschaft einnahm, ließ sich über den spezifischen Titel definieren, den eine Person trug. Nach den Ausführungen des Teutschen Secretarius aus der Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich der Titel einer Person aus folgenden Komponenten zusammen:328 I. Der Stand und die Geburt/ ob einer ein Fürst/ Graf/ Edel/ Unedel/ etc. II. Der Tauffname Johann/ Georg/ etc. III. Seine Güter oder Herrschafften/ darvon er sich schreibt und zu schreiben berechtiget ist/ Massen keiner seinem Gut eignen Willens einen Namen geben soll. Doch fügt sich mehrmals/ daß man mit Unrecht eines Erbguts verlustiget wird/ und den Titul allein zu Beweiß seines rechtlich vermeinten Besitzes/ behält/ und seinen Namen wie vor Alters nachfüget. IV. Die Ehrenämbter und Dienste/ welche ihm anvertrauet/ und Theils erblich/ Theils mit der Personen Absterben auff andre gelangen/ und dieses beedes verändert sich.
Der Titel einer Person spiegelte also nicht nur den Stand der Geburt wider, sondern er machte auch Angaben darüber, ob jemand Ländereien oder Herrschaftsrechte besaß oder ein bestimmtes Amt ausübte.329 Die korrekte Anrede des Briefpartners konnte den Schreiber indes vor eine echte Herausforderung stellen, insbesondere dann, wenn dieser den Korrespondenzpartner nicht gut genug kannte, um über all seine Besitztümer sowie die aktuell von diesem ausgeübten Ämter informiert zu sein. Auf der Suche nach dem standesgemäßen Titel einer Person erbrachte die barocke Briefsteller-Literatur mit ihren umfangreichen Titelverzeichnissen eine wichtige Hilfeleistung.330 So sind etwa im Teutschen Secretarius von 1656 auf mehr als 30 Seiten die Titel »Aller dieser Zeit hohen Potentaten/ Königen/ Churfürsten/ Fürsten und Herren/ etc. deß H. Römischen Reichs«331 zusam-
328 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 29. 329 Vgl. Henning, Eckart: Anreden und Titel, in: Friedrich Beck und Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 4., durchges. Aufl., Köln u.a. 2004, S. 231–232. 330 Beispielsweise Harsdörffer, Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil (1659), Teil 1, S. 1–16; Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 27–98; Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 113–187. 331 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Kapitel-Titelblatt.
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mengetragen.332 Hier findet der Briefschreiber nicht nur den standgemäßen Titel des damaligen Königs von Dänemark333, der wie folgt lautete: Dem Durchleuchtigsten/ Großmächtigsten Fürsten und Herrn/ Herrn Friderico dem Dritten diß Namens/ zu Dennemarck/ Nordwegen/ der Wenden und Gothen König/ Hertzogen zu Schleßwigg/ Hollstein/ Stormarn/ und der Dietmarschen/ Grafen zu Oldenburg und Delmenhorst/ etc.
Sondern auch die korrekte Titelbezeichnung der Kurfürstin von Bayern334: Der Durchleuchtigsten/ Hochgebornen Fürstin und Frauen/ Frauen Maria Anna, in Ober- und Nider Bayrn/ auch der Obern Pfaltz Hertzogin/ Pfaltzgräfin bey Rhein/ Churfürstin/ Landgräfin zu Leuchtenberg/ gebornen Königl. Princessin zu Hungarn und Böhmen/ Ertzhertzogin zu Oesterreich/ Hertzogin zu Burgund/ und Grafin zu Tyrol/ Wittib und Vormunderin.
Oder des Bischofs von Bamberg335: Dem Hochwürdigen Fürsten und Herrn/ Herrn Philipp Valentin/ etc. Bischoffen zu Bamberg/ etc.
Allgemein lassen sich die Titelverzeichnisse der barocken Briefsteller-Literatur als ein »Who is who« der Frühen Neuzeit lesen, indem diese eine Zusammenstellung der bedeutendsten weltlichen und kirchlichen Würdenträger ihrer Zeit geben. Bei der Auflistung der einzelnen Anreden folgen die umfangreichen Titulaturverzeichnisse unterschiedlichen Ordnungsprinzipien. Für sein Werbungs-Büchlein von 1633 wählte Johann Rudolff Sattler beispielsweise eine standeshierarchische Systematik, welche die einzelnen Personen ihrem Rang entsprechend aufführt.336 Dieses System verdeutlicht den Stellenwert, der dem gesellschaftlichen Status einer Person zukam, auch wenn dies auf Kosten der Benutzerfreundlichkeit ging. Wollte der Benutzer des Briefstellers nämlich den Titel einer bestimmten Person finden, musste er zuerst deren genauen Rang kennen, um im Verzeichnis fündig zu werden. Wesentlich leichter gestaltet sich die Suche nach der konkreten Titulatur einer Person im Teutschen Secretarius von 1656, indem die Einträge im entsprechenden Verzeichnis alphabetisch geordnet sind.337 In diesem Fall dürften wohl vor allem praktische Überlegungen den Ausschlag für eine alphabetische gegenüber einer systematischen Ordnung geben haben und weniger ein Kritikverhalten seitens des BriefstellerAutors gegenüber der Sichtbarmachung des gesellschaftlichen Status mittels Titel.
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Ebd., S. 32–68. Ebd., S. 37. Ebd., S. 33–34. Ebd., S. 33. Sattler, Werbungs-Büchlein (1633), S. 93–134. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, S. 32–68.
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Die Verzeichnisse der standesgemäßen Titel in der barocken Briefsteller-Literatur nahmen nicht nur an Komplexität zu, je differenzierter die Gesellschaft wurde. Mit dem Einzug der französischen Briefmode im deutschen Korrespondenzwesen im Laufe des 17. Jahrhunderts begannen die Briefsteller vermehrt auch deutsch-französische oder aber auch deutsch-französisch-italienische Titelverzeichnisse aufzuführen.338 Welche konkreten Unterschiede zwischen der deutschen, der französischen sowie der italienischen Art der Titelgebung am Ende des 17. Jahrhunderts bestanden, lässt sich exemplarisch am Titel des pfälzischen Kurfürsten aus dem Epistolischen Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben von 1697 zeigen:339 Dem Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn/ Herrn Johann Wilhelm/ Pfaltz-Grafen beym Rhein/ des Heiligen Römischen Reichs Ertz-Schatz-Meistern und Churfürsten/ Hertzogen in Bäyern/ zu Jülich/ Cleve und Berg/ Grafen zu Veldentz/ Spanheim/ der Marck/ Ravensberg und Mörs/ Herrn zu Ravenstein/ etc. Meinem Gnädigsten Churfürsten und Herrn. A Son Altesse Electorale, Monseigneur Jean Guillaume le Comte Palatin de Rhin. A Sua Altezza Elettorale, il Signor Giovanni Guillielmo, Conte Palatino del Reno.
Im Vergleich zum deutschen Titel fällt das französische resp. italienische Pendant viel schlanker aus. Während sich die beiden fremdsprachigen Titel auf die wesentlichen Angaben zum sozialen Status sowie zur Funktion des Briefempfängers beschränkten, beinhaltete der deutsche Titel noch zusätzliche Angaben zu Herrschaften oder Gütern. Bei diesem Vergleich stellt sich unumgänglich die Frage, ob die fremdsprachigen Titel im real existierenden Korrespondenzwesen des französischen oder italienischen Sprachraums auch so kurz ausgefallen sind oder ob wir es hier vielleicht vielmehr mit »Übersetzungsschwierigkeiten« seitens der deutschsprachigen Briefsteller zu tun haben. Diese Frage drängt sich umso mehr auf, als andere, in den Titelverzeichnissen der deutschen Briefsteller ebenfalls nicht vollständig übersetzte fremdsprachige Titel mit einem Abkürzungszeichen abgeschlossen werden. Dieser Umstand könnte ebenso dahingehend interpretiert werden, dass der deutsche Titel hier nicht direkt, sondern eher sinngemäß und damit kulturspezifisch variiert ins Französische oder Italienische übersetzt wurde. Sicher hingegen ist, dass solche nicht vollständig ausformulierten fremdsprachigen Titel einen mit den fremdsprachigen Anreden weniger vertrauten Briefschreiber vor gewisse Probleme gestellt haben dürften.
338 Beispiele fremdsprachiger Titelverzeichnisse finden sich in Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697), Anhang; Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 1–64; Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stetsbereite und vielvermehrte Secretarius (1699), S. 7–48; Rost, Versuch Einiger FrantzösischTeutscher Briefe (1734), Anhang. 339 Bohse, August: Epistolisches Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben, Leipzig 1697, S. 536–537.
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Unzweifelhaft geht ferner aus den Auflistungen der barocken Titelverzeichnisse hervor, inwiefern sich die Personen in der deutschen Gesellschaft über ihren Titel definierten. Aus diesem Grund mag es wenig verwundern, dass Briefsteller-Autoren wie Georg Philipp Harsdörffer oder August Bohse die Leser ihrer Werke verschiedentlich darauf aufmerksam machten, »daß bey den Teutschen einem jeden seyn Titular gar genau müsse gegeben werden«340, denn ansonsten riskierte der Absender, »daß er [der Briefempfänger] einem seine Bitte/ oder was er im Briefe suchet/ abschläget«341. Die Bedeutung, welche die einzelnen Brieflehrbücher den Titelverzeichnissen zurechneten, fiel sehr unterschiedlich aus. Während die deutschen Briefsteller des 17. Jahrhunderts größtenteils Titelauflistungen über mehrere Seiten führten, erschienen im 18. Jahrhundert zunehmend Werke, die weniger Wert auf solche Verzeichnisse legten, indem sie diesen nur wenige Seiten einräumten oder sogar ganz darauf verzichteten. In Christian Fürchtegott Gellerts Praktischer Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 sucht der Briefschreiber vergeblich nach einem Titelverzeichnis. Ebenso fehlen hier in den meisten abgedruckten Briefbeispielen die Anreden zu Beginn eines Schreibens.342 Dieser Bedeutungsverlust der Titelverzeichnisse dürfte in direkter Verbindung mit dem sich um die Wende zum 18. Jahrhundert in der Briefsteller-Literatur abzeichnenden Umschwung weg von einem förmlichen Brief kanzlistischer Prägung hin zu einem höflich-galanten (Privat-)Brief stehen. Der Brief begann sich in der deutschen Briefkultur zusehends aus seiner standeshierarchischen Umklammerung zu lösen, indem die persönliche Beziehung zwischen Briefabsender und -adressat an Bedeutung gewann.343 Die standesgemäße Titelgebung resp. Anredeformel des Gegenübers verlor an Komplexität, was schließlich umfangreiche Titelverzeichnisse überflüssig machen sollte. Gleichzeitig wurden in den zeitgenössischen Briefstellern die kritischen Stimmen hinsichtlich der unter den Deutschen vorherrschenden Titelsucht lauter. In seinem Teutschen Secretarius aus der Mitte des 17. Jahrhunderts hielt Georg Philipp Harsdörffer dazu fest, dass die Titel sich sowohl aus Gründen des Ehrgeizes als auch aus Schmeichelei überboten hätten.344 Dieser Prozess, so die Erklärung von Harsdörffer weiter, hätte schließlich in der frühneuzeitlichen Gesellschaft zu einem »Selbstläufer« geführt, indem die Freyer ihren ersten alten Titul (die Edlen) behalten haben/ alsbald haben die Grafen einen höhern Titul wollen haben/ und genennet werden die Wolgebornen: die Fürsten so in dem Stand über die Grafen waren/ wolten auch einen höhern Titul haben/ und genennet werden die Hochgebornen/ (und ist das Hochgeboren auff die 340 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 26. 341 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 27. 342 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751). 343 Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 283. 344 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 26.
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Grafen/ das Wolgeboren auf die Freyherrn kommen.) Allein die Freyen (Ritter haben ihren Titul die Edlen) behalten/ welchen noch bey uns ein jeder Edelknecht haben will.345
Die Kritik an der für die Deutschen bezeichnenden Titelsucht konnte in der barocken Briefsteller-Literatur zumal auch humoristische Züge annehmen. So reicherte Christian Friedrich Hunold das Titelverzeichnis seiner Ausgabe des Briefstellers Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1722 mit fiktiven Berufs- und Personendefinitionen an. Hier kann etwa unter dem Stichwort »Vornehmer Kaufmann« folgender Eintrag nachgelesen werden: Dem Wohl-Edlen Herrn Herrn N. (Tit.) Meyern/ Handels-Mann der mit Nee-Nadeln handelt/ und mit andern Wahren/ als Fingerhuten und Heffteln/ ist seiner Kunst ein Stein-Setzer oder Pflasterer/ Großgünstig abzugeben/ auf der Fleischer-Strassen zum Zeichen hängt ein Kirschner-Schild aus/ Cito Cito nach Leipzig.346
Und beim Eintrag »Bettler« ließ Hunold folgende Anrede abdrucken: Dem armen Mann/ Christoff Torten-Schmidt/ Bettler- und Straßen-Sitzer gegen Baden zu. Durch die barmhertzige Baader-Fuhrleute dahin zu senden.347
Hinter der Entscheidung, einen Briefsteller ohne Titelverzeichnis zu veröffentlichen, dürfte gerade in Zeiten, in denen sich die Menschen noch stark über ihren sozialen Status definierten, weniger ein Kritikverhalten gestanden haben, als vielmehr pragmatische Überlegungen den Ausschlag für einen Verzicht gegeben haben dürften. In der Frühen Neuzeit existierte nämlich neben den Brieflehrbüchern mit den so genannten Titularbüchern eine Quellengattung, die es sich explizit zur Aufgabe gemacht hatte, eine Zusammenstellung verschiedenster Titel zeitgenössischer Persönlichkeiten anzubieten. Zu den berühmtesten Titularbüchern seiner Zeit gehörte Johann Christian Lünigs Neueröffnetes Europäisches Staats-Titularbuch, auf das sogar einzelne Briefsteller bei der Suche nach der konkreten Anrede einer bestimmten Person verwiesen.348 Zwischen Briefstellern und Titularbüchern scheint zuweilen aber auch ein harter Konkurrenzkampf geherrscht zu haben. So wehrt sich August Bohse im Vorwort des dritten Teils seines Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 vehement gegen den Vorwurf, in seinem Titelverzeichnis einige Eintragungen aus Werken wie dem Titular-Buch Curieuse Hof-, Staats- und Reichs-Titulatur nachgedruckt und als seine eigene Leistung ausgegeben zu haben.349 Ein weiterer Grund, der den Verzicht auf ein Titelverzeichnis begünstigen konnte, dürfte das wichtige Qualitätsmerkmal der Aktualität gewesen sein. Die Briefsteller warnen denn auch explizit davor, die Angaben aus den Titelverzeichnissen ohne 345 346 347 348 349
Ebd., S. 26. Zit. nach Brüggemann, Vom Herzen direkt in die Feder, S. 24. Zit. ebd., S. 24. Z.B. Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 64. Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil (1695), unpag.
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Überprüfung zu übernehmen. Es konnte nämlich durchaus vorkommen, dass der darin abgedruckte Titel einer Person bereits nicht mehr aktuell war, da diese seit der Veröffentlichung des Briefstellers etwa ihre berufliche Funktion gewechselt hatte. Um einen solchen Fauxpas zu vermeiden, so der Rat von August Bohse, nachzulesen im zweiten Band seines Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695, tat ein Briefschreiber gut daran ehe er an einen schreiben will/ daß er sich an selbigen Ort/ wo er ist/ es sey nun bey einer Universität/ oder an einem Hofe/ oder anderswo/ erstlich erkundige/ was selbiger vornehme Mann vor einen Titul habe/ was er vor Ehren-Aemter bediene/ auch ob er sich auff gewisse Ritter-Sitze schreibe.350
3.2.2 Zur Bildung der Anredeformen Die frühneuzeitliche Titulatur verfügte über einen zweiteiligen Aufbau: Auf den ausführlichen Titel folgte eine standesspezifische Anrede, deren Hauptzweck darin bestand, die sozialen Verhältnisse stärker auszudifferenzieren.351 Die Anredeform mit ihren spezifischen Ehrprädikaten ließ sich direkt vom Titel ableiten. Wie bei den Titeln unterschieden die Briefsteller auch bei den Anreden zwischen männlichen und weiblichen Formen. Nachfolgend sollen die Bildung bzw. die Ableitung der Anrede vom Titel genauer dargestellt und dabei auch sprachliche Unterschiede aufgezeigt werden. Die männliche Anrede Ein König – so die Anweisungen aus den zeitgenössischen Briefstellern – sollte mit »Durchleuchtigster/ Grossmächtigster König/ Gnädiger Herr«, ein Graf mit »Hochgebohrner Graf/ gnädiger Herr« angesprochen werden, während die standesgemäße Anrede eines Kanzlers »Jhre Excellenz« oder eines Kaufmanns »Mein Hochgeehrter Herr« lautete. Diese verschiedenen Anreden unterschieden sich jeweils in ihren Ehrwörtern, die in direktem Bezug zur sozialen Position der angesprochenen Person standen. Wie komplex sich die Bildung der standesgemäßen männlichen Anreden mit den dazugehörenden spezifischen Ehrprädikaten gestaltete, lässt ein Blick in Johann George Neukirchs Academische Anfangs-Gründe aus dem Jahr 1729 erahnen. Allein für Personen weltlichen Standes unterschied Neukirch zwischen fünfzehn Arten von Ehrwörtern, welche »dem hohen und niedrigen Adel, und unter dem Bürger-Stande den Hof-
350 Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), Vorbericht, unpag. 351 Vgl. Henning, Anreden und Titel, S. 232–238.
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Bedienten, gelehrten Künstlern und Handwerckern beygeleget werden«352 mussten. Während die kaiserliche Anrede die Form »Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster und Uberwindlichster« hatte, erhielten Freiherren und Barone sowie Edelleute adligen Standes die Anrede »Hochwohlgebohren«. »Hoch-Edelgebohren« war dagegen Ratspersonen in kaiserlichen, königlichen oder auch fürstlichen Diensten sowie Bürgermeistern von großen Reichsstädten vorbehalten. Dozenten an Universitäten, Ritterakademien und Gymnasien benutzten die Ehrwörter »Hoch-Edler, Vest und Hochgelahrter, HochEdler und Hochgelahrter oder Hoch-Edler«, während Hofmeister in adligen und vornehmen bürgerlichen Anstellungen als »Hoch-Wohl-Edler und Hoch-Wohlgelahrter« angesprochen werden mussten. Das Ehrprädikat »Edel« bezog sich etwa auf Ratspersonen in kleineren Städten und Kaufleute, ebenso aber auch auf Künstler und Angehörige von Berufsgruppen wie den Buchdruckern, Apothekern, Kupferstechern oder Uhrmachern, die außerdem noch den Zusatz »Kunsterfahrner, Kunst-Wohlerfahrner oder Kunstreicher« erhielten. Bürger und Handwerker bekamen Anreden wie »Wohlehren Vester, Vorachtbarer, Ehrsamer und Wohlgeachter, Ehrbarer und Nahmhafter«.353 Die Anrede korrespondierte nicht nur mit der Standesehre der angesprochenen Person, sondern sie spiegelte ebenso die zwischen den Briefpartnern herrschende soziale Hierarchie wider. Besaß der Briefabsender die gleiche gesellschaftliche Position wie der Adressat notiert der Teutsche Secretarius von 1656 die Anrede »Hochgeehrter Herr«. »Günstiger« oder auch »Gebietener Herr« sollte dagegen eine rangniedrigere Person gegenüber einer ranghöheren wählen, während die Anrede »Euer Gestreng« oder auch »Hochadelich Gestreng« vornehmlich Schreibern vorbehalten war, die im Dienst des Briefadressaten standen.354 In den in der barocken Briefsteller-Literatur abgedruckten Briefvorlagen sprachen sich männliche Briefpartner außerdem mit »Vetter« oder »Schwager« an, während ein Mann seine Briefpartnerin auch schon einmal mit »Schwesterchen« titulierte. Solche Anredeformen deuten auf ein enges, aber nicht zwingend verwandtschaftliches Verhältnis zwischen den Korrespondierenden hin.355 Sie richten sich zuweilen auch nach dem Rangunterschied und dem Altersabstand zwischen den Schreibenden.356 All diesen Anredeformen ist eines gemeinsam: Der Name des Briefempfängers fehlt. Das Individuum definierte sich im barocken Briefzeremoniell demnach über seine Position in der Gesellschaft und nicht über seinen Namen. Gerade in einer Gesellschaft, in der im persönlichen Umgang stets auf den sozialen Status einer Person geachtet werden musste, konnte – wie es im Allzeitfertigen Brieffsteller aus dem Jahr 352 Neukirch, Johann George: Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung, Braunschweig 1729, S. 50. 353 Ebd., S. 50–53. 354 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 5. 355 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 436. 356 So soll es beispielsweise unter den Geschwistern des deutschen Adels im 17. Jahrhundert üblich gewesen sein, in Briefen an den älteren Bruder diesen mit »Vater« anzusprechen. Vgl. Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 151–153.
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Das barocke Briefzeremoniell
1692 heißt – schon die geringste Ungenauigkeit in der Formulierung der Anrede zur Abweisung eines Briefes führen, denn wann man noch so wohl ein Schreiben einrichtet/ und in Tittulirung der Person fehlet/ vornemlich da man einen zu wenig tituliret/ so kan der Brey auf einmahl verschüttet werden/ und ist dieses/ zumahl bey einem/ dem an der Ehre viel gelegen ist/ alleine genug/ daß er einem seine Bitte/ oder was er im Briefe suchet/ abschläget.357
Um zu verhindern, dass ein unstandesgemäßer Titel den Korrespondenzpartner verärgerte, stellte der Teutsche Secretarius um die Mitte des 17. Jahrhunderts fest, würde manch ein Briefschreiber lieber ganz auf die Anrede des Briefempfängers verzichten und an entsprechender Stelle den Vermerk »Tit.« setzen.358 Nach Meinung von Georg Philipp Harsdörffer würden die Korrespondierenden in diesem Fall aber besser auf die im Gegensatz zur deutschen Anrede weniger affektiert wirkende französische Art der Anrede359 zurückgreifen, die beispielsweise die einfache Form »Meinem Herrn/ Herrn N.N.« besaß.360 Ganz anderer Meinung war dagegen Kaspar Stieler, der sich in seiner Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673 dahingehend äußerte, dass der Verzicht der kompletten standesgemäßen Anrede des Korrespondenzpartners zu Beginn eines Briefes »ohne Verdacht einer Geringschätzung« nicht hätte erfolgen können, »es sey denn bey sehr beschäftigten Personen/ und in Sachen/ so große Eile erfordern«.361 Es würde also demnach, so Stieler weiter, auch nicht angehen, an Stelle des standesgemäßen Titels »salvo titulo, oder salvo honore tituli, oder p.p. oder auch Edler etc. Hochgeehrter Herr und wehrter Freund«362 zu setzen. Auch der Einsatz von französischsprachigen Anreden in deutschen Briefen scheint nicht ganz unproblematisch gewesen zu sein, zumal diese Angelegenheit in den zeitgenössischen Brieflehrbüchern sehr kontrovers diskutiert wird. Die Meinungen hinsichtlich der Frage, ob – und wenn ja – in welchen Situationen im deutschen Briefverkehr französische Anreden verwendet werden durften, gehen in der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts sehr auseinander.363 Während für Kaspar Stieler klar war, dass »der Titel Monsieur nur darüm erdacht ist und fortgesetzet wird/ dass man entweder dem/ an welchen man schreibet/ seine Ehre nicht gönnet/ oder sich selbst zu viel einbildet«364, ließen die sich in ihrer Brieftheorie am französischen Hof und seiner Briefetikette orientierenden galanten Briefsteller357 358 359 360 361 362 363
Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 27. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 29. Zur französischen Anrede siehe La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 39–41. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 29. Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst, (1673), Teil 2, S. 467. Ebd., S. 467. Zur Diskussion des Einflusses von Fremdsprachen auf die deutsche Briefkultur des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts siehe Kapitel 4.3.4. 364 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 467.
Titel und Anreden in Briefen
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Autoren August Bohse und Christian Friedrich Hunold in ihren deutschsprachigen Briefvorlagen ohne Weiteres Anreden wie »Monsieur, mon amable frere & tres honore Amy« oder einfach nur »Mademoiselle« abdrucken. Explizit gegen die Verwendung von französischen Anreden in deutschen Briefen sprach sich dagegen auch Friedrich Andreas Hallbauer in seiner Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie von 1725 aus. Darin vertrat er den Standpunkt, dass »wer einen gantz teutschen Brief verstehet, […] auch eine teutsche Anrede und Courtoisie verstehen«365 wird. Andere Briefsteller aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreiteten die Regel, dass in Briefen an vornehme Personen weiterhin deutsche Anredeformen verwendet werden sollten, während in Briefen unter Seinesgleichen aber auch an Rangniedrige sowie an Freunde und Verwandte durchaus eine französische Anrede gewählt werden dürfe.366 Inwiefern den jeweiligen Briefsteller-Autoren der Einsatz von französischen Anredeformen in deutschsprachigen Briefen als opportun erschien, hing wesentlich von ihrer Beziehung zur deutschen Sprache ab. Insbesondere puristische Autoren wie Kaspar Stieler oder Georg Philipp Harsdörffer im 17. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert Christian Fürchtegott Gellert, die sich für die Pflege der deutschen Muttersprache einsetzten, übten Kritik am französischen Einfluss auf die deutsche Briefkultur. Die weibliche Anrede Die Briefsteller des 17. und frühen 18. Jahrhunderts thematisierten in ihren titulatorischen Anweisungen nicht nur die unterschiedlichen männlichen Anredeformen, sondern gingen ebenso auf die Kriterien spezifischer weiblicher Anredeformen ein. Eine Besonderheit des barocken Briefzeremoniells bestand darin, dass es Frauen und Männer unabhängig von ihrem Geschlecht behandelte, indem Frauen bzw. Töchter in der Regel in ihren Anreden die gleichen Ehrprädikate erhielten, welche ihre Männer resp. Väter besaßen.367 Die Anrede für weibliche Adressatinnen verzichtete indes auf die Berücksichtigung amtlicher Funktionen, welche ihre Väter bzw. Männer ausübten und somit auf Ehrwörter wie »Hoch- oder Wohlweise«. Ferner fielen beim Titel einer Frau auch die auf einen Universitätsabschluss hinweisenden Ehrwörter wie »Hoch- oder Wohlgelahrt« weg, wenn die Titelträgerin selber nicht studiert hatte.368 Die allgemeine Anrede für ledige Frauen lautete in den frühneuzeitlichen Briefstellern »Jungfer«, während »Fräulein« für die ledigen adligen Damen reserviert war.369 365 Hallbauer, Friedrich Andreas: Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie, Jena 1725, S. 698. 366 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 68–69; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 67. 367 Vgl. Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 149–151. 368 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 54–55. 369 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 148–149.
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Das barocke Briefzeremoniell
Im Französischen bezeichnete die Anrede »Mademoiselle« unverheiratete Frauen, während »Madame« für Verheiratete stand.370 Mit der Heirat übernahm die Frau für gewöhnlich nicht nur den sozialen Status ihres Ehemannes, sondern auch dessen standesgemäße Anrede. Im Adel war es üblich, dass eine Frau, die den gleichen sozialen Status wie ihr Ehemann besaß, einen Doppelnamen führte. Dabei ließ sie ihren ledigen Namen auf die mit der Heirat übernommene Anrede folgen, welche beispielsweise folgende Form haben konnte: »Vermählte und Gebohrne Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg/ oder Verwittibte und Gebohrne Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg«371. Heiratete eine Frau einen ranghöheren Mann, fiel der Familienname der Frau in ihrer Anrede weg. Im Falle, dass die Frau ranghöher war als ihr Ehemann, behielt sie ihre ledige Anrede nach der Heirat bei und ließ dieser den standesgemäßen Titel ihres Ehemannes folgen, z.B.: »Gebohrne Herzogin von Hollstein etc. Vermählte Gräfin zu Oldenburg und Delmenhorst/ etc.«372 Während im Briefverkehr generell auf standesgemäße Anreden geachtet werden musste, vermitteln die in den galanten und verliebten Briefen verwendeten Anreden barocker Briefsteller den Eindruck einer völligen Loslösung von der standeshierarchischen Umklammerung. Hier dominieren gefühlsbetonte, sich nicht selten durch eine besonders affektiert wirkende Wortwahl auszeichnende Anreden. Neben einfachen Kosenamen wie »Mein Engel«, »Mein Herz«, »Mein Schatz«, »Anehmliche Schöne« oder der prägnanten französischen Version »Ma Chère«, um nur ein paar Ausdrücke zu nennen, treten in den abgedruckten barocken Briefvorlagen immer wieder auch besonders sinnlich formulierte Anreden in Erscheinung. Für korrespondierende Männer in Liebesangelegenheiten hielten die Briefsteller für ihre Liebsten Wendungen wie »Meiner mit Schönheit und Tugend höchstgezierten Beherrscherin« bereit oder sie ließen die Briefbeispiele mit Anreden wie »Der vollkommensten Gewalthaberin meines Willens«, »Meine so schöne/ als keusche Herzens-Zwingerin«, »Allerholdseeligste Beherrscherin meiner Affectionen», »Allersüssester Trost meines Hertzens« oder »Aller schönste Beherrscherin/ und eintzige Freude meiner Seelen« beginnen.373 Auffällig ist, dass im Gegensatz dazu die männlichen Anreden in verliebten Briefvorlagen weniger affektiert wirken, wenn Frauen ihre Briefe mit einem einfachen »Liebester N.« oder auch mit »Hoch-Edler, Glorwürdiger Held« begannen.374
370 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 39–41. 371 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 430. 372 Ebd., S. 430. Hierzu auch Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 30–31. 373 Butschky, Hochdeutsche Venus-Kanzeley (1644); Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695); Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673); Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717); Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707). 374 Butschky, Hochdeutsche Venus-Kanzeley (1644); Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707).
Titel und Anreden in Briefen
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3.2.3 Zum Aufbau der Anrede Die Anrede zu Beginn des Briefes Die barocken Anredeformen, wie sie in den zeitgenössischen Briefstellern vermittelt werden, korrespondierten nicht nur mittels Ehrprädikaten mit dem sozialen Status der Briefschreiber, sondern sie folgten auch einem entsprechenden Aufbau. Wie aus Johann George Neukirchs Academische Anfangs-Gründe von 1729 detailliert hervorgeht und wie mit Beispielen anschaulich illustriert wird, bestimmte der gesellschaftliche Status der Korrespondierenden, ob sich die Darstellung der Anrede über zwei oder drei Zeilen erstreckte.375 Über eine zweiteilige Form verfügten die Anreden eines Kaisers oder Königs sowie von Fürsten und Grafen – inklusive derer Ehefrauen und Kinder – aber auch von geistlichen Würdenträgern mit vergleichbarem gesellschaftlichen Rang, z.B.: Durchlauchtigster, Großmächtigster Churfürst.. Gnädigster Churfürst und Herr.376
War der Brief an Angehörige des niederen Adels wie Barone oder Edelleute und deren Familienangehörige gerichtet, konnte die Anrede zwei- oder dreiteilig sein. Für eine Anrede auf zwei Zeilen sollte sich der Briefschreiber aus der Sicht von Neukirch vor allem dann entscheiden, wenn er gegenüber dem Adressaten zu besonderem Respekt verpflichtet war, beispielsweise indem er den Brief als dessen Klient resp. Untertan verfasst hatte. In einem Brief an einen vornehmen Adligen hieß die Anrede somit: Hoch-Wohlgebohrner Herr,. Gnädiger Herr.377
Einen zweizeiligen Aufbau erhielten ferner auch Anreden in Korrespondenzen, die zwischen gesellschaftlich Gleichgestellten gewechselt wurden. Um das Schreiben in diesem Fall ein wenig persönlicher zu gestalten, fiel dabei das »Herr« in der ersten Zeile weg, während das »Gnädig« durch »Hochgeehrt« ersetzt wurde. Auch wenn Adlige an rangniedere Personen schrieben, ließen sie das »Herr« weg, gleichzeitig konnten sie Bezug zum Amt nehmen, welches der Briefempfänger ausübte. Ein Freiherr hatte demgemäß einen Aktuar im Brief mit Wohl-Edler,. Hochgeehrter Herr Actuarius.378
375 376 377 378
Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 63–67. Ebd., S. 63–64. Ebd., S. 65. Ebd., S. 65.
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anzusprechen. Schrieben sich Freunde, dann konnte die Anrede folgende Form haben: Hoch-Edelgebohrner Herr Hof-Rath,. Hochzuehrender Herr Vetter.379
Dreizeilig erschien die Anrede dagegen, wenn der Schreiber in einem Brief an einen Ranghöheren dessen Funktion zu berücksichtigen hatte.380 So lautete die Anrede eines Edelmanns, der Regierungsrat war, folgendermaßen: Hoch-Wohlgebohrner Herr,. Hochgeehrtester Herr Regierungs-Rath, . Hoher Patron.381
Einem dreizeiligen Aufbau folgte in der Regel auch die Anrede in Briefen an vornehme weltliche und geistliche Personen von bürgerlichem Stand beider Geschlechts, z.B.: Hoch-Edelgebohrne,. Hochgeehrteste Frau Hof-Räthin, . Hochgeschätzte Gönnerin.382
Neukirch ließ es sich nicht nehmen, abschließend noch ein paar Gedanken zum Gebrauch von französischen Anreden zu formulieren. Seiner Ansicht nach konnten die Anreden an Verwandte und Bekannte sowie an gute Freunde auch in französischer Sprache verfasst werden. Bei der französischen Anredeform unterschied er zwischen einer einzeiligen Anrede, bestehend aus »Monsieur«, »Madame« oder »Mademoiselle« sowie der folgenden zweizeiligen Form: Monsieur,. Mon tres (estime, cher, honore) Amy, Cousin, Beau-Frere, Compere etc.383
Die »Courtoisie« am Briefende Nicht nur die Anrede zu Beginn eines Briefes folgte einer bestimmten sprachlichen Form und einem ebensolchen Aufbau, sondern auch das Gegenstück dazu, die so genannte »Courtoisie« am Schluss eines Briefes. 379 380 381 382
Ebd., S. 67. Ebd., S. 64–65. Ebd., S. 63–64. »Patron« und »Gönner« galten im höfischen Schreibstil nicht als Synonyme. Während die Bezeichnung »Patron« in Briefen an sozial Höhergestellte gebraucht wurde, war »Gönner« für Briefe an Gleichgestellte oder Niedrige reserviert. Dazu Neukirch, Academische AnfangsGründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 66–67. 383 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 67.
Titel und Anreden in Briefen
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Die »Courtoisie« setzte sich aus mehreren Bestandteilen zusammen, die sich an eine vorgegebene Reihenfolge hielten und direkt im Anschluss an den eigentlichen Briefinhalt folgten. Was wir uns genau unter der »Courtoisie« vorzustellen haben, zeigt folgende Illustration aus dem Briefsteller Auserlesene neue Briefe von 1717:384
13 Darstellung der »Courtoisie« am Ende eines Briefes zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Eröffnen konnte der Briefschreiber die »Courtoisie« mit einem Satz wie »Jch verharre mit allem ersinnlichen Respect», womit er gegenüber dem Korrespondenzpartner seine Treue, Ergebenheit oder auch Freundschaft versicherte. Als Nächstes folgte die Wiederholung der Anrede des Briefempfängers, z.B. »Ewr. Excellenz«, worauf der Briefverfasser die Submission, z.B. »unterthäniger und gehorsamster Knecht«, folgen ließ. Diese Ehrerbietung bestand in der Regel aus ein bis zwei Adjektiven, welche der Schreiber entsprechend dem sozialen Status des Briefempfängers zu wählen hatte. Dazu heißt es im Allzeitfertigen Secretarius von 1690: Dem Keyser schreibt man sich/ allerundertänigster; an einen Fürsten/ Eu. Fürstl. Durchl. undertänigster/ treugehorsamster Diener; Einem Grafen/ Eu. Hochgräfl. Gnaden undertäniger/ gehorsamster Diener; Einem Edelmann/ Eu. Hochedel Gestr. underwilligster gehorsamer Diener: Also einem andern vornehmen Mann/ Patron und Förderer.385
Wie bei der Anrede zu Beginn des Briefes war es auch möglich, die Submission in französischer Sprache zu formulieren. Äußerst beliebt in den abgedruckten Musterschreiben scheint die Wendung »Vostre treshumble & tres-obligé serviteur N.«386 gewesen zu sein. Nach der Submission unterzeichnete der Absender den Brief mit seinem Namen. War das Schreiben an eine höher gestellte Person adressiert, sollte der Vor- und Nachname nach den Vorstellungen der barocken Brieflehrbücher immer ausgeschrieben werden, während es in Briefen an Freunde sowie Verwandte und Bekannte üblich war, 384 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 39. Siehe auch Schmid, Briefe, S. 116–118. 385 Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 156. 386 Siehe hierzu La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 41–42.
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den Vornamen abzukürzen. Für den Schreiber bestand nach den Ausführungen des Briefstellers Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben aus dem Jahr 1717 ebenso die Möglichkeit, anstelle seines Namens mit einer feinen zierlichen Linie zu unterschreiben.387
3.3 Die formalen Eigenschaften des Briefes Die zeitgenössische Briefsteller-Literatur ließ es indes nicht bei der Vermittlung des korrekten Einsatzes von Titeln bzw. Anreden in einem Brief bewenden, sondern sie zeigte einem potenziellen Benutzerkreis ebenso auf, wie ein standesgemäßer Brief einzurichten war. Diese nützlichen Hinweise zu den formalen Eigenschaften eines Schreibens reichten vom Schriftbild und der Papierqualität, über die räumliche Einteilung des Briefpapierbogens bis hin zur Faltung des Briefes und der Siegelung des Kuverts – und sie erscheinen umso detaillierter und umfangreicher, je weniger die brieftheoretische Fachliteratur ihr Publikum für geübt im Schreiben von Briefen hielt.
3.3.1 Schriftbild, Papierqualität und -format Schriftbild In einer Briefvorlage aus dem zweiten Teil des Teutschen Secretarii aus der Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Inhalt »Von Übler Schrift« bittet der Schreiber seinen Freund, »die Buchstaben deutlicher/ die Zeilen gerader/ die Meinung durch die Schrifftscheidung […] vernemlicher/ zu Papier zu bringen«.388 Ansonsten verlangte er von seinem Freund »einen mit zusenden/ der seine Briefe lesen kan/ oder der Herr bringe sie selbst«, da er »seine verzogne Schrifft gar nicht lesen« könne.389 Einfacher als einen »Übersetzer« der Handschrift mit dem Brief mitzuschicken, war es, den Brief von einem Berufsschreiber verfassen zu lassen, auch wenn es gemäß der zeitgenössischen Anstandsliteratur als ein Zeichen der Ergebenheit gegenüber ranghöheren Personen galt, seine Briefe selber zu schreiben.390 Gerade in Zeiten, welche den Eindruck entstehen lassen, dass Briefe oftmals einzig und alleine dem Zweck dienten, sich der Affektion des Empfängers zu versichern, war es nach Ansicht von Christian Friedrich Hunold besonders wichtig, einen Brief
387 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 85. Dazu auch Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 339. 388 Harsdörffer, Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil (1659), Teil 2, S. 18. 389 Ebd., S. 18. 390 Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 324.
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so »sauber und zierlich«391 wie nur möglich abzufassen. Die Handschrift392, warnte Jean Puget de La Serre in seinem Secrétaire à la Mode von 1655 ausdrücklich, dürfe die Augen des Lesers keineswegs ermüden, sondern sie müsse vielmehr von solch schöner Gestalt sein, dass der Adressat mit Vergnügen den Brief lesen würde. Andernfalls würde das Schreiben wohl kaum auf das Wohlwollen des Empfängers stoßen, da dieser den Briefinhalt gar nicht oder nur unter großem zeitlichen Aufwand entziffern könne.393 «Sauber und zierlich« galt ein Brief nach den Vorstellungen der zeitgenössischen Brieflehrbücher nicht nur, wenn er in einer leserlichen Handschrift verfasst war, sondern wenn er auch keine sichtbaren Korrekturen aufwies – durchgestrichene oder hinzugefügte Wörter sowie Randbemerkungen entsprachen demnach nicht den Konformitäten. Ebenfalls sollte ein wohl verfasster Brief über ein den Leser ansprechendes Schriftbild verfügen, das sich durch möglichst gerade und mit gleichem Abstand aufeinander folgende Zeilen auszeichnete. Hierzu wiesen die Briefsteller den Schreiber an, als Schreibutensilien eine gut beschnittene Feder sowie gut fließende schwarze Tinte zu verwenden. Als unschicklich galt es ferner, die Feder innerhalb eines Briefes zu wechseln, da dies im Schriftbild sichtbar war. War der Brief geschrieben, hatte der Verfasser die nasse Tinte mit Streusalz zu fixieren, um beim anschließenden Brieffalten ein Verschmieren der Tinte zu verhindern.394 Papierqualität Großen Einfluss auf ein angenehmes Schriftbild hatte die Beschaffenheit des Schreibpapiers. Papier von hoher Qualität definierte Christian Friedrich Hunold in seinem Brieflehrbuch Auserlesene neue Briefe von 1717 mit den Worten »schön, weiß und klar«395. Außerdem sollte das Briefpapier beschnitten sein und über eine entsprechende Dicke verfügen, die ein Durchschlagen der Tinte verhinderte.396 391 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 34. Dazu auch Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 96; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 682. 392 Mit Gebhard Overheide und seiner Edlen Schreib–Kunst aus dem Jahr 1665 verfasste ein Briefsteller-Autor ein separates Lehrbuch zur Kalligraphie, das neben Anweisungen zur Schriftsetzung auch Hinweise zu Papierqualitäten, zu Eigenschaften von Schreibtinten und -federn sowie deren Herstellung enthält. Dazu Overheide, Gebhard: Fünff Bucher Der Edlen Schreib-Kunst, Braunschweig 1665. 393 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 46. 394 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 687; La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 46; Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der PrivatPersonen (1728), S. 338–339. 395 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 40. 396 Ebd., S. 40. Siehe auch Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 87; La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 46.
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Das verwendete Schreibpapier musste ferner auf den sozialen Status des Briefempfängers sowie den Schreibanlass abgestimmt werden. So soll es nach den Briefstellern unter vornehmen Personen Mode gewesen sein, Briefpapier mit vergoldetem Rand zu verwenden. Hatte eine vornehme Person einen Trauer- oder Unglücksfall zu beklagen, musste der Briefbogen des Kondolenzschreibens von einem schwarzen Rand geziert sein. Briefpapier mit einem schwarzen Rand setzten die Schreiber aber auch generell ein, wenn es einen eigenen Trauerfall bekannt zu geben galt. Briefsteller wie Hunolds Auserlesene neue Briefe oder Rosts Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben unterschieden zu Beginn des 18. Jahrhunderts hierbei Papier mit einem schwarzen Rand so breit wie ein »Feder-Kiel«, welches etwa bei Einladungsschreiben zu Begräbnissen verwendet werden sollte.397 Papierformate Die einzelnen Briefe ließen sich nicht nur hinsichtlich der Papierqualität unterscheiden, sondern sie konnten auch ganz unterschiedliche Formate aufweisen. Wie schon die Papierqualität hing auch die Wahl des Papierformates wesentlich vom sozialen Status der Korrespondierenden ab. Dazu meinte der Teutsche Secretarius von 1656, »daß also auch grosse Herrn grosse Briefe erhalten und ablauffen lassen/ da hingegen kleine und geringe Leute/ sich mit weniger Titulen und Papyr betragen können«398. Konkret auf die Briefformate bezogen bedeutete diese Regel aus den Briefstellern, dass Schreiben an Könige, Fürsten, Grafen und andere ranghohe Personen in FolioFormat verfasst werden sollten, während an die übrigen vornehmen Personen Briefpapier in Groß-Quart zu benutzen war. Klein-Quart schien den Brieflehrbüchern als Format für Briefe an gesellschaftlich Gleichgestellte sowie an rangniedere Personen als angemessen.399 Generell war aber eine Person von niedrigerem Status, die an einen Ranghöheren schreiben musste, gut beraten, wenn sie ein größeres Papierformat wählte, denn damit drückte sie ihre Ergebenheit aus.400 Das Papierformat spiegelte nicht nur das soziale Verhältnis der Korrespondierenden wider, sondern über das Briefformat ließen sich ebenso Aussagen zur inhaltlichen 397 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 40–41. Dazu auch Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 686; Richelet, Pierre: Les plus belles Lettres françoises sur toutes Sortes de Sujets, Basle 1747, Observations sur l’Art d’écrire les Lettres, S. LII. 398 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 31. 399 Zu den in den Briefstellern erwähnten Formaten (Abmessungen in cm): Folio: 21 x 33 / Quart: 22,5 x 28,5 / Oktav: 14,25 x 22,5. Hierzu Trapp, Wolfgang: Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung, 4., durchges. und erw. Auflage, Stuttgart 2001. Siehe ebenso Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 40; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 686. 400 Hunold, La Civilité Moderne (1705), S. 234.
