Bibel und Midrasch: Zur Bedeutung der rabbinischen Exegese für die Bibelwissenschaft 3161468570, 9783161468575, 9783161578311

Collected essays presented at the symposium sponsored by the Society of Biblical Literature, The significance of ancient

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German Pages 307 [325] Year 1998

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
GERHARD BODENDORFER: Einführung
ROLF RENDTORFF: Introduction to the Symposium “Ancient Jewish Exegesis and the Modern Study of the Hebrew Bible”
I. Hermeneutik und rabbinische Literatur
GERHARD BODENDORFER: Hermeneutik und rabbinische Literatur – Einführung zum ersten Teil
GERHARD BODENDORFER: »Der Gerechte wird aus dem Glauben leben« – Hab 2,4b und eine kanonisch-dialogische Bibeltheologie im jüdisch-christlichen Gespräch
1. „Das Erste Testament als Wort Gottes für uns heute“
a) Das Erste Testament als Glaubenszeugnis verstehen
b) Das Erste Testament kanonisch interpretieren
c) Die Bedeutung der Aktualisierung
d) Die kanonische Dialogizität
2. Habakuk 2,4b: »Der Gerechte wird aus dem Glauben leben«
3. bMakkot 23b–24a
4. Paulus und der Hebräerbrief
5. Ein jüdisch-christlicher Dialog
6. Aktualisierungen
LIEVE TEUGELS: Midrash in the Bible or Midrash on the Bible? Critical Remarks about the Uncritical Use of a Term
1. Goldberg’s Definition of Midrash
2. A Broader Definition?
3. “Midrash” in the Exegesis of the Old and New Testaments
4. A Form-Analytical Study of Midrash: Genesis Rabbah 59:9 on Gen. 24:5
a) Form-Analysis
b) Summary of the Formal Analysis
c) Characteristics of the Form Midrash in GenR 59:9
5. Conclusion
CLEMENS THOMA: Theologische Tendenzen in rabbinischen Gleichnissen
1. Einordnungen
2. Wertungen im Midrasch zum Hohen Lied
3. Das Gleichnis vom Schaden stiftenden König
4. Theologische Themen rabbinischer Gleichnisse
DIRK U. ROTTZOLL: „Der Verständige wird es verstehen ...“ – Zu den redaktionsgeschichtlichen Ansätzen bei Abraham Ibn Esra und ihrer Interpretationsgeschichte
1. Ibn Esras Kommentar zu Dtn 1,2 und seine Interpretationsgeschichte
a) Das „prophetische“ Entschlüsselungsmodell
b) Das „redaktionsgeschichtliche“ Entschlüsselungsmodell
c) Das Sinn-Erfragende-Entschlüsselungsmodell
2. Zusammenfassende Auswertung der Interpretationsgeschichte von Ibn Esras Kommentar zu Dtn 1,2
DAVID CARR: Intratextuality and Intertextuality – Joining Transmission History and Interpretation History in the Study of Genesis
1. Methodological Background
2. Survey of Early Jewish Perception of Possible Historically-Based Fractures in Genesis
3. Early Jewish Perception of Features that can be Correlated with a Distinction Between P and non-P
4. Early Jewish Perception of Other Possible Historically Based Fractures in Genesis in the Non-P Material of Genesis
5. Reflection on the Survey
II. Bibelinterpretation an den Beispielen Genesis und Exodus
MATTHIAS MILLARD: Bibelinterpretation am Beispiel Genesis und Exodus – Einführung zum zweiten Teil
DAVID R. BLUMENTHAL: Reading Creation
1. Introduction
2. Synopsis to Genesis 1:1–2:3
3. Conclusion
MATTHIAS MILLARD: Anfang und Schluß der Genesis in klassischen jüdischen Kommentaren – Überlegungen zur Genesis als erstem Buch der Tora
1. Einleitung
2. Einleitungen von Genesiskommentaren
3. Schlußbemerkungen in klassischen jüdischen Kommentaren zur Genesis
4. Auslegungsgeschichte und Exegese
GERHARD BÜSING: Adam und die Tiere – Beobachtungen zum Verständnis der erzählten Namengebung in Gen 2,19
1. Einführung
2. Moderne Interpretationen zur Namengebung in Gen 2,19
3. Antike jüdische Traditionen zu Gen 2,19
a) Die Eden-Erzählung: Gen 2,4b–3,24
b) Das Buch der Jubiläen: Kapitel 3 (Erstes Jahrhundert vor Christus)
c) Flavius Josephus: Jüdische Altertümer (Erstes Jahrhundert nach Christus)
d) Philo von Alexandrien: Über die Schöpfung (Erstes Jahrhundert nach Christus)
e) Zwei Ansichten des ersten Menschen
4. Von weiser Herrschaft des Urmenschen zur Gewaltherrschaft des Mannes – Zur Entwicklung eines Interpretationsmotives
5. Überlegungen zum Schluß
JONATHAN MAGONET: Rashi on Exodus I:1–14
1. Exodus 1:1–14
a) Exodus 1:1
b) Exodus 1:5
c) Exodus 1:6
d) Exodus 1:7
e) Exodus 1:8
f) Exodus 1:10
g) Exodus 1:11
h) Exodus 1:12
i) Exodus 1:13
2. Overview of Rashi’s Comments
3. Afterthoughts on Rashi as Exegete
III. Bibelinterpretation nach der Shoa
MATTHIAS MILLARD: Bibelinterpretation nach der Shoa – Einleitung zum dritten Teil
TERRY R. WRIGHT: Midrash and the Genesis of Modern Fiction – Wiesel, Steinbeck and the Remarkable Cain
1. Midrash and Intertextuality: Bloom and Derrida
2. The Changes of Cain: Quinones and Wiesel
3. Steinbeck’s East of Eden – The Genesis of a Novel
TOD LlNAFELT: “Mad Midrash” and the Negative Dialectics of Post-Holocaust Biblical Interpretation
1. A Review of Wiesel, Neher, and Blumenthal
a) Elie Wiesel
b) André Neher
c) David Blumenthal
2. “Mad Midrash” and the Ethics of Interpretation
a) The Promise and Limits of Midrash
b) An Ethically Informed Negative Dialectic
IV. Verzeichnisse und Register
Abkürzungsverzeichnis
1. Bible (english)
2. Apocrypha and Pseudepigrapha
3. Philo
4. Flavius Josephus
5. Außerkanonische Literatur
6. Rabbinische Texte/Rabbinics
a) Mischna, Tosefta, Talmudim
b) Midraschim und andere rabbinische Texte/Midrashim and other rabbinic texts
c) Leseabschnitte/Parashot
Literaturverzeichnis
Register
1. Bibelstellen
2. Rabbinische Schriften
3. Weitere Schriften
4. Hebräische Wörter
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Bibel und Midrasch: Zur Bedeutung der rabbinischen Exegese für die Bibelwissenschaft
 3161468570, 9783161468575, 9783161578311

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Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann

22

ARTIBUS

Bibel und Midrasch Zur Bedeutung der rabbinischen Exegese für die Bibelwissenschaft herausgegeben von

Gerhard Bodendorfer und Matthias Miliard

unter Mitarbeit von

Bernhard Kagerer

Mohr Siebeck

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Bibel und Midrasch : zur Bedeutung der rabbinischen Exegese für die Bibelwissenschaft / hrsg. von Gerhard Bodendorfer und Matthias Miliard. Unter Mitarb. von Bernhard Kagerer. - Tübingen: Mohr Siebeck, 1998 (Forschungen zum Alten Testament ; 22) ISBN 3-16-146857-0

978-3-16-157831-1 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 1998 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155

Vorwort

Am Beginn vorliegenden Sammelbandes seien ein paar kleinere Hinweise gegeben für das leichtere Lesen vorliegenden Buches. Wie Sie dem folgenden Inhaltsverzeichnis leicht entnehmen können, ist das Buch in drei Hauptteile gegliedert, denen je eine Hinführung vorangestellt ist. Eröffnend sind dem gesamten Band als solchem eine deutsche und eine englische Einführung mitgegeben. Der vierte Teil enthält die üblichen Verzeichnisse und Register. Das Abkürzungsverzeichnis enthält sowohl die deutschen wie die englischen Abkürzungen. Nach gemeinsamen Überlegungen haben sich die Herausgeber des vorliegenden Bandes der Reihe „Forschungen zum Alten Testament" dafür entschieden, alle hebräischen Wörter und Texte, im Besonderen die rabbinischen Texte zu vokalisieren. Ausschlaggebender Grund dafür war die allgemein leichtere und bessere Lesbarkeit. Was die Fußnoten betrifft, so sei hier angemerkt, daß in den einzelnen Beiträgen die deutsche Zitationsweise verwendet wird. Der Einheitlichkeit halber werden die Literaturangaben auch im Literaturverzeichnis der deutschen Zitierweise angepaßt. Hebräische Buchtitel, besonders die rabbinischer Textausgaben, wurden, soweit es möglich war, sowohl in den Beiträgen wie in der Literaturliste in einer Art englischen Transkription der internationalen Lesbarkeit halber - angegeben. Im Zuge vorliegender lesetechnischer Anmerkungen sei auf die Verwendung und die Kennzeichnung von Zitattexten aufmerksam gemacht: Um Bibelzitate, die im vorliegenden Sammelband eine herausragende Rolle spielen, zu kennzeichnen, werden die verkehrten französischen Anführungszeichen (»... >...< ...«) verwendet. Die Zitate aus Textquellen und Sekundärliteratur erfolgen mit den bekannten Anführungszeichen („... '...' ..."). Aus technischen Gründen und praktischen Überlegungen (Zitatzeichenkummulation im Beitrag von D. U. Rottzoll) werden die Zitat-im-Zitat-Zeichen nach oben gestellt, da sie leicht mit einem Beistrich (Komma) zu verwechseln sind. In englischsprachigen Beiträgen sind die englischsprachigen Anführungszeichen beibehalten worden: "... '...' ...").

VI

Vorwort

Besonders sei hier nochmals, wie oben angedeutet, auf den Beitrag von Dirk U. Rottzoll hingewiesen, bei dem sich die Trennung der einzelnen Textzitate sehr schwierig gestaltet hat. Die Bibelzitate werden wie oben erwähnt mit den »...« durchgehalten. Quellentext-Zitate (Super- oder MetaKommentare) beginnen mit den deutschen Anführungszeichen („..."). In diesen Super-Kommentar-Zitaten finden sich Textzitate von jüdischen Kommentatoren (Ibn Ezra), die mit den einfachen, hochgestellten deutschen Anführungszeichen gekennzeichnet sind ('...'). Beispiel: „'»Aber der Kanaanäer war damals im Land« (Gen 12,6). ... ' ...". Gesondert sei an dieser Stelle auch schon auf den Beitrag „Reading Creation" von David R. Blumenthal hingewiesen. Aufgrund der von David R. Blumenthal geäußerten Wünsche sowie der Bemerkungen in seiner Einleitung (S. 119) haben wir versucht, den Beitrag seinen Vorstellungen und seiner Vorlage gemäß zu gestalten. Der Beitrag soll für den geschätzten und interessierten Leser vorliegenden Buches den Eindruck eines rabbinischen Kommentars anschaulich vermitteln. Die in der Textwiedergabe - nicht in Einleitung und Zusammenfassung - sich befindlichen Anmerkungen zu den einzeln behandelten Versen des eigentlich jüngeren, jedoch erstgereihten Schöpfungsberichtes seien als „Kommentarnoten" (in fortlaufender Zählung zum einfacheren Auffinden der jeweiligen Verweisstellen), als eine besondere Art von Fußnoten, verstanden. Entsprechend dem uns vorliegenden Original sind die hebräischen Wörter im gesamten Beitrag englisch transkibiert. Soviel zu diesem Beitrag. Wir hoffen, mit diesen Hinweisen dem geneigten und interessierten Leser vorliegenden Bandes Lesehilfen an die Hand gegeben zu haben und wünschen Ihm ein gewinnbringendes Studium der einzelnen Beiträge. Hier soll auch der Ort sein, jenen Menschen Dank zu sagen, die diesen Sammelband ermöglicht haben. Da ist einmal der Mitherausgeber der Reihe Bernd Janowski zu nennen, der gemeinsam mit Rolf Rendtorff auf dem SBL Kongreß 1995 die Idee ausheckte, Beiträge aus dem Symposion „The Significance of Ancient Jewish Bible Exegesis for the Modern Study of the Hebrew Bible" in einem Sammelband herauszubringen. Rolf Rendtorff ist in diesem Zusammenhang gesondert für sein Engagement beim Kongreß selbst und für sein Vorwort zu danken. Herzlichsten Dank möchten wir den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Verlags Mohr Siebeck in Tübingen sagen. Alle Autorinnen und Autoren seien für ihre Beiträge und ihre Geduld beim Zustandekommen des Bandes bedankt. Ganz besonders dankend hervorzuheben aber ist die unermüdliche Arbeit von Herrn Bernhard Kagerer, der in vielen Tagen und Nächten das äußere