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Relevanz eines Schreibens ableiten. Laut den Anweisungen in den barocken Briefstellern hatten demnach nicht nur offizielle Schreiben über ein Folio-Format zu verfügen, sondern beispielsweise auch Einladungsschreiben zu Hochzeiten, Tauffeiern oder zu Begräbnissen.401 Laut Georg Steinhausen lässt sich für das 17. Jahrhundert eine Dominanz des Folio-Formats im Briefverkehr festhalten. Während offizielle Schreiben im 18. Jahrhundert weiterhin im Folio-Format erschienen, setzte sich bei den »Privatbriefen« das Quartformat durch, da das Folio-Format allgemein als unbequem und unhandlich gegolten haben soll. Oktav-Format hatten hauptsächlich so genannte »Billette« – also kleine Handbriefe, die insbesondere vertraute Personen einander zukommen ließen.402
3.3.2 Zur Papierbogeneinteilung und der Abfolge der verschiedenen Briefteile Die barocke Briefsteller-Literatur setzte sich für eine formale Gestaltung von Briefen ein, die sowohl auf einer genauen Abfolge der einzelnen Briefteile – nämlich Anrede, Inhalt, »Courtoisie« und Unterschrift sowie Datum, Ort und Postskriptum – als auch auf einem entsprechenden Raumkonzept basierte. Bei der räumlichen Papierbogenaufteilung und den jeweiligen Abständen zwischen den einzelnen Briefteilen haben wir es mit Gestaltungsmitteln zu tun, die maßgeblich von dem zwischen den Korrespondierenden herrschenden sozialen Verhältnis bestimmt waren und deshalb von Brief zu Brief unterschiedlich stark variieren konnten.403 Wie ein Brief zu Beginn des 18. Jahrhunderts an eine ranghohe Persönlichkeit nach den standesgemäßen Vorstellungen auszusehen hatte, beschreibt Christian Friedrich Hunold in seinem Briefsteller Auserlesene neue Briefe sehr anschaulich.404 Zwecks besseren Verständnisses dürfte er seine theoretischen Ausführungen mit folgender Abbildung eines Schreibens, in dem der Absender bei einem Fürsten um einen Sekretärsposten ansuchte, ergänzt haben:405
401 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 40; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 686. 402 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 238; Büngel, Der Brief, S. 63. 403 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 239. 404 In Geschäftsbriefen spielte die Raumeinteilung eine eher untergeordnete Rolle. Trotzdem war es auch hier unhöflich, alle Ecken und Ränder eines Blattes voll zu schreiben. Zumindest am Anfang und am Ende des Schreibens, vor der Unterschrift, sollte ein wenig Raum freigelassen werden. Dazu Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 34–36. Zur formalen Gestaltung des Papierbogens siehe ebenfalls ausführlich Neukirch, Academische AnfangsGründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 46–47; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 687–688; Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 82–84. 405 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 51–54.
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14 a Formale Gestaltung eines Briefes an eine vornehme Person zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
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Eröffnet wurde der Brief gewöhnlich mit der Anrede, die der Schreiber nach einem zwei Finger breiten Abstand vom oberen Blattrand zu setzen hatte. Anschließend sollte er einen Raum von einer Handbreite frei lassen, bevor er sein Anliegen formulierte. Der Abstand zwischen Anrede und Hauptteil variierte entsprechend der sozialen Beziehung, die zwischen den Korrespondierenden herrschte. Allgemein galt die Formel, je rangniedriger der Briefabsender war, desto tiefer musste der Schriftspiegel angesetzt werden406 – oder wie im Anstandsbuch La Civilité Moderne, Oder die Höflichkeit Der Heutigen Welt von 1705 nachzulesen ist: »Qu’aprés le Monseigneur ou le Monsieur […] on laisse beaucoup de blanc avant que d’écrire le corps de la lettre, differemment pourtant, selon la qualité des personnes; & plûtost plus que moins«.407 Der Haupttext des Briefes sollte auf der ersten Seite nur aus drei bis fünf Zeilen bestehen, gerade einmal so viel, dass zwischen der letzten Zeile und dem unteren Blattrand ein fingerbreiter Raum frei blieb. Auf der zweiten Seite musste der Text auf der gleichen Höhe beginnen, auf der auf der vorhergehenden Seite die Anrede stand. Am unteren Blattrand sollte der Schreiber den gleichen Abstand einhalten wie auf der ersten Seite. Was den linken und rechten Seitenrand betraf, so hatte der Schreiber auf der linken Seite eine Breite von zwei Fingern freizuhalten, während rechts der Text soweit wie möglich zum Blattrand hin verlaufen sollte. Diese Angaben zu den Seitenrändern behielten ihre Gültigkeit für den ganzen Brief. Die letzte Seite eines Briefes an eine vornehme Person sollte höchstens aus fünf bis sechs Zeilen bestehen, damit noch genügend Platz für die Unterschrift und das Datum zur Verfügung stand und außerdem noch ein entsprechender Abstand zum Blattrand eingehalten werden konnte. War der Text zu lang, verlangte es die Höflichkeit, dass mindestens zwei Zeilen auf einem neuen Papierbogen geschrieben wurden.408 Hatte der Schreiber das Ende des eigentlichen Briefinhalts erreicht, musste er einen Raum von zwei Fingern Breite offen lassen, bevor er linksbündig und ein wenig eingerückt, die Anrede des Briefempfängers als Zeichen seiner Ergebenheit nochmals wiederholte. Nach einem weiteren Abstand, der das soziale Verhältnis der Briefpartner widerspiegelte, folgte die Submission mit der Ehrerbietung, die gewöhnlich einen Fingerbreit vom unteren Blattrand weg und rechtsbündig zu platzieren war. Anschließend unterzeichnete der Schreiber mit seinem Namen.409
406 Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 339; Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 5–6. 407 Hunold, La Civilité Moderne (1705), S. 236. 408 Ebd., S. 243. 409 Hierzu auch Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 691; Stieler, Kaspar: Vortrab Des Allzeitfertigen Sekretariens, Nürnberg 1683, S. 29–30; Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 7–8; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 76–77.
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Gegenüber der Unterschrift war in der Regel das Datum sowie der Ort410 vermerkt, an dem der Brief verfasst worden war. In Geschäfts- und Kaufmannsbriefen war es laut der zeitgenössischen Briefsteller-Literatur üblich, das Datum zu Beginn des Schreibens oben rechts in die Ecke zu setzen. Aus Gründen des Respekts sollte diese Art der Briefdatierung jedoch nur in geschäftlicher Korrespondenz an Seinesgleichen oder an rangniedere Personen verwendet werden. In Briefen an vornehme Persönlichkeiten musste das Datum stets am Schluss platziert werden, unabhängig davon, ob es sich um eine geschäftliche oder private Korrespondenz handelte. Als fester Briefbestandteil erlaubte die Datierung den Korrespondierenden, die korrekte Zustellung ihrer Schreiben zu überwachen.411 Wie die Schlussgestaltung eines Briefes genau auszusehen hatte, zeigt folgende Illustration aus Johann Leonhard Rosts Brieflehrbuch Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben von 1717:412
15 Schlussgestaltung eines Briefes aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Anrede, Ort und Datum sowie der Submission.
410 War die Person in der Stadt nicht bekannt, sollten zusätzlich noch Straße und Hausnummer vermerkt werden, damit der Briefpartner wusste, wie er seinen Antwortbrief zu adressieren hatte, um eine korrekte Zustellung zu ermöglich. Siehe Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 696. 411 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 41–42; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 695–696; Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 7, 9; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe (1729), S. 69; Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 236–237; Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 85. 412 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 85.
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Wollte der Verfasser, nachdem er den Haupttext bereits abgeschlossen hatte, seinem Brief noch eine Information hinzufügen, konnte er sie als Postskriptum anhängen. Dieses stand in der Regel nach der Wiederholung der Anrede und vor der Erwähnung von Ort und Datum: 413
16 Schlussgestaltung eines Briefes aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit angefügtem Postskriptum.
Die Frage, inwiefern sich das Postskriptum auf zentrale Informationen bezog, oder ob es vielmehr als ein stilistisch-dramaturgisches Gestaltungsmittel ganz im Sinn von »Da hätte ich noch etwas« gedacht war, lässt sich nicht abschließend beantworten. Generell schienen den barocken Anleitungen zur Briefschreibkunst Postskripta im geschäftlichen Briefverkehr angemessen zu sein, während im übrigen Briefverkehr nur an Seinesgleichen oder an Rangniedere ein Postskriptum angefügt werden sollte. In Geschäftsbriefen an vornehme Personen verlangte es die Höflichkeit, für das Postskriptum außerdem einen separaten Papierbogen zu verwenden. Wie der Brief folgte auch das Postskriptum einem besonderen Aufbau: Als Eröffnung schlug Friedrich Andreas Hallbauer in seiner Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie von 1725 die Überschrift »Unterthänigstes Jnserat« oder einfach »Postscriptum« vor, worauf die Anrede des Briefempfängers, beispielsweise »Auch Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr«, und die eigentliche Information folgten. Das Postskriptum konnte mit dem Datum und der Unterschrift abgeschlossen werden, aber ebenso mit dem einfachen Vermerk »Datum ut in litteris», was soviel hieß wie »Am gleichen Tag geschrieben wie der Brief«.414 Bei der hier beschriebenen räumlichen Einteilung des Papierbogens handelt es sich laut des Briefsteller-Autors Christian Friedrich Hunold um die gängigste formale Briefgestaltung. Daneben sollen aber, so Hunold, noch weitere Arten der Briefgestaltung existiert haben, wie jene, bei welcher der eigentliche Schreibanlass erst ab der 413 Ebd., S. 85–86. 414 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 696–697.
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Mitte des Blattes zu platzieren war. In diesem Fall blieb die obere Hälfte des Papierbogens leer. Diese Art der Raumeinteilung bedurfte insbesondere bei längeren Briefen sehr viel Papiers, was angesichts der Papierpreise in der Frühen Neuzeit nicht eben gerade billig gewesen sein dürfte, weshalb sich diese Art der Briefgestaltung – wenn überhaupt, denn Hunold macht dazu in seinem Briefsteller leider keine Angaben – nur gut situierte Personen leisten konnten. Ferner soll es laut den Ausführungen von Hunold zu Beginn des 18. Jahrhunderts Mode gewesen sein, nach der ersten Briefseite eine Seite leer zu lassen, um erst auf der folgenden Seite mit dem Text fortzufahren. Diese Art der Briefgestaltung ging angeblich auf eine Fehlinterpretation eines Missgeschicks zurück: Ein Schreiber hatte für seinen Brief zu feines Papier genommen, weshalb die Tinte durchfärbte, was die Beschriftung der folgenden Seite unmöglich machte. Dem Verfasser blieb indes nichts anderes übrig, als den Brief auf der nächsten Seite fortzusetzen.415 Diese Art der Briefgestaltung soll vor allem bei den Franzosen sehr verbreitet gewesen sein, da sie Briefpapier benutzten, das allgemein als »Französisches Papier«416 bekannt und für seine weiße Farbe und Feinheit berühmt war.417
3.3.3 Brieffaltung und Kuverts War der Brief geschrieben, musste er für die Versendung gefaltet werden. In der Frühen Neuzeit war es üblich, die einzelnen beschriebenen Papierbögen ineinander zu legen, um sie anschließend in ein Rechteck zu falten und zu versiegeln. Für diesen Zweck sollte die letzte Bogenseite leer bleiben, denn auf ihr war in der Mitte die Adresse des Briefempfängers zu vermerken.418 Der Einsatz von Kuverts, wie wir sie heute im schriftlichen Briefverkehr kennen, sollte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts allgemein durchsetzen.419 Der formalen Gestaltung und des Aufbaus eines Briefes entsprechend war auch die »Brieflegung«, wie es in der zeitgenössischen Briefsteller-Literatur heißt, im 17. und frühen 18. Jahrhundert bestimmten gesellschaftlichen Konventionen unterworfen. Das Format eines Schreibens hing dabei maßgeblich von der sozialen Position des Briefempfängers ab, wenn der Teutsche Secretrarius in der Mitte des 17. Jahrhunderts 415 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 36–37. 416 Hierzu auch Zedler, Grosses-vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künsten (1733), Bd. 26, S. 640. 417 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 45–46; Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 340; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 86–87. 418 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 483–484; Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 8. 419 1820 soll Brewer in Brighton die heute noch gebräuchliche Form des Kuverts eingeführt haben. Vgl. Tschudin, Peter F.: Grundzüge der Papiergeschichte, Stuttgart 2002, S. 229; Büngel, Der Brief, S. 63.
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dazu meinte: »Es ist auch absonderlich die Zusammenlegung der Briefe zu beobachten/ welche so viel grösser müssen gebogen werden/ so viel grösser der Titul dessen/ an dem sie gestellet sind«.420 Andererseits konnte das Briefformat ebenso ein Indiz für den Bedeutungsgehalt des Schreibens sein, wobei die Regel in der zeitgenössischen Briefsteller-Literatur besagte: Je größer das Format eines Briefes, desto wichtiger sein Inhalt.421 An vornehme Personen war es laut den Ausführungen der zeitgenössischen Briefsteller üblich, die in Folio-Format geschriebenen Briefe in ein Oktav-Format zu legen, während in Quart-Format verfasste Briefe der Länge nach einmal und anschließend in der Mitte nochmals zu falten waren.422 Ferner finden sich in der barocken Briefsteller-Literatur ebenso Hinweise, die auf eine ganz spezielle Brieffaltung anspielen. So soll es laut der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673 unter Höflingen und Frauen zuweilen Mode gewesen sein, Briefe in Gestalt einer Rose, eines Herzens oder eines Vogels zu verschicken.423 Den eigentlichen Wert einer solchen kunstvollen Brieffaltung sah Julius Bernhard von Rohr in seiner Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen von 1728 denn auch mehr darin, »wenn man seiner Lisimene ein billet doux überschicken, als einem vornehmen Minister, oder sonst einer hohen Standes-Person, ein Schreiben übermachen will«, da vornehme Personen ohnehin Besseres zu tun hätten, »als die wunderlich-geknüpfften Briefe der müßigen Leute aufzulösen«.424 Die vielen Papierfalze dürften zudem das Lesen des Briefes erschwert haben, weshalb die kunstvolle Brieflegung bald wieder aus der Mode gekommen sein soll.425 Briefe in einem Kuvert zu verschicken, scheint in der Frühen Neuzeit nicht nur eine Frage der Höflichkeit gewesen zu sein, sondern auch des Wohlstandes, denn gerade unter vornehmen Personen soll es üblich gewesen sein, im Briefverkehr Kuverts zu verwenden. Briefumschläge wurden aber auch aus rein praktischen Überlegungen eingesetzt. Christian Friedrich Hunold zählte in seinen Auserlesenen neuen Briefen zu Beginn des 18. Jahrhunderts verschiedene Gründe auf, die den Einsatz von einem Kuvert als sinnvoll erscheinen lassen. Dies war etwa der Fall, wenn die letzte Seite eines Briefes derart voll geschrieben war, dass beim Öffnen die Gefahr bestand, den Brief zu beschädigen, wodurch Teile des Inhalts hätten verloren gehen können.426 Ferner übernahm der Umschlag die Funktion einer Schutzhülle, die den Brief auf seinem langen Transportweg vor allfälligen Beschädigungen bewahren sollte. Aus diesem Grund sollte für das Kuvert dickes Papier verwendet werden. Als gänzlich 420 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 31. 421 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 689. 422 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 85–86; Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 483–484. 423 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 484. 424 Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 340. 425 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 86; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 689. 426 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 45–46.
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ungeeignet fand Hunold das so genannte »Französische Papier«, das für seine Feinheit bekannt war.427 Ein weiterer und nicht zu unterschätzender Vorteil eines Kuverts bestand darin, dass ein Verschreiber in der Adresse sich einfach durch ein neues Kuvert beheben ließ, ohne dass die ganze letzte Briefseite nochmals rein geschrieben werden musste.428
3.3.4 Siegel Bevor ein Brief schließlich verschickt werden konnte, musste er noch verschlossen werden. Bis zur Einführung von »gummierten« Umschlägen in der Mitte des 19. Jahrhunderts bildete das Siegel das Hauptverschlussmittel von Briefen. Das Siegel erfüllte dabei eine Doppelfunktion: Einerseits war es ein Erkennungszeichen für den Absender, andererseits konnte ein beschädigtes Siegel ein Hinweis dafür sein, dass der Brief unterwegs geöffnet und gelesen worden war.429 Als Teil des frühneuzeitlichen Briefzeremoniells thematisierten die Briefsteller ebenfalls die korrekte Anwendung von Siegel und Siegelwachs im Korrespondenzwesen. Hierzu lieferten sie auch einige praktische Tipps, wie beispielsweise Johann George Neukirch, der im Kapitel zur Briefverfassung aus seiner Schrift Academische Anfangs-Gründe von 1729 der Frage nachging, wie denn eine schöne Siegellackefarbe zu erzielen sei. Dazu gab Neukirch dem Briefschreiber die Anweisung, dass dieser »das aufgetröpfelte Lack mit dem in Händen habenden Lack umrühret, so vergehen die von dem Licht verursachten schwartzen Flecken, und die rothe Farbe wird wieder hergestellet«430. Neben der reinen Farbe musste das Siegelwachs außerdem über eine feine Konsistenz verfügen, da der Feinheitsgrad als Maßstab für den gezeigten Respekt gegenüber dem Briefpartner galt. Damit das Siegel seiner Aufgabe als Verschlussmittel gerecht werden konnte, musste der Schreiber zudem darauf achten, nicht zu viel Lack auf das Papier zu tropfen, da ansonsten das Siegel leicht brechen konnte.431 427 Ebd. S. 45–46. Siehe dazu auch Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der PrivatPersonen (1728), S. 340; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 686–687; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 86–87. 428 Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 340. 429 Im 17. Jahrhundert soll es auch Mode gewesen sein, die Briefe mit farbigen Seidenbändern zu verschließen. Häufig wurden Liebesbriefe auf diese Art verschlossen. Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 241; Köhn, Dimensionen und Funktionen des Öffentlichen und Privaten in der mittelalterlichen Korrespondenz, S. 314–316. Stieldorf, Andrea: Siegelkunde. Basiswissen, Hannover 2004, S. 32–36. 430 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 88. 431 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 688; Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 47; Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 341; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 87–88.
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Aus den barocken Briefstellern erfährt der Leser ebenfalls, dass beim Siegelwachs eine bestimmte Farbhierarchie vorherrschte. Während im 17. Jahrhundert Angehörige der Adelsschicht ihre Korrespondenzen vorzugsweise mit rotem Wachs siegelten432, benutzen Landstände, fürstliche Ämter sowie Gesellschaften und Zünfte grünes Siegelwachs. Gelbes Wachs dagegen war sozial tiefer stehenden Personen vorbehalten. Im 18. Jahrhundert scheint sich dann rot als übliche Siegelfarbe im Briefverkehr durchgesetzt zu haben, zumal die Briefsteller bunte Siegelfarben als »kindisch« bezeichneten und von deren Gebrauch abrieten.433 An der Siegelfarbe ließ sich aber laut den barocken Briefstellern nicht nur der soziale Status des Briefabsenders ablesen, sondern über die Farbe des Siegels konnte ebenso auf den jeweiligen Schreibanlass geschlossen werden. Während ein rotes Siegel für ein freudiges Ereignis stand, kündigte ein schwarzes Siegel auf einem Brief vielfach einen Trauer- oder Unglücksfall an. Schwarz sollten die Briefe aber nicht nur gesiegelt werden, wenn der Briefschreiber selber einen Trauerfall aus seinem persönlichen Umfeld zu beklagen hatte, sondern aus Gründen des Respekts auch, wenn er Kondolenzbriefe an vornehme Personen sowie an Freunde, Verwandte und Bekannte schrieb.434 Auch die Siegelgröße und der Ort, an dem das Siegel auf den Brief gedruckt werden sollte, waren durch den sozialen Status der Korrespondierenden bestimmt. Personen mit einem großen Sozialprestige verschickten demnach nicht nur Briefe in Großformat, sondern sie benutzten auch ein großes Siegel. Dazu hält die Teutsche Sekretariat-Kunst von 1673 die allgemeine Regel fest: »Ie größer der Herr/ ie größer Siegel er auch führet«.435 Weiter galt die Regel in den Briefstellern, dass, wenn zwei Personen von unterschiedlichem sozialem Status ein Schreiben zu siegeln hatten, die Person mit dem höheren sozialen Status ihr Siegel zuletzt auf der rechten Briefseite aufdrückte.436 Benutzte der Schreiber ein Kuvert, sollte das Siegel gewöhnlich in der Mitte des Umschlags positioniert werden und die »Petschaft«437 musste nach der Schriftrichtung 432 Das rote Wachs genoss eine besondere Attraktivität, da es – im Gegensatz zu grünem oder gelbem Wachs – nicht selber in den Kanzleien hergestellt werden konnte. Rotes Wachs war teuer und verlieh denen Sozialprestige, die es sich leisten konnten. Vgl. Stieldorf, Siegelkunde, S. 59. 433 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 492–493; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 688. Vgl. auch Stieldorf, Siegelkunde, S. 59. 434 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 47; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 88; Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 492. Dazu auch Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 241. 435 Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 493. Siehe auch Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 1, Vorrede, S. 31. 436 Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 149–150; Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede S. 7. 437 Hier handelt es sich um ein Siegelstempel: Das Siegelbild wurde in eine Platte eingraviert, die mit einem Handgriff versehen sein konnte. Vgl. Stieldorf, Siegelkunde, S. 22.
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der Adresse ausgerichtet sein.438 Wurde der Brief nicht in einem Kuvert verschickt, sollte das Siegel nach den Anweisungen von Rohrs in seiner Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen von 1728 mehr gegen die rechte Seite hin platziert werden.439 Ein Siegel ließ sich schließlich laut der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts auch verwenden, um Aussagen über das persönliche Verhältnis zwischen den Korrespondierenden zu machen. So stellte ein auf der Rückseite des Briefes aufgedrucktes Siegel eine Beleidigung für den Briefempfänger dar.440
3.3.5 Zur Adressierung auf dem Briefumschlag Die Beförderung von Briefen durch (Post-)Boten erforderte eine eindeutige Adressierung, damit sie dem Empfänger auch sicher zugestellt werden konnten. Wie die Briefsteller kritisch anmerkten, reichte aber eine in ihren Angaben korrekte Anschrift noch nicht aus, um sicher zu gehen, dass der Briefempfänger auch Kenntnis vom Briefinhalt nahm. Die Anschrift musste nämlich nicht nur den Namen und den Aufenthaltsort des Adressaten wiedergeben, sondern in ihrer Form hatte sie ebenso dem sozialen Status des Briefempfängers gerecht zu werden. Mit einer nicht standesgemäßen Adressierung riskierte der Briefverfasser indes, dass der Adressat den Brief ungeöffnet an den Absender zurückschickte.441 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren die Adressen im deutschen Briefverkehr noch mehrheitlich in deutscher Sprache abgefasst. Aber auch die im Laufe des Jahrhunderts aufkommende französische Briefmode dürfte die deutsche Adressierung nicht ganz verdrängt haben. Neben Bestrebungen, die deutsche Sprache zu schützen, spielten insbesondere praktische Überlegungen eine wichtige Rolle, wenn sich die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur gegen eine französische Adressierung im deutschen Briefverkehr aussprach. Französischsprachige Adressen konnten zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Postzustellung führen, da längst nicht alle deutschen Postboten das Französische gut genug beherrschten, um zu erkennen, welche deutsche Ortschaft sich hinter einer französischen Bezeichnung verbarg. Gegen eine französischsprachige Adresse sprach außerdem der Umstand, dass für bestimmte deutsche Berufs- oder Ämterbezeichnungen kein französisches Pendant existierte, weshalb in den französischen Anschriften weiterhin auf deutsche Termini zurückgegriffen werden musste – ein Umstand, der 438 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 88; Stieler, Vortrab Des Allzeitfertigen Sekretariens (1683), S. 30; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 88; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 689. 439 Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (1728), S. 341. 440 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 9; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 88. 441 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrde, S. 9; Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 89.
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aus Sicht der puristischen Briefsteller ein »Flickwerk« darstellte. Postanschriften in einer Fremdsprache machten laut den zeitgenössischen Brieflehrbüchern nur dann Sinn, wenn der Brief ins Ausland verschickt wurde.442 Inwiefern sich die deutsche von der französischen Art der Briefadressierung unterschied, soll hier nun genauer erläutert werden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildete Johann George Neukirch im Abschnitt zur Briefverfassung aus seinem Werk Academische Anfangs-Gründe zur Wohlredenheit folgende deutsche Anschrift eines Briefes an einen Kriegsrat und zugleich Domherr an einem Hochstift ab: 443
17 Deutsche Briefadressierung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
An erster Stelle stehen die persönlichen Angaben zum Briefempfänger: Sein Titel, Name sowie die standesgemäße Anrede – in diesem Fall »meinem Hochgeneigten Patron«, wodurch der Schreiber sein persönliches Verhältnis zum Briefadressaten zum Ausdruck brachte. Die persönliche Anrede stellte keinen zwingenden Bestandteil der deutschen Adresse dar, denn je nach Inhalt des Schreibens verlangte es die Situation, diese Anrede ganz wegzulassen, um nicht die Neugierde bestimmter Personen auf den Brief zu lenken.444 Auf keinen Fall fehlen durfte die Angabe des Ortes, an den der Brief befördert werden sollte. Gab es mehrere Orte mit dem gleichen Namen, so wurde die Region als weiteres Unterscheidungskriterium vermerkt.445 Verglichen mit der deutschen Anschrift erscheint das ebenfalls in Neukirchs Academischen Anfangs-Gründen von 1729 abgedruckte französische Beispiel einer Briefadressierung an einen Hofrat, der zugleich »Syndicus und Doctor Juris« war, weniger schwerfällig:446
442 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 48; Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 698–700; Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 94–95. 443 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 93. 444 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 243. 445 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 690; Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 93. 446 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 92.
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18 Französische Briefadressierung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Die französische Adressierung eines Briefes konzentrierte sich laut dem französischen Briefsteller Le Secrétaire à la Mode von 1655 auf die wesentlichen Informationen: »Le nom & titres de celui à qui on escrit, & le lieu où il demeure«.447 Diese Vorgaben übernahmen die deutschen Briefsteller auch in ihren Anweisungen und verzichteten bei den französischen Adressen, im Gegensatz zu der deutschsprachigen Form, auf umfangreiche Titel und Anredeformeln.448 In der oben abgebildeten französischen Adressierung macht den Anfang ein einfaches zentriertes »Monsieur«, »Madame«, »Mademoiselle« oder auch »A son Excellence«, nach deren Wiederholung der Name des Briefempfängers samt der Bezeichnung seines Berufes folgt. Die Angaben zu den ausgeübten Funktionen konnten zusätzlich mit Formulierungen wie »tres celebre«449 qualifiziert sein. Wie aus de La Serres Secrétaire à la Mode von 1655 weiter hervorgeht, sollte die französische Briefanschrift an bedeutende Persönlichkeiten zusätzlich »une aussi grande distance que faire se peut entre la premiere & la seconde ligne; pour ce qu’on fait davantage d’honneur quand elles sont plus esloignées«450 aufweisen. Um den Aufenthaltsort des Briefempfängers noch genauer zu qualifizieren, konnte der Absender die Adresse mit dem Vermerk »Presentement« ergänzen, was hieß, dass sich der Adressat nur vorübergehend an einem Ort aufhielt.451 Der Briefsteller-Autor 447 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 36. 448 Hierbei stellt sich die gleiche Frage wie schon bei den fremdsprachigen Titeln. Aufgrund der Ausführungen in den deutschsprachigen Briefstellern kann nicht abschließend beantwortet werden, ob die französische Adressierung auch im real existierenden französischen Briefverkehr dementsprechend kurz ausfiel. 449 Während »celebre« bei Gelehrten verwendet wird, stehen bei Kaufleuten oder Künstlern die Ausdrücke »tres renomme« oder »bien renomme«. Hierzu Neukirch, Academische AnfangsGründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 91. 450 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 37. 451 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 49; Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 91.
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Johann Leonhard Rost hielt diesen Ausdruck jedoch für verzichtbar, ohne dass die Adresse dadurch eine wichtige Information für die korrekte Zustellung des Briefes verloren hätte. Noch viel weniger konnte Rost, wie aus seinem Briefsteller Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben von 1717 überdies hervorgeht, mit dem Hinweis »tres humblement« anfangen. Dieser Ausdruck soll zuweilen das »Presentement« auf dem Briefumschlag ersetzt und bedeutet haben, dass ein Brief mit dem untertänigsten Respekt verschickt worden sei. Rost war der Meinung, dass dieser Ausdruck zu formell sei und der Briefschreiber dadurch eine zu demütige Position einnehme.452 Für den Fall, dass der Brief nicht hätte zugestellt werden können, sollte der Schreiber laut Friedrich Andreas Hallbauers Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie von 1725 auf der linken Seite die Adresse notieren, an der der Brief nötigenfalls abgegeben werden konnte.453 Neben der Adresse des Briefempfängers konnten auf dem Briefumschlag noch weitere Angaben hinsichtlich der Beförderung eines Briefes oder sonstigen Schriftverkehrs notiert werden. Der Ausdruck »Franco par tout« etwa wies darauf hin, dass die Gebühr des Briefes bereits vom Absender bezahlt worden war.454 Bei der oben abgebildeten französischen Beispieladresse zeigt der Vermerk »Franco bis Halberstadt« dem Briefempfänger an, dass der Brief bis Halberstadt bezahlt war und er somit noch für den Rest des Transportpreises aufkommen musste. Hierzu hält der Teutsche Secretarius von 1656 fest, dass es als äußerst unhöflich galt, »wann ich einen meiner Angelegenheit bemühe und ihn noch Unkosten mit meinen Briefen verursache«455. Gerade für vornehme Personen konnten die vielen unaufgeforderten Bitt- und Empfehlungsbriefe zu einer nicht zu unterschätzenden finanziellen Belastung werden, wenn die Absender nicht für die Briefgebühren aufkamen.456 Auf der Außenseite des Briefes konnte der Absender auch Informationen bezüglich der Art der Briefbeförderung vermerken. Der französische Ausdruck »Par Couvert« – oder auch »Inclusa« oder »Per Einschluß«457 – zeigte an, dass ein Brief in einem anderen Brief mit eingeschlossen war.458 Wurde das Schreiben einem Freund oder Bekannten zur Weiterbeförderung mitgegeben, vermerkte dies der Schreiber laut dem Teutschen Secretarius von 1656 mit der Wendung »Durch einen/ etc. Herrn und Freund/ den Gott begleite«459, während das französische Pendant dazu »Par Amy, 452 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 92–93. 453 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 690. 454 Während der Begriff »Franco« im frühneuzeitlichen Briefverkehr ausdrückte, dass die Briefgebühr vom Absender bezahlt worden war, zeigte der heute verwendete Begriff »Porto« an, dass die Gebühr vom Empfänger des Briefes bezahlt werden musste. Vgl. Beyrer, Der alte Weg eines Briefes, S. 21. 455 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 9. 456 Vgl. Beyrer, Der alte Weg eines Briefes, S. 22. 457 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 9. 458 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 91–92; Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 95. 459 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Vorrede, S. 10.
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que Dieu conduise«460 hieß. Briefe konnten ferner auch die Funktion von Begleitschreiben übernehmen, indem die Notiz »Nebst einem beykommenden Koffer Sub signo«461 den Empfänger wissen ließ, dass noch ein Paket folgen sollte. Wenn ein Brief besonders schnell transportiert werden sollte, konnte der Absender die Formel »Cito, Cito, Citissime« auf den Umschlag schreiben. Wie aus der Briefsteller-Literatur hervorgeht soll dieser Zusatz aber im Laufe des 17. Jahrhunderts viel von seiner Wirkung eingebüßt haben. Mit einer schnelleren Zustellung durfte der Absender allenfalls noch rechnen, wenn der Brief an eine bedeutende Persönlichkeit adressiert war. Der Briefsteller-Autor Johann Leonhard Rost riet dem Briefschreiber zu Beginn des 18. Jahrhunderts sogar, auf das »Cito« ganz zu verzichten und stattdessen eine höfliche Bitte etwa in der Form von »Der Herr Post-Meister zu N.N. wird inständig ersuchet/ gegenwärtigen Brief/ unverweilet bestellen zu lassen«462 auf dem Brief anzubringen.
3.4 Zusammenfassung Dem barocken Briefzeremoniell maßen die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Briefsteller des 17. und frühen 18. Jahrhunderts insgesamt eine große Bedeutung zu. Hinsichtlich der Relevanz einzelner Themenaspekte des Briefprotokolls lassen sich in den verschiedenen Brieflehrbüchern jedoch unterschiedliche Gewichtungen feststellen. In den Sekretariatsbüchern des 17. Jahrhunderts bildeten die umfangreichen Titelverzeichnisse einen zentralen Angelpunkt, indem sie sowohl Angaben zu konkreten Titeln zeitgenössischer Persönlichkeiten als auch allgemeingültige Hinweise zu Titeln von Personen eines bestimmten sozialen Standes lieferten. Meistens beinhalteten die Ausführungen zur Titulatur auch eine genaue Anleitung, wie sich die einzelnen männlichen und weiblichen Titel bzw. Anreden gemäß ihrem jeweiligen sozialen Stand bilden ließen. In den Briefstellern des frühen 18. Jahrhunderts dagegen erscheinen die Titelverzeichnisse allgemein weniger prominent platziert, teilweise verzichteten sie sogar ganz auf eine solche Zusammenstellung verschiedener gebräuchlicher Titel. Dieser Vorgang dürfte als Zeichen eines in der deutschen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts einsetzenden Prozesses der sozialen Abwertung von Titeln gedeutet werden. Anstelle der Titelverzeichnisse erweiterten einige Brieflehrbücher des 18. Jahrhunderts ihre Ausführungen zum Briefprotokoll um formale Aspekte, indem sie beispielsweise auf die unterschiedlichen Qualitäten von Schreibpapier eingingen oder detailliert besprachen, wie es einen Briefbogen räumlich einzuteilen galt und welche Abfolge die einzelnen Briefteile einhalten sollten. 460 Neukirch, Academische Anfangs-Gründe, Zur Briefverfassung (1729), S. 92. 461 Ebd., S. 92. 462 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 93
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Das barocke Briefzeremoniell
Diese Verschiebung in der Gewichtung der einzelnen Teile des Briefzeremoniells kann als direkte Folge des in der Briefsteller-Literatur vom 17. zum 18. Jahrhundert hin stattfindenden Wandels des Zielpublikums gesehen werden. Sekretäre, Notare oder sonstige Beamte in fürstlichen und städtischen Kanzleien, die zum Hauptpublikum der Sekretariatsbücher des 17. Jahrhunderts gezählt werden können, benötigten ihrerseits wenige Anweisungen hinsichtlich des Briefprotokolls, da sie durch ihre tägliche Arbeit mit der Briefetikette bestens vertraut gewesen sein dürften. Für Sekretäre waren aber gerade korrekte Anreden von zentraler Bedeutung, weshalb es wenig erstaunen mag, dass sich unter den Autoren von Sekretariatsbüchern nicht selten (ehemalige) Kanzleibeamte wie Georg Philipp Harsdörffer oder Kaspar Stieler befinden. Mit dem Anstieg des privaten Briefwechsels im 18. Jahrhundert griffen nun vermehrt Personen zur Feder, die mit der Briefetikette weniger vertraut gewesen sein dürften und deshalb einer umfassenderen Einführung in das zeitgenössische Korrespondenzwesen bedurften. Die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts veröffentlichten bürgerlichen Briefsteller versuchten solche »Schreibanfänger« in den Briefverkehr zu integrieren, indem sie ihnen die dazu benötigten Kenntnisse des Briefzeremoniells von Grund auf vermittelten. In diesem Zusammenhang diskutierte die barocke Briefsteller-Literatur auch den im Laufe des 17. Jahrhunderts erstarkenden französischen Einfluss auf die deutsche Briefmode. Hinsichtlich der Problematik, wie nun mit französischen Anreden in deutschen Briefen oder mit französischen Adressierungen verfahren werden sollte, lässt sich keine allgemeingültige Regel festhalten. Die Meinungen der einzelnen Briefsteller gingen bei dieser Frage sehr auseinander. Während puristische Briefsteller, die sich der Pflege der deutschen Muttersprache verpflichtet fühlten, generell die Ansicht vertraten, dass ein in deutscher Sprache verfasster Brief ebenso auch eine deutsche Anrede oder Adresse haben sollte, hielten es andere Brieflehrbücher, darunter vor allem Vertreter der galanten Brieftheorie, durchaus vertretbar, wenn gute Freunde oder Bekannte französische Wörter und Wendungen in deutschen Briefen verwendeten. Der Einfluss der französischen Sprache auf die deutsche Briefkultur ließ sich schlussendlich auch durch die puristische Briefsteller-Literatur nicht aufhalten, indem es im späten 17. Jahrhunderts unter den deutschen Adligen längst zur Mode geworden war, einander französische Briefe zu schreiben. Die französische Kultur sollte indes in den deutschen Briefstellern des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts nicht bloß auf das Briefprotokoll beschränkt bleiben, sondern die französische Brieftheorie beeinflusste schließlich auch den deutschen Brief, wie ihn die zeitgenössischen Brieflehrbücher in seinem Wesen und seinen Stilprinzipien definierten.
IV. Brieftheorie und Stilprinzipien 4.1 Das Medium »Brief« in den Briefstellern In seinem Universal-Lexikon aus dem 18. Jahrhundert definierte Johann Zedler einen Brief als »eine kurtze, wohlgesetzte und von allerhand Sachen handelnde Rede, so man einander unter einem Siegel schrifftlich zuschickt; wenn man nicht mündlich miteinander sprechen kann«463. Was ein Brief genau sei und nach welchen Regeln ein solcher sich stilgerecht und sozial angemessen abfassen ließ, sind zwei zentrale Fragen, auf welche die barocke Briefsteller-Literatur Antworten zu geben versuchte. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts setzte nämlich nicht nur eine Entwicklung des Mediums »Brief« hin zum Privat- und Geschäftsbrief ein, sondern damit einher gingen auf der rhetorischtheoretischen Ebene Veränderungen in der Stillehre, indem sich der Schreibstil in Briefen von zeremoniell-formelhaften Formulierungen hin zu einer freieren »galanten« Unterhaltung und zu »natürlichen« Ausdrucksweisen bewegte. Basierend auf den rhetorisch-theoretischen Ausführungen der Briefsteller-Literatur werden nachfolgend die Entwicklungsgeschichte des Briefes und der Verlauf der Stilprinzipien vom späten 17. hin zum frühen 18. Jahrhundert nachgezeichnet.
4.1.1 Vom öffentlichen Schreiben zum privaten Brief Wie hoch differenziert der schriftliche Austausch in der Frühen Neuzeit war, zeigt ein Blick in die zeitgenössische Briefsteller-Literatur, deren Brief-Mustersammlungen von Vorlagen wie jener eines Grafen, der zur Taufe seines Sohnes einlädt, über diejenige eines Obersten, der einer Fürstin die Nachricht von der tödlichen Verwundung ihres Sohnes in der Schlacht überbringen muss, bis hin zu Kauf- und Handelsschreiben sowie amtlichen Erlassen, Urkunden oder Verträgen reichen. Aus solchen Brief-Mustersammlungen geht deutlich hervor, dass die Briefsteller des 17. Jahrhunderts unter einem Brief zunächst einmal alle Schriftstücke verstanden, welche in den barocken Kanzleien zirkulierten. Das Kommunikationsmittel »Brief« lässt sich somit für die Frühe Neuzeit nicht klar von anderen Formen des Schriftverkehrs abgrenzen. Der Briefbegriff wird hier entsprechend seiner mittelhochdeutschen Bedeutung verwen-
463 Zedler, Grosses-vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künsten (1733), Bd. 2, S. 1359.
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Brieftheorie und Stilprinzipien
det, wonach mit der Bezeichnung »Brief« allgemein ein Schriftstück gemeint war, aber im Speziellen auch eine Urkunde 464 benannt werden konnte.465 Das Medium »Brief« in seiner heutigen begrenzten Bedeutung als Privat- und Geschäftsbrief kristallisierte sich in den deutschen Brieflehrbüchern in der Praxis erst im 17. Jahrhundert heraus, als Vorlagen für Verträge, Urkunden oder andere offiziöse Schreiben zunehmend aus den Brief-Mustersammlungen verschwanden oder zumindest klar von den übrigen Briefvorlagen abgetrennt aufgeführt wurden. Eine solche Differenzierung des Briefes von anderen Formen des schriftlichen Verkehrs scheinen französischsprachige Briefsteller bereits viel früher vollzogen zu haben, zumal sich etwa in der von Jean Puget de La Serre im Jahr 1624 veröffentlichen Ausgabe seines Secrétaire de la Cour keine Vorlagen für Erlasse oder Verträge finden.466 Die umfangreichen Brief-Mustersammlungen der barocken Briefsteller-Literatur lassen sich grob in zwei Kategorien von Schreiben unterteilen, nämlich in die so genannten »Ehr- und Notschreiben«467 – in einigen Briefstellern auch als »Gebühr- oder Sitten-Schreiben« resp. »Geschäft-Briefe«468 bezeichnet –, womit gleichzeitig auch etwas über die hinter dem Schreibanlass stehenden Motive gesagt ist. Als »Notschreiben« galten in den frühneuzeitlichen Briefstellern folglich Briefe, die in geschäftlichen und amtlichen Angelegenheiten und somit aus einer Art Notsituation heraus verfasst werden mussten, denn, wie es dazu im Allzeitfertigen Secretarius von 1690 heißt, »stehet [es] alsdenn nicht mehr in meiner Willkür/ wenn es meine Geschäffte erfordern und haben wollen/ daß ich die Hand an die Feder lege oder nicht«469. Zu den »Notschreiben« wurden in den Brieflehrbüchern u.a. Bitt-, Rat-, Verweis-, Beschwerde- und Entschuldigungsschreiben, aber auch Wechselbriefe, Obligationen, Verpfändungen, Quittungen oder Bürgschaften gezählt.470 Die so genannten »Ehrschreiben« dagegen sollten nach der Definition aus dem Allzeitfertigen Secretarius von 1690 »allein dem Freunde zu Ehren und Liebe/ aus
464 Abgesehen vom gemeinsamen Wortgebrauch ließen sich Brief und Urkunde bis zur einsetzenden Papierproduktion im 13. Jahrhundert auch von ihrem äußeren Erscheinungsbild her kaum unterscheiden. Sowohl dem Brief als auch der Urkunde diente Pergament als übliches Schreibmaterial. Da sich Pergament nicht falten ließ, musste auch der Brief zusammengerollt werden. Vgl. Siegert, Bernhard: Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post, 1751–1913, Berlin 1993, S. 35–36. Zur Wort- und Bedeutungsgeschichte des Briefes siehe Nickisch, Brief, S. 22–28. 465 Um den Briefbegriff aufgrund neuzeitlicher Begriffsverengung nicht auf ahistorische Weise einzugrenzen, sollte im wissenschaftlichen Diskurs vielmehr von »Korrespondenzen« als von »Briefen« gesprochen werden. Vgl. hierzu Schmid, Was ist ein Brief?, S. 1–7; Schuler, Formelbuch und Ars dictandi, S. 374–389. 466 La Serre, Le Secrétaire de la Cour (1624). 467 Z.B. Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 89–90. 468 Z.B. Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 249. 469 Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 89. 470 Z.B. Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 249–250.
Das Medium »Brief« in den Briefstellern
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freyem Willen«471 verfasst werden. Diese Kategorie umfasste den ganzen Rest des frühneuzeitlichen Briefverkehrs, nach der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673 also »alles/ was nicht aus den Geschäften herrühret«472, sondern allein auf der menschlichen Zuneigung und des Gefühls des Wohlwollens basierte, wie etwa Kondolenzund Gratulationsbriefe, aber auch Dank-, Einladungs- oder Abschiedsschreiben. Die »Ehrschreiben« deckten somit auch das private Korrespondenzwesen ab, denn als »privat« galten in der Frühen Neuzeit Briefe, die im Namen einer Privatperson und nicht eines Amtsträgers oder einer Institution verfasst worden waren und die sich inhaltlich von den Geschäftsbriefen insofern abgrenzten, als sie zwischenmenschliche Anliegen betrafen.473 Dem frühneuzeitlichen Verständnis nach unterschieden sich offizielle und private Briefe indes kaum voneinander. Mit unserer modernen Assoziation von »privat« hatte der frühneuzeitliche »Privatbrief« noch wenig gemein, denn eine eigentliche Privatsphäre, wie wir sie heute kennen, existierte in der Frühen Neuzeit noch nicht. So war es durchaus üblich, private oder sogar intime Briefe im Kreis der Familie oder bei anderen geselligen Anlässen vorzulesen, abzuschreiben und weiterzuverbreiten.474 Auch sprach-stilistisch entspricht der barocke »Privatbrief« aus den Brief-Mustersammlungen keineswegs unserer modernen Form von privaten Schreiben, die sich ihrerseits durch einen subjektiven, spontanen und emotionalen Schreibstil charakterisieren lassen. Zum »privaten«475 Briefverkehr im eigentlichen Sinn zählten die Briefsteller der Frühen Neuzeit vor allem Korrespondenzen aus dem Umfeld des Bürgertums und der Kaufleute.476 In der Teutschen Sekretariat-Kunst aus dem Jahr 1674 erschienen die so genannten »Hauß-Briefe«, »Liebs- und Frauenzimmer-Briefe« sowie die »Kaufmannsbriefe« zusammen mit Vorlagen zu »Advocaten-Sachen« noch getrennt von den übrigen Briefvorlagen, indem sie im Anhang des zweiten Bandes aufgeführt sind.477 Diese wenig prominente Platzierung im Sekretariatsbuch lässt keinen Zweifel über 471 472 473 474
Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 89. Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 3, S. 5 Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 66; Nickisch, Brief, S. 22–28. Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 280; Niemeyer, Der Brief als weibliches Bildungsmedium im 18. Jahrhundert, Anmerkung 1, S. 443. 475 Vgl. Schmid, Was ist ein Brief? S. 4–7; Teuscher, Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500, S. 366–368. 476 Erst mit der Herausbildung einer bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhunderts und der Gegenüberstellung von öffentlichem Leben und Familie sollte das Sprechen über das Privatleben verstärkt an denjenigen Qualitäten gewinnen, die wir heute unter »privat« verstehen. Vgl. Hausen, Karin: Öffentlichkeit und Privatheit. Gesellschaftspolitische Konstruktionen und die Geschichte der Geschlechterbeziehungen, in: Karin Hausen und Heide Wunder (Hg.): Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 83–85; Dülmen, Die Entdeckung des Individuums, S. 106–109. 477 Stieler, Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst (1674), Anhang, S. 1–472.
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den Stellenwert, den solche Briefe allgemein in den Brieflehrbüchern des 17. Jahrhunderts genossen. Was deren Ausarbeitung betraf, musste selbst Kaspar Stieler als Verfasser der Teutschen Sekretariat-Kunst zugeben, dass er »lieber drey Amtschreiben/ als ein solches geringes Haußbrieflein abfaße«478. Trotz seines angeblich geringen Talentes beim Verfassen solcher Briefe dürfte schlussendlich Stielers Überlegung, dass »selten ein Secretarius zu finden/ der nicht zugleich ein Haußvater seyn solte«479, den Ausschlag gegeben haben, nicht ganz auf solche, dem bürgerlich geprägten Umfeld entstammenden Korrespondenzen zu verzichten. Es hatte also durchaus seine Berechtigung, von Eltern an ihre Kinder oder von einem Hausherrn an seine Bediensteten geschriebene Briefvorlagen in einem Sekretariatsbuch bzw. Briefsteller des 17. Jahrhunderts abzudrucken.
4.1.2 Klassifizierung der Briefsorten Wenn der Verfasser Christian Friedrich Hunold seinen Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben zu Beginn des 18. Jahrhunderts als eine Sammlung von Musterschreiben anpries, die »in allen vorfallenden/ auch curieusen Angelegenheiten/ nützlich zu gebrauchen«480 sei, suggerierte er gegenüber dem potenziellen Lesepublikum, dass sein Werk zwischen den Buchdeckeln die gesamte Palette des zeitgenössischen Briefverkehrs abdecken würde. Solche umfangreichen Brief-Mustersammlungen mit mehreren hundert abgedruckten Vorlagen zu den verschiedensten Schreibanlässen verlangten hinsichtlich ihrer Benutzerfreundlichkeit nach einer klaren inhaltlichen Strukturierung. Eine effiziente Nutzung gewährten die zeitgenössischen Briefsteller, indem sie die enorme Menge an möglichen Kommunikationsinhalten reduzierten und unter verschiedenen Briefsorten zusammenfassten, damit der Benutzer für sein spezielles Schreibproblem umgehend die geeignete Vorlage in der Brief-Mustersammlung finden konnte.481 Einen ersten Anhaltspunkt zur Orientierung boten die Inhaltsverzeichnisse, wie jenes aus der Teutschen Sekretariat-Kunst von 1673/74 illustriert:482
478 479 480 481 482
Ebd., S. 2–3. Ebd., S. 2. Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), Titelblatt. Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 18. Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Inhaltsverzeichnis.
Das Medium »Brief« in den Briefstellern
19 a Verzeichnis der Briefsorten aus der Teutschen SekretariatKunst von Kaspar Stieler, Nürnberg 1673/74.
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Eine solche Orientierungshilfe suchte der Briefschreiber bei den um die Mitte des 17. Jahrhunderts von Samuel Butschky veröffentlichten Brief-Mustersammlungen Hochdeutsche Venus-Kanzeley und Hoch deutsche Kanzeley-Briflein noch vergeblich.483 Hier folgen die einzelnen Briefbeispiele lose und ohne klar ersichtliches Ordnungsprinzip aufeinander, was durchaus der zeitgenössischen Briefpraxis entsprach, die ihrerseits noch keine wesentliche Unterscheidung zwischen Briefen und sonstigen Schriftstücken vornahm.484 Immerhin boten die Überschriften der einzelnen Briefvorlagen dem Benutzer eine rudimentäre Orientierungshilfe.
483 Butschky, Hochdeutsche Venus-Kanzeley (1644) sowie Butschky, Hoch deutsche KanzeleyBriflein (1652). 484 Siehe dazu Kapitel 4.1.1.
Das Medium »Brief« in den Briefstellern
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Im Laufe des 17. Jahrhunderts scheint sich jedoch in den deutschen Briefstellern eine systematische Einteilung der Brief-Mustersammlungen durchgesetzt zu haben, wozu die Vorlagen zu den verschiedensten Schreibanlässen in überschaubare Kapitel zu jeweiligen Briefsorten unterteilt und so voneinander abgrenzt wurden.485 Die Kategorisierung der Briefbeispiele erfolgte in den einzelnen Briefstellern nach ganz unterschiedlichen Kriterien. Georg Philipp Harsdörffer unterteilte die Musterschreiben in seinem Teutschen Secretarius von 1656 in fünf Briefkategorien, nämlich in: Gebräuchliche Gruß- und Freundschaftsbriefe, lehrreiche Klag- und Trostbriefe, wichtige Geschäfts- sowie Kanzleischreiben, höfliche Frauenzimmer- und Liebesbriefe sowie notwendige Kauf- und Handelsschreiben.486 Die Gliederung der Briefvorlagen funktionierte hier einerseits über die Schreibintention, indem beispielsweise Kondolenz-, Dank- oder Bittbriefe in einem eigenständigen Kapitel zusammengefasst waren. Andere Briefabteilungen in Harsdörffers Teutschem Secretarius dagegen repräsentieren den Briefverkehr einer bestimmten sozialen Gruppe wie denjenigen der Kaufleute, der Kanzleibeamten oder der so genannten »Frauenzimmer«. Nach dem Ordnungsprinzip des Briefverkehrs bestimmter sozialer Schichten baute auch August Bohse die einzelnen Bände seines dreiteiligen Allzeitfertigen Brieffstellers aus den 1690er Jahren auf. So enthält der 1695 erschienene zweite Band neben Briefvorlagen aus dem höfischen Umfeld auch Studentenbriefe sowie eine Abteilung von Kriegs- und Soldatenbriefen. Der im gleichen Jahr veröffentlichte dritte Teil des Allzeitfertigen Brieffstellers bietet ein reichliches Repertoire an Vorlagen aus dem bürgerlichen Korrespondenzwesen.487 Generell lässt sich vom 17. zum 18. Jahrhundert hin eine markante Verschiebung bei der Gewichtung einzelner Briefsorten in der deutschen Briefsteller-Literatur festhalten, die von Schreiben mit einem offiziösen Charakter hin zu Briefbeispielen, wie sie zwischen Verwandten oder guten Freunden gewechselt wurden, verlief. Die Aufnahme von Vorlagen aus dem privaten Briefverkehr hatte in den frühneuzeitlichen Brieflehrbüchern eine Erweiterung der Palette von denkbaren Schreibanlässen zur Folge, wenn Christian Friedrich Hunold in seinen Auserlesenen neuen Briefen von 1717 meinte, dass er »für diesesmal auch diejenigen Sorten von Briefen abgehandelt [habe], die in andern dergleichen Büchern entweder gar nicht, oder mit wenigen berühret worden«488 seien. In seiner Anweisung zu Teutschen Briefen wählte Benjamin Neukirch zu Beginn des 18. Jahrhunderts u.a. mit den »vertraulichen Briefen«, den »lustigen Briefen« und
485 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 217–219; Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 47. 486 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Titelblatt. 487 Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695) und Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil (1695). 488 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorrede, unpag.
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den »verdrüsslichen Briefen« Briefsorten, die in den vorhergehenden Briefstellern des 17. Jahrhunderts so noch nicht behandelt worden waren.489 Dieser Prozess, also das Verschwinden bestimmter Briefsorten bzw. Schreibanlässen aus den Brief-Mustersammlungen der barocken Briefsteller-Literatur sowie die Aufnahme neuer Brieftypen, kann als möglicher Funktionsverlust resp. Funktionswandel des Mediums »Brief« in der Frühen Neuzeit interpretiert werden.490 Für die Briefsteller des 17. Jahrhunderts besaß der Brief noch weitestgehend die Funktion eines öffentlichen Schreibens, wie sie etwa von professionellen Schreibern in fürstlichen und städtischen Kanzleien täglich verfasst wurden. Indem die brieftheoretischen Schriften sich seit der Wende zum 18. Jahrhundert vermehrt am Briefverkehr eines bürgerlichen Publikums zu orientieren begannen, übernahm der Brief in deren BriefMustersammlungen zunehmend die Funktion eines Kommunikationsmittels, das in seiner Rolle dem Austausch von privaten Informationen sowie der Unterhaltung der Leserschaft dienen sollte. Trotz dieses sich abzeichnenden Wandels innerhalb den in der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts abgedruckten Brief-Mustersammlungen lässt sich doch ein »harter Kern« von Briefsorten ausmachen, die auf einen festen Kanon von Schreibintentionen zurückzuführen sind. In diese Kategorie fielen vor allem Briefvorlagen, die dem Bereich der konventionellen Höflichkeit zugerechnet werden können, wie beispielsweise Kondolenz-, Gratulations- oder auch Dankbriefe. Im täglichen Leben traten immer wieder Situationen ein, die nach solchen Briefen geradezu verlangten. Das Verfassen konventioneller Höflichkeitsbriefe erscheint denn auch in den Ausführungen der zeitgenössischen Briefsteller stark ritualisiert und verlangte vom Briefschreiber wenig Eigendenkleistungen und Kreativität – ganz im Gegensatz zu Musterschreiben aus dem privaten Briefverkehr wie etwa den galanten oder verliebten Briefen, welche nach den Vorstellungen der Briefsteller losgelöst von rhetorischen Vorgaben verfasst werden sollten. Hier war ein gewisses Maß an Individualität von Seiten des Schreibers geradezu erwünscht.491
4.1.3 Korrespondenzpaare Neben der Klassifizierung der umfassenden Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in verschiedene Briefsorten bildeten die Überschriften der abgedruckten Briefbeispiele eine weitere wichtige Orientierungshilfe bei der Suche nach der Vorlage für ein bestimmtes Schreibproblem. Im besten Fall enthielt der Briefkopf Angaben zu Absender und Empfänger sowie zum Anlass des Schreibens, z.B. »Eine Fürstliche Wittwe saget einem Keiserl. General Dank/ daß derselbe ihr Land
489 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709). 490 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 19–20. 491 Vgl. ebd., S. 18–19.
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mit Einquartirung und Durchzügen verschonet«492. In der überwiegenden Mehrheit der Briefvorlagen musste sich der Benutzer jedoch mit der Benennung des Adressaten und des Schreibanlasses zufrieden geben, wenn es beispielsweise heißt »Condolentz- und Trost-Schreiben an einen Patron/ dem sein Sohn gestorben«493 oder »VisitSchreiben. An einen alten bekandten Freund«494 sowie »Liebes-Schreiben an eine fürnehme Dame«495. Vereinzelt finden sich in den Briefstellern auch Briefvorlagen, deren Überschriften sehr allgemein gehalten sind, wovon etwa die Formulierungen »Bitte und Einladung zur Hochzeit«496 oder einfach nur »Danckbrief«497 zeugen. Die Briefüberschriften dienten nicht nur zur Orientierung und zum schnelleren Auffinden des eigentlichen Schreibanlasses, über die Zuordnung bestimmter Absender und Empfänger lassen sich ferner soziale Gruppen konstruieren, die ihrerseits ein wichtiges Identifikationsmerkmal für den Briefschreiber darstellten. So zeigten Briefsteller etwa Angehörigen der Adelsschicht an konkreten Briefbeispielen, wie ein »Glückwunsch/ in Heyratssachen/ von einem Grafen/ so ein Vasall/ an einen Fürsten«498 zum Ausdruck gebracht werden sollte oder auf welche Art und Weise ein »Condolenz- und Trost-Schreiben eines Cavaliers an ein Fräulein/ deren Frau Mutter gestorben«499 ist, formuliert werden musste.500 Auf diesem Ordnungssystem bauten August Bohse und Christian Friedrich Hunold ihre Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen auf, indem sie die Vorlagen innerhalb einer Briefsorte in nach gesellschaftlichem Rang und Geschlecht unterschiedenen Adressatengruppen abstuften. In August Bohses Bequemem Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben aus dem Jahr 1697 stehen an erster Stelle die Schreiben »an Patronen/ auch hohen Standes-Personen«, gefolgt von Briefvorlagen »an seines gleichen/ wie auch an Frauen-Zimmer«501. Christian Friedrich Hunold hat diese Ordnung in seiner Brief-Mustersammlung Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707 noch verfeinert, indem er die männliche Adressatengruppe in Schreiben »an vornehme Standes-Personen und Patronen« sowie »an gute Freunde« unterteilte. Außerdem widmete er den Briefmustern »an kluge Frauenzimmer« ein eigenständiges Kapitel, das sich aus Vorlagen an vornehme und an unverheiratete Frauen zusammensetzt.502
492 493 494 495 496 497 498 499
Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 633. Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697), S. 206. Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717), S. 168. Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695), S. 1094. Stieler, Vortrab Des Allzeitfertigen Sekretariens (1683), S. 109. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, S. 15. Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 533. Bohse, Des curieuß-bequehmen Hand-Buchs außerlesener Send-Schreiben und anderer sonderbahren Concepte Zweyter Theil (1705), S. 289. 500 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 14. 501 Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697). 502 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707).
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Eine erste Lockerung erfuhr dieses ständische Ordnungssystem im Briefsteller Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu Schreiben von 1717, indem der Autor Johann Leonhard Rost die Typologisierung der Kommunikationspaare schwergewichtig über den Aspekt des Geschlechts definierte. Die einzelnen Briefsorten sind jeweils in zwei Kategorien unterteilt, nämlich in Briefvorlagen »an vornehme und andere Manns-Personen« sowie »an vornehmes und anderes Frauen-Zimmer«.503 In seiner Gesamtheit repräsentierte der von Bohse und Hunold sowie von Rost gewählte Aufbau ihrer Brief-Mustersammlungen das Interaktionsnetz des sozialen Raumes mittlerer und höherer Schichten der Frühen Neuzeit. Eine spezielle Eigenheit dieser Briefordnung lag indes darin, dass sich die Korrespondenzpartner beliebig kombinieren ließen.504 Das Verfassen von Briefen, wie es die frühneuzeitlichen Briefsteller gesehen haben dürften, stellte somit weniger eine Interaktion dar, in welcher der Briefpartner als Person wahrgenommen wurde, als vielmehr eine Aktion, bei der es darum ging, mit dem Briefschreiben einem sozialständischen Ordnungsgefüge gerecht zu werden. Solchen Typisierungsmustern dürfte nicht zuletzt auch der Wunsch der Briefsteller-Autoren zugrunde gelegen haben, den Erwartungen und Bedürfnissen ihres Zielpublikums zu entsprechen.505 Grundsätzlich lassen sich die Korrespondenzpartner in den Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts aufgrund standes- und geschlechtsspezifischer Unterscheidungsmerkmale noch weiter differenzieren, was wiederum einen direkten Einfluss auf die sprach-stilistische und formale Gestaltung eines Briefes hatte. Neben dem gesellschaftlichen Status einer Person spielte nämlich auch die Nähe resp. Distanz zwischen den Korrespondierenden eine Rolle. Damit ist das Verhältnis auf einer persönlichen Ebene gemeint, welches beispielsweise durch die Position innerhalb der Familie, über den Verwandtschaftsgrad oder die Freundschaft vorgegeben war. In anderen, in den zeitgenössischen Briefstellern präsentierten Briefvorlagen lässt sich die Beziehung, in der die Korrespondierenden zueinander standen, über die Generationenfrage definieren, indem Väter bzw. Mütter an ihre Söhne oder Töchter schrieben, ein Onkel an seinen Neffen oder ein Meister an seinen Lehrling. Die Konstanten Alter sowie private und gesellschaftliche Distanz waren somit allen Korrespondenzpaaren gemeinsam. Sie bestimmten generell den Ton eines Schreibens, da sie als wichtige Anhaltspunkte für die Verwendung konventioneller Höflichkeitsformen galten.506
503 Rost, Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben (1717). 504 Vgl. Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 97. 505 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 14–15; Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 97; Vellusig, Schriftliche Gespräche, S. 38. 506 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 15–17.
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4.1.4 Schreibanlässe Das persönliche Verhältnis zwischen den Korrespondierenden sowie ihr soziales Umfeld beeinflussten aber nicht nur den Schreibstil eines Briefes, sondern sie gaben auch bestimmte Schreibanlässe vor, wie die Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts dokumentieren. Aus den darin abgedruckten Briefvorlagen lässt sich einerseits ein konkretes Bild von den Themen gewinnen, welche die Menschen in der Frühen Neuzeit beschäftigten. Andererseits gaben die Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen ihrerseits den thematischen Rahmen vor, d.h. sie zeigten dem Benutzer auf, welche Angelegenheiten in einem Brief angesprochen werden konnten. Wenn August Bohse im Vorwort des zweiten Bands seines Allzeitfertigen Brieffstellers aus dem Jahr 1695 festhielt, dass er »die Materien/ so iedwedem in seinem Stande vorfallen können/ […] nach Möglichkeit zusammen gesuchet/ und in bequeme BrieffMuster gebracht«507 habe, dürfte er sich vor allem auf die Lebenswelten mittlerer und höherer sozialer Gesellschaftsschichten bezogen haben. Für die dem konventionellen höflichen Briefverkehr angehörenden Briefvorlagen bedeutete dies, dass sie inhaltlich größtenteils Bezug zu wichtigen Ereignissen aus dem menschlichen Lebenszyklus wie Geburts- und Namenstag, Taufe, Hochzeit und Tod nahmen. Die Briefschreiber gratulierten dem Bräutigam zur bevorstehenden Hochzeit, teilten ihre Freude über die Geburt eines Kindes mit oder kondolierten einem Freund beim Tod seiner Frau. Ferner kreisten die Briefbeispiele um den thematischen Schwerpunkt Ausbildung und Beruf, indem sich die Schreiber etwa zum Abschluss eines universitären Studiums gratulierten, ihre Aufwartung beim Antritt eines neuen Amtes machten oder sich ein Vater bei seinem Sohn, der fern von seiner Heimat eine Lehre absolvierte, nach dessen Befinden erkundigte. Einen wichtigen Stellenwert nahm im frühneuzeitlichen Alltag der privilegierten Gesellschaftsschichten die Geselligkeit ein. So finden sich in den zeitgenössischen Briefstellern einige Musterschreiben für Einladungen zu Konzert- und Opernbesuchen. Die Briefschreiber nahmen weiter an Bällen teil, verabredeten sich zu Kutschenoder Schlittenfahrten oder trafen sich zur Jagd.508 Mit den Studenten- und Soldatenbriefen thematisierte August Bohse im zweiten Teil seines Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 zwei bedeutende Lebensabschnitte im männlichen Dasein der Frühen Neuzeit. Aus den Studentenbriefen erfuhr der Leser u.a. von den ständigen finanziellen Sorgen der studierenden Jugendlichen, indem diese ihre Väter um Geld baten oder bei einer vornehmen Person um ein Stipendium anfragten. Andere Briefvorlagen berichteten von den negativen Seiten des Studentenlebens, von Trinkgelagen und Schlägereien unter den Studierenden oder der Angst der Eltern, dass ihr Sohn dem fleißigen Lernen entsagen könnte, um sich einem liederlichen Lebenswandel hinzugeben.
507 Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), Vorbericht, unpag. 508 Vgl. auch Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 195–214.
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Die Soldatenbriefe ihrerseits griffen Themen aus dem Leben von Armeeangehörigen auf. Sie berichteten von Bombardierungen, Belagerungen und Schlachten, von Siegen und Niederlagen. Sie zeigten, wie Väter bei Offizieren um die Entlassung ihrer Söhne aus dem Kriegsdienst ersuchten und wie Soldaten und Offiziere den Angehörigen ihr Beileid beim Tod ihres Sohnes, Bruders oder Ehemanns bekundeten. Gewalterfahrungen blieben in der Frühen Neuzeit nicht allein auf kriegerische Ereignisse beschränkt, sondern sie scheinen auch im Alltag der Menschen allgegenwärtig gewesen zu sein. Dazu finden sich in den zeitgenössischen Brief-Mustersammlungen etwa Vorlagen, die den Briefadressaten zum Duell aufforderten. Andere Musterschreiben erzählten von Reisenden, die von Räubern oder marodierenden Soldaten überfallen oder von Wirtshausbesuchern, die von Unbekannten auf ihrem nächtlichen Heimweg brutal niedergeschlagen wurden. Gewalt spielte sich in den Briefvorlagen auch im häuslichen Bereich ab, indem sich Frauen über die Misshandlungen durch ihre Ehemänner beklagten. Von den Beziehungen zwischen Männern und Frauen im Allgemeinen handelten die so gennanten Liebes- und Frauenzimmerbriefe. Inhaltlich boten solche Schreiben nicht selten praktische Lebenshilfe in Fragen der Liebe. Hier warben Männer um ihre Liebste, äußerten Frauen ihre Befürchtungen, ihr Freund könnte sie betrogen haben oder trösteten sich die Korrespondierenden, nachdem sie von einer geliebten Person verlassen worden waren. Die Frauenbriefe beschränkten sich inhaltlich somit auf den privaten Bereich im engsten Wortsinn.509 Mit ihren Brief-Mustersammlungen deckten die Briefsteller des 17. und frühen 18. Jahrhunderts eine mannigfaltige Palette von möglichen Schreibanlässen ab. Beim heutigen Leser entsteht dabei unweigerlich der Eindruck, dass es in der Frühen Neuzeit kein Thema gab, dass sich nicht in einem Brief besprechen ließ. Intime Themen, wie wir sie heute durchaus in einem Brief ausdrücken, scheinen in den Briefvorlagen jedoch keinen Platz gefunden zu haben. Die Themen sind wohl im Bewusstsein der Tatsache ausgewählt, dass Briefe noch keinen privaten Charakter besaßen und somit der Inhalt nicht nur für den Leser, sondern auch für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt war. Wie differenziert die inhaltlichen Schwerpunkte jeweils dargestellt wurden, hing wesentlich vom intendierten Benutzerkreis eines bestimmten Briefstellers bzw. einer Brief-Mustersammlung ab. Generell lässt sich dazu festhalten, dass mit der »Entdeckung« eines breiten bürgerlichen Publikums und der damit einhergehenden Erweiterung der Briefsorten auch die in den Briefvorlagen behandelten Themen eine positive Entfaltung erfuhren.
509 Vgl. Becker-Cantarino, Leben als Text, S. 133–134; Brockmeyer, Geschichte des deutschen Briefes von Gottsched bis zum Sturm und Drang, S. 256.
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4.2 Brieftheorie Die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts klassifizierte in ihren ansehnlichen Brief-Mustersammlungen nicht nur die verschiedensten Briefsorten und Schreibanlässe, sondern es war ihr ebenso ein Anliegen, dem Benutzer aufzuzeigen, wie ein guter Brief verfasst werden sollte. Eine Einführung in die zeitgenössische Brieftheorie, welche das Wesen des Kommunikationsmittels »Brief« und die verschiedenen Stilprinzipien beleuchtete, sollte den Korrespondierenden das erforderliche Know-how zur Briefschreibpraxis liefern.
4.2.1 Von der »Natur« des Briefes In ihrem rhetorisch-theoretischen Teil setzte sich die deutschsprachige BriefstellerLiteratur der Frühen Neuzeit intensiv mit der Beziehung der Epistolographie zur Rhetorik auseinander. Demzufolge sah der Teutsche Secretarius aus der Mitte des 17. Jahrhunderts das Schreiben von Briefen eng mit der mündlichen Rede verbunden, denn weil nun Reden und schreiben nur eine zufällige Unterscheidung hat/ setzet man beedes billich zusammen/ und ist nicht genug/ daß man andrer flügenden Worten nachspreche: sondern man muß auch ihrer Art Briefe zu stellen/ folgen.510
Die Nähe des Briefes zur Redekunst und damit zu den Regeln der Rhetorik kommt auch in anderen Brieflehrbüchern deutlich zum Vorschein. In diesem Zusammenhang sprach Wolffgang Brauser in seinem Vielvermehrten und vollkommenen Hurtigen Briefsteller von 1695 von einem Brief als einer »schrifftlich-verfasseten Rede«511 und auch für Benjamin Neukirch war ein Brief in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen von 1709 »nichts anders/ als eine schrifftliche rede eines abwesenden mit dem andern«512. Die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur sah im Medium »Brief« demzufolge eine Art rhetorische Sonderform, die sich von der mündlichen Rede vor allem durch ihre Schriftlichkeit unterscheide, einmal von der örtlichen Distanz zwischen den Korrespondierenden abgesehen.513 Wie Benjamin Neukirch in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen zu Beginn des 18. Jahrhunderts weiter ausführte, ließen sich noch andere Merkmale anführen, in denen sich ein Brief von einer Rede unterschied: Er [der Brief ] wird von prächtigen und feyerlichen reden unterschieden/ nach der grösse/ nach der ordnung oder abtheilung/ und nach der schreib-art. […] Nach der
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Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 4, Vorrede, S. 166. Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695), S. 1. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 4. Vgl. Erwentraut, Briefkultur und Briefsteller, S. 284; Anton, Authentizität als Fiktion, S. 8–9
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grösse muß ein brief kürtzer seyn/ als solche reden: nach der ordnung kan er leichter und ungebundener seyn: nach der schreib-art aber muß er natürlicher und nachläßiger klingen. […] Mit gewöhnlichen reden und complimenten aber ist ein brief gleich nach der grösse und nach der ordnung; iedoch nicht allzeit nach der schreib-art. […] Nach der grösse braucht man in einem briefe nicht mehr zu schreiben/ als man mündlich sagen würde/ wenn man bey demjenigen/ an den man schreibet/ zugegen wäre.514
Das Kommunikationsmittel »Brief« war für Benjamin Neukirch also weit mehr als eine verschriftlichte Rede, die bestimmten rhetorischen Gesetzmäßigkeiten gehorchen musste. Der Brief war für ihn vor allem auch ein literarisches Produkt, welches nicht nur dazu diente, einen gewissen Inhalt zu transportieren, sondern auch, um die sprachlichen Fertigkeiten des Verfassers zum Ausdruck zu bringen.515 Vom strengen Regelkanon der barocken Rhetorik sollte sich das Medium »Brief« erst mit Christian Fürchtegott Gellerts Vorstellung vom Brief als »freye Nachahmung des guten Gesprächs«516 lösen. Mit seinen reformerischen Gedanken zielte Gellert in erster Linie auf den »Privatbrief«, den er nicht mehr als eine schriftliche Form der Rede, sondern als Stellvertreter eines persönlichen Gespräches zwischen zwei abwesenden Personen sah.517 Ein Brief musste sich seiner Ansicht nach »der Art zu denken und zu reden, die in Gesprächen herrscht, mehr nähern, als einer sorgfältigen und geputzten Schreibart«518. Aus der Gellertschen Sicht bedeutete dies aber nicht, dass bei der Formulierung eines Briefes grundsätzlich alles erlaubt war, was für ein Gespräch üblich schien. In seinen Gedanken von einem guten deutschen Briefe von 1742 meinte Gellert, dass wir »freylich sehr nachlässig, sehr unordentlich, überflüssig und unzierlich schreiben müssen; weil wir oft so zu reden pflegen«519. Ein nachlässiger Schreibstil zieme sich aber gerade deshalb nicht für einen Brief, weil der Schreiber sich mehr Zeit für die Wahl seiner Worte, mit denen er seine Gedanken ausdrücken möchte, nehmen könne, als das bei einem Gespräch der Fall sei, weshalb »wir in Briefen sorgfältiger, zierlicher, einnehmender reden können«520 und auch sollten. Hier machte Gellert auf einen der bedeutendsten Unterschiede zwischen dem Medium »Brief« und einem Gespräch aufmerksam, nämlich auf die Vergänglichkeit des Gesagten resp. des Geschriebenen. Diesen wesentlichen Unterschied und 514 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), Vorbereitung, S. 4–5. Vgl. hierzu Vellusig, Schriftliche Gespräche, S. 30–31. 515 Vgl. Anton, Authentizität als Fiktion, S. 8–9; Vellusig, Schriftliche Gespräche, S. 26–32; Dyck, Joachim: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition, 3., erg. Aufl., Tübingen 1991, S. 12. 516 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 3. 517 Vgl. Nickisch, Brief, S. 81. 518 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 3. 519 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 178. 520 Ebd., S. 179.
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die damit verbundene Schreibproblematik erkannten auch schon Brieflehrbücher des 17. Jahrhunderts, indem sie explizit darauf hinwiesen, die Formulierungen eines Briefes mit besonderer Vorsicht auszuwählen. Einen Brief, gibt Christian Weise in seinen Curiösen Gedancken Von Deutschen Brieffen von 1691 zu bedenken, habe man vor sich liegen und der Leser könne ihn mehr als einmal durchlesen. Mit anderen Worten, »wer etwas zu tandeln finden wil/ der kan sich Zeit darzu nehmen«521. Ein Redner hätte es dagegen, so die Meinung von Weise, viel einfacher, »denn was geredet wird/ das verschwindet in der Lufft dahin/ und kan nach allen geringen Umständen so genau nicht judiciret werden«522.
4.2.2 Das briefliche Dispositionsschema Der frühneuzeitliche Brief, wie ihn die zeitgenössischen Briefsteller sahen, sollte sich vom 17. zum 18. Jahrhundert hin in seiner Art immer mehr von der rhetorischen, geformten Rede entfernen, um sich einer »natürlichen« Gesprächsform zwischen Abwesenden anzunähern. Dieser Wandel in der Wahrnehmung des Mediums »Brief« hatte direkte Veränderungen im Briefaufbau zur Folge. Für das Briefschreiben, wie es in den Briefstellern des 17. Jahrhunderts gelehrt wurde, waren die Rhetorik und das ihr zugehörige Dispositionsschema prägend. Der Aufbau des Briefes basierte demzufolge auf den fünf Teilen der mittelalterlichen ars dictaminis, nämlich: salutatio (– Gruß), exordium (– Eingang), narratio (– Erzählung), petitio (– Bitte) und conlusio (– Schluss).523 Für die barocken Briefsteller setzte sich das briefliche Dispositionsschema nicht mehr nur aus rhetorischen Teilen zusammen, sondern es bestand ebenso aus formalen Elemente des Briefzeremoniells wie etwa der Unterschrift, dem Datum oder der Adresse. Während August Bohse in seinem Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 neun Bestandteile eines Briefes aufzählte, nämlich salutatio (– Gruß), exordium (– Eingang), narratio (– Erzählung), confirmatio (– Bestätigung), refutatio (– Widerlegung), petitio (– Bitte), conclusio (– Schluss), Subscriptio (– Unterschrift), Inscriptio (– Adresse),524 bestand der »vollkommene« Brief in der von Johann Kaspar Suter verfassten Neu auffgerichten Schreibkunst von 1664 sogar aus zwölf Teilen: Die bereits bekannten Elemente salutatio, exordium, narratio, confirmatio, petitio, conclusio ergänzte Suter noch mit den Teilen valedictio (– Segnung), subscriptio (– Unterschrift), appositio diei conceptionis (– Datum), complicatio (– Brieflegung), invel superscriptio (– Adresse), sigilli impressio (– Siegelung).525 521 Weise, Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen (1691), Vorbereitung, S. 4. 522 Weise, Christian: Politischer Redner, Leipzig 1679, S. 219. 523 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 21; Nickisch, Brief, S. 78. 524 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 20–26. 525 Suter, Neu auffgerichte Schreibkunst (1664), S. 3–4.
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Die Briefsteller ließen es aber nicht bei der Aufzählung der verschiedenen Briefteile bewenden, sondern in ihrem rhetorisch-theoretischen Teil zeigten sie dem Benutzer ebenso auf, wie die einzelnen Teile des Dispositionsschemas zu einem Brief ausgearbeitet werden sollten. Wie eine solche Anleitung konkret aussehen konnte, zeigen die folgenden Erläuterungen aus dem Allzeitfertigen Brieffsteller aus dem Jahr 1692: Die Eröffnung eines Briefes machte die salutatio oder auch Begrüßung genannt, wo der Briefschreiber den Adressaten gewöhnlich mit seinem Titel anzusprechen hatte, um ihm anschließend den Gruß zu entbieten sowie ihm seine Dienste zu offerieren: »Meinen freundlichen Gruß und willige Dienste zuvor/ Wohl-Ehrenvester/ Groß-Achtbarer/ insonders Großgünstiger Hochgeehrter Herr/ werther Freund«.526 Schrieb eine Privatperson an eine vornehme Person, sollte sie den Briefpartner zuerst mit seinem Titel anreden, bevor sie den Gruß entrichtete und ihm ihre Dienste anbot, z.B.: Durchlauchtigster Chur-Fürst. Eu. Churfl. Durchl. seynd meine unterthänigste. treugehorsamste Dienste iederzeit zuvor. Gnädigster Herr.527
Während diese Form der Eröffnung eines Briefes vorwiegend unter vornehmen Personen sehr beliebt gewesen sein soll, schien sich am Ende des 17. Jahrhunderts im privaten Briefwechsel zwischen ranggleichen Korrespondenzpartnern durchzusetzen, dass die salutatio nur noch aus der Anrede des Briefempfängers bestand. Die Anerbietung der Dienste kam nun an den Schluss des Briefes zu stehen. Nach der Anrede folgte mit dem exordium der Eingang des Briefes, dessen Ziel darin bestand, mit einer geschickten Einschmeichelung die Gunst des Briefempfängers zu gewinnen. Dieser Briefteil hatte seinen festen Platz in Schreiben an vornehme Personen, während in Briefen an gute Freunde das exordium durchaus übersprungen werden konnte, um direkt mit der narratio, der eigentlichen Erzählung des Schreibanlasses fortzufahren.528 Verlangte die Schreibsituation nach einem exordium, musste der Briefverfasser darauf achten, in seinen Formulierungen dem sozialen Status und dem Charakter des Adressaten gerecht zu werden, ohne dabei allzu schmeichlerische Formulierungen zu verwenden. Außerdem sollte das exordium möglichst kurz ausfallen, da es als Überleitung zum eigentlichen Inhalt des Schreibens gedacht war.529 Den Hauptteil des Briefes bildete die narratio, der eigentliche Anlass des Schreibens. August Bohse riet dem Briefschreiber bei der Darlegung des Sachverhalts auf weitläufige Beschreibungen und Wiederholungen von Wörtern und Wendungen zu
526 527 528 529
Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 21. Ebd., S. 22. Ebd., S. 22. Ebd., S. 23.
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verzichten. Der Briefschreiber sollte geschickt Wörter verwenden, um den Sacherverhalt den Umständen entsprechend zu erklären.530 Anschließend folgte die Beweisführung, die aus zwei Teilen bestand, nämlich aus der confirmatio, der Bestätigung, und der refutatio, der Widerlegung. Die confirmatio diente dem Schreiber dazu, den Briefempfänger von seinen Argumenten zu überzeugen. In einem Kondolenzbrief konnte die confirmatio folgendermaßen formuliert sein: »Wie sehr mich aber solche Zeitung betrübe/ kan mein werthester Freund am besten erwegen/ wann er daraus den bevorstehenden Ruin meiner gantzen Wohlfarth siehet/ denn etc.«531 Die refutatio dagegen zielte darauf ab, mögliche Einwände seitens des Briefpartners zu widerlegen. Wie sich eine solche Widerlegung formulieren ließ, zeigt der Allzeitfertige Brieffsteller von 1692 mit Beispielsätzen wie folgendem: »Wiewol ich mir nun leicht die Rechnung mache/ es werde sich dieser böse Zahler mit der Ausflucht des Durchmarsches durch Thüringen schützen wollen/ so ist doch bekant/ daß ihm nicht der geringste Schade geschehen/ massen er etc.«532 Nach der Beweisführung folgte mit der petitio die Bitte, dass der Briefempfänger dem Wunsch des Absenders entsprechen möchte. Diese konnte beispielsweise folgende Form haben: »Demnach ersuche meinen Hochgeehrten Freund inständigst/ er wolle seiner mir bekanten Gewogenheit nach dieses nicht abschlagen.«533 Den Abschluss eines Briefes bildete die conlusio, in der der Schreiber die Möglichkeit erhielt, nochmals Bezug zu seinem Anliegen zu nehmen. Dies war ebenfalls die Stelle, an der der Briefschreiber seinem Gegenüber seine Dienste anbieten konnte, etwa mittels folgender Formulierung: »Mein Herr wird mich dadurch sehr verpflichten/ und ich werde dahin trachten/ die hierunter erwiesene Affection mit möglichsten Dienstbezeugungen wiederum zu verschulden/ massen ich dann unter Empfehlung Göttl. Obhut verharre/ etc.«534 Nach den Vorstellungen des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1692 hatten sich Briefe an ranghohe Persönlichkeiten in ihrem Aufbau mehr an das vorgegebene Dispositionsschema zu halten als solche, die sich an Privatpersonen richteten.535 Diesen traditionellen Briefaufbau verstand August Bohse keineswegs als starr und unbeweglich, wenn er dem Schreiber die Freiheit zubilligte, »daß er nach Gelegenheit des Jnhalts
530 531 532 533 534 535
Ebd., S. 23–24. Ebd., S. 24. Ebd., S. 25. Ebd., S. 25. Ebd., S. 26. Von diesem starren Aufbauschema ist in August Bohses Frauenzimmer-Sekretariatkunst von 1692 kaum noch etwas zu bemerken. Dazu Bohse, Des Galanten Frauenzimmers SecretariatKunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe (1692). Siehe auch Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 117.
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seines Briefes oder der Person/ an die er schreibet/ bald diesen bald jenen partem oder Theil in einer Epistel möge setzen/ oder gar aussen lassen«536. Eine Ausnahme vom strengen Briefaufbau machten die Briefsteller im 17. und frühen 18. Jahrhundert generell bei Briefen an Personen aus dem privaten Umfeld, denn nach den Vorstellungen des Hochteutschen Secretarius von 1694 war es nicht notwendig, daß man in allen Briefen hierauf allzusehr sein Absehen richte/ sonderlich in denen/ welche von täglich fürfallenden Dingen und Hausgeschäfften handeln/ und an gute Bekannte und Verwandte/ oder auch sonst vertraute Personen geschrieben werden/ als woselbst man die Ordnung gar schlecht/ oder gar nicht/ zu beobachten pfleget.537
Obwohl Bohse in seinem Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 noch den herkömmlichen strengen Briefaufbau lehrte, erfuhr die briefliche Disposition gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit der Einführung der dreiteiligen »Chria« oder »Chrie« durch Christian Weise eine erste Lockerung.538 In seinen Curiösen Gedancken Von Deutschen Brieffen aus dem Jahr 1691 pries Weise sein neues Dispositionsschema als Lösung für die Briefschreibkunst an, da sich »alle Gattungen/ die man sonst in so vielen mühsamen Capiteln lernen sol/ […] sich aus diesem eintzigen Principio mit diesen fünff Stücken auf einmahl lernen lassen«539 würden. Die Weisesche »Chrie« setzte sich aus den beiden Haupteilen – dem Antecedens und dem Consequens – zusammen, die durch die Connexio verknüpft waren. Im Antecedens sollte der Briefverfasser die Gründe für sein Schreiben nennen, um dann im Consequens seine Erwartungen gegenüber dem Korrespondenzpartner zu formulieren.540 Zur Weiseschen »Chrie« gehörten noch ein Initial- sowie ein Final-Compliment. Im Initial-Compliment, das zu Beginn des Briefes stand, sollte »man sich durch allerhand Insinuation zu recommendiren [wissen]/ und entschuldiget sich nach Gelegenheit der Sache wegen der begangenen Unhöffligkeit«541. Im Final-Compliment am Briefende konnte der Schreiber nochmals Bezug zum Inhalt nehmen oder er setzte eine der standardisierten »General-Formuln/ da man seine schuldige Dienste offeriret/ und von Gott etwas gesegnetes anwünschet«542. Wie nun die Formulierung eines auf dem »Chrie«-Aufbau basierenden Briefes konkret aussehen konnte, zeigte Christian Weise dem Benutzer seiner Curiösen Ge-
536 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 20. 537 Hohenegg, Der Hochteutsche Secretarius (1694), S. 4–5. 538 Bohse übernahm das Dispositionsschema der »Chrie« in seinem Neu-Erleuterten Briefsteller aus dem Jahr 1697. Hierzu Bohse, August: Neu-Erleuterter Briefsteller, Leipzig 1697. Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 219. 539 Weise, Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen (1691), S. 38–39. 540 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 103. 541 Weise, Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen (1691), S. 36. 542 Ebd., S. 36–37.
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dancken Von Deutschen Brieffen von 1691 am Beispiel eines Briefes an einen Studenten, dem der Schreiber für seine bevorstehende Reise an die Universität Glück wünschte:543 Initial-Compliment Monsieur wolle mir zu gute halten/ daß ich bey seinen ietzigen vielfältigen Verrichtungen nochmahls so kühne bin/ an denselben zu schreiben. Antecedens Denn ich habe mit erfreuten Gemüthe vernommen/ welcher Gestalt seine geliebtesten vornehme Eltern resolviret haben/ denselben auf die Weltberühmte Universität Leipzig reisen zu lassen. Connexio Wenn ich denn als ein getreuer Diener/ von der gesamten vornehmen Familie dessen gutes Wolergehen allezeit gewünschet habe; darneben auch künfftiger Zeit dessen auff-. richtiger und beständiger Freundschafft möchte vergewissert seyn. Consequens Als habe ich zu der bevorstehenden Reise meine dienstschuldige Gratulation ablegen/ und zuförderst von dem Gnadenreichen Gott wünschen wollen/ daß er in seinen wolangefangenen Studieren allen vergnüglichen Success antreffen/ hierdurch der vornehmen und liebwerthesten Eltern Freude/ des gesamten Vaterlandes Hoffnung/ so dann auch sein eigenes Auffnehmen rühmlichster massen befördern möge. Final-Compliment Solte ich in seiner Abwesenheit etwas dienen und verrichten können: so bitte ich solches durch einen Brieff kühnlich zu befehlen/ und versichert zu leben/ daß ich nach allen vermögen den Titul behaupten werden.
Obwohl auch der »Chrie«-Disposition, trotz der sich bietenden Möglichkeit, gewisse Briefteile wegzulassen oder deren Reihenfolge zu ändern, noch eine gewisse Zwanghaftigkeit anlastete, begann sich mit ihr der Briefaufbau langsam aus den Zwängen der tradierten rhetorischen Dispositionsregeln zu lösen.544 Während die deutschen Briefsteller aus dem 17. Jahrhundert den Eindruck vermittelten, dass jeder Brief – unabhängig vom jeweiligen Schreibanlass – anhand eines Dispositionsschemas verfasst werden könne und auch müsse, meldete Benjamin Neukirch in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstmals Zweifel an, was die schematische Schreibart von galanten und verliebten Briefen betraf. Hinsichtlich der Abfassung von Liebesbriefen meinte Neukirch, dass 543 Ebd., S. 37–38. 544 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 48–54.