Vorwort

VII

Erscheinungsbild dieses Bandes zustandegebracht hat, die Beiträge redaktionell überarbeitet, die Abkürzungsverzeichnisse und Register erstellt und die Kontakte zum Verlag gehalten hat. Die Herausgeber danken dem Freundeskreis der Kirchlichen Hochschule Bethel für die Gewährung eines großzügigen finanziellen Zuschusses. Ferner sei für den Druckkostenzuschuß im Zusammenhang des Zustandekommens vorliegenden Sammelbandes der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris Lodron Universität Salzburg gedankt. Salzburg / Bielefeld, 1. Adventsonntag 1997

Gerhard Bodendorfer Matthias Miliard Bernhard Kagerer

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

GERHARD BODENDORFER

Einführung

1

ROLF RENDTORFF

Introduction to the Symposium "Ancient Jewish Exegesis and the Modern Study of the Hebrew Bible"

3

I. Hermeneutik und rabbinische Literatur GERHARD BODENDORFER

Hermeneutik und rabbinische Literatur Einführung zum ersten Teil

11

GERHARD BODENDORFER

»Der Gerechte wird aus dem Glauben leben« Hab 2,4b und eine kanonisch-dialogische Bibeltheologie im jüdisch-christlichen Gespräch 1. „Das Erste Testament als Wort Gottes f ü r uns heute" a) Das Erste Testament als Glaubenszeugnis verstehen

13 13 14

b) Das Erste Testament kanonisch interpretieren

14

c) Die Bedeutung der Aktualisierung

15

d) Die kanonische Dialogizität

15

2. Habakuk 2,4b: »Der Gerechte wird aus dem Glauben leben«

17

3. b M a k k o t 23b-24a

21

4. Paulus und der Hebräerbrief

33

X

Inhaltsverzeichnis 5. Ein jüdisch-christlicher Dialog

36

6. Aktualisierungen

40

LIEVE TEUGELS

Midrash in the Bible or Midrash on the Bible? Critical Remarks about the Uncritical Use of a Term

43

1. G o l d b e r g ' s Definition of Midrash

45

2. A Broader Definition?

47

3. " M i d r a s h " in the Exegesis of the Old and New Testaments

50

4. A Form-Analytical Study of Midrash: Genesis Rabbah 59:9 on Gen. 24:5

57

a) Form-Analysis

58

b) S u m m a r y of the Formal Analysis

60

c) Characteristics of the Form Midrash in GenR 59:9

61

5. Conclusion

61

CLEMENS THOMA

Theologische Tendenzen in rabbinischen Gleichnissen

65

1. Einordnungen

66

2. Wertungen im Midrasch zum Hohen Lied

67

3. Das Gleichnis vom Schaden stiftenden König

70

4. Theologische T h e m e n rabbinischer Gleichnisse

72

DIRK U . ROTTZOLL

„Der Verständige wird es verstehen ..." Zu den redaktionsgeschichtlichen Ansätzen bei Abraham Ibn Esra und ihrer Interpretationsgeschichte 1. Ibn Esras K o m m e n t a r zu Dtn 1,2 und seine Interpretationsgeschichte ... a) Das „prophetische" Entschlüsselungsmodell

75 76 78

b) Das „redaktionsgeschichtliche" Entschlüsselungsmodell

79

c) Das Sinn-Erfragende-Entschlüsselungsmodell 2. Z u s a m m e n f a s s e n d e A u s w e r t u n g der Interpretationsgeschichte

91

von Ibn Esras K o m m e n t a r zu Dtn 1,2

93

D A V I D CARR

Intratextuality and Intertextuality Joining Transmission History and Interpretation History in the Study of Genesis 1. Methodological Background 2. Survey of Early Jewish Perception of Possible Historically-Based Fractures in Genesis

97 98 101

Inhaltsverzeichnis

XI

3. Early Jewish Perception of Features that can be Correlated with a Distinction Between P and non-P 4. Early Jewish Perception of Other Possible Historically Based Fractures in Genesis in the Non-P Material of Genesis 5. Reflection on the Survey

102 105 109

II. Bibelinterpretation an den Beispielen Genesis und Exodus MATTHIAS MILLARD

Bibelinterpretation am Beispiel Genesis und Exodus Einführung zum zweiten Teil

115

DAVID R . BLUMENTHAL

Reading Creation

117

1. Introduction

117

2. Synopsis to Genesis 1:1-2:3

121

3. Conclusion

164

MATTHIAS MILLARD

Anfang und Schluß der Genesis in klassischen jüdischen Kommentaren Überlegungen zur Genesis als erstem Buch der Tora

167

1. Einleitung

167

2. Einleitungen von Genesiskommentaren 3. Schlußbemerkungen in klassischen jüdischen Kommentaren

172

zur Genesis 4. Auslegungsgeschichte und Exegese

179 187

GERHARD BÜSING

Adam und die Tiere Beobachtungen zum Verständnis der erzählten Namengebung in Gen 2 , 1 9

191

1. Einführung

191

2. Moderne Interpretationen zur Namengebung in Gen 2,19 3. Antike jüdische Traditionen zu Gen 2,19

192 195

a) Die Eden-Erzählung: Gen 2,4b - 3,24 b) Das Buch der Jubiläen: Kapitel 3 (Erstes Jahrhundert

195

vor Christus)

196

XII

Inhaltsverzeichnis c) Flavius Josephus: Jüdische Altertümer (Erstes Jahrhundert nach Christus) d) Philo von Alexandrien: Über die S c h ö p f u n g (Erstes Jahrhundert nach Christus) e) Zwei Ansichten des ersten Menschen

198 199 202

4. Von weiser Herrschaft des Urmenschen zur Gewaltherrschaft des M a n n e s - Zur Entwicklung eines Interpretationsmotives 5. Überlegungen zum Schluß

203 207

JONATHAN M A G O N E T

Rashi on Exodus 1:1-14

209

1. Exodus 1:1-14

210

a) E x o d u s 1:1

210

b) Exodus 1:5

212

c) E x o d u s 1:6

213

d) E x o d u s 1:7

214

e) E x o d u s 1:8

215

f) E x o d u s 1:10

217

g) E x o d u s 1:11

220

h) E x o d u s 1:12

223

i) E x o d u s 1:13

224

2. Overview of Rashi's Comments

225

3. Afterthoughts on Rashi as Exegete

226

III. Bibelinterpretation nach der Shoa MATTHIAS MILLARD

Bibelinterpretation nach der Shoa Einleitung zum dritten Teil

231

TERRY R . WRIGHT

Midrash and the Genesis of Modern Fiction Wiesel, Steinbeck and the Remarkable Cain 1. Midrash and Intertextuality: Bloom and Derrida

235 235

2. The Changes of Cain: Quinones and Wiesel

244

3. Steinbeck's East of Eden - The Genesis of a Novel

251

Inhaltsverzeichnis

XIII

T O D LINAFELT

"Mad Midrash" and the Negative Dialectics of Post-Holocaust Biblical Interpretation 1. A Review of Wiesel, Neher, and Blumenthal

263 265

a) Elie Wiesel

265

b) André Neher

267

c) David Blumenthal 2. " M a d M i d r a s h " and the Ethics of Interpretation

269 271

a) The Promise and Limits of Midrash

271

b) An Ethically Informed Negative Dialectic

273

IV. Verzeichnisse und Register Abkürzungsverzeichnis 1. Bible (english)

277 277

2. Apocrypha and Pseudepigrapha

278

3. Philo

278

4. Flavius Josephus

278

5. Außerkanonische Literatur

278

6. Rabbinische Texte/Rabbinics a) Mischna, Tosefta, Talmudim

279 279

b) Midraschim und andere rabbinische Texte/ Midrashim and other rabbinic texts c) Leseabschnitte/Parashot

280 281

Literaturverzeichnis

283

Register

297

1. Bibelstellen

297

2. Rabbinische Schriften

303

3. Weitere Schriften

305

4. Hebräische W ö r t e r

305

Einführung von GERHARD BODENDORFER

Die Idee zu diesem Band entstand auf dem Kongreß der Society of Biblical Literature in Budapest im Jahr 1995, bei dem zum ersten Mal in der Kongreßgeschichte eine eigene Sektion mit dem Titel „Ancient Jewish Exegesis and the Modern Study of the Hebrew Bible" eingerichtet war. Dies spiegelte den Umstand wider, daß sich die moderne Bibelwissenschaft mehr und mehr auch der rabbinischen Exegese erinnert und damit einen lange stiefmütterlich behandelten Teil der Bibelauslegung zu integrieren sucht. Während die Qumrantexte und die sog. „Zwischentestamentliche Literatur" immer wieder Gegenstand von bibelwissenschaftlicher Forschung und Interesses gewesen sind, hat man das Gros der rabbinischen Schriften bestenfalls gestreift und mitunter auf Strack/Billerbeck verwiesen. Eine fundierte methodisch ausgereifte Einbeziehung des rabbinischen Schrifttums in die biblische Exegese und Theologie fehlt auf weite Strecken bis heute. Die Wiederentdeckung der Rabbinen geht nun einher mit einer Reflexion der angewandten Methodik innerhalb der Bibelwissenschaft und trifft sich mit wachsender Skepsis gegenüber dem historisch-kritischen Ansatz und einer verstärkten Beachtung der Rezeptionsgeschichte von Texten. Methodische Neuorientierungen wie der „canonical approach", ein verstärktes Beachten hermeneutischer Theorien eines Derrida oder Levinas und eine wissenschaftliche Betrachtung des Phänomens der „Intertextualität" haben auf Umwegen zurück zur rabbinischen Textauslegung geführt, deren Hermeneutik sich mit diesen Ansätzen leichter in Verbindung bringen läßt als es bislang eine zu sehr auf die historische Verankerung des Textes, seiner vermuteten Vorstufen und ihrer ursprünglichen Aussageabsicht orientierte Exegese vermocht hat. In ihrem Bereich führende Wissenschaftler wie Rolf Rendtorff oder Erich Zenger haben durch ihre Arbeiten

2

Einführung

maßgeblich dazu beigetragen, daß auch die hermeneutischen Grundlagen geschaffen werden für eine erneuerte Bibelwissenschaft, die verstärkt der jüdischen Rezeption Rechnung trägt. Dabei wird endlich zu Kenntnis genommen, daß die hebräische Bibel eine zweifache Nachgeschichte zu verzeichnen hat, wobei das Judentum seine wirkungsgeschichtlich maßgebliche Definition erst in dieser rabbinischen Literatur erfährt. Dieser Band soll nun ansatzweise aufzeigen, auf welche Weise die jüdisch-rabbinische Tradition nun innerhalb der Bibelwissenschaft Verwendung finden kann. Er stellt sich dem schwierigen Problem der Hermeneutik, versucht, anhand einzelner Beispiele Anwendungen vor Augen zu führen und greift auf einen Bereich aus, der Judentum und Christentum gleichermaßen in den Bann zieht, der Verwendung von Bibel angesichts des Entsetzens unter dem Eindruck von Auschwitz. Rolf Rendtorffs Einleitungsreferat zum Symposion ist diesen Beiträgen vorangestellt, zeigt es doch schon die Richtung auf, in der Bibelwissenschaft weiter arbeiten soll. Eine Wiederentdeckung der rabbinischen Tradition braucht freilich ein intensives Verstehen der jüdischen Religion, Kultur- und Geistesgeschichte. Es kann nicht genügen, rabbinische Texte auszubeuten und zu beerben wie dies bei der Übernahme der hebräischen Bibel durch das Christentum der Fall war. Vielmehr bedarf es eines Einlassens auf die Botschaft des Judentums und eines ehrlichen Dialogs mit ihr.

Introduction to the Symposium "Ancient Jewish Exegesis and the Modern Study of the Hebrew Bible" by ROLF RENDTORFF

I am glad to have the opportunity to introduce this symposium on "Ancient Jewish Exegesis and the Modern Study of the Hebrew Bible". Fourteen years ago I had the privilege to lecture in the framework of the Eighth World Congress of Jewish Studies in Jerusalem on the same topic. 1 At that time I felt to be a lonely voice when claiming a more intensive study of Rabbinic exegesis by non-Jewish Bible scholars. Now a younger generation begins to discover the usefulness and the need of studying Ancient Jewish exegetical traditions for an appropriate understanding of the Hebrew Bible. I am glad about that, and I explicitly want to express my thanks to those who planned and organised this symposium. Reading through the topics and the abstracts of today's lectures one will be impressed by the variety of aspects and approaches. I want to single out some of them. First, there is a general consciousness of a continuity between the Hebrew Bible and its post-biblical interpretation. In my just mentioned earlier lecture I claimed as a first step the understanding of the continuity of the Hebrew language beyond the canon of the Hebrew Bible. While even today the majority of Christian Bible scholars usually do not refer to postbiblical Hebrew, for the participants of this symposium it seems to be 1 R. RENDTORFF, Rabbinic Exegesis and the Modern Christian Bible Scholar, in: Proceedings of the Eighth World Congress of Jewish Studies, Jerusalem, August 16-21, 1981. Panel Sessions, Bible Studies and Hebrew Language, Jerusalem 1983, 29-36 (also in: Canon and Theology, 1993, 17-24, German in: Kanon und Theologie, 1991, 15-22).

4

Rolf

Rendtorff

self-evident to do so. In that I see a fundamental change in the approach to postbiblical Jewish exegesis. Obviously there is now a growing new generation of younger Christian Bible scholars for whom the knowledge of postbiblical Hebrew belongs to the necessary tools of biblical exegesis. Reading postbiblical Jewish literature means first of all reading the earliest interpretation of the Hebrew Bible. This is the most important change compared with the traditional way of modern exegesis. Since the rise of modern biblical scholarship exegesis has mainly been carried out in a way as if there had not been any relevant exegesis altogether before the enlightenment. Exegesis means historical-critical exegesis as it began to develop in the eighteenth century. Earlier ways of exegesis are taken to be uncritical and naive and therefore without value for an appropriate understanding of the text. When some of us now turn to the earliest ancient exegesis, the question is: what can we learn from it, and how can we relate it to our own exegetical tradition? At this point I have to come back to the aspect of continuity. Modern critical exegesis is characterised by a fundamental discontinuity between the text and its author on the one hand and the modern interpreter on the other hand. The interpreter first of all has to acquire certain skills and to learn or to develop certain methods before he or she can begin to try to interpret a biblical text. For the authors of ancient Jewish literature things were fundamentally different. They were much closer to their biblical subject. They did not need to learn a foreign language and they lived in an almost uninterrupted continuity with the events and the stories recorded in the Bible. Therefore their approach to the biblical traditions was much more immediate. Of course, that does not mean that their approach had been naive and that they did not have their own hermeneutic interests. But those interests were of a totally different kind than that of a modern interpreter. But now, when we as modern interpreters come to those postbiblical texts we are almost as far from their authors as we are from the biblical texts themselves. That means that we cannot simply make ourselves contemporaries with those authors. If we would try to do so it would be naive in an unscholarly sense. Therefore we have to acquire additional skills and to learn or develop additional methods in order to understand those early postbiblical texts. Why are we doing that? The answer is again: Because of the continuity and the closeness of these texts to the biblical tradition itself: We want to learn and to understand how Jewish interpreters in the centuries after the close of the biblical canon understood these texts. For them these were not

Introduction

to the

Symposium

5

just texts but it was their Bible, their written Torah. That means that we want to understand how the first generations of Jews read their Bible. This could be and can be guided by a mainly historical interest. But in our context here today the leading question is as formulated in the title oft he symposium "Ancient Jewish exegesis and the modern study of the Hebrew Bible". This "and" points to an important double aspect of our endeavours. I am glad to see from the abstracts that the participants of this symposium are aware of this double aspect. Most of them are explicitly comparing or even confronting the results of their study of ancient Jewish texts to those of modern exegesis. So it would be interesting to reflect some points of such a confrontation. One of the main differences is the simple fact, that ancient Jewish exegesis always takes the text in its given form as we have it before us. In contrast to that, modern historical critical scholarship grew out of the observation of differences and divergence's within certain texts which seemed to indicate that the respective text was not an original unity but was only composed by certain earlier documents or sources or the like. In my eyes it is one of the most unfortunate developments in modern Bible scholarship to identify historical critical reading of biblical texts with dividing the texts into different layers before even to begin to interpret them. I believe that this is a narrowing and even a simplification of the task of modern critical scholarship. But for many Bible scholars this kind of approach might be a particular hindrance to taking ancient Jewish texts seriously because the authors of those texts seemingly did not see the tensions in the texts that according to critical scholarship has to be explained by source criticism and the like. But if we approach ancient Jewish exegesis of a certain text having those problems in mind we will often be surprised to realise that the ancient authors were fully aware of certain tensions or even contradictions in the biblical text. But they will not try to solve the problems by taking the text to pieces but by interpreting it. And often we will be surprised again to find very interesting interpretations and explanations of those problems. Of course, in some cases we will not be fully satisfied by those explanations because we have certain questions in mind originating from our post-enlightenment situation that were unknown to people in late antiquity. But nevertheless from reading ancient Jewish exegetical texts we will learn that its authors were far from being naive and that in many cases modern Bible scholars were not the first ones to detect certain inconsistencies in the texts. The other thing is to learn that it is worthwhile

6

Rolf

Rendtorff

to try to interpret those tensions within the text itself instead of removing the problems by cutting the text to pieces. This would be the second step after learning postbiblical Hebrew: to take ancient Jewish exegesis seriously even from the point of view of modern scholarship. One of the most interesting and important aspects of ancient Jewish exegesis are the exegetical rules, the middoth, that had been developed in the course of time. They are quoted as the seven middoth of Hillel, the thirteen middoth of Rabbi Jishmael and the thirty two middoth of Rabbi Eliezer. I want to give an example for the possible use even a modern scholar could make by some of those rules, which at the same time will be an example for the disregard of those rules by modern scholars. In 1953 the great Albrecht Alt published an article on the prohibition of theft in the decalog. 2 His thesis was that this prohibition refers to the theft of persons, not of money or other things as usually understood. Many Christian scholars followed him in this interpretation. Alt argued that the prohibition of theft in the decalog itself as well as in quotations in prophetic sayings always appears in the immediate context with misdeeds against persons. He found that to be a problem and declared explicitly that according to his knowledge so far no one had given a satisfying explanation to it.3 But the explanation had been given long before in ancient Jewish exegesis, and exactly in the same direction as Alt thought to find it. There are mainly two versions, a longer one in the Mekhilta (Bachodesh chap. 8) and a briefer one in the Gemara in bSanhedrin 86a. I quote the latter one: "The Rabbanan tought: »You shall not steal« (33311 K^). The Scripture speaks about stealing a person. You say: About stealing a person, and not rather about stealing money? You say so? Go and learn from the thirteen rules according to that Scripture is interpreted: 'Something that is learning from its context "QT). What is the Scripture speaking about? About persons. Therefore also here: about persons. Another teaching ("^TN K^3ri): »You shall not steal« (this time in plural, quoted from Lev 19,11: 133311 X1?). The Scripture speaks about stealing money. You say: About stealing money, and not rather about stealing persons? You say so? Go and learn from the thirteen rules according to that Scripture is interpreted: 'Something that is learning from 2

A. ALT, Das Verbot des Diebstahls im Dekalog, Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel 1, München 1953, 333-340. 3 ALT, Verbot 333.

Introduction

its context

to the

Symposium

1

"131). What is the Scripture speaking about?

About money. Therefore also here: about money." Here an exegetical rule is mentioned that is the seventh of the rules of Hillel and is also included in the thirteen rules of Rabbi Jishmael. T T 1^3170

something that is learning from its context, or, according to

Jastrow's dictionary: "which is clearly understood from the context". This is exactly what Alt argued: The context speaks about misdeeds against persons, therefore also the prohibition »You shall not steal« has to be understood as referring to persons - and vice versa in Lev 19,11 where the context speaks about possession, money and the like. B y the way, one could have learned that by just a brief look into Rashi's commentary on the Pentateuch. Rashi quotes the same exegetical rule using the same examples from biblical texts, and in addition he takes up the argument from the Mekhilta saying: "Just as »You shall not murder«, »You shall not commit adultery« speak about something that carries the death penalty, also speaks »You shall not steal« about something that carries the death penalty." This is another argument for understanding the prohibition of theft in the decalog as referring to the theft of a person that we find already in early Jewish exegesis. Therefore Albrecht Alt, instead of saying that so far nobody had given a satisfying explanation to the observations he had made he could have said that according to his opinion there are good reasons to renew and emphasise the insights of early Jewish exegesis. B y this example I want to show that modern Bible scholarship makes a fundamental mistake by ignoring these early beginnings of biblical exegesis. Saying that, I do not want to blame anybody because it is our exegetical and scholarly tradition we are brought up in that prevented us from being aware of those relations. But even that is the mistake. This brings me back again to the point of continuity and discontinuity. Modern Bible scholarship is characterised by a deep discontinuity towards its biblical subject. The relations to it are mainly built by the scientific means of modern thought together with certain traditions of Christian theology. A more intensified study of ancient Jewish exegesis could bridge this discontinuity in a certain way. As I said before: we can never try to make ourselves contemporaries with the authors of ancient Jewish exegesis. But by studying these earliest attempts of interpreting biblical texts we take a position at the opposite end of the history of interpretation looking from there to the observations and insights of modern scholarship.

8

Rolf

Rendtorff

This will cause a change in several respects. We will learn a new kind of observations and questions with regard to the texts that are not raised by modern scholarship. In certain cases this might lead to a different evaluation of questions that are asked by modern scholarship. Possibly not everything that today seemed to be important will remain as important if it will be compared and even confronted with those new insights from early Jewish exegesis. Of course, there should not be an either - or. In my view we should not leave the framework of modern Bible scholarship when turning to ancient Jewish exegesis. But we could widen and enrich the horizon of exegetical work and perhaps we could overcome a certain narrowness in modern Bible studies. Last but not least, the whole enterprise will be based on an attitude towards Judaism and the Jewish people that had left behind the still prevailing Christian feelings of superiority and supersessionism and the like. Reading post-biblical Hebrew texts and ancient Jewish exegesis presupposes and implies a new appreciation of Judaism and a new feeling of closeness and mutual understanding that could overcome certain bad Christian traditions. Therefore in my view the whole adventure in addition to its high scholarly relevance will also have a certain theological and, in a sense, political dimension. But this is just my personal view and I do not want to impose it on anybody else. The main thing during this day today will be the scholarly and personal exchange among each other.

I. Hermeneutik und rabbinische Literatur

Hermeneutik und rabbinische Literatur Einführung zum ersten Teil von GERHARD BODENDORFER

In der Behandlung biblischer Texte gab es in den letzten Jahren massive Diskussionen. Sollte man die Bibel aus religionsgeschichtlicher Sicht betrachten oder eher im Hinblick auf eine biblische Theologie verwerten? Sollten die einzelnen Aussagen auf ihrem konkreten historischen und literarischen Hintergrund beleuchtet und auch bewertet werden oder sollte die Bibel als Dokument des Glaubens in ihrer Gesamtheit letztlich als zeitlose Aussage betrachtet werden, die freilich auch einer modernen Gesellschaft Wegweisungen bieten kann? Verkürzt hatte man den Streit als „Religionsgeschichte versus Bibeltheologie" zu bezeichnen gesucht. Auch wenn die unterschiedlichen Positionen zeitweise recht heftig vertreten wurden, so wird sich in der Praxis eine klare Grenzziehung beider Positionen nicht treffen lassen. Eine Auseinandersetzung mit der Bibel wird sich aber in jedem Fall der Frage stellen müssen, wie dieses Dokument zu lesen ist und ob es eine Bedeutung für unsere Zeit haben kann. In diesem Zusammenhang hat die vor allem im englischsprachigen Raum stark vertretene kanonische Betrachtung der Bibel auf einen Umstand verwiesen, der in der historisch-kritischen Forschung ein wenig im Hintergrund blieb. Der biblische Text ist nicht einfach eine Ansammlung verschiedenster Stoffe, er wurde für eine konkrete Glaubensgemeinschaft in einem längeren Zeitabstand gesammelt und geordnet, strukturiert und in seiner „Endfassung", dem Kanon, zur unverfälschten Wiedergabe und zur weiteren dauernden Interpretation hinterlassen. In dieser Debatte wurden auch die blinden Flecken der historisch-kritischen Forschung thematisiert und eine verstärkte kanonische Betrachtung der biblischen Texte gefordert. So gehe bei einer rein historischen Betrachtung der Einzeltexte sowohl ihre Bedeutung für die Jetztzeit verloren wie auch ihre Verankerung im gesamten Text der