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die Formulierungen in Liebesangelegenheiten von Herzen kommen müssen, denn »so bald man sie zwingen wil/ so kommen sie nicht mehr verliebt heraus«545. Um einen Liebesbrief also möglichst »echt« wirken zu lassen, so Neukirch weiter, müsse einem jeden Briefschreiber seine Freiheit gelassen werden, denn es spiele weniger eine Rolle, »wie wir ein verliebtes schreiben anfangen oder endigen; wenn wir nur unsre gedancken ausdrücken«546. Benjamin Neukirch dürfte sich der Schwierigkeiten durchaus bewusst gewesen sein, vor die er vor allem den ungeübten Briefverfasser mit seiner hier postulierten Freiheit in der Briefschreibpraxis stellte. Zwecks Hilfestellung zeigte er in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen von 1709 an einem konkreten Beispiel auf, wie ein Liebesbrief nach der dreiteiligen Briefeinteilung formuliert werden konnte. Als Grundgerüst gab Neukirch folgende Form vor:547 Antecedens Meine jungfer/ ich bin von hertzen betrübet. Ratio Weil sie mich so lange zeit keines briefes gewürdiget. Connexio Nun habe ich ihr keine ursache dazu gegeben. Ratio Denn ich habe allzeit geschrieben. Consequens Derowegen kan ich nicht begreiffen/ was sie zu dergleichen unbarmhertzigkeit beweget: Wiewol ich versichern kan/ daß ich nicht länger zu leben weiß; wofern sie mich nicht ehestes mit einem angenehmen schreiben erfreuen wird.
Die Ausarbeitung setzte sich nach Neukirchs brieftheoretischen Vorgaben aus folgenden Formulierungen zusammen:548 Antecedens Dero langes stillschweigen macht/ daß ich von hertzen betrübet bin. Connexio Nun kan ich mich nicht erinnern/ daß ich ihr eintzige ursache dazu gegeben: indem ich fast alle posten geschrieben.
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Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 586. Ebd., S. 587. Ebd., S. 587–588. Ebd., S. 588.
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Consequens Darum ersuche ich meine jungfer gehorsamst/ mich mit dergleichen unbarmhertzigkeit nicht länger zu quälen.
Neukirch riet in seinem Brieflehrbuch aber umgehend davon ab, einen Liebesbrief auf diese Weise abzufassen, denn er bezweifelte, dass sich mit einem derartig formulierten Brief bei einem »Frauenzimmer« Gefühle der Zuneigung auslösen ließen.549 Viel »authentischer« wirke, so Neukirch, und damit sein Ziel eher erreiche dagegen ein Liebesbrief, indem der Schreiber seinen Emotionen freien Lauf lasse und sich nicht um die Einhaltung der Disposition kümmere. Um dem Leser seiner Anweisung zu Teutschen Briefen von 1709 zu zeigen, was er darunter genau verstand, ließ er folgendes Beispiel eines Liebesbriefes abdrucken: Mein Schatz, Jch sterbe fast für verlangen nach ihren briefen/ und wenn es in meiner gewalt bestünde/ so setzte ich alle post-meister im lande ab: darum/ daß sie mich mit keinem schreiben von ihr erfreuen. Aber/ was haben die unschuldigen leute gethan? Sie ist es selber/ mein engel/ welche die befriedigung meines hertzens zurücke hält. Sie weiß/ wie viel mir an ihren briefen gelegen ist/ und sie kennet die hefftigkeit meiner liebe so wol/ daß ich nicht nöthig habe/ ihr davon von neuem ein bildniß zu machen. Gleichwol lässet sie weder mitleiden noch erbarmung spühren: und da ich ihr alle posten auf bogen schreibe; so schicket sie mir kaum alle fünff wochen ein blatt zurücke/ und verfähret mit mir so fremde/ als ob sie mich niemals gesehen/ oder ich sie niemals geliebet hätte. Ach grausame! ist es nicht genug/ daß ich voller betrübniß und unruhe lebe? sol ich auch noch aus verzweiffelung sterben? Jedoch es widerfahre mir/ was da wil/ so kan es mir nicht zuwider seyn; dieweilen es von meiner liebsten geschiehet: und ich will es mit eben der beständigkeit leiden/ mit welcher ich bißher gewesen/ und noch bin etc.550
Obwohl mit den so genannten galanten und verliebten Briefen in den Briefstellern zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits erste Anzeichen feststellbar sind, die starren Briefeinteilungen zu verlassen, sollte der deutsche Brief noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts und bis zur Veröffentlichung von Christian Friedrich Gellerts brieftheoretischen Schriften eine Gattung bleiben, deren Aufbau und sprachliche Gestaltung kaum Individualität von Seiten des Schreibers zuließen.551 In seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 sprach sich Gellert deutlich gegen eine Ritualisierung des Briefschreibens aus, wie sie üblicherweise in den früheren Brieflehrbüchern gelehrt wurde, wenn er dazu meinte: Sie lehren uns daher die Sätze des Briefs nach einem Formulare abfassen, bald in der Gestalt einer Schlußrede, bald in einer ordentlichen, bald in einer umgekehrten Chrie, 549 Ebd., S. 588–589. 550 Ebd., S. 589. 551 Vgl. Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation, S. 5.
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bald so, daß wir unsre Meynung in ein Antecedens, in eine Connexion und in ein Consequens einspannen müssen. Sie wollen uns […] auf diese Art […] gute Briefe schreiben lehren, und sie machen, daß wir Zeit Lebens schlechte schreiben lernen, wenn wir uns einmal an diese Formulare gewöhnen.552
Durch die Vorgabe von Anfangs- und Schlussformeln und entsprechender Verbindungsworte sah Gellert die barocken Briefsteller sozusagen als »Hüter, damit unsre Gedanken nicht aus ihren Fesseln entrinnen können«553. Ganz ohne Regeln sollte aber auch die von Gellert initiierte Briefschreibkunst nicht auskommen: Anstelle der rhetorischen Vorgaben trat bei der Gellertschen Brieftheorie das Stilprinzip des »guten Geschmacks«, das hauptsächlich darauf abzielte, umgangssprachliche oder den Vorstellungen des bürgerlichen Anstandsempfindens weniger entsprechende Formulierungen aus Briefen auszuschließen.554 Gellerts brieftheoretische Ideen gilt es, nicht ohne den Einfluss französischer Brieftheoretiker auf die deutsche Briefkultur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts zu betrachten. Obwohl die deutschen Briefsteller des 17. Jahrhunderts in ihren rhetorisch-theoretischen Ausführungen noch ein strenges Dispositionsschema lehrten, finden sich in ihren Brief-Mustersammlungen bereits erste Anzeichen, die auf eine Lockerung in der brieflichen Disposition sowie im Schreibstil hinweisen. Diese Tendenzen lassen sich besonders an deutschen Übersetzungen von Briefvorlagen festmachen, die aus de La Serres französischen Brief-Mustersammlungen übernommen wurden. Der französische Brief des 17. Jahrhunderts scheint denn auch einer weit weniger strengen Disposition unterworfen gewesen zu sein, als dies laut den deutschen Briefstellern für deutsche Briefe üblich war. Der französische Briefaufbau, wie ihn Jean Puget de La Serre in der Ausgabe seines Secrétaire à la Mode von 1655 formulierte, war durch die drei Elemente »l’Exorde, le Discours & la Conclusion«555 vorgegeben. Der Briefeingang bestand demnach aus einem »petit compliment, pour s’insinuer és bonnes graces de celui à qui on escrit, & la proposition de ce qu’on a à dire«556. Darauf folgte mit dem discours die Darstellung des Sachverhalts, wobei der Schreiber bei der Formulierung seines Anliegens gewöhnlich keine besondere Ordnung einhalten musste, sondern seine Gedanken niederschreiben durfte, »comme elles se presentent sous la plume, sans se soucier beaucoup de connexion«557. Die conclusion bildete den Schluss eines Briefes, wo der Verfasser nochmals die Gelegenheit erhielt, »a accous552 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 50. 553 Ebd., S. 50–51. 554 Vgl. Nörtemann, Regina: Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert und ihre Genese, in: Angelika Ebrecht u.a. (Hg.): Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990, S. 218. 555 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 42. 556 Ebd., S. 42–43. 557 Ebd., S. 43.
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tumé de tesmoigner son affection, & de faire quelque souhait ou priere pour la prosperité de celui à qui on escrit«558. Die Art Briefe zu schreiben, wie sie der Franzose Jean Puget de La Serre in seiner Brieftheorie im 17. Jahrhundert formuliert hatte, wurde von den deutschen Briefstellern des 18. Jahrhunderts rezipiert, wobei diese allgemein die Ansicht vertraten, dass Frauen aufgrund ihres weiblichen Wesens für eine solche Schreibart besonders prädestiniert wären.
4.2.3 Der Brief als »weibliches« Medium Während die Briefsteller-Literatur des 17. Jahrhunderts lesenden und Briefe schreibenden Frauen als Publikum noch kaum Beachtung schenkte, rückte mit der Etablierung galanter Briefsteller um die Wende zum 18. Jahrhundert der Frauenzimmerbrief zusehends in den Mittelpunkt brieftheoretischer Überlegungen.559 Insbesondere der galante Brief mit seinen »schertz-sachen/ liebkosungen/ oder dergleichen kleinigkeiten/ zu deren eröffnung man nicht viel Worte braucht«, würde, so die Meinung Benjamin Neukirchs, dem Wesen des »Frauenzimmers« besonders schmeicheln, »welches insgemein gerne wissen will/ wie seine gespielin geschlaffen; wie sie sich befindet; was ihr neues begegnet; womit sie die zeit vertrieben/ etc.«560 Neben den galanten Briefen sollten sich Frauen nach den Ausführungen von Benjamin Neukirchs Brieflehrbuch Anweisung zu Teutschen Briefen zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch im Schreiben von Freundschafts- und Liebesbriefen üben – alles Briefsorten, denen nach den brieftheoretischen Werken ein »natürlicher« Schreibstil zugrunde lag. Dazu sollte die schreibende Person das Dispositionsschema nicht mehr starr anwenden, sondern ihre Gedanken in einem natürlichen Ablauf formulieren. Das »Natürliche« im Schreibstil machte nun einen guten Brief aus.561 Indem die Briefsteller somit den Frauen eine besondere Affinität zum Schreiben von Briefen zugestanden, sollte sich der Brief im Laufe des 18. Jahrhunderts zu dem weiblichen Medium entwickeln.562 Einer der berühmtesten Vertreter dieser These war Christian Fürchtegott Gellert, wenn er in seinen Gedanken von einem guten deutschen Briefe von 1742 dazu anführte: Jch kenne Frauenzimmer, welche die schönsten Briefe schreiben, […] die lebhaft von Natur, aber gewiß nicht gelehrt sind. Sie kannten weder den Menantes noch Weisen, noch Neukirchen, und dennoch schrieben sie wohl. […] Sie wechselten auch mit vernünftigen Mannspersonen Briefe, die keine Galanteriehändler abgaben, und ihre
558 559 560 561 562
Ebd., S. 43. Vgl. Nickisch, Die Frau als Briefschreiberin im Zeitalter der deutschen Aufklärung, S. 29. Zit. nach Anton, Authentizität als Fiktion, S. 20. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 24. Vgl. Niemeyer, »Angenehme Sittenlehrer«, S. 440–452.
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Freundinnen nicht mit abgeschmackten Schmeicheleyen zu lauter Huldgöttinnen in ihren Briefen machten, noch mit ihnen die schönen Wissenschaften von der besten Lage der Schminkpflästerchen, dem zierlichsten Ausschnitte des Leibchens, der gefälligsten Einfassung des Nachtrockes, von einer recht catullischen Art zu küssen, von der Sprache des Fächers und der Augen abhandelten.563
Seine beiden brieftheoretischen Schriften richtete Gellert gezielt an ein weibliches Publikum. Mit seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts verfolgte er die Absicht, Briefschreiberinnen »zu einer natürlichen Schreibart zu ermuntern«564. Im Brief sah Gellert nämlich ein Medium, das in seiner natürlichen Ausdrucksform dem weiblichen Naturell auf besondere Weise schmeicheln würde. Dabei vertrat er die These, dass Frauen oft natürlichere Briefe schreiben als Männer, weil die Empfindungen der Frauen zarter und lebhafter seien als diejenigen der Männer:565 Sie werden von tausend kleinen Umständen gerührt, die bey uns keinen Eindruck machen. Sie werden nicht allein öfter, sondern auch leichter gerührt, als wir. Eine Vorstellung macht bey ihnen geschwind der andern Platz, daher halten sie sich selten bey einem guten Gedanken zu lange auf; wir fühlen ihn stärker, und darum gehen wir oft zu lange mit ihm um. Jhre Gedanken selbst sind, wie ihre Eindrücke, leicht; sie sind ein scharfes, aber kein tiefes Gepräge.566
Spezifisch weibliche Eigenschaften werden hier zu Fähigkeiten erhoben, die nötig sind, um gute Briefe schreiben zu können.567 Einen natürlichen Charakter erhalten die Frauenbriefe nicht nur durch ihre gedankliche Harmonie, sondern auch durch die Tatsache, dass sich Frauen in ihren Schreiben weniger um die Einhaltung des Dispositionsschemas kümmerten. Dadurch, so Gellert, würden ihre Briefe im Schreibstil »freyer und weniger ängstlich«, weil sie »durch eine gewisse gute Empfindung das Gefällige, das Wohlanständige, in dem Putze, in der Einrichtung eines Gemäldes, in der Stellung des Tischgeräthes leicht zu bemerken und zu finden«.568 Diese Eigenschaften kommen letztlich den Frauen auch beim Schreiben von Briefen zugute.569 Trotz aller Bewunderung für die Schreibfähigkeit von Frauen ging Gellert nicht so weit, dass er Frauen generell für fähiger hielt, natürliche Briefe zu schreiben, als Männer. Einen natürlichen Briefstil sprach Gellert hauptsächlich Frauen zu, die nicht »un563 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 185–186. 564 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), Vorrede, fol. 2. 565 Ebd., S. 75–76. 566 Ebd., S. 76. 567 Zur Rolle der Frau als Korrespondenzpartnerin in Gellerts Brieftheorie siehe ausführlich ArtoHaumacher, Gellerts Briefpraxis und Brieflehre, S. 230–275, hier S. 234. 568 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 76. 569 Ebd., S. 76–77.
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ter Leuten von verderbtem Geschmacke«570 aufgewachsen waren. Vor allem Frauen, die über eine gewisse Fähigkeit im Schreiben verfügten, besaßen nach Ansicht von Gellert die Begabung, ihre Briefe in einem natürlichen Schreibstil zu verfassen.571 Durch welche Eigenschaften zeichneten sich nun so genannte Frauenbriefe aus, wie sie in den brieftheoretischen Schriften von Gellert abgedruckt sind und von denen er sich wünschte, dass sie zwecks Förderung des »guten Geschmacks unter dem Frauenzimmer«572 vermehrt veröffentlicht würden? In einer aus Gellerts Brief-Mustersammlung der Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 ausgewählten Vorlage schrieb eine Frau an einen Freund: Damit ich Sie recht von meiner Aufrichtigkeit überführe: so will ich ihnen etwas entdecken, was man sonst sorgfältig zu verbergen pflegt. Jch rede seit acht Tagen sehr übel von Jhnen, und lenke in allen Gesellschaften, wo ich Freunde oder Freundinnen von Jhnen antreffe, das Gespräch auf Sie. Man fängt Sie an zu loben, und Jhnen allerhand gute Eigenschaften beyzulegen. Dieses mache ich mir zu Nutze. Ich bejahe es, und thue, als ob ich Jhre Verdienste vergrößern wollte, damit man das Böse glauben soll, das ich von Jhnen zu sagen Willens bin. Jch könnte Jhnen einige von meinen Erfindungen hersetzen, die Sie gewiß etliche Officierflüche kosten würden; allein, weil Sie die Ungewißheit von dem was ich sage, am meisten quälen wird; so will ich Sie auch darinnen lassen. Wie gefällt Jhnen meine neue Aufführung? Bin ich nicht ein redliches Frauenzimmer, da ich Jhnen auch so gar meine eigne Bosheit nicht verschweige? Es ist wahr, ich thue Jhnen Unrecht; allein wie kann ich mir anders helfen? Jch bin zu bedauern, daß ich keine andern Kräfte habe, Sie wieder zu meiner Freundschaft zu bewegen, als daß ich Jhnen zeige, wie viel ich Jhnen schaden kann, wenn Sie nicht aufmerksamer auf mich sind. So bald Sie es bereuen werden, daß Sie mich letztens ohne Abschied verlassen, und andre mir vorgezogen haben: so bald werde ich aufhören, von Jhnen übel zu reden. Thun Sie dieses: so will ich in allen Gesellschaften durch eben so viel gute Erzählungen meine ersten Nachrichten widerrufen. Thun Sie es nicht: so fürchten Sie alles von meiner Rache. Jch erwarte, was ich ferner seyn soll; Jhre Freundinn oder Jhre Verläumderinn.573
Dieser Brief erscheint insgesamt in einer sehr persönlichen Sprache formuliert, denn die Schreiberin spricht den Briefempfänger direkt an und vermeidet unpersönliche und schwerfällige Wendungen. Trotzdem beachteten die Frauen in ihren Schreiben die Standeszugehörigkeit des Briefempfängers.574 Die schriftlichen Äußerungen folgten spontaner, weil korrespondierende Frauen dem brieflichen Dispositionsschema. . 570 571 572 573
Ebd., S. 77. Vgl. Arto-Haumacher, Gellerts Briefpraxis und Brieflehre, S. 248. Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 186. Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 228–229. 574 Vgl. Nickisch, Die Frau als Briefschreiberin im Zeitalter der deutschen Aufklärung, S. 29.
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weniger Beachtung schenkten, als dies männliche Briefschreiber taten. Im syntaktischen Bereich zeichnet sich der Brief durch kurze Sätze sowie die stilistische Gestaltung durch Fragesätze aus.575 Der Frauenbrief und mit ihm die Briefschreiberinnen genossen im 18. Jahrhundert bei den Epistolographen großes Ansehen. Dies sollte soweit gehen, dass sogar Autoren von Briefstellern die Meinung von korrespondierenden Frauen einholten. Als Johann Christoph Gottsched seiner späteren Frau Louise Adelgunde Victorie Kulmus den von ihm neu aufgelegten Wohlunterwiesenen Briefsteller von Juncker schickte, bemerkte sie: »Junckers Briefsteller mag gründlich genug in seiner Anweisung seyn, wenn die Exempel besser wären. Es macht mehr Eindruck, wenn nicht allein die Muster nach allen Regeln richtig sind, sondern sich auch durch den Witz, der darinnen herrscht, und durch eine gute Wahl der Ausdrücke empfehlen.«576
4.3 Stillehre Die sukzessive Loslösung des Mediums »Brief« von einem rhetorischen Dispositionsschema in den Briefstellern seit dem späten 17. Jahrhundert beeinflusste auch die sprachlichen Stilprinzipien. Diese entwickelten sich im Übergang zum 18. Jahrhundert von einer zeremoniell-formelhaften Briefsprache hin zu einer freieren »galanten« Unterhaltung und zu »natürlichen« Ausdrucksweisen. Diese Entwicklungslinie soll im folgenden Abschnitt genauer nachskizziert werden. Dabei soll auch auf charakteristische Merkmale der jeweiligen Schreibstile eingegangen werden.
4.3.1 Der barocke Kanzleistil Die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts angesiedelten, den deutschsprachigen Raum dominierenden Briefsteller aus der Feder von Johann Rudolff Sattler, Samuel Butschky oder Gebhard Overheide fühlten sich in ihrer Brieflehre ganz der Tradition des barocken Kanzleistils verpflichtet. Typisch für den kanzlistischen Schreibstil sind seine langen Satzkonstruktionen und die häufig gebrauchten satzverknüpfenden Partikel, die dem Brief einen schwerfälligen und zumal nicht besonders leicht verständlichen Charakter verleihen. Ebenso zeichnet sich der barocke Kanzleistil durch eine distanziert wirkende, förmliche Sprache aus, die auf einem ausgeprägten Ehrwörterwesen basiert und es außerdem vermeidet, den Briefadressaten direkt anzusprechen, um stattdessen Formulierungen in der dritten Person zu gebrauchen.577 575 Vgl. Brockmeyer, Geschichte des deutschen Briefes von Gottsched bis zum Sturm und Drang, S. 254–257. 576 Zit. nach Nickisch, Briefkultur, S. 396. 577 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 66–67; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 45.
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Exemplarisch für den typisch barocken Schreibstil steht folgender Auszug aus einem Ratschlagsschreiben an eine »Hochwohlgebohrne Frau Gräfin« hinsichtlich der Erziehung ihres Sohnes, abgedruckt in Samuel Butschkys Brief-Mustersammlung Hoch deutsche Kanzeley-Briflein aus der Mitte des 17. Jahrhunderts: E. Gräfl. Gn. genädiges Sreiben/ ist/ durch dero Untertahnen/ mir zu recht abgelifert: bin auch E. Gräf. Gn. genädigen Begehrens daraus verständiget worden; welches dahin gehet/ deroselben zu vermelden/ wi E. Gräfl. Gn. gelibter/ noch junger Herr Sohn/ Christlöblich erzogen werden solle; damit Jhre Gnaden/ künftiger Zeit/ dero Landen und Leuten/ mit Nuz fürsiehen mögen. Ob nun wohl solchen Befehl Jch mir für eine sondershohe Genade und Ehre halte: weil aber hirinnen zu rahten meine Person zu wenig; E. Gräfl. Gn. auch mit fürnehmen Leuten/ als Jch bin/ versehen seyn; also habe E. Gräfl. Gn. Jch ganz untertähnig zu bitten/ das deroselben/ von solchem Begehren abzusiehen/ genädig beliben wolle.578
In einigen Briefvorlagen aus den im 17. Jahrhundert publizierten Briefstellern lässt sich jedoch bereits eine erste Lockerung im Schreibstil feststellen, der sich in einer freieren und unmittelbareren Ausdrucksweise manifestierte. Diese Entwicklung dürfte nicht zuletzt auf die Vorbildfunktion der brieftheoretischen Werke von Jean Puget de La Serre auf die deutsche Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts zurückzuführen sein. Zu den großen Bewunderern des französischen Brieftheoretikers gehörte auch Samuel Butschky579, der in seinen Brief-Mustersammlungen vereinzelt deutsche Übersetzungen von de La Serres Musterschreiben abdrucken ließ. So präsentierte er in seinen Hoch deutschen Kanzeley-Briflein aus dem Jahr 1652 unter der Überschrift »Ein Trostsreiben/ so an eine fürnehme Frau/ derer Ehgemahl Todes verblichen/ ihr Diner abgehen lassen«580 eine Briefvorlage, die in de La Serres Secrétaire de la Cour von 1624 als »Lettre de consolation d’un serviteur a une grande Dame, sur la mort de son mary«581 erschienen war. Ein Vergleich von französischem Original und deutscher Übersetzung macht deutlich, inwiefern sich die beiden Vorlagen in ihrer sprach-stilistischen Ausarbeitung unterscheiden. Im Briefsteller von Samuel Butschky ist der deutschsprachige Kondolenzbrief auf folgende Art und Weise formuliert:
578 Butschky, Hoch deutsche Kanzeley-Briflein (1652), Teil 1, S. 322–323. 579 Bereits 1649 veröffentlichte Samuel Butschky eine Anleitung zur Briefschreibkunst mit dem Titel Die Hochdeutsche Kantzeley/ darinnen des von Serre/ und viel andere höfliche/ kurtz- und wohlgefaste/ hochdeutsche/ reine Briefe oder Sendschreiben/ auf itzt übliche/ neue Art. Zit. nach Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 65–66. 580 Butschky, Hoch deutsche Kanzeley-Briflein (1652), Teil 1, S. 101. 581 La Serre, Le Secrétaire de la Cour (1624), S. 73.
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Genädige Frau/ Jch weis nicht/ wer unter uns am meisten verlohren/ Si/ oder Jch? Si hat zwar keinen Gemahl; Jch aber habe keinen Herren mehr. E. Gn. verzeihen meinem Herzen/ das sichs über der Grösse des Verlusts/ mit Jhr in Streit leget: Wann dises Jhr unerträglich/ so befindet sichs bey mir nicht weniger. Nimmermehr werde Jch Jhr in Empfindung des Smerzens/ weichen: Jch tähte es denn aus Höfligkeit: Denn di Wahrheit machet mir meinen unmut dermassen empfindlich/ das Jch solches ehe mit Stillsweigen vorbey gehen/ als solches herauser zu geben lassen mus.582
Die gleiche Passage lautet in der französischen Originalbriefvorlage folgendermaßen: Madame, Ie ne sçay qui a plus perdu, de vous, ou de moy, vous n’avez plus de Mary, & ie n’ay plus de Maistre. Pardonnez à mon cœur s’il conteste avec le vostre l’excez de sa perte, si elle vous est extresme, elle ne m’est pas moindre, & ie ne vous cederay iamais au ressentiment de sa douleur, que par discretion. Car la verité rend mon mal si sensible, qu’il faut que ie le taise pour le bien exprimer.583
Wie der direkte Vergleich zeigt, steht das in französischer Sprache verfasste Original mit seinen elegant-preziösen Formulierungen in starkem Kontrast zu dem die deutsche Briefvorlage dominierenden Kanzleistil. Die deutsche Übersetzung versuchte dabei den schwierigen Spagat, sowohl den französischen als auch den deutschen Stilprinzipien gerecht zu werden. Verglichen mit dem vorhergehenden Beispiel eines der kanzlistischen Rhetorik verpflichteten Schreibens an eine Gräfin erscheint dieser Kondolenzbrief in einem ungezwungener, fließender und zugleich verständlicher wirkenden Schreibstil, der durch kurze und übersichtliche Sätze überzeugt. Ebenfalls sind hier die für den Kanzleistil typischen Ehrwörter und Ergebenheitswendungen auf ein Minimum reduziert.584 Die Transformation der französischen Vorlage ins Deutsche dürfte den Übersetzer vor einige Schwierigkeiten gestellt haben, da sich die französische Stillehre von Jean Puget de La Serre wesentlich von den Stilprinzipien der deutschen Kanzleisprache, wie sie in den deutschen Briefstellern des 17. Jahrhunderts vermittelt wurde, unterschied. Während der deutsche Brief sich in seinem Aufbau an einem strengen rhetorischen Dispositionsschema zu orientieren hatte, lehrte de La Serre in seiner Brieftheorie die Grundsätze, dass der Schreibstil von Briefen »doit sentir sa negligence, & ne differer guere du langage ordinaire. Les figures des orateurs, sur tout les exclamations, apostrophes, prosopopœes & semblables n’y conviennent point, non plus que les longues periodes.«585 Außerdem sollte ein wohl verfasster Brief »estre es582 Butschky, Hoch deutsche Kanzeley-Briflein (1652), Teil 1, S. 101. 583 La Serre, Le Secrétaire de la Cour (1624), S. 73. 584 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 62–64. 585 La Serre, Le Secrétaire à la Mode (1655), S. 43–44.
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crites en un langage clair & facile à entendre«586. Kurzum, de La Serre verlangte von einem Brief: »Il faut […] raconter le choses comme elles vont, & de mesme façon qu’on les diroit de bouche.«587 Mit dem hier postulierten Stilprinzip »Schreibe, wie du sprichst!«588 war der französische Briefsteller-Autor de La Serre den deutschen Brieftheoretikern des 17. Jahrhunderts weit voraus, da diese das Medium »Brief« noch immer als ein nach bestimmten Regeln abgefasstes Gespräch zwischen zwei Abwesenden definierten.589 Erst Christian Fürchtegott Gellert sollte mit seinen beiden Schriften um die Mitte des 18. Jahrhunderts und der darin geäußerten Vorstellung vom Brief als einer Art »freye[r] Nachahmung des guten Gesprächs«590 de La Serres brieftheoretische Ideen aufnehmen. Aus diesem Grund mag es wenig erstaunen, wenn deutsche Übersetzungen von de La Serres Werken auf den theoretischen Teil verzichteten – im Gegensatz zu Herman von Sands Secretarius Jetziger Zeit aus dem Jahr 1677. Diese Ausgabe enthält eine deutsche Übersetzung von de La Serres Brieftheorie aus dessen Secrétaire de la Cour. Die französischen Stilprinzipien übersetzte Herman von Sand dahingehend, dass der Schreibstil in Briefen »etwas niedrig/ und nit gar weit von gemeiner Art zu reden unterschieden seyn«591 müsse. Ein solch ungezwungen wirkender Schreibstil, wie er in den Musterschreiben nach französischem Vorbild anzutreffen ist, sollte nach den Vorstellungen der barocken Briefsteller-Literatur vorerst auf private Briefe zwischen sozial Gleichgestellten, Verwandten und Freunden beschränkt bleiben. In Schreiben an vornehme Personen blieb der Druck der ständisch-gesellschaftlichen Konventionen bestehen, sie mussten weiterhin im formelhaften Kanzleistil abgefasst werden.592 Mit Georg Philipp Harsdörffer und seinen in den 1650er Jahren publizierten Briefstellern trat neben der kanzlistischen Rhetorik erstmals der höfische Sprachstil 586 Ebd., S. 45. 587 Zit. nach Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 65. 588 Vgl. dazu Müller, Karin: »Schreibe, wie du sprichst!« Eine Maxime im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine historische und systematische Untersuchung, Frankfurt a. M. u.a. 1990. 589 In der deutschen Ausgabe des Briefstellers Le Secrétaire alamode de la Cour. Oder Politische HofArt/ allerhand zierlicher Send-Schreiben aus dem Jahr 1661 fehlt die Übersetzung der Stillehre von de La Serre. Dies könnte dahingehend interpretiert werden, dass die deutschen Briefschreiber im 17. Jahrhundert mit den französischen Stilprinzipien wohl überfordert gewesen wären. Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 64. 590 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 3. 591 Sand, Secretarius Jetziger Zeit (1677), S. 51. 592 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 68–69.
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ins Blickfeld des Schreibstils. Seine höflichen Gruß-, Freund- und Feindschaftsbriefe waren »nach heut zu Tag üblicher Hof-Art verabfast«593 – eine Stilforderung, die von den später veröffentlichten Briefstellern übernommen werden sollte, weshalb die Kanzlei allmählich ihre Bedeutung als Schreibstil bildendes Vorbild in der von den barocken Briefstellern postulierten Brieflehre verlor.594 In seiner Stillehre kombinierte Harsdörffer geschickt rhetorische mit gesellschaftlichen Elementen, indem er laut den Ausführungen in seinem Teutschen Secretarius von 1656 für die Abfassung eines Briefes folgende Stilprinzipien vorsah: »Ein Brief soll seyn I. kurtz. II. deutlich. III. zierlich/ und IV. mit gebrauchlichen Worten verabfasst.«595 Nach den Vorstellungen Harsdörffers hatte sich demzufolge ein guter Brief inhaltlich auf das Wesentliche zu konzentrieren, indem der Schreiber auf jegliches »Geschwätz und undienliche Geblauder«596 verzichtete. Einem Brief durfte es aber deswegen nicht an einer gewissen Zierlichkeit in seinen Formulierungen fehlen. Damit der jeweilige Briefinhalt vom Adressaten verstanden würde, war es laut Harsdörffer wichtig, dass die »Wörter und Redarten gebräuchlich/ und in ihren bekannten Verstand schicklichst gebraucht werden«597. Unter gebräuchlichen Worten verstand Harsdörffer, dass ein Brief »gebührlich/ nach den gewöhnlichen Hofsitten gestellet […]/ daß die Wort den Personen und den Sachen selbst gemäß/ verfüget werden«, denn, so Harsdörffer weiter, »anders schreibt man an einen Fürsten/ anders an einem Edelmann/ anders an einen Burger/ und wider anders an einen Bauren«.598 Der Briefschreiber musste folglich einen Schreibstil wählen, welcher Rücksicht auf die jeweilige ständegesellschaftliche Position des Briefpartners nahm.599 Die von Georg Philipp Harsdörffer postulierten Stilprinzipien der Kürze, der Deutlichkeit sowie der Gebräuchlichkeit der Worte sollten indes in Kaspar Stielers Stilvorstellungen, dem anderen bedeutenden Verfasser von Sekretariatsbüchern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, kaum Beachtung finden. Genauso wenig nahm Stieler Bezug zum höfischen Schreibstil.600 In seiner Brieftheorie brachte Stieler denn auch nichts Neues hervor, sondern fasste vielmehr in seinen brieftheoretischen Schriften alle bedeutenden Tendenzen der deutschen Epistolographie des 17. Jahrhunderts zusammen.601 Seine Stilprinzipien orientierten sich weiterhin an der Kanzlei und der dort gepflegten Rhetorik. Einige in Stielers Brief-Mustersamm-
593 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, Kapitel-Titelblatt. 594 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 79. 595 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 3, Vorrede, S. 75. 596 Ebd., S. 75. 597 Ebd., S. 76. 598 Ebd., S. 76. 599 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 89. 600 Vgl. ebd., S. 89. 601 Vgl. Nickisch, Brief, S. 79; Dyck, Ticht-Kunst, S. 12–13.
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lungen abgedruckte Vorlagen lassen jedoch bereits einen »natürlichen«, weniger zeremoniell-formelhaft wirkenden Schreibstil erkennen. Solche Briefvorlagen sind vor allem den dem privaten Briefverkehr angehörenden Haus- sowie den Liebes- und Frauenzimmerbriefen zuzurechnen. Im Gegensatz zu Kaspar Stieler griff Christian Weise, ein anderer bedeutender deutscher Brieftheoriker des 17. Jahrhunderts, in seinen Brieflehrbüchern aus den 1680er Jahren neben dem Stilvorbild der Kanzlei den »Hof-Stylus mit allen Curialien«602 wieder auf. In seinen Vorstellungen zu den Stilprinzipien setzte sich Weise für die sprachlichen Eigenschaften »kurz«, »leicht« und »praktikabel« ein.603 Ein Brief sollte somit in einer möglichst ungezwungen wirkenden Sprache abgefasst werden, indem der Schreiber seine Anliegen »mit deutlichen/ anständigen und gebräuchlichen Worten«604 artikulierte. Mit der Einführung der dreiteiligen »Chrie« als neue Briefeinteilung begann sich der Brief indes aus seinem tradierten starren, fünf-gliedrigen Dispositionsschema zu lösen. Diese Veränderung in der Briefrhetorik sollte sich auch auf den Schreibstil auswirken. Weises Briefvorlagen erscheinen somit in einem weniger gezwungen wirkenden Schreibstil, mit übersichtlichen Sätzen in einem maßvollen Umfang.
4.3.2 Der galante Schreibstil Im ausgehenden 17. Jahrhundert begann sich in der deutschen Briefkultur der galante Schreibstil zu etablieren, der auch das erste Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts dominieren sollte. Als Vorbild diente den deutschen Brieftheoretikern die französische »Lettre galante«, wie sie von Madame Scudéry in ihrer Schrift Conversations nouvelles sur divers Sujets aus dem Jahr 1685 charakterisiert ist: L’esprit doit avoir toute son étenduë, où l’imagination a la liberté de se joüer, & où le jugement ne paroist pas si severe qu’on ne puisse quelquefois messer d’agreables folies parmy des choses plus serieuses. On y peut donc railler ingenieusement; les loüanges & les flateries y trouvent agreablement leur place; on y parle quelquefois d’amitié, comme si on parloit d’amour; on y cherche la nouveauté; on y peut mesme dire d’innocens mensonges; on fait des nouvelles, quand on n’en sçait pas; on passe d’une chose à une autre sans aucune contrainte, & ces sortes de Lettres estant à proprement parler une Conversation de personnes absentes, il se faut bien garder d’y mettre d’une espece de bel esprit qui a un caractere contraint, qui sent les livres & l’estude, & qui est bien éloigné de la Galanterie, qu’on peut nommer l’ame de ces sortes des Lett602 Weise, Politischer Redner (1679), Vorrede, unpag. 603 Weise, Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen (1691), Vorrede, unpag. Zu Christian Weises Stilvorstellungen siehe Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 101–111. 604 Zit. nach Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 103.
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res. Il faut donc que le style en soit aisé, naturel & noble tout ensemble, & il ne faut pourtant pas laisser d’y employer un certain art qui fait qu’il n’est presque rien qu’on ne puisse faire entrer dans les Lettres de cette nature, & qui fait que depuis le Proverbe le plus populaire, jusqu’aux choses les plus relevées, tout peut servir à un esprit adroit, pourveu que l’air du monde regne par tout.605
Von den hier skizzierten Merkmalen des galanten französischen Briefes waren die beiden bedeutenden deutschen Verfasser von galanten Briefstellern, August Bohse und Christian Friedrich Hunold, in ihren propagierten Stilprinzipien noch weit entfernt. Nach den von August Bohse in seinem Bequemen Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben aus dem Jahr 1697 festgehaltenen Stilprinzipien musste ein Brief weiterhin »nach der Cantzley und der gebräuchlichen Höffligkeit des Hofes«606 abgefasst werden. Ebenso sollte ein Brief in seinem Aufbau der tradierten Disposition folgen und in seinem Schreibstil dem gesellschaftlichen Status des Briefadressaten gerecht werden. Bohses Brieflehre war demnach noch stark von den Stilvorstellungen eines Georg Philipp Harsdörffers oder Kaspar Stielers geprägt, wenn er im zweiten Teil seines Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 erklärte, dass er bei seinen abgedruckten Kriegsund Kaufmannsbriefen auch einige Vorlagen aus den brieftheoretischen Werken von Harsdörffer und Stieler übernommen habe.607 Auch wenn August Bohse die Kanzlei im gleichen Atemzug wie den Hof als Stilvorbild nannte, übte er in seinen Brieflehrbüchern zugleich heftige Kritik an typisch kanzlistischen Stilelementen. Äußerst verwerflich fand er beispielsweise, wie es im Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 heißt, »wann sich einer an die Altfränckische Schreib-Art einiger Notarien gewöhnet« und seine Briefe »nach Art ihrer geschwornen Formeln alles mit vielen und weitläufftigen Worten/ die doch alle einerley heissen«, ausführe und somit »aus einem Briefe/ der in acht Zeilen könte gebracht werden/ einen gantzen Bogen voll Geschmatere machet«.608 Was August Bohse unter einem guten Schreibstil verstand, erläuterte er ausführlich in seiner Gründlichen Einleitung zu Teutschen Briefen aus dem Jahr 1706: »Ein Brieff muß nicht anders abgefasset seyn/ als wie man in höflicher und galanter Conversation zu reden pfleget. Was Poetisch und allzu Oratorisch klinget/ das schickt sich in keinen Brieff«.609 Die höflich-galante Unterhaltung, wie sie von den Angehörigen der höfischen Gesellschaft gepflegt wurde, sollte sich unter dem Einfluss der galanten Brieftheoretiker seit der Wende zum 18. Jahrhundert zum neuen Stilideal der deutschen Briefkultur etablieren.
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Scudéry, Madeleine: Conversations nouvelles sur divers Sujets, Amsterdam 1685, S. 226–227. Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697), S. 4–5. Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), Vorbericht, unpag. Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 11. Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 242.
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Hinsichtlich der Verwendung von französischen Wörtern und Wendungen als Teil der galanten Redensart forderte August Bohse, der sonst ein Verfechter einer reinen deutschen Briefsprache war, in seiner Gründlichen Einleitung zu Teutschen Briefen zu Beginn des 18. Jahrhunderts, »daß/ so fern man an Hofleute/ Cavalliere und Damen/ einen Brief abfasset/ einige Frantzösische Wörter/ sonderlich die galanten Leuten bekant«610 gebraucht würden. In diesem Fall, so Bohse, würden französische Wörter einem deutschen Brief nicht schaden, sondern sie würden den Schreibstil vielmehr auf eine angenehme Art beeinflussen. In seinen brieftheoretischen Schriften setzte sich August Bohse für einen bewussten Einsatz von gebräuchlichen französischen Wörtern in deutschsprachigen Briefen ein, der jedoch auf das höfische Korrespondenzwesen beschränkt bleiben sollte. Allgemein sollte ein ansprechender Brief – wie ihn sich Bohse in seinem Neuerleuterten Briefsteller aus dem Jahr 1697 vorstellte – so verfasst sein »als wenn er gar nichts gekünsteltes an sich hätte/ sondern dermaßen hurtig aus der Feder weggeflossen wäre/ als hätte man sich auf kein einziges Wort lange besonnen/ viel weniger diese oder jene Redens-Art dreymahl ausgestrichen/ und hier und dar das Concept verbessern wollen«611. Bohse plädierte also für einen Schreibstil, der nicht nur den Stilprinzipien der Deutlichkeit und Kürze sowie der Zierlichkeit gerecht werden sollte, sondern in seiner Art ebenso dem Ausdruck eines Redners gleichkommen sollte, der bemüht ist, mit seinen Ausführungen die Gunst seiner Zuhörer zu gewinnen.612 Um dieses Ziel zu erreichen, so der Ratschlag von Bohse, musste der Briefschreiber »alle affectirte und gezwungene Wort und phrases auff das behutsamste meiden/ und es bey der natürlichen Reinigkeit unserer Sprache lassen«613. August Bohse erwähnte als einer der ersten in der deutschen Brieflehre das Stilprinzip der Natürlichkeit, welches er im Sinne von natürlicher Anmut und Leichtigkeit verstand.614 Zugleich lehnte er eine manierierte und allegorische Schreibweise ab, mit der Begründung, dass, wenn das Anliegen des Schreibers »gantze Stunden muß gesucht werden/ da wird es viel zu thun haben/ daß ein vornehmer Mann einen solchen […] Brief nicht halb gelesen/ wieder von sich schmeisset«615. Seine eigenen Stilvorstellungen von einem wohl verfassten Brief setzte der galante Brieftheoretiker Bohse am wirkungsvollsten in seinen Frauenzimmerbriefen um, wie sie in seiner bekannten Brief-Mustersammlung Des Galanten Frauenzimmers Secretariat- Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe von 1692 abgedruckt sind.616
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Ebd., S. 243. Bohse, Neu-Erleuterter Briefsteller (1697), S. 94. Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 4. Ebd., S. 8. Bohse, Neu-Erleuterter Briefsteller (1697), S. 94. Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 8. Bohse, August: Des Galanten Frauenzimmers Secretariat- Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe, Leipzig 1692.
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Christian Friedrich Hunold, der andere bedeutende Verfasser galanter Briefsteller und ehemaliger Schüler von August Bohse, hat die deutsche Brieftheorie zum Beginn des 18. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet. Der Einfluss von Bohses Vorstellungen, wie ein guter Brief zu schreiben war, geht deutlich aus den Hunoldschen brieftheoretischen Ausführungen hervor. Wie bereits Bohse nahm auch Hunold das Stilprinzip der Natürlichkeit auf, machte es jedoch zum eigentlichen Mittelpunkt seiner Brieftheorie und entwickelte den natürlichen Schreibstil weiter. Dazu meinte er in seinen Lettres choisies aus dem Jahr 1714: »Die Natur ist uns alhier weit nöthiger als die Kunst; und das Schreiben, welches der Spiegel, in welchem sie sich repraesentiret, machet unsere Briefe niemals schöner, als wenn sie selbiger am meisten ähnlich.«617 Nach Hunolds Anweisungen hatte ein guter Brief in seinem Schreibstil nicht nur natürlich und ungezwungen zu wirken, sondern er charakterisierte dessen Formulierungen in seinen Auserlesenen neuen Briefen von 1717 mit Begriffspaaren wie »deutlich und ordentlich«, »geschickt und wohlfließend« sowie »höflich und wohlanständig«.618 Was Hunold genau unter einem natürlichen und ungezwungenen Schreibstil verstand, führte er ebenfalls in seinem Briefsteller Auserlesene neue Briefe zu Beginn des 18. Jahrhunderts näher aus. Der Stil eines Briefes sollte demnach in erster Linie natürlich sein, »weil ein Brief gleichsam die Rede an einen Abwesenden ist: so muß der Stilus so beschaffen seyn, daß er der guten und gewöhnlichen Manier im Reden gleich komme; nur daß er in etwas geschickter sey«619. Als in einem gezwungen wirkenden Stil formuliert empfand Hunold hingegen einen Brief, »wann man wider seinen natürlichen Trieb und wider seine Fähigkeit andere mit Gewalt imitiren will«620. Als Vorbild für die »galante Natürlichkeit« dienten ihm wie auch schon Bohse die Menschen am Hof und ihre gepflegte Umgangssprache.621 Reinhard M. G. Nickisch spricht hier in seinen Stilprinzipien von einer »geglättete[n] und verhöflichte[n] Natürlichkeit«622, die sich in Hunolds Stilforderungen zeigte, »allzugemeine und alzunatürliche Redens-Arten wohlanständiger, verblümter und dergestalt zu geben, daß ich dadurch die Ehrerbietung bemercke, die ich für denjenigen trage, mit welchem ich also spreche«623. Typisch am galanten Briefstil, wie ihn Hunold pflegte, waren die sprachliche Höflichkeit und die ausgeschmückten Komplimente, die zum Teil soweit gingen, dass 617 Hunold, Christian Friedrich: Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François, Hamburg 1714, Von dem Stylo im Schreiben, unpag. 618 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 3. 619 Ebd., S. 4. 620 Ebd., S. 5. 621 Ebd., S. 20–22. 622 Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 133. 623 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 32.