12

Hermeneutik

und rabbinische

Literatur

Bibel und ihre Wirkung auf die späteren Generationen. In der Folge haben sich zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Herausforderung gestellt, biblische Themen und Texte in einen gesamtbiblischen Rahmen zu stellen und dort zu betrachten. Ein bedeutendes Stichwort in diesem Zusammenhang hat einst Julia Kristeva geprägt: Intertextualität. Damit ist in der Literaturwissenschaft ein Instrumentarium gemeint, mit dem das zwischentextliche Verhältnis analysiert und nutzbar gemacht werden kann. Dabei spielen die Bezüge zu anderen Texte und die Art der Bezüge eine Rolle. Zugleich wird die Frage nach der „Dialogizität" gestellt, also etwa, ob der neue Text den alten bestätigt oder in Frage stellt und umgekehrt, wie der alte als bleibendes Korrektiv gegenüber Vereinseitigungen oder Engführungen durch die Überlieferung gelten kann. Daneben hat man sich zusehends mit der weiteren Rezeption der Bibel im christlichen und jüdischen Schrifttum auseinandergesetzt. Vor allem die rabbinisch-jüdische Tradition hat sich dabei als besonders wertvoll herausgestellt. In ihr finden sich bereits massiv die nun wieder geforderten Ansätze zu einer kanonischen Betrachtung der Schrift, in ihr wird Intertextualität groß geschrieben und nicht zuletzt die Aktualisierung des Textes herausgestrichen. Die folgenden Beiträge sollen exemplarisch aufzeigen, wie die rabbinische Literatur herangezogen werden kann und soll, um der modernen Bibeltheologie neue Impulse zu geben. Dabei werden verschiedene Ansätze vorgestellt und Fragen beantwortet: Gerhard Bodendorfer macht den Versuch einer Methodik der „kanonischen Dialogizität", bei der die (ersttestamentlich-)biblischen Texte in einen dialogischen Diskurs mit ihrer doppelten Rezeption in Juden- und Christentum gestellt werden und auch die Frage nach der Aktualisierung gestellt wird. Lieve Teugels widmet sich dem schwierigen Bereich einer Definition von „Midrasch", die angesichts der so vielseitigen und unterschiedlichen Verwendung des Begriffs unverzichtbar für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist. David M. Carr seinerseits bringt einen bislang kaum behandelten hermeneutischen Beitrag der rabbinischen Tradition für die Frage nach diachronen Markern und literarkritischen Einschnitten in Texten bei, der aufzeigt, wie wertvoll die rabbinische Tradition auch für eine historischkritische Betrachtung der Bibel sein kann. Clemens Thoma schließlich zeigt anhand der Behandlung von rabbinischen Gleichnissen, wie wichtig diese für eine Hermeneutik von rabbinischen Texten sind.

»Der Gerechte wird aus dem Glauben leben« Hab 2,4b und eine kanonisch-dialogische Bibeltheologie im jüdisch-christlichen Gespräch von GERHARD BODENDORFER

In diesem Sammelband soll der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung die jüdische Bibelauslegung für unsere moderne Bibelwissenschaft haben kann. Diese Frage darf nicht dahingehend mißverstanden werden, einen erneuten Versuch zu starten, die ohnehin historisch belastete Verwendung des jüdischen Erbes in christlicher Theologie durch eine neue Nuance zu bereichern. So soll das Judentum nicht wieder als Steinbruch für christliche Exegese verwendet werden. Beerbung des Judentums hat schon in der Antike zur Substitution geführt und damit die jüdischchristlichen Beziehungen aufs schärfste belastet. Eine Verwendung der rabbinischen Texte in einer - christlich dominierten - Exegese und Bibeltheologie muß sich daher des Eigenwertes dieser Tradition bewußt sein.

1. „Das Erste Testament

als Wort Gottes für uns heute"

Mit diesem Titel hatte mein verehrter Lehrer Notker Füglister seine bibeltheologische Vorlesung des Wintersemesters 1996/97 umschrieben, eine Vorlesung, die er nie mehr halten sollte. Er erlag am 12. September einem jahrelangen Leiden. Notker Füglister hat mit diesem Titel aber ein Programm vorgegeben, dem ich nach ihm verbunden bleibe. Der Titel zeigte die Nähe des Ansatzes von Füglister zu den großen Entwürfen eines Erich Zenger, eines Christoph Dohmen und eines Rolf Rendtorff. Mehr

14

Gerhard

Bodendorfer

und mehr befaßte sich Notker Füglister mit den Thesen von Brevard S. Childs und interessierte sich für rabbinische Theologie. Erich Zenger initiierte maßgeblich, nicht mehr vom Alten Testament zu sprechen. Konsequent strich Füglister diesen Begriff aus seiner Theologie. Konsequent ging er auch der Problematik nach, die damit verbunden war. Ich will im folgenden versuchen, in der gebotenen Kürze eines solchen Beitrages anhand eines Einzelverses einige Linien aufzuzeigen, die in einer Bibeltheologie dieses Zuschnitts nicht fehlen dürfen. Und ich will ansatzweise zeigen, wie rabbinische Literatur zum notwendigen Bestandteil biblischer Theologie werden kann. Dazu gehört:

a) Das Erste Testament

als Glaubenszeugnis

verstehen

Das Erste Testament ist konsequent als Glaubenszeugnis ernst zu nehmen. Brevard S. Childs ist recht zu geben, wenn er eine Auslegung fordert, die den Anforderungen der Zeit, den Fragen des Hier und Heute, gerecht werden kann. Sie möge den Text nicht als „Quelle" religionsgeschichtlichen Fragens verstehen: „Wenn man den Text als Glaubenszeugnis hört, beinhaltet dies eine Identifikation mit Israels theologischer Intention, Zeugnis von einer göttlichen Realität, die in Raum und Zeit hineingekommen ist, abzulegen." 1 Als Glaubenszeugnis wird der Text zum Wort Gottes. Als Glaubenszeugnis ist er Ausdruck einer Übereinkunft einer Gemeinschaft, die in einem länger dauernden Kanonisierungsprozeß diese Schrift zum verbindlichen und heiligen Ausdruck der Gemeinschaft macht. b) Das Erste Testament

kanonisch

interpretieren

Bibeltheologisch kann man die einzelnen Texte nicht nur für sich lesen, sondern im Kontext des gesamten Kanons. Diesbezüglich sind bereits viele intelligente und umfangreiche Arbeiten geschrieben worden, die ich hier voraussetzen darf. 2 Pointiert formuliert es Erich Zenger, dem ich mich diesbezüglich vollinhaltlich anschließe. 3 1

B. S. CHILDS, Die Theologie der einen Bibel. Band 1. Grundstrukturen, Freiburg u.a. 1994, 125. 2 Vgl. dazu etwa BALDERMANN, I., u.a. (Hg.), „ Z u m P r o b l e m des biblischen K a n o n s " , J B T H 3, Neukirchen 1988; A. u. J. ASSMANN, K a n o n und Z e n s u r als kultursoziologische Kategorie, in: dies. (Hg.), K a n o n und Zensur. Beiträge zur A r c h ä o l o g i e der literarischen K o m m u n i k a t i o n II, M ü n c h e n 1987, 7-27; J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in f r ü h e n H o c h k u l t u r e n , M ü n c h e n 1992;

»Der Gerechte wird aus dem Glauben

c) Die Bedeutung

der

leben«

15

Aktualisierung

Ausgehend von diesen Bemerkungen hat sich die Notwendigkeit der Interpretation der Bibel erwiesen. Sie muß als Zeugnis einer vergangenen Kultur in das Hier und Heute übertragen werden. Um noch einmal an Notker Füglister zu erinnern: Es war gerade diese Aktualisierung, für die er lebte. Er verlangte von einer modernen Bibeltheologie konsequente Anwendung auf die Probleme der Zeit. Damit stand er, der Benediktiner, in gut „katholischer" Tradition, formulierte doch schon das für die katholischen Studien zuständige Dekret Sapientia Christiana in Art. 66: „Die Theologische Fakultät hat das Ziel, die katholische Lehre mit größter Sorgfalt aus der göttlichen Offenbarung zu erheben, sie nach der ihr eigenen wissenschaftlichen Methode tiefer zu durchdringen und systematisch darzulegen sowie im Lichte dieser Offenbarung sorgsam nach Lösungen für die menschlichen Probleme zu suchen." Die Suche nach den Lösungen für die menschlichen Probleme steht hier als Ziel am Schluß. Sie folgt den beiden Grundprinzipien: 1. der Durchdringung des Ersten Testaments in der Weise historisch-kritischer und literaturwissenschaftlicher Forschung und 2. in systematischer Hinsicht, also im Blick auf den Gesamtkanon und seiner bibeltheologischsystematischen Durchdringung. Insgesamt tritt so die Bibel als Offenbarung in den Blick.

d) Die kanonische

Dialogizität

Erich Zenger fordert in seiner Einleitung eine „Hermeneutik der kanonischen Dialogizität" in bezug auf das komplexe Verhältnis der beiden Teile der christlichen Bibel und auch in bezug auf die Beziehung zwischen Christentum und Judentum. Er beschreibt Erstes und Zweites Testament als gleichberechtigte Partner, die im Diskurs stehen. Die folgenden Zitate möchte ich gerne auch als persönliches Credo übernehmen. Es drückt auch eine Motivation aus, warum ich als Mitherausgeber dieses Buches fungiere:

J. SANDERS, Adaptable for Life. The Nature and Function of Canon, in: ders., From Sacred Story to Sacred Text, Philadelphia 1987, 9-39; O. H. STECK, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament. Ein Versuch zur Frage der Vorgeschichte des Kanons, BSt 17, Neukirchen-Vluyn 1991, 13-21. 3 E. ZENGER u.a., Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1.1, Stuttgart u.a. 1995, 44f.

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Gerhard

Bodendorfer

„Das Neue Testament ist für Christen kein bloßer Zusatz oder Anhang zum Ersten Testament und das Erste Testament ist kein bloßes Vorwort oder nur eine (eigentlich unwichtig gewordene) Vorgeschichte des Neuen Testaments, sondern sie bilden ein polyphones, polyloges, aber dennoch zusammenklingendes Ganzes, das nur als solches 'Wort Gottes' ist, das vom dramatischen Geschehen der Erlösung der ganzen Welt kündet, dessen 'letzter' Akt mit dem Messias Jesus Christus verbunden ist." Er fährt fort: „Juden und Christen lesen die gleichen biblischen Schriften als 'Heilige Schrift'. Die Juden lesen sie als ihren 'Tanach', die Christen lesen sie als ihr 'Erstes Testament'. Beide tun das im Horizont ihrer je spezifischen Tradition, auf dem Boden der 'mündlichen Tora' (aus Mischna und Gemara bestehender Talmud) bzw. auf dem Boden des Neuen Testaments. Juden und Christen lesen diese 'Heiligen Schriften' nicht aus historischem, sondern aus kanonischem Interesse, d.h. um aus ihnen in ihrer Gegenwart Gottes berufende und rettende Anrede zu hören - für ein Leben im Dienst der in dieser ihrer gemeinsamen Welt anbrechenden Gottesherrschaft. Beide hören die Anrede jeweils anders. Und es kommt darauf an, die verschiedene Lesart nicht in Gegnerschaft, sondern in Partnerschaft zu respektieren. Es ist an der Zeit, daß Juden und Christen das sie Unterscheidende als Chance einer lebendigen Gemeinsamkeit begreifen und akzeptieren. Beide können von und an der jeweils anderen 'Lesart' der Heiligen Schriften lernen, ohne daß einer den anderen schulmeisterlich und besserwisserisch belehrt (vgl. auch Jer 31,33). Dies setzt voraus, daß dem Tanach und dem Ersten Testament ein bleibender Eigenwert zuerkannt wird und daß dieser sich in der jüdischen und in der christlichen Auslegung jeweils unterschiedlich entfalten kann. Diese 'Heiligen Schriften' haben gewissermaßen einen relationalen Eigenwert, insofern sie sowohl auf die rabbinische wie auf die christliche Tradition bezogen werden können, ohne daß die eine Relation die andere Relation aufhebt - und ohne daß diese Relationen ihrerseits diesen bleibenden Eigenwert je voll ausschöpfen können. Im Gegenteil: Der Tanach und das Erste Testament sind der 'Kanon', dem beide Gemeinschaften, Judentum und Christentum, verpflichtet bleiben und an dessen Wortlaut sich beide Gemeinschaften durch den (prozessualen) Vorgang der Kanonisierung so gebunden haben, daß sie nicht nur den Text, sondern vor allem den im Text eingegrenzten Sinn weiterüberliefern und unter veränderten gesellschaftlichen und geschichtlichen Bedingungen je neu aktualisieren wollen.

»Der Gerechte wird aus dem Glauben

17

leben«

So wird die Kirche und werden die Christen lernen (müssen), ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrem Alten Testament, das zwischen Verwerfung und Vereinnahmung hin- und herschlägt, von Grund auf zu erneuern: indem sie dem jüdischen Tanach und dem christlichen Ersten Testament ihren relationalen Eigenwelt zugestehen - und deren jeweils unterschiedliche programmatische Endgestalt wahrnehmen und gelten lassen." 4 Diese Erkenntnisse sind unverzichtbare Grundvoraussetzungen moderner Theologie. Konsequent müßte eine solche somit folgende Erwartungen erfüllen. Sie müßte 1. den Eigenwert der einzelnen Texte erkennen = historisch-kritische und literaturwissenschaftliche Exegese 5 betreiben; 2. das Erste Testament als kanonische Einheit auslegen; 3. das Erste Testament in einen dialogischen Diskurs mit der rabbinischen Tradition stellen; 4. das Erste Testament in einen dialogischen Diskurs mit dem Zweiten Testament stellen. Mit dem Punkt 4 ist eine gesamtbiblische Theologie aus christlicher Sicht verbunden, mit dem Punkt 3 die Offenheit für die zweifache Rezeptionsgeschichte in Juden- und Christentum. Dies ist ein Ansatzpunkt für die in diesem Sammelband reflektierte Bezugnahme auf das rabbinische Schrifttum. Ich möchte nun anhand eines Einzelbeispieles die Bedeutung der rabbinischen Tradition unter diesen Voraussetzungen etwas erläutern.