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der Schreiber fast die eigene Existenz entschuldigen zu müssen glaubte und bei jeder Gelegenheit versicherte, den Mitmenschen nicht lästig fallen zu wollen. Mit einer wahren Erfinderfreude entwickelten die galanten Brieftheoretiker demütig-elegante Eingangsformeln für den Brief. Die hier demonstrierte Höflichkeit, wobei in vielen Fällen treffender von Unterwürfigkeit gesprochen werden sollte, hatte mit wahrer Demut seitens des Schreibers wenig gemein. Vielmehr dürfte es sich bei solchen devoten Wendungen um eigentliche Sprachmanöver gehandelt haben, die sich besonders im Briefverkehr mit fremden Personen oder vornehmen Damen ziemten. Der Briefschreiber wollte in solchen Situationen das Bild einer »kultivierten« Person vermitteln.624 Für seine im galanten Stil verfassten Briefvorlagen griff Hunold auf Beispiele aus französischen Briefstellern zurück, womit er indirekt zu erkennen gab, dass die deutsche Brieflehre zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch nicht weit genug entwickelt war, um ohne Hilfestellung einen deutschen galanten Brief zu formulieren. Doch auch seine in deutscher Sprache abgefassten Briefvorlagen erscheinen vielfach auf eine verständliche und flüssige Weise formuliert, auch wenn sie die von ihm postulierte Natürlichkeit zumal noch vermissen lassen.625 Der »galanten Natürlichkeit« zum Durchbruch verhalf Benjamin Neukirch in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen aus dem Jahr 1709. Gleichzeitig stellte er in seiner Brieftheorie den Hof als Stilvorbild in Frage, indem er festhielt, dass er bei diesem Brieflehrbuch vor allem auf die »Natur« gesehen habe, denn, so die Meinung Neukirchs, »der geschmack des hofes kan sich zuweilen vergehen: die gewohnheit kan entweder schädlich/ oder thöricht seyn: die wahre vernunfft aber und die natur betrügen niemahls«626. Gleichwohl hielt Neukirch die cavaliers und hofleute [für] die eintzigen/ welche die galante schreib-art auch im deutschen einführen könten. Denn fürs erste haben sie von denen frantzösischen scribenten den artigen zug/ welchen man in briefen halten muß/ schon gelernet. Fürs andre haben sie mehr gelegenheit als andre/ mit galanten personen schreiben zu wechseln. Drittens haben sie auch mehr ansehen/ und können durch ihr exempel gar leicht einführen/ was andre durch tausenderley künste nicht würden zu wege bringen.627
Das Natürliche war bei Benjamin Neukirch jedoch ohne das Galante nicht denkbar. Für ihn war der galante Stil die klassische Schreibart, in der jeder Briefgegenstand behandelt werden konnte. Ein galanter Briefe sollte in seinem Aufbau »mittelmäßig/
624 Vgl. Wendland, Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache, S. 177–178. 625 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 136. 626 Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 4. 627 Ebd., S. 311–312.
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natürlich und deutlich seyn«628. In seinen Formulierungen wirke ein Brief überdies umso galanter, so Benjamin Neukirch weiter, je natürlicher und ungezwungener sein Schreibstil sei.629 Demzufolge, forderte er, dürfe ein galanter Brief weder »nach kunst oder regeln schmecke[n] […]. Sondern alles/ was man saget/ das muß zwar artig/ aber doch leicht und natürlich seyn«630. Neukirch gehörte zweifelsohne zu den entschiedensten Verfechtern der »galanten Natürlichkeit« im Briefstil.631 Die in seinen Brieflehrbüchern ausgewählten Briefvorlagen lassen eine Vernachlässigung des brieflichen Dispositionsschemas erkennen, sie folgen keinen Kurialien oder Formeln, ebenfalls fehlen die rhetorisch-devotionalen Übertreibungen. An deren Stelle traten mäßig lange bis kurze, klar überschaubare Sätze. Die Briefe überzeugen durch natürliche, gesprächsnahe Ausdrucksformen. Neukirch orientierte sich hierbei am Stilvorbild französischer Briefe, was schon in seinen bereits 1695 veröffentlichen Galanten Briefen und Gedichten klar zum Ausdruck kommt.632 Die darin abgedruckten Briefvorlagen übertreffen diejenigen der galanten Briefsteller-Autoren von August Bohse und Christian Friedrich Hunold in sprachlich-stilistischer Hinsicht. Sie sind in ihrer Art lebendiger, klarer und ungezwungener. Auf eine solche Art verfasste Schreiben finden sich bei Hunold erst in seinen Lettres choisies aus dem Jahr 1714.633 Abschließend kann festgehalten werden, dass den galanten Brieftheoretikern die elegante Form eines Briefes wichtiger schien als der eigentliche Inhalt.634 In den galanten Briefen ging es darum, dem »Decorum« gerecht zu werden – allen Briefpartnern stets angemessen, taktvoll und mit dem Ziel zu begegnen, sich ihr Wohlwollen zu erwerben.635 Der galante Schreibstil seinerseits überzeugte durch seine »natürliche« Schreibweise, die allzu affektiert und gezwungen wirkende Wendungen vermied. Ferner wandte er sich von der rhetorisch stilisierten Rede mit ihrem feierlich-offiziellen Charakter ab, um die in den Hofkreisen geführte höflich-galante Unterhaltung zum neuen Stilideal zu erheben. Durch die Verwendung von französischen Fremdwörtern – meistens galante Höflichkeitswendungen – erhielten die galanten Briefe eine besondere Färbung. Das höchste Ziel der galanten Brieftheoretiker war die Spracheleganz.636
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Ebd., S. 766. Ebd., S. 774. Ebd., S. 775. Vgl. Roseno, Die Entwicklung der Brieftheorie von 1655–1709, S. 55. Neukirch, Benjamin: Galante Briefe und Getichte, Coburg 1695. Hunold, Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François (1714). Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 142–146. 634 Vgl. Roseno, Die Entwicklung der Brieftheorie von 1655–1709, S. 18. 635 Vgl. Wendland, Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache, S. 180–181. 636 Vgl. ebd., S. 166.
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4.3.3 Der »natürliche« Schreibstil Seit der von Benjamin Neukirch in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen aus dem Jahr 1709 propagierten »galanten Natürlichkeit« lässt sich für die Brieflehre in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Stagnation festhalten. Erst mit Christian Fürchtegott Gellerts brieftheoretischen Schriften um 1750 fand erneut eine Veränderung des deutschen Briefstils zugungsten der Stilprinzipien Natürlichkeit und Lebhaftigkeit statt.637 Indem Gellert seine Stilvorstellungen von Geschmack, Natürlichkeit und Lebhaftigkeit zum Vorbild für einen guten Brief erhob, richtete er sich gleichermaßen gegen die vereinheitlichenden Gesetzmäßigkeiten in den Ausdrucksformen, wie sie überwiegend in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts gelehrt wurden.638 Dazu hielt er in seinen Gedanken von einem guten deutschen Briefe aus dem Jahr 1742 fest: Man lese nur die Exempel, welche die methodischen Briefsteller zu ihren Regeln geben, und sehe, ob sie, außer dem Zwange, etwas merkwürdiges haben. Jch darf nur den Fall wissen, wovon sie mit mir reden wollen: So weis ich auch schon die ganze Einrichtung ihres Schreibens, ihren Anfang, die Mitte und das Ende. Dieses kann dem Leser unmöglich angenehm seyn. Wir lieben ja die Abwechslung, das Unverhoffte, das Ungezwungne. Alle diese Schönheiten reißen uns die einfachen Briefsteller aus den Händen. Jhre Schreiben klingen so ängstlich, daß man zum Ende eilet, um nicht länger ein Zeuge von dem Zwange zu seyn, den sie sich, etlichen selbst erdachten Regeln zu gefallen, haben anthun wollen.639
Mit seinen Vorstellungen von einem natürlichen Schreibstil richtete sich Gellert aber zugleich auch gegen den in der barocken Briefsteller-Literatur postulierten schwulstigen, formelhaften und von höfischen Konventionen geprägten Schreibstil. Vor allem den Kanzleistil sah Gellert als von zwanghaft wirkenden Satzkonstruktionen dominiert. Außerdem lasse die Berücksichtigung der sozialen Beziehung zwischen den Schreibern mittels langen Ehrwörterketten die Briefe steif und schwer erscheinen. Auch die Regeln des Zeremoniells schränkten die natürliche Art der Formulierung in den Briefen ein, indem die Schreiben in einem schwerfälligen, juristisch-notariellen Schreibstil nach dem Vorbild der fürstlichen Hofkanzleien geschrieben werden müssten.640 Im Mittelpunkt von Gellerts brieftheoretischen Überlegungen stand dagegen eine ungezwungen und natürlich wirkende Schreibart. Ein guter Brief hatte somit nach Gellerts Vorstellungen »natürlich, deutlich, lebhaft, und nach der Absicht der Sache 637 Vgl. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 161. 638 Vgl. Kaiser, »Geschmack« als Basis der Verständigung, S. 45–46. 639 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 180. 640 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 87–91.
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überzeugend geschrieben [zu] seyn«641. Weitere charakteristische Merkmale des Gellertschen Briefes waren seine Regellosigkeit, seine Nähe zum Gespräch sowie sein geschmackvoller und persönlich gefärbter Ausdruck.642 Ein Brief sollte, um bei einer Metapher Gellerts zu bleiben, eben nicht einem armseligen Zimmer gleichen, das an allen Wänden leer ist; aber er muß auch kein pralendes Putzzimmer seyn, darinnen man eine Menge von Kostbarkeiten zur Schau ausgesetzt, die vielleicht an zehn andre Orte gehören, und welche die Aufmerksamkeit ermüden, an statt, daß sie dieselbe bequem sättigen sollten.643
Die Charakteristika eines wohl verfassten Briefes nach Gellerts Vorstellungen waren demnach nicht seine ausgeschmückten, phrasenhaften Sätze, die in einer künstlich wirkenden Sprache verfasst seien, sondern an erster Stelle stand bei Gellert das Stilprinzip der »Natürlichkeit«, die er in seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 folgendermaßen umschrieb: »Der erste Begriff, den wir mit dem Natürlichen, ins besondre in Briefen, zu verbinden pflegen, ist das Leichte; dieses entsteht aus der Richtigkeit und Klarheit der Gedanken, und aus der Deutlichkeit des Ausdrucks.«644 Doch eine deutliche und verständliche Schreibart allein, so Gellert weiter, ließ einen Brief noch nicht natürlich erscheinen, vielmehr mussten sich die Vorstellungen genau zur Sache, und die Worte genau zu den Vorstellungen schicken […]. Man muß endlich das Natürliche nicht bloß in Worten und in den einzelnen Gedanken eines Briefs, sondern in dem Ganzen, in dem Zusammenhange der Gedanken unter einander, suchen. Wenn die Gedanken aus einander herzufliessen scheinen; wenn keiner fehlt, der zum Verstande nöthig ist; wenn keiner da steht, der zu nichts dienet […]: so heißt der Zusammenhang in der Schreibart und in Briefen natürlich.645
Wie sich der Brieftheoretiker Christian Fürchtegott Gellert einen idealen, in einem natürlichen Stil verfassten Brief vorstellte, lässt sich anhand der seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 angefügten Brief-Mustersammlung aufzeigen. Die darin enthaltenen Beispiele sind einer gepflegt und unterhaltend wirkenden Gesprächssituation nachgebildet. Die Formulierungen sind von einer natürlichen und lebendigen Art. Der Inhalt ist sehr persönlich formuliert, wobei einzig zu Beginn einiger Musterschreiben eine freundliche belanglose Floskel erscheint, die in jedem Brief stehen könnte, in dem der Schreiber seinen Briefpartner sympathisch findet. 646 641 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 183. 642 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 2–4, 12–15. 643 Ebd., S. 12. 644 Ebd., S. 29. 645 Ebd., S. 31. 646 Ebd., S. 123–304.
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4.3.4 Die Bedeutung der deutschen Muttersprache als Briefsprache Wie bereits angedeutet befasste sich die Briefsteller-Literatur des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts in Bezug auf die Frage, wie ein guter deutscher Brief abgefasst werden sollte, auch mit der Problematik von fremdsprachigen Wörtern und Formulierungen im deutschen Korrespondenzwesen. Im Laufe des 17. Jahrhunderts lässt sich verstärkt ein französischer Einfluss auf die deutsche Briefkultur feststellen. Die französische Sprache etablierte sich nicht nur als gängige Diplomatensprache, sondern konnte sich schließlich auch im amtlichen Briefverkehr als Korrespondenzsprache gegenüber dem Deutschen behaupten.647 Damit war der Startpunkt für den Aufstieg des Französischen als Gesellschaftssprache in Deutschland gegeben. Mit dem Aufstieg des französischen Hofes in Versailles unter Ludwig XIV. zum maßgeblichen Zentrum des europäischen Adels begannen die deutschen Barockhöfe sich vermehrt an der französisch-höfischen Gesellschaftsstruktur zu orientieren und führten auch die französische Sprache ein. Die galante Welt des französischen Hofes beeinflusste nicht nur Kunst und Mode, sondern wirkte sich auch normgebend auf die deutsche Briefkultur aus. Unter den Angehörigen der bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Schichten Deutschlands und den Kreisen des Adels war es zur Mode geworden, Korrespondenzen in französischer Sprache abzufassen. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts sollte in Deutschland nur noch der französische Brief als gesellschaftsfähig gelten, welcher seine Vormachtsstellung bis ins 18. Jahrhundert hinein verteidigen konnte.648 Der Einfluss der französischen Kultur auf die politisch und gesellschaftlich bedeutenden Schichten in Deutschland hatte einen markanten Wandel im Sprachstil zur Folge. Neben Briefen, die vollständig auf Französisch formuliert waren, existierten weiterhin Briefe in deutscher Sprache. Charakteristisch für ihren Sprachstil waren die vielen französischen Ausdrücke und Wendungen – eine rein deutsche Briefsprache existierte im 17. Jahrhundert kaum mehr. Wie bereits das Briefzeremoniell gezeigt hat, war es üblich, in deutschen Briefen französische Anreden und Schlussformeln zu setzen. Weit verbreitet war die Eröffnung eines Schreibens mit »Monsieur«, »Madame« oder »Mademoiselle«, während als Schlussformel »Votre très humble« oder »très obéissant serviteur« gewählt wurde. Der deutsche Brief erhielt – um es mit den Worten von Steinhausen auszudrücken – ein »französisches Mäntelchen« umgehängt.649 Die französisch-höfische Briefmode machte auch vor der Brieflehre und den in den deutschen Briefstellern präsentierten Briefvorlagen nicht Halt, indem die deutschen Briefsteller-Autoren auch auf brieftheoretische Werke eines Jean Puget de La 647 Vgl. Nickisch, Brief, S. 40; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 16– 17, 22. 648 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 16–17, 19, 22–23; Nickisch, Brief, S. 40; Steinhausen, Kulturgeschichte der Deutschen in der Neuzeit, S. 65 und S. 69–71. 649 Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 24–25.
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Serres oder Pierre Richelets zurückgriffen und deutsche Übersetzungen von französischen Briefbeispielen in ihre Sammlungen aufnahmen. Wer de La Serres Brieflehrbücher nicht im Original lesen wollte oder dessen Französischkenntnisse zu wenig fundiert waren, der konnte auf deutsche Übersetzungen zurückgreifen: 1661 erschien Herrn De La Serre Vermehrter und Emendirter Politischer Alamodischer Hoff-Stylus.650 Im Jahr 1714 veröffentlichte Christian Friedrich Hunold seinen zweisprachigen – deutsch-französischen – Briefsteller Lettres choisies,651 damit, wie er festhielt, »auch diejenigen/ welche kein Französisch verstanden/ aus der Ubersetzung die schönen und edlen Expressiones der Herren Verfasser ersehen/ und ihnen die Admiration beylegen mögen/ die sie sich vorlängsten bey denen erworben/ so dieser netten Sprache kündig«652. Herman von Sand dagegen verstand den Kulturaustausch in beide Richtungen. Seine 1677 unter dem Titel Secretarius Jetziger Zeit erschienene deutsch-französische Version von de La Serres Secrétaire de la Cour sollte dazu beitragen, »daß sich ein Frantzoß der Teutschen/ ein Teutscher aber der Frantzösischen Sprach zur Ubung und Lust bedienen kan«653. Ebenfalls in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts veröffentlichte Johann Leonhard Rost seine bilinguale Brief-Mustersammlung Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe aus dem Jahr 1734.654 Die Autoren von deutschen Briefstellern waren aber längst nicht alle Befürworter des zunehmenden fremdsprachigen, besonders des französischen Einflusses auf die deutsche Briefkultur seit dem späten 17. Jahrhundert. Erste Kritik an der so genannten »Ausländerei« in deutschen Briefen wurde bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts laut. Damals entstanden Sprachgesellschaften wie die »Fruchtbringende Gesellschaft«, deren oberstes Ziel in der Erhaltung und Pflege der deutschen Sprache bestand. Ihre Mitglieder verpflichteten sich zum Gebrauch der deutschen Sprache in Briefen. Der »Fruchtbringenden Gesellschaft« gehörten mit Georg Philipp Harsdörffer und Kaspar Stieler zwei der bedeutendsten Verfasser von Sekretariatsbüchern aus dem 17. Jahrhundert an. In ihren Schriften setzten sie sich explizit für einen guten deutschen Briefstil ein, weshalb Georg Philipp Harsdörffer in seinem Teutschen Secretarius aus dem Jahr 1656 die Frage stellte: Warumb dann solten wir neugierige Teutschen uns entblöden/ unsre Sprache ohne Noht/ mit frembden Flickwörtern zu beflecken/ mit ausländischen Anstriche zu be650 La Serre, Herrn De La Serre Vermehrter und Emendirter Politischer Alamodischer HoffStylus (1661). 651 Darin hat Hunold eine Auswahl von Richelets Brief-Mustersammlung Les plus belles Lettres de meilleurs Auteurs françois aus dem Jahr 1690 abgedruckt. Dazu Hunold, Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François (1714), fol. 3–4. 652 Hunold, Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François (1714), Vorrede, fol. 3. 653 Sand, Secretarius Jetziger Zeit, fol. 4r. 654 Rost, Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe (1734).
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schmincken mit dem Frantzösisch-Welsch-Lateinischen Beetlersmantel zu verhüllen/ da wir uns doch sonsten der Lumpen in unsrer Bekleidung schämen/ und solche in unsren Reden/ mit Fug/ für keine Zierlichkeit halten mögen.655
Auch Kaspar Stieler bezog in seiner Teutschen Sekretariat-Kunst aus den 1670er Jahren klar Stellung gegen die Unsitte der »ausländische[n] Flickereyen« in deutschen Korrespondenzen, wie er es nannte. Er kritisierte vor allem die Eitelkeit und Heuchelei, welche sich hinter französischen Wendungen verbergen würden und die der deutschen Art, sich zu artikulieren, nicht gerecht würden: Die allzugezwängte/ […] übersezte/ […] weibischgeschmükte und […] prallhafte Redearten/ deren die Welsche und Franzöische Sprache/ sonderlich in den Briefen/ voll ist/ schikt sich zu unser Sprache gar nicht/ sintemal die Teutsche reden/ wie sie es meinen/ und machen sich nicht gern/ durch allzuknechtische Verbindungen/ hinder welchen doch öfters mehr nicht/ als der bloße Wortschall stecket/ verdächtig/ und zu Lügnern.656
Wer einen guten deutschen Brief schreiben möchte, der solle, so Stielers Ratschlag, vielmehr bewährte Sprach- und Redekünstler hören, gute deutsche Bücher lesen sowie sich an den Formulierungen orientieren, die etwa von Kanzleien und Gerichten gebraucht würden.657 Gegen den Einfluss der »Franzosen/ denen wir teutsche Affen so gerne nachahmen«658, wie sich Kaspar Stieler ausdrückte, konnten die puristischen Briefsteller-Autoren, wie es scheint, nicht viel ausrichten.659 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sollte der französische Einfluss auf die deutsche Briefkultur weiter zunehmen, indem nur noch eine Minderheit ihre Briefe auf Deutsch schrieb, wobei selbst diese mit fremdsprachigen Ausdrücken durchmischt waren.660 Gerade die Verfasser von galanten Briefstellern, die sich in ihrer Brieftheorie an der galanten höfischen Umgangssprache orientierten, zeigten eine gewisse Bereitschaft, angesichts der Problematik von Fremdwörtern in deutschen Briefen Konzessionen zu machen. So stellte Christian Friedrich Hunold in seinen Auserlesenen Briefen
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Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Zuschrift, S. 4. Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst (1673), Teil 2, S. 12. Ebd., S. 12. Ebd., S. 211. Die Kritik der puristischen Briefsteller am fremdsprachigen Einfluss verfehlte vielleicht auch gerade deswegen ihre Wirkung, weil sich deren Autoren selber nicht konsequent an ihre Maxime hielten. So soll Georg Philipp Harsdörffer von sich selber gesagt haben, dass er »Teutsch, Latein, Frantzösisch, Welsch und allen nach jedes Art und Weiß« schreibe. Zit. nach Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 31. 660 Dazu gehörten vornehmlich einige adlige und bürgerliche Frauenpersönlichkeiten, deren berühmteste Vertreterin Liselotte von der Pfalz war. Vgl. Nickisch, Brief, S. 41; Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes (Teil 2), S. 29–30.
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Brieftheorie und Stilprinzipien
zu Beginn des 18. Jahrhunderts die rhetorische Frage, ob denn in einem guten Brief gar keine fremdsprachigen Wörter vorkommen dürften.661 In seiner der Frage beigelieferten Antwort rechtfertigte Hunold die Verwendung von Fremdwörtern, wenn es einerseits um »terminos technicos oder Artis« ging, welche im Deutschen nicht oder nur schlecht wiedergegeben werden konnten.662 Andererseits handelte es sich um französische Wörter wie »galant, Conduite, Pedant, Devotion, Veneration, Submission, Respect, Conversation«, die, so Hunold, »das teutsche Bürger-Recht erlanget haben, daß sie von allen wohl verstanden werden; auch bey Hofe angenommen worden, und daselbst fast mehr als teutsche an ihrer Stelle gelten«.663 Neben Christian Friedrich Hunold setzten sich auch August Bohse und Benjamin Neukirch in ihren Brieflehrbüchern für einen sparsamen situationsgebundenen Gebrauch von Fremdwörtern in deutschen Briefen ein, da ihrer Meinung nach zu viele französische Wörter und Formulierungen einem Brief alsbald einen sprachlich zu affektiert wirkenden Ausdruck verleihen konnten.664 Der Einfluss der französischen Sprache auf die deutsche Briefkultur sollte erst mit Christian Fürchtegott Gellerts Brieftheorie um die Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich ein Ende finden, indem sich Gellert für die deutsche Muttersprache als Briefsprache einsetzte.665 Den Adressaten seiner Gedanken von einem guten deutschen Briefe aus dem Jahr 1742 forderte er geradezu auf, mit seiner Arbeit zu helfen, »die gewaltige Menge der französischen Briefe aus unsern Buchläden«666 zu verdrängen. Überdies wünschte sich Gellert, dass ein gewisser Professor May sein Vorhaben, eine Sammlung von guten deutschen Briefen zu veröffentlichen, weiter verfolgen würde, »damit wir auch in dieser Art den Ausländern etwas entgegen zu setzen haben, und den Vorwurf nicht länger leiden dürfen, dass wir lieber elende französische Briefe, als schöne deutsche, schreiben wollen«667.
4.4 Zusammenfassung In ihrem rhetorisch-theoretischen Teil setzte sich die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur intensiv mit dem Wesen des Mediums »Brief« sowie mit den damit verbundenen Schreibstilprinzipien auseinander. Die Brieftheorie des 17. und frühen 18. Jahr661 662 663 664
Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), Vorbericht, S. 6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 665–668; Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 9–10. 665 Vgl. Arto-Haumacher, Gellerts Briefpraxis und Brieflehre, S. 43–47; Nickisch, Brief, S. 40– 41. 666 Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe (1742), S. 189. 667 Ebd., S. 189.
Zusammenfassung
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hunderts war von einigen bedeutenden Veränderungen geprägt, indem sich etwa im späten 17. Jahrhundert in der Praxis der Briefsteller der Begriff »Brief« von anderen Schriftstücken wie Urkunden oder Verträgen abzugrenzen begann, um sich zu der Form zu entwickeln, die unserer heutigen Definition des Mediums »Brief« entspricht. Dieser Prozess wirkte sich auch auf die Funktion des Briefes in den barocken Brief-Mustersammlungen aus. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts fanden vermehrt Vorlagen aus einem privaten Umfeld Eingang in die Brief-Mustersammlungen. Der Brief hatte nicht mehr nur eine öffentliche Funktion, sondern er diente auch dem Austausch von privaten Informationen sowie der Unterhaltung. Im Laufe dieser Entwicklung nahmen die Briefsteller auch neue Briefsorten auf, während andere an Bedeutung verloren oder ganz aus dem Briefrepertoire verdrängt wurden. Auf der theoretischen Ebene begann sich der Brief in den Briefstellern des späten 17. Jahrhunderts von seinem bis dahin von der Rhetorik beeinflussten starren Dispositionsschema langsam zu lösen, um sich zu Gellerts Vorstellung einer »freye[n] Nachahmung des guten Gesprächs« aus der Mitte des 18. Jahrhunderts hinzubewegen. Damit ist zugleich auch die Richtung vorgegeben, in die sich die Stilprinzipien orientieren sollten. Während die im 17. Jahrhundert in den Brief-Mustersammlungen abgedruckten Briefbeispiele von einem rhetorisch-kanzlistischen Schreibstil mit seinen zeremoniell-formelhaften Formulierungen bestimmt waren, entwickelte sich der Schreibstil seit dem späten 17. Jahrhundert in den barocken Briefstellern hin zu einer freieren »galanten« Unterhaltung und zu »natürlichen« Ausdrucksweisen. Diese Entwicklung in der deutschen Epistolographie dürfte nicht zuletzt auf den französischen Einfluss zurückgeführt werden, indem etwa der französische Brieftheoretiker Jean Puget de La Serre mit seinen Werken eine Vorbildfunktion übernahm. Mit seiner Maxime »Schreibe, wie du sprichst« war er aber den deutschen Brieftheoretikern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts noch weit voraus. Erste Lockerungen im Schreibstil, vor allem bei den privaten Korrespondenzen, sind aber bereits in den deutschen Brief-Mustersammlungen des 17. Jahrhunderts feststellbar. Hierbei handelte es sich vielfach um den Versuch, französische Briefvorlagen ins Deutsche zu übersetzen. Der französische Einfluss hatte nicht nur Auswirkungen darauf, nach welchen Stilprinzipien ein deutscher Brief abgefasst werden sollte, sondern er löste in den deutschen Briefstellern ebenso eine heftige Debatte hinsichtlich der Frage aus, ob – und wenn ja – in welchem Ausmaße, französische Wörter und Wendungen überhaupt in einem auf Deutsch verfassten Brief zur Anwendung kommen sollten. Während puristische Briefsteller-Autoren wie Georg Philipp Harsdörffer oder Kaspar Stieler den Gebrauch von Fremdwörtern in deutschen Briefen generell ablehnten, setzten sich Vertreter der galanten Brieftheorie wie August Bohse oder Christian Friedrich Hunold für eine situationsbedingte Verwendung von französischen Wörtern oder Wendungen in deutschsprachigen Korrespondenzen ein.
V. Auf den Spuren der Emotionalität in der Frühen Neuzeit In ihren rhetorisch-theoretischen Anweisungen und den praktischen Brief-Mustersammlungen gaben Brieflehrbücher nicht nur vor, was ein Brief sei und nach welchen Regeln er abgefasst werden sollte, sondern als eine Art »Benimmbücher« der Frühen Neuzeit definierten diese ebenso, welcher Inhalt auf welche Weise dargestellt und mitgeteilt werden konnte. Mit Blick auf Norbert Elias’ sozio-historische Studie über den »Prozess der Zivilisation« lassen sich frühneuzeitliche Briefsteller als Medium dieses »Zivilisationsprozesses« lesen, der in Richtung einer Intimisierung von Gefühlen bzw. einer verstärkten Selbstkontrolle weist. Besonderes Augenmerk lässt sich hierbei auf die Möglichkeiten der Selbstdarstellung richten, die im Rahmen solcher brieftheoretischer Schriften ermöglicht bzw. explizit ausgeschlossen wurden. Einen wichtigen Stellenwert erhält dabei auch die Frage, welche Gefühle wie in einem guten Brief kommuniziert werden konnten. Bei welchen Schreibanlässen musste der Briefschreiber, wann durfte er Gefühle zeigen? Inwiefern die Brieflehrbücher das menschliche Empfinden in der Briefschreibpraxis im 17. und frühen 18. Jahrhundert »zivilisierten« und welche Rolle sie bei der im 18. Jahrhundert hin zur Entfaltung einer »empfindsamen« Briefkultur verlaufenden Emotionalisierung und Individualisierung sozialer Beziehungen spielten, soll nachfolgend erläutert werden.
5.1 Briefsteller als Abbilder von Emotionalität? Die frühneuzeitliche Gefühlswelt stieß in der Geschichtswissenschaft lange Zeit kaum auf Interesse.668 In den letzten Jahren sind hierzu einige äußerst interessante kulturund mentalitätsgeschichtliche Studien erschienen, die sich inhaltlich jedoch meist der Erforschung einer Einzelemotion wie etwa der Trauer oder der Angst verschrieben haben.669 Neuerdings haben in der Emotionsforschung Überlegungen an Bedeutung 668 Siehe hierzu den Forschungsüberblick bei Stearns, Peter N.: History of Emotions. The Issue of Change, in: Michael Lewis und Jeannette M. Haviland (Hg.): Handbook of Emotions, New York/London 1993, S. 17–28. 669 Z.B. Landweer, Hilge: Scham und Macht. Phänomenologische Untersuchungen zur Sozialität eines Gefühls, Tübingen 1999; Stearns, Carol Z.: »Lord Help Me Walk Humbly«. Anger and Sadness in England and America, 1570–1750, in: Carol Z. Stearns und Peter N. Stearns (Hg.):. Emotion and Social Change. Toward a New Psychohistory, New York/London 1988, S. 39–68; Stearns, Peter N.: Jealousy. The Evolution of an Emotion in American History, New York/London 1989; Krusenstjern, Benigna von: Die Tränen des Jungen über ein vertrunkenes Pferd. Ausdrucksformen von Emotionalität in Selbstzeugnissen des späten 16. und des 17. Jahrhun-
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gewonnen, welche sich der Thematik Emotionalität in ihrer Ganzheit widmen, indem sie in Richtung einer »Geschichte der Gefühle« führen oder sich mit der historischen Veränderbarkeit von Emotionen auseinandersetzen.670 Während in Nachbardisziplinen, vorwiegend im Bereich der Psychologie, der Themenkomplex Emotionalität einen zentralen Platz innerhalb der Forschung einnimmt, stellt sich hier umgehend die Frage, warum es bislang in der Geschichtswissenschaft an einer intensiven Auseinandersetzung mit der menschlichen Gefühlslage früherer Epochen fehlte. Eine mögliche Erklärung hierfür bietet die weit verbreitete Annahme, dass in der Frühen Neuzeit eine ausgesprochene »Gefühlsarmut«, eine wenig differenzierte Gefühlskultur geherrscht habe.671 Erschwert wird die Erforschung der Gefühlswelt in der Geschichtswissenschaft überdies durch das Fehlen einer allgemein gültigen Definition des Begriffs »Emotionalität« resp. »Emotion«. In Studien zu Emotionen wird daher auch mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten wie Gefühl, Emotion, Affekt oder persönliche Empfindung operiert, wobei dem Leser meistens unklar bleibt, ob und – wenn ja – inwiefern sich die Begriffe in ihrer Bedeutung voneinander abgrenzen lassen.672 Wie komplex es ist, einen allgemein gültigen Emotionsbegriff abzuleiten,673 zeigt der Blick über die Emotionsforschung hinaus in den angrenzenden Fachbereich der Psychologie. Hier herrscht allgemein der Konsens, dass sich die im alltäglichen Sprachgebrauch als Synonyme verwendeten Begriffe »Gefühl« und »Emotion« nicht definieren lassen, sondern nur umschrieben werden können.674 Gefühle würden demnach einen psychischen Zustand bezeichnen, der sich über Dispositionen wie Freude, Mitleid, Furcht, Scham, Ärger, Eifersucht, Neid, Ekel, Lust, Wut oder Hass charakterisieren lasse. Umgangssprachlich stehen Gefühle außerdem auch für körperliche
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derts, in: Kaspar von Greyerz u.a. (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850), Köln u.a. 2001, S. 157–168; Heiligensetzer, Lorenz: »… wie wol ich von natur schamhafft und forchtsam geweßen bin». Zur Darstellung von Gefühlen in Pfarrer-Autobiographien des 17. Jahrhunderts, in: Kaspar von Greyerz u.a. (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850), Köln u.a. 2001, S. 169–182. Vgl. Benthien, Claudia u.a. (Hg.): Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Köln u.a. 2000, hier besonders Einleitung, S. 8; Kasten, Ingrid u.a. (Hg.): Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart/Weimar 2002. Vgl. Trepp, Anne-Charlott: Gefühl oder kulturelle Konstruktion? Überlegungen zur Geschichte der Emotionen, in: Ingrid Kasten u.a. (Hg.): Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart/Weimar 2002, S. 88. Vgl. Brändle, Texte zwischen Erfahrung und Diskurs, S. 11. Vgl. Kasten, Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 10. Vgl. Häcker, Hartmut O. und Kurt-H. Stapf (Hg.): Dorsch Psychologisches Wörterbuch, 14., vollst. überarb. u. erw. Aufl., Bern u.a. 2004, S. 345.
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Empfindungen wie etwa Schmerzen, Hitze- oder Kältegefühle, aber auch für Ahnungen.675 Haben wir es mit einem relativ kurzen, aber intensiv wahrgenommenen Gefühl zu tun, spricht die Psychologie von einem »Affekt«. Davon ausgehend, dass in einem erweiterten Sinn jede menschliche emotionale Regung einen affektiven Vorgang darstellt, wird der Begriff »Affekt« im Sprachgebrauch gleichbedeutend für »Gefühl« bzw. »Emotion« verwendet.676 Ein weiteres umgangssprachliches Synonym zu »Gefühl/Emotion« und »Affekt« ist im Ausdruck »Empfindung« gegeben, obwohl psychologisch betrachtet wesentliche qualitative Unterschiede zwischen diesen Begrifflichkeiten bestehen.677 Empfindungen beschreiben demzufolge Auswirkungen, die eine Person bei (körperlichen) Schmerzen, aber auch bei Gefühlen spürt, wobei das persönliche Empfinden mehr oder weniger intensiv wahrgenommen werden und dementsprechend auch mehr oder weniger angenehm ausfallen kann. Gefühle hingegen weisen eine komplexere, über die eigentliche Leistung des Empfindens hinausreichende Struktur auf, indem sie allgemeine psychische Zustände abbilden.678 Die vorliegende Forschungsarbeit operiert mit einem Emotionsbegriff, der sich von körperlichen Sinneswahrnehmungen wie Hunger, Kälte oder Schmerzen klar abgrenzt.679 Ferner macht er keine qualitative Unterscheidung zwischen Gefühlen, Affekten oder Empfindungen. In seiner erweiterten Bedeutung umfasst der hier verwendete Emotionsbegriff neben Gefühlen auch menschliche Stimmungen wie Traurigkeit, Melancholie oder diejenige des Verliebtseins.680 Nach dem Versuch einer begrifflichen Klärung soll hier abschließend der Blick auf die Briefsteller als Medium, das der Erforschung der frühneuzeitlichen Gefühlswelt dient, gerichtet werden, indem es die zu untersuchende Emotionalität tradiert und zugleich für die Nachwelt sichtbar macht. Auf welche Weise Gefühle zum Ausdruck gebracht werden können und wie diese persönlichen Empfindungen gelesen werden müssen, wird wesentlich von der Funktion und der Verwendung des Mediums bestimmt, welches die Emotionen transportiert. Bei der Erforschung von Emotionalität haben sich Briefe, insbesondere der »Privatbrief« – neben Tagebüchern und Autobiographien – als äußerst ergiebige Quellen erwiesen.681 Während sich diese Textgattungen geradezu anbieten, um individuell erfahrene Emotionen sichtbar zu machen, können Briefsteller in ihrer Funktion als eine
675 Vgl. ebd., S. 345–346; Hartmann, Martin: Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären, Frankfurt a. M./New York 2005, S. 31. 676 Vgl. Häcker, Dorsch Psychologisches Wörterbuch, S. 12. 677 Vgl. ebd., S. 243. 678 Vgl. Hartmann, Gefühle, S. 30–31. 679 Vgl. Brändle, Texte zwischen Erfahrung und Diskurs, S. 11–12. 680 Niklas Luhmann definiert Liebe nicht als Gefühl, sondern als eine Art Kommunikationscode, der mittels Regeln vorgibt, wie Gefühle artikuliert werden können. Vgl. Luhmann, Liebe als Passion, S. 23. 681 Vgl. Teuscher, Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500, S. 372.
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Art »Benimmbücher« herangezogen werden, wenn es um die Herausarbeitung der normativen emotionalen Standards geht, die innerhalb einer Gesellschaft oder auch sozialen Gruppe zu einer bestimmten Zeit Gültigkeit hatten.682 Anhand der in den Brief-Mustersammlungen abgedruckten Vorlagen zeigen die Brieflehrbücher an konkreten Beispielen, wie Gefühle in Briefen inszeniert und in der sozialen Interaktion strategisch eingesetzt werden konnten. Im Hinblick auf die Frage nach der Authentizität der sprachlich artikulierten Gefühle muss bei der Briefsteller-Literatur davon ausgegangen werden, dass die in den Briefvorlagen abgebildeten Emotionen sehr stilisiert wiedergegeben sind.683 Dies bedeutet, dass die »wahren« persönlichen Empfindungen des Schreibers und die in den Briefvorlagen artikulierten und somit für den Leser sichtbar gemachten Gefühle nicht zwingend deckungsgleich sein müssen, sondern die dargestellte Emotionalität kann nach Meadick und Sabean als »Teil einer kulturell bestimmten emotionalen ›Grammatik‹ oder eines symbolischen Systems sozialer Beziehungen«684 interpretiert werden. So lange Briefschreiber noch auf solche in den barocken Briefstellern vorformulierte Wendungen angewiesen waren, wie sie August Bohse im dritten Teil seines Allzeitfertigen Brieffstellers unter der Roubrik »Complimenten und Formuln/ welche in Trost- und Condolenz-Schreiben so wohl bey Freunden als Patronen zu gebrauchen«685 seien, zur Verfügung stellte, dürfte die Frage nach der Authentizität der gezeigten Gefühle eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Der Briefschreiber konnte nämlich die passende Fomulierung für sein Schreibproblem aus einer breiten Palette von Beispielsätzen auswählen. Hatte sein Korrespondenzpartner beispielsweise einen Unfall, bot sich folgende Formulierung an: Die betrübte Zeitung von dem ihn betroffenen Unfall hat mich in so grosse Traurigkeit gesetzet/ daß/ da ich ihm aus treuer Freundschafts-Pflicht Trost zusprechen soll/ ich dessen selbst zu Aufrichtung meines gantz niedergeschlagenen Gemüths nöthig habe.686
682 Die amerikansichen Forscher Peter N. Stearns und Carol Z. Stearns unterscheiden in ihrem methodischen Ansatz zwischen »emotionology«, womit emotionale Standards innerhalb einer Gesellschaft oder auch definierten Gruppe gemeint sind, z.B. die Bewertung und das Sprechen über Gefühle, und dem Begriff »emotions«, der für die individuelle aber auch kollektive Wahrnehmung von Gefühlen steht. Siehe dazu den Aufsatz von Stearns, Peter N. und Carol Z. Stearns: Emotionology. Clarifying the History of Emotions and Emotional Standards, in: The American Historical Review 90/4 (1985), hier besonders S. 813. 683 Vgl. Brändle, Texte zwischen Erfahrung und Diskurs, S. 12. 684 Medick, Hans und David Sabean (Hg.): Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung, Göttingen 1984, Einleitung, S. 17. 685 Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil (1695), S. 510–529, hier S. 510. 686 Ebd., S. 511.
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Bei einem Kondolenzbrief an einen vornehmen Herrn konnte der Schreiber dagegen folgenden Briefeingang wählen: Mit was vor einem schweren Fall Ew. Excellenz durch des Höchsten allein weisen Schluß abgewichene Woche seynd beleget worden/indem dero Hertzliebste ihnen durch einen allzufrühen Tod von der Seiten gerissen/ habe ich mit euserster GemüthsBestürtzung gehöret.687
Nach dieser Einführung soll nun der Blick konkret auf die Darstellung von Emotionen in der deutschen Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts gelenkt werden. Von Interesse ist hierbei die Frage, welche Emotionen in die Briefsteller bzw. in die umfangreichen Brief-Mustersammlungen Eingang gefunden haben und wie die sprachliche Ausdrucksweise der persönlichen Empfindungen aussah.
5.2 Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen Bei der Suche nach emotionalen Ausdrucksformen in der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur wird schnell deutlich, dass Emotionalität grundsätzlich an bestimmte Briefsorten resp. Schreibanlässe gekoppelt war. Während Trauer und Mitleid in den Brief-Mustersammlungen hauptsächlich in Kondolenzbriefen auftauchen, sind Gratulationsbriefe von Freudensbekundungen dominiert. Dem Gefühl des Verliebtseins hingegen wird in den so genannten Liebes- und Frauenzimmerbriefen breiter Raum gegeben. Unabhängig davon, ob der Schreiber einen Brief verfasste, um seiner Trauer oder seiner Freude Ausdruck zu verleihen, formulierte Christian Fürchtegott Gellert in der Mitte des 18. Jahrhunderts folgenden allgemeingültigen Grundsatz hinsichtlich der Darstellung von Emotionen: »Wenn man also dem andern seine Traurigkeit, sein Mitleiden, seine Freude, seine Liebe, in einem hohen Maaße zu erkennen geben, oder in ihm selbst die Empfindungen erwecken will: so lasse man sein Herz mehr reden, als seinen Verstand; und seinen Witz gar nicht.«688 Gellert forderte also indirekt, dass persönliche und ernst gemeinte Empfindungen in einer einfachen, von Herzen kommenden und keineswegs gekünstelt wirkenden Sprache in einem Brief zum Ausdruck gebracht werden sollten. Ein Anliegen, auf das Christian Friedrich Hunold bereits in seinen zu Beginn des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Auserlesenen neuen Briefen hingewiesen hatte, wenn er meinte, dass sich an Formulierungen ablesen lasse, ob es dem Briefverfasser mit seinen artikulierten Emotionen ernst sei oder ob er nur Gefühle zeigte – und in Wirklichkeit wenig oder gar nichts verspürte –, weil es die Gewohnheit verlangte, was etwa bei Kondolenz- und Gratulationsbriefen der Fall sein konnte. Anlass, um an der 687 Ebd., S. 510–511. 688 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 79.
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»Echtheit« der gezeigten Gefühle zu zweifeln, sei, so Hunold weiter, vor allem dann geboten, »wenn die Redens-Arten nicht so wohl zärtlich und natürlich geschickt, als vielmehr ausgekünstelt, und die Gedancken weit hergesucht und prächtig«689 seien. Gerade unnatürlich wirkende Formulierungen deuteten zeitgenössische Autoren von brieftheoretischen Abhandlungen wie Friedrich Andreas Hallbauer in seiner Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie von 1725 allgemein als ein untrügliches Zeichen, »daß der Brief aus dem Verstande, nicht aus dem Hertzen geflossen«690 sei. Gellert ging sogar so weit, solche vom Verstand geleiteten Formulierungen als eine Art »Scheinemotionalität« zu werten, was er damit begründete, dass, wer recht gerührt, recht betrübt, recht froh, recht zärtlich ist, dem verstattet seine Empfindung nicht an das Sinnreiche, oder an eine methodische Ordnung zu denken. Er beschäfftigt sich mit nichts, als mit seinem Gegenstande. Von diesem ist er voll, und seine Gedanken sind geschwinde und abgedrungne Abdrücke seiner Empfindungen.691
Trotz dieser kritischen Bemerkungen hinsichtlich »echter« gezeigter Emotionen in der Briefsteller-Literatur des 18. Jahrhunderts darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die frühneuzeitlichen Briefsteller größtenteils noch davon ausgingen, dass sich die in ihren Brief-Mustersammlungen abgedruckten – und oftmals noch stark formularartigen – Vorlagen ganz einfach auf ein konkretes Schreibproblem anwenden ließen. Aufgrund eines auf diese Art verfassten Briefes, der mit mehr oder weniger großen Änderungen aus den Brief-Mustersammlungen abgeschrieben wurde, scheint es schwierig, Rückschlüsse auf das reale Empfinden des Briefverfassers zu ziehen. Insbesondere im höflichen Briefverkehr, wo der Akt des Briefschreibens nicht selten einer reinen Pflichtübung gleichkam, dürften dem einen oder anderen Korrespondierenden solche in den frühneuzeitlichen Brief-Mustersammlungen präsentierten und von einem gewissen Grad an Emotionalität zeugenden Briefbeispielen bei seinem Schreibproblem äußerst nützlich gewesen sein. Doch gerade die Ausarbeitung solcher Höflichkeitsbriefe bezeichnete Christian Fürchtegott Gellert in seiner Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen von 1751 als sehr anspruchsvoll, da es sich seiner Meinung nach hierbei oftmals um äußerst schlecht formulierte Briefe gehandelt haben soll, denen man die Verstellung, die Schmeicheley, den Eigennutz, die Sklaverey, gemeiniglich ansieht. Es sind ausgedehnte, frostige, übertriebne Complimente. Die Materie verändert sich in diesen Briefen nicht. Das Erfreuen, das Glückwünschen, das Bezeugen des Mitleids bleibt allemal das Hauptwerk, und die Gelegenheit ist nur die Ursache dazu.692 689 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 83. 690 Hallbauer, Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (1725), S. 719. 691 Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen (1751), S. 79. 692 Ebd., S. 84.