2. Habakuk 2,4b: »Der Gerechte

wird aus dem Glauben

leben«6

Das Buch Habakuk beschreibt in seinen knappen drei Kapiteln das Ringen der Gerechten um Leben in der Bedrohung durch Krieg, Okkupation, Gewalt. In 1,4 steht die Tora in Frage, das Recht setzt sich nicht durch, ist außer Kraft gesetzt. Böse umstellen die Gerechten und verdrehen das Recht. Jene Menschen (in Juda), denen die Tora ein Anliegen ist, werden bedroht. Ihr Leben, ihre Existenz, steht auf dem Spiel. Nur dreimal taucht der Begriff „Gerechter" (pvTC) im Hab auf, in 1,4; 1,13 und 2,4. Diese drei 4

ZENGER, Einleitung 20f. Über sie braucht hier nicht extra gehandelt zu werden. Die diachrone Betrachtung von Bibelstellen ist wissenschaftlich ausreichend erforscht und auch ausführlich kritisiert. Ich setze diese Arbeit hier als notwendig voraus und beschränke mich auf die synchrone und kanonische Betrachtungsweise. 6 Zahlreiche Hinweise verdanke ich hierzu meinen Freund Oskar DANGL. 5

18

Gerhard

Bodendorfer

Texte sind also deutlich zusammenzulesen. Dabei gibt 1,4 mit seinem Hinweis auf die Tora vor, was den Gerechten ausmacht, das Leben in und mit dieser Tora. 7 B sTt f: o• n ^- vbt

K •• ^ -••k b i : m iTn

a i s nt

I ••

p-HsrrnK - p r•o: n- »tth •- TT I

a b c d

^

»Darum ist die Tora ohne Kraft, und das Recht setzt sich gar nicht mehr durch, Denn der Böse umstellt den Gerechten, und so wird das Recht verdreht.«

Tora und Recht stehen in deutlichem Parallelismus. Beides hat keine Kraft mehr, b und d rahmen c. c gibt den Grund für das Scheitern der Tora und des Rechts an. Der ist hier wohl kaum ganz Juda, was gelegentlich angenommen wurde, sondern der Toratreue innerhalb des Volkes. 8 2,4 nun stellt die Quintessenz des Buches dar. Darauf haben bereits Elliger 9 , Garland 10 , Holland 11 , Nowack 12 , Szeles oder Taylor/Thurman 13 hingewiesen. Der Gerechte wird darin als einer beschrieben, der Leben erhält, und zwar „durch seine H3TOK": : n T r i n r m x a p-nai i a itis? rviyyKb

n^si? nan

Was diese naiQN genau meint, ist in der Forschung umstritten. Begriffe wie „Treue" oder „Standhaftigkeit" (Garland) stehen neben einem „Festhalten an den Geboten" (Sellin 14 ). Watts 15 meint, es sei das Leben

7 Vgl. dazu auch M. E. SZELES, Wrath and Mercy. A Commentary on the Books of Habakuk and Zephaniah, Grand Rapids 1987. 8 Vgl. hierzu S.-J. OH, „Der Gerechte wird durch den Glauben leben". Eine exegetische und traditionsgeschichtliche Untersuchung zum Zitat Hab 2,4b bei Paulus als ein Beitrag zum Verständnis des Ursprungs des neutestamentlichen Glaubensbegriffes in biblisch-theologischer Betrachtung, Tübingen 1992, 79-100. 9 K. ELLIGER, Das Buch der zwölf kleinen Propheten II: Die Propheten Nahum, Habakkuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi, ATD 25/2, Göttingen 8 1982. 10

11

D . D . GARLAND, H a b a k u k , B B C 7, N a s h v i l l e 1972, 2 4 5 - 2 6 9 .

M. HOLLAND, Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, WStB, Wuppertal 1986. 12 W. NOWACK, Die kleinen Propheten, HK III/4, Göttingen 3 1922. 13 CH. L. TAYLOR JR. / H. THURMAN, The Book of Habakkuk, IntB 6, New York 1956, 973-1003. 14 E. SELLIN, Das Zwölfprophetenbuch, Leipzig 3 1930.

»Der Gerechte

wird aus dem Glauben

leben«

19

nach der Lehre Gottes auch in der Krise gemeint. 16 Diese Ansätze lassen sich als ethisches Verständnis umschreiben. Dagegen stehen jene, die n^lüK als Vertrauen auf Gott und sein Wort interpretieren wollen, so Nowack, Peter 17 oder Elliger. Ausdauer und Standhaftigkeit gemischt mit dem Vertrauen auf Gottes Wort ergeben nach Szeles die somit durchaus schillernde Bedeutung des Wortes. Oh 18 plädiert nur in dieser Einzelstelle für eine Ableitung von dem Verb ^QKH im Sinne von „Glauben". Nach Durchsicht der Belege sei seiner Ansicht nach in den übrigen Stellen, die von einer nyiOX des Menschen sprechen, von einer zwischenmenschlichethischen und nur hier von einer religiös-theologischen Bedeutung auszugehen. Diese Annahme ist keineswegs zwingend. So zeigt etwa der Kontext von Jer 7,28 deutlich eine Beziehung zum Bund mit Gott auf. Bezugspunkt dieses ín310K3 ist das folgende Verb, nicht das vorausgehende Substantiv. Selbst die MT-Akzente weisen darauf hin, daß hier keine Adjunktion zum Substantiv gedeutet werden soll, sondern IrfllöKS instrumental gebraucht wird. n31QK zu Gott bedeutet also Leben. Dies meint nach Roberts 19 , die negative Gegenwart aushalten zu können im Vertrauen auf Gottes Treue. M.E. ist im Kontext des Buches folgende Interpretation des Verses am Wahrscheinlichsten: Der Gerechte ist jener, der die Tora befolgt. Dieser Gerechte ist nicht erst durch den Glauben gerecht gemacht. Vielmehr wird sein Verhalten prinzipiell vorausgesetzt. Da die Tora nach 1,4 allerdings aufgrund der Situation außer Kraft gesetzt ist, nützt das Handeln nach der Tora nicht, um das Leben zu bewältigen. Die Gewalt ist zu groß, Gerechtigkeit und Recht setzen sich nicht durch. Dieser Gerechte, dessen Gerechtigkeit chancenlos ist in der Welt der Ungerechtigkeit, wird Leben haben - aufgrund des Glaubens, des Vertrauens auf den Gott, der sich auch in Zeiten bewährt, in denen augenscheinlich das Unrecht regiert. Tora und Glaube/Treue sind hier keine Gegensätze. Dies beweist schon allein die Verwendung des „Gerechten". Aber die Tora richtet nichts aus. Sie ist in dieser Situation kraftlos. Nur der Glaube erhält am Leben. T ist daher 15 J. D. W. WATTS, The Books of Joel, Obadiah, Jonah, Nahum, Habakkuk and Zephaniah, CBC, Cambridge 1975. 16 So auch A. H. J. GUNNEWEG, Habakuk und das Problem des leidenden p"H2S, ZAW 98 (1986) 400-415, 414: „Gemeint ist das Bleiben in der Tora als der Offenbarung Gottes." 17 A. PETER, Die Bücher Zephanja, Nahum, Habakuk, GSL.AT 3, Düsseldorf 1973. 18 OH, Gerechte 107ff. 19 J. J. M. ROBERTS, Nahum, Habakkuk and Zephania, OTL, Louisville / Westminster 1991.

20

Gerhard

Bodendorfer

nicht identisch mit dem Tun der Tora, auch nicht identisch mit der Treue zu dieser Tora, es ist die unerschütterliche Hoffnung derer, die an der Tora festhielten, daß Gott sich gegen das Unrecht durchsetzt. Es ist jenes unbeugbare Vertrauen auf den Gott, der sich bewährt gegen jene, die ab 2,5 beschrieben werden. Gierig Habsüchtige, raffgierige Steuereintreiber, Ausbeuter, Umweltsünder und Tiermörder stehen vor dem Gericht. Alles dies ist letztlich, das zeigt 2,18-20, Götzendienst. Wer so handelt, der vertraut und hofft nicht auf den Gott, den der Gerechte erhofft. Nein, der Gerechte handelt anders. Sein konträres Handeln ist logische Voraussetzung seines Gerechtseins, nicht aber Garant des Über-Lebens. Nur seine Hoffnung läßt ihn bestehen. Die Septuaginta verändert den MT an entscheidender Stelle: ö öe SiKaioc; €K n i a i e u i ; pov i i i a e t o a . Damit kann einmal gemeint sein, daß der Gerechte wegen der Treue Gottes lebt, aber auch, und dies ist nicht von der Hand zu weisen, daß er aufgrund der Treue zu Gott lebt. Damit wäre das Verständnis des MT wieder gewahrt. Das Neue Testament zitiert diese Stelle Hab 2,4 dreimal, in Gal 3,11; Rom 1,17 und Hebr 10,37f. Gerhardt Herold meint in seiner Untersuchung zu Rom 1,17, es „verläuft der Weg von Hab.2 zu Paulus über die LXX und das hellenistische Judentum und nicht über das kasuistische Verständnis von Hab.2, wie es im Rabbinat durchgespielt wird." 20 Dies veranlaßt mich zu meinen folgenden Ausführungen, in denen gezeigt werden soll, daß die christliche Exegese in der Wahrnehmung des rabbinischen Materials einiges revidieren muß und dazulernen kann: An wenigen Stellen in Midrasch und Talmud ist Hab 2,4 verwertet worden. 21 Das wohl bekannteste Stück stammt aus dem babylonischen Talmud 22 , nämlich bMak 23b-24a:

20

G.

H E R O L D , Zorn und Gerechtigkeit Gottes bei Paulus. Eine Untersuchung zu Rom EHS.T 1 4 , Bern / Frankfurt/M. 1 9 7 3 , 1 5 0 . So in der Mek Beschallach 7 zu Ex 1 4 , 3 1 ( L A U T E R B A C H 2 5 4 ) ; Tan Beschallach 1 0 ; TanB Teruma 3; Tan Schoftim 9 und TanB Schoftim 10; ExR 23,5; Zusatz zu MidrPss 17 (in einigen Mss.); KohR zu Koh 3,9. Die unterschiedlichen Bedeutungen, die der Vers hier einnehmen konnte und zum Teil vom Bavli stark abweichende Tendenzen können hier nicht besprochen werden und verlangen nach weiteren Untersuchungen, ebenso wie die Frage nach literarischen Abhängigkeiten. 22 Hier ist deutlich darauf hinzuweisen, daß eine kritische Untersuchung der rabbinischen Literatur immer zwischen palästinischen und babylonischen Texten zu unterscheiden hat, ehe hier vorschnell Systematisierungen vorgenommen werden. 1,16-18, 21

»Der Gerechte wird aus dem Glauben

3. bMakkot

leben«

21

23b-24a

A. Ausgangsthese: Rabbi Simlaj trug vor: Sechshundertdreizehn Vorschriften sind Mose überliefert worden; dreihundertfünfundsechzig [Verbote], entsprechend den Tagen des Sonnenjahres, und zweihundertachtundvierzig [Gebote], entsprechend den Gliedern des Menschen. B. Ausgangsvers\ Rabbi Hamnuna sagte: Welcher Schriftvers deutet hierauf? »Ein Gesetz verordnete uns Mose zum Erbbesitze für die Gemeinde Jaqobs« (Dtn 33,4). Der Zahlenwert [des Wortes] Tora beträgt soviel. [Das Wort] Tora beträgt nämlich sechshundertundelf, und [die Gebote]: »Ich bin«, und: »Du sollst nicht haben« (Dekalog: Ex 20,2.3), hörten wir aus dem Munde der Allmacht. C. Kanonische Exegese 1: Hierauf kam David und brachte sie auf elf, denn es heißt: »Ein Psalm Davids: Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg? Der makellos lebt und das Rechte tut; / der von Herzen die Wahrheit sagt und mit seiner Zunge nicht verleumdet; der seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht; der den Verworfenen verachtet, doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren hält; der sein Versprechen nicht ändert, das er seinem Nächsten geschworen hat; der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt. Wer sich danach richtet, der wird niemals wanken.« (Ps 15,1-5): D. Erläuterung, Rezeption und Aktualisierung: »Der makellos lebt«, das ist Abraham, von dem es heißt: »Geh deinen Weg vor mir und sei makellos« (Gen 17,1). »Und das Rechte tut«, wie beispielsweise Abba Hilqijahu. »Der von Herzen die Wahrheit sagt«, wie beispielsweise Rabbi Saphra. »Und mit seiner Zunge nicht verleumdet«, das ist unser Vater Jaqob, von dem es heißt: »Vielleicht wird mich mein Vater belasten, so würde ich in seinen Augen wie ein Betrüger dastehen« (Gen 27,12). »Seinem Freund nichts Böses antut«, der nicht das Handwerk seines Freundes abwertet. »Und seinen Nächsten nicht schmäht«, der sich seiner Verwandten annimmt. »Der den Verworfenen verachtet«, das ist der König Hiskija, der die Gebeine seines Vaters auf einer Strickbahre schleifte (vgl. 2 Chr 28,27). »Doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren hält«, das ist Joschafat, König von Juda, der, wenn er einen Gelehrten sah, von seinem Throne aufstand und ihn umarmte und küßte und ihn („mein Vater, mein Vater"), „mein Lehrer, mein Lehrer" und „mein Meister, mein Meister" nannte (vgl. bKet 103b). »Der sein Versprechen nicht ändert, das er seinem Nächsten geschworen hat«, wie beispielsweise Rabbi Jochanan\ er sprach nämlich einst: Ich will im Fasten verweilen, bis ich nach Hause komme.