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Um allzu übertrieben wirkende Darstellungen von Gefühlen zu vermeiden, sollte der Briefschreiber, so Gellerts Ratschlag, sich zu erinnern versuchen, »wie er selbst, oder andre, bey dergleichen Gelegenheiten im Affekte zu reden pflegen«693. Diese Art in der Ausdrucksform galt es nun in eine für Briefe passende schriftliche Form umzusetzen, wobei der Verfasser möglichst »allen Vergrösserungen und Künsteleyen entsagen [musste], damit sein Affekt nicht studirt, oder komisch«694 wirkte. Mit dieser Aussage dürfte Gellert wohl die Affektiertheit von emotionalen Darstellungen, wie sie in barocken Briefvorlagen zum Ausdruck kam, gemeint haben.695
5.2.1 Trauer und Freude Zu den prominentesten Gefühlen in den Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts gehören die beiden Basisemotionen der Trauer und der Freude. Neben den spezifischen Kondolenz- resp. Gratulationsbriefen sind Trauer- sowie Freudenbezeugungen auch Bestandteile anderer Briefsorten wie etwa der Abschiedsoder der Dankbriefe. Den Hauptgrund, weshalb sich Menschen Kondolenzbriefe schreiben sollten, sah August Bohse in seiner Gründlichen Einleitung zu Teutschen Briefen von 1706 in der »Bezeugung unsers Mitleidens über den erlittenen Verlust«696, wodurch der Briefschreiber vor allem zu einer »Erleichterung der Betrübnüß derjenigen/ so der Schade betroffen hat«697 beitragen sollte. Um dieses Ziel zu erreichen und den Briefempfänger gleichzeitig von der Aufrichtigkeit seiner artikulierten Trauer zu überzeugen, war es nach Ansicht von Christian Friedrich Hunold wichtig, dass ein Kondolenzbrief »dem Hertzen nach aufrichtig, in dem Stilo ungezwungen und natürlich, und der Sache gemäß, die uns betrübet«698 abgefasst war. Konkret nahmen die Schreibenden den Tod einer ihnen nahestenden Person in den abgedruckten Briefvorlagen frühneuzeitlicher Briefsteller mit »bekümmerten Hertzen und Gemüthe« zur Kenntnis oder sie erfuhren mit »hertzlicher Betrübniss« oder »großer Bestürtzung« vom Unglück eines guten Freundes. Unerfreuliche Nachrichten lösten bei den Briefadressaten nicht nur Gefühle der Trauer und des Mitleids aus, sondern manch einer soll im Moment, in dem er den Brief las und von der schlimmen Nachricht erfuhr, auch selber einen Schrecken erlebt haben. Einen Kondolenzbrief aus der Brief-Mustersammlung des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1692 leitete der Verfasser mit folgenden Worten ein: »Die betrübte Zeitung/ daß dessen Herr Sohn in dem Lager vor N. an der rothen Ruhr gestor693 694 695 696 697 698
Ebd., S. 82. Ebd., S. 82. Vgl. Kasten, Emotionalität, S. 12. Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 286. Ebd., S. 286–287. Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 83.
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ben/ hat mich nicht wenig erschrecket.«699 Nicht als erschrocken, sondern als »gantz betäubet und stutzig worden«700 beschrieb dagegen ein Student seinen emotionalen Zustand, als er erfahren hatte, dass der Vater eines Freundes an einem »Schlag-Fluß« verstorben war. In den Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts stellen ferner auch Momente des Abschieds äußerst emotionale Situationen dar. In einem Abschiedsschreiben an einen geliebten und vertrauten Freund erklärte der Briefschreiber, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, dem Freund seine persönliche Aufwartung zu machen und er sich stattdessen in einem Brief verabschiedete, auf folgende Art: Wäre meine Liebe nicht so zärtlich gegen Sie, so würde ich diese Schuldigkeit bey Jhnen, wie bey meinen andern Freunden, haben verrichten können. Allein so fällt es mir unmöglich, Sie noch einmahl zu umarmen. Vielleicht erweise ich Jhnen hierdurch, so wohl als mir, einen Gefallen, indem ich für meine Beruhigung sorge. Jch habe gnug gehört und gesehen, so mein Hertz gerühret.701
Neben der persönlichen Empfindung der Trauer oder des Mitleids nehmen Bekundungen der Freude einen ebenso zentralen Platz in den zeitgenössischen Brief-Mustersammlungen ein. Nach der Vorstellung Christian Friedrich Hunolds gab es nichts »edlers, noch das mehr mit der Liebe des Nechsten übereinkommt, als sich über das Wohlergehen anderer zu erfreuen«702 – diesen emotionalen Zustand galt es nun, in einem Brief darzustellen. In den frühneuzeitlichen Briefvorlagen verspürten die Briefschreiber eine »ungemeine Freude« oder auch »sonderbares Vergnügen« angesichts der Nachricht über eine bevorstehende Hochzeit eines Freundes. Ein anderer Briefschreiber fühlte sich geradezu verpflichtet, in einem Glückwunschschreiben an seinen »Patron«, der zum »Amtmann« gewählt worden ist, »[s]ein erfreutes Gemüthe«703 zu zeigen. Eine »äusserste Empfindung«704 soll dagegen das Schreiben eines Ministers beim Briefempfänger verursacht haben, als dieser dem Bräutigam sein Einverständnis zu der bevorstehenden Hochzeit mitteilte. Eine besondere Bedeutung innerhalb des sprachlichen Spielraums, seinen freudigen oder auch traurigen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, erhielten in den präsentierten Briefvorlagen Formulierungen mit »Herz« oder »herzlich«. Briefabsender gratulierten aus »erfreutestem Hertzen« oder sind von einer Nachricht »recht hertzlich erfreuet worden«, während andere Schreiber mit »betrübten Herzen« eine traurige Botschaft zur Kenntnis nahmen.
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Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 161. Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), S. 71. Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 153. Ebd., S. 56. Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 131. Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 112.
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Auf den Spuren der Emotionalität in der Frühen Neuzeit
Der Begriff »Herz« wurde in den Briefvorlagen auch als Metapher705 eingesetzt, wenn der Verfasser eines Trostschreibens aus dem zweiten Teil des Teutschen Secretarii von 1659 verkündete: Euer leidzeugendes Klagschreiben/ habe ich leider viel zu frühe/ und unerwartet behändiget/ und nicht sonder Hertzenschmertzen belesen/ daß N.N. mein vertrauter brüderlicher Freund unverhofft […] aus dem irdischen in das himmlisthe versetzet worden.706
»Hertzens-Kummer« bereitete dagegen einem anderen Briefschreiber die Nachricht, »daß [s]ein geliebter Vater nach einer dreytägigen hitzigen Kranckheit dieses Zeitliche gesegnet« hatte.707 Als ein Gefühl, wie wenn »mein Hertz seye zersplittert«, beschrieb ein Briefabsender im Teutschen Secretarius von 1656 seine Trauer, als »der allmächtige Gott [ihm seine] liebe N.N. hinweggenommen/ und sonder allen Zweiffel aus dem Zeitlichen in das Ewige versetzet« hatte.708 In einer im Hochteutschen Secretarius am Ende des 17. Jahrhunderts abgedruckten Briefvorlage beklagte sich die Schreiberin, dass ihr Ehemann »bey anderm Weibesvolke [...] es an Höf- und Freundlichkeit allen Buhlern zuvor thut/ und [ihr] dardurch eine Herzens-Wunde über die andere schlägt und aufreisset«709. Ein Vater, der bisher vergebens versucht hatte, seinen »ungerathenen« Sohn »von liederlicher Gesellschafft/ verdächtigen Winckeln/ und steten Sauffen und Spielen«710 abzubringen, klagte in einem an seinen Bruder adressierten Schreiben aus dem Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben zu Beginn des 18. Jahrhunderts: So viel Vergnügen derselbe an seinen wohlerzogenen Kindern erlebet/ destomehr Schmertzen muß ich täglich erdulten/ da mein mittelster Sohn von Tage zu Tage ungerathener wird; denn dieses gottlose Kind will sich gar nicht beugen lassen/ sondern richtet mir fast alle Augenblick neues Hertzeleid an.711
Herz-Metaphern stellten nicht nur bei belastenden Ereignissen passende Formulierungen dar, auf welche die Verfasser der von der Briefsteller-Literatur vorgegebenen Briefvorlagen gerne zurückgriffen, sondern durch solche Herz-Formulierungen ließen sich ebenso gut heitere, freudige Gemütsstimmungen ausdrücken. Mit »sonderbarer Herzensvergnügung« nahm dementsprechend ein Briefschreiber aus Kaspar Stielers Allzeitfertigen Secretarius von 1690 den mündlichen Bericht vom »herrlichen Sieg wi705 Vgl. Heiligensetzer, Lorenz: »… wie wol ich von natur schamhafft und forchtsam geweßen bin», S. 170–171. 706 Harsdörffer, Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil (1659), Teil 2, S. 28–29. 707 Bohse, Gründliche Einleitung zu Teutschen Briefen (1706), S. 311. 708 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 3, S. 114. 709 Hohenegg, Der Hochteutsche Secretarius (1694), S. 495. 710 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 605. 711 Ebd., S. 604–605.
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der die gemeine Feinde deß Vaterlandes« auf,712 während der Absender eines anderen, an eine Fürstin adressierten Schreibens »mit euserster Herzensbefriedigung vernommen [hat]/ was massen der getreue Gott E. Ld. frölich entbunden/ und sie mit einem gesunden jungen Söhnlein erfreuet«713 hat. Und aus einer Briefvorlage aus dem Vielvermehrten und vollkommenen Hurtigen Briefsteller von 1695 erfahren wir, dass der Scheiber mit »Herzens-Lust«714 zur Kenntnis genommen hat, dass der Briefempfänger sich im Spiel verschiedenster musikalischer Instrumente üben würde. Nuancen in den emotionalen Ausdrucksformen Emotionen sind situationsgebunden und werden individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen, was bedeutet, dass ein Ereignis bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen führen kann, die mehr oder weniger intensiv ausfallen können. Im Hinblick auf die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten bezüglich der Intensität von Emotionen finden sich in den Briefvorlagen wenige Abstufungsmöglichkeiten, um das jeweilige Ausmaß der Gefühlslage anzuzeigen. Graduelle Unterscheidungen im persönlichen Wahrnehmen von Empfindungen ließen sich einerseits mittels gesteigerter Adjektive oder Adverbien sichtbar machen. Wollte ein Briefabsender seine große Betroffenheit zeigen, schrieb er in der Briefvorlage, dass er von der unglücklichen Nachricht mit »höchster Bestürtzung« erfahren habe, um darauf mit »nicht geringer Betrübniss« oder mit »äussersten Schmertzen« zu kondolieren. Sah sich der Schreiber zu besonderer Freude veranlasst, richtete er seine besten Glückwünsche an die Adresse des Briefempfängers mit »erfreutestem Hertzen«. Eine andere, in den abgedruckten Briefvorlagen ebenfalls häufig vorkommende Form, um persönliche Empfindungen graduell zu differenzieren, funktionierte über den Vergleich. So eröffnete ein Sohn, der für sein Verhalten Reue empfand, seine Entschuldigung gegenüber seinem Vater mit folgenden Worten: »Keine grössere Betrübniß könte mir auf dieser Welt begegnen/ als welche mir durch die schmerzliche Abkündigung seiner väterlichen Huld wiederfahren.«715 Oftmals wurde der Grad der persönlichen Anteilnahme bei einer traurigen Nachricht in den Briefvorlagen auch in direkten Bezug zur Freude gesetzt, die der Schreiber bei einem erfreulichen Ereignis verspürt hat. »Wie vergnügt ich auch iedesmahl die Feder ergriffen/ wenn ich meine Schuldigkeit bey ihnen schrifftlich abgeleget«, formulierte ein Schreiber in einem Brief an eine »Jungfer« beim Tod ihres Vaters, »so gar schwer kommt es mir itzo an/ da die Trauer-Post von dem Tode ihres Herrn Vaters mich auffordert/ ihnen einen Trost zuzuschreiben«.716 712 713 714 715 716
Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 562–563. Ebd., S. 542. Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695), S. 420. Ebd., S. 368. Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 169
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Auch für den entgegengesetzten Fall finden sich in den Brief-Mustersammlungen zahlreiche Beispiele. So heißt es im Allzeitfertigen Brieffsteller von 1692 in einem an einen vornehmen Mann adressierten Glückwunschschreiben, der von einer gefährlichen Krankheit genesen ist: Wie betrübt ein iedes war/ als des Höchsten Schickung meinen hochgeehrten Herrn auff ein gefährliches Siech-Bette darnieder gelegt/ so erfreulich hören wir anietzo die gute Zeitung/ daß […] mein Hochgeehrter Patron dem gemeinen Wesen zu ferneren Besten wieder genesen/ und zu völliger Gesundheit gelanget.717
Zweifelsohne zu der effektvolleren Art, seinen persönlichen Empfindungen Ausdruck zu verleihen, zählte in den in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts veröffentlichten Briefvorlagen der Topos des Unsagbaren resp. Un-(be)schreibbaren.718 Solche Formulierungen setzten die Korrespondierenden gezielt ein, um damit deutlich zu machen, dass ihre Emotionen so stark waren, dass sie sich nur schwer oder gar nicht artikulieren ließen. Vor allem in Kondolenzbriefen finden sich wiederholt Formulierungen wie folgende aus dem Teutschen Secretarius von 1656, mittels derer ein Briefschreiber den Tod seiner Ehefrau betrauerte: »Wie schmertzlich mir dieser Trauerstand falle/ kan ich noch mit meinen Threnen/ so dieses Papier benetzen/ noch weniger aber mit beyflüssenden Klagworten ausdrucken.«719 In einer anderen Briefvorlage an einen Vater, der den Tod seines Sohnes beklagen musste, sah sich der Schreiber ebenfalls nicht in der Lage, seiner Trauer die passenden Worte zu verleihen. Er versuchte es gleichwohl mit einem Vergleich: Mit was Leidwesen ich die traurige Post vernommen/ daß derselbe seinen geliebten ältesten Sohn durch ein hitziges Fieber eingebüsset/ kan ich nicht wohl melden; dieses aber will ich frey bekennen/ daß wenn mir gleich einer von meinen nechsten Blutfreunden gestorben/ mir solches nicht so sehr würde zu Hertzen gangen seyn/ als mich dieser meinen hochwerthen Gönner betroffene Fall schmertzet.720
Wie aus den barocken Brief-Mustersammlungen weiter hervorgeht, raubten nicht nur traurige Ereignisse den Korrespondierenden die Sprache, wenn sie in solchen Situation in ihren Briefen zum Topos des Unsagbaren griffen, sondern über die gleiche sprachliche Figur funktionierte der Ausdruck übermäßiger Freude. Sichtlich erfreut über die Rekonvaleszenz eines vornehmen »Patron« von einer Krankheit zeigte sich der Absender des folgenden Gratulationsschreibens aus Christian Friedrich Hunolds Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707: Wie unendlich bißhero iedweder getreuer Diener betrübt gewesen/ es möchte Dero schwere Unpäßlichkeit einen so trefflichen und leutseeligen Patron mit nicht geringen 717 Ebd., S. 220. 718 Vgl. Heiligensetzer, Lorenz, »… wie wol ich von natur schamhafft und forchtsam geweßen bin«, S. 171. 719 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 3, S. 114. 720 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 149.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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Schaden dieser Stadt hinwegnehmen: desto unaussprechlicher ist nun die Vergnügung/ die alle Tugendliebende und absonderlich Dero ergebenster Cliente über Jhre glückliche Reconvalescenz heget.721
Beim Regierungsantritt ihres Königs »mit unbeschreiblichen Freuden überfüllet« worden, wie es in einem Glückwunschschreiben eines Reichrats-Kollegiums aus dem Allzeitfertigen Secretarius von 1690 heißt, sind »dero getreueste Undertanen/ und die sämtliche gehorsamste Stände ihrer mächtigen Reiche«, weshalb sie »nicht Wort gnug finden [können]/ wormit sie der allerhöchsten Maj. Gottes ihren Christl. Dank vor solche erlebte höchste Glückseligkeit abstatten mögen«.722 Während in den bisher zitierten Briefvorlagen der Grad an gezeigter Emotionalität über den Topos des Unsagbaren definiert wurde, trat in anderen Musterschreiben an die Stelle der Zunge als Organ des Sprechens die Feder als Werkzeug des Schreibens, die angesichts der so stark empfundenen Gefühle, die eine Nachricht beim Schreiber verursachen konnte, nicht fähig war, die richtigen Worte aufs Blatt zu bringen. Demzufolge heißt es in einem Kondolenzbrief aus dem Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben zu Beginn des 18. Jahrhunderts: »Der Feder mangelt das Vermögen/ diejenige Bestürtzung zu beschreiben/ die das unverhoffte und plötzliche Absterben seines nunmehro seligen Herrn Vaters mir verursachet.«723 Die Darstellung des Trauerschmerzes in den Briefvorlagen konnte sogar so weit gehen, dass der verspürte Schmerz nicht nur die Feder lähmte, sondern auch die für das Schreiben benötigte Funktion der Hand beeinträchtigte, wie in einem Kondolenzschreiben an einen vornehmen Minister, der den Tod seiner Ehefrau zu beklagen hatte, nachzulesen ist: So wancket auch meine Feder selbsten/ wenn sie einen so hohen Trauer-Fall beschreiben soll; und die Bestürtzung über ein so hartes Verhängniß/ das die Tugend und Vollkommenheit itzo ins Grab leget/ rühret meine Hand so sehr/ daß sie nichts geschickts aufs Papier zu bringen weiß.724
Ebenfalls in Hunolds Brieflehrbuch Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707 stand am Anfang eines an einen Freund gerichteten Gratulationsscheibens, der eine Sekretärsstelle erhalten hatte, die Frage: »Mit was vor ungemeinen Vergnügen höre ich nicht die angenehme Zeitung/ daß Dieselben eine so schöne Charge bekommen? Gewiß der Feder mangelt das Vermögen/ solches recht zu beschreiben.«725 Die Gründe, weshalb ein Schreiber nicht die richtigen Worte für seinen Gefühlszustand fand, konnten manchmal viel profanerer Natur sein und hatten somit wenig mit seinem persönlichen Empfinden zu tun. So entschuldigte sich der Verfasser eines Gratulationsbriefes an eine Frau, die eine angesehene Stelle in einem Kloster über721 722 723 724 725
Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 134–135. Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 547–548. Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 176. Ebd., S. 164. Ebd., S. 138.
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nommen hatte, für seine »ungeübte Feder«, die »ihre Pflicht nicht so wol bezeigen können/ als ich es gewünschet«726 – der Schreiber argumentierte hier also mit einem Bescheidenheitstopos. Abschließend lässt sich bezüglich der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Emotionen Trauer resp. Freude festhalten, dass die Brief-Mustersammlungen der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur ein breites Spektrum an Darstellungsformen aufzeigen. Neben häufig wiederkehrenden und stereotyp wirkenden Formulierungen, welche Trauer bzw. Freude für den Briefleser zwar sichtbar machen, aber in ihrem Grad nicht differenzieren, finden sich in den publizierten Briefbeispielen ebenso emotionalere und zugleich auch individuellere Ausdrucksformen. Anhand solcher Passagen lässt sich aus heutiger Zeit ein konkretes Bild davon gewinnen, welche Ausdrucksmöglichkeiten im vorgegeben Rahmen der erwarteten Darstellung von Emotionen in der Frühen Neuzeit möglich waren. Wollte der Briefverfasser seinen Gefühlen Tiefe verleihen, konnte er in seinen Formulierungen auf gesteigerte Adjektive zurückgreifen oder er setzte das Stilmittel des Unsagbarkeits- resp. Unbeschreibbarkeitstopos ein. Verlangte es die Situation, dass der Briefabsender seine Fassung wahrte, dann bediente er sich einer »gefasst« wirkenden formelhaften Sprache.727
5.2.2 Wut, Zorn, Scham und Ekel Neben Emotionen wie Trauer und Freude bildeten die Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts auch Gefühle wie Wut, Zorn, Scham oder Ekel ab. Verglichen mit den Trauer- und Freudenbezeugungen sind solche »negativ« konnotierten Empfindungen in den abgedruckten Musterschreiben schwieriger auszumachen. Eine der wenigen Briefvorlagen, in denen der Absender sein Ekelgefühl direkt zum Ausdruck bringt, stammt aus Georg Philipp Harsdörffers zweitem Teil seines Teutschen Secretarii aus dem Jahr 1659. Darin beklagt sich eine schwangere Frau, dass sie die »Leibesfrucht […] mit grossem Schmertzen/ Eckel und Ungemach nun in das achte Monat unter meinem Hertzen trage«728. Bemerkenswert hierbei ist, dass es sich um eine Briefschreiberin handelt, die das Gefühl des Ekels offen benennt. Ob es auch für männliche Briefverfasser in der Frühen Neuzeit gesellschaftsfähig war, ein allfälliges Ekelgefühl in einem Schreiben ohne Weiteres zu artikulieren und – wenn ja – in welchen Schreibsituationen, lässt sich leider aus den in den Brief-Mustersammlungen präsentierten Vorlagen nicht abschließend beantworten. Belegt hingegen ist, dass Männer Schamgefühle zeigen konnten, wie aus einer Briefvorlage aus dem zweiten Band des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695 hervorgeht. Darin entschuldigte sich der Absender gegenüber seinem Freund für das Aus726 Ebd., S. 161. 727 Vgl. Krusenstjern, Die Tränen des Jungen über ein vertrunkenes Pferd, S. 165. 728 Harsdörffer, Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil (1659), Teil 3, S. 111.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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bleiben von Nachrichten, indem er sich folgendermaßen äußerte: »Ich muß mich fast selbst schämen/ daß ich so lange mit meinen Briefen bey demselben aussen geblieben/ da ich doch keine andere Entschuldigung als meine Nachläßigkeit vorzuwenden habe.«729 Ein Schamgefühl muss in den Briefvorlagen nicht direkt benannt sein, sondern genauso gut lässt es sich über die Beschreibung körperlicher Zeichen wie etwa des typischen Errötens festmachen. In einem Brief aus dem Teutschen Secretarius von 1656 beschrieb der Verfasser seinen Gefühlszustand beim Lesen des letzten Briefes mit folgenden Worten: »Jungst an mich Abgeloffnes überschüttet mich mit so viel Ehr- und Lobsprüchen/ daß ich solche nicht sonder erröten abgelesen.«730 Häufiger als Ekel oder Scham finden sich in den frühneuzeitichen Brief-Mustersammlungen die Emotionen Wut, Zorn oder als abgeschwächte Form Ärger. Solche negativ besetzten Gefühle blieben in den Briefbeispielen oftmals nicht direkt dem emotionalen Zustand der korrespondierenden Personen vorbehalten, sondern sie wurden Drittpersonen zugeschrieben, die Gegenstand eines Briefes waren. In einer Briefvorlage aus dem Vielvermehrten und vollkommenen Hurtigen Briefsteller von 1695 wurde ein Student, der während seines Aufenthaltes an einer Universität einen liederlichen Lebensstil gepflegt haben soll, gebeten: Es wolle doch mein liebster Freund in sich gehen/ und sein Studiren/ wie vormals/ rühmlich abwarten/ so versichere ihn/ sein Herr Vatter wird nicht allein allen auf ihn gefaßten Zorn niederlegen/ und mit allen/ was Er nur verlanget/ ihme gerne willfahren.731
Während in diesem Beispiel der Zorn des Vaters durch den Briefverfasser unmissverständlich benannt wurde, sind in anderen Briefvorlagen Stimmungen des Missmuts wiederum nur indirekt, zwischen den Zeilen fassbar. Dementsprechend formulierte ein männlicher Absender zu Beginn seines Visit-Briefes an eine Dame, abgedruckt in Rosts Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe von 1734: »Mademoiselle! Sie werden ja nicht ungehalten auf mich seyn, daß ich ohne Dero Vergünstigung gegenwärtige Zeilen an Sie absende. Jch bin wegen Dero Zustand so sehr bekümmert/ daß es mir unmöglich wäre, länger zu leben, wenn ich nicht davon Nachricht eingezogen.«732 Sehr verärgert dagegen zeigte sich ein Student in einer Briefvorlage aus dem zweiten Band des Allzeitfertigen Brieffstellers von 1695, nachdem ihm die Kritik einer jungen Dame an seiner Person zu Ohren gekommen war. Zu Beginn seines Briefes fragte er forsch: Was hat sich doch Mademoiselle um meine Kleidung und um meine Bekanntschafften zu bekümmern? So ich ihr rathen solte/ nähme sie davor die Neh-Nadel in die Hand/ und lernete einen Ermel in ein Hemde setzen/ oder ein Schnuptuch zeichnen/
729 730 731 732
Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), S. 57. Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 2, S. 23. Brauser, Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller (1695), S. 446. Rost, Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe (1734), S. 45.
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so wäre sie in einer ihr anständigen Arbeit begriffen/ als daß sie sich um der Studenten ihre Actiones sorgfältig bezeiget. Gehe ich ihr nicht kostbar und galant genug/ so geschiehet es darum/ daß ich mir nicht gerne die Mühe nehmen will/ mich ihrentwegen in Unkosten zu stecken; denn ich bey ihr noch niemahls Addresse verlanget/ auch solche nicht suchen werde/ sondern andern überlasse/ die mehr Qualitäten an ihr sehen/ als ich: denn diejenige Gewohnheit/ allen Leuten ein Fleckchen anzuhengen/ welche Mademoiselle vor ihre gröste Tugend hält/ halte ich vor ein Merckmahl eines schlechten Verstandes/ und wolte ihr rathen/ sie entschlüge sich künfftig derselbigen/ ehe es ihr durch einige Beschimpffung abgewehnet wird.733
Ein möglicher Grund, weshalb persönliche Empfindungen des Missmuts wie Wut, Zorn oder Verärgertsein selten als solche in den veröffentlichen Briefvorlagen zum Ausdruck kamen, könnte am Umstand liegen, dass die Menschen in der Frühen Neuzeit Mühe hatten, ihre durch bestimmte Situationen initiierten Emotionen richtig einzuordnen. Diese Annahme wird durch folgendes Schreiben eines erzürnten Vaters an seinen ungehorsamen Sohn aus dem Teutschen Secretarius von 1656 gestützt: Liebgewesner Sohn. Es ist mir glaubig zu Ohren gekommen/ du habest deine Bücher beyseits gelegt/ und dich von böser Gesellschafft zu allen Sünden und Lastern verleiten lassen. Wie schmertzlich mir diese Zeitung durch das Hertz schneidet/ kan ich mit Trauerworten nicht ausreden/ und bin nun endlich bedacht/ meine vätterliche Hand von dir als meinem unartigen Kinde/ abzuziehen/ und dich dem gerechten Straffgericht Gottes zu überlassen/ wann du anderst deinem Vatter und Lehrherren nicht folgen/ und ein andres und bessres Leben nicht antretten wilst/ darzu du bereit vielmals ernstlich angemahnet worden.734
Obwohl bereits aus der Wahl der Anrede mit »Liebgewesner Sohn« geschlossen werden kann, dass der Vater über das ungebührliche Verhalten seines Sohnes sehr verärgert war, berschrieb er seine Gemütslage im weiteren Verlauf des Briefes als von Trauer dominiert. Auch in einem anderen Schreiben aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an einen nachlässigen Sohn hatte ein Vater »gäntzlich gehoffet/ du würdest auf meine väterliche Erinnerung/ dich biß nechst abgewichene viertel Jahr/ in deiner Lehrnung gantz fleißig verhalten/ und sehr gebeßert haben«735. Als dies nicht der Fall war, spürte der Vater mit »großen Verdruß und Bekümmern/ das Wiederspiel/ ja ich muß über das/ von deinem Lehrherrn vernehmen/ wie muhtwillig/ wiederspenstig und unfleißig du dich anstellest«736. Dass die Menschen in der Frühen Neuzeit Schwierigkeiten hatten, Gefühle wie Wut oder Zorn richtig zu benennen und sie deshalb ihre Stimmungslage mit Worten 733 Bohse, Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil (1695), S. 289. 734 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 3, S. 147. 735 Stieler, Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-Kunst (1674), Anhang, S. 93. 736 Ebd., S. 93.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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der Trauer ausdrückten, bestätigt auch Carol Z. Stearns in ihrer Auswertung englischer Tagebücher aus dem 16. und 18. Jahrhundert. Bei ihrer Untersuchung der Verwendung von »anger« und »sadness« kam sie zum Fazit, dass die Menschen vor dem 17. Jahrhundert »anger« als »sadness« wahrgenommen haben. Erst mit der wachsenden Fähigkeit, eigene Gefühle zu erkennen und zu benennen, so Stearns weiter, habe sich ein Bewusstsein von Wut und Zorn entwickelt, was sich schließlich auch im sprachlichen Ausdruck niederschlug.737 Die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur gibt somit ein Zeugnis ab von der in der Emotionsforschung weit verbreiteten Annahme, dass die »emotional experience« in der Frühen Neuzeit einem Wandel unterlag.738
5.2.3 Liebe und Eifersucht Die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur mit ihren umfangreichen Brief-Mustersammlungen liefert des Weiteren auch einen Beweis für den Wandel des »emotional standard», indem mit den galanten Briefstellern um die Wende zum 18. Jahrhundert das Gefühl des Verliebtseins vermehrt Einzug in die Briefvorlagen hielt. Als »schreiben/ welche zwey personen von unterschiedenem Geschlechte wechseln/ welche einander entweder schon lieben/ oder doch lieben wollen«739 definierte Benjamin Neukirch in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen zu Beginn des 18. Jahrhunderts so genannte Liebesbriefe. Dabei unterschied Neukirch zwischen »ehelicher und verbothener liebe«740, wobei er ausdrücklich betonte, dass er mit seinen Anweisungen bloß den rechtmäßig verlobten Personen eine Hilfestellung beim Verfassen von Liebesbriefen geben wollte.741 Mit dieser Rechtfertigung wollte Benjamin Neukirch sich vom Vorwurf distanzieren, mit seinen Briefvorlagen auch Menschen zu dienen, die Ehebruch begingen, was sich aber nicht verhindern ließ. Das wesentlichste Ziel eines Liebesbriefes bestand nach Ansicht von Christian Friedrich Hunold in der Verführung der Briefempfängerin. Dazu sollte der Verfasser zunächst, wie Hunold in seinen Lettres choisies von 1714 ausführte, die Themen wählen, »womit man eine Dame, die man liebet, unterhalten wil«742. Als nächstes hatte ihr der Briefverfasser, so Hunold weiter, »mit einer aufgeweckten und ungezwungenen Art etwas angenehmes, und das eine Gewogenheit bey sich führet«743 zu schreiben, denn so sie eine Neigung vor uns heget, so werden die artigen Sachen, die man ihr saget, und die ihr gegebene beliebte Lobes-Erhebungen, ihre Inclination befestigen. Dieses 737 738 739 740 741 742 743
Vgl. Stearns, »Lord Help Me Walk Humbly«, S. 41. Vgl. Brändle, Texte zwischen Erfahrung und Diskurs, S. 14–15. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 275. Ebd., Vorrede, unpag. Ebd., unpag. Hunold, Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François (1714), S. 503. Ebd., S. 503.
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alles beweget die Schöne allmählich darzu, uns Kennzeichen ihrer Liebe zu geben; und man ist glückselig, wenn man eine Gebieterin so weit bringen kan.744
Um das Herz der Liebsten zu gewinnen, so Hunold weiter, sollte sich der Schreiber in seinem Liebesbrief auf eine zärtliche und zugleich feurige Art erklären.745 Der Schreibstil hatte so ungezwungen und natürlich wie nur möglich zu sein, denn, so die Meinung von Benjamin Neukirch in seiner Anweisung zu Teutschen Briefen von 1709, ein Liebesbrief müsse mit seiner Art die lesende Person berühren. Dazu brauche es vor allem einen verliebten Schreiber: »Je verliebter nun der schreiber ist/ ie beweglicher gerathen ihm auch die briefe. Denn seine leidenschafft lässet ihm nicht zu/ weit auszuschweiffen: sondern wie sein hertz redet/ so redet auch seine feder.«746 Folglich riet Neukirch auch ausdrücklich von einem Dispositionsschema bei verliebten Briefen ab, denn seiner Meinung nach hatten »drey zeilen/ welche von hertzen kommen/ […] mehr krafft und würckung/ als zwantzig/ welche aus einer rhetorischen feder fliessen«747. Von solchen Stilprinzipien waren die in Samuel Butschkys Venus-Kanzeley aus den 1640er Jahren veröffentlichten Liebesbriefe allerdings noch ziemlich weit entfernt. Wie die Überschrift bereits erahnen lässt, war der Schreibstil der Liebesbriefe von der kanzlistischen Rhetorik dominiert. Trotz des formelhaften Schreibstils, der, verglichen mit Vorlagen aus Butschkys Hoch deutschen Kanzeley-Briflein748 bereits erste Anzeichen einer Lockerung in den Formulierungen aufwies, überzeugen die KanzleiLiebesbriefe mit so emotionalen Wendungen wie dem Bekenntnis eines Schreibers gegenüber seiner Liebsten, dass er si so inbrünstig libe/ hergegen aber von Jhr im geringsten keine Gegenlibe verspüren kan/ nicht mehr meines Lebens-Lauf führen können: es erfordert di Nohtwendigkeit/ das Si/ entweder durch Mitleiden/ durch Libe/ oder durch habende Ursachen und Gründe/ mir alles das/ was Si in ihrem Gemütte hat/ weil Jch Jhr auch alles/ was in meinem Herzen verborgen gelegen/ hatte herauser und von stund an zu wissen gegeben/ entdekket. Si aufs neue/ wi das Jch Si libe/ zu bereden/ erachte Jch vor unnüzlich.749
Der Schreibstil dieses Liebesbriefes wird von langen Sätzen dominiert, die dem Verständnis des Inhalts nicht besonders förderlich sind. Was unter einer möglichst natürlich und ungezwungen wirkenden Formulierung gemeint war, zeigen die 100 Jahre später von Johann Leonhard Rost in seinem Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe von 1734 publizierten Beispiele. In einem Liebesbrief schreibt eine Frau an ihren abwesenden Freund, in der Hoffnung auf eine baldige Zusammenkunft:
744 745 746 747 748 749
Ebd., S. 503. Ebd., S. 501. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 275. Ebd., S. 586. Butschky, Hoch deutsche Kanzeley-Briflein (1652). Butschky, Hochdeutsche Venus-Kanzeley (1644), S. 50.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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Jch liebe sie weit höher als mich selber: Mein Hertz ist getreu, und sie sind der Beherrscher davon; und ich sehne mich nach nichts begieriger, als sie bald wieder zu sehen, um ins künfftige allezeit an Jhrer Seite zu seyn. Ermangeln sie dahero nicht, Jhre Zurückkunfft zu beschleunigen, weil mir eine jede Stunde ein gantzer Tag zu seyn scheinet, biß ich sie in meinen Armen sehe. 750
Sehr beliebt scheint beim Schreiben von Liebesbriefen auch der Einsatz von Metaphern gewesen zu sein, mittels derer der Verfasser versuchte, seiner verliebten Stimmung den richtigen Ausdruck zu verleihen. Seine Gemütslage verglich ein Schreiber bei der Abwesenheit seiner Liebsten mit einem Schiff, das sich auf einer stürmischen See befindet: Niemalen ist ein verirrtes Schiff durch die grausamen Wellen des Meers/ oder durch die erschöckliche Sturmwinde getrieben/ oder in Verzweiflung gebracht worden/ als wie mein Hertz durch die vielfältige Seufftzer gequälet/ und durch so unterschiedliche Gedancken überfallen wird/ welches mir alles die Beraubung ihrer holdseligsten Gegenwart verursachet/ nicht daß ich in einiges Mißtrauen ihro mir mehr als zu viel erwiesenen Gnaden-Affection/ deren ich mich gnugsam versichert/ gerathe/ sondern weil ich mit diesem Augenblick/ wie ich wol wünsche/ bekräfftigen kan/ der ich bin/ nemlich Dero ewig verpflichteter Diener.751
Während der Verfasser damit seine persönlichen Qualen ausdrückte, die er durch die Abwesenheit seiner Liebsten ertragen musste, gebrauchte ein anderer Schreiber in seinem Brief an eine »abwesende Schöne«, abgedruckt in der Brief-Mustersammlung der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707, die Metapher der Sonne, welche für die Freude stand, die er angesichts des baldigen Treffens mit seiner Liebsten empfand: Diese getreue Zeilen von euren ergebensten Heraldo werffen sich hier zu euren Füssen/ und bringen tausend Klagen wegen seiner Entfernung mit sich. Ach wie schmertzlich empfindet mein Gemüthe/ daß es sein eintziges Vergnügen auf eine Zeit entbehren soll! und was für Quaal muß ich nicht an statt meiner vorigen Zufriedenheit erdulten! doch dieses alles lehret mich/ daß ich was unschätzbares in Salamœna zurücke gelassen/ welches alleine fähig/ mein gantzes Leben glückselig zu machen. Jch werde demnach meine Zurückkunfft desto eher beschläunigen/ ie stärcker meine Sehnsucht ist/ mich wieder in euren schönen Armen zu wissen. […] meine Sonne soll mir daselbst verhoffendlich bald und desto schöner wieder aufgehen/ ie näher ich hernach meinem sehnlich verlangten Ziele komme/ in der unvergleichlichen Selimenen ihrer Umarmung eine unaussprechliche Vergnügung zu geniessen.752
750 Rost, Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe (1734), S. 469. 751 Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stets-bereite und vielvermehrte Secretarius (1699), S. 181. 752 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 450–451.
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Längst nicht alle Liebesbriefe aus den barocken Brieflehrbüchern enthalten derart umständliche Formulierungen, mit denen der Briefabsender seiner emotionalen Stimmung des Verliebtseins den passenden Ausdruck verleihen wollte. Eher nüchtern scheint im Vergleich dazu die Bitte eines anderen Schreibers an seine Liebste aus dem Briefsteller Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe von 1734, sein Heiratsangebot anzunehmen: »Sie nehmen vielmehr meine zärtliche Liebe, die ich gegen Sie hege, vor eine Entschuldigung an, die gantz ohne falsch ist und erfreuen mich/ wo es Jhnen beliebt, mit einer Antwort, die zu Befriedigung meiner Passionen hinlänglich ist.«753 Und in einem anderen Liebesbrief beklagte sich ein Mann, der die Briefempfängerin heiraten wollte, dass es ihm nicht möglich sei, »eine solche Person zu vergessen, die [s] ich zu einer Beherrscherin [s]eines Hertzens gemacht«754 habe. Eine besondere Stellung innerhalb der Liebesbriefe genossen in den frühneuzeitlichen Briefstellern die galanten Liebesbriefe, da diese, im Gegensatz zu den »echten« Liebesbriefen, so der Briefsteller-Autor Benjamin Neukirch »öffentlich und ohne scheu/ so wohl an verheyrathetes als unverheyrathetes frauenzimmer«755 geschrieben werden durften. Liebesbriefe dagegen sollten nach den Vorstellungen von Neukirch nur an Frauen geschrieben werden, die nicht liiert waren und die der Absender zu ehelichen gedachte. Den galanten Liebesbriefen war indes zu eigen, dass sie »entweder eine liebe simuliret; oder eine warhafftige so scherzhafft und galant fürbringet/ daß sie die lesende person für eine verstellte halten muß«756. In diesen wurde Liebe vielfach auf eine nicht ernst zu nehmende Weise ausgedrückt.757 Wie ein solcher galanter Brief nun konkret aussehen konnte, zeigt folgende Briefvorlage aus Hunolds Werk Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707, welche die viel versprechende Überschrift »An eine Schöne/ wegen eines entraubten Kusses« trägt: Wollet ihr mich wohl aus eurer Güte stossen/ daß ich eurem schönen Munde den Zoll geliefert/ welchen er durch den Zwang seiner Annehmlichkeiten selber von mir gefordert? ach daß doch die Küsse bey euch die Krafft wie bey mir hätten/ so würdet ihr so etwas schönes nicht tadeln/ welches wegen seiner ungemeinen Delicatesse alle Welt zwar empfinden aber nicht vollkommen beschreiben kan. […] Doch eben darum zürnet ihr/ weil ich es genommen? wisset ihr nicht/ empfindliche Schöne/ daß gestohlne Früchte am lieblichsten schmecken? und so ihr dennoch nach strengen Rechten mit mir verfahren wollet/ so kan ich doch nicht mehr als den Diebstahl gedoppelt wieder geben. Befehlet demnach/ wenn ich schuldigen Abtrag thun soll/ ich will mich alsofort darzu verstehen; leget indessen keinen unerträglichen Haß auf euren Thyrsis, der euch kein Unrecht gethan/ indem er die schönsten Lippen geküßt. […] Diese
753 754 755 756 757
Rost, Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe (1734), S. 21, 23. Ebd., S. 453. Neukirch, Anweisung zu Teutschen Briefen (1709), S. 312. Ebd., S. 312. Ebd., S. 312.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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Entschuldigung wird ein gütiges Auge bey euch finden/ und das angenehme Original hoffet nach Mittage wieder zu sehen.758
Gerade in der Galanterie sieht Niklas Luhmann eine Form der Liebeswerbung, die ohne Probleme in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht werden konnte, weil sie zwischen Intimität und Geselligkeit stand und nach beiden Seiten hin anschlussfähig war. In ihrer sprachlichen Ausdrucksform zeichnete sich, so Luhmann, die Galanterie durch eine romanhaft-idealistische Semantik aus, die sowohl für täuschendes, verführendes Verhalten als auch für ernst gemeintes Liebeswerben stehen konnte. Für den Briefadressaten waren die Absichten, die mit einem solchen Schreiben verfolgt wurden, somit nur schwer erkennbar. Liebe bezeichnete demzufolge in den galanten Liebesbriefen weniger ein Gefühl als vielmehr einen symbolischen Code, der zeigte, wie Gefühle in Situationen, in denen sie nicht gesellschaftsfähig waren, trotzdem erfolgreich kommuniziert werden konnten.759 Wo Liebe herrscht, ist auch Eifersucht nicht weit, weshalb es auch nicht weiter erstaunen mag, dass sich in der Rubrik der so genannten Liebes- und Frauenzimmerbriefe ebenso Vorlagen finden, die das Gefühl der Eifersucht thematisieren. In einem Visit-Schreiben an eine »Jungfer« aus dem Bequemen Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben von 1697 gestand der Schreiber, dass er angesichts der Vorstellung, dass sein Brief »das Glück erhält/ vor ihre schönen Augen zu kommen«, allen Grund habe, auf seinen »eigenen Brieff eyfersichtig« zu sein.760 Es ist eher eine Ausnahme, dass das Gefühl der Eifersucht in den frühneuzeitlichen Briefvorlagen auf diese direkte Weise zum Ausdruck gebracht wird. Vielfach muss es zwischen den Zeilen gelesen werden. So auch in folgendem Brief aus August Bohses Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe von 1692, den eine Frau an ihren Freund schrieb, getrieben von der Vorstellung, ihr Freund könnte einer anderen Frau den Hof machen. Dabei wollte sie von ihrem Liebhaber wissen, wie sie es zu verstehen habe, daß sie über vierzehn Tage bereits kranck gelegen/ und mir davon nicht die geringste Zeile geschrieben haben? Sehen sie mich nicht vor so beständig in meiner treuen Liebe an/ daß ich gerne auff etliche Tage zu sie gekommen wäre/ umb das Glück zu haben/ ihnen/ mein Kind/ bey dero wehrender Unpäßlichkeit mit Wartung an die Hand zu gehen. Aber wer weiß/ was vor eine angenehme Freundin diese Kunst besser gelernet hat/ daß man mich nicht verlanget/ und wer saget mir/ was für eine schöne Hand die tincturen eintröpffelt/ und zu meines Engels Munde führet.761
Die verliebten und galanten Frauenzimmerbriefe stellten in der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts auch diejenigen Schreiben dar, die dem Verfasser 758 759 760 761
Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 485–486. Vgl. Luhmann, Liebe als Passion, S. 97–98 und Vorwort. Bohse, Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben (1697), S. 65. Bohse, Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe (1692), S. 512.