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»Der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht«, nicht einmal an einen Nichtjuden. »Und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt«, wie beispielsweise Rabbi Jischmael b. Rabbi Jose. Es heißt: »Wer sich danach richtet, der wird niemals wanken«. E. Hermeneutischer Diskurs: Wenn Rabban Gamliel an diesen Vers herankam, weinte er, indem er sprach: Nur, wer dies alles tut, wird nicht wanken, wer aber nur eines von diesen tut, wird wanken! Da entgegnete man ihm: Es heißt ja nicht: wer dies alles tut, sondern: »Wer sich danach richtet«, auch eines von diesen. Wie willst du, wenn du nicht so erklären wolltest, folgenden Schriftvers erklären: »Ihr sollt euch nicht mit all diesem verunreinigen« (Lev 18,24): Ist man etwa nur dann unrein, wenn man sie alle berührt hat, nicht aber, wenn eines von diesen!? Vielmehr heißt dies: mit einem von diesen, ebenso auch hierbei: eines von diesen. F. Kanonische Exegese 2: Hierauf kam Jesaja und brachte sie auf sechs, denn es heißt: »Wer rechtschaffen lebt und immer die Wahrheit sagt, wer es ablehnt, Gewinn zu erpressen, wer sich weigert, Bestechungsgelder zu nehmen, wer sein Ohr verstopft, um keinen Mordplan zu hören, und die Augen schließt, um nichts Böses zu sehen« (Jes 33,15): G. Erläuterung, Rezeption und Aktualisierung: »Wer rechtschaffen lebt«, das ist unser Vater Abraham, von dem es heißt: »Denn ich habe ihn dazu auserwählt, damit er seinen Kindern gebiete« (Gen 18,19). »Und immer die Wahrheit sagt«, der seinen Freund nicht öffentlich kränkt. »Wer es ablehnt, Gewinn zu erpressen«, wie beispielsweise Rabbi Jischmael b. Elischa. »Wer sich weigert, Bestechungsgelder zu nehmen«, wie beispielsweise Rabbi Jischmael b. Jose. »Wer sein Ohr verstopft, um keinen Mordplan zu hören«, der nicht die Schmähung von Gelehrten schweigend anhört. »Und die Augen schließt, um nichts Böses zu sehen«, wie Rabbi Hija b. Abba erklärte, der keine Frauen betrachtet, wenn sie beim Waschen stehen. Und es heißt: »Der wird auf den Bergen wohnen« (Jes 33,16). H. Kanonische Exegese 3: Hierauf kam Micha und brachte sie auf drei, denn es heißt: »Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht (£3SOT2) tun, Güte/Treue lieben HD!"! rQHK), in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott.« (Mi 6,8). I. Erläuterung, Rezeption und Aktualisierung-. »Recht tun«, das ist die Rechtspflege Q"'rI). »Güte/Treue lieben«, das ist die Wohltätigkeit (nii7,Q3 D,"TOn). »in Ehrfurcht den Weg gehen«, das ist das Hinausführen eines Toten und das Ausstatten einer Braut.

»Der Gerechte wird aus dem Glauben

leben«

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J. Hermeneutischer Diskurs: Es sind Dinge, die man [durch einen Schluß] vom Leichteren auf das Schwerere folgern kann: wenn die Tora von Dingen, die man nicht heimlich zu tun pflegt, sagt, daß man sie heimlich tue, um wieviel mehr gilt dies von Dingen, die man heimlich zu tun pflegt. K. Kanonische Exegese 4\ Hierauf kam Jesaja abermals und brachte sie auf zwei, denn es heißt: »So spricht der Herr: Wahret das Recht und sorgt für Gerechtigkeit« (Jes 56,1). L. Kanonische Exegese 5: Alsdann kam Arnos und brachte sie auf eines, denn es heißt: »So spricht der Herr zum Hause Israel: Forscht nach mir, dann werdet ihr leben« (Am 5,4). M. Hermeneutischer Diskurs: Rabbi Nahman b. Isaak wandte ein: Vielleicht ist unter »forschen« zu verstehen, nach der ganzen Tora. - Vielmehr (gilt), N. Kanonische Exegese 6: hierauf kam Habakuk und brachte sie auf eines, denn es heißt: »Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben« (Hab 2,4). Um dem exegetischen Anspruch gerecht zu werden, müßte nun dieser Text für sich betrachtet und einer historisch-kritischen und literaturwissenschaftlichen Untersuchung zugeführt werden. Der Talmud ist hier nicht anders zu behandeln wie ein Bibeltext. Textkritik, Literarkritik, Überlieferungsgeschichte wären anzuwenden. Diesbezüglich würde sich der Text als überlieferungsgeschichtlich gewachsen erweisen. In Tan Schoftim 9 und TanB Schoftim 10 findet sich eine Parallele, in der Rabbi Hamnunas Einrede, die Anwendungen und Aktualisierungen und auch die hermeneutischen Diskurse fehlen. Möglicherweise haben die Autoren der BavliVersion eine ähnliche Vorlage benützt und ausgebaut. Literarkritisch erscheint sie mir dennoch eine Einheit. Es spricht nichts dagegen, daß der Text so redigiert und in den Kontext eingefügt wurde. Der umgekehrte Weg, wonach die Tanchuma-Version eine abgespeckte Fassung des Bavli darstellt, wäre denkbar 23 , doch sind die babylonischen und palästinischen Überlieferungen jeweils in ihrer eigenen Entwicklung zu betrachten. Simlajs Ausspruch begegnet ebenfalls in ExR 23,7. Dort sagt er auch, was im Bavli Hamnuna zugesprochen wird. In der PRK 12,1 findet sich gewissermaßen das Gegenstück zum Bavli. Hier werden in einer Predigt des Juda b. Simon Adam, Noach, Abraham, Jakob und Juda erwähnt, denen 23 Vgl. W.BACHER, Die Agada der palästinensischen Amoräer I, Straßburg 1892, Nachdruck Hildesheim 1965, 558.

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bestimmte Gebote auferlegt worden waren. Aber erst am Sinai waren sie Mose in Fülle geboten worden, nämlich in der auf Sonnenjahr und Anzahl der Glieder zurückzuführenden Menge von 613 (vgl. auch MidrSpr 31, Buber 110). Die Verbindung von Noachidischen Geboten und den Sinaitischen findet sich schon in der Mek Bachodesch 5 zu Ex 20,2 (Lauterbach II 235f.). Weitere Belegstellen wären PesR 22; ExR 42,8; HldR 1,2,2, PRE 41. Zweifellos ist also die 613-Anzahl der Gebote - zumindest ab amoräischer Zeit 24 - verbreitet. Sie gliedern sich in 365 Verbote und 248 Gebote. Diese Zahlen sind Symbole, Symbole für das Jahr und für die Glieder des Menschen. Vielfach und auf unterschiedliche Weise wurden diese Symbole interpretiert und ausgedeutet. Es mag hier vorerst genügen, ein paar kurze Bemerkungen dazu zu machen: 365 Tage im Jahr, also allezeit, sollen die Israeliten sich der Tora erinnern. Allezeit ist aber auch sie ihnen Hilfe und Begleiterin, Rückhalt und Zuversicht. Jedes einzelne Glied des Menschen soll die Tora loben und ehren. Jedes Glied des Menschen ist somit in einer Form gleichbedeutend, wie auch die Toragebote alle in einer Weise gleichbedeutend sind. Die spätere kabbalistische Schrift „Tikkune Sohar" konnte beispielsweise sagen: „Die Tora hat einen Kopf, Körper, Herz; Mund wie auch andere Glieder, in derselben Weise wie Israel" (Tikkun 21 52b). Und wer immer einem religiösen Juden bei der Verrichtung von Gebeten oder auch beim Lernen der Tora zugesehen hat, wird bemerkt haben, daß er als ganze Person, mit Körper und Seele, mit jedem einzelnen Glied sozusagen, zu beten versucht. Jedes Glied des Körpers ist durchdrungen von der Tora, so wie einst in der Wüste Gott den Israeliten das Manna herabregnen ließ und es in jedes einzelne ihrer Glieder eindrang und dieses somit stärkte. Die Überlieferung in bMak hat mit dem Hinweis auf die 365 Verbote und die 248 Gebote also keineswegs zum Ausdruck bringen wollen, daß eine ungeheure Anzahl an kaum zu bewältigenden Einzelweisungen am Sinai auf die Israeliten herabprasselten. In den Zahlen war der Hinweis auf das Gesamt des Lebens ausgedrückt. Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang, in der Nacht und am Tag sollte der gesamte Mensch mit allen seinen Teilen die lebensspendende Weisung Gottes hören, studieren, befolgen und danach handeln. In der Folge sucht R. Hamnuna nach einem Grund für die Zahl 613 und findet sie im Zahlenwert der hebräischen Buchstaben für „Tora", der - 400 = T, 6 = W, 200 = R und 5 = H - 611 ergibt. Mit den zwei direkt von Gott an Israel ergangenen Weisungen hat man somit 613. 24 Vgl. dazu F. AVEMARIE, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der frühen rabbinischen Literatur, TSAJ 55, Tübingen 1996, 51f. Anm. 9.

>Der Gerechte wird aus dem Glauben

leben«

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Von dieser Zahl ausgehend entwickelten sowohl palästinische wie babylonische Gelehrte den Versuch, einen Kern der Gebote zu ermitteln. Dies soll nun in Beziehung gesetzt werden zu den unter 1. formulierten Aufgaben der Bibeltheologie: Der rabbinischen Tradition ist hier unumstritten "bewußt, daß sie die Bibel als Offenbarung Gottes, somit als Glaubenszeugnis verwendet. Dafür garantiert die direkte Begegnung Gottes mit Mose, dafür zeugt aber auch die hermeneutische Verwendung der Bibel als unumstößlicher Autoritätsbeweis. Der Bibelvers gilt als Gotteswort. In einem komplexen System von intertextuellen Bezügen verwendet die rabbinische Literatur die Bibel als Kanon.25 Die einzelnen Texte ergänzen sich, ergeben ein volleres, ein farbenreicheres Bild. Sie schließen gegenseitige Lücken und lösen Widersprüche auf. Sie können aber auch eine Interpretationsrichtung angeben und eine innere Entwicklung zeigen. Dies geschieht beispielhaft in unserem Text. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der kanonischen Betrachtung der jüdischen Bibel haben Zenger und Dohmen in ihren Forschungen festgehalten: 1. Die hebräische Bibel will durch ihre Rahmenteile einen deutlichen Torabezug herstellen (Dtn 34,10-12; Mal 3,22-24; 2 Chr 36,22-23). Die Bibel sei unter diesem Tora-Vorzeichen zu verstehen und auszulegen. 2. Die Septuaginta will durch ihre Einteilung des Materials einen neuen Schwerpunkt auf die prophetischen Schriften setzen. In der christlichen Bibel hat dies auch die Funktion, auf Jesus als den eschatologischen Propheten hinzuführen. „Etwas vereinfacht lassen sich die beiden verschiedenen Kanonstrukturen von Tanach und Altem Testament auf unterschiedliche inhaltliche Rezeptionen der Tora-Nebiim-Schrift zurückführen. Während der Tanach mit seinem dritten Kanonteil ganz deutlich an der Tora als Ausgangspunkt der ganzen Schrift orientiert bleibt - d.h. sowohl die Propheten (Nebiim) als auch die Schriften (Ketubim) werden von der Tora her gelesen und verstanden, was der durch die Chronik gesetzte Abschluß verdeutlicht (s.o.) bildet die Prophetie den Ausgangspunkt der Rezeptionslinie, die im späte-

25 Vgl. dazu die grundlegenden Arbeiten von Ch. DOHMEN / G. STEMBERGER, Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments, Kohlhammer Studienbücher Theologie 1.2, Stuttgart u.a. 1996 und vor allem D. BOYARIN, Intertextuality and the Reading of Midrash, Bloomington 1990.

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ren Alten Testament greifbar wird. Die Wirkungsgeschichte zeigt somit, daß die zu Beginn des 2. Jahrhunderts v.Chr. vorliegende Bibel Israels aus Tora und Nebiim sozusagen von ihrem einen und von ihrem anderen Ende her rezipiert werden kann und rezipiert wird. Es ergibt sich daraus folglich eine Art Tora-Perspektive und eine Propheten-Perspektive für die weitere Aufnahme von Schriften in einen Kanon der Bibel Israels." 26 Vereinfacht gesagt würde dann die Toraperspektive zur Perspektive des Judentums werden, vermittelt über die hebräische Bibel und über den Stellenwert der Tora in ihr. Deutliches Zeichen ist die liturgische Verwendung der gesamten Tora als regelmäßige Lesung im Synagogengottesdienst, der die Prophetenlesung und die Lesung aus den Schriften als Haftarot untergeordnet wird. Gerade der vorliegende Talmud-Text zeigt aber deutlich, daß auch hier die rabbinische Theologie nicht dogmatisch festmachbar ist. Vielmehr findet sich darin ein Ansatz für die Höherwertung der Propheten gegenüber Mose. Auch der darauffolgende Passus von den vier Verordnungen, die Mose gebot und die von vier Propheten aufgehoben wurden, zeigt in diese Richtung. Raschis Kommentar z. St. hatte freilich eine andere Interpretation für möglich gehalten. Er meinte, daß die sukzessive Verminderung der Gebote Ergebnis des mangelnden Toragehorsams der Generationen war. Demnach hätten die Propheten eine Art Zugeständnis an die Schwäche der Menschen erwogen. Hier zeigt sich bereits der Versuch, die Absicht des Textes zu verschleiern und abzuschwächen. Darauf wird gegen Ende noch zurückzukommen sein. Der Einsatz mit David läßt diesen als Psalmendichter in den Blick kommen. Davids fünfteiliges Psalmenwerk verweist zurück auf die fünf Bücher des Mose. Die Abfolge ist sicher historisch zu verstehen, also David vor den genannten Propheten. Es wird nicht eine Abfolge der Bücher intendiert sein. Für eine kanonische Exegese erweist sich der - von den Rabbinen kaum gedachte - Gedanke reizvoll, daß hier die SeptuagintaPerspektive übernommen wird, wonach die Psalmen als Teil der Ketubim in der Mitte zwischen Tora und Propheten zu stehen kommen. Tora und Prophetie werden so zu Rahmenteilen der Bibel. Von dieser Basis aus gesehen wäre dann auch der Schluß zulässig, die Toraperspektive gegenüber der Prophetenperspektive hintanzureihen. Die Prophetie ergänzt die Tora nicht nur, sie korrigiert sie gewissermaßen. Ich wiederhole, daß eine solche

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DOHMEN, H e r m e n e u t i k 153.

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Deutung wohl nicht im Sinne der Rabbinen wäre. Sie zu denken, erlaubt jedoch die hermeneutische Perspektive des späteren Lesers, der auf der Basis der gesamten Kanonentwicklung diesen Text im Bavli auch auf diese Weise zuspitzen kann. Damit soll auch nicht die christliche - Septuaginta Leseweise der Schrift als überlegen betrachtet werden. Es zeigt sich nur, daß die rabbinischen Schriften vielschichtig und offen auch für eine solche Anregung sind. Nach rabbinischem Verständnis sind jedenfalls die Psalmen als Antwort auf die Tora des Mose gedacht. An unserer Stelle und den Parallelen wird daraus nicht nur eine die Tora rezipierende, sondern auch eine weiterführend korrigierende Antwort. Die in der Folge genannten Propheten sind Jesaja - Micha; Jesaja Arnos - Habakuk. Jesaja und Micha gelten auch in der rabbinischen Tradition meist als Zeitgenossen (z.B. PRK 16,4). Nach bPes 87b; bBB 4b waren Hosea, Arnos, Jesaja und Micha zur selben Zeit aufgetreten. Entsprechend Seder Olam Rabba 20 war Micha etwas jünger als Jesaja. Arnos gilt nach PRK 16,10 als nachexilischer Prophet, allerdings variieren hier die Mss., Oxford 1 bietet Nahum, aber auch Micha und Habakuk können auftreten. Nach PRK 16,8 sind Hosea, Joel, Arnos, Micha, Nahum, Habakuk, Haggai, Sacharja und Maleachi die Propheten, welche Jerusalem nach dem Fall trösten. Nach SOR 20 lebte Habakuk unter Manasse. Eine bMak 24a entsprechende zeitliche Abfolge ist also aus rabbinischer Sicht durchaus vorstellbar. Allerdings verwirrt die zweite Nennung des Jesaja. Hier findet offensichtlich ein Gespräch zwischen Jesaja und Micha statt. M. E. war die rabbinische Sammlung inhaltlich von der Idee getragen, Belege für eine sukzessive Zuspitzung und Focussierung der Tora zu finden. Die Tanchuma-Variante bietet die Abfolge Jesaja-Micha-Amos-Habakuk.

Die Bedeutung der Aktualisierung Im Bavli werden wichtige Schritte der Aktualisierung unternommen. Dies geschieht auf mehrfache Weise. Betrachten wir nur die aktualisierenden Passagen, so ergibt sich folgendes Bild:

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David: Abraham Abba Hilqijahu Rabbi Saphra Jakob Bezug auf den Einzelnen im Heute Bezug auf den Einzelnen im Heute Hiskija Joschafat Rabbi Jochanan Bezug auf den Einzelnen im Heute Rabbi Jischmael b. Rabbi Jose Jesaja: Abraham Bezug auf den Einzelnen im Heute Rabbi Jischmael b. Elischa Rabbi Jischmael b. Jose Bezug auf den Einzelnen im Heute Bezug auf den Einzelnen im Heute Micha: Bezug auf den Einzelnen im Heute Bezug auf den Einzelnen im Heute Bezug auf den Einzelnen im Heute Jesaja Arnos Habakuk

Diese Anordnung zeigt ganz deutlich auf, daß es dem Bavli nicht darum ging, durch Reduktion eine Abwertung der Einzelweisungen zu bekommen, sondern darum, die 613 Gebote auf ihre Quintessenz hin zu befragen, auf ein „Hauptgebot". Die Nennung der Rabbinen neben Abraham und Jakob zeigt die ungebrochene Folge des Toragehorsams auf. Von den ersten elf Beispielen sind zwei auf die Patriarchen bezogen (Abraham, Jakob) und zwei weitere auf Könige in Juda (Hiskija, Joschafat). Joschafat ist der ältere, so ergibt sich aus dieser Abfolge eine chiastische Struktur: Abraham Jakob Hiskija Joschafat

»Der Gerechte wird aus dem Glauben

leben«

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Abraham und Jakob beweisen, daß die grundsätzliche Achtung der Tora bereits lange vor dem Sinai in Geltung war. Dies entspricht einer Reihe rabbinischer Belege, die hier nicht besprochen werden müssen. Daß Abraham aber auch im Kontext der „Reduktionen" der Tora als Beispiel genannt wird, scheint mir ein Seitenhieb auf alle jene zu sein, die ihn als Vorbild dafür zitieren, daß er alle 613 Gebote gehalten habe (bJoma 28b etwa). Abraham beweist, daß die Verringerung der Toragebote keine Abwertung derselben bedeutet. Fünf Rabbinen werden genannt, Abba Hilqijahu aus dem 1. Jh., Saphra aus der 3. Amoräergeneration, Jochanan aus der 2. Amoräergeneration, Jischmael b. Jose aus der 4. Tannaitengeneration und Jischmael b. Elischa aus der 2. Tannaitengeneration. Die genannten Beispiele weisen eindeutig auf Geschehnisse hin, die in anderen Talmudtexten (bTaan 24; bKet 105b) zitiert werden. Es besteht eine Traditionslinie zwischen den Patriarchen, den Rabbinen verschiedenster Generationen und den unbekannten Menschen, die entsprechend dem Bibelvers handeln. Diese sog. Einzelbezüge sind besonders interessant. Sie betreffen: nicht das Handwerk eines Freundes abwerten sich seiner Verwandten annehmen nicht einmal an einen Nichtjuden Geld auf Wucher

ausleihen

seinen Freund nicht öffentlich kränken nicht die Schmähung von Gelehrten schweigend anhören keine Frauen betrachten, wenn sie beim Waschen stehen die Rechtspflege die Wohltätigkeit das Hinausführen eines Toten und das Ausstatten einer Braut Wiederum stehen hier unterschiedlich Anweisungen nebeneinander. Es sind Regelungen im zwischenmenschlichen Umgang, aber auch Hinweise auf das rechte Verhalten in der Gemeinde und gegenüber den Fremden. Der erste Teil beinhaltet Richtlinien, die im weitesten Sinne mit finanzieller Versorgung zu tun haben. Vor allem das Verbot des Zinsnehmens gilt als Verschärfung gegenüber der Bibel. Das bedeutet, daß auch in einem Abschnitt über die Konzentration und Reduktion von Geboten solche Verschärfungen möglich sind. Der zweite Block behandelt das öffentliche Ansehen der Menschen, der dritte ist wieder eine Kurzfassung zentraler Lebensregeln, wie sie in der Bibel mit den Stichworten „Recht und Ge-

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rechtigkeit üben" oder bei den Rabbinen eben unter „Recht und Wohltätigkeit" laufen. Es handelt sich dabei ursprünglich nicht um die Summe aller Einzelgebote unter einem einzelnen Sammelbegriff, sondern tatsächlich um den Versuch, Grundsätzliches zum richtigen Verhalten zu sagen und dieses auf einen Begriff zu bringen, der sich individuell zu füllen hat, wofür Beispiele wie das Ausstatten der Braut und die Begräbnisgemeinschaft dienen. Bezüglich der „Rechtspflege" ( y i ) ist hier auf mHag 1,8 (und die Gemarot dazu) zu verweisen, wonach die „Rechtspflege" zu den Kernstücken der Tora gehört. D'HDn m'roa, die „LiebeswerkeAVohltätigkeit" wiederum bildet nach bSota 14a Beginn und Ende der Tora, nämlich in bezug auf Adam und Eva, die von Gott - aus Liebe - mit Röcken ausgestattet werden und in bezug auf den Tod des Mose in Dtn 34,6. Mose sei von Gott selbst begraben worden. „Gerechtigkeit und gute Taten wiegen alle Gebote der Tora a u f , meinen tPea IV,19, pPea 1,1,15b, bSuk 49b. Auch an dieser Stelle wird wieder eine Verbindung zum Tod gezogen. Die in bMak 24a genannten Beispiele Hinausführen des Toten und Ausstatten der Braut können somit als Konkretisierungen von „Wohltätigkeit" und „Gerechtigkeit" angesehen werden. Bereits das Micha-Zitat hat somit bereits vorweggenommen, was Jesaja meinte. Die Aktualisierung jedenfalls erfüllt mehrere Absichten: 1. Sie stellt eine Verbindung zwischen Bibel und Jetztzeit her. 2. Sie zeigt, daß die jeweiligen Aussagen über den Kern der Tora nicht durch die nachfolgenden hinfällig geworden sind, sondern nach wie vor als Ausdruck jüdischer Tora-Observanz gelten. Die Abfolge hat also nichts mit Ausdünnung zu tun, viel eher mit Präzisierung und dem anhaltenden Versuch, eine Mitte der Tora möglichst prägnant zu beschreiben. 3. Sie stellt Bezüge zu anderen rabbinischen Stellen her, um so die Argumentation auf eine breitere Basis zu stellen. Diese Einsichten bestätigen auch die wichtigen hermeneutischen „Diskurse". Gamliel und Nachman machen mit ihren Einwürfen klar, daß es nicht die Absicht des Abschnittes sein kann, hinter Kurzfassungen wieder die gesamten 613 Einzelgebote zu „verstecken". Ehre gebührt allen, die auch nur eines von den im Psalm anklingenden Verhaltensweisen erfüllen. Ebenso darf der bei Arnos auftretende Begriff „Forschen" (t£i~n) nicht im hermeneutisch-exegetischen Sinn als Interpretation und Beschäftigung mit der gesamten Tora in all ihren Einzelteilen verstanden werden. In diesem Sinne hätte nur der Leben, der wirklich die ganze Tora zu

»Der Gerechte wird aus dem Glauben

leben«

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durchforschen versteht. Der Begriff hat hier wohl die umfassend schillernde Bedeutung von „auslegen", „intensiv beschäftigen", „nachgrübeln", „Details erfragen", „eine exegetische Operation durchführen" usw. Diese Einreden fehlen in den Parallelen, auch in der dem Bavli am nächsten liegenden Variante in einem Zusatz zum MidrPss 17. Dort reiht man das Habakuk-Zitat einfach an den Amosvers, was eine eigentümliche Verdoppelung bewirkt. Nur der Bavli stellt klar, daß es nicht um eine Summe der Gebote geht, die in Prinzipien zusammengefaßt wird, sondern um die Suche nach einem zentralen Hauptgebot. Dies widerstreitet ganz dem Verständnis, das sich etwa in der Übersetzung des Psalmenmidrasch durch Braude findet: „When Habakkuk came, he also summed up the six hundred and thirteen commandments in one principle, for he said: The righteous shall live by his faith (Hab 2:2,4)." 27 Die kanonische Dialogizität Dieser Schritt beinhaltet folgende Vorgänge: 1. Auseinandersetzung mit der Einzelstelle im Ersten Testament 28 2. Auseinandersetzung mit der Verwendung des Ersten Testaments in der frühjüdischen Literatur und hier speziell im Bavli 3. Auseinandersetzung mit der Verwendung des Ersten Testaments im Zweiten 4. Zusammenschau und Auswertung der beiden Zugänge: Gegenseitiges Lernen Schritt 1 wurde bereits unternommen. Das Habakukzitat erwies sich als Vertrauensappell angesichts der tödlichen Bedrohung. Leben hat, wer auf Gott vertraut. Adressat ist der „Gerechte", der sich an den Weisungen der Tora orientiert und der Gerechtigkeit zu ihrem Recht verhelfen will. Die Tora ist somit nicht ausgeblendet. Der Toratreue kann jedoch nicht aufgrund der Tora überleben. Dies geschieht nur durch den Glauben, durch

27 W. G. BRAUDE, The Midrash on Psalms. Translated from the Hebrew and Aramaic by ..., Volume I, YJS XIII, New Häven 2 1960, 229. 28 Damit ist auch die Auslegung des Einzelverses im Kontext des ersttestamentlichen Kanons gemeint. Dieser Schritt konnte hier nicht ausgiebig unternommen werden. Die Bedeutung des Begriffs oder die Stellung von Gerechtigkeit sowie die Einbindung von Hab im Kontext der Kleinen Propheten müßten umfassender behandelt werden.

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unerschütterliches Hoffen auf Gott, der dem Recht wieder zum Recht verhelfen soll. 2. Der Talmud kommt diesem Verständnis weitestgehend nahe. Der Kontext ist allerdings nicht die Bedrohung von äußeren Feinden, sondern die Frage nach dem Focus der Tora. Die Tora steht in direktem Bezug zum Leben. Dies tut sie bereits in der Bibel. Für den Gerechten bei Habakuk ist die Machtlosigkeit der Tora gleichbedeutend mit Todesdrohung. Wo die Tora als Gesellschafts- und Sozialordnung nicht zu ihrem Recht kommt, da kann diese Gesellschaft nur dem Unrecht verfallen und damit alle in den Abgrund stürzen. Der Bavli stellt mit den Zitaten von Arnos und Habakuk den Konnex mit dem Leben her. Dem Habakukvers nun war die Entscheidung, ob der Glaube ein Tora-Gebot ist, fremd. Dem Bavli scheint sie auf den ersten Blick wichtig. Der Gerechte, so sagt er, also der prinzipiell an der Tora orientierte Mensch, hat Leben nicht aufgrund der Erfüllung aller Einzelgebote, sondern aufgrund seines Vertrauens auf Gott. 29 Ist dieses Vertrauen nun ein Gebot, und noch genauer, das zentrale Gebot? Freilich mag man aufgrund der Struktur des Abschnitts dies annehmen. Inbegriff der Tora mag aber auch noch etwas anderes heißen, nämlich letzte Zuspitzung der Gottesbeziehung. Die Tora ist dem Juden „Heilsmittlerin" schlechthin, Lebensspenderin. Genau diese Funktion übernimmt nun der „Glaube". Strack/Billerbeck hatten (zu Gal 3,11) im Anschluß an Raschi behauptet, daß der Bavli das Schwächerwerden des Menschseins reflektiere, dem lediglich noch der Monotheismus als Gebot zuzumuten sei. Diese Meinung geht zweifellos am Text selbst vorbei, wie gezeigt werden konnte. Wir heutigen Menschen können dem Text eine Nuance abgewinnen, in der die ganze Tiefe des Gemeinten zum Vorschein kommt. Nach Auschwitz nämlich wird uns bewußt, was es bedeutet, angesichts des allgegenwärtigen und übermächtigen Todes das Leben zu erhoffen, indem man glaubt, auf den Gott hofft, der die Frevler schlägt und die Gerechten rettet. Wer angesichts von Auschwitz glauben kann, wer angesichts von Auschwitz auf Gott hoffen kann, der hat wahrhaftig die Mitte der Tora erfaßt. Wer hier nicht verzweifelt, wer hier nicht alles an Hoffnung fahren läßt, der hat vom Schwierigsten „geleistet", was Menschen vorstellbar ist.

29 Vgl. auch AVEMARIE, Tora 375: „In den ... rabbinischen Schriften ... wird als 'Glaube' immer wieder das vorbehaltlose Vertrauen auf Gottes Wort, ob Geheiß oder Versprechen, bezeichnet, durch das Israel die Kraft zu einem Handeln wider allen Augenschein und wider jede irdische Vernunft gewinnt.

»Der Gerechte

wird aus dem Glauben

leben«

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Und man wird sich im ökumenischen Diskurs fragen dürfen, ob solcher Glaube letztlich nicht als eine Gnade Gottes zu umschreiben ist. Die Qumrangemeinde hat im Habakukpescher VIII. 1 ff. Hab 2,4 auf eine konkrete Bedrohung durch die Jerusalemer bezogen, der die ¡"Hin "•fchJJ aus dem Haus Juda entgehen wegen ihrer Treue, die sie dem „Lehrer der Gerechtigkeit" gegenüber zeigen.

4. Paulus und der

Hebräerbrief

Paulus zitiert den Habakukvers an zwei Stellen, einmal in Gal 3,11 (OTI 6e kv U0[!0) oi)8eli; öiKoaoÜToa napa TG) öecö, 6rjA.ov ÖTI ' 0 ÖLKOUOC 4K TTLOTeGx; Ciiaexoa - EÜ: Daß durch das Gesetz niemand vor Gott gerecht wird, ist offenkundig; denn: Der aus Glauben Gerechte wird leben) und ein zweites Mal in Rom 1,17 (8iKoaoouvr| yap ©eoü 4v a u t c o airoK6

•D1? rwn cfninn(a) rm T t i t o mTa :n • icntf •v bx-iw (?n) nasati R. Isaak sagte: Die Tora hätte erst von dem Abschnitt an zu beginnen »Dieser Monat sei euch« (Ex 12,2), weil dieser das erste Gebot enthält, das Israel aufgetragen wurde?2

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brauchen

GenR 12,9 (zu Gen 2,4: M T D n a ) wird als D r n 3 K 3 (Schöpfung um Abraham wil-

len) oder als DS"13 "¡1" 2 (mit der „5" geschaffen) gedeutet. 31 Wir behandeln hier den Standardkommentar (Ausgabe: Ch. ZUNDEL (Hg.), Midrash Tanhuma Sefer Bereshit im Perush, Jerusalem 1982 [hebr.]) und den durch die Edition Buber (S. BUBER [Hg.], Midrasch Tanchuma. Ein aggadischer Commentar zum Pentateuch von Rabbi Tanchuma ben Rabbi Abba. Zum ersten male nach Handschriften aus den Bibliotheken zu Oxford, Rom, Parma und München herausgegeben. Kritisch bearbeitet, commentiert und mit einer ausführlichen Einleitung versehen von ..., Wilna 1885) repräsentierten Text als zwei verschiedene Kommentare, da sie im Bereich der Genesis weit differieren. 32 Raschi, Komm, zu Gen 1,1 (Ausgabe: Ch. D. CHAVEL, Perushei Rashi al ha-Torah, Jerusalem 1988). Vgl. TanB Bereschit 11 (zu Gen 1,1) (4a); JalqSch Bo 187, Zeile 90ff. (Ausgabe: D. HYMAN / J. SCHILONI CLI'RB) (Ed.), Yalqut Shimoni al ha-Torah leRabbenu Shimon ha-darshan. Sefer Shemot, Band 1, Jerusalem 1977 [= hebr.]). Wir gehen hier zunächst von Raschi aus, um einen systematischen Zugang vom bedeutendsten jüdischen Ausleger her zu bekommen (so z.B. auch der Ansatz von M. ZLOTOWITZ, Bereishis. Genesis. A New Translation with a Commentary Anthologized from Talmudic, Midrashic and Rabbinic Sources, 2 Bände, Brooklyn 2 1986, 28).

Anfang und Schluß der

Genesis

177

Raschi eröffnet mit diesem Zitat seinen Pentateuchkommentar 33 : Er gibt seiner Leserschaft die Chance eines zweiten Anfanges, umzublättern bis Ex 12, der Erzählung vom Auszug aus Ägypten mit dem Gebot des Pessachmahles. Durch die Aufwertung des Teils der Tora, der religionsgesetzlich auswertbar ist, nimmt er jedoch die Abwertung der vorhergehenden Teile, der Genesis und des Anfanges der Buches Exodus, rhetorisch zumindest in Kauf. Daß dieser Kommentaranfang rhetorisch eine Gegenposition stark macht, die für Raschi gerade nicht maßgeblich ist, wird schon daran deutlich, daß Raschi das Buch Genesis selbst durchaus zu kommentieren weiß. So ist er im Folgenden bemüht, nach diesem steilen Anfang ex negativo den Beginn der Tora mit der Schöpfung zu begründen: Die Präexistenz der Tora sichert für Raschi nicht zuletzt ihre Einheit als Fünfbuch. Inhaltlich begründet Raschi mit der Schöpfung die Macht Gottes, seinem Volk Israel das Erbteil anderer Völker zu übergeben. 34 Konkret begründet Raschi so Israels Machtanspruch über die sieben Nationen, 35 die Völker, die in tradi-

33

Eine (immer noch) lesenswerte Einführung zu den literarischen Problemen von Raschis Pentateuchkommentar bietet A . B E R L I N E R , Beiträge zur Geschichte der Raschi Kommentare, Jahresbericht des Rabbinerseminars zu Berlin für 1901/1902. 34 Raschi, Komm, zu Gen 1,1: n b n j D n S ni! 1 ? („um ihnen das Erbe der Völker zu geben"). Für Raschi verbindet sich dieser rechtssetzende Aspekt der Schöpfungsgeschichte mit der in Gen 1 verwendeten Gottesbezeichnung 0 , ri i 7X. Daß D T 6 K semantisch für „Richter" bzw. „Gericht" steht, ist ein aus dem Targum Onkelos bekanntes Deutungsmuster (vgl. Targum Onkelos Ex 21,6; 22,2.27, immerhin variiert auch die Septuaginta Ex 21,6 • , rí'?K¡T'?N zu irpö? TO Kpmipujv TOÜ Geoü). Dieses Deutungsmuster ist weitverbreitet, die Funktionsbezeichnung variiert aber, vgl. z.B. GenR 8,10 (zu Gen 1,26, Vergleich mit Königstitel) und GenR 26,5 (zu Gen 6,2, Richter). Die Deutung des Targums von D T I S K auf „Richter" hat zahlreiche Aufnahmen gefunden. Wirkungsgeschichtlich von besonderer Relevanz ist die ausführliche und systematische Behandlung dieser Frage bei M A I M O N I D E S , Führer der Unschlüssigen, Philosophische Bibliothek 184a, Hamburg 1972, I Kap. 2 und II Kap. 6. Maimonides stellt fest, daß D T í b s homonym für Gott, Engel und Richter als Staatlenker gebraucht werden kann (I Kap. 2 Anfang). Es ist also nicht ausschließlich eine Frage des Stils, wenn zwischen d t 6 k und m r r gewechselt wird (so beispielsweise wieder J. V A N S E T E R S , Prologue to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Zürich 1992, 302, zum Wechsel zwischen Gottesname und Gottesbezeichnung in den Verheißungen: „the variety is simply a matter of style"), sondern inhaltliche Differenzen sind immer mitzuüberlegen (so z.B. eindrücklich E. BLUM, Komposition der Vätergeschichte, W M A N T 57, Neukirchen-Vluyn 1984, 323 u.ö., in seiner Analyse von Gen 22). 35 Der weitere Text lautet (Raschi, Komm, zu Gen 1,1): ^tafc'" 1 ? o ^ i i i n n i D i x n o t f DN