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die größten Freiheiten hinsichtlich der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten seiner persönlichen Empfindungen einräumten. Folglich fragte Christian Friedrich Hunold in seinen Lettres choisies von 1714: »Denn sind sie nicht von allen Bewegungen des Gemüths eingenommen? sie sind traurig/ lustig/ zornig/ verliebt/ und zuweilen mit Haß und Eyffer angefüllet/ indem die Passiones sich auf dem Papier so wol/ als auf dem Gesichte abschildern lassen.«762 Was Hunold mit seiner Aussage wohl gemeint hat, illustriert folgendes aus dem Französischen übersetzte Schreiben einer Frau an ihren Liebsten. Darin beschrieb die Briefverfasserin eindringlich ihr »Wechselbad der Gefühle«, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Geliebter auf seinem Feldzug in den Armen einer anderen Frau gelegen haben sollte: Wie? wollet ihr mich niemahls in Ruhe lassen? Soll ich allezeit in Furchten stehen/ euch entweder durch den Todt oder wegen euren Wanckelmuth zu verlieren? So lange als euer Feldzug wäret/ bin ich in unauffhörlichen Gemüths-Stürmen. Denn die Feinde dürffen keinen Schuß thun/ da ich mir nicht einbilde/ er gelte euch. Hierauff vernehme ich/ wie ihr eine Schlacht verspilet/ ohne zu wissen wo ihr hingekommen; und wenn ich nach tausend tödtlichen Aengsten erfahre/ daß euch das mir geneigte Glück errettet; so saget man/ ihr wäret in Languedoc, wo ihr in den Armen der Mademoiselle N. N. einen Trost vor alle Verdrießlichkeiten suchet. Jst dieses also/ so bin ich recht unglücklich/ daß ihr euer Leben nicht in den Treffen verlohren. Ja/ ich wolte euch lieber todt als unbeständig sehen. Denn so hätte ich das Vergnügen zu glauben/ ihr würdet mich allezeit geliebet haben/ wo ihr länger gelebet; an statt daß mein Hertz gantz unsinnig wird/ mich wegen einer andern verlassen zu sehen/ die euch nicht so sehr liebet.763
5.2.4 Emotionale Gebärden Emotionen wurden in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts nicht nur direkt über die Sprache ausgedrückt, sondern in den abgedruckten Briefvorlagen finden sich ebenso Beschreibungen von emotionalen Gebärden. Als charakteristische Trauer- und Kummerstereotype galten insbesondere Weinen, Seufzen und Jammern.764 Zu Beginn eines Abschiedsbriefes an sein »Artiges N.« machte ein Schreiber seinen inneren Schmerz mittels des sprachlich artikulierten Seufzers »Ach wie schmertzlich gehet mir diese Trennung/ und was für Quaal stehe ich nicht deßwegen aus!«765 sichtbar. 762 Hunold, Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François (1714), Von dem Stylo im Schreiben, unpag. 763 Ebd., S. 491. 764 Vgl. Radmehr, Ingeborg: Typik der Gefühlsdarstellung in der frühneuhochdeutschen Erzählprosa, Göttingen 1980, S. 57, 186. 765 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 334.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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Auf einer breiteren Klaviatur von Ausdrucksmöglichkeiten, um ihr persönliches Leid zu artikulieren, spielte eine Frau in ihrem Schreiben an ihren Vater, veröffentlicht im Hochteutschen Secretarius am Ende des 17. Jahrhunderts. Darin ließ sie ihren angestauten Emotionen über die schlechte Behandlung durch ihren Ehemann freien Lauf: Wiewohl ich meinen Kummer bey mir sterben zu lassen/ anfänglich beschlossen/ so lässet doch dessen allzugrosse Last nicht zu/ daß ich nicht unter derselben nebst dem innerlichen Seuffzen endlich laut schreyen und wehklagen sollte. Ach! daß ich nimmermehr verheyrathet worden wäre/ da mir es also gehen/ und ich an einen Mann vertrauet werden müssen/ der/ an statt ehlicher Lieb und Treue/ mich mit Verachtung und saurem Gesichte zu Tode quälet.766
Die stärkste Metapher, die in den zeitgenössischen Briefvorlagen Verwendung fand, um der persönlichen Betroffenheit Ausdruck zu verleihen, war das Vergießen von Tränen. Die Beschreibung des Weinens setzten die Briefschreiber ganz bewusst ein, um ihre durch Worte artikulierte Gefühlslage zu verstärken. Der Sohn, der seinem Vater in einem Brief mitteilte, dass er dessen Schreiben »mit hertzlicher Betrübung durchlesen/ und so wol seinen/ als meinen bekümmerlichen Zustand nicht ohne Threnen/ welche der verwunden Hertzen Blut sind/ sattsam verstanden«767 habe, verwendete die Metapher des Weinens, um seinem Vater zu zeigen, wie sehr er von dessen Absicht, ihn als Student nicht mehr finanziell unterstützen zu wollen, betroffen war. Mit seinem emotionalen Ausbruch wollte der Sohn an das Mitgefühl seines Vaters appellieren. Als Entschuldigung für eine verspätete Kondolenz dagegen musste die Metapher des Tränenvergießens in einem anderen Schreiben aus dem zweiten Teil des Brieflehrbuches Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1709 herhalten, als der Verfasser gegenüber einem »Frauenzimmer« klagte: Seit acht Tage sind meine Augen nicht trocken geworden/ und das ist die Ursache/ warum nicht eher meine Condolentz abgestattet: Vor Weinen habe wenig an das Schreiben dencken können/ und wenn zuweilen die Schuldigkeit mich so sehr ermuntert/ daß die Feder angesetzet/ so haben die häufigen Thränen doch wieder ausgelöscht/ was mit grosser Mühe zu Papier gebracht.768
In den in der zeitgenössischen Briefsteller-Literatur präsentierten Briefvorlagen griffen die Schreiber auf unverkennbare Gesten des Trauerns zurück, wenn sich der psychische Schmerz, den eine Nachricht beim Absender auslöste, nicht mehr über die Sprache allein artikulieren ließ. Die Körpersprache erhielt somit den Vorrang gegen-
766 Hohenegg, Der Hochteutsche Secretarius (1694), S. 495. 767 Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius (1656), Teil 3, S. 149. 768 Hunold, Christian Friedrich: Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben, Andrer Theil, Hamburg 1709, S. 174–175.
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über der Schriftsprache.769 Das Briefpapier diente dabei dem Korrespondierenden als weiße Fläche, die sowohl die vergossenen Tränen als auch die Tinte aufsog:770 Wie habt ihr doch über euer Hertz bringen mögen/ von mir keinen Abschied zu nehmen? Ach dieses hätte ich mir nimmermehr von euch versehen; sondern ich wartete mit unendlichen Verlangen/ wenn ihr doch kommen/ und mich in meiner Betrübniß durch Versicherung eurer Liebe trösten würdet. Allein die Wehmuth/ welche ihr in eurer Gegenwart besorget/ war desto hefftiger/ da ich nur einen blossen Brieff erhielte; und wenn welche Wörter in diesen Zeilen ausgeleschet seyn/ so dencket/ daß es meine Thränen gethan haben. Denn darinnen schwimmen meine Augen gantz und gar/ und ich kan vor Wehmuth fast nicht schreiben.771
In diesem Schreiben aus dem Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707, in dem sich eine Frau bei ihrem Liebsten darüber beklagte, dass dieser abgereist war, ohne sich persönlich von ihr zu verabschieden, werden die verschiedenen Stilelemente, mittels derer sich Emotionen sprachlich graduell unterscheiden lassen, kombiniert. Die Briefschreiberin setzte einen Seufzer ein, griff auf die Metapher des Tränenvergießens zurück und ließ darauf eine abgeschwächte Form des Topos der Unbeschreibbarkeit folgen. Durch diese Abfolge erhält das Schreiben einen besonders emotionalen Charakter. In den untersuchten Briefvorlagen machten die Absender nicht nur ihr eigenes Weinen sichtbar, sondern sie beschrieben nicht selten das Vergießen von Tränen seitens der Briefempfängerin. Zu Beginn eines Kondolenzbriefes an eine Frau anlässlich des Todes ihrer Mutter hielt der Verfasser dazu fest: »Jch weiß nicht/ ob diese Zeilen einen gütigen Blick werden krigen/ weil sie gleich kommen/ da ihre schönen Augen ohnfehlbar mit den heissesten Thränen gefüllet seyn.«772 Und in einem ebenfalls in der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben aus dem Jahr 1707 abgedruckten Abschiedsschreiben an ein »Frauenzimmer« steht: Verwundert euch nicht! schönstes N. daß ich euch nicht persönlich aufgewartet: denn mit was vor unbeschreiblicher Marter würde ich nicht die Wehmuth einer so liebreichen Person anschauen müssen? Jch sehe bereits die Thränen von euren schönen Wangen rollen/ und diese nasse Perlen würden mir ohnfehlbar eine solche Empfindung einflössen/ welche äusserst wäre.773
769 Vgl. Ecker, Gisela: Trauer zeigen. Inszenierung und die Sorge um den Anderen, in: Gisela Ecker (Hg.): Trauer tragen – Trauer zeigen. Inszenierungen der Geschlechter, München 1999, S. 17–18. 770 Vgl. Müller, Lothar: Herzblut und Maskenspiel. Über die empfindsame Seele, den Briefroman und das Papier, in: Gerd Jüttemann u.a. (Hg.): Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, Weinheim 1991, S. 267. 771 Hunold, Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 335. 772 Ebd., S. 188. 773 Ebd., S. 334.
Emotionale Ausdrucksformen in den Briefvorlagen
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Trauergebärden blieben in den Briefvorlagen aus den Brieflehrbüchern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts nicht nur dem weiblichen, von alters her als das von Natur aus schwächere und mehr von Gefühlen geleitete bezeichnete Geschlecht vorbehalten, sondern es zeigten sich in den Brief-Mustersammlungen auch Männer von ihrer emotionalen Seite. Auch wenn männliche Korrespondierende in ihren Schreiben ebenfalls das Vergießen von Tränen als emotionalen Ausdruck verwendeten, wurde der Akt des Weinens doch häufig Frauen zugesprochen. In einer Briefvorlage aus dem zweiten Teil der 1709 erschienenen Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben bemerkte ein männlicher Schreiber dazu, dass »eine zu zärtliche Wehmuht denen Manns-Personen fast unanständig« sei, um seinen Tränenausbruch sogleich zu rechtfertigen: Allein ich kan mir nicht helffen; Denn wenn an die Schätzbarkeit ihres Verlustes und meine Ergebenheit gegen Mademoisellen gedacht/ und wie Sie vor Seufzen unter tausend Condolentz Schreiben kein eintziges so bald nicht würden lesen können/ so war es unmöglich/ daß meine Betrübniß nicht gleichfalls ausser allen Schrancken schreiten sollen.774
Abschließend lässt sich festhalten, dass sich Emotionalität in den Brief-Mustersammlungen der deutschen Briefsteller aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert auf wenige Basisemotionen wie Trauer, Freude und Liebe, aber auch auf negativ bewertete Empfindungen wie Wut, Scham, Ekel oder Eifersucht beschränkte. Aufgrund dieser Feststellung darf jedoch nicht auf eine von einer »Gefühlsarmut« geprägte frühneuzeitliche Gesellschaft geschlossen werden. Ebenso wenig darf eine fehlende Verbalisierung von Gefühlen in den zeitgenössischen Briefstellern als Beweis herangezogen werden, um den Menschen in der Frühen Neuzeit die Fähigkeit zur Wahrnehmung bestimmter Empfindungen abzusprechen.775 Dahinter scheint sich einerseits vielmehr die Problematik zu verbergen, dass die Menschen der Frühen Neuzeit Schwierigkeiten hatten, ihre persönlichen Empfindungen zu artikulieren. Dies geht etwa deutlich daraus hervor, wie sie die Emotion Wut sprachlich mittels Trauerformulierungen ausdrückten. Andererseits scheint sich die Eingrenzung der möglichen Gefühle aus den in den Briefstellern vorgeschlagenen Schreibsituationen zu ergeben, d.h. die Briefsteller ließen nicht mehr Emotionen zu. Mittels welcher Ausdrucksformen Emotionen in einem Brief kommuniziert werden konnten, hing nicht zuletzt von der geltenden Schreibstilmode ab. Gefühle, die in einer vom kanzlistischen Schreibstil dominierten Briefvorlage zum Ausdruck gebracht wurden, wirken generell »gefasster« als solche in einer »galanten Natürlichkeit« formulierten Sprache. Als sich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts das Medium »Brief« in den Briefstellern vom kanzlistischen Schreibstil zu lösen begann, um sich einer freieren »galanten« Unterhaltung und »natürlichen« Ausdrucksweisen anzunähern, vergrößerte sich in 774 Hunold, Der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben, Andrer Theil (1709), S. 175. 775 Vgl. Trepp, Gefühl oder kulturelle Konstruktion?, S. 88.
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den Briefvorlagen entsprechend auch der Spielraum in Bezug auf emotionale Ausdrucksmöglichkeiten.
5.3 Emotionen in höfischen und bürgerlichen Briefen Welche Gefühle in einem Brief ausgedrückt werden konnten und welche sprachlichen Ausdrucksformen dem Schreiber in den Briefvorlagen dafür zur Verfügung standen, ist wesentlich davon bestimmt, in welchem sozio-kulturellen Umfeld ein Schreiben angesiedelt war. Ferner wird der Schreibprozess eines Briefes vom Denken an ein Gegenüber gelenkt, was sich nicht nur auf die Gestaltung eines Briefes auswirkt, sondern auch auf die Artikulation von persönlichen Empfindungen. Schließlich entwirft der Briefverfasser im Schreiben und damit auch im Zeigen von Gefühlen ein Bild von sich selbst.776 Basierend auf der These, die von einer zur Entfaltung einer »empfindsamen« Briefkultur hin verlaufenden Emotionalisierung und Individualisierung sozialer Beziehungen ausgeht, werden nachfolgend die Möglichkeiten der Darstellung von Emotionalität in den Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts untersucht. Dabei lassen sich grob zwei Untersuchungsfelder unterscheiden, nämlich einerseits Briefvorlagen aus dem höfischen Umfeld und andererseits solche, die der bürgerlichen Gesellschaft zugeordnet werden können. Emotionen in Briefen aus dem höfischen Umfeld Die von der Briefsteller-Literatur des 17. Jahrhunderts ausgewählten Briefvorlagen zeugen von einem zeremoniell-formelhaften Schreibstil, in dessen Zentrum des Schreibinteresses weniger die Individualität im Ausdruck von Gefühlen stand, sondern vielmehr das Einhalten bestimmter gesellschaftlicher Normen. Persönliche Empfindungen sind demzufolge in den im Kanzleistil verfassten Briefvorlagen in der Regel nur knapp erwähnt und nicht weiter beschrieben. Zudem erhält der Leser von einem im kanzlistischen Stil verfassten Musterschreiben den Eindruck, dass der kanzlistische Gefühlswortschatz des 17. Jahrhunderts wenig differenziert war. Außerdem scheint er von häufig wiederkehrenden und stereotyp wirkenden Formulierungen bestimmt gewesen zu sein.777 Von einer besonderen Rationalität hinsichtlich der Ausdrucksmöglichkeiten von Emotionen zeugen indes die aus dem höfischen Umfeld stammenden Briefvorlagen.
776 Vgl. ebd., S. 90–91. 777 Vgl. Heiligensetzer, »… wie wol ich von natur schamhafft und forchtsam geweßen bin«, S. 171.
Emotionen in höfischen und bürgerlichen Briefen
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In seiner sozio-historischen Studie über die Höfische Gesellschaft charakterisiert Norbert Elias den Höfling als einen Menschentypus, der seine Emotionen gegenüber den Mitmenschen stets verbergen und im Zweifelsfall gegen seine Gefühle handeln müsse.778 Wie ein Blick in die umfangreichen Brief-Mustersammlungen des 17. Jahrhunderts zeigt, scheint die von Elias beschriebene höfische Affektkontrolle keineswegs umfassend gewesen zu sein. In bestimmten Situationen galt das Zeigen von Emotionen in der höfischen Gesellschaft durchaus als adäquat, so etwa bei freudigen Ereignissen wie bei Inthronisierungen, Friedensschlüssen oder Vermählungen, aber auch bei Trauer- oder sonstigen Unglücksfällen wie folgender Kondolenzbrief aus dem Allzeitfertigen Secretarius aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt: Aus E. Ld. an uns de dato N. den 22. Aug. jüngsthin abgeschicktem traurigen Notificationschreiben haben wir mit sonderbarem Mitleiden und Betrübniß vernommen/ welcher Gestalt der Allmächtige Gott/ nach seinem unwandelbaren Raht und Willen/ die Durchl. Fürstin/ E. Ld. freundlichgel. Tochter-Fräulein N. Herzogin zu N. hochseligen Andenkens/ den 20. selbigen Monats/ Nachmittages/ nach 2. Uhren/ als dieselbe vorher mit ziemlicher Leibes-Unpäßlichkeit behaftet gewesen/ aus dieser Sterblichkeit abgefordert/ und dadurch E. Ld. und Dero herzliebsten Gemahlin/ unserer freundlichgeliebten Schwester und Gevatterin Ld. in grosses Bekümmerniß und Leidwesen gesetzet.779
Über die wahren Gefühle des Schreibers lassen sich aus solchen Briefen mit einer derart distanziert wirkenden Sprache, die dem höflichen Briefverkehr zugerechnet werden müssen, jedoch nur schwer Rückschlüsse ziehen. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die deutschen Briefsteller bereits die »galante Natürlichkeit« als neues Stilprinzip bei der Briefabfassung postulierten, veröffentlichte Johann Christian Lünig mit seiner Sammlung von »Wohl-stylisirten Schreiben, Welche von Kayser, Königen, Chur- und Fürsten, auch Grafen und Herren, u. s. w. Sowol Jn frölichen als traurigen, Auch Religions- Staats- Kriegs- und andern wichtigen Begebenheiten Vom Jahr 1713. bis 1737. abgelassen worden«780 Briefvorlagen, die in einem offiziösen, kanzlistischen Schreibstil abgefasst waren, der nur wenige Nuancierungen hinsichtlich der Ausdrucksformen von Emotionen zuließ. Die höfische Gesellschaft stellt bekanntlich auch einen ganz speziellen Ausschnitt des sozialen Raumes in der Frühen Neuzeit dar, denn laut Roger Chartier war der Hof durch den »grössten sozialen Abstand bei grösster räumlicher Nähe«781 geprägt. In der höfischen Gesellschaft herrschten deshalb ganz eigene Spielregeln, die vom Individuum in seinem Agieren weniger Authentizität als vielmehr ein adäquates Rol-
778 779 780 781
Vgl. Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd. 2), S. 383. Stieler, Der Allzeitfertige Secretarius (1690), S. 595. Lünig, Johann Christian: Angenehmer Vorrath Wohl-stylisirter Schreiben, Leipzig 1737. Chartier, Gesellschaftliche Figuration und Habitus, S. 51.
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lenverhalten forderten.782 Jeder Höfling musste dementsprechend, so Norbert Elias, sein Handeln genau überlegen und mit Bedacht wählen, denn es war gefährlich, sich gegenüber einem Menschen, dessen Kurs am Hofe im Steigen war, unfreundlich zu verhalten. Es war nicht weniger gefährlich, einem Menschen, der innerhalb dieser Rangordnung im Sinken, der etwa gar der Ungnade nahe war, allzu freundlich zu begegnen, oder wenn man es tat, dann hatte es nur einen Sinn, wenn man damit eine bestimmte Absicht verfolgte. So war dauernd eine genau überlegte Nuancierung des Benehmens gegenüber jedermann am Hofe unerläßlich.783
Indem Elias davon ausging, dass das unmittelbare Zeigen von Emotionen im höfischen Umfeld unter Umständen die eigene Existenz bedrohen konnte, bedeutete dies für die Artikulation von persönlichen Empfindungen in höfischen Briefen, dass sie stets im Angesicht ihrer Wirkung kommuniziert werden mussten.784 Demzufolge dürfen Emotionen in Briefvorlagen aus dem höfischen Umfeld denn auch nicht als authentischer Ausdruck des Selbst des Briefschreibers betrachtet werden, sondern sie müssen vielmehr als Inszenierung eines Selbst gelesen werden. Der Briefverfasser musste die Artikulation von Gefühlen in seinen Briefen bewusst einzusetzen wissen, denn er hatte beim Schreiben stets an seinen Korrespondenzpartner zu denken. Dies konnte auch dazu führen, dass der Briefschreiber persönliche Empfindungen vortäuschte, wenn es die Situation verlangte.785 Da die höfische Gesellschaft nicht zwischen einer öffentlichen und einer privaten Sphäre unterschied, lässt sich auch das höfische Korrespondenzwesen nicht in öffentliche und private Schreiben unterteilen. Demzufolge zeugen auch private Briefe nicht von mehr Emotionalität. Die Artikulation von Gefühlen erscheint in den frühneuzeitlichen Briefstellern generell als »unhöfisch« bzw., um mit Elias zu sprechen, als »unhöflich«. Emotionen in Briefen aus dem bürgerlichen Umfeld Der sich um die Wende zum 18. Jahrhundert in der Briefsteller-Literatur abzeichnende Umschwung von einem förmlichen Brief kanzlistischer Prägung zu einem höflich-galanten (Privat-)Brief ging mit der Entfaltung einer emotionaleren Schreibweise einher. In den nach einem kanzlistischen Stilvorbild abgefassten »Privatbriefen« aus dem 17. Jahrhundert lassen sich bereits erste Anzeichen einer Lockerung im Schreibstil feststellen, was in einer individuelleren Darstellung von persönlichen Empfindungen ihren Ausdruck fand. 782 Vgl. Meise, Helga: Gefühl und Repräsentation in höfischen Selbstinszenierungen des 17. Jahrhunderts, in: Claudia Benthien u.a. (Hg.): Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Köln u.a. 2000, S. 119. 783 Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 139. 784 Vgl. Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd. 2), S. 281–382. 785 Vgl. Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 51–56.
Emotionen in höfischen und bürgerlichen Briefen
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In einer Vorlage aus den Kanzeley-Brieflein aus dem Jahr 1652 benutzte ein Briefverfasser folgende Worte, um einem Freund seinen psychischen Zustand nach dem Tod seiner Frau mitzuteilen: Jch weis nicht/ wi Jch es anfahen sol/ Jhme mein über groszugestossenes Unglük zuentdekken: […] sintemahl dessen Heftigkeit meine Gedanken überwiget/ und nichts auf diser Welt/ als mein smerzlicher Unmuth solches begreifet. Er urteile nun/ mit was traurigen Zustande Jch betreten: aber/ es ist nötig/ das Er di Ursach dessen/ welches der alzufrüzeitige Tod meiner Hausfrauen ist/ wisse. Ach/ der Herr verzeihe mir/ es mangelt mir an Worten/ weil meine Seufzer gleichsam verstören/ und meine Zähren ausleschen alles/ was Jch sreibe/ nichts anders/ als wann meine Augen di Erzehlung meines Elendes empfindeten. Er lasse sich dannenhero an dehm begnügen/ das Jch zu seinen Dinsten eben so geneigt/ als wegen meines zugefallenen Ungelükkes bekümmert/ und betrübet: Jch weis oder mag Jhme in Wahrheit eines oder des andern weiter zuerkennen geben/ nicht mit mehrerm behelligen/ als das Jch sey und bleibe.786
Gerade was die Artikulation von Trauer betraf, hatte der Schreiber nach den Anweisungen der zeitgenössischen Brieflehrbücher seine Anteilnahme mit dem jeweiligen Trauergrad des Briefempfängers abzustimmen. Hatte der Briefpartner geringen Anlass zur Trauer, dann sollte auch die Kondolenz gering ausfallen, war der Unglücksfall hingegen schwer, musste auch das Beileid dementsprechend ausgedrückt werden. Generell musste sich der Briefschreiber an die Regel halten, dass auch im allerschmerzhaftesten Fall die Beileidsworte nicht größer ausfallen durften, wie es Hunold zu Beginn des 18. Jahrhunderts formulierte, »als dienlich ist, unsere Liebe darzulegen, nicht aber auf eine sinnreiche Manier des andern Leiden zu vergrößern«787. Eine zu große Selbstbezogenheit in der Artikulation von Trauergefühlen betrachteten die Briefsteller somit als unhöflich. Hinsichtlich der graduellen Unterscheidung von Gefühlen lässt sich eine Abhängigkeit vom sozialen Verhältnis zwischen den Korrespondierenden feststellen. Emotionen bildeten in den Briefstellern soziale Hierarchien ab. Generell erscheinen in den Briefstellern Schreiben an ranghohe Personen in einem weniger emotionalen Stil abgefasst als solche an gesellschaftlich Gleichgestellte sowie Freunde. So beginnt das Kondolenzschreiben an eine vornehme Person beim Tod von deren Sohn, abgedruckt in Christian Friedrich Hunolds Briefsteller Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1707, mit folgenden Worten: Mir ist niemals eine bestürtztere Zeitung zu Ohren kommen/ als da ich vernehme/ wie mein vornehmer Patron einen so wohlgerathenen Sohn durch unvermutheten Tod eingebüsset. Jndem nun leicht ermesse/ wie schmertzlich es ihnen folgends/ als einem leiblichen Herrn Vater/ fallen müsse/ daß sie die gemachte Lust und Hoffnung von den Qualitäten ihres nunmehro seligen Herrn Sohnes erstorben/ und auf der Bahre
786 Butschky, Hoch deutsche Kanzeley-Briflein (1652), Teil 1, S. 96. 787 Hunold, Auserlesene neue Briefe (1717), S. 84.
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liegen sehen: so habe durch diese gehorsamste Zeilen ein schuldiges Beyleid und gebührende Condolenz wollen ablegen.788
Die Formulierung der Mitleidsbezeugung ist vom servilen Sprachstil der galanten Epoche geprägt. Die Person des Schreibenden tritt durch demütige und zugleich elegante Wendungen in den Hintergrund. In Schreiben an gute Freunde oder an Frauen erscheinen dagegen die Formulierungen in den abgedruckten Briefvorlagen sehr emotional, wenn beispielsweise im zweiten Teil des Briefstellers Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben von 1709 ein Schreiber einem guten Freund vom Tod seiner Frau nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter berichtet: Dein sehr angenehmes Schreiben […] habe mit Vergnügen durchgelesen/ und empfing es eben/ da meine Liebste mir befahl/ dich zu grüssen; Es war aber ein Gruß/ der dich vielleicht erschrecken wird/ dann an demselben Tage gab sie der Welt Adjeu, nachdem sie mir eine wohlgestalte junge Tochter hinterlassen. Allerliebster Herr Bruder! du kanst leicht gedencken/ mit was vor Schmertzen mein betrühtes Hertz beklemmet; Wo also verwirrt schreibe/ so deute es meinem traurigen Gemühte zum besten. […] Meine Augen fangen an zu weinen/ und der Schmertz vermehrt sich zu starck bey solcher Schreib-Art. […] Jch will ein andermahl bey aufgemuntertetem Gemühte mehr schreiben; Jndessen lebe vergnügter als ich.789
Im Gegensatz zu Briefvorlagen, die sich an vornehme Personen richteten und in denen die Anteilnahme vielfach auf reinem Pflichtgefühl basierte, erscheint dieses Schreiben an einen Freund gefühlsbetonter, indem der Verfasser mehr Raum hatte, seine persönlichen Empfindungen auszudrücken. Die Korrespondierenden standen sich persönlich näher, was mehr Emotionen im Schreibstil zuließ. Von einer besonderen Emotionalität zeugen in den zeitgenössischen Briefstellern Schreiben, die zwischen Männern und Frauen gewechselt wurden. So richtete ein Mann folgende Worte an eine junge Frau, die den Tod ihrer Mutter beweinte: Wenn ich mir vorstelle/ wie anitzo Mademoiselle durch die allerbittersten Schmertzen durchächtet/ nichts als Seufzer aus ihrem schönen Munde/ und heisse Thränen aus denen sonst munteren Augen lässet hervorsteigen; wenn ich bedencke/ wie sie anitzo bey denen erbärmlichsten Klagen die zarten Hände ängstiglich windet/ und mit halbgebrochener Stimme den holdreichen Vater-Namen sehnlich ausruffet/ so werde ich selbst so weichmüthig/ daß ich mehr den Trost vor mich zu suchen/ als iemand anders mitzutheilen fähig scheine.790
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Briefsteller bzw. Brief-Mustersammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, was ihre Anweisungen zur Artikulation von Gefühlen betrifft, in Richtung einer »Intimisierung« und »Privatisierung« 788 Hunold, Der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben (1707), S. 173. 789 Hunold, Der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben, Andrer Theil (1709), S. 187–188. 790 Bohse, Der allzeitfertige Brieffsteller (1692), S. 169.
Zusammenfassung
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weisen. Während die Briefsteller des 17. Jahrhunderts in ihren nach dem Vorbild der Kanzlei verfassten offiziellen Briefen der Artikulation von Gefühlen generell wenig Platz einräumten, erscheinen die Briefvorlagen aus den galanten Briefstellern zu Beginn des 18. Jahrhunderts in einem äußerst emotionalen Schreibstil abgefasst. Die Briefsteller zeigten in ihren Brief-Mustersammlungen verschiedene Formulierungen auf, mittels derer die schreibenden Personen ihren persönlichen Empfindungen unterschiedliche Intensität verleihen konnten. Allgemein kann dazu festgehalten werden, dass die Wendungen in den Briefen umso emotionaler erscheinen, je näher sich die Korrespondierenden standen. Nicht nur die persönliche Beziehung der Schreibenden zueinander spielte bei der Artikulation von Gefühlen eine bedeutende Rolle, sondern auch das soziale Umfeld, in welchem ein Brief angesiedelt werden muss. Briefe aus dem höfischen Umfeld erscheinen demnach in einer weniger emotionalen Art abgefasst als solche aus dem bürgerlichen Milieu. Ebenso dürfte auch die Geschlechterdimension eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Grundsätzlich ließen nämlich Briefe, die zwischen den Geschlechtern gewechselt wurden, mehr Raum für Gefühle. Die Korrespondierenden wählten bei den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten emotionalere Wendungen und sparten auch nicht mit dem Einsatz von aussagekräftigen Metaphern.
5.4 Zusammenfassung Das vorhergehende Kapitel befasste sich mit der Aufgabe, die Briefvorlagen im Hinblick auf Norbert Elias’ »Prozess der Zivilisation« zu befragen, inwiefern die Briefsteller-Literatur der Frühen Neuzeit als Medium dieses »Zivilisationsprozesses« in die Richtung einer Intimisierung von Gefühlen weist. Als Kenner des guten Tons gaben die Briefsteller in ihren theoretischen Anweisungen und den praktischen Brief-Mustersammlungen vor, welche Gefühle wie in einem guten Brief kommuniziert werden konnten. Im Allgemeinen kann für die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts festgehalten werden, dass sich Emotionalität in einem eng definierten Rahmen abspielte. Die Darstellung von Gefühlen blieb in den ausgewählten Briefvorlagen auf wenige Basisemotionen beschränkt. Neben Freude, Trauer oder der Empfindung von Liebe zeigten die Korrespondierenden auch negativ konnotierte Gefühle wie Hass, Wut oder Zorn. Diese waren aber verglichen mit den Freudenoder Trauerbezeugungen weniger häufig oder als solche weniger direkt aus den Formulierungen erkennbar. Wie die Emotionen zum Ausdruck gebracht werden konnten, war wesentlich durch den Schreibstil bestimmt. Indem sich der Brief von der Mitte des 17. zum 18. Jahrhundert hin von seinem kanzlistischen Schreibstil zu lösen begann, um sich einer freieren »galanten« Unterhaltung und »natürlichen« Ausdrucksweisen zuzuwenden, nahm in den Briefvorlagen entsprechend auch der Spielraum zu, in welchem Emotionen gezeigt werden konnten.
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Auf den Spuren der Emotionalität in der Frühen Neuzeit
Aber nicht nur die Schreibstilmode beeinflusste in der Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts die Darstellung von persönlichen Empfindungen, sondern auch das soziale Umfeld, in welchem sich ein Brief bewegte. Wie aus den Brief-Mustersammlungen abgeleitet werden kann, verfügten Briefvorlagen aus dem höfischen Umfeld über eine besondere Rationalität hinsichtlich der Darstellung von persönlichen Empfindungen. In solchen, vielfach im Kanzleistil verfassten Schreiben sind Emotionen in der Regel nur knapp erwähnt und nicht weiter beschrieben. Zudem erhält der Leser den Eindruck, dass der kanzlistische Gefühlswortschatz des 17. Jahrhunderts wenig differenziert war, indem häufig wiederkehrende, stereotyp wirkende Formulierungen die Briefvorlagen bestimmten. Diese Formulierungen korrespondierten folglich mit den Regeln des höfischen Handelns, welches hinsichtlich seiner möglichen Folgen genau überlegt werden musste. Das unreflektierte, spontane Zeigen von Emotionen konnte womöglich die eigene Existenz bedrohen. Die in höfischen Briefbeispielen gezeigten Emotionen sind denn auch nicht in erster Linie als Abbild des Briefverfassers zu werten, sondern sie dienten vielmehr der Inszenierung. Im Gegensatz zu den höfischen Briefen lassen (Privat-)Briefe aus dem bürgerlichen Umfeld, obwohl im 17. Jahrhundert ebenfalls noch im kanzlistischen Schreibstil abgefasst, eine erste Lockerung im Schreibstil erkennen. Sie boten mehr Raum für eine individuellere Artikulation von persönlichen Empfindungen. Äußerst emotionale Wendungen finden sich später in den galanten Schreiben, vor allem in den galanten Liebesbriefen. Hier griffen die Schreiber nicht selten auf aussagekräftige Metaphern zurück, um ein Bild von ihrem Gefühl des Verliebtseins entstehen zu lassen.
VI. Schlussgedanken und Ausblick An den im 17. und frühen 18. Jahrhundert weit verbreiteten und in mehreren Auflagen erschienenen Briefstellern bzw. Brief-Mustersammlungen lässt sich ein eindrückliches Bild davon gewinnen, wie hoch differenziert das Korrespondenzwesen in der Frühen Neuzeit war. Obwohl sich die Brieflehrbücher mit ihren verschiedenen Briefsorten und den mannigfaltigen Schreibanlässen geradezu anbieten, um Traditionen und Brüche im frühneuzeitlichen Korrespondenzwesen auszuwerten, haben die Briefsteller als Untersuchungsgegenstand bisher von der historischen Wissenschaft kaum Beachtung erfahren. Das Hauptanliegen der frühneuzeitlichen Briefsteller-Literatur lag in der Vermittlung der Briefschreibkunst. Mit ihren titulatorischen Anweisungen, einem rhetorischtheoretischen Regelwerk sowie einer praktischen Brief-Mustersammlung besaßen die Brieflehrbücher einen integrativen Charakter, indem sie versuchten, die Benutzer mit der Abfassung von Briefen und der vorherrschenden Etikette im Briefverkehr vertraut zu machen. Ihre Anleitungen wurden umso wichtiger, als um die Wende zum 18. Jahrhundert vermehrt Privatpersonen zur Feder griffen, die mit den Verhaltensstandards im Briefverkehr wenig oder gar nicht vertraut gewesen sein dürften. Zwischen dem 17. und frühen 18. Jahrhundert zeichnete sich denn auch ein Wandel im potenziellen Adressatenkreis der Briefsteller-Literatur ab. Die Sekretariatsbücher des 17. Jahrhunderts richteten sich inhaltlich stark am juristisch bzw. verwaltungstechnisch geprägten Briefverkehr aus und wandten sich in erster Linie an Personen, die von Berufs wegen Briefe schreiben mussten, wie Sekretäre, Beamte in fürstlichen oder städtischen Diensten, aber auch Adlige und Angehörige des gehobeneren Bürgertums. Ein Blick in die umfangreichen und formenvielfältigen Brief-Mustersammlungen der deutschen Briefsteller-Literatur des 17. Jahrhunderts macht denn auch deutlich, dass diese unter einem Brief zunächst einmal alle Schriftstücke zusammenfasste, welche in den frühneuzeitlichen Kanzleien zirkulierten. Der Begriff des Briefes in seiner heutigen begrenzten Bedeutung als Privat- und Geschäftsbrief sollte sich in den deutschen Brieflehrbüchern in der Praxis erst um die Wende zum 18. Jahrhundert herauskristallisieren, als Vorlagen für Verträge, Urkunden oder andere offiziöse Schreiben zunehmend aus den Brief-Mustersammlungen verschwanden oder zumindest klar von den übrigen Briefvorlagen abgetrennt erschienen. Das Medium »Brief« des 17. Jahrhunderts war zudem in ein differenziertes Briefzeremoniell eingebunden, das als eine Art seismographisches Instrument die Beziehungssituation der Korrespondierenden widerspiegelte. Die Briefsteller lieferten dazu nicht nur umfangreiche Titelverzeichnisse, die sich wie ein »Who is who« der Frühen Neuzeit lesen, sondern gaben auch eine genaue Anleitung, wie die formale Gestaltung eines Briefes auszusehen hatte. Um die Wende zum 18. Jahrhundert lässt sich an den deutschen Briefstellern jedoch ein Wandel vom förmlichen Brief kanzlistischer
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Prägung hin zum höflich-galanten (Privat-)Brief ablesen. Damit begann sich der Brief in der deutschen Briefkultur zusehends aus seiner standeshierarchischen Umklammerung zu lösen, indem die persönliche Beziehung zwischen den Korrespondierenden an Bedeutung gewann. Die Entwicklungsgeschichte des Mediums »Brief« hin zum Privat- und Geschäftsbrief, zur Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, hatte auch auf der rhetorisch-theoretischen Ebene Veränderungen zur Folge. Während die Briefsteller des 17. Jahrhunderts den Brief noch als eine rhetorische Sonderform betrachteten – einer schriftlichen Rede gleich – sollte sich dieser bis zu Gellerts Briefschreibmaxime als »freye Nachahmung des guten Gesprächs« von seinem starren rhetorischen Aufbau lösen. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert hinein zeigt sich in den Briefstellern ferner in der Stillehre eine Entwicklung von einer zeremoniell-formelhaften Briefsprache hin zu einer freieren »galanten« Unterhaltung und zu »natürlichen« Ausdrucksweisen. Diese Veränderungen im Schreibstil verlangten auch nach anderen Briefsorten in den Briefstellern. So gehörten etwa Briefe aus dem privaten Bereich wie die galanten und verliebten Briefe zum festen Repertoire der Briefsteller des 18. Jahrhunderts. Solche Briefsteller waren denn auch nicht mehr für ein berufsspezifisches Publikum geschrieben, sondern vielmehr für einen breiten mittelständischen Rezipientenkreis. Waren die Briefsteller des 17. Jahrhunderts noch kaum für ein weibliches Publikum bestimmt, sollten sich durch die brieftheoretischen Schriften des 18. Jahrhunderts vermehrt auch gebildete Frauen aus den gehobenen sozialen Schichten als Leser- und Schreiberinnen von Briefen angesprochen fühlen. Mit ihren Anweisungen versuchten sie nun explizit, Frauen zum Briefschreiben zu animieren – einer der wenigen literarischen Betätigungen, die Frauen von der aufgeklärten Männerwelt zugebilligt wurde. Demzufolge sollte sich der Brief im 18. Jahrhundert denn auch zu dem »weiblichen« Medium entwickeln. In ihren Anweisungen folgten die Briefsteller der bürgerlichen Vorstellung vom weiblichen Bildungsideal. Das Schreiben von Briefen sollte demnach vor allem der weiblichen Verhaltensschulung dienen und das Wesen der Frau vervollkommnen. Genauso wie eine Frau hübsch und charmant sein und über gepflegte Umgangsformen verfügen sollte, hatte auch der Frauenbrief in einer für das Auge des (männlichen) Betrachters angenehm verfassten Schrift zu erscheinen sowie mit schönen, in einem »natürlichen« Schreibstil verfassten Gedanken zu unterhalten. Briefsteller waren in der Frühen Neuzeit aber weit mehr als nur Lehrbücher, die ihrem Lesepublikum zu vermitteln versuchten, wie ein Brief den herrschenden Normen entsprechend abgefasst werden musste. Indem Briefsteller vorgaben, mit welchem Briefpartner über welchen Gegenstand in welcher sprachlichen Form kommuniziert werden durfte, lassen sie sich schließlich mit Blick auf Norbert Elias’ »Prozess der Zivilisation« als eine Art »Benimmbücher« der Frühen Neuzeit und somit als Medium dieses »Zivilisationsprozesses« lesen, der in Richtung einer Intimisierung von Gefühlen und der Ablösung einer verstärkten Selbstkontrolle, wie sie im höfischen Kontext gefordert wurde, deutet.
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In ihren theoretischen Ausführungen und den praktischen Brief-Mustersammlungen gaben die Briefsteller vor, welche Gefühle wie in einem guten Brief kommuniziert werden konnten. Die in den Briefvorlagen zum Ausdruck gebrachten Emotionen beschränkten sich dabei auf wenige Basisemotionen wie Trauer, Freude, Liebe, Eifersucht, Wut, Zorn, Ärger, Scham oder Ekel. Des Weiteren geht aus den Musterschreiben hervor, dass die frühneuzeitlichen Briefschreiber, wenn es um die sprachliche Artikulation von persönlichen Stimmungslagen ging, Schwierigkeiten hatten, Gefühle wie Wut oder Zorn richtig zu benennen, indem sie ihr Empfinden mit Worten der Trauer ausdrückten. Erst mit der wachsenden Fähigkeit, eigene Gefühle zu erkennen und zu benennen, entwickelte sich ein Bewusstsein von Wut und Zorn, was sich schließlich auch im sprachlichen Ausdruck der Briefvorlagen niederschlug. Die frühneuzeitliche Briefsteller-Literatur gibt somit ein Zeugnis ab von der in der Emotionsforschung weit verbreiteten Annahme, dass die »emotional experience« im Laufe der Zeit einem Wandel unterlag. Die Briefsteller liefern aber auch einen Beweis für die Veränderung der »emotional standards», indem mit den galanten Briefstellern um die Wende zum 18. Jahrhundert das Gefühl des Verliebtseins vermehrt Einzug in die Brief-Mustersammlungen hielt. Wie Gefühle sprachlich in Briefen artikuliert werden konnten, wurde wesentlich vom sozio-kulturellen Kontext beeinflusst, in dem sich ein Brief bewegte. So wiesen Musterschreiben aus dem höfischen Umfeld in den Briefstellern des 17. Jahrhunderts eine besondere Rationalität hinsichtlich der Darstellung von persönlichen Empfindungen auf. In den im Kanzleistil verfassten Briefvorlagen waren Emotionen in der Regel nur knapp erwähnt und nicht weiter beschrieben. Der Gefühlswortschatz des 17. Jahrhunderts scheint ferner wenig differenziert gewesen zu sein, denn die Briefvorlagen werden von häufig wiederkehrenden, stereotyp wirkenden Formulierungen dominiert. Die Artikulation von Gefühlen dürfte demzufolge weniger im Mittelpunkt des Schreibinteresses des Kanzleistils gestanden haben. Das Medium »Brief« erscheint im höfischen Kontext vielmehr als ein Handlungsinstrument. Da in der höfischen Gesellschaft das Handeln genau überlegt werden musste, konnte das unmittelbare Zeigen von Emotionen ein Nachteil sein, womöglich die eigene Existenz bedrohen. Dementsprechend dürfen Emotionen in Briefvorlagen aus dem höfischen Umfeld denn auch nicht als ein Abbild des Schreibers selbst betrachtet werden, sondern sie dienten vielmehr der Inszenierung. Die höfische Gesellschaft verlangte somit vom Individuum nicht Authentizität hinsichtlich der Darstellung von Emotionen, sondern adäquates Rollenverhalten. Im Gegensatz zu den höfischen Briefen lassen (Privat-)Briefe aus dem bürgerlichen Umfeld, obwohl auch im Kanzleistil abgefasst, bereits im 17. Jahrhundert eine erste Lockerung im Schreibstil erkennen. Sie boten mehr Raum für individuelle Artikulationen von persönlichen Empfindungen. Äußerst emotionale Wendungen finden sich in den galanten und verliebten Frauenzimmerbriefen, in denen die Schreiber nicht selten zu aussagekräftigen Metaphern griffen, um ihr Gefühl des Verliebtseins zu beschreiben. Der Grad an gezeigter Emotionalität spiegelte indes das soziale Verhältnis der Korrespondierenden wider. Emotionalität bildete somit Hierarchien ab,
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denn je näher sich die Korrespondierenden standen, desto emotionaler durften die Ausdrucksformen in einem Brief ausfallen. Die vorliegende Arbeit hat die Briefsteller-Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts mit ihren Anweisungen zur Briefschreibkunst, illustriert an einer Auswahl praktischer Musterschreiben, zum Forschungsmittelpunkt gemacht. Wie bei allen normativen Quellen darf auch bei den Brieflehrbüchern die Problematik nicht außer Acht gelassen werden, dass ihre Aussagen mehrfache Lesarten generieren. Auch wenn die Briefsteller-Literatur gesellschaftsfähiges Verhalten beschreibt, muss dieses nicht zwingend in der Wirklichkeit vorgefunden bzw. nachgeahmt werden. In der vorliegenden Forschungsarbeit ging es denn auch weniger um die Frage nach der Wirkung brieftheoretischer Werke auf die reale Schreibpraxis als vielmehr um die Herausarbeitung der im Briefverkehr des 17. und frühen 18. Jahrhunderts herrschenden Regeln und Standards sowie deren langfristige Entwicklung und Verfeinerung. Doch hatte die Briefsteller-Literatur mit Sicherheit Auswirkungen auf die Schreibpraxis der Frühen Neuzeit, die es in künftigen Forschungen noch deutlicher herauszuarbeiten gälte.
VII. Anhang 7.1 Bibliographie Quellen Bohse, August: Der allzeitfertige Brieffsteller/ Oder Ausführliche Anleitung/ wie so wohl an hohe Standes-Personen/ als an Cavalliere/ Patronen/ gute Freunde/ Kauffleute und auch an Frauenzimmer/ ein geschickter Brieff zu machen und zu beantworten. Alles mit gnugsamen Dispositionen und mehr als vierhundert ausgearbeiteten Brieffen/ wie auch einen kurtzen Frantzösisch- Teutsch- und Jtalienischen Titular-Buch/ denen/ so ein gutes Concept verfertigen zu lernen begierig sind/ zu sonderbaren Nutzen an das Licht gegeben Von Talandern. Mit Churfl. Sächs. Gnädigsten Privilegio. Franckfurt und Leipzig/ Zu finden bey Johann Theodor. Boetio, Buchhändlern in Dreßden. Anno 1692. Bohse, August: Des Galanten Frauenzimmers Secretariat- Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Brieffe/ in neun Abtheilungen/ deren iede hundert Brieffe in sich hält/ nebst einem nöthigen Titular-Büchlein und vollständigen Register/ der curieusen Welt zur Ergötzung und belieblicher Nachahmung an das Licht gegeben von Talandern. Leipzig/ Verlegts Johann Friedrich Gleditsch. Anno 1692. Bohse, August: Des allzeitfertigen Brieffstellers Anderer Theil/ bestehend in vier Abtheilungen/ Deren I. Die Studenten-Brieffe/ II. Die Hoff-Brieffe/ III. Krieges- und Soldaten-Brieffe/ IV. Kauff- und Handels-Brieffe. Durch etliche hundert Exempel auff allerhand vorkommende Fälle gerichtet/ Nach der neuesten und gewöhnlichsten Schreib-Art zeiget/ Allen/ so ein gutes Concept verfertigen zulernen begierig sind/ Zum Dienste belieblicher Nachahmung ans Licht gegeben von Talandern. Mit Churfl. Sächs. Gn. Privilegio. Leipzig/ bey Johann Friedrich Gleditschen/ und Dreßden Joh. Theod. Boetio. 1695. Bohse, August: Des allzeitfertigen Brieffstellers Dritter und letzter Theil/ Worinnen I. Die Bürgerlichen Briefe/ II. Die gemischten Schreiben/ Und dann III. Die Complimenten und Formuln/ So in iedweder Brief-Gattung so wohl beym Eingange/ als Vortrage und Schlusse zu gebrauchen/ Jn drey unterschiedenen Abtheilungen/ Nebst einem Anhange von erklärten Lateinischen/ Frantzöischen und Jtaliänischen Wörtern/ die sonderlich in Handlungs-Briefen wie auch andern vorkommen mögen/ gezeiget werden: Allen/ die ein gutes Concept zu machen begierig sind/ zum Nutzen und belieblicher Nachahmung ans Licht gegeben Von Talandern. Mit Röm. Käyserl. Majest. und Churfl. Sächß. Privilegien. Dreßden/ bey Joh. Theodor. Boetio; Und Leipzig/ bey Johann Friedrich Gleditsch/ 1695. Bohse, August: Bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben und mündlicher Complimenten vom allerneuesten Stylo an hohe Standes-Personen/ Patronen/ Frauenzimmer/ und an seines Gleichen/ in meist vorfallenden Begebenheiten nützlich
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zu gebrauchen/ Nebst einem zulänglichen Frantzösischen/ Jtaliänischen und Teutschen Titular-Buch/ Allen Liebhabern der Teutschen Höffligkeit zum Dienst heraus gegeben von Talandern. Mit Churfürstl. Sächs. gnädigstem Privilegio. Leipzig/ verlegts Johann Ludwig Gleditsch/ und M. G. Weidmanns Erben. Anno 1697. Bohse, August: Epistolisches Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben und mündlicher Complimenten vom allerneuesten Stylo an hohe Standes-Personen/ Patronen/ Frauenzimmer/ und an seines Gleichen/ in meist vorfallenden Begebenheiten nützlich zu gebrauchen/ Nebst einem zulänglichen Frantzösischen/ Jtaliänischen und Teutschen Titular-Buch/ Allen Liebhabern der Teutschen Höffligkeit zum Dienst heraus gegeben von Talandern. Mit Churf. Sächs. gnädigstem Privilegio. Leipzig/ verlegts Johann Ludwig Gleditsch/ und M. G. Weidmanns Erben, Anno 1697. Bohse, August: Neu-Erleuterter Briefsteller/ Das ist: Gründliche Anweisung/ wie ein geschickter deutscher Brief so wohl an Standes-Personen und Cavalliere/ Krieges-Bediente/ Gelehrte und Kauffleute/ als auch an Frauenzimmer abzufassen/ Alles mit neuausgearbeiteten Exempeln und unter galanten Leuten eingeführten Formuln; Nebst einem in vier Sprachen abgefaßten vollständigen Titular-Büchlein und ausführlichen Dolmetscher Aller ausländischen Wörter/ die sich bißhero in Briefen und Avisen eingeschlichen haben/ vorgestellet von Talandern. Leipzig/ verlegts Joh. Friedr. Gleditsch. Jm Jahr Christi 1697. Bohse, August: Des curieuß-bequehmen Hand-Buchs außerlesener Send-Schreiben und anderer sonderbahren Concepte Zweyter Theil/ in welchem Nicht nur allerhand gantz neue Visit- und Empfehlungs- Gratulation- Condolenz- Anwerbungs- und Bitt-Schreiben an hohe Standes-Personen/ Patrone/ wie auch an seines Gleichen und an Frauen-Zimmer anzutreffen: Sondern auch Unterschiedene Briefe grosser Herren unter sich/ sampt vielen guten Concepten aus Lehns-Cantzeleyen/ auch allerhand Contracten und Obligationen/ nebst einer gründlichen Anweisung zur teutschen Rechtschreibung/ Zu Beförderung des gemeinen Nutzens an das Licht gegeben von Talandern. Mit Kön. Poln. und Churfl. Sächs. allergnäd. Privilegio. Leipzig/ in Verlag Johann Ludwig Gleditsch. Jm Jahr 1705. Bohse, August: Gründliche Einleitung zun [!] Teutschen Briefen/ Nach den Haupt-Reguln der teutschen Sprache eröffnet Und allen Liebhabern eines teutschen Concepts, sonderlich aber Denen zum Nutzen abgefasset/ So des Autoris Collegia in diesem nöthigem Studio frequentiren/ Auch nach gegebenen richtigen Lehr-Sätzen mit einer Jetzt üblichen Titulatur und allerhand Brief-Mustern erläutert Von Talandern. Jena. Bey Ernest Claude Bailliar M DCC VI. Brauser, Wolffgang: Der Vielvermehrte und vollkommene Hurtige Briefsteller. Das ist: Ausführlich-deutliche Anweisung/ in allerhand Zeit/ Freud/ Leid/ Streit-Fällen und Begebenheiten/ einen zierlichen Brief/ ohne allzulanges Nachsinnen/ zu Papier zu bringen/ und dardurch sein Vorhaben nachdencklichst auszudrücken/ damit man den ihme vorgestellten Zweck/ bey Hohen und Niedern desto füglicher erlangen möge. Allen in dieser Materie/ theils mittelmässig-Erfahrnen/ theils noch gantz Ungeübten zu reiffem Nutzen/ auf reine Hochteutsche heut zu Tage übliche Schreib-Art/ solcher Gestalt eingerichtet/ und statt eines Secretarii in XII. Capiteln mitgetheilet/ mit einem
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absonderlichen Anhang versehen/ Und zum andernmal ausgefertiget Von Wolffgang Brausern. Nürnberg/ Jn Verlegung Martin Endters. Anno 1695. Butschky, Samuel: Samuelis Butschky, I. U. C. Hochdeutsche Venus-Kanzeley/ Darinnen allerhand Schimpf- Ernst- und Wahrhafte Brife in Libes Sachen. Schweidnitz Jn der Perfertischen Buchdruckerey gedrukt: und wi daselbst; also auch im Perfertischen Buchladen/ zu Breslau und Leipzig/ zufinden. Samuel R. Wltawsky Prelum curavit. Anno M DC XLIV. Butschky, Samuel: Sam Butschky, Hoch deutsche Kanzeley; Briflein. im Perfertischen Buchladen zufinden. [Breslau und Leipzig 1652]. Der/ Jn Verfertigung Allerhand Schreiben Stets-bereite und vielvermehrte Secretarius Das ist: Eine kurtze/ doch gründliche Anweisung/ in allerhand Begebenheiten einen wohleingerichteten Brieff in höchster Eilfertigkeit/ zu Papier zu bringen/ und bey Abwesenden solcher Gestalt in Freud und Leid/ in Glück und Unfall/ ja allerhand zu Handen kommenden Verrichtungen. Mit Wünschen/ Bitten/ Klagen/ Trösten/ Vermahnen/ Warnen und Dancken seine Obliegenheit abzustatten. Allen jungen Scribenten/ Beamten/ Bedienten/ Schössern/ Schultzen/ Kauff- und Handels-Leuten/ wie auch andern Personen/ zu höchst-dienlichen Nutzen mitgetheilet. Nebst denen Frantzösisch- und Jtaliänischen Tituln/ auch unterschiedlichen Sentent und klugen Sprichwörtern. Jtem dem edlen Weidbüchlein/ auch Auslegung etlicher Juristischund Lateinischen terminorum, samt einem Welsch- und Teutschen Sprachbüchlein/ und schließlich einem in allen Vorfällen eilfertigen Redner. Nürnberg/ verlegts Joh. Leonhard Buggel/ 1699. Gellert, Christian Fürchtegott: Gedanken von einem guten deutschen Briefe. In: Christian Fürchtegott Gellert: Die epistolographischen Schriften. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1742 und 1751. Stuttgart 1971, S. 177–189. Gellert, Christian Fürchtegott: Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. In: Christian Fürchtegott Gellert: Die epistolographischen Schriften. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1742 und 1751. Stuttgart 1971. Harsdörffer, Georg Philipp: Der Teutsche Secretarius: Das ist: Allen Cantzleyen/ Studir- und Schreibstuben nutzliches/ fast nohtwendiges/ und zum drittenmal vermehrtes Titular- und Formularbuch: Enthaltend: I. Dieser Zeit hohen Potentaten/ Könige/ Churfürsten/ Fürsten/ Herren und Stände Namen und Ehrentitul. II. Gebräuchliche Gruß- und Freundschafft- III. Lehrreiche Klag- und Trost- IV. Wichtige Geschäfftund Cantzley- V. Höfliche Frauenzimmer- und Liebs- VI. Nohtwendige Kauff- und Handels-Briefe. VII. Von der Rechtschreibung der teutschen Sprache. VIII. Von der Schrifftscheidung. Mehr ist neurlich beygedruckt: IX. Von Lehensachen. X. Etliche Juristische/ Historische und Philosophische Schreiben. Mit Anfügung/ C. Formularien allerhand Vorträge/ Empfängnissen und Abdanckungen/ u. zu erstatten. Nach heut zu Tage üblichem Hof- und Kauffmanns-Stylo, mit Fleiß zusammengetragen und mit Kupfern geziert/ von Etlichen Liebhabern der Teutschen Sprache. Mit Churfürstl. Sächsis. Privilegio. Nürnberg/ Jn Verlegung Wolfgang Endters/ deß Aeltern. Jm Jahr 1656.
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Harsdörffer, Georg Philipp: Des Teutschen Secretarii: Zweyter Theil: Oder Allen Cantzleyen/ Studier- und Schreibstuben dienliches Titular und Formularbuch: Bestehend I. Jn den Ehrentitulen hoher Potentaten Churfürsten/ Herren/ Stände und dero Bedienten. II. Jn gebräuchlichen Gruß- und höchflichen compliment- III. Lehrreichen Klag- Trost- und Vermahnungs- IV. Wichtigen Geschäfft- und Cantzley- V. Aus der Sittenlehre VI. Aus der Naturkündigung abgesehene Streit-Schreiben. Mit angefügtem Bericht Von dem Buchhalten. Alles Nach gebräuchlichem Hof- Cantzley- und Handels-Stylo zusammen getragen von Etlichen Liebhabern der Teutschen Sprache. Mit Churfürstl. Sächsis. Privilegio. Nürnberg/ Jn Verlegung Wolfgang Endters/ deß Aeltern. Jm Jahr 1659. Hallbauer, Friedrich Andreas: M. Friedrich Andreas Hallbauers Der Hochlöbl. Philosophischen Facultät zu Jena Adiuncti Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie Nebst einer Vorrede von Den Mängeln Der Schul-Oratorie. Mit Kön. Pohlnis. und Churfürstl. Sächsis. gnädigsten Privilegio. Jena, Verlegts Johann Bernhard Hartung, 1725. Hohenegg, Conrad Hofmann von: Der Hochteutsche Secretarius Oder Eilfertiger Briefverfasser. Das ist: Ausführliche in Dreyen Theilen bestehende Anweisung: Welcher gestalt/ nach heutigem Canzley- Stylo, allerhand Briefe an Hohe und Niedere/ Patronen und Gönner/ Freund und gute Bekandte/ in Freud und Leid/ in Glück- und Unglücks-Fällen/ auch andern Begebeheiten/ wie sie immermehr Namen haben mögen/ ohne grosse Mühe/ und zwar schleunigst zu verfertigen und zu Papier zu bringen. Jngleichen: Wie ein junger in dieser hochpreißlichen Kunst noch seicht erfahrner Scribent/ durch vielerley auf tägliche Vorfälle abzielende Muster wolabgefasster Schrifftstellungen/ von Abschieden/ Bestandbriefen/ Contracten/ Dispositionen/ Ehestifftungen/ Geburtsbriefen/ Inventarien/ Lehenbriefen/ Obligationen/ Testamenten/ etc. sich von Tag zu Tag merklich aufführen könne. Mit sonderbarem Fleiß/ denen Studenten/ Procuratoren/ Notarien und Schreiberey-Verwandte zu merklichen Nutzen/ theils von neuem verfertiget/ theils aus bewährten Autoren zusammen getragen durch Conrad Hofmann von Hohenegg. Nürnberg/ im Druck und Verlag Balthasar Joachim Endters/ im Jahr Christi 1694. Hunold, Christian Friedrich: La Civilité Moderne, Oder die Höflichkeit Der Heutigen Welt. Ubersetzt von Menantes. Hamburg, Bey Benjamin Schillern, Buchhändlern im Thum/ Anno 1705. Hunold, Christian Friedrich: Die Allerneueste Art Höflich und Galant zu Schreiben/ Oder Auserlesene Briefe/ Jn allen vorfallenden/ auch curieusen Angelegenheiten/ nützlich zu gebrauchen/ Nebst einem zulänglichen Titular- und Wörter-Buch Von Menantes. Hamburg Bey Gottfried Liebernickel im Dohm. 1707. Hunold, Christian Friedrich: Der Allerneuesten Art Höflich und Galant zu Schreiben/ Oder Auserlesener Briefe/ Andrer Theil Jn vielen vorfallenden/ auch Curieusen Angelegenheiten mit Nutzen zu gebrauchen/ Von Menantes. Hamburg/ bey Gottfried Liebernickels Seel. Wittwe im Dohm/ 1709. Hunold, Christian Friedrich: Lettres choisies des meilleurs & plus nouveaux Auteurs François, Traduites en Allemand par Menantes. Auserlesene Brieffe/ Aus denen Galan-
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testen und Neuesten Frantzösis. Autoribus ins Hochteutsche übersetzet Von Menantes. Hamburg, Bey Johann Wolffgang Fickweiler/ 1714. Hunold, Christian Friedrich: Auserlesene neue Briefe/ Nebst einer Anleitung/ Wie in den allermeisten Begebenheiten die Feder nach dem Wohlstand und der Klugheit zu führen, An das Licht gestellet von Menantes. Halle, Jn Verlegung des Wäysenhauses, 1717. Juncker, Christian: Christian Junckers, Weyl. des Fürstl. Gymn. zu Altenb. Directoris, Wohlunterweisener Briefsteller, Zum Gebrauche Der Jugend auf Gymnasien und andern Schulen, Nebst einem Anhange Von des berühmten Hn. B. Neukirchs Galanten Briefen, Und einem kurz-gefaßten Titular-Buche, Neunte, durch und durch verbesserte und vermehrte Auflage. Mit Kön. Poln. und Chur-Sächs. Privilegiis. Leipzig, Bey Joh. Friedrich Brauns sel. Erben, 1740. Lange, Gottfried: D. Gottfried Langens Einleitung zur Oratorie durch Regeln und gnugsame Exempel. Leipzig/ Jm Verlag Joh. Ludw. Gleditsch. Anno Christi 1706. La Serre, Jean Puget de: Le Secrétaire de la Cour, Ou la Maniere d’escrire selon le temps. Dedié à Monsieur de Malerbe. Par le Sieur de la Serre. A Paris, Chez Pierre Billaine, ruë S. Iacques à la Bonne-Foy. M. DC. XXIV. Avec Privilege du Roy. La Serre, Jean Puget de: Le Secrétaire à la Mode par le S.R De La Serre. Augmenté d’une Instruction à escrire des lettres. Plus d’Un Recueil de lettres morales des plus beaux esprits de ce temps. A Amsterdam. Chez Louys et Daniel Elzevier. A. 1655. La Serre, Jean Puget de: Le Secrétaire alamode de la Cour. Oder Politische Hof-Art/ allerhand zierlicher Sendschreiben. Durch M. P. de la Serre, in Fransöischer Sprach in Truck gegeben/ und vor Jahren Zur Ergetzlichkeit und nutzbringender Ubung/ in unsere Teutsche Muttersprach übersetzet/ ietzo aber auff Ersuchen wiederumb mit Fleiß an etzlichen Orthen geendert und verbessert Von Joh. Moritz Friedrichen/ Leipzig/ Jn Verlegung Henning Grossen des Jüngern hinterlassener Erben/ Anno 1661. La Serre, Jean Puget de: Herrn De La Serre Vermehrter und Emendirter Politischer Alamodischer Hoff-Stylus. Hiervor in Frantzösischer Sprache beschrieben: Jetzt aber Jedermänniglich zum besten/ in unsere Muttersprach/ als Teutsche Manier verkleidet/ auff vielfältiges anhalten in diesem Format gestellet: und augiret mit einer Titularform/ Wie man Nach heutigem stylo artige Jngressen und Final-clausulen/ und rechtmässig an Hohe und Niderstands Personen den Titul geben solle. Jn verlegung Johan’ Naumans/ Buchh. in Hamburg/ im Jahr 1661. La Serre, Jean Puget de: The Secretary in Fashion: Or, An Elegant and Compendious way of Writing all manner of Letters. Composed in French by Sir De la Serre Chief Historiographer to the King of France. The Fifth Edition. Newly Revised, and very much Augmented with a Collection of many choice Letters written by the most Refined Wits of France. Also, Some new Additions to the Complements And Elegancies of the French Tongue: Never Publish’d before. London, Printed for Peter Parker, at the Leg and Star in Cornhill, over against the Royall Exchange, 1673. Lünig, Johann Christian: Johann Christian Lünigs Angenehmer Vorrath Wohl-stylisirter Schreiben, Welche von Kayser, Königen, Chur- und Fürsten, auch Grafen und Herren, u. s. w. Sowol Jn frölichen als traurigen, Auch Religions- Staats- Kriegs- und andern wichtigen Begebenheiten Vom Jahr 1713. bis 1737. abgelassen worden, Nebst
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Anhang
einem Elencho und Register. Dem Publico zum Besten ans Licht gegeben. Dritte und viel vermehrte Edition. Leipzig, Bey Friedrich Lanckischens Erben, 1737. Neukirch, Benjamin: Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen. Leipzig/ bey Thomas Fritschen/ 1709. Neukirch, Benjamin: Benjamin Neukirchs galante Briefe und Getichte. Coburg/ verlegts Paul Günther Pfotenhauer/ Buchhändler daselbst. 1695 Neukirch, Johann George: Academische Anfangs-Gründe, Zur Teutschen Wohlredenheit Brief-Verfassung und Poesie, Der Studirenden Jugend zum Besten in Deutlichen Regeln und Exempeln entworffen von M. Joh. George Neukirch. Braunschweig, M DCC XXIX. Zu finden in der Rengerischen Buchhandlung. Overheide, Gebhard: Neu vermehrte Schreib-Kunst/ Vom Rechtschreiben/ Brieffstellen/ Titulgeben/ und was dem anhengig ist: Auch Von Handels- und Wexel-Brieffen/ Schuld- Verschreibungen und Quittungen/ Neben Etzlichen höflichen Gruß/ Anbind- und Lehr-Schreiben. samt dero Bey der Schreiberey üblichen Lateinischen und Handels Wörter/ kurtzen Erklärung. Vor teutsche Scheib-Schüler/ junge Handels-Diener/ und andere des begehrende Leute/ mit getreuen Fleiß beschrieben/ itzo in allen Teilen vermehret/ und zum andern mahl herauß gegeben Durch Gebhard Overheiden Hannov. Ph. Mat. bestalten Schreib: und Rechenmeister/ auch Buchhalter in Braunschweig. Gedruckt und verlegt durch Christoff Friederich Zilligern. Anno M DC LVII. Overheide, Gebhard: Fünff Bucher Der Edlen Schreib-Kunst. Daß Erste. Von der Schrift Uhrsprung Nützbarkeit und Zubehör, Jnsonderheit von der Teutschen kleinen Schrift Anfang, unterscheid und erfolgter Verbeßerunge. Daß ander. Von der Cantzley oder Mittelschrift, von ihrer Zubehor, auch von deroselben Grund- und Lauffahrten. Daß Dritte. Von Niederlandischen Lateinischen und Frantzöschen Grund- und Laüfschriften. Daß Vierte. Von der Großen Fracturschrift, und von ihren großen Versal oder Vorbuchstaben, zusamt einer füeglichen Maaßteilüng aller schriften. Daß Fünfte. Vom Rechtscheiben, nach Grundlicher Eigenschaft der Büchstaben, Nebenst andern notigen Lehrstücken vor die Jügend. Dürch Gebhardum Overheiden P. M. Bestalten Arithmeticum Goometram Schreibm. und Buchhalter in Braunschweig. Ao. 1665. Richelet, Pierre: Les plus belles Lettres des meilleurs Auteurs françois, Avec des Notes. Par Pierre Richelet. A Amsterdam. Chez Henri Wetstein. 1690. Richelet, Pierre: Les plus belles Lettres françoises sur toutes Sortes de Sujets, Tirées des meilleurs Auteurs, avec des Notes. Par P. Richelet. Septième Edition, revue, & augmentée; Avec des Observations sur l’Art d’écrire les Lettres, Par Mr. B. L. M. Tome second. A Basle, Chez J. Rodolf Tourneisen. M DCC XL VII. Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen. Berlin 1728. Rost, Johann Leonhard: Die Leichteste Art Teutsche Briefe zu schreiben. Durch Regeln und Exempel überaus deutlich und gründlich verfasset/ von Johann Leonhard Rost. Nürnberg/ Verlegts Johann Albrecht. Gedruckt bey Johann Ernst Adelbulner. Anno 1717. Rost, Johann Leonhard: Versuch Einiger Frantzösisch-Teutscher Briefe/ So Niemals zum Vorschein gekommen, aufgesetzt von Meletaon. Nürnberg/ Verlegts Johann Albrecht/ Buchhändler. Druckts Joh. Ernst Adelbulner. 1734.
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Sand, Herman von: Secretarius Jetziger Zeit/ Jn sich begreiffend I. Eine Schöne Unterweisung Briefe zuschreiben. II. Höffliche Freund- und Gruß-Briefe. III. KauffmansBriefe. IV. Briefe sinnreicher und gelehrter Leute/ mit schönen Staats- und SittenLehren erfüllet. Franckfurt/ Bey Herman von Sand. M DC LXXVII. Sattler, Johann Rudolff: Werbungs-Büchlein: Oder/ Von Anstellung Teutscher Orationen und Reden: in welchen/ neben grundlicher Underweisung der Rede-kunst/ allerhand Formulen/ von Fürtrag: Eynlad: Empfah: und Abdanckungen/ so wohl bey Werbungen/ Hochzeiten/ Gevatterschafften/ Kindtäuffen/ Begräbnussen/ alß vielerley anderen Zufällen/ begriffen. Jn dreyzehen Theil und gewisse Capitul underscheiden: wie solches in nachfolgenden Blätteren außführlich zu ersehen. Durch Johann Rudolff Sattlern/ gewesenen Gerichtschreibern zu Basel/ gestellt/ und jetzo zum sechßten mahl in Truck verfertiget. Getruckt zu Basel/ Jn verlegung Ludwig Königs/ im Jahr 1633. Schröter, Christian: Christian Schröters Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie nach dem hohen und Sinnreichen Stylo Der unvergleichlichen Redner unsers Vaterlandes, besonders Des vortrefflichen Herrn von Hohensteins in seinem Großmüthigen Herrmann und andern herrlichen Schrifften. Leipzig, verlegts Johann Friedrich Gleditsch, Jm Jahr Christi 1704. Scudéry, Madeleine: Conversations nouvelles sur divers Sujets, dedie’es au Roy, A Amsterdam, Chez H. Wetstein & H. Des-Bordes. M. DC. LXXXV. Stieler, Kaspar: Teutsche Sekretariat-Kunst/ Was sie sey/ worvon sie handele/ was darzu gehöre/ welcher Gestalt zu derselben glück- und gründlich zugelangen/ was Maßen ein Sekretarius beschaffen seyn solle/ worinnen deßen Amt/ Verrichtung/ Gebühr und Schuldigkeit bestehe/ auch was zur Schreibfertigkeit und rechtschaffener Briefestellung eigentlich und vornehmlich erfordert werde. Alles mit grundrichtigen Sätzen zuverläßigen Anweisungen und reinen teutschen Mustern/ nach heutigem durchgehendem Gebrauch/ Entworffen/ in vier Theile gesondert/ und zu Mitbeförderung gemeinen Nutzens/ heraus gegeben von dem Spahten. Nürnberg/ Jn Verlgegung Johann Hofmann/ Kunsthändlern. Gedruckt zu Weimar/ durch Joachim Heinrich Schmidt. M. DC. LXXIII. Stieler, Kaspar: Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Sekretariat-kunst. Allerhand bewährte/ und dem Kanzley-Stylo, ietzigem durchgehenden Gebrauch nach/ ganz gemeinste Exempel und Muster/ so wol in Hof- Kammer- Lehn- Consistorial-Gerichts- Kriegs- als Haus- Liebes- Kaufmannschaft- Advokaten- und Notarien Sachen in sich haltend Allen Sekretarien/ Gelehrten/ Schreibern/ ja so gar neu angehenden Rähten/ Amtleuten/ Richtern/ und ins gemein allen andern Herren-Bedienten/ und denen/ so mit der Feder umgehen/ höchstnöhtig und vorträglich. Als ein Schatz und allgemeines Vorbild/ woraus die geschickliche und rechtmäßige gute Schreibart abzusehen/ zu fassen und zu üben. Samt einem zuverläßigen Register eröffnet und dargestellet von dem Spahten. Nürnberg/ Jn Verlegung Johann Hofmanns/ Kunst- und Buchhändlers. Gedruckt zu Jehna/ durch Johann Nisio. M. DC. LXXIV. Stieler, Kaspar: Vortrab Des Allzeitfertigen Sekretariens. Das ist: Ein Versuch/ wie allerhand Schreiben/ höflich und geschicklich/ jedoch/ kurtz/ und gleichsam mit flüchtiger Feder/ abzufassen. Denen Anfängern zum Behuf und vernünfftiger Nachfolge
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heraus gegeben/ und einem ausführlichern Werk/ als wie zur Ausspähung vorgesendet. Nürnberg/ Jn Verlegung Johann Hofmanns/ Buch- und Kunsthändlers 1683. Stieler, Kaspar: Der Allzeitfertige Secretarius Oder: Anweisung/ Auf Was Masse ein jeder Halbgelehrter bey Fürsten/ Herrn/ Gemeinden und im Sonderleben/ nach jetziger Art/ einen guten wolklingenden und hinlänglichen Brief schreiben und verfassen könne. Alles mit gründlichen Lehrsätzen/ untadelichen Mustern und neuen Erfindungen beleuchtet/ auch mehrernteils mit geschicklichen Beantwortungen begleitet. Samt einem Register. Dem gemeinen Besten zu Liebe aufgesetzet/ und nunmehro zum viertenmal wolgesaubert herausgegeben/ Nebst dem Politischen Briefverfasser und einer neuen Vorrede des Spaten. Mit Churfürstl. Sächsis. Privilegio. Nürnberg/ Jn Verlegung Joh. Hofmanns/ Buch- und Kunsthändl. 1690. Stockhausen, Johann Christoph: Johann Christoph Stockhausens Sammlung vermischter Briefe. Helmstädt, bey Christian Friederich Weygand 1752. Stockhausen, Johann Christoph: Johann Christoph Stockhausens Grundsätze wohleingerichteter Briefe, Nach den besten Mustern der Deutschen und Ausländer; Nebst beygefügten Erläuterungen und Exempeln. Zweyte vermehrte und verbeßerte Ausgabe. Mit Königl. Pohln. und Churf. Sächs. allergnädigster Freyheit. Helmstädt, bey Christian Friederich Weygand. 1753. Suter, Johann Kaspar: Neu auffgerichte Schreibkunst. Auf die anjezo übliche neue Manier Allerhand Teutsche Lateinische Griechische Französisch und Jtalianische Brieff zustellen. Auß Der Allervornemst und Gelehrtesten Scribenten Schrifften zusammen getragen/ in VI. Theil abgetheilet/ und mit einem Kurzen Anhang anmutig und zierlicher Conversations-Gesprächen gezieret. Von Johann Kaspar Sutern/ A.L.S. Ling. E. C. Gedrukt zu Schaffhaußen. M. DC. LXIV. Weise, Christian: Christian Weisens Politischer Redner/ Das ist/ Kurtze und eigentliche Nachricht/ wie ein sorgfältiger Hofmeister seine Untergebene zu der Wolredenheit anführen soll/ damit selbige lernen 1. Auff was vor ein Fundament eine Schul-Rede gesetzet ist; 2. Worinn die Complimenten bestehen; 3. Was Bürgerliche Reden sind; 4. Was bey hohen Personen/ sonderlich zu Hofe/ vor Gelegenheit zu reden vorfällt. Alles mit gnugsamen Regeln/ anständigen Exempeln/ und endlich mit einem nützlichen Register ausgefertigt. Mit Churfl. Sächs. Privilegio. Leipzig/ Bey Timoth. Ritzschens sel. Erben zu finden/ Gedruckt bey Benjamin Christian Ritzschen/ Jm Jahr Christi 1679. Weise, Christian: Christian Weisens Curiöse Gedancken Von Deutschen Brieffen Wie ein junger Mensch/ sonderlich ein zukünfftiger Politicus, Die galante Welt wol vergnügen soll. Jn kurtzen und zulänglichen Regeln So dann Jn anständigen und practicablen Exempeln ausführlich vorgestellet. Erster und Andrer Theil. Mit Churfürstl. Sächs. Privilegio. Dreßden/ Verlegts Johann Christoph Mieth/ M DC XCI. Weise, Christian: Christian Weisens Politische Nachricht von Sorgfältigen Briefen/ Wie man sich in odieusen und favorablen Dingen einer klugen Behutsamkeit gebrauchen/ und Bey Oratorischen oder Epistolischen Regeln die politischen Exceptiones geschickt anbringen soll/ An statt des dritten Theils zum curieusen Gedancken von deutschen Briefen in einem absonderlichen Buche vorgestellet/ Und so wohl mit gantz neuen Re-
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geln/ als auch mit practicablen Exempeln ausgeführet/ Nebenst einem Vorbericht vom Galanten Hoff-Redner. Mit Churfl. Sächß. Gn. Privil. Dreßden und Leipzig/ verlegts Johann Christoph Mieth/ und Joh. Christoph Zimmermann, 1698.
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Anhang
Schmid, Pia: Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800. In: Elke Kleinau und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Vom Mittelalter bis zur Aufklärung (Bd. 1). Frankfurt a. M./. New York 1996, S. 327–345. Schnell, Rüdiger: Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias. In: Rüdiger Schnell (Hg.): Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Vormoderne. Köln u.a. 2004, S. 21–83. Schubert, Ernst: Augustus Bohse genannt Talander. Ein Beitrag zur Geschichte der galanten Zeit in Deutschland. Breslau 1911. Schuler, Peter-Johannes: Formelbuch und Ars dictandi. Kaum genutzte Quellen zur politischen und sozialen Geschichte. In: Helmut Jäger u.a. (Hg.): Civitatum communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Köln/Wien 1984, S. 374–389. Schulze, Winfried: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? In: Bea Lundt u.a. (Hg.): Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Köln u.a. 1992, S. 417–450. Schulze, Winfried: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996. Siegert, Bernhard: Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post, 1751–1913. Berlin 1993. Sonnet, Martine: Mädchenerziehung. In: Arlette Farge und Natalie Zemon Davis (Hg.): Geschichte der Frauen. Frühe Neuzeit (Bd. 3). Frankfurt a. M. u.a. 1994, S. 119–150. Stearns, Carol Z.: »Lord Help Me Walk Humbly«. Anger and Sadness in England and America, 1570–1750. In: Carol Z. Stearns und Peter N. Stearns (Hg.): Emotion and Social Change. Toward a New Psychohistory. New York/London 1988, S. 39–68. Stearns, Peter N.: Jealousy. The Evolution of an Emotion in American History. New York/London 1989. Stearns, Peter N.: History of Emotions. The Issue of Change. In: Michael Lewis und Jeannette M. Haviland (Hg.): Handbook of Emotions. New York/London 1993, S. 17–28. Stearns, Peter N. und Carol Z. Stearns: Emotionology. Clarifying the History of Emotions and Emotional Standards. In: The American Historical Review 90/4 (1985), S. 813–836. Steinhausen, Georg: Geschichte des deutschen Briefes. Zur Kulturgeschichte des deutschen Volkes (2 Tle. in 1 Bd.). Berlin 1889/91. Steinhausen, Georg: Der deutsche Brief. In: Das litterarische Echo. Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde 4 (1901/02), S. 941–949. Steinhausen, Georg: Kulturgeschichte der Deutschen in der Neuzeit. Leipzig 1912. Stieldorf, Andrea: Siegelkunde. Basiswissen. Hannover 2004. Teuscher, Simon: Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500. Überlegungen zu ihren zeitgenössischen Funktionen und zu Möglichkeiten ihrer historischen Auswertung. In: Eckart Conrad Lutz (Hg.): Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang. Ergebnisse des Troisième Cycle Romand 1994. Freiburg 1997, S. 359–385.
Bibliographie
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Trepp, Anne-Charlott: Gefühl oder kulturelle Konstruktion? Überlegungen zur Geschichte der Emotionen. In: Ingrid Kasten u.a. (Hg.): Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit. Stuttgart/Weimar 2002, S. 86–103. Tschudin, Peter F.: Grundzüge der Papiergeschichte. Stuttgart 2002. Vec, Milos: Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation. Frankfurt a. M. 1998. Vellusig, Robert: Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert. Wien u.a. 2000. Vogel, Hermann: Christian Friedrich Hunold (Menantes). Sein Leben und seine Werke. Leipzig 1897. Weiss, Stefan: Briefe. In: Bernd-A. Rusinek u.a. (Hg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit. Paderborn u.a. 1992, S. 45–60. Wendland, Ulrich: Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprachreformbestrebungen vor Gottsched. Leipzig 1930. Witte, Bernd: Die Individualität des Autors. Gellerts Briefsteller als Roman eines Schreibenden. In: Bernd Witte (Hg.): »Ein Lehrer der ganzen Nation«. Leben und Werk Christian Fürchtegott Gellerts. München 1990, S. 86–97. Witte, Bernd u.a. (Hg.): Christian Fürchtegott Gellert. Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. Roman, Briefsteller (Bd. 4). Berlin/New York 1989. Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels. 2., durchges. und erw. Aufl., München 1999. Zeman, Herbert: Kaspar Stieler. Versuch einer Monographie. Unveröffentlichte Dissertation. Wien 1965.
230
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Anhang
7.2 Bildnachweis Bayerische Staatsbibliothek, München Abb. 15, 16 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Abb. 2, 3, 6, 9, 11, 12, 13, 14, 17, 18, 19 Museum für Kommunikation Frankfurt Abb. 4 Öffentliche Bibliothek Universität Basel Abb. 8, 10 Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle Abb. 5 Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz Abb. 7
Personenregister
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7.3 Register Personenregister Balzac, Jean Louis Guez de 27 Bohse, August 11, 12, 17, 26, 29–30, 32–36, 38–40, 42, 56–57, 68, 83–84, 92, 106–108, 111, 141, 143–145, 149–152, 166–168, 170, 176–177, 181, 184, 197 Brauser, Wolffgang 27, 90, 91, 147 Bussy-Rabutin, Robert de 27 Butschky, Samuel 27, 30, 32–33, 38, 83, 140, 160–161 Corneille, Pierre 26 Courtin, Antoine de 27, 68 Elias, Norbert 13, 22–26, 68, 178, 203–204, 207, 210 Gellert, Christian Fürchtegott 18, 21, 26, 30, 32–33, 42–43, 58–59, 65–67, 80, 85, 106, 111, 148, 155–159, 163, 171–172, 176–177, 182–184, 210 Hallbauer, Friedrich Andreas 27, 111, 124, 132, 183 Harsdörffer, Georg Philipp 26, 29, 32–33, 36, 41, 43, 55, 58, 62–63, 68, 75, 82–83, 86, 89, 102, 106, 110–111, 134, 141, 163–164, 166, 174–175, 177, 190 Hohenegg, Conrad Hofmann von 27, 32 Hunold, Christian Friedrich 17, 26–27, 29–30, 32–36, 42, 62, 64, 68–69, 79, 93–95, 107, 111, 116–119, 124–127, 138, 141, 143–144, 166, 168–170, 174–177, 182–185, 188–189, 193–194, 196, 198, 205 Jun[c]ker, Christian 27, 29, 34, 43, 69, 160 La Serre, Jean Puget de 19, 26, 28, 30–31, 33, 40, 64, 85–86, 88, 117, 131, 136, 156–157, 161–163, 173–174, 177
Lange, Gottfried 27 Lünig, Johann Christian 27, 107, 203 Meletaon [Pseudonym von Rost] 36 Menantes [Pseudonym von Hunold] 36, 43, 157 Molière, Jean-Baptiste 26 Neukirch, Benjamin 26, 29, 32–33, 35, 43, 62–63, 69–71, 85, 90, 101, 141, 147–148, 153–155, 157, 169–171, 176, 193–194, 196 Neukirch, Johann George 27, 29, 32, 34–35, 108, 113–114, 127, 130 Overheide, Gebhard 27, 38, 117, 160 Richelet, Pierre 26, 94, 96, 174 Rohr, Julius Bernhard von 27, 126, . 129 Rost, Johann Leonhard 27, 30, 33, 36, 60, 118, 123, 132–133, 144, 174, 191, 194 Sand, Herman von 27, 31, 90, 93, 163, 174 Sattler, Johann Rudolff 27, 29, 33, 63, 104, 160 Schröter, Christian 27 Scudéry, Madeleine 165 Spate [Pseudonym von Stieler] 37, 43 Stieler, Kaspar 26, 29, 32–34, 36–37, 41–43, 48, 58, 65, 81–82, 84, 110–111, 134, 138–139, 164–166, 174–175, 177, 186 Stockhausen, Johann Christoph 11, 27, 43, 97 Suter, Johann Kaspar 27, 38, 149 Talander [Pseudonym von Bohse] 36, . 43 Voiture, Vincent 27 Weise, Christian 26, 28, 32–35, 42–43, 62–63, 69, 149, 152, 157, 165
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Anhang
Sachregister Adresse 125, 127, 129–132, 134, 149 Affekt 24, 26, 58, 116, 179–180, 184, 203 Anleitung 12, 19–20, 22, 26–27, 30, 35, 37–38, 41, 43, 62, 64, 68, 83, 99, 124, 133, 150, 161, 209 Anrede 12, 40, 55, 82, 101–116, 119, 122–124, 130–131, 133–134, 150, 173, 192 Ärger 179, 191, 211 Auflage 20, 28, 30–31, 44, 61, 209 Benimmbücher 11, 13, 22, 67–68, 99, 178, 181, 210 Bibliothèque Bleue 31, 75, 85 Briefaufbau 78, 149, 151–153, 156 Briefbeförderung 45, 47, 50, 52, 61, 132 Briefschreibpraxis 17, 22, 45, 47, 147, 154, 178 Briefsorten 20, 62, 138–139, 141–142, 144, 146–147, 157, 177, 182, 184, 209–210 Briefsprache 22, 61, 93, 160, 167, 173, 176, 210 Brieftheorie 12, 42, 95, 110, 134–135, 147, 156–157, 162–164, 168–169, 175–177 Briefzeremoniell 12, 21–22, 27, 35, 55, 101–103, 109, 111, 127, 133–134, 149, 171, 173, 209 Courtoisie 12, 57, 102, 111, 114–115, 119 Dispositionsschema 21, 43, 93, 149–153, 155–160, 162, 165–166, 170, 177, 194 Ehrprädikate 108–109, 111, 113, 160, 162, 171 Eifersucht 179, 193, 197, 201, 211 Ekel 75, 179, 190–191, 201, 211 Emotionen 25–26, 137, 178, 180–185, 187, 190–191, 193–194, 196, 198–202, 204–208, 211–212
Empfindungen 26, 158, 162, 179–183, 185, 187–188, 190, 192, 198, 200–202, 204, 206–208, 211 Frauenbrief 70, 71, 84, 100, 146, 158–160, 210 Freude 55, 112, 145, 153, 179, 182, 184–185, 187–190, 195, 201, 207, 211 Gefühle 11, 13, 22–26, 37, 59–60, 137, 155, 178–187, 189–193, 197–199, 201–208, 210–211 Hof/höfisch 24–25, 30–31, 33, 35–36, 41–42, 53, 55–56, 60, 68, 84, 95, 101–102, 107–110, 114, 126, 130, 141, 163, 164–171, 173–176, 202–204, 207–208, 210–211 Kuvert 116, 125–129 Lehrbücher 43, 62, 64, 82, 210 Liebe 55, 79, 84, 98, 112, 136, 146, 154, 180, 182, 185, 193–194, 196–197, 200–201, 205, 207, 211 Liebesbrief 11, 41, 71, 88, 127, 141, 143, 153–155, 157, 193–197, 208 öffentlich 11, 20, 69, 71, 82, 98–100, 135, 137, 142, 177, 196, 204 Papier 12, 21, 54, 89, 93, 95, 98, 116– 119, 122, 124–127, 136, 188–189, 198–199 Post 21, 42, 45–54, 61, 77, 90, 99, 129–130, 133, 187–188 privat 11–12, 19–20, 37, 40–42, 44–46, 55, 60, 71, 73, 82, 98–100, 123, 134–135, 137, 141–142, 144, 146, 150, 152, 163, 165, 177, 204, 210 Privatbrief 15, 60, 67, 78, 99, 119, 137, 148, 180, 204 Prozess der Zivilisation 13, 22–23, 25, 178, 207, 210 Scham 23, 179, 190–191, 201, 211 Schreibstil 20, 55, 66, 70, 93, 98, 114, 135, 137, 145, 148, 156–168,
Sachregister
170–171, 176–177, 194, 201–204, 206–208, 210–211 Schriftbild 28, 69, 116–117 Siegel 21, 116, 127–129, 135, 149 Stilprinzipien 11–12, 18, 22, 93, 134–135, 147, 160, 162–168, 171, 177, 194 Titel 62, 89, 102–108, 110–112, 116, 130–131, 133, 150 Titelkupfer 39, 86, 88–98 Titelverzeichnis 12, 62, 101–107, 133, 209
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Trauer 58, 118, 128, 178, 182, 184–190, 192–193, 198–199, 201, 203, 205, 207, 211 Unterhaltung 22, 59, 73, 77–79, 81, 85, 135, 142, 160, 166, 170, 177, 201, 207, 210 Verbreitung 28, 30–31 Verfasser 26, 30, 32–33, 35–37, 41, 68, 93, 138, 164, 166, 168, 174–175 Wut 179, 190–193, 201, 207, 211 Zivilisationstheorie 22–26, 68 Zorn 190–193, 207, 